Protokoll:
18197

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 197

  • date_rangeDatum: 21. Oktober 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:38 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/197 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 197. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2016 Inhalt: Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . 19613 A Tagesordnungspunkt 26: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes Drucksachen 18/9040, 18/10069 . . . . . 19613 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr . André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrol- le nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Drucksachen 18/6640, 18/10069 . . . . . 19613 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlamenta- rische Kontrolle der nachrichten- dienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Christian Ströbele, Dr . Konstantin von Notz, Irene Mihalic, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste Drucksachen 18/6645, 18/8163, 18/10069 19613 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19613 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19615 A Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19616 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19617 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 19618 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19619 B Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19620 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 19620 D Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19621 B Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19622 C Tagesordnungspunkt 27: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklä- rung des Bundesnachrichtendienstes Drucksachen 18/9041, 18/10068 . . . . . . . . 19624 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ausland-Aus- land-Fernmeldeaufklärung des Bundes- nachrichtendienstes Drucksachen 18/9529, 18/9854, 18/9879, Nr . 5, 18/10068 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19624 D Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19624 D Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19626 A Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19627 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016II Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19629 A Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19629 B Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19631 B Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19632 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19633 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19634 B Zusatztagesordnungspunkt 10: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) Drucksachen 18/9787, 18/10065 . . . . . 19635 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10066 . . . . . . . . . . . . . 19635 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmer- mann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Statt Rente erst ab 67 – Al- tersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Flexible und sichere Rentenübergänge ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Britta Haßelmann, Kor- dula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kommunales Ehren- amt stärken – Anrechnung von Auf- wandsentschädigungen auf die Rente neu ordnen Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213, 18/10065 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19636 A Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 19636 B Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 19637 B Dr . Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . 19638 D Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 19640 A Dr . Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . 19641 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19641 C Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 19643 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19643 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 19643 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 19644 C Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19646 C Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 19647 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Managergehälter beschränken Drucksache 18/9838 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19648 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19649 A Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19650 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19651 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19653 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19653 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19654 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19656 A Zusatztagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeit- nehmerüberlassungsgesetzes und ande- rer Gesetze Drucksachen 18/9232, 18/10064 . . . . . . . . 19657 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen verhindern – zu dem Antrag der Abgeordneten Be- ate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064 19657 D Anette Kramme, Parl . Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19658 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 19659 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19660 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19661 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016 III Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 19662 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19663 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19664 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19665 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19666 C Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Drucksache 18/9984 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19668 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewer- berleistungsgesetzes Drucksache 18/9985 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19668 B Gabriele Lösekrug-Möller, Parl . Staatssekre- tärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19668 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19669 A Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19670 A Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 19671 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 19672 D Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19673 D Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19675 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19675 D Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Ulle Schauws, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Damit Kinder gut aufwachsen – Kinderschutz und Prävention ausbauen Drucksache 18/9054 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19676 C Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19676 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 19678 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 19679 B Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19680 B Christina Schwarzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19681 C Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19682 D Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19683 C Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Gartenbau sowie Garten- und Land- schaftsbau als innovativen Wirtschafts- zweig stärken und zukunftsfest machen Drucksache 18/10018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19684 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19685 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19686 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19687 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19689 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19690 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19691 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 19693 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Ab- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrich- tendienste des Bundes (Tagesordnungspunkt 26 a) . . . . . . . . . . . . . . . 19693 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Ab- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmel- deaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 19694 A Anlage 4 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19694 B (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016 19613 197. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Artur Auernhammer (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016 19693 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 21 .10 .2016 Blienert, Burkhard SPD 21 .10 .2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 21 .10 .2016 Brehmer, Heike CDU/CSU 21 .10 .2016 Diaby, Dr . Karamba SPD 21 .10 .2016 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 21 .10 .2016 Esken, Saskia SPD 21 .10 .2016 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 21 .10 .2016 Hahn, Florian CDU/CSU 21 .10 .2016 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 21 .10 .2016 Henke, Rudolf CDU/CSU 21 .10 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 21 .10 .2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21 .10 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 21 .10 .2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 21 .10 .2016 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 21 .10 .2016 Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 21 .10 .2016 Müntefering, Michelle SPD 21 .10 .2016 Nietan, Dietmar SPD 21 .10 .2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21 .10 .2016 Post (Minden), Achim SPD 21 .10 .2016 Pronold, Florian SPD 21 .10 .2016 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21 .10 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 21 .10 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schröder, Dr . Ole CDU/CSU 21 .10 .2016 Schwartze, Stefan SPD 21 .10 .2016 Spahn, Jens CDU/CSU 21 .10 .2016 Steffel, Dr. Frank CDU/CSU 21 .10 .2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 21 .10 .2016 Vietz, Michael CDU/CSU 21 .10 .2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 21 .10 .2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 21 .10 .2016 Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 21 .10 .2016 Werner, Katrin DIE LINKE 21 .10 .2016 Wicklein, Andrea SPD 21 .10 .2016 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 21 .10 .2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 21 .10 .2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/ CSU) zu der Abstimmung über den von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichten- dienste des Bundes (Tagesordnungspunkt 26 a) Diese Gesetzesnovellierung steht in keinem Zusam- menhang mit den Erkenntnissen des 1 . Untersuchungs- ausschusses („NSA“) der 18 . Wahlperiode . Eine mangel- hafte parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste wurde bisher in diesem Gremium nicht festgestellt . Die eingebrachten Änderungsanträge mit Blick auf die par- lamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste beruhen lediglich auf den Wünschen einzelner Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums . Auf deren Ar- beitserfahrung vertrauend, stimme ich diesem Gesetz zu . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 201619694 (A) (C) (B) (D) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmelde- aufklärung des Bundesnachrichtendienstes (Tages- ordnungspunkt 27) Diese Gesetzesnovellierung steht in keinem Zusam- menhang mit den Erkenntnissen des 1 . Untersuchungs- ausschusses („NSA“) der 18 . Wahlperiode . Der Un- tersuchungsausschuss hat während seiner bisherigen Arbeit vielmehr festgestellt, dass die gegenwärtigen allgemeinen Aufgabenzuschreibungen (§ 1 Absatz 2 BNDG) und die allgemeinen Befugnisse (§ 2 Absatz 1 BNDG) eine taugliche Rechtsgrundlage für die „Aus- land-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ darstellen . Auch wurde bisher kein rechtswidriges Verhalten des Bundes- nachrichtendienstes mit Blick auf diese Befugnisnorm bzw . bei der „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ festgestellt . Die eingebrachten Änderungsanträge mit Blick auf die Rechtsgrundlage beruhen lediglich auf den Wünschen einzelner Praktiker, die sich eine Konkretisie- rung ihrer Befugnisse erbitten . Dieser Bitte kommt der Gesetzgeber mit der vorliegenden Novellierung nach . Sie dient insbesondere dazu, unseren Nachrichtendienst weiterhin in seiner schon bisher überaus zuverlässigen und ausgesprochen wichtigen Arbeit zu unterstützen, die angesichts der vielfältigen terroristischen Bedrohungen von höchster Bedeutung für die Sicherheit der Bevölke- rung in Deutschland und Europa ist . Aus diesem Grund stimme ich dem Gesetzentwurf zu . Anlage 4 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 949 . Sitzung am 14 . Ok- tober 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zu- zustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur steuerlichen Förderung von Elektromo- bilität im Straßenverkehr – Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errich- tung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivil- prozessualer, grundbuchrechtlicher und vermö- gensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung (EuKoPfVODG) – Gesetz zur Änderung abfallverbringungsrechtli- cher Vorschriften – Gesetz zur Änderung bewachungsrechtlicher Vor- schriften – Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behör- den über den Austausch länderbezogener Berichte Zudem hat der Bundesrat in seiner 949 . Sitzung am 14 . Oktober 2016 gemäß Artikel 94 Absatz 1 des Grund- gesetzes in Verbindung mit §§ 5 und 7 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Frau Dr . Yvonne Ott, Richterin am Bundesgerichtshof, als Nachfolgerin für Bundesverfassungsrichter Prof . Dr . Reinhard Gaier in den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts ge- wählt . Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO Frühjahrstagung der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO vom 17. bis 20. Mai 2013 in Luxemburg, Großherzogtum Luxemburg Drucksachen 18/9315, 18/9596 Nr. 1.8 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO 59. Jahrestagung der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO vom 11. bis 14. Oktober 2013 in Dubrovnik, Kroatien Drucksachen 18/9316, 18/9596 Nr. 1.9 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Union 134. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 19. bis 23. März 2016 in Lusaka, Sam- bia Drucksachen 18/9498, 18/9596 Nr. 1.13 Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bericht des Ausschusses für Finanzstabili- tät zur Finanzstabilität in Deutschland Drucksachen 18/9015, 18/9596 Nr. 1.1 Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten 2015 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund- heitswesen Krankengeld – Entwicklung, Ursachen und Steue- rungsmöglichkeiten Drucksachen 18/7019, 18/7276 Nr. 4 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 197 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 21 . Oktober 2016 19695 (A) (C) (B) (D) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2016 Drucksache 18/8300 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/9746 Nr . A .1 Ratsdokument 11728/16 Finanzausschuss Drucksache 18/9605 Nr . A .29 EU-Dok 276/2016 Drucksache 18/9605 Nr . A .30 EP P8_TA-PROV(2016)0310 Drucksache 18/9605 Nr . A .32 Ratsdokument 10977/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .35 Ratsdokument 11536/16 Haushaltsausschuss Drucksache 18/9605 Nr . A .37 Ratsdokument 10059/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .38 Ratsdokument 10738/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .39 Ratsdokument 10747/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .40 Ratsdokument 10764/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .41 Ratsdokument 10765/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .42 Ratsdokument 10766/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .43 Ratsdokument 11028/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .44 Ratsdokument 11043/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .45 Ratsdokument 11044/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .46 Ratsdokument 11544/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .47 Ratsdokument 11546/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/9141 Nr . A .19 Ratsdokument 10088/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .21 Ratsdokument 10309/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .53 EP P8_TA-PROV(2016)0313 Drucksache 18/9605 Nr . A .54 Ratsdokument 11636/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .55 Ratsdokument 11649/16 Drucksache 18/9746 Nr . A .5 Ratsdokument 11813/16 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz Drucksache 17/14284 Nr . A .8 Ratsdokument 10460/13 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/6417 Nr . A .22 Ratsdokument 12081/15 Drucksache 18/6939 Nr . B .7 Ratsdokument 13966/15 Drucksache 18/6939 Nr . B .8 Ratsdokument 13968/15 Drucksache 18/7286 Nr . A .15 Ratsdokument 14694/15 Drucksache 18/7286 Nr . A .16 Ratsdokument 14799/15 Drucksache 18/7612 Nr . A .29 Ratsdokument 5026/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .17 Ratsdokument 6285/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .18 Ratsdokument 6987/16 Drucksache 18/8293 Nr . A .13 Ratsdokument 7276/16 Drucksache 18/8668 Nr . A .20 Ratsdokument 8535/16 Drucksache 18/8771 Nr . A .6 Ratsdokument 8962/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/9605 Nr . A .57 Ratsdokument 11333/16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Drucksache 18/8470 Nr . A .27 Ratsdokument 8099/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .33 Ratsdokument 10038/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .34 Ratsdokument 10205/16 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 197. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 26 Parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste TOP 27 Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND ZP 10 Flexi-Rentengesetz TOP 29 Managergehälter ZP 11 Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes TOP 30 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen TOP 32 Kinderschutz und Prävention TOP 31 Innovativer Garten- und Landschaftsbau Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4
Gesamtes Protokol
Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819700000

Bitte nehmen Sie Platz . Zunächst einmal wünsche ich

Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen . Die Sit-
zung ist eröffnet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung mache ich darauf auf-
merksam, dass die für heute verlangte Aktuelle Stunde
zum Thema „Aufklärung der Umstände der Verhaftung
und des Todes im Fall Jaber Albakr“ nicht stattfindet.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ihren Antrag
zurückgezogen .


(Beifall des Abg . Christian Flisek [SPD])


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fort-
entwicklung der parlamentarischen Kont-
rolle der Nachrichtendienste des Bundes

Drucksache 18/9040

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr . André Hahn, Frank Tempel, Ulla
Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Frakti-
on DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
über die parlamentarische Kontrolle nach-
richtendienstlicher Tätigkeit des Bundes

Drucksache 18/6640

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10069

b) – Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses (4 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . André
Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Parlamentarische Kontrolle der nachrich-
tendienstlichen Tätigkeit des Bundes ver-
bessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Chris-
tian Ströbele, Dr . Konstantin von Notz, Irene
Mihalic, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksamere Kontrolle der Nach-
richtendienste

Drucksachen 18/6645, 18/8163, 18/10069

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann gehe ich davon aus, dass das so
beschlossen ist .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion . – Bitte
schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819700100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Das Parlamentarische Kontrollgremium ist eines
der wenigen Gremien, die ausdrücklich in unserer Ver-
fassung genannt sind . Die Mitglieder dieses Gremiums
haben eine besondere Stellung, weil sie, anders als die
Mitglieder in Fachausschüssen, nicht von ihren Fraktio-
nen benannt und dorthin entsandt werden, sondern vom
Parlament in geheimer Wahl mit Kanzlermehrheit ge-
wählt werden . Das zeigt deutlich, dass dieses Gremium
die Kontrolle der Nachrichtendienste ausübt anstelle des
Parlamentes . Wir vertreten das ganze Parlament: nicht
Parteipolitik, nicht in erster Linie Fraktionsinteressen,
sondern die Interessen des Parlamentes .

Dieses Gremium, das es schon lange gibt und das sehr
lange nur im Geheimen getagt hat – vielleicht sogar et-
was über Gebühr –, hatte 2009 eine größere Reform er-
fahren und hat eine Reihe von Befugnissen bekommen .
Das Parlamentarische Kontrollgremium darf die Nach-
richtendienste aufsuchen, Mitarbeiter befragen, sich Ak-
ten herausgeben lassen und von der Regierung Informa-
tionen verlangen .

Aber in der Praxis war es schon so – als ehemaliges
Mitglied und jetzt Vorsitzender dieses Gremiums muss






(A) (C)



(B) (D)


ich das auch selbstkritisch sagen –: Wir hatten die Instru-
mente, aber wir hatten eigentlich nicht das Personal und
schon gar nicht die Zeit, sie entsprechend anzuwenden .
Wenn man aber eine wichtige Aufgabe erledigen will,
muss man ihr auch im gebotenen Umfang nachkommen
können .

Vielen von uns ist es bei manchen Themen, die die
Nachrichtendienste betreffen, so gegangen, dass wir in
unseren Gremiensitzungen – ich will es einmal so sa-
gen – der Presseberichterstattung etwas hinterhergehinkt
sind . Bei dem einen oder anderen Thema haben wir uns
vielleicht auch angesehen und gefragt: Was steckt dahin-
ter?

Das hat auch dazu geführt, dass manche Kritik, die
man an den Nachrichtendiensten üben kann, und man-
cher Fehler in der Vergangenheit eine Art Skandalmelo-
die erfahren haben, was vielleicht gar nicht notwendig
gewesen wäre, hätte vorher ein Gremium sagen können:
Diesen Fall kennen wir . Wir haben ihn untersucht . Wir
haben kontrolliert . Es mag Kritik geben, aber es ist kein
Grund zur Skandalisierung .

Deshalb war unsere Überlegung: Wie können wir die
Arbeit dieses Gremiums – nicht zuletzt auch als Reakti-
on auf die ganze Thematik im Zusammenhang mit NSA,
Snowden, den Erkenntnissen des Untersuchungsaus-
schusses, aber auch unseren eigenen Erkenntnissen, weil
wir eine Taskforce eingesetzt und das untersucht haben –
leistungsstärker machen und verbessern und die Kontrol-
le dauerhaft auf ein seriöses hohes Niveau heben?

Wir sind nicht – das sage ich als Vorsitzender immer
wieder – der Durchlauferhitzer für Skandale . Wir sind
nicht dazu da, Parteipolitik zu machen . Wir sind nicht
dazu da, etwas hochzublasen, damit andere sich profilie-
ren können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir kontrollieren seriös und kompetent . Damit leisten
wir in zweierlei Hinsicht einen Beitrag . Ich bin sehr da-
für – wir werden das nachher mit Blick auf den anderen
Gesetzentwurf auch noch zu besprechen haben –: Wir
brauchen leistungsfähige und starke Nachrichtendienste .
Wir brauchen aber auch Nachrichtendienste, die konse-
quent kontrolliert werden – im Rahmen der Dienst- und
Fachaufsicht durch die Exekutive, aber auch durch das
Parlament .

Ich will mich vor die Nachrichtendienste stellen kön-
nen . Das tue ich auch . Das kann ich aber nur, wenn ich
weiß, dass ich sie gut, umfassend und seriös kontrolliere .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb beheben wir mit diesem Gesetzentwurf eine
Reihe von Mängeln, die wir festgestellt haben .

Punkt eins: mehr Personal. Wir schaffen einen Ar-
beitsstab mit einem Ständigen Bevollmächtigten an der
Spitze . Das ist nicht – das sage ich deutlich – der Nach-
richtendienstbeauftragte des Parlaments – das sind wir,
die neun gewählten Parlamentarier –, das ist vielmehr un-
ser Arbeitsstab . Der Bevollmächtigte ist der Chef dieses
Arbeitsstabes . Er arbeitet in unserem Auftrag dauerhaft

an dieser Aufgabe und berichtet ausschließlich uns . Da-
mit wird eine wichtige Lücke geschlossen .

Wir fügen öffentliche Elemente ein. Manches bei den
Diensten ist zu Unrecht, wie ich finde, in einer Grauzone.
Die Dienste können sich mehr öffnen. Wir leisten dazu
einen Beitrag – unsere Sitzungen sind grundsätzlich ge-
heim; daran wird sich nichts ändern –: Einmal im Jahr
wird es eine öffentliche Anhörung mit den Präsidenten
der Nachrichtendienste wie in den USA geben . Das
ist für beide Seiten eine Chance, ihre Arbeit darzustel-
len . Dadurch tragen wir zur Akzeptanz unserer Arbeit,
aber auch der Arbeit der Dienste bei . Damit tun wir den
Diensten – das glaube ich schon – einen großen Gefallen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir führen eine Regelung ein, nach der Mitarbeiter
uns, das PKGr, mit Informationen über Missstände ver-
sorgen können. Wir schützen diese – der Begriff gefällt
mir zwar nicht – Whistleblower . Wir können sie aber
nicht beliebig schützen . Wir sagen: Wer uns Missstände
mitzuteilen hat, wird geschützt . Sein Name wird nicht
an die Exekutive gegeben . Solange wir ihn nicht für die
Aufklärung brauchen, bleibt der Name bei uns .


(Zuruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE])


Aber ich habe schon die Erwartung, dass, wer Miss-
stände anprangert und weiß, dass er geschützt wird, sei-
nen Namen nennt . Für anonyme Mitteilungen ist dieses
Gremium nicht zuständig . Deshalb haben wir eine gute
Regelung gefunden: Schutz der Hinweisgeber bei kla-
rer Benennung und Schutz des Namens, solange wir ihn
nicht unbedingt weitergeben müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich komme zu meinem letzten Punkt; das wurde häu-
fig kritisiert. Kollege Ströbele wird es gleich in seiner
Rede auch wieder sagen: Er wird unvollständig infor-
miert. – Er findet oft drastischere Worte, die meistens
etwas übertrieben sein mögen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Jetzt geht es aber los!)


Wir hatten in der Vergangenheit das Grundproblem:
Welche Fälle von besonderer Bedeutung teilt uns die
Bundesregierung mit? Der Streit war immer der gleiche .
Es hieß: Das kommt darauf an .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Deshalb haben wir im Gesetzentwurf eine Regelung
vorgesehen, in der wir definieren, was Fälle von beson-
derer Bedeutung sind . Diese muss uns die Regierung
mitteilen . Damit haben wir Rechtssicherheit und Klarheit
auf beiden Seiten . Damit ist die Zeit der Ausreden vorbei .
Deshalb kommen wir damit auch in dieser Hinsicht auf
ein neues Informations- und ein neues Qualitätsniveau
der Kontrolle .

Ich kann in Summe sagen: mehr Personal für die Auf-
gabe, mehr Öffentlichkeitselemente, klare Definitionen,

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


Schutz von Hinweisgebern . Wir stärken dieses Gremium .
Es ist das Gremium des ganzen Parlaments . Das sollten
wir nie vergessen . Es leistet einen wichtigen Beitrag .

Ich hoffe sehr, dass die Zustimmung zu diesem guten
Gesetzentwurf breit ausfällt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819700200

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Dr . André Hahn, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819700300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das

Beste am Gesetzentwurf der Koalition ist der Titel: Ge-
setz zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen
Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes . Die ist
auch dringend nötig . Der Inhalt des Gesetzes erfüllt den
Anspruch einer effektiveren und vor allem einer besseren
Kontrolle jedoch definitiv nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen,
dass in diesem Gesetzentwurf wichtige Punkte fehlen .
Andere sollen zwar Eingang finden, werden jedoch nur
halbherzig geregelt . In einer ganz zentralen Frage wird
das Parlamentarische Kontrollgremium eher geschwächt
als gestärkt . Ich komme im Einzelnen noch darauf zu-
rück .

Ich muss leider feststellen, dass sich die Koalition
auch in den Ausschussberatungen wieder einmal völlig
beratungsresistent gezeigt hat . Bis auf eine klitzeklei-
ne Ergänzung gab es nicht eine einzige substanzielle
Änderung am ursprünglichen Gesetzentwurf . Das wäre
aber mit Blick auf den nächsten Tagesordnungspunkt
dringend erforderlich gewesen . Wer der Massenüberwa-
chung durch den BND Tür und Tor öffnen,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


den Auslandsgeheimdienst auch im Inland einsetzen und
das Ausspähen unter Freunden nun ganz offiziell erlau-
ben will, müsste wenigstens die parlamentarische Kon-
trolle stärken . Doch genau das passiert nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb werden und können wir dem vorliegenden Ge-
setzentwurf nicht zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eigentlich wollte ich die Koalition zumindest in ei-
nem Punkt loben


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann mach doch! – Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt gib dir einen Ruck!)


– ich hätte es gern getan –, weil, wie von uns seit langem
gefordert, den PKGr-Mitgliedern endlich erlaubt wer-
den sollte, zumindest den eigenen Fraktionsvorsitzenden

über wichtige Themen aus dem Gremium zu informie-
ren . So stand es ursprünglich in einer von netzpolitik .org
geleakten Arbeitsfassung der Koalition . Im Gesetzent-
wurf findet sich darüber kein Wort mehr.

Dass sich Mitarbeiter der Dienste künftig – Herr
Binninger hat darauf hingewiesen – bei Missständen
oder Problemen zunächst auch ohne Unterrichtung ihrer
Vorgesetzten an das PKGr wenden können, klingt ver-
nünftig .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das war schon immer so!)


Wenn deren Namen im Zweifel auf Verlangen der Bun-
desregierung aber dann doch wieder bekannt gegeben
werden sollen, ist das mit Sicherheit kein wirksamer
Whistleblower-Schutz .


(Beifall bei der LINKEN)


Dass das PKGr von ihm in Auftrag gegebene Sachver-
ständigengutachten künftig an andere Gremien des Bun-
destages und an Untersuchungsausschüsse der Landtage
weitergeben kann, ist eigentlich selbstverständlich . Hier
wird eine bislang vorhandene Regelungslücke geschlos-
sen .

Völlig in die falsche Richtung geht die geplante Schaf-
fung eines Ständigen Bevollmächtigten des PKGr . Diese
Stelle samt Stellvertreter kostet Millionen und bringt we-
nig bis gar nichts .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das denn? – Burkhard Lischka [SPD]: Vorher haben Sie was ganz anderes gefordert!)


Vielmehr besteht die ernste Gefahr, dass besonders
sensible Vorgänge oder Akten künftig allein dem Be-
vollmächtigten vorgelegt werden und nicht mehr den
gewählten Abgeordneten; ich erinnere an den Sonder-
beauftragten Graulich und die NSA-Selektoren . Damit
würde die parlamentarische Kontrolle nicht unterstützt,
sondern letztlich ausgehebelt . Auf den Mitarbeiterstab
des sogenannten Bevollmächtigten wird die Opposition
keinerlei Einfluss haben.


(Burkhard Lischka [SPD]: Wo steht denn das? Ich habe diese Fundstelle im Gesetz gar nicht gefunden!)


Ich finde es im Übrigen ziemlich perfide, dass, bevor das
Gesetz überhaupt beschlossen worden ist, die personelle
Besetzung für das noch gar nicht existierende Amt in der
Koalition schon ausgedealt wurde . So viel zum Respekt
gegenüber dem Parlament .


(Beifall bei der LINKEN)


Dass in der Union allen Ernstes erwogen worden ist, den
derzeitigen Vizechef des BND zum neuen Geheimdienst-
kontrolleur umzufunktionieren, setzt dem Ganzen noch
die Krone auf .


(Burkhard Lischka [SPD]: Davon weiß ich gar nichts! Das ist Bild-Zeitungs-Wissen! – Dr . Eva Högl [SPD]: Das sind Bild-Zeitungs-Gerüchte!)


Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


Wer so agiert, braucht sich über Politikverdrossenheit
wahrlich nicht zu wundern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich fehlen im Entwurf der Koalition wichtige
Punkte, so eine Stellvertreterregelung für die Mitglieder
des PKGr, die Schaffung der Möglichkeit zur Einsicht
in die elektronischen Daten und Netzwerke der Diens-
te – genauso wie sie die Kollegen in den Niederlanden
oder in Norwegen haben – sowie die Anfertigung eines
Tonbandmitschnitts der gesamten Sitzung des PKGr, um
später bei Bedarf die Richtigkeit und Vollständigkeit der
Angaben von Bundesregierung bzw . Geheimdiensten
prüfen zu können .


(Burkhard Lischka [SPD]: Das haben wir doch alles schon gemacht!)


Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD gibt es trotz
erdrückender Übermacht im Parlament auch keinerlei
Stärkung der Minderheitenrechte im Kontrollgremium .
Der künftige Ständige Bevollmächtigte kommt wohl aus
dem Bundesinnenministerium . Wer glaubt denn ernst-
haft, dass der im Zweifel seinen jetzigen Chef in Schwie-
rigkeiten bringen wird, wenn es um den Verfassungs-
schutz geht?

Ich habe bereits in der ersten Lesung BND-Präsident
Kahl hier zitiert, der bei seiner Amtseinführung erklärte:
Geheimer Nachrichtendienst und vollständige Transpa-
renz schließen sich aus . – Ja, das ist wohl so, und genau
daraus resultiert unsere grundsätzliche Skepsis gegen-
über Geheimdiensten . Solange es für deren Überwindung
aber keine realistische Mehrheit hier im Parlament gibt,
müssen wir sie wenigstens halbwegs vernünftig kontrol-
lieren . Der Gesetzentwurf der Koalition leistet dazu kei-
nen Beitrag . Der Entwurf der Linken gibt die eindeutig
besseren Antworten, selbst wenn die Mehrheit ihn heute
wieder ablehnen wird .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Seid ihr jetzt dafür, sie zu behalten? Ich denke, ihr wollt sie abschaffen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819700400

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kol-

legin Dr . Eva Högl das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1819700500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Einen schönen guten Morgen! Wir beraten
heute Morgen hier zu bester Parlamentszeit zwei wesent-
liche und sehr wichtige Reformen . Zunächst debattie-
ren wir über neue und bessere Rechtsgrundlagen für die
parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste und
über eine Reform unserer parlamentarischen Kontrol-
le und dann gleich im Anschluss über neue und bessere
Rechtsgrundlagen für den Bundesnachrichtendienst . Wir

wissen alle: Das sind zwei wirklich wichtige Reformen;
sie resultieren aus der Kritik, die wir hier im Deutschen
Bundestag in zwei wichtigen Untersuchungsausschüs-
sen, dem NSU-Untersuchungsausschuss der letzten Le-
gislaturperiode und dem NSA-Untersuchungsausschuss
dieser Legislaturperiode, herausgearbeitet haben .

Wir haben gerade in dieser Woche hier im Deutschen
Bundestag in den Ausschüssen, insbesondere im Rechts-
und im Innenausschuss, wieder einmal viel Anlass zur
Kritik an den Sicherheitsbehörden gehabt, in diesem Fall
an den Behörden, insbesondere Polizei und Strafvollzug,
in Sachsen . Dort sind Fehler gemacht worden .

Aber ich möchte dies zum Anlass nehmen, hier mit
einem ganz eindeutigen Lob zu beginnen, nämlich ei-
nem ganz eindeutigen Lob für die Arbeit unserer Sicher-
heitsbehörden; denn wir reden immer viel über Kritik,
wenn Fehler gemacht worden sind, aber wir vergessen
ganz häufig, zu sagen, wie ordentlich an vielen Stellen
in unserem Land, in Bund und Ländern, gearbeitet wird .
Herzlichen Dank dafür .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch der Fall in Sachsen gibt nicht nur Anlass zur
Kritik, sondern wir müssen ganz deutlich sagen: Dort
konnte ein Anschlag verhindert werden . Das ist das ganz
Entscheidende, bei aller Dramatik des weiteren Verlaufs
des Falls . Natürlich hätte der Suizid verhindert werden
müssen . Aber dieser Fall zeigt, dass gerade unsere Nach-
richtendienste – und darüber sprechen wir hier heute
Morgen – ganz hervorragend gearbeitet haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Kooperation mit den ausländischen Diensten hat
funktioniert . Das zeigt noch einmal, wie wichtig dieser
Austausch ist . Die Weitergabe der Informationen zwi-
schen den ausländischen Diensten, Bund und Land hat
funktioniert, die Verarbeitung der Informationen und die
Konkretisierung der Informationen haben funktioniert
und letztendlich auch die Zusammenarbeit mit der Poli-
zei . Das sind ganz wichtige Erkenntnisse . Deswegen war
es mir wichtig, das heute Morgen hier einmal zu betonen .

Unsere Nachrichtendienste haben alle eine wirklich
wichtige Aufgabe bei der Gewährleistung unserer Si-
cherheit und beim Schutz von Demokratie und Rechts-
staat . Deswegen ist es unsere gemeinsame Aufgabe hier
im Deutschen Bundestag, die Nachrichtendienste ganz
ausdrücklich zu stärken, sie mit Personal und Technik zu
unterstützen und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wiederum zeigt ein aktueller Fall, nämlich der Fall
der „Reichsbürger“ nicht nur in Bayern, sondern auch in
anderen Teilen unseres Landes, wie wichtig es ist, dass
die Nachrichtendienste nahe an den Themen, an den Per-
sonen, an den Strukturen und an den Organisationen sind,


(Zuruf der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


wenn sie ihrer Aufgabe nachkommen wollen, unsere
Freiheit und unsere Sicherheit zu schützen und gegen die
vorzugehen, die diese Freiheit und Sicherheit bedrohen .

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Unsere Nachrichtendienste dürfen nichts aus dem
Auge verlieren, müssen alle Entwicklungen gut im Blick
haben, und deshalb brauchen sie an der Stelle unsere Un-
terstützung . Dafür sind – das sind die zwei entscheiden-
den Stichworte bei unserer Reform – Vertrauen und Kon-
trolle notwendig . Die Nachrichtendienste haben durch
die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse viel an An-
sehen und Vertrauen verloren . Wir wollen mit dieser Re-
form an diesen beiden Stellen deutlich machen, dass es
wichtig ist, über eine wirksame, systematische und struk-
turelle Kontrolle dieses Vertrauen wiederherzustellen .

Denn wir mussten feststellen, dass die Kontrolle bis-
her nicht funktioniert hat, weder in den Nachrichten-
diensten selbst noch in den zuständigen Ministerien oder
im Kanzleramt . Auch unsere parlamentarische Kontrol-
le hier und im Parlamentarischen Kontrollgremium war
bisher unzureichend, weil wir keine ausreichenden Mög-
lichkeiten hatten, sie gut auszuüben .

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, auch in Richtung der Nachrich-
tendienste und aller Beschäftigten dort: Kontrolle schafft
Vertrauen. Kontrolle ist kein Angriff auf die Nachrich-
tendienste, sondern Kontrolle stärkt sie und schafft die
Grundlagen, damit sie auf der Basis von Vertrauen, das
wir ihnen geben, gut und noch besser arbeiten können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verfassungsrechtlich vorgegeben!)


Deswegen sind zwei Dinge so wichtig, die wir auf
den Weg bringen . Das ist auch schon erwähnt worden,
deswegen kann ich es kurz machen . Der Ständige Be-
vollmächtigte ist eine ganz zentrale Forderung schon
aus Zeiten des NSU-Untersuchungsausschusses . Er wird
das PKGr gut unterstützen . Die Opposition ist selbstver-
ständlich daran beteiligt, lieber Herr Hahn .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber nicht bei der Personalauswahl!)


Denn der Ständige Bevollmächtigte wird auf Vorschlag
des PKGr ernannt . Und ich gehe davon aus, dass die
Opposition auch weiterhin im PKGr vertreten sein wird .
Deswegen ist die Opposition auch an dieser Entschei-
dung beteiligt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der neu zu schaffen-
de Stab – das ist ganz wichtig – wird die Arbeit des Par-
lamentarischen Kontrollgremiums stützen . Er arbeitet für
alle Abgeordneten, die im PKGr sitzen – und damit auch
für die Oppositionsabgeordneten . Dieser Stab ist für alle
Bundestagsabgeordneten zuständig .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen werbe ich um Zustimmung zu dieser wich-
tigen Reform . Man kann es immer noch besser machen;
aber das ist ein ganz entscheidender Schritt hin zu einer
besseren Arbeitsfähigkeit . Es ist eine Chance für die
Stärkung der Nachrichtendienste. Ich hoffe, dass hier im
Bundestag, aber auch in den Nachrichtendiensten ver-
standen wird, wie wir diese Reform gemeint haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819700600

Vielen Dank . – Christian Ströbele spricht jetzt für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Koalition wird heute dafür sorgen, dass eine reale
Chance verpasst wird, den größten deutschen Geheim-
dienst unter demokratische Kontrolle zu bringen und
endlich an die Leine zu legen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anstatt ein Gesetz zu machen, durch das die Tätigkeit
des Bundesnachrichtendienstes verfassungskonform
gestaltet wird, geben Sie dem Bundesnachrichtendienst
jetzt die Erlaubnis, die illegale Praxis, die dort seit mehr
als 15 Jahren betrieben wird, fortzusetzen .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Den Punkt behandeln wir nachher! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Das ist der nächste Tagesordnungspunkt!)


Statt das Parlamentarische Kontrollgremium und sei-
ne Arbeit wirkungsvoller zu gestalten, schaffen Sie jetzt
zu den vier Institutionen der Kontrolle, die wir bereits ha-
ben, zwei zusätzliche . Dadurch wird die Kontrolle nicht
besser, sondern sie wird noch mehr zersplittert sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als dienstältestes Mitglied des Parlamentarischen
Kontrollgremiums sage ich auch einmal etwas Positives:
Die Arbeit des PKGr hat sich in dieser Legislaturperiode
substanziell verbessert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ CSU])


Wir haben nicht nur sieben AGs zu sieben Themen ge-
gründet, sondern wir haben auch eine Taskforce einge-
setzt und Sachverständigte beauftragt . Das ist gut und
richtig und war auch – das muss ich sagen – sehr ertrag-
reich . Der Fehler ist, dass von dieser Tätigkeit und dem,
was wir da an teilweise Skandalösem herausbekommen
haben, leider nichts an die Öffentlichkeit gegeben wer-
den darf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das nicht
wirksam ist, liegt doch an etwas ganz anderem . Wir brau-
chen doch nicht zwei weitere Gremien, um den Fehler
zu beheben . Der Fehler ist nämlich der, dass von der
Bundesregierung und den Diensten nicht vollständig und
nicht wahrheitsgemäß berichtet wird . Wir sind aber da-
rauf angewiesen, dass das, was von dort kommt, tatsäch-
lich stimmt . Und das ist in der Vergangenheit nicht der
Fall gewesen .

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen: Ich lese,
dass bei „Eikonal“


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dünnes Eis! Jetzt vorsichtig!)


in die Akten geschrieben worden ist: Das größte Risiko
besteht darin, dass das Parlamentarische Kontrollgremi-
um oder die G-10-Kommission von dem, was wir hier
machen, erfahren . Das ist das größte Risiko, und das
muss vermieden werden . – Diejenigen, die das geschrie-
ben haben, sind nicht etwa rausgeschmissen worden,
sondern sie sind immer noch da . Und die Leitung des
Dienstes hat sich danach gerichtet . Das ist skandalös!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Studium der Akten sehe ich die Bilder aus dem
Sommer 2013 – Juni, Juli, August, September – vor mir,
als die Bundesregierung und die Dienste dort berichtet
haben und diese Herren wie Unschuldslämmer aus dem
Tal der Ahnungslosen dasaßen und mit großen Augen
sagten: Wir wissen überhaupt nicht, wovon die Rede ist .
Prism, Tempora? Nie gehört . Ob es den Snowden und
seine Dokumente überhaupt gibt, wissen wir gar nicht .
Es gibt ja nur Kopien davon .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war das!)


Und von den Telefonnummern, die da genannt werden,
fehlen ja die letzten Ziffern. – In Wahrheit war es so, dass
das alles stimmte .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht alles!)


Was viel schlimmer ist: Dieselben Herren haben, wenn
sie nicht berichtet haben, in den Diensten gesessen und
die Dateien gesäubert von den illegalen Selektoren, die
da drin waren,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nicht immer fantasieren! Zum Thema sprechen!)


weil sie sahen: Das wird jetzt möglicherweise ans Licht
kommen . Sie haben die Mittel ihrer Rechtsbrüche besei-
tigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist die Unwahrheit gegenüber den Kontrollgremien .
Solange Sie da nicht mehr tun, wird sich nichts ändern .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Verschwörungstheorien!)


Deshalb: Legen Sie Ihren Vorschlag beiseite . Der
bringt keine substanzielle Änderung . Schreiben Sie in
das Gesetz etwas Selbstverständliches hinein, nämlich
dass die Bundesregierung und die Dienste wahrheitsge-
mäß berichten müssen und dass es, wenn sie dies nicht
tun, Sanktionen zur Folge hat . Dann muss beispielsweise
ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, oder die Ab-
geordneten können mit solchen Skandalen an die Öffent-

lichkeit gehen . Nur so erreichen Sie, dass in Zukunft die
bessere Arbeit tatsächlich auch wirkungsvoll ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819700700

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Stephan Mayer das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1819700800

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir haben – dieser fes-
ten Überzeugung bin ich – eine gute parlamentarische
Kontrolle unserer Nachrichtendienste . Sehr geehrter
Herr Kollege Ströbele, ich erkenne es durchaus an, dass
Sie zugestehen, dass sich die Arbeit des PKGr in dieser
Legislaturperiode substanziell verbessert hat . Aber aus
meiner Sicht gilt für das Parlamentarische Kontrollgre-
mium dasselbe wie für viele andere Lebensbereiche: Was
gut ist, kann immer noch verbessert werden . Ich bin auch
der festen Überzeugung: Mit dem heute vorliegenden
Gesetzentwurf verbessern wir qualitativ die Arbeit des
Parlamentarischen Kontrollgremiums enorm . Wir stär-
ken damit aber auch die Nachrichtendienste insgesamt .
Eine optimierte parlamentarische Kontrolle unserer
Nachrichtendienste in einer freiheitlich-demokratischen
Grundordnung stärkt auch die Legitimität unserer Nach-
richtendienste . Deswegen ist es auch im Interesse der
Nachrichtendienste, dass wir die Qualität der Kontrolle
deutlich verbessern .

Das Herzstück dieses Gesetzentwurfes ist der Ständi-
ge Bevollmächtigte mit seinem Arbeitsstab. Wir schaffen
insgesamt zwölf zusätzliche Stellen in der Bundestags-
verwaltung . Der Ständige Bevollmächtigte wird aber
kein Geheimdienstbeauftragter des Bundestages sein .
Er wird kein freies Radikal sein, das im luftleeren Raum
schwirrt, sondern er wird dem Parlamentarischen Kon-
trollgremium gegenüber klar weisungsgebunden sein .
Das ist aus meiner Sicht ein sehr wesentlicher und guter
Schritt nach vorne .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das
behaupten nicht nur wir von der Koalition, sondern das
behaupten auch die Sachverständigen, die in der Anhö-
rung am 26 . September dieses Jahres befragt wurden .
Der ehemalige BND-Präsident Schindler hat den heute
zur Disposition stehenden Gesetzentwurf ausdrücklich
und wortwörtlich als „Meilenstein“ tituliert, und er hat
die Funktion dieses neuen Ständigen Bevollmächtigten
wortwörtlich als ein „vielversprechendes Modul“ gelobt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat gesagt, das ist gänzlich unzureichend! Das ist ein Tunnelblick, Herr Mayer! Er hat das scharf kritisiert!)


Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


Also: Auch die Sachverständigen haben sich durchweg
positiv über diesen vorliegenden Gesetzentwurf geäu-
ßert .

Meines Erachtens, meine sehr verehrten Kollegin-
nen und Kollegen, ist es auch ein erheblicher Schritt
nach vorne, dass wir jetzt endlich auch die besonderen
Vorkommnisse, die uns die Bundesregierung im Parla-
mentarischen Kontrollgremium zu berichten hat, genau
spezifizieren, um, Herr Kollege Ströbele, dem Problem
entgegenzuwirken, dass es letzten Endes im Ermessen
der Bundesregierung liegt, was sie uns mitteilt oder was
sie uns nicht mitteilt .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lese nur genau, was da steht!)


Jetzt wird genau aufgeführt, was ein besonders erwäh-
nens- und berichtenswerter Vorgang ist . Das ist dann der
Fall, wenn ein Vorgang in der öffentlichen Debatte eine
Rolle spielt, wenn er Gegenstand der öffentlichen Be-
richterstattung sein wird, wenn er das Lagebild über die
innere und äußere Sicherheit verändert oder wenn es ein
Vorgang ist, der auf die Aufgabenerfüllung der Nachrich-
tendienste besonderen Einfluss haben wird. Des Weiteren
bin ich der festen Überzeugung, dass es ein qualitativer
Schritt nach vorne ist, dass wir das Parlamentarische
Kontrollgremium endlich genauso behandeln wie alle
anderen Parlamentsausschüsse . Wir werden in Zukunft
zu Beginn der Legislaturperiode einen Vorsitzenden für
die gesamte Dauer der Legislaturperiode wählen . Ich bin
der Meinung, dass es nicht sehr zielführend war, dass
wir den Vorsitz und den stellvertretenden Vorsitz jährlich
gewechselt haben . Auch hier ist ein bemerkenswerter
Schritt nach vorne zu verzeichnen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819700900

Herr Kollege Mayer gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Ströbele?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1819701000

Selbstverständlich, sehr gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819701100

Bitte schön, Herr Kollege Ströbele .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Herr Kollege Mayer . – Geben Sie mir recht,
dass die bisherige Regelung, die vorsieht, dass alternie-
rend von der Koalition und dann von der Opposition die
Vorsitzenden gestellt werden, eine sehr viel demokrati-
schere Regelung ist, die auch die legitimen Rechte der
Opposition viel mehr wahrt,


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: In welchem Ausschuss haben wir das denn sonst noch? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alle anderen Ausschüsse sind undemokratisch?)


als die neue Regelung, nach der ein Vorsitzender für vier
Jahre bestimmt wird, wobei aber ein Vertreter der Oppo-

sition – das ergeben die Zahlen – niemals Vorsitzender
werden kann?


(Burkhard Lischka [SPD]: Was?)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1819701200

Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, ich sehe in kei-

ner Weise die bisherige Regelung, die 23 Parlamentsaus-
schüsse betrifft, als undemokratisch an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es wird im Vorfeld festgelegt, welcher Parlamentsaus-
schuss von welcher Fraktion mit dem Vorsitz belegt wird .
Im Gesetz ist doch überhaupt nicht festgeschrieben, Herr
Kollege Ströbele, dass der Vorsitz im Parlamentarischen
Kontrollgremium von einer Regierungsfraktion gestellt
werden muss .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Hahn hat das doch gut gemacht!)


Es kann durchaus sein, dass Sie, Herr Kollege Ströbele,
möglicherweise in der nächsten Legislaturperiode Vorsit-
zender des PKGr werden .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist durch dieses neue Gesetz nicht ausgeschlossen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde helfen, Herr Mayer! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann treten wir in sofortige Verhandlungen ein!)


Ich hoffe, dass Sie diese Möglichkeit, die durchaus im
Raum steht – ich wünsche Ihnen auch, dass Sie dem
nächsten Parlament wieder angehören –, nicht als unde-
mokratisch bezeichnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
bringen jetzt noch einen Änderungsantrag dergestalt ein,
dass wir auch dem Vertrauensgremium im Haushalts-
ausschuss die Möglichkeit eröffnen, auf den Ständigen
Bevollmächtigten zuzugreifen im Benehmen mit dem
Parlamentarischen Kontrollgremium .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist aber auch festzustellen – das zeigt auch die heutige
Debatte –, dass die Opposition dieser qualitativen Ver-
besserung der parlamentarischen Kontrolle genau gegen-
teilig gegenübersteht . Herr Kollege Dr . Hahn, Sie haben
seitens der Linken einen Gesetzentwurf und einen Antrag
eingebracht, die sich mit der parlamentarischen Kontrol-
le beschäftigen . Was Sie nur verschweigen – hier bitte ich
Sie um mehr Ehrlichkeit –: Sagen Sie doch bitte ganz of-
fen, dass Sie die Nachrichtendienste abschaffen wollen.


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das ist nichts Neues!)


Das wäre Ehrlichkeit . Wenn die Punkte, die in Ihrem
Antrag stehen, umgesetzt würden, würden Sie die Arbeit
der drei Nachrichtendienste auf Bundesebene aushöhlen .
Das wäre aus meiner Sicht ein erhebliches Sicherheits-

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


defizit und ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Bun-
desrepublik Deutschland angesichts der jetzigen Bedro-
hungssituation .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte, meine Kolleginnen und Kollegen, nur
zwei Punkte herausgreifen . Zum einen fordern Sie sei-
tens der Linken, dass die Nachrichtendienste kategorisch
auf den Einsatz von V-Leuten verzichten . Sagen Sie es
bitte ganz offen: Sie wollen unsere Nachrichtendienste
darauf reduzieren,


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir wollen sie am liebsten abschaffen!)


dass sie nur noch Zeitungslektüre betreiben dürfen, dass
sie Zeitungsartikel lesen, ausschneiden und abheften dür-
fen .


(Burkhard Lischka [SPD]: Die Bild-Zeitung!)


Mehr sollen unsere Nachrichtendienste, wenn es nach
den Linken geht, nicht mehr machen dürfen . Das ist aus
meiner Sicht eine erhebliche Erschwernis . Wir werden
diesem Antrag deutlich entgegentreten .

Ein zweiter Punkt, der meines Erachtens dem Fass
den Boden ausschlägt: Sie fordern als Fraktion Die Lin-
ke, dass es in das Ermessen des einzelnen Bundestagsab-
geordneten gestellt wird, „nach gewissenhafter Prüfung
der Sach- und Rechtslage“ – das schreiben Sie in Ihrem
Antrag –, ob ein Staatsgeheimnis öffentlich gemacht
wird . Also, Sie würden jedem Bundestagsabgeordneten
zubilligen, dass er selber entscheidet, ob er ein Staats-
geheimnis veröffentlichen darf. Gerade in der jetzigen
Bedrohungssituation wäre das eine Versündigung an der
Sicherheitslage in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Wir sind in einer erheblichen Anspannung . Unsere Si-
cherheitsbehörden stehen vor einer enormen Herausfor-
derung .

Es ist derzeit ohnehin schon schwer genug, andere
Nachrichtendienste, auch solche, mit denen wir im Aus-
tausch stehen, immer wieder dazu zu bringen, mit uns
konstruktiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten,
weil leider Gottes immer wieder Dinge die Öffentlichkeit
erreichen, die dort nicht hingehören . Das ist eine Gefahr
für die Sicherheit in unserem Lande . Ich sage zum Ab-
schluss noch einmal ganz deutlich und ganz bewusst: Die
Linken sind insoweit aus meiner Sicht auch ein Sicher-
heitsrisiko für unser Land .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Diejenigen, die das Bundesverfassungsgericht als „Klassenjustiz“ bezeichnen, dürfen sich über einen solchen Ausspruch nicht wundern!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819701300

Vielen Dank . – Das Wort zu einer Kurzintervention

hat jetzt der Kollege André Hahn .


Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819701400

Frau Präsidentin! Ich kann nicht jeden Unfug richtig-

stellen, den Kollege Mayer eben erzählt hat . Deshalb will
ich mich auf zwei Punkte beschränken .

Erstens . Herr Mayer, Sie haben darauf hingewiesen,
dass unser Gesetzentwurf vorsieht, dass man bestimmte
Dinge an die Öffentlichkeit bringen kann. Ja, wir haben
das klar definiert, und zwar für den Fall, dass gegen die
Verfassung, das Grundgesetz, verstoßen wird; dann muss
es die Möglichkeit geben, das offenzulegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Da dürfen die Geheimdienste nicht im luftleeren Raum
arbeiten .

Zweitens . Finden Sie es im Ernst sinnvoll und demo-
kratisch, dass das Parlamentarische Kontrollgremium der
Opposition eine Erlaubnis erteilen muss, wenn sie die
Regierung kritisieren will?


(Burkhard Lischka [SPD]: Das machen wir doch gar nicht! Wir haben so vernünftig zusammengearbeitet!)


Die gegenwärtige Regelung lautet, dass es eines Zwei-
drittelmehrheitsbeschlusses bedarf, bevor öffentliche
Stellungnahmen abgegeben werden können . Das heißt,
wenn der Kollege Ströbele oder ich die Regierung kriti-
sieren will, dann müssen Sie vorher zustimmen, dass es
diese öffentliche Stellungnahme gibt. Das hat mit demo-
kratischen Verfahren wahrlich nichts zu tun .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819701500

Vielen Dank . – Herr Kollege Mayer zur Erwiderung .


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1819701600

Herzlichen Dank für diese Kurzintervention, sehr ge-

ehrter Herr Kollege Hahn . Sie gibt mir die Gelegenheit,
wirklich deutlich zu machen, dass Sie für die Arbeit von
Nachrichtendiensten einfach überhaupt nichts übrig-
haben und dass Sie auch das Erfordernis einer qualita-
tiv hochwertigen parlamentarischen Kontrolle unserer
Nachrichtendienste immer noch nicht verstanden haben .

Wir, die neun Mitglieder im Parlamentarischen Kon-
trollgremium, tagen geheim . Was wir erfahren, hat in der
Öffentlichkeit grundsätzlich nichts verloren.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grundsätzlich!)


Wenn wir uns dann doch darauf verständigen – das hat
das PKGr in den letzten Jahren so häufig wie noch nie
zuvor gemacht –,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Weil es so viele Skandale gab!)


eine öffentliche Erklärung abzugeben, dann kann dies
doch nicht in das Ermessen jedes Einzelnen der neun
Mitglieder gestellt werden; vielmehr bedarf es natürlich
einer qualitativen Mehrheit, wenn wir uns als Gremium
in toto zu Wort melden .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Natürlich bleibt es jedem einzelnen Mitglied unbe-
nommen, ein Sondervotum abzugeben .


(Burkhard Lischka [SPD]: Haben wir auch schon gemacht! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Zweidrittelmehrheit wollen Sie!)


Ich erkenne an der in dieser Legislaturperiode geübten
Praxis – wir haben sie substanziiert noch nie so gut voll-
zogen wie in dieser Legislaturperiode; da bin ich voll-
kommen der Meinung des Kollegen Ströbele – überhaupt
nichts Undemokratisches .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Um noch einmal auf Ihren ersten Punkt, Herr Hahn,
einzugehen: Sie schreiben unter Punkt III Ziffer 7 Ihres
Antrags ganz klar, dass die Bundesregierung aufgefordert
wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der es ermöglicht,
dass einzelne Mitglieder des Bundestages Staatsgeheim-
nisse öffentlich bekannt machen.


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Dann lesen Sie mal weiter! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie können nicht selektiv zitieren! Sie müssen auch den nächsten Satz vorlesen!)


Sie können es doch nicht in das Ermessen von jedem von
uns 630 Abgeordneten stellen, ob er gerade einmal der
Meinung ist, dass ein Staatsgeheimnis die Öffentlichkeit
erreichen soll . Das halte ich wirklich, mit Verlaub, für
hanebüchen, für hoch riskant und für vollkommen un-
tragbar .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819701700

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Uli Grötsch,

SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1819701800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, in der letzten Kurzintervention wurde ein Di-
lemma deutlich, das wir als Mitglieder des Parlamenta-
rischen Kontrollgremiums oftmals haben, nämlich dass
in der Öffentlichkeit keiner darüber reden oder berichten
kann, wie wirklich gehandelt wird und wie gut wir dort
im Grunde zusammenarbeiten .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ja, das stimmt!)


Von daher halte ich es für schwierig, sich hier vorne hin-
zustellen, Kollege Dr . Hahn, und zu behaupten, dass wir
Ihnen im PKGr erlauben müssten, dass Sie die Bundesre-
gierung kritisieren . Das wäre ja noch schöner . Das wollte
ich an dieser Stelle nur einmal richtigstellen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das passiert aber!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, laut meinem Ka-
lender hatten wir im Jahr 2016 bisher 8 Sitzungen des
Parlamentarischen Kontrollgremiums . Im Vergleich dazu
hatten wir 15 reguläre Sitzungen des Innenausschusses,
3 Sondersitzungen und unzählige Sachverständigenanhö-
rungen . Wäre es ein normales Jahr gewesen, hätten diese
8 Sitzungen vielleicht sogar gereicht, um die parlamenta-
rische Kontrolle der Nachrichtendienste sicherzustellen .
2016 war bisher aber leider kein normales Jahr; es ist
vielmehr ein sehr ereignisreiches Jahr gewesen, auch für
die Nachrichtendienste . Ich erinnere in diesem Zusam-
menhang an die Anschläge in Würzburg und Ansbach
oder an die vereitelten Anschläge wie zuletzt in Sachsen .

Wir haben es mit internationalem Terrorismus zu
tun, der unsere Nachrichtendienste rund um die Uhr in
Schach hält . Da die Bundesregierung gesetzlich ver-
pflichtet ist, das Kontrollgremium über Vorgänge beson-
derer Bedeutung zu unterrichten – und wir fordern dieses
Recht natürlich auch ein –, bleibt aufgrund der Vielzahl
von Ereignissen, die in diese Kategorie fallen, kaum Zeit,
um im PKGr andere Themen zu besprechen .

Unter parlamentarischer Kontrolle verstehe ich, dass
die Vorgänge in den Behörden unter die Lupe genommen
werden, und zwar nicht nur dann, wenn die Medien einen
Skandal aufdecken .


(Thomas Oppermann [SPD]: Richtig!)


Ziel muss doch sein, dass es gar nicht erst zu Skandalen
kommt,


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr gut!)


weil die Dienste innerhalb des gesetzlichen Rahmens ar-
beiten, den wir dem BND noch heute – das betrifft den
nächsten Tagesordnungspunkt – geben werden .

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz erwähnen, dass
wir auch dahin gehend unsere Hausaufgaben mehr als
gemacht haben und nun endlich eine klare Rechtsgrund-
lage zur Fernmeldeaufklärung geschaffen haben. Mein
Kollege Burkhard Lischka hat das in der ersten Lesung
des Gesetzentwurfs herausgestellt: Es handelt sich um
nichts weniger als um ein weltweit einmaliges Gesetz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was ich jedoch sehr bedauere, ist, dass wir unseren
Vorschlag, das neue unabhängige Gremium vom PKGr
zu berufen und auch die Geschäftsstelle im Bundestag
anzusiedeln, nicht durchsetzen konnten . Wir hätten das
für die Unabhängigkeit der Kontrolle als sinnvoll erach-
tet .


(Beifall bei der SPD)


Aber zurück zum Thema . In den letzten Monaten und
Jahren reagieren wir in den Sitzungen des PKGr viel zu
oft auf Medienberichte und Meldungen . Eine Fortent-
wicklung der parlamentarischen Kontrolle ist dringend
erforderlich, und deshalb begrüße ich ausdrücklich den
Gesetzentwurf, um den es hier heute geht . Damit greifen
wir übrigens auch eine Empfehlung des NSU-Untersu-
chungsausschusses der 17 . Wahlperiode auf .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Die wohl wichtigste und gleichzeitig zielführendste
Änderung ist, dass wir das Amt eines Ständigen Bevoll-
mächtigten des Kontrollgremiums schaffen, also einer
Person, die als verlängerter Arm des PKGr dessen Be-
fugnisse wahrnimmt und gemeinsam mit einem spürbar
aufgestockten Mitarbeiterstab – auch das ist ein sehr
wichtiger Punkt – eine kontinuierliche, systematische
und strukturelle Kontrolle durchführt .


(Beifall bei der SPD – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Und wer bestimmt die Leute? Wer bestimmt die Mitarbeiter?)


Wir wollen damit vor allem auch einen breiten Blick auf
das nachrichtendienstliche Alltagsgeschäft richten . Künf-
tig müssen also alle Bereiche der Dienste damit rechnen,
jederzeit Gegenstand einer Kontrolle durch das PKGr
oder durch den Ständigen Bevollmächtigten zu werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, kei-
nesfalls wird die Einführung des Ständigen Bevollmäch-
tigten dazu führen, dass allein ihm exklusiv der Zugang
zu Informationen oder Akten gewährt wird . Der Ständige
Bevollmächtigte ist kein Beauftragter der Bundesregie-
rung . Alle Akten, die er einsieht, kann natürlich auch
das Gremium einsehen . Ich sehe durch den Ständigen
Bevollmächtigten viel mehr eine große Entlastung und
einen deutlichen Gewinn an Effizienz; denn es liegt doch
an uns, welche Konsequenzen und Rückschlüsse wir aus
seinem Bericht ziehen . Sie können doch trotzdem weiter-
hin Kontrollbesuche bei den Diensten durchführen und
Berichte anfordern . Wenn Sie den Eindruck haben, der
Ständige Bevollmächtigte habe nicht sorgfältig gearbei-
tet, dann hindert Sie niemand daran, nachzuhaken .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich bin
froh, dass wir uns sozusagen in letzter Minute noch da-
rauf einigen konnten, dass auch das Vertrauensgremium
im Benehmen mit dem PKGr Aufträge an den Ständigen
Bevollmächtigten erteilen kann . Wir hätten uns zwar
vorstellen können, dass das Vertrauensgremium auch bei
der Auswahl des Bevollmächtigten stärker eingebunden
wird, aber das wird vielleicht die nächste Baustelle .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht durchsetzen! Ja, so ist das!)


Es wurde eben auch schon gesagt: Eine weitere, noch
vor wenigen Jahren undenkbare Neuerung sind die jähr-
lichen öffentlichen Anhörungen der Präsidenten der
Dienste .


(Burkhard Lischka [SPD]: Ja, das hat sich Herr Ströbele immer gewünscht!)


Hiermit haben die Parlamente in den USA und in Groß-
britannien ganz hervorragende Erfahrungen gemacht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bräuchte viel
mehr Redezeit, um all die positiven Aspekte dieses Ge-
setzes vortragen zu können .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Große Koalition hat einfach zu wenig Redezeit! Das ist ein Problem, das uns schon lange umtreibt!)


Lassen Sie mich sagen: In diesem Gesetz geht es nicht
um Fraktionsinteressen, sondern es geht um die Interes-
sen und um die Stärkung des ganzen Parlaments .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nur noch die Sonne scheinen ab morgen dank der Großen Koalition!)


Frau Präsidentin, Sie werden wohl auch heute nicht
so gnädig sein, mir mehr Redezeit zu geben, deshalb
komme ich zum Ende . Ich bitte Sie alle um Zustimmung .
Stehen Sie nach der dritten Lesung doch einfach alle auf


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar beim Nein!)


und setzen Sie mit uns zum Quantensprung in der parla-
mentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste an!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819701900

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Armin Schuster,

CDU/CSU-Fraktion .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schuster, rücken Sie das erst mal gerade!)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1819702000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde es beeindruckend – das ist auch, denke ich,
wichtig für die Zuhörer und Zuschauer –, wie oft heu-
te Morgen die Leistungen der Nachrichtendienste gelobt
wurden . Es ist natürlich angesichts der tadellosen Leis-
tungen im Fall Albakr leicht, das einmal aussprechen zu
können .

Leider können wir es sehr oft nicht aussprechen, aber
gehen Sie bitte davon aus: Das ist nicht einmalig, so et-
was passiert sehr oft, und solche Leistungen erwarten wir
von Nachrichtendiensten . Leistungsfähig, selbstbewusst
modern, solche Mitarbeiter, hochmoderne Ausstattung
und eine angemessene rechtliche Möglichkeit, zu arbei-
ten, dafür steht die Union bei den Nachrichtendiensten .
Darin investieren wir – gleich in das Gesetz, anschlie-
ßend in die Haushalte . Wir wollen genauso gut arbei-
tende Dienste, wie wir sie jetzt im Fall Chemnitz erlebt
haben . Deswegen, glaube ich, muss man auch einmal
ein Plädoyer halten und sich nicht nur, Herr Dr . Hahn,
abends genüsslich unter die Schutzdecke unserer Sicher-
heitsbehörden legen


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was für ein schönes Bild!)


und morgens deren Abschaffung fordern, wenn nichts
passiert ist . Das geht einfach nicht, das ist nicht unsere
Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


Blauäugig sind wir deswegen nicht . Da wir motivierte
Dienste wollen, wissen wir, dass diese auch über das Ziel
hinausschießen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das passiert aber sehr oft!)


Das ist in jedem Gewerbe so, auch bei denen . Deshalb
passen wir auf .

Eine wirkungsvolle parlamentarische Kontrolle hat-
ten wir nicht wirklich, wenn wir ehrlich sind . Bei neun
Abgeordneten in einem Kontrollgremium und Tausen-
den von nachrichtendienstlichen Mitarbeitern habe ich
mich immer gefühlt wie Sisyphos, der versucht, den
Stein aufwärts zu rollen: Es war schwer möglich . Lie-
ber Herr Dr . Hahn, lieber Herr Grötsch, wir haben mit
Herrn Ströbele zusammen in einer Taskforce erlebt –
BND-Selektoren –, wie es eigentlich gehen müsste . Das
hat mir sehr viel Motivation gegeben, um genau das zu
verstetigen . Das tun wir heute mit dem Gesetzentwurf .
Eigentlich richten wir jetzt eine Dauertaskforce ein mit
der Manpower, die wir brauchen . Ich denke, besser kann
man die Empfehlungen aus dem NSU-Untersuchungs-
ausschuss nach mehr parlamentarischer Kontrolle nicht
umsetzen, als wir es heute tun .

Was wollen wir? Wir wollen eine deutlich höhere
Transparenz; die öffentliche Anhörung wurde schon ge-
nannt . Wir wollen natürlich überwachen, ob die Regeln
und Vorschriften eingehalten werden, aber viel wichtiger
ist mir: Der Ständige Bevollmächtige und seine Mitar-
beiter haben die Chance, konstruktiv zu begleiten . Was
können, was dürfen und was sollen unsere Dienste leis-
ten? Diese Frage für das Parlamentarische Kontrollgre-
mium ständig mit zu beurteilen, halte ich für wichtig .
Deshalb zitiere ich auch noch einmal den Ex-Präsidenten
Schindler – wenn er es sagt, hat es wirklich Gewicht –:
ein Meilenstein der parlamentarischen Kontrolle, eine
vielversprechende Lösung, die Vertrauen schaffen wird.

Mehr Lob und Referenz kann man für einen Gesetz-
entwurf eigentlich kaum bekommen . Dass der Vorsit-
zende endlich nicht mehr wechselt, ist ein Segen, meine
Damen und Herren . Ich habe mich gefühlt wie bei „Farm
der Tiere“: Jeder möchte einmal Vorsitzender werden . So
kann man doch nicht arbeiten, Entschuldigung!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Es geht doch nicht um jeden! Es geht um Opposition und Regierung!)


Jetzt haben wir einen Vorsitzenden, der den Laden
führt . Das ist so etwa die Welt, die ich kenne, und da
kenne ich mich bestens aus, und sie hat sich auch über
Jahrzehnte bewährt; glauben Sie es mir . Herr Hahn, Sie
müssen einfach lernen, wie so etwas geht . Dass wir das
noch mit dem Vertrauensgremium verzahnen, finde ich
sehr gut .

Die Kritikpunkte: Nein, der Ständige Beauftragte ist
keine Solonummer .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Der Vorsitz kann doch immer an die Opposition gehen! Das wäre doch mal ein Vorschlag!)


Er ist ein Erfüllungsgehilfe, von mir aus eine verlängerte
Werkbank . Aber wir führen ihn, wir geben ihm Anwei-
sungen, wir kontrollieren ihn . Wenn Sie das auch nicht
können, Herr Dr . Hahn, wenn Sie mit Mitarbeitern nicht
umgehen können, dann kann Ihnen aber wirklich keiner
helfen . Seien Sie ehrlich: Wir haben in der Taskforce,
Herr Ströbele, beste Erfahrungen mit hervorragenden
Mitarbeitern gemacht,


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Genau!)


die wir heute schon im PKGr haben . Ich habe da aller-
dings nicht wie Sie nach dem Parteibuch gefragt .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist mir auch völlig wurscht . Die haben hervorragend
gearbeitet . Wissen Sie was? Ich glaube, wenn wir deren
politische Präferenzen einmal abfragen würden, würden
alle genannt, die hier vertreten sind . Trotzdem haben sie
uns klasse zugearbeitet . Das Lob muss einmal sein . Ich
habe überhaupt keine Bedenken, dass die nächsten zwölf
das nicht auch können, und das Parteibuch interessiert
mich bei denen auch nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wer sucht die aus? – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre das erste Mal, Herr Schuster!)


Eine Whistleblower-Regelung ist im Gesetzentwurf
enthalten . Sie ist vielleicht nicht so, wie Sie sie haben
wollen, aber wir machen die Dinge balanciert und schlau
und nicht parteipolitisch motiviert .

Die Journalisten haben uns für den Ergebnisbericht
unserer Taskforce über den grünen Klee gelobt, Herr
Ströbele. Es stimmt nicht, dass wir die Öffentlichkeit
nicht informieren .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht über die wesentlichen Dinge!)


Chapeau, hieß es, so konsequent, so dezidiert und so
schonungslos habe noch nie ein PKGr die aktuelle Re-
gierung betrachtet, analysiert und auch kritisiert . Also,
besser kann man es wirklich nicht machen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten einen besseren Bericht! Unserer war besser!)


Genau diese Lösung verstetigen wir jetzt in einem Ge-
setz . „Hut ab“, „Epochale Schwelle überschritten“,
„Neues Niveau“, –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819702100

Aber Sie denken an den Schluss, Herr Schuster?


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1819702200

– durchgehend positiv sind die Zitate der Sachverstän-

digen aus der öffentlichen Anhörung.

Zu den Änderungsanträgen – das ist mein letzter
Satz – sagte Professor Dr. Amadeus Wolff, der auch kein

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


unkritischer Zeitgenosse als Sachverständiger ist: Keiner
der vorliegenden Änderungsvorschläge reicht irgend-
wie an den Entwurf heran, der hier vorgelegt wurde . –
Deswegen gehe ich gar nicht weiter darauf ein; Stephan
Mayer hat das schon prima gemacht . Das, was Sie vorge-
legt haben, ist einfach nichts wert .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas Abwegiges!)


Es tut mir leid . Stehen Sie bitte – Uli Grötsch hat es rich-
tig gesagt – bei Ja und nicht bei Nein auf, Herr Dr . von
Notz .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819702300

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parla-
mentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bun-
des .

Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10069, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf Drucksache 18/9040 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in der
dritten Beratung angenommen .

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke zur Änderung des Gesetzes über die parlamen-
tarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des
Bundes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10069
die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/6640 . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung .

1) Anlage 2

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/10069
fort .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/6645 mit dem Titel
„Parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen
Tätigkeit des Bundes verbessern“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe d empfiehlt der Innenausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/8163 mit dem Titel „Für
eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Aus-
land-Fernmeldeaufklärung des Bundes-
nachrichtendienstes

Drucksache 18/9041

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmelde-
aufklärung des Bundesnachrichtendienstes

Drucksachen 18/9529, 18/9854, 18/9879,
Nr. 5

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10068

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Debatte 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, da gibt
es keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1819702400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir befassen uns heute mit einem Gesetz, das nicht häu-
fig Gegenstand der Beratungen im Plenum ist und dessen
Ausführung sich meist im Verborgenen vollzieht . Und
doch ist es ein Gesetz, das für unsere Gesellschaft von
großer Bedeutung ist .

Mit dem BND-Gesetz treffen wir als Parlament eine
Entscheidung darüber, wie weit wir als Gesellschaft ge-
hen wollen, um uns zu schützen, welche Befugnisse wir
unseren Nachrichtendiensten einräumen, um uns unsere
freiheitliche Lebensart und unsere freiheitlich-demokra-

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


tische Grundordnung zu bewahren und zu verteidigen .
Das BND-Gesetz ist also ein Gradmesser dafür, wo wir
als Gesellschaft die angemessene Balance zwischen Frei-
heit und Sicherheit sehen .

Freiheit und Sicherheit – so häufig es gesagt wird, so
richtig ist es –, das sind keine Gegensätze, sondern sie
bedingen einander . Ohne Freiheit gibt es keine Sicher-
heit; ohne Sicherheit kann sich Freiheit nicht entfalten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb geht es gerade nicht darum, pauschal das eine
gegen das andere auszuspielen, wie der eine oder ande-
re Kollege es gerne tut . Nein, es geht darum, eine klu-
ge, eine differenzierte Abwägung zu treffen. Wenn wir
heute in diesem Hohen Hause ein Gesetz zur Änderung
des BND-Gesetzes beschließen wollen, dann bezwecken
wir damit genau das: Wir treffen eine kluge Abwägung.
Wir halten die Befugnisse der Behörden im Einklang mit
den Grundrechten unserer Bürger . Und wir stärken damit
Freiheit und Sicherheit in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zugleich ziehen wir die Konsequenzen aus mittler-
weile drei Jahren NSA-Untersuchungsausschuss . Wir
alle haben bei unserer Arbeit festgestellt, dass es in der
Vergangenheit im BND Missstände gab und dass deshalb
an einigen Stellen Verbesserungsbedarf bestand . Von da-
her werden wir mit dem Gesetz ganz bewusst zum Bei-
spiel den Schutz von EU-Bürgern stärken; denn für uns
ist klar: Die Verteidigung unserer Freiheit ist heutzuta-
ge keine rein nationale Angelegenheit mehr, sondern da
müssen wir als Europäische Union, als westliche Werte-
gemeinschaft zusammenstehen .

Wir leben heute in einem geeinten Europa, in einem
Europa ohne Schlagbäume . In einem solchen geeinten
modernen Europa müssen auch die Sicherheitsbehörden
über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In einem Europa der sich Abhörenden!)


Wenn die Belgier, die Polen, die Spanier oder wir
Deutschen eine Information über einen Terroristen, über
einen bevorstehenden Anschlag haben, dann müssen die-
se Informationen geteilt werden, und zwar nicht mit den
Mitteln des 20 . Jahrhunderts, nicht per Brief mit Stempel
und Unterschrift, sondern mit den Mitteln des 21 . Jahr-
hunderts: über Glasfaser, in einer gemeinsamen Daten-
bank . So sieht moderne internationale Zusammenarbeit
im 21 . Jahrhundert aus .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In einer Welt, in der Krisen und Konflikte in fernen
Regionen sich immer unmittelbarer auf unser Leben in
Europa und in Deutschland auswirken, muss der BND
in der Lage sein, mit modernsten Mitteln Informationen
zu sammeln, damit wir eben nicht von anderen Ländern
abhängig sind, sondern damit wir als Bundesrepublik

Deutschland ein breites und fundiertes Bild von dem ha-
ben, was in der Welt geschieht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem von den Freunden!)


Hierzu gehört für uns ganz klar die Ausland-Aus-
land-Fernmeldeaufklärung; denn al-Qaida und der IS
kommunizieren heute nicht mehr per Postkutsche und
Brieftaube . Deshalb ist es wichtig, dass der BND dort
aufklärt, wo die Informationen liegen, und das sind nun
einmal im 21 . Jahrhundert die weltweiten Datenströme,
das ist nun einmal die internationale Kommunikation .

Gerade in den vergangenen Tagen haben uns diese
Aufklärung und der Austausch von Informationen mit
unseren internationalen Partnern vor einem schreckli-
chen Angriff bewahrt; denn der syrische Terrorist aus
Chemnitz wurde nicht durch schöne Sonntagsreden ge-
fasst, sondern weil unsere amerikanischen Freunde uns
geholfen haben . Auch das darf und muss man in diesem
Hohen Hause einmal sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb hören wir sie ab!)


Ja, man kann der Meinung sein, dass das Grundgesetz
das Telefonat eines Syrers im Irak mit einem Afghanen
in Pakistan im selben Maße schützt wie ein Ortsgespräch
in Berlin .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit einem befreundeten Präsidenten!)


Dieser Meinung sind wir aber eben nicht . Diese Mei-
nung ist weltfremd und vor allem meilenweit von dem
entfernt, was sich der Verfassungsgeber mit dem Fern-
meldegeheimnis gedacht hat . Sie wissen auch ganz ge-
nau, dass das Bundesverfassungsgericht 1999 in seiner
Entscheidung über die strategische Fernmeldeaufklärung
des BND diese Ausland-Ausland-Fälle bewusst ausge-
spart hat .

Der wesentliche Punkt ist doch, dass die wichtige Ar-
beit des BND auf eine noch bessere rechtliche Grundla-
ge gestellt werden muss, und genau das tun wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf . Das tun wir auch und nicht
zuletzt für die Mitarbeiter des BND und unserer Sicher-
heitsbehörden, die nämlich Rechtssicherheit bei ihrer
wichtigen Tätigkeit benötigen, die sie Tag für Tag für
unser Land ausüben . Anders als es die Opposition uns
gerne glauben machen will, sind es nämlich keine fins-
teren James-Bond-Bösewichter, die jeden Morgen mit
dem Ziel aufstehen, Grundrechte zu verletzen und einen
Überwachungsstaat zu errichten,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: James Bond ist kein Bösewicht! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist auch noch James Bond böse! Das wird ja immer toller!)


sondern ganz normale Männer und Frauen mit Familien,
Hobbys und Kindern . Sie leisten eine hervorragende Ar-

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


beit unter schwierigen Bedingungen, damit Sie und wir
alle so leben können, wie wir es tun,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


nämlich in einem friedlichen und sicheren Land in Einig-
keit und Recht und Freiheit .

Sie, liebe Kollegen von der Opposition, nutzen dieses
wichtige Thema zur Selbstvermarktung und zum Kla-
mauk .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje, oje!)


Wir als Koalition wollen aber einen starken BND und
handlungsfähige Sicherheitsbehörden . Deshalb tun wir,
was nötig ist, und stärken mit unserem Gesetz Sicherheit
und Freiheit in Deutschland .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819702500

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Martina Renner,

Die Linke, das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819702600

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da-

men und Herren! Vor allem auch: Liebe Bürgerrechtsen-
gagierte, die Sie draußen vor der Tür gerade protestieren!
Ich weiß noch genau, welches Bild der BND zu Beginn
der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses zeichnen
wollte: Man hätte nicht so genau gewusst, was der große
Bruder NSA in Deutschland und Europa treibt . Der klei-
ne Bruder BND würde sich hingegen immer an Recht
und Gesetz halten, nie die eigenen Bürger ausspähen
und schon gar nicht Spionage aufgrund von Wirtschafts-
oder Machtinteressen durchführen . Inzwischen ist klar:
Der kleine Bruder Bundesnachrichtendienst wusste ge-
nau Bescheid . Er hat dem US-Geheimdienst die Türen
geöffnet, damit dieser an den Internetverkehr in Europa
gelangen konnte . Er hat das Parlament, manchmal auch
das Bundeskanzleramt und fast immer die betroffenen
Unternehmen getäuscht . Er tat dies absichtsvoll und im
vollen Bewusstsein der Illegalität . – Ich weiß, wovon ich
rede . Das ist das Ergebnis von zweieinhalb Jahren harter
Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für diese Praxis des Bundesnachrichtendienstes wurde
ein perfides System aus Abschirmen, Legendieren und
Nicht-Dokumentieren installiert . Vielleicht gab es dieses
System im Bundesnachrichtendienst schon immer . Trick-
sen, Tarnen, Täuschen – so lässt sich das Credo des BND
zusammenfassen .

Nun hat man den kleinen Bruder erwischt, angescho-
ben durch Edward Snowden, dokumentiert in den unzäh-
ligen Protokollen des Untersuchungsausschusses, in der

Klage der G-10-Kommission, in der Klage des Internet-
knotenbetreibers DE-CIX und in den Beanstandungen
der Datenschutzbeauftragten . Und was passiert jetzt?
Nichts! Keine Reue, kein Umsteuern, kein Zur-Rechen-
schaft-Ziehen der Verantwortlichen!


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Kein rechtswidriges Verhalten!)


Stattdessen wird die Rechtslage nach den Wünschen des
Geheimdienstes angepasst,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das geht ja gar nicht!)


und das bedeutet anlasslose Massenüberwachung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Damen und Herren, der Bundesnachrich-
tendienst will nicht mehr der kleine Bruder der NSA sein .
Nein, der Gesetzentwurf der Großen Koalition macht ihn
nun zum Zwilling .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Eineiig oder zweieiig? – Gegenruf der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das können wir Ihnen überlassen!)


– Eineiig . – Ihnen ist das auch bewusst . Die Sachverstän-
digen haben es Ihnen gesagt . Sie kennen die politischen
wie juristischen Argumente . Allein, es stört Sie wenig .
„Sollen sie doch klagen“, haben Sie im Innenausschuss
gesagt, „die Bürgerinnen und Bürger, die Provider, die
Opposition!“ . Sie werden heute sagen: Wir haben le-
diglich unterschiedliche Rechtsauffassungen, was den
Schutz der Privatsphäre von Menschen, auch denen ohne
deutschen Pass, angeht .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein, Sie leben in einer ganz anderen Welt!)


Wir hingegen sagen: Bürger- und Menschenrechte sind
unteilbar .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sagen: Dieses Gesetz ist ein Geschenk für den BND,
weil er jetzt auch in Deutschland legal ans Kabel darf,
und zwar auch dann, wenn es keinen konkreten Verdacht
gibt . Nun braucht der Bundesnachrichtendienst nicht län-
ger gewöhnliche deutsche Staatsbürger zu Funktionsträ-
gern umzudefinieren, um sie bespitzeln zu können. Jetzt
darf er es – ganz legal . Nun braucht der BND nicht mehr
Satellitendaten für außerirdisch zu erklären, um sie abzu-
fangen . Er darf es jetzt einfach – ganz legal .

Die anlasslose und umfassende politische Spionage
gegen Hilfsorganisationen, Presse, Regierungen in eu-
ropäischen Ländern und Bürgerinnen und Bürger wird
durch dieses Gesetz ermöglicht . Es ist nicht so, dass
dies nur die ungeliebte Opposition sagt . Unterschiedli-
che Nichtregierungsorganisationen wie Reporter ohne
Grenzen, Amnesty International und die drei Sonderbe-
richterstatter der Vereinten Nationen haben Ihren Gesetz-
entwurf gerügt . Die bisherige Praxis, die nun legalisiert
werden soll, wurde von anerkannten Juristen und nicht

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


zuletzt von Deutschlands oberster Datenschützerin im-
mer wieder als schlichtweg illegal angeprangert . Wie re-
agieren Sie darauf? Sie belohnen den Geheimdienst mit
mehr Befugnissen für Massenüberwachungen .

Nun werden Sie mir vermutlich erklären, dass ein
toller Filter den sogenannten deutschen Kommunikati-
onsverkehr automatisch aussortieren wird . Aber das ist
Augenwischerei; Sie wissen es . Lesen Sie die Gutachten!
Wenn nur 5 Prozent durchrutschen, bleiben – am Beispiel
von diesem Jahr – am Schluss 34 Millionen Gigabyte
Daten, die auch deutsche Staatsbürger und Staatsbürge-
rinnen betreffen können.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da klatschen nicht einmal die eigenen Leute!)


Sie haben vorhin gesagt – Sie wiederholen das sehr
gerne –, wir kritisierten diesen Gesetzentwurf nur, weil
wir Geheimdienste abschaffen wollten. Ich sage Ihnen:
Die Dienste haben sich selbst ins Unrecht gesetzt .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sind eine Gefahr für die Demokratie . Der Bundes-
nachrichtendienst hat sich Jahrzehnte nicht an Recht und
Gesetz gehalten . Im Falle des NSU-Komplexes hat der
Dienst selbst den Terror erst ermöglicht . Sie wissen, was
Sie heute beschließen. Sie schaffen das Fernmeldege-
heimnis in Artikel 10 des Grundgesetzes faktisch ab .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man nicht abschaffen!)


Sie täuschen wissentlich die Öffentlichkeit, so wie der
BND jahrelang wissentlich das Parlament getäuscht hat .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819702700

Frau Kollegin Renner, denken Sie an die Redezeit?


Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819702800

Nur noch zwei Sätze, dann bin ich fertig . – Sie nennen

es Reform, wir nennen es die Legalisierung massenhaf-
ter Grundrechtsverletzungen . Sie machen das Parlament
zum Erfüllungsgehilfen der Geheimdienste . Das halte ich
einer Demokratie und eines Rechtstaats für unwürdig .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Eva Högl [SPD]: Meine Güte!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819702900

Das Wort hat jetzt Christian Flisek, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1819703000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Große Koalition hat einen gut ausverhandelten, de-
taillierten Koalitionsvertrag . Dieser Koalitionsvertrag
war der bisherige Fahrplan für fast alle Gesetzesvorha-

ben dieser Regierung . Er wird es mit Sicherheit auch
noch bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Sicherheit nicht!)


Gleichwohl beraten wir mit dem heute im Entwurf vor-
liegenden BND-Reformgesetz ein Vorhaben, das sich
so nicht in diesem Koalitionsvertrag findet. Das hat
gute Gründe; denn den Urknall für diese Reform finden
wir in der Arbeit des 1 . Untersuchungsausschusses der
18 . Wahlperiode, des sogenannten NSA-Untersuchungs-
ausschusses, des Deutschen Bundestages .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ein bisschen PKGr war auch dabei!)


– Ein bisschen, ja . Wir reden jetzt über die BND-Reform,
Herr Kollege Binninger . Ich denke, wir sind uns einig,
dass die wesentliche Arbeit im NSA-Untersuchungsaus-
schuss geleistet wurde .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, da ist sie: die Harmonie der Großen Koalition! – Gegenruf der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Vielleicht doch Zwillinge!)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, in diesem Ausschuss – das ist bereits erwähnt
worden – wurden in über zweieinhalbjähriger Arbeit all
jene Erkenntnisse zutage gefördert, die wir heute zu einer
umfassenden Reform des Rechts des Bundesnachrichten-
dienstes verdichten . Zur Wahrheit gehört auch, dass uns
diese Erkenntnisse im Untersuchungsausschuss weder
vom Bundesnachrichtendienst noch vom Bundeskanz-
leramt auf dem Silbertablett serviert wurden .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem mit Schwärzungen!)


Wir mussten sie uns in über 115 Sitzungen mit über
100 Zeugen und mit über 2 000 zum Teil schwer lesba-
ren Akten mühsam erarbeiten . Ich möchte aber betonen,
dass mit diesem Untersuchungsausschuss der Deutsche
Bundestag bisher weltweit das einzige Parlament ist, das
sich nach den Veröffentlichungen von Edward Snowden
so gründlich und so intensiv mit dieser Thematik befasst
hat .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Defizite innerhalb des Bundesnachrichtendiens-
tes, die der Untersuchungsausschuss aufgedeckt hat,
waren und sind massiv . Da geht es etwa um die Aus-
land-Ausland-Verkehre – das ist angesprochen worden;
das findet sich auch im Titel dieses Gesetzes wieder –;
das sind beispielsweise E-Mails, die ihren Ursprung im
Ausland haben, bei denen also der Absender im Ausland
ist, mit einem Empfänger im Ausland . Bei der strategisch
wichtigen Überwachung solcher Verkehre agierte der
Bundesnachrichtendienst bisher in einer Dunkelkammer .

Das setzte sich fort in einer völlig unzureichenden
Kontrolle dieses immer wichtiger werdenden Tätig-
keitsbereichs durch das Bundeskanzleramt . Wir haben
erst gestern einen Referatsleiter als Zeugen im Unter-

Martina Renner






(A) (C)



(B) (D)


suchungsausschuss gehört, dessen Aufgabe es war, die
Abteilung TA zu kontrollieren, wenn man so will, die
Aufsicht auszuüben .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ein Mann!)


Zwischen 2013 und 2015 – ich sage es Ihnen – fand sich
da zum Thema Selektoren relativ wenig .

Innerhalb des Bundesnachrichtendienstes entwickel-
ten sich über Jahre hinweg auch völlig abstruse Rechtsin-
terpretationen . Die berühmteste ist die Weltraumtheorie,
die auch durch die Medien geisterte . Ich glaube, das alles
waren Interpretationen des geltenden Rechts mit einem
einzigen Ziel, sich nämlich des Ballasts des deutschen
Rechts zu entledigen .

Wir haben eklatante organisatorische Missstände in
der Abteilung Technische Aufklärung festgestellt . Wir
haben bis tief in diese Legislaturperiode hinein eine In-
formationspolitik des Bundeskanzleramts gehabt, zu der
man in Bezug auf die Aufarbeitung dieser Missstände sa-
gen kann: Das war alles andere als proaktiv .

Meine Damen und Herren, ich denke, dass die sozi-
aldemokratische Fraktion die einzige Fraktion in diesem
Hause war, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt die richti-
gen Schlüsse aus dieser unerträglichen Situation gezogen
hat .


(Beifall bei der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren Sie ganz, ganz allein!)


Wir haben im Sommer 2015 ein Eckpunktepapier auf
den Tisch gelegt, in dem nicht nur die damals bekannten
Mängel klar benannt worden sind; wir haben auch kon-
krete Lösungsvorschläge vorgelegt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von denen ist wenig übrig geblieben! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr seid so toll!)


Wir hätten uns gewünscht, dass die anderen sich mit Vor-
schlägen beteiligen; aber da gab es nichts,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von uns!)


obwohl die Erkenntnisse auf dem Tisch lagen . Man war
unisono die Meinung: Lassen Sie uns doch abwarten, bis
der Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht
vorlegt! – Für uns war klar: Der Abschlussbericht wird
mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Ende der Legis-
laturperiode zusammenfallen . Ob dann irgendeine Emp-
fehlung in der nächsten Legislaturperiode aufgegriffen
wird, das steht in den Sternen . – Deswegen haben wir ge-
sagt: Wir gehen bereits, wenn die Erkenntnisse auf dem
Tisch liegen, mit einem Eckpunktepapier an die Öffent-
lichkeit . Ich sage heute sehr deutlich: Dieses Eckpunkte-
papier war die Blaupause für die aktuelle Reform .

Meine Damen und Herren, für uns war völlig klar,
dass ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar ist, insbe-
sondere nicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des Bundesnachrichtendienstes; denn bei aller Kritik:
In Zeiten zunehmender terroristischer Bedrohungslagen

brauchen wir einen effizient arbeitenden Auslandsnach-
richtendienst. Effizient arbeiten kann ein Auslandsnach-
richtendienst nur dann, wenn er auf dem Boden rechts-
staatlich abgesicherter Legitimität arbeitet . Hierfür legen
wir heute die Grundlagen .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte einige Punkte ausdrücklich erwähnen:
Jede Datenerfassung muss in Zukunft dem Auftragsprofil
der Bundesregierung für den BND entsprechen . Wir le-
gen heute Standards für den Schutz von EU-Bürgern und
EU-Institutionen fest und stellen diese insoweit Deut-
schen gleich . Ich möchte das deswegen betonen, weil
das europaweit, weltweit einmalig ist . Wir haben nach
Snowden eine tolle Debatte in Deutschland erlebt . Sie
war ein Stück weit heuchlerisch; denn wir haben festge-
stellt, dass wir zum Teil ebenso wie alle anderen Dienste
dieser Welt allenfalls die eigenen Bürger schützen, dass
es aber keine Standards für Ausländer gibt . Diese Situ-
ation entschärfen wir mit der Verabschiedung des heute
vorliegenden Gesetzentwurfs zumindest für EU-Bürge-
rinnen und -Bürger . Ich glaube, das ist ein riesengroßer
Schritt .

Wir verbieten ausdrücklich Wirtschaftsspionage .
Wirtschaftsspionage wird verboten . Ich glaube, das ist
für ein Land wie Deutschland existenziell .

Kooperationsvereinbarungen mit anderen Diensten
müssen in Zukunft dem PKGr vorgelegt werden . Auch
hier haben wir eine Dunkelkammer gehabt . Da wird in
Zukunft erheblich mehr Licht reinkommen . Das PKGr
wird in Zukunft in Bezug auf alle Kooperationen infor-
miert werden .

Ich wurde in den letzten Wochen oft gefragt: Kann
man einen Geheimdienst überhaupt kontrollieren? Passt
ein Nachrichtendienst überhaupt in eine parlamentari-
sche Demokratie?


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Gute Frage!)


Ich sage: Ja, nämlich dann, wenn wir sicherstellen, dass
er rechtsstaatlich legitimiert ist . Für eine rechtsstaatliche
Legitimation müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
Es darf keinen einzigen Tätigkeitsbereich des Dienstes
geben, der nicht durch klare Rechtsgrundlagen bestimmt
ist, und es darf keinen Tätigkeitsbereich geben, der nicht
einer starken parlamentarischen Kontrolle unterliegt .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und er darf nicht lügen!)


Für diese beiden Voraussetzungen schaffen wir mit die-
sem Gesetz die Grundlagen . Ich denke, da kann man bei
einiger Kritik im Detail durchaus sagen: Das ist ein mu-
tiger Schritt nach vorne . Herr Ströbele, auch Sie müssen
sagen, dass zu Beginn dieser Legislaturperiode wahr-
scheinlich keiner darauf gewettet hätte, dass uns das ge-
lingt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)


Christian Flisek






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819703100

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Konstantin

von Notz, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungs-
gerichts Papier, die OSZE-Beauftragte für die Freiheit
der Medien, die deutschen Presseverbände – Presserat,
Verbände der Journalisten, Zeitungsverleger, Verdi, ARD
und ZDF –, der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen
Bundestages, die drei zuständigen UN-Sonderberichter-
statter, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen,
verschiedenste namhafte Verfassungsrechtler, vor allen
Dingen die, die in unserer Anhörung waren – all diese
Fachleute sagen: Das Gesetz, dessen Entwurf Sie heute
hier vorlegen, ist verfassungswidrig . Verfassungswidrig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819703200

Herr Kollege von Notz, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Binninger?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Binninger, Sie reden gleich; aber bitte . Ja .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das verlängert deine Redezeit!)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819703300

Herr Kollege, ich weiß, dass ich gleich selber spreche .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist gut, dass Sie das wissen .


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819703400

Sie beklagen sich immer, dass Sie zu wenig Redezeit

haben; jetzt haben Sie etwas mehr .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke .


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819703500

Da dieser Punkt nicht Teil meiner Rede ist, Sie ihn

aber gerade angesprochen haben, möchte ich etwas zu
den Sachverständigen sagen, die angeblich alle so har-
sche Kritik geübt haben .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt hier „angeblich“?)


Es stimmt, es gab in Teilen Kritik, auch deutliche .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja .


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819703600

Aber man darf in der Öffentlichkeit nicht das Bild er-

zeugen, das Sie gerade erzeugt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Eva Högl [SPD]: Genau!)


Ich will Ihnen ein paar Formulierungen von verschie-
denen Sachverständigen zu diesem Gesetzentwurf aus
der Anhörung bzw . den Gutachten vorhalten und Sie fra-
gen, wie Sie die bewerten . – Der Sachverständige Bäcker
sagte: Unabhängig vom Inhalt eine bemerkenswerte
Leistung, dass der Bundestag das unternimmt .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann der Sachverständige Wetzling: Ein Reformpaket,
das dem BND Rechtssicherheit gibt . – Der Sachverstän-
dige Wolff: Hut ab! Da können die anderen Länder sich
eine Scheibe abschneiden . Das ist erst einmal nachzuma-
chen . – Und der Sachverständige Graulich: Dieser Ge-
setzentwurf führt das BND-Gesetz – –


(Zurufe von der LINKEN)


– Es scheint ja schlimm zu sein, wenn man die Fakten
vorgehalten bekommt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt seien Sie mal nicht so empfindlich, Herr
Binninger .


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819703700

Es scheint wirklich schlimm zu sein, wenn man die

Fakten vorgehalten bekommt .

Das letzte Zitat, vom Sachverständigen Graulich, zu
diesem Gesetzentwurf – Sie haben eben andere zitiert –:
Dieser Gesetzentwurf führt das BND-Gesetz „insge-
samt auf ein bislang nicht vorhanden gewesenes Niveau
von systematischer Klarheit sowie Regelungsdichte im
Einzelfall“ . – Das waren die Positionen . Ich würde Sie
bitten, diese Positionen, auch wenn Sie sie nicht mögen,
zumindest nicht ganz auszublenden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zunächst einmal, Herr Binninger: Ihre Empfindlich-
keit scheint sehr hoch zu sein, wenn Sie es bei einer
Redezeitverteilung von 80 : 20 nicht aushalten, dass die
Opposition eine Minute Ihren großartigen Gesetzentwurf
kritisiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Zwischenfragen sind doch das Salz in der Suppe! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: War das die Antwort?)





(A) (C)


(B) (D)


– Bleiben Sie ruhig stehen, Herr Binninger!


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ich dachte, das war die Antwort!)


– Nein . Seien Sie geduldig!

Natürlich haben Sie Sachverständige benannt, die Ih-
ren Gesetzentwurf nicht nur in Bausch und Bogen verur-
teilt haben . Nicht nur!


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!)


Herr Graulich hat Ihnen ja schon Gefälligkeitsgutachten
zu den NSA-Selektoren geschrieben .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also: Ihre Gutachter sind unabhängig, unsere nicht? Das ist billig!)


Aber der Kollege Bäcker, den Sie angesprochen haben,
hat Ihnen klipp und klar gesagt – so wie alle anderen,
die ich eben zitiert habe, wie der ehemalige Präsident
des Bundesverfassungsgerichts Papier –: Der von Ihnen
vorgelegte Gesetzentwurf ist verfassungswidrig . – Daran
kommen Sie nicht vorbei . Das ist bitter . Nehmen Sie es
hin!

Sie reden von großartigen Blaupausen wie vorhin der
Kollege Flisek . Frau Warken erklärt das zu einem euro-
päischen Projekt . Das zeigt, wie grotesk die Selbstwahr-
nehmung der Großen Koalition inzwischen ist, meine
Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Aber das mit dem Gefälligkeitsgutachten nehmen Sie zurück, Herr von Notz! – Burkhard Lischka [SPD]: Sie laufen wirklich durch einen dunklen Tunnel! Da muss Ihnen jemand das Licht anknipsen!)


Vor mehr als drei Jahren veröffentlichte Edward
Snowden Unterlagen zum globalen System der anlass-
losen Massenüberwachung . Im Bundestagswahlkampf
kamen bald unangenehme Fragen auf: Was weiß die
Bundesregierung davon? Sind deutsche Dienste in die-
ses System involviert? Werden Bürger und Unterneh-
men ausreichend geschützt? – Diese Fragen kamen dem
Bundeskanzleramt sehr ungelegen, weil ja Bundestags-
wahlkampf war, und die Antworten von Frau Merkel und
Herrn Pofalla lauteten: Das ist ja alles ungeheuerlich .
Davon wissen wir gar nichts . Ausspähen unter Freunden,
das geht gar nicht . Sollte etwas davon stimmen, dann ha-
ben wir damit nichts zu tun . Deutsche Bürger und Unter-
nehmen werden geschützt . Niemand muss sich sorgen,
und falls doch: Wir verhandeln – das versprechen wir –
ein No-Spy-Abkommen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Alles super!)


Nach drei Jahren Untersuchungsausschuss wissen
wir: All das entsprach nicht der Wahrheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die deutschen Geheimdienste sind zentraler und wich-
tiger Akteur in der Überwachungsmaschinerie der Five-
Eyes-Staaten . Die von ihnen eingesetzten Systeme und
Programme sind identisch mit denen der USA, wie sich
aus den Snowden-Unterlagen ergibt . Anlasslos und mas-
senhaft werden auch vom Bundesnachrichtendienst glo-
bal Daten erfasst . Diese Daten werden mit Millionen von
Selektoren gerastert, und 90 Prozent dieser Selektoren
haben rein gar nichts mit Terrorismus zu tun .

Durch den weitreichenden Datenaustausch unterein-
ander läuft die Kontrolle leer . Ausspähen unter Freunden,
das geht volle Kanne . Das ist die Wahrheit beim BND .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Ganze ist auch noch Baustein eines Drohnenkrieges,
an dem Deutschland über diesen Datenaustausch betei-
ligt ist .


(Nina Warken [CDU/CSU]: Ohne Nachweis!)


All das wurde an den Kontrollgremien vorbei organisiert .
Sie wurden belogen und hinter die Fichte geführt . So ha-
ben Sie die digitale Welt zum grundrechtsfreien Raum
erklärt . Dieser Zustand, an dem die deutschen Dienste
beteiligt sind, dauert bis heute an . Das ist inakzeptabel,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Obwohl wir das alles wissen, zeigen Sie bis heute mit
dem Finger in Richtung USA und legen den Entwurf
eines Gesetzes vor, das die Probleme verschärft: Er ist
voller unklarer Rechtsbegriffe. Sie geben darin die Be-
schränkung der Fernmeldeüberwachung auf und trauen
sich nicht, Artikel 10 auch nur anzusprechen . Aufgrund
der mangelhaften und völlig disfunktionalen Filter, die
wir haben, verletzen Sie seit über zehn Jahren die Grund-
rechte von Millionen von Deutschen, und zwar täglich .
Auch daran ändern Sie nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es stimmt: Wir brauchen effiziente, gute und moder-
ne Geheimdienste, und gerade der Auslandsnachrichten-
dienst muss funktionieren . Aber er muss vor allen Din-
gen rechtsstaatlich sein .


(Beifall der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Grund- und Menschenrechte unserer Verfassung sind
kein Störfaktor beim Kampf gegen den Terrorismus, son-
dern die Grundlage dafür .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Neben all dem Streit, der in dieses Haus und zu je-
der guten Demokratie gehört, ist es etwas irritierend,
wie verbohrt Ihre Selbstwahrnehmung ist . Die Anhörung

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


zu diesem Gesetzentwurf war für Sie ein Desaster, Herr
Binninger .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor allen Dingen nach dem letzten Kommentar! Lesen Sie das noch einmal nach!)


Sie ignorieren, dass Ihnen die zuständige Kontrollbehör-
de, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit, ein verheerendes Zeugnis für den
Bundesnachrichtendienst ausgestellt hat . Alles ist klipp
und klar verfassungswidrig . Diese Praxis wollen Sie hier
legalisieren . Das ist inakzeptabel . Sie werden beklagt:
von der unbequemen Opposition, aber auch von der
G-10-Kommission . Seit neuestem werden Sie vom größ-
ten Internetknotenpunkt, dem DE-CIX, beklagt, gestützt
auf ein Gutachten von Herrn Professor Papier .

Drei Jahre nach Snowden haben wir ein handfes-
tes Legitimationsproblem . Das desaströse Ansehen des
BND kann man eben nicht bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern abladen . Die Verantwortung trägt die Po-
litik . Deswegen wäre es Aufgabe dieses Parlaments, zu
zeigen, dass wir aus der Vergangenheit lernen und diese
Fehler korrigieren . Dazu leisten Sie keinen Beitrag . Ich
prophezeie Ihnen: Dieses Gesetz wird vor dem EuGH
und vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern . Des-
wegen ist heute ein schlechter Tag für die Arbeit der
Geheimdienste, für den Deutschen Bundestag sowie für
unseren Rechtsstaat und die Demokratie . Das ist sehr be-
dauerlich .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819703800

Vielen Dank . – Der Kollege Clemens Binninger hat

jetzt Gelegenheit, seine Ansichten dazu darzulegen . Aber
ich darf ihn bitten, das im Rahmen der vorgegeben Re-
dezeit zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819703900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege von Notz, ich hätte mir gewünscht, dass
wir bei einer so wichtigen Debatte über die Regelung ei-
ner schwierigen Materie, bei der es keine einfachen und
schnellen Antworten gibt,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unbestritten!)


einen politischen Streit in der Sache hätten führen kön-
nen . Stattdessen gab es eine Aneinanderreihung von
Polemik und selektiver Wahrnehmung . Das trägt nichts
dazu bei, aber auch gar nichts .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es stimmt: Vor drei Jahren hat dieses Thema durch die
Enthüllungen von Snowden Bedeutung gewonnen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Dann kam die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschus-
ses, in dem Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen
bewundernswerte Arbeit leisten . Dann kam die Arbeit
der Taskforce des Parlamentarischen Kontrollgremiums,
die die Selektorenpraxis des BND untersucht hat .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Dann konnte und musste man kritisieren, weil vieles
nicht in Ordnung war . Man durfte, wenn man wollte,
„Skandal“ schreien . Das bleibt jedem selbst überlassen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war so! Das war ein Skandal!)


Ich bin da immer etwas differenzierter. Aber kritisieren
musste man .

Drei Jahre danach wäre es jedoch angebracht, sich
nicht mehr krampfhaft an den Sommer 2013 zu erinnern
und nicht dauernd zurückzublicken, sondern zu fragen:
Wohin führt der Weg jetzt? Was tun wir, damit sich diese
Dinge nicht wiederholen? Wie schaffen wir einen guten
Rechtsrahmen für den BND? – Das wäre der Schwer-
punkt einer guten Debatte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Skandal dauert an! Jetzt, heute noch, wenn wir hier sitzen!)


– Ganz ruhig .

Ich benenne die Kritikpunkte:


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann jetzt!)


eine unzureichende Kontrolle durch das Kanzleramt in
der Vergangenheit – das haben wir auch als PKGr ge-
sagt –,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eben der TOP!)


fehlende Richtlinien und Anweisungen für die Umset-
zung der technischen Aufklärung und eine Rechtsgrund-
lage, Herr Kollege von Notz, die fast nichts verboten hat,
weil sie generalklauselartig war und es deshalb immer
Auslegungssache war . Das war der Grund .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab keine Rechtsgrundlage!)


Die Mitarbeiter haben sich nicht per se rechtswidrig ver-
halten . Sie waren in der ganz unglücklichen Situation,
dass es nur einen Paragrafen gab, nach dem Motto: Wenn
es euch hilft, dürft ihr alles . – So kann man das zusam-
menfassen . Das hat sie in diese Problemlage gebracht .

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


Das korrigieren wir, indem wir eine präzise Rechtsgrund-
lage geben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wussten, dass das rechtswidrig war!)


Der vierte Kritikpunkt ist eine unzureichende parlamen-
tarische Kontrolle . Dazu haben wir unter dem ersten TOP
einen Beschluss gefasst und etwas geändert .

Wir reformieren das BND-Gesetz . Ich habe vorhin
aus gutem Grund die Sachverständigen genannt . Ja,
sie haben auch Kritik geübt, vor allen Dingen an zwei
Punkten: zum einen am unabhängigen Gremium, das die
Selektorenpraxis überprüfen soll . Alle haben gesagt: Ver-
fassungsrechtlich ist das unproblematisch . Man kann es
aber so oder anders sehen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist das Letzte!)


Einige Sachverständige fragten auch: Warum zitieren Sie
nicht Artikel 10?


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum zitieren Sie denn nicht Artikel 10, Herr Binninger?)


Aber nennen Sie mir bitte, bevor Sie hier ein Szenario
malen, das den Eindruck erweckt, dass in diesem Land
alles drunter und drüber geht – das Gegenteil ist der
Fall –, ein Parlament auf der Welt, das sich so intensiv
mit solchen Vorgängen befasst!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nennen Sie mir eine Regierung auf dieser Welt, die ein
Gesetz für ihren Nachrichtendienst vorgelegt hat!


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die USA! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: USA!)


Nennen Sie mir ein Parlament, das genauso die Konse-
quenzen gezogen hätte wie wir! Nennen Sie es! Es gibt
keines . Dann haben wir, glaube ich, einen guten Job ge-
macht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Seit Wochen bitten wir euch darum!)


Herr Kollege von Notz – über diese sehr anspruchs-
volle Rechtsfrage würde ich gerne eine Diskussion füh-
ren –, gilt Artikel 10 – unser Fernmeldegeheimnis – auch
in einer Krisenregion wie Rakka, wo der IS herrscht? Da-
rum geht es doch .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Gilt er auch in Frankreich? – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt der auch im Élysée-Palast?)


Bei der Auslandsüberwachung geht es darum, dass der
BND – eine andere Chance hat er nicht – Datenströme
zwischen zwei ausländischen Gesprächspartnern im

Ausland bzw . in einer Krisenregion analysieren können
muss . Wie wollen wir denn Terrorverdächtige entdecken,
wenn nicht so? Deshalb brauchen wir die in Rede stehen-
de Maßnahme .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819704000

Herr Kollege Binninger, gestatten Sie jetzt eine Frage

des Kollegen von Notz?


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819704100

Alles andere hätte mich überrascht . Ich gestatte sie

natürlich .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaube, das war abgesprochen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819704200

Das ist dann die Verlängerung Ihrer Redezeit .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Absprache wird jetzt offenkundig, Herr Kolle-
ge Binninger .


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819704300

Irgendwann kommt’s raus .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich tue Ihnen den Gefallen . – Sie haben von Rakka ge-
redet . Der Kollege Flisek hat vorhin meiner Ansicht nach
unzutreffend gesagt, die Europäer wären nun geschützt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ja, sicher!)


Ist es denn so, dass europäische Selektoren nicht mehr
gesteuert werden können? Schließen Sie das aus? Es gab
kein einziges europäisches Land, das nicht betroffen war.
Sagen Sie, dass das in Zukunft nicht mehr der Fall ist?
Geht Ausspähen unter Freunden nicht mehr, oder geht es
doch durch dieses Gesetz unter bestimmten Vorausset-
zungen? Dann bekennen Sie sich auch dazu, und reden
Sie nicht von Rakka .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Flisek [SPD]: Europäische Terrorverdächtige werden wir nach wie vor überwachen, genauso wie wir es bei deutschen machen!)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819704400

Herr Kollege von Notz, natürlich geht es im Schwer-

punkt um Krisenregionen wie Rakka, wo der IS sein Ter-
rorregime etabliert hat .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht Ausspähen unter Freunden?)


Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


Wir schließen im Gesetz aus, dass europäische Bürger
davon betroffen sind, es sei denn, es handelt sich um Ter-
rorverdächtige . Wir garantieren doch keine Immunität .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Viele Terrorverdächtige kommen doch aus Europa .
5 000 IS-Kämpfer stammen aus Europa . Diese wollen
Sie als Grüne doch nicht ernsthaft schützen . Oder muss
ich Sie anders verstehen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausspähen unter Freunden geht also nicht?)


Herr Kollege von Notz, Sie können von mir aus auch
sitzen bleiben, obwohl ich die Beantwortung Ihrer Frage
noch nicht beendet habe . Ich sage es trotzdem .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819704500

Herr von Notz, wenn Herr Binninger noch auf Ihre

Frage antwortet, bitte ich Sie, aufzustehen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich stehe hier lange!)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1819704600

Noch einen Satz . Wir schützen EU-Bürger und EU-In-

stitutionen, wenn es um die strategische Fernmeldeauf-
klärung geht . Wenn sich aber EU-Bürger oder jemand
anders dem Verdacht der Proliferation oder des internati-
onalen Terrors aussetzen,


(Christian Flisek [SPD]: Ja, eben!)


dann schützen wir sie nicht . Es wäre doch verrückt, zu
sagen: Ein belgischer Terrorverdächtiger ist geschützt,
nur weil er EU-Bürger ist .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das französische Außenministerium?)


Wir haben hier eine klare und gute Differenzierung gefun-
den . Wenn es Bezüge zum Aufgabenfeld des BND gibt,
kann es im Interesse unserer Sicherheit keinen Schutz
geben . Wenn das aber nicht der Fall ist, sind EU-Bürger
geschützt . Das ist ein gewaltiger Schritt nach vorne .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden wieder nur von Terror! Das ist unseriös! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist die Faktenlage!)


– Über Terror zu reden, ist sicherlich nicht unseriös, Herr
Kollege von Notz .

Analog zum Kollegen Schuster, der vorhin einen flot-
ten Spruch gemacht hat: Einerseits hätten Sie von den
Grünen gerne leistungsfähige Nachrichtendienste .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechtsstaatlich!)


Andererseits müssen Sie bei Ihrer Community Radau
machen und sagen: Das alles ist ganz schlimm . – Den
Nutzen aus der Arbeit der Nachrichtendienste hätten Sie

schon gerne . Sie trauen sich nur nicht, das so richtig zu
sagen . Was Sie da machen, ist für mich Heldentum nach
Ladenschluss .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechtsstaat!)


Sie behaupten, dass wir nun Dinge erlauben, die vor-
her verboten waren . Das stimmt einfach nicht .


(Martina Renner [DIE LINKE]: Natürlich!)


Ich kann nur jedem empfehlen, insbesondere Ihnen, Frau
Renner: Legen Sie die beiden Gesetzentwürfe nebenei-
nander . Schauen Sie, was zuvor geregelt war . Zuvor gab
es nur einen Paragrafen, eine Generalklausel . Schauen
Sie, was wir nun regeln . Wir regeln nun die Anordnungs-
wege im BND und im Kanzleramt . Es gibt ein Richtergre-
mium, das die Selektoren prüft. Wir haben klare Definiti-
onen, mit denen wir Aktivitäten wie Wirtschaftsspionage
ausschließen . EU-Bürger werden geschützt, und wir ha-
ben einen Paragrafen für den Kernbereichsschutz .

Man kann dann immer noch sagen: Politisch gefällt
mir das nicht . – Einverstanden, dafür sind wir unter-
schiedliche Parteien . Aber zu sagen, jetzt wird erlaubt,
was vorher verboten war, ist Unfug und unseriös . Ich bit-
te Sie wirklich, das zu lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819704700

Vielen Dank . Das war jetzt vorbildlich . – Für die

SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher
das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1819704800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

In dieser Auseinandersetzung um die Nachrichtendiens-
te geht es im Kern um drei Fragen . Die erste: Brauchen
wir Nachrichtendienste? Da sagen wir von den Koaliti-
onsfraktionen uneingeschränkt Ja . Angesichts von mehr
als 1 000 Toten in den letzten Jahren durch Anschläge in
Deutschland und Europa, angesichts der weiterhin hohen
Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus,
zunehmender Cyberattacken, international organisierter
Kriminalität und nicht zuletzt zum Schutz unserer Sol-
datinnen und Soldaten im Ausland können wir auf die
Erkenntnisse der Nachrichtendienste nicht verzichten .

Die zweite Frage ist: Was dürfen diese Dienste? Im
demokratischen Rechtsstaat gilt auch für die Dienste das
Prinzip: Maßnahmen müssen erforderlich, verhältnismä-
ßig und geeignet sein . Dieses Prinzip setzen wir jetzt für
die strategische Fernmeldeaufklärung um . Für die unver-
zichtbare Zusammenarbeit mit anderen Diensten schaf-
fen wir klare Voraussetzungen .

Die dritte Frage: Wer kontrolliert, und ist diese Kon-
trolle effektiv? Auch darüber haben wir vorhin schon dis-
kutiert. Wir schaffen einen ständigen Bevollmächtigten
mit einem Arbeitsstab, der die Mitglieder des Parlamen-

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


tarischen Kontrollgremiums bei ihren Kontrollaufgaben
unterstützt .

Mit beiden Gesetzen, die wir heute beschließen, zie-
hen wir die Konsequenzen aus den durch den NSA-Un-
tersuchungsausschuss, aber auch durch die PKGr-eige-
nen Untersuchungen aufgedeckten Fehlentwicklungen
der letzten Jahre. Wir schaffen mit dem Gesetz zur Aus-
land-Ausland-Fernmeldeaufklärung klare Regelungen
für den Bundesnachrichtendienst . Wir verbieten Wirt-
schaftsspionage, wir schützen alle EU-Bürger und -In-
stitutionen, wir schaffen die Voraussetzung für effektive
Kontrolle und definieren die Verantwortlichkeiten. Damit
sind wir Vorreiter . Kein anderes Land in Europa, ja welt-
weit, hat bisher solche gesetzlichen Regelungen für seine
Dienste .

Was die Verfassungsmäßigkeit anbetrifft, die von Ih-
nen, Herr von Notz, und einigen Organisationen ange-
zweifelt wird – Sie haben sie alle genannt –,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Von Sachverständigen!)


so sehen wir dem gelassen entgegen . Die Verfassungs-
mäßigkeit stellen nicht die Grünen oder die Linken fest,
sondern das Bundesverfassungsgericht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Bundesverfassungsgericht wird darüber entscheiden
müssen, wie weit das Grundgesetz und damit auch Arti-
kel 10, das Fernmeldegeheimnis, geht .

Wenn man die Notwendigkeit von Nachrichtendiens-
ten bejaht, dann muss man auch dafür sorgen, dass sie
personell, technisch und finanziell so ausgestattet sind,
dass sie ihren Beitrag zur Sicherheit der deutschen Bür-
gerinnen und Bürger im In- und Ausland leisten können .
Auch dafür sorgt die Koalition im Haushalt 2017 .

Mit den Gesetzen zur Fortentwicklung der parlamen-
tarischen Kontrolle und der Fernmeldeaufklärung des
BND schaffen wir mehr Rechtssicherheit, mehr demo-
kratische Kontrolle und für die Zukunft weniger Anlass
zu Skandalisierungen . Ich bitte Sie um Zustimmung .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819704900

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist jetzt die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1819705000

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heu-
te wollen wir aus der Aufklärungsarbeit im NSA-Un-
tersuchungsausschuss und auch im Parlamentarischen
Kontrollgremium unsere Konsequenzen ziehen und die
weitreichendste Reform des BND-Gesetzes seit Jahr-
zehnten beschließen . Mit den heute verabschiedeten Ge-
setzen stärken wir die parlamentarische Kontrolle, wir

verbessern die Regierungsaufsicht, und wir sorgen für
mehr Rechtssicherheit für den BND; denn Rechtssicher-
heit und Kontrolle schaffen auch Vertrauen.

Nachdem ich vorhin wieder einmal vernommen habe,
dass man von einem desaströsen Ansehen des BND ge-
sprochen hat, möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich be-
danke mich heute ganz herzlich bei allen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern unserer Nachrichtendienste, auch
des BND, für ihre Arbeit und möchte es nicht zulassen,
dass sie unter einen permanenten Generalverdacht ge-
stellt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die parlamentarische Kontrolle unserer drei Nach-
richtendienste haben wir bereits mit der vorhin beschlos-
senen Reform des PKGr-Gesetzes massiv gestärkt . Die
nun vorliegende Reform des BND-Gesetzes stellt die
Überwachung von Ausländern im Ausland von Deutsch-
land aus auf eine völlig neue Rechtsgrundlage; denn der
BND agierte hier bisher in einer rechtlichen Grauzone .
Wir haben das immer wieder gehört, als wir im NSA-Un-
tersuchungsausschuss sowohl Rechtsexperten als auch
verantwortliche Mitarbeiter in den Behörden – auch ver-
antwortliche Juristen dort – angehört haben .

Wenn wir feststellen, dass Rechtsunsicherheit besteht,
ist es Aufgabe der Politik, Rechtssicherheit zu schaffen.
Das tun wir mit diesem Gesetz . Wir sind das einzige
Land, das Konsequenzen aus den Skandalen zieht, die
auch durch die Enthüllungen von Edward Snowden auf-
gedeckt wurden . Auch das will ich an dieser Stelle sagen:
Kein anderes Land hat bisher diesen Rechtsbereich gere-
gelt und sich an solche Regelungen herangetraut .

Die Auslandsaufklärung ist für den BND unverzicht-
bar, um Terrorismus, organisierte Kriminalität und die
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen effektiv be-
kämpfen zu können . Auch die Zusammenarbeit mit an-
deren Nachrichtendiensten ist unerlässlich . Dazu werden
wir heute ebenfalls Regelungen verabschieden . Wir ha-
ben gerade in diesen Tagen sowie in den letzten Wochen
und Monaten erlebt, wie wichtig die Zusammenarbeit
mit anderen Nachrichtendiensten ist und dass leistungs-
fähige Nachrichtendienste in Deutschland und Europa
unverzichtbar sind .

Wer Sicherheit anders gewährleisten will, der muss sa-
gen, wie das in der Praxis zuverlässig funktionieren soll .
Aus unserer Sicht kann man Freiheit und Sicherheit nur
mit leistungsfähigen Nachrichtendiensten gewährleisten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Reform legitimiert keine möglichen Rechtsver-
stöße in der Vergangenheit, sondern sie schafft für die
Zukunft klare Regelungen . Das stärkt das Vertrauen in
die Arbeit des BND, und es gibt auch den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern Rechtssicherheit . Der Gesetzgeber
ist gehalten, so zu formulieren, dass wir den wehrhaften
Rechtsstaat sichern und hier auch ein ausgewogenes Ver-
hältnis ausbalancieren .

Wir schaffen ein neues unabhängiges Gremium, das
künftig die Anordnungen kontrolliert. Wir schaffen ein
neues schlankes Anordnungsverfahren, das für klare Ver-

Gabriele Fograscher






(A) (C)



(B) (D)


antwortlichkeiten zwischen dem Kanzleramt und dem
BND sorgt und auch die Regierungsaufsicht verbessert .
Wir formulieren die Kooperation mit fremden Diensten
erstmals aus und stellen sie auf eine Rechtsgrundlage .
Wir regeln die in diesem Zusammenhang bestehende
automatisierte Datenübermittlung, die gemeinsame Da-
tenerhebung . Wir ziehen neue Grenzen für den Einsatz
von Suchbegriffen – auch im Rahmen der europäischen
Kooperation – ein . Wir legen erstmals Speicherfristen
sowohl für die Anordnung als auch für die Daten, die er-
hoben werden, fest .

Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist
wichtig, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der
Zukunft klare Handlungsanweisungen zu geben, wie wir
als Gesetzgeber uns das vorstellen .

Ja, Herr Kollege Notz, Artikel 10 des Grundgesetzes –
da geht es um das Fernmeldegeheimnis – wollen wir
nicht im BND-Gesetz verankern .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht ja schon im Grundgesetz!)


Dazu mag man unterschiedlicher Rechtsauffassung sein,
aber für uns gilt der Geltungsbereich unseres Grundge-
setzes nicht universell, sondern er gilt auf Deutschland
bezogen – auf unser Staatsgebiet, auf die Deutschen und
die Staatsgewalt .

Mit dem neuen § 6 des BND-Gesetzes wird eine ganz
klare Zuständigkeit für das Verbot der Überwachung
Deutscher aufgenommen, es wird eine klare Regelung
im Verhältnis zu den europäischen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern aufgenommen, und es wird eine deutliche
Abgrenzung dieses Gesetzes zum Artikel 10-Gesetz vor-
genommen . Das ist der richtige Weg . Man kann der Auf-
fassung sein, es anders haben zu wollen; aber dass wir
das regeln, ist der richtige Weg .

Ich sehe hier – auch weil wir es gut begründen – kei-
ne Verfassungswidrigkeit . Wenn mir zehn Juristen sa-
gen würden, dass sie das für verfassungswidrig halten,
würden wir, glaube ich, auch andere finden, die sagen
würden: Genau das ist verfassungsgemäß, weil es nicht
willkürlich erfolgt, sondern gut begründet ist .

Wenn ich an die letzten drei Jahre zurückdenke: Wie
oft haben Sie schon „Verfassungswidrig!“ geschrien?
Bis jetzt ist keine einzige Ihrer Klagen, die im Zuge des
NSA-Skandals erhoben worden ist, durchgegangen . Sie
alle sind abgewiesen worden, und ich sehe auch heute
diesem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ganz gelassen
entgegen .

Ich bitte Sie, auch dem BND-Gesetz – dem anderen
Gesetz haben wir schon zugestimmt – zuzustimmen . Ich
glaube, es ist eine gute Reform, es ist eine wichtige Re-
form .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819705100

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetz-
entwurf zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des
Bundesnachrichtendienstes .

Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10068, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf Drucksache 18/9041 anzunehmen . Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koa-
litionsfraktionen bei Ablehnung der Opposition und zwei
Gegenstimmen aus der SPD angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen .

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des
Bundesnachrichtendienstes . Der Innenausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10068, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/9529 und 18/9854 für erle-
digt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Zusatz-
punkte 10 a und 10 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung
des Übergangs vom Erwerbsleben in den
Ruhestand und zur Stärkung von Präven-
tion und Rehabilitation im Erwerbsleben

(Flexi-Rentengesetz)


Drucksache 18/9787

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11 . Ausschuss)


Drucksache 18/10065


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10066

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W .
Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),

1) Anlage 3

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte
Übergänge in die Rente für alle Versicher-
ten erleichtern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller-
Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Flexible und sichere Rentenübergänge er-
möglichen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz-
Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kommunales Ehrenamt stärken – Anrech-
nung von Aufwandsentschädigungen auf
die Rente neu ordnen

Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213,
18/10065

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hier
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen, und bitte
diejenigen Kollegen, die jetzt andere Aufgaben haben,
den Plenarsaal zu verlassen und ihre Gespräche außer-
halb des Plenarsaals fortzusetzen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr . Martin Rosemann, SPD-Fraktion . – Bitte schön .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1819705200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon
bemerkenswert: Nahezu überall, wo man hinkommt und
über das Gesetz zu flexiblen Übergängen diskutiert, sind
die Rückmeldungen positiv . Das gilt vor allem für die
Verbesserungen bei Prävention und Rehabilitation . Der
Erste Direktor der Rentenversicherung Baden-Württem-
berg, Andreas Schwarz, hat in einem Interview mit den
Stuttgarter Nachrichten Folgendes gesagt – ich zitiere –:

Sehr positiv ist auch, dass mit dem Gesetz auch Prä-
ventions- und Rehaleistungen verbessert werden,
damit die Menschen auch in die Lage versetzt wer-
den, länger zu arbeiten . Sehr positiv sehe ich auch
den berufsbezogenen Gesundheitscheck mit 45 .
Es wird nicht mehr nur gewartet, bis jemand einen
Rehaantrag stellt, sondern die Rentenversicherung
kann auf Leute zugehen, die eine Reha brauchen,
sich aber nicht selbst melden .


(Beifall bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Guter Mann!)


Auch bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit
und Soziales am Montag dieser Woche waren die Rück-
meldungen vieler Sachverständiger positiv .

Ich darf Christof Lawall von DEGEMED zitieren:

Das ist intelligente Sozialpolitik, die jetzt auf den
demografischen Wandel reagiert und die richtigen
Akzente setzt und den Rentenversicherungsträgern
auch die Möglichkeit gibt, offensiv mit diesem The-
ma umzugehen .

Alwin Baumann vom „Bündnis Kinder- und Ju-
gendreha“ sagte:

Ich kann Ihnen letztendlich sagen, ich bewerte die-
se Änderung als wirklich historisch – nämlich, dass
Kinder und Jugendliche Erwachsenen gleichgestellt
werden, dass wir eine Pflichtleistung haben, dass
wir die Möglichkeit der Nachsorge haben usw .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Tatsächlich, meine Damen und Herren, Prävention
und Nachsorge werden Pflichtleistungen. Das bedeutet,
dass wir eine Förder- und Unterstützungskette von der
Prävention bis zur Nachsorge bekommen . Wir stärken
Kinder- und Jugendrehabilitation, die auch Pflichtleis-
tungen im SGB VI, also für die Rentenversicherung,
werden. Wir schaffen durch den berufsbezogenen Ge-
sundheitsscheck einen neuen niedrigschwelligen und
individuellen Zugang zu Rehabilitation und Prävention .
Das ergänzt die Zugangswege über den Betrieb . So un-
terstützen wir die Menschen, gesund und fit die Regelal-
tersgrenze zu erreichen .

Meine Damen und Herren, neben der Stärkung von
Prävention und Reha machen wir verschiedene flexi-
ble Ausstiegswege attraktiver . Durch die sogenannte
Opt-in-Regelung können in Zukunft auch bei Bezug
einer Vollrente auch oberhalb der Regelaltersgrenze zu-
sätzliche Rentenanwartschaften erworben werden . Vor
der Regelaltersgrenze machen wir die Teilrente attrakti-
ver und flexibler. Statt bisher in drei starren Stufen ist
die Teilrente in Zukunft stufenlos wählbar . Für den Ein-
zelnen ist es viel leichter, sich in Zukunft den eigenen
Hinzuverdienst auszurechnen . Auch hierfür gibt es posi-
tive Rückmeldungen aus der Expertenwelt . Ich darf noch
einmal Herrn Schwarz in besagtem Interview zitieren . Er
sagt:

Bisher war kaum vermittelbar, wie viel monatlich
hinzuverdient werden durfte, da es individuel-
le Grenzen gab . Jetzt gibt es einen Jahresbetrag –
6 300 Euro –, den man anrechnungsfrei hinzuver-
dienen darf . Wer mehr verdient, muss 40 Prozent
vom Mehrverdienst abgeben . Das ist einfach, trans-
parent und flexibel.

Recht hat der Mann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt in Zukunft einen doppelten Vorteil: Wer als
Teilrentner mehr hinzuverdient, hat unter dem Strich
mehr in der Tasche und später mehr Rente, weil er mehr
Rentenanwartschaften erwirbt und dann noch weniger
Abschläge hat .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich ist klar: In der Umsetzung dieses Gesetzes
muss sich manches noch zurechtrütteln . Wir setzen mit
dem Gesetz wichtige Impulse . Die Politik hat geliefert .
Aber diese Impulse müssen jetzt auch aufgegriffen wer-
den, indem die Möglichkeiten des neuen Reharechts von
allen relevanten Akteuren genutzt werden, indem innova-
tive Modelle für einen besseren und niedrigschwelligen
Zugang erprobt werden, indem Strategien für eine abho-
lende und aufsuchende Reha entwickelt und umgesetzt
werden und indem auch über die Möglichkeiten infor-
miert wird, die dieses neue Gesetz bietet .

Meine Damen und Herren, ich finde, das ist ein wich-
tiger Beitrag dazu, unseren Sozialstaat zu einem stärker
vorsorgenden Sozialstaat weiterzuentwickeln und ange-
sichts von demografischen Veränderungen und immer
rasanter werdenden Veränderungen in der Arbeitswelt
den Sozialstaat besser an individuelle Erwerbsbiografi-
en anzupassen und gleichzeitig die Beschäftigten schon
während des Arbeitslebens zu unterstützen . Wir wissen
aus vielen Umfragen, den meisten Leuten in Deutschland
geht es nach eigener Aussage gut, aber sie haben Angst
vor der Zukunft, auch vor Veränderungen in der Arbeits-
welt . Wir können diese Veränderungen nicht verhindern,
aber wir können sie gestalten, und vor allem können wir
die Leute bei der Bewältigung dieser Veränderungen un-
terstützen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, zum Schluss will ich allen Beteiligten meinen
Dank sagen: dem Ministerium, aber auch den Kollegin-
nen und Kollegen des Koalitionspartners für die kolle-
giale und an der Sache ausgerichtete Zusammenarbeit .
Ich glaube, wir haben mit dem Gesetz zu flexiblen Über-
gängen sehr viel mehr hinbekommen, als uns die meisten
Skeptiker zugetraut haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819705300

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Matthias W . Birkwald .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819705400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Ihr Flexi-Rentengesetz, liebe Koalition, bietet
keine Lösungen für Menschen, die von ihrer Arbeit krank
werden, die unter zu viel Arbeit leiden, die im Niedrig-
lohnsektor zu wenig Rentenansprüche erwerben oder die
im Alter erwerbslos werden .

Herr Kollege Linnemann, die Linke hat nichts dage-
gen, wenn jemand länger arbeiten kann und will, und die
Linke hat auch nichts dagegen, wenn sich manche Men-
schen dadurch mehr Rente erarbeiten .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber die Linke kämpft ganz entschieden dagegen, dass
die Menschen länger arbeiten müssen,


(Beifall bei der LINKEN)


und die Menschen müssen heute länger arbeiten, weil
SPD, Grüne und Union das Rentenniveau abgesenkt ha-
ben, weil Union und SPD diese unsägliche Rente erst ab
67 eingeführt haben und weil sie Möglichkeiten des früh-
zeitigen Ausstiegs, zum Beispiel die Rente für Frauen ab
60, ebenso abgeschafft haben wie die geförderte Alters-
teilzeit . Das, meine Damen und Herren, ist der falsche
Weg .


(Beifall bei der LINKEN)


Viele Menschen können gar nicht länger arbeiten:
nicht bis 63, nicht bis 65 oder 67 und schon gar nicht
bis 69, 70, 73 oder 85 – um einmal all diese Wahnsinns-
vorschläge aus der Union und dem Arbeitgeberlager der
vergangenen Wochen zu nennen . Metallarbeiter müssen
zum Beispiel durchschnittlich im Alter von 60 Jahren aus
ihrem Beruf aussteigen und Gebäudereinigerinnen sogar
schon im Alter von 59 Jahren und 11 Monaten . Die kön-
nen dann nicht mehr . Diese Beschäftigten, liebe Koaliti-
on, lassen Sie komplett im Regen stehen . Für solche hart
arbeitenden Frauen und Männer sollten Sie gute Alters-
übergänge finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem Jahr 2000
haben Sie das Rentenniveau bereits um gut 9 Prozent
gekürzt, und Sie werden es bis 2030 noch einmal um
7,5 Prozent kürzen . Das heißt, die Rente folgt immer we-
niger den Löhnen . Doch damit nicht genug: Erstens . Die
Rente erst ab 67 wird im Jahr 2031 für eine dann 63-Jäh-
rige eine drastische Rentenkürzung von 14,4 Prozent be-
deuten . Zweitens . Die Erwerbsminderungsrenten werden
schon heute im Schnitt um 85 Euro gekürzt .

Ich fordere Sie auf: Streichen Sie die systemwidrigen
Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente, und berech-
nen Sie die Rente so, als wenn die Menschen bis 65 Jahre
durchgehalten hätten .


(Beifall bei der LINKEN)


Das würde kranken Menschen den flexiblen Übergang in
den Ruhestand sehr viel leichter machen .

Weil Sie so nett lächeln, verehrte Frau Ministerin
Nahles: Genau das tun Sie nicht . Ihr Flexi-Rentengesetz
atmet den Geist des Arbeitens bis zum Umfallen .


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


– Sinngemäß habe ich gerade Leni Breymaier, die desi-
gnierte Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württem-
berg, zitiert; das sei nur nebenbei bemerkt . – Darum wer-
den wir ihm auch nicht zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Einzelnen:

Erstens . Wer neben einer vorgezogenen Altersrente ab
63 Jahren bis zu 6 300 Euro im Jahr hinzuverdient, muss
künftig Beiträge in die Rentenkasse einzahlen . Damit er-

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


höht sich dann seine oder ihre Rente, und das ist – Ach-
tung, ich lobe die Regierung – gut .


(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Geht doch!)


Allerdings kann man mit ungefähr 5 Euro Rente mehr im
Monat Altersarmut nicht bekämpfen . Darauf wies übri-
gens, liebe Union, die Sachverständige der Caritas in der
Anhörung hin .

Zweitens . Als Rentnerin oder Rentner kann man schon
heute nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbei-
ten – ohne jede Hinzuverdienstgrenze . Künftig darf man
nach Ihrem Gesetz als arbeitender Regelaltersrentner
auch in die Rentenkasse einzahlen und sich so die eigene
Rente erhöhen; das hat Kollege Rosemann vorgetragen .
Auch das ist gut . Aber ist es auch notwendig? Wer heute
als Rentner nach der Regelaltersgrenze unbegrenzt dazu-
verdienen darf, zahlt weder Arbeitslosen- noch Renten-
versicherungsbeiträge . Sie oder er hat also deutlich mehr
Netto in der Tasche .

Noch attraktiver: Wer bereits heute nach geltendem
Recht erst ein Jahr oder später nach seiner oder ihrer Re-
gelaltersgrenze in die Rente geht, erhält später eine um
fast 9 Prozent höhere Rente . Also, aus 1 000 Euro Rente
werden dann 1 090 Euro Rente – nach nur einem Jahr .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht bekannt,
aber es ist attraktiv genug . Mehr Anreize zum Arbeiten
bis zum Umfallen, Herr Kollege Linnemann, braucht es
nun wirklich nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Richtig zweischneidig wird es bei Reha und
Prävention . Prävention und Nachsorge werden jetzt mit
der traditionellen Rehabilitation gleichgestellt . Schön,
nur: Das nötige Geld dafür geben Sie der Rentenversi-
cherung nicht . Ich sage: Jede und jeder Kranke, die oder
der eine Rehamaßnahme braucht, muss sie auch erhalten .
Darum fordere ich Sie auf: Schaffen Sie den Rehadeckel
ab, und sorgen Sie dafür, dass genug Geld in den Re-
hatopf fließt.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Lawall von der Deutschen Gesellschaft für Me-
dizinische Rehabilitation hat in der Anhörung gewarnt:
Prävention und Nachsorge drohen wegen der begrenzten
finanziellen Mittel gegen andere Leistungen ausgespielt
zu werden . Dazu, meine Damen und Herren, darf es nicht
kommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Sie wollen die Rentenauskunft verbessern .
Das ist gut, aber mehr Informationen helfen niemandem,
wenn sie nicht verstanden werden . Darum fordere ich Sie
auf: Sorgen Sie für Renteninformationen und Rentenaus-
künfte in verständlicher Sprache .


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens . Die Beschäftigten sollen künftig ab 50 Jah-
ren die Möglichkeit haben, zusätzlich und freiwillig Ren-
tenbeiträge einzuzahlen . Warum erst ab 50? Und warum
nur zum Rückkauf der Abschläge? Freiwillige Zusatz-
beiträge sind eine großartige Alternative zur gefloppten

Riester-Rente . Ich fordere Sie auf: Seien Sie nicht hasen-
füßig, und sorgen Sie dafür, dass auch jüngere Menschen
freiwillige Zusatzbeiträge auf ihr persönliches Renten-
konto einzahlen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Sechstens. Sie schaffen bei arbeitenden Rentnerinnen
und Rentnern den Arbeitgeberbeitrag für die Arbeitslo-
senversicherung ab . Damit wird die Beschäftigung von
Rentnerinnen und Rentnern billiger für die Unterneh-
men . Hören Sie auf, Ältere gegen Jüngere auszuspielen,
und verzichten Sie darauf, den isolierten Arbeitgeberbei-
trag zu streichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Siebtens . Die Rentenversicherung und der DGB halten
Ihre Neuregelung der Teilrente für misslungen . Ich halte
sie für katastrophal . Die sogenannte Spitzabrechung ist
extrem kompliziert . Das wird niemand verstehen .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist nicht das Einzige, was Sie nicht verstehen!)


Das wird zu großem Unmut bei den Teilrentnerinnen und
Teilrentnern führen . Viele von ihnen werden nämlich re-
gelmäßig Rente zurückzahlen müssen; denn ihre Renten-
bescheide werden Jahr für Jahr wieder aufgehoben und
die Rente neu berechnet werden müssen . Irre!

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein gu-
tes Gesetz . Die Linke hingegen hat einen guten Antrag
vorgelegt .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Das ist jetzt aber überraschend!)


Wir fordern: Alle Versicherten sollen wieder ab 65 ohne
Abschläge in Rente gehen dürfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Nach 40 Beitragsjahren, also nach 40 Jahren Arbeit und
Kindererziehung, muss man schon ab 60 abschlagsfrei in
Rente gehen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann hätten wir altersgerechte Übergänge in die Rente .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819705500

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Carsten

Linnemann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])



Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1819705600

Herzlichen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Wir haben uns fast exakt vor drei Wo-
chen hier getroffen und den vorliegenden Gesetzentwurf
ins parlamentarische Verfahren eingebracht . Vor einigen
Tagen fand eine entsprechende Sachverständigenanhö-

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


rung statt . Herr Rosemann hat sich eben auf die Themen
Prävention und Rehabilitation bezogen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der einzige Lichtblick! Sonst ist da ja nichts!)


Ich möchte Zitate aus der Anhörung wiedergeben, die
sich auf das Thema längeres Arbeiten beziehen und die
belegen, dass es attraktiv ist, im Renteneintrittsalter zu
arbeiten . Die Deutsche Rentenversicherung sagt: Wir
werden mit dem neuen Gesetz „sicherlich einen Anreiz
bekommen, jenseits der Regelaltersgrenze länger zu ar-
beiten“ . Die BDA, die Bundesvereinigung Deutscher
Arbeitgeberverbände, sagt: „Auf jeden Fall hat dieses
Gesetz Potenzial, das Denken der Menschen und ein
längeres Arbeiten zu fördern .“ Der ZDH, der Zentralver-
band des Deutschen Handwerks, hat über die neue Teil-
rente gesagt, dass die neue Teilrentenregelung auf jeden
Fall besser sei als die alte . Die Caritas hat die Prävention
gelobt . Kerstin Griese – sie ist keine Sachverständige,
sondern die Ausschussvorsitzende – hat zum Schluss ge-
sagt: So viel Lob haben wir selten gehört .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Mast [SPD]: Als Sachverständige!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Birkwald, ich
will gar nicht verhehlen, dass es in der Anhörung auch
Kritik gab, zum Beispiel in Bezug auf die eben genann-
te Spitzabrechung . Aber ich muss sagen: Ich habe selten
eine Anhörung erlebt, die so positiv war, auch was die
Zielsetzung angeht – das müssen auch Sie zugeben; Sie
sind ja auch schon ein paar Jahre im Parlament –, und
deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir heu-
te ein Gesetz beschließen werden, das gut ist für unser
Land . Es ist richtig, dass wir dies tun werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819705700

Herr Kollege Linnemann, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Birkwald?


Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1819705800

Zum Schluss, nicht während der Rede; nein, danke .

Herr Birkwald hat eben gesprochen . Herr Birkwald, ich
sage sofort noch etwas zu Ihrer Rede, dann können Sie
im Anschluss gern erwidern .

Natürlich wird dieses Gesetz – das muss man frank
und frei zugeben – keine Wunder bewirken . Natürlich ist
es ein erster Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel .
Alter neu denken – ich denke, es muss das Ziel sein, dass
die Menschen die Freiheit haben, selbst zu entscheiden,
wann Schluss ist und wann nicht . Dafür haben wir drei
Dinge umgesetzt .

Erstens den arbeitsrechtlichen Teil: dass es in Zukunft
erlaubt ist, befristete Verträge im Rentenalter zu verab-
schieden . Das gilt schon seit einiger Zeit, und es gehört
auch zur Flexirente .

Zweitens – Herr Rosemann hat es angesprochen –,
dass diejenigen, die länger arbeiten, ihre Rente durch die
zusätzliche Arbeit erhöhen können; dafür arbeiten sie ja .

Im Moment geht das noch nicht . Die meisten Menschen
wollen Rente beziehen und zusätzlich arbeiten . Im Mo-
ment zahlen die Arbeitgeber Beiträge, die kommen in
einen großen Topf und sind weg . In Zukunft gibt es zu-
sätzliche Rentenerhöhungen für zusätzliche Arbeit .

Drittens . Die Deutsche Rentenversicherung wird neu
und besser über die Möglichkeiten des längeren Arbei-
tens informieren . Im Moment ist es leider noch so – es
ändert sich gerade –, dass die Rentenversicherung so tut,
als ob es gar keine Alternative gebe als die des Renten-
eintritts, und das wird sich jetzt ändern .

Herr Birkwald, wenn Sie sagen, der Geist der Flexi-
rente sei Arbeiten bis zum Umfallen, so muss ich schlicht
sagen, dass das erstens falsch ist, und zweitens irritiert es
mich, weil ich Ihnen nicht zugetraut hätte, dass Sie dieses
Gesetz überhaupt so falsch verstehen können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn bei diesem Gesetz geht es darum, erstens die Men-
schen in die Lage zu versetzen, durch präventive Maß-
nahmen überhaupt länger arbeiten zu können, und zwei-
tens das längere Arbeiten attraktiver zu machen .

Die Menschen – damit muss endlich Schluss sein –
dürfen nicht den Eindruck haben, dass wir ihnen einre-
den, dass es alle nur deshalb machen, um mehr Geld zu
verdienen . Ja, diese wird es geben, aber es geht im Kern
beim längeren Arbeiten um Wertschätzung, um soziale
Teilhabe . Man will nicht zum alten Eisen gehören . Man
will keine Vollbremsung in der Rente, und nicht von hun-
dert auf null .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das kann er ja heute schon! Das gibt es alles schon!)


Diesen Geist müssen wir leben und nicht den Geist der
Linken, dass es hier um Zwangsarbeit geht, sondern es
geht um freiwillige Arbeit im höheren Alter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb muss sich die Rentenpolitik der Zukunft an
zwei Polen orientieren: erstens für diejenigen da sein, die
nicht länger arbeiten können, aus psychischen, körperli-
chen oder welchen Gründen auch immer, zweitens Anrei-
ze zum längeren Arbeiten setzen, damit wir irgendwann
einmal dorthin kommen – weil wir länger leben –, die
Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung zu koppeln .
Die Rentenbezugsdauer beträgt heute 20 Jahre, 1960 be-
trug sie 10 Jahre und 1965 15 Jahre . Heute leben wir
20 Jahre länger .

Eine Gruppe habe ich jetzt nicht angesprochen, die
von diesem Gesetz auch überhaupt nicht tangiert wird:
Das sind beispielsweise die 50- bis 60-Jährigen, die un-
verschuldet in die Arbeitslosigkeit schlittern . Hier haben
wir offenkundig ein Problem, und dazu gibt es auch von
meiner Seite einen Appell an die Wirtschaft, hier ganz
klare Signale zu setzen, dass man den Menschen zwi-
schen 50 und 60 Jahren, die unverschuldet in die Arbeits-
losigkeit geraten sind, eine Chance gibt . Viele wissen
nicht, dass es beispielsweise eine sogenannte 52er-Regel
gibt: dass jene, die mit 52 Jahren in die Arbeitslosigkeit

Dr. Carsten Linnemann






(A) (C)



(B) (D)


gehen, auf fünf Jahre befristete Arbeitsverträge mit den
Arbeitgebern abschließen können .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber Sie schicken sie in die Zwangsverrentung! Das ist die Realität!)


Die Flexirente ist eine Brücke in die Zukunft der Renten-
politik, und ich möchte mich sowohl bei unserer Fraktion
als auch beim Koalitionspartner bedanken . Gerade auf
der Zielgeraden war die Abstimmung konstruktiv . Ich
möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Fraktionen bedanken; ich denke dabei an Thomas
Rogowski und andere .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819705900

Nun hat der Kollege Birkwald die Gelegenheit zu ei-

ner Kurzintervention .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819706000

Vielen Dank, Herr Präsident . Vielen Dank, Herr

Dr . Linnemann . Drei Minuten laut Geschäftsordnung .

Herr Dr . Linnemann, ich zitiere aus der neutralen Zu-
sammenfassung des Bundestagspressedienstes hib: „Ex-
pertenurteil zur geplanten Flexi-Rente“: Die Regelungen
zu Reha und Prävention seien „überwiegend wohlwol-
lend“ . Das haben Sie gesagt . Ich zitiere weiter:

. . . gab es jedoch auch Zweifel, ob durch die geplan-
ten Neuregelungen die verfolgten Ziele, die Alters-
armut zu verringern und den Fachkräftemangel ein-
zudämmen, erreicht werden können .

. . .

Im Gegensatz zur BDA kritisierte Eckehard
Linnemann vom Deutschen Gewerkschaftsbund

(DGB) mangelnde Angebote für jene, die aus ge-

sundheitlichen Gründen oder weil sie keinen Ar-
beitsplatz haben, nicht bis 65 oder 67 arbeiten könn-
ten . . . .

Eine mangelnde Information der Beschäftigten über
jetzt schon vorhandene Möglichkeiten, nach Errei-
chen der Regelalterszeit weiterzuarbeiten . . ., kon-
statierte auch der Einzelsachverständige Professor
Eckart Bomsdorf .

Der Sachverständige der Deutschen Rentenversiche-
rung Bund sagte, die künftigen Regelungen seien „kom-
plexer als bisher“ . Dann wird die Spitzabrechnung – das
kann ich Ihnen gleich noch einmal vortragen – zitiert .

Skeptisch zeigte sich der DRV-Vertreter, ob damit
Altersarmut verhindert werden kann . Um dieses
Ziel zu erreichen, brauche es andere Instrumente,
sagte Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband .

Aus der Sicht von Heinz Landwehr von der Stiftung
Warentest wird alles zu einer „Verschlechterung der Situ-
ation von Teilrentnern führen“ .

Die problematische Fachkräftesituation kann aus
Sicht der Einzelsachverständigen Jutta Schmitz
„nur in sehr kleinem Umfang“ durch die Erwerbs-
beteiligung von Rentnern gelöst werden .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Spricht alles nicht gegen dieses Gesetz!)


Christof Lawall sagte, die „gut durchdachten Änderun-
gen dürften aber schlussendlich nicht an der Finanzie-
rung scheitern“ .

Ich halte fest: Erstens . Hier zu behaupten, in dieser
Anhörung sei dieses Gesetz nur über den grünen Klee ge-
lobt worden, ist hanebüchener Unsinn . Es gab Lob, und
es gab auch sehr viel Kritik .

Zweitens . Ich will Ihnen kurz vortragen, damit alle
hier das einmal mitbekommen, was der Experte der
Deutschen Rentenversicherung gesagt hat:


(Katja Mast [SPD]: Das hättest du in deiner Rede sagen können!)


Es wird ein entsprechender Bescheid erstellt . Am
01 .07 . des Folgejahres werden wir dann prüfen, ob
die Prognose des Zusatzeinkommens übereinstim-
mend mit dem war, was er tatsächlich verdient hat .


(Zurufe von der SPD)


– Ja, das wollt ihr nicht hören .


(Katja Mast [SPD]: Sieben Minuten Redezeit reichten wohl nicht!)


Wenn wir feststellen, dass er zu viel verdient hat,
also die Rente eigentlich niedriger hätte sein müs-
sen, heben wir den Bescheid auf und fordern das
Geld zurück . . . . Wir haben durch die Spitzabrech-
nung sozusagen in jedem Jahr die Aufhebung der
alten Bescheide und eine Erstellung neuer Beschei-
de vor uns .

Ich kann mir gut vorstellen, wie Rentnerinnen und Rent-
ner darauf reagieren .

Zum Arbeiten bis zum Umfallen, Kollege Linnemann:

Leni Breymaier, . . .

– designierte Landesvorsitzende der SPD in Baden-Würt-
temberg –

kämpft gegen die Rente mit 67 .

– So steht es hier wieder falsch .

Arbeiten bis zum Umfallen? Ein Unding, . . . Die
Gewerkschafterin ist dabei, neue Landesvorsitzen-
de der SPD in Baden-Württemberg zu werden, und
kämpft für einen frühen Renteneintritt . „Auch im
Alter gibt es ein Recht auf Faulheit und ein ange-
messenes Auskommen“, . . .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vorgelesen wird auf der Buchmesse in Frankfurt!)


Letzte Bemerkung – meine drei Minuten laufen ab –:
Was Reha angeht, hat sich gestern die designierte Vorsit-
zende der Deutschen Rentenversicherung geäußert .

Dr. Carsten Linnemann






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819706100

Herr Kollege Birkwald, Sie haben zunächst völlig

richtig auf die drei Minuten für eine Zwischeninterven-
tion Bezug genommen . Diese drei Minuten sind bereits
abgelaufen .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819706200

Ich bin gleich beim letzten Satz, Herr Präsident . Ich

bin sofort fertig . Darf ich den Satz zu Ende führen?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819706300

Den Satz dürfen Sie noch zu Ende sprechen .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819706400

Sie hat gestern mitgeteilt, dass die Zahl der Anträge

für Rehamaßnahmen deutlich zurückgegangen ist, auch
bei Krebsbehandlungen, „obwohl die Entwicklung bei
den Erkrankungen entgegengesetzt verlaufe“ .

Zu tun gibt es genug . Handeln Sie!

Danke .


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie reden nur! Wir handeln!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819706500

Herr Kollege Dr . Linnemann, Sie haben jetzt die Gele-

genheit, darauf zu erwidern .


Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1819706600

Herzlichen Dank . – Herr Birkwald, ich kenne in un-

serer Fraktion und auch, wenn ich das sagen darf, in der
Fraktion der Kollegen niemanden, der gesagt hat, dass
wir mit diesem Gesetz Altersarmut verhindern . Darum
geht es überhaupt nicht . Altersarmut verhindern wir, in-
dem wir zum Beispiel die betriebliche Altersvorsorge –
Frau Nahles und Herr Schäuble bringen dies jetzt auf den
Weg – verbessern, indem wir Zuschläge für Geringver-
diener geben . Das sind Konzepte . Die Flexirente hat da-
mit nichts zu tun . Verunsichern Sie nicht die Menschen .

Das betrifft auch einen weiteren Punkt. Auch das
sollten Sie eigentlich wissen, Herr Birkwald . Es irritiert
mich, dass Sie das so darstellen . Die Schreiben der Deut-
schen Rentenversicherung werden nicht vom Deutschen
Bundestag beschlossen und erst recht nicht formuliert .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Eine nachgeordnete Behörde!)


Die Schreiben kommen von der Selbstverwaltung . Da
sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber . Glauben Sie mir,
dass wir mit denen gesprochen haben . Das ist übrigens
der Grund, warum die Formulierungen bereits vor zwei
Jahren geändert wurden . Früher bekam derjenige, der 55
wurde, einen Brief, und in diesem Brief stand: Du musst
jetzt Altersrente beantragen . Heute steht in diesem Brief:
Du kannst Altersrente beantragen, du kannst aber auch,

wenn du willst, länger arbeiten und bekommst zusätzli-
che Zuschläge .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Steht heute schon drin! Genau!)


Das muss doch entscheidend sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Birkwald, wer etwas will, findet Wege. Wer et-
was nicht will, findet Argumente. Das ist die Flexirente.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819706700

Nächster Redner ist jetzt der Kollege Markus Kurth

für Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819706800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen ins-

besondere von der Koalition! Es schien Ihnen ja eine be-
sondere Erwähnung wert gewesen zu sein, dass die An-
hörung so viel Lob für Ihren Gesetzentwurf gebracht hat .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist doch schön!)


Sie haben gesagt, Herr Linnemann und Frau Griese, sel-
ten habe es so viel Lob gegeben . Im Umkehrschluss zeigt
das, welche Qualität im Allgemeinen die Gesetze haben,
die wir im Ausschuss über uns ergehen lassen müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel bei der Leiharbeit!)


Neben den Ausführungen zu den tauglichen Sachen
im Bereich Prävention und Reha gab es sehr wohl eine
Menge Kritik, die gerade der Kollege Birkwald, wenn
auch etwas länglich, dargestellt hat . Die BDA sagt zu
dem Flexi-Rentengesetz, das habe Potenzial . Ich bitte
Sie: Das heißt so viel wie: Wir wissen noch nicht, was da
herauskommt, aber schaden tut es uns auch nicht . Schau-
en wir mal. – Nichts anderes an Qualität, finde ich, hat
diese Stellungnahme .

Bevor wir immer wieder auf diesen Einzelpunkten he-
rumreiten, sollte man sich den heutigen Vormittag einmal
insgesamt ansehen . Wir beraten heute ja nicht nur über
das Flexi-Rentengesetz, sondern wir werden heute den
sozial- und arbeitsmarktpolitischen Vormittag im Deut-
schen Bundestag haben .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das ist sehr gut!)


Wir haben nachher noch ein Gesetz zur Arbeitnehmer-
überlassung, also zur Regelung von Leiharbeit und Werk-
verträgen, und wir werden heute Mittag noch ein Gesetz
zur Ermittlung des Regelbedarfs, zur Bestimmung des
Existenzminimums haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Alle drei Gesetzesvorhaben, das jetzige und die ange-
sprochenen, behandeln ja durchaus wichtige Punkte . Wir
wollen ja, dass angesichts des steigenden Rentenein-
trittsalters, angesichts der steigenden Lebenserwartung
längeres Arbeiten, gesundes Arbeiten möglich ist . Auch
wir Grüne wollen, dass der Missbrauch von Leiharbeit
verhindert wird . Und wir wollen ein menschenwürdiges
Existenzminimum . Es sind also alles drei wichtige zu re-
gelnde Bereiche . Aber in allen drei Bereichen lässt sich
ein Muster erkennen, nämlich dass die Große Koalition
sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt, in der
Sache so gut wie überhaupt nicht vorwärtskommt oder
sogar wie beim Leiharbeitsgesetz Rückschritte in Kauf
nimmt und sogar jahrelangen Expertenrat wie bei der
Sicherung des Existenzminimums einfach in den Wind
schlägt .


(Zuruf von der SPD: Was zu beweisen wäre!)


Das ist das Muster der Großen Koalition, das ich so
fürchterlich finde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Damit schüren Sie – Herr Rosemann, hören Sie mal
zu, auch wenn es Ihnen nicht gefällt – in der Tat eine
gewisse Politikverdrossenheit und Verzweiflung bei den
Leuten . Sie hängen ganz groß Ihre Titel raus: „Flexi-Ren-
tengesetz“, „Wir regeln jetzt die Werkverträge“, aber in
der Substanz passiert nichts .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Der entscheidende Punkt beim Flexi-Rentengesetz
wäre, dass wir schauen, was mit denjenigen Leuten ist –
ich sage es zum x-ten Male von hier aus –, die aus ge-
sundheitlichen Gründen zwar nicht die Erwerbsminde-
rungsrente beantragen können, aber einen abgefederten,
zeitlich reduzierten Übergang in den Ruhestand brau-
chen . Wir Grüne haben vorgeschlagen – das wird ja heute
mit abgestimmt –: zum einen eine Teilrente ab 60, zum
Zweiten, dass wir einen früheren Rückkauf von Abschlä-
gen auch vor dem 50 . Lebensjahr ermöglichen, und zum
Dritten, dass wir für die Gruppe der gesundheitlich be-
sonders beeinträchtigten Beschäftigten nach Wegen su-
chen, wie die Abschläge ausgeglichen werden können . –
Wenn man das zusammen mit den zugegebenermaßen
korrekten Regelungen zu Prävention und Rehabilitation
macht, dann kann man eine größere Akzeptanz für länge-
res Arbeiten bei den Beschäftigten erzeugen, bzw . dann
erfahren diese, dass es reale Möglichkeiten gibt, faktisch
länger zu arbeiten . Dann ist diese ganze Diskussion we-
niger angstbesetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Mast [SPD]: Schade, dass Herr Kretschmann keinen Bundesratsantrag dazu macht!)


Stattdessen merkt man diesem Gesetzentwurf an, dass
er Resultat eines doppelten Koppelgeschäftes ist, zum
einen zur Gesichtswahrung des Wirtschaftsflügels der
Union, die mit der Rente mit 63 ja so unglücklich war
und eigentlich im Sinn hatte, dass man jenseits der Re-
gelaltersgrenze länger arbeiten sollte . Dazu macht dieser

Gesetzentwurf ja faktisch gar nichts . Da haben Sie es
schon einmal billig verkauft . Und der zweite Teil ist das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, worüber wir hier in et-
was mehr als einer Stunde beraten werden . Da haben Sie
einen Deal gemacht: Gibst du mir das, gebe ich dir das .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Ganz schwach!)


Und beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz kommt
auch nichts raus . Übrigens: Die Anhörung – das kann
ich Ihnen sagen – war wesentlich verheerender als die
zum Flexi-Rentengesetz . Meine Kollegin Beate Müller-
Gemmeke wird nachher mit Ihnen noch hart ins Gericht
gehen . Ich kann allen nur empfehlen, sich das anzuhören
und anzusehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Reden Sie doch zu diesem Gesetz! Sagen Sie mal was zu diesem Gesetz! – Katja Mast [SPD]: Sagen Sie was zur Kinderreha!)


Ich möchte, wie gesagt, nicht in Abrede stellen, dass
Sie im Bereich Rehabilitation einiges tun . Beim gesam-
ten Komplex Teilrente versagen Sie aber nicht nur mit
Blick auf die Beschäftigten, die gesundheitlich beein-
trächtigt sind . Eindeutig und im Grunde für Sie nieder-
schmetternd, wie ich fand, war auch die Kritik an den
Anrechnungsregelungen bei der Teilrente . Unser Sach-
verständiger – das können Sie ja nicht ignorieren – hat
gesagt, dass es Einkommensbereiche gibt, in denen sich
die Leute mit ihrer Regelung sogar schlechterstellen als
heute .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Haben Sie einen konkreten Menschen als Beispiel dafür? – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Der andere Punkt, den Matthias Birkwald hier ja auch
schon genannt hat, ist, dass man jedes Jahr wieder sehr
kompliziert neu berechnen muss und dass es im Ender-
gebnis womöglich immer wieder Rückforderungen der
Rentenversicherungen an die Teilrentner gibt .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819706900

Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Rosemann?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819707000

Nein, danke, das möchte ich jetzt nicht . – Ich pro-

gnostiziere, dass wir in zwei Jahren sehen werden, dass
es kaum mehr Teilrentnerinnen und Teilrentner als heute
gibt .

Auch hier haben die Grünen sehr gute Vorschläge
gemacht und gesagt: Die Summe aus Zuverdienst und
Teilrente soll das frühere Gehalt nicht übersteigen . – Das
wäre einfach gewesen; das kann sich jeder einfach aus-
rechnen . Das ist zugänglich und niedrigschwellig . Die-
sem Punkt hätten Sie eigentlich folgen müssen .

Ich hoffe, wir haben in nicht allzu ferner Zukunft die
Gelegenheit, die guten Ideen, die wir haben, auch Gesetz
werden zu lassen .

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819707100

Vielen Dank . – Der Kollege Dr . Rosemann hat jetzt

die Gelegenheit zu einer Kurzintervention .


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1819707200

Lieber Herr Kollege Kurth, ich finde es bemerkens-

wert, dass Sie keine Zwischenfrage zugelassen haben,
aber ich kann mir gut erklären, warum nicht . Sie haben
hier nämlich eine Rede gehalten, bei der es gar nicht um
das Flexi-Rentengesetz ging. Das zeigt, dass Sie offen-
sichtlich Schwierigkeiten hatten, Ihre sieben Minuten
Redezeit mit einer Kritik an dem Gesetzentwurf zu fül-
len .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!)


Sie haben hier ein bisschen über die Anrechnungs-
regelungen bei Teilrenten gesprochen . Ich will Ihnen
einmal sagen: Die Sachverständige Dr . Schubert vom
Zentralverband des Deutschen Handwerks hat zur neuen
Anrechnungsregelung Folgendes gesagt:

Die Stufenlosigkeit der neuen Teilrente ist sehr viel
besser als die aktuelle Herangehensweise mit ein
Drittel, ein Halb und zwei Drittel Teilrente .

Das sagen die Sachverständigen, die sich mit der Praxis
in der Welt offensichtlich sehr viel besser auskennen als
Sie .

Ich will Ihnen auch noch einmal sagen: Selbst bei
Ihrem eigenen Sachverständigen haben Sie ein wenig
Probleme gehabt, herauszukitzeln, was die Kritik ei-
gentlich ist . Ihr eigener Sachverständiger hat von einer
Schlechterstellung nur in ganz wenigen extremen Fällen
gesprochen – übrigens, es gibt einen Bestandsschutz –, in
denen die Betroffenen sehr hohe Renten haben und bis-
her im Bereich der Hinzuverdienstspitzen verdienen . Er
hat wörtlich gesagt:

Im Ergebnis kann man sagen, dass dies vor allem
Versicherte betreffen wird, die eine überdurch-
schnittlich hohe Rente haben und die dann sehr eng
an den jetzigen Hinzuverdienst grenzend verdienen .

Das sind nur sehr wenige Fälle .

Insofern kann ich sagen: Die wenige Kritik, die Sie
hier vorgetragen haben, löst sich bei Lichte betrachtet
doch deutlich auf .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819707300

Herr Kollege Kurth, ich vermute, Sie wollen darauf

erwidern .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819707400

Mit Ihrer Genehmigung würde ich das gerne tun,

ja . – Herr Rosemann, Sie haben kritisiert, dass ich nicht
genug zur Flexirente gesprochen habe . Ich glaube, dass
es wichtig ist, hier in diesem Hause auch einmal nicht
nur Spiegelstriche zu referieren und aus Protokollen der
Anhörungen zu zitieren, sondern eine politische Debatte
zu führen, und zwar über, wie gesagt, alle drei Gesetzent-
würfe, die wir hier heute beraten, um das zu sezieren, was
dieses Land gefangen hält, nämlich den Blockadezustand
in der Großen Koalition und die Immobilität, die Sie in
der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht nur mit diesem
Gesetzentwurf, sondern insgesamt aufweisen . Das ist der
entscheidende Punkt .

Ich streite ja gar nicht ab, dass die jetzt vorgeschlage-
nen Zuverdienstregelungen natürlich besser sind als das,
was wir mit dem Dreistufenmodell jetzt haben .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Aha!)


– Ja, aber das Bessere ist der Feind des Guten, und das
Gute wäre der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen
gewesen, den ich eben genannt habe, dass man nämlich
sagt: Die Summe aus Zuverdienst und Teilrente soll das
Frühere nicht übersteigen . Das wäre in der Tat noch bes-
ser gewesen; das habe ich hier auch gesagt .

Im Übrigen halte ich es für sinnvoll, dann, wenn man
schon zu großen Etiketten und Schildern wie Flexirente
greift, etwas in der Substanz zu liefern und nicht nur in-
krementale Veränderungen vorzunehmen .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819707500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Schmidt für

die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819707600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr
Birkwald, eigentlich bin ich von Ihnen eher seriöse Bei-
träge gewohnt . Aber eines möchte ich als Allererstes klar-
stellen: Frau Breymaier hat sich in ihrer Aussage nicht
auf unser Flexi-Rentengesetz bezogen, sondern auf die
unsägliche Debatte der Verlängerung der Arbeitszeit über
70 Jahre hinaus . Das möchte ich erst einmal festhalten .


(Beifall bei der SPD)


Dinge aus dem Kontext zu reißen, ist an sich nicht Ihre
Art und kommt bei Ihnen normalerweise nicht vor .

Zweitens . Ja, Sie haben recht: Dieses Gesetz löst nicht
alle sozialen Probleme dieser Welt; das ist wahr . Wir ha-
ben mit diesem Gesetz nicht vorgehabt, alles in einem
Aufwasch zu erledigen, wir haben nicht vorgehabt, alle
Fragen, die auf der Straße liegen, mit diesem Gesetz zu
beantworten . Das ist richtig . Aber es stimmt eben nicht,
dass die Schicksale der Menschen, die Sie uns geschil-
dert haben, von diesem Gesetz nicht beeinflusst würden.

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Ihre Ansicht scheint es zu sein, dass man so lange ar-
beitet, bis die Gesundheit kaputt ist . Dann geht man in
Rente, egal, wann das ist . Unsere Sicht der Dinge ist: Wir
wollen den Menschen darin unterstützen, gesund arbei-
ten zu können, um möglichst lange im Erwerbsleben zu
bleiben und hinterher eine gute Rente zu bekommen . Das
ist ein entscheidender Unterschied .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mal ehrlich, da haben wir verdammt viel erreicht, mehr
als das, was Sie als Opposition erwartet haben; das merkt
man an der heutigen Debatte .

Zwei Punkte möchte ich ganz besonders hervorheben .
Der erste Punkt ist die Kinder- und Jugendreha . Herr
Rosemann hat es schon gesagt: Das, was wir dort erreicht
haben, hat der Sachverständige Herr Baumann, 33 Jahre
in der Kinder- und Jugendreha tätig, als „wirklich histo-
risch“ bezeichnet .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Aber nicht nur das hat er festgestellt . Wenn wir Ge-
sundheit schützen möchten, statt Krankheit behandeln
zu wollen, dann müssen wir damit früh anfangen . Wenn
wir Menschen starkmachen wollen, dann müssen wir bei
den Kindern anfangen . Knapp 40 Prozent der Fälle von
Erwerbsminderung bei Krankheit entspringt psychischen
Problemen . Gerade in diesem Bereich ist die Kinder- und
Jugendreha besonders stark. Das ist eine Pflichtleistung.
Es gibt die Möglichkeit zur Nachsorge . Die Reha darf
ambulant erbracht werden . Eine Begleitperson oder die
Familie können mitkommen . Das ist ein richtig toller Er-
folg


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


unter dem Gesichtspunkt, dass diese Menschen zukünftig
bessere Voraussetzungen haben, gesund am Arbeitsleben
teilzunehmen . Aber es ist eben vor allem auch ein tol-
ler Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass diesen jungen
Menschen gut und früh geholfen wird, ein selbstständi-
ges und hoffentlich auch glückliches Leben zu führen.

Der zweite Punkt, den ich herausheben möchte, ist
die – so steht es im Gesetz – „freiwillige, individuelle,
berufsbezogene Gesundheitsvorsorge“ . Wir nennen das
den Ü45-Check-up . Wir haben zunächst, auch wenn die
Sachverständigen von der Idee so überzeugt waren, dass
sie diesen Check-up gleich flächendeckend einführen
wollten, Modellversuche verankert, weil dies wirklich
ein großes Projekt, ein Paradigmenwechsel ist .

Wir kümmern uns eben nicht erst dann, wenn das Kind
schon in den Brunnen gefallen ist, wenn also die Gesund-
heit bereits geschädigt ist und das Arbeiten schwer oder
gar nicht mehr möglich ist . Das tun wir auch . Aber wir
wollen möglichst verhindern, dass es so weit kommt,
dass die Arbeit krankmacht, dass man EM-Rente bean-
tragen muss, dass man Gefahr läuft, im Alter arm zu sein .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Arbeitsbedingungen ändern!)


Deswegen stellen wir die Weichen schon für Menschen
mit 45 Jahren neu .

So viel positive Rückmeldung zu einem Gesetz – das
sage ich noch einmal, Herr Kurth – haben wir selten ge-
habt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das sollte Ihnen zu denken geben!)


Vielleicht liegt es auch daran, dass es ein Fraktionsge-
setz ist . Es lohnt sich aber auch, sich Zeit zu nehmen und
ausreichend lange zu beraten . Das haben wir getan . Wir
haben gerade im Bereich Prävention, Reha, Gesundheits-
schutz mit diesem Gesetz einen wichtigen und großen
ersten Schritt getan . Ich verspreche aber, das Thema wird
uns weiter begleiten .

Glückauf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819707700

Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1819707800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Kollege Kurth hat
vorhin eine politische Bewertung verlangt. Ich finde, die
politische Bewertung ist: Wir verabschieden heute ein
Gesetz, bei dem – das gibt es selten – alle gewinnen . Es
ist ein Gewinnergesetz, und zwar für jeden in unserer Ge-
sellschaft, vor allen Dingen für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war vielleicht früher etwas anders, aber heute ist
die überwiegende Zahl der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer nicht an starren Grenzen und Regeln inter-
essiert, sondern daran, das eigene Leben und damit auch
das eigene Arbeitsleben selber zu regeln, also die Fragen,
wann man aufhört, zu arbeiten, und ob man sein Arbeits-
leben vielleicht langsam ausklingen lässt, selber zu be-
antworten . Die Möglichkeit einer solchen Entscheidung
in individueller Freiheit setzen wir heute in gesetzgebe-
rischer Form um . Deswegen ist es ein großer Gewinn für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem
Land, was wir an Flexibilisierung ins Rentenrecht neu
hineinschreiben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist für mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
schon bezeichnend, dass die Linke im Ausschuss mit
Nein gestimmt hat .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)


Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


– Doch!


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben uns im Ausschuss enthalten! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich enthalten!)


– Ihr habt euch auch enthalten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, selbstverständlich!)


Die Linke jedenfalls kritisiert dieses Gesetz sehr und will
mit Enthaltung stimmen, weil sie nach alter DDR-Manier


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


lieber alles haarklein vorschreibt, anstatt individuelle
Freiheit zu gewähren . Das ist der Punkt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein! Sie müssen jetzt etwas Neues sagen, nicht das, was da steht! Das passt nicht mehr! Wir haben uns enthalten!)


Ich mache Ihnen das an einem Beispiel deutlich .
Der Daimler-Konzern fährt schon heute ein Senior-Ex-
perts-Programm . Ein mittlerweile 70-jähriger Rentner,
ehemaliger Facharbeiter, hat sich bereit erklärt, noch
einmal einzusteigen, und zwar für die Integration von
Flüchtlingen in die Ausbildungsgänge . Er macht das
nicht, weil er muss, sondern weil er Spaß und Freude da-
ran hat, sich in der Flüchtlingsintegration noch einmal
beruflich zu engagieren. Ich finde, es ist eine Unver-
schämtheit, in einem solchen Fall von „Arbeiten bis zum
Umfallen“ zu reden, wie es die Linke tut . Das ist eine
Beleidigung für diesen Arbeitnehmer .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch! Völliger Quatsch! Ich habe in der ersten Zeile gesagt: Wer kann und will, soll länger arbeiten können! Sie haben nicht zugehört, Herr Kollege!)


Der Daimler-Konzern muss in seinem Flyer, in dem
er über dieses Senior-Experts-Programm informiert – ich
zeige ihn: er sieht so aus –, natürlich darauf hinweisen,
dass derjenige, der zwischen 63 und 65 alt ist und in eine
solche Sache einsteigen will, maximal 450 Euro hinzu-
verdienen kann, weil ansonsten das Fallbeil der Renten-
kürzung zum Tragen kommt . Da der Daimler-Konzern
nicht ganz unvermögend ist, kann er in dem Fall sogar
aushelfen, indem er einen pauschalen Rentenausfallzu-
schuss gewährt; das kann nicht jeder .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ab morgen
können solche Broschüren geändert werden . Wir schaf-
fen das Fallbeil der automatischen Rentenkürzung ab .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Zugleich erhöhen Sie die Profite von Daimler! Herzlichen Glückwunsch!)


Das ist ein großartiger Erfolg für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist schon dargestellt worden: Man kann auf jeden
Fall nach dem 63 . Lebensjahr 6 300 Euro im Jahr ohne
Anrechnung hinzuverdienen . Von dem Hinzuverdienst,
der darüber hinausgeht, kann man 60 Prozent behalten;
40 Prozent werden auf die Rente angerechnet . So kann
man das individuell gestalten .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde es
ungeheuerlich, dass die Oppositionsfraktionen mit dem
Schreckwort „Spitzabrechnung“ den Leuten jetzt vor
dieser Regelung Angst machen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Waren Sie einmal in der Anhörung? – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Spitzabrechnung“ ist ein technischer Begriff, den wir in allen möglichen Bereichen haben! Das ist meist besser als eine pauschale Regelung!)


Entschuldigung, wenn ich als Arbeitnehmer eine Teilren-
te beziehe und weiß, dass ich Geld hinzuverdienen kann,
dann interessiert mich sehr wohl, was exakt dabei heraus-
kommt, und zwar möglichst für jedes Jahr . Was wir ma-
chen, ist: Wir sorgen dafür, dass der Arbeitnehmer, der so
etwas macht, also Teilrente bezieht und Teilzeit arbeitet,
exakt weiß, was nach einem Jahr dabei herauskommt .
Das ist Transparenz, die notwendig ist, die auch richtig
ist und die ich nicht als „Spitzabrechnung“ diffamieren
würde .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich schicke dann alle Rentnerinnen und Rentner zu Ihnen!)


Die Redner der Koalitionsfraktionen sind zum Teil
auf einen Vorschlag aus der Anhörung eingegangen, mit
dem wir uns über Monate auseinandergesetzt haben, und
haben gefordert, das anders zu regeln . Ich will Ihnen ein-
mal sagen, was die andere Regelung, die Alternative, be-
deuten würde . Dann würde es die Spitzabrechnung nicht
geben, und es würde nach Renteneintritt 26 Jahre dauern,
bis das ausgeglichen ist, was eventuell zu viel oder zu
wenig verdient worden ist . Meine sehr geehrten Damen
und Herren, derjenige, der sich exakt an die Regeln ge-
halten hat und bei dem nichts auszugleichen ist, wird sich
herzlich dafür bedanken, dass es Kollegen gibt, die ein
bisschen getrickst haben – in Anführungsstrichen – und
das über 26 Jahre ausgeglichen bekommen . Entschuldi-
gung, aber die Kampagne der Bild-Zeitung gegen eine
solche Regelung möchte ich nicht erleben . Was wir ma-
chen, ist gerecht, ist transparent, ist das, was, wie ich
glaube, die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer haben wollen . Die Alternative ist schlichtweg ein
Ungetüm . Deswegen haben wir sie abgelehnt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Entschuldigung, Herr Kurth, ich verstehe auch die
Welt der Grünen nicht mehr . Gerade Ihr Parteiprogramm
ist doch geprägt von der Forderung nach mehr individu-
eller Freiheit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Wolfgang Peter Weiß Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut erkannt!)





(A) (C)


(B) (D)


Dass die Grünen einen Gesetzentwurf, der genau das er-
möglicht, ablehnen, verstehe ich nicht . Das ist im Grun-
de genommen ein Attentat auf euer eigenes Parteipro-
gramm, Entschuldigung .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir lehnen den nicht ab! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, das ist ja nicht so! Wir enthalten uns! – Gegenruf der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Enthaltung ist noch schlimmer! Das ist überhaupt keine Position!)


Es ist doch so – das ist in Ihrer Rede deutlich geworden;
auch der Kollege Rosemann hat das angesprochen –, dass
Sie verzweifelt nach einem Haar in der Suppe suchen,
das dort aber gar nicht zu finden ist, um nachher mit Ent-
haltung stimmen zu können .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind ganze Haarbüschel in der Suppe!)


Ich finde, es ist beschämend, dass die Grünen sich nicht
einmal dazu durchringen können, zu sagen, dass wir ge-
nau das machen, was Grundtenor des Parteiprogramms
der Grünen ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man
den Übergang aus dem Arbeitsleben in die Rente flexi-
bel gestalten möchte und die Möglichkeit schaffen will,
dass man sich auch nach Eintritt in die Rente entschei-
den kann, vielleicht noch einmal für ein paar Monate ins
Erwerbsleben einzutreten, um zum Beispiel wie der von
mir erwähnte Daimler-Mitarbeiter bei der Flüchtlings-
integration zu helfen, dann kommt es natürlich im We-
sentlichen darauf an, dass man gesund ist und Spaß an
der Arbeit hat . Deswegen – das möchte ich noch einmal
betonen – stärken wir mit diesem Gesetz die Prävention
und die Rehabilitation . Wir erlauben der Rentenversiche-
rung, früher und stärker im Bereich der Prävention tätig
zu werden .

Außerdem wenden wir uns der zukünftigen Arbeit-
nehmerschaft zu, also den jungen Menschen, die die Zu-
kunft unseres Landes sind, indem wir die Kinder- und Ju-
gendreha zu einer Pflichtleistung machen. Ich darf Ihnen
sagen: Ich persönlich war als kleines Kind gesundheitlich
schwächlich, habe sieben Lungenentzündungen gehabt .
Man hat mich zu einer Kinderkur nach Bad Dürrheim im
Schwarzwald geschickt . Ich muss sagen: Seither habe ich
nie mehr eine Lungenentzündung gehabt und bin bis zum
heutigen Tage ein relativ gesunder Mensch . Das zeigt,
Kinder- und Jugendreha ist manchmal notwendig und
wichtig, um jemanden für die Zukunft, für sein Arbeits-
leben gesundheitlich zu stärken und zu schützen . Dass
wir der Kinder- und Jugendreha im vorliegenden Ge-
setzentwurf diesen Stellenwert geben, ist ein großartiger
Fortschritt, der jeden zur Zustimmung veranlassen sollte .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819707900

Der Kollege Ralf Kapschack spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1819708000

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Markus Kurth hat

zu Recht gefordert, dass wir eine politische Diskussion
führen und keine Spiegelstrichdiskussion . Damit bin ich
sehr einverstanden; aber das Leben ist konkret, und des-
halb muss man auch über Spiegelstriche reden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Auch wenn die Opposition es anders sieht: Wir un-
ternehmen heute einen großen Schritt – einen großen
Schritt, damit Frauen und Männer besser selbst bestim-
men können, wie sie in Rente gehen und wann sie in Ren-
te gehen . Das Hauptproblem ist ja nach wie vor nicht,
dass es rechtliche Hindernisse gibt, wenn Menschen län-
ger als bis zum 65 . Lebensjahr arbeiten wollen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


sondern das Hauptproblem ist, dass nach wie vor viele,
zu viele vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Beruf
ausscheiden oder nur mit ganz großer Mühe bis zum letz-
ten Tag durchhalten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen flexible Lösungen für individuelle Le-
benssituationen. Dieses Gesetz schafft Voraussetzungen
dafür . Es ist ein Riesenschritt in die richtige Richtung;
denn zum ersten Mal werden Prävention und Rente wirk-
lich zusammengedacht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei ist die Erkenntnis, dass, wer gesund ist, länger ar-
beiten kann, doch gar nicht so originell .

Dies ist ein gutes Gesetz; aber es bleibt noch einiges
zu tun . Wir hätten gerne die Idee des Arbeitssicherungs-
geldes bereits jetzt umgesetzt – Arbeitssicherungsgeld,
um den Arbeitsplatz und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten
und um Arbeitslosigkeit zu vermeiden . Wer gesundheitli-
che Beeinträchtigungen hat, könnte in Teilzeit gehen statt
in Arbeitslosigkeit . Die entstehenden Lohneinbußen sol-
len durch das Arbeitssicherungsgeld ausgeglichen wer-
den. Auch hier gilt: Es ist besser, Arbeit zu finanzieren
als Arbeitslosigkeit .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


Immerhin haben wir uns darauf verständigt, dass das
konkrete Konzept zur Umsetzung eines Arbeitssiche-
rungsgeldes jetzt geprüft wird .

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


Noch eines, um es deutlich zu sagen: Wir halten es
nach wie vor für sinnvoll, über eine Teilrente bereits ab
60 nachzudenken . Eine Teilrente ab 60 könnte aus unse-
rer Sicht einen noch besseren Beitrag dazu leisten, die
unterschiedliche Belastung von älteren Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern und die unterschiedlichen Be-
dingungen in den Betrieben unter einen Hut zu bringen .
Teilrente ab 60 ist eben kein Programm zum Ausstieg aus
dem Berufsleben . Ganz im Gegenteil: Sie könnte eine
Antwort auf die Frage sein, wie Menschen länger in den
Betrieben beschäftigt bleiben können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man die zeitlichen Spielräume vergrößert, vergrö-
ßert man auch die Chance, dass Männer und Frauen ihre
Arbeitszeit und ihre Arbeitsbelastung so anpassen kön-
nen, dass sie die Regelaltersgrenze erreichen . Gerade
weil landauf und landab über Fachkräftemangel geklagt
wird, wundere ich mich schon über den heftigen Wider-
stand bei Teilen unseres Koalitionspartners .

Unter dem Strich ist es ein guter Gesetzentwurf . Trotz-
dem heißt es: Weitermachen!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819708100

Zum Abschluss dieser Beratungen hat die Kollegin

Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1819708200

Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ein Thema, das alle westlichen Indus-
trienationen gleichermaßen beschäftigt, dreht sich um
die Frage, wie wir damit umgehen, dass wir alle immer
älter werden, dass immer mehr Leben jenseits der Regel-
altersgrenze bleibt und dass es immer weniger Junge und
immer mehr Alte gibt . Daran ist nicht diese Regierung
schuld und auch nicht die vorherige; das sind europawei-
te Phänomene . Wir hatten nie den Anspruch, mit diesem
einen Flexi-Rentengesetz all diese Probleme zu lösen .
Wir drehen an einer Stellschraube, und an dieser Stelle
wird unser Rentensystem auch tatsächlich besser .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen darauf reagieren, dass immer mehr Men-
schen länger arbeitsfähig und auch länger arbeitswillig
sind . Wir müssen darauf reagieren, dass immer mehr
Menschen sich mit 65 oder 67 noch zu jung fühlen, um
in den Ruhestand zu gehen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die dürfen doch heute schon weiterarbeiten! Dazu braucht man keine gesetzliche Änderung!)


Wir müssen auch darauf reagieren, dass es Unternehmen
mitunter schwer haben, genug geeigneten Nachwuchs zu
finden.

Wir haben in dieser Großen Koalition schon einiges
unternommen . Mit einem Rentenpaket zu Beginn der
Legislaturperiode haben wir bereits Verbesserungen
für Millionen Versicherte erreicht . Herr Kollege Kurth,
Immobilität bzw . Unbeweglichkeit in der Rentenpolitik
kann man dieser Großen Koalition weiß Gott nicht vor-
werfen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich darf Sie daran erinnern: Wir haben eine bessere
Absicherung für Erwerbsgeminderte und eine Anhebung
des Rehabudgets, angepasst an die demografische Ent-
wicklung, erreicht, und wir haben mit der sogenannten
abschlagsfreien Rente mit 63 für eine bessere Anerken-
nung der Leistungen derjenigen gesorgt, die durch ihre
sehr langen Beitragszeiten einen großen Anteil daran ha-
ben, dass die Rentenversicherung solide dasteht . Und wir
haben – auch dies ist ein Verdienst dieser Koalition – mit
der Mütterrente eine Gerechtigkeitslücke bei der Aner-
kennung von Erziehungszeiten geschlossen . Die Leis-
tung von Frauen, die Kinder großgezogen haben, wird
seitdem besser anerkannt . Gerade diese Frauen hatten es
durch unterbrochene Erwerbsbiografien schwer, zu einer
auskömmlichen Rente zu kommen .

All diese Verbesserungen haben unser Rentensystem
schon gerechter gemacht . Jetzt folgt also die Flexiren-
te . Wir machen die Teilrenten viel einfacher und anwen-
dungsfreundlicher . Die Teilrente und der Hinzuverdienst
werden flexibel und individuell miteinander kombinier-
bar . Der Hinzuverdienst wird in einer Jahresbetrachtung
stufenlos bei der Rente berücksichtigt, auch bei der we-
gen verminderter Erwerbsfähigkeit . Damit machen wir
dieses Modell deutlich interessanter und vergrößern die
Wahlfreiheit und damit die Freiheit des Einzelnen . Wir
geben individuell dem Versicherten mehr Freiheit . Dage-
gen kann man eigentlich nichts haben .

Darüber hinaus möchten wir auch die Wahlfreiheit de-
rer vergrößern, die bereits in Rente sind, sowohl bei der
vorgezogenen Altersrente als auch nach der Regelalters-
grenze . Das bedeutet zum einen: Wer eine vorgezogene
volle Rente bezieht und weiterarbeitet, erhöht dabei auch
künftig seinen Rentenanspruch . Zum anderen bedeutet
das, dass wir nun ermöglichen, auch nach Erreichen der
Regelaltersgrenze auf die Versicherungsfreiheit zu ver-
zichten . Wir setzen also starke Impulse, weiterzuarbei-
ten . Denn nur dann, wenn sich das Weiterarbeiten lohnt,
wird es auch eine echte Option .

Als Kulturpolitikerin, die ich auch bin, freue ich mich
übrigens darüber, dass diejenigen, die über die Künst-
lersozialversicherung versichert sind, auch künftig die
Möglichkeit haben, nach der Regelaltersgrenze weitere
Entgeltpunkte zu sammeln . Das kann dem einen oder an-
deren weiterhelfen; denn in diesen Branchen fallen die
Renten ohnehin nicht besonders üppig aus .

Sie sehen: Wir stellen im vorliegenden Gesetzentwurf
den einzelnen Versicherten noch mehr in den Mittelpunkt

Ralf Kapschack






(A) (C)



(B) (D)


als bisher . Er bekommt mehr Flexibilität und mehr Frei-
heit bei der Planung seines Ruhestands bzw . beim Planen
seines Übergangs in den Ruhestand .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hauptsache, es gibt dann noch einen Ruhestand!)


Das hilft allen, auch denen, die in Zeiten des hohen Fach-
kräftebedarfs vielleicht gerade die älteren Arbeitnehmer
brauchen, um das Unternehmen am Laufen zu halten .

Meine Damen, meine Herren, schon jetzt ist jeder
siebte Rentner in Deutschland erwerbstätig – aus unter-
schiedlichen Gründen . Manche arbeiten auch wirklich
deswegen, weil sie noch arbeiten wollen . Mit der Flexi-
rente können Rentner erwerbstätig bleiben, freiwillig
Beiträge einzahlen und mehr Rente beziehen . Arbeitge-
ber müssen für ihren Flexirentner keine Beiträge mehr in
die Arbeitslosenversicherung zahlen .

Das heißt: Die Flexirente macht unser Rentensystem
moderner, individueller, generationengerechter . Sie hilft
den Arbeitgebern, sie hilft den Arbeitnehmern, sie hilft
den Alten, und sie hilft den Jungen . Deshalb ist das Ge-
setz, das wir heute verabschieden werden, ein gutes Ge-
setz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819708300

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Flexibilisierung des Übergangs vom
Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von
Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben .

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/10065, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9787 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 10 b . Wir setzen
dabei die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen
des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksa-
che 18/10065 fort .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/3312 mit dem Titel
„Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die
Rente für alle Versicherten erleichtern“ . Wer für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit an-
genommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke .

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/5212


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig unverständlich!)


mit dem Titel „Flexible und sichere Rentenübergänge er-
möglichen“ .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer wollte das nicht? – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Antrag!)


Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/5213 mit dem Titel „Kommunales Ehrenamt
stärken – Anrechnung von Aufwandsentschädigungen
auf die Rente neu ordnen“ . Wer für die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke . Damit können wir diesen Tagesord-
nungspunkt verlassen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Managergehälter beschränken

Drucksache 18/9838
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


ist nicht erkennbar . Dann ist diese Redezeit so beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die
Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819708400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lin-

ke möchte Ihnen heute einen Vorschlag unterbreiten:
Zukünftig sollen die Gesamtbezüge einer Führungskraft
nicht mehr als das 20-Fache der untersten Gehaltsgruppe
im gleichen Unternehmen betragen dürfen . Kurzum: Wir
wollen Managerbezüge begrenzen . Wir wollen eine Ver-
gütungsobergrenze .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn also ein Manager mit 1 Million Euro am Ende
des Jahres nach Hause gehen will, dann muss die Rei-
nigungskraft oder der Pförtner in diesem Unternehmen
wenigstens ein Zwanzigstel davon bekommen, sprich
50 000 Euro . Schließlich sind es die Beschäftigten, die
die Gewinne miterwirtschaften . Ich meine: Wer die un-
teren und mittleren Gehaltsgruppen nicht ordentlich
bezahlen kann, der hat auch keine Millionenvergütung
verdient .


(Beifall bei der LINKEN)


Um eines klarzustellen: Es geht uns nicht um einen
Einheitslohn; es soll natürlich eine Staffelung der Gehäl-
ter geben . Wer mehr Risiko in Kauf nimmt, kann auch
mit einer höheren Vergütung rechnen . Jedoch müssen
Einsatz und Entlohnung noch irgendwie in einem Ver-
hältnis stehen . Das Verhältnis ist doch hierzulande kom-
plett aus den Fugen geraten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Vorstände der DAX-Unternehmen verdienen 57-mal
so viel wie ein einzelner Beschäftigter mit durchschnittli-
chem Einkommen . Natürlich verdienen sie nicht so viel,
sondern sie bekommen nur so viel .


(Beifall bei der LINKEN)


Das kann man doch nicht mehr mit Leistung erklären .

Schauen wir uns einmal ganz konkret die Gesund-
heitsbranche an . Der Vorstand eines privaten Kranken-
auskonzerns erhält im Jahr 4,4 Millionen Euro . Das ist
mehr als das 200-Fache dessen, was ein Krankenpfleger
bekommt, wenn er denn Tariflohn bekommt. Die Frage
ist doch: Leistet ein einzelnes Vorstandsmitglied tatsäch-
lich mehr als das 200-Fache eines Krankenpflegers oder
einer Krankenschwester, der bzw . die Nachtschichten
macht und auch am Wochenende im Einsatz ist?

Es kann ja sein, dass Ihnen diese Fragen unbequem
sind . Aber die Politik muss sich diesen Fragen stellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn immer mehr Menschen in diesem Land haben das
Gefühl, dass die Mitte und die oberen Führungsetagen
mit zweierlei Maß gemessen werden . Menschen, die we-

nig bis nichts haben, werden schon bei kleinsten Fehlern
zur Kasse gebeten oder sind im Fall einer Pechsträhne
ganz schnell von Armut bedroht . Einem Hartz-IV-Bezie-
henden, der seine Betriebskostenrückzahlung nur einige
Monate zu spät meldet, droht schnell ein Bußgeld . Einem
Kleinstunternehmer droht im Fall einer Auftragslücke –
vielleicht witterungsbedingt – sehr schnell die Insolvenz,
ohne dass der Staat einspringt . Aber in den oberen Füh-
rungsetagen gelten offensichtlich andere Regeln. Da gibt
es extrem hohe Vergütungen, ohne dass man persönlich
Verantwortung übernehmen muss für die Fehler, die man
mit verursacht .

Schauen wir uns nur einmal die Investmentbanker an .
Auch die BaFin, die Finanzaufsichtsbehörde, hat bereits
die hohen Boni bei Investmentbankern kritisiert, und das
zu Recht .


(Beifall bei der LINKEN)


Nehmen wir nur einmal die Deutsche Bank . Die muss
sich nicht nur wegen mutmaßlicher Beteiligung an ver-
schiedenen kriminellen Machenschaften wie Steuerbe-
trug oder Geldwäsche vor Gerichten verantworten, sie
befindet sich auch tief im Minus. Und es wird schon da-
rüber spekuliert, ob nun wieder der Staat aushelfen muss .
Dabei hatte diese Bank in den vergangenen Jahren Ge-
winne . Aber was ist mit diesen Gewinnen passiert? Die
sind vorrangig in Form von Boni an Investmentbanker
ausgeschüttet worden . Ich meine, es ist nicht hinnehm-
bar, dass diejenigen, die die größten Schäden anrichten,
die höchsten Vergütungen bekommen, aber für die Fol-
gen der Schäden allein die Beschäftigten oder die öffent-
liche Hand aufkommen müssen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den
Vorschlag einer Vergütungsobergrenze auch vor dem
Hintergrund einer großen Einkommensungleichheit hier-
zulande . Auf der einen Seite gibt es extreme Armut und
auf der anderen Seite extremen Reichtum .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


Einst glaubten viele an den Fahrstuhleffekt des Kapitalis-
mus, wonach alle Schichten in der Gesellschaft als Ganze
kontinuierlich nach oben befördert werden, es also nach
und nach allen besser geht .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Deutschland ist so reich wie noch nie!)


Inzwischen – das zeigen verschiedene Studien wie der
WSI-Verteilungsbericht – fährt der Fahrstuhl für die Mit-
te eher nach unten als nach oben . Für die Mittelschich-
ten ist es inzwischen wahrscheinlicher, abzusteigen als
aufzusteigen . Viele befürchten, dass es ihren Kindern
schlechter geht .

Ich finde, meine Kollegen von der SPD, da gibt es
überhaupt nichts zu lachen . Das ist ein ernstes Problem .
Dem müssen wir uns stellen .


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Barthel [SPD]: Wer hat hier gelacht?)


Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Wenn dieses Land für immer mehr Menschen zu einer
Abstiegsgesellschaft wird, dann dürfen wir uns damit
nicht zufriedengeben . Die gute Nachricht ist: Es gibt
Alternativen zu dieser Entwicklung . Mehr Einkommens-
gerechtigkeit ist möglich . Die Vergütungsobergrenze, die
wir als Linke hier vorschlagen, ist ein Instrument dafür .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Ja, wir als Linke sagen auch: Was dieses Land braucht,
ist ein grundlegender Kurswechsel . Armut beseitigen, die
Mitte besserstellen, Reichtum begrenzen – das ist das
Gebot der Stunde . Dafür kämpfen wir als Linke mit aller
Entschiedenheit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819708500

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Professor

Dr . Heribert Hirte .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1819708600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kipping, ich dachte eigentlich, wir reden hier über
Ihren Antrag . Ich habe ihn mir angesehen . Aber das,
was Sie gesagt haben, hatte mit dem Antrag nur sehr
wenig zu tun . Das beginnt damit, dass ich beim besten
Willen nicht erkennen kann, wie das, was in der Be-
gründung des Antrags steht – ich habe ihn vorsorglich
mitgebracht –, mit dem, was Sie daraus schlussfolgern
wollen, zusammenhängt . Was Sie hier erzählt haben, ist
allgemeines Blabla .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: War ganz konkret!)


– Nein, es ist allgemeines Blabla gewesen . – Das ist ei-
gentlich kein Ansatz für eine Diskussion . Ich will des-
halb jetzt über Ihren Antrag reden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Jetzt bin ich aber gespannt!)


– Ja, Sie können gespannt sein .

Fangen wir einmal hinten an . Da gibt es vier Zeilen, in
denen steht, was Sie eigentlich wollen . Sie fordern, „die
gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen“. Da fra-
ge ich mich: Warum legen Sie hier keinen Gesetzentwurf
vor?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Weil Sie die Ministerien haben! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben doch die Ministerien!)


Das wäre doch dann die Aufgabe von Ihnen . Bringen Sie
einmal das, was Sie wollen, in Worte, und dann können
wir darüber richtig beraten .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ist das jetzt Arbeitsverweigerung der Ministerien?)


– Schön, wunderbar . Das ist der nächste Punkt . Hier heißt
es zu dem, was Sie wollen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Na klar!)


die gesetzlichen Voraussetzungen … zu schaffen …

Ich hatte eigentlich gedacht, wir als Parlament machten
die Gesetze . In Ihrer Vorstellung ist das die Bundesre-
gierung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie lassen sich doch auch immer die Formulierungen machen!)


Das ist doch altes DDR-Sprech, das ist doch vorbei . Gott
sei Dank ist es vorbei .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann gehen Sie weiter und fordern „das Zwanzigfa-
che“ . Das haben Sie eben dargestellt . Ich habe mich ge-
fragt: Warum nicht das Zehnfache? Sie haben wenigstens
nicht gesagt, Manager sollten dasselbe wie die unterste
Lohngruppe erhalten . Okay, dasselbe wollen Sie also
nicht, aber warum nicht das Zweifache, das Dreifache
oder das Vierfache? Alles das begründen Sie nicht .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was schlagen Sie denn vor?)


– Ich komme jetzt gleich zu den Dingen, die Sie eigent-
lich hätten vorstellen können, die Sie aber nicht vorge-
stellt haben .

Jetzt gehen wir einmal in die Begründung Ihres An-
trags rein . Da geht es um alles Mögliche, aber nicht um
das, was die Schlussfolgerung ist . Es geht nämlich ei-
gentlich nur um Volkswagen . In der Tat, die Lage bei
Volkswagen ist nicht gut; denn neben den eigentlichen
Abgasskandal, über den wir in den verschiedensten Aus-
schüssen immer wieder geredet haben und bei dem wir
im Augenblick noch nicht einmal genau sagen können,
wo die Verantwortlichkeiten liegen, ist inzwischen auch
die Frage getreten, ob die entsprechenden Informationen
rechtzeitig in den Kapitalmarkt gegeben wurden . Die
Fehler aus beiden Verhaltensweisen führen zu Risiken
für Volkswagen in Milliardenhöhe . Da stimme ich Ih-
nen, was den Ausgangspunkt anbelangt, zu . Es stellt sich
natürlich die Frage, welche Auswirkungen das auf die
Vorstandsvergütungen hat . Man muss sich also fragen:
Ist die Vorstandsvergütung – das schreiben Sie selbst in
Ihrem Antrag – dann auch noch angemessen?

Es ist nur so: Um dem entgegenzusteuern, haben wir
schon in der letzten Legislaturperiode mit dem Gesetz
zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung im Jahr
2009 Abhilfe geschaffen. Ich kann dazu aus Ihrem An-
trag zitieren:

Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Anreize in der
Vergütungsstruktur für Vorstandsmitglieder in Rich-
tung einer nachhaltigen und auf Langfristigkeit
ausgerichteten Unternehmensführung zu stärken .
Zugleich sollen die Verantwortlichkeit des Auf-

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


sichtsrats für die Ausgestaltung der Vorstandsver-
gütung gestärkt und konkretisiert werden sowie
die Transparenz der Vorstandsvergütung verbessert
werden .

Genau das haben wir gemacht . Und jetzt betone ich:
Bei der Festlegung der Vergütung ist dem seither auch
bei negativen Entwicklungen Rechnung zu tragen . Es ist
darauf zu achten, dass die Vergütung des Vorstands dem
entspricht . Das, was Sie wollen, steht heute schon im Ge-
setz . Wenn aber das Gesetz – ein gutes Gesetz – nicht
beachtet wurde, dann ist es an den bei VW Verantwortli-
chen und nicht an uns, das durchzusetzen .

Diese Verantwortung liegt beim Gesamtaufsichtsrat,
beim Plenum des Aufsichtsrats von Volkswagen . Das
haben wir 2009 auch so klargestellt: Handelt der Auf-
sichtsrat nicht, stehen den Aktionären alle möglichen
Rechtsbehelfe zur Verfügung, um ein Nichthandeln einer
Kontrolle zuzuführen . Da gilt es also, abzuwarten . Und
es gibt da, anders als Sie sagen, kein Grund für ein Ein-
schreiten des Gesetzgebers .

Dass das Gesetz greift, schreiben Sie selbst in Ihrem
Antrag . Wir haben damals ein Vergütungsvotum bzw .
eine Mitsprachemöglichkeit der Aktionäre in der Haupt-
versammlung eingeführt . Sie schreiben in Ihrem Antrag:

Die Kritik an Vorstandsvergütungen wurde jüngst
zwar selbst von Aktionären der tief im Minus be-
findlichen und wegen krimineller Handlungen von
Gerichtsprozessen überzogenen Deutschen Bank
gestützt, indem sie

– die Aktionäre –

das neue Vergütungssystem für den Vorstand abge-
lehnt haben .

Das ist genau das, was wir wollten, als wir diese Re-
gelung eingeführt haben, und was sich jetzt durchsetzt .
Wunderbar! Aber Sie kritisieren, dass es nicht da sei . Sie
sollten sich einmal das Gesetz ansehen .

Wir haben mit dem Gesetz im Übrigen auch den hof-
fentlich nicht eintretenden Fall im Auge, dass sich die
Lage einer Aktiengesellschaft wirtschaftlich verschlech-
tert. Dafür haben wir Vorsorge getroffen. Dann nämlich
soll der Aufsichtsrat eine einseitige Entscheidung über
die Kürzung der Vorstandsbezüge treffen. Auch hier ha-
ben wir eine klare Regel, die von uns geschaffen wurde
und mit der das von Ihnen geschilderte Problem schon
seit Langem gelöst werden kann .

Wenn wir jetzt aber einmal unterstellen, dass die Re-
geln nicht funktionieren, dann müssen wir über neue
Reformen nachdenken . Dazu zitiere ich einmal aus dem
Koalitionsvertrag:

Um Transparenz bei der Feststellung von Mana-
gergehältern herzustellen, wird über die Vorstands-
vergütung künftig die Hauptversammlung auf Vor-
schlag des Aufsichtsrates entscheiden .

Jetzt schaue ich noch einmal in Ihren Antrag . Da kriti-
sieren Sie nämlich – das ist der Satz, der sich an das, was
ich eben vorgelesen habe, anschließt – Folgendes:

Der Vorstand ist an solche Stimmungsäußerungen

– der Aktionäre –

jedoch rechtlich nicht gebunden .

Genau das wollen wir einführen . Ich schaue zu den
Vertretern des Justizministeriums hinüber . Die werden
uns mit Sicherheit bald einen entsprechenden Gesetzes-
vorschlag vorlegen, damit wir genau das beschließen
können, dass nämlich die Aktionäre als die eigentlichen
Verantwortlichen bzw . Inhaber der Gesellschaft auch
über die Zahlung der Vorstandsvergütungen zu entschei-
den haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb bin ich gespannt, ob und wann das kommt . Wir
werden reagieren, wenn es da Defizite gibt.

Wenn Sie dann in Ihrem Antrag weiter schreiben, dass
die unvorstellbar hohen Zahlungen von den Aktionären
nicht grundsätzlich infrage gestellt wurden, ist das na-
türlich widersprüchlich . Denn natürlich dürfen die Akti-
onäre mit ihrem Geld machen, was sie wollen . Allerdings
geht das nur – und das ist das kleine Körnchen Wahrheit
in Ihrem Antrag –, solange es nicht zulasten Dritter geht,
zu denen die Gläubiger und auch die Arbeitnehmer ge-
hören . Dann müsste der Fall eingetreten sein, dass die
Firma kurz vor der Pleite steht . An diesem Punkt stehen
wir aber nicht . Natürlich muss man über die Frage nach-
denken, ob eine Aktionärsmehrheit allein ein solches
Vergütungsvotum abgeben kann oder ob wir da nicht
vielleicht auch noch in irgendeiner Weise die Minderheit
miteinbeziehen müssen .

Ich komme noch einmal auf Ihren Antrag zurück . Sie
haben ja mittelbar gesagt, dass Sie in Wirklichkeit etwas
ganz anderes erreichen wollen . Sie wollen indirekt die
geringste Lohnstufe nach oben hinziehen, um sozusagen
die Spreizung aufzuheben . Aber nicht einmal das würde
funktionieren; denn die einfache Reaktion wäre, andere
Konzernstrukturen zu schaffen und die Arbeitnehmer
anschließend in unterschiedlichen Gesellschaften auszu-
gliedern . Das bedeutet zusammengefasst: Nicht einmal
Ihre eigene Klientel würde von diesem Antrag profitie-
ren . Auf gut Deutsch: Ein untauglicher Versuch!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insofern ist eines klar: Wir werden Ihren Antrag ab-
lehnen und wollen einmal sehen, wie die Diskussion wei-
tergeht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie warten auf das Ministerium!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819708700

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Thomas

Gambke für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen und außer-

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


halb des Plenarsaals! Das Thema der hohen Managerge-
hälter treibt uns um – gar keine Frage . Wenn man sich
einzelne Medienberichte – leider gibt es nicht so vie-
le – oder die Studie der Hans-Böckler-Stiftung über das
Anwachsen der Managergehälter im Vergleich zu den
durchschnittlichen Löhnen ansieht, dann muss man sa-
gen: Das ist ein Thema, das man auf keinen Fall nur auf
Volkswagen oder andere Unternehmen begrenzen darf,
und schon gar nicht auf Fälle, wo es möglicherweise
sogar um strafrechtlich relevante Bezüge geht, die man
prüfen muss .

Richtig ist, dass wir gerade im Bankenbereich viele
Hinweise darauf haben, dass die dort gezahlten Gehälter
und vor allem die Boni in keinem Verhältnis zur erbrach-
ten Leistung stehen, wobei diese Bewertung ja immer
sehr schwierig ist . Der liebe Gott hat uns nicht gesagt, ob
das Verhältnis 1 : 20, 1 : 40 oder 1 : 50 sein soll .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!)


Ich habe 25 Jahre in einem Unternehmen gearbeitet, in
dem dieses Verhältnis vom Stifter des Unternehmens
auf 1 : 10 begrenzt war – übrigens ein sehr erfolgreiches
Unternehmen . Das ist mit Sicherheit nicht die Messlatte .
Aber falsch ist es, dass der Gesetzgeber so etwas vor-
schreibt .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Richtig!)


Mich hat ein bisschen schockiert, dass Sie so lapidar
sagten: Es müssen gesetzliche Rahmen für Gehälter ge-
schaffen werden. – Bei uns herrscht doch Vertragsfrei-
heit . Ich brauche das alles gar nicht auseinanderzukla-
müsern . Den Ansatz, den Sie gewählt haben, kann man
eigentlich nicht diskutieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])


Wir sollten aber darüber reden, was man machen
kann . Wir Grüne haben den Vorschlag gemacht, ob sehr
hohe Boni bzw . Gehälter vom Gesetzgeber eigentlich im
Sinne eines vernünftigen Aufwands anerkannt werden
sollten . Der Gesetzgeber schaut sich zum Beispiel sehr
genau an, ob über Verrechnungspreise Unternehmens-
gewinne von Deutschland in Niedrigsteuerländer verla-
gert werden, und greift ein . Das ist zum Beispiel dann
der Fall, wenn über eine sogenannte Lizenzbox Gewin-
ne in andere Länder verschoben werden . Da müssen wir
steuerlich eingreifen . Insofern ist der Vorschlag, den wir
gemacht haben, dass man Managerboni und -gehälter nur
bis zu einer bestimmten Grenze steuerlich geltend ma-
chen kann, eine Möglichkeit, wie der Gesetzgeber ein-
greifen kann . Ich glaube, wir sollten uns diesem Thema
noch einmal sehr genau widmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderer Punkt betrifft die Familienunternehmen.
Da schaue ich in die Richtung der Union und frage mich,
warum von Ihnen kein Impuls kommt; denn wir reden ja
vom sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Da müssen Sie woanders hingucken! Ich bin Verteidigungspolitikerin!)


Von Ihnen wird immer das Hohelied der Familienunter-
nehmer gesungen . Mit Recht! Denn der Familienunter-
nehmer schaut eben nicht auf das kurzfristige, sondern
auf das langfristige Ergebnis . Es wird in diesem Zusam-
menhang immer die nächste Generation zitiert . Boni ori-
entieren sich aber nur an einer relativ kurzfristigen Ent-
wicklung .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das haben wir 2009 so festgelegt!)


Wieder ein Beispiel aus meiner Vergangenheit: Wenn das
Jahresergebnis gut war, habe ich als Manager ein gutes
Gehalt bekommen, und wenn es schlecht war, war es
nicht so gut . Das ist in Ordnung . Aber es wurde nicht
gefragt: Wie nachhaltig waren denn die Entscheidungen,
die ich in diesem Jahr getroffen habe?

Wie sieht das denn heute zehn Jahre nach dem Aus-
scheiden aus? Ich bin sehr froh, dass ich wahrscheinlich
immer noch meine Boni verdienen würde, weil es dem
Unternehmen sehr gut geht . Das ist doch die entschei-
dende Frage . Man könnte beispielsweise Boni im Sinne
einer Einbettung in eine betriebliche Rente für einen lan-
gen Zeitraum wirksam werden lassen und auch mit dem
Erfolg des Unternehmens atmen lassen . Das wäre eine
Sache, die wir uns vornehmen sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich aber noch einmal ganz deutlich da-
rauf hinweisen: Die Frage „Ist die Verteilung von Gehäl-
tern, von Einkünften vernünftig und richtig?“ ist nicht
durch Begrenzungen, sondern am besten dadurch zu
beantworten, dass wir Chancengleichheit und Bildung
fördern, dass wir aktiv dazu beitragen, dass es nicht nur
oben Begrenzungen gibt, sondern dass auch unten die
Möglichkeit besteht, gutes Geld zu verdienen .

Wir sind hier in Deutschland an einer entscheidenden
Schwelle . Wir müssen uns nämlich fragen, ob der Weg in
die Konsumgesellschaft, den zum Teil die Engländer und
Amerikaner gegangen sind, richtig ist . Wir in Deutsch-
land sind die Macher geblieben, die Facharbeiter, die gu-
tes Geld verdienen . In dieser Richtung sollten wir weiter
gehen . Das sage ich in Ihre Richtung: Die Kluft zwischen
niedrigen und hohen Gehältern, die Sie beschreiben, darf
nicht ausschließlich dadurch begrenzt werden, dass wir
bei den Managergehältern hinsehen, sondern vor allen
Dingen dadurch, dass wir bei den Facharbeiterlöhnen
hinsehen .

Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber,
dafür zu sorgen – ich sage es noch einmal –, Chancen-
gleichheit und Bildung zu fördern . Dann sind wir auf ei-
nem richtigen Weg und brauchen uns hoffentlich nicht
mehr über eine nicht durchsetzbare gesetzliche Begren-
zung von Managergehältern zu unterhalten .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819708800

Der Kollege Christian Petry spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1819708900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Antrag der Linken mit dem Titel „Mana-
gergehälter beschränken“ ist ein interessanter Antrag .
Bei mir kommt er auch gut an; denn ich könnte mit einer
Beschränkung leben . Die Frage ist nur: Wie beschrän-
ken wir es, wie machen wir es? Eine Gesellschaft muss
sich mit diesen Dingen beschäftigen und darf nicht aus-
einanderdividiert werden . Wir müssen darüber reden, ob
es noch geht, dass das 200- bis 300-Fache an Gehältern
gezahlt wird . Ufert hier etwas aus? Darin liegt sozialer
Brennstoff.

Wenn man sieht, dass die Durchschnittszahlen der
Managergehälter gegenüber dem durchschnittlichen
Verdienst der Beschäftigten von dem 42-Fachen im Jahr
2005 – die Hans-Böckler-Stiftung hat dies ja festgestellt –
auf das 62- bis 80-Fache in der heutigen Zeit gestiegen
sind, dann weiß man, dass die Kluft weiter wächst . Auch
hier ist die Frage erlaubt: Was können wir tun?

Wir haben bereits 2013 einen Vorschlag gemacht .
Lothar Binding hat ihn damals hier vorgetragen . Ich kann
das nicht so gut wie Lothar Binding; denn er hat damals
eine Grafik dabeigehabt und hat den Vorschlag anhand
dieser Grafik erläutert.

Wie können wir zu dem Ziel kommen? Was ist der
Unterschied zu dem Antrag? Einfach in das Gesetz „20-
fach“ zu schreiben – Professor Hirte hat es gesagt –, ist
ein bisschen schwierig . Ich halte von einer solchen Fest-
legung nicht sehr viel . Aber die Verantwortlichkeiten
sollten dort, wo sie sind, auch an Kriterien festgemacht
werden .

Ein Kriterium, das wir damals eingebracht haben, war
ein steuerliches Kriterium; das wollten wir zusätzlich
noch bearbeiten . Es ging um die steuerliche Abzugsfä-
higkeit der Managergehälter; denn sie sind Einkünfte aus
nichtselbstständiger Tätigkeit im Sinne des Einkommen-
steuerrechts . Wir haben damals vorgeschlagen, Bezüge
in Höhe von über 500 000 Euro pro Jahr nur noch hälftig
als Betriebsausgabe einer Aktiengesellschaft abziehbar
zu machen . Es ist nicht einsehbar, dass unsere Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahler mit diesem Betriebsausgaben-
abzug diese Gehälter mitfinanzieren. Das ist ein Punkt,
über den wir in den Beratungen ernsthaft diskutieren
müssen; wir müssen auch darüber reden, ob wir in dieser
Art und Weise vorangehen können .


(Beifall bei der SPD)


Auch über die Frage „Wer entscheidet darüber, und
was steht im Koalitionsvertrag?“ diskutieren wir . Ich
glaube, dass diese Entscheidung bei den Aufsichtsräten,
die bisher nach § 87 des Aktiengesetzes die Zuständigkeit
haben, gut aufgehoben ist, auch mit den entsprechenden
Erweiterungen, wie sie von Professor Hirte schon ange-
sprochen worden sind .

Die Frage ist aber: Woran orientieren wir die Höhe
von Managergehältern? Immer ausschließlich an Umsät-
zen, an Gewinnen, an Aktienkurssteigerungen? Könnten
nicht auch Bildung, Beschäftigung, Ausbildung, Karrie-
remöglichkeiten der Beschäftigten, Durchlässigkeit der
Hierarchien, gewünschte Strukturen ein Maßstab dafür

sein, wie man das Gehalt eines Managers festlegt? Wäre
das nicht sehr sinnvoll? Können wir hier etwas tun, auch
im rechtlichen Rahmen? Ich denke, auch diese Fragen
sollten wir uns stellen und ernsthaft diskutieren .

Ich war vor vier Wochen im Baskenland und habe dort
die Firma Mondragón besucht . Das ist die größte Produk-
tivgenossenschaft der Welt . Sie hat 74 000 Beschäftigte .
80 Prozent davon sind Mitglieder der Genossenschaft .
Sie wählen die Mitglieder der verschiedenen Vorstands-
hierarchien in entsprechenden Versammlungen . Die Ge-
nossenschaftsmitglieder haben sich selbst, was die Höhe
der Managergehälter angeht, für einen Schlüssel von
1 : 8 entschieden .

Es handelt sich um eines der wenigen Unternehmen in
Spanien, das bisher halbwegs gut durch die Krise gekom-
men ist und das sehr stabil ist . Dieses genossenschaft-
liche Modell, das sich auch um die Höhe der Gehälter
kümmert – wie gesagt, es wurde, was die Höhe der Ma-
nagergehälter angeht, ein Schlüssel von 1 : 8 festgelegt –,
hat sich bewährt . Diese Genossenschaft hat mittlerweile
101 Firmen; auch in Deutschland ist man tätig . Diese Fir-
men sind stabil am Markt .

Die Genossenschaft wurde im Übrigen von einem ka-
tholischen Pfarrer gegründet – zugrunde lag also keine
sozialistische Idee –, der gesagt hat: Die Menschen hel-
fen sich gegenseitig selbst, und sie legen auch ihr sozial-
verträgliches Gefüge fest . – Ich glaube, auch diese Bei-
spiele sollte man berücksichtigen, wenn es darum geht,
im Hinblick auf die Höhe der Managergehälter einen
gangbaren Weg zu beschreiten .


(Beifall bei der SPD)


Ich finde, dass Ihr Antrag auf jeden Fall ein wichtiger
Anstoß ist, worüber wir hier in unseren Gremien bera-
ten . Managergehälter sind ein Dauerthema im Deutschen
Bundestag . Wir brauchen für das soziale Klima, für die
soziale Gerechtigkeit ein Lohngefüge, das von der Be-
völkerung akzeptiert wird .

In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehende
Diskussion und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819709000

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Volker

Ullrich .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1819709100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Die Diskussion um Managergehälter muss komple-
xer geführt werden, weil es den Manager so nicht gibt,
wie Sie, Frau Kipping, es uns hier haben vermuten las-
sen . Es gibt Mitglieder des Vorstands von börsennotier-
ten Unternehmen . Es gibt Geschäftsführer von GmbHs .
Es gibt Vorstände von Genossenschaften . Es gibt die
zweite oder dritte Führungsebene in Unternehmen . Die






(A) (C)



(B) (D)


Frage der Führungsverantwortung in Unternehmen ist
viel komplexer als das, was Sie uns hier haben glauben
lassen .

In der Tat steht die Frage der Vorstandsvergütung in
einem Spannungsverhältnis zwischen der Vertragsfrei-
heit und dem Recht auf Eigentum der Unternehmer ei-
nerseits und der sozialen Bindung und Verantwortung der
Führungsebene andererseits .

Wir dürfen auch ein Phänomen nicht außer Acht las-
sen, für das erst letzte Woche der Nobelpreis für Wirt-
schaftswissenschaften verliehen wurde: dass die Ma-
nagementvergütung in der Tat Regeln braucht, damit
keine Situation entsteht, in der ein Geschäftsführer oder
ein Vorstand zu sehr risikogeneigten Geschäften greift,
einfach deswegen, weil er schlichtweg nicht haftet . Das
ist der Sachverhalt, über den wir sprechen .

Der Gesetzgeber in Deutschland hat darauf schon re-
agiert: Seit mehr als sieben Jahren ist § 87 des Aktienge-
setzes in Kraft .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!)


Frau Kipping, ich darf Ihnen einfach noch einmal etwas
vorlesen, weil Sie offensichtlich in Unkenntnis dieses Pa-
ragrafen argumentieren – ich zitiere –:

Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Ge-
samtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds . . .
dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen
Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des
Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft
stehen und die übliche Vergütung nicht ohne beson-
dere Gründe übersteigen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Und was ist jetzt „angemessen“?)


Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Ge-
sellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensent-
wicklung auszurichten .

In § 87 Absatz 2 Aktiengesetz ist klar geregelt, was
passiert, wenn sich die Verhältnisse der Gesellschaft ver-
schlechtern . Daher ist festzustellen: Wenn Sie die jetzige
Rechtslage kennen,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir sehen das Ergebnis der Rechtslage!)


aber trotzdem so einen Antrag basteln, dann fällt das auf
Sie zurück . Wenn Sie die Rechtslage nicht kennen und
einen solchen Antrag vorlegen, dann ist das schlichtweg
Populismus und, ich meine, sogar ein ziemlich plumper
obendrein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will nicht verhehlen, dass es auch in Deutschland
Beispiele für Managervergütungen gibt, die weder etwas
mit dem Leistungsgedanken noch mit sozialer Markt-
wirtschaft zu tun haben . Das muss und das kann bereits
nach geltendem Recht bearbeitet werden . Wenn Sie als
Mitglied eines Aufsichtsrates eine zu hohe Vorstandsver-

gütung festlegen, dann sehen Sie sich unter Umständen
den Vorwürfen der Untreue ausgesetzt .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: So ist es! Genauso ist es!)


Unser Recht ist in diesem Bereich schon scharf genug .
Wir brauchen deshalb keine undifferenzierten Regelun-
gen, die weit hinter dem zurückbleiben, was im Aktien-
recht bereits seit Jahren anerkannt ist .

Ich möchte kurz auf das eingehen, was Frau Kipping
eben gesagt hat . Sie schlagen vor, dass die Vergütung
eines Managers nicht das 20-Fache eines durchschnitt-
lichen sozialversicherungspflichtigen Lohns übersteigen
darf .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie viel schlagen Sie denn vor?)


Ich stelle zunächst einmal fest: Das wird in keiner Weise
den praktischen Verhältnissen gerecht; denn Sie stülpen
Organisationen irgendwelche Zahlen über, ohne zu be-
achten: Wie ist die Struktur im Unternehmen? Welche
Mitarbeiter mit welchen Qualifikationen sind beschäf-
tigt? Hat ein Unternehmen neben den Arbeitnehmern aus
akademischen, technischen Berufen sehr viele Arbeit-
nehmer aus niedrigen Lohngruppen, dann werden Sie
dem Unternehmer durch eine Festlegung auf das 20-Fa-
che nicht gerecht .

Sie machen sogar Folgendes: Sie vergrößern den An-
reiz für das Management, gerade die unteren Lohngrup-
pen auszulagern, outzusourcen oder in andere Gesell-
schaften zu verschieben, sodass die Gefahr besteht, dass
die Mitarbeiter am Ende sogar viel weniger verdienen .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau! So ist es!)


Wenn Ihnen daran gelegen ist, dass Menschen in den
unteren Lohngruppen ihr Gehalt halten oder sogar mehr
verdienen, dann können Sie das übrigens beweisen, in-
dem Sie unserem Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung
zustimmen .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist eine ziemliche Trickserei! Dazu werden meine Kollegen das Notwendige sagen!)


Frau Kipping, auch das ist ein Gesetz, mit dem die Union
deutlich macht, dass uns viel an Menschen mit niedrigen
und mittleren Einkommen gelegen ist . Ich bitte Sie, das
zur Kenntnis zu nehmen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819709200

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ernst?


Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1819709300

Ja .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819709400

Herr Kollege Ullrich, danke, dass Sie die Frage zulas-

sen . – Sie haben eben davon gesprochen, dass es heute
schon möglich sei, einen Aufsichtsrat anzugehen, weil er

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


zu hohe Vorstandsvergütungen zugelassen hat . Erstens .
Ist Ihnen irgendein Fall bekannt, der belegt, dass das
schon einmal stattgefunden hat?

Zweitens . Sie haben gesagt, das 20-Fache sei falsch .
Wir haben gerade gehört, es gibt erfolgreiche Unterneh-
men, die sogar nur das Achtfache zahlen . Sind Sie bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass das Verhältnis zwischen
den untersten Einkommen und den höchsten Einkom-
men im selben Unternehmen immer größer wird und
eine immer größere Diskrepanz entsteht? Sind Sie bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass sich dieses Verhältnis of-
fensichtlich trotz der Gesetze, die Sie ansprechen – Sie
werfen der Kollegin Kipping vor, sie hätte diese nicht
gelesen –, weiter vergrößert? Oder muss ich aufgrund
Ihrer Ausführungen annehmen, dass Sie es völlig in Ord-
nung finden, dass ein Sparkassendirektor inzwischen das
Mehrfache unserer Bundeskanzlerin verdient?


(Beifall bei der LINKEN)


Sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen –
das konnte ich Ihren Ausführungen nicht entnehmen im
Gegensatz zu dem, was wir vorher gehört haben –, dass
das überhaupt ein Problem darstellt? Denn die Bürge-
rinnen und Bürger und die von Frau Kipping erwähnte
Krankenpflegerin fragen sich irgendwann, was ihre Ar-
beit eigentlich noch wert ist im Verhältnis zu demjenigen,
der in der Chefetage eines Unternehmens sitzt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das noch eine Frage?)


Natürlich verrichtet er seine Tätigkeit, aber im Verhältnis
zum Lohn desjenigen, der die Arbeit wirklich erbringt,
wird er unverhältnismäßig entlohnt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sind Sie bereit, überhaupt das Problem zu erkennen?
Denn was Sie hier machen, ist ja, so zu tun, als sei eigent-
lich alles in Ordnung . Für Sie ist die Rechtslage in Ord-
nung; aber die Praxis zur Kenntnis zu nehmen, verwei-
gern Sie sich . Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, wie die Probleme sind, oder sehen Sie das
gar nicht als Problem?


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das haben wir 2009 schon gemacht!)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1819709500

Herr Kollege Ernst, ich bin bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, dass Sie nicht gewillt sind, sich wirklich mit
dem Thema auseinanderzusetzen,


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Richtig! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schwache Antwort!)


sondern dass Sie schlichtweg in einer Abfolge von Sug-
gestivfragen alles vermischen: die gesamtwirtschaftliche
Lohnentwicklung, die Frage der Lohnspreizung in einer
Gesellschaft, die Frage der Durchsetzung der angemesse-
nen Vorstandsvergütung .

Es gab natürlich in den letzten Jahren genügend Fäl-
le, in denen wegen Untreue und wegen überhöhter Ge-

schäftsführerbezüge gegen einige GmbH-Gesellschafter
sowie gegen Aufsichtsratsmitglieder ermittelt worden ist,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Und gegen die Banken?)


weil nämlich das Interesse des Unternehmens an einer
risikogeeigneten Vergütung ein schützenswertes Interes-
se ist . Ich möchte Ihnen nur deutlich machen, dass Sie
durch Ihre Vorschläge nicht die Menschen schützen, die
Sie hier vorgeben zu schützen,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Und wen schützen Sie?)


nämlich den Arbeiter, den Handwerker, die Kranken-
schwester, sondern dass Sie eine Debatte um Exzesse
führen, die man mit dem geltenden Recht bereits in den
Griff bekommen kann. Aber durch die Debatte, die Sie
führen, hat keine einzige Krankenschwester 1 Euro mehr
im Geldbeutel .

Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade die
Lohnentwicklung der letzten Jahre unter dieser Bundes-
regierung stark angestiegen ist, dass es den Menschen in
Deutschland insgesamt gut geht und dass diese Bundes-
regierung eine Mindestlohnregelung geschaffen hat. Dies
alles sind Fortschritte für die Arbeitnehmer, die mit Ihnen
nicht möglich gewesen wären .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was? – Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Jetzt kann er sich hinsetzen!)


Um noch auf einen letzten Punkt hinzuweisen: Sie
kritisieren in Ihrem Antrag auch die zu hohen Boni und
die Gehaltsstrukturen bei den deutschen Großbanken . Ja,
daran ist vielleicht ein Körnchen Wahrheit; aber ich bitte
Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch hier mittlerwei-
le eine gesetzgeberische Aktivität entfaltet wird, die Sie
überhaupt nicht ansprechen, weil Sie möglicherweise gar
keine Kenntnis davon genommen haben .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Alles zu speziell!)


Es gibt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanz-
marktstabilisierung . Damit werden EU-Richtlinien um-
gesetzt und in nationales Recht übertragen . Mit dieser
Neuregelung wird der Kreis der regulierten Banken in
Bezug auf die Boni von etwa 50 auf 3 000 Institute er-
höht, und gleichzeitig wird die Frage, wie Boni gestaltet
werden und wie sie ausgezahlt werden dürfen, wesentlich
stärker reguliert . So dürfen zukünftig nur noch 60 Pro-
zent der Boni direkt ausbezahlt werden, bei mindestens
50 Prozent der Boni brauchen Sie eine Nachhaltigkeits-
komponente . Das Verhältnis von fester und variabler Ver-
gütung darf nur noch 1 : 1 betragen . Das ist ein klarer
und deutlicher Schritt, auch die Vergütung in Banken
risikoadäquat anzupassen, und es ist ein Schritt, der viel
weiter geht als das, was Sie sich jemals hätten vorstel-
len können . Aber es ist natürlich wohlfeil, hier groß zu
reden, ohne Kenntnis von den Aktivitäten zu haben, die

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


bereits geschehen sind . Das ist weder diesem Haus noch
den Menschen gegenüber ehrlich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir setzen, meine Damen und Herren, auf eine an-
gemessene und klare Regulierung der Vorstandsbezüge .
Wir setzen aber auch darauf, dass sich insgesamt das
Gehaltsniveau der Menschen in diesem Land – das gute
Niveau, das wir haben – weiter verbessert, dass insbe-
sondere durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung die
Menschen in den Unternehmen deutlich mehr verdienen;
denn nur durch eine gute gesamtwirtschaftliche Entwick-
lung werden wir auch weiterhin am Wohlstand teilneh-
men können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819709600

Zum Abschluss der Aussprache hat der Kollege Klaus

Barthel für die SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1819709700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glau-

be schon, dass es ein Problem ist, wie es Frau Kipping
dargestellt hat, und teilweise auch ein Skandal ist, wie
sich die Managergehälter und die anderen Einkommen
auseinanderentwickelt haben .


(Beifall bei der LINKEN)


In der Tat: 2005 bis 2014 ist dieser Faktor, der eine Re-
lation zwischen den durchschnittlichen Löhnen und den
Managervergütungen ausdrückt, bei den DAX-30-Unter-
nehmen von dem 42-Fachen auf das 57-Fache angestie-
gen . 2015 war die Tendenz weiter steigend . Leider ist es
nach der Finanzkrise, nach all dem Desaster, so weiter-
gegangen .

Ich will auch daran erinnern, dass in den Hochzeiten
des demokratischen Sozialismus, 1987, also zu Zeiten
von Helmut Kohl, dieser Faktor bei 14 lag .


(Beifall bei der LINKEN Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Das heißt, es gibt eine Vervierfachung des Abstands zwi-
schen dem Einkommen des Managements und dem der
Arbeitnehmer .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


In der Tat führt diese Spaltung zu moralischen und
gesellschaftlichen Problemen . Ein großer Teil der Be-
völkerung sagt, egal ob Allensbach oder die Fried-
rich-Ebert-Stiftung die Befragung macht, dass die sozi-
ale Ungleichheit zu groß ist . Es lähmt die Motivation zur
Arbeit . Das beschäftigt uns auch bei der Rentendiskussi-
on: Die einen sinken immer mehr in Richtung Grundsi-
cherung ab, und andere gehen mit dem goldenen Hand-
schlag, gehen mit Millionen aus einem Unternehmen
heraus . Es ist auch ein ökonomisches Problem, weil die
Ungleichheit das Wachstum bremst und weil durch diese
Art der Vergütung in den Unternehmen Fehlanreize ent-

stehen . Wir haben eine Investitionsblockade . Sie hat un-
ter anderem etwas damit zu tun, dass Manger womöglich
lieber entscheiden, sofort einen Gewinn einzustreichen
als zu investieren . Wichtige Zukunftsentwicklungen sind
verschlafen worden . Ich verweise nur auf die Energie-
wende, den Umbau der Mobilitätsindustrie usw .

Rechtfertigungen dafür fehlen . Auch der Leistungsbe-
zug fehlt . Das ist dargestellt worden; das will ich nicht
weiter vertiefen . Man kann es auch nicht damit rechtferti-
gen, dass wir im internationalen Vergleich noch ein biss-
chen hinten liegen und die Managergehälter in den USA
und in Großbritannien das 365-Fache betragen . Dort ar-
beitet ein Manager nicht eine Woche, um so viel Geld zu
verdienen wie ein Arbeitnehmer im ganzen Jahr, sondern
einen Tag . Das kann es alles nicht sein .

Auch mit der Verantwortung ist es nicht so weit her .
Das sehen wir, wenn wir uns jetzt einmal die Bilanz der
Finanzkrise anschauen . Welcher Manager ist denn ent-
sprechend seiner großen Verantwortung wirklich heran-
gezogen worden für den Mist, den er gebaut hat? Es gibt
kaum Verurteilungen, und keiner sitzt im Gefängnis . Alle
sind gut abgesichert . Bei anderen Betrugs- und Eigen-
tumsdelikten, die es bei uns gibt, sieht die Situation ganz
anders aus . Egal ob bei VW oder den Banken oder einem
Mittelständler, wenn die Probleme das Unternehmen er-
reichen, dann sind die Manager, die die Probleme zu ver-
antworten haben, längst weg . – Das ist das eine .

Jetzt stellt sich die Frage – sie richtet sich an die
Linksfraktion –: Was ist zu tun? Was kann man machen?

Erstens . Es stimmt nicht, dass unser Gesetz zur An-
gemessenheit der Vorstandsvergütungen von 2009 völlig
wirkungslos war .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!)


Denn seit dieses Gesetz wirkt, seit 2011, ist dieser Faktor,
den ich genannt habe, tatsächlich zurückgegangen, und
zwar von einem Höhepunkt von 62 auf jetzt wieder 57 .
Das heißt, wir sollten uns als Gesetzgeber nicht kleiner
machen, als wir sind, und nicht immer so tun, als wäre
alles, was wir hier machen, für die Katz . – Das ist das
Erste .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens . Wenn Sie in Ihrem Antrag von Skandalen
sprechen – am Anfang schreiben Sie ja, dass es um Skan-
dale, kriminelle Machenschaften und organisierten Be-
trug geht –, wenn Sie das zum Ausgangspunkt machen,
dann muss ich sagen: Das ist ein Fall für die Staatsan-
waltschaft, für die Gerichte und für den Justizvollzug und
betrifft nicht die Frage von Managervergütungen. Das
sollte man sauber trennen .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: So ist es!)


Drittens . Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen
den Betrieben und Unternehmen, sogar zwischen den
DAX-30-Unternehmen . Den höchsten Faktor gibt es jetzt
mit 141 bei VW . Es gibt auch Konzerne im DAX, die den
Faktor 17 haben . Daran sieht man, dass das nicht alles
über einen Kamm zu scheren ist, sondern dass das von
Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ist . Es ist

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


eine Frage der Transparenz im Unternehmen und eine
Frage der Mitbestimmung .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!)


Es hängt auch nicht nur von der Entscheidung der Voll-
versammlung ab, sondern eben auch von der Mitbestim-
mung im Aufsichtsrat .

Viertens . Das richtet sich jetzt an den Kollegen Klaus
Ernst, weil wir als Gewerkschafter immer schauen müs-
sen, welche Gesetze wo wirksam werden . Wir greifen
hier in die Vertragsfreiheit ein . Das ist äußerst proble-
matisch . Die Frage ist dann immer: Wie sieht so etwas
aus? Bemessungsgrundlage? Lohn? Lohn wo? Lohn in
Bangladesch von irgendeinem Konzern – hier könnte es
zum Beispiel das 20-Fache sein – oder Lohn einer en-
gen Führung einer Aktiengesellschaft mit 100 GmbHs,
wo sowieso nur Spitzeneinkommen gezahlt werden? Das
heißt, hier haben wir ein praktisches Problem . Das ist
dargestellt worden .

Es gibt eine Menge Umgehungsmöglichkeiten . Die
Kreativität, irgendwelchen Managern irgendetwas außer
Geld zukommen zu lassen, ist grenzenlos . Die Frage am
Ende ist: Wer soll das alles kontrollieren? Diese ganz
konkreten Fragen sollte man sich bitte stellen, wenn man
hier solche Anträge stellt .

Statt Symbolpolitik schlagen wir insbesondere vor –
Kollege Petry hat es genannt –, erstens die steuerlichen
Möglichkeiten zu nutzen, also die Absetzbarkeit steuer-
lich zu begrenzen . Wir wollen keinen Milliardär in den
Golfstaaten oder die Familie Quandt daran hindern, ihr
Milliardenvermögen mit Spitzenmanagern zu teilen, aber
sie sollen es nicht steuerlich absetzen können .

Das Zweite ist die Anhebung des Spitzensteuersatzes .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Da machen wir mit!)


Ich finde, darüber muss man auch reden. Wenn man
15 Millionen Euro im Jahr bekommt und die Hälfte da-
von an Steuern zahlen muss, dann hat man 7,5 Millionen
und ist immer noch nicht arm . Da ist also Luft nach oben .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Schließlich, weil wegen des letzten Tagesordnungs-
punktes auch die Sozialpolitikerinnen und Sozialpoliti-
ker hier sind: bitte einkommensbezogene Heranziehung
der Managervergütungen im Rahmen der Bürgerversi-
cherung zur gesetzlichen Krankenversicherung


(Beifall bei der LINKEN)


und im Rahmen der Erwerbstätigenversicherung auch
zur Rentenversicherung .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Dann haben alle etwas davon, und dann können wir uns
solche Anträge sparen .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819709800

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9838 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Federführung ist
jedoch strittig . Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD
wünschen die Federführung beim Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz . Die Fraktion Die Linke wünscht
die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Energie .

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim
Wirtschaftsausschuss . Wer für diesen Überweisungsvor-
schlag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gibt es keine . Der
Überweisungsvorschlag ist damit mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .

Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, näm-
lich die Federführung beim Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz anzusiedeln . Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Da-
mit ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke und vom Bündnis 90/Die
Grünen .

Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 11 a und 11 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes und anderer Gesetze

Drucksache 18/9232

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/10064

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Jutta Krellmann, Matthias W . Birkwald, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN-
KE

Etablierung von Leiharbeit und Miss-
brauch von Werkverträgen verhindern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja
Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Missbrauch von Leiharbeit und Werkver-
trägen verhindern

Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache und erteile zuerst das Wort
der Parlamentarischen Staatssekretärin Anette Kramme
für die Bundesregierung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


A
Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1819709900


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie alle kennen die jahrelangen Debatten um
die Leiharbeit: Stammbelegschaften, die sich durch Leih-
arbeitnehmer unter Druck gesehen haben, Leiharbeitneh-
mer, die sich ausgenutzt gefühlt haben, aber auch Be-
triebsräte und Gewerkschaften, die der Auffassung sind,
dass sie nicht hinreichend Rechte haben .

Meine Damen und Herren, wir stärken die Rechte der
Stammbelegschaften . Wir stärken die Rechte der Leihar-
beitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer . Und wir schaf-
fen mehr Handlungsoptionen für die Gewerkschaften
und Betriebsräte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich das anhand einiger Beispiele verdeut-
lichen:

Erstens . Die Arbeitnehmerüberlassung muss künf-
tig durch die Verleiher und Entleiher immer offengelegt
werden . Es ist künftig also nicht mehr möglich, die Ar-
beitnehmerüberlassung als Werkvertrag zu tarnen, um
den Beschränkungen bei der Leiharbeit zu entgehen und
es, falls das Ganze auffliegt, als Leiharbeit abzuwickeln.

Zweitens . Wir verbessern die Informationsrechte der
Betriebsräte . Betriebsräte haben künftig ein Recht auf
Information darüber, in welchem zeitlichen Umfang, an
welchem Ort und mit welchen Aufgaben Fremdpersonal
in ihrem Betrieb eingesetzt wird . Außerdem hat der Be-
triebsrat das Recht, die Vorlage der dem Einsatz zugrun-
deliegenden Verträge zu verlangen . Diese Informations-
rechte stärken den Betriebsrat in seinem Wächteramt .

Drittens . Erstmals seit dem Inkrafttreten des Bürgerli-
chen Gesetzbuches vor über einhundert Jahren definieren
wir den Begriff „Arbeitsverhältnis“, und wir definieren,
was ein Arbeitsvertrag ist . Wir haben es endlich ge-
schafft, diese Gesetzeslücke zu schließen und damit mehr
Rechtssicherheit zu schaffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viertens . Unser Gesetzentwurf setzt neue Leitplanken
bei der Bezahlung und bei der Überlassungshöchstdau-
er von Leiharbeitnehmern . Der Grundsatz „Equal Pay“
greift regelmäßig nach neun Monaten . Die Höchstüber-
lassungsdauer ist jenseits von Möglichkeiten der Tarif-
vertragsparteien der Entleiherbranche auf 18 Monate
festgelegt .

Fünftens . Wir sichern die Möglichkeit, faire Tarif-
vertragsverhandlungen zu führen, indem wir den miss-

bräuchlichen Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und
Leiharbeitnehmern als Streikbrecher verhindern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bereits jetzt gibt es bekanntermaßen ein Leistungs-
verweigerungsrecht für Leiharbeitnehmer im Falle eines
Streikes im Einsatzbetrieb. Wir haben es aber zu häufig
erlebt, dass Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerin-
nen in diesem Fall unter Druck gesetzt und gezwungen
werden, den Streik von Kollegen zu unterlaufen . Mit die-
sem Gesetzentwurf ergänzen wir das Leistungsverweige-
rungsrecht für Leiharbeitnehmer durch das gesetzliche
Verbot, Leiharbeitskräfte als Streikbrecher tätig werden
zu lassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sechstens . Dieser Punkt, bei dem es um die Unterneh-
mensmitbestimmung geht, ist mir persönlich sehr wich-
tig, weil damit etwas für die Landschaft der Betriebe in
diesem Land getan wird: Durch die Berücksichtigung
der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer bei
den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung
werden zahlreiche Unternehmen in die drittelparitätische
oder sogar in die paritätische Mitbestimmung hineinrut-
schen . Das bedeutet, dass es dadurch tatsächlich Mitbe-
stimmung in diesen Unternehmen geben wird .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich abschließend Folgendes sagen: Ich bin der festen
Überzeugung, dass das Gesetz wirken wird, und zwar
deshalb, weil wir scharfe Sanktionen für diejenigen vor-
gesehen haben, die sich nicht an die neuen Regeln halten
wollen .

Dafür haben wir Ordnungswidrigkeiten mit Geld-
bußen eingeführt: Bei einer verdeckten Arbeitnehmer-
überlassung und bei einem Verstoß gegen die Überlas-
sungshöchstdauer beträgt die Geldbuße jeweils bis zu
30 000 Euro . Bei einem Einsatz der Leiharbeitskräfte als
Streikbrecher beträgt die Geldbuße bis zu 500 000 Euro .

Vor allen Dingen haben wir aber geregelt, dass bei be-
stimmten Verstößen kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis
zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher entsteht . Das
ist bisher schon der Fall, wenn der Verleiher keine Ver-
leiherlaubnis hat .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber lange gedauert, bis das klargestellt wurde!)


Künftig gilt das auch, wenn die Arbeitnehmerüberlas-
sung nicht offengelegt wird oder wenn die Überlassungs-
höchstdauer überschritten wird .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus mei-
ner Sicht handelt es sich hier um einen ausgewogenen
Gesetzentwurf, mit dem wir nach meiner Überzeugung
etwas tun, um mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu
schaffen. Wir bekämpfen damit den Missbrauch von

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Leiharbeit und Werkverträgen und stärken die Sozial-
partnerschaft in diesem Land .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit dem Gesetzentwurf!)


Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu diesem Ge-
setzentwurf und bedanke mich herzlich für die Aufmerk-
samkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819710000

Der Kollege Klaus Ernst spricht jetzt für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819710100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Frau Kramme, das war wieder eine Rede nach dem
Motto: Dem Unterbewusstsein ist es egal, wer einem auf
die Schulter klopft . – Dass Sie sich bei diesem Gesetz-
entwurf selber loben, wundert mich allerdings wirklich .

Die Zuschauer, die hier sitzen, sind durch den Vorder-
eingang in dieses Parlamentsgebäude hereingegangen,
nicht wie wir, die wir wie die Maulwürfe unterirdisch he-
reinkommen . Wenn man vorne hereinkommt, dann liest
man: „Dem deutschen Volke“ . Das deutet darauf hin,
dass nicht nur diese Halle dem deutschen Volk gehört,
sondern dass hier auch Gesetze gemacht werden sollen,
die im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bür-
ger sind . Das ist der Sinn dieses Spruches .


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht schon wieder! Vorsicht! – Zurufe von der SPD)


Meine Damen und Herren, jetzt fragen wir einmal:
Liegt die Lage in diesem Lande denn im Sinne des Ge-
meinwohls? Bei der Leiharbeit liegt das mittlere Einkom-
men bei 1 700 Euro, bei Menschen mit einem normalen
Job sind es 2 960 Euro . Ist das im Sinne des Gemein-
wohls? Das sind 1 260 Euro weniger . Wir wissen, dass
Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer bei der-
selben Tätigkeit deutlich schlechter entlohnt werden und
dass sie unter deutlich schlechteren Bedingungen arbei-
ten . Das alles ist bekannt .

Was ändert nun dieses Gesetz daran? Wir stellen uns
die Frage, ob dieses Gesetz im Interesse des Gemein-
wohls ist oder ob sich bei dieser Gesetzgebung offen-
sichtlich andere Interessen durchgesetzt haben . Sie von
der SPD haben einmal gesagt: Gleicher Lohn bei gleicher
Arbeit . Sie waren ja mal auf dem richtigen Weg; in Ihrem
Wahlprogramm steht ja das Ziel „Gleicher Lohn bei glei-
cher Arbeit“ . Das ist eine sinnvolle Lösung . Sie schlagen
hier aber einen Gesetzentwurf vor, in dem gleicher Lohn
bei gleicher Arbeit erst nach neun Monaten Ausleihzeit
im selben Betrieb erfolgen soll . Das hat doch nichts mit
gleichem Lohn bei gleicher Arbeit zu tun . Sie wissen
doch, dass nur 25 Prozent der Beschäftigten überhaupt
neun Monate oder länger in einem Betrieb beschäftigt

sind . Das ist Etikettenschwindel, was Sie hier betreiben,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Sie wissen doch genau, warum das so ist!)


Ich habe vorhin das Wahlprogramm der SPD erwähnt .
Ich weiß, ihr wolltet eine andere Lösung . Ich weiß, dass
es die CDU/CSU-Fraktion ist, die das nicht will, weil
diese Fraktion sich eben nicht am Gemeinwohl, sondern
am Interesse der Leiharbeitsfirmen orientiert. Das ist das
Problem in diesem Lande, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Wir übernehmen Verantwortung! Sie wissen noch nicht einmal, wie Verantwortung buchstabiert wird!)


Jetzt wollen wir uns das einmal im Detail ansehen .

Erster Punkt . Wem nützt es denn, dass Leiharbeit in
diesem Land überhaupt akzeptiert wird? Wo ist der Un-
terschied zu einer normalen Beschäftigung? Wenn ein
Unternehmer jemanden beschäftigt, dann muss der Be-
schäftige für den einen Unternehmer eine Leistung er-
bringen . Dieser Arbeitgeber will an ihm verdienen . Bei
der Leiharbeit haben wir das Problem, dass am selben
Beschäftigten zwei verdienen wollen: derjenige, der ihn
verleiht, und derjenige, für den er arbeitet . Deshalb ist
die Forderung der Linken schon richtig, einmal darüber
nachzudenken, ob dieses System einen Sinn hat und ob
es überhaupt im Gemeinwohlinteresse liegt .


(Beifall bei der LINKEN – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber entscheiden müsst ihr euch auch langsam!)


Zweiter Punkt . Denken wir einmal darüber nach:
Wem nützt es denn, dass bis zu neun Monate lang kein
gleicher Lohn bei gleicher Arbeit gezahlt wird? Das nützt
natürlich den Leiharbeitsunternehmen . Es nützt auch den
Unternehmen, bei denen die Leiharbeiter beschäftigt
werden, weil die Unternehmen ihnen natürlich geringere
Löhne als demjenigen zu zahlen haben, der in dem Be-
trieb normalerweise vollzeitbeschäftigt wird . Das ist der
Zusammenhang . Diesen wollen Sie mit Ihrem Gesetzent-
wurf nicht ändern .

Im Übrigen: Leiharbeit könnte vielleicht durch eine
Begrenzung funktionieren . Man könnte zum Beispiel an-
führen, dass Vollzeitarbeit nicht durch Leiharbeit ersetzt
werden darf. Auch da treffen Sie keine Regelung, weil
Sie eine Höchstüberlassungsdauer von bis zu 18 Mona-
ten zulassen, aber nicht bezogen auf den einzelnen Ar-
beitsplatz, sondern bezogen auf den einzelnen Beschäf-
tigten . Das bedeutet: Derselbe Arbeitsplatz kann immer
wieder mit einem Leiharbeiter besetzt werden . Wem
nützt das? Ist das im Interesse des Gemeinwohls? Nein,
das ist nur im Interesse der Verleihfirmen und derer, die
solche Arbeitnehmer beschäftigen . Mit Gemeinwohl hat
das nichts zu tun, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn es darum geht, flexibel zu sein, dann verwei-
se ich auf die Rechtslage in diesem Lande . Sie können

Parl. Staatssekretärin Anette Kramme






(A) (C)



(B) (D)


befristet Beschäftigte nahezu ohne Einschränkungen in
einem Betrieb beschäftigen, wenn es dafür einen sach-
lichen Grund gibt . Eine Auftragsspitze wäre ein sach-
licher Grund . Sie könnten diese Spitzen mit befristeter
Beschäftigung ausgleichen . Nein, das machen Sie nicht,
weil dann nämlich gleicher Lohn bei gleicher Arbeit ge-
zahlt werden müsste . Alle Beschäftigten im Betrieb wür-
den nach demselben Tarif arbeiten und dieselben Löhne
erhalten . Das wollen Sie nicht . Sie machen ein Gesetz im
Interesse der Leiharbeitsunternehmen und im Interesse
der Unternehmen, die Leiharbeiter beschäftigen .

Letzter Punkt . Schauen wir uns VW an . Es gab eine
Debatte darüber, dass VW die Leiharbeiter nicht über-
nehmen, sondern rausschmeißen will . Man weiß, wem
das dient . Das ist kein Gesetz im Sinne des deutschen
Volkes . Das ist ein Gesetz im Sinne der Leiharbeitsun-
ternehmen .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Dann machen wir mehr Befristungen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819710200

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Karl

Schiewerling .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1819710300

Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, Herr Prä-

sident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir die missbräuchlichen Entwicklungen
im Bereich von Leiharbeit und Werkverträgen angehen
wollen . Das machen wir mit diesem Gesetz . Dieses Ge-
setz ebnet neue Wege . Ich halte das für richtig . Allerdings
fangen wir damit nicht erst an; wir haben bereits in der
letzten Koalition unter den damaligen Bedingungen eine
ganze Menge organisiert . Wir setzen das fort . Wir wollen
faire Bedingungen – daran arbeiten wir –, aber wir wol-
len auch die Chancen nutzen, die die Leiharbeit bietet .

Lieber Herr Kollege Ernst, ich finde es schon abenteu-
erlich, wie Sie „Gemeinwohl“ definieren. Für uns heißt
Gemeinwohl, dass wir Menschen, die sonst keine Per-
spektive haben, in Beschäftigung bringen . Für uns heißt
Gemeinwohl, dass wir den Menschen, die Hilfe brau-
chen, Hilfe geben . Für uns heißt Gemeinwohl nicht unbe-
dingt, ein starres System zu schaffen, in dem sich keiner
mehr bewegen kann und in dem die Wirtschaft hinterher
keine Luft mehr bekommt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, das Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetz, das wir hier verändern, richtigerweise ver-
ändern, ist ein Schutzgesetz, es muss aber auch Chancen
eröffnen, dass Menschen über diesen Weg in Beschäfti-
gung kommen . Dass Sie das hier ständig so darstellen,
als sei das alles Ausbeutung, dazu muss ich sagen: Das ist
purer Unfug . Viele der Menschen, die jetzt in Leiharbeit
tätig sind, wären sonst möglicherweise nicht erwerbs-
tätig, weil nämlich keineswegs gesichert wäre, dass sie

über andere Wege im Arbeitsmarkt untergekommen wä-
ren .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Vielleicht hätten Sie einen festen Job!)


Diese Fragen sind hinten und vorn nicht geklärt . Dies so
darzustellen, wie Sie es getan haben, halte ich für grund-
falsch .

Meine Damen und Herren, wir wollen die Chancen
für die Menschen nutzen . Wir wollen mit der Reform des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gleichzeitig Dinge in
Ordnung bringen . Frau Kramme hat das eingangs darge-
stellt . Das kann ich nur unterstreichen und sagen, dass
das auch unsere Ziele sind . Unser Ziel ist allerdings auch,
dass wir an bestimmte Dinge mit Augenmaß herangehen .
Die Frage, wie und wann Sanktionen greifen, haben wir
im Ausschuss noch einmal vernünftig geklärt .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was macht man eigentlich vorher!)


Ich will nur sagen, dass von allen Menschen, die in
Zeitarbeit tätig sind, 98 Prozent unter einem Tarifvertrag
arbeiten, 90 Prozent in Vollzeit arbeiten, 70 Prozent aus
der Arbeitslosigkeit kommen und 29 Prozent keinen Be-
rufsabschluss haben . Ich sage Ihnen: Für diese Menschen
brauchen wir auch weiter den Weg über die Zeitarbeit in
Beschäftigung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden erleben, dass wir dieses Instrument auch in
Zukunft benötigen, wenn uns zum Beispiel die Aufgabe
gestellt ist, viele Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt unter-
zubringen . Ich möchte gern, dass wir dieses Instrument
dafür nutzen können .

Viele Betriebe halten sich daran, haben eigene Dinge
entwickelt und eigene Schwerpunkte gebildet . In meinem
Wahlkreis zahlt zum Beispiel die Firma Schmitz Cargo-
bull 2 000 Beschäftigten, knapp 560 Leiharbeitnehmern,
Zeitarbeitnehmern, bereits ab dem ersten Tag Equal Pay .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was ist eigentlich der Unterschied? Erklären Sie den Unterschied zwischen Zeitund Leiharbeit!)


Warum hat die Firma das so gemacht? Nicht deshalb,
weil sie Auftragsspitzen auffangen will, sondern deshalb,
weil sie aus den Erfahrungen mit der Finanzkrise 2008
gelernt hat, dass die gesamte Firma in Gefahr ist, wenn
sie die Flexibilität für die Beschäftigten nicht hat . Die
Bedingungen, die für die Menschen gelten, die dort als
Leiharbeitnehmer tätig sind, sind fair und tarifvertraglich
abgesichert . Das wird mitgetragen . Der Betriebsrat – mit
dem habe ich mich heute Morgen noch einmal ausführ-
lich unterhalten – hat diese Dinge ausdrücklich mitge-
tragen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte man ja Equal Pay ab dem ersten Tag machen können!)


Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


Auch wir haben Verleiharbeitsfirmen, die entsprechen-
de klare Regelungen haben . Ich glaube, dass das, was
dort tarifvertraglich geregelt ist, vernünftig angepackt ist .

Meine Damen und Herren, Inhalt des Gesetzentwurfes
ist: nach 9 Monaten Einsatzdauer Equal Pay; Überlas-
sungshöchstdauer von 18 Monaten . In Fortführung an-
derer Gesetze, die wir in dieser Legislatur miteinander
beschlossen haben, machen wir auch hier etwas, worauf
wir als Koalition großen Wert legen: Wir stärken die Ta-
rifautonomie . Wir lassen nämlich Ausnahmen nur zu, so-
fern tarifvertragliche Vereinbarungen dies ermöglichen .
Ich halte das für einen richtigen Schritt, weil wir auf die-
sem Wege den Arbeitgebern sagen, dass es sich lohnt, im
Arbeitgeberverband zu sein und über Tarifverträge die
Bedingungen am Arbeitsmarkt gemeinsam mit den Ge-
werkschaften ordentlich und vernünftig auszuhandeln .
Deswegen halte ich diesen Schritt auch für richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Noch ein Punkt lag uns sehr am Herzen . Wir alle ken-
nen die Fälle: Einsatzbetriebe schließen einen Werkver-
trag, und erst wenn die Finanzkontrolle Schwarzarbeit
kommt, fällt ihnen ein, dass das eine Arbeitnehmerüber-
lassung sein könnte . – Diesen Spurwechsel wollen wir
nicht . Es muss klar sein, was Werkvertrag, was Zeitarbeit
und Leiharbeit ist, schon alleine, um die Arbeitnehmer zu
schützen . Mit diesem Gesetz führen wir dies ein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Viele haben übrigens die Sorge, sie könnten plötzlich
unter die Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungs-
gesetzes fallen . Wir haben im Ausschuss noch einmal
deutlich erklärt und dargelegt, dass zum Beispiel alle,
die Beratungsdienstleistungen erbringen oder Implemen-
tierungen von neuen Projekten in einem Betrieb vorneh-
men, nicht darunterfallen, sondern für sie weiterhin die
werkvertragliche Regelung gilt . Das ist vernünftig und
klug . Wir sollten an dieser Stelle auch sagen: Ja, wir wol-
len, dass faire Bedingungen am Arbeitsmarkt herrschen;
wir wollen aber auch das Kind nicht mit dem Bade aus-
schütten, sondern Beschäftigung ermöglichen . Ja, wir als
CDU/CSU-Fraktion wollen vor allen Dingen mit diesem
Gesetzentwurf, den wir gemeinsam mit unserem Koali-
tionspartner, der SPD, auf den Weg gebracht haben und
heute beschließen, Menschen Wege in Beschäftigung
eröffnen und damit eine Grundlage für eine gute wirt-
schaftliche Entwicklung schaffen. Ich bin sicher, dass wir
mit diesem Gesetz gemeinsam einen wichtigen Schritt
nach vorne gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819710400

Als Nächstes spricht die Kollegin Beate Müller-

Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Bis zur ersten Lesung hat es ja extrem
lange gedauert, und jetzt muss wieder alles ganz schnell

gehen . Am Montag erst war die Anhörung der Sachver-
ständigen – da gab es viel Kritik, und zwar von allen
Seiten; jetzt gibt es auch noch Kritik vom Wissenschaft-
lichen Dienst –, und doch landete der Gesetzentwurf in
dieser Woche überraschend im Ausschuss, und schon
heute finden die zweite und die dritte Lesung statt. Was
soll eigentlich die Eile? Wenn so viel Kritik kommt, dann
sollten Sie, die Regierungsfraktionen, einfach einmal in-
nehalten und die Kritikpunkte ernsthaft prüfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


An einer Stelle haben Sie immerhin mit einem Ände-
rungsantrag auf die Kritik reagiert . Dabei geht es um den
Missbrauch von Werkverträgen . Das vorgesehene Wider-
spruchsrecht für Arbeitgeber in der ursprünglichen Form
wäre für die Beschäftigten von Werkvertragsfirmen ex-
trem fatal gewesen . So wäre ein neuer Anreiz für Betrie-
be entstanden, die bewusst verdeckte Leiharbeit einset-
zen . So wäre auch ein neuer Schutz der Unternehmen vor
Rechtsfolgen entstanden . Deshalb gab es hierzu richtig
heftige Kritik . Auch meine Kleine Anfrage hat gezeigt,
dass die Rechtsauffassung der Bundesregierung sich
nicht wirklich mit dem deckt, was tatsächlich im Gesetz-
entwurf steht . Mit einem Änderungsantrag wurde jetzt
diese strittige Frage eindeutig geklärt: Bei Scheinwerk-
verträgen entsteht trotz Verzichtserklärung ein Arbeits-
verhältnis mit dem Entleiher . Das ist gut so . Das haben
wir auch so gefordert . Deshalb war der Änderungsantrag
richtig und wichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So, das war das Lob . Jetzt habe ich nur noch Kritik . Im
Gesetz fehlen weiterhin eindeutige Kriterien, um Leih-
arbeit und Werkverträge abzugrenzen, und zwar im Ar-
beitnehmerüberlassungsgesetz . Wir fordern ein Zustim-
mungsverweigerungsrecht für Betriebsräte . Wir wollen
ein Verbandsklagerecht . Es wäre auch ganz wichtig, dass
eine Beweislastumkehr eingeführt wird; die stand schon
einmal im Gesetzentwurf, ist dann aber wieder heraus-
verhandelt worden . – Das alles sind wirksame Maßnah-
men, um den Missbrauch von Werkverträgen tatsächlich
zu verhindern; aber nichts davon steht im Gesetzentwurf .
Daher wird er seiner eigenen Zielsetzung nicht gerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wirklich dringend
notwendig ist eine echte Reform der Leiharbeit . Das
haben die Fakten in der Stellungnahme des WSI noch
einmal deutlich gemacht: Durch Leiharbeit entsteht „ein
erhöhtes Armutsrisiko, während des Erwerbslebens, aber
auch im Rentenalter“ . Leiharbeitskräfte haben deutlich
schlechtere Arbeitsbedingungen, sie sind häufiger krank,
und es gibt auch mehr Arbeitsunfälle . Sie werden schnel-
ler arbeitslos. Der Brückeneffekt hingegen ist mit 7 bis
14 Prozent gering .

Die Leiharbeitskräfte fühlen sich zu Recht benach-
teiligt und ähnlich wie die Arbeitslosen nur schlecht in
die Gesellschaft integriert . Der Handlungsbedarf ist also
groß . Eine Mogelpackung wie der vorliegende Gesetz-

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


entwurf wird aber wenig daran ändern . Das kritisieren
wir scharf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Frau Ministerin, Sie versprechen Equal Pay; doch
gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es frühestens nach
neun Monaten . Das war übrigens immer die Position der
FDP . Es ist bekannt, dass drei Viertel der Leiharbeitsver-
hältnisse höchstens neun Monate dauern . Zudem sind
auch Rotationslösungen möglich . Das hat der Wissen-
schaftliche Dienst auch bestätigt .

Der Gesetzentwurf ist ein reiner Etikettenschwindel .
Denn von diesem Equal Pay wird kaum jemand profi-
tieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Frau Ministerin, Sie versprechen auch, dass die Be-
triebe zukünftig Leiharbeit nur vorübergehend, also zeit-
lich begrenzt, bei Auftragsspitzen einsetzen können . Die
Höchstüberlassungsdauer ist aber nicht an den Arbeits-
platz, sondern an die Leiharbeitskraft gebunden . Das kri-
tisiert auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundesta-
ges . Ich zitiere:

Im Ergebnis wird es nach dem Gesetzentwurf mög-
lich bleiben, Arbeitsplätze langfristig mit Leihar-
beitnehmern zu besetzen, sofern diese spätestens
nach 18 Monaten ausgetauscht werden . … Insoweit
sind ähnliche „Rotationslösungen“ wie beim Equal-
Pay-Anspruch denkbar …

Auch die Höchstüberlassungsdauer geht also an der
Zielsetzung vorbei . Leiharbeit ist für die Betriebe zu-
künftig nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft
möglich . So wird der Missbrauch nicht verhindert, son-
dern gesetzlich legitimiert, und das geht gar nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte einen weiteren Aspekt nochmals anspre-
chen; denn hier hat mich vor allem die Begründung ge-
ärgert. Auch nicht tariflich gebundene Betriebe können
durch Bezugnahme von Equal Pay abweichen und so von
den Tarifverträgen profitieren. Wir haben in unserer Klei-
nen Anfrage nachgefragt und die Begründung zur Ant-
wort bekommen, dass so Tarifverträge flächendeckender
angewendet werden . Ich weiß gar nicht, ob ich diese Ant-
wort als unwissend, dreist oder auch zynisch bezeichnen
soll . So werden gerade nicht die Sozialpartner gestärkt
und schon gar nicht die Leiharbeitskräfte . Denn bei der
Leiharbeit gilt doch per Gesetz der Tarifvorrang . Ohne
Bezugnahme müssten sich die Leiharbeitsfirmen organi-
sieren und auch Tarifverträge abschließen . Sonst würde
zum Vorteil der Leiharbeitskräfte Equal Pay ab dem ers-
ten Tag gelten . Die geplante Regelung und diese Begrün-
dung sind unsäglich und nicht akzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sehr geehrte Regierungsfraktionen, ich sage es im-
mer wieder: Wir Grünen haben für die Leiharbeit eine

einfache und zugleich effektive Lösung. Leiharbeit muss
sich für die Unternehmen lohnen – das ist klar –, aber sie
muss sich auch für die Leiharbeitskräfte auszahlen . Des-
halb fordern wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem
ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent .
Über den Preis macht Leiharbeit dann betriebswirtschaft-
lich auch nur vorübergehend Sinn, und zwar ohne bü-
rokratische Höchstüberlassungsdauer . Diese Regelungen
sind eindeutig, zielführend und vor allem gerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Gesetzentwurf verspricht viel, aber Anspruch und
Wirklichkeit gehen weit auseinander . Professor Sell hat
die Kritik in seiner Stellungnahme gut auf den Punkt ge-
bracht . Ich zitiere nochmals:

Arbeitgeber können damit Aufgaben und Arbeitsbe-
reiche dauerhaft von niedrig entlohnten Leiharbei-
tern bearbeiten lassen, und die Risiken des flexib-
len Arbeitsmarktes tragen allein die Beschäftigten,
nicht die Arbeitgeber .

Damit hat er recht .

An dieser Stelle ist der kleinste gemeinsame Nenner
der Großen Koalition besonders klein . Im Mittelpunkt
stehen hier vor allem die Interessen der Wirtschaft und
eben nicht die Menschen . Das Gesetz wird die Situation
der Leiharbeitskräfte nicht verbessern, sondern eher ver-
schlechtern . Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819710500

Waltraud Wolff hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1819710600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Für die SPD
kann ich sagen: Wir arbeiten nicht erst seit letzter Woche
an dem Thema, sondern wir haben schon in der letzten
Legislaturperiode einen Antrag dazu eingebracht, Frau
Müller-Gemmeke .

Aber, meine Damen und Herren, wenn wir oder Sie
zu Hause von Leiharbeit oder Werkverträgen reden, dann
denkt niemand zuerst an gute Arbeitsbedingungen; man
denkt vielmehr an Lohndumping; man denkt daran, dass
Menschen als Streikbrecher eingesetzt werden usw .

Genau weil das so ist, haben wir gesagt: Wir wollen
die Leiharbeit heute wieder auf ihre Kernfunktion hin
orientieren .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt eben nicht! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich denke, das ist nur vorübergehend!)


Das ist richtig, und das ist wichtig . Das ist ein Anfang .

Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, das ist mir ganz besonders
wichtig im Hinblick auf die neuen Bundesländer, weil
das ein wichtiges Signal für die Tarifbindung darstellt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns ist ganz klar: Soziale Marktwirtschaft gibt es
nur mit starken Sozialpartnern . Soziale Marktwirtschaft
läuft in die falsche Richtung, wenn immer mehr Unter-
nehmen die Arbeitgeberverbände verlassen; das ist in
meinem Bundesland Sachsen-Anhalt Tatsache . Sie set-
zen auf unsichere Arbeitsverhältnisse . Deshalb setzen
wir ein klares Signal . Wir setzen auch Grenzen, nämlich
bei der Höchstüberlassungsdauer und auch beim Lohn:
gleicher Lohn für gleiche Arbeit .

Herr Ernst, ich möchte ein Beispiel nennen . Ich war
unlängst in Thüringen bei Kali und Salz . Es gibt auch an-
dere Beispiele für Leiharbeitsfirmen; ich nenne die Firma
jetzt einfach, weil das ein gutes Beispiel war: Technicum .
Diese Firma arbeitet für Kali und Salz im Verbundwerk
Werra . Sie hat den Tarifvertrag von Kali und Salz für ihre
Mitarbeiter übernommen . Da sage ich: Weiter so! Wenn
Leiharbeitsfirmen so arbeiten, ist es etwas Gutes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir begegnen dem Miss-
brauch von Leiharbeit und Werkverträgen genau auf die-
se Weise . Wir sagen aber auch, dass Betriebe und Ge-
werkschaften bei ihren Verhandlungen den Spielraum
bekommen sollen, damit sie abweichen können . Die
IG Metall zum Beispiel hat explizit darum gebeten .

Wir sagen: Hoffentlich schafft das Anreize, dass Ar-
beitgeber wieder in den Arbeitgeberverband und an den
Verhandlungstisch zurückkehren . Das stärkt die Tarifbin-
dung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es die Bezugnahme?)


„Spielraum schaffen“ heißt aber auch, dass die Situati-
on der Hälfte der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeit-
nehmer verbessert werden kann, nämlich die Situation
derjenigen, die weniger als neun Monate im Leihbetrieb
arbeiten . Auch darüber kann am Verhandlungstisch ge-
sprochen werden, an dem nun auch die Betriebsräte
gestärkt sitzen, weil sie besser über die Zahlen und
Aufgaben des Fremdpersonals auf dem Firmengelände
Bescheid wissen .

Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer – das
hat auch die Staatssekretärin vorhin gesagt – werden in
Zukunft mitgezählt, wenn es darum geht, freigestellte
Betriebsräte zu wählen und Aufsichtsratsposten zu beset-
zen .


(Beifall bei der SPD)


Auch das, meine Damen und Herren, stärkt die Positi-
on von Beschäftigten .

Ich weiß – mir geht es auch so –, dass dieser Gesetz-
entwurf nicht das Nonplusultra ist . Wir haben auch kla-

rere Regeln erwartet . Dennoch ist der Gesetzentwurf zu
dieser Zeit richtig . Wir kommen dem Ziel, Leiharbeit
und Werkverträge zu bekämpfen, ein Stück näher . Wir
als SPD bleiben jedenfalls dran .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819710700

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1819710800

Ich habe meinen Sprechzettel schon zusammengefal-

tet .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819710900

Wunderbar .


(Heiterkeit)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1819711000

Ich will nur sagen, dass für die SPD das Thema so

wichtig ist, dass wir es auf jeden Fall nicht aus den Au-
gen verlieren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört man immer wieder!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819711100

Ich bitte noch einmal, etwas mehr auf die Uhr zu ach-

ten . Zeitlich liegen wir schon eine halbe Stunde zurück .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Aber das war nicht unsere Schuld!)


Es wäre nicht so gut, wenn ich zum Schluss mit meinen
Kolleginnen hier oben und den Redenden allein wäre,
weil alle anderen schon auf dem Weg in ihren Wahlkreis
sind . Daher bitte ich, das auch ein wenig zu berücksich-
tigen .

Frau Krellmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819711200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Bundesregierung peitscht dieses Gesetz
mit einem Affenzahn durch den Bundestag,


(Zurufe von der SPD: Oh!)


als ginge es um die Agenda 2010; das hatten wir doch
schon einmal . Seit es Leiharbeit und Werkverträge gibt,
gibt es zwei Klassen von Belegschaften in den Betrieben .
Trotzdem unternimmt die Bundesregierung nichts, und
bei Werkverträgen und Leiharbeit bleibt praktisch alles
beim Alten . Das ist absoluter Beschiss an den Beschäf-
tigten .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Jetzt ist aber gut, ja?)


Im Supermarkt sehen wir das Zweiklassensystem di-
rekt . Die Stammbelegschaft trägt weiße Kittel, Werkver-

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)







(A) (C)



(B) (D)


tragsbeschäftigte tragen schwarze T-Shirts . Alle machen
die gleiche Arbeit . Die Beschäftigten in Weiß haben gere-
gelte Arbeitszeiten und einen Tariflohn. Ihre Kolleginnen
und Kollegen in Schwarz können oft nur davon träumen .
Aber anstatt diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zu
beseitigen, passiert nichts . Selbst zu einer Umkehr der
Beweislast zugunsten der betroffenen Beschäftigten sind
Sie nicht bereit. Sollte sich ein Betroffener doch einmal
vor Gericht trauen, hat er vermutlich keine Chance . Er
kann nicht wirklich nachweisen, dass es sich um einen
Scheinwerkvertrag handelt . Die dafür notwendigen Do-
kumente hat in der Regel nur der Arbeitgeber . Damit ist
klar: Beschäftigte, die über Scheinwerkverträge ausge-
beutet werden, bekommen von der Bundesregierung kei-
ne Hilfe . Aber auch legale Werkverträge werden genutzt,
um ganze Produktionslinien auszulagern . Ziel dabei ist,
Lohnkosten zu sparen und Belegschaften zu spalten .

Die beste Möglichkeit, gegen Missbrauch von Werk-
verträgen vorzugehen, ist die Stärkung der zwingenden
Mitbestimmung . Informationsrechte der Betriebsräte
sind keinen Pfifferling wert, wenn diese nichts tun kön-
nen, um Ungerechtigkeiten zu beenden .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit fallen Sie den Betriebsräten in den Rücken .

Ich selbst bin seit 44 Jahren Mitglied der Gewerk-
schaft . Wenn ich von Ihnen höre, dass „die Gewerk-
schaften“ das eingefordert haben, dann schwillt mir der
Kamm . Sich bei den Gewerkschaftsvorsitzenden im
Ministerium für Arbeit und Soziales die Zustimmung
zu holen, bedeutet nicht, dass gleichzeitig alle Gewerk-
schaftsmitglieder diese Positionen mittragen . Hören Sie
auf, ständig Millionen Beschäftigte für Ihre Interessen
zu vereinnahmen! Die Beschlusslage auf den Gewerk-
schaftstagen zu Leiharbeit und Werkverträgen ist ganz
klar: Gleiches Geld für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag!
Und: Stopp des Missbrauchs von Werkverträgen durch
Stärkung der Mitbestimmung!

Frau Wolff, Sie haben gesagt, es handele sich um eine
Stärkung der Tarifverträge . Ich habe gelernt, dass Tarif-
verträge dazu da sind, bessere Regelungen zu schaffen,
keine schlechteren. Was nun passiert, schafft schlechte-
re Bedingungen für die Beschäftigten . In meiner Region
gibt es Tarifverträge, die gleiches Geld für gleiche Arbeit
vorsehen . Das ist also möglich . Ich kenne das aus eige-
ner Erfahrung . Aber das, was hier passiert, ist das genaue
Gegenteil . Das wird sich gegen die Gewerkschaften wen-
den . Sie vertreten als Bundesregierung und Große Koa-
lition nicht meine Interessen als Gewerkschafterin . Sie
vertreten nicht die Interessen vieler Beschäftigter und
Betriebsräte, erst recht nicht die Interessen aller Beschäf-
tigten .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819711300

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819711400

Ich habe gehofft, dass Sie mir zusätzliche Zeit geben,

wenn ich schon keine Frage stellen kann . Aber ich habe
auch nur noch einen Satz zu sagen .

Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf ab, weil er kei-
ne Verbesserung für die Betroffenen, sondern eine Ver-
schlechterung darstellt .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819711500

Als nächster Redner hat Wilfried Oellers von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1819711600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Ge-
setzentwurf zu den Werkverträgen und der Zeitarbeit . Im
Koalitionsvertrag haben wir seinerzeit vereinbart, dem
Missbrauch von Werkverträgen und Zeitarbeit entgegen-
zuwirken . Dabei bestand die Besonderheit der Gesetzes-
initiative darin, dass auf der einen Seite dem Missbrauch
entgegengewirkt werden sollte und auf der anderen Sei-
te die Werkverträge und die Zeitarbeit als Flexibilisie-
rungsinstrument in handhabbarer Weise erhalten bleiben
sollten, da sie in der heutigen Arbeitswelt und für unsere
Wirtschaft einfach unverzichtbar sind .

Anzuerkennen ist, dass gerade die Zeitarbeitsbranche
bzw . die Tarifpartner in den letzten Jahren viele Maßnah-
men umgesetzt haben, um diesen Bereich zu regeln und
Missbrauch entgegenzuwirken .

Zudem weise ich auch an dieser Stelle ausdrücklich
auf die positiven Aspekte der Zeitarbeit hin: Brücken-
funktion für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 7 bis 14 Prozent!)


der hohe Klebeeffekt hin zur festen Anstellung beim
Entleiher, auch Fahrdienste für Mitarbeiter gerade in
ländlichen Bereichen mit ungünstigen Verbindungen im
öffentlichen Nahverkehr, Qualifizierung der Mitarbeiter
durch die Zeitarbeitsunternehmen . Kleine Unternehmen
ohne Personalabteilung bedienen sich der Zeitarbeitsun-
ternehmen im Wege des Personalrecruitings, und junge
Menschen und Absolventen finden über Zeitarbeitsun-
ternehmen zum Teil schneller eine feste Anstellung bei
Unternehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zeitarbeitsunternehmen können in diesen Fällen pass-
genaue Lösungen bieten . Das hilft nicht nur den Unter-
nehmen, sondern allen voran den Menschen, in Arbeit zu
kommen. Diese positiven Effekte der Zeitarbeit wurden
mir im Rahmen meiner Sommertour durch meinen Wahl-
kreis häufig bestätigt.

Neben all den positiven Auswirkungen verkenne ich
selbstverständlich nicht, dass es an der einen oder ande-
ren Stelle auch Missbrauch gibt . Diesem werden wir mit
diesem Gesetz weiter entgegenwirken . Neben den bereits
genannten Regelungen möchte ich ergänzend Folgendes
erwähnen: Als Jurist sei es mir erlaubt, zunächst auf die
Regelung des § 611a BGB hinzuweisen, die im parla-

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


mentarischen Verfahren überarbeitet wurde und nun in
der Systematik des BGB hilft, den Arbeitsvertrag vom
Werkvertrag besser abzugrenzen .

Im Betriebsverfassungsgesetz haben wir die Informa-
tionsrechte des Betriebsrates konkretisiert . Nach § 80
Absatz 2 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz hat der Un-
ternehmer dem Betriebsrat den Vertrag vorzulegen, den
er mit dem Werkunternehmen bzw . mit dem Zeitarbeits-
unternehmen geschlossen hat . Nicht gemeint sind damit
jedoch die Arbeitsverträge, die der Werkunternehmer
wiederum mit seinen Mitarbeitern geschlossen hat .

Nun zu den Regelungen in der Zeitarbeit . Equal Pay
nach 9 Monaten und eine Höchstüberlassungsdauer von
18 Monaten gepaart mit einer tariflichen Öffnungsklausel
eröffnen Möglichkeiten, branchenspezifische Regelun-
gen zu treffen, und stärken die Tarifautonomie.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine wichtige Rechtsklarstellung wurde in die Pro-
tokollerklärung des Ausschusses dahin gehend aufge-
nommen, dass Beratungsunternehmen und Unternehmen
im Bereich der IT, die zum Beispiel bei Optimierungs-,
Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekten eingesetzt
werden, nicht unter die Arbeitnehmerüberlassung des
§ 1 AÜG fallen . Gleiches gilt auch klarstellend für die
DRK-Schwesternschaft .

Das aufgenommene Streikbrecherverbot ist so gestal-
tet, dass Zeitarbeitnehmer, die vor Beginn eines Streiks
bereits in dem bestreikten Entleiherunternehmen arbei-
ten, weiter ihre Tätigkeit verrichten dürfen, wenn sie es
wollen, und in Betriebsteilen, die nicht bestreikt werden,
auch weiter neue Zeitarbeitnehmer eingesetzt werden
dürfen . Vorausgesetzt ist allerdings stets, dass sie nicht
die Arbeitsleistung der streikenden Mitarbeiter überneh-
men .

Die Sanktionen haben unter anderem mit dem Ent-
zug der Verleiherlaubnis ein sehr scharfes Schwert . Im
Rahmen der Protokollerklärung wurde auch hier klar-
stellend darauf hingewiesen, dass ein erstmaliger oder
geringfügiger Verstoß nicht zum Entzug der Verleiher-
laubnis führt . Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes erst
zum 1 . April nächsten Jahres wird allen Beteiligten die
Gelegenheit gegeben, sich auf das Gesetz einzustellen .
Es wäre sicherlich nicht angemessen gewesen, wenn wir
uns hier im Parlament zwei Jahre Zeit nehmen, um das
Gesetz zu verabschieden, und das Gesetz dann einen Mo-
nat später vollständig umgesetzt werden muss .

Neben vielen Klarstellungen ist es mir ein besonderes
Anliegen, darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich des Wi-
derrufsrechts nach § 9 AÜG im parlamentarischen Ver-
fahren noch ein weiteres Verfahren gesetzlich geregelt
werden konnte, mit dem dem Missbrauch von vorzeitig
abgegebenen Blankoerklärungen entgegengewirkt wer-
den kann . Somit konnte im parlamentarischen Verfahren
mehr Rechtsklarheit erreicht werden, eine Schutzrege-
lung gegen Missbrauch aufgenommen werden, der Über-
gang in das neue Gesetz praxisfreundlicher und § 611a
BGB rechtssystematisch korrekt gestaltet werden .

Mit der gesetzlich aufgenommenen Evaluation für das
Jahr 2020 macht der Gesetzgeber deutlich, dass er die

Entwicklung des Gesetzes aufmerksam beobachten und
er gegebenenfalls korrigierend eingreifen wird . Es ist in
meinen Augen nun geboten, die Wirkung des Gesetzes
zunächst einmal abzuwarten, anstatt die Zeitarbeit und
die Werkverträge stets an den Pranger zu stellen . Es soll-
te nach den langen und intensiven Diskussionen, die wir
geführt haben, nun einmal auch Ruhe im Rahmen dieser
Thematik eintreten können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird nicht der Fall sein!)


Abschließend bedanke ich mich ausdrücklich bei Mi-
nisterin Nahles, bei der Staatssekretärin Kramme, bei den
Mitarbeitern des BMAS – namentlich darf ich hier Frau
Loskamp erwähnen – sowie bei unseren Kolleginnen und
Kollegen des Koalitionspartners für die konstruktiven
Gespräche .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819711700

Markus Paschke hat als nächster Redner für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1819711800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich in das Inhaltliche einsteige, Folgendes: Kolle-
gin Krellmann, ich hatte bei Ihrem Beitrag den Eindruck,
dass Sie hier – nach dem Motto, dass es gute und schlech-
te Gewerkschafter gibt – versuchen, die Gewerkschaften
so ein bisschen zu spalten. Ich finde, dass das nicht so
ist . Die Gewerkschaften sind die einzige Kraft, die aus-
schließlich die Arbeitnehmerinteressen vertritt . Und Sie
wissen genauso wie ich, dass die Absenkung des Stan-
dards durch Scheingewerkschaften und Gefälligkeitsta-
rifverträge verursacht wurde – und nicht durch die Ge-
werkschaften, die jetzt versuchen, da eine Besserung für
die Arbeitnehmer zu erreichen .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir
Missbrauch bekämpfen wollen . Und das ist uns mit die-
sem Gesetz auch ein richtig gutes Stück weit gelungen .
Wir sind Realisten: Es wird immer jemanden geben, der
sich um Gesetze und Regeln nicht schert . Aber um diese
Pappenheimer haben wir uns besonders gekümmert, und
das ist auch gut so . Wenn zukünftig gegen Arbeitnehmer-
schutzrechte, die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
verankert sind, verstoßen wird, wird es nicht mehr nur
einen Klaps auf die Finger geben, sondern es werden or-
dentliche Sanktionen verhängt . Das ist, glaube ich, das,
was dieses Gesetz so wertvoll macht .

Es gibt hohe Geldstrafen von 30 000 Euro bis zu
500 000 Euro . Weiterhin ist es möglich, bei härteren bzw .
nachhaltigen Verstößen die Überlassungserlaubnis zu
entziehen . Bei Überschreitung der Höchstüberlassungs-
dauer, bei Scheinwerkverträgen oder unerlaubter Über-

Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


lassung kommt zukünftig ein Arbeitsverhältnis mit dem
Einsatzbetrieb zustande . Das ist doch die ganz entschei-
dende Frage .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit kommt es doch gar nicht! Das wird doch umgangen! Es kommt gar nicht so weit!)


In diesem Zusammenhang gibt es für die Arbeitneh-
mer ein Widerspruchsrecht . Es ist auch ganz klug, das
zu machen . Denn es gibt doch den einen oder anderen
Fall, wo ein Arbeitnehmer gar nicht in einen Einsatzbe-
trieb wechseln möchte . Das kann der Fall sein, wenn er
weiß, dass dieser Betrieb kurz vor der Insolvenz steht,
oder wenn sich der Chef dieses Betriebes nicht besonders
wertschätzend gegenüber seinen Mitarbeitern verhält .

Dieses Widerspruchsrecht wurde im Vorfeld häufig
kritisiert . Es wurde befürchtet, dass das ein Einfallstor
ist, um neue Umgehungstatbestände zum Beispiel durch
Blankowidersprüche zu schaffen.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Richtigerweise, Markus, richtigerweise!)


– Nein, Jutta, überhaupt nicht . – Wir wissen auch, dass
es Urkundenfälschung ist – das ist heute schon verbo-
ten –, jemanden zu nötigen, etwas blanko zu unterschrei-
ben . Aber wir wissen auch, dass diejenigen, die gegen
Gesetze verstoßen bzw . sie umgehen wollen, sich darum
nicht scheren . Deswegen haben wir deutlich gemacht,
dass Widersprüche nur gegenüber der Bundesagentur
für Arbeit abgegeben werden können . Das ist auch gut
so; denn dann sind Blankowidersprüche ausgeschlos-
sen . Weiterhin ist wichtig, dass die Aufsichtsbehörde
zukünftig immer gleich Kenntnis von solchen Verstößen
bekommt . Das ist, glaube ich, ein ganz deutliches Signal
dahin gehend, dass wir es ernst meinen, den Missbrauch
zu bekämpfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Last, but not least haben wir in das Gesetz eine Über-
prüfungsklausel hineingeschrieben . Das heißt, dass wir
darauf schauen werden, ob die Regeln, die wir jetzt auf-
gestellt haben, wieder missbraucht werden . Wir werden
das überprüfen . Und wenn das der Fall ist, werden wir
nachsteuern und das verschärfen . Das ist, glaube ich, der
richtige Ansatzpunkt .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819711900

Damit, Herr Kollege, müssen Sie auch zum Schluss

kommen .


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1819712000

Ich komme zum Schluss . – Das gibt den Tarifpartei-

en die Chance, zu beweisen, dass sie sich an die Regeln
halten . Wenn das der Fall ist, dann ist es gut . Wenn nicht,
werden wir da wieder herangehen .

Ich danke allen Beteiligten – insbesondere denen aus
dem Ministerium –, die sich an der Erstellung des Ent-
wurfs beteiligt haben, und wünsche uns ein schönes Wo-
chenende .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819712100

Als letzter Redner in der Debatte hat Tobias Zech das

Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1819712200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man den Kollegen der Opposition zuhört, könnte man
glauben, wir sprechen hier über moderne Sklaverei .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich nicht gesagt! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die Sklaverei heute heißt Leiharbeit!)


Wenn ich über Zeitarbeit und Werkverträge nachdenke,
dann denke ich an Flexibilität und an Wettbewerbsfähig-
keit und nicht per se an Lohndumping und das Ausneh-
men von Arbeitnehmern .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke an Gerechtigkeit!)


Ich denke daran, dass wir mit der Zeitarbeitsbranche eine
Branche haben, die sich in den letzten 14 Jahren von ei-
ner arbeitsmarktpolitischen Maßnahme zu einer Branche
mit fast 1 Million Mitarbeiter emanzipiert hat, von denen
82 Prozent ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben und
98 Prozent unter einen Tarifvertrag fallen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Das stimmt doch einfach nicht!)


Darauf kann man stolz sein .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Jobs sind nach drei Monaten zu Ende! Das kann nicht unbefristet sein!)


Dass Sie hier versuchen, Zeitarbeit per se schlechtzu-
reden, lassen wir nicht zu . Zeitarbeit ist eine Stütze der
deutschen Wirtschaft .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie doch mal die Zahlen zur Kenntnis!)


Deswegen brauchen wir ein aktuelles und zukunftsge-
richtetes Gesetz . Das hat die Koalition aus SPD, CDU
und CSU heute vorgelegt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Viel mehr noch: Zeitarbeit schafft auch Jobs. 70 Pro-
zent aller Mitarbeiter in der Zeitarbeit waren vorher ar-
beitslos,


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sind sie auch ganz schnell wieder!)


Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


20 Prozent davon länger als ein Jahr .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja logisch! Man kündigt ja nicht, um in der Leiharbeit zu arbeiten!)


Das heißt: Wir haben mit der Zeitarbeit ein Tool, um
Menschen wieder in Arbeit zu bringen, um Menschen
wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren .

Stichwort „Werkverträge“ . Das, was wir bei der ersten
Lesung im Ausschuss mit Ihnen zum Thema Werkver-
träge diskutiert haben, hatte, entschuldigen Sie, mit der
Realität nichts zu tun . Werkverträge sind kein Instrument
für Lohndumping .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ganze Produktionslinien werden ausgegliedert!)


Werkverträge sind die Grundlage der deutschen Wirt-
schaft . Jeder Handwerker, jeder Dienstleister lebt von
Werkverträgen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch auch gar nicht!)


Sie reden die per se schlecht . Das entspricht nicht dem,
was wir uns für Deutschland wünschen . Das hat nichts
mit der Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes zu tun . Das
schafft keine Arbeitsplätze. Das ist Überregulierung. Was
Sie hier fordern, schafft Arbeitslosigkeit. Das werden wir
nicht zulassen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Wir dürfen und müssen Zeitarbeit und Werkverträgen
einen Rahmen setzen . Das haben wir getan, und zwar
mit straffen Sanktionen, mit dem Entzug der vorläufigen
Überlassungserlaubnis, mit der klaren Aussage, was ein
Werkvertrag und was Zeitarbeit ist .

Aber eines sage ich Ihnen auch: Die Entscheidung
„Make or Buy“ ist eine unternehmerische Entscheidung .
Da gehört sie auch hin . Wer die Verantwortung trägt,
muss auch die Entscheidungskompetenz haben . Auch
dem werden wir mit diesem Gesetz gerecht .

Ziel des Gesetzes ist es, so viel Sicherheit wie nötig,
aber vor allem auch so viel Flexibilität wie möglich zu
schaffen. Wir wollen gute sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze erhalten und deren Zahl weiter ausbauen .
Das ist das Ziel, und das sollte uns hier allen in diesem
Haus ins Stammbuch geschrieben werden .

Die CSU hat sich, glaube ich, wie keine andere Partei
in diesem Parlament immer wieder für eine Verbesserung
und für eine Optimierung der ersten Gesetzesentwürfe
eingesetzt . Wir haben um bessere Lösungen gerungen .
Ich kann nur sagen: Das ist uns auch gelungen . Ich darf
daran erinnern, dass im ersten Entwurf die OT-Betrie-
be überhaupt nicht erfasst waren . Diese haben wir jetzt
einbezogen . Somit fällt der Mittelstand auch unter das
Gesetz . Wir haben die im ersten Entwurf vorgesehenen
Regelungen zum Streikrecht der Realität angepasst . Wir
haben diese unsägliche Positivliste aus dem ersten Ent-
wurf komplett gestrichen und stattdessen eine vernünf-

tige Definition des Arbeitnehmerbegriffs sowie eine pra-
xistaugliche Übergangsregelung festgeschrieben .

Wie jedes Gesetz ist auch dieses Gesetz ein Kompro-
miss, ein Ringen von unterschiedlichen Auffassungen.
Ich bin mit der Equal-Pay-Definition nicht ganz zufrie-
den . Dagegen sind andere Kollegen wahrscheinlich mit
der Widerspruchsregelung nicht ganz zufrieden .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist jetzt gut!)


In drei Jahren schauen wir uns das Ganze noch einmal
an in der Evaluation . Bis dahin geben wir dem Gesetz
die Möglichkeit, zu wirken . Ich denke, die Koalition hat
heute ein gutes Gesetz vorgelegt . Das Gesetz ist zeitge-
mäß . Es hilft, Arbeitsplätze in der Zukunft zu sichern .
Deutschland muss wettbewerbsfähig bleiben . Deutsch-
land muss fit für die Zukunft bleiben.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei jedem Thema passend!)


Dazu gehört auch der Arbeitsmarkt . Ich kann Ihnen nur
die Zustimmung empfehlen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819712300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und an-
derer Gesetze . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10064, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/9232 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Dann ist dieser Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist
der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men worden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 18/10064 fort . Unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/9664 mit dem Titel „Etablierung von Leiharbeit
und Missbrauch von Werkverträgen verhindern“ . Wer

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/7370 mit dem Titel „Missbrauch von Leiharbeit
und Werkverträgen verhindern“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition und den Stimmen der Frak-
tion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermitt-
lung von Regelbedarfen sowie zur Änderung
des Zweiten und des Zwölften Buches Sozial-
gesetzbuch

Drucksache 18/9984
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Drucksache 18/9985
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Parlamentarische Staatssekretärin Lösekrug-Möller für
die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der SPD)


G
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1819712400


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Alle fünf Jahre legt
das Statistische Bundesamt neue Daten über das Ausga-
beverhalten in Deutschland vor, die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe . Auf dieser Grundlage müssen
die Leistungssätze sowohl im Sozialgesetzbuch II und
im Sozialgesetzbuch XII als auch im Asylbewerberleis-
tungsgesetz angepasst werden .

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung der
Regelbedarfe und mit dem Entwurf eines Dritten Geset-

zes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes
setzen wir diesen gesetzlichen Auftrag um . Für viele
Menschen bringen die Anpassungen Verbesserungen mit
sich . Nach dem Entwurf für ein Regelbedarfs-Ermitt-
lungsgesetz steigen die Regelbedarfe für Alleinstehende
zum 1 . Januar 2017 um 5 Euro auf 409 Euro .

Von den neuen Regelsätzen werden Kinder der Regel-
bedarfsstufe 5 besonders profitieren. Das sind Kinder im
Alter von 6 bis 13 Jahren . Sie erhalten künftig in jedem
Monat 21 Euro mehr . Dort, wo die Regelbedarfe nach
der EVS 2013 geringer wären als bislang – nämlich bei
Kindern bis zum Alter von 5 Jahren – stellen wir sicher,
dass die Leistungen nicht sinken .

Weiterhin regelt der Gesetzentwurf nunmehr endgül-
tig, dass volljährige Menschen mit Behinderungen im
Haushalt der Eltern, Freunde oder Verwandten künftig
dauerhaft die höhere Regelbedarfsstufe 1 erhalten . Dane-
ben können künftig volljährige Personen, die zum Haus-
halt gehören, auch dann pauschalierte Unterkunftskosten
geltend machen, wenn sie nicht verpflichtet sind, Unter-
kunfts- und Heizkosten zu tragen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Asylbewerber-
leistungsgesetz sinken durch die notwendigen Anpassun-
gen aufgrund von Besonderheiten unter dem Strich die
in Geld ausbezahlten Leistungssätze . Ich will dafür ein
Beispiel geben . Zukünftig wird insbesondere auch der
Bedarf für Strom – wie heute schon der für Hausrat – aus
dem Leistungssatz ausgegliedert, weil auch der Strom in
der Regel als Sachleistung erbracht wird . Im Ergebnis
sinken deshalb die Leistungssätze für den notwendigen
Bedarf .

Wir regeln auch die Bedarfsstufen im Asylbewerber-
leistungsgesetz neu . Es wird eine neue niedrigere Be-
darfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte in Sam-
melunterkünften festgelegt .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Prozent Kürzung!)


Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Wohnraum
gemeinschaftlich genutzt wird und bestimmte Kosten,
etwa für Mediennutzung, aufgeteilt werden . Zugleich
stärken wir mit einem neuen Freibetrag für Einnahmen
aus ehrenamtlicher Tätigkeit das Engagement der Flücht-
linge und damit ihre Integration . Damit die höheren Re-
gelbedarfe im SGB II und im SGB XII sowie die ver-
änderten Bedarfsstufen im Asylbewerberleistungsgesetz
zum 1. Januar 2017 in Kraft treten können, hoffen wir auf
eine gute und zügige Beratung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819712500

Als nächste Rednerin spricht Katja Kipping für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819712600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten hier über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regel-
sätze . Davon sind nicht nur Langzeiterwerbslose betrof-
fen, sondern eben auch arme Rentner, Alleinerziehende,
die aufstocken müssen, oder Asylbewerber . Kurzum:
8,5 Millionen Menschen sind von diesen Gesetzen direkt
betroffen. Ich finde, das, was Sie als Regierung hier vor-
gelegt haben, geht nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht bei den Regelsätzen doch nicht um ein Almo-
sen, das die Regierung den armen Menschen in diesem
Land großzügig zugesteht . Wir reden hier über das sozio-
kulturelle Existenzminimum . Ich weiß, „soziokulturelles
Existenzminimum“ ist ein etwas sperriger Begriff. Ge-
meint ist: Wir reden hier über ein Grundrecht, nämlich
das Recht, nicht nur materiell zu überleben, sondern auch
ein Mindestmaß an kultureller Teilhabe in diesem Land
zu erhalten . Die vorgesehenen Regelsätze werden diesem
Anspruch nicht gerecht . Ich sage es ganz klar: Mit diesen
Regelsätzen leistet Schwarz-Rot Beihilfe zur Verarmung
ganzer Bevölkerungsschichten . Da machen wir, die Lin-
ke, nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wie die Re-
gelsätze berechnet werden sollen . Diese Regierung hat
sich für das Statistikmodell entschieden . Das heißt, ver-
schiedene Haushalte müssen über drei Monate hinweg in
einem Haushaltsbuch all ihre Ausgaben festhalten . Von
diesen Haushalten nimmt man dann die untersten 15 Pro-
zent der Einkommenshierarchie; den entsprechenden
Personenkreis nennt man dann Referenzgruppe .

Da haben wir bereits das erste Problem . Wir wissen
inzwischen dank einer Berechnung von Irene Becker,
dass das durchschnittliche Einkommen dieser Gruppe
bei 764 Euro im Monat liegt . Das heißt, wir leiten von
den Ausgaben, die wirklich arme Menschen haben, die
Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze ab . Kurzum: Wir
befinden uns in diesem Land in einer Verarmungsspirale.
Doch wir als Linke wollen heraus aus der Verarmungs-
spirale .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber es geht weiter mit dem Kleinrechnen . Sie kom-
men dann noch mit Abschlägen. In der Öffentlichkeit
wird immer nur von Abschlägen für Alkohol und Ziga-
retten gesprochen . Was im Hause Andrea Nahles immer
gern verschwiegen wird, ist ja, dass Sie auch Ausgaben
für Gartenarbeiten als nicht regelsatzrelevant einstufen .
Im Klartext heißt das: Erwerbslosen gestehen Sie nicht
das Recht zu, in einem Nachbarschaftsgarten oder in
einem Schrebergartenverein aktiv zu sein oder auf dem
Balkon Tomaten zu züchten .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


Außerdem legen Sie fest: Ausgaben für Beherbergung
sind nicht regelsatzrelevant . Wir sind uns doch einig,
dass es bei dieser Gruppe eh nicht um Menschen geht, die

sich irgendeinen Wellnessurlaub in einem Viersterneho-
tel leisten können . Wir reden hier aber darüber, dass man
sich mit seinem Kind auch dann, wenn man in Hartz IV
ist, vielleicht eine Woche auf einem Zeltplatz leisten
kann. Ich finde, das ist das Mindeste, und es macht mich
wütend, dass Sie das den Leuten nicht zugestehen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bewirtungskosten gelten bei Ihnen als nicht regelsatz-
relevant . Wir reden hier doch nicht über Essen in einem
Sternerestaurant . Worüber reden wir? Wir reden darüber,
dass sich auch Erwerbslose, die in einem Verein aktiv
sind, bei einem Treffen in der Vereinskneipe eine Tas-
se Kaffee leisten können. Sollen diese Menschen denn
immer ihren Instantkaffee und eine Thermoskanne mit
heißem Wasser mitbringen, um dazuzugehören? Wenn
Erwerbslose ihr Kind von der Kita abholen, an einer Eis-
diele vorbeigehen und alle anderen Kinder eine Kugel
Eis bekommen, sollen sie dafür dann kein Geld haben,
weil Sie als Ministerin sagen: „Es tut uns leid; Sie sind in
Hartz IV; die Ausgaben dafür sind Bewirtungskosten und
gelten daher als nicht regelsatzrelevant“?


(Beifall bei der LINKEN)


Oder nehmen wir die Kosten für Haustiere . Wenn es nach
dieser Regierung geht, wenn es nach Schwarz-Rot geht,
dann sind die Kosten für Haustiere nicht regelsatzrele-
vant . Wer also in Hartz IV fällt, der muss seinen Hund
womöglich im Tierheim abgeben oder aber er muss sich
das Geld für Hundefutter im wahrsten Sinne des Wortes
vom Munde absparen .

Kurzum: Was Sie hier machen, ist eine große Bevor-
mundung über materielle Not . Wissen Sie: Selbst nach
dieser fragwürdigen Statistikmethode müssten die Regel-
sätze bei mindestens 560 Euro liegen, wenn man allein
auf die bevormundenden Abschläge verzichtet .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage eines in aller Deutlichkeit: Was diese Gesell-
schaft braucht, ist eine grundlegende Alternative zum
Hartz-IV-System . Deswegen streiten wir als Linke für
eine sanktionsfreie, individuelle Mindestsicherung in
Höhe von 1 050 Euro .


(Beifall bei der LINKEN)


Um es zusammenzufassen: Andrea Nahles rechnet die
Regelsätze nach Gutdünken klein . Als die SPD noch in
der Opposition war, haben Sie all diese Tricks, als Ihre
Vorgängerin Ursula von der Leyen sie angewandt hat,
noch heftigst als Kleinrechnerei kritisiert .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Steht alles im Plenarprotokoll!)


Das kann ich nachweisen . Es gibt entsprechende Zei-
tungsartikel, mir liegen Ihre Anträge und Redebeiträge
vor. Heute wenden Sie die Tricks selber an. Ich finde,
das ist schäbig . Das ist übler vorauseilender Gehorsam
gegenüber der schwarzen Null von Herrn Schäuble .


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Ich komme zum Schluss . Wir als Linke werden uns
nicht damit abfinden. Wir werden keine Ruhe geben, bis
in diesem Land alle Menschen frei von Armut sind . Ja,
Freiheit von Armut und Sanktionsfreiheit, das ist das
Ziel, für das wir mit aller Entschiedenheit kämpfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun geht es bei diesem Tagesordnungspunkt auch
um Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz . Dazu
kann ich aus Zeitgründen nichts mehr sagen . Ich will nur
darauf hinweisen: Dieser Gesetzentwurf bringt etwas
Schlimmes zum Ausdruck . Was Sie hier machen, das ist
eine migrationspolitische Relativierung der Menschen-
würde, und das werden wir als Linke heftigst kritisieren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819712700

Jana Schimke hat als nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1819712800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder in

unserem Land kann darauf vertrauen, bei Hilfebedürftig-
keit durch den Staat und durch die Gemeinschaft unter-
stützt zu werden . Das ist das Selbstverständnis und die
Grundlage unseres Sozialstaates . Das Prinzip „Hilfe zur
Selbsthilfe“ leitet unsere Institutionen bei der sozialen
Unterstützung und Integration der Menschen in den Ar-
beitsmarkt . Doch auch in Zeiten einer guten Konjunktur,
eines prosperierenden Arbeitsmarktes und eines stabilen
Haushaltes gibt es Menschen, die auf Unterstützung an-
gewiesen sind . Deshalb sind wir dazu angehalten, in al-
ler Regelmäßigkeit die Standards der sozialen Sicherung
in Deutschland zu überprüfen . Anlass dazu gibt uns die
neue Einkommens- und Verbraucherstichprobe


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verbraucherinnen sind auch dabei!)


als wichtige amtliche Statistik über die Lebensverhältnis-
se privater Haushalte in Deutschland .

In unserer heutigen Debatte betrifft dies Menschen,
die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, soge-
nannte Langzeitarbeitslose, und nach dem Sozialge-
setzbuch XII beziehen . Darunter fallen unter anderem
Rentner, die Grundsicherung beziehen, erwerbsgemin-
derte Menschen oder auch Personen in stationären Ein-
richtungen . Wir diskutieren zudem über Menschen, die
durch Leistungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz
unterstützt werden .

Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass auch Bedürfti-
ge in unserem Land von der guten gesamtwirtschaftlichen
und arbeitsmarktpolitischen Lage profitieren. Deshalb
werden ab kommendem Jahr die Regelsätze im SGB II
und im SGB XII um durchschnittlich 5 Euro erhöht . Für
Kinder im Alter von 7 bis 14 Jahren werden wir die Re-
gelsätze um 21 Euro anheben . Unser Ziel ist und bleibt,

Kinder aus bedürftigen Familien zielgerichtet und durch
eine chancengerechte Politik zu unterstützen; denn zu oft
überträgt sich die Bedürftigkeit in Familien auf spätere
Generationen . Das wollen und das müssen wir ändern .
Bildung ist eine entscheidende Voraussetzung für den
Weg in Arbeit und aus Hartz IV . Hier unterstützen unsere
Behörden, zum Beispiel mit den Jugendberufsagenturen .
Dabei muss man ganz nüchtern sagen – gestatten Sie mir
diese Bemerkung am Rande meiner Ausführungen –,
dass auch die Arbeit unserer Arbeitsvermittler in den
Agenturen vor Ort immer mehr der Arbeit von Sozial-
arbeitern gleicht . Deshalb sind an dieser Stelle vor allen
Dingen die Eltern gefragt . Sie tragen die Verantwortung
dafür, staatliche Angebote für ihre Kinder in Anspruch
zu nehmen .

Meine Damen und Herren, auch die Regelsätze nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz sind Gegenstand des
vorliegenden Gesetzentwurfes . Man kann sicher sagen,
dass wir in diesem und im letzten Jahr eine Vielzahl not-
wendiger Regelungen im Bereich der Asylpolitik auf den
Weg gebracht haben . Das Ergebnis ist, dass wir heute das
schärfste Asylrecht haben, das wir in der Bundesrepublik
Deutschland je hatten .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sind Sie auch noch stolz darauf?)


Die Verfahren wurden beschleunigt und vereinfacht und
Fehlanreize beseitigt . Seitdem erhalten Asylbewerber
vorrangig Sach- statt Geldleistungen .

Das berücksichtigen wir jetzt auch bei der Berech-
nung der Regelbedarfe . Wir werden die Regelsätze beim
sogenannten notwendigen Bedarf – was ist das? das ist
der Bedarf für Nahrung, für Kleidung, für die Unterkunft,
für die Gesundheitspflege oder auch für Haushaltspro-
dukte – ab 2017 um durchschnittlich 17 Euro reduzie-
ren . Denn gerade in den Sammelunterkünften – in ihnen
leben nun einmal Menschen, die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz beziehen –


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unglaublich, das Argument!)


werden nicht alle notwendigen Leistungen von den Be-
wohnern selbst erbracht .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Echt? Und warum nicht?)


Dazu zählen zum Beispiel die Kosten für das Wohnen,
für Strom oder auch die Wohnungsinstandsetzung .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Argument in dem Gesetzentwurf!)


Mit der Reduzierung des Regelsatzes beim notwen-
digen Bedarf schaffen wir somit Klarheit und auch mehr
Gerechtigkeit im Sinne aller, die in Deutschland auf staat-
liche Hilfen angewiesen sind . Wohlgemerkt ist dies auch
ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie wir Fehlanreize in
der bisherigen Asylpolitik reduzieren und abbauen .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: „Fehlanreize“? Aha! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Argu Katja Kipping ment dürfen Sie nicht verwenden! Das sind also Fehlanreize? Mit dem Argument ist das eine verfassungswidrige Kürzung!)





(A) (C)


(B) (D)


Meine Damen und Herren, ich möchte eindringlich
davor warnen, die soeben erläuterten Anpassungen und
Kürzungen zu kritisieren . Sozialpolitik ist immer etwas,
was sich eine Gesellschaft leisten muss und sich auch
leisten können muss .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Stellen Sie die Sozialpolitik jetzt etwa unter Haushaltsvorbehalt? – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!)


Ich denke hier gerade an jene Menschen, die sie mit ih-
ren Steuern und mit ihrem Einkommen ermöglichen . Die
große Solidarität gegenüber Hilfebedürftigen, aber auch
die sozialen Standards, die wir uns geben, sind eine Be-
sonderheit unserer Gesellschaft .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Artikel 1 steht nicht unter Kostenvorbehalt!)


Deshalb sollten wir alles dafür tun, dass es diese Solida-
rität auch morgen noch gibt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir regeln im Gesetzent-
wurf aber nicht nur die Anpassung der jeweiligen Re-
gelbedarfe . Vorgesehen ist auch eine Neuabgrenzung
bei den Regelbedarfsstufen . So richtet sich der Umfang
sozialer Unterstützung in Deutschland danach, wie viel
Hilfe man tatsächlich benötigt . Besteht eine Ehe oder
eine Lebensgemeinschaft oder gibt es andere Ressour-
cen, auf die man selbst zurückgreifen kann, ist der Be-
darf an staatlicher Hilfe entsprechend geringer . So haben
Menschen mit Behinderung, die bei ihrer Familie oder in
einer Einrichtung leben, bisher einen geringeren Regel-
satz erhalten als Alleinlebende . Das Bundessozialgericht
hat uns beauftragt, das zu ändern .


(Zuruf von der LINKEN: Schlimm, dass Sie dazu erst aufgefordert werden mussten!)


Ich halte das für richtig . Denn Menschen mit Behinde-
rung haben oft nicht die Wahl zwischen einem Leben in
der Gemeinschaft oder als Alleinlebende .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das haben wir Ihnen damals schon gesagt! Da haben Sie sich dagegen ausgesprochen!)


Sie sind ein Leben lang auf die Hilfe anderer angewiesen .

Strittig stellen möchte ich jedoch die Frage, ob Perso-
nen, die zwar nicht liiert sind, aber in einer Wohngemein-
schaft leben, künftig wie Alleinlebende behandelt wer-
den sollten . Konkret hätte dies zur Folge, dass Ehepaare
und Lebenspartnerschaften einen geringeren Regelsatz
erhalten und damit benachteiligt würden .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ehe ist eine Einstandsgemeinschaft und keine WG! Das gibt es doch wohl nicht!)


Jeder von uns weiß, dass das Leben in der Gemein-
schaft – und zwar unabhängig davon, ob man verheiratet
oder Single ist – immer Einsparungen mit sich bringt .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, wie Sie in Ihren Wohngemeinschaften gelebt haben! Ich lebe mit meiner Frau anders!)


Denken Sie an die geteilten Kosten für Strom und Kom-
munikation oder an die Möbel und Geräte in Küche und
Bad . Wir sollten deshalb davon absehen, eine Regelung
zu treffen, die in der Sozialgesetzgebung eine Privilegie-
rung von Alleinstehenden in einer Wohngemeinschaft
gegenüber Lebenspartnerschaften bedeutet . Auch das
werden wir in den anstehenden Beratungen thematisie-
ren .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen wir die CDU noch über die Ehe aufklären! Das gibt es ja gar nicht! Alter Schwede!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819712900

Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen als nächster Redner das Wort .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schimke, Sie haben die Kürzungen im Asylbewer-
berleistungsgesetz eben mit dem Abbau von Fehlanrei-
zen begründet . Das möchte ich im Protokoll deutlich
vermerkt haben .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja! Das fand ich sehr entlarvend!)


Wenn das die Begründung ist, dann ist die Änderung ver-
fassungswidrig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht,
dass die Festlegung der Höhe der Regelsätze nicht von
migrationspolitischen Überlegungen geleitet sein darf .
Denn es handelt sich hier um ein Grundrecht: um ein
Grundrecht auf Existenzsicherung und ein Grundrecht
auf soziale und kulturelle Teilhabe .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist das Ziel der Grundsicherung, soziale und kulturelle
Teilhabe zu ermöglichen .

Vielleicht noch eine Vorbemerkung, weil sowohl Katja
Kipping als auch Jana Schimke sich so ausgedrückt ha-
ben, als wären Hartz-IV-Empfänger überwiegend Lang-
zeitarbeitslose . Dem ist nicht so . Nur eine Minderheit der
Hartz-IV-Beziehenden sind Langzeitarbeitslose . Es gibt
sogar mehr Erwerbstätige als Langzeitarbeitslose, die
Hartz IV beziehen . Diese Gruppe ist deutlich größer als
die Gruppe der Langzeitarbeitslosen . Insgesamt beziehen

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


fast 8 Millionen Menschen Grundsicherungsleistungen .
Darum geht es heute .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das habe ich doch gesagt!)


Ich habe gesagt: Ziel muss es sein, soziale und kul-
turelle Teilhabe zu ermöglichen . Die Bundesregierung
macht genau das Gegenteil . Vielleicht kurz für die Zu-
schauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen und dieje-
nigen, die sich die Debatte später ansehen: Die Idee des
Statistikmodells, das hier angewandt wird, ist eigentlich
relativ einfach . Man betrachtet die Ausgaben einer Grup-
pe von Menschen, die etwas mehr als Grundsicherung
haben, also gerade so im untersten Teil der Einkommens-
verteilung liegen, die keine Grundsicherung beziehen .
Anhand ihrer Ausgaben soll der neue Regelsatz berech-
net werden . Das ist die Grundidee des Statistikmodells .

Die Bundesregierung schlägt jetzt vor – wir als Par-
lament müssen das noch ausführlich beraten –, dass
das Einkommen dieser Referenzgruppe erst einmal da-
durch reduziert wird, dass nun auch noch Personen in
der Gruppe sind, die Grundsicherung beziehen . Dadurch
wird das Einkommen also schon ein bisschen geringer .
Dann sollen Personen zur Gruppe gehören, die Anspruch
auf Grundsicherung haben, diesen Anspruch aber nicht
wahrnehmen, also noch weniger als Grundsicherung ha-
ben . Dadurch wird das Einkommen der Referenzgruppe
noch einmal geringer . Dabei bleibt es nicht . Von den Aus-
gaben, die diese Gruppe hat – Katja Kipping hat schon
gesagt, dass es eine Gruppe ist, die im Durchschnitt ein
Einkommen an der Armutsgrenze oder sogar darunter
hat –, werden noch Ausgaben abgezogen . Das hat das
Bundesverfassungsgericht erlaubt, obwohl es metho-
disch eigentlich fragwürdig ist . Es hat dabei aber enge
Grenzen gesetzt . Was die Bundesregierung vorschlägt,
ist eine wahre Kürzungsorgie: Zimmerpflanzen, Haus-
tiere, Gartenpflege, Weihnachtsbaum, Handy, Taschen,
Regenschirme, Adventsschmuck, das Speiseeis im Som-
mer, Fotografien, Campinggeräte, Malstifte für Kinder in
der Freizeit, Kleidung für Familienfeste usw . usw . Sie er-
möglichen nicht soziale Teilhabe, sie verhindern soziale
Teilhabe mit dem, was Sie hier vorschlagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich könnte jetzt noch diverse weitere Themen anspre-
chen . Die Kürzung bei den Leistungen für Asylbewer-
ber wurde schon angesprochen . Es handelt sich um eine
Kürzung um 10 Prozent, die meines Erachtens nicht ver-
nünftig begründet ist . Frau Schimke hat deutlich gesagt,
was der eigentliche Grund ist, nämlich der Abbau von
Fehlanreizen . Das darf nicht sein .

Die Stromkosten werden im Regelsatz nicht vernünf-
tig abgedeckt . Das hat das Bundesverfassungsgericht
angemahnt und wird jetzt in vielen Stellungnahmen er-
wähnt . Sie werden in der EVS nicht ausreichend ermit-
telt . Sie sollten separat vom Regelsatz behandelt werden .

Das Problem, dass Hartz-IV-Empfänger auch einmal
einen kaputten Kühlschrank oder eine kaputte Waschma-
schine haben, ist nicht gelöst . Für das Problem der soge-
nannten Weißen Ware bräuchten wir auch eine Lösung .

Der Umgangsmehrbedarf für Kinder, die bei Eltern,
die getrennt leben, aufwachsen, wird nicht abgedeckt; da
ist das Existenzminimum nicht gesichert . Das Bildungs-
und Teilhabepaket müsste eigentlich komplett reformiert
und verändert werden . Auch das wird nicht angegangen .

Die Regelbedarfsstufen sind schon angesprochen wor-
den . Das ist völlig unsystematisch . Es gibt viele Punkte
in diesem Gesetzentwurf, die unbedingt geändert werden
sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will noch einmal zum Kern zurückkommen,
nämlich zum Regelsatz . Was müsste gemacht werden?
Es müsste eine Referenzgruppe betrachtet werden ohne
diese Zirkelschlüsse, die Sie machen – so sagt man es
technisch –, also eine Referenzgruppe, bei der klar ist,
dass sie keine Grundsicherungsbeziehenden und dass sie
keine verdeckten Armen umfasst; die Personen in der
Referenzgruppe sollten etwas mehr haben als die der-
zeitigen Bezieher von Grundsicherung . Dann darf diese
Kleinrechnerei der Ausgaben nicht so stattfinden, wie Sie
das gemacht haben . Wenn wir das so machen würden,
dann hätten wir endlich wieder eine Grundsicherung, die
das schafft, wofür sie eigentlich da ist, nämlich Armut
zu bekämpfen und soziale und kulturelle Teilhabe zu er-
möglichen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819713000

Dagmar Schmidt hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU])



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819713100

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte
ich einmal aus meiner Sicht einordnen, worüber wir hier
heute reden . Wir haben in der Großen Koalition große
Sozialreformen gemacht und machen sie noch: Mindest-
lohn, Rente, Bundesteilhabegesetz und Bekämpfung der
Leiharbeit . Eine grundlegende Reform der Regelbedarfe
machen wir nicht. Eine grundsätzliche Neufassung findet
mit dem Gesetzentwurf nicht statt . Die Anmerkungen,
die Kritik des Bundesverfassungsgerichts wurde aufge-
nommen, und eine Reihe von Verbesserungen wurde er-
zielt . Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller hat darauf
hingewiesen .

Aber es gilt das Struck’sche Gesetz . Wir möchten noch
an einigen Stellen Verbesserungen erzielen . Uns geht es
dabei vor allem um konkrete Probleme, die Menschen im
Transferleistungsbezug haben . Da ist zum Beispiel die
sogenannte Erstrentenproblematik . Menschen, die vom
Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeld-I-Bezug in die Rente
wechseln, müssen einen Monat überbrücken, denn Erste-

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


res wird vorschüssig gezahlt und die Rente erst am Ende
des Monats . Das Problem müssen wir lösen .

Auch gibt es oftmals Probleme – Herr Strengmann-
Kuhn hat es angesprochen – mit der Weißen Ware .
Waschmaschinen und Kühlschränke verursachen einma-
lig hohe Kosten, wenn sie neu angeschafft werden müs-
sen . Eigentlich ist vorgesehen, dass für diesen Fall aus
dem Regelsatz angespart werden soll, aber jeden Monat
etwas zurückzulegen, beiseitezulegen, das gelingt nur
schwer oder gar nicht . Es ist inakzeptabel, dass eine al-
leinerziehende Mutter ohne Waschmaschine und Kühl-
schrank zurechtkommen soll . Auch dafür brauchen wir
eine Lösung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderes Problem entsteht, wenn die Stromkosten
steigen, eine Anpassung an die Preise aber erst im Fol-
gejahr stattfindet. Auch das darf nicht dazu führen, dass
Menschen der Strom abgeschaltet wird . Deswegen haben
wir Erleichterungen für Direktzahlungen erreicht . Sprich:
Das Geld wird direkt vom Jobcenter überwiesen, wenn
das Konto nicht gedeckt ist . Es muss aber auch möglich
werden, die Nachzahlung zu begleichen . Wir könnten
uns für alle diese Fragen erleichterte Darlehensregelun-
gen vorstellen, die die Betroffenen zwar nicht aus der
Verantwortung lassen, sie aber auch nicht überfordern .

Ein weiterer Punkt, der uns wichtig ist, ist die Mobili-
tät im ländlichen Raum . Wie können wir erreichen, dass
Menschen auch dort mobil bleiben, wo es einen schlech-
ten oder gar keinen öffentlichen Personennahverkehr
gibt, wenn sie also nicht nur mit Blick auf die Erwerbstä-
tigkeit auf einen Pkw angewiesen sind, sondern auch zur
Bewältigung des ganz normalen Alltaglebens?

Ein weiteres und sehr wichtiges Thema ist der Um-
gangsmehrbedarf für Alleinerziehende .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da mussten wir euch ganz schwer zum Jagen tragen!)


Wir wollen nicht, dass der Umgang mit dem anderen El-
ternteil dazu führt, dass die Mutter – meistens ist es ja die
Mutter – finanzielle Einbußen hat. Jeder weiß, dass es
mehr kostet, wenn Kinder bei getrennt lebenden Eltern-
teilen aufwachsen . Dem wollen wir Rechnung tragen .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Punkt, der die Kinder betrifft, ist folgen-
der: Bisher ist es leider gängige Praxis, dass aus dem
Bildungs- und Teilhabepaket nur Nachhilfe bezahlt wird,
wenn das Kind akut davon bedroht ist, sitzen zu bleiben .
Wir würden gerne klarstellen, dass auch dann, wenn
die Chance besteht, dass das Kind sich verbessert, vom
B- in den A-Kurs, von der Realschule aufs Gymnasium
kommt, eine Unterstützung möglich wird .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man jetzt schon machen! Das wäre gut! Dafür brauchen wir kein Gesetz!)


– Ja, aber es wird nicht gemacht . Die Länder, auch die, in
denen Sie regieren, machen es leider nicht . Die sind für

die Umsetzung verantwortlich . Wir wollen das im Ge-
setz deutlich klarstellen, damit die Länder den Hinweis
verstehen – auch die, in denen die Grünen mitregieren –,
dass man auch die unterstützen kann, die aufsteigen wol-
len .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In NRW ist das kein Problem!)


Gerade bei den Kindern gibt es noch einen großen
Handlungsbedarf . Jedes siebte Kind lebt in Armut oder
ist von Armut bedroht . Immer noch hängt der Bildungs-
erfolg vom Einkommen der Eltern ab . Wir werden mit
den Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss für Al-
leinerziehende schon einiges erreichen . Hier ist nicht nur
der Bund gefragt, sondern genauso die Länder und Kom-
munen . Wir brauchen eine verbesserte soziale Infrastruk-
tur: Ganztagsschulen, kleine Klassen, gemeinsames Ler-
nen, aber auch eine bessere Ausstattung der Kinder- und
Jugendhilfe, des Erfolgsprogramms „Soziale Stadt“ und
vieles mehr . Da haben wir, Bund, Länder, Kommunen,
noch einen weiten Weg vor uns, aber Chancengleichheit
für alle Kinder herzustellen, bleibt unser Ziel .


(Beifall bei der SPD)


Ich fasse zusammen: Wir haben keine grundsätzlichen
Veränderungen vorgenommen, aber Verbesserungen er-
reicht . Wir wollen im Rahmen der Beratungen noch wei-
tere Verbesserungen erzielen, die die konkreten Proble-
me lösen . Mit der Bekämpfung von Kinderarmut und der
Herstellung von Chancengleichheit haben wir noch drän-
gende und große Aufgaben vor uns, an denen ich gerne
mit allen in diesem Haus weiterarbeiten möchte .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819713200

Als nächster Redner hat Professor Dr . Matthias

Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1819713300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man am Schluss einer Debatte zu Wort kommt – nicht
ganz, es kommen ja noch zwei Redner –,


(Daniela Kolbe [SPD]: Danke! – Heiterkeit)


ist man doch sehr versucht, auf die Argumente der vor-
herigen Rednerinnen und Redner einzugehen, was ich an
dieser Stelle auch einmal machen will .

Frau Kollegin Schmidt, wir hatten ein sehr konstruk-
tives Gespräch über die Punkte, die Sie angesprochen
haben . Ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir da
zu einer Einigung kommen werden, weil wir viele Dinge
ganz ähnlich sehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


Zweiter Punkt . Ich höre dem Kollegen Strengmann-
Kuhn immer sehr gerne zu und möchte eine Anmerkung
zu dem machen, was er gesagt hat . Es geht um die Weiße
Ware. Er hat recht: Es ist ein Problem, dass die Betroffe-
nen Waschmaschinen und ähnliche Dinge nicht per Zu-
schuss bekommen, sondern dafür über ein Ansparmodell
selbst ansparen müssen, was in der Regel vermutlich den
wenigsten gelingen wird . Das hängt aber, lieber Kollege
Strengmann-Kuhn, sehr ursächlich mit einer Gesetzesän-
derung zusammen, die Rot-Grün im Jahr 2005 zu ver-
antworten hatte; denn das ist damals eingeführt worden .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig! Wir lernen auch manchmal dazu!)


Da das Sein das Bewusstsein bestimmt


(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Das gesellschaftliche Bewusstsein!)


– das gesellschaftliche Bewusstsein; vielen Dank –, wün-
sche ich mir, dass die Lernerfolge, die es in der Opposi-
tion gibt, auch bei einigen anderen Dingen noch etwas
stärker ausgeprägt sein mögen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf einen Punkt sollte man noch einmal hinweisen,
nämlich auf die Berechnung der Regelsätze . Wenn ich in
die Anlage zum Gesetzentwurf schaue, habe ich schon
den Eindruck, dass man sich sehr große Mühe gegeben
hat, das alles methodisch sauber abzuleiten .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich stets bemüht!)


Mir ist auch völlig klar, dass es in der Wissenschaft sehr
unterschiedliche Ansätze gibt, wie man das sauber be-
rechnet . Ich glaube aber, eines sollte man nicht machen –
das hat der Kollege ja auch nicht getan –: Wir sollten
denjenigen, die diesen Gesetzentwurf vorbereitet und mit
wissenschaftlicher Expertise eine Berechnung durchge-
führt haben, nicht die Wissenschaftlichkeit abstreiten .
Das wäre sicherlich nicht richtig .

Ebenso wenig sollten wir uns darüber aufregen, dass
das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen
Ermessensspielraum gegeben hat . Diesen Ermessens-
spielraum hat das Ministerium bei der Formulierung des
Gesetzentwurfs genutzt . Es hat nicht den höchstmögli-
chen Regelbedarf zugrunde gelegt, sondern vernünftige
Abschläge formuliert .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Vernünftig“? Darüber kann man sehr streiten!)


Ich glaube, insgesamt ist etwas herausgekommen, was
angemessen und vertretbar ist .

Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch eine
Bemerkung zu Ihnen, Frau Kipping, machen, weil mich
Ihre Ausführungen etwas verwundert haben . Sie spra-
chen von den 8,5 Millionen


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Indirekt Betroffenen!)


indirekt Betroffenen, die über das SGB II Leistungen
beziehen . Frau Kipping, wenn wir den Regelsatz deut-
lich erhöhen würden, so wie Sie das wollen – sagen wir
einmal: auf 560 Euro –, hätten wir das große Problem,
dass es dann nicht nur 8,5 Millionen, sondern weit über
10 Millionen Berechtigte geben würde, weil natürlich
auch andere Anspruch auf diese Leistungen hätten und
in die Gruppe der Bezieher fallen würden . Dann müssten
wir uns von Ihnen anhören, dass durch unsere Politik die
Armut in Deutschland steigt. Das finde ich eine ziemlich
verrückte Nummer .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Herr Zimmer, das ist echt unter Ihrem Niveau! Sie wissen, dass ich weiß, wie man die Armutsrisikogrenze berechnet!)


– Frau Kipping, ich weiß nicht, ob Sie auch einmal das
Zuhören gelernt haben .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ach, Herr Zimmer! Sie wissen, dass wir gerade keine Kurzinterventionen machen, und stellen die Sachen falsch dar!)


Wir haben es hier mit einer Rationalitätenfalle zu tun,
die von Ihnen sehr populistisch genutzt wird. Das finde
ich eigentlich sehr schade .


(Beifall der Abg . Kerstin Griese [SPD] – Abg . Katja Kipping [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, heute möchte ich sie nicht zulassen .

Ich will noch einen Gedanken aufgreifen, den Jana
Schimke formuliert hat . Es geht um die Frage, ob wir
mit den Regelbedarfsätzen Eltern bzw . Familien diskri-
minieren . Ich glaube, das ist hier der Fall; wir müssen
uns noch sehr genau darüber unterhalten . Mit diesem
Gesetzentwurf ist die Regelbedarfsstufe 2 in der Regel
für die Betroffenen vorgesehen, die einen gegenseitigen
Einstandswillen bekundet haben, während für die „unab-
hängigen Erwachsenen“ die Regelbedarfsstufe 1 vorge-
sehen ist, in der mehr gezahlt wird . Ich glaube, das ist der
falsche Weg . Das wäre, wenn man es überspitzt formu-
lieren wollte, der endgültige Sieg der Kommune über das
Elternhaus . Das halte ich für familienpolitisch falsch und
für gesellschaftspolitisch hoch bedenklich .

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben hier
in Bezug auf die Berechnung der Regelsätze einen insge-
samt ausgewogenen Gesetzentwurf vorgelegt . Im parla-
mentarischen Verfahren haben wir aber, wie die Kollegin
Schmidt es formuliert hat, noch einiges zu tun . Ich bin
zuversichtlich, dass wir das in der dafür vorgesehenen
Zeit schaffen werden und zum 1. Januar 2017 die neuen
Regelsätze in Kraft treten lassen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819713400

Daniela Kolbe hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1819713500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn die Deutsche Post die Portogebühren
anhebt oder die Deutsche Bahn und die Leipziger Ver-
kehrsbetriebe die Fahrkartenpreise erhöhen, dann müs-
sen wir alle miteinander tiefer in die Tasche greifen und
mehr Geld bezahlen . Das ist natürlich für diejenigen, die
auf Hilfe angewiesen sind, besonders spürbar . Deswegen
ist es richtig und gut, dass es regelmäßig eine Einkom-
mens- und Verbrauchsstichprobe gibt, dass es Menschen
gibt, die sich bereit erklären, all ihre Einkäufe zu notie-
ren, anhand dessen wir berechnen können, was die unte-
ren Einkommensschichten ausgeben . Entsprechend kön-
nen wir die Leistungssätze anpassen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so, wie es nötig wäre!)


Das gilt auch für Geflüchtete und Geduldete, die Leis-
tungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekom-
men . Das hat jedenfalls das Bundesverfassungsgericht
2012 in seinem Urteil klargestellt . In der Begründung,
Frau Schimke, steht – ich habe gerade einmal hinein-
gesehen –, dass einem jeden nach dem Grundgesetz ein
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdi-
gen Existenzminimums zusteht . Ich muss sagen: Darauf
bin ich sehr stolz. Ich finde es gut und richtig, dass wir
das in Deutschland so handhaben .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Berechnung nach dem Asylbewerberleistungs-
gesetz ist geringfügig anders . Außerdem wird dort zwi-
schen notwendigem Bedarf, etwa für Wohnen und Essen,
und persönlichem Bedarf, etwa für kulturelle Aspekte,
unterschieden .

Was genau ändern wir jetzt im Asylbewerberleistungs-
gesetz? Die Leistungen werden zunächst einmal nach der
EVS angepasst, also nach oben . Wir hatten in der Koali-
tion im Rahmen des Integrationsgesetzes vereinbart, den
notwendigen Bedarf anders zu regeln und die Bedarfe für
Strom und Wohnungsinstandhaltung aus dem Leistungs-
satz auszugliedern, wie das schon beim Hausrat der Fall
ist . Das heißt, die Leistungen werden als Sachleistungen
erbracht und sind nicht mehr im Regelsatz enthalten .

Es wird eine neue Bedarfsstufe für erwachsene Leis-
tungsberechtigte geschaffen, die in Sammelunterkünften
untergebracht werden . Erwachsene unter 25 Jahren, die
unverheiratet sind und bei ihren Eltern leben, kommen in
die Bedarfsstufe 3 .

Wir haben endlich – darüber freue ich mich sehr –
die Ehrenamtspauschale für Asylsuchende umgesetzt .
Mit Inkrafttreten des Gesetzes dürfen Geflüchtete bis zu
200 Euro, die sie als Ehrenamtspauschale erhalten, wenn
sie zum Beispiel im Fußballverein Jugendliche trainie-
ren, behalten . Dadurch haben wir einen Gleichklang mit

dem SGB II . Damit wird die Integrationsleistung, die von
ganz vielen, die zu uns gekommen sind, erbracht wird,
gewürdigt. Ich finde es richtig toll, dass wir das umsetzen
werden .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden sicher einiges noch diskutieren müssen,
insbesondere die neue Bedarfsstufe . Da habe ich per-
sönlich noch einige Fragen . Immerhin reden wir darü-
ber, dass Menschen nicht freiwillig mit vielen anderen
Menschen anderer Nationen zusammenleben . Wie genau
hier Synergien aussehen könnten, fände ich spannend,
zu diskutieren . Ich möchte nicht, dass wir diejenigen
Kommunen über höhere Leistungssätze bestrafen, die
die Menschen dezentral, also, damit sie sich besser in-
tegrieren können, in Wohnungen unterbringen . Ich fände
es gut, wenn wir hierüber noch einmal in die Diskussion
miteinander gingen, um keine Fehlanreize zu setzen .

Ich will das, worüber wir reden, ins Verhältnis setzen:
Im Vergleich zu den aktuellen persönlichen Bedarfen
werden die Menschen in der neuen Bedarfsstufe 4 Euro
weniger erhalten . Sie werden also weniger Leistungen
bekommen und auch von der Steigerung in der Regel-
bedarfsstufe 1 nicht profitieren. Wir reden hier also über
4 Euro .

Es gab in den Stellungnahmen noch einige andere Kri-
tikpunkte . Es wurde befürchtet, dass UMAs und minder-
jährige Mütter durch das Gesetz schlechtergestellt wür-
den . Diese Sorge ist mittlerweile ausgeräumt; das will ich
ganz deutlich sagen . Darüber freue ich mich sehr .

Ansonsten haben wir hier, denke ich, eine gute Grund-
lage für intensive Diskussionen, die es ja noch braucht .
Darauf freue ich mich . Ich freue mich auch auf die zweite
und dritte Lesung hier im Plenum .

Schönes Wochenende Ihnen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819713600

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Matthäus

Strebl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1819713700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich meine Kolle-
gin Schimke und mein Kollege Zimmer ausführlich mit
der Ermittlung der Regelbedarfe nach dem Sozialgesetz-
buch II und dem Sozialgesetzbuch XII befasst haben,
möchte ich einige Worte zu den geplanten Änderungen
des Asylbewerberleistungsgesetzes sagen .

Betroffen sind hier insbesondere Asylbewerberinnen
und Asylbewerber, Geduldete und vollziehbar Ausreise-
pflichtige. Auch für diese Leistungen spielt die neue Ein-
kommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2013
eine signifikante Rolle. Die Leistungen werden aufgrund
dieser Stichprobe ermittelt und nicht einfach wahllos






(A) (C)



(B) (D)


festgelegt . Die Leistungen passen wir mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf an .

Mit dem Gesetzentwurf tragen wir insbesondere dem
Umstand Rechnung, dass die Leistungen für Erwachsene
in Sammelunterkünften geringer ausfallen . Es ist davon
auszugehen, dass das gemeinsame Zusammenleben in
Sammelunterkünften Einspareffekte ermöglichen kann.
Ich halte es für sinnvoll, ja, ich halte es für nachvoll-
ziehbar, dass bei einzelnen Leistungen differenziert wer-
den muss, ob jemand in einer Gemeinschaftsunterkunft
oder in einer Wohnung lebt . Deshalb besteht hier für die
Asylbewerber eine abweichende Bedarfslage . Diese Be-
darfslage findet sich zukünftig in der Regelbedarfsstufe 2
wieder . Ich begrüße es außerordentlich, dass die in Bay-
ern weitverbreitete Praxis von mehr Sachleistungen nun
auch bundesweit praktiziert werden kann .

Mit den Änderungen fördern wir auch die ehrenamtli-
che Tätigkeit von Asylbewerbern . Durch die Freibetrags-
regelung werden sie ermutigt, sich in die Gesellschaft
einzubringen und gleichzeitig Sprache und Kultur ken-
nenzulernen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
die Gelegenheit nutzen, einige Sätze zur Situation von
geflüchteten Menschen allgemein zu sagen.

Wir alle wissen, dass die Bürgerkriege und die poli-
tischen Krisen in anderen Staaten und Regionen Kon-
sequenzen nicht nur, aber auch für Deutschland haben .
Deutschland wird dadurch in den nächsten Jahren vor
besonderen Herausforderungen stehen . Viele Menschen
sorgen sich, ob wir diese Herausforderungen meistern
können . Es besteht Unsicherheit, ob es Deutschland wei-
terhin gut gehen wird und wie sich das Land verändern
wird . Ich kann diese Sorgen der Menschen gut nachvoll-
ziehen. Aber gerade deshalb sind wir verpflichtet, die
Veränderungen richtig zu gestalten und den Rechtspopu-
listen entgegenzuwirken .

Gute Sprachkenntnisse – um auf das Thema zu kom-
men – und Teilnahme am Arbeitsmarkt sind zweifelsfrei
unerlässliche Schlüssel für eine erfolgreiche Integration .
Zwischenzeitlich wurden durch die Bundesagentur für
Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlin-
ge die Angebote für die speziellen Bedürfnisse der Ziel-
gruppen weiterentwickelt und die Kapazitäten angepasst .
Natürlich gibt es regionale Engpässe und Möglichkeiten
zur Verbesserung . Inzwischen wird den Flüchtlingen
aber ein großes Angebot an Kursen unterbreitet . Ich
möchte nur nennen: normale Integrationskurse, Alphabe-
tisierungskurse, Frauenintegrationskurse, Jugendintegra-
tionskurse, berufsbezogene Deutschsprachförderung und
viele andere . Durch die Regelung des § 421 im Sozialge-
setzbuch III hat die Bundesagentur für Arbeit die Mög-
lichkeit, auch Asylbewerberinnen und Asylbewerbern
mit guter Bleibeperspektive Sprachkurse anzubieten . Bis
zum letzten Monat haben über 190 000 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer diese Kurse besucht . Das beweist, dass
die Maßnahmen zu greifen beginnen .

Eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen – die-
se Aufgabe muss und wird gelingen . Den Grundsatz aus
dem Sozialgesetzbuch II „Fordern und Fördern“ halte ich

auch hier für angebracht und vollkommen richtig . Die
Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes werden
dazu beitragen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819713800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetz-
entwürfe auf den Drucksachen 18/9984 und 18/9985
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall . Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Ulle
Schauws, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Damit Kinder gut aufwachsen – Kinderschutz
und Prävention ausbauen

Drucksache 18/9054

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau
Dr . Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen als erster Rednerin in dieser Aussprache das
Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Damen und Herren!
Wir reden heute über Kinderschutz und Möglichkeiten,
Kinder in diesem Land besser zu schützen vor all den
grausamen Dingen, die wir hier immer nur wahrnehmen,
wenn es wieder einzelne Fälle gibt, die in den Medien
aufpoppen; dann sind sie Gesprächsthema, verschwinden
danach aber auch wieder . Wir haben gesagt: Wir setzen
das Thema auf die Tagesordnung, auch wenn es gerade
keinen schlimmen Fall gibt, weil wir wollen, dass man
präventiv und rechtzeitig bessere Strukturen erarbeitet .

Nach Aussagen des Unabhängigen Beauftragten für
Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs könnten in
Deutschland rund 1 Million Kinder von sexualisierter
Gewalt betroffen sein. Das ist fast jedes zehnte Kind.
Man muss sich das einmal vorstellen: fast jedes zehnte
Kind . Das ist eine Zahl, die wir nicht hinnehmen wollen .

Matthäus Strebl






(A) (C)



(B) (D)


Wir sagen: Da müssen wir unserer Verantwortung besser
gerecht werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gewalt oder Vernachlässigung prägen die Kinder ihr
Leben lang . Das bleibt . Das, was mit den Kindern ge-
schieht, tragen sie ihr Leben lang mit sich . Nachdem der
runde Tisch seine Arbeit abgeschlossen hatte, wurde das
Bundeskinderschutzgesetz verabschiedet . Dann wurde
das Bundeskinderschutzgesetz evaluiert . Diese Evaluie-
rung hat eindeutig gezeigt: Es gibt enormen Handlungs-
bedarf; denn zwischen den gesetzlichen Regelungen und
der Praxis vor Ort klaffen weiterhin riesige Lücken.

Eine der größten Baustellen ist nach wie vor die Zu-
sammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und
dem Gesundheitswesen . Es wurde von Anfang an gesagt,
dass es dabei Schwierigkeiten gibt . Jetzt haben wir evalu-
iert und sehen: Es gibt immer noch große Schwierigkei-
ten . Da wollen wir ansetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass es nicht immer einfach ist, diese Koope-
ration verbindlich zu gestalten, die Ressourcen zu den
richtigen Akteuren zu bekommen und die Vernetzung zu
garantieren . Wir haben uns deswegen mit den Gesund-
heitspolitikern unserer Fraktion zusammengesetzt und
miteinander gerungen . Wir haben gemeinsam nach Mög-
lichkeiten gesucht, die umsetzbar und praktikabel sind .

Wir fordern, die Beteiligung von Vertretern der Ärz-
teschaft in kommunalen und landesweiten Gremien ver-
bindlicher zu gestalten . Uns schwebt analog zur Sozial-
psychiatrie-Vereinbarung eine Vereinbarung zwischen
den gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztli-
chen Bundesvereinigung vor . Wir haben lange überlegt,
wie wir Möglichkeiten schaffen können, an dieser Netz-
werkarbeit teilzunehmen . In der Sozialpsychiatrie-Ver-
einbarung, die es schon gibt, werden Anforderungen an
die Qualität der Behandlung definiert; es gibt aber auch
eine Aufwandspauschale . Das ist auch die Idee für die-
sen Bereich: Wir wollen Qualität definieren; dafür gibt
es aber auch eine Aufwandspauschale . Netzwerkarbeit
ist nicht einfach so nebenbei zu leisten, sondern ist auch
Arbeit und gehört deswegen als solche berücksichtigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich dieser Forde-
rung anschließen und wir darüber hier gemeinsam disku-
tieren könnten .

Wir haben auch über den Tellerrand geschaut, nach
Österreich . Die Kinderschutzgruppen, die dort eingerich-
tet wurden, halten wir für sehr vielversprechend . Diese
Gruppen sind direkt an den Kliniken tätig, um Kindern
bei Verdacht auf Gewalt, Missbrauch und Vernachlässi-
gung Hilfe und Schutz anzubieten . Sie übernehmen die
Schnittstellenfunktion zwischen medizinischem Perso-
nal, Sozialarbeit, Jugendämtern und anderen Institutio-
nen . Wir halten die Kinderschutzgruppen in Österreich
für ein gutes Modell, mit dem wir diese Schnittstellen-
funktion auch bei uns umsetzen können .

Wichtig sind auch – dieser Punkt wurde in der Evalu-
ierung immer wieder angemahnt – verpflichtende Wei-
terbildungs- und Qualifizierungsangebote für alle Fach-
kräfte nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch für
Richter, Verfahrensbeistände und alle, die in diesem Be-
reich tätig sind – wichtig ist auch, bei den Gutachtern
mit den Standards voranzukommen –, damit es in den
Berufsgruppen, die mit Kindern in diesem Bereich zu
tun haben, endlich die entsprechende Qualifikation gibt.
Das ist zurzeit nicht sichergestellt, und dafür müssen wir
sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine weitere Forderung in unserem Antrag ist – das
hat auch der Bundesbeauftragte schon mehrfach ange-
mahnt –, dass Kinder nur einmal befragt werden . In vie-
len Ländern ist es schon Usus, dass es – statt mehrfach
und mit unterschiedlichen Akteuren – nur einmal und
dann auch gemeinsam zu einer Befragung kommt . Ich
glaube, diesen Anspruch überall vor Ort realisieren zu
können, ist mittlerweile ein internationaler Standard, den
wir auch in Deutschland umsetzen sollten .

Wir müssen uns auch dringend für die Prävention
einsetzen . Hier geht es um die Frage von Kinderrechten .
Kinder müssen ihre Rechte nicht nur kennen, sondern
sie auch verinnerlichen und leben können . Sie müssen
wissen, wie stark sie sind und an wen sie sich wenden
können, wenn ihnen etwas nicht passt . Das fängt in der
Kita an mit dem Wissen: Ich kann mich beschweren; das
ist okay. Ich darf etwas sagen, und danach gibt es hoffent-
lich sogar eine positive Reaktion . – Kinderschutz fängt
an, wenn Kinder erfahren: Ich kann mich beschweren .
Ich darf meine Meinung äußern . Ich weiß, an wen ich
mich wenden kann . – Das ist die beste Präventionsarbeit .
Diese Stärkung von Kindern müssen wir gemeinsam vo-
ranbringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Schluss will ich einen Punkt noch kurz anspre-
chen . Wir wissen, es ist auch immer eine Geldfrage .
Die Beratungsstellen vor Ort brauchen eine sichere und
kontinuierliche Finanzierung und wesentlich mehr Geld .
Insofern sollten wir über die gesetzlichen Regelungen
hinaus auch entsprechende Mittel zur Verfügung stellen,
damit sie diese Arbeit vor Ort leisten können . Sie sind
häufig die Lebensretter von Kindern und ihren Famili-
en, und wir müssen sie stärken. Sie sind häufig überlastet
und haben nicht genügend Ressourcen . Dabei machen sie
unglaublich viel für uns und unsere Zukunft, damit hier
alle gut aufwachsen können .

Ich danke Ihnen und freue mich auf die Beratungen in
den Ausschüssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819713900

Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU-Fraktion als

nächster Redner das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1819714000

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich freue mich ebenfalls auf die Beratun-
gen, weil Sie – das ist ein Kompliment an die Grünen, an
Frau Brantner – tatsächlich auch für uns in weiten Teilen
wichtige Themen angesprochen haben . Wir werden noch
viel darüber debattieren und überlegen, wo wir noch
Handlungsansätze weiterentwickeln . Insofern haben Sie
einen interessanten Antrag vorgelegt. Einen Satz finde
ich besonders gut:

In den zurückliegenden Jahren hat sich der Kinder-
schutz erheblich weiterentwickelt .

Das ist ein Ergebnis der Arbeit der Großen Koalition .
Dass Sie das bestätigen, sehe ich als Erfolg unserer Ar-
beit an .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was haben wir erreicht? Sie haben vieles angespro-
chen . Ich will das gerne wiederholen . Anfang 2016 wur-
de die Aufarbeitungskommission beim Unabhängigen
Beauftragten für sexuellen Kindesmissbrauch eingerich-
tet und damit erstmals – ich glaube, das ist wichtig – eine
auf nationaler Ebene angesiedelte unabhängige Kommis-
sion .

Sie haben das Sachverständigenrecht und die Qualifi-
zierung der Gutachter angesprochen . Das war uns auch
besonders wichtig, gerade mit Blick auf die Bedeutung,
die Sachverständige und Gutachter im Familienrecht
haben; denn sie entscheiden über ihre Gutachten darü-
ber, was mit einem Kind passiert . Insoweit war und ist es
wichtig, dass wir mit der Änderung des Sachverständi-
genrechts den richtigen Weg eingeschlagen haben .

Wir diskutieren zurzeit sehr intensiv und auch manch-
mal etwas strittig über eine Studie zum Thema Kindes-
wohl, die uns wichtig war, weil wir unabhängig und
objektiv erkennen müssen, wie es Kindern nach Tren-
nungen geht und was sie danach erleben . Ich glaube üb-
rigens, dass in dem Bereich Kinderschutz der Komplex
Forschung noch unterentwickelt ist . Ich halte sehr viel
davon, immer genau zu wissen, was passiert, um die rich-
tigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen .

Das Bundeskinderschutzgesetz wurde angesprochen .
In weiten Teilen konnten wir schon Erkenntnisse umset-
zen .

Sie haben die Teamarbeit zwischen den im Kinder-
schutz und in der Jugendhilfe tätigen Gruppen ange-
sprochen . Für die Union kann ich sagen, dass wir, weil
das auch unser Gedankengang war, mit der Kinder-
schutz-Hotline, glaube ich, das Richtige auf den Weg
gebracht haben . Was ist denn wichtig bei der Vernetzung
von Jugendhilfe und Gesundheit? Wichtig ist, denjeni-
gen, die mit Kindern arbeiten, und denjenigen, die den
Auftrag haben, zu überprüfen, was den Kindern passiert
ist – gab es eine Vernachlässigung, gab es einen Miss-
brauch oder Ähnliches? –, die größtmögliche Unterstüt-
zung anzubieten .

Ein Arzt in einer Notfallambulanz am Wochenende
muss, wenn ein Kind zu ihm kommt, das erkennbar eine

Verletzung hat, beraten werden: Wie geht es weiter? Wie
kann er mit der rechtsmedizinischen Analyse medizinisch
beraten werden? Es geht auch um die Frage: Was muss
Jugendhilfe leisten? – Viele Mediziner haben uns gesagt,
dass Misshandlungen und Missbrauch erkannt werden
müssen . Deswegen ist diese Kinderschutz-Hotline so
wichtig, die im April 2017 starten wird . Wenn Ärzte nicht
wissen, was genau passiert ist, können sie sich dort Infor-
mationen holen. Das betrifft auch die rechtliche Frage:
Was müssen sie machen, wenn sie einen Missbrauch oder
eine Misshandlung erkennen? Die Kinderschutz-Hotline
ist ein großer Erfolg der Großen Koalition . Die Union
hatte das vorgeschlagen . Das wird kommen .

Wichtig ist die Qualifizierung von Ärzten, von Ju-
gendamtsmitarbeitern und von Familienrichtern – auch
mit Blick auf rechtsmedizinische Grundkenntnisse . Das
ist auch im Kontext der Kinderschutz-Hotline eine wich-
tige Forderung .

Ich finde Ihre Einlassung mit Blick auf die Kinder-
schutzgruppen hochinteressant . Dazu haben wir alle eine
klare Position . Die Modelle von Kinderschutzgruppen in
Krankenhäusern sind sehr positiv . In Deutschland, auch
hier in Berlin, haben wir einige Modelle . Dort wird auf
mehreren Ebenen zusammengearbeitet . Diese Kinder-
schutzgruppen sind noch ausbauwürdig, weil man so auf
strukturierte Art und Weise nicht nur analysieren kann,
was passiert ist, sondern auch die Folgewirkung be-
spricht . Dafür braucht man einen Psychologen und viel-
leicht einen Sozialarbeiter . Aber man braucht natürlich
Mediziner . Das Modell der Kinderschutzgruppen werden
wir uns demnächst noch intensiver anschauen .

Zum Kinderschutz gehört auch, was uns momentan
sehr intensiv bewegt . Natürlich haben wir eine Diskus-
sion über die anstehende Reform zum Achten Buch So-
zialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe . Wir können
aus meiner Sicht stolz darauf sein: Das KJHG, wie es so
schön heißt, ist eine Errungenschaft der Kinder- und Ju-
gendhilfe . Es wurde vor 25 Jahren auf den Weg gebracht
nach intensiver Diskussion mit den Betroffenen, mit den
Trägern und mit den Verbänden . Was ist in der aktuellen
Diskussion zu beachten? Für uns – das sagen wir ganz
deutlich – stehen zwei zentrale übergeordnete Punkte im
Mittelpunkt .

Erstens reden wir über Hilfe zur Erziehung . „Un-
terstützung“ oder „Leistung“ ist keine Hilfe . Bei der
SGB-VIII-Reform gibt es Reformvorhaben und Reform-
schritte, die wichtig sind . Die Jugendhilfe muss früher,
zielgenauer und bedarfsorientierter arbeiten . Aber auf ei-
nes werden wir niemals verzichten, nämlich auf einen in-
dividuellen Anspruch auf eine Hilfeleistung . Das ist Kern
des KJHG . Die Kinder, die Familien, die Eltern sollen
wissen: Es gibt nicht irgendwo Unterstützung, wenn eine
Notfallsituation eintritt, sondern klar Hilfe . Das werden
wir in die Diskussionen einbringen .

Zweitens ist für uns wichtig, dass der kooperative
Gedanke der Jugendhilfe – gemeinsam mit Jugendamt,
Trägern, Eltern und Kindern – bestehen bleibt . Wenn wir
eine Reform durchführen, werden wir das ganz deutlich






(A) (C)



(B) (D)


so formulieren: Alle müssen mitarbeiten im Sinne des
Kindes .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt: Wir werden in den nächsten Wochen und
Monaten intensiv darüber diskutieren, wie es mit dieser
Reform weitergeht .

Wir hatten 124 000 Gefährdungseinschätzungen im
Jahr 2014, in denen der Verdacht aufgekommen ist, dass
Kinder psychische, physische oder sexuelle Gewalt er-
leben bzw . vernachlässigt sind . Das sind 7 Prozent mehr
als im Vorjahr . Das ist für unsere Gesellschaft nicht hin-
nehmbar . Dass diese Zahlen weiter steigen, ist nicht hin-
nehmbar . Das wird uns als Jugend- und Kinderpolitiker
weiterhin bewegen müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir dürfen es nicht zulassen, dass Kinder in einer Anzahl,
die der Einwohnerzahl einer mittleren Stadt vergleichbar
ist, Jahr für Jahr gefährdet sind . Deswegen müssen wir
genau überlegen, was wir machen . Das tun wir auch .

Die SGB-VIII-Reform – wie und wann auch immer;
das werden wir sehen – könnte einen Fortschritt bedeu-
ten . Ich bin auch sehr dankbar für den Antrag und den
Impuls, eine Diskussion zum Thema „Kinderschutz, Ver-
netzung, Gesundheit, Medizin, Jugendhilfe“ zu führen .
Wir haben in der Großen Koalition bereits viel erreicht
und Gutes gemacht . Aber das Gute kann man ja auch aus-
weiten und noch besser machen .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das geht immer!)


Deswegen freue ich mich genauso wie Sie auf die gute
Diskussion im Ausschuss .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819714100

Norbert Müller hat für die Fraktion Die Linke als

nächster Redner das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819714200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten
heute über einen Antrag der Grünen zum Kinderschutz .
Herr Kollege Weinberg, ich habe Ihnen aufmerksam zu-
gehört und habe Ihrer Rede entnommen, dass wir in die-
sem Haus die seltene Chance haben, gemeinsam einem
Antrag der Grünen zuzustimmen . Die Fraktion Die Linke
sieht dieses Chance genauso wie Sie .


(Beifall bei der LINKEN)


Die UN-Kinderrechtskonvention kennt drei große
Stützen: Schutz, Förderung und Beteiligung . Wir sind
im internationalen Vergleich in allen Bereichen nicht

schlecht . Wir können und müssen aber besser werden .
Sie haben bereits einige Punkte in der Debatte angespro-
chen: das Bundeskinderschutzgesetz oder die Einsetzung
des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen
Kindesmissbrauchs . Diesem möchte ich für seine hervor-
ragende Arbeit danken .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Rörig als Unabhängiger Beauftragter hat in den letz-
ten Monaten eine ganze Reihe von Themen aufgeworfen,
bei denen es nicht nur um Aufarbeitung, sondern auch um
Prävention geht und wir im gesetzlichen Rahmen nach-
arbeiten müssen . Ich will zwei Punkte ansprechen, bei
denen Sie wahrscheinlich etwas schwerhöriger werden .
Das Erste ist die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie
und der Schutz besonders schutzbedürftiger Menschen,
also von minderjährigen Flüchtlingen und Frauen, insbe-
sondere von alleinreisenden Frauen, in Erstaufnahmeein-
richtungen und Gemeinschaftsunterkünften . Hier müssen
wir besser werden . Ich empfehle Ihnen, nachzulesen, was
die Kinderkommission des Deutschen Bundestags insbe-
sondere zum Schutz von Flüchtlingskindern – mit Unter-
stützung von Herrn Rörig – aufgeschrieben hat .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Ein großes Thema ist der sexuelle Miss-
brauch in Schulen . Wie können wir auch in diesem rie-
sigen Bereich, in dem sich aufgrund der zehnjährigen
Schulpflicht so gut wie alle jungen Menschen aufhalten,
Prävention betreiben? Hier läuft die Kooperation mit den
Ländern bereits an . Wir sollten darüber nachdenken, wie
der Bund besser unterstützend tätig sein kann .

Ich war 2013/14 Mitglied des Bildungsausschusses
des brandenburgischen Landtags, als Brandenburg die
drei Einrichtungen der Haasenburg GmbH geschlossen
hat . Diese stationären Einrichtungen der Kinder- und Ju-
gendhilfe hatten einen geschlossenen Bereich, der dazu
geeignet war, Kinder zu missbrauchen; das wurde auch
praktiziert . Kinder wurden dort missbraucht, geschla-
gen, misshandelt, unterworfen und gedemütigt . Es war
richtig, diese Einrichtungen zu schließen . Ich sage Ihnen
aber auch: Das war ziemlich schwierig; denn die gesetz-
lichen Grundlagen waren nicht so, wie wir sie brauchten .
Deswegen sind die Vorschläge der Grünen, insbesondere
was das Betriebserlaubnisverfahren angeht, aber auch die
Ergebnisse der Bund-Länder-Gruppe, was die Betriebs-
aufsicht und die Heimaufsicht angeht, entscheidend . Wir
sollten dafür sorgen, dass nicht nur die stationären Ein-
richtungen besser kontrolliert werden, sondern dass alle
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe engmaschiger
kontrolliert werden . Wir müssen das Betriebserlaubnis-
verfahren deutlich verbessern, um sicherzustellen, dass
es in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe weder
zu Übergriffen noch zu Missbrauch kommt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein wichtiges Instrument für den Kinderschutz ist das
in den letzten Jahren vorgeschriebene Führungszeug-
nis für ehrenamtlich Tätige . Wie Sie aber wissen, greift

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


dieses Instrument viel zu kurz . Das kann nur ein erster
Anfang sein . Seit Monaten liegen uns Vorschläge des
Bayerischen Jugendrings und des Deutschen Bundesju-
gendrings vor. Wir finden es sehr gut, dass die Grünen
diese Vorschläge aufgreifen . Wir müssen dieses Füh-
rungszeugnis weiterentwickeln . Es ist bislang zu büro-
kratisch und zu aufwendig für die Verbände . Es ist viel
zu schwierig zu handhaben . Wie Sie wissen, gab es vor
anderthalb Jahren dazu eine Anhörung im Familienaus-
schuss . Die Ergebnisse möchte ich noch einmal kurz zu-
sammenfassen; Sie können sie auch im Antrag der Grü-
nen nachlesen .

Das Führungszeugnis für ehrenamtlich Tätige zum
Beispiel in Sportvereinen soll zugunsten einer Unbe-
denklichkeitsbescheinigung, basierend auf dem Bundes-
zentralregister, abgeschafft werden, die nicht mehr jeder
x-Beliebige auf Antrag bekommt und die deutlich macht,
ob der Betreffende mit Kindern arbeiten darf oder ob da-
von abzusehen ist, weil es einen entsprechenden Eintrag
im Bundeszentralregister gibt . Der Vorschlag der Grü-
nen ist gut . Diesen könnten wir sofort umsetzen, Herr
Weinberg .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Grünen stärken in ihrem Antrag den Beratungs-
anspruch. Das finden wir richtig. Ja, die Beratung muss
entbürokratisiert und ausgeweitet werden . Sie muss für
alle Kinder und Jugendlichen geöffnet werden. Wenn wir
aber – das fehlt mir ein Stück weit in Ihrem Antrag; das
werden wir noch einmal in die Beratungen einbringen –
die Beratungsansprüche ausweiten, die Aufsicht über
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbeson-
dere die Heimaufsicht, ausbauen sowie die Betriebsge-
nehmigungsverfahren qualitativ verbessern wollen, dann
brauchen wir eine bessere Kinder- und Jugendhilfe . Das
heißt, wir brauchen mehr Geld in Ländern und Kommu-
nen für Aufsichtsbehörden und Jugendämter . Wir müssen
den kompletten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe stär-
ken . Die anstehende Reform des Achten Buches Sozial-
gesetzbuch bietet eine gute Gelegenheit, Herr Weinberg,
die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland insgesamt zu
stärken . Diese Signale sollten Sie aufnehmen . Dann hät-
ten Sie uns als Linke an Bord . Das können Sie mit Geld,
einer Entlastung der Kommunen an dieser Stelle und mit
besseren gesetzlichen Grundlagen tun .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819714300

Als nächste Rednerin hat Ulrike Bahr für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1819714400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen

und Kolleginnen! Equal Pay – hochaktuell . Viele Kolle-
ginnen und Kollegen waren in der letzten Woche bei den
Auftaktveranstaltungen zum Equal Pay Day 2017 . Zum

Titel Ihres Antrags – keine Sorge, ich habe mich nicht
im Thema vertan –, „Damit Kinder gut aufwachsen“, fiel
mir spontan ein ganz ähnliches Schlagwort ein, nämlich:
Equal Grow Up .

Das ist zweifelsfrei ein mindestens genauso wichtiges
Thema; denn genauso wie es ungerechte Lohnlücken
gibt, gibt es auch weiterhin ungleiche Startbedingungen,
was das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen be-
trifft. In der Gewerkschaftsarbeit haben wir dazu immer
ein einfaches, aber dafür sehr eindrucksvolles Bild be-
nutzt . Stellen Sie sich eine Startlinie vor, an der nebenei-
nander ein Rabe, ein Affe, ein Pelikan, ein Elefant, eine
Robbe und ein Dackel stehen . Vor ihnen sitzt ein Leh-
rer am Pult und sagt: Aus Gerechtigkeitsgründen lautet
für Sie alle die Aufgabe gleich: „Klettern Sie auf einen
Baum!“ – So viel zur Chancengleichheit in der Realität .

Dabei haben wir in der Vergangenheit natürlich schon
viele „Prothesen“ und Hilfsmittel entwickelt, um Nach-
teile auszugleichen und gerechtere Startchancen für alle
Kinder zu schaffen, auch mithilfe unseres über die Lan-
desgrenzen hinaus anerkannten Kinder- und Jugendhil-
fesystems, bei dem wir auch in Zukunft keinerlei Stan-
dardsenkungen akzeptieren werden .


(Beifall bei der SPD)


„viel wert . gerecht . wirkungsvoll“ – das waren die
Schlagworte des letzten Kinder- und Jugendhilfetages,
wenige Worte, die aber alles sagen . Seit mittlerweile ei-
nem Vierteljahrhundert stellen wir so das Kind und seine
bestmögliche persönliche Entwicklung in den Mittel-
punkt . Wir sprechen hier nicht ohne Grund von einem
Paradigmenwechsel; denn seitdem gehört es zum Ver-
ständnis von gutem Aufwachsen, dass wir die Kinder in
ihrer Persönlichkeit und als Individuen stärken . Es geht
darum, Stärken zu fördern und auszubauen, und eben
nicht darum, vermeintliche Defizite auszumerzen. Auch
das ist für mich Kinderschutz .

Dabei scheint uns das heute oft selbstverständlich . Er-
innern wir uns: Wie war es denn noch in der Mitte des
letzten Jahrhunderts, wenn man beispielsweise Links-
händer war? Ich bin mir sicher, dass sich hier im Saal ei-
nige „Umgedrehte“ finden, jene, denen mit Zwang, nicht
selten mit Schlägen, beigebracht wurde, mit der „schö-
nen“ Hand zu schreiben und guten Tag zu sagen .

Für mich ist diese Abkehr davon, dass man nur „rich-
tig“ ist, wenn man in eine bestimmte Norm passt oder
gepresst wird, wirklich eine Errungenschaft zum Nutzen
und auch zum Schutz vieler späterer Kindergenerationen .
Unsere Kinder lernen, dass es völlig normal ist, unter-
schiedlich zu sein, dass jeder Schwächen hat . Aber noch
wichtiger ist: Jeder hat Stärken, die wir fördern können
und müssen . Jedes Kind soll die gleichen Chancen auf
diese Förderung haben . Das gilt für Mädchen und Jun-
gen, für Aufgeweckte und Ruhige, für hier Geborene und
für Zugezogene, kurz: für alle Kinder – und das auch un-
abhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern .


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir eine inklusive Gesellschaft wollen, dann
brauchen wir genauso ein System mit Hilfe- und Un-
terstützungsleistungen, das für alle Kinder und Jugend-

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


lichen gilt, egal ob behindert oder nicht behindert . Wir
brauchen auch die inklusive Lösung im SGB VIII, damit
die verschiedenen Schubladen bei den Eingliederungs-
hilfen endgültig zu sind .

Zweifelsohne ist viel passiert in den letzten Jahren in
Richtung inklusive Gesellschaft mit den Frühen Hilfen,
integrativen Kitas, Programmen wie „Jugend Stärken
im Quartier“ oder, gerade neu, mit dem schon jetzt sehr
erfolgreichen Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ . Wir ha-
ben also durchaus Erfolge zu verzeichnen . Heutzutage ist
das katholische Mädchen vom Lande nicht mehr zwangs-
läufig bildungsbenachteiligt. Frau kann sogar Bundes-
tagsabgeordnete werden .

Aber es gibt weiterhin jene und auch neue Gruppen,
für die wir noch breitere Zugänge zu mehr Bildung, zu
mehr Schutz und zu mehr Partizipation schaffen müssen.
Das gilt für Kinder aus einkommensschwachen und bil-
dungsfernen Familien, das gilt für Jugendliche, die uns
teils an den Übergängen von der Schule in die Ausbil-
dung verloren zu gehen drohen und schlimmstenfalls
durch alle Netze fallen, und das gilt nicht zuletzt für die-
jenigen jungen Menschen, mit deutschem genauso wie
mit Migrationshintergrund, die sich von unserer Gesell-
schaft nicht angenommen fühlen und für extremistisches
Gedankengut anfällig werden . Deshalb gehören für mich
politische Bildung und Demokratieerziehung unbedingt
auch dazu, wenn es um gutes Aufwachsen, Schutz und
Prävention geht .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiteres Instrument, das vor Ort im Bereich der
Kinder- und Jugendhilfe dazu beitragen kann, Ungleich-
gewichte auszubalancieren, sind Ombudsstellen . Für
alle, denen dieser Begriff – einfach auch deswegen, weil
es diese leider noch nicht flächendeckend gibt – nicht so
geläufig ist: Ombudsstellen sind unabhängige Anlaufstel-
len, die den Anspruchsberechtigten in der Kinder- und
Jugendhilfe offenstehen. Hier gibt es Beistand und Hil-
fe, wenn es Unklarheiten, Probleme und Konflikte in der
Kinder- und Jugendhilfe gibt .

Ich bin seit dem letzten Jahr stellvertretende Vorsit-
zende eines neuen Vereins in Bayern, der das Thema
„unabhängige Ombudschaft“ weiter vorantreiben will . In
dieser kurzen Zeit habe ich eine Menge gelernt, vor allem
von den vielen engagierten Fachkräften, die sich haupt-
wie ehrenamtlich für dieses Thema starkmachen . Ich bin
überzeugt, dass eine Verankerung von Ombudsstellen im
SGB VIII der absolut richtige Weg ist .

Aber was ist eigentlich mit den Kindern? Wissen wir
immer so ganz genau, was für die Kinder selbst gutes
Aufwachsen ist? Eine Umfrage der Deutschen Bahn im
Sommer hat dazu interessante Ergebnisse geliefert . Die
Hauptfrage war: Was wünschen sich Kinder am meisten?
Man hat sowohl die Kinder als auch ihre Eltern gefragt .
Die Eltern lagen da – wenn wundert es? – nicht immer
richtig . Natürlich stehen Süßigkeiten, Computerspiele
und Hunde ziemlich weit oben auf der Skala . Am Schluss
aber kam heraus: Das, was Kinder sich wirklich am
meisten wünschen, ist Zeit, Zeit mit der ganzen Familie .
Deshalb wünsche ich mir auch, dass künftig – möglichst

bald – auch die Familienarbeitszeit zum guten Aufwach-
sen dazugehört .

In diesem Sinne vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819714500

Als nächste Rednerin spricht Christina Schwarzer für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1819714600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Sieben Monate alt durfte die kleine Lena aus Ber-
lin-Neukölln werden, bevor ihr junger Vater der Mei-
nung war, dass ihn ihr Schreien so sehr nervt, dass er
sie durchschütteln könnte . Und er tat es . Fünf Sekunden
lang . Lena hatte keine Chance . Sie ist einen Tag später
an ihren schweren Gehirnverletzungen gestorben . Dieser
unglaublich traurige Fall passierte hier bei uns in Ber-
lin im Jahre 2012, allerdings nicht in einer Familie, die
durch das Hilfenetz fiel, auch nicht in einer Familie, die
von unseren Regeln und Gesetzen nicht erreicht wurde .
Es passierte in der Obhut des Jugendamtes, in einer Ber-
liner Jugendhilfeeinrichtung, einem sogenannten Mutter-
Kind-Haus .

Fälle wie der der kleinen Lena gibt es leider immer
wieder in Deutschland . Viel zu oft wird dann – vielleicht
auch aufgrund der Hilflosigkeit der Verantwortlichen –
nach bundesgesetzlichen Regelungen gerufen . Sehr ge-
ehrte Kollegen der Grünen, Sie sagen es in Ihrem Antrag
ja selbst: Der gesetzliche Kinderschutz hat sich erheblich
weiterentwickelt, auch und insbesondere durch das Bun-
deskinderschutzgesetz . Zwischen diesen gesetzlichen,
vor allem bundesgesetzlichen Regelungen und dem da-
mit verbundenen Anspruch sowie der Praxis vor Ort klaf-
fen dennoch Lücken . Das beschreiben Sie ebenfalls in
Ihrem Antrag .

Mein Heimatbezirk Neukölln hat aus diesem Fall ge-
lernt . Unser Jugenddezernent hat dieses Thema zur Chef-
sache erklärt, den Fall sehr intensiv und mit zahlreichen
Experten aufgearbeitet und vor Ort wichtige Maßnahmen
umgesetzt . Die vielleicht wichtigste Maßnahme ist die
Einrichtung eines Kinderschutzteams mit zusätzlichem
Personal . Das war ein Novum in Berlin . Die Etablie-
rung einer Präventionskette – und damit eine rechtzeiti-
ge frühe familiäre Präventionsarbeit am besten schon in
der Schwangerschaft – konnte ebenfalls erreicht werden .
Eine frühe Unterstützung der jungen und werdenden Fa-
milien bewahrt in den allermeisten Fällen die Kinder vor
späten negativen Entwicklungen .

Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: Wir haben
in den vergangenen Jahren unsere Regeln und unsere Ge-
setze zum Kinderschutz zum Glück und zu Recht erheb-
lich weiterentwickelt, nicht zuletzt – das sagte auch der
Kollege Weinberg – durch das Bundeskinderschutzge-
setz . Mir persönlich ist dabei das System „Frühe Hilfen“
ganz wichtig . Ich glaube, da sind wir hier einer Meinung .

Ulrike Bahr






(A) (C)



(B) (D)


Auch die Möglichkeit für Ärzte und andere Berufsge-
heimnisträger, bei Verdacht auf Kindesmisshandlungen
die Jugendämter einzuschalten – also ihre Schweige-
pflicht zu brechen –, ist eine bedeutende Maßnahme. Sie
müsste nur noch viel stärker genutzt und publik gemacht
werden . Die Ärzte müssten über ihren Nutzen wie auch
über Merkmale und Folgen von Kindesmisshandlungen
stärker aufgeklärt werden . Auch hier stehen wir immer
wieder vor der großen Herausforderung, ob der Daten-
schutz dem Kinderschutz entgegensteht .

Noch recht aktuell im großen Feld Kinderschutz ist
die so wichtige Verschärfung des Sexualstrafrechts . An
Letzterem können wir – diese Nebenbemerkung sei mir
erlaubt – meines Erachtens ruhig noch ein bisschen wei-
terarbeiten . Ich würde mir wünschen, dass wir das The-
ma „Versuchsstrafbarkeit beim Cybergrooming“ noch
einmal angehen . Spätestens nachdem viele von uns den
Film Das weiße Kaninchen gesehen haben, wissen wir
alle, was für Dinge im Internet passieren . Am Ende sind
wir uns jedoch aber alle einig: Kinder brauchen und
verdienen unseren besonderen Schutz . Und egal, wie
hoch die Schutzstandards bei uns sind: Gesetze müssen
eben auch eingehalten und gut umgesetzt werden . Da-
für braucht es Kontrollmechanismen in den Ländern und
Kommunen . Wir alle, die wir hier sitzen, können uns da-
für verantwortlich zeigen und uns in den Heimatregio-
nen, aus denen wir kommen, dafür starkmachen .

Einen Punkt würde ich gerne noch aufgreifen – meine
Vorredner haben ihn schon erwähnt –: das Führungszeug-
nis. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen
der Fraktionen in unserem Haus. Ich teile die Auffassung
der Vereine und Verbände, die auch in der Expertenanhö-
rung Anfang des letzten Jahres, also vor rund anderthalb
Jahren, deutlich wurde . Die Vorlage des Führungszeug-
nisses sollte durch eine sogenannte bereichsspezifische
Auskunft beim Bundeszentralregister ersetzt werden .
Diese Bescheinigung würde dann nur Auskunft darüber
geben, ob eine Person nach dem Bundeskinderschutz-
gesetz haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten
darf oder nicht, ergo, ob sie nach den in § 72a Absatz 1
SGB VIII genannten Straftatbeständen verurteilt sind .
Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Sexual-
delikte . Andere Vergehen wie zum Beispiel Diebstahl,
Drogenhandel oder auch Mord würden dem Vereinsvor-
sitzenden nicht bekannt . Das Bundeskinderschutzgesetz
nennt diese aber auch nicht als Ausschlussgründe für die
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen .

Weil ich auch die Gegenargumente, unter anderem der
zuständigen Ministerien kenne, möchte ich gleich noch
etwas klarstellen: Die Gegner einer möglichen Gesetzes-
änderung argumentieren, dass es einem Vereinsvorstand
möglich sein müsse, auch in andere Straftatbestände Ein-
sicht zu nehmen, die nicht von § 72a Absatz 1 SGB VIII
abgedeckt sind . Dann solle er im Einzelfall entscheiden,
ob, sagen wir, ein ehemaliger Drogenhändler Kinder-
und Jugendarbeit in einem Verein machen darf . Um das
noch etwas deutlicher zu machen: Wir verlangen vom
Vereinsfunktionär hier eine Entscheidung, die wir als
Gesetzgeber nicht treffen wollen. Wir haben den Funk-
tionären doch gar keine Entscheidungsgrundlage an die
Hand gegeben, also kann der eine ehemalige Drogen-

händler ruhig die Fußballmannschaft trainieren, weil der
Vereinsvorsitzende der Meinung ist, er sei ausreichend
bekehrt, ein anderer darf das aber nicht .

Ich muss aber auch kritisch hinterfragen, wie dieser
Punkt in einen Antrag passt, in dessen Titel es „Kinder-
schutz und Prävention ausbauen“ heißt . Ich denke, wir
sind uns einig, dass wir auf keinen Fall die Kinderschutz-
standards senken dürfen . Ich würde mir in diesem Zu-
sammenhang im Übrigen auch noch wünschen, dass wir
das Erfordernis der Vorlage eines entsprechenden Nach-
weises auf all diejenigen ausweiten, die im Haupt- oder
Ehrenamt mit Kindern arbeiten, egal ob diese Jugendar-
beit nun öffentlich gefördert ist oder nicht. Gleiches gilt
im Übrigen auch für Berufsgruppen, die vermehrt mit
Kindern arbeiten . Ich denke hier zum Beispiel an Kin-
derärzte und Kinderpsychologen . Weil wir ein Land von
Bürokraten sind, gehen wir immer wie selbstverständlich
davon aus, dass so etwas bei uns geklärt ist . Ist es aber
nicht .

Ich freue mich ebenfalls auf die guten Beratungen .
Herr Müller, vielleicht können wir ja noch gemeinsam
gute Ideen entwickeln .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819714700

Als nächste Rednerin spricht Gülistan Yüksel für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1819714800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Bürgerinnen

und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kein
Kind zurücklassen!“, diesen Titel trägt ein erfolgreiches
Projekt in NRW. Es schafft durch sogenannte kommu-
nale Präventionsketten niedrigschwellige Angebote zur
Unterstützung von Kindern und Familien, und zwar
möglichst lückenlos und von der Schwangerschaft bis
zum Eintritt ins Berufsleben . „Kein Kind zurücklassen“
umschreibt auch unser aller Anliegen: Kinder zu schüt-
zen und ihnen zu ermöglichen, dass sie gut aufwachsen
können . Unser Schutzsystem mit seinen Beratungs- und
Unterstützungsangeboten ist zwar grundsätzlich gut und
wirksam, weil aber jeder Fall von Kindesmissbrauch
einer zu viel ist, müssen wir kontinuierlich an weiteren
Verbesserungen arbeiten .

Erfolgreiche Bausteine unserer aktuellen Kinder-
schutzpolitik sind unter anderem das Gesamtkonzept für
den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller
Gewalt; Initiativen wie „Trau dich!“, die bundesweit El-
tern und Kinder über ihre Rechte und das Thema Miss-
brauch informieren; oder die Frühen Hilfen, die Eltern
bei der Erziehung ihrer Kinder in puncto Gewaltschutz
und gesundes Aufwachsen unterstützen . Außerdem wird
es eine neue zentrale medizinische Kinderschutzhotline
geben, die Ärztinnen und Ärzten 24 Stunden am Tag, sie-
ben Tage die Woche bei Verdachtsfällen der Kindeswohl-
gefährdung unterstützend zur Seite steht .

Christina Schwarzer






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Unabhän-
gige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmiss-
brauchs leistet wichtige Arbeit im Bereich der Hilfe, Be-
ratung und Prävention . Seine Initiative „Kein Raum für
Missbrauch“ gibt den Anstoß dazu, dass Einrichtungen
und Organisationen Orte werden, an denen Kinder und
Jugendliche vor sexueller Gewalt geschützt sind sowie
Hilfe und Unterstützung bekommen . Ein besonderer
Schwerpunkt wird auf den Ort gelegt, an dem die meis-
ten Kinder und Jugendlichen erreicht werden können: die
Schule . Gerade Schulen müssen geschützte Räume sein,
in denen Probleme sensibel wahrgenommen und gelöst
werden .

Besonders schutzbedürftig sind in diesen Tagen ge-
flüchtete Kinder und Jugendliche. Sie haben kriegs- und
fluchtbedingte Gewalterfahrungen gemacht; viele sind
traumatisiert . Es ist unsere Aufgabe, dass sie bei uns end-
lich Ruhe und Schutz finden.


(Beifall bei der SPD)


Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesfa-
milienministerin in ihrer Forderung, Schutzkonzepte in
Asylunterkünften als Standard bundesweit vorzuschrei-
ben .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinderschutz und
gutes Aufwachsen müssen ganzheitlich gedacht werden .
Politik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür
zu schaffen, dass Eltern ihren Kindern ein körperlich,
seelisch und sozial gesundes Aufwachsen ermöglichen
können . Zu „Kein Kind zurücklassen“ gehört auch, je-
des Kind bestmöglich zu fördern . Alle Kinder brauchen
vollen Zugang zu frühkindlichen Bildungsangeboten,
Schulen sowie zur Kinder- und Jugendhilfe . Deshalb
war es wichtig und richtig, dass wir die Kinderbetreu-
ung weiter ausgebaut haben, dass wir bei den jüngsten
Bund-Länder-Verhandlungen zusätzliche Investitionen
im schulischen Bereich sowie eine Verbesserung des
Unterhaltsvorschusses durchgesetzt haben, dass wir die
Grundsicherung und den Kinderzuschlag verbessern und
dass wir die hohen Standards der Kinder- und Jugendhil-
fe für alle Kinder und Jugendlichen erhalten .


(Beifall bei der SPD)


Durch Programme wie KitaPlus oder staatliche Leis-
tungen wie dem Elterngeld Plus ermöglichen wir Fami-
lien außerdem eine zeitlich flexiblere Ausgestaltung des
Alltags . Wie meine Kollegin Ulrike Bahr bereits ausge-
führt hat, wünschen sich Kinder mehr Zeit mit der Fa-
milie . Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
nehmen wir diesen Wunsch ernst und werden uns weiter-
hin für das zukunftsweisende Familienarbeitszeitmodell
starkmachen .


(Beifall bei der SPD)


Schade, dass sich noch nicht alle dafür haben erwärmen
können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, verantwortungsvol-
le und vorbeugende Politik ist nicht nur gut für Kinder
und Familien . Verantwortungsvolle und vorbeugende
Politik spart auch soziale Folgekosten, etwa bei Kinder-

und Jugendhilfen und Grundsicherungsleistungen . Dem
Kindeswohl muss bei allem staatlichen Handeln der Vor-
rang eingeräumt werden . Für uns als SPD ist deshalb eine
Stärkung der Rechte von Kindern ein wesentliches Ziel .


(Beifall bei der SPD)


Um diese Rechte im Alltag besser durchzusetzen und
Kinder somit zu stärken und auch besser zu schützen,
brauchen wir als einen wichtigen Schritt Kinderrechte im
Grundgesetz .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen kein
Kind zurücklassen . Das heißt für uns: früh handeln, ge-
zielt fördern, ganzheitlich helfen. Das ist unsere Pflicht.
Danach handeln wir . Auch wir freuen uns auf die Diskus-
sionen in den Ausschüssen .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819714900

Als nächster und letzter Redner in der Debatte hat

Eckhard Pols für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1819715000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Vater von
fünf Kindern fühlt man sich im Familienausschuss am
richtigen Fleck . Ich vermag hier all meine praktischen
Erfahrungen als Elternteil mit einzubringen . Ebenso ver-
hält es sich mit dem Blick auf meine Mitgliedschaft in
der Kinderkommission seit Beginn der 17 . Legislaturpe-
riode des Deutschen Bundestages .

In der Zeit meines Vorsitzes in der Kinderkommission
habe ich etwas gesagt, zu dem ich auch heute noch stehe:
„Ohne Kinder ist kein Staat zu machen, ohne Kinder gibt
es keine Zukunft .“ Deshalb ist es überaus wichtig, dass
vor allem wir Familienpolitiker das Wohl der Kleinen in
unserer Gesellschaft stets im Auge behalten . Dabei han-
delt es sich natürlich um einen fortwährenden Prozess
der Analyse, wie wir die bestmögliche Entwicklung un-
serer Kinder gewährleisten können . „Kinderschutz“ und
„Prävention“ lauten hier die zentralen Begriffe.

Vor diesem Hintergrund halte ich Ihren Antrag sogar
grundsätzlich für lobenswert . Ich bin mir ziemlich sicher,
dass Sie damit auch zu einem besseren Kinderschutz bei-
tragen wollen . Sie sprechen auch wichtige Themen an .
Da sind zum Beispiel eine bessere Kooperation zwischen
Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen so-
wie die bestmögliche Integration von Ehrenamtlichen in
die Kinder- und Jugendarbeit .

Als aufrichtiger Kollege muss ich Ihnen aber leider
auch sagen, dass Sie mit Ihrem Antrag an vielen Stellen
Gefahr laufen, das eigene Ziel zu verfehlen . Ich möchte
meine Position an zwei Punkten erläutern .

Gülistan Yüksel






(A) (C)



(B) (D)


Zum einen wollen Sie die Pflicht zur Vorlage des er-
weiterten Führungszeugnisses aufheben . Sie sprechen in
diesem Zusammenhang überwiegend von Ehrenamtli-
chen, die in der Tat Außergewöhnliches im Bereich der
Kinder- und Jugendhilfe leisten . Die Gesellschaft – eben-
so wie wir Abgeordnete – kann sich wahrhaftig glücklich
schätzen, ein solch bewundernswertes ehrenamtliches
Engagement vorzufinden. Deshalb plädiere auch ich da-
für, Ihnen die Aufnahme eines entsprechenden Ehrenam-
tes so leicht wie möglich zu machen . Da sind sich Union
und Grüne sogar einig .

Was uns jedoch unterscheidet, ist das Augenmaß .
Ausgerechnet beim Kindeswohl – ich betone: beim Kin-
deswohl – wollen Sie die gesetzlich vorgeschriebene
Pflicht zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses
abschaffen – ohne Prüfung, ob dies auch zweckdienlich
wäre . Dabei sollten wir jedoch stattdessen reinen Gewis-
sens in den Spiegel schauen und sagen können: Unsere
Kinder befinden sich in guten Händen. So vermag es al-
lerdings nur zu sein, wenn wir den Personen, in deren
Obhut wir unsere Kinder geben, wirklich vertrauen kön-
nen .

Natürlich sehe auch ich das Unbehagen derjenigen, die
sich um unsere Kinder kümmern, wenn sie dem Träger
ihr erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen . Dies
gilt laut Gesetz für die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe wie auch
für Ehrenamtliche gleichermaßen . Allerdings muss zu-
erst geprüft werden, ob gleichwertige Alternativen zur
derzeitigen Vorlagepflicht wirklich bestehen. Ich sage Ih-
nen: Gerade beim Thema Kindeswohl muss Sorgfalt vor
Schnelligkeit gehen .

Angesichts dessen will ich vielmehr unserer unions-
geführten Bundesregierung ein großes Lob aussprechen .
Sie geht äußerst bedächtig und verantwortungsvoll mit
dem Kindeswohl um . Sie wird die Zweckdienlichkeit
des sogenannten Negativ-Attestes, welches die Grünen
in ihrem Antrag vielleicht schon als der Weisheit letzter
Schluss verkaufen wollen, eingehend prüfen .

Eine Prüfung wird die Regierung auch hinsichtlich der
Frage vornehmen, ob bestimmte andere schwere Strafta-
ten, die heutzutage noch nicht zum Ausschluss von Tä-
tigkeiten aus der Kinder- und Jugendhilfe führen, mit in
den Katalog der ausschlussrelevanten Straftaten einbezo-
gen werden sollten . Von dieser Überprüfung sind Delikte
etwa des Totschlags und der schweren Körperverletzung
betroffen, und das finde ich gut.

Der zweite kritische Punkt, den ich sehe, ist, dass Sie
die Verantwortung für die Unterhaltung von Hilfenetz-
werken anscheinend allein dem Bund auferlegen wollen,
und zwar mit der Begründung, dass Präventionsnetzwer-
ke Schwierigkeiten bei ihrer langfristigen Finanzierung
hätten . Meine Damen und Herren von den Grünen, ich
sage Ihnen einmal Folgendes: Kinderschutz und Präven-
tion sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der
sich sowohl der Bund als auch die Länder zu beteiligen
haben .

Wenn sich Ihre eigenen Landesregierungen dieser
Verantwortung entziehen, ist das ein Problem, das vor
allem die Länder zu lösen haben und nicht die Bundes-

ebene . Wie auch in anderen Politikbereichen nach dem
Bund zu rufen, wenn man wieder einmal nicht weiter-
weiß, ist zwar immer sehr einfach, ich halte das aber an
dieser Stelle für deplatziert .

Ungeachtet dessen bekennt sich der Bund zu seiner
Verpflichtung, wie etwa die Anschubfinanzierung des
Präventionsnetzwerkes „Kein Täter werden“ zeigt, das
sich an Pädophile richtet . Diese übernahm das Bundes-
ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz . So-
gar das rot-schwarz regierte Berlin hat übrigens die An-
schlussfinanzierung für das Jahr 2017 übernommen. Das
nenne ich verantwortungsvoll .

Aber zu guter Letzt möchte ich tatsächlich einen So-
zialdemokraten zitieren, nämlich unsere Familienminis-
terin Manuela Schwesig – leider ist sie gerade nicht da –,
die einmal gesagt hat: „Jedes Kind hat ein Recht darauf,
gut und sicher aufzuwachsen .“ Und das wollen wir doch
alle .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819715100

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/9054 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Gartenbau sowie Garten- und Landschafts-
bau als innovativen Wirtschaftszweig stärken
und zukunftsfest machen

Drucksache 18/10018
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Sobald alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Debatte teilhaben wollen, einen Platz gefunden haben,
könnte ich die Aussprache eröffnen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Thomas Mahlberg für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eckhard Pols






(A) (C)



(B) (D)



Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1819715200

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren, die dieser Debatte auf
der Tribüne oder vor dem Fernseher beiwohnen! Wir
haben die Initiative für den Gartenbau deshalb ergriffen,
weil es wichtig ist, wie ich finde, einen innovativen, ei-
nen klein- und mittelständisch strukturierten Wirtschafts-
zweig hier in Deutschland zu stärken und ihn auch wei-
terhin zukunftsfest zu machen .

Manch einer reibt sich die Augen und fragt sich: Im
Deutschen Bundestag wird über Gartenbau debattiert?
Man reibt sich noch mehr die Augen, wenn man mit den
Hard Facts des Gartenbaus konfrontiert wird; denn der
Gartenbau bei uns im Land hat eine Bruttowertschöpfung
von rund 20 Milliarden Euro . Er macht einen Umsatz
von etwa 78 Milliarden Euro . Rund 700 000 Menschen
arbeiten in dieser Wertschöpfungskette . Der Gartenbau
in Deutschland stellt etwa 13 000 Ausbildungsplätze zur
Verfügung und ist damit einer der größten Ausbilder in
der Agrarbranche .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ CSU]: Das muss man würdigen!)


Sie sehen also: Der Gartenbau verdient unsere volle Un-
terstützung . Gartenbaubetriebe bereichern unser Leben;
ich glaube, diese Erfahrung hat jeder schon ganz persön-
lich gemacht .

Das Thema Ernährung ist derzeit in aller Munde . Wir
haben auch in dieser Woche Debatten über dieses Thema
geführt . Wenn Sie morgen wie ich und meine Kollegin-
nen und Kollegen selber einkaufen gehen, dann erfahren
Sie wieder, welche tollen und innovativen Produkte un-
ser Gartenbau hervorbringt, beispielsweise Obst und Ge-
müse auf dem Wochenmarkt oder in den Geschäften . So
gehören gartenbauliche Betriebe mit ihren Erzeugnissen
zu unserem Alltag .

Aber es gibt nicht nur Obst und Gemüse vom Garten-
bau, sondern der Gartenbau ist viel mehr . Es gibt neben
Essbarem, neben viel Gesundem, das produziert wird,
auch Zierpflanzen, es gibt den Friedhofsbereich – ein
sehr großer Bereich – und Einzelhandelsgärtnereien so-
wie den Garten- und Landschaftsbau, kurz: GaLa-Bau .

Als Arbeitgeber spielt der Gartenbau eine wichtige
Rolle in unserem Land – das habe ich eben deutlich ge-
macht –, vor allen Dingen in den ländlichen Regionen
unseres Landes, aber nicht nur dort: Er leistet auch Groß-
artiges im Bereich der Integration . Ich komme aus Nord-
rhein-Westfalen . Dort gibt es beispielsweise ein sehr gro-
ßes Integrationsprojekt, von dem gerade junge Menschen
sehr profitieren, aber nicht nur die jungen Menschen,
sondern auch die Betriebe, weil so die entsprechenden
Fachkräfte für den Garten- und Landschaftsbau ausge-
bildet werden .

Neben den Integrationsmöglichkeiten im Rahmen die-
ser Projekte findet auch eine alltägliche Integration statt,
zum Beispiel in den vielen Kleingartenanlagen, die wir
haben; davon ist natürlich auch der städtische Raum be-
troffen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein großes
Lob und einen großen Dank den vielen Kleingärtnern

aussprechen, die wir bei uns im Land haben; denn sie
tragen mit Urban Gardening, mit Urban Farming und mit
ihren Kleingärten dazu bei, viel Grün in unsere Städte zu
bringen, viel Grün in unser Land zu bringen, und damit
sorgen sie für die entsprechende Lebensqualität in unse-
ren Städten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sie steigern damit die Attraktivität unserer urbanen Räu-
me . Und nicht nur das: Sie verbessern auch das Stadt-
klima . Das Stadtgrün ist nämlich auch eine wichtige Vo-
raussetzung für ein gesundes Klima, das wir in unseren
Städten brauchen .

Natürlich gibt es auch viele Herausforderungen für den
Gartenbau, zum Beispiel die gestiegenen Anforderungen
an die Energieeffizienz. Dabei steht vor allen Dingen die
ressourcenschonende Produktion im Vordergrund . Wir
können es nur begrüßen – das darf ich an dieser Stelle
ganz persönlich sagen –, dass im Haushalt zusätzliche
Gelder insbesondere für die Förderung von Energiebera-
tung und energiesparenden Investitionen für den Garten-
und Landschaftsbau vorgesehen sind . Somit unterstützt
der Bund die schnelle Umsetzung wissenschaftlicher Er-
kenntnisse in die Praxis . Deshalb an dieser Stelle ein gro-
ßes Lob an unseren Bundesminister Christian Schmidt!
Ich denke, stellvertretend wird der Staatssekretär Peter
Bleser dieses Lob weiterleiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt viele Aufgaben, die wir gemeinsam mit der
Bundesregierung lösen müssen . Das gilt auch mit Blick
auf die europäische Ebene . Dazu zählt die weitere
Angleichung wettbewerbsrelevanter Regelungen genau-
so wie der europäische Patent- und Sortenschutz . Wir
fordern die Bundesregierung deshalb auf, auf europäi-
scher Ebene darauf hinzuwirken, dass Erzeugnisse aus
konventioneller Zucht und alle herkömmlichen biolo-
gischen Zuchtverfahren von der Patentierbarkeit ausge-
schlossen sind .

Im Bereich der Absatzförderung sind die Stellung und
die Förderfähigkeit aller Produkte des Gartenbaus zu
verbessern und Selbstvermarkter – ich glaube, da sind
wir uns einig – stärker zu unterstützen . Letztendlich geht
es ja darum, dass unsere leistungsfähige Gartenbauwirt-
schaft einen leichteren Zugang zu den Märkten gerade
in Drittstaaten bekommt . Das heißt, wir müssen die Zahl
der nichttarifären Handelshemmnisse weiter reduzieren .

Im Jahre 2013 hat es einen großen Kongress des Bun-
desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ge-
geben . Wichtig erscheint mir, dass wir die Ergebnisse,
die wir dort erzielt haben, weiterhin umsetzen: im Be-
reich der Energieeffizienz, zum Beispiel, was die Reduk-
tion von Torf in Substraten angeht, in der Züchtungs-
forschung und gerade auch bei der Erforschung neuer
Gefahren durch Krankheiten und Schädlinge sowie der
Gefahren der Bodenmüdigkeit . Deshalb haben wir in un-
serem Antrag, den wir gemeinsam mit der SPD formu-
liert haben, der Forschung ein großes Kapitel gewidmet .

Kontraproduktiv ist, wie ich finde – auch das darf an
dieser Stelle erwähnt werden; aber ich hoffe, dass wir da






(A) (C)



(B) (D)


noch eine gemeinsame Lösung finden –, die existenzielle
Frage des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflan-
zenbau am Standort Erfurt . Dort gibt es massive Proble-
me . Wir haben ja bereits verabredet, im November dieses
Jahres ein gemeinsames Gespräch zu führen. Ich hoffe,
dass wir dann eine Lösung finden. Ich glaube, die Schlie-
ßung dieses Instituts wäre ein großer Verlust – da sind
wir uns wahrscheinlich parteiübergreifend einig –, nicht
nur für die Branche, sondern auch im Hinblick auf die
politischen Ziele, die wir verfolgen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch was das Thema „Grün in der Stadt“ angeht, gibt
es viele Fragen, die einer wissenschaftlichen Klärung be-
dürfen . Wir glauben, wie gesagt, auch hier weiter fördern
zu müssen . Wir brauchen ein eigenständiges Förderpro-
gramm Stadtgrün . Die Grünentwicklung, gerade quar-
tierbezogen in den Städten, ist eine wichtige Aufgabe,
der wir uns widmen müssen . Vor allem diejenigen, die
aus Städten kommen, wissen, dass das Grün ein Bereich
ist, der aus Kostengründen – weil es vielen Kommunen
wirtschaftlich nicht so gut geht – oft stark vernachlässigt
wird . Ich glaube, an dieser Stelle brauchen wir gemeinsa-
me Anstrengungen, weil gerade das Grün in der Stadt den
Lebensraum für die Menschen ausmacht .

Abschließend und zusammenfassend: Ich finde, den
Antrag, den wir formuliert haben, hat sich der Garten-
bau in Deutschland redlich verdient . Er ist ein innovati-
ver Wirtschaftszweig. Ich hoffe, dass wir diesem Antrag
über die Parteigrenzen hinweg tatsächlich gemeinsam
zustimmen werden . Ich glaube, er ist ein gutes Zeichen
für unseren Gartenbau . Die ersten Stellungnahmen, die
ich dazu schon gehört habe, sind sehr positiv . Insofern
freue ich mich auf die Beratungen, die wir im Ausschuss
haben werden, und hoffe, dass wir alle diesem Antrag
zustimmen werden, um dem Gartenbau gemeinsam eine
gute Zukunft zu bieten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819715300

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819715400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Wir alle schätzen Grünanlagen und Parks
in Städten und Dörfern . Ich esse gern Tomaten, Gurken
und Paprika aus heimischer Produktion .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Hauptsächlich rote! – Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD]: Du siehst auch ganz gesund aus!)


Zierpflanzen verschönern Gärten und Balkons und
machen unsere Wohnungen bunter . Gartenbau ist ein
wichtiger Wirtschaftszweig mit, wie schon gesagt, fast

700 000 Beschäftigten . Die Initiative, den Gartenbau zu
stärken, unterstützt die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Gartenbau ist noch viel mehr . Bäume, Sträu-
cher und Grünanlagen vermindern Lärm und Staubbe-
lastungen in Städten und schaffen Abkühlung in hei-
ßen Sommern . In Auswertung der Abgasskandale bei
Dieselfahrzeugen muss man jetzt von deutlich höheren
Feinstaub- und Stickoxidbelastungen ausgehen . Da kön-
nen mehr und bessere Grünanlagen in Ballungszentren
Abhilfe schaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei der Planung von Grünanlagen, aber auch generell
im Landschafts- und Gartenbau stehen Fragen an: Wel-
che Pflanzen sind wo am besten geeignet? Wie kann ein
Gewächshaus energieeffizient betrieben werden? Welche
Arten verkraften den Klimawandel? Welche Gefahren
gehen eventuell von Zier- und Gartenpflanzen aus? In
einigen Städten empfehlen Ämter Baumsorten, die vom
Bundesamt für Naturschutz als invasive Arten eingestuft
sind, also Arten, die einheimische Pflanzen und Bäume
verdrängen und gefährden können . Wir brauchen mehr
Information, Koordination und vor allem Forschung .
Denn Antworten auf all diese Fragen sind notwendig .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie
fordern in Ihrem Antrag folgerichtig mehr Ressortfor-
schung für Gartenbau . Dem stimmt die Linke zu .


(Beifall bei der LINKEN)


Bis zum Jahresende gibt es in Deutschland zwei Stand-
orte, an denen außeruniversitär im Bereich Gartenbau
geforscht wird . Beide gehören zum Leibniz-Institut für
Gemüse- und Zierpflanzenbau, IGZ. Einer dieser Stand-
orte ist Großbeeren in Brandenburg, der andere ist Erfurt
in Thüringen . Sollen unsere Gartenbaubetriebe weiter
erfolgreich sein, brauchen sie die Ergebnisse der For-
schung, und zwar anwendungsbereit .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein gelungenes Experiment, ein Nachweis, dass eine
speziell gekreuzte Pflanze über Triebe vermehrt werden
kann, reicht vielleicht Wissenschaftlern für ihre Exper-
tise und ihr Renommee in der Grundlagenforschung, es
reicht aber nicht für den Gartenbaubetrieb Meier, der die-
se Pflanzen tausendfach in Städten einsetzen will.


(Beifall bei der LINKEN)


Das IGZ verbindet derzeit beides: die Grundlagenfor-
schung in Großbeeren und die Fähigkeit, Forschungser-
gebnisse in die Breite zu überführen, in Thüringen . Die
Leibniz-Gemeinschaft legt ihren Schwerpunkt leider
nunmehr auf die Grundlagenforschung und wird des-
halb den Standort Erfurt zum Jahresende abwickeln .
Der Zentralverband Gartenbau befürchtet wie die Linke,
dass sich damit die Innovationskraft des gesamten Wirt-
schaftszweiges verschlechtert . Die rot-rot-grüne Thürin-
ger Landesregierung kämpft für den Erhalt dieser For-
schung für Gemüse und Zierpflanzen in Erfurt.


(Beifall bei der LINKEN)


Thomas Mahlberg






(A) (C)



(B) (D)


Aber allein und ohne Bundesmittel kann Thüringen
diese eigentliche Bundesaufgabe nicht schaffen. Gegen-
über dem Landwirtschaftsministerium hat Thüringen in
Gesprächen und Protokollen stets bestätigt, dass es den
Neustart einer wissenschaftlichen Forschungseinrich-
tung in Nachfolge des IGZ in Erfurt unterstützen wird .
Im Landeshaushalt für 2017 sind die Mittel eingestellt .
In der mittelfristigen Finanzplanung des Freistaates Thü-
ringen sind die Mittel enthalten . Am 23 . September 2016
hat der Staatssekretär des Thüringer Ministeriums für
Infrastruktur und Landwirtschaft in Berlin vor Leitung,
Betriebsräten und Beschäftigten des IGZ die Bereitschaft
zur anteiligen Weiterfinanzierung einer Forschungsein-
richtung durch Thüringen bestätigt .

Herr Staatssekretär Bleser, Thüringen steht wie der
Zentralverband Gartenbau zur Garten- und Zierpflan-
zenforschung in Erfurt . Minister Schmidt bestätigte
zuletzt am Mittwoch im Landwirtschaftsausschuss des
Bundestages, dass solch eine Einrichtung zu erhalten
und finanziell zu unterstützen ist. Hier reden wir gera-
de über den im Antrag dokumentierten Willen der Ko-
alitionsfraktionen, die Gartenbauforschung zu stärken .
Wenn jedoch das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft nur Projektförderung anbietet und sich
abweichend von den Aussagen des Ministers im Land-
wirtschaftsausschuss um eine institutionelle Förderung
drückt, dann wird das Ministerium dem Willen der Koa-
lition nicht gerecht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die
Linke unterstützt Sie bei der Konkretisierung und Um-
setzung dieses Antrags . Verhindern wir gemeinsam einen
Verlust an Forschungskapazitäten für eine innovative
heimische Gartenwirtschaft . Geben wir als Bundestag
der Regierung auf, den gewachsenen Gartenbaufor-
schungsstandort in Erfurt dauerhaft zu sichern .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819715500

Der Kollege Johann Saathoff hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1819715600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der Stadt Wiesmoor in Ostfriesland, einem
Zentrum des Gartenbaus in Deutschland, findet jedes
Jahr ein Blütenfest statt . Es ist eine wundervolle Ver-
anstaltung mit gesteckten Wagen, mit Dahlien, die dort
in ehrenamtlicher Arbeit gesteckt werden . Es gibt einen
Blütenkorso und die Wahl einer Blütenkönigin . Das Gan-
ze endet mit einer eindrucksvollen Veranstaltung „Kanal
in Flammen“ . Ich lade Sie alle herzlich nach Wiesmoor
ein; denn ein Besuch lohnt sich zu jeder Zeit, aber natür-
lich auch zum Blütenfest .

In Ostfriesland ist der Gartenbau wie in vielen ländli-
chen Regionen Deutschlands ein wichtiger Bestandteil;
denn er generiert Arbeitsplätze und Wertschöpfung . Wir

von der SPD, meine Damen und Herren, wollen, dass das
auch so bleibt . Das sage ich hier ganz deutlich .


(Beifall bei der SPD)


Dieser wertvolle Beitrag des Gartenbaus schlägt sich
natürlich auch in Zahlen nieder . Die will ich jetzt nicht
im Einzelnen nennen, die können Sie aber in unserem
Antrag nachlesen . Herr Kollege Mahlberg hat ja auch
darauf hingewiesen . Nur so viel: Deutschland bietet seit
Jahrzehnten den größten europäischen Verbrauchermarkt
für Blumen und Pflanzen. Der Gartenbausektor ist eine
innovative Branche, ohne die der ländliche Raum nicht
nur ein kleines, sondern ein großes Stück ärmer wäre .
Deswegen ist er für uns im ländlichen Raum wichtig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Wetter ist und bleibt aber der größte Unsicher-
heitsfaktor für den Gartenbau . Das eint den Gartenbau
mit den erneuerbaren Energien, neben dem Gartenbau
einer der weiteren wichtigen Wertschöpfungsfaktoren
in ländlichen Regionen . In Ostfriesland gibt es nicht nur
viele Gartenbaubetriebe, es gibt auch viele Windenergie-
anlagen . Die Übertragungsnetzbetreiber haben kürzlich
die EEG-Umlage für das nächste Jahr bekannt gegeben .
Sie ist mit 6,88 Cent pro Kilowattstunde erneut leicht ge-
stiegen . Gleichzeitig steigen die Netzentgelte, was den
Strompreis zusätzlich belastet .

Natürlich ist das alles auch von den Gartenbaube-
trieben zu zahlen, so wie ein großer Teil der Einnahmen
des EEG-Kontos aus den mittelständischen Betrieben
stammt . Denn anders, als es im Allgemeinen wahr-
genommen wird, ist nur ein kleiner Teil der deutschen
Wirtschaft von der EEG-Umlage als privilegiert zu be-
trachten . So leisten auch die Gartenbaubetriebe einen
essenziellen Beitrag zum Gelingen der Energiewende in
Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Bei der Energiewende geht es zuallererst um Klima-
schutz . Die Branche weiß ganz genau, was Klimawandel
bedeutet, und stellt sich schon darauf ein, zum Beispiel
mit neuen Sorten . Dafür ist eine breit aufgestellte For-
schung notwendig . Deswegen heißt es in der Antrags-
überschrift: „ . . . Garten- und Landschaftsbau als innovati-
ven Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen“ .

Der Bund tritt weiterhin für eine leistungsfähige For-
schung im Gartenbau ein und setzt sich gemeinsam mit
den zuständigen Ländern dafür ein, dass die Forschung
auf diesem hohen Niveau erhalten bleibt .

Aber die Branche trägt nicht nur mit der Zahlung der
EEG-Umlage zur Energiewende bei, sie arbeitet auch ak-
tiv am Klimaschutz mit, indem sie hilft, die Klimaziele
zu erreichen, wie zum Beispiel durch die Senkung des
Primärenergieverbrauchs . Wir alle unterstützen sie dabei,
liebe Kolleginnen und Kollegen . Das Bundesprogramm
zur Förderung von Effizienzmaßnahmen in Landwirt-
schaft und Gartenbau ist sehr erfolgreich .


(Beifall bei der SPD)


Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Es läuft seit dem 1 . Januar 2016 und erfährt seitdem zu-
nehmenden Zuspruch aus der Branche . Antragszahlen
und Antragsvolumen haben sich sehr erfreulich entwi-
ckelt . Aktuell liegen 483 Anträge mit einem Gesamtvo-
lumen von 11,8 Millionen Euro vor . Dafür, dass es so
erfolgreich bleibt, wollen wir im nächsten Jahr die Mittel
deutlich aufstocken .


(Beifall bei der SPD)


Damit lässt sich vor allem im Unterglasgartenbau eine
Menge Energie und damit eine Menge Geld, aber auch
eine Menge CO2 einsparen . Dem Klimaschutz möchte
ich mich an dieser Stelle aber noch mehr widmen wollen .
Der Ausstoß von CO2 ist nämlich bislang quasi kostenlos .
Es gibt keine Gebühr für die Ablagerung von CO2 in der
Deponie, die Atmosphäre heißt . Als ehemaliger Bürger-
meister kann ich Ihnen aber sagen: keine Ablagerung und
keine Abfallentsorgung ohne Gebühr .

Natürlich begeben wir uns damit in ein Spannungs-
feld . Beispielhaft für das Spannungsfeld stehen die Ziele
im Klimaschutzplan der Bundesregierung, deren Errei-
chen eine Umstrukturierung der gesamten Wirtschaft vo-
raussetzt und eben auch den Gartenbau betreffen wird.
In Ostfriesland sagt man: „Van lüttje Fisken worden
Heekten groot“, was sehr frei übersetzt heißt: Kleinvieh
macht auch Mist . – Zu den kleinen Maßnahmen im Ent-
wurf des Klimaschutzplans der Bundesregierung gehört
im Bereich Gartenbau vor allem die Reduktion des Torf-
einsatzes .

In meiner Heimat Ostfriesland gibt es eben nicht nur
viele Gartenbaubetriebe, viele Windenergieanlagen und
viele andere einmalige, sehenswerte Dinge, sondern tra-
ditionell auch viel Torf . Torf wurde früher in den ärmsten
Regionen unter bittersten Umständen gestochen, über die
Kanäle in die Städte gebracht und gegen Lebensmittel
getauscht . Torf ist ein essenzieller Bestandteil des Gar-
tenbaus . Wir alle wissen aber, dass der, der Torf abbaut,
dem Klima extrem schadet .

In Niedersachsen wurde deshalb beispielsweise ein
Programm ins Leben gerufen, das dem Schutz und der
Entwicklung der niedersächsischen Moorlandschaften
dient . Es besteht ein vielschichtiger Maßnahmenkatalog
zur Verringerung der Torfzehrung und Torfsackung und
damit zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen . Das
Programm umfasst Maßnahmen zum Moorschutz und
zur moorschonenden Bewirtschaftung . Dabei geht es bei-
spielsweise um Wiedervernässung nach dem Torfabbau
und um die Optimierung des Wasserhaushalts auf bereits
renaturierten Flächen .

Ich weiß, dass der Gartenbau enorme Anstrengungen
leistet, um Torf zu substituieren . Am Beispiel des Öko-
werks in Emden möchte ich Ihnen heute demonstrieren,
dass sich Klimaschutz, Torfsubstitution und Wirtschaft-
lichkeit nicht gegenseitig ausschließen:

Im Pomarium des Ökowerks werden rund 600 Ap-
felsorten kultiviert . Es gibt Apfelsorten, die so klein
wir Kirschen sind, und es gibt Apfelsorten, die so groß
wie kleine Kürbisse sind . In diesem Pomarium gibt es
600 verschiedene Geschmäcker, also deutlich mehr als
die 25 Sorten, die es im Einzelhandel üblicherweise zu

kaufen gibt . Als das Pomarium vor einigen Jahren ein-
gerichtet wurde, bestand es noch komplett aus Topfkul-
turen . Mittlerweile stehen die jungen Bäume komplett in
Beeten im Freiland – und das alles ohne den Einsatz von
Torf .

Sicher werden jetzt einige sagen: Das geht doch gar
nicht . Das ist viel zu teuer . Das kann man nur in Ostfries-
land machen . – So ist es aber eben nicht . Im Gegenteil:
Der Arbeitsaufwand hat sich durch die Umstellung re-
duziert . Man muss zum Beispiel am Wochenende nicht
mehr nachschauen, ob die Tropfanlage irgendwo ver-
stopft ist. Die Pflanzen bekommen auch so ganz natürlich
genügend Feuchtigkeit .

Ich sehe hier also erst einmal die Schutzreaktion von
Menschen, die umstellen müssen, nach dem Motto: Watt
de Buur neet kennt, dat freet he neet . – Es kann aber
eben doch funktionieren . Genau deshalb steht im Klima-
schutzplan nicht nur irgendein Verbot, sondern dass man
Beratungs- und Informationsmaßnahmen zur Nutzung
von Torfersatzstoffen durchführen soll, damit sich diese
Erkenntnis dann auch über Emden hinaus in Deutschland
verbreiten kann .

Selbstverständlich sind in diesem Zusammenhang
noch enorme Forschungsanstrengungen notwendig, aber
so sicher, wie wir irgendwann unseren Strom komplett
aus erneuerbaren Energien gewinnen werden, wollen wir
den Torf zum Schutz des Klimas da lassen, wo er hinge-
hört .

Ein großes Thema ist aktuell auch das Stadtgrün .
Der Gartenbautag stand dieses Jahr unter dem Motto:
„Mensch . Stadt . Grün .“ Urbanes Grün trägt unmittelbar
zu einer guten Nachbarschaft und einem sozialen Quar-
tier bei . Deshalb unterstützt die SPD auch die Bestrebun-
gen, dem Grün in der Stadt einen wichtigen Stellenwert
einzuräumen .

So wie wir mit dem Mieterstrom die Erzeugung grü-
nen Stroms in den Städten fördern und auch Menschen,
die kein eigenes Haus besitzen, auf der Erzeugungsseite
an der Energiewende beteiligen wollen, haben wir mit
dem Stadtgrün vor, mehr Teilnahme am Grün zu ermög-
lichen . Das bedeutet bessere Freizeit, bessere Luft und
damit ein gutes und soziales Leben miteinander im Quar-
tier. Grünflächenparks, Spielplätze und andere Naturer-
holungsräume tragen zu einem guten Miteinander bei .

Ein weiteres wichtiges Thema, das gerade in allen
Wirtschaftsbereichen diskutiert wird, ist „Digitalisierung
und Industrie 4 .0“ . Die Digitalisierung verändert unser
Leben, und sie verändert, wie wir arbeiten . Manche Men-
schen haben aber auch berechtigte Befürchtungen, dass
die Digitalisierung dazu führt, dass sie im Endeffekt gar
keine Arbeit mehr oder nur noch eine viel schlechter be-
zahlte Arbeit haben .

Im Gartenbau bietet die Digitalisierung Möglichkeiten
zur Optimierung von Bestandserfassung, Orderprozessen
und bedarfsgerechter Planung der Produktion . Diese Pro-
zesse können also deutlich effizienter ausgestaltet wer-
den, wodurch Aufwand und Geld gespart werden . Der
Kundenkontakt kann ebenfalls substanziell weiterentwi-
ckelt werden . Ich habe in den vergangenen Wochen und

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Monaten mit ganz vielen Start-up-Unternehmen gespro-
chen . So wie vor 15 Jahren noch niemand an Smartpho-
nes und die Apps dachte, die dazugehören, wird es in den
nächsten Jahren viele Entwicklungen geben, die heute
bestenfalls schemenhaft zu erkennen sind .

Darin besteht eine große Chance für die wirtschaftli-
che Entwicklung . Aber diese Chance birgt natürlich wie
jede Chance in gesellschaftlichen Umbrüchen gewisse
Gefahren . Deswegen ist es für die SPD ganz wichtig,
dass solche Weiterentwicklungen möglich gemacht wer-
den, aber der Mensch bei der Weiterentwicklung in die-
sen Bereichen immer fest in den Blick genommen wird .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819715700

Das Wort hat der Kollege Friedrich Ostendorff für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gar-
tenbaubranche erfüllt in ihrer Vielfalt wichtige gesell-
schaftliche Aufgaben . Die Früchte des Erwerbsobst- und
-gemüsebaus sind Teil unserer Ernährung . Den Ausbau
und die Instandsetzung des öffentlichen Grüns leistet der
Garten- und Landschaftsbau . Der Freizeitwert wird vom
Sport- und Spielstättenbau befördert . Auch andere Berei-
che wie Friedhofsgärtnereien, aber auch Baumschulen,
Staudengärtnereien oder Zierpflanzenbau sind wichtige
Kulturträger .

Nicht zu vergessen: Der Gartenbau ist Träger positi-
ver Emotionen, meine Damen und Herren . Das bedeutet,
der gesellschaftlichen Erwartungshaltung und der gesell-
schaftlichen Akzeptanz ist nachzukommen . Inzwischen
spüren wir eine breite Bewegung und gerade auch bei
jungen Familien den Wunsch nach einer eigenen Anbau-
parzelle, nach einem eigenen Sehnsuchtsort; sei es Urban
Gardening – Stichwort: Tempelhofer Feld –, sei es der
klassische Kleingarten im Ruhrgebiet . Da gibt es in den
Kleingärtenvereinen inzwischen wahre Kulturrevolutio-
nen .

Der Garten- und Landschaftsbau verdient viel stärkere
Aufmerksamkeit; denn die Branche muss zukunftsorien-
tiert denken und handeln . Dafür braucht sie aber Perspek-
tive . Das ist die politische Aufgabe, die wir haben . Es ist
gut, dass es diesen Antrag der Koalitionsfraktionen gibt .
Deshalb können wir diese Debatte, meine Damen und
Herren, nur sehr begrüßen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und
der SPD, wo liegen denn die Prioritäten in der Förderung
der Branche? Was wir im Antrag lesen, ist ein wärmen-
der, wohlwollender Rundumschlag nach dem Motto: Wir
stehen immer hinter euch, heute und gestern . – Was fehlt,
sind natürlich die Wegweiser, wo es in der Zukunft hin-
gehen soll .

Die Umstellung auf regenerative Energien ist den
Gartenbaubetrieben wahrlich nicht fremd . Sie sind schon

lange auf dem Weg. Durch Energieeffizienz und Energie-
sparen können Kosten eingespart werden, Energie kann
aber auch ein wichtiger Kostentreiber sein .

Bei Ökologisierung und Nachhaltigkeit müssen wir
die Betriebe viel stärker unterstützen . Darum müssen
wir uns kümmern . Da geht es nicht nur um den knappen
Rohstoff Torf, der aus dem Gartenbau weiter verbannt
werden muss; darin sind wir uns durchaus einig . Es geht
um viel mehr .

Ein Thema ist zum Beispiel die EU-weite Harmonisie-
rung der Pflanzenschutzgesetzgebung. Im Obstbau führt
die nichteinheitliche EU-Regulierung immer wieder zu
enormen Wettbewerbsverzerrungen . Mittel, die hier in
Deutschland zu Recht längst verboten sind, kommen in
Nachbarländern noch immer zum Einsatz, durch den Im-
port von Früchten aber leider auch zu uns . Umgekehrt
ist es aber genauso . Auch wir müssen hier tätig werden
und haben da noch einiges zu tun . Dieses Problem muss
endlich angegangen werden, meine Damen und Herren .

Im Zierpflanzenbau muss der Einsatz von bestimm-
ten Wachstumsregulatoren endlich geregelt werden . Hier
erfährt die Branche aufgrund fehlender EU-Regelungen
ebenfalls große Benachteiligungen . Eine Harmonisie-
rung der EU-Pflanzenschutzvorgaben wird die Forschung
nach Alternativen und die EU-weite Ökologisierung des
Gartenbaus endlich voranbringen .

Ein weiteres dringendes Thema ist die Förderung des
Ökozierpflanzenbaus. Hier stecken Forschung und Leh-
re noch in den Kinderschuhen, obwohl der Markt diese
Produkte zunehmend fordert, wie auch im Übrigen der
Ökomarkt .

Meine Damen und Herren, diesen Bereich an Garten-
bauforschungszentren anzugliedern, ist längst überfällig .
Da gilt es, endlich Fahrt aufzunehmen . Die unterschied-
liche Branchenausrichtung auf Produktion, Handel und
Dienstleistung oder auch deren Kombination erfordert
vielfältige betriebliche Strukturen . Eine Stärkung kleiner
und mittlerer, direktabsetzender Betriebe ist zur Erhal-
tung der Branchenstruktur unabdingbar . Was wir in den
bäuerlichen Strukturen erfolgreich vorangebracht haben,
geht im Gartenbau im Moment noch sehr stark verloren .
Diese Entwicklung muss gestoppt werden . Die Politik
muss dafür sorgen, dass die Chancen der kleinen und
mittleren Betriebe, sich gegenüber Gartencenterketten,
Baumärkten und dem Lebensmitteleinzelhandel durch-
zusetzen, die sich hier ja auch im Verkauf sehr stark en-
gagieren, und zwar nur da, verbessert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den direktabsetzenden Betrieben finden wir die In-
novation, die wir in der Branche brauchen . Diese Betrie-
be stellen auch eine große Zahl der Ausbildungsplätze für
den so wichtigen Fachkräftenachwuchs . Diese attrakti-
ven Berufe des Gartenbaus haben absolute Nachwuchs-
probleme . Das kann uns doch nicht egal sein .

Gesellschaftlich liegt Garten voll im Trend . Eine pro-
fessionelle Ausbildung in diesem Bereich, vor allem im
produktiven Gartenbau, ist leider bei jungen Leuten out .
Da müssen wir gemeinsam Anstrengungen unternehmen
und innovative Marketingideen hineinstecken, um die-

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


sen spannenden, abwechslungsreichen, kreativen und
gesellschaftlich wertgeschätzten Bereich voranzubrin-
gen . Natürlich bedeutet das auch, Betrieben zu helfen,
die sich darum mühen, jungen Flüchtlingen, die oft gute
Voraussetzungen mitbringen, das Berufsfeld Gartenbau
zu öffnen. Das könnte, wenn es gelingt, auch ein wichti-
ger Beitrag zur Integration werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819715800

Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1819715900

Danke schön . – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Es ist schon fast sehr harmonisch
zu nennen, wie hier ein Thema unseres Ausschusses de-
battiert wird . Bei anderen Themen sind wir etwas leiden-
schaftlicher . Vielleicht eint uns ja das Thema, das wir
hier haben .

Ich begrüße zu dieser Debatte auch Menschen aus ei-
nem Bundesland, die alles können außer Hochdeutsch .
Ich begrüße die Mitglieder des Kreistages Göppingen
und meinen Kollegen Hermann Färber . Schön, dass Sie
dieser Debatte beiwohnen! Ich kann Ihnen versprechen:
Nicht immer ist es so harmonisch hier .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Gartenbau hat in Deutschland eine lange Traditi-
on . Es war früher eine Selbstverständlichkeit, einen ei-
genen Hausgarten anzulegen und für den eigenen Bedarf
anzupflanzen. Das war gerade in den neuen Bundeslän-
dern der Fall . Die Versorgungssituation hat es ja bedingt
notwendig gemacht, sein eigenes Obst und Gemüse im
Schrebergarten mit einer kleinen Datsche anzubauen .
Auch und gerade im ländlichen Raum und auf unseren
Bauernhöfen gehört der Gartenbau wie selbstverständ-
lich dazu . Der eigene Garten ist das wahre „Bio“ . Gerade
die junge Generation entdeckt den eigenen Garten wieder
vollkommen neu für sich . Wahre Kleinbauern sind sie .

Als Landwirt begrüße ich die Ziele des vorliegenden
Antrags ausdrücklich . Mit den aufgeführten Maßnahmen
unterstützen wir die Inklusion von Urbanität und Land-
wirtschaft . In der Landwirtschaft und im heimischen
oder urbanen Garten geht es um die gleichen Dinge . Der
richtige Umgang mit Pflanzen ist Voraussetzung, damit
aus der Saat ein genießbares Produkt wird . Die Vorar-
beit ist wichtig, ebenso die Pflege, der Schutz, auch der
Pflanzenschutz.

Wir haben hier Potenzial für mehr Wertschätzung der
Produktion von Lebensmitteln, wir haben Potenzial für
Akzeptanz der Preise, und wir haben Potenzial für gerin-
gere Verschwendung . Der Gartenbau, der in der Bevölke-
rung selbst stattfindet, erzeugt ein größeres Verständnis
für Lebensmittel bei uns . Gerade Kinder können nicht
früh genug entsprechende Erfahrungen machen, etwa in

der Schule einen Apfel zu verzehren, der aus dem eige-
nen Garten kommt und selbst gepflückt worden ist. So
kann man die heimische Produktion wesentlich besser
wertschätzen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue
mich über das starke Verlangen der Verbraucher nach re-
gionalen Produkten . Auch hier handelt es sich nicht um
eine moderne Entwicklung, sondern um Altbewährtes,
das wieder auflebt. Gesundheitsbewusste Stadtbewoh-
ner, vorwiegend junge Familien, wollen wieder ökolo-
gisch angebautes Obst und Gemüse vom Bauernhof in
ihrer Region . Mit diesem Antrag wollen wir die regionale
Produktion von Lebensmitteln unterstützen .

Gerade kleine und mittelständische Agrarbetriebe, die
sich auf ökologische Landwirtschaft spezialisieren, sind
auf die Forschungsergebnisse angewiesen, die der Bund
mit seinen Programmen zu Saatgut und zur Schädlings-
bekämpfung unterstützt . Mit diesem Antrag wollen wir
hier für eine Verstetigung sorgen . Wer im 21 . Jahrhundert
nicht Möhren und Zwiebeln im Wechsel anpflanzt, um
einen natürlichen Schädlingsbefall zu verringern, ist auf
die Forschungsergebnisse im Bereich Saatgut und Schäd-
lingsbekämpfung angewiesen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren ich komme
auf Landschaftsbau und Städtebau bzw . Grün in der Stadt
zu sprechen . Berlin ist – das muss man gnadenlos aner-
kennen – das Paradebeispiel für Grün in der Stadt . Ich
spreche jetzt nicht von der Partei .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum eigentlich nicht?)


Den einen oder anderen von uns trifft man ja morgens
immer im Tiergarten beim Joggen . Da können Sie das
hautnah erleben . Wenn ich in meine Heimat schaue, kann
ich feststellen, dass auch dort in den Städten immer mehr
auf Grün in der Stadt geachtet wird . Wir sorgen diesbe-
züglich mit den Städtebaufördermitteln für gute Ansätze .

Heute kommt aber dem Thema „Grün in der Stadt“
noch eine ganz andere Bedeutung zu . Grün in der Stadt
ist Staubfilter, ist Lärmdämpfer, ist Sichtschutz und vor
allem Klimaschutz . Ich freue mich, dass sich im Deut-
schen Bundestag eine Parlamentsgruppe „Kulturgut Al-
leen“ gegründet hat, die sich den Schutz unserer Allee-
bäume an den Straßen auf die Fahne geschrieben hat .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir spre-
chen in diesem Haus oft über ökologische Ausgleichsflä-
chen . Wie wir wissen, regeln wir mit der Kompensations-
verordnung diese ökologischen Ausgleichsmaßnahmen .
Gerade wenn neue Straßen, wenn neue Gebäude gebaut
werden müssen, ist der ökologische Ausgleich von Be-
deutung. Wir müssen aber leider immer häufiger feststel-
len, dass gerade die Städte in Ballungsräumen in länd-
lichen Räumen landwirtschaftliche Nutzflächen kaufen
und damit diese landwirtschaftlichen Nutzflächen den
Landwirten und damit der Lebensmittelproduktion ent-
ziehen . Es besteht Bedarf, darüber zu diskutieren . Hier
müssen wir nachsteuern .

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir in-
nerhalb der Städte einen ökologischen Ausgleich schaf-
fen und nicht außerhalb, irgendwo in der Ferne . Deshalb

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


ist bei Baumaßnahmen auf das Thema „Grün in der
Stadt“ durch innovative Ideen der Architekten und eine
verstärkte Pflege während der Baumaßnahmen zu ach-
ten . Zugleich muss dafür gesorgt werden, dass die Sache
mit extern ausgelagerten Ausgleichsflächen, mit ökolo-
gischen Ausgleichsflächen im ländlichen Raum ein Ende
hat . Die biologische Vielfalt muss innerhalb der Stadt ge-
währleistet sein; ein Ausgleich irgendwo auf dem flachen
Land hilft da nicht weiter .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gar-
tenbau hat einen großen Energiebedarf; Kollegen sind
schon darauf eingegangen . Es freut mich allerdings, dass
sehr viele Gartenbaubetriebe auf regenerative Energie-
versorgung umgestellt haben . Ich kenne viele Garten-
baubetriebe, die eine eigene Hackschnitzelheizanlage
oder Bioenergieanlagen betreiben oder an Biogasanlagen
angeschlossen sind, um die Wärme zu nutzen . Das so-
genannte regenerative Zusammenspiel funktioniert im
Gartenbaubereich bereits hervorragend . Das sollten wir
weiter unterstützen, damit wir hier vorankommen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gar-
ten- und Landschaftsbau ist für mich neben der deut-
schen Landwirtschaft – er ist ja eigentlich ein Teil der
deutschen Landwirtschaft – Garant für das freundliche

Gesicht Deutschlands . Lassen Sie uns gemeinsam daran
arbeiten, dass dieses Gesicht weiterhin freundlich bleibt .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819716000

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10018 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 9 . November 2016, 13 Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen alles Gute bis dahin .

Die Sitzung ist geschlossen .