Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin mit dem eben gerade von meinem Kollegen Schoettle zitierten früheren hessischen Finanzminister Dr. Troeger absolut einig in der Definition einer wirklichen Konjunkturpolitik in Deutschland. Traeger zitierte in seinem langen Bericht im „Vorwärts" — den ich sehr lesenswert finde — den Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums mit seinem Gutachten vom 3. Juli 1956 und gab folgende Definition:
Eine richtige Konjunkturpolitik besteht in der Erhaltung der Kaufkraft der Währungseinheit, die man tunlichst stabil halten soll, in der Beschäftigung der Produktionskräfte, die möglichst hoch gehalten werden soll, und drittens in einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz.
Dient der uns vorgelegte Haushalt diesen Zwekken, oder dient er ihnen nicht? Das ist die Frage.
Ist er ein ausgewogenes Programm der Regierung oder enthält er wesentliche Lücken? Ist die Kritik berechtigt, die Sie eben hier so temperamentvoll vorgetragen erhielten? Ich will versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben.
Lassen Sie mich zunächst einmal dem Herrn Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern den Dank meiner Freunde abstatten für das ungewöhnliche Kompendium der Vorbemerkungen, die wir in diesem Jahre wieder rechtzeitig vorgelegt erhielten
und aus denen man allein ein gutes Dutzend von Dissertationen hohen Grades verfertigen könnte.
— Herr Kollege Dr. Dresbach, ich glaube, aus diesen jährlichen Vorbemerkungen werden einige Dutzend von hoffentlich begabten Volkswirtschaftlern ihren Honig saugen.
Aber lassen Sie mich einmal mit einigen Gegenfragen auf das antworten, was hier gegen diesen Haushalt und gegen die Politik der Regierung vorgebracht worden ist. Haben wir uns der 21 Milliarden DM Spareinlagen zu schämen, die im Vertrauen auf die Stabilität der Währung von Millionen von deutschen Sparern neu eingelegt worden sind?
Ist es ein Verbrechen, einen in der deutschen Finanzgeschichte noch niemals erreichten Devisen- und Goldbestand von über 18 Milliarden DM bei einem Notenumlauf von nur etwas über 14 Milliarden DM vorweisen zu können?
Sollen wir uns dafür beschimpfen lassen, daß wir innerhalb der letzten Jahre 3,5 Millionen Wohnungen zustande gebracht haben und auch in diesem Jahre trotz aller Kritik, die an unserer Wohnungsbaupolitik geübt worden ist, wiederum mindestens auf der gleichen Höhe von 550 000 Wohnungseinheiten bleiben werden?
Und eine weitere Frage an die Volkswirtschaftler: Ist das deutsche Volk in dem zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren — oder sagen Sie auch sieben Jahren — zu irgendeinem Zeitpunkt schlecht versorgt oder nicht genügend versorgt worden? Auch diese Frage wollen wir uns doch angesichts der Vorgänge in benachbarten Ländern einmal in allem Ernst stellen.
Selbst die Fachleute der Opposition waren sicherlich ebenso wie wir nicht nur überrascht, sondern vielleicht sogar ein wenig besorgt über das plötzliche Anwachsen des Verbrauchs und der Verbrauchsgüterindustrie in der letzten Zeit. Gerade die letzten Monate brachten ein merkliches Zurückgehen der Investitionen. Dächten wir inmitten einer aufs engste verbundenen freien Weltwirtschaft rein egoistisch, dann würden uns die Vorwürfe unserer Verbündeten — lesen Sie vor allen Dingen eine der letzten Nummern der „Times" — nicht treffen, wir entzögen uns den Verteidigungsopfern, um dafür in ihre Exportmärkte einzubrechen. Wir nehmen diese Vorwürfe ernst, und auch keine Opposition wird an ihnen vorübergehen können. Keine deutsche Regierung der Zukunft — ich glaube, Herr Kollege Schoettle, Ihre Freunde werden wahrscheinlich noch sehr lange schwanger gehen können mit der Hoffnung, die Regierung bilden zu können —,
wie auch immer sie heißen mag, wird sich einen Alleingang auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet leisten können.
Wenn wir uns darin einig sind, sollten wir uns auch in vielem in der Beurteilung unserer innenpolitischen Lage und unserer Verpflichtungen wesentlich einiger sein, als ,das in dieser Kritik bis jetzt zum Ausdruck gelangt ist.
Die Regierung hat einen in Ausgaben und Einnahmen ausgeglichenen Haushaltsentwurf vorgelegt. Ihre Einnahmenschätzungen werden auch von scharfen Kritikern als angemessen betrachtet. Wer übrigens die Vorschätzungen in der Rede des Bundesfinanzministers mit den wirklichen Eingängen der letzten Jahre vergleicht, wird anerkennen müssen, daß die 5,5 % mehr Steuereinnahmen als 1955 allein nicht zu den maßlosen Angriffen befugen, die wir in den zurückliegenden eineinhalb Jahren gegen den Herrn Bundesfinanzminister gehört haben. Es ist bis jetzt immer das Kennzeichen einer jeden Hochkonjunktur gewesen, Finanzüberschüsse zu haben. Das können wir auch bei einer ganzen Reihe benachbarter Länder - ich nehme z. B. nur England heraus — ständig unter Beweis stellen. Denken Sie bitte auch an die Jahre 1928 und 1929 in der deutschen Finanzgeschichte zurück, als damals ein deutscher Reichsfinanzminister einen Überschuß von 500 Millionen RM haben konnte, eine Summe, die damals doch etwas sehr Erhebliches bedeutet hat.
Hat man dem Bundesfinanzminister in den vergangenen zwei Jahren die Anhäufung von Reserven vorgeworfen, so greift man ihn jetzt wegen der Auflösung dieser Reserven und wegen des Abbaus des „Juliusturms" an. Wem soll er es nun eigentlich recht machen?
Die Steuern sind in diesem Jahre 1956 in einem Gesamtausmaß von annähernd 4 Milliarden DM gesenkt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die kritisierte Deckung der Ausgaben angesichts der Kassenlage des Bundes etwa durch Steuererhöhungen vollzogen werden könnte.
Was hat man denn überhaupt gegen die Ausgabenseite des Bundes vorzubringen? Wir haben hier einige der wichtigsten Vorwürfe gehört. Parlamente der vergangenen Jahre, der vergangenen Jahrzehnte bemühten sich heftig um die Beschneidung von Regierungsausgaben. Uns hier ist, glaube ich, wohl allgemein ein solcher Eifer ziemlich fremd geworden. Im Gegenteil, der Drang zur Ausweitung von Ausgaben hat Formen angenommen, Kollege Schoettle, die der Bundesfinanzminister mit gutem Recht kritisieren konnte.
Ich sage es Ihnen. Das trifft uns genauso, wie Sie das trifft. Aber ich werde dazu noch etwas Näheres zu sagen haben. Gott sei Dank wächst aber die Zahl derjenigen Staatsbürger unter uns, die sich darüber Gedanken zu machen beginnen, wie wir in der Zukunft weiter verfahren wollen.
Hier, meine Damen und Herren, komme ich zu einem sehr entscheidenden Punkt. Die Kritik der Opposition konzentriert sich auf die Verteidigungsausgaben, aber nicht etwa mit dem Ziel, die
Staatsausgaben insgesamt einzuschränken, sondern die Verteidigungsausgaben weitgehend durch andere Ausgaben zu ersetzen.
Darf ich einmal einen Streifzug durch die mir bis jetzt bekanntgewordenen Forderungen von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, unternehmen. Sie haben auf Ihrem agrarpolitischen Kongreß in Vilbel ein Landprogramm aufgestellt. Wenn ich die darin konzentrierten Forderungen nach gesteigerter Flurbereinigung, Wegebau, Straßenbau, Elektrizitäts-, Trinkwasserversorgung, Maschinengemeinschaften, vor allem aber die neu geforderten sozialen Sicherungen zusammennehme, ergeben sich weit über den Grünen Plan hinaus viele Hunderte von Millionen an neuen Ausgaben.
Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2707 ein Straßenbauprogramm entwickelt. Es fordert allein für das Jahr 1957 1060 Millionen DM an zusätzlichen Ausgaben.
In Düsseldorf haben Sie ein Forschungs- und Nachwuchsprogramm vorgelegt. Es fordert vom Bund in diesem ersten Jahr 1957 wohl allein rund 500 Millionen DM neue Ausgaben.
Ich werde darauf später noch näher eingehen.
In Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2197 verlangen Sie die Übernahme aller Luftschutzkosten auf den Bund. Auch das bedeutet Hunderte von Millionen Ausgaben mehr.
Ihre Forderung nach Anhebung der Sozialrenten auf 75 % des Durchschnittslohnes nach Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2314 würde nach den Ausrechnungen von Dr. Heubeck allein für das Jahr 1957 bereits eine Mehrbelastung des Bundes von 1,6 Milliarden DM beinhalten. Sie haben uns ein Bauprogramm in Aussicht gestellt. Nach Ihren Anträgen zur zweiten und dritten Lesung des Haushalts in diesem Frühjahr müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß ein solches Bauprogramm auch eine runde Milliarde beinhalten wird.
Umgekehrt beharren Sie, wenn ich mich nicht täusche — Sie haben es bis jetzt noch nicht zurückgenommen —, auf einer Aufhebung der Kaffee-, der Tee- und der Leuchtmittelsteuer, d. h. also auf einer Senkung der Bundeseinnahmen um rund 500 Millionen DM.
Für das Forschungsprogramm hat Bankpräsident Dr. Troeger einen Deckungsvorschlag gemacht: höhere Erbschaftsteuer, Wegfall aller Begünstigungen und einiges mehr.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber klar sein, was Sie mit diesen Steuerprogrammen bezwecken. Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß sie vor allen Dingen eine Tötung der Unternehmerinitiative bedeuten und daß Sie damit auf ein Experiment zurückgreifen, das man sich in anderen Ländern jetzt wieder abzubauen bemüht.
Lassen Sie mich noch eines zu der letzten Wehrdebatte sagen. Ihr Sprecher erklärte, eine jede Regierung habe unterschriebene Verträge zu
achten. Auch wenn Sie jemals die Chance haben sollten, eine Regierung zu bilden, werden Sie sich an die Verträge halten müssen, bis es Ihnen nach Ihrem Wunsche gelingt, sich zu lösen. Wenn Sie aber Verträge respektieren wollen, dann können Sie unmöglich auf der andern Seite alle Anstrengungen unternehmen, um diese Verträge finanziell zu töten.
Das bezweckt aber doch eindeutig Ihr haushaltsmäßiges Vorgehen in der Vergangenheit und hinsichtlich des vor uns liegenden Jahres. Dieser latente Widerspruch zwischen den Beteuerungen zur Vertragstreue und Ihren Handlungen im Haushaltsausschuß und im Parlament bringt Sie nicht nur bei uns, sondern erst recht bei den mit uns verbündeten Mächten um die auch von Ihnen geforderte Glaubwürdigkeit Ihrer politischen Aussagen.
Darf ich in Ihr Gedächtnis eine Forderung zurückrufen, die ich bei der dritten Lesung des Haushalts 1956 hier vorbrachte — in der Hoffnung, wir könnten uns darauf einigen, Herr Kollege Schoettle —:
Es sollte keinen Streit zwischen Koalition und Opposition über die Notwendigkeit geben, so schnell wie möglich eine zumindest dem in der Sowjetzone geschaffenen militärischen Potential ebenbürtige Verteidigungsmacht der Bundesrepublik aufzubauen.
Wir haben von Ihnen bis zur Stunde noch kein klares Bekenntnis zu der Notwendigkeit einer Bundeswehr gehört. Wir dürfen aber vielleicht annehmen, Sie können die Notwendigkeit zumindest einer freiwilligen Bundeswehr nicht bestreiten. Ein Freiwilligenheer aber kostet mehr als der von uns beabsichtigte Aufbau einer Bundeswehr.
Das wissen Sie genauso wie wir. Wenn man das aber nicht bezweifeln kann, dann bedeutet Ihre Haltung gegenüber einem Verteidigungshaushalt einen Widerspruch in sich.
Lassen Sie mich einen weiteren Stein des Anstoßes aus dem Wege zu räumen versuchen: das Problem der Haushaltsdeckung durch den Rückgriff auf Reste und Rückstände. Sie haben, Herr Kollege Schoettle, schon früher gegen die Bedienung des außerordentlichen Haushalts durch Steuerüberschüsse aus dem ordentlichen Haushalt einiges eingewandt. Neuerdings richten sich die Vorwürfe von Ihnen, von Professor Gülich und anderen, wie ich in der Presse gelesen habe, gegen die Praxis des laufenden Haushaltsjahres und des Voranschlages 1957. Haushaltsrechtlich — das können Sie nicht bestreiten, das bestreite auch ich nicht — begeht der Bundesfinanzminister keinen Verstoß gegen die Haushaltsordnung, wenn er so vorgeht, wie er vorgegangen ist. Es liegt mir fern, die jetzt zum zweitenmal angewandte Methode des Ausgleichs aus Rückstellungen etwa schön und nachahmenswert zu finden. Vieles läßt sich dagegen vorbringen. Ein Argument halte ich dagegen für absolut nicht stichhaltig. Man kann nämlich nicht sagen: dieser Rückgriff auf Rückstellungen beschwöre Inflationsgefahren herauf, wie das in der Presse Ihrer Freunde gesagt wird. Derartige Gefahren drohen von ganz anderer Seite. Bei einem Sozialprodukt von beinahe 180 Milliarden DM bewirken 2 bis 3 Milliarden Mehrausgaben keine Inflationsgefahr. Die Auszahlung wesentlicher Teile des Verteidigungshaushalts für die Beschaffung von Rüstungsmaterial im Ausland ist eine feststehende Tatsache. Die Bank deutscher Länder darf als besonders hellhörig und empfindlich für alle Gefahrenmomente einer Währungsbedrohung angesehen werden. In ihrem ausgezeichneten Monatsbericht vom November sagt sie dazu auf Seite 19 folgendes — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Vom geldpolitischen Standpunkt aus interessiert vor allem die veranschlagte Auflösung von Rücklagen des Bundes. . . . Hier ist nun zunächst zu bemerken, daß es zu der im Haushaltsplan veranschlagten Auflösung von Rücklagen — ebenso wie zu der gleichfalls veranschlagten Kreditaufnahme von rund 1,1 Milliarde DM — nur kommen wird, wenn die Haushaltsansätze auch kassenmäßig voll ausgeschöpft werden. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen über den Haushaltsvollzug bleibt das jedoch abzuwarten.
Sie sagt dann weiter:
Zu bedenken ist ferner, daß die währungspolitischen Wirkungen einer Auflösung von Kassenreserven wesentlich davon abhängen, ob sie im Inland oder für Einfuhrzwecke verausgabt werden. Würden Kassenreserven für die Einfuhr von Rüstungsgütern eingesetzt, wäre dies bei dem gegenwärtigen Stand unserer Devisenbilanz und unserer Gold- und Devisenreserven währungspolitisch unbedenklich. . . . . Bei den oben erwähnten Ausgabeansätzen für die Aufstellung der eigenen Verteidigungsstreitkräfte wurde jedoch davon ausgegangen, daß bei ihrer Verausgabung der Bezug von Rüstungsgütern aus dem Ausland eine nicht geringe Rolle spielen würde.
Unter dieser Voraussetzung
— so sagt die Bank deutscher Länder —
brauchen gegen den Haushaltsansatz für die Verwendung von Kassenreserven vom Standpunkt der Währungspolitik Bedenken nicht geltend gemacht zu werden.
Wenn die Bank deutscher Länder hier nichts einzuwenden hat, kann das Inflationsargument also als nicht stichhaltig beiseite geschoben werden.
Sie sagten weiter, Herr Kollege Schoettle: Wenn 9 Milliarden nicht ausgegeben werden können, dann sollte man den Haushaltsansatz streichen, oder man sollte etwas anderes damit anfangen. Aber eigentlich sollte doch niemand froher darüber sein, daß in dem „Juliusturm" noch einiges drinbleibt, als Sie. Wenn Sie sich der Hoffnung hingeben, unsere Nachfolgeschaft anzutreten, dann muß das doch bei Ihnen eitel Freude und nicht Bedenken auslösen.
Wenn ich einen Rückblick auf die vergangene Epoche der Besatzungskosten werfe, dann muß ich feststellen, daß in den vergangenen Jahren wesentlich höhere Summen ausgegeben worden sind, als in dem diesjährigen und in dem vergangenen Haushalt für die Verteidigung ausgegeben worden sind, ohne daß die befürchteten Wirkungen einge-
treten sind. Wir müssen uns als Folge einer von uns nicht gewollten Verlangsamung der Wiederbewaffnung eben auch mit der Zahlung von Stationierungskosten in irgendeiner Form abfinden. An die Leistung eines deutschen Beitrages zu den Unterhaltskosten für die verbündeten Streitkräfte sind seinerzeit keine Bedingungen geknüpft worden.
Ich möchte aber im Zusammenhang mit der heutigen Beratung auf ein Problem hinweisen, das gerade in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit lebhafte Beachtung gefunden hat und das in einem bestimmten Zusammenhang mit diesen Stationierungskosten steht. Es handelt sich nämlich um die Bereinigung der strittigen Forderungen aus Sach-
und Werkleistungen einschließlich Bauleistungen gegen die früheren Besatzungsmächte aus Aufträgen vor Inkrafttreten der Bonner und Pariser Verträge. Die Summe der noch nicht befriedigten Forderungen, die nicht von der Bundesrepublik, sondern von den jetzigen Stationierungsmächten geschuldet werden, ist statistisch nicht genau festzustellen; sie geht aber in viele Millionen hinein. Dürfen wir die Erwartung aussprechen, daß die Bundesregierung ihre bisherigen Bemühungen fortsetzen wird, um die Auszahlung der strittigen Forderungen durch die Stationierungsmächte auf dem Verhandlungswege zu erreichen? Ich möchte außerdem noch einmal der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Stationierungsmächte auch ihrerseits auf eine alsbaldige und angemessene Bereinigung aller dieser Forderungen Wert legen werden und im Zusammenhang mit der von uns zu erwartenden Bereitstellung der 1,4 Milliarden DM auch ihrerseits entsprechende Mittel bereitstellen werden. Ich möchte weiter hoffen, daß uns eine Erfüllung der gerade bei der jetzigen Pariser Konferenz ausgesprochenen Erwartung eines schnelleren Aufbaus der deutschen Verteidigungsstreitkräfte durch eine ebenso schnelle Räumung der nicht gebrauchten deutschen Kasernen ermöglicht wird.
Noch ein Letztes zu diesem Fragenkomplex. Der jetzt in der Aushandlung begriffene Truppenvertrag sollte — das ist unsere bestimmte Erwartung — zum mindesten keine Verschlechterung gegenüber dem früheren Vertrag bringen. Lassen Sie mich hier nur eine Bemerkung zu dem Problem der Kasernenräumung einflechten, weil darüber ganz irrige Vorstellungen in der deutschen Öffentlichkeit vorhanden sind. In den Haushaltsjahren 1955 und 1956 sind nicht weniger als 405 Millionen DM dafür bereitgestellt worden. Davon sind 100 Millionen allein zur Gewährung von Darlehen an Hypothekenbanken zur Förderung des Wohnungsbaues bei der Freimachung von Kasernen da. Wir legen allergrößten Wert auf die Durchführung dieser Ersatzwohnungsbauten. Bis jetzt ist noch keine Million von diesen 405 Millionen ausgegeben Worden.
Hier liegt aber eine wesentliche Reserve für den Wohnungsbau. Meine Freunde wären bereit, auf die Bereitstellung weiterer Haushaltsmittel für diesen Zweck im Haushalt des Verteidigungsministeriums zu drängen, unter anderem auch im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 1957, wenn wir sicher sein würden, daß diese 405 Millionen DM rechtzeitig, noch in diesem Frühjahr, verteilt und verplant werden können.
Hier berühre ich bereits das Problem des Wohnungsbaus generell. Schon jetzt läßt sich das Ergebnis dieses Jahres ungefähr überschauen. Das Jahr 1956 wird uns rund 550 000 Wohnungen und damit wieder eine Spitzenleistung im Wohnungsbau bringen. Die Baukapazität war in diesem Jahre bis zur Stunde voll ausgelastet. Das Hineinpumpen weiterer großer Beträge hätte mit Sicherheit zu wesentlichen Kostensteigerungen in der Bauwirtschaft geführt. Erinnern wir uns doch, meine Freunde, mit welcher Sorge wir im Spätherbst des Jahres 1955 und in diesem Frühjahr auf die Überhitzung im Bausektor geschaut haben und welche unangenehmen Ausstrahlungen von dort auch auf andere Industriezweige übergegangen sind.
Da an der Bauleistung dieses Jahres wohl kaum jemand etwas aussetzen wird, wird nun die Öffentlichkeit mit düsteren Kassandrarufen für das Baujahr 1957 angefüllt. Daß wir alles tun werden, um erste Hypotheken für den sozialen Wohnungsbau zu beschaffen, ist außer Zweifel. Aber schließlich, meine Damen und Herren, ist der Wohnungsbau nicht allein Sache des Bundes, sondern er ist genauso Sache der Länder und der Gemeinden.
Die Bundesregierung hat im Haushaltsplan 1957 nicht weniger als 1,5 Milliarden DM öffentlicher Gelder bereitgestellt. Wir beobachten mit einiger Sorge, daß die Länder hier nicht mitziehen. Es geht nicht an, daß sie diese Aufgabe mehr und mehr dem Bund allein überlassen. Sie haben dafür und vor allem für die Beschaffung von erststelligen Hypotheken die Möglichkeit des § 42 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes, nämlich öffentliche Baudarlehen vorübergehend auch für die erststellige Finanzierung mit einzusetzen. Nach dem Gesetz sollen die Mittel, sobald es der Kapitalmarkt erlaubt, durch ordentliche Mittel wieder abgelöst werden. Die Länder sollten also gerade in diesen Wochen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen; denn sie sind für die Durchführung des Gesetzes mit verantwortlich.
Nach wie vor sehen meine Freunde in der Bildung von Wohnungseigentum in der Form von Familienheimen eines der wesentlichsten Ziele unserer gesamten Innenpolitik.
Die enorme Entwicklung der Bauspartätigkeit — allein mit 1,2 Milliarden DM in den letzten neun Monaten dieses Jahres — beweist, daß weite Teile der Bevölkerung nach einem Eigenheim dringend verlangen.
Lassen Sie mich auch ein paar Worte zum Straßenbau sagen, der ebenfalls von meinem Herrn Vorredner angesprochen worden ist. Sie von der SPD haben in Ihrem Straßenbauprogramm eine Zweckbindung der Mineralölsteuer verlangt. Das ist im Grunde genommen doch eine Sünde gegen das, was wir bis jetzt eigentlich immer gemeinsam vertraten; denn wir hatten uns, glaube ich, gemeinschaftlich gegen zu weitgehende Zweckbindungen zur Wehr gesetzt. Ferner wurde die Zweckbindung der Hälfte des Mineralölzolls und bei den Ländern der Kraftfahrzeugsteuer gefordert. In der Praxis würde das bedeuten, daß die Bundesausgaben für Straßenbauten im Jahre 1956 auf über 1,8 Milliarden DM ansteigen würden.
Ich muß hier einmal ganz offen einige Bedenken gegen derartige Summen zum Ausdruck bringen. Um solche Summen zu verkraften, ja, allein schon
um die von mir und meinen Freunden vertretene Summe von 1,1 Milliarden DM im Straßenbau dieses Jahr sinngemäß zu verkraften, gehören zwei Dinge. Dazu gehört erstens eine ausreichende Besetzung der Landesstraßenbauämter, die nicht da ist. Sie werden sich genauso wie ich in Ihren Wahlkreisen unschwer davon überzeugen können, wenn Sie dort einmal Rücksprache mit Ihren Straßenbauämtern halten, daß die Leute nicht in der Lage sind, die Verplanungen rechtzeitig vorzunehmen, weil man ihnen nicht die Techniker gibt und weil sie sie auf der anderen Seite auch nicht bekommen können. Sie werden zweitens feststellen, daß die Baufirmen in der Zeit der Hochkonjunktur, gerade in den Sommermonaten, wo ja alle Arbeitskräfte gebraucht werden, bei weitem nicht die Arbeitskräfte bekommen, die sie brauchen, um solche Summen zu verkraften. Ich erinnere mich, daß sich nach meinen Erhebungen in meinem Wahlkreis ergeben hat — das darf für Baden-Württemberg mindestens als durchschnittlich gelten —, daß keine der größeren Baustellen in diesem Sommer und Herbst mehr als 70 % der verlangten Arbeitskräfte erhalten hat. Infolgedessen sind alle in die größten Terminschwierigkeiten gekommen.
Wir müssen also dieses Straßenbauprogramm, das auch wir fordern, behutsam und etwas langsamer, als es vorgesehen ist, aber stetig vorantreiben. Ich glaube, wir sollten insofern auch etwas Planung — hier gehe ich mit Ihnen völlig einig — hineinbringen, als wir zunächst einmal das Dringendste, nämlich den Wohnungsbau, fördern und dann die dort freiwerdenden Mittel in den Straßenbau investieren. Diese zwei oder drei Jahre wird es auch noch so gehen. Wir werden Mühe haben, in diesem nächsten Haushaltsjahr mehr als eine Summe von 1,1 oder 1,2 Milliarden DM zu verbauen.
Lassen Sie mich hier noch einen Wunsch vor allen Dingen an die Adresse des Bundesverkehrsministers richten. Wir halten es nicht für vorteilhaft und gut, daß z. B. bei der Straßendeckenerneuerung, bei dem Frostprogramm, möchte ich einmal sagen, die Mittel von 100 Millionen DM im laufenden Jahr bereits auf 41 Baustellen verstreut waren und im kommenden Haushaltsjahr auf 86 Baustellen verstreut werden sollen. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob wir dann im Sommer uns überhaupt noch auf den Hauptverkehrsstraßen werden bewegen können oder ob wir nur auf Umleitungen werden fahren müssen. Wir haben ja in diesem Sommer schon einiges auf diesem Gebiet erlebt.
Mit großer Befriedigung haben meine Freunde von dem langen Gespräch des Vorsitzenden der westdeutschen Rektorenkonferenz, des Herrn Rektors Coing von der Universität Frankfurt, und des Herrn Bundeskanzlers gehört, einem Gespräch, das dem dieses Haus seit längerer Zeit beschäftigenden Problem der Förderung von Forschung, Wissenschaft und Nachwuchs gewidmet war. Die westdeutsche Rektorenkonferenz hatte ebenso wie die deutsche Forschungsgemeinschaft und die überparteilich zusammengesetzte Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft wesentliche Vorarbeiten geleistet. Der Herr Bundeskanzler wird auf Grund der von Herrn Rektor Coing erbetenen Vorschläge die Herren Ministerpräsidenten der Länder zu einem Gespräch über das einladen, was für Forschung und weit darüber hinaus für die Förderung des Nachwuchses und die Bereitstellung von Fachkräften für die aufstrebenden Länder gemeinsam getan werden kann.
Ich betone hier ausdrücklich das Wort „gemeinsam".
Niemand hat die Länder bislang daran gehindert, auf diesem auch uns so am Herzen liegenden Gebiet Außergewöhnliches zu leisten. Niemand von uns verkennt die großen finanziellen Belastungen, die den Ländern andererseits durch den Wiederaufbau der zerstörten Universitätsgebäude erwachsen waren. Und man sollte diese Leistungen nicht klein einschätzen.
Vor einigen Jahren sah das Problem noch anders aus. Ich folge hier einmal kurz einem Bericht von Professor von Caemmerer, dem Rektor der Universität Freiburg, in der „Stuttgarter Zeitung" vom 11. Dezember. Im Jahre 1939 studierten in ganz Deutschland 55 000 Studenten. Heute sind es in der Bundesrepublik und West-Berlin 120 000. Das wollte ich auch einmal bemerken, um mit diesen Zahlenangaben einen Vergleich zu ermöglichen.
Gelingt es der Bundesregierung und den westdeutschen Ministerpräsidenten, zu einer praktikablen Rechtsform ihrer Zusammenarbeit zu gelangen — ich möchte das auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit ausdrücklich unterstreichen —,
dann sollte die Bundesregierung selbst unverzüglich einen entsprechenden Kabinettsausschuß gründen und die Federführung darin einem Minister — wir denken uns: z. B. dem Herrn Atomminister auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen — übertragen.
Wir haben in dem vor uns liegenden Haushaltsplan nicht weniger als 336 Millionen DM für Forschung, Nachwuchs, Wissenschaft usw. ausgeworfen. Sie haben es bemängelt, daß darin auch Positionen enthalten sind, die man nicht hineinnehmen sollte. Darüber kann man streiten. Bundesforschungsanstalten sollen in erster Linie der Forschung und nicht der Ausbildung dienen. Man kann sie daher, glaube ich, mit gutem Recht in der Masse zu den Forschungseinrichtungen rechnen. Man kann wohl auch ohne Übertreibung ruhig sagen, daß die gewaltigen neuen Summen des Verteidigungshaushalts doch größtenteils über Direktaufträge an die Universitäts- und Hochschulinstitute, vor allem der Technischen Hochschulen, gehen werden und dort also den Etat wesentlich ausweiten dürften.
Diese Summe von 336 Millionen DM stellt immerhin eine ganz respektable Leistung der Bundesregierung innerhalb des Gesamthaushalts dar. Unbestreitbar werden durch diese neuen großen Ansätze im Verteidigungshaushalt einerseits und im Atomhaushalt mit seinen 84 Millionen DM andererseits im Schwerpunktprogramm der Forschungsgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Summen frei, die bis dahin durch diese rein technischen Aufgaben dort blockiert worden waren.
Schließlich dürfen wir auch darauf hinweisen, daß wir für dieses Haushaltsjahr 1956 einen Sonderfonds von 50 Millionen DM für die freie Forschung aus dem Bundesverteidigungshaushalt abgezweigt haben, der, soviel ich weiß, zu einem allgemeinen Programm zur Ausstattung der Institute mit den notwendigen wissenschaftlichen Geräten heran-
gezogen worden ist. Ich erinnere Sie weiter an den Dozenten- und Assistentenplan, den wir nur mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Länder in diesem Jahr im Haushalt des gesamtdeutschen Ministeriums verankert hatten. Was ich jedoch bis jetzt über die Verwirklichung unserer guten Absicht hörte, bei den Hochschulen 400 neue Assistenten- und Dozentenstellen zu schaffen — wir haben den Anfang damit gemacht —, sollte alle diejenigen zur Vorsicht mahnen, die glauben, die Bereitstellung von einigen hundert Millionen DM mehr trage schon allein zur Lösung dieses sehr komplizierten Problems bei. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, daß bis jetzt noch keine von diesen 400 von uns bezahlten neuen Stellen wirklich besetzt wurde, weil die Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet zu groß sind.
Die allerwichtigste und allerdringlichste Aufgabe ist zunächst einmal die Schaffung neuer Lehrkraftstellen. Was die Länder bis jetzt auf diesem Gebiete vollbrachten, ist höchst unterschiedlich. Es ist z. B. nicht mehr als recht und billig, daß man sich auch in Nordrhein-Westfalen als dem größten Industrieland der Bundesrepublik seit einiger Zeit besonnen hat, mit anderen Ländern, z. B. BadenWürttemberg, in der Schaffung von Lehr- und Ausbildungsanstalten vor allen Dingen für die Techniker pro Kopf der Bevölkerung gleichzuziehen.
Wenn ich deswegen vor allen Dingen recht nachdrücklich von einem guten Übereinkommen zwischen Bund und Ländern über eine sorgsame Abgrenzung der beiderseits zu übernehmenden Lasten als einer von uns allen gewünschten Lösung sprach, so hatte das seine Berechtigung in den trüben Erfahrungen im vergangenen Jahre.
Lassen Sie mich aber hier für alle meine Freunde ein ganz besonderes Gewicht auf folgende Erklärung legen: Uns ist die Schaffung einer wissenschaftlichen Elite mindestens ebenso wichtig wie die Ausbildung einer breiten Schicht von Ingenieuren, Technikern und Spezialkräften.
Gerade ein Land mit unserer stolzen geisteswissenschaftlichen Tradition und der ungeheuren Vielfalt seiner wirtschaftlichen Betätigung bedarf der Spitzenkräfte mit einer möglichst umfassenden, allseitigen Ausbildung. Diese Elite soll das volle Menschenbild verkörpern und nicht in der Enge der für Spezialberufe herangezüchteten Spezialisten in großen Massenproduktionsstätten haften bleiben. Mit Minister Balke, der mit seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule und seiner jahrzehntelangen Praxis in der Industrie selbst eine unbestrittene Urteilsfähigkeit besitzt, bin ich darin einig, daß die Festlegung von jungen Menschen für spätere technische Berufe mit allergrößter Sorgfalt erfolgen sollte. Es ist nämlich keinesfalls so sicher — das hat Minister Balke in einer Pressekonferenz hier ausgeführt —, daß z. B. die Atomtechnik einmal nach zehn Jahren eine in die Breite gehende Masse von Spezialkräften erfordert. Sicher werden wir dagegen erheblich mehr Ingenieure, Techniker, Werkmeister und Facharbeiter brauchen, um nicht nur unseren wachsenden Eigenbedarf zu decken, sondern um auch die von uns wohl sicher gewünschte Hilfe für die in der Entwicklung befindlichen Länder des Auslands, die
nach unserer Hilfe rufen, zu leisten. Jedes Programm für Forschung und Nachwuchs wird sich also gleichzeitig auf eine Reihe von getrennten Ebenen beziehen müssen. Eine sehr sorgfältige Abstimmung aller Komponenten aufeinander und zusammen auf das, was uns in der deutschen Jugend nachwächst, wird zur Lösung dieses unerhört schwierigen und komplizierten Problems notwendig sein. Wir bedürfen dazu der Mitarbeit aller. Bund und Länder allein können ebensowenig wie mit den Gemeinden zusammen diese Aufgabe lösen. Wir brauchen dazu die tatkräftige Mithilfe der gesamten deutschen Wirtschaft und der Gewerkschaften.
Im Rahmen einer Haushaltsrede kann ich naturgemäß nicht an der finanziellen Seite dieses Problems vorübergehen. Von den 336 Millionen des Bundes habe ich bereits gesprochen. Wir werden jetzt hören, was die Länder aufzubringen gewillt sind und was Wirtschaft und Gewerkschaften von sich aus zu tragen bereit sind. Ich selbst sehe durchaus finanzielle Möglichkeiten auch ohne eine zusätzliche neue Belastung des Haushalts 1957 an anderer Stelle. Auch das ERP-Vermögen wollen wir hier keineswegs aus dem Auge verlieren. Es ist ja nicht unbedingt erforderlich, daß alle diese Leistungen allein über den Bundeshaushalt gehen müssen. Wir dürfen diesem Hohen Hause jedoch mit allem Nachdruck versichern, daß wir unter Ausschöpfung aller unserer Möglichkeiten bereit sind, an der finanziellen Bewältigung dieses von uns als so wichtig anerkannten Problems mitzuhelfen.
Noch eine kleine Hinzufügung zu diesem Gesamtproblem. Meine Damen und Herren, mißt man nicht dem Begriff „Automation" eine etwas übertriebene Bedeutung bei?
Mit Fremdworten ist das in Deutschland überhaupt so eine Sache. Ich denke an eine so zungenbrecherische Wortfolge wie die früher übliche „Expropriation der Expropriateure", die im 19. Jahrhundert einmal eine ziemliche Rolle gespielt hat. Man sollte sich hüten, neue Fetische zu schaffen. Man sollte in einer Zeit, die Nüchternheit und Klarheit verlangt, diese Dinge unbefangen und mit großer Ruhe betrachten. Die Automation wird gerade bei uns in Deutschland bei unserer unerhört vielfältigen Industrie vermutlich nur recht wenige Teile der Wirtschaft erfassen und infolge ihrer unerhörten Kosten langsamer vor sich gehen, als das vielleicht in Ländern der Fall ist, die, wie die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion, mit riesigen Massenproduktionen zu tun haben.
Wenn überhaupt von einer „Revolutionierung" gesprochen werden kann, die in einem Teil unserer Wirtschaft gegenwärtig vor sich geht, dann halte ich einen anderen Vorgang für weitaus wichtiger, nämlich die Technisierung der deutschen Landwirtschaft.
Dieser Prozeß, der durch den jetzigen Bestand von allein 520 000 Schleppern gekennzeichnet wird, verändert nicht nur die Existenz einer immer noch sehr breiten Bevölkerungsschicht grundlegend, sondern wandelt auch das soziologische Bild Deutschlands sehr stark um. Darum halten wir den Grünen Bericht als den Ausdruck der Erkenntnis einer völlig neuen Situation für außerordentlich bedeut-
sam. Ich werde dazu am Schluß noch einige Worte sagen.
Lassen Sie mich jetzt einmal einen Blick werfen auf die Erwartungen, von denen der Herr Bundesfinanzminister im Hinblick auf das Jahr 1957 ausging. Er berechnet seine Einnahmen auf der Basis einer Produktivitätssteigerung von 8 %. Die bisher vorliegenden Berichte und Schätzungen lassen eine solche Erwartung meiner Überzeugung nach durchaus zu. Es muß keineswegs ein Schaden sein, wenn die Produktivität gegen Ende dieses Jahres nicht mehr in dem gleichen Tempo zunimmt wie Ende 1955 und im Frühjahr 1956. Eine gemäßigte Zuwachsrate beinhaltet weitaus weniger Gefahrenquellen als das allzu stürmische Tempo, das wir im Herbst des vergangenen Jahres und im Frühjahr dieses Jahres miterlebt haben. Die Zurückhaltung bei der Vergebung neuer Aufträge im Inland ist erheblich gewachsen. Stärker denn je allerdings ist der Einfluß des Exportanteils auf die innerdeutsche Produktion geworden. Die Exportaufträge in den letzten Monaten lagen um nicht weniger als 25 % über denen der Monate des Jahres 1955. Die Finanzierung dieses Exports aber durch ausländische Kreditquellen wollen wir dabei keineswegs übersehen. Alles in allem ist heute die Wirtschaft durch Selbstfinanzierung durch ausländische Kreditquellen wesentlich unabhängiger gegenüber der BdL geworden, als das zu irgendeinem Zeitpunkt der Fall war. Ich möchte annehmen, daß vielleicht im Winter noch die Möglichkeit gegeben sein wird, daß die Bank deutscher Länder erneut eine Diskontsenkung ins Auge faßt, denn die gegenwärtige Geldmarktlage ließe so etwas durchaus zu. Solange die Lebenshaltungskosten in Deutschland und unsere Inlandpreise jedoch weiter erheblich unter dem Niveau der mit uns im Wettbewerb stehenden anderen Industriemächte liegen, wird man sich über die Fortdauer der Konjunktur in Deutschland keine Sorgen zu machen brauchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen einmal, was das auch hier angesprochene Preis- und Lohnproblem und damit auch das soziale Problem anbelangt, ein Zitat aus den „Gewerkschaftlichen Monatsheften" vorlesen. Unter der Überschrift „Lohnpolitik und Arbeitszeitverkürzungen" lese ich:
Die Gewerkschaften können wieder eine stolze Erfolgsbilanz ihrer Lohn- und Arbeitszeitpolitik vorlegen. Es ist ihnen erneut gelungen, entscheidende Schritte auf dem Wege zur 40-
Stunden-Woche mit vollem Lohn- und Gehaltsausgleich zurückzulegen.
Hinzutritt. daß es in der Bundesrepublik fast niemanden mehr gibt, der die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit, die bei ihrer Verkündung vor drei Jahren vielen als reine Utopie erschien, nicht bejahen und unterstützen würde.
Im ersten Halbjahr 1956 sind die durchschnittlichen Bruttoverdienste der Industriearbeiter ohne Bergbau auf 1,93 DM angestiegen. Die Facharbeiter erzielten in fast allen Industriegruppen einen Durchschnittsverdienst von über 2,— DM je Stunde. Die Differenz zwischen Fach- und Hilfsarbeiterverdiensten hat sich weiter verringert.
Im zweiten Quartal allein, für das bis jetzt
endgültige Ergebnisse vorliegen, sind insgesamt 603 Gehalts- und Lohntarifverträge für' 1,7 Millionen Arbeiter und 540 000 Angestellte abgeschlossen worden. Die neuen Verträge brachten eine durchschnittliche Einkommenserhöhung von 9,4 % für die Arbeiter und 8,6 % für die Angestellten.
Ich verlese dieses Zitat ausdrücklich, weil wir durchaus der Meinung sind, daß die deutsche Arbeiterschaft an der Produktionszuwachsrate der deutschen Wirtschaft teilhaben soll, und weil wir darüber keinesfalls etwa unglücklich sind.
Wir möchten auf der anderen Seite auch die Erwartung aussprechen, daß man sinnlose Vorwürfe nach unserer Seite hin unterläßt, als ob wir hier etwa allein die Verantwortung dafür trügen, wenn Preise und Löhne in Bewegung geraten.
Ich muß Herrn Kollegen Schoettle noch etwas entgegenhalten bezüglich dessen, was er hier über das Zusatzgesetz für die Mindestrenten gesagt hat. Ich glaube, Sie kennen die letzten Beschlüsse des Fachausschusses nicht. Es geht hier keineswegs — das ist mir vorhin erst noch gesagt worden — um so kleine Beträge, sondern um wesentlich, ich glaube sogar, um dreifach höhere Beträge, als Sie sie genannt haben. Ich möchte mich hier auch nicht über die Beamtenbesoldungsreform und über eine ganze Reihe von anderen Themen auslassen, so drängend sie sind und so gut sie hier in dieses Thema hineinpassen würden.
Über die Rentenreform wird in den nächsten Tagen dem Hause so viel berichtet werden, daß ich es mir wohl ersparen kann, jetzt noch besonders und näher darauf einzugehen. Mein Freund Niederalt wird nachher noch Gelegenheit haben, eine Reihe von Fragen zu behandeln, die ich mir gleichfalls ersparen möchte, Ihnen hier vorzutragen.
Allerdings kann ich mir eines nicht versagen, Herr Kollege Schoettle. Sie haben mit einem nicht ungewohnten Anlauf gegen die Erhöhung gewisser Positionen im Bundespresse- und Informationsamt geschossen. Darf ich Ihnen dazu nur eine Zahl nennen: Im englischen Haushalt ist in diesen Tagen die Summe für das britische Informationsamt um 12 Millionen auf 160 Millionen erhöht worden.
— Nein, nicht den British Council, sondern das britische Informationsamt!
— Ich habe es auch nur aus einer britischen Zeitschrift entnommen und bin gern bereit, Ihnen die Sache zuzuleiten.
Meine Damen und Herren! Wir konnten das alles schaffen, was in diesem Hause als das Programm der Regierung aufgebracht worden ist, durch einen bewußten Appell an die ungebrochene Schaffens-
freudigkeit, an die Unternehmungslust und an die Risikofreude der deutschen wirtschaftenden Menschen. Dieser Weckruf hatte vollen Erfolg. Dieser über alle Erwartungen große Erfolg ermöglichte auch die großen sozialen Leistungen, die wir Jahr für Jahr hier ausweisen konnten. Was sollte uns denn nun eigentlich veranlassen, diesen steilen Weg eines Erfolges zu verlassen?
Niemand ist sich klarer bewußt als wir, was uns noch zu tun obliegt. Niemand ist sich auch klarer als wir darüber, daß nach zwei Katastrophen in einer Generation nicht alles in sieben Jahren auf einmal aufgebaut werden kann.
Wir können nicht alle Probleme zu gleicher Zeit lösen.
Inmitten aber einer Zeit so großer Strukturwandlungen und Umstürze, einer Zeit niegekannter Massenwanderungen und anhaltender neuer Flüchtlingsströme haben wir uns bemüht, diesen Staat auf feste Säulen zu stellen. Wir halten nach wie vor an einem der Gründungsziele der Christlich-Demokratischen Union und der CSU unbeirrbar fest, wonach der gesündeste Staat der Staat ist, der sich auf eine möglichst breite Basis unabhängiger Existenzen gründet.
Dieses Prinzip haben wir in zahlreichen grundlegenden Gesetzen im Laufe der letzten Jahre verankert. Wir haben dem Handwerkerstand eine neue gesetzliche Grundlage verschafft. Wir haben der Landwirtschaft durch zahlreiche Gesetze und durch den Grünen Plan ermöglicht, sich zu behaupten und zu einer neuen gesicherten Grundlage zu kommen. Unsere Politik der Schaffung von Eigentum für möglichst breite Volksmassen hat sich im Zweiten Wohnungsbaugesetz markant niedergeschlagen. Darüber hinaus sind wir stolz darauf, vom Mitbestimmungsrecht aus angefangen über die Kriegsopferversorgung und das jetzt in den Schlußphasen befindliche große Werk der Rentenreform auch den nicht an der Konjunktur mit teilhabenden Schichten unseres Volkes einen entsprechenden Anteil gesichert zu haben.
Wir haben — das wird, glaube ich, leider jetzt ein wenig übersehen — mit der Lastenausgleichsgesetzgebung unter Eingliederung von 10,5 Millionen Heimatvertriebenen in unsere Wirtschaft und in unsere Gesellschaft eine in der modernen Welt einzig dastehende Leistung vollbracht.
Sie hat zu neuen Besitzgründungen von Zehntausenden neuer selbständiger Existenzen geführt, darunter allein von 75 000 bäuerlichen Existenzen. Inmitten und während des Wiederaufbaues einer zerstörten und demontierten Wirtschaft die alljährliche Aufbringung von mehr als 4 Milliarden DM der Besitzenden in Deutschland zugunsten derjenigen, die alles verloren haben, ist eine historische Leistung allerersten Ranges gewesen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir sind fest entschlossen, diese Politik des Ausgleichs unbeirrt weiterzuverfolgen. Die Erfolge der Konjunktur der zurückliegenden sieben Jahre haben die Richtigkeit unserer Wirtschaftspolitik eindeutig gerechtfertigt.
Unser Wirtschaftssystem hat sich allen anderen gegenüber als zum mindesten ebenbürtig, dem östlichen System der Planung und Zwangsbewirtschaftung jedoch unendlich überlegen gezeigt.
Wir sehen keinen Grund, uns nach einer so langen ununterbrochenen Kette des Aufstiegs und eines von uns mitgeschaffenen Wohlstandes, den sich 1949, als wir hier in den Bundestag einzogen, keiner von uns hätte jemals träumen lassen,
jetzt in Experimente zu stürzen.
Wir wollen auch eines völlig klarstellen: daß auch ein sogenannter „deutscher Weg des Sozialismus" — oder nennen Sie es meinetwegen auch einen „jugoslawischen Weg" — erst recht keinen Anreiz für uns zu bieten vermag.
Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, allen Anlaß, umgekehrt dem Herrn Bundeskanzler und — lassen Sie mich hier zwei Männer herausgreifen, die anderen werden das verzeihen — dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister für diese weithin sichtbaren und unbestreitbaren Erfolge in der Erreichung eines nationalen Wohlstandes und der Sicherung unserer Freiheit unseren Dank auszusprechen.