Protokoll:
17223

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 223

  • date_rangeDatum: 22. Februar 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:48 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/223 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 223. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 33: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Verbraucherpolitischer Bericht 2012 (Drucksache 17/8998) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Mo- derne verbraucherbezogene Forschung ausbauen – Tatsächliche Auswirkun- gen gesetzlicher Regelungen auf Ver- braucher prüfen (Drucksachen 17/2343, 17/4891) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbraucher- politik neu ausrichten – Verbraucher- politische Strategie vorlegen (Drucksachen 17/8922, 17/9602) . . . . . . . Ilse Aigner, Bundesministerin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Cornelia Prüfer-Storcks, Senatorin (Hamburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Prüfer-Storcks, Senatorin (Hamburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Antrag der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Lars Klingbeil, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Pro- jekt Zukunft – Deutschland 2020 – Ein Pakt für die Kreativwirtschaft (Drucksache 17/12382) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dagmar G. Wöhrl, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wettbewerbsfä- higkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft 27753 A 27753 B 27753 B 27753 D 27755 D 27757 C 27759 B 27760 C 27762 C 27764 A 27766 A 27766 C 27766 D 27768 B 27770 A 27771 A 27773 A 27773 D 27775 A 27776 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 weiter erhöhen – Initiative der Bundesre- gierung verstetigen und ausbauen (Drucksache 17/12383) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Tagesordnungspunkt 35: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationaler Bildungsbericht 2012 – Bil- dung in Deutschland und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 17/11465) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Dr. Thomas Feist, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Stärken von Kindern und Jugend- lichen durch kulturelle Bildung sicht- bar machen (Drucksachen 17/10122, 17/12423) . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Die Herausforderungen der Bildungsrepublik mit den Erkenntnissen aus dem Nationalen Bildungsbericht ange- hen (Drucksache 17/12384) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sofortige Abschaffung der Sanktionssonderregeln für junge Hartz-IV-Berechtigte (Drucksache 17/11372) . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hartz-IV-Son- derregelung für unter 25-Jährige abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Soziale Bürgerrechte garantie- ren – Rechtsposition der Nutzerin- nen und Nutzer sozialer Leistungen stärken (Drucksachen 17/9070, 17/7032, 17/10203) . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Ab- 27776 D 27777 A 27779 B 27781 A 27783 B 27784 B 27785 D 27787 C 27788 D 27790 A 27791 A 27792 C 27793 B 27795 B 27795 B 27795 C 27795 D 27797 A 27798 D 27800 B 27801 D 27803 B 27804 B 27805 D 27806 D 27807 A 27807 B 27808 A 27809 A 27810 C 27811 C 27812 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 III schaffung der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage – § 100 g Absatz 2 Satz 2 StPO) (Drucksachen 17/7335, 17/12419) . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestal- tung der Funkzellenabfrage als Ermitt- lungsmaßnahme (Drucksachen 17/7033, 17/12419) . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27814 A 27814 A 27814 B 27815 B 27816 C 27816 D 27818 C 27818 D 27819 D 27820 C 27821 B 27822 D 27823 A 27824 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 27753 (A) (C) (D)(B) 223. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 27823 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 22.02.2013 Barnett, Doris SPD 22.02.2013** Bockhahn, Steffen DIE LINKE 22.02.2013 Brand, Michael CDU/CSU 22.02.2013 Breil, Klaus FDP 22.02.2013 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 22.02.2013 von Cramon-Taubadel, Viola BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013** Daub, Helga FDP 22.02.2013** Dobrindt, Alexander CDU/CSU 22.02.2013 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 22.02.2013 Freitag, Dagmar SPD 22.02.2013 Gerster, Martin SPD 22.02.2013 Gloser, Günter SPD 22.02.2013 Golombeck, Heinz FDP 22.02.2013 Gottschalck, Ulrike SPD 22.02.2013 Gunkel, Wolfgang SPD 22.02.2013 Gutting, Olav CDU/CSU 22.02.2013 Hardt, Jürgen CDU/CSU 22.02.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 22.02.2013 Hempelmann, Rolf SPD 22.02.2013 Hochbaum, Robert CDU/CSU 22.02.2013 Höger, Inge DIE LINKE 22.02.2013** Dr. Högl, Eva SPD 22.02.2013 Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 22.02.2013 Hörster, Joachim CDU/CSU 22.02.2013** Hoff, Elke FDP 22.02.2013 Hunko, Andrej DIE LINKE 22.02.2013* Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 22.02.2013 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 22.02.2013 Karl, Alois CDU/CSU 22.02.2013** Kilic, Memet BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013 Klamt, Ewa CDU/CSU 22.02.2013 Kolbe, Daniela SPD 22.02.2013 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013 Kunert, Katrin DIE LINKE 22.02.2013 Lange, Ulrich CDU/CSU 22.02.2013 Laurischk, Sibylle FDP 22.02.2013 Leutert, Michael DIE LINKE 22.02.2013 Liebich, Stefan DIE LINKE 22.02.2013** Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 22.02.2013 Meinhardt, Patrick FDP 22.02.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 22.02.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 22.02.2013 Prof. Dr. Neumann (Lausitz), Martin FDP 22.02.2013 Nietan, Dietmar SPD 22.02.2013 Paus, Lisa BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013 Poland, Christoph CDU/CSU 22.02.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 22.02.2013 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 27824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 906. Sitzung am 1. Fe- bruar 2013 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen bzw. eine Ein- spruch gemäß Artikel 77 Absatz 3 des Grundgesetzes nicht einzulegen: – Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts – Gesetz zum Abbau der kalten Progression – Gesetz zur Änderung des Energiewirtschafts- gesetzes – Gesetz zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen Der Bundesrat hat ferner beschlossen, folgende Ent- schließung zu fassen: 1. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in die Rechtsverordnung auf Grundlage von § 4 Absatz 1 AgrarMSG eine Regelung zur grundsätzlichen Freistellung eines geringfügigen Teils der Erzeu- gung (Freigrenze) von der Andienungspflicht aufzunehmen. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf europäischer Ebene auf eine Änderung der Rege- lungen in der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte zur Ausgestaltung der Vertragsbe- ziehungen im Sektor Milch und Milcherzeugnisse hinzuwirken, um den Milcherzeugern eine Stär- kung ihrer Marktposition zu ermöglichen. Insbe- sondere sollte dabei ein Wegfall der starren Ober- grenzen für die Größe einer Erzeugerorganisation zugunsten von Regelungen über den möglichen Bündelungsgrad für Milch unter Berücksichti- gung der jeweils vorhandenen Marktstrukturen angestrebt und auch denjenigen Erzeugern, die Mitglied einer Genossenschaft sind, die Mitglied- schaft in Milcherzeugerorganisationen ermög- licht werden (Doppelmitgliedschaft). – Drittes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgeset- zes – Erstes Gesetz zur Änderung des Auswanderer- schutzgesetzes – Ausführungsgesetz zur Verordnung (EU) Nr. 648/ 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsge- setz) – Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patien- tinnen und Patienten – Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts – Gesetz zur Durchführung des Haager Überein- kommens über die internationale Geltendma- chung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Ände- rung von Vorschriften auf dem Gebiet des inter- nationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des materiellen Unterhaltsrechts – Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die verein- fachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Miet- rechtsänderungsgesetz – MietRÄndG) – Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme – Gesetz zur Einführung eines Zulassungsverfah- rens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen – Gesetz zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 22.02.2013 Schreiner, Ottmar SPD 22.02.2013 Schuster, Marina FDP 22.02.2013 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 22.02.2013 Skudelny, Judith FDP 22.02.2013 Spatz, Joachim FDP 22.02.2013 Süßmair, Alexander DIE LINKE 22.02.2013 Dr. Tauber, Peter CDU/CSU 22.02.2013 Ulrich, Alexander DIE LINKE 22.02.2013 Veit, Rüdiger SPD 22.02.2013 Dr. Volk, Daniel FDP 22.02.2013 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.02.2013 Werner, Katrin DIE LINKE 22.02.2013 Dr. Westerwelle, Guido FDP 22.02.2013 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 22.02.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 27825 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zu den Vorschlägen für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Ab- kommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wett- bewerbsrechts – Gesetz zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege – Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) und zur Ände- rung weiterer Gesetze Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Bau der dritten Start- und Landebahn am Flughafen München Erdinger Moos aussetzen – Keine unumkehrbaren Tatsachen schaf- fen auf Drucksache 17/7479 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung von Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Na- tionen für den Zeitraum 2013 bis 2016 – Drucksachen 17/11943, 17/12114 Nr. 1.9 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun- gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver- breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte- potenziale (Jahresabrüstungsbericht 2011) – Drucksachen 17/8857, 17/9086 Nr. 1.1 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Stellungnahme der Bundesregierung zu den Fort- schrittsberichten „Aufbau Ost“ der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für das Berichtsjahr 2010 – Drucksache 17/8342 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2012 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 687 54 – Zahlungen an die Afrikanische Entwicklungsbank und an den Afrika- nischen Entwicklungsfonds – bis zur Höhe von 6,1 Mio. Euro – Drucksachen 17/11889, 17/12114 Nr. 1.5 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2012/13 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – Drucksache 17/11440 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2013 der Bundesregierung – Drucksache 17/12070 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 36 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Bahn 2011 – Wettbewerbspolitik unter Zugzwang – Drucksachen 17/7248, 17/7907 Nr. 2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bund-Länder-Bericht zum Programm Stadtumbau Ost – Drucksache 17/10942 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2012 – Drucksache 17/9700 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.9 Ratsdokument 12056/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.2 EP P7_TA-PROV(2012)0458 Drucksache 17/12126 Nr. A.3 Ratsdokument 16619/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.4 Ratsdokument 16624/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.1 EuB-BReg 10/2013 Drucksache 17/12244 Nr. A.6 EuB-BReg 7/2013 Finanzausschuss Drucksache 17/12126 Nr. A.16 Ratsdokument 17603/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.17 Ratsdokument 17617/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.18 Ratsdokument 17669/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/11617 Nr. A.4 Ratsdokument 15521/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.10 Ratsdokument 16496/12 27826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2013 (A) (C) (D)(B) Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/12126 Nr. A.31 Ratsdokument 17244/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.33 Ratsdokument 17578/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.34 Ratsdokument 17585/12 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/12126 Nr. A.35 EP P7_TA-PROV(2012)0455 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/12126 Nr. A.39 Ratsdokument 17235/12 Drucksache 17/12126 Nr. A.40 Ratsdokument 17992/12 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/11439 Nr. A.13 Ratsdokument 14641/12* Drucksache 17/11439 Nr. A.14 Ratsdokument 14728/12* Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/8515 Nr. A.48 Ratsdokument 18577/11 Drucksache 17/11439 Nr. A.16 EP P7_TA-PROV(2012)0323 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/11919 Nr. A.26 Ratsdokument 16145/12 * bereits im Protokoll der 220. Sitzung aufgeführt Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/6985 Nr. A.75 Ratsdokument 12474/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.77 Ratsdokument 12478/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.78 Ratsdokument 12480/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.79 Ratsdokument 12484/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.26 Ratsdokument 12794/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.28 Ratsdokument 15243/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.30 Ratsdokument 15249/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.31 Ratsdokument 15250/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.32 Ratsdokument 15251/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.33 Ratsdokument 15253/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.34 Ratsdokument 15440/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.36 Ratsdokument 15618/11 Drucksache 17/8227 Nr. A.48 Ratsdokument 16176/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.57 EP P7_TA-PROV(2011)0539 Drucksache 17/8515 Nr. A.52 Ratsdokument 18520/11 Drucksache 17/8967 Nr. A.14 Ratsdokument 6371/12 Drucksache 17/8967 Nr. A.15 Ratsdokument 6372/12 Drucksache 17/9130 Nr. A.15 Ratsdokument 6708/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.26 Ratsdokument 10240/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.81 Ratsdokument 11825/12 Drucksache 17/11617 Nr. A.16 EP P7_TA-PROV(2012)0360 223. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 33 Verbraucherpolitik TOP 34, ZP 8 Förderung der Kreativwirtschaft TOP 35, ZP 9 Bildungspolitik TOP 36 Hartz IV-Sonderregelung für unter 25-jährige TOP 37 Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722300000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und rufe auch ohne weiteren
Verzug die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Verbraucherpolitischer Bericht 2012

– Drucksache 17/8998 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-
Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Moderne verbraucherbezogene Forschung
ausbauen – Tatsächliche Auswirkungen ge-
setzlicher Regelungen auf Verbraucher prüfen

– Drucksachen 17/2343, 17/4891 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Erik Schweickert
Caren Lay
Ulrike Höfken

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-

Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Verbraucherpolitik neu ausrichten – Verbrau-
cherpolitische Strategie vorlegen

– Drucksachen 17/8922, 17/9602 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Mechthild Heil
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Erik Schweickert
Karin Binder
Nicole Maisch

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Also können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Ilse Aigner.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz:

Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident, liebe
Kolleginnen und Kollegen, aber auch liebe Verbrauche-
rinnen und Verbraucher! Bei der Diskussion um einen
verbraucherpolitischen Bericht kann man natürlich nicht
an den aktuellen Geschehnissen der vergangenen Tage
vorbeigehen. Millionen von Verbraucherinnen und Ver-
brauchern in ganz Europa wurden verunsichert; denn als
Rindfleisch deklariertes Pferdefleisch ist in verarbeiteten
Lebensmitteln gefunden worden.

Mitte Januar sind erste Medienberichte über Funde in
Großbritannien und Irland bekannt geworden. Am
29. Januar gab es erste Hinweise, dass es auf dem Fest-
land Europas angekommen ist. Am 30. Januar hat das
Ministerium die Länder informiert und gebeten, ver-
stärkt auch auf Pferdefleisch zu prüfen. Am 12. Februar
erreichte uns die Meldung, dass falsch gekennzeichnete
Produkte auch in Deutschland auf den Markt gelangt
sind, und am Montag, dem 18. Februar, haben Bund und
Länder gemeinsam, darunter auch Sozialdemokraten





Bundesministerin Ilse Aigner


(A) (C)



(D)(B)


und Grüne, den Nationalen Aktionsplan verabschiedet.
Das verstehe ich unter zügiger Krisenreaktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Same procedure as every year, Ilse!)


Ich bin froh, sehr geehrte Frau Prüfer-Storcks, dass das
seitens der Länder gemeinsam durchgeführt wurde –
nicht im Parteienstreit, sondern im Schulterschluss.

Wichtig ist, dass wir über die Ausmaße dieses Skan-
dals Klarheit schaffen. Wichtig ist auch, dass wir jene
Hintermänner zur Rechenschaft ziehen, die diesen Be-
trug zu verantworten haben, und dass wir alles tun, um
zu verhindern, dass sich ein solch dreister und skandalö-
ser Etikettenschwindel in Zukunft wiederholt.

Meine Damen und Herren, damit das klar gesagt ist:
Die Verbraucher sind Opfer des Skandals, nicht die gro-
ßen Handelsketten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das muss festgehalten werden. Der Handel steht hier in
der Verantwortung. Er ist zur Qualitätssicherung ver-
pflichtet; das ist übrigens auch klar geregelt. Dieses Sys-
tem hat offensichtlich versagt. Deshalb werden wir
gemeinsam mit den Ländern, die für die Lebensmittel-
überwachung zuständig sind, die Kontrollsysteme der
Supermarktketten durchleuchten. Der Handel darf sich
hier nicht aus der Verantwortung stehlen; das lasse ich
auch nicht zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Als Nächstes werde ich mich am Montag beim Minis-
terrat in Brüssel dafür starkmachen, dass endlich die
Herkunftskennzeichnung verpflichtend kommt.


(Lachen bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum erst jetzt? – Ulrich Kelber [SPD]: Die werden sehr verwundert sein über Ihre 180-Grad-Wende!)


Bisher gab es nur Absichtserklärungen, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren, aber kein klares Konzept.


(Ulrich Kelber [SPD]: Man sollte Heuchelei nach der Geschäftsordnung verbieten!)


Aber auch eine Herkunftskennzeichnung – das muss ge-
sagt sein, meine sehr geehrten Verbraucherinnen und
Verbraucher – hätte diesen Betrug nicht verhindert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie es denn dann? Dann brauchen wir sie nicht!)


Trotzdem machen wir, Deutschland und Frankreich, jetzt
Tempo. Übrigens habe ich vorgestern mit dem Kollegen
aus Frankreich telefoniert und gestern auch mit dem zu-
ständigen Kommissar.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gestern schon?)


Die Herkunftskennzeichnung wird kommen, und zwar
verpflichtend und europaweit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforde-
rungen bei Lebensmittelkrisen, die wir in den vergange-
nen Jahren erlebt haben, waren immer groß, aber keines-
falls vergleichbar. Ob Dioxinskandal bei Futtermitteln,
ob die Tragödie um Ehec-Erreger in Sprossen, ob die
Reaktorkatastrophe in Fukushima, ob Noroviren in Kin-
dertagesstätten oder falsch deklarierte Lebensmittel –
unsere Vorgehensweise war immer absolut klar und er-
folgte nach einem richtigen Muster: zuerst Aufklärung,
dann Verbraucherinformation und schließlich Konse-
quenzen ziehen. Wir ziehen die Konsequenzen, damit
sich das, was wir in diesem Fall erleben mussten, nicht
wiederholt.

Was wir angekündigt haben, das haben wir auch um-
gesetzt, und zwar Punkt für Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist die Linie der christlich-liberalen Verbraucher-
politik, Verbraucherpolitik von A bis Z; das nehmen wir
auch wörtlich.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ankündigen ist Zaudern!)


Gern buchstabiere ich Ihnen die Ergebnisse meiner Ver-
braucherpolitik durch.

A wie Anlegerschutz: mehr Transparenz durch die
Einführung von Produktinformationsblättern, mehr Kon-
trolle über die Berater und mehr Licht im Graubereich
des Kapitalmarktes.

B wie Buttonlösung: Gegen Kostenfallen im Internet
haben wir die Bestätigungsregelung frühzeitig umge-
setzt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Frühzeitig? Ein Jahr Verzögerung ist frühzeitig?)


– Vor der Europäischen Union.

C wie Charta für Landwirtschaft und Verbraucher:
Auf der Basis eines umfassenden Dialogs haben wir
Ziele und Maßnahmen für die Agrarpolitik benannt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


D wie Datenschutz im Internet durch Aufklärung und
klare Regelungen auf europäischer Ebene, an die sich
künftig auch Anbieter außerhalb Europas halten müssen.

E wie Energiepreise: Die Energiewende ist unsere Zu-
kunft. Aber damit die Verbraucherpreise nicht durch die
Decke schießen, haben wir in der Förderung nachgesteu-
ert, und zwar mehrfach gegenüber den Vorschlägen der
Grünen, und wir werden weiter nachsteuern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


F wie Futtermittelüberwachung: Wir haben die Leh-
ren aus dem Dioxinskandal gezogen, den Aktionsplan
Punkt für Punkt umgesetzt und damit den Verbraucher-
schutz in der Futtermittelkette deutlich verbessert.


(Ulrich Kelber [SPD]: Damit ist auch schon S erledigt, wie Schlupflöcher!)






Bundesministerin Ilse Aigner


(A) (C)



(D)(B)


G wie Geldautomatengebühren: Seit 2011 gibt es
Transparenz. Die Gebühren werden vor dem Abheben
angezeigt, und seitdem sinken auch die Kosten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


H wie Honorarberatung – gestern in erster Lesung be-
raten –: Mit ihr schaffen wir eine Alternative zur Provi-
sionsberatung, sodass Bankenkunden künftig noch mehr
Wahlmöglichkeiten haben.

I wie IN FORM, unsere Initiative für gesunde Ernäh-
rung und mehr Bewegung. Sie bewegt in Deutschland
viel.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist ja schon etwas älter!)


J wie juristische Expertise, die wir über die Stiftungs-
professur für rechtlichen Verbraucherschutz an der Uni-
versität Bayreuth unterstützen.

K wie Klarheit und Wahrheit: Die neue Lebensmittel-
informationsverordnung schafft mehr Transparenz bei
Kalorien, Nährstoffen, Lebensmittelimitaten und Aller-
gien.

L wie lebensmittelklarheit.de. Das von uns geförderte
Internetportal ist ein großer Erfolg.

M wie Mobilfunkgebühren, die wir über die
Roaming-Verordnung europaweit und mit neuen Preis-
obergrenzen deutlich gesenkt haben – ein großer Erfolg
für die Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


N wie Netzwerk Verbraucherforschung, damit wir
politische Entscheidungen auch auf wissenschaftlichen
Sachverstand gründen können.

O wie Online-Materialkompass, ein neues Instrument
für Lehrerinnen und Lehrer zur Orientierung bei der
Auswahl von Unterrichtsmaterialien zur Verbraucherbil-
dung.

P wie Preismeldesystem für Benzin, sodass die Ver-
braucher künftig wissen, wo es günstig und wo es ver-
hältnismäßig teuer ist. Das wurde vorgestern im Kabi-
nett beschlossen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: A wie albern! Das ist doch keine Politik, was Sie hier machen! Wir sind doch nicht im Kindergarten!)


Q wie Qualitätsstandards für Ernährung, von der Kita
bis zum Pflegeheim. Die Zertifizierung schafft Sicher-
heit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut! Komplettes Programm!)


R wie Regionalfenster: Die Modellregionen sind be-
nannt, und die ersten Produkte stehen in den Regalen.

S wie Stiftung Warentest: 50 Millionen Euro zusätzli-
ches Stiftungskapital und weitere 1,5 Millionen für neue
Aufgaben im Bereich der Finanzprodukte.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Sie vorher dort gekürzt haben!)


T wie Telekommunikationsgesetz: mehr Rechte für
Verbraucher bei Umzug, Anbieterwechsel oder Vertrags-
laufzeiten, bis hin zu kostenlosen Warteschleifen.

Das alles sind große Erfolge. Ich weiß, dass das weh-
tut.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das tut in der Tat weh!)


U wie unlautere Telefonwerbung, ein Problem, das
wir ebenfalls angepackt haben und bei dem wir weitere
Schritte gehen werden.

V wie Verbraucherinformationsgesetz: bessere,
schnellere und kostengünstigere Auskünfte für alle Bür-
ger.

W und Y wie Watch Your Web: 1 Million jugendliche
Nutzer ist jetzt besser informiert über Chancen und Risi-
ken im Internet.

Dazwischen steht das X. Wir machen den Menschen
und den Verbrauchern kein X für ein U vor, ein alter,
aber guter Leitsatz für Verbraucherpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit R wie Rücktritt?)


Abschließend Z wie „Zu gut für die Tonne“, unsere
erfolgreiche Kampagne gegen die Verschwendung von
Lebensmitteln und zur Schonung wertvoller Ressourcen.

Das ist erfolgreiche Verbraucherpolitik von A bis Z.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Leider ist das Alphabet nicht länger, und leider ist auch
meine Redezeit nicht länger. Sonst könnte ich noch mehr
auflisten. Nur noch so viel, meine sehr geehrten Kolle-
ginnen und Kollegen von der Opposition: Nehmen Sie
sich einfach einmal die Zeit, und studieren Sie die rund
50 Seiten des Verbraucherpolitischen Berichts! Lesen
Sie den Bericht, bevor Sie ihn kommentieren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Seite 1 des Rhetorikhandbuchs! Schlagen Sie mal Seite 2 auf!)


Dann werden Sie zugeben müssen: Die Bundesregierung
hat für den Verbraucherschutz mehr getan als jede an-
dere Bundesregierung zuvor. Das ist erfolgreiche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722300100

Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1722300200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ein ehrliches Alphabet hätte begonnen mit A wie
Ankündigen, B wie Brechen und hätte mit Z wie Zau-
dern geendet.





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eines ist ganz klar: Ilse Aigners Tage als Verbraucher-
schutzministerin gehen zu Ende, wie wir wissen: freiwil-
lig, weil sie nicht mehr für den Deutschen Bundestag
kandidiert. Verdient hätte sie das Ende für ihre unterirdi-
sche Bilanz als Ministerin.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Es ist wie in der gesamten Zeit: Ilse Aigner ist vor allem
als Eigenschutzministerin unterwegs. Sie präsentiert uns
einen Aktionsplan, wieder einmal. Der wievielte eigent-
lich? Auf zehn Punkte im Aktionsplan sind Sie nur ge-
kommen, weil die Länder Ihnen zusätzliche aufgedrückt
haben. Dafür war auch nicht viel Fantasie notwendig;
denn die meisten Punkte standen schon in früheren Ak-
tionsplänen und sind nie umgesetzt worden. Das Spiel-
chen der Ministerin ist immer das gleiche – sie hat es so
oft gemacht, dass es nun nicht mehr wirkt –: mit Schein-
maßnahmen darüber hinwegzutäuschen, dass die eigent-
lichen Schwachstellen nicht beseitigt werden sollen.

Ein paar Zitate aus den Medien der letzten Tage. Die
Welt, die nicht unbedingt als CDU/CSU-kritisch gilt,
schreibt: „selbstherrliche Ministerin“. Weiter heißt es
wörtlich:

Der Abend bei Frank Plasberg zeigte eindrucksvoll,
wie hart es sein muss, Ilse Aigner zu sein und
gleichzeitig anderen Menschen gefallen zu müssen.
Wie viel Kraft es kostet, sich krampfhaft volksnah
zu geben und dennoch der Lobby den Hof zu ma-
chen.

Spiegel Online hat es kürzer auf den Punkt gebracht:
„Ministerin für Aktionismus“. Ich glaube, das trifft es
ziemlich gut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kommen wir zu dem, was Sie rund um den Pferde-
fleischskandal angekündigt haben. Sie wollen jetzt prü-
fen, ob Betrug wie Umetikettierungen gemeldet werden
muss.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist Blödsinn! Das ist verboten!)


Warum muss das eigentlich geprüft werden? Ist es nicht
selbstverständlich, dass Betrug gemeldet werden muss?
Deswegen frage ich Sie klipp und klar: Frau Aigner,
wollen Sie genauso wie die SPD eine private Melde-
pflicht, und können Sie sie dann gegen die Lobbyisten
innerhalb und außerhalb Ihrer Koalition durchsetzen, ja
oder nein?

Sie wollen prüfen, ob die Behörden die Bürger infor-
mieren müssen. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit,
dass Behörden über Erkenntnisse informieren, und das
gehört endlich in die deutschen Gesetze.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen auch hier die Frage, klipp und klar: Sind Sie
für die Informationspflicht der Behörden, Frau Aigner,
und können Sie es diesmal in Ihrer Koalition und au-
ßerhalb der Koalition gegen die Lobbyisten durchset-
zen, ja oder nein? Nicht wieder ein einfaches Verspre-
chen!

Sie haben hier gerade begrüßt, dass die Europäische
Kommission bei der Herkunftskennzeichnung schneller
vorankommen will. Sie hätten mit Frankreich telefoniert,
haben wir gerade gehört. Ist es nicht so, dass, als das Eu-
ropäische Parlament diese verbindliche Herkunftskenn-
zeichnung verabschieden wollte, Sie dies in Brüssel ge-
stoppt haben, und dass Sie, als die SPD im letzten Jahr
gefragt hat, wann die Herkunftskennzeichnung kommt,
geantwortet haben: „Ich halte sie nicht für praktikabel;
ich bin dagegen“? Sind Sie also für die Herkunftskenn-
zeichnung, und werden Sie sie gegen die Lobbyisten in-
nerhalb und außerhalb Ihrer Koalition durchsetzen, ja
oder nein? Die Fragen sind manchmal ganz einfach,
Frau Aigner.

Dann gaukeln Sie vor, Sie seien für eine transparente
Kennzeichnung, ob das Produkt aus der Region stammt.
Was Sie vorlegen, ist aber eine Lösung, mit der
Schwarzwälder Schinken aus Dänemark stammen kann
oder bei der eine Molkerei aus Mecklenburg-Vorpom-
mern auf die Packung „von der Küste“ schreiben kann,
die Milch aber aus Holland stammt.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das glauben Sie doch selber nicht, oder?)


Deswegen auch hier die Frage: Sind Sie wie die SPD für
eine echte Regionalkennzeichnung, und können Sie sie
dann gegen die Lobbyisten innerhalb und außerhalb Ih-
rer Koalition durchsetzen, ja oder nein, Frau Aigner?

Der letzte Punkt: Wer deckt denn Lebensmittelskan-
dale in der Regel auf?


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Kelber!)


Es sind mutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die sich an die Öffentlichkeit wenden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Vorgänger Horst Seehofer hat dem Lkw-Fahrer, der
den Gammelfleischskandal aufgedeckt hat, die Ver-
dienstplakette des Ministeriums überreicht; er ist danach
arbeitslos geworden. Nach wie vor verweigert die Mehr-
heit im Deutschen Bundestag ein Gesetz zum Schutz
solcher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bei der
letzten Debatte hat der damals anwesende Fraktionsvor-
sitzende Volker Kauder hineingerufen:


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Reden Sie mal zur Verbraucherpolitik!)


Wenn Sie das machen, dann führen Sie die Blockwarte
wieder ein! – Er hat diesen Begriff aus der Nazizeit dafür
verwendet. – Sind Sie für einen gesetzlichen Schutz von





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Öffent-
lichkeit warnen, ja oder nein, Frau Aigner?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Der besteht heute schon!)


Das wollen wir wissen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das „Schwarzbuch Ilse Aigner“ ist lang. Ein paar
Kapitel daraus: In Bezug auf den Finanzmarkt wurde
durchgehender Verbraucherschutz versprochen. Der
Faktencheck: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht darf nur begrenzt Verbraucherschutzaufga-
ben wahrnehmen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Verbraucherbeirat!)


Angekündigt von Ilse Aigner wurden anonyme Test-
kunden bei Banken. Faktencheck: Versprechen gebro-
chen.

Digitale Welt: Versprochen wurde ein Gesetz gegen
Abmahnabzocke, bei der skrupellose Rechtsanwälte Fa-
milien mit superteuren Abmahnungen für kleinste Ver-
gehen überziehen, ob absichtlich oder unabsichtlich pas-
siert. Der Faktencheck: Über 15 Monate streitet sich
Schwarz-Gelb über einen Entwurf. Angeblich soll
nächste Woche einer kommen, der, wie der erste Über-
blick zeigt, Dutzende Schlupflöcher für die Abmahnma-
fia enthält. In diesen 15 Monaten hat es Zehntausende
zusätzliche Opfer gegeben.

Faktencheck Datenschutz: Stiftung Datenschutz ange-
kündigt und gescheitert, auf EU-Ebene bremsend, Rück-
schritte beim Arbeitnehmerdatenschutz, keine Antwort
auf die Herausforderung durch Netzwerke wie Face-
book.

Das Kapitel Verkehr: Versprochen war eine einheitli-
che Schlichtungsstelle für Verkehr, damit Kunden zu ih-
ren Ersatzleistungen kommen. Was haben wir? Keine
Schlichtung für Busse, keine Schlichtung für Schiffe,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie bitte?)


drei Schlichtungsstellen für den Flugverkehr, je nach-
dem, ob über Internet oder nicht über Internet gebucht
wurde – Verwirrung pur für die Kunden.

Bei Gesundheit findet die Verbraucherschutzministe-
rin gar nicht statt. Sind Sie nicht der Meinung, dass die
Patientinnen und Patienten zum Beispiel vor Übervortei-
lung bei individuellen Gesundheitsleistungen geschützt
werden müssen, Frau Aigner? Werden Sie sich einmi-
schen, ja oder nein?


(Zurufe von der SPD: Nein!)


Die Bilanz, die Sie auch mit diesem Verbraucher-
schutzbericht vorgelegt haben, ist inakzeptabel. Sie ha-
ben noch wenige Monate vor sich, bevor Sie sich frei-
willig aus der Bundespolitik verabschieden. Nutzen Sie
doch die Zeit, und machen Sie aus einem Berg von An-
kündigungen wenigstens einen Hügel von Taten! Das

würde etwas von Ihnen im Deutschen Bundestag hinter-
lassen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722300300

Das Wort erhält nun der Kollege Erik Schweickert für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1722300400

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kelber,
Verbraucherschutzpolitik ist bei uns keine Nischenpoli-
tik mehr, wie es bei Ihnen war. Dafür hat diese schwarz-
gelbe Bundesregierung gesorgt; denn wir haben gelie-
fert. Das zeigt auch dieser Verbraucherpolitische Be-
richt, wenn Sie ihn einmal durchgelesen hätten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Seite 1 des Rhetorikhandbuchs!)


Die Kollegen der SPD, die in ihrem Antrag eine Neu-
ausrichtung der Verbraucherpolitik fordern, möchte ich
zu Beginn meiner Rede mitnehmen in die Zeit der Vor-
gängerregierungen, in die Zeit von Rot-Grün, als Sie mit
Gerhard Schröder, dem Herrn von Gazprom, den Kanz-
ler stellten. Wie sah denn da Ihre verbraucherpolitische
Strategie aus? Sie haben zugeschaut, als die Verbraucher
über kostenintensive Warteschleifen von Servicehotlines
abgezockt wurden. Sie haben zugeschaut, als Internetbe-
trüger arglose Verbraucher mit falschen Versprechungen
in Kostenfallen haben laufen lassen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Sie haben zugeschaut, wenn Call-by-call-Dienste ihre
Hotlines morgens mit 2 Cent beworben haben und
abends mit 2 Euro pro Minute abrechneten. Sie haben
zugeschaut und mitgemacht, wenn immer spekulativere
und umständlichere Finanzprodukte auf den Markt ge-
kommen sind. Hans Eichel ist der Vater der Hedgefonds.
Sie haben aber nicht nur zugeschaut, sondern auch zuge-
lassen, dass Anleger mangels Transparenz über das An-
lagerisiko getäuscht wurden oder zumindest im Unkla-
ren gelassen wurden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Hans Eichel hat in New York und London die Hedgefonds erfunden! Klar!)


Daran hat übrigens auch Ihr Peer Steinbrück als Finanz-
minister nichts geändert; er hat einfach nur zugeschaut.
Sie haben auch zugeschaut, wie bei der EU eine Spiel-
zeugrichtlinie auf den Weg gebracht wurde, welche die
Grenzwerte für Weichmacher auf einem viel zu laschen
Niveau festgelegt hat.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das stimmt nicht! Das weisen wir zurück!)






Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


Zuschauen, das war Ihre Strategie.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Unsere Strategie ist Handeln. Verbraucherschutz ist
Wirtschaftspolitik für jedermann und ein essenzielles
Bürgerrecht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Heute Abend schämen Sie sich schon ein bisschen für die Rede! Zumindest beichten sollten Sie gehen!)


Sie machen Schaufensterpolitik. Das sehen wir bei je-
dem Ihrer Anträge. Wir aber lösen die Probleme der Ver-
braucher, bei denen Sie zugeschaut haben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Am Sonntag müssen Sie schon beichten nach der Rede!)


Wir können einmal darüber reden, was die Besserwis-
seroppositionsparteien in ihren Anträgen vorschreiben
wollen, welches Produkt moralisch gut ist und welches
nicht. Unsere Verbraucherpolitik ermöglicht den Ver-
brauchern selbstbestimmte Entscheidungen. Schwarz-
gelbe Verbraucherpolitik sorgt für faire Rahmenbedin-
gungen, ohne die Menschen zu bevormunden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wann?)


Wir brauchen Transparenz bei den Produkten und
Dienstleistungen. Das hat der letzte Skandal gezeigt. Wir
haben dafür gesorgt, dass die Schlupflöcher für Betrüger
und Abzocker geschlossen werden; denn schwarze
Schafe schädigen nicht nur die Verbraucher, sondern
auch die guten und seriösen Unternehmen.

Welche Projekte haben wir umgesetzt? Kostenfallen
im Internet sind Vergangenheit, dank Schwarz-Gelb. Mit
dem sogenannten Internetbutton müssen die Verbraucher
seit dem 1. August 2012 explizit auf die Kostenpflichtig-
keit eines Angebots hingewiesen werden.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das haben wir mit auf den Weg gebracht!)


Bei Vertragsabschluss müssen alle Kosten vorliegen.
Das bedeutet mehr Transparenz und ist ein Sicherheits-
netz gegen Abzocke bei Internetabofallen. Wir haben
das beschlossen.

Warteschleifen werden kostenfrei, dank Schwarz-
Gelb. Wir Liberale sind im Wahlkampf 2009 mit dem
Slogan angetreten: Leistung muss sich lohnen. – Wir ha-
ben dafür gesorgt, dass dieser Grundsatz auch bei Ser-
vicehotlines gilt. Während Ihrer Regierungszeit waren
doch die Kosten für die Warteschleife mitunter deutlich
höher als die Kosten für die erbrachte Serviceleistung.
Wir haben das geändert. Wir haben das Telekommunika-
tionsgesetz überarbeitet. Verdient werden darf ab 1. Juni
dieses Jahres erst, wenn eine Serviceleistung erbracht
wurde. Das Geschäftsmodell „Warteschleife“ hat
Schwarz-Gelb beendet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Beim Call-by-Call gibt es statt einer teuren Rechnung
nun Preistransparenz, ebenfalls dank Schwarz-Gelb;
denn durch die Pflicht zur Preisansage wird keine Ver-

schleierung der Gesprächskosten zugelassen. Es wird
keine irreführende Werbung mehr möglich sein.


(Ulrich Kelber [SPD]: Professor für Gesundbeterei!)


Anbieterwechsel bei Telekommunikationsleistungen
innerhalb eines Tages. Herr Kelber, Sie haben zuge-
schaut, als Kunden wochenlang ohne Telefonanschluss
waren. Wir haben dafür gesorgt, dass der Wechsel inner-
halb eines Tages erfolgen muss. Das ist schwarz-gelber
Verbraucherservice.

An der Zapfsäule wird es mehr Preistransparenz und
Wettbewerb geben, dank Schwarz-Gelb. Die Tankstel-
lenpreise werden auf unsere Initiative hin künftig in
Echtzeit per Handy-App oder Navi abrufbar sein.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist ja eine Lachnummer! – Ulrich Kelber [SPD]: Künftig! Werden! Vorhaben! Die Zukunftsformen beherrschen Sie in der deutschen Sprache!)


Der Verbraucher hat endlich die Informationsmacht, he-
rauszufinden, wo die günstigste Tankstelle ist. Damit
werden die Preise durchschaubar, und die Preisspirale
wird nach unten angeregt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beim Anlegerschutz haben wir gehandelt. Sie haben
das vorhin nicht richtig ausgeführt. Wir haben Produkt-
informationsblätter zur Pflicht gemacht, in denen die Ri-
siken und Chancen einer Anlage zusammengefasst sind.
Die Verkäufer müssen ihre Sachkunde nachweisen – das
war bei Ihnen auch nicht so –, und zwar egal, ob bei sie
bei einer Bank arbeiten oder als freie Vermittler von Fi-
nanzprodukten. Dafür haben wir gesorgt.

Die Hedgefonds waren doch zu Ihrer Regierungszeit
weniger reguliert als die Krümmung einer Gurke; darum
haben Sie sich eher gekümmert. Das Verdienst von
Schwarz-Gelb in diesem Bereich ist, dass wir es umge-
dreht haben: Der sogenannte Graue Kapitalmarkt unter-
liegt nun Transparenzpflichten, die mit dem Aktienmarkt
vergleichbar sind.


(Beifall bei der FDP)


Herr Steinbrück hat nur die Banker ernst genommen, für
die er heute Vorträge hält; Schwarz-Gelb nimmt die Ver-
braucher ernst.


(Beifall der Abg. Mechthild Heil [CDU/CSU])


Herr Kelber, was Sie zur BaFin gesagt haben, stimmt
auch nicht. Wir haben dafür gesorgt, dass es bei der
BaFin einen neu geschaffenen Verbraucherbeirat als Be-
schwerdestelle gibt, um auch hier die Rechte der Ver-
braucher durchsetzen zu können.

Unser Herz schlägt im wahrsten Sinne des Wortes
auch für die kleinen Verbraucher: Kinderspielzeug muss
zukünftig sicher sein, und dank Schwarz-Gelb wird es
dies auch sein. Als ich vor fast vier Jahren in den Bun-
destag eingezogen bin, waren die Regelungen zum Kin-
derspielzeug extrem lasch.


(Mechthild Rawert [SPD]: Sagen Sie das mal Frau Aigner und Herrn Seehofer!)






Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


Sie müssen doch zugeben, dass sich diese Bundesregie-
rung gegen das gewehrt hat, was zur Zeit der letzten Ko-
alition auf den Weg gebracht wurde. Die Grenzwerte für
bestimmte Substanzen wären durch die EU-Spiel-
zeugrichtlinie erhöht worden. Wir lassen das nicht zu,
weil klar ist, dass hier Gesundheitsgefahren für die
Kleinsten bestehen. Wir handeln nicht nur, sondern sind
proaktiv: Wir ziehen vor den Europäischen Gerichtshof;


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Im März!)


wir haben die Europäische Kommission verklagt. Das ist
Verbraucherpolitik der Marke Schwarz-Gelb, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sollten bitte zur Kenntnis nehmen, dass der effi-
ziente Verbraucherschutz dieser Regierung das Ver-
trauen der Verbraucher in die redlichen Unternehmen ge-
stärkt hat.

Jetzt blinkt das Licht am Pult, das auf das Ende mei-
ner Redezeit hinweist. Ich denke, dass es nicht kaputt ist,
Herr Präsident.


(Heiterkeit bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722300500

Nein, es funktioniert wieder einmal tadellos.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1722300600

Dann komme ich zum Schluss und fasse zusammen.

Wenn Sie sich mit unserer Verbraucherschutzpolitik be-
schäftigen, dann werden Sie feststellen: Wir haben die
Abzocke gestoppt. Wir haben die Transparenz in ver-
schiedenen Bereichen gefördert. Der informierte Ver-
braucher ist heute mehr denn je Realität. Das ist die
schwarz-gelbe Erfolgsbilanz, Herr Kelber.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Professor für Gesundbeterei!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722300700

Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722300800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich freue mich sehr, dass wir heute in der Kern-
zeit sehr ausführlich zum Verbraucherpolitischen Bericht
sprechen. Denn ich denke, angesichts steigender Strom-
preise, steigender Mieten, ungebetener Werbung am Te-
lefon, Abzocke im Internet oder bei den Gaspreisen und
erst recht angesichts des neuen Lebensmittelskandals
müssen wir dem Thema Verbraucherpolitik endlich mehr
Aufmerksamkeit schenken; das fordern wir Linke schon
lange.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Grundlage, die die Regierung dafür anbietet, ist
allerdings mehr als dürftig: Auf gut 50 Seiten werden
dort angebliche Erfolge gefeiert. Ich finde, man könnte
ein ganzes Buch über die Versäumnisse dieser Regierung
in der Verbraucherpolitik schreiben.

Was diese Regierung in der Verbraucherpolitik wirk-
lich gut kann, ist das Ankündigen von Projekten, das Er-
stellenlassen von Gutachten und das Erteilen unverbind-
licher Prüfaufträge. Ehrlich gesagt, muss ich leider auch
angesichts der aktuellen Debatte zum Pferdefleischskan-
dal zu einem solchen Ergebnis kommen. Meine Kolle-
gin, Frau Binder, wird gleich ausführlich darauf einge-
hen. Aber eines möchte ich nach Ihrer Rede, Frau
Ministerin, schon sagen: Sie haben kein ordentliches
Verbraucherinformationsgesetz und kein ordentliches
Tierschutzgesetz auf die Reihe bekommen. Sie haben
unzureichende Konsequenzen aus den letzten Lebens-
mittelskandalen gezogen. Die Neuordnung der Lebens-
mittelkontrolle steht aus; die Debatte darüber führen wir
doch schon seit Jahren. Das föderale System der Lebens-
mittelkontrolle wird den global agierenden Konzernen
einfach nicht mehr gerecht. Das heißt, es gibt politische
Versäumnisse in der Verbraucherpolitik, aber Sie stellen
sich hier hin und drücken auf die Tränendrüse. Ich finde,
das wird der Dimension dieser Auseinandersetzung
überhaupt nicht gerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte auf die Versäumnisse der Regierung und
von Frau Ministerin Aigner im Bereich des wirtschaftli-
chen Verbraucherschutzes eingehen. Nehmen wir bei-
spielsweise das Thema der überhöhten Dispozinsen. Wir
haben nach wie vor die Situation, dass sich die Banken,
die in der Kreide stehen, ihr Geld zu einem sagenhaft
niedrigen Leitzins von 0,75 Prozent leihen können und
es den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu einem
Zinssatz von im Schnitt 12 Prozent weitergeben. Das
sind wirklich unsägliche Gewinnmargen, die auf Kosten
der schwächsten Verbraucherinnen und Verbraucher ge-
hen. Aber was tut die Ministerin? Sie haben die Banken-
chefs zum Kaffeetrinken eingeladen und diverse Presse-
erklärungen abgegeben, in denen Sie sagen, dass Sie das
unmöglich finden; aber in der Praxis ist nichts passiert.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist kein mü-
der Cent dabei herausgekommen. Ich muss sagen, ich
finde das einfach beschämend.


(Beifall bei der LINKEN)


Nehmen wir die Tatsache, dass die Verbraucherzen-
tralen seit vielen Jahren gnadenlos unterfinanziert sind.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)


Frau Aigner hatte die in der Tat gute Idee – die haben wir
alle unterstützt –, dass man die Kartellstrafen der Unter-
nehmen der Verbraucherarbeit zur Verfügung stellen
kann. Die Umsetzung dieser Idee in die Praxis kann ich
einfach nicht erkennen.

Nehmen wir als Beispiel den Schutz der Kunden vor
Falschberatung bei Banken. Außer diesen Beipackzet-
teln haben Sie hier nichts zustande gebracht. Was wir ei-





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)


gentlich bräuchten, nämlich einen Finanz-TÜV, der da-
für sorgt, dass die Schrottpapiere erst gar nicht auf den
Markt kommen, steht aber noch aus. Das ist kein verant-
wortungsvoller Verbraucherschutz im Bereich der Fi-
nanzwirtschaft.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Ministerin, Sie haben nicht verstanden, worum
es geht. In der Politik zählen nicht die Ankündigungen
und die großen Worte, es zählen am Ende immer noch
die Taten. Sie haben sich Ihren Ruf als Ankündigungs-
ministerin in dieser Legislaturperiode wirklich hart erar-
beitet. Ich weiß jetzt nicht, wie es den anderen Kollegin-
nen und Kollegen von der Opposition geht, die diese
Einschätzung immer geteilt haben. Fast sehne ich mich
nach den Zeiten zurück, als wir der Ministerin immer
vorwerfen konnten, dass sie Dinge ankündigt, aber am
Ende nicht handelt. Seitdem sie sich politisch dafür ent-
schieden hat, nach Bayern zu gehen, hat sie bei wichti-
gen verbraucherpolitischen Themen offenbar sogar auf
die Ankündigung verzichtet.

Das Alphabet kann man auch anders gestalten. Es ent-
hält bei Ihnen nämlich einige Leerstellen. Nehmen wir
zum Beispiel S wie Strompreise: kein Wort dazu von der
Ministerin. Auch der Bericht, den wir heute diskutieren,
enthält nichts wirklich Substanzielles. Angesichts der
Tatsache, dass auch in diesem Jahr die Strompreise um
12 Prozent steigen und ihr Kabinettskollege Herr
Altmaier seinen Propagandafeldzug gegen die erneuer-
baren Energien fortsetzt,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Na, na, na!)


wäre es an der Zeit gewesen, dass die Verbraucherminis-
terin ein kritisches Wort zu den ungerechtfertigten In-
dustrierabatten sagt


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Herr Trittin eingeführt hat!)


oder nur ein kritisches Wort zu den Konzerngewinnen in
Milliardenhöhe. Von ihr hat man nichts darüber gehört.
Ich finde, so geht das einfach nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn sich die Ministerin darauf konzentrieren
möchte, zukünftig in Bayern zu wirken, dann ist das eine
legitime politische Entscheidung. Aber auch in Bayern
gibt es Verbraucherinnen und Verbraucher. Nehmen wir
beispielsweise die Landeshauptstadt München. Dort sind
die Mieten in den letzten fünf Jahren bis zu 26 Prozent
gestiegen. Zu diesem Thema, das die Koalition völlig
brachliegen lässt, hätte es wenigstens einiger Worte der
Ministerin bedurft.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Mietentwicklung ist eine zentrale soziale und ver-
braucherpolitische Frage, aber das hat die Ministerin
überhaupt nicht auf dem Schirm. Das muss an dieser
Stelle einmal gesagt werden.

Nehmen wir das Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-
werb. Wir erleben nach wie vor ungebetene Telefonwer-
bung. Wir haben das grassierende Abmahnwesen im In-

ternet, das beispielsweise unseriöses Inkasso betrifft,
und viele andere Dinge mehr. Seit einem Jahr liegt der
Gesetzentwurf dazu irgendwo in den Schubladen herum.
Sie lassen die Verbraucherinnen und Verbraucher auch
an dieser Stelle hängen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist in der Verbändeabstimmung!)


Meine Damen und Herren, Sie werden das sicherlich
alles mit dem Begriff der Eigenverantwortung erklären.
Ich sage, das alleine reicht nicht. Dadurch werden die
Baustellen nicht beseitigt. Mit der Selbstverpflichtung
der Unternehmen ist einfach keine gute Verbraucherpoli-
tik zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer Verbraucherpolitik betreiben will, der muss sich mit
den Konzernen anlegen. Aber dazu ist diese Regierung
leider nicht in der Lage.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722300900

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Renate Künast,

Bündnis 90/Die Grünen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Jetzt freue ich mich!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722301000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Ministerin, Ihre Rede hat mich sehr an die Silvestersen-
dung „Dinner for One“ erinnert. Da heißt es immer:
„Same procedure as last year?“, „The same procedure as
every year.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: „…, James.“!)


Genau so haben Sie das hier vorgeführt.

Dann haben Sie noch den Witz gebracht: So wie an-
dere für ein Branchentelefonbuch von A bis Z geworben
haben, nämlich von Aalräucherei bis Zylinderstift – so
war einmal die Werbung –, haben Sie hier vorgetäuscht –
das V für „vorgetäuscht“ ist bei Ihnen üblich –, dass Sie
in verschiedenen Politikbereichen gehandelt hätten. Das
haben Sie aber nicht getan, Frau Aigner. Sie haben hier
von A bis Z ein paar Begriffe – ich sage einmal, richtige
Windeier und warme Luft – losgelassen. Aber nicht ein-
mal ein Prinzip haben Sie herausgestellt; denn Sie haben
keines.

Walt Whitman Rostow hat einmal gesagt:

Krisen meistert man am besten, indem man ihnen
zuvorkommt.

Also indem man, bevor sie entsteht, Strukturen schafft,
die sie verhindern oder zumindest minimieren. Sie haben
uns hier erzählt, dass Sie immer dann, wenn eine Krise
da ist, analysieren, feststellen und dann einen Plan be-
schließen. Sie haben aufgezählt, was Sie immer machen,
wenn eine Krise da ist: erstens, zweitens, drittens. „Vier-





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


tens“ haben Sie aber vergessen: Ein halbes Jahr später
kommt der Sieben-Punkte-Plan von Frau Aigner in die
Schublade, und wir hoffen, dass keiner mehr daran
denkt. Das ist Ihr Prinzip: Nachsorge, zaudern und dann
wegstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben heute viel annonciert, wie bei einer Werbe-
veranstaltung. Fangen wir doch einmal mit dem Buch-
staben B an. Wie wäre es mit Bewertungsreserven der
Lebensversicherung? Sie haben uns hier viel erzählt.
Fakt ist aber etwas anderes; und das wurde mit dieser
FDP gemacht, die immer sagt, man darf den Betrieben
nicht mit Einzelsubventionen usw. helfen, sie müssen
sich selber am Markt beweisen. Bei den Bewertungsre-
serven der Lebensversicherung sehen Sie das aber an-
ders. Sie hocken vielleicht bis zur Halskrause als Lobby-
ist in den Lebensversicherungen.


(Heiterkeit bei der FDP)


Anders können wir uns das gar nicht erklären. Wie sollen
wir denn draußen die verbraucherpolitische Glanzleis-
tung erklären – das soll Verbraucherschutz sein –, dass
der Versicherungsbranche, weil sie behauptet, in der
Niedrigzinsphase Probleme zu haben, 35 Milliarden Euro
geschenkt werden, statt sie den Versicherten zu geben?


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie wissen doch gar nicht, was Sie reden! – Mechthild Heil [CDU/CSU]: Sie haben von der Mathematik keine Ahnung, Frau Künast!)


Sie wollen die Versicherten um 35 Milliarden Euro bei
den Lebensversicherungen betrügen. Das ist Ihre Wahr-
heit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)


Das ist eine neue Form der Subventionspolitik. Wer in
diesem Land, wenn es zu viel Sonne gibt, keine Regen-
schirme verkauft, dem würden Sie ja auch nicht helfen,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Aber dafür sorgen, dass es in Zukunft noch Regenschirme gibt!)


sondern sagen: Dann mach halt einen Eisladen auf.

Machen wir mit dem nächsten Buchstaben weiter. Der
Kollege der FDP sprach gerade die Krümmung der Gur-
ken an. Haha, wie putzig! Ich sage es Ihnen einmal:
Selbst bei der Krümmung der Gurken haben Sie nichts
hingekriegt.


(Lachen bei der FDP)


Die Handelsklassen sind abgeschafft.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sind Sie stolz darauf, Frau Künast?)


Im Einzelhandel müssen sie immer noch nach etwas aus-
sehen. Sie betreiben Wegwerfpolitik auf Kosten der Um-
welt, auch im Bereich Lebensmittel und Verbraucher-
schutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja! Zu gut für die Tonne!)


Sie haben bei der Regionalkennzeichnung, die sinn-
voll ist, wenn man darauf achten möchte, ökologisch mit
weniger Transportkilometern einzukaufen, nichts hinbe-
kommen. Sie haben für Verbraucher, die auf den Tier-
schutz achten wollen, nichts hinbekommen. Den viel-
leicht ganz netten Gesetzentwurf von Frau Aigner haben
Sie mit vereinter Kraft im wahrsten Sinne des Wortes
zertrümmert. Bei den Telefonwarteschleifen wird die
Wartezeit nun zeitlich nach hinten geschoben. Dann kos-
tet es nämlich wieder. Das ist doch üblich bei Ihnen. Bei
den Strompreisen gibt es 2 000 Ausnahmen für nicht
einmal wirklich energieintensive Betriebe,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wer hat sie denn eingeführt? Trittin-Soli!)


und die Kosten in Milliardenhöhe werden den Privatkun-
den aufgehalst. Die Verbraucher sind die Opfer Ihrer
Politik und nicht die Nutznießer Ihrer Politik. Das ist
klar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – HansMichael Goldmann [FDP]: Blödsinn!)


Frau Aigner, der aktuellste Skandal zeigt, dass Sie ei-
gentlich die Politik von Herrn Seehofer weiterführen,
der zwischen 2005 und 2008 die Verantwortung trug:


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Quatsch! Das ist doch weit unter Ihrem Niveau, was Sie da quasseln!)


Liebesdienste für die große Industrie. Die erste Hand-
lung von Seehofer war – Stichwort: MON810 –, gen-
technisch veränderten Mais in Deutschland zuzulassen.
Das war die erste Morgengabe für die, die Sie damals im
schwarz-gelben Wahlkampf unterstützt haben. Dann ha-
ben Herr Seehofer und Sie gemeinsam alle Schleusen für
Billigfleisch und Dumping in der Fleischindustrie geöff-
net. Sie haben den Boden für solche Skandale weiter be-
reitet: mit Massentierhaltung, mit weiterem Antibiotika-
missbrauch. Sie haben bis heute nicht einmal ein klares
Reduzierungsziel, sondern nur Bücher, in die man
schreibt, wie viel man nimmt. Das ist doch kein Verbrau-
cherschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was ist denn das, was Sie machen, Frau Künast? Arbeiten Sie einmal mit! Im Ausschuss!)


Ich weiß, dass viele über die „Geiz ist geil“-Ideologie
klagen. Faktisch sind Sie, Frau Aigner, aber die Schutz-
patronin dieser Ideologie. Sie haben nicht dafür gesorgt,
dass die Verbraucher Täuschung besser erkennen kön-
nen. Wenn von der FDP hier klare Worte kommen, dann
muss ich sagen: Das ist die Lachnummer des Jahrhun-
derts. Sie als Lobbypartei öffnen hier Ihr Herz und mei-
nen, etwas für die Verbraucher zu tun.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Dann bringen Sie doch ein Argument!)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


Vom ersten Tag an, als wir die Verbraucherpolitik in den
Ländern und im Bund auf die politische Agenda gesetzt
haben und gesagt haben: „Auch die Verbraucher nehmen
am Wirtschaftsleben teil und haben Rechte“, sind Sie der
größte Bremsklotz,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wo denn?)


auf Kosten der Bevölkerung. Genau so ist das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Bringen Sie ein Argument!)


– Melden Sie sich doch noch einmal!

Sie haben das wirklich kranke System der langen in-
ternationalen Produktionsketten eben nicht unterbrochen,
weil Sie die fehlende Transparenz nicht angegangen sind.
Genau das, eine bessere Verbraucherinformation und
volle Transparenz, brauchen wir, damit man bei der Kauf-
entscheidung sehen kann, was woher kommt.

Diese volle Transparenz ist gut, meine Damen und
Herren, für die Behörden, weil sie dann wissen, wo sie
untersuchen sollen.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Richtig!)


Deshalb müssen endlich die stillen Rückrufe enden. Ran
an die Behörden! Die Behörden müssen das Recht haben
– nicht einen Prüfauftrag, Frau Aigner –, hier und heute
über Täuschungen zu informieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Pflicht, nicht nur das Recht!)


– Die Pflicht, zu informieren, danke. – Denn selbst im
preiswertesten Segment haben die Verbraucher für ihr
gutes Geld das Recht, zu wissen: Was draufsteht, ist
auch drin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann Ihnen nur sagen, wenn wir bei A bis Z blei-
ben: Der größte Mangel Ihrer Politik ist, dass Sie das Z
nicht mit dem Wort „Zuverlässigkeit“ auffüllen können.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722301100

Frau Kollegin.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722301200

Auf Sie können sich die Lobbyisten und die Großin-

dustrie verlassen, aber nicht die Verbraucher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nur Polemik, keine Fakten!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722301300

Das Wort hat nun der Kollege Franz-Josef

Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1722301400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der parlamentarische Abend!)


Es ist natürlich Aufgabe der Opposition, den Finger in
die Wunde zu legen.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Aha, also gibt es eine!)


Es ist auch völlig unstreitig, dass in der Verbraucherpoli-
tik noch einige Aufgaben vor uns liegen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Aber die Erfolge der letzten Jahre sind hier von Frau
Aigner und von Erik Schweickert eindrucksvoll geschil-
dert worden.


(Zuruf von der LINKEN)


Sie sind faktisch für jedermann nachlesbar. Hierfür ein
herzliches Dankeschön, Frau Aigner!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ihnen sage ich: Machen Sie nicht nur Wahlkampfge-
töse; das hilft uns nicht weiter.

Meine Damen und Herren, wir als christlich-liberale
Koalition wollen starke Verbraucher. Verbraucherpolitik
ist auch gute Wirtschaftspolitik, und zwar von der Nach-
frageseite. Wir stärken den Verbraucher mit Informatio-
nen, und wir handeln nach der Maxime „Klarheit und
Wahrheit“. Auf dieser Basis ist der Verbraucher


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Die Verbraucherin auch!)


in der Lage, selbstbestimmt und eigenverantwortlich
Entscheidungen für sich und Angehörige zu treffen.

Das führt mich zum Verbraucherbild. Der Verbrau-
cher – das ist unser Leitbild – weiß am besten, was für
ihn gut und richtig ist. Diese Verantwortung können und
wollen wir ihm nicht nehmen – das wollen Sie, wir
nicht. Das unabhängige Gutachten von Prognos sagt ein-
deutig:

Den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutsch-
land kann übergreifend eine hohe Bereitschaft at-
testiert werden, sich konsumrelevante Informatio-
nen zu verschaffen.

Also: Was müssen wir als Politik tun?


(Mechthild Rawert [SPD]: Was ist denn mit der Unabhängigkeit der Information?)


Wir müssen die Informationsdichte erhöhen. Wir müssen
selbstverständlich auch die Informationsqualität erhö-
hen. Frau Künast, selbstverständlich müssen wir auch
den Informationszugang erweitern und verbessern. Das
bleibt für uns eine Daueraufgabe.

Genau das haben wir in dieser Legislaturperiode getan.
Frau Aigner hat die Bereiche eindrucksvoll aufgezählt,
ob Finanzen, Verbraucherinformationsgesetz, Veröffent-





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)


lichungspflichten im Lebensmittel- und Futtermittel-
gesetzbuch oder Internetportale. Wir haben trotz des
Konsolidierungszwangs für unser Land – das ist die ei-
gentliche Verpflichtung für die Zukunft unserer Kinder
und Kindeskinder – beim Verbraucherschutz die Ausga-
ben erhöht, Stichworte: Verbraucherinformationen, Stif-
tung Warentest und viele andere mehr.

Meine Damen und Herren von der Opposition, das,
was Sie hier äußern, hat für mich etwas mit Bevormun-
dung zu tun. Das hat damit zu tun, dass Sie Entscheidun-
gen für den Verbraucher treffen wollen.

Ich nenne drei Beispiele. Ich lese, Sie wollen den
Menschen dazu zwingen, dass in Organisationen und
Einrichtungen ein „Veggie Day“ eingerichtet wird. Man
kann für so etwas gern Anreize schaffen, aber zwingen?
Meine Damen und Herren, wir wollen das nicht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wo haben Sie das im Zusammenhang mit der SPD gelesen? Geben Sie uns ein Zitat!)


Sie schlagen beispielsweise vor, Dispozinsen nach oben
zu deckeln. Was bedeutet das denn? Sie nehmen bewusst
in Kauf, dass eine Nivellierung nach oben stattfindet und
die Verbraucherinnen und Verbraucher stärker zur Kasse
gebeten werden. Das ist blanker Unfug. Wenn Sie über
ökologische und ethische Standards bei Riester-Verträ-
gen sprechen, dann erklären Sie mir bitte einmal, wie das
funktionieren soll. Mir ist es schleierhaft.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, Ethik ist Ihnen schleierhaft!)


Ich glaube, Frau Maisch, Sie reden gleich noch, viel-
leicht können Sie mir das einmal erklären. Wir als Poli-
tik können doch nicht glauben, dass wir alles besser wis-
sen als die Menschen selbst. Wir sollten manchmal
etwas Zutrauen haben. Das ist der eigentliche Unter-
schied.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir befähigen den Verbraucher zu Eigenständigkeit. Sie
wollen ihn bevormunden, Sie wollen die Entscheidun-
gen für die Verbraucher treffen. Das ist der große Unter-
schied zwischen diesen beiden Blöcken.

Dazu noch ein Zitat aus dem Prognos-Gutachten: Bei
der wissenschaftlichen Untersuchung „sind vielfältige
Belege für ‚mündiges‘ Verhalten der Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland vorgefunden worden.
Diese sind überwiegend in der Lage, ihren Konsum
selbstbestimmt zu gestalten.“ Wir sind noch nicht am
Ende des Weges, aber wir sind auf einem guten und rich-
tigen Weg.

Ich will auch das Thema Pferdefleischskandal kurz
ansprechen. Hierbei geht es um Verbrauchertäuschung.
Ich will ausdrücklich loben und unterstreichen, dass
Bundesministerin Aigner sofort kurzfristig aktiv gewor-
den ist,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kurzfristig!)


um sich mit den Ländern auf ein gemeinsames Vorgehen
zu verständigen. Das geht überhaupt nicht anders – das
wissen auch Sie –, weil die Zuständigkeiten zwischen
Land und Bund unterschiedlich geregelt sind. Wir haben
über dieses Thema auch im Ausschuss diskutiert. Ich
habe dort die Frage gestellt: Ist eigentlich die Haftung
beim Handel ausreichend geregelt? Denn wir fragen uns
immer: Wo können wir eigentlich zielgerichtet ansetzen?
Wo können wir vernünftig und wirkungsvoll nachre-
geln?

Mir haben Experten in den letzten Tagen erklärt, dass
im Frischebereich sehr viel geregelt ist, weil die Liefer-
wege bekannt sind. Handlungsbedarf besteht im Fertig-
produktbereich. Wir wissen heute noch nicht einmal, an
welcher Stelle der Etikettenschwindel betrieben wurde.
Deshalb sind wir, Frau Künast, absolut für eine Her-
kunftskennzeichnung.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Absolut“! Seit fünf Minuten! „Prüfen“!)


Wir wollen eine Herkunftskennzeichnung. Ich glaube,
wir müssen das um eine Optimierung der Rückverfolg-
barkeit erweitern.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Rückverfolgbarkeit verläuft heute immer einzeln und
stufenweise. Ich glaube, das muss man stufenübergrei-
fend machen, damit man schneller erkennen kann, wo
letztendlich Sauereien passieren. Ich persönlich bin sehr
gespannt auf Ergebnisse die Sektoruntersuchung des Kar-
tellamtes im Lebensmitteleinzelhandel. Ich denke, diese
wird genug Stoff für unsere gemeinsame Arbeit auch im
Ausschuss liefern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie fordern in Ihrem Antrag eine verbraucherpoliti-
sche Strategie. Ich will Ihnen sagen, dass wir als Union
schon Ende letzten Jahres ein Konzept vorgelegt haben,


(Mechthild Rawert [SPD]: Oha!)


in dem wir vorsehen, die Verbraucher zu unterstützen
und das Vertrauen in die Märkte zu stärken. Ich will das
selber gar nicht bewerten, aber wenn wir von Organisa-
tionen, die uns als Union gar nicht einmal so nahe ste-
hen, Lob bekommen, dann zeigt das, glaube ich, die
hohe Qualität dieses Konzepts.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wen meinen Sie denn?)


Die verbraucherpolitische Bilanz ist wahrlich gut. Sie
kann sich sehen lassen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, ja!)


Die Ministerin hat viele Dinge auf den Weg gebracht. Ei-
nes will ich überhaupt nicht verhehlen: Wir haben im Ver-
braucherschutz das Problem – das wissen wir alle –, dass
wir unterschiedliche Zuständigkeiten der Ressorts haben.
Wenn es um Rechtsfragen geht, ist natürlich Recht zu-
ständig. Wenn es um Finanzpolitik geht, sind natürlich
die Finanzpolitiker zuständig. Trotzdem haben wir in die-





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)


sen Bereichen – es ist aufgezählt worden – viel erreicht,
weil unsere Ministerin nicht nachgegeben hat und immer
weiter dicke Bretter gebohrt hat. Das ist ein großer Erfolg.
Verbraucherpolitik bleibt eine Querschnittsaufgabe.

Ich will abschließend noch einmal aus dem Prognos-
Gutachten zitieren:

… die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher
in Deutschland [ist] insgesamt besser als zuvor

– besser als zuvor! –

und mithin mehr als zufriedenstellend …


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722301500

Herr Kollege.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1722301600

Das ist für uns Ansporn, weiterhin gute Arbeit zu ma-

chen, um den Verbraucherschutz in Deutschland für die
Menschen weiterzuentwickeln.

Ein herzliches Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722301700

Für den Bundesrat erhält jetzt das Wort die Senatorin

Cornelia Prüfer-Storcks.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1722301800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be-

danke mich für die Gelegenheit, aus Sicht eines Landes
etwas zum Thema Verbraucherschutz, aber auch zum ak-
tuellen Skandal zu sagen. Ich wäre beinahe versucht ge-
wesen, zu sagen: zum Skandal des Monats; denn darauf
läuft es ja letzten Endes hinaus.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Genau!)


Ich glaube, dass es die Menschen in Deutschland leid
sind, immer wieder vom Lebensmittelskandal des Mo-
nats überrascht zu werden. Sie erheben zu Recht den An-
spruch gegenüber uns, dem Staat, dass sie wirksam ge-
schützt werden. Sie wollen alles andere als bevormundet
werden, sondern sie wollen – im Gegenteil – aufgeklärt
werden. Sie wollen nicht für dumm gehalten, sondern in-
formiert werden. Zumindest möchten sie das wissen,
was auch Behörden wissen und was auch mit ihren Steu-
ergeldern erhoben wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zwingende Notwendigkeit, beim Verbraucher-
schutz wegzukommen von der nachlaufenden Politik,
die immer nur auf Vorkommnisse und Skandale reagiert,
zeigt sich auch ganz aktuell bei den Pferdefleischfunden.
Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen mit Politik-
verdrossenheit reagieren, wenn sie das Gefühl haben,
dass die Politik immer nur reagiert, aber nicht vorsor-
gend handelt. Ich kann Ihnen sagen: Man kann auch als
Politikerin Verdrossenheit entwickeln, wenn man wieder
einmal mit dem Bund zusammen an einem nationalen

Aktionsplan arbeiten musste, der dann Forderungen ent-
hält, die die Länder schon seit langem erheben, und zwar
zu Recht erheben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Zehn-Punkte-Plan zum Pferdefleischskandal ist
von Verbraucherschützern und auch von der Politik aus-
reichend kritisiert worden. Aber ich will mir gar nicht
vorstellen, wie das Echo ausgesehen hätte, Frau Ministe-
rin Aigner, wenn Sie nur mit Ihren eigenen Vorschlägen
an die Öffentlichkeit getreten wären, ohne das, was die
Länder in dieses Papier hineinverhandelt haben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722301900

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schweickert?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1722302000

Ich würde gerne fortfahren, Herr Präsident.

Alle harten Maßnahmen, die das Papier enthält, also
die Herkunftsbezeichnungen nicht nur für verarbeitetes
Fleisch, sondern auch für verarbeitete Lebensmittel ins-
gesamt, die Verschärfung des Strafrahmens, die Abschöp-
fung von Unrechtsgewinnen, das Veröffentlichungsrecht
der Behörden bei Verbrauchertäuschung und auch bei all-
gemeinen Verstößen gegen Hygienevorschriften, nicht
erst bei Gesundheitsgefährdungen, die Ausweitung der
Anforderungen an die Eigenkontrolle der Unternehmen
und ihrer Informationspflichten gegenüber den Behörden,
all das haben die Länder in dieses Papier hineingeschrie-
ben. Ich sage auch ganz deutlich: Wir prüfen nicht mehr,
ob, sondern wir prüfen nur noch, wie. Wir werden auch
den Zeitdruck sehr hoch halten.


(Beifall bei der SPD)


Es ist doch bemerkenswert, dass man die A-/B-Linie
in der Verbraucherschutzpolitik nicht durchgängig fin-
det. Es ist nicht so, dass das Ministerium und die B-Län-
der auf der einen Seite und die A-Länder auf der anderen
Seite stehen, sondern es gibt sehr häufig, in vielen Fäl-
len, eine Übereinstimmung der Länder über die Partei-
grenzen hinweg. Es ist aber auch ein Muster der Re-
aktion des Bundes auf viele Forderungen der Länder zu
beobachten: Zunächst einmal hält man etwas nicht für
nötig, dann nicht für möglich, dann versucht man es,
aber dann setzt man es nicht durch.


(Ulrich Kelber [SPD]: Eine gute Zusammenfassung!)


Um auf die Herkunftsbezeichnung zu sprechen zu
kommen, die jetzt in dem Papier steht, Frau Ministerin
Aigner: Da haben Sie den Ländern noch vor zwei Jahren
erklärt, dass Sie das nicht für machbar halten. Ich freue
mich, dass sich das geändert hat. Gerade beim jetzigen
Pferdefleischskandal leiden auch die Landesbehörden,
zusammen mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern,
darunter, dass sie ihre eigenen Kenntnisse, ihre Untersu-
chungsergebnisse, nicht veröffentlichen dürfen; denn es
fehlt ja die akute Gesundheitsgefährdung.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Genau!)






Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


Viele weitere Beispiele belegen, dass Länder über Er-
gebnisse und Erkenntnisse verfügen, ihre Befunde aber
verschweigen müssen. Dass, wenn man in einem Restau-
rant Seezunge bestellt, auf jedem dritten Teller etwas
anderes liegt, wissen wir; aber diese Erkenntnis ruht in
unseren Aktenordnern, weil wir die entsprechenden Be-
triebe ja nicht nennen dürfen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie bitte? Sie machen also nichts?)


Dass die Lebensmittelüberwachungsbehörden bei 25 Pro-
zent der 1 Million Kontrollbesuche in Betrieben, die sie
pro Jahr durchführen, Verstöße feststellen und diese
auch ahnden, wissen wir auch; aber die Betriebe, um die
es geht, dürfen wir nicht nennen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dann kann man die Staatsanwaltschaft einschalten! Pangasius statt Seezunge auf dem Teller, das ist eine Straftat! Wenn Sie da in Hamburg schlafen, was wollen Sie dann hier? Sie müssen mal aufwachen!)


Die Länder, die solche Verstöße öffentlich machen – ge-
stützt auf einen Paragrafen, den die Bundesregierung ge-
schaffen hat –, kassieren im Moment ein Gerichtsurteil
nach dem anderen, das ihnen sagt: Solche Informationen
dürfen nicht veröffentlicht werden, solange nicht ein
Produkt eine ganz konkrete Gesundheitsgefährdung her-
vorruft.

Gerade vor diesem Hintergrund haben die Länder
schon vor zwei Jahren fast einstimmig die Hygieneam-
pel gefordert und die Bundesregierung aufgefordert, eine
bundesgesetzliche Grundlage für ein einheitliches und
rechtssicheres System zu legen. Der Bund ist nicht aktiv
geworden. Die Länder werden jetzt selbst aktiv werden,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Die Länder müssen das auch!)


und zwar länderübergreifend.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bundesgesetze werden immer noch vom Deutschen
Bundestag beschlossen. Dass der Bundesrat hilfsweise
aktiv wird,


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Kontrolle ist nun einmal Ihr Thema! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer hat denn die grundsätzliche Kompetenz?)


ist zwar ein Weg, aber nicht der Regelweg. Ich halte das
nicht für eine vorsorgende, vorausschauende und vor al-
len Dingen am Transparenzprinzip orientierte Verbrau-
cherpolitik des Bundes.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Am besten, man löst die Länder auf! Das wäre das Allerbeste!)


Bei Lebensmitteln sind die Befindlichkeiten der Ver-
braucherinnen und Verbraucher naturgemäß besonders
ausgeprägt. Aber auch andere Themen sind existenziell.
So können Themen des wirtschaftlichen Verbraucher-
schutzes ganz schnell wirtschaftlich gefährlich werden.
Deshalb sind auch ein besserer Schutz und eine bessere

Aufklärung von Anlegerinnen und Anlegern wesentliche
Anliegen des Bundesrates, der Länder. Auch hier stelle
ich fest, dass die Länder den Bund treiben müssen und
der Bund ganz häufig nicht liefert. Wir haben schon
lange thematisiert, dass Privatkunden keine kreditfinan-
zierten Finanzinstrumente mehr angeboten bekommen
sollen und dass der Anlegerschutz bei geschlossenen
Fonds verbessert werden soll. Wir warten immer noch
darauf, dass der Bund liefert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr wartet!)


Stattdessen erschüttert die Bundesregierung das Ver-
trauen der Menschen in die private Altersvorsorge, ins-
besondere in die Lebensversicherungen. Mit dem
SEPA-Begleitgesetz werden negative Auswirkungen des
derzeitigen Niedrigzinsumfeldes einseitig auf die Le-
bensversicherungskunden überwälzt. Eine 10-prozentige
Kürzung der Auszahlungen wäre die Folge. Der Bundes-
rat hat dieses Gesetz gestoppt und setzt sich jetzt im Ver-
mittlungsausschuss für eine ausgewogene Lösung im
Sinne aller Beteiligten ein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich frage mich natürlich: Wo war die Bundesverbrau-
cherschutzministerin, als dieses Gesetz das Kabinett pas-
sierte?

Ein weiteres großes Ärgernis ist, dass die Banken, ob-
wohl sie sich zurzeit zu einem historisch niedrigen Zins-
satz Geld leihen können, diesen Vorteil nicht an ihre
Kunden weitergeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD-regierten Länder haben eine gesetzliche Be-
grenzung des Dispozinssatzes gefordert. Die Bundes-
ministerin setzt auf einen weiteren – aus meiner Sicht
wirkungslosen – Runden Tisch.

Ich könnte die Aufzählung der Initiativen, Bitten und
Forderungen der Länder fortsetzen: Das Konto für jeder-
mann gehört dazu, Maßnahmen gegen unerlaubte Tele-
fonwerbung und gegen Abzocke bei Abmahnkosten, die
Nutzung von Kartellstrafen für Verbraucherarbeit und
eine Minimierung der Hürden bei solchen Verfahren. All
das gehört zu den Themen, die die Länder verfolgen, bei
denen sie aber vom Bund nicht den nötigen Rückenwind
bekommen.

Ich weiß, dass viele dieser Themen nicht in der Feder-
führung der Verbraucherschutzministerin liegen. Ich
weiß auch, dass die Umsetzung bei diesen Themen müh-
sam ist. Ich erlebe es ja auf der Landesebene, wie es ist,
etwas durchzusetzen, wenn andere federführend sind.
Aber ich erwarte doch, dass die Verbraucherschutzmi-
nisterin im Interesse der Verbraucher treibt und nicht
bremst.

In diesem Sinne wünschte ich mir eine Verbraucher-
schutzpolitik, bei der Bund und Länder zusammenwir-
ken können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722302100

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege

Schweickert das Wort.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1722302200

Frau Kollegin Prüfer-Storcks, was Sie gerade vorge-

tragen haben, hat mich wirklich erschüttert. Wenn das
Ihr Amtsverständnis ist, dann haben Sie gerade einen
Haufen Argumente dafür geliefert, dass man einmal da-
rüber nachdenken sollte, die Stadtstaaten abzuschaffen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nur weil Sie da herausgewählt werden, können Sie die nicht abschaffen!)


Wenn Sie wissen, dass in Hamburg Kunden in Gaststät-
ten betrogen werden, indem ihnen falsche Produkte vor-
gelegt werden, dann sind Sie in der Verantwortung, das
abzustellen, dann dürfen Sie das Material über solche
Vorfälle nicht in der Schublade verschwinden lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie das noch nicht wissen, wenn Sie Hilfe brau-
chen, dann müssen Sie die Gesetze lesen. Ich werde über
das Verbraucherinformationsgesetz, das wir novelliert
haben, einen Antrag dazu stellen. Wenn Sie nicht in die
Gänge kommen, dann sorgen wir dafür.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Zweiter Punkt. Sie kritisieren, der Bund mache nichts.
Frage an Sie: Wissen Sie, dass die Länder zuständig
sind? Sie und auch die Grünen kritisieren immer, dass in
dem Aktionsplan das Wort „Überprüfung“ zu häufig
vorkäme. Darf ich Ihnen aus einem Schreiben des Minis-
teriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Na-
tur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-West-
falen zitieren:

Ergänzend zu den Vorschlägen des Bundes schlägt
NRW

– also Herr Remmel, ein Grüner! –

folgende Punkte vor:

1. Überprüfung …

2. Überprüfung …

3. Überprüfung …

Nur Punkte, in denen keine konkreten Dinge stehen, be-
inhaltete die Tischvorlage der Länder.


(Ulrich Kelber [SPD]: Aber Herr Schweickert!)


Sie aber stellen sich hierhin, nachdem alle Länder die-
sem Nationalen Aktionsplan zugestimmt haben, und kri-
tisieren die Bundesregierung für das, was aus den Län-
dern gekommen ist.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ein bisschen mehr Seriosität, selbst für die FDP, wäre gut!)


Das ist nicht redlich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Wer hat Ihnen denn den Brief so schnell herübergebracht?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722302300

Zur Erwiderung, bitte schön, Frau Senatorin.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1722302400

Herr Abgeordneter, ich würde Ihnen empfehlen, viel-

leicht noch einmal einen Blick in die gesetzlichen
Grundlagen sowie in entsprechende Gerichtsurteile zu
werfen, die seit einigen Wochen und Monaten zu Veröf-
fentlichungen der Landesbehörden ergehen.

Es geht hier nicht um Maßnahmen; diese werden
selbstverständlich ergriffen. Es geht darum, ob wir die
Verbraucher über unsere Befunde informieren dürfen.
Und dafür sind die Hürden so hoch, dass wir über Täu-
schungen sowie über allgemeine Hygieneverstöße nicht
informieren können, sondern nur über bestimmte Pro-
dukte und Gesundheitsgefahren. Da fordern wir schon
seit langem eine bessere und niedrigschwelligere Lö-
sung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722302500

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Michael

Goldmann für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1722302600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Einstieg vorhin war ja prima. Jetzt haben
wir endlich einmal die Kernzeit, um das, was wir in der
politischen Arbeit leisten, nicht nur unter uns auszutau-
schen, sondern auch zu den Bürgerinnen und Bürgern zu
transportieren. Und was machen wir? Wir schlagen es in
einer Form kaputt, die für mich, der ich ja manchmal
durchaus auch die Attacke liebe, schon ein Stück weit
erschütternd ist. Das ging ja gestern schon los. Gestern
sagte Herr Trittin, wir seien dafür, dass Dioxineier in
Verkehr kommen. Er sagte wörtlich: „Sie wollen Dioxin
im Hühnerei, Sie wollen Pferd in der Lasagne …“ Und
heute Morgen wird so getan, als ob wir uns im Grunde
darüber freuen würden, wenn in diesen Bereichen ir-
gendetwas passiert.

Ich muss sagen, Frau Künast, wir hatten das doch
schon einmal anders. Wir kennen uns doch schon eine
ganze Zeit. Ich habe Sie als Ministerin erlebt. Wir sind
zum Beispiel auch schon mal auf Auslandsfahrten gewe-
sen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


– Nein, so „Oh!“ war das nicht; nicht, dass Sie da auf
eine komische Idee kommen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)


Wir waren uns doch einig, dass Verbraucherschutz eine
wichtige Herausforderung ist. Sie können doch auch
nicht leugnen, dass in dem Bericht, der nun erstellt wor-
den ist, jede Menge wirkliche Erfolge enthalten sind.


(Mechthild Rawert [SPD]: Von welcher Seite?)


Wir stehen natürlich auch noch vor Herausforderungen.

Aber wenn hier die geschätzte Senatorin sagt, das sei
sozusagen der Skandal des Monats – ja, liebe Freunde,
wollen wir das auf uns sitzen lassen? Wollen wir wirk-
lich akzeptieren, dass zum Beispiel die Ehec-Katastro-
phe mit der Dioxinproblematik und dem – von mir aus –
Pferdefleischskandal in einen Topf geworfen wird? Da
sind einige kriminelle Elemente am Markt, was ich sehr
bedauere. Mit Kennzeichnung, lieber Kollege Kelber,
hat das aber überhaupt nichts zu tun. Wir wissen genau,
woher das Pferdefleisch kommt. Das ist nicht das Pro-
blem. Ich bin ja dafür, dass wir – –


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann gehen Sie aber ganz schnell zu den Ermittlern mit der Information!)


– Lieber Kollege Kelber, ein bisschen Ruhe! Lebensmit-
telkennzeichnung ist für kleine Bäckereien und kleine
Fleischereien ein Riesenproblem.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist das, was ich meine! Die Lobbyisten innerhalb und außerhalb der Fraktion! – Gegenrufe von der CDU/ CSU)


– Nein, nein, Herr Kelber. Nein, nicht die Lobbyisten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wieder nicht zu Kennzeichnung! Immer das gleiche, mit jedem Ihrer Aktionspläne! Da kommen die Goldmänner und verhindern das! – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Herr Kelber, nun schreien Sie doch nicht gleich herum.
Bleiben wir einen Moment bei den Lobbyisten, wenn Sie
das schon anderen unterstellen. Was meinen Sie, wer als
Erstes auf eine durchgängige Lebensmittelkennzeich-
nung aufspringt? Die Großen, die die Urproduktion und
die gesamte Veredelungslinie in ihrer Hand haben. Für
diese ist das kein Problem. Ein Problem ist es für den
ganz normalen Bäcker oder den ganz normalen
Fleischer, der etwas in Verpackung abgibt. Der muss auf
dieser Kleinpackung, in der zwei Würstchen sind, ange-
ben, woher dieses Produkt kommt. Das weiß er fast im-
mer, wenn er es von einem Bauernhof bekommt, der
sechs Schweinchen hat. Aber das ist nicht die Lebensre-
alität.


(Zurufe von der LINKEN)


Die Lebensrealität ist, dass er auch Fleisch von anderen
hat. Wir müssen damit ein bisschen vernünftiger umge-
hen. Wenn wir Herkunftskennzeichnungen wollen, dann
sollten wir – dafür bin ich – die damit zusammenhängen-
den Probleme gemeinsam lösen.

Nächster Punkt: Verbraucherinformationsgesetz. Ich
war bei der Diskussion darüber dabei. Wir haben uns

nächtelang darum bemüht. Endlich gibt es ein Verbrau-
cherinformationsgesetz. Mit diesem Gesetz gibt es Pro-
bleme, und die haben Sie angesprochen. Die Lebensmit-
telchemiker haben mir das gestern erzählt, und das
erzählen mir auch die Lebensmittelkontrolleure, dass das
nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist.


(Zurufe von der SPD)

Lassen Sie uns doch vor diesem Hintergrund dieses Ge-
setz gemeinsam – von mir aus auch mit Ihrer Mehrheit
im Bundesrat – weiterentwickeln.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Sie haben es doch abgelehnt!)


– Elvira Drobinski-Weiß, solange du dabei warst, ist
überhaupt kein VIG zustande gekommen. Das will ich
hier doch einmal festhalten!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat es denn verhindert? Sie!)


– Frau Künast, wir können uns doch über Verbesserun-
gen unterhalten. Das ist doch kein Thema. Sie dürfen
aber nicht alles kurz und klein schlagen.

Kommen Sie doch einfach einmal in den Ausschuss.

(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Genau! Arbeiten Sie einmal mit!)

Herr Kelber, kommen auch Sie einmal in den Ausschuss.


(Ulrich Kelber [SPD]: Herr Goldmann, kommen Sie einmal in die Realität!)


Sie werden dann merken, wie wir da arbeiten. Wenn wir
im Haus anrufen bzw. Kontakt aufnehmen, kommt Frau
Aigner. Wir ändern die Tagesordnung dann so, dass auch
der Ombudsmann aus Dänemark da ist. Dieser Ombuds-
mann ist doch gefragt worden: Wo steht aus Ihrer Sicht
die Verbraucherpolitik in Deutschland im Vergleich zu
anderen europäischen Ländern? – Sie kennen doch die
Ergebnisse auf europäischer Ebene. Wir sind einer der
Besten in Europa. Der Däne hat gesagt: Wir arbeiten
zum Wohle der Verbraucher mit euren Behörden bzw.
euren Einrichtungen sehr konstruktiv zusammen.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das steht so nicht drin!)


Lassen Sie uns das doch auch hier in dieser öffentlichen
Sitzung gemeinsam tragen, statt dies in Pressemitteilun-
gen zum Ausdruck zu bringen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Frau Maisch, das meine ich ganz persönlich: Ich bin

erschüttert, dass, nur weil „AGRA-EUROPE“ drauf-
steht, die Grünen-Politikerin Nicole Maisch Frau Aigner
vorwirft, sie sitze auf dem Schoß der Industrie.


(Zurufe von der SPD: Ja!)

Wie gehen wir eigentlich miteinander um? Das ist doch
nicht Ihr Ernst!


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)






Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)


Sie wollen doch Frau Aigner nicht ernsthaft unterstellen,
dass sie sich im Schoß der Industrie wohlfühlt bzw.
suhlt. Das kann doch nicht in Ihrem Kopf sein.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit Ihnen gerade los!)


Lassen Sie uns deswegen die Dinge, wie wir das auch
im Ausschuss getan haben, gemeinsam angehen. Lassen
Sie uns gemeinsam stolz darauf sein, dass wir einen 60-
seitigen Bericht vorzeigen können, in dem von großarti-
gen Erfolgen in vielen Bereichen berichtet wird.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Lassen Sie uns einig sein, dass wir sicherlich noch das
eine oder andere zu tun haben; denn nichts ist so
schlimm für die Verbraucher wie die Skandale, die es
gibt und gab. Diese zerstören das Verbrauchervertrauen.
Wir als Politiker sind gefordert, das zu erarbeiten, es
aber nicht durch Polemisierung hier im Bundestag klein
zu schlagen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722302700

Herr Kollege!


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1722302800

Das ist keine verbraucherorientierte Politik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Goldmann in die Produktion!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722302900

Die Kollegin Karin Binder ist die nächste Rednerin

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722303000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich glaube, dass Verbraucherpolitik heute keine
Nischenpolitik mehr ist. Sie spielt eine viel größere
Rolle als früher.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und das liegt an uns!)


Das haben wir aber vor allem den Organisationen, den
Interessenverbänden und den vielen Verbraucherinnen
und Verbrauchern zu verdanken,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja!)


die sich heute viel mehr einmischen und für ihre Interes-
sen auch einstehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Diesen vielen gemeinsam arbeitenden Kräften verdan-
ken wir, dass Verbraucherpolitik heute aus dem Nischen-
dasein herauskommt.


(Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP] – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Applaus von der FDP! – Gegenruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]: Da haben Sie recht!)


Ich behaupte: Leider haben auch die großen Verbände
immer noch nicht die Kraft, die Interessen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher wirklich durchzusetzen.
Sonst hätten wir heute eine Nährwertampel. Wie viele
Menschen in diesem Land haben sich für diese Nähr-
wertkennzeichnung ausgesprochen? Frau Aigner war
aber offenbar nicht gewillt, so etwas umzusetzen. Hier
haben die Interessen des Handels und der Industrie über-
wogen. Deswegen haben wir keine Nährwertampel, ob-
wohl sie sehr vielen Menschen helfen würde, zu erken-
nen, wie viel Fett, wie viel Zucker und wie viel Salz in
den Lebensmitteln ist. Stattdessen werden Menschen
nach wie vor getäuscht, indem vorne drauf in großen
Buchstaben geschrieben steht, was nicht drin ist, zum
Beispiel: 0,0 Prozent Fett. Auf der Rückseite steht dann
in 1,2-Milimeter-Schrift, dass in diesem Softgetränk für
Kinder 21 Prozent Zucker enthalten sind. Da frage ich
Sie wirklich: Wo ist da der Verbraucherschutz? Hätten
wir die Mehrwertampel, wäre das Ganze klar und ein-
deutig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dasselbe gilt für den Smiley. Sie können diese Kenn-
zeichnung auch „Hygienebalken“ nennen; das ist völlig
egal. Hauptsache, diese Kennzeichnung kommt, damit
Menschen erkennen können: Ist der Betrieb sauber? Hält
er die Hygienevorschriften ein? Wie sieht es mit der Le-
bensmittelsicherheit aus? Das wäre eine große Hilfe für
viele Menschen.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Richtig! Genau!)


In Dänemark hat sich dieses Modell sehr bewährt.


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Aber die haben auch gar keine Lebensmittelkontrolle!)


Aber bei uns will niemand etwas davon wissen. Die Ver-
antwortung hierfür wird auf die Länder abgewälzt. Aber
der Bund könnte hier sehr wohl Verantwortung überneh-
men und sagen: Wir führen diese Kennzeichnung ein,
und zwar sofort. Wer hindert uns denn daran?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722303100

Also, ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich mit Blick

auf die großzügig bewirtschaftete Redezeit nun keine
Wortmeldungen zur weiteren Verlängerung der Redezeit
zulassen möchte. – Bitte schön.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722303200

Gut. – Ich komme dann zum nächsten Punkt, dem

Pferdefleischskandal. Er ist einer von vielen Skandalen,
die wir in dieser Legislaturperiode zu behandeln hatten.
Ich freue mich sehr, dass wir aufgrund der Erkenntnisse
inzwischen alle sagen: Herkunftskennzeichnung muss
sein, und zwar die ganze Kette durch. Jeder Verbraucher





Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)


und jede Verbraucherin muss Bescheid wissen: Woher
kam dieses Tier? Wo ist es geboren? Wo wurde es aufge-
zogen, gemästet und geschlachtet?


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Hätte das denn geholfen?)


Wunderbar, dass sich diese Erkenntnis endlich durchge-
setzt hat. Diese hätten wir aber auch schon vor vier Jah-
ren haben können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die ist doch jetzt schon da! – Mechthild Heil [CDU/CSU]: Hätten wir dann die kriminellen Machenschaften stoppen können?)


Die Menschen können auf der Verpackung eines in-
dustriell gefertigten Lebensmittels nicht nachvollziehen,
woher die Ware kommt. Ich bin mir sicher, dass heutzu-
tage viele Menschen aus Umweltbewusstsein und aus
sozialem Anspruch heraus ein großes Interesse daran ha-
ben, informiert zu werden und damit besser Bescheid zu
wissen. Das alles aber wurde im Interesse der Industrie
und des Handels bisher verhindert, sodass nichts offen-
gelegt werden musste.


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Glauben Sie denn, da hätte „Pferd“ draufgestanden?)


Jetzt aber wird das endlich anders. Das ist gut und rich-
tig.

Wir haben aber trotzdem ein Problem. Bei den
Fleischbeimischungen in gewissen Waren geht es ja
nicht in erster Linie um das Pferdefleisch. Es geht da-
rum, dass hier getrickst und getäuscht wird, damit es bil-
liger wird, damit Lebensmittel möglichst als Lockvogel-
angebote eingesetzt werden können. Das darf so nicht
sein. Langfristig geht das nämlich auf Kosten der Quali-
tät. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Qualität von
Lebensmitteln leidet, damit diese möglichst billig sind;
denn auch Menschen mit wenig Geld haben einen An-
spruch darauf, dass die Lebensmittel, die sie kaufen, si-
cher sind.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese Sicherheit muss gewährleistet werden, egal zu
welchem Preis. Lebensmittel müssen sicher sein. Des-
halb dürfen keine Medikamentenreste und keine Schad-
stoffe enthalten sein.

All diese Themen spielen leider noch eine untergeord-
nete Rolle, wenn es darum geht, Informationen offenzu-
legen. Die Menschen haben keinen Anspruch darauf,
rasch informiert zu werden. Die Behörden müssten ver-
pflichtet sein, zu informieren, wenn ein Lebensmittel
falsch deklariert wurde oder wenn es belastet ist. Aber
heutzutage läuft das darauf hinaus, dass das der Handel
oder die Hersteller machen müssen. Die machen das nur
in aller Stille, damit möglichst wenige davon erfahren,
weil das nicht gut fürs Geschäft ist.

Die Behörden müssen in die Pflicht zu rascher Infor-
mation genommen werden. Genauso wie der Bund in die
Pflicht genommen werden muss, wenn es um die Kon-
trolle von Lebensmitteln von internationalen Konzernen,

von global agierenden Lebensmittelherstellern geht.
Diese Aufgabe kann nicht in der Gemeinde oder auf
Landesebene bewältigt werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Hamburg!)


Wir brauchen die Verantwortung des Bundes, wenn es
darum geht, Lebensmittel zu kontrollieren, die von inter-
national agierenden Herstellern oder Handelsunterneh-
men kommen. Diese Aufgaben werden leider vernach-
lässigt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte ganz zum Schluss noch auf den Kollegen
Hartwig Fischer zu sprechen kommen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722303300

Den können Sie jetzt aber nur noch kurz grüßen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722303400

Mein letzter Satz. – Ich halte die Forderung von Herrn

Hartwig Fischer, die aus dem Verkehr genommenen Pro-
dukte an Hilfsorganisationen weiterzugeben, für nicht
hinnehmbar. Ich halte das für unmoralisch und für
höchst bedenklich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Arme Menschen dürfen nicht zum Müllschlucker der
Nation gemacht werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Entweder sind diese Produkte zu vernichten, weil sie
nicht den Standards entsprechen, oder sie müssen umeti-
kettiert werden; dann spricht nichts gegen eine Weiter-
gabe.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch klar! Unterstellen Sie Herrn Fischer doch nichts, was er gar nicht gesagt hat! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Das war jetzt mein Schlusssatz.

Frau Aigner, ich glaube, Sie sollten sich ein Stück
mehr gegen Ihren Kollegen Wirtschaftsminister durch-
setzen, damit tatsächlich der Verbraucherschutz –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722303500

Frau Kollegin.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722303600

– im Vordergrund steht und nicht die Profitinteressen

von Handel und Industrie.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722303700

Nicole Maisch ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722303800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Herr Goldmann, Sie haben sich beschwert, dass der poli-
tische Konflikt, den wir hier in diesem Haus offensicht-
lich haben, heute Morgen doch auch mit deutlichen Wor-
ten ausgetragen wird. Ich finde das ganz normal.

Wir haben in der Verbraucherpolitik einen Konflikt;
das wissen Sie aus dem Ausschuss. Sei es Gentechnik,
sei es Massentierhaltung: Hier gibt es einfach politische
Konflikte, und es ist das Wesen eines Konflikts, dass
dieser wortreich und teilweise auch mit derberen Worten
ausgetragen werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wir brauchen keine derberen Worte!)


Was mich neben dem Krisenmanagement, das man
wirklich noch verbessern könnte, wirklich ärgert, ist,
dass Schwarz-Gelb am Abarbeiten von verbraucherpoli-
tischen „Brot-und-Butter-Themen“, wie die FDP sie
gerne nennt, scheitert. Brot und Butter wäre, die Ab-
zocke zu stoppen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das haben wir!)


Erik Schweickert hat gesagt: Wir haben die Abzocke ge-
stoppt.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Haben wir auch!)


Leider nein.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Doch!)


Gestern kam schon wieder ein neuer Gesetzentwurf ge-
gen unseriöse Geschäftspraktiken. Ist das jetzt der
letzte? Wann kommt endlich der Schutz vor lästiger Te-
lefonwerbung, vor untergeschobenen Verträgen am Tele-
fon, vor betrügerischen Inkasso- und Abmahnfirmen im
Internet? Sie müssen diesen Gesetzentwurf jetzt endlich
einmal aus dem Entwurfsstadium befreien und zu einem
Gesetz machen. Dann wäre es richtig, zu sagen: Wir ha-
ben die Abzocke gestoppt. Vorher ist das Selbstbetrug.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Besser informieren!)


– Was heißt denn „Besser informieren!“? Wo ist der Ge-
setzentwurf? Wir haben immer wieder neue Gesetzent-
würfe vorgelegt bekommen. Die Abzocke könnte ge-
stoppt werden, indem man hier einen Gesetzentwurf
verabschiedet. Daran sind Sie gescheitert. Besonders
peinlich für die Verbraucherministerin finde ich, dass
das immer wieder von der Union torpediert worden ist.
Das heißt, Ihr eigener Laden „zerschießt“ Ihnen die Ge-
setzentwürfe gegen unseriöse Geschäftspraktiken. Das
finde ich ziemlich schwach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Machen wir weiter mit den Ankündigungen zum Ver-
braucherschutz im Finanzbereich. Frau Aigner hat ge-
sagt: Alles, was wir angekündigt haben, haben wir auch
durchgesetzt. – Überprüfen wir das doch einmal am Bei-
spiel des Themas Honorarberatung:

Bereits 2008 hat Ilse Aigner angekündigt, die Hono-
rarberatung zu fördern. Gestern, am späten Abend, wur-
den dann die kläglichen Reste dieses Versprechens ver-
handelt. Eine Öffentlichkeit war für diese Debatte
offensichtlich nicht gewünscht. Man hat sie ganz ans
Ende der Tagesordnung verschoben.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit! Auf Wunsch der Grünen sind die Reden zu Protokoll gegeben worden!)


– Sie sind nicht auf Wunsch der Grünen zu Protokoll ge-
geben worden. Nein, das ist falsch.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Nein, das ist richtig!)


– Nein, das ist nicht richtig. Wenn es Ihnen ein Anliegen
gewesen wäre – –


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ich wollte die Rede halten!)


– Das ist doch geschwindelt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denk an die Zeit! Er will dir nur die Redezeit stehlen!)


– Okay, Sie stehlen meine Redezeit; das geht jetzt leider
nicht.

Dieser Gesetzentwurf – Sie werden ja vielleicht noch
etwas dazu sagen – ist eine Farce. Er dient einzig dem
Zweck, die Honorarberatung für Kunden und Anbieter
unattraktiv zu machen.

Was hätten Sie machen müssen, wenn Sie wirklich
eine Honorarberatung gewollt hätten? Sie hätten für Net-
totarife und eine steuerliche Gleichstellung von Honorar
und Provision bezüglich der Abgeltungsteuer sorgen
müssen. Was machen Sie stattdessen? Sie erfinden ein
kastriertes Konstrukt „Honoraranlagenberater“, der aus-
schließlich zu Instrumenten nach WpHG beraten darf.
Das ist doch keine umfassende Finanzberatung. Das ist
lächerlich und hat überhaupt nichts mit Förderung der
Honorarberatung zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie haben doch keine Ahnung!)


Liebe Frau Aigner, das Körbchen mit zu erledigenden
Dingen auf Ihrem Schreibtisch quillt über. Ich nenne nur
einige Themen: Kartellstrafen, Begrenzung von Dis-
pozinsen, Girokonto für alle, verdeckte Testkäufer bei
der BaFin, was Sie schon vor Monaten versprochen ha-
ben, Schlichtungsstellen, Hygieneampel, das Gesetz
zum besseren Schutz für Whistleblower. Ich finde, wenn





Nicole Maisch


(A) (C)



(D)(B)


man ein so volles Körbchen mit zu erledigenden Dingen
hat, ist es gut, dass man bald den Schreibtisch räumt.

Ich bedanke mich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722303900

Ich bedanke mich für die beispielhafte Einhaltung der

Redezeit und erteile nun das Wort der Kollegin
Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1722304000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Auf über 60 Seiten zieht das Bundes-
ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz eine verbraucherpolitische Bilanz,


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Quantität ist kein Kriterium!)


und es ist eine beeindruckende Bilanz.

Die christlich-liberale Verbraucherpolitik ist erfolg-
reich. Meine Kollegen von CDU/CSU und FDP haben
die Erfolge von uns, die vielen großen, aber auch die
kleinen Erfolge, schon aufgezählt. Deswegen möchte ich
heute hier die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu erklären,
warum wir genau so handeln, wo unsere Grundlagen lie-
gen, wie wir den Verbraucher sehen und was eigentlich
unser Leitbild des Verbrauchers ist. Ich spreche bewusst
nicht vom Leitbild des mündigen Verbrauchers. Die SPD
unterstellt in ihrem Antrag zur Verbraucherpolitik:

Die Bundesregierung hat versäumt, das verbrau-
cherpolitische Leitbild des „mündigen Verbrau-
chers“ weiterzuentwickeln.


(Zuruf von der SPD: Genau!)


Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, wir sind
da einfach schon viel weiter als Sie.


(Lachen bei der SPD)


Wir entwickeln unser Verbraucherbild laufend weiter,
und wir passen es natürlich den Realitäten des Lebens
an.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Welchen?)


Weil sich die Realitäten ständig ändern – als Beispiel sei
nur die Dynamik in der digitalen Welt genannt –, passen
wir unser Verbraucherbild immer wieder an. Adorno hat
„mündig“ einmal so definiert:

Mündig ist der, der für sich selbst spricht, weil er
für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet



(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es nicht! Es geht nicht um „mündig“! Es geht um „informiert“!)


Der Verbraucher kann heute nicht in allen Bereichen,
die ihn betreffen, alle Informationen überblicken, über-
denken, bewerten und dann die perfekte Entscheidung
treffen. Das Warenangebot ist einfach riesig. Es gibt
über 100 000 verschiedene Lebensmittelprodukte in den
Supermärkten, und es gibt etwa 800 000 Finanzprodukte
auf dem Markt. Wer kann sich da noch auskennen?
Wenn Sie sich morgens die Zähne putzen, dann können
Sie entscheiden, ob Sie das mit einem Schwingkopf oder
elektrisch tun oder ob Sie Ihren Zahnbelag per Schall
entfernen. Diese Angebotsfülle ist unbeschreibbar, ist
klasse; das ist wirklich Luxus. Wir leben in einem Land
von Luxus. Aber diese Angebotsfülle kann den Einzel-
nen eben auch überfordern.

Wir können ja nicht alle Bereiche gleich tief durch-
dringen – das ist sehr schwierig –, um dann die bestmög-
liche Entscheidung zu treffen. Dafür brauchen wir also
Informationen. Aber gute Informationen führen nicht
zwangsläufig zu den richtigen Entscheidungen. Die
spannende Frage ist deshalb: Wie finde ich bei der
Menge an Informationen die Information, die mir wirk-
lich hilft?

Das, was der Begriff „mündiger Verbraucher“ meint,
ist also ein Ideal, nicht nur für Philosophen.


(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Vor diesem Hintergrund entwickeln wir unsere Verbrau-
cherpolitik und unser Verbraucherbild weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verbraucherforschung zeigt: Es gibt den kriti-
schen und den informierten Verbraucher. Diese Verbrau-
cher erwarten von uns zu Recht umfassende Information
und Transparenz.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist auch schon bei der CDU angekommen?)


Das ist einer der Schwerpunkte unserer Arbeit.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Seit wann denn das?)


Deshalb haben wir den Etat für Verbraucherinformation
im Haushalt 2013 auch erhöht.

Die weitaus meisten Verbraucher verhalten sich aller-
dings eher wie vertrauende Verbraucher. Der vertrau-
ende Verbraucher hat weder Zeit, noch hat er manchmal
Interesse, sich umfassend zu informieren. Er erwartet
deshalb von uns – das mit allem Recht –, dass wir die
nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit er gute
Entscheidungen treffen kann, ohne dass er sich erst sei-
tenweise durch Informationsmaterial durchkämpfen
muss. Er will sich auf die öffentlich zugänglichen Aus-
sagen über die Qualität und die Preise von Produkten
verlassen können. Und das, meine sehr verehrten Damen
und Herren, kann er auch; denn wir in Deutschland ha-
ben sehr gute Rahmenbedingungen.

Wir treten für eine moderne Verbraucherpolitik ein,
die vor Gefahren und Täuschungen schützt


(Mechthild Rawert [SPD]: Ein bisschen konkreter!)






Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


und Selbstbestimmung gewährleistet. Die Verbraucher
können vertrauen, und darauf sind wir stolz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist der Betrug mit dem umetikettierten Pfer-
defleisch so ungeheuerlich. Das Vertrauen in eine ganze
Branche – das ist der eigentliche Skandal – wird erschüt-
tert, weil Einzelne kriminell handeln.

Frau Künast, ein Wort zu Ihnen. Auch Sie konnten
kriminelle Machenschaften nicht verhindern.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch nicht der Punkt! – Zurufe von der SPD)


Ich erinnere Sie nur an Nitrofen und Acrylamid.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Acrylamid ist nicht aus der Welt!)


Auch Sie konnten es nicht verhindern. Wir sagen nun:
Die verantwortlichen Unternehmer müssen zur Rechen-
schaft gezogen werden und mit aller Härte unseres
Rechtsstaates bestraft werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


An dieser Stelle auch von mir der Dank an unsere
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner! Sie haben
wirklich schnell und gut reagiert. Gute Reaktionen: Das
ist unsere Politik. Das ist das herausragende Merkmal
unserer Verbraucherpolitik. Wir reagieren.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reagieren allenfalls auf dem Papier!)


Wir reagieren nicht nur auf Skandale, sondern wir re-
agieren auf die Umstände und auf die Bedingungen, mit
denen die Verbraucher konfrontiert werden. Verbrau-
cherschutz ist aber kein Naturschutz. Für uns sind Ver-
braucher keine gefährdete Froschart, die wir hätscheln
und einzeln über die Straße tragen.


(Lachen der Abg. Elvira Drobinski-Weiß [SPD] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn jetzt eigentlich gegen Naturschutz? Wir müssen wohl Herrn Altmaier herbeizitieren für eine Stellungnahme! Frau Merkel redet doch über Diversität!)


Wir bauen ihnen Brücken, aber wir überlassen ihnen die
Entscheidung, ob sie überhaupt über die Straße gehen
wollen. Wir trauen den Menschen etwas zu, und wir ach-
ten ihre individuellen Entscheidungen. Deshalb geht un-
sere Verbraucherpolitik auch mit Augenmaß und Ver-
trauen vor.


(Zuruf von der SPD: Das merkt nur keiner!)


Die Opposition dagegen setzt auf Skandal und
Drama. Auch heute haben wir wieder ein Stück weit eine
Kostprobe davon bekommen. Skandal und Drama:
Überall lauern Gefahren. Ständig wird man abgezockt
und hintergangen.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist doch die Realität!)


Traue niemandem! – Ich gebe zu: Manchmal ist es sogar
nötig, einen Sachverhalt zu skandalisieren, um Druck zu
erhöhen. Aber seien wir ehrlich, und seien auch Sie an
der Stelle ehrlich: Der eigentliche Grund dafür ist immer
ganz profan: Skandale bringen Schlagzeilen. Nur darum
geht es Ihnen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der Vorwurf an Frau Aigner ist nicht fair! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, hilft das am Ende
den Verbrauchern? Nein, Ihre Art der Verbraucherpoli-
tik, zusammengesetzt aus Skandal und Verunsicherung,
hilft nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Denn am Ende des Tages bleiben nur die Verunsicherung
und das Misstrauen.

Wo ist denn Ihre verbraucherpolitische Strategie?


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Lesen! Schicken wir Ihnen zu! – Mechthild Rawert [SPD]: Lesen!)


Wo leisten Sie denn einen einzigen Beitrag, damit das
Vertrauen der Verbraucher in die Wirtschaft gestärkt
wird? Wo sensibilisieren Sie die Wirtschaft für die Sicht-
weise der Verbraucher? Mir fällt dazu keine einzige noch
so winzige vertrauensbildende Maßnahme von Ihnen
ein.


(Mechthild Rawert [SPD]: Lesen! Lesen!)


Skandal und Verunsicherung: Das ist Ihr Metier. Kon-
trolle, Pranger und staatliche Eingriffe sind Ihre Mittel
dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Mein Gott!)


Damit leisten Sie den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern in Deutschland ebenso wie der Wirtschaft, ja unse-
rem ganzen Land einen Bärendienst.

Nehmen Sie einfach unseren Verbraucherpolitischen
Bericht zur Hand und lesen Sie nach, wie gute Verbrau-
cherpolitik funktioniert!


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Schade um die Zeit, Frau Kollegin!)


Dann kämen wir auch bei uns ein Stück weiter.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722304100

Die Kollegin Drobinski-Weiß ist die nächste Rednerin

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1722304200

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren auf

den Rängen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-
ben in den vergangenen Tagen und auch heute wieder
viel zum Pferdefleischbetrug gehört – ein weiterer Skan-
dal um Lebensmittel, der sich in eine lange Reihe fügt
und das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher in die Lebensmittelwirtschaft, aber auch in die Poli-
tik erschüttert. Zehn-Punkte-Pläne voller Prüfaufträge
helfen wenig. Wir brauchen grundlegende Veränderun-
gen in der Verbraucherpolitik und im Markt.

Ganz deutlich ist doch geworden: Die Verbraucher-
politik ist im Ministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft falsch aufgehoben. Wir brauchen eine neue Res-
sortaufteilung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Noch bei jedem Lebensmittelskandal haben Sie sich ge-
scheut, die Lebensmittelwirtschaft mit echten Konse-
quenzen zu konfrontieren. So kann man die Interessen
der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht konsequent
vertreten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-
rungsfraktionen, Sie haben heute noch einmal die
Chance, die Beschlussempfehlung abzulehnen und unse-
rem Antrag zur Neuausrichtung der Verbraucherpolitik
zuzustimmen und damit zu beweisen, dass Sie bereit
sind, endlich Konsequenzen aus der beim Pferdefleisch-
betrug erneut sichtbar gewordenen Marktintransparenz
und dem Ungleichgewicht der Kräfte zwischen Verbrau-
cherinnen, Verbrauchern und Anbietern zu ziehen. Sie
können mit uns zusammen gute Verbraucherpolitik ma-
chen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol-
len nämlich den Markt, der für die Menschen da ist, Frau
Kollegin Heil. Wir wollen einen wirksamen Verbrau-
cherschutz und die Stärkung der Rechte der Verbraucher
und ihrer Möglichkeiten zur Mitgestaltung statt, wie Sie,
Herr Holzenkamp, behauptet haben, zur Bevormundung.
Zum „Markt für die Menschen“ gehören aber auch faire
Arbeitsbedingungen und verantwortungsvoll agierende
Unternehmen sowie ein transparentes Angebot am
Markt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Leider interessiert sich die Bundesregierung bisher
wenig für die Situation der Verbraucher. So wurde der
Verbraucherpolitische Bericht nicht für eine ehrliche Be-
standsaufnahme genutzt; stattdessen wurde beschönigt
und gedichtet. Da ist von der gestärkten Marktposition
der Verbraucher die Rede, von der gewährleisteten
Sicherheit und Selbstbestimmung und von den durch
Verbraucherinformation und -bildung gestärkten All-
tagskompetenzen. Doch wie wenig hat das mit der Reali-
tät zu tun, mit der Intransparenz am Markt, wo Verbrau-
chern ein Pferd für ein Rind vorgemacht wird, und mit
„Interrail für tote Tiere“, wie die Presse diesen sich quer

durch Europa ziehenden Fleischhandel bezeichnet hat.
Diese Bundesregierung hat eben keine verbraucherpoli-
tische Strategie. Wenn Skandale Verwerfungen am
Markt offenbaren, reagiert sie mit zweifelhaften Infor-
mationsangeboten, leeren Ankündigungen oder freiwilli-
gen Vereinbarungen mit der Wirtschaft.

Wir brauchen keine Märchen. Wir brauchen eine
gründliche Analyse der Schwächen bei der Regulierung
des Marktes, bei der Überwachung, der Transparenz, der
Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen Regeln und Instrumente, die auf die realen
Verbraucher und ihre Bedürfnisse und Probleme zielen
und wirken. In einem Verbrauchercheck müssen wir de-
ren Wirksamkeit überprüfen. Wir müssen wissen, wie
Verbraucher wirklich ticken und wie zum Beispiel Infor-
mationen für Verbraucher aussehen müssen, damit sie
verständlich, vergleichbar und schnell erfassbar sind.
Hierbei wollen wir die Ergebnisse der Verbraucherfor-
schung, insbesondere der Verhaltensökonomie, nutzen.
Ich bin doch sehr überrascht und auch fast erfreut, dass
das mittlerweile auch bei der CDU angekommen ist.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh, das baut uns aber auf!)


Wo muss denn der Markt transparenter werden, damit
Verbraucher selbstbestimmt entscheiden können? Wo
müssen denn die Anbieter stärker in die Pflicht genom-
men werden? Wo muss der Staat für mehr Schutz sor-
gen? Das sind die Fragen, die wir angehen müssen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-
ben ein Gesamtkonzept, wir haben Leitlinien für eine
Neuausrichtung – dabei lege ich Wert auf das Vorwort
„Neu-“ – der Verbraucherpolitik erarbeitet. Wir wollen
einen anderen Markt, einen sicheren und transparenten,
einen gerechten und auch nachhaltigen Markt.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir auch!)


Wir wollen einen verbraucherfreundlichen Markt, und
wir wollen endlich eine gute Verbraucherpolitik machen.
Helfen Sie uns dabei und unterstützen Sie unseren An-
trag! Dann haben wir wirklich eine neue Verbraucher-
politik gemeinsam auf den Weg gebracht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722304300

Gitta Connemann hat nun für die CDU/CSU-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1722304400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wissen

Sie, welcher Tag gestern war?


(Karin Binder [DIE LINKE]: Ein schöner Tag! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Donnerstag!)






Gitta Connemann


(A) (C)



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– „Ein schöner Tag“, das freut mich. – Es war der Tag
der Muttersprache. Deutsch ist nach wie vor eine der
großen Kultursprachen dieser Welt – noch. Wir stellen
fest, dass Englisch die deutsche Sprache in vielen Le-
bensbereichen zunehmend verdrängt. Sie werden sich
fragen: Was hat das mit dieser Debatte zu tun? Ich sage
Ihnen ganz deutlich: Das ist auch eine Frage des Ver-
braucherschutzes. 30 Prozent der Deutschen sprechen
kein Englisch, sie werden ausgegrenzt von Begriffen wie
„sale“, „letter of intent“ oder „McClean“. Das erscheint
Ihnen gerade lächerlich; ich höre das. Aber haben Sie
selbst schon einmal versucht, Frau Kollegin, zu verste-
hen, was sich hinter dem „Hydra Moisturizing Balm“
verbirgt, mit dem Sie sich pflegen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Vielen Menschen ist das nicht möglich. Damit fehlt
aber eine Voraussetzung, um sich eigenverantwortlich
entscheiden zu können: Das ist eine verständliche Spra-
che.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Wir, die christlich-liberale Koalition, haben deshalb Gel-
der für die Einstellung von Sprachförderkräften in Kitas
mit dem Programm „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Inte-
gration“ bereitgestellt. Wir haben dafür gesorgt, dass in
unseren Ministerien auf Bundesebene Gesetzestexte,
Veröffentlichungen und auch die Kommunikation in ver-
ständlicher deutscher Sprache verfasst werden. Wir wün-
schen uns das übrigens auch von den Ländern. Aber da
fehlen uns leider noch die Mitstreiter, Frau Senatorin
Prüfer-Storcks. Das hat nichts mit Deutschtümelei zu
tun, sondern mit Teilhabe und damit auch mit Verbrau-
cherschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieses Beispiel zeigt, dass Verbraucherpolitik eine
Querschnittsaufgabe ist, die viele politische Fachberei-
che betrifft. In den letzten Jahren sind ganz wichtige
Schritte hin zu einer strategischen Ausrichtung der Ver-
braucherpolitik getan worden: die Weiterentwicklung
des Verbraucherministeriums, die Stärkung des Verbrau-
cherzentrale Bundesverbandes und der Stiftung Waren-
test sowie nicht zuletzt die Vorlage des heutigen Be-
richts, Frau Ministerin.

Der Verbraucherpolitische Bericht stellt eine Erfolgs-
bilanz nicht nur für uns, sondern insbesondere auch für
Sie dar, liebe Frau Ministerin Aigner. Ihr aktueller Coup,
der in den Bericht noch gar nicht aufgenommen ist und
den wir in einer eigenen Debatte bewerten könnten, ist
der Entwurf eines Gesetzes gegen unlautere Geschäfts-
praktiken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn anders als die Kollegin Maisch dargelegt hat, hat
das Kabinett diesen Entwurf inzwischen verabschiedet.
Dieses Gesetz wird Verbraucher vor Abmahnzocke, be-
trügerischer Telefonwerbung und unseriösem Inkasso
schützen. Das ist Verbraucherschutz pur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Genauso eindrucksvoll wie dieses Gesetz ist das A
bis Z der Verbraucherpolitik der Ministerin. Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern geht es heute wirklich besser;
das stellt der Bericht fest. Während die Ministerin in ih-
rer Rede Bilanz zog, war es auffällig, in welcher beson-
deren Lautstärke hier im Plenum geschrien wurde. Für
mich gilt hier der Satz von Wilhelm Busch: „Der Neid
ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“ Diese An-
erkennung ist Ihnen in Gänze zuteilgeworden, Frau
Ministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Bilanz unserer Ministerin ist auch das Spiegelbild
des Misserfolgs der anderen. Deshalb verstehe ich, dass
insbesondere Sie, Frau Kollegin Künast, persönlich so
gekränkt waren. Das wurde angesichts der Raserei deut-
lich, in der Sie den Bericht kommentiert haben. Aber ich
hätte mich gefreut, liebe Frau Kollegin Künast, wenn Sie
auch einmal Ihre Konzepte vorgestellt und Ihre Antwor-
ten auf Veränderungen unserer Welt dargelegt hätten,
und zwar auch im Sinne der Verbraucher; denn heute
verbraucht der Verbraucher nicht mehr nur allein, son-
dern ist zum Teil auch selbst Anbieter von Daten bis hin
zu Energie. Sein Ansprechpartner ist nicht mehr der
Tante-Emma-Laden, sondern der weltweit tätige Kon-
zern. Durch das Internet scheint die große Welt auf dem
Rechner greifbar nah zu sein. Politik kann und soll – so
verstehen wir Verbraucherpolitik – dem Verbraucher
nicht die Verantwortung für seine Entscheidungen ab-
nehmen. Aber wir müssen zum Beispiel die Vorausset-
zungen dafür schaffen, dass er auf Augenhöhe mit gro-
ßen Anbietern agieren kann.

Das beste Beispiel ist der digitale Verbraucherschutz.
Es ist bereits sehr viel getan worden. Aber die Entwick-
lung zeigt, dass wir noch mehr tun müssen. Heute sind
persönliche Daten häufig Handelsware, ohne dass der
Verbraucher es weiß. Wir brauchen deshalb den Schutz
persönlicher Daten vor dem Zugriff durch Dritte. Dies
muss schon in der Schule beginnen. Ich hätte mir ge-
wünscht, Frau Senatorin, dass Sie auch dazu etwas ge-
sagt hätten. Der Umgang mit dem Internet gehört in den
Lehrplan der Schulen. Aber bislang lässt sich dort nichts
finden. Dafür tragen Sie Verantwortung. Es wird viel ge-
redet, aber nicht gehandelt. Vielleicht fangen Sie persön-
lich damit an, das zu ändern.

Der Datenschutz ist bei der Entwicklung neuer Geräte
fortzuführen. Programme und Anwendungen müssen
künftig noch stärker darauf überprüft werden, inwieweit
Datenschutz ausreichend praktiziert wird, übrigens auch
in unseren Forschungsprogrammen. Sehr wichtig wird
die EU-Datenschutz-Grundverordnung sein; denn dort
wird zukünftig einheitlich für ganz Europa geregelt wer-
den, wie Datenschutz verstanden wird, auch ob es ein
Recht auf Löschung bzw. Vergessen des Internets gibt.

Ich bin unserer Ministerin außerordentlich dankbar,
dass sie sich auf EU-Ebene dafür einsetzt, dass es genau
zu diesen Funktionen kommt, nämlich zum Löschen und
zum digitalen Vergessen. Denn unter über das Internet
zugänglichen Informationen können Menschen tatsäch-
lich ihr Leben lang leiden. Für den Einsatz der Ministe-
rin insoweit meinen herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)


In Gänze hat die Debatte für mich nur eines gezeigt:
Sie haben lediglich Fragen. Wir haben die Antworten –
und das ist auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722304500

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1722304600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

möchte zum Verbraucherschutz im Finanzdienstleis-
tungsbereich reden, und zwar deswegen, weil dieses
Thema durchaus relevant ist. Es ist legitim, dass wir in
diesen Markt mit Regulierung eingreifen, auch deswe-
gen, weil die Bedeutung von Finanzentscheidungen für
die Lebensentwürfe von Menschen ungeheuer ist.

Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Wenn Sie
als junger Mensch eine Altersversorgung abschließen
und dann mit 65 oder 67 feststellen, dass das entspre-
chende Produkt nicht funktioniert hat, dann ist Ihr Leben
verpfuscht, weil Sie Ihre Entscheidung nicht rückgängig
machen können. Vor diesem Hintergrund ist es gut und
richtig, dass sich diese Bundesregierung wie keine Bun-
desregierung zuvor des Verbraucherschutzes im Finanz-
dienstleistungsbereich angenommen hat. Dafür möchte
ich der Ministerin ausdrücklich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich habe diese ohnmäch-
tige Wut, diesen Zorn in der Rede von Frau Künast er-
lebt. Das war doch wohl viel Zorn und Wut gegen sich
selbst, weil sie in ihren sechs Jahren als Ministerin


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war gar nicht aufgeregt! Was ist denn in Sie gefahren?)


im finanziellen Verbraucherschutz nichts auf die Kette
gekriegt hat


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und wahrscheinlich in ihrer politischen Biografie auch
nichts mehr auf die Kette kriegen wird, und das ist gut
so.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache und nicht zu Ihrem Dilemma!)


Ich stelle einmal die Einzelmaßnahmen vor, die wir
im finanziellen Verbraucherschutz durchgeführt haben:
Wir haben mit dem Anlegerschutz- und Funktionsver-
besserungsgesetz angefangen. Wir haben dort die offe-
nen Immobilienfonds reguliert. Wir haben dafür gesorgt,
dass die bankbasierten Berater registriert werden, dass
sie Sachkunde nachweisen müssen, dass sie Wohlverhal-
tenspflichten haben, dass sie haften müssen. Wir haben
ein Produktinformationsblatt eingeführt.

Wir haben dann die OGAW-IV-Richtlinie umgesetzt.
Das hört sich wenig spannend an; aber dadurch haben

wir bessere Investmentfonds geschaffen und ein Key In-
formation Document eingeführt, das den Verbraucher-
schutz verbessert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben eine Richtlinie umgesetzt, die Sie umsetzen mussten! Das ist ja eine herausragende Leistung!)


Wir haben dann mit dem Finanzanlagenvermittlerge-
setz dafür gesorgt, dass eine ganze Branche aus dem
grauen Kapitalmarkt herausgekommen ist. Wir haben
dafür gesorgt, dass die Prospekthaftungspflichten ver-
bessert werden. Wir haben dafür gesorgt, dass auch die
freien Finanzanlagevermittler registriert werden müssen,
Sachkunde nachweisen müssen, dass sie haften müssen,
dass sie Wohlverhaltenspflichten eingehen müssen.

Wir haben darüber hinaus die Provisionen im Bereich
der privaten Krankenversicherung und Lebensversiche-
rung gedeckelt. Wir haben im Gesetz zur Neuordnung
der deutschen Finanzaufsicht dafür gesorgt, dass der
Verbraucherschutz das erste Mal bei der BaFin vernünf-
tig verankert worden ist. Das ist das, was SPD-Finanz-
minister elf Jahre lang nicht geschafft haben, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben gestern Abend die Umsetzung der AIFM-
Richtlinie vorgelegt, ein 600-Seiten-Werk, mit dem wir
wesentliche Verbesserungen im Bereich des gesamten
Investmentvermögens erzielt haben. Wir haben einen
Quantensprung geschafft, ein Kapitalanlagegesetzbuch,
das Rechtsgeschichte schreiben wird. Wir haben gestern
Abend zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre-
publik den Entwurf einer Regulierung des Bereiches der
Honorarberater eingebracht. Wir haben ein Berufsbild
der Honorarberater im Bereich der Anlageberatung ge-
schaffen, und das ist gut und richtig.

Wir sind dabei, die Fehler aus den vergangenen Le-
gislaturperioden auszumerzen. Wir haben in der Großen
Koalition, was ich ausdrücklich gutheiße, ein Beratungs-
protokoll eingeführt. Dieses Protokoll funktioniert aber
nicht so, wie wir uns das gedacht haben. Deswegen eva-
luieren wir es, und wir werden zügig Vorschläge unter-
breiten, wie man das noch besser machen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir bringen uns unglaublich stark in den Prozess un-
serer europäischen Kollegen ein, die mit der Überarbei-
tung der Richtlinie für Finanzinstrumente, MiFID II, ein
ganz dickes Verbraucherschutzpaket in Angriff nehmen.
Wir haben darüber hinaus unglaublich viele Einzelmaß-
nahmen auf den Weg gebracht, so die Verbesserung der
Qualität im Zahlungsverkehr, die Verbesserung bei den
Geldautomaten, das Pfändungsschutzkonto und sehr
viele andere Sachen.

Der beste Verbraucherschutz für die Menschen in die-
sem Land ist immer noch, wenn die Finanzmärkte stabil
sind, wenn die Menschen das, was sie angelegt haben,
nicht verlieren. Dass diese Finanzmärkte in diesem Land
stabil sind, dass nicht noch einmal das passiert, was im
Jahr 2008 passiert ist, dazu haben wir beigetragen, in-





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


dem wir über 25 Maßnahmen und Projekte auf den Weg
gebracht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir haben uns an der ge-
samten Wertschöpfungskette orientiert. Wir haben die
Märkte reguliert. Wir haben die Produkte reguliert. Wir
haben die Vertriebswege reguliert. Wir kümmern uns
auch darum, dass die Produkte vernünftig bleiben, wenn
sie von dem Verbraucher erworben worden sind.

Frau Künast, die höflicherweise gerade aufgestanden
ist und den Saal verlassen hat, während ich rede, hat die
Bewertungsreserven angesprochen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verpasst nichts! – Zuruf von der CDU/CSU: Sie muss zum Fernsehen!)


Sie sollte sich die Frage stellen, ob die Reform der Be-
wertungsreserven, die wir vorhaben, den Versicherungen
oder zukünftigen versicherten Generationen nützt. Es
gehört auch dazu, dass wir uns im Versicherungsbereich
und bei allen Finanzanlageprodukten um die zukünftige
Generation kümmern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


Meine Damen und Herren, wir haben eine Devise; wir
haben eine Grundlinie: Wir wollen im finanziellen Ver-
braucherschutz Schutz statt Bevormundung; wir wollen
Information und Transparenz statt Bürokratie. Daran las-
sen wir uns gerne messen. Das ist der fundamentale Un-
terschied zur linken Seite des Hauses, insbesondere zu
den Grünen. Wir glauben an den Menschen. Wir glauben
auch, dass die soziale Marktwirtschaft mit einem ver-
nünftigen Regelwerk immer noch die beste aller Wirt-
schaftsformen


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und im Übrigen auch die demokratischste aller Wirt-
schaftsformen ist. Wir sind gegen Bevormundung. Wir
möchten nicht, dass in Berlin jemand sitzt, der uns vor-
schreibt, wann wir Fleisch essen, welche Autos wir fah-
ren und welche Finanzprodukte wir kaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Grundannahme von grüner und roter Verbrau-
cherschutzpolitik ist: Der Verbraucher ist dumm; der An-
bieter ist böse. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Wir glauben an die Märkte. Wir glauben an vernünftig
regulierte Märkte. Wir glauben an die Mündigkeit der
Verbraucher. Das verweist auf die Entscheidung, die die
Wählerinnen und Wähler in diesem Land am 22. Sep-
tember zu treffen haben: Glauben Sie an die Menschen,
oder glauben Sie an grüne und rote Bevormundung?

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722304700

Ich schließe die Aussprache.

Nun müssen wir ordentlich über eine Reihe von Vor-
lagen befinden.

Zunächst wird interfraktionell die Überwindung der
Vorlage auf der Drucksache – –


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Die Überwindung?)


– Vielleicht läuft es im Ergebnis auf einen ähnlichen Ef-
fekt hinaus. Aber das wollen wir auf diese Weise nicht
vorwegnehmen. – Es geht um die Vorlage auf Drucksa-
che 17/8998. Hier wird interfraktionell die Überweisung
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
offensichtlich der Fall.

Dann kommen wir nun unter dem Tagesordnungs-
punkt 33 b zur Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz zu dem Antrag der SPD-Fraktion
mit dem Titel „Moderne verbraucherbezogene For-
schung ausbauen – Tatsächliche Auswirkungen gesetzli-
cher Regelungen auf Verbraucher prüfen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 17/4891, den Antrag der SPD-Fraktion auf
Drucksache 17/2343 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.

Unter dem Tagesordnungspunkt 33 c geht es um die
Abstimmung über eine weitere Beschlussempfehlung
dieses Ausschusses über einen Antrag der SPD-Fraktion
mit dem Titel „Verbraucherpolitik neu ausrichten – Ver-
braucherpolitische Strategie vorlegen“, Drucksache
17/8922. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/9602, diesen Antrag der
SPD-Fraktion abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 sowie den
Zusatzpunkt 8 auf:

34 Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegmund
Ehrmann, Lars Klingbeil, Martin Dörmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – Ein
Pakt für die Kreativwirtschaft

– Drucksache 17/12382 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar
G. Wöhrl, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dorothee





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner
Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Sebastian
Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Wettbewerbsfähigkeit der Kultur- und Krea-
tivwirtschaft weiter erhöhen – Initiative der
Bundesregierung verstetigen und ausbauen

– Drucksache 17/12383 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum 90 Minuten vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah-
ren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1722304800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Berlinale ist gerade zu Ende gegangen. Sie alle haben,
wie ich, die Kritiken entweder gelesen oder gehört. Da
sagen die einen: Zwischen Oscarverleihung und Cannes
hat kein anderes Festival Platz; da kann die Berlinale gar
nicht gelingen. Da sehen die einen zu wenig Stars auf
dem roten Teppich in Berlin; den anderen sind gerade
die Stars auf dem roten Teppich ein Dorn im Auge, weil
die angebliche Machtübernahme durch Hollywood be-
fürchtet wird. Man kann die ganzen Kritiken schon zitie-
ren, bevor das Festival stattgefunden hat. Aber ich sage
Ihnen: Es war ein großes Filmfestival hier in Berlin, das
vor allen Dingen von anderen Filmfestivals unterscheid-
bar ist, mit großartigen Filmen, mit großer Schauspiel-
kunst, mit bewegenden Geschichten. Deshalb zum An-
fang von hier aus ein ganz herzlicher Glückwunsch an
die Preisträgerinnen und Preisträger der diesjährigen
Berlinale!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt, ein paar Tage später, sind die roten Teppiche
wieder eingerollt. Die Realität ist zurück, und sie besteht
für Künstlerinnen und Künstler, auch für viele Gäste der
Berlinale in aller Regel eben nicht aus Edellimousinen,
Cocktailpartys und Galaabenden. Der Glamour kann
eben nicht darüber hinwegtäuschen, dass das echte Le-
ben vieler Kulturschaffender eher mit dem Backen klei-
ner Brötchen zu tun hat: Die Kreativität wird eher weni-
ger für die Kunst gebraucht als vielmehr dafür, bis zum
Monatsende irgendwie über die Runden zu kommen.

Das ändert sich, meine sehr verehrten Damen und
Herren, auch nicht dadurch, dass wir die Kreativwirt-

schaft zu einem Wirtschaftsfaktor erklären. Es ist zwar
richtig: Die Wertschöpfung, die hier Jahr für Jahr er-
reicht wird, kann sich locker mit der Automobil- oder
mit der Chemiebranche messen – inzwischen arbeiten
mehr als 1 Million Menschen in der Kreativwirtschaft –,
trotzdem bleibt es dabei: Faire Bezahlung und soziale Si-
cherheit sind in dieser Branche immer noch ein Fremd-
wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich muss es nicht immer der rote Teppich sein.
Aber ich sage auch: Eine Gesellschaft, die ihre Künstler
nicht wertschätzt, ist sich selbst nichts wert. Wertschät-
zung und Fairness gegenüber Künstlerinnen und Künst-
lern geht deshalb weit über Sonntagsreden hinaus, geht
auch weit über den Antrag hinaus, den uns die Koali-
tionsfraktionen hier heute vorgelegt haben. Lassen wir
einmal außen vor, dass sie mit diesem Antrag sozusagen
in letzter Minute kommen, lassen wir einmal beiseite,
dass jedenfalls uns vieles in diesem Antrag bekannt vor-
kommt und wir es irgendwie schon in unseren Anträgen
gesehen haben. Darüber will ich gar nicht reden; denn
darin liegt immerhin die Chance gemeinsamer Bemü-
hungen hier im Parlament. Trotzdem fragt man sich na-
türlich, wenn man Ihren Antrag sieht: Warum haben Sie
eigentlich nichts davon in den letzten drei Jahren umge-
setzt? Das ist die entscheidende Frage.


(Beifall bei der SPD)


Sie sind nämlich mit Versprechungen in diese Legis-
laturperiode gestartet.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Sie haben die Förderung innovativer Projekte in der Kre-
ativwirtschaft versprochen; nur ist daraus nicht viel ge-
worden. Sie haben versprochen, das Urheberrecht an die
moderne Informationsgesellschaft anzupassen. Unver-
züglich, so haben Sie damals gesagt, wollten Sie uns hier
den dritten Korb der Reform des Urheberrechts vorle-
gen. Ich weiß auch, dass viele Kolleginnen und Kollegen
aus den Regierungsfraktionen das immer noch wollen;
nur bewegt hat sich eben nichts, rein gar nichts.

Das ist hier nicht anders als bei der Rente, beim Min-
destlohn oder bei der Finanzmarktbesteuerung: Der eine
Teil der Koalition will etwas, der andere Teil will etwas
anderes oder gar nichts, und das Ergebnis ist gegensei-
tige Blockade. Ich könnte auch sagen: Das Justizministe-
rium hat keinen Handschlag für den dritten Korb der Re-
form des Urheberrechts gemacht. Deshalb bleibt die
bittere Bilanz: warme Worte, keine Taten. Das ist eben
zu wenig, wenn es um die Lebensgrundlage für Kultur-
schaffende geht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau darum geht es: Wenn wir heute darüber reden, das
Urheberrecht auf die Höhe der Zeit zu bringen, geht es
um die Sicherung der Lebensgrundlage der Kulturschaf-
fenden.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


Wir brauchen und wir wollen, vermutlich sogar mitei-
nander, auf der einen Seite die Freiheit im Netz; aber auf
der anderen Seite darf das Digitale den Künstler nicht
fressen. Denn das Leben bleibt analog, hat Monatsan-
fang und Monatsende, und dazwischen liegen dreißig
Tage Alltag, der irgendwie bewältigt werden will. Des-
halb muss es uns gelingen, künstlerische Arbeit in der
digitalen Welt angemessen zu entlohnen. Das klingt gut;
das ist auch notwendig. Aber wenn das gelingen soll,
dann müssen wir gleichzeitig durch eine aufgeklärte
Netzpolitik dafür sorgen, den Kreativen mehr Raum und
mehr Chancen im Netz selbst zu geben.

Die Abschottung zwischen Kulturförderung auf der
einen Seite und Wirtschaftsförderung auf der anderen
Seite wird nicht funktionieren. Eine Kulturförderung, die
sozusagen für die Kultur außerhalb des Netzes zuständig
ist, und eine Wirtschaftsförderung, die zuständig ist für
das Netz, aber nicht für die Kultur: Diese gegenseitige
Abschottung müssen wir überwinden, weil sie längst
von der Wirklichkeit überholt ist.

Allein dieses Beispiel zeigt: Die Aufgaben, vor denen
wir stehen, sind umfangreich und komplex. Das ist der
eigentliche Grund dafür, weshalb wir schon seit längerer
Zeit die politische Binnendiskussion, die Diskussion in-
nerhalb der Partei und der Ausschüsse, verlassen haben
und uns mit denen zusammengesetzt haben, die die ge-
waltigen technologischen Veränderungen in ihrer tägli-
chen Praxis erleben.

Mit vielen Künstlern, Kulturunternehmern und Ex-
perten der digitalen Welt führen wir seit einiger Zeit ei-
nen intensiven Dialog. Was wir als regelungsbedürftig
und regelungsgeeignet erkannt haben, das nennen wir
den Kreativpakt. Es geht hier um modernisierte Rah-
menbedingungen, es geht um soziale Absicherung von
Kulturschaffenden und Kreativen, und es geht insgesamt
– das ist das eigentliche Ziel – um die Förderung des rie-
sigen Potenzials der Kreativwirtschaft und des Kreati-
ven. Ich hoffe, dass wir uns in diesem Parlament darüber
einig sind.


(Beifall bei der SPD)


Die praktische Erfahrung derjenigen, die dabei waren,
hat zu guten Ergebnissen geführt. Viele davon finden Sie
in unserem Antrag wieder. Tim Renner und Paul van
Dyk zum Beispiel leben nicht nur für, sondern auch von
der Musik. Sie wissen, dass das Ganze nur funktioniert,
wenn das Urheberrecht den Komponisten, den Musikern
und den Sängern ein faires Einkommen ermöglicht, ge-
rade auch in Zeiten des Internets.

Wir wollen einen gerechten Ausgleich zwischen den
Interessen der Urheber, der Verwerter und der Nutzer.
Wir haben eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen
entwickelt – Sie finden sie in unserem Antrag –, um die
strukturell schwächere Position des Urhebers zu verbes-
sern, aber auch, um zum Ausgleich zwischen Urhebern,
Nutzern und Verwertern zu kommen.

Wir müssen darüber hinaus – das ist meine feste
Überzeugung – wieder begreiflich machen, dass Verwer-
tungsgesellschaften – bei aller Kritik im Detail, die auch

ich kenne – den Nutzern nicht etwas nehmen, worauf sie
eigentlich kostenfreien Anspruch haben, sondern dass
Verwertungsgesellschaften vor allen Dingen Künstler
schützen, weil Leben in und von der Kunst erst möglich
wird, wenn die Künstler von ihren Ideen und Beiträgen
zur Kunst tatsächlich leben können. Die Vielfalt von
Kunst, die wir in unserem Alltag als so selbstverständ-
lich empfinden, wird am Ende davon abhängen.


(Beifall bei der SPD)


Ein gutes, legales Angebot ist der beste Schutz vor Pi-
raterie, den wir uns vorstellen können. Das gilt nicht nur
für den Bereich der Musik. Das gilt erst recht dort, wo
man für die Nutzung von Kreativangeboten fast aus-
schließlich auf das Netz angewiesen ist, Beispiel Game-
Entwickler. Wir haben mit denjenigen gesprochen, die
die Erfahrung gemacht haben, dass man auch im Netz
für gute Produkte sein Geld bekommt, wenn das Ange-
bot stimmt.

Deshalb lautet unser Vorschlag: Pfade entwickeln und
für gute Angebote sorgen, aber gleichzeitig auch die
Einsicht fördern, dass nicht nur das Smartphone Geld
kostet, sondern auch das, was auf dem Smartphone drauf
ist, der Content, die Kunst. Darum geht es. Vergüten statt
verbieten, das ist, jedenfalls nach unserer Auffassung,
der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD)


Vergütung ist der eine Aspekt. Soziale Absicherung
ist der andere Aspekt. Mit Verlaub, auch da passt vieles
nicht mehr zusammen. Anders gesagt: Da stößt ein dy-
namischer Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts auf ein so-
ziales Sicherungssystem des 19. Jahrhunderts. Da ist es
fast zwangsläufig, dass viele durch den Rost fallen. Ja,
wir haben eine Künstlersozialkasse – viele Sozialdemo-
kraten haben daran mitgewirkt, dass das funktioniert –,
aber auf den Lorbeeren der Vergangenheit darf man sich
nicht ausruhen. Das ist kein Ruhekissen. Wenn Künstler
auch in zehn Jahren noch sagen sollen: „Das mit der
Künstlersozialkasse war eine gute Idee, das trägt“, dann
müssen wir uns jetzt möglichst miteinander daranma-
chen, diese Künstlersozialkasse tatsächlich zukunftsfest
zu machen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Die Künstlersozialkasse darf aber nicht der Notnagel
für alle diejenigen sein, die irgendwie in der Kreativwirt-
schaft Beschäftigung finden. Es geht auch darum – das
ist nicht einfacher, vielleicht sogar noch schwieriger –,
die klassischen Sozialversicherungssysteme anzupas-
sen. Wir sehen, dass gerade in der Kreativwirtschaft
viele unterwegs sind, die nicht langjährig und nicht ohne
Unterbrechungen tätig sind. Deshalb brauchen wir auch
in den klassischen Sozialversicherungssystemen Verbes-
serungen für diejenigen, die überwiegend in Projekten
arbeiten, die zwischen abhängiger und selbstständiger
Beschäftigung wechseln. Wir brauchen deshalb die Aus-
weitung der Rahmenfrist auf drei Jahre, wir brauchen die
Aufnahme von Soloselbstständigen, und wir brauchen
soziale Mindeststandards bei der Kulturförderung.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


Alles das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Der Kreativ-
pakt, den Sie in diesem Antrag wiederfinden, beinhaltet
natürlich viel mehr. Ich möchte sagen, worum es vor al-
len Dingen geht: Es geht ausnahmsweise nicht um die
Verteilung von Goodies. Es geht nicht um 1 Million
Euro mehr für den Film oder 1 Million Euro mehr für
den Tanz. Wir haben einmal versucht, das Rituelle in der
Kulturpolitik zu durchbrechen, uns mit den Strukturen
der Veränderung zu befassen. Deshalb wird es auch kei-
nen spontanen Beifall – das erwarte ich auch gar nicht –
vom Bühnenrand geben. Das, was Sie in diesem Antrag
finden, ist aber mehr als eine Ansammlung von Ankün-
digungen. Das ist ein Programm.

Wer das Geschäft kennt, der weiß: Der Weg in eine
bessere Zukunft von Kunst und Kultur liegt abseits der
roten Teppiche. Er wird uns durch viel Unbekanntes und
durch so manches gesetzgeberische Unterholz führen.
Aber lassen Sie uns die Kreativität, den Tatendurst und
den Optimismus der Kultur zum Vorbild nehmen für die
Politik. Wir wollen eine Neuaufstellung der Politik für
Kultur und Kreativwirtschaft. Unsere Vorschläge liegen
auf dem Tisch. Wir laden Sie herzlich ein, mitzureden,
mitzudenken und vor allen Dingen mitzumachen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722304900

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Dagmar Wöhrl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1722305000

Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. – Ich glaube,

Herr Kollege Steinmeier, Sie haben bei Ihrem Lob für
die Berlinale unseren Staatsminister vergessen. Ohne un-
seren Staatsminister, Herrn Neumann, wäre nicht mög-
lich gewesen, was viele Menschen in den letzten Wo-
chen erleben konnten. – Vielen herzlichen Dank für
diese großartige Unterstützung!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man von
Kultur spricht, denken die meisten an öffentliche Förde-
rung, an Staatstheater, an Opernhäuser, vielleicht auch
an Kinos; aber die wenigsten denken an die vielen klei-
nen Betriebe und Kleinstgewerbe, die versuchen, sich
über Wasser zu halten, die erwerbswirtschaftlich tätig
sind, an die vielen Kunstbühnen, Galerien, Tonträger
und vieles andere mehr. Das sind diejenigen, die die Kul-
tur beleben.

Wir wissen, dass Kultur kein weicher Standortfaktor
mehr ist.

Die Wirtschaftszahlen belegen es: 244 000 Unterneh-
men sind inzwischen hier tätig, und es gibt in diesem Be-
reich über 1 Million Beschäftigte. Mittlerweile erreichen
die Umsätze – das ist angesprochen worden – mit über

137 Milliarden Euro längst diejenigen der Automobil-
industrie oder anderer großer Industriezweige.

Das bedeutet für unser rohstoffarmes Land, dass die
Kultur- und Kreativwirtschaft eine der wichtigsten Zu-
kunftsressourcen in unserem Land ist. Das heißt aber
auch für uns, dass wir als Union kompromisslos davon
überzeugt sind, dass wir in die Kulturschaffenden inves-
tieren müssen, um so Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft
auch in Zukunft zu erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen diese Kreativität für den technologi-
schen Fortschritt in unserem Land. Das war auch der
Grund dafür, dass das Wirtschaftsministerium 2007 un-
ter Wirtschaftsminister Michael Glos und Staatsminister
Neumann die Initiative Kultur- und Kreativitätswirt-
schaft ins Leben gerufen hat. Das war ein wichtiger
Schritt. Wir sind froh, dass wir damals diesen Schritt ge-
tan haben. Es war wichtig, diesen wirtschaftlichen und
kreativen Bereich viel mehr in das politische Geschehen
einzubinden und ihn stärker ins öffentliche Bewusstsein
zu bringen.

Was wussten wir damals? Wir hatten damals keine
Bestimmungsmerkmale. Wir wussten damals nicht, wel-
che Handlungsoptionen wir überhaupt verfolgen sollen.
Es stellte sich die Frage: Wie können wir diese Kreati-
ven unterstützen, damit sie noch wettbewerbsfähiger
werden – nicht nur national, auch international?

Wir haben uns hingesetzt und Branchenhearings,
Fachforen und Expertengremien in ganz Deutschland
durchgeführt, um herauszufinden: Was ist notwendig,
um auch hier unterstützend tätig sein zu können?

Das Wichtigste war, dass wir am Anfang ein Kompe-
tenzzentrum in Eschborn mit sieben Regionalbüros ge-
schaffen haben.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Acht!)


– Acht, Sie haben recht, Herr Staatssekretär. – Es gibt acht
Regionalbüros und Beratungsstellen in über 77 Städten;
sie alle sind aktiv. Inzwischen haben über 8 000 Bera-
tungsgespräche stattgefunden.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Imponierend!)


Es gab über 350 Foren. So hat man versucht, dass alle
Akteure zusammenkommen, um ihnen zu helfen, sich zu
vernetzen. Man hat ihnen Fördermöglichkeiten aufge-
zeigt und ihnen geholfen, auf Auslandsmessen aktiv zu
sein. Man hat ihnen bei der Aus- und Weiterbildung ge-
holfen und vieles andere mehr.

Die Beratung fand nicht nur vor Ort statt, sondern man
hat auch einen Internetauftritt eingerichtet, auf den jeder
sofort zugreifen kann. Es gibt dort über 70 000 Klicks pro
Monat. Das alles wäre ohne unsere Initiative nicht ge-
schehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir vergeben Preise, um Anreize zu schaffen, bei-
spielsweise den Computerspielpreis oder den Design-





Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


preis. Für die Auszeichnung „Kultur- und Kreativ-
piloten“, die zum dritten Mal stattfand, haben sich über
600 Teilnehmer beworben.

Aber wir wissen natürlich auch, dass wir gefordert
sind und dass wir unsere gesetzlichen Rahmenbedingun-
gen optimieren müssen. Die Digitalisierung schreitet vo-
ran; das ist richtig. Wir müssen uns mit neuen Themen
auseinandersetzen. Dazu gehören auch das Urheberrecht
und das Recht des geistigen Eigentums; ich will das
nicht verschweigen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


Lieber Kollege Steinmeier, es nützt jedoch nichts,
wenn man eine Branche beschreibt, aber nicht sagt, wie
man ihr helfen kann.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie regieren! – Weitere Zurufe von der SPD)


Das ist nicht einfach. Wir wissen, dass hier eine Proble-
matik besteht. Dabei sind Urheber, Nutzer und Verwerter
zu berücksichtigen. Zum einen gibt es das Recht, dass je-
der von seiner kreativen Arbeit leben können muss. Zum
anderen wollen wir aber auch die Freiheit der Kommuni-
kation im Netz. Das alles muss zusammengebracht wer-
den. Das ist nicht so einfach. Da kann man nicht plattitü-
denhaft sagen: Das muss geregelt werden. Wir hoffen,
dass auch von Ihrer Seite dazu praktikable Vorschläge
kommen, die realisierbar sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eine ähnliche Problematik besteht im Zusammenhang
mit dem Recht auf Informationsfreiheit und dem Recht
auf geistiges Eigentum. Auch hier müssen wir versu-
chen, im Dialog mit diesen beiden Parteien, die sich hier
gegenüberstehen, einen Konsens zu finden, damit jedem
recht getan ist.

Ich habe es gesagt: Wir sind froh, dass wir damals
diese Initiative auf den Weg gebracht haben. Sie hat sich
weiterentwickelt. Inzwischen sind fünf Jahre vergangen.
Es ist unwahrscheinlich viel getan worden. Aber die Ent-
wicklungen werden immer schneller. Wir sehen das
beim Internet. Es gibt unwahrscheinlich viele Apps und
neue Kommunikationsformen. Immens viele Kreative
tummeln sich in diesem Bereich.

Wir müssen darüber nachdenken, ob wir die elf Teil-
branchen, die wir festgelegt haben, so statisch belassen
wollen und wie wir es schaffen, den neuen Entwicklun-
gen zukünftig Rechnung zu tragen. Wir müssen – das ist
ganz dringend – die Fördermaßstäbe weiter modernisie-
ren. Wir wissen um die Problematik des Eigenkapitals,
nicht nur in der Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern
auch bei anderen kleinen und mittleren Betrieben. Wir
müssen dafür sorgen, dass es zukünftig möglich sein
wird, von der KfW Kredite auch für diese Kleinstbe-
triebe zu bekommen, ohne dass Eigenkapital vorhanden
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen – das ist ganz wichtig – von diesem tech-
nologischen Innovationsbegriff wegkommen. Was heißt
technologischer Innovationsbegriff? Das heißt, dass die
meisten Förderprogramme heute so aufgebaut sind, dass
man eine Förderung nur bekommt, wenn man den tech-
nologischen Innovationsbegriff erfüllt. Aber es gibt, ge-
rade bei den Kreativen, wahnsinnig viele Bereiche, in
denen das nicht der Fall ist. Nehmen Sie als Beispiel ei-
nen Restaurator. Er betreibt seinen Restaurationsbetrieb
nicht mit neuen, sondern mit alten Techniken.

Eine große Rolle in diesem Bereich spielen Frauen.
Dies ist ein Riesenbereich, liebe Rita. Über 50 Prozent
der Beschäftigten in diesem Bereich sind Frauen, über
40 Prozent der Selbstständigen sind Frauen. Das ist mit
anderen Bereichen, in denen es nur 7 Prozent sind, gar
nicht zu vergleichen. Wir müssen daher die Beratungs-
angebote anpassen. Ich glaube, wir sind hier auf einem
guten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum Schluss möchte ich noch eines erwähnen, das
wir, glaube ich, noch mehr in den Blick nehmen müs-
sen. Dies haben wir ein bisschen vernachlässigt. Es
geht um das kreativwirtschaftliche Potenzial des Hand-
werks. Das Handwerk erscheint nicht in unseren Teilbe-
reichen, aber 55 000 dieser Betriebe sind überwiegend
kultur- und kreativwirtschaftlich tätig. Ich denke zum
Beispiel an Goldschmiede, an Musikinstrumentenbauer
und Uhrmacher. Dies ist wirklich ein Hort des Spezial-
wissens; sie sind der Träger von Innovationen. Wenn
Sie heute sagen, dass der Softwarebereich der digitale
Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft ist, dann ist das
Handwerk der analoge Teil. Deswegen müssen wir,
wenn wir die Teilbereiche neu definieren, darauf ach-
ten, dass das Handwerk seinen richtigen Standort be-
kommt. Die EU-Ebene ist uns da voraus. Sie bezeich-
net es inzwischen als „Arts and Crafts“. Sie spricht also
nicht allein von „Arts“, sondern auch von „Crafts“. Wir
sollten es dem gleichtun.

Wir sind in der Außenwirtschaftsförderung gut voran-
gekommen. Seit fünf Jahren, seit wir diese Initiative ins
Leben gerufen haben, ist „Created in Germany“ ein
Name geworden. Unsere kreativ Tätigen sind auf sehr
vielen Messen vertreten. Auf der Designmesse vor kur-
zem in Hongkong hatten wir einen tollen Auftritt.

Aber wir wissen, dass immer noch viel zu tun ist. Wir
werden dieser Branche weiterhin ein Gesicht geben. Wir
werden weiterhin dafür sorgen, dass die Branche in der
politischen Diskussion und in der öffentlichen Dar-
stellung ein Gewicht hat. Kreativität ist eine Schlüssel-
funktion. Wir brauchen sie für unseren technologischen
Fortschritt. Wir wissen: Ohne Kreativität gibt es keine
Innovationen, und ohne Innovationen wird es keinen
Fortschritt geben.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Es ist ein harter Standortfaktor geworden. Wir sind eine
Kulturnation. Ich glaube, wir sind auch stolz darauf. Da-





Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


mit wir auch in Zukunft stolz darauf sein können, müs-
sen wir weiterhin daran arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722305100

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Dr. Petra Sitte.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722305200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kluge

Menschen wissen es längst: Digitalisierung und Internet
haben uns einen tiefgreifenden Strukturwandel beschert.
Vorreiter ist ganz zweifelsohne der Kreativsektor, über
den wir heute reden. Die Kolleginnen und Kollegen der
SPD sind nun dieser Erkenntnis gefolgt und haben uns
einen Antrag vorgelegt, der zeigen soll, wie man diesen
Strukturwandel politisch begleiten kann. Das ist aus un-
serer Sicht im Prinzip allemal der richtige Ansatz, und er
ist meilenweit realitätsnäher als der heute ebenfalls zur
Debatte stehende Antrag der Regierungsfraktionen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


CDU/CSU und FDP bezeugen mit ihrem Antrag ein-
mal mehr beeindruckend, dass sie diesen Strukturwandel
nicht im Ansatz verstanden haben.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Ah ja! Gut, dass jetzt Sie kommen und uns alles erklären!)


Dass Schwarz-Gelb mit verlässlicher Konsequenz die
massiven sozialen Probleme, die sich im Kreativsektor
auftun, ignoriert, ist für mich ein weiterer Grund, mich
heute vor allem mit dem Antrag der SPD und ihren Vor-
schlägen zu beschäftigen. Schwarz und Gelb bleiben
eben Signalfarben für Untiefen, und denen weicht man
besser aus.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Johannes Selle [CDU/CSU]: Nicht für Untiefen, sondern für Tiefgang!)


Der SPD-Antrag versucht sehr wohl, Fahrwasser zu
gewinnen, sprich: die Chancen und Folgen der Digitali-
sierung für die Kreativwirtschaft zu benennen. So ein
Rundumschlag – das hat gerade schon eine Rolle ge-
spielt – muss zwangsläufig an vielen Stellen eher ober-
flächlich bleiben. Ansonsten würde der Rahmen ge-
sprengt; das ist ganz normal.

Wirklich spannend ist es an den Stellen, an denen es
notwendig ist, die Dinge durch eigene Vorstellungen und
Vorschläge zu konkretisieren. Ich glaube, zu vielen
Punkten Ihres Antrags haben wir Linke bereits Anträge
vorgelegt bzw. konkrete Vorschläge erarbeitet. Ich nenne
Ihnen nur ein paar Beispiele.

Im Hinblick auf den von der SPD geforderten fairen
Interessenausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und

Verwertern haben wir 2011 einen umfassenden Antrag
zur Reform des Urheberrechts vorgelegt. Im Herbst des
vergangenen Jahres haben wir den Entwurf eines Geset-
zes zur Schaffung eines durchsetzungsstarken Urheber-
vertragsrechts vorgelegt, der in Zusammenarbeit mit Ur-
hebern, Juristen und Juristinnen und Verlegern – quasi
Open Source – entstanden ist und mit dem wir genau die
Dinge ändern wollten, die auch die SPD in ihrem Antrag
kritisch sieht.

Sie fordern in Ihrem Antrag eine Reform der Verwer-
tungsgesellschaften, die diese transparenter machen und
die Ausschüttungspraxis fairer gestalten soll. Wir haben
auch dazu einen Antrag eingebracht.

Schließlich: Sie wollen ein offenes WLAN fördern
und dazu die Haftungsunsicherheiten beseitigen. Wir ha-
ben auch dazu einen Antrag erarbeitet, der auf eine Ini-
tiative des Vereins Digitale Gesellschaft zurückgeht, und
ihn in den Bundestag eingebracht.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit Verlaub, es geht mir nicht darum, mit der SPD
Hase und Igel zu spielen. Worauf ich hinauswill, ist, dass
es ein gemeinsames Potenzial gibt, ein progressives und
solidarisches Programm zur Begleitung des Struktur-
wandels namens Digitalisierung umzusetzen. In diesem
Sinne möchte ich Sie und natürlich auch die anderen
Fraktionen dafür gewinnen, bereits vorliegende Kon-
zepte und Vorschläge mit aufzunehmen und diese letzt-
lich zu realisieren.


(Beifall bei der LINKEN)


So spricht die SPD in ihrem Antrag beispielsweise
von sozialen und ökonomischen Risiken, die mit dem
Wachstum der Kreativbranche verbunden sind. Richtig!
Aber leider ist es bei der Benennung der Risiken geblie-
ben. Was noch schwerer wiegt, ist, dass Sie, was die be-
reits vorhandenen Lösungsvorschläge angeht, hinter Ih-
ren Möglichkeiten zurückbleiben.

Meine Damen und Herren, die Kreativbranche wird
im Allgemeinen als Boombranche bezeichnet. Gern wird
auch die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse in der
Kreativindustrie als Prototyp für Entwicklungen des
Gesamtarbeitsmarktes angesehen; das hat bei Herrn
Steinmeier bereits eine Rolle gespielt. Aber aus meiner
Sicht muss man davor warnen. Man muss die Signale,
die sich dort zeigen, bereits heute ernst nehmen und sich
fragen: Was sind das von der Qualität her für Arbeitsver-
hältnisse?

Bei den sogenannten Kreativjobs geht es viel zu oft
um prekäre Beschäftigung. Lange Arbeitszeiten, margi-
nale Stundenlöhne, unbezahlte Überstunden, geringe
Jobsicherheit und unfreiwillige Scheinselbstständigkeit
gehören schlicht und ergreifend zum Alltag in dieser
Branche. Der Mehrzahl der Kreativarbeiterinnen und -ar-
beiter fehlt massiv soziale Absicherung. Ich erinnere an
solche Dinge wie private Rentenvorsorge, Krankengeld-
regelungen oder die bereits angesprochenen Bedingun-
gen für die Auszahlung von Arbeitslosengeld I, die für
die betreffenden Personen gar nicht oder fast nicht zu er-
füllen sind.





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Was brauchen wir also? Wir brauchen Mindesthono-
rare für Freiberufler und Soloselbstständige. Wir brau-
chen eine Neuregelung der Anwartschaft im Hinblick
auf das Arbeitslosengeld I; auch hierzu haben wir im
Übrigen einen Antrag in den Bundestag eingebracht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Einen sehr guten!)


Wir müssen – da kann ich mich der SPD nur anschlie-
ßen – die Künstlersozialkasse nicht nur erhalten, wir
müssen sie stärken.


(Beifall bei der LINKEN)


Der offene Kunstbegriff im Künstlersozialversicherungs-
gesetz muss unbedingt erhalten bleiben. Der damit ein-
hergehende Ermessensspielraum zur Aufnahme von
neuen Gruppen von Kreativen sollte so weit wie möglich
ausgeschöpft werden. Wenn wir nach der Finanzierung
dieser Künstlersozialkasse fragen, dann ist es auch not-
wendig, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass die
Verwerter – und zwar alle Verwerter – zur Zahlung mit
herangezogen werden müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Insofern unterstützen wir die vorgeschlagenen Neurege-
lungen.

Auch in der Kreativbranche braucht es konkrete Frau-
enfördermaßnahmen. Es ist erstaunlich; aber ausgerech-
net in diesem Punkt ist das Papier der Koalition progres-
siver – wenn auch minimal. Frauen sind von prekären
Verhältnissen in der Kreativbranche besonders stark be-
troffen; das konnten wir in einer aktuellen Studie des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu den So-
loselbstständigen lesen.

Mit der Konzentration auf die reine Kreativwirtschaft
läuft der SPD-Antrag darüber hinaus Gefahr, Kultur als
Ganzes aus dem Blick zu verlieren und allein wirtschaft-
liche Aspekte in den Vordergrund zu rücken. Wir brau-
chen aber eine Kulturpolitik, die alle drei Bereiche der
Kultur- und Kreativszene umfasst: den privatwirtschaft-
lichen Sektor, den frei-gemeinnützigen Sektor und den
Bereich der öffentlichen Förderung. Warum? Weil diese
drei Bereiche ein eng verwobenes Beziehungsgeflecht
bilden. Unternehmen und Kultureinrichtungen finanzie-
ren sich heutzutage aus verschiedenen Töpfen und arbei-
ten nach Mustern, die aus allen drei genannten Berei-
chen stammen.

Auch die Kreativen selber – das hat vorhin schon eine
Rolle gespielt – vereinen in ihrem Arbeiten häufig alle
drei Bereiche; ansonsten könnten sie gar nicht überle-
ben. Wie alle Studien zeigen, wird abwechselnd oder
zeitgleich selbstständig und abhängig beschäftigt gear-
beitet.

Dass rund 90 Prozent der Erwerbstätigen im Kulturbe-
reich heute im privatwirtschaftlichen Sektor tätig sind, ist
– das werden viele Kommunalpolitikerinnen und Kom-
munalpolitiker sofort nachvollziehen können – keine zu-
fällige Entwicklung. Diese Entwicklung geht eindeutig
auf den massiven Rückbau öffentlicher Strukturen zu-
rück. Infolgedessen hat sich die wirtschaftliche Lage der

Kulturschaffenden nachhaltig verschlechtert. Um wieder
eine Balance herzustellen, ist es wichtig, dass gerade dem
frei-gemeinnützigen Bereich und dem öffentlichen Kul-
turbereich viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Diese Bereiche müssen gestärkt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Kurzum: Wir brauchen eine Vernetzung der drei Kre-
ativbereiche. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die
Kreativwirtschaft in die öffentliche Kulturförderung ein-
bezogen werden muss – aber nur mit ganz klaren kultu-
rellen Zielsetzungen. Eine verengte, ökonomisierte
Sichtweise auf Kultur darf nicht zum Leitbild werden.
Ich glaube, dass wir da relativ schnell einig sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Wichtig ist vor allem – das ist entscheidend für diese
Debatte –, dass endlich ausreichend Geld bei den Kreati-
ven selbst ankommt. Da hilft, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ein Hauptstadtkulturfonds light
für wenige Städte und Regionen nicht; das wäre sozusa-
gen nur ein Pflasterchen.

Zunächst sollte durch einen Kulturbericht Transpa-
renz geschaffen und offengelegt werden, bei wem die
Kulturfördergelder tatsächlich ankommen und ob diese
Gelder gerecht verteilt werden. Hier bleibt der SPD-An-
trag komischerweise – ich verstehe das gar nicht – hinter
den Forderungen, die Sie in Ihrem Kreativpakt formu-
liert haben, zurück.

Interessant ist weiter, dass in dem Antrag der SPD
mehrfach die Öffnung von Prozessen thematisiert wird:
Es tauchen Schlagworte wie Open Innovation, Open
Education, Open Government auf. Ich finde das gut; das
sollte man auf jeden Fall weiter forcieren. Wenn wir das
konsequent zu Ende denken, erkennen wir, dass sich hier
eine wichtige Ergänzung und Alternative zu der im SPD-
Antrag so dominanten Privatwirtschaft bietet. Warum
betone ich das so? Zum einen erschwert das Öffnen von
Prozessen prinzipiell die Abschottung und Verknappung
von kreativen Ressourcen. Zum anderen – das ist zu ei-
ner Binsenweisheit geworden – gilt uneingeschränkt die
technische Tatsache: Alles, was sich in Dateien verbrei-
ten lässt, ist leicht und kostengünstig weiterzureichen
und kann nur unter erheblichem Aufwand verknappt
werden.

Die Digitalisierung nun „entknappt“ nicht nur in der
Kreativbranche Ressourcen und Produkte. Nein, viel-
mehr macht sie diese einerseits überall nutzbar, anderer-
seits jedoch macht sie sie auch viel schwerer verwertbar.
Das ist wichtig, wenn wir über politische Konzepte spre-
chen, da der privatwirtschaftliche Sektor dort natürlich
vor erheblichen Problemen stehen wird. Es wird in der
digitalen Gesellschaft künftig eben weniger um Besitz
gehen als vielmehr um die Frage der Nutzung. Damit
müssen wir uns auseinandersetzen, und dafür bedarf es
entsprechender Regelungen.

Die Öffnung kann Zusammenarbeit bedeuten. Wir
sollten diese verfolgen statt feindlicher Konkurrenz. Wer
sich also mit den Folgen der Digitalisierung auseinander-
setzt, sollte dies weniger im Sinne von „privatwirtschaft-





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


lich und dort noch ein bisschen staatlich“ tun, sondern er
sollte vor allem die dritte Säule betonen, nämlich: Wir
brauchen politische Konzepte für neue Formen von Ge-
meinwirtschaft. Das ist eine ganz wichtige neue Qualität
im Zusammenhang mit der Digitalisierung.


(Beifall bei der LINKEN – Burkhardt MüllerSönksen [FDP]: Sagen Sie doch „Sozialismus“ dazu!)


– Ach Gott, jetzt müssen Sie mir doch nicht so platt
kommen. Haben Sie mir nicht zugehört? Man versucht,
es zu erklären, und er versteht es immer noch nicht. Es
ist schwierig.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722305300

Frau Kollegin Sitte, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722305400

Gerne. – Ein Letztes. Statt Digitalisierung nur in der

herkömmlichen Logik als Wachstumstreiber zu sehen,
sollten wir den digitalen und analogen Commons eine
echte Chance geben. Das muss für eine bürgerschaftliche
Partei, wie sich die FDP immer bezeichnet hat, doch erst
recht attraktiv sein. Ich sehe darin nicht wirklich einen
Widerspruch. Aber wir werden sehen, wie Sie sich dazu
äußern.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Andrea Wicklein [SPD])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722305500

Dazu kann sich gleich der Parlamentarische Staatsse-

kretär Hans-Joachim Otto für die FDP äußern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1722305600


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Kulturwirtschaft bereichert in vielfältiger
Hinsicht unser Leben, und ich freue mich daher, dass wir
heute einmal in der Kernzeit über sie debattieren kön-
nen.

Die Bundesregierung trägt der Bedeutung dieser
Branche mit großem Einsatz Rechnung. Ganz bewusst
wirkt die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft unter
gemeinsamer Federführung des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie und des Beauftragten für
Kultur und Medien. Diese Initiative ist eine wahre Er-
folgsgeschichte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Durch sie wird die kulturelle und wirtschaftliche Bedeu-
tung der Kultur- und Kreativwirtschaft deutlich hervor-
gehoben und wirksam unterstützt. Durch diese Initiative
werden die wirtschaftlichen Chancen insbesondere klei-
ner Kulturunternehmen sowie freischaffender Künstler
signifikant gestärkt. Ich danke den Haushaltspolitikern
der Koalition dafür, dass es gemeinsam gelungen ist, den

Haushaltsansatz für diese Initiative erheblich, und zwar
fast um ein Drittel, anzuheben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich kenne kaum einen anderen Bereich, in dem öf-
fentliche Mittel so unmittelbar und effektiv positive Wir-
kungen entfalten. Die enorme – auch volkswirtschaftli-
che – Bedeutung der Branche wird durch Kennzahlen
eindrucksvoll belegt: knapp 244 000 Unternehmen,
143 Milliarden Euro Umsatz, gut 1 Million Erwerbstä-
tige. Aber es sind nicht nur diese Zahlen, sondern vor al-
lem die große Innovationskraft und die kreative Energie,
die auf alle übrigen wirtschaftlichen und gesellschaftli-
chen Bereiche ausstrahlen, welche die besondere Bedeu-
tung dieser Branche ausmachen.

Ganz wesentlich haben hierzu auch innovative Start-
ups beigetragen, zum Beispiel die Preisträger unseres
sehr erfolgreichen Wettbewerbs der Kultur- und Kreativ-
piloten. Infolgedessen ist die Gründungsdynamik erfreu-
lich angestiegen. Das Kompetenzzentrum Kultur- und
Kreativwirtschaft wird deshalb auch in den nächsten
Jahren zahlreiche erfolgreiche Vernetzungstreffen anbie-
ten. Auch das stark genutzte Beratungsangebot der acht
Regionalbüros des Kompetenzzentrums wird fortge-
führt.

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu den
beiden heute vorliegenden Anträgen machen. Der Koali-
tionsantrag dokumentiert all die erfolgreichen Aktivitä-
ten, welche die Bundesregierung in diesem Bereich be-
reits entfaltet und weiter vorantreiben wird. Es wird Sie
deshalb nicht übermäßig überraschen: Dieser Antrag
überzeugt mich.

Nun zum Antrag der SPD. Ich finde, es ist durchaus
positiv, dass die Kulturpolitiker der SPD – mit dem er-
fahrenen Siegmund Ehrmann an der Spitze – diese De-
batte beantragt haben. Warum darf eigentlich der, der
sich auskennt, hier in der Debatte nicht reden? Es gibt
beim Thema Kultur häufig eine der Sache dienende,
fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Vor diesem
Hintergrund erschließt sich mir nicht, weshalb wir nun,
wie Sie es fordern, ein völlig neues – wie Sie es nennen –
Gesamtkonzept für die Förderung der Kreativwirtschaft,
also einen „Pakt für die Kreativwirtschaft“, brauchen.

Ich darf Sie, lieber Herr Steinmeier, daran erinnern:
Die Initiative „Kultur- und Kreativwirtschaft“ wurde
während Ihrer Regierungszeit gegründet und ist seitdem
zu recht immer wieder von Ihnen gelobt worden. Wir ha-
ben die Mittel kontinuierlich erhöht. Was gibt es denn da
zu mäkeln?

Unklar sind mir vor diesem Hintergrund auch Ihre
Vorschläge zur sozialen Absicherung der Kreativen. Wir
haben zu diesem Zweck ganz bewusst die Künstlerso-
zialkasse gestärkt. Was dürfen wir uns aber unter Ihrer
Forderung nach „neuen Versicherungssystemen für
Kreative wie die Bürgerversicherung und die Erwerbs-
tätigenversicherung“ vorstellen? Wie soll denn das prak-
tisch aussehen? Soll dem Schriftsteller, dem die Ideen
ausgehen, ein „Erwerbstätigengeld“ gezahlt werden?
Frau Sitte fordert einen Mindestlohn für Schriftsteller.





Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto


(A) (C)



(D)(B)


Meine Damen und Herren, ist das dann überhaupt noch
ein freier Künstler oder schon ein Staatskünstler?

Genauso erklärungsbedürftig, weil widersprüchlich,
sind Ihre Vorschläge zur Weiterentwicklung des Urhe-
berrechts. Es soll „die neuen digitalen Nutzungsprakti-
ken“ beachten, „wissenschafts- und bildungsfreundlich“
sein und „neue Formen der Wissensvermittlung wie …
Open Access“ fördern. So weit das Zitat. Das lässt sich
dann aber kaum mehr mit der „zentralen Idee vom
Schutz des geistigen Eigentums in Einklang bringen, mit
der das Ziel verfolgt wird, dass der Urheber bestimmt,
wie sein Werk genutzt und verwertet werden darf.“ Die-
ses vollmundige Bekenntnis zum Schutz des geistigen
Eigentums, lieber Herr Steinmeier, steht ebenfalls in Ih-
rem Antrag. Was gilt denn nun? Wollen Sie den Schutz
des geistigen Eigentums stärken oder, einem Zeitgeist
folgend, die Zulassung der neuen digitalen Nutzungs-
praktiken – also kostenlose Nutzungen – erzwingen?


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Gute Fragen!)


Schließlich frage ich: Was verbirgt sich, lieber Herr
Steinmeier, hinter Ihrer Forderung nach einer „fairen
und angemessenen Vergütung“ für Künstler? Kommen
Sie auf Ihre eingemottete Forderung nach einer Kultur-
flatrate zurück?


(Lars Klingbeil [SPD]: Haben Sie das Papier gelesen? – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie könnten ruhig ein bisschen seriöser mit dem Thema umgehen!)


Hier besteht erheblicher Aufklärungsbedarf. Viele Fra-
gen dazu sind offen. Es gibt da viele schöne Worte und
wenig konkrete Forderungen.

Ich möchte trotzdem abschließend mit großer Über-
zeugung feststellen: Der Deutsche Bundestag bekennt
sich über alle Fraktionsgrenzen hinweg zu den Kreativen
unseres Landes.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb freue ich mich auf interessante Diskussionen in
den zuständigen Ausschüssen. Ich würde mich – wenn
Sie hier schon dazu sprechen – freuen, Herr Kollege
Steinmeier, wenn Sie in die Ausschüsse kämen. Gerne
würde ich mit Ihnen diskutieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Bringen Sie erst einmal Ihren Minister hinters Pult! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: In der nächsten Legislaturperiode!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722305700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Tabea Rößner vom

Bündnis 90/die Grünen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722305800

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und

Herren! Die SPD hat uns mit ihrem Antrag ein ordent-
liches Brett hingelegt. Wie das aber mit Holz so ist:

Manchmal ist es fest und stabil, und manchmal ist es
auch etwas dünn. Der SPD-Antrag vereint beide Varian-
ten. Verstehen Sie das nicht als Kritik oder Vorwurf.
Ganz im Gegenteil, ich möchte den Anstoß für einen
Kreativpakt ausdrücklich loben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist längst überfällig, dass wir die Kreativwirtschaft
als Ganzes betrachten und uns nicht nur einzelne As-
pekte herauspicken. Wer A sagt, muss auch B sagen, und
wer eine florierende Kreativwirtschaft will, muss auch
Aspekte wie Existenzgründung, Urheberrecht, Breit-
band, Ausbildung, soziale Lage, Förderung und vieles
mehr mit bedenken.

Das Gegenteil dessen zeigt uns aber die CDU in ih-
rem eilig zusammengezimmerten Antrag. Der ist – so
dünn, wie er ist – gerade mal Furnier. Ich kann die Pläne
auf drei Worte herunterbrechen: fortführen, prüfen und
darüber reden. Aus Ihrer Sicht läuft alles großartig und
soll so weitergehen. Aber Sie selbst sprechen in Ihrer
Initiative mehrfach vom ungenutzten Potenzial der Krea-
tivwirtschaft. Wäre es da nicht Ihre Aufgabe, dieses
Potenzial zu heben? Sie wollen nur „fortführen“, was da-
für ziemlich mager ist. Dass die Koalition Handlungsbe-
darf ausgerechnet beim Handwerk sieht, zeigt ihre Kom-
petenz in Sachen Kreativwirtschaft. Ich glaube, ich muss
hier nicht betonen, dass die Kreativwirtschaft in erster
Linie im Netz stattfindet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD])


Zu den Forderungen der SPD. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie haben recht, dass die Rahmenbedingungen
für die Kreativwirtschaft verbessert werden müssen.
Fangen wir mit der Infrastruktur an. Es war absolut
falsch, dass diese Bundesregierung den Universaldienst
für die Grundversorgung mit Breitbandinternet verhin-
dert hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Zahlen bestätigen: In manchen Landstrichen kommt
der Ausbau, auch mit LTE, überhaupt nicht voran. Das
ist ein großes Versäumnis; denn ohne schnellen Internet-
zugang können die Menschen im ländlichen Raum we-
der Produzent noch Konsument sein.

Wir haben all das überprüfen lassen: Der Universal-
dienst ist möglich. Unser Gutachten steht jedem frei zu-
gänglich im Netz zur Verfügung, übrigens unter Crea-
tive-Commons-Lizenz. Sie können also unsere
Erkenntnisse gerne kostenfrei in Ihre Anträge überneh-
men, aber bitte mit Quellenangabe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Haha!)


Apropos Urheberrecht. Da machen Sie es sich, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ein wenig zu
einfach. Ihre Problemanalyse trifft zu. Auch Ihre Vor-
stellung von einer perfekten Urheberwelt teile ich. An-
statt aber den Gordischen Knoten zu lösen, schieben Sie





Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)


diese Aufgabe der Bundesregierung zu. Das ist mir dann
doch ein bisschen zu wenig.


(Beifall des Abg. Marco Wanderwitz [CDU/ CSU])


Noch einfacher aber macht es sich die Regierung. Sie
spart das Thema aus, nicht nur in ihrem Antrag, sondern
auch in ihrer ganzen Politik. Sie springen erst gar nicht –
außer über das Stöckchen, das Ihnen die Presseverlage
hinhalten. Lassen Sie es mich hier ganz deutlich sagen:
Ein Leistungsschutzrecht hilft den Presseverlagen nicht.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Alle fünf sind dafür! Das ist die Wahrheit!)


Vor allem – das wurde auch bei der Anhörung im
Rechtsausschuss deutlich – schadet es der Kreativwirt-
schaft massiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Kreativwirtschaft in Deutschland lebt von kleinen
Unternehmen. Kleine Informationsdienstleister werden
ihre Dienste in Deutschland im Zweifel einstellen, neue
werden erst gar nicht entstehen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Auch das ist in der Anhörung bestritten worden!)


Nein, wenn wir den Motor der Kreativwirtschaft in Gang
bringen wollen, braucht es nicht das Leistungsschutz-
recht als Innovationsbremse, sondern passende Wirt-
schaftsförderung wie die steuerliche Forschungsförde-
rung für den Mittelstand.

Daher unterstützen wir viele Forderungen des SPD-
Antrags: die Öffnung des Innovationsbegriffes in den
Programmen der Wirtschafts- und Infrastrukturförde-
rung, die Gleichstellung der Genossenschaften oder den
Ausbau des Gründerzuschusses. Die wenigen Maßnah-
men der Regierung dagegen sind unsinnig, weil sie am
Problem vorbeigehen.

Die Regierung fordert mehr Beratung. Das Problem
liegt aber nicht in der mangelnden Quantität der Bera-
tung, sondern in der Qualität. Unternehmensgründungen
Kreativer aus dem digitalen Bereich haben keine lange
Tradition. Es fehlt einfach an der Expertise von Prakti-
kern. Statt noch mehr Beratungsstellen einzurichten,
sollten wir lieber darüber nachdenken, wie ein Aus-
tausch, beispielsweise mit dem Silicon Valley, stattfin-
den kann. Da reicht es auch nicht, den Wirtschaftsminis-
ter dort einmal hinzuschicken, es sei denn, er will
demnächst junge Unternehmer persönlich beraten.

Statt die Kreativen in der Wirtschaft zu unterstützen,
will die Koalition Kunst und Kultur ökonomisieren. Es
gibt eine große Diskrepanz zwischen dem Erfolg der
Kreativwirtschaft im Ganzen und der prekären Einkom-
menssituation ihrer Künstler. Hier besteht akuter Hand-
lungsbedarf, und die Koalition verkennt ihn völlig. In
diesem Kontext wirken die Forderungen im Antrag der
Koalition nahezu zynisch.

Dabei gibt es von uns eine Menge Anträge dazu. In
vielen davon stimmen wir mit der SPD überein, zum

Beispiel beim Krankengeldbezug für unständig Beschäf-
tigte ab dem ersten Tag, zum Beispiel bei der Schaffung
von Tariflöhnen oder Mindeststandards bei vom Bund
geförderten Kultureinrichtungen oder Projekten.

Vor allem aber müssen die Kreativen insgesamt ange-
messen vergütet werden. Dazu gibt es ein Mittel, das Ur-
hebervertragsrecht.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)


Das erweist sich heute als stumpfes Schwert, weil es an
der Durchsetzung der angemessenen Vergütung mangelt.
Das wollen wir ändern. Ich rufe alle Fraktionen dazu auf,
die gemeinsamen Handlungsempfehlungen der Enquete-
Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in die-
ser Frage gemeinsam umzusetzen.

Noch eine Anmerkung kurz vor dem Weltfrauentag:
Wir hätten uns sowohl von der Regierung als auch von
der SPD mehr zur Gleichstellung von Frauen im Kultur-
betrieb gewünscht. Gerade hier gibt es gravierende Defi-
zite.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Selbst beim
Dünnbrettbohren geht den Regierungsfraktionen die
Puste aus. Nicht nur in der Kreativwirtschaft, auch in der
Regierungspolitik gäbe es noch viel Potenzial. Das sitzt
aber leider auf der Oppositionsbank.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722305900

Jetzt hat der Kollege Marco Wanderwitz von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1722306000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, es ist schon gesagt worden: Dass wir heute zur
besten Zeit über das Thema Kultur- und Kreativwirt-
schaft reden, wurde höchste Zeit. Schön, dass wir uns
alle darauf einigen konnten, das heute zu tun. Gut ist
auch, dass die beiden Anträge heute vorliegen.

Es wird Sie nicht wundern, dass meine Einschätzung
zu dem von den Regierungsfraktionen vorgelegten An-
trag eine andere ist als die, die wir gerade von Kollegin
Rößner gehört haben.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert uns nicht!)


Es ist natürlich so: Wenn man erfolgreich Politik macht,
dann schreibt man erst einmal alles das auf, was man er-
folgreich getan hat. Der Kollege Steinmeier hat vorhin in
dieser Richtung nichts erkennen können. Insofern rate
ich Ihnen, einfach einmal den Antrag zu lesen. Darin
steht eine ganze Menge dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP] – Marco Wanderwitz Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gemacht!)





(A) (C)


(D)(B)


Wenn man erfolgreiche Instrumente etabliert hat
– Kollegin Wöhrl hat die Initiative „Kultur- und Kreativ-
wirtschaft“ angesprochen; sie war ja eine der Mütter die-
ser Initiative, die von Kollege Otto im Bundesministe-
rium für Wirtschaft und natürlich von Staatsminister
Bernd Neumann weitergeführt wurde –, dann spricht für
mich alles dafür, diese auszubauen, anstatt sie grundle-
gend infrage zu stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, wir wollen die Potenziale der Kultur- und Kreativ-
wirtschaft weiter fördern, und ja, wir wollen auch die
wirtschaftlichen Potenziale weiter fördern. Das hat aus
meiner Sicht aber nur wenig mit einer Ökonomisierung
von Kultur, Kunst und Kreativwirtschaft zu tun, sondern
es muss doch unser aller Ziel sein, dass möglichst viele
der Kultur- und Kreativschaffenden von dem, was sie
schaffen, möglichst gut leben können.

Bernd Neumann ist neben dem, was die Bundesregie-
rung in diesem Sinne tagespolitisch hier in Deutschland
tut, auch auf EU-Ebene erfolgreich unterwegs. Auch das
wollte ich an dieser Stelle einmal gesagt haben.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir haben die Initiative „Kultur- und Kreativwirt-
schaft“ weiter ausgebaut. Hans-Joachim Otto hat es
schon gesagt: Im Jahr 2013 gibt es einen weiteren Auf-
wuchs der Initiative, und zwar um 1 Million Euro. Um
an dieser Stelle wieder einmal das Einende ein bisschen
zu betonen, will ich den Fachpolitikern und Haushältern
aller Fraktionen ausdrücklich danken, dass es an dieser
Stelle und auch grundsätzlich gelungen ist, den Kultur-
haushalt ein weiteres Mal gegen den Trend aufzusto-
cken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu dem Vorwurf vonseiten der Vorredner der Opposi-
tion, dass Kulturförderung in Deutschland abgebaut
werde, kann ich an dieser Stelle nur deutlich sagen:
Wenn ich mir anschaue, was der Bund im Bereich der
Bundeskulturpolitik tut und wie die Bundeseinrichtun-
gen und Bundesinitiativen gefördert werden, dann kann
ich jedenfalls keinen Abbau erkennen.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Im Gegenteil!)


Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.
Ich finde, das sollte man dann fairerweise auch zugeste-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP])


Man muss sich einfach einmal genauer anschauen,
wer dort, wo ein Abbau stattfindet, Verantwortung trägt.
Ich will nicht ausschließen, dass das hier und da auch je-
mand ist, der das Parteibuch meiner Partei hat, aber mir
sind auch eine ganze Menge von Beispielen bekannt, bei
denen das eben andere sind.

Neben der Initiative „Kultur- und Kreativwirtschaft“
gibt es eine ganze Menge weiterer Förderinstrumente;
einige sind schon genannt worden. Ich will noch ein paar
weitere aufzählen, um damit dem Bild, das hier gezeigt
wird, dass dort nämlich überhaupt nichts passiert, ein-
fach einmal ein paar Fakten entgegenzusetzen: Ich nenne
den Deutschen Filmförderfonds, die Initiative „Musik“
und den Deutschen Computerspielpreis. All diese Dinge
spielen sich im Rahmen von Kultur- und Kreativwirt-
schaft ab. Zudem gibt es seit 2009 beispielsweise den
„BKM-Preis Kulturelle Bildung“ des Beauftragten für
Kultur und Medien.


(Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: 30 Millionen Euro!)


Kulturelle Bildung ist ein Thema, dem ich ein paar
Sätze mehr widmen will, weil ich glaube, dass das eines
der Schlüsselthemen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“ aus der vorvergangenen Wahlperiode
schreibt dazu, dass die musisch-kulturelle Bildung
schöpferische Fähigkeiten und Kräfte im intellektuellen
und emotionalen Bereich weckt, deren Wechselwirkun-
gen den Menschen in besonderem Maße prägen. Ich
glaube, das ist eine ganz zutreffende Beschreibung. Die
kulturelle Bildung ist die Quelle für Kreativität und Ins-
piration von Kulturschaffenden der nächsten Generation.
Sie ist damit eine Kernressource für die Innovationsfä-
higkeit unseres Landes. Sie birgt Innovationspotenzial
und damit die Chance auf technologischen Fortschritt,
den wir als rohstoffarmes Land – Kollegin Wöhrl hat es
schon gesagt – so dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb setzen wir uns im Rahmen unserer politi-
schen Verantwortlichkeiten als Bundesregierung, als
Koalitionsfraktionen dafür ein, dass schulische und au-
ßerschulische kulturelle Bildung gestärkt, schwerpunkt-
mäßig gefördert, möglichst flächendeckend ermöglicht
werden und niederschwellig zugänglich sind. Die frü-
hesten Jahre sind es, die die Persönlichkeitsbildung prä-
gen. Man merkt auch allenthalben, dass vieles, was in
dem Bereich an Angeboten vorhanden ist und angenom-
men wird, von den Kindern spielerisch wahrgenommen
wird, dass die Kleinen Freude daran haben und dass man
sie da nicht in irgendetwas hineinpresst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dafür gibt es auch eine ganze Menge Initiativen und
Projekte des Bundes. Zum Beispiel leistet das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2013
aus dem Bundesprogramm zur Förderung benachteilig-
ter Kinder 30 Millionen Euro an dieser Stelle,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


obwohl – das möchte ich hier deutlich sagen – eben
nicht der Bund die Hauptverantwortung für diesen Be-





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


reich der schulischen und außerschulischen Bildung
trägt. Wir versuchen, an dieser Stelle so viel als möglich
zu tun, aber die Länder als diejenigen, bei denen die
Hauptverantwortung liegt, sind natürlich aufgefordert,
so viel als möglich beizutragen.

Wir freuen uns, mit dem Antrag nicht nur die Erfolge
noch einmal in Erinnerung zu rufen, sondern auch so et-
was wie unser Arbeitsbuch zu füllen. Ja, es gibt in den
laufenden Programmen Punkte, die man optimieren
kann, die man verbessern kann. Das hat natürlich auch
etwas mit der Frage zu tun: Gelingt es uns, das entspre-
chende Geld auch weiterhin in die Kanäle des Kultur-
haushalts zu lenken? Ich bin guten Mutes, dass wir das
im Hause schaffen. Dem Grunde nach sind wir der Mei-
nung, dass die bestehenden Förderprogramme die richti-
gen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Urheberrecht ist schon angesprochen worden.
Wenn ich mir die Rednerliste anschaue, denke ich, dass
der eine oder andere Kollege sicherlich noch ein paar
Sätze dazu sagen wird. Auch ich möchte das tun.

Wenn man den Antrag der SPD liest – Kollege
Steinmeier hat dazu auch ausgeführt –, denkt man: Das
alles liest sich relativ gut.


(Lars Klingbeil [SPD]: Danke!)


Formulierungen wie „Vergüten statt verbieten“ klingen
sehr gut. Das Problem ist nur, dass die Tagespolitik eine
andere ist und dass es an konkreten Vorschlägen dafür
mangelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben in der netzpolitischen Debatte an dieser
Stelle einen ziemlich ausgeprägten Streit. Er ist uns al-
len, glaube ich, bewusst. Mein Eindruck ist der, dass es
im Hause gewisse Teile gibt, die ernsthaft daran interes-
siert sind, diesen Streit auszufechten. Viele streitige
Punkte gibt es zwischen den Urhebern, den Kreativen
auf der einen Seite und Teilen der Nutzer auf der anderen
Seite, die die immer mehr um sich greifende Gratismen-
talität ziemlich offen vertreten. Es gibt Teile des Hauses,
die immer wieder ausgleichende Worte finden, aber nie
an Bord sind, wenn es darum geht, konkrete Lösungen
zu entwickeln, die die Urheber in den Mittelpunkt der
Debatte stellen.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Dass Sie die FDP so angreifen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen meine Bitte an viele Seiten des Hauses
– da gucke ich natürlich den einen oder anderen Kolle-
gen, die eine oder die andere Kollegin aus den eigenen
Reihen und aus den Reihen des Koalitionspartners an;
bei Ihnen ist das ja weitestgehend flächendeckend ver-
treten –: Schließen Sie sich unserem Diskurs, unseren
konkreten Vorschlägen für die Urheber, für die Kreati-
ven und für die Kulturschaffenden an und lassen Sie uns
gemeinsam Lösungen ins Gesetzbuch schreiben, die da-

für sorgen, dass die Kreativen, die Urheber auf die ein-
fachste Weise an ihr Geld kommen, nämlich auf die
Weise, dass sie für das, was sie schaffen, von den Nut-
zern ordentlich bezahlt werden!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722306100

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Lars

Klingbeil.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1722306200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Staatssekretär Otto, vielen Dank, dass
Sie sich über die Rednerinnen- und Rednerliste der SPD
Gedanken machen. Ich kann Ihnen aber versichern: Wir
haben den Kreativpakt über eineinhalb Jahre im Team
erarbeitet, zusammen mit Kollegen der SPD von außen,
und wir haben im Team festgelegt, wer heute redet. Wir
haben das solidarisch getan.

Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass wir in einer
Kernzeitdebatte über den Kreativpakt und unsere Vor-
schläge reden, und wir haben uns gefreut, dass unser
Fraktionsvorsitzender zu dem Thema spricht. Daher will
ich auch fragen: Warum darf der Kulturstaatsminister
nicht reden? Wo ist eigentlich der zuständige Wirt-
schaftsminister, und wo ist die Justizministerin? Warum
sind diese Menschen nicht hier und ergreifen das Wort,
wenn wir über die Kreativwirtschaft diskutieren und es
um das Urheberrecht geht?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schon angesprochen worden, wie hoch die Be-
deutung der Kreativwirtschaft ist. 130 Millionen Euro
Jahresumsatz: Das ist ein wichtiger wirtschaftlicher Fak-
tor. Die Kreativwirtschaft ist aber auch Impulsgeber für
gesellschaftliche Erneuerung. Sie ist Zukunftslabor und
Avantgarde auch für andere wirtschaftliche Bereiche.

Die SPD hat Kreative, Kulturschaffende, Vertreter aus
Wirtschaft und Politik über eineinhalb Jahre an einen
Tisch gebracht. Wir haben über Änderungen in der Wirt-
schafts- und Kulturförderung, die Herausforderungen für
den Sozialstaat, einen veränderten Arbeitsmarkt, eine
neue Bildungspolitik und über Rahmenbedingungen ge-
redet, wie wir die Kreativ- und Kulturwirtschaft in die-
sem Land stärken können.

Wir sind uns einig: Es geht um mehr Arbeitsplätze
und wirtschaftliches Wachstum. Es geht aber auch um
einen gesellschaftlichen Mehrwert, den wir erreichen,
wenn es Menschen gibt, die sich kreativ einbringen und
engagieren.

Alles das bringen wir heute als Vorschlag in den
Deutschen Bundestag ein. Ich will mich an dieser Stelle
noch einmal bei allen bedanken, die in den letzten ein-
einhalb Jahren mitdiskutiert und an diesem Antrag mit-
gewirkt haben.


(Beifall bei der SPD)






Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)


Herr Wanderwitz, Sie haben gerade nach unseren Vor-
schlägen gefragt. Frau Wöhrl hat uns vorhin aufgefor-
dert, uns einzubringen. Ich sage Ihnen: Wir machen
gerade Ihren Job: Wir bringen Vorschläge ein. Diese
schwarz-gelbe Regierung hat den Gestaltungsanspruch
in der Kultur- und Kreativwirtschaft längst aufgegeben.
Sie rennen herum und verteilen Geld, aber wenn es da-
rum geht, neue Ideen für die Kulturwirtschaft auf den
Weg zu bringen, dann ducken Sie sich weg.


(Andrea Wicklein [SPD]: Genau so ist es! – Thomas Oppermann [SPD]: Ausgebrannt sind Sie!)


Der Antrag, den Sie eingebracht haben, ist ideenlos
und kraftlos. Sie sind ausgebrannt. Sie sind diejenigen,
die Vorschläge machen müssten. Wir haben das getan.
Wir übernehmen Ihren Job.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Die Ideen kommen doch von den Kreativen, nicht von der Politik!)


Wir haben auf dem Weg zum Kreativpakt Brücken
gebaut. Wir haben die unterschiedlichen Bereiche zu-
sammengebracht und versucht, gemeinsam zu diskutie-
ren. Es gibt Unterschiede und unterschiedliche Blick-
winkel, aber das Prägende war die Gemeinsamkeit, mit
der wir unsere Ideen auf den Weg gebracht haben.

Ich will das beim Beispiel Urheberrecht, weil das an-
gesprochen wurde, auf den Punkt bringen. Wir sehen in
der schwarz-gelben Regierung, wie sich Herr Neumann
und Frau Leutheusser-Schnarrenberger seit Jahren läh-
men. Ob es um die Frage der Abmahnung oder um die
Warnhinweise geht, für all diese Dinge gilt: Nichts pas-
siert im Urheberrecht. An vielen Stellen bin ich froh da-
rüber, dass nichts passiert. Aber diese schwarz-gelbe
Bundesregierung lässt beim Urheberrecht die Züge auf-
einander zufahren.

Es gibt eine junge Generation, die in einer digitalen
Welt aufwächst und häufig nicht weiß, wie man sich im
Netz richtig verhält und was dort Urheberrechtsverlet-
zungen sind. Es gibt eine Reihe von Kreativen, die uns
immer wieder ermahnen, dass endlich etwas passieren
muss. Aber Sie stehen als Regierung mit offenem Mund
vor diesen Herausforderungen. Sie ducken sich weg, und
statt politisch aktiv zu werden, überlassen Sie die Lö-
sung beim Urheberrecht Anwälten und Gerichten. Sie
nehmen Ihren politischen Gestaltungsanspruch nicht
wahr. Das ist fatal, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Vorschläge zum Urheberrecht vorgelegt. In
unserem Antrag geht es um das Urhebervertragsrecht,
um neue Geschäftsmodelle, um die Frage des Zweitver-
wertungsrechts und um die Frage, wie wir illegale Platt-
formen bekämpfen können. Dabei sollten wir allerdings
nicht auf billige Symbolpolitik setzen.

Wir reden über die Offenheit des Netzes. Wir sind uns
einig: Dort, wo man Zugang zum Netz hat und wo es
Teilhabe gibt, wird Kreativität gefördert. Deswegen wol-
len wir beispielsweise den Universaldienst. Wir wollen
die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, und wir
wollen, dass öffentliche WLAN-Netze gefördert werden.

16 Bundesländer haben das im Bundesrat gemeinsam
auf den Weg gebracht. Die Regierung hat bis heute
nichts dazu auf den Weg gebracht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Es sind viele gute Ideen eingebracht worden.
Diese Regierung ist bekannt für politische Urheber-
rechtsverletzungen, die es an vielen Stellen gegeben hat.
Sie können unsere Vorschläge gerne an vielen Stellen
übernehmen. Aber es muss in diesem Land für die Krea-
tivwirtschaft endlich etwas passieren.

Lesen Sie unseren Antrag! Ich hoffe, dass Sie dann
zur Vernunft kommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722306300

Jetzt hat das Wort der Kollege Reiner Deutschmann

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Reiner Deutschmann (FDP):
Rede ID: ID1722306400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Mit dem uns heute vorlie-
genden Antrag der Koalitionsfraktionen unterstreichen
wir den Wert der Kultur- und Kreativwirtschaft für die-
ses Land. Ich denke, wir können zu Recht stolz auf das
sein, was in Bezug auf Kultur- und Kreativwirtschaft
von der Bundesregierung geleistet wird. Wir wollen
diese Initiative weiter ausbauen und den Haushaltstitel
mindestens auf dem jetzigen Niveau verstetigen. Das
steht deutlich in unserem Antrag.

Der Antrag der SPD-Fraktion erweckt den Anschein,
die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen seien
in dreieinhalb Jahren untätig gewesen, was die Förde-
rung des Kultur- und des Kreativsektors angeht. Dies ist
schlichtweg falsch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Reine Polemik ist auch der Vorwurf, die Regierung
verspiele die Chancen und Potenziale der Kreativbran-
che. Dabei stellt die SPD in ihrem Antrag selbst fest,
dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland
im Jahr 2010 zu den Wachstumstreibern gehörte, rund
1 Million Menschen beschäftigte und 137 Milliarden
Euro umsetzte – so viel wie die bundesdeutsche Auto-
mobilindustrie. Dieser Erfolg hat ja vielleicht auch etwas
mit Wirtschaftspolitik zu tun. Die Ergebnisse für 2011
fallen mit einer Steigerung des Umsatzes auf 143 Mil-
liarden Euro sogar noch besser aus. Die SPD jammert
also auf sehr hohem Niveau.





Reiner Deutschmann


(A) (C)



(D)(B)


Lieber Kollege Steinmeier, gemeinsam mit der
Friedrich-Naumann-Stiftung haben wir vor acht Jahren
eine Veranstaltungsreihe zur Kultur- und Kreativwirt-
schaft ins Leben gerufen. Das Programm liegt auch für
dieses Jahr in gedruckter Form vor. Wer hat da vielleicht
von wem abgeschrieben?

Jetzt möchte ich auf einige Forderungen Ihres An-
trags im Einzelnen eingehen. Sie fordern – das ist heute
schon mehrfach angesprochen worden – Änderungen im
Bereich des Urheberrechts. Die christlich-liberale Koali-
tion bekennt sich klar zu einem starken Schutz des geis-
tigen Eigentums. Ohne Schutz keine Kreativität. Die
Kreativen müssen von ihren Werken leben können; das
ist keine Frage.

Zum Schutz dieser Kreativität stellt das Urheberrecht
den Ordnungsrahmen, und der ist auch heute noch zeit-
gemäß, auch wenn natürlich im digitalen Zeitalter für
Weiterentwicklungen Spielräume gegeben sein müssen.
Dort, wo es angebracht ist, haben wir die Stellschrauben
bereits in die entsprechende Richtung gedreht.

So wollen wir mit dem „Gesetz gegen unseriöse Ge-
schäftspraktiken“ der missbräuchlichen Abmahnung von
Rechtsverstößen im Internet durch die Deckelung der
Abmahngebühren einen Riegel vorschieben. Bei Erst-
verletzungen soll der Streitwert für die juristische Aus-
einandersetzung auf 1 000 Euro gedeckelt werden, so-
dass in der Regel nicht mit höheren Anwaltskosten als
155 Euro zu rechnen sein wird.

Um allerdings die Interessen der Urheber und Kreati-
ven zu unterstützen, haben wir auch eine Öffnungsklau-
sel, was die Streitwertdeckelung betrifft, eingeführt.
Diese gilt dort, wo Urheberrechtsverletzungen mit ho-
hem Schadenspotenzial begangen werden, so etwa bei il-
legaler Verbreitung in besonders großen Mengen.

Auf weitere Widersprüche in Ihren Forderungen be-
züglich des Schutzes des geistigen Eigentums ist mein
Kollege Otto bereits eingegangen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei der sozia-
len Absicherung der Kreativen muss sich die schwarz-
gelbe Koalition nicht verstecken. Beispielsweise haben
wir für diejenigen Beschäftigten, die jeweils aufgrund
der Gegebenheiten ihres Berufs nur kurzfristig beschäf-
tigt sind, Verbesserungen im ALG-I-Bereich erreicht.
Wir haben zum Beispiel für das Einzelengagement eines
Schauspielers den Zeitraum auf bis zu zehn Wochen aus-
geweitet. Damit kann der Personenkreis der kurzzeitig
Beschäftigten leichter auf ALG-I-Leistungen zugreifen.

Diese Regelung kommt aber auch der Kreativindus-
trie insgesamt zugute; denn auch hier wird oftmals pro-
jektbezogen bzw. über kürzere Zeiträume gearbeitet.

Wir haben die KSK als Errungenschaft im System der
sozialen Absicherung gegen viele Angriffe und Anfein-
dungen verteidigt. Die KSK hat an Transparenz gewon-
nen, und durch die Übertragung der Überprüfungen an
die Deutsche Rentenversicherung ist sie gestärkt wor-
den, sodass der Beitrag zur KSK sogar sinken konnte.

Das ist ein Erfolg nicht nur für die Versicherten, sondern
vor allem auch für die einzahlenden Unternehmen.

Ich rate dringend davon ab, an dem System der KSK
fundamental zu rütteln. Bislang besteht in der Gesell-
schaft ein Konsens, eine solche Ausnahmeversicherung
für eine Sparte der arbeitenden Bevölkerung zu akzeptie-
ren. Dieser Konsens ist aber nicht selbstverständlich und
wird von denjenigen gefährdet, die jetzt das große Rad
in dieser Angelegenheit drehen wollen. Davor kann ich
nur warnen.

Liebe Kollegin Rößner, ich habe mich schon über
Ihre Ausführungen gewundert, dass für Sie die Kreativ-
wirtschaft nur noch im Netz stattfindet.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zunehmend im Netz stattfindet!)


– Na, es war etwas anders formuliert. – Dann frage ich
mich, ob die Architekten ihre Häuser zukünftig nur noch
virtuell bauen.

Bei für 2013 in Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro
im BKM-Etat bewilligten Mitteln müssen wir uns nicht
vorwerfen lassen, nicht genug für die Förderung der
Kultur zu tun. Hinzu kommt, dass im Auswärtigen Amt
der bisher höchste Etat für die Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik aufgelegt worden ist und im Bundes-
wirtschaftsministerium die Mittel für die Förderung der
Kultur- und Kreativwirtschaft ebenfalls entscheidend er-
höht wurden. Damit hat noch keine Bundesregierung
mehr für die Kulturpolitik ausgegeben als die jetzige.

Die Koalition steht ohne Wenn und Aber zur Förde-
rung und Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft. In
unserem Antrag haben wir deshalb dargelegt, wo wir
noch Verbesserungen erreichen wollen. Wichtig für uns
ist beispielsweise, dass der Innovationsbeitrag der Kul-
tur- und Kreativwirtschaft weiter untersucht und eine Er-
weiterung des bestehenden Innovationsbegriffs um nicht-
technologische Elemente geprüft wird.

Ein weiterer Schwerpunkt ist für uns die Überprüfung
von Förderprogrammen für den Mittelstand sowie für
Klein- und Kleinstbetriebe im Sinne der Verbesserung
des Zugangs für Selbstständige und Unternehmer. Dies
umfasst selbstverständlich auch Erleichterungen beim
Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten.

Für uns Liberale steht fest: Nur mit einem starken
Fundament aus kultureller Bildung können wir die Krea-
tivität auch in Zukunft fördern. Die Vernachlässigung
der kulturellen Bildung der Bürgerinnen und Bürger
können wir uns schlichtweg nicht leisten. Deshalb wer-
den wir uns bei den Ländern dafür einsetzen, dass bei
der frühkindlichen, der schulischen und der außerschuli-
schen kulturellen Bildung mehr geschieht. Unsere For-
derungen zeigen, dass wir noch lange nicht am Ende des
Weges sind. Trotzdem ist für uns bereits jetzt die Initia-
tive „Kultur- und Kreativwirtschaft“ der Bundesregie-
rung eine wahre Erfolgsgeschichte.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722306500

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Konstantin von

Notz von Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Auch ich freue mich natürlich, dass wir heute diese
wichtige Debatte in der Kernzeit führen. Vor allem im
Antrag der SPD werden erfreulicherweise zahlreiche
Punkte angesprochen, mit denen sich die Enquete-Kom-
mission „Internet und digitale Gesellschaft“ in den letz-
ten drei Jahren intensiv auseinandergesetzt hat. Spätes-
tens während der Arbeit der Enquete-Kommission
wurde auch dem Letzten klar: Internet und Digitalisie-
rung lassen zahlreiche sicher geglaubte gesellschaftliche
Übereinkünfte heute faktisch ins Leere laufen. Ob beim
Urheberrecht, beim Datenschutz, bei vielen technischen
und infrastrukturellen Fragen oder bei der Situation der
Kreativen, in beinahe jedem politischen Bereich gibt es
heute einen enormen Reformbedarf.

Im ersten Satz Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, nennen Sie diese gravierenden
Veränderungen, „die neue Antworten verlangen“. Leider
kommt der Antrag an vielen Stellen aus dem Fragemo-
dus nicht so richtig heraus. Insofern verspricht der groß-
spurige Titel „Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – Ein
Pakt für die Kreativwirtschaft“ – man glaubt fast,
Gerhard Schröder sei zurückgekehrt – etwas zu viel.


(Beifall des Abg. Reiner Deutschmann [FDP])


Solange führende Köpfe Ihrer Partei wie zuletzt Ihr Par-
lamentarischer Geschäftsführer bei jeder Gelegenheit die
Vorratsdatenspeicherung fordern, so lange bleibt Ihr pro-
gressiver Ansatz für die digitale Welt leider Makulatur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Union und der FDP, ist so lieblos zusammengeschrieben,
wie Ihr Umgang mit diesem Themenbereich insgesamt
ist. Die zivilgesellschaftlichen Aspekte kommen erst gar
nicht vor. Wenn Sie sich wie in dieser Woche mit digita-
lem Wandel befassen, dann kann man von Glück reden,
wenn es die gesellschaftlichen Aspekte auf die Einla-
dung schaffen. Auf der Veranstaltung selbst geht es eben
nur um Wirtschaft, genauso wie in Ihrem vorliegenden
Antrag. Das ist nicht nur langweilig, sondern geht auch
an der zentralen Fragestellung vorbei, die eine gesell-
schaftspolitische ist. Was Sie hier abliefern, werte Kolle-
ginnen und Kollegen der Koalition, ist ganz dünne
Suppe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als Gesetzgeber stehen wir an einer Weggabelung.
Wir stehen vor der Frage, ob man – den Blick nach
vorne – diese revolutionären Umbrüche als Chance be-
greifen und den digitalen Wandel progressiv gestalten
will oder ob man – rückwärtsgewandt und die Zeit am
liebsten zurückdrehend – alles beim Alten lassen möchte.

Meine Fraktion und ich haben uns für den ersten Weg
entschieden, genauso wie erfreulicherweise die Enquete-
Kommission. Ihr ist es gelungen – wohlgemerkt: oft frak-
tionsübergreifend –, sich auf überwiegend zukunftswei-
sende Handlungsempfehlungen zu verständigen. Wenn
ich mir Ihren Antrag anschaue, dann kann ich nur sagen,
dass es wirklich gut gewesen wäre, wenn Sie sich einfach
an diesen Handlungsempfehlungen orientiert hätten.

Ihre Konzeptlosigkeit wird vor allen Dingen beim Ur-
heberrecht deutlich. Die SPD will immerhin dem Abmahn-
unwesen die Grundlage entziehen. Wie genau, wird nicht
gesagt. Aber das Thema wird von ihr im Gegensatz zur
Koalition angesprochen. 4,3 Millionen Bürgerinnen und
Bürger wurden bereits abgemahnt, von Anwaltskanzleien
mit bis zu fünfstelligen Regressforderungen überzogen,
oft für Urheberrechtsverstöße im Bagatellbereich. Das al-
les ist Ihnen kein Wort wert. Da wundert es doch sehr,
liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, dass auch Sie
mit auf diesem Antrag stehen, obwohl Ihre Ministerin ge-
rade in dieser Frage hier vom Koalitionspartner massiv
ausgebremst wurde.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mich auch gewundert!)


Dringend erforderliche Veränderungen im Urheber-
vertragsrecht, um endlich die Verhandlungsposition der
Kreativen zu stärken? Fehlanzeige. Dies gilt genauso für
die so wichtigen Reformen – der Kollege Steinmeier hat
es angesprochen –, die Sie für den dritten Korb verspro-
chen hatten. Sie haben nicht geliefert.

Meine Damen und Herren der Koalition, Sie haben
auch in diesem Bereich in dieser Legislaturperiode rein
gar nichts Substanzielles vorgelegt, weder für die Kreati-
ven noch für die Nutzerinnen und Nutzer, noch für die
Wissenschaft. Ihre Bilanz ist traurig, und mit Ihrer hier
heute vorgelegten Initiative dokumentieren Sie das auch
noch. Allerdings lässt es sich relativ einfach erklären:
Sie können sich eben nicht entscheiden, welchen Weg
Sie an der Weggabelung gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu dem, was der Enquete-Kommission gelungen ist,
sind Sie eben nicht imstande. Statt wie in der letzten Le-
gislaturperiode eine interfraktionelle Initiative voranzu-
bringen – dafür danke ich Ihnen; die interfraktionelle
Initiative haben Sie ja immerhin angesprochen, aber sie
in dieser Legislaturperiode nicht vorangebracht –, ver-
ramschen Sie dieses Thema hier an deren Ende auf der
Wahlkampfresterampe. Das ist wirklich bedauerlich.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722306600

Jetzt spricht die Kollegin Rita Pawelski für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Rita Pawelski (CDU):
Rede ID: ID1722306700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-

nige von Ihnen werden sich sicherlich noch an den
24. Oktober 2007 erinnern. An diesem Tag haben wir
hier über Fraktionsgrenzen hinweg in großer Einigkeit,
was ja in diesem Haus sehr selten vorkommt, den Antrag
„Kultur- und Kreativwirtschaft als Motor für Wachstum
und Beschäftigung in Deutschland und Europa stärken“
auf den Weg gebracht. Wir haben damals eine Tür aufge-
stoßen, hinter der sich unglaubliche Potenziale verbor-
gen hielten, ja versteckt wurden.

Aber bevor wir diese Tür öffnen konnten, mussten
wir – lieber Herr Ehrmann, Sie werden sich daran erin-
nern – unglaublich viel Staub und Spinnweben wegfe-
gen; denn diese große Branche, die wir kreiert haben,
Kultur- und Kreativwirtschaft, hatte weder ein politi-
sches Gewicht hier in diesem Hause noch einen Namen,
der diese großartige Branche zusammengefasst hätte. All
dies haben wir in langer Arbeit, in über eineinhalbjähri-
ger Arbeit, auf den Weg gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darum verstehe ich, Frau Rößner und Herr Klingbeil,
Ihre Kritik überhaupt gar nicht. Wir haben etwas verän-
dert. Sie hatten damals, als Sie an der Regierung waren,
auch die Möglichkeit, diese großartige Branche nach
vorne zu pushen. Aber Sie haben nichts getan.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Urhebervertragsrecht haben wir eingeführt!)


Erst im Jahr 2007 – das war die Geburtsstunde der Kul-
tur- und Kreativwirtschaft – wurde hier in dieser Regie-
rung etwas getan,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


und diese Regierung hat das umgesetzt.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist lächerlich!)


Ich denke nur einmal an folgende Stichworte: Wir ha-
ben einen intensiven Dialog mit der Kultur und mit den
Kreativschaffenden geführt und ein regelmäßiges Moni-
toring sowie verbesserte Informations- und Beratungsan-
gebote eingeführt, wobei ich hier das Kompetenzzen-
trum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes mit
seinen Regionalbüros besonders hervorheben und für
seine Arbeit loben möchte. Wir haben die Unterstützung
bei Finanzierung, Export und Entwicklung vorange-
bracht. Wir hatten den Start einer Gründerinitiative und
des Wettbewerbs „Kultur- und Kreativpiloten Deutsch-
land“ und, und, und.

Ein Blick auf die Homepage zeigt, was sich in dieser
Branche an Unglaublichem tut und bewegt. Sie sollten
sich auch einmal mit diesen Sachen beschäftigen, ehe
Sie hier nur kritisieren.

Meine Damen und Herren, diese Entwicklung zeigt
doch deutlich: Unser gemeinsamer Antrag, an dem ja
auch die Grünen und natürlich auch die FDP beteiligt

waren – wir haben damals schon sehr gut zusammenge-
arbeitet –,


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Damals vielleicht!)


hat Wirkung entfaltet. Nach vielen Jahren des Dornrös-
chenschlafs hat Deutschland es geschafft, endlich eine
Strategie zur Förderung der Kultur- und Kreativwirt-
schaft zu entwickeln. Ich sage noch einmal: 2007 war
die Geburtsstunde dieser Branche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein großes Dankeschön geht daher an die Bundesregie-
rung für ihr großartiges Engagement und vor allem an
das Wirtschaftsministerium – Herr Staatssekretär, geben
Sie diesen Dank bitte weiter; dieser gilt natürlich auch
für Sie – und an unseren Kulturstaatsminister Bernd
Neumann.

Aber, meine Damen und Herren, dieser Erfolg wird
nicht als Hängematte zum Ausruhen genutzt, sondern ist
Sprungbrett in die Zukunft. Auch wenn wir uns auf ei-
nem sehr, sehr guten Weg befinden, sind noch längst
nicht alle Chancen genutzt. Das sagen wir auch deutlich.
Wir wissen, dass Stillstand Rückschritt ist. Das gilt auch
für diesen Bereich. Wir arbeiten weiter. Mit diesem An-
trag zeigen wir, dass wir weiterarbeiten.

Ein aktuelles Gutachten bestätigt, dass die Kultur-
und Kreativwirtschaft zur Stärkung der Wettbewerbsfä-
higkeit der Gesamtwirtschaft erheblich beiträgt. Sie ist
sehr innovativ, Vorreiter im Einsatz neuer Methoden und
Formen der Arbeitsgestaltung sowie Innovationstreiber
für andere Branchen. Doch die Forscher machen auch
deutlich, dass eine noch stärkere Sichtbarkeit der Kultur-
und Kreativwirtschaft bei Unternehmen, zum Beispiel in
der Industrie oder im Handel, notwendig ist. Da fehlt
noch etwas. Nur so sind die Innovationspotenziale noch
besser zu heben. Aber sie sagen auch, die Kreativunter-
nehmen müssen sich selbst stärker den Bedürfnissen,
Mentalitäten und der Sprache des Kunden, also der an-
deren Seite, anpassen. Oftmals würden Kreative, so sa-
gen es die Gutachter, eine zu enge Bindung an Kunden
vermeiden, weil sie fürchten, dass sich der kreative oder
künstlerische Mehrwert dadurch reduziert. Ich denke,
diese Ängste sind unbegründet, wir müssen sie ihnen
nehmen. Außerdem sind die Kreativunternehmen bei
möglichen Partnern und Auftraggebern noch zu wenig
bekannt. Da muss dringend nachgebessert werden.

Meine Damen und Herren, ich sage deutlich: Wir sind
gut, aber es gibt noch Potenzial, besser zu werden. Noch
einmal sage ich: Stillstand ist Rückschritt. Daher unser
Antrag. Wir wollen die Initiative weiter ausbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen, dass Förderprogramme geprüft und im
Sinne von kreativen und selbstständigen Unternehmen
angepasst werden. Aber Kultur- und Kreativwirtschaft
sind mehr als das, was heute hauptsächlich besprochen
wurde. Sie sind mehr als Urheberrecht, digitale Welt
oder Künstlersozialkasse. Darüber wurde von Ihnen
hauptsächlich gesprochen. Ich denke bei der Kultur- und
Kreativwirtschaft auch an den Bereich des Handwerks,





Rita Pawelski


(A) (C)



(D)(B)


den Frau Wöhrl schon angesprochen hat, oder ich denke
an den unglaublich wichtigen Bereich der Vernetzung
von Kultur- und Kreativwirtschaft mit dem Tourismus,
von dem vor allem die Kommunen profitieren. Ohne
Zweifel haben sich Kultur- und Kreativwirtschaft und
Tourismus in den letzten Jahren zunehmend angenähert.
Da ist viel passiert. Es sind erfolgreiche Ansätze für ge-
meinsames Handeln gefunden worden. Darauf möchte
ich deutlich hinweisen. Wenn sich etwas entwickelt hat,
wenn sich etwas spürbar verbessert hat, profitieren beide
Seiten davon. Die kulturellen Angebote, die kulturellen
Schätze unserer Städte tragen wesentlich dazu bei, den
Tourismus zu fördern und die Standorte für den Touris-
mus attraktiv zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich denke an Dresden. Dresden hat eine unglaublich
schöne Landschaft. Deswegen kommen sicher viele
Touristen. Aber das kulturelle Angebot dieser Stadt
bringt doch die Menschen in diese Stadt. Die Semper-
oper, der Zwinger, das Grüne Gewölbe: Das alles sind
Highlights, die die Menschen in die Stadt bringen. Ich
denke an Wittenberg, an das Luther-Jahr 2017. Diese
Stadt entwickelt sich so fantastisch. Die Menschen fah-
ren dorthin, um die Kultur zu genießen. Sie bringen der
Stadt aber auch Vorteile. Das muss man sehen. Ich denke
an den 200. Geburtstag von Richard Wagner. Dieses Ju-
biläum nimmt die Deutsche Zentrale für Tourismus zum
Anlass, Veranstaltungen an Wagners Wirkungsstätten
besonders ins Rampenlicht zu rücken. Davon profitieren
auch Städte wie Bayreuth, Nürnberg, Leipzig, Dresden
und Weimar. Es sind historische Ereignisse, die Kultur
und Tourismus zusammenbringen. Das müssen wir noch
mehr stärken, weil wir davon unglaublich profitieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Darum sage ich, meine Damen und Herren: Kultur
und Tourismus sind doch fast ein ideales Paar. Die Kul-
turschaffenden und die Kreativen können einem wach-
senden Publikum ihre Werke zeigen. Sie werden neue
Zielgruppen entdecken, sie werden für sich werben kön-
nen, und letztendlich – darüber muss man auch reden –
bringt es ihnen verbesserte Einnahmen.

Meine Damen und Herren, die Kultur- und Kreativ-
wirtschaft erhält als Motor für Wachstum und Beschäfti-
gung endlich die Beachtung, die sie verdient hat.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


Genau vor 1 948 Tagen haben wir hier gemeinsam den
Beschluss gefasst, diese Branche zu stärken. Ganz ehr-
lich: Ich verstehe die scharfen Worte, die scharfen Zun-
gen hier heute überhaupt nicht. Wir haben es doch ge-
meinsam geschafft, dieser Branche ein Gesicht zu geben.
Zertreten Sie doch nicht das Gesicht, das Sie selber ge-
schaffen haben!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722306800

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Andrea Wicklein.


(Beifall bei der SPD)



Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1722306900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn ich mit Menschen aus der Kreativbran-
che zusammentreffe, bin ich immer wieder begeistert
von ihren tollen Ideen, von ihrem Einfallsreichtum, aber
auch von ihrem Mut, eigene, selbstbestimmte Wege zu
gehen. Kreativität ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts.
Aber der Zusammenhang zwischen Ökonomie und Kre-
ativität wird oft noch als Gegensatz empfunden; das rie-
sige Potenzial wird allzu oft noch unterschätzt. Tatsache
ist: Die Kreativwirtschaft sorgt für mehr Wachstum, vor
allem dann, wenn es uns gelingt, die Kreativität für Pro-
duktinnovationen und zusätzliche Wertschöpfung nutz-
bar zu machen. Sie führt zu mehr Arbeitsplätzen und
mehr kultureller Vielfalt.

Künstler und Kreative sind Impulsgeber für gesell-
schaftliche Erneuerung. Sie sind diejenigen, die die
Dinge aus anderen Blickwinkeln betrachten. Sie sind die
Querdenker, die wir brauchen; denn sie entwickeln völ-
lig neue Arbeitsstrukturen, Strukturen, die Ideen und
Innovationen befördern. Von dieser anderen, unver-
krampften Herangehensweise könnten wir in vielen Be-
reichen profitieren, und da schließe ich die Politik mit
ein.

Was können wir tun, um die Rahmenbedingungen für
die Kreativwirtschaft zu verbessern? Die herkömmli-
chen Förderprogramme passen oft nicht zu den spezifi-
schen Anforderungen der Kreativen. Auch die klassische
Kreditfinanzierung scheitert oft an Eigenkapitalmangel
oder daran, dass immaterielle Güter von den Kapitalge-
bern nicht anerkannt werden. Es gibt zwar bereits viel-
fältige Förderungsansätze, doch diese müssen bekannter
und besser aufeinander abgestimmt werden. Deshalb
fordern wir eine öffentliche Datenbank. In ihr sollten die
Fördermöglichkeiten übersichtlich und transparent dar-
gestellt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hinzu kommt: Förderprogramme müssen nicht nur
die Gründungs-, sondern vor allem auch die Wachstums-
phasen junger Unternehmen berücksichtigen. Ein we-
sentliches Hemmnis für junge Unternehmen aus der Kre-
ativwirtschaft ist der schlechte Zugang zu Risikokapital.
Deshalb fordern wir Bürgschaften der öffentlichen
Hand, einen erleichterten Zugang zu Mikrokrediten, bes-
sere Rahmenbedingungen für innovative Finanzierungs-
methoden wie beispielsweise Schwarmfinanzierung, das
sogenannte Crowdfunding.

Wir fordern auch, dass die Kürzung des Gründungs-
zuschusses der Arbeitsagentur, die Sie, die schwarz-
gelbe Bundesregierung, zu verantworten haben, zurück-
genommen wird. Denn gerade der Gründungszuschuss





Andrea Wicklein


(A) (C)



(D)(B)


hat vielen Menschen eine Brücke aus der Arbeitslosig-
keit in die Selbstständigkeit gebaut


(Beifall bei der SPD)


und war gerade auch für die kreative Branche sehr wich-
tig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition
schreibt in ihrem Antrag zu Recht, dass es auch die SPD
war, liebe Kollegin Rita Pawelski, die die Initiative
„Kultur- und Kreativwirtschaft“ der Bundesregierung
2007 in der Großen Koalition auf den Weg gebracht hat.
Jedoch ist aus unserer Sicht seit 2009 leider nicht mehr
viel passiert. Das belegt auch Ihr unambitionierter An-
trag, der uns heute hier vorgelegt wurde, sehr eindrucks-
voll.

Mein Fazit: Aus den vielen spannenden Gesprächen
und Begegnungen mit den Kreativen bei der Arbeit un-
serer Projektgruppe in der Fraktion, aber auch in mei-
nem Wahlkreis habe ich eines gelernt: Man muss sehr
genau hinschauen, was man eigentlich tut, um zu helfen.
Wir haben das getan: Wir haben hingeschaut, und wir
haben zugehört. Wir stellen fest: Es ist zwar schon viel
getan worden, aber es gibt noch viel zu verbessern. Ein
„Weiter so!“ reicht nicht aus.

Ich habe es eingangs schon gesagt: Kreativität ist der
Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Mit unserem Kreativpakt
wird eine SPD-geführte Bundesregierung diesen Roh-
stoff fördern.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722307000

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt das Wort der Kollege Wolfgang Börnsen von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt!)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1722307100

Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ich hoffe nicht,

dass der Kollege Frank-Walter Steinmeier jetzt deshalb
den Raum verlässt, weil ich noch einige Worte an ihn zu
richten habe.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Andrea Wicklein, ich habe Ihre Rede als angenehm
und anregend empfunden, auch wenn ich den Inhalt
nicht in allen Bereichen teile. Aber ich finde, so kann
man an ein Thema herangehen, das uns alle interessiert.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese großkoalitionäre Kuschelatmosphäre ist irgendwie komisch!)


„Dat is een Büx“, sagt der Plattdeutsche, wenn etwas
Außergewöhnliches geschieht. Mit Frank-Walter
Steinmeier, privat ein beachtlicher Kulturmensch,


(Heiterkeit des Abg. Burkhardt MüllerSönksen [FDP])


hat heute ein leibhaftiger Fraktionsvorsitzender den An-
trag zu einem Fachthema begründet. Das kommt nicht
alle Tage vor.


(Brigitte Zypries [SPD]: Genau!)


Für den bei dieser Thematik federführenden Kultur-
ausschuss freuen wir uns über die Aufwertung.


(Beifall der Abg. Brigitte Zypries [SPD])


Obwohl wir in den vergangenen dreieinhalb Jahren Sie
mit Ihrer Kompetenz, sehr verehrter Herr Kollege
Steinmeier, in unserem Gremium nicht einmal erleben
durften, hoffen wir nach dem heutigen Tag auf weitere
Direktbegegnungen, da bin ich mir mit Hans-Joachim
Otto einig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese plötzliche Platzierung Ihrer Person in das Poli-
tikfeld Kreativwirtschaft erinnert mich an ein altes Kin-
derlied, in dem sich einer auf fremdem Territorium tum-
melt:

Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
in unserm Kreis herum, widebum …
Er rüttelt sich, er schüttelt sich,
er wirft sein Säckchen hinter sich.

Sie sind herzlich eingeladen, in unserem Ausschuss mit-
zuwirken. Ermuntern Sie auch Ihren und unseren Kolle-
gen Peer Steinbrück, mitzukommen. Er gehört dem Kul-
turausschuss offiziell an,


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Ach was! Nie gesehen!)


konnte aber als Stellvertreter an keiner der bisherigen
80 Sitzungen seiner parlamentarischen Verantwortung
gerecht werden.


(Zuruf von der FDP: Hört! Hört! – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Da hat er Reden gehalten!)


Gerade bei der heute diskutierten Thematik der Kul-
turwirtschaft hätte er durchaus eine Bereicherung sein
können. Außerhalb unseres Parlamentes hat er sich bei
seinen Reden vor Börsen, Banken und Kreditinstituten
doch auch damit auseinandergesetzt. Seine angeborene
Bescheidenheit wie seine Tugend, Kollegen nicht ins
Handwerk zu pfuschen,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


haben sicher zu dieser Zurückhaltung, Parlamentsmit-
wirkung zu praktizieren, beigetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Wie kreativ!)


Damit muss ich nicht noch einmal das Kinderlied
vom Butzemann bemühen, in dem es nach dem Tanzteil
heißt:

Er rüttelt sich, er schüttelt sich,
er wirft sein Säckchen hinter sich.





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)


Nein, ein Butzemann ist unser Kollege Peer Steinbrück
wegen seiner vitalen Redeaktivitäten wirklich nicht.


(Heiterkeit der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das vorliegende Kreativpapier der SPD ist durchaus
fundiert. Lieber Siggi Ehrmann, wir als Regierungs-
koalition wissen deine Arbeit auf jeden Fall zu schätzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der zwölfseitige Antrag zur Kreativwirtschaft ist vielsei-
tig und vielfältig, wortgewaltig, wirklichkeitsnah wie
wirklichkeitsfern, wunderverheißend. Er lässt keine Ein-
zelheit in diesem Politikfeld aus. Er ist offensichtlich mit
einer voluminösen Regelungsbegeisterung geschrieben
worden, die, zugespitzt gesagt, dazu führt, dass dem
kreativen Kulturmenschen sogar die Anleitung für das
Binden seiner Schnürsenkel anempfohlen wird.


(Heiterkeit der Abg. Rita Pawelski [CDU/ CSU])


Die Eigenverantwortung unserer Bürger ist dagegen in
weite Ferne gerückt. Aber wir müssen auf das Gegenteil
setzen: auf Bürgermündigkeit, nicht auf Bürgerregle-
mentierung.


(Beifall bei der FDP)


Der kreative Geist benötigt unendlich viel Freiheit.
Der Antrag setzt als Zeitzielmarke das Jahr 2020. Das ist
noch weit weg, sieben ganze Jahre. Das enthebt einen
der Verantwortung, Zahlen zur Finanzierung vorzulegen.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!)


Für die 56 Forderungen, von denen einige durchaus
ihre Berechtigung haben, fehlt die Basis, der Nachweis
der Bezahlbarkeit. Das ist nicht redlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Bürger unseres Landes werden sich damit nicht zu-
friedengeben. Sie sind kritische Begleiter unserer Arbeit.
Sie lassen sich keine Katze im Sack verkaufen.

Der Antrag weitet die Kulturkompetenz des Bundes
zulasten der Länder und zulasten der Kommunen extrem
aus. Er greift in erschreckender Weise in die Aufgaben-
stellung von Gemeinden, Städten und Ländern ein. Er
zielt tendenziell auf eine Zentralisierung der Kultur- und
Kreativwirtschaft. Aber gerade die Förderung von Kul-
tur vor Ort – Kreativität für alle und Dezentralisierung –
sichert die vitale Kreativität unseres Landes. Daran
sollte nicht gerüttelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP])


Schließlich – das wird deutlich, wenn man den Antrag
genau liest – verordnet der Antrag den Menschen unse-
res Landes fast eine Volkspflicht zur Kreativität. Was je-
mand macht, muss ihm oder ihr selbst überlassen blei-
ben. Wir von der Union jedenfalls lehnen eine solche
Vereinnahmung der Menschen absolut ab. Gerade in den
Bereichen Kultur, Kunst und Kreativität müssen wir die

Unabhängigkeit der Bürgerinnen und Bürger gewähr-
leisten, muss sich staatliches Handeln auf den Rahmen
beschränken. Weder Kreative noch Künstler gehören an
das Gängelband staatlichen Denkens und Handelns.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP])


Als wir, das heißt alle Fraktionen des Deutschen Bun-
destages, uns 2006 in zwei großen Debatten gemeinsam
mit den Chancen der Kreativität für die Kulturwirtschaft
auseinandergesetzt haben, waren wir durchaus noch ei-
ner Auffassung: So wenig Staat wie möglich; Kreative
und Kulturmacher benötigen Krafträume ohne Auflagen.
Vor sieben Jahren – Rita Pawelski hat darauf aufmerk-
sam gemacht – forderten wir gemeinsam konzeptionelles
Regierungshandeln für die Kultur- und Kreativwirt-
schaft. Dazu ist es gekommen, nachweislich und kon-
kret.

Bereits 2010 konnte man 240 000 Unternehmen mit
einem Arbeitsplatzangebot von 1 Million Arbeitsplät-
zen registrieren. Jahr für Jahr steigen die Umsätze. Jahr
für Jahr steigt die Anzahl der Betriebe. Jahr für Jahr wer-
den mehr Arbeitsplätze geschaffen. Allein in den letzten
zwei Jahren entstanden 4 000 Unternehmen. Der Boom
geht weiter, weil die bundesweit eingerichteten Kreativ-
agenturen engagiert tätig sind. Kollegen von uns,
Dagmar Wöhrl, Joachim Otto, Steffen Kampeter,
Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann und Monika
Griefahn, haben durchaus anzuerkennende Beiträge
dazu geleistet. Das gilt auch für Rainer Brüderle als
Wirtschaftsminister und Staatsminister Bernd Neumann.
Aber es war 2006 Rita Pawelski, die in einer, wie ich
finde, bemerkenswerten Rede am 26. April, meinem Ge-
burtstag, kulturwirtschaftliche Kompetenzagenturen an-
regte und auf die Notwendigkeit der Vernetzung aller
Initiativen aufmerksam machte. Die Wünsche von da-
mals sind heute Realität. Es ist eine stabile Infrastruktur
für die Kreativwirtschaft geschaffen worden. Unser
Land wurde inzwischen Vorbild für viele europäische
Nachbarstaaten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP])


Verehrte Sozialdemokraten, das Rad muss nicht neu er-
funden werden.

Als Gradmesser für die Kreativität und Ideenvielfalt
unseres Landes wird international auch stets auf die An-
zahl von Patenten und Erfindungen verwiesen. Deutsch-
land nimmt mit jährlich über 33 000 Patentanmeldungen
mit großem Abstand in Europa die Spitzenposition ein.
Frankreich folgt mit 12 000 Patentanmeldungen auf
Platz zwei. Beim Deutschen Patentamt in München wer-
den mit leider leicht abgeschwächter Tendenz durch-
schnittlich pro Jahr 60 000 Erfindungen eingereicht.
Weltweit liegt die Bundesrepublik nach den USA und
Japan stabil auf Platz drei.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt aber nicht an der Bundesregierung!)






Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)


Bei den Firmenpatenten führen zwei Unternehmen aus
unserem Land die Weltspitze an. Das geht nur, wenn ein
kreatives Potenzial vorhanden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP])


Ich bin dagegen, dass solche großartigen Leistungen
ständig infrage gestellt und madig gemacht werden. Da-
mit demotivieren wir die Ideenbürger. Damit schaden
wir unserem Land.

Nein, das Gegenteil sollten wir propagieren, ein
Klima der Freiheit und der Ermutigung garantieren so-
wie die Kulturwirtschaft als Motor für Wachstum und
Beschäftigung stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wolfgang, wir werden deine kreativen Ideen vermissen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722307200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/12382 und 17/12383 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 35 a und 35 b
sowie Zusatzpunkt 9:

35 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Nationaler Bildungsbericht 2012 – Bildung in
Deutschland
und
Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksache 17/11465 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus
Weinberg (Hamburg), Dr. Thomas Feist, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz),
Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Stärken von Kindern und Jugendlichen durch
kulturelle Bildung sichtbar machen

– Drucksachen 17/10122, 17/12423 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Feist
Marianne Schieder (Schwandorf)

Sylvia Canel
Dr. Rosemarie Hein
Ekin Deligöz

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Die Herausforderungen der Bildungsrepublik
mit den Erkenntnissen aus dem Nationalen
Bildungsbericht angehen

– Drucksache 17/12384 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2006
gibt es alle zwei Jahre den Nationalen Bildungsbericht –
gemeinsam herausgegeben von der Kultusministerkon-
ferenz und vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung.

Davor lag ein langer Diskussionsprozess. Denn wir
wollten eine vertiefte Analyse über die Bildung in
Deutschland haben, uns also nicht nur an PISA und an-
deren OECD-Vergleichen orientieren. Wir wollten quali-
fizierte Aussagen vor allem bezogen auf das deutsche
System – Vergleichbarkeit zu diesen Studien vorausge-
setzt –, zum Beispiel über die duale Berufsausbildung –
und zwar nicht nur einmal, sondern wir wollten Längs-
schnittstudien, sodass man etwa alle zwei Jahre verglei-
chen kann und nicht nur irgendwann eine Zahl hat, bei-
spielsweise wie viele Frauen ab dem 40. Lebensjahr in
der Weiterbildung sind. So kann man erkennen, wie sich
das über die Jahre entwickelt: Hat man positive oder ne-
gative Entwicklungen?

Deswegen glaube ich, dass es ein großer Fortschritt
ist, dass wir diesen Bildungsbericht seit 2006 haben. Es
war natürlich eine lange Diskussion für das Untersu-
chungsdesign notwendig. Es ging beispielsweise um die
Frage: Welche Indikatoren nimmt man?

Im Antrag der SPD-Fraktion habe ich gelesen, dass
man dort Weiterentwicklungen wünscht. Diese sind ohne





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)


Weiteres mit der Steuerungsgruppe möglich. Es muss
sich nur um Dinge handeln, die uns substanziell für viele
Jahre interessieren. Ansonsten macht man Sonderunter-
suchungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wenn man das seit 2006 rekapituliert, kann man mit
Fug und Recht sagen, dass in diesem Bildungsbericht
deutlich wird, dass es positive Entwicklungen in
Deutschland gibt. Diese sollten wir nicht kleinreden,
aber wir sollten auch sehen, wo es Probleme oder große
Aufgaben gibt, die noch zu bewältigen sind.

Ich nenne nur einige Fakten aus dem dicken Bericht.
Wenn ich an die Diskussion Anfang 2000 denke, halte
ich es für eine sehr gute Botschaft, dass wir seit 2006
den Anteil der jungen Menschen, die die Schule ohne
Abschluss verlassen, kontinuierlich gesenkt haben. Wir
sind jetzt bei 6,2 Prozent. Das ist immer noch zu viel. Da
besteht immer noch die große Aufgabe, das weiter zu
senken. Aber es sind wesentlich mehr als zuvor am An-
fang einer Bildungskarriere gut gestartet.

Ich denke ferner an das Übergangssystem. Wir haben
jahrelang über die Millionen diskutiert, die wir für das
Übergangssystem brauchen. Inzwischen sind weniger
junge Menschen im Übergangssystem; diese Zahl ist ge-
sunken. Das hat auch einen demografischen Aspekt.
Aber ganz entscheidend ist, dass es weniger Altbewerber
gibt.

Bei denen, die noch drin sind – das sind immer noch
zu viele –, wissen wir aber, dass ein erhöhter Förderbe-
darf besteht. Deswegen ist der Politikansatz der persönli-
chen Begleitung derjenigen, die Schwierigkeiten haben
– den hat das Bundesministerium initiiert –, an dieser
Stelle der richtige Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben Rekorde zu verzeichnen, was die Zahl der
Abiturienten betrifft, was die Zahl der Studienanfänger
betrifft, aber eben auch, was die Zahl der Absolventen
betrifft. Trotzdem wissen wir, dass wir in manchen Fä-
chergruppen, zum Beispiel in den MINT-Fächern, noch
viel zu hohe Abbrecherquoten haben. Diesem Thema
will ich mich besonders widmen.

Wenn man den Bildungsbericht insgesamt nimmt,
sieht man: Er liefert Informationen, die wir so vorher
nicht hatten, zum Beispiel zur Altersstruktur der Lehrer.
In dem Bildungsbericht wird deutlich – nicht für ein ein-
zelnes Bundesland, sondern für die Bundesrepublik ins-
gesamt –, dass in den nächsten zehn Jahren ein Drittel al-
ler Lehrer in den Ruhestand gehen. Deswegen ist die
große Aufgabe – dies ist auch perspektivisch sehr wich-
tig –, eine Lehrerausbildung zu schaffen, die gute Lehrer
in das System bringt. In allererster Linie liegt die Verant-
wortung natürlich bei den Ländern, bei den lehrerbilden-
den Fakultäten, aber, ich glaube, die „Qualitätsoffensive
Lehrerbildung“, die der Bund gestartet hat, ist ein ent-
scheidender Pluspunkt, um den Nachwuchs entspre-
chend zu qualifizieren und mehr Wert darauf zu legen.

Wir sind jetzt in der Situation, dass die Länder am
Zug sind. Sie müssen bei der Kultusministerkonferenz
im März endlich das auf den Tisch legen, was für den
Bund die Voraussetzung ist, nämlich rechtssichere Krite-
rien für die gegenseitige Anerkennung. Dann können wir
im April in der GWK unter Umständen schon den Sack
zumachen. Die Länder sind jetzt am Zug. Wir als Bun-
desseite warten an dieser Stelle ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bildungsbericht besteht immer aus einem indika-
torbasierten Teil und einer Sonderuntersuchung, bei der
wir frei sind, zu entscheiden, was wir untersuchen las-
sen. Ich habe mich sehr dafür engagiert und bin sehr
froh, dass sich in 2012 die Sonderuntersuchung mit kul-
tureller Bildung, vor allen Dingen kultureller Bildung im
Lebensverlauf, befasst hat. Ich will nur zwei Ergebnisse
und Schlussfolgerungen ganz kurz nennen.

Das erste Ergebnis – dies ist eines, das Sie alle erwar-
tet haben – ist, dass das Elternhaus im Hinblick auf kul-
turelle Interessen natürlich sehr stark prägend ist. Das ist
ganz klar. Aber im Bericht wird auch deutlich: Wenn das
Elternhaus materiell nicht gut ausgestattet ist, aber zum
Beispiel durch regelmäßiges Singen oder anderes das In-
teresse der jungen Menschen an Musik wächst, dann ist
unser Bildungssystem in Deutschland, zum Beispiel
über eine Staffelung der Preise bei Musikschulen, so gut,
dass die jungen Menschen qualifiziert werden können
und dass sie ein Instrument lernen können. Das wird in
dem Bericht deutlich. In dem Moment, in dem es keine
Anregung vom Elternhaus gibt – es hängt beileibe nicht
von der Finanzsituation des Elternhauses ab, ob kultu-
relle Interessen geweckt werden –, kann man beispiels-
weise durch das Programm „Lesestart“ versuchen, das
kulturelle Interesse anzuregen.

Ich denke, es ist im Sinne von Bildungsgerechtigkeit
und Chancengerechtigkeit eine zentrale Aufgabe des
staatlichen Systems, das zu kompensieren und zu unter-
stützen. Da muss man alle Kinder erreichen und nicht se-
lektiv einzelne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zustimmung des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Erreichen kann man sie natürlich in der Schule – dort
sind alle Kinder – und zu einem großen Teil auch in den
Kitas. Deswegen haben die Bundesländer eine große
Verantwortung, das zu realisieren. Alle Bundesländer
haben in den letzten Jahren viele Projekte und anderes
im Bereich der kulturellen Bildung auf den Weg ge-
bracht. Jetzt kommt es darauf an, dass das flächende-
ckend in den Schulen originär verankert wird, unabhän-
gig davon, ob ein besonders engagierter Schuldirektor
oder Lehrer vorhanden ist. Das ist die zentrale Aufgabe.

Ich komme zum zweiten Ergebnis; dieses hat mich
überrascht. Dabei geht es um die kulturellen Aktivitäten
im Lebensverlauf. Ich hatte immer gedacht, diese wür-
den ab etwa 55 Jahren zunehmen, weil man in dem Alter
mehr Zeit hat. Das ist überhaupt nicht so. Die größte kul-
turelle Aktivität im Lebensverlauf ist bei Jugendlichen
zwischen 9 und 13 Jahren. Dies verblüfft. Damit ist aber





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)


nicht gemeint, dass sie die formalen Angebote, die es in
der Schule oder an anderer Stelle gibt, nutzen. Vielmehr
ist bei der Analyse ganz klar herausgekommen, dass sie
nonformale bzw. informelle Angebote nutzen. Das ist
ein sehr weites Feld. Genau an dieser Stelle setzt das
Bundesprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für
Bildung“ an, weil an dieser Schwachstelle jetzt Akzente
gesetzt werden, Möglichkeiten ausgelotet werden, um
diese informellen Strukturen zu befördern, zu unterstüt-
zen und auf lange Lebensdauer auszulegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen freue ich mich über den Antrag der Koali-
tionsfraktionen. Ich bin mir aber, nach dem, was ich aus
Ihren Debatten gelesen habe, sicher, dass sich viele hier
in diesem Haus für diesen Bereich starkmachen und en-
gagieren. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit.

Danke schön.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722307300

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Dagmar Ziegler.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1722307400

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Abgeordnete!

Sehr geehrte Frau Professor Dr. Wanka, ich gratuliere Ih-
nen heute noch einmal im Namen der SPD-Fraktion zu
Ihrem neuen Amt und zu Ihren neuen Aufgaben. Ich
freue mich natürlich auch persönlich über unser Wieder-
sehen im Deutschen Bundestag. Aber wir werden uns
heute darüber auseinanderzusetzen haben, was in der
Bildungsrepublik, die diese Koalition unter Merkel aus-
gerufen hat, falsch läuft.

Die Schere, liebe Kolleginnen und Kollegen, zwi-
schen Arm und Reich, zwischen Oben und Unten geht in
Deutschland weiter auseinander; das besagt der 4. Ar-
muts- und Reichtumsbericht. Der Nationale Bildungs-
bericht kommt richtigerweise – aber leider auch bedau-
erlicherweise – zum gleichen Ergebnis. Das ist die
desaströse Bilanz dieser Koalition.


(Beifall bei der SPD)


Soziale Selektivität, von der auch die Ministerin ge-
sprochen hat, ist und bleibt, nicht nur bei der kulturellen
Bildung, jedenfalls bisher das traurige Markenzeichen
deutscher Bildungspolitik. Eltern geben die eigenen Le-
benschancen an ihre Kinder weiter. Das Elternhaus wird
zum Schicksal. Für die Eliten in unserem Land ist das lo-
gischerweise kein Problem und nicht schlimm. Schlimm
ist es aber sehr wohl für diejenigen, die aus sozial
schwächeren oder bildungsfernen Elternhäusern kom-
men. Für sie erfüllt sich eben nicht das Versprechen un-
seres Grundgesetzes auf gleiche Chancen unabhängig
von der Herkunft. Das ist das Dilemma.

Das wissen auch die Menschen. Mehr als die Hälfte
der jungen Leute glaubt nämlich nicht, dass in Deutsch-

land ein Aufstieg in eine höhere soziale Schicht möglich
ist.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: „Schicksal“, „glauben“ – was soll denn das heißen, was Sie da sagen?)


Sie meinen, Leistung lohnt sich nicht; was zählt, ist al-
lein das Elternhaus.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie wollen Leistung ja sogar bestrafen!)


Das glaubt immerhin mehr als ein Drittel der jungen
Leute.

Die Koalition unter Merkel hat leider sehr viele Mittel
verplempert und sich eben nicht um die Menschen ge-
kümmert, die mit schlechteren Bildungschancen ausge-
stattet sind. Und: Die Koalition unter Merkel hat sich in
der Bildungspolitik vor ganz entscheidenden Aufgaben
gedrückt. So drücken Sie sich vor der dringend notwen-
digen besseren und gemeinsamen Finanzierung der Bil-
dung. Ja, Sie wollen das Kooperationsverbot im Grund-
gesetz lockern.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das wollen alle, bloß Ihre Länder nicht! Nur die SPD nicht!)


Aber Sie wollen eben nur so weit gehen, dass der Bund
die Spitzenforschung bedienen kann.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann lesen Sie den Entwurf mal richtig!)


Der komplette restliche Bildungsbereich geht bei Ihnen
leer aus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die Länder!)


Das Kooperationsverbot muss aus unserer Sicht vor
allem fallen,


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Aha, es muss fallen! Dann stimmen Sie doch zu!)


damit der Bund die Länder beim weiteren Ausbau der
Ganztagsschulen unterstützen kann;


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Käse!)


denn nur so wird es uns gelingen, die Bildungschancen
der Kinder und Jugendlichen mehr von ihrem Elternhaus
zu entkoppeln.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau! Entkoppeln Sie mal die Kinder von ihrem Elternhaus!)


Und: Das Kooperationsverbot muss auch fallen, damit
Bund und Länder mit vereinten Kräften den 7,5 Millio-
nen Analphabetinnen und Analphabeten helfen können.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, ja! Sie wollen doch nur wieder mit der Gießkanne durch das Land ziehen!)






Dagmar Ziegler


(A) (C)



(D)(B)


Schließlich muss das Kooperationsverbot fallen, damit
wir ein inklusives Bildungssystem verwirklich können,
das kein Kind mehr ausschließt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die schlimmste Koalition seit Jahren drückt sich auch
davor, den Übergang von der Schule in den Beruf anzu-
packen.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Ach, um Gottes willen! In welcher Welt leben Sie denn?)


Der Übergang muss für alle jungen Menschen zu einer
Startrampe in ein Leben voller Chancen werden.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ist das vielleicht in Moskau so, wie Sie studiert haben?)


Sie haben, wie immer, angekündigt, das Übergangssys-
tem zu verbessern. Passiert ist leider gar nichts.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie sollten wirklich öfter mal in den Ausschuss kommen! Dann wüssten Sie, wovon Sie reden! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie hat doch recht!)


300 000 Jugendliche drehen nach wie vor ihre Schleifen
in einem unübersichtlichen und oft nur wenig wirkungs-
vollen System von Maßnahmen. Dieser Maßnahmen-
dschungel ist nicht nur enorm teuer – immerhin schlägt
er mit 6 Milliarden Euro zu Buche, und das Jahr für
Jahr –, sondern er bringt junge Menschen auch um ihre
berechtigte Chance auf ein selbstständiges und erfülltes
Leben.

Die SPD-Fraktion hat vorgeschlagen, diesen Dschun-
gel zu durchforsten, die guten Maßnahmen zu verstärken
und junge Menschen mit einer Ausbildungsgarantie aus-
zustatten. Nichts davon wollten Sie, und nichts davon ist
umgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach, das ist doch nur Papier! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Genau! Wir wollen keine leeren Versprechungen machen! Es gibt nämlich keine Garantien!)


Die schlechteste Koalition seit Jahren drückt sich da-
vor, alle jungen Menschen mit den Mitteln auszustatten,
die sie für eine gute Bildung brauchen. Viele junge Men-
schen trauen sich ein Studium trotz bester Eignung ein-
fach nicht zu, weil ihre Eltern das Studium nicht finan-
zieren können und die BAföG-Förderung ihnen zu
unsicher erscheint.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Käse! – Otto Fricke [FDP]: Wie viel Geld wollen Sie eigentlich?)


Das ist für ein reiches Land wie Deutschland eine
Schande, wie ich finde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Wie viel Geld wollen Sie?)


– Ich sage gleich etwas dazu.

Diese schwarz-gelbe Koalition bringt es trotz steigen-
der Studierendenzahlen, für die Sie sich ja rühmen, fer-
tig, Kürzungen bei den Bundesmitteln für das BAföG
und auch für das Meister-BAföG zu beschließen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Na, na! Fragen Sie mal in Ihren Ländern nach! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)


– Schauen Sie in Ihren Haushaltsentwurf! Ich habe ihn
mit; ich wusste, dass diese Reaktion kommt. Noch nicht
einmal das wissen die Bildungspolitiker dieser Koali-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Traurig, traurig, traurig!)


Diese Kürzungen bilden einen weiteren Riegel, mit dem
junge Menschen vom sozialen Aufstieg ferngehalten
werden.

Meine Damen und Herren, ich muss es leider so sa-
gen: Die Koalition unter Frau Merkel ist auch mit ihrer
Bildungspolitik schlichtweg gescheitert.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht im Kabarett!)


Auch deshalb brauchen wir im Herbst einen Politik-
wechsel.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1722307500

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Sylvia Canel.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Sylvia Canel (FDP):
Rede ID: ID1722307600

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und

Herren! Die Bundesregierung kommt – das können wir
alle im Nationalen Bildungsbericht 2012 nachlesen –
den Pflichten in dem Bereich, für den sie zuständig ist,
sehr gut nach. Das Bildungschaos herrscht vor allem in
den rot-grün regierten Bundesländern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Jetzt haben Sie es uns aber gegeben!)


Das wird ganz speziell an dem heiß diskutierten Thema
Sitzenbleiben deutlich. In der Bundesrepublik Deutsch-
land wiederholten von 2010 auf 2011 163 400 Schülerin-





Sylvia Canel


(A) (C)



(D)(B)


nen und Schüler eine Klasse. Das sind circa 2 Prozent.
Die neu konstituierte rot-grüne Landesregierung in Nie-
dersachsen hat in ihrem jüngst ausgehandelten Koali-
tionsvertrag angekündigt, das Sitzenbleiben aus den
Schulen zu verbannen.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch eine gute Idee! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Debatte war doch gestern schon!)


Das hört sich erst einmal sehr modern an. Auch Herr
Stoch, der Kultusminister aus Baden-Württemberg, äu-
ßerte sich zu der geplanten Reform erst einmal positiv.
Er sagte: Die Angst vor dem Sitzenbleiben stellt keine
sinnvolle Lernmotivation für die Schülerinnen und
Schüler dar. Daher finde er es richtig, das Sitzenbleiben
abzuschaffen.

Ich habe einmal nachgeschaut: Wer ist Herr Stoch ei-
gentlich? Was macht ihn kompetent, über den Werde-
gang von Schülerinnen und Schülern zu entscheiden?
Herr Stoch ist ein junger Rechtsanwalt und Spezialist für
Zivil- und Wirtschaftsrecht. Er sitzt seit vier Jahren im
Landtag von Baden-Württemberg.

Meine Damen und Herren, ich meine, viele Eltern
denken wie ich, wenn ich sage: Wenn es darum geht, ob
mein Kind eine Klasse wiederholen soll oder nicht, dann
muss das in erster Linie die kompetenten Fachleute vor
Ort – das sind die Lehrerinnen und Lehrer der einzelnen
Schüler – interessieren und nicht die Politiker, die in ir-
gendeinem Landtag sitzen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das stellt doch gar keiner infrage! Sie verzerren die Wirklichkeit!)


Im Interesse der Kinder ist es von ganz besonderer
Wichtigkeit, dass die Fachleute vor Ort – die Lehrerin-
nen und Lehrer – gemeinsam mit den Eltern und den
Kindern Schwächen, die vorherrschen und die gravie-
rend sind, feststellen.


(René Röspel [SPD]: Es geht darum, die Schwächeren zu fördern und Kinder nicht abzuschieben!)


Nicht die Politiker im Landtag und schon gar nicht die
Kultusminister dürfen den Schulen, die selbstständig
entscheiden müssen, welche Pädagogik richtig ist und
welche nicht, dabei hereinreden. Diese Politiker sollen
bitte nicht über diese Kinder entscheiden. Es ist der fal-
sche Weg, wie es immer der falsche Weg ist, wenn sich
die Politik in die Schulen einmischt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das macht doch gar niemand! – Weiterer Zuruf von der SPD: So ein Scheiß!)


Das Wiederholen kommt für ein Kind nicht immer als
Strafe daher, sondern auch als Chance. Ich habe gelesen
– vielleicht stimmt es, vielleicht stimmt es nicht; wir
können ja nicht alles glauben, was in der Presse steht –,
dass zum Beispiel Herr Steinbrück vom Sitzenbleiben

zweimal Gebrauch gemacht hat; auch er hat zwei Jahre
länger für die Schule gebraucht.

Die Schulen kennen den familiären Hintergrund der
Schülerinnen und Schüler und beschäftigen sich intensiv
mit ihnen; sie agieren zu deren Wohl. Es kann nicht sein,
dass den Schulen die Entscheidung entzogen wird und
ihnen damit jede Möglichkeit genommen wird, zum
Wohle des Kindes zu entscheiden.


(René Röspel [SPD]: Es geht um das Wohl des Kindes!)


Es ist – gerade in der heutigen Zeit – wichtig für die Bil-
dungsnation Deutschland, dass in der Frage, ob ein Kind
das Klassenziel erreicht oder nicht, die Fachleute vor Ort
entscheiden. Die Politik hat sich da nicht einzumischen.


(René Röspel [SPD]: Es geht nicht um Entscheidungskompetenz, sondern um das Wohl des Kindes!)


– Es geht um das Wohl des Kindes; genau so ist es. Was
für das Wohl des Kindes am besten ist, das haben jedoch
nicht Sie zu beurteilen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte nicht, dass Rechtsanwälte oder irgendwelche
Personen, die im Bundestag oder in einem Landtag sit-
zen, darüber entscheiden, ob ein Kind eine Klasse wie-
derholen muss oder nicht. Das ist nicht der richtige Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie haben es nicht verstanden! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn dagegen, individuelle Förderung zu machen?)


Ein Kind darf wiederholen, aber es muss nicht wie-
derholen. Lassen Sie doch bitte die Entscheidung bei
selbstständigen Schulen und bei den Fachleuten vor Ort.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN)


– Schön, dass Sie sich so aufregen. Wir wissen, dass Sie
das ganz anders sehen. Deshalb ist Ihre Bildungspolitik
auch so extrem erfolglos. Davon können wir in Hamburg
wirklich ein Lied singen.


(Beifall bei der FDP)


Die Sicherstellung von guter Bildung für die Kinder
und Jugendlichen in der Bundesrepublik ist die Kernauf-
gabe in der gesamten Gesellschaft; deshalb bedarf es
starker Bildungspartnerschaften. Der Nationale Bil-
dungsbericht weist zum ersten Mal auf die Bedeutung
und Wichtigkeit der kulturellen Bildung hin.

Es kann nicht sein, dass die kulturellen Fächer – die-
ser Unterricht wird nur zweistündig erteilt – in jeder
Schule immer wieder als Stiefkinder behandelt werden.
Es ist gut und richtig, dass der Bildungsbericht diese
Sparte jetzt extra beleuchtet, die kulturellen Fächer –
wohlgemerkt: zweistündig; das heißt, erteilt von einer
Lehrkraft, die nur zwei Stunden in einer Klasse ist, und
das eventuell noch nicht einmal regelhaft. Das muss sich
ändern. Wir müssen sehr viel mehr Wert darauf legen,
weil das die persönlichkeitsbildenden Fächer sind.





Sylvia Canel


(A) (C)



(D)(B)


Der Bericht stellt fest, dass ein Viertel aller Kinder
und Jugendlichen unter 18 Jahren in einer sozialen, kul-
turellen oder finanziellen Risikolage aufwächst. Für
diese Kinder, aber auch für die anderen Kinder ist es von
essenzieller Notwendigkeit, innerhalb der Schulen ein
Instrument zu lernen oder an Theatergruppen teilnehmen
zu können, und genau diese kulturelle Bildung muss ge-
meinschaftlich im Stadtteil gefördert und gefordert wer-
den.

Dies geschieht nun vorrangig durch den Antrag der
Regierungskoalition; es ist ein richtiger und guter An-
trag. Die kulturelle Bildung stärkt die positiven Eigen-
schaften auch in sozialer Hinsicht. Jeder, der in einem
Orchester gespielt hat, weiß: Wenn einer nicht mitspielt
und nur auf die anderen hört, dann gibt es ein Katzenge-
jammer. Aus diesem Grund ist es zwingend erforderlich,
dass wir diesen Antrag zur kulturellen Bildung gemein-
schaftlich beschließen und auch überall im Programm
implementieren.

Die OECD fordert, Prinzipien und Praktiken künstle-
rischer und kultureller Bildung sollen angewendet
werden, um zur Bewältigung der heutigen sozialen und
kulturellen Herausforderungen beizutragen. Kulturelle
Bildung und die dazugehörigen Einrichtungen sind in
unserer heutigen Zeit, in der es in den Wirtschaftsunter-
nehmen immer mehr um die sozialen Fähigkeiten geht,
von großer Bedeutung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Nationale Bildungsbericht rückt genau diese Bil-
dung in den Vordergrund. Ich freue mich darüber, dass
wir in der Regierungskoalition damit den richtigen Punkt
getroffen haben und daher auch das richtige Tor erzielen
werden.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722307700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein

von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722307800

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und

Herren! Verehrte Frau Professor Wanka, ich bin ge-
spannt auf die Zusammenarbeit, und Ihre Rede hat mich
zumindest hoffnungsvoll gestimmt. Trotzdem werden
Sie sich jetzt Kritik an Dingen anhören müssen, die Sie
noch nicht zu verantworten haben; aber ich kann sie der
Bundesregierung nicht ersparen.

Der Bildungsbericht des Jahres 2012 hat uns ein wei-
teres Mal die diversen Fehlstellen im deutschen
Bildungssystem vor Augen geführt. Ich will mich aus
Zeitgründen vor allem auf die Stellungnahme der Bun-
desregierung konzentrieren; denn darin soll suggeriert
werden, es gehe voran. – Ja, es geht voran, aber es geht
viel zu langsam voran.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Erstes zum Geld. Das Ziel, das 2008 auf dem
Dresdner Bildungsgipfel vereinbart wurde – 10 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung –,
wird wahrscheinlich erreicht werden. Aber die Steige-
rungen der öffentlichen Bildungsausgaben, so der Bil-
dungsbericht, beruhen vor allem auf einer überproportio-
nalen Förderung von vielen, vielen Sonderprogrammen.
Sonderprogramme aber garantieren überhaupt keine so-
lide Bildungsfinanzierung. Wären diese Programme Er-
gänzungen zu einem sonst gut ausgestatteten Bildungs-
system, dann wäre das alles in Ordnung und es wäre
nichts dagegen einzuwenden. Aber diese Programme
sollen praktisch die Fehlstellen in diesem System ka-
schieren, und das kann nicht gelingen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben einmal die Programme und ihre finanzielle
Ausstattung über die letzten vier Haushaltsjahre mit-
einander verglichen und die Ergebnisse in einer Grafik
zusammengefasst. Dabei ergab sich ein ziemliches Rauf
und Runter. Das sieht so aus und bezieht sich auf allge-
meine und berufliche Bildung.


(Die Rednerin hält ein Schaubild hoch)


So etwas ist Wirrwarr und keine Kontinuität, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Natürlich ist es gut, wenn ein Drittel aller
Jugendlichen die Schule mit einer Hochschulreife ver-
lässt und 50 Prozent eines Absolventenjahrgangs ein
Studium aufnehmen. Aber: Immer noch gehen 6,5 Pro-
zent – jetzt sind es 6,2 Prozent – der Schülerinnen und
Schüler – das sind mehr als 50 000 – ohne einen Ab-
schluss von der Schule ab. 19 Prozent aller Schülerinnen
und Schüler – also auch viele mit einem Abschluss –
können nach Beendigung des Schulbesuches nicht sicher
lesen und schreiben. Der Anteil der Schülerinnen und
Schüler, die an Förderschulen unterrichtet werden, geht
nicht zurück, obwohl es deutlich mehr gemeinsamen
Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen
gibt. 300 000 Schulabgängerinnen und -abgänger – das
sind 28 Prozent aller, die eine Berufsausbildung anstre-
ben – landen erst einmal im Übergangssystem. Nichts
anderes heißt das doch, als dass dieses Bildungssystem
für all diese Schülerinnen und Schüler ungeeignet ist.
Das ist nicht die Schuld von Lehrerinnen und Lehrern.

Drittens. In Reaktion auf dieses Defizit beim Über-
gang in die berufliche Ausbildung strebt die Bundesre-
gierung eine – ich zitiere – „passgenaue Vermittlung an“.
Dazu gibt es gleich mehrere Sonderprogramme. Eines
davon setzt schon in der 7. Klasse an. Ganz sicher ist
eine gute Berufsorientierung – das ist unstreitig – Auf-
gabe jeder Schule. Aber wer soll bitte hier wozu passen?
Besteht bei einer solchen Schwerpunktsetzung nicht
auch die Gefahr – ich sehe das so –, dass allgemeine
schulische Bildung immer stärker daran gebunden wird,
ob sie für die ausbildenden Unternehmen passgenau ist?


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Käse!)






Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)


Lassen Sie mich an dieser Stelle aus dem Bildungsbe-
richt zitieren. Auf Seite 205 ist zu lesen:

Der individuelle Nutzen von Bildung beschränkt
sich jedoch keineswegs auf beschäftigungswirk-
same und monetäre Vorteile. Bildung entfaltet ihre
Wirkungen auch in einer Vielzahl anderer Lebens-
bereiche.

Dabei geht es um Teilhabe am sozialen, politischen und
kulturellen Leben. Gut gebildete Menschen sind auch
sozial engagierter.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grund wäre es wichtig, diesen allgemeinen
Bildungscharakter von Schule zu stärken, zumal auch
Unternehmen inzwischen mitbekommen haben, dass sie
die sozialen Kompetenzen ihrer Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter brauchen.

Viertens. Die kulturelle Bildung ist diesmal dankens-
werterweise der Schwerpunkt in der Berichterstattung.
Da gibt es offensichtlich ein riesengroßes Bedürfnis in
allen Familien. Auch in diesem Bildungsbereich wird
deutlich, dass die Teilhabe an den Angeboten der Kultur
in erheblichem Maße davon abhängt, wie die Lage in
den Familien ist. Doch mancherorts wird es nicht mög-
lich sein, dass alle von kultureller Teilhabe profitieren.
Eine ausgeprägte und gute Kulturlandschaft gibt es näm-
lich nicht mehr überall.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach!)


Wo kein kulturelles Angebot mehr vorhanden ist, kann
auch keine Teilhabe ermöglicht werden. Da hilft das Bil-
dungs- und Teilhabepaket – und auch das Programm
„Kultur macht stark“ – nicht weiter.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ein hervorragendes Programm)


– Es wird nicht funktionieren, weil die Verbände, die
diese Angebote verwalten, keine Partner vor Ort finden
werden.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Das ist in Calbe – einer Stadt in meinem Wahlkreis – so,
wo Ende letzten Jahres die Stadtbibliothek als einzige
kulturelle Einrichtung geschlossen worden ist. Dann ist
einfach Ebbe.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das sind die Bürgermeister!)


– Das hat nichts mit den Bürgermeistern, sondern etwas
mit der Unterfinanzierung von Kommunen, mit der Un-
terfinanzierung von Kultur zu tun.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber da der Bund die Kommunen entlastet hat, können die doch was zahlen!)


Wir haben heute schon darüber gesprochen. Nehmen Sie
das doch endlich einmal ernst.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist eine rückwärtsgewandte Weltsicht, die Sie da verbreiten!)


Sie haben bisher alle Anträge in diese Richtung abge-
lehnt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722307900

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722308000

Ich möchte noch eine letzte Bemerkung im Hinblick

darauf machen, wie wichtig Bildung für die Persönlich-
keitsentwicklung ist. Auch wenn Sie an nichts glauben,
dann glauben Sie doch vielleicht wenigstens an folgen-
den Befund aus dem Bildungsbericht: Die Wahlbeteili-
gung von Menschen mit Hochschulabschluss ist mehr
als doppelt so hoch wie die Wahlbeteiligung von Men-
schen mit einem geringen Bildungsstand.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die Wahlbeteiligung in der DDR war besonders hoch!)


Eine hohe Wahlbeteiligung am 22. September dieses
Jahres wollen Sie doch sicherlich alle.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1722308100

Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring für Bünd-

nis 90/die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722308200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

bedanken uns eingangs bei Frau Schavan für die geleis-
tete Arbeit. Politisch standen wir ganz oft über Kreuz;
persönlich aber lief es im Miteinander stets fair und kol-
legial ab. Dafür vielen Dank!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Unsere Bundestagsfraktion wünscht Frau Wanka für
ihr neues Amt alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir werden weiter Initiativen für mehr Bildungsgerech-
tigkeit vorlegen; denn die von Ihnen angekündigte Kon-
tinuität im Koalitionshandeln würde den bildungs- und
forschungspolitischen Herausforderungen in unserem
Land nicht gerecht.

Der Nationale Bildungsbericht ist das wichtigste Do-
kument der Bildungsforschung in Deutschland. Er liegt
bereits seit Juni 2012 vor. Unseren Antrag haben wir
schon im letzten Jahr eingebracht, um eine Bundestags-
debatte zu erzwingen. Es ist wirklich schade, ja, es ist
peinlich, dass diese Koalition neun Monate braucht, um
sich mit dem Bildungsbericht zu befassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)






Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)


Die Ergebnisse des Berichts brauchen mehr Beachtung,
vor allem in politischem Handeln. Daran mangelt es die-
ser Koalition.

Ja, es gibt positive Entwicklungen. Aber es gibt ein
ganz zentrales Defizit, auf das dieser Bildungsbericht
hinweist: Unserem Land fehlt Bildungsgerechtigkeit.
Damit ist, Frau Wanka, nicht formale Durchlässigkeit
gemeint. Erbärmlich ist der Mangel an realem sozialem
Aufstieg durch Bildung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bitte Sie inständig darum, nicht an die weitgehende
Tatenlosigkeit Ihrer Vorgängerin bei der Bekämpfung
von Bildungsarmut anzuknüpfen, sondern bildungsbe-
nachteiligte Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt
Ihrer Politik zu stellen. Der Bericht dokumentiert doch:
Jeder Zehnte gilt als funktionaler Analphabet, jeder fünf-
zehnte Jugendliche bricht die Schule ab, über 2 Millio-
nen der bis 34-Jährigen haben keinen Berufsabschluss.
Das belegt die eklatante Bildungsspaltung in unserem
Land. Dieser Mangel an Chancengerechtigkeit ist ein
schlechtes Zeugnis für eine Koalition, deren Kanzlerin
eine „Bildungsrepublik“ ausrief.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Musterbeispiel für die Ignoranz dieser Regierung ist
das im Bericht kritisierte Betreuungsgeld. Das Betreu-
ungsgeld ist und bleibt eine fatale Bildungsfernhalte-
prämie und bindet Mittel, die für den Ausbau der Kin-
derbetreuung fehlen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


FDP steht offenbar für „Feige Demokratische Partei“.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der FDP)


In Ihrem Wahlprogramm stellen Sie das Betreuungsgeld
auf den Prüfstand. Vor drei Monaten haben Sie es hier
mit CDU und CSU gemeinsam im Bundestag beschlos-
sen. Sie haben Ihre Zustimmung zum Betreuungsgeld an
die Einführung eines Bildungssparens geknüpft, für das
Sie nach wie vor kein präzises Konzept vorlegen kön-
nen. Deshalb, Frau Wanka, appelliere ich da an Sie:
Stoppen Sie wenigstens das unsoziale und unausgego-
rene Instrument des Bildungssparkontos. Das bringt
nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Für die Abschaffung des bildungsfeindlichen Betreu-
ungsgeldes werden wir dann nach dem 22. September
sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer den Bericht ernst nimmt und Kinder individuell
fördern will, muss Prioritäten setzen: für flächendeckend

gute Ganztagsschulen und Inklusion im Bildungssystem.
Um diese gesamtstaatlichen Ziele zu erreichen, muss das
Kooperationsverbot im Grundgesetz fallen. Wir brau-
chen eine Ermöglichungsverfassung, keine verfassungs-
rechtliche Bildungsbarriere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Es ist schon putzig, wenn die Koalition hier einen An-
trag mit wohlfeilen Forderungen zur kulturellen Bildung
vorlegt, bei der gerade gute Ganztagsschulen eine ganz
zentrale Rolle spielen. Diese Schulen lassen Sie aber mit
ihren gewachsenen Aufgaben allein. Sie sorgen eben
nicht für ein neues Ganztagsschulprogramm.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Haben Sie mal die Vielfalt unserer Schulen gesehen?)


Frau Wanka, Sie haben in Ihrer Einstiegsrede viele
Beispiele genannt, wo mehr Bund-Länder-Kooperation
stattfinden muss. Ich nehme Sie beim Wort und appel-
liere an Sie, die letzte Chance zu nutzen und in den
nächsten Monaten eine Lösung für einen kooperativen
Bildungsföderalismus mit den Ländern zu erreichen. Sie
müssen das auf dem Schirm haben: Dieses Koopera-
tionsverbot bei Bildung und Wissenschaft muss weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Machen Sie mal in BadenWürttemberg einen guten Vorschlag!)


In der Ausbildungspolitik reicht es nicht aus, sich im
internationalen Interesse am dualen System zu sonnen.
Es ist schon gesagt worden: 300 000 Jugendliche verhar-
ren nach wie vor in Warteschleifen nach der Schule, statt
eine Ausbildung zu beginnen. Die Spaltung auf dem
Ausbildungsmarkt in Chancenreiche und Chancenarme
muss überwunden werden.

Wichtig ist auch, dass es beim Hochschulpakt einen
Nachschlag gibt. Es ist doch ganz klar, dass die Mittel
für den Hochschulpakt für die bis zu 300 000 zusätzli-
chen Studienanfänger nicht ausreichen. Deshalb müssen
diese Mittel dringend aufgestockt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie neben mehr Studienplätzen auch eine so-
ziale Öffnung unserer Hochschulen wollen – wir wollen
das –, dann lassen Sie das elitäre Deutschlandstipendium
auslaufen


(Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU])


– das bringt eh nichts –,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist denn daran elitär?)


dann verabschieden Sie sich endgültig von Ihrem Stu-
diengebühren-Mantra und dann legen Sie im Bundestag
einen konkreten Gesetzentwurf für ein besseres BAföG
vor. Das wären konkrete Beiträge zu mehr Bildungs-
gerechtigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)


Die schwarz-gelbe Koalition hat die Bildungs- und
Forschungsmittel erhöht, damit aber viele falsche Priori-
täten gesetzt, trotzdem das 10-Prozent-Ziel klar verfehlt
und keine Planungssicherheit geschaffen, da viele Finan-
zierungen nach 2013 abrupt enden. Wer eine Bildungs-
republik ausruft, wie Sie das hier heute wieder getan
haben, der darf keinen krassen Mangel an Kita-, Ganz-
tagsschul-, Ausbildungs- und Studienplätzen hinterlas-
sen. Bildungsaufstieg muss endlich höchste Priorität ha-
ben.


(Anette Hübinger [CDU/CSU]: Stimmt! Deshalb haben wir ja auch mit dem Ausbau begonnen!)


Nutzen Sie die womöglich nur noch wenigen Monate
Ihrer Amtszeit, um die richtigen Konsequenzen aus dem
Bildungsbericht zu ziehen –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722308300

Herr Kollege!


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722308400

– und falsche Weichenstellungen wie Betreuungsgeld,

Bildungssparen und Deutschlandstipendium zu korrigie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722308500

Der Kollege Thomas Feist ist der nächste Redner für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1722308600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
freue mich, dass so viele junge Leute da sind und einmal
mitbekommen, wie hier eine Bildungsdebatte abläuft.

Der Bildungsbericht legt den Schwerpunkt vor allen
Dingen auf die kulturelle Bildung. Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der Opposition, sollten sich ein-
mal überlegen, wie das wirkt, was Sie hier am Redner-
pult von sich geben.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Bestens!)


– Wer hat das gesagt?


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Ich!)


– Ja, wunderbar! – Meinen Sie, dass wir die jungen
Menschen in der Schule motivieren können, indem wir
ihnen sagen: „Du hast eigentlich ganz gute Leistungen
erbracht; aber da und da fehlt es, und dort bist du ganz
schlecht“? Das sage ich nicht nur, weil ich mehr als
15 Jahre Erfahrung in der kulturellen Bildung habe, son-
dern, weil ich ganz genau weiß, dass wir auf die Stärken
setzen müssen, um junge Leute zu motivieren. Das tun
diese Bundesregierung und diese Koalition, und das ist
genau der richtige Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn wir über kulturelle Bildung reden, dann reden
wir darüber, dass wir die Stärken des Einzelnen fördern
wollen und dass jeder Mensch ein Potenzial hat. Wir ha-
ben eben ein ganz anderes Menschenbild als die linke
Seite dieses Hauses, die junge Menschen vor allen Din-
gen als Mängelwesen definiert, die möglichst ganztags
in einer Schule von den verantwortungslosen Eltern
ferngehalten werden müssen.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Haben Sie nicht Substanzielles beizutragen? – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch eine Unverschämtheit! Nehmen Sie das zurück!)


– Mein lieber Herr Schulz, Ihnen möchte ich noch eine
ganz persönliche Nachricht mit auf den Weg geben: Wir
werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, dass Sie hier
auf der persönlichen Ebene versuchen, Kolleginnen und
Kollegen anderer Parteien schlechtzumachen und zu dif-
famieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Im Bericht steht, wie wichtig kulturelle Bildung im
Lebensverlauf ist und wo die Potenziale sind. Im Bericht
wird beispielsweise aufgezeigt, dass Migranten im kul-
turellen Bereich manchmal wesentlich aktiver sind als
andere Schüler und dass wir genau dort ansetzen könn-
ten, wenn wir Integration zu dem machen wollen, was
sie in diesem Land sein soll.

Unser verehrter Herr Bundestagspräsident, der gerade
hinter mir sitzt, hat bei der Veranstaltung zum 60. Jah-
restag der Gründung des Verbandes der Musikschulen
gesagt, dass wir zwar ein hervorragend ausgebautes kul-
turelles Netz haben, dass aber die kulturelle Bildung die
Achillesferse ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit dem An-
trag, über den wir heute abstimmen werden, hat diese
Koalition genau das richtige Signal gesetzt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und zwar nicht nur, weil sie einen Antrag gestellt hat, der
auch mit Geld untersetzt ist und die höchste Einzelför-
dermaßnahme des Bundes im Bereich der kulturellen
Bildung seit je beinhaltet, sondern weil damit auch ein
Paradigmenwechsel durchgeführt wird. Bisher war die
kulturelle Jugendbildung im Kinder- und Jugendplan des
Bundes als Kinder- und Jugendhilfemaßnahme veran-
kert, also als Unterstützung. Wir sagen: Kulturelle Bil-
dung ist Bildung, und zwar im Lebensverlauf. Deswegen
bin ich auch sehr froh, dass das auch bei der frühkindli-
chen und der beruflichen Bildung – Herr Kollege
Weinberg, aber auch der Kollege Schummer haben daran
maßgeblich mitgearbeitet – ein Thema ist. Die kulturelle
Bildung ist im Lebensverlauf und für die berufliche
Orientierung wichtig. Wir werden damit erreichen, dass
die sozialen und die Schlüsselkompetenzen, die junge
Menschen brauchen, ganz egal, ob sie später studieren
oder einen Beruf erlernen, herausgefunden und gestärkt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mit kultureller Bildung können wir innerhalb des Bil-
dungssystems dafür sorgen, dass junge Menschen moti-
viert sind und so eine ganz andere Atmosphäre von Bil-





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)


dung entsteht. Ich kann Ihnen eines versichern: Die oft
gescholtenen Bundesverbände, die anscheinend nichts
machen, haben ein sehr gut ausgebautes Netz mit Ko-
operationspartnern an Schulen. Ich nenne Ihnen einmal
ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet. Da wird im Rahmen
von kultureller Bildung ein Projekt gemacht, ein Musical
an einer Hauptschule mit jungen Leuten, denen bis zum
14. Lebensjahr noch nie jemand gesagt hat: Du kannst
etwas.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Und warum ist das so? – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wahrscheinlich immer mit Sitzenbleiben gedroht wurde!)


Wissen Sie, was passiert ist? Plötzlich gehen die jungen
Menschen aus sich heraus und sind von sich aus moti-
viert. – So etwas mit 50 Millionen Euro zu unterstützen,
das ist genau der richtige Ansatz, den diese Bundesregie-
rung hier vertritt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Das machen wir doch schon seit Jahren!)


– Nein, Herr Röspel, das machen Sie nicht seit Jahren!
Seit Jahren reden Sie darüber, wie wichtig das ist. Aber
dass Sie von der SPD dazu einen Antrag auf die Tages-
ordnung bringen und dafür Geld vorsehen, habe ich noch
nicht erlebt.

Ich muss Ihnen noch eines sagen, Herr Röspel. Mich
betrübt etwas, dass Sie aus der Schmollecke heraus, weil
Sie nicht auf eine so hervorragende Idee gekommen
sind, unseren Antrag im Ausschuss abgelehnt haben.
Das ist wirklich ein Armutszeugnis. Ich fordere Sie auf
sowie die Linken und die Grünen, die sich dort enthalten
haben: Stimmen Sie diesem hervorragenden Antrag zu!
Tun Sie etwas für kulturelle Bildung! Tun Sie etwas für
die jungen Menschen in diesem Land!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722308700

Das Wort erhält nun der Kollege Ernst Dieter

Rossmann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1722308800

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich will mich gern den Worten des Kollegen
Gehring anschließen und vor der herzlichen Begrüßung
von Frau Wanka, dem Angebot zur Kooperation in der
Sache und der Bekundung des Respekts vor der Person
das in dieser Form ausdrücklich auch noch einmal an die
frühere Ministerin Frau Schavan gerichtet sagen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Sie, Frau Wanka, eingestiegen sind in die De-
batte zu einem Nationalen Bildungsbericht, der von
Bund und Ländern zusammen verantwortet wird, ist

nicht das schlechteste Zeichen. Wir haben nicht immer
erlebt, dass Ministerinnen dazu gesprochen haben. Nach
dem Wechsel von der Bundesratsseite auf die Bundes-
regierungsseite ein Bund-Länder-Dokument aufzugrei-
fen, verpflichtet natürlich und bietet auch Chancen.

Wir haben von SPD-Seite aus sehr wohl registriert,
dass Sie auch in Einzelheiten unseres wertenden Antrags
zum Bildungsbericht eingestiegen sind. Sie können ge-
wiss glauben, dass wir die Unterscheidung zwischen
Sonderuntersuchung, Sonderveröffentlichung und dem,
was in einem Bildungsbericht eine durchgängige Be-
trachtungslinie sein müsste, sehr wohl kennen. Wenn es
darum geht, zusammen kreative neue Ideen zu entwi-
ckeln, auch den Bildungsbericht in aller Sorgsamkeit
verstärkt als Steuerungsinstrument zwischen Bund und
Ländern zu nutzen, sind wir dabei, wie lange die Regie-
rungszeit für Sie auch immer sein mag.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sehr lang!)


Gerade durch den Wechsel von der Landesverantwor-
tung in die Bundesverantwortung können Sie sich dort
gut einbringen, wo ein kooperativer Ansatz notwendig
ist. Ergreifen Sie diese Chance bitte! Sie wissen ja, wie
wichtig eine faire Regelung für die Entflechtungsmittel
nach dem Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe Hoch-
schulbau für die Länder ist. Da kann diese Bundesregie-
rung noch etwas bewirken; da können auch Sie etwas be-
wirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wissen, dass wegen der Verdopplung der Zahl der
Studienanfänger die Länder und der Bund zusammen-
kommen müssen; man darf diese Aufgabe nicht an die
Länder allein delegieren. Sie von der Bundesseite müs-
sen mit liefern, damit die Länder mitgehen können.

Sie wissen auch, dass in Bezug auf die Lehrerbildung
die Bundesländer ganz dicht beisammen sind. Man kann
einen Staatsvertrag nur zwischen zwei Ländern schlecht
machen. Machen Sie das bitte nicht zur Voraussetzung,
sodass das sinnvolle Projekt „Exzellenz in der Lehrerbil-
dung“ an der Stelle hakt. Auch eine Übereinkunft aller
Bundesländer im Sinne einer Vereinbarung ist genauso
bindend und vielleicht sogar flexibler und noch sachge-
rechter. – Aber ich merke an Ihrem Mienenspiel, dass
Sie über diese Hürde noch nicht gehen wollen. Vielleicht
ist am Ende Bayern einmal mehr einsichtiger als manch
anderer.

Die Auseinandersetzung mit dem Bildungsbericht
will ich verstärken, so wie es Kollege Gehring gemacht
hat. Dieser Bildungsbericht zeigt leider einmal mehr auf,
dass wir in Sachen Bildungsarmut und Bildungsgerech-
tigkeit noch viele Aufgaben vor uns haben.


(Beifall bei der SPD)


Aber er beschreibt auch sehr klar – die Auseinanderset-
zung darüber wünschen wir uns auch mit den Regie-
rungsfraktionen – auf Seite 14 vier zentrale Aufgaben-
felder.





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)


Als erstes Aufgabenfeld nennt er im Konsens mit
Bund, Ländern und der Wissenschaft, die an diesem Bil-
dungsbericht mitgearbeitet hat, die Qualifizierung der
frühkindlichen Bildung über eine Qualifizierung des
Personals und eine Aufwertung von Kindertagesstätten
als Bildungseinrichtungen. Um noch einmal zu vertie-
fen, was Kollege Gehring angesprochen hat – wir haben
hier ja eine SPD-Grüne-Gesamtsinfonie –: Frau Wanka,
Sie werden in den Diskussionen, die sich um den 1. Au-
gust dieses Jahres entwickeln, die bittere Erfahrung ma-
chen, dass die 2 Milliarden Euro, die als Betreuungsgeld
kalkuliert wurden, besser unmittelbar für die Qualifizie-
rung in Kindertagesstätten eingesetzt würden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben aber noch alle Chancen – auch in der FDP auf
der Ebene von Parteibeschlüssen –, dies zu korrigieren
und nachhaltig ein neues Denken zu beginnen. Im Übri-
gen – Stichwort „betrogene Betrüger“ – muss sich die
FDP fragen, ob sie sich beim Bildungssparen – das es
immer noch nicht gibt; dabei war es ihre Bedingung da-
für, dass das Betreuungsgeld kommt – weiter hinhalten
lassen will.

Was das zweite Aufgabenfeld angeht, will ich Ihre em-
phatischen und kompetenten Ausführungen zur kulturel-
len Bildung gar nicht kommentieren, Herr Feist. Johannes
Rau hat immer gesagt: Ein Instrument macht Kinder
schlau. – Das war ein knapper, aber treffender Ausdruck
für die Bedeutung von kultureller Bildung – man kann das
auch auf die kulturellen Zugangsformen beziehen –, weil
das Kinder stark macht und sie in ihrer persönlichen Leis-
tung anspricht. Wenn wir das gemeinsam angehen, dann
lassen Sie es doch einfach, der Opposition das Etikett
„leistungsfeindlich, kulturfeindlich und bildungsfeind-
lich“ an die Backe zu kleben.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!)


Wir sind in der Bewertung im Prinzip sehr weit, und
zwar gemeinsam. Was wir dem Bericht bzw. der Analyse
der Wissenschaftler entnommen haben, ist, dass – so be-
dauerlich es ist – eben nicht allen Kindern persönliche
Stärke durch kulturelle Bildung vermittelt werden kann.
Im Bildungsbericht wird in der zweiten Empfehlung aus-
drücklich gesagt, dass es dafür gute Ganztagsschulen
braucht, weil darüber auch alle Kinder angesprochen
werden, die jetzt sozial von anderen getrennt sind und
eben nicht in der freiwilligen, außerschulischen und fa-
milienergänzenden kulturellen Bildung erreicht werden.
Deshalb ist es so wichtig, Frau Wanka, dass auch Sie in
Bezug auf die Länder und die Öffnung des Grundgeset-
zes aktiv werden, um den Zugang zu gerechter kulturel-
ler Bildung für alle auch durch Ganztagsschulen zu er-
möglichen, statt alles geschehen zu lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die dritte Empfehlung ist: Das Übergangssystem
muss modernisiert werden. Hier werden wir noch Dis-
kussionen darüber führen dürfen: Wie weit ist die Be-

rufsorientierung durch diese Regierung tatsächlich aus-
kömmlich finanziert?

Viertens wird die Schnittstelle zwischen dualer Aus-
bildung und Hochschule angesprochen. Wir haben sehr
wohl registriert, dass Sie das Thema auch auf Ihre
Agenda gesetzt haben. Aber im Bericht wird festgestellt,
dass es sehr schwierig ist, solange es an den Hochschu-
len noch den hohen Leistungsdruck gibt. Umso wichti-
ger ist es, dass Sie eine Entlastung der Hochschulen über
eine gute Fortsetzung des Hochschulpaktes mit organi-
sieren. Sonst ist die andere richtige gemeinsame Idee
schwer zu realisieren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722308900

Herr Kollege!


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1722309000

Ich hoffe, Sie verstehen es auch durch die Sachlich-

keit unserer Einlassungen so, dass es bei der empirischen
Wende, die von Frau Bulmahn über Frau Schavan mit
den Bildungsberichten verbunden ist, auch immer eine
sachliche Debatte geben muss, und die bieten wir Ihnen
an. In dem Sinne wollen wir jetzt trefflich bis zum Sep-
tember streiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722309100

Florian Hahn ist der letzte Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1722309200

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen

und Kollegen! Zu Beginn möchte ich Frau Ministerin
Wanka für ihre Antrittsrede danken. Das war ein klares
Signal, dass wir, Länder und Bund, Bildungspolitik wei-
ter erfolgreich gestalten werden.

Den Erfolg dieser Bildungspolitik belegen die Kern-
aussagen des Berichts. Sie lesen sich besonders gut im
Vergleich zu dem, was die Opposition bis 2005 nicht ge-
leistet hat. Lassen Sie mich dazu aus dem Bildungsbe-
richt 2006 zitieren, um Ihnen die Dimensionen bewusst
zu machen. Darin wird vermerkt, dass – ich zitiere – der
Anteil der Bildungsausgaben am BIP seit Jahren rück-
läufig ist. In Zahlen gefasst: Der Haushalt von Rot-Grün
plante 2005 gerade einmal 7 Milliarden Euro für das Bil-
dungsministerium ein. – Unser Haushalt für das Jahr
2013 wird indes eine nie da gewesene Summe von
13,75 Milliarden Euro für Bildung und Forschung be-
reitstellen. Das ist fast eine Verdoppelung des Etats von
2005.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass der Bildungsbericht natürlich nicht nur positive
Befunde nennt, ist klar; das möchte ich an dieser Stelle
auch nicht verschweigen. Wichtig ist, daraus die richti-
gen Schlüsse zu ziehen. Dass Rot-Grün andere Schlüsse
daraus zieht und bildungspolitisch auf dem Holzweg ist,





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)


wird in Baden-Württemberg deutlich. Oder wie erklären
Sie sich, dass dort zwar 2 Milliarden Euro Mehrausga-
ben getätigt werden, aber gleichzeitig 1 000 Lehrerstel-
len gestrichen werden? Wie erklären Sie sich, dass der
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes in Ihrer Lan-
despolitik ein fatales Signal für den Bildungsstandort
Deutschland sieht?

Der Bildungsbericht 2012 bescheinigt der christlich-
liberalen Koalition eine ausgezeichnete Arbeit. So konnte
der prozentuale Anteil frühkindlicher Bildung, Betreuung
und Erziehung deutlich gesteigert werden. Die Bildungs-
beteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
konnten wir im Vergleich zu 2005 signifikant erhöhen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was heißt „wir“?)


Gleichzeitig erhöhten sich das Schulabschlussniveau
und die Anzahl der Studienanfänger. Die Zahl der Schul-
abgänger ohne Hauptschulabschluss konnte gesenkt
werden. Den Studenten von heute bieten wir bessere
Möglichkeiten, und wir lassen sie auch bei der Finanzie-
rung nicht im Stich. Die Leistungen nach dem BAföG
wurden kontinuierlich angehoben, und die Zahl der
Empfänger konnte um 10 Prozent auf 1 Million gestei-
gert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wie verantwortungsvolle Politik in Bildung und For-
schung aussieht, kann man am Beispiel Bayerns erken-
nen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Oje, oje!)


– Ja, hören Sie ruhig einmal zu! – Bayern gibt ein Drittel
seines Etats für Bildung und Forschung aus. Wie Sie al-
len Bildungsrankings entnehmen können, belegt Bayern
durchgängig Spitzenpositionen. Für die Einführung ein-
heitlicher Abiturstandards ab 2017 steht Bayern auch
gern als Partner bereit.

Aber wenn es um ein Gut wie Bildung geht, darf man
sich nicht mit dem Mittelmaß zufriedengeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Vor diesem Hintergrund halte ich die Abschaffung des
Sitzenbleibens unter der Überschrift „mehr Bildungs-
chancen“ durch die neue rot-grüne Regierung in Nieder-
sachsen für absurd.


(René Röspel [SPD]: Ach? Das ist das Mittelmaß, mit dem Sie sich nicht zufriedengeben?)


Begründet wird das mit den anfallenden Kosten und der
persönlichen Demütigung, die Sitzenbleiben verursacht.
Da stellt sich mir die Frage, ob Sie konsequenterweise
nicht auch gleich Noten und Bildungsabschlüsse insge-
samt abschaffen wollen. Lassen Sie uns auf korrekte
Rechtschreibung verzichten! Auch eine mangelhafte
Rechtschreibung kann, wie wir alle wissen, ein schuli-
sches Erfolgshindernis sein. Mit dieser Kuschelpädago-
gik, die pseudogerechte Gleichmacherei vor Leistungs-

orientierung und individuelle Förderung stellt, werden
wir zukünftig nicht wettbewerbsfähig sein. Das hat nichts
mit Gerechtigkeit zu tun,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das hat etwas mit Dummheit zu tun!)


sondern ist ein Verbrechen an der Zukunft unserer Kin-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Persönlich habe ich mich gerade sehr gefreut, weil ich
eine SMS von zu Hause erhalten habe.


(René Röspel [SPD]: Endlich einmal!)


Meine Tochter Elisabeth hat heute ihr erstes Zeugnis be-
kommen und sich beschwert, dass darin keine Noten ste-
hen.

Aber zum Abschluss möchte ich noch einmal Dank
sagen. Danke an Annette Schavan, die sich für die Bil-
dungsrepublik Deutschland über 20 Jahre so stark ge-
macht hat! Sie hat diese Republik mit an die Spitze der
europäischen und weltweiten Bildungs- und Forschungs-
standorte gebracht. Lassen Sie uns in diesem Sinne wei-
ter für die existenzielle Ressource Bildung in diesem
Land kämpfen!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722309300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11465 und 17/12384 an in die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu Meinungsverschiedenheiten? –
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Tagesordnungspunkt 35 b. Wir kommen nun zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP mit dem Titel „Stärken von Kindern und Jugendli-
chen durch kulturelle Bildung sichtbar machen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12423, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/10122 anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana
Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Sofortige Abschaffung der Sanktionssonderre-
geln für junge Hartz-IV-Berechtigte

– Drucksache 17/11372 –





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Yvonne
Ploetz, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Hartz-IV-Sonderregelung für unter 25-Jäh-
rige abschaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Soziale Bürgerrechte garantieren – Rechts-
position der Nutzerinnen und Nutzer sozia-
ler Leistungen stärken

– Drucksachen 17/9070, 17/7032, 17/10203 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Pascal Kober

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Einen Wi-
derspruch dazu höre ich nicht. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Kollegin Yvonne Ploetz für die Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722309400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

135 Euro bekommen Jugendliche durchschnittlich, wenn
sie Hartz IV beziehen. Kommen dann noch die Kosten
der Unterkunft hinzu, kommen sie auf durchschnittlich
338 Euro. So schickt man Menschen in die Armut. Ich
finde, diese zwei Zahlen verdeutlichen die Tragödie von
Hartz IV insgesamt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will aber heute gar nicht darüber reden, dass
Hartz IV insbesondere aus armutspolitischer Sicht eine
historische Fehlentscheidung war. Ich will die besonde-
ren Härten gegenüber Jugendlichen thematisieren, und
zwar mithilfe von drei Punkten: erstens das Konstrukt
der Bedarfsgemeinschaft, zweitens die verschärften
Sanktionsregelungen und drittens das sogenannte Aus-
zugsverbot. Mit allen drei Sonderregelungen diskrimi-
nieren Sie junge Menschen aufgrund ihres Alters. Mich
verwundert wirklich, dass Ihnen noch kein Gericht einen
Strich durch die Rechnung gemacht hat.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Weil es legal ist, deshalb! Das ist doch völlig klar!)


– Einen Moment! – Professor Uwe Berlit, Richter beim
Bundesverwaltungsgericht, hat bereits gesagt, dass eine
Verfassungsklage sehr gute Chancen habe. Eine solche

Klage würden wir gerne einreichen. Das können wir
aber nicht allein. Wir brauchen dazu die Unterstützung
der SPD oder der Grünen. Aber beide haben uns abge-
sagt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nicht gut! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Die werden ihre Gründe haben!)


Zum ersten Punkt. Seit 2006 werden unter 25-Jährige
der Bedarfsgemeinschaft der Eltern zugerechnet. Sie se-
hen also junge Menschen als Anhängsel ihrer Eltern und
nicht als hilfebedürftige Einzelperson mit ganz eigenen
Problemen und Bedürfnissen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Weil Bedarfsgemeinschaft auch bedeutet, mit den Eltern
in einem Haushalt leben zu müssen, stehen den betref-
fenden Jugendlichen nach Ihrer Logik nur 80 Prozent
des eigentlichen Regelsatzes zu. Wie gesagt, das sind
durchschnittlich 135 Euro, also noch nicht einmal der
Regelsatz, den die Jugendlichen eigentlich bekommen
müssten. Das hat mit einer bedarfsorientierten Sozial-
leistung überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum zweiten Punkt. Jugendliche werden wesentlich
härter und wesentlich öfter nach SGB II bestraft als Er-
wachsene.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Ihnen darf die Leistung nach einem Vergehen – und zwar
immer ein Vergehen aus Sicht der Behörde – um 100 Pro-
zent gekürzt werden. Drei Monate lang 0 Euro! Bei einem
weiteren Verstoß – wieder ein Verstoß aus Sicht der Be-
hörde – dürfen ihnen auch die Mittel zur Deckung von
Heizkosten und Miete gestrichen werden. Meine Damen
und Herren, kein Staat hat das Recht, Menschen die Le-
bensgrundlage zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Kommen wir zum Genehmigungsvorbehalt
beim Wohnungsauszug. Wenn junge Menschen das
18. Lebensjahr vollendet haben, aber im Hartz-IV-Bezug
sind, trifft sie ein faktisches Auszugsverbot. Wollen sie
doch ausziehen, müssen sie beweisen, dass sie sich in ei-
ner besonders schweren Notlage befinden. Wir halten
den Wunsch, auszuziehen, sich selbstständig zu machen
und auf eigenen Beinen zu stehen, an sich für einen sehr
begrüßenswerten Schritt ins Erwachsenenleben. Nach
Ihrer Logik aber müssen Behörden feststellen, ob Ju-
gendliche in ihrer Herkunftsfamilie zum Beispiel Opfer
von Gewalt werden. Da hängen schwere Schicksale von
dem Mut eines Jugendlichen oder einer Jugendlichen ab,
bei einer Behörde das Innerste nach außen zu kehren,
aber auch von der richtigen Einschätzung eines Sachbe-
arbeiters. Dann gibt es noch Jugendliche, die mit 18 aus-
gezogen sind, weil sie einen Job hatten, dann aber in
Hartz IV fallen und zu den Eltern zurückkehren müssen.
Uns wurde in der Anhörung bestätigt, dass Wohnungs-





Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)


und Obdachlosigkeit in beiden Fällen die Folge sein
können. Das muss uns allen zu denken geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Was mich bei all diesen Sonderrepressionen so richtig
ärgert: Sie haben sich kein einziges Mal darum geküm-
mert, welche Folgen das alles hat. Sie wissen gar nicht,
wie die Sanktionen wirken. Sie wissen gar nicht, wie
viele junge Menschen ausziehen wollen. Sie kennen
nicht die Zahl der Ablehnungen und die Gründe. Sie ma-
chen Gesetze, ohne sich um die Folgen zu kümmern.
Das hat mit Politik wirklich wenig zu tun.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1722309500

Max Straubinger erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1722309600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die

Linke fordert mit ihrem Antrag, alle Sanktionen für un-
ter 25-Jährige abzuschaffen, und die Grünen fordern in
ihren Anträgen, Verfahrens-, Leistungs- und Partizipa-
tionsrechte der Empfänger zu stärken bzw. beratungsin-
tensivere Gespräche mit Jugendlichen zu führen, die
letztendlich verpflichtet sind, selbst für ihren eigenen
Lebensunterhalt zu sorgen. Das ist das grundlegendste
Prinzip.

Unter diesen Gesichtspunkten ist es auch richtig ge-
wesen, dass man unter der damaligen rot-grünen Bun-
desregierung ein Hartz-Gesetz mit der Zielstellung „For-
dern und Fördern“ verabschiedet hat. Wenn wir es so
machten, wie es die Linken fordern, dass wir alle Sank-
tionsmechanismen abschafften, dann wären wir nur noch
beim Fördern, aber nicht einmal richtig beim Fördern,
sondern letztendlich beim Faulenzen. Das kann es nicht
sein.


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Grunde genommen ist die Antragstellung zumin-
dest der Linken darauf abgestellt, ein bedingungsloses
Grundeinkommen zu haben. Das ist ja die Zielsetzung.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das fordert hier niemand, Herr Straubinger!)


– Natürlich.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo denn? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann haben Sie die Anträge nicht gelesen!)


Dass es in unserer Gesellschaft Lebenskünstler gibt,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo leben Sie eigentlich? „Lesenskünstler“!)


die sich drücken und auf Kosten der Allgemeinheit leben
wollen, zeigt ja das Beispiel des Herrn Ponader, des Ge-

schäftsführers der Piratenpartei, der sich davor auch jah-
relang gedrückt hat. Das kann es nicht sein, weil das
nicht im Sinne der Steuerzahler sein kann, die all dies
sozusagen zu ermöglichen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen, und dies
auch begründet: Den Hilfebedürftigen ist nicht geholfen,
wenn man ihnen nicht darlegt, dass sie einer Arbeit
nachzugehen haben und dass es eben, wenn Verstöße ge-
meldet werden, zu Sanktionen kommt. Über eine Million
Sanktionen gab es; 700 000 davon sind letztendlich
durch nicht eingehaltene Termine für Beratungsgesprä-
che, für Vermittlungsgespräche für Angebote begründet.

Es kann nicht sein, dass sich jemand einfach davon-
stiehlt. Darum geht es. Es ist jedem möglich, solche Ter-
mine einzuhalten. Es ist im gut verstandenen Sinne des
Forderns, dass jemand diese Angebote der Bundesagen-
tur für Arbeit oder des Jobcenters dann auch anzuneh-
men hat. Wenn er sie nicht annimmt, dann ist auch die
Sanktion gerechtfertigt.

Dies ist auch vom Bundesverfassungsgericht darge-
legt worden. Das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 des
Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grund-
gesetz greift nur dann ein, „wenn und soweit andere Mit-
tel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Exis-
tenzminimums nicht zur Verfügung stehen“. Das heißt,
zuerst ist jeder selbst gefordert, sein Existenzminimum
zu erwirtschaften. Vor allen Dingen ist er auch aktiv da-
ran zu beteiligen. Er muss sich selbst aktiv beteiligen,
seine möglicherweise eingetretene Hilfebedürftigkeit so
schnell wie möglich zu beenden.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau diese Chance kriegen sie nicht!)


Dies ist ein Ausdruck dafür, dass man dies nur in dem
Sinn auch mit Sanktionen zu gewährleisten hat.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Angebote statt Sanktionen!)


– Nein. Das Angebot, Frau Kollegin, geht einer Sanktion
voraus. Sie missverstehen hier die Verwaltungspraxis,
die hier auch bestätigt wird.

Im Übrigen diffamieren Sie mit ihren Anträgen auch
die Handlungsweise der vielen Beamtinnen und Beam-
ten und der Angestellten in den Jobcentern, die sich sehr
wohl überlegen, ob eine Sanktion angebracht ist oder
nicht angebracht ist. Dies zeigen auch die Ergebnisse:
Den 700 000 Sanktionen wegen Meldeversäumnissen im
Jahr 2012 steht für 2011 ein monatlicher Bestand von
146 000 erwerbsfähigen Leistungsempfängern mit min-
destens einer Sanktion gegenüber, davon 39 000 Sank-
tionen für Personen unter 25 Jahren, also eine Quote von
4,8 Prozent. Sie unterstellen, dass besonders Jugendliche
davon betroffen sind. Das kann man aus dieser Zahl in
keiner Weise schließen; denn diese Zahl stammt aus dem
Jahr 2011. Das bedeutet, dass die Arbeitsagenturen, die
Jobcenter, mit den Sanktionen sehr spärlich und sachge-
recht umgehen. Deshalb gibt es hier keine Kritik zu
üben.





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


Deswegen ist es notwendig, Ihre Anträge dementspre-
chend abzulehnen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722309700

Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1722309800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich finde es richtig und wichtig, dass wir
heute wiederholt über das Thema Sanktionen im SGB II
sprechen und vor allen Dingen darüber, was das insbe-
sondere bei jungen Menschen unter 25 Jahren bewirkt.
Über dieses Thema sprechen wir schon seit dem letzten
Jahr. Wir werden permanent begleitet durch zum Teil
haarsträubende Medienberichte über die Praxis in den
Jobcentern.

Der Ansatz des Förderns und Forderns, von dem mein
Vorredner gesprochen hat, ist ein Grundgedanke im
SGB II. Mit diesem Gedanken der Hilfe zur Selbsthilfe
haben wir inzwischen viele Menschen vom sozialen
Rand in den Fokus der Förderung geholt und ihnen
Chancen der Teilhabe gegeben. Das steht für mich außer
Frage. Dennoch glaube ich, dass der Gleichklang des
Förderns und Forderns in eine Schieflage geraten ist. Er
ist falsch gewichtet. Schwarz-Gelb hat die Axt an die ar-
beitsmarktpolitischen Instrumente angelegt und den Ein-
gliederungstitel zusammengestrichen. Erfolgreiche
Programme wie der Gründerzuschuss, der Ausbildungs-
bonus oder der Eingliederungszuschuss für jüngere Ar-
beitnehmer sind entweder keine Pflichtleistung mehr
oder ganz gestrichen und können ihre vormals gute Wir-
kung nicht mehr entfalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns einig:
Hier muss endlich umgesteuert werden und der Gleich-
klang des Förderns und Forderns wiederhergestellt wer-
den. Vor allem vor dem Hintergrund einer verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit muss das staatliche Angebot zur
Selbsthilfe gestärkt werden. Zielsetzung muss dabei
sein, dass Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen
können. Das muss von beiden Seiten gewollt sein. Ar-
beitsuchende, die sich bemühen, ihre Hilfsbedürftigkeit
zu beenden, müssen in jedem Fall unterstützt werden.
Aber die vorsätzliche Verweigerung wiederholter Art
und die Nichtannahme von geeigneten Angeboten müs-
sen sanktioniert werden. Darum sage ich: Das Sank-
tionssystem in Gänze abzuschaffen, das könnten wir
nicht mittragen.


(Beifall bei der SPD)


Aber es muss flexibler gestaltet werden. So wie es heute
aussieht, funktioniert es nicht in der Praxis. Die dreimo-
natige Sanktionsdauer zum Beispiel ist viel zu starr. Bei
Eintritt der gewünschten Verhaltensänderung muss auch
die Möglichkeit bestehen, die Sanktionen umgehend

aufzuheben, damit positive Effekte erzielt werden kön-
nen und nicht ins Gegenteil umschlagen.


(Beifall bei der SPD)


Die verschärften Sanktionsregeln für junge Menschen
unter 25 Jahre gehören hingegen abgeschafft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist unser klares Votum. Für sie gibt es weder päda-
gogische noch fachliche Gründe. Sie stehen ganz klar im
Widerspruch zu anderen Rechtssystemen, wie zum Bei-
spiel dem Jugendstrafrecht, das aus pädagogischen
Gründen weichere Strafen vorsieht. Die jungen Erwach-
senen müssen motiviert und für die Mitwirkung gewon-
nen werden.

Was die Folgen aus den härteren Sanktionen für unter
25-Jährige sind, hat die Befragung von Experten durch
das IAB ergeben. Danach haben junge Menschen auf-
grund der harten Sanktionsregeln Existenzängste, und
ihnen droht sogar Obdachlosigkeit. Sie werden in die
Isolation gedrängt, oder sie nehmen aus Angst vor die-
sen Folgen oftmals prekäre und atypische Beschäfti-
gungsverhältnisse auf. Das kann doch nicht unser Ziel
sein. Nicht das Zurückfahren der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente gerade für Jugendliche ist richtig, sondern
verstärkte Aktivitäten zur beruflichen Integration. Daher
fordern wir die Auflegung eines Programms „2. Chance
auf Berufsausbildung“ mit dem Ziel, Jugendlichen eine
zweite Chance auf Ausbildung zu ermöglichen. Junge
Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsab-
schluss müssen die Perspektive eines beruflichen Ab-
schlusses haben. Vor Ort müssen neue Ansätze erprobt
werden, um Jugendlichen die Aufnahme einer Berufs-
ausbildung und deren erfolgreichen Abschluss besser als
bisher zu ermöglichen.

Sicherlich haben Sie wie ich in der Zeitung, die uns
jede Woche ins Büro flattert, aufmerksam gelesen, dass
die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der BA jetzt
solch einen Weg vorschlägt. Ich finde es sehr positiv,
dass sie die Situation gemeinsam mit der Wirtschaft, den
Unternehmerverbänden, verändern wollen. In Berlin ist
die Situation nämlich besonders dramatisch: Es gibt hier
22 000 junge Menschen unter 25, die arbeitslos sind.
Hinzu kommen 15 000 junge Menschen, die in irgend-
welchen Bildungsmaßnahmen sind. Etwa 10 000 Ju-
gendliche werden überhaupt nicht erfasst. Das ist eine
Riesenanzahl: fast 50 000 junge Menschen.

Die Regionaldirektion der BA nimmt die prekäre Si-
tuation zum Anlass, eine zentrale Anlaufstelle für alle
unter 25-Jährigen zu schaffen, die einen Ausbildungs-
platz oder einen Arbeitsplatz suchen. Diese Berufsagen-
tur – so nennt sie sich – für jugendliche Arbeitslose soll
den Kampf gegen die hohe Arbeitslosenquote und vor
allen Dingen die hohe Abbrecherquote im Ausbildungs-
bereich aufnehmen. In Berlin beendet jeder dritte Ju-
gendliche die Ausbildung ohne Abschluss, und auch das
können wir eigentlich nicht länger dulden. Hamburg hat
dieses Modell übrigens vor einem Jahr umgesetzt und
schon gute Ergebnisse erzielt. Ich halte das für einen
guten und richtigen Weg, um den Jugendlichen ein ernst-





Angelika Krüger-Leißner


(A) (C)



(D)(B)


haftes Angebot zu machen. Wir wollen nämlich
verhindern, dass junge Menschen in die Langzeitarbeits-
losigkeit abgleiten. Aber dafür muss es einfach konkrete
Initiativen geben. Sanktionen sind hier nicht der richtige
Weg.


(Beifall bei der SPD)


Auch die Gemeinsame Kommission von Justizminis-
terkonferenz und Arbeits- und Sozialministerkonferenz
hat das erkannt und uns schon im Oktober 2010 in einem
Bericht mitgeteilt, dass sie die besonderen Sanktionsre-
geln für junge Erwachsene unter 25 Jahren streichen
möchte. Zum Leidwesen der jungen Menschen in die-
sem Land hat dieser kluge Vorschlag keinen Eingang in
die Gesetzgebung gefunden; aber das ist typisch für
diese schwarz-gelbe Verhinderungskoalition, die offen-
sichtlich auch an dieser Diskussion kein Interesse hat.

Nun zu den Anträgen. Wir stehen dem zuletzt vorge-
legten Antrag der Fraktion Die Linke vom 7. November
2012 mit dem Titel „Sofortige Abschaffung der Sank-
tionssonderregeln für junge Hartz-IV-Berechtigte“ sehr
nah. Wir werden sehen, ob wir die Koalitionsfraktionen
im Ausschuss von diesem notwendigen Schritt überzeu-
gen können; aber ich versehe das mit einem Fragezei-
chen.

Den Anträgen, über die heute zu entscheiden ist, einer
davon aus dem Jahr 2012, können wir nicht zustimmen,
weil darin einiges miteinander vermengt worden ist, was
einfach nicht zusammengehört. Dass auch jungen Men-
schen in Ausbildung ein menschenwürdiges Existenz-
minimum gewährt werden muss, ist unstrittig. Aber
diese Absicherung nun zusätzlich über das SGB II zu re-
geln, ist nicht richtig. Wir müssen an das BAföG und an
die Berufsausbildungsbeihilfe heran und innerhalb des
Systems dringend notwendige Korrekturen vornehmen.
Dazu liegen übrigens Anträge der Opposition vor; aber
sie sind von dieser Verhinderungskoalition abgelehnt
worden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722309900

Kollegin Krüger-Leißner, mit diesen müssen wir uns

dann zu anderer Gelegenheit beschäftigen. Sie müssen
bitte zum Schluss kommen.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1722310000

Das wollte ich gerade tun. Vielen Dank für den Hin-

weis. –

Ihre Anregungen werden wir aufgreifen. Ich glaube,
es sind gute Ansätze dabei. Wir müssen uns vor allen
Dingen weiterhin mit ein Paar Problemen bei den
Schnittstellen in unserem Sozialsystem beschäftigen, um
gute Lösungen vorzulegen.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722310100

Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1722310200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Von den drei Anträgen, die wir heute beraten, sind zwei
schon dem Titel nach nahezu identisch. Das sind die bei-
den Anträge aus der Feder der Linken. Der eine trägt den
Titel: „Hartz-IV-Sonderregelungen für unter 25-Jährige
abschaffen“, und der andere lautet: „Sofortige Abschaf-
fung der Sanktionssonderregeln für junge Hartz-IV-Be-
rechtigte“. Es ist schon dem Namen nach unverkennbar,
dass beide Anträge dasselbe Ziel verfolgen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das haben Sie gut erfasst!)


Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Lin-
ken: Ist es wirklich sinnvoll, den Bundestag immer mit
demselben Thema zu befassen, statt auch einmal nach
Lösungen zu suchen und neue Konzepte zu erarbeiten?
Aber Sie müssen wissen, wie Sie hier Politik machen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Steter Tropfen!)


Ich kann für die FDP und für die Regierungskoalition
sagen, dass wir an dem Prinzip „Fördern und Fordern“
festhalten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Prinzip, das Rot-Grün damals in die Hartz-IV-
Gesetzgebung eingeführt hat, ist richtig, weil es auf ei-
nem Solidaritätsgedanken beruht. In unserer Gesell-
schaft gibt es einen dreifachen Solidaritätsgedanken,
oder anders gesprochen: Wir leben Solidarität in dreifa-
cher Beziehung.

Da gibt es zum einen diejenigen, die keinen Unter-
stützungsbedarf haben, das sind die starken Schultern in
unserer Gesellschaft. Sie sind zu Solidarität gegenüber
denjenigen verpflichtet, die schwächere Schultern ha-
ben, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Wenn sie
dem nicht nachkommen, indem sie zum Beispiel ihre
Steuern nicht bezahlen, dann werden sie sanktioniert.
Das ist das Prinzip, das in unserem Land gilt, das auf-
rechterhalten wird und zu dem wir stehen.

Dann gibt es zum Beispiel die erwerbsfähigen Er-
werbslosen, also die Hartz-IV-Empfänger, wie man um-
gangssprachlich sagt. Sie sind nicht die Schwächsten in
unserer Gesellschaft, aber sie brauchen Unterstützung.
Sie befinden sich in einer doppelten Solidaritätsbezie-
hung: zu denjenigen, die für sie durch ihrer Hände Ar-
beit die Unterstützung erwirtschaften, von der sie profi-
tieren sollen und dürfen. Gleichzeitig sind sie in einer
Solidaritätsbeziehung mit jenen, die noch schwächer
sind und noch mehr Unterstützung brauchen, die darauf
angewiesen sind, dass die vorhandenen Mittel im Sozial-
staat effizient und gerecht verteilt werden. In dieser dop-
pelten Solidaritätsbeziehung stehen diejenigen, über die
wir heute reden und für die Sie die Sanktionen abschaf-
fen wollen.

Die Jobcenter, die diese Sanktionen aussprechen, tun
dies nicht aus eigener Entscheidung, sondern aufgrund
der Gesetzeslage, weil sie sozusagen als Anwälte dieser
gültigen Solidaritätsbeziehung in unserer Gesellschaft





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


agieren und stellvertretend für uns, den Gesetzgeber, der
stellvertretend für die gesamte Gesellschaft spricht,
diese wechselseitige Solidarität von den Arbeitsuchen-
denden einfordern. Aus diesem Grund, weil die wechsel-
seitige Solidarität die Basis unseres Sozialstaates ist,
wollen wir von dem Prinzip „Fördern und Fordern“ auch
nicht abgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihren
Darstellungen klingt es so, als würden massenhaft Sank-
tionen gegen Arbeitslosengeld-II-Bezieher ausgespro-
chen werden. Im vergangenen Jahr wurden gegen
3,5 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher Sank-
tionen ausgesprochen, das heißt, die Beziehung zwi-
schen Jobcentern und Arbeitsuchenden funktioniert in
96,5 Prozent der Fälle, also in den allermeisten Fällen,
tadellos.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von einem Massenphänomen kann keine Rede sein.

Auch bei den von Ihnen in Ihren Anträgen hervorge-
hobenen unter 25-Jährigen sind es nur 5 Prozent. Also
auch bei denjenigen, die Sie in Ihren Anträgen auf be-
sondere Weise im Blick haben, handelt es sich in keiner
Weise um ein Massenphänomen. Vielmehr muss man
feststellen, dass die allermeisten sich korrekt verhalten
und mitwirken, um aus ihrer Hilfsbedürftigkeit heraus-
zukommen. Umgekehrt heißt das, dass die Jobcenter ihre
Arbeit verantwortlich tun.

Wir wissen, dass die Jobcenter an der einen oder an-
deren Stelle ihre Arbeit weiter verbessern können. Wir
stellen aber auch fest, dass in den letzten Jahren einiges
sehr viel besser und viel professioneller geworden ist,
auch deshalb – gerade wenn es um die unter 25-Jährigen
geht –, weil wir als Regierungskoalition den Betreuungs-
schlüssel verbessert haben, sodass mehr Zeit zur Verfü-
gung steht, auf die individuellen Bedürfnisse des Arbeitsu-
chenden einzugehen. Wir haben konkret etwas verbessert,
indem wir den Betreuungsschlüssel auf 1 : 75 verbessert
haben, sodass individuelle Beratung und individuelles
Eingehen auf die Personen in den Jobcentern möglich
ist.

Wenn Sie von einer Zunahme der Sanktionen spre-
chen, dann müssen Sie bedenken, dass der Grund dafür
vor allen Dingen ist, dass es mehr Jobangebote gibt.
Wenn es mehr Jobangebote gibt, dann gibt es mehr Kon-
taktaufnahmen zwischen den Jobcentern und den Arbeit-
suchenden, und dann besteht zumindest theoretisch die
Möglichkeit, gegen mehr Kontaktpflichten zu verstoßen
und mehr Angebote, die das Jobcenter unterbreitet, nicht
anzunehmen. Das ist eine ganz einfache statistische
Wahrheit. Die Ursache dafür ist, dass diese Regierungs-
koalition eine hervorragende Politik macht, sodass Ar-
beitsplätze entstehen, Menschen Arbeitsplätze finden
können und sie qualifiziert werden können. Dass durch
unsere Politik weniger Menschen arbeitslos sind, ist er-
freulich für die Menschen, für unsere Gesellschaft insge-
samt. Allein das wird, glaube ich, dazu führen, dass we-
niger Sanktionen ausgesprochen werden; denn jeder, der

eine Arbeit sucht, steht auch nicht in einer Beziehung zu
einem Jobcenter.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen der Lin-
ken, da Sie sich ja in besonderer Weise den Arbeit-
suchenden verpflichtet fühlen, sollten Sie Ihr Herz über
die Hürde werfen und diese Regierungskoalition einmal
aus vollem Herzen loben. Ich glaube, auch Sie sind da-
für, dass möglichst viele Menschen in diesem Land ei-
nen Job finden. Da müssen Sie doch zugeben, dass diese
Regierungskoalition so erfolgreich ist wie keine zuvor.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722310300

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722310400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Kollege Kober, ich muss auf zwei Ihrer Argumente
gleich eingehen. Sie haben gesagt, es gebe nur ganz we-
nige Sanktionen, das sei nichts Besonderes, und das
hätte etwas damit zu tun, dass es mehr Jobangebote
gebe. Ich frage erst einmal: Was sind denn das für Jobs,
die da angeboten werden?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn man sich die Sache genau anschaut, stellt man
fest, dass das Sanktionsregime über den eigentlichen
Kreis der tatsächlich Sanktionierten hinaus natürlich
Wirkungen hat, weil Leute aus Angst vor Sanktionen
und dem Entzug des Lebensunterhalts Jobs annehmen,
die sie niemals annehmen würden, wenn es eine ver-
nünftige Grundsicherung gäbe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Angelika KrügerLeißner [SPD]: Richtig! Das habe ich auch schon gesagt!)


Wie kommt es überhaupt, dass Verhältnisse wie bei der
Zeitarbeitsfirma Trenkwalder bzw. beim Versandhänd-
ler Amazon möglich sind? Wenn es Sanktionsandrohun-
gen in dieser Schärfe nicht gäbe, würden die dort Be-
schäftigten sagen: Da machen wir nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das waren doch fast alles Spanier! Die sind doch von den Sanktionen nicht bedroht!)


Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte: Sie re-
den immer vom „Fördern und Fordern“. Wir, Bünd-
nis 90/Die Grünen, sind der Auffassung, dass man, wenn
man ernsthaft fördert, wenn man die Bedürfnisse und
Wünsche der Personen ernst nimmt und wenn man ein
Wunsch- und Wahlrecht mit verschiedenen gleichwerti-
gen Angeboten einführt – genau das fordern wir in unse-
rem Antrag „Soziale Bürgerrechte garantieren“, der hier
auch behandelt wird –, die Sanktionen in aller Regel





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


überhaupt nicht benötigt. Es gibt ja auch Beispiele von
Jobcentern, die die jungen Erwachsenen dort abholen,
wo sie stehen, die positiv mit ihnen arbeiten und damit
entsprechende Erfolge erzielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum sagen wir: Wir wollen bei der Motivation und
der Eigenverantwortlichkeit der Person ansetzen. Wir
folgen nicht einem Fetisch des Strafens. Ich glaube, dass
das bei den Konservativen sehr weit verbreitet ist. Das
wäre einmal ein interessantes wissenschaftliches Thema.
Herr Zimmer, Sie sind auch Hochschullehrer. Sie kön-
nen ja einmal eine Doktorarbeit mit dem Titel „Der Fe-
tisch des Strafens im Selbstverständnis der politischen
Konservativen“ anregen. Das wäre interessant.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Pascal Kober [FDP]: Also irgendwann ist das Niveau wirklich unterschritten!)


Besonders unnachgiebig wird das Prinzip des Strafens
gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen hoch-
gehalten, sei es in Form besonders scharfer Sanktions-
möglichkeiten oder als Haltung, wie man es in der
gegenwärtigen Debatte über das Sitzenbleiben in Nie-
dersachsen verfolgen kann. Dies geschieht wohl in dem
Glauben, die harte Strafe sei gegenüber dem jungen
Menschen pädagogisch besonders wertvoll, auf dass er
sich bessere. Ich sage Ihnen: Dieses Verständnis stammt
aus dem vorvergangenen Jahrhundert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sitzenbleiben und Arbeitshaus sind tatsächlich im
19. Jahrhundert zur Blüte gelangt. Gefördert wird damit
nicht der mündige Mensch, sondern das, was die Eliten
des 19. Jahrhunderts für die Tugenden der Arbeiter hiel-
ten: Gehorsam, Anpassungsbereitschaft, Fügsamkeit und
höchstens noch Fleiß durch Zwang.


(Pascal Kober [FDP]: Deshalb haben Sie es damals ins Gesetz geschrieben! Das ist ja interessant!)


Das ist heutzutage unangemessen. Wird dadurch
Kreativität ermöglicht? Wird dadurch Motivation er-
zeugt? Wird dadurch die Risikobereitschaft gefördert?
Nein. Man muss gar nicht so moralisch argumentieren,
wie die Linke es teilweise tut. Man kann es auch ganz
nüchtern und funktional betrachten. Die Tugenden der
modernen Arbeitsgesellschaft sind Eigenverantwortlich-
keit und Kreativität.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Eigenverantwortlichkeit!)


Das wird durch Zwang zum Gehorsam nicht eben geför-
dert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Bündnis 90/Die Grünen setzen mit unserem
Antrag auf das Prinzip der partnerschaftlichen Zusam-
menarbeit. Erst wenn gleichwertige Angebote, vernünf-
tige Sachen hartnäckig und wiederholt von den Betroffe-

nen ausgeschlagen werden, kann man sanktionieren,
aber Jugendliche nicht anders als Erwachsene.

Wir sind außerdem der Auffassung, dass ab einer
Kürzung von mehr als 10 Prozent Sachleistungen einset-
zen müssen. Wir sind weiterhin der Auffassung, dass das
Ganze flexibilisiert werden muss. Sobald die Verhaltens-
änderung eintritt, muss die Sanktion sofort aufgehoben
werden. Mich freut es, von der SPD zu hören, dass sie in
dieser Hinsicht politisch nachdenkt.

Es ist schon wert – egal was wer wann wie in der Ver-
gangenheit beschlossen hat, Herr Kober –, dass man an
dieser Stelle gemeinsam und nüchtern tatsächliche Wir-
kungen, beabsichtigte und wirkliche Folgen untersucht
und das dann entsprechend politisch verändert.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722310500

Der Kollege Dr. Matthias Zimmer hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1722310600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben es hier mit zwei sehr unterschiedlichen Anträgen zu
tun. Ich muss ganz persönlich sagen: Mir tut es ein biss-
chen leid, dass der inhaltlich sehr substanziierte Antrag
der Grünen mit dem sehr eindimensionalen Antrag der
Linken zusammen verhandelt wird;


(Lachen bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut mir auch leid!)


denn ich finde in Ihrem Antrag eine ganze Reihe von
Dingen, die durchaus nachdenkenswert sind.

Ich habe mich zum Beispiel sehr gefreut, in Ihrem
Antrag etwa eine Forderung zu finden, die Praxis der
Friedenswahlen bei der Selbstverwaltung der Sozialleis-
tungsträger zurückzudrängen. Sie haben hier vielleicht
auch gemerkt, dass sich der Bundesbeauftragte für die
Sozialwahlen, Gerald Weiß, in der Anhörung dieser For-
derung durchaus angeschlossen hat. Er ist aus eigener
Erkenntnis dazu gekommen. Mittlerweile liegt der
Schlussbericht zu den Wahlen 2011 vor, und es liegt ein
Vorschlag zu einem neuen Wahlverfahren und damit zur
Abschaffung der Friedenswahlen auf dem Tisch.

Ich stelle das an den Anfang meiner Rede, weil ich
glaube: Wir gewinnen in der Politik auch, wenn wir Ge-
meinsamkeiten unterstreichen und wenn wir uns die
vielleicht nur vordergründige Blöße geben, auch öffent-
lich zuzugeben, dass dann und wann auch aus der Oppo-
sition konstruktive Vorschläge kommen können. Inso-
fern habe ich den Antrag begrüßt und bin mir sicher:
Auch wenn wir Ihren Antrag heute vor allen Dingen we-
gen der Sanktionsregelungen ablehnen, bleibt eine Reihe
von nachdenkenswerten Ideen, für die ich ausgespro-
chen dankbar bin.





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)


Meine Damen und Herren, eine Differenz – das hatte
ich angedeutet – betrifft die Frage der Sanktionsregelung
bei den unter 25-Jährigen. Die Linke ist insgesamt für
eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Genau hier wird
die Debatte sehr spannend. Sie betrifft nämlich letztlich
die Frage: Darf, kann Solidarität ohne Bedingungen ge-
währt werden, oder ist Solidarität auch immer mit Eigen-
verantwortung gekoppelt? Unstreitig ist: Dort, wo die
Eigenverantwortung nicht wahrgenommen werden kann,
ist Solidarität unbedingt erforderlich. Aber wie sieht es
aus, wenn Eigenverantwortung wahrgenommen werden
kann? Wie weit reichen dann die Solidaritätspflichten
der Gemeinschaft? Mit anderen Worten: Inwieweit darf
ich als Einzelner andere in eine gesamtschuldnerische
Haftung nehmen? Denn nichts anderes ist Solidarität
nach dem alten römischen Rechtsprinzip der obligatio in
solidum. Inwieweit darf ich die Solidarität der Gesell-
schaft in Anspruch nehmen, auch wenn ich ihrer nicht
bedürfte: entweder weil ich durchaus Möglichkeiten
hätte, meine eigene Lebenssituation in den Griff zu be-
kommen oder weil ich andere, subsidiär tätige Hilfe-
möglichkeiten wie die Familie habe?

Meine These ist: Die durchaus notwendige und wich-
tige Ressource Solidarität wird durch Trittbrettfahrer
verhalten unterminiert. Dort, wo Eigenverantwortung
nicht ernstgenommen wird, kann auf Dauer keine Soli-
darität beheimatet sein. Das wäre im Übrigen auch mein
Haupteinwand gegen ein bedingungsloses Grundein-
kommen: Es vernichtet die gesellschaftlich notwendige
Ressource Solidarität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Gegenteil ist der Fall!)


Aus meinem Menschenbild heraus ist der Mensch zur
Freiheit befähigt und zur Verantwortung für sich selbst.
Er ist dabei zur Solidarität aufgerufen. Dabei verstehe
ich unter Solidarität mit der schönen Definition aus der
päpstlichen Enzyklika Sollicitudo rei socialis – ich zi-
tiere –:

… die feste und beständige Entschlossenheit, sich
für das „Gemeinwohl“ einzusetzen, das heißt, für
das Wohl aller und eines jeden, weil wir alle für alle
verantwortlich sind.

Das funktioniert aber nur, wo nicht durch Strukturen
antisolidarischen Verhaltens die Quellen der Solidarität
selbst verstopft werden. Wir dürfen Solidarität nicht
überdehnen und missinterpretieren als ein vorausset-
zungsloses Leben auf Kosten anderer. Das scheint mir
gerade bei dem Antrag der Linken der Fall zu sein. Da-
hinter stecken ein falsches Bild der menschlichen Frei-
heit, ein falsches Bild von Solidarität und vermutlich gar
keine Vorstellung von Gemeinwohl. Dies ist gar nicht
überraschend, denkt man an die geistigen Traditionen
dieser Partei.


(Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP])


Deswegen bin ich skeptisch in Bezug auf die generelle
Sanktionsfreiheit und die besonderen Regelungen für
unter 25-Jährige. Wenn wir diesen Weg gehen, zerstören
wir die Voraussetzungen von Solidarität in der Gesell-

schaft. Aber ohne Solidarität kann es, wie Oswald von
Nell-Breuning gesagt hat, keine Gemeinschaft geben.


(Zurufe von der LINKEN)


Ein letzter Punkt. Wohin es führt, wenn Solidarität
überstrapaziert wird, sieht man auch an den Debatten um
den Länderfinanzausgleich. Es ist schon absurd, dass
sich mein Bundesland Hessen jedes Jahr allein deshalb
verschulden muss, um Leistungen in anderen Bundes-
ländern zu finanzieren, die es sich selbst nicht leisten
kann. An diesem Beispiel sieht man sehr deutlich: Man
darf die Ressource Solidarität nicht als Einladung verste-
hen, es sich auf Kosten anderer gut gehen zu lassen.

Ich nehme zur Kenntnis, dass diese Einsicht überall
dort, wo Rot oder Grün regiert, noch nicht ganz verin-
nerlicht worden ist.


(Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Da irren Sie sich!)


Aber im Großen des Länderfinanzausgleiches wie im
Kleinen der Hartz-IV-Regelungen gilt: Es gibt kein An-
recht darauf, auf Kosten anderer im Namen der Solidari-
tät ein gutes Leben zu führen, wenn man dafür eigenver-
antwortlich selbst sorgen könnte.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722310700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11372 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 17/10203.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9070 mit dem
Titel „Hartz-IV-Sonderregelung für unter 25-Jährige
abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/7032 mit dem Titel „Soziale Bür-
gerrechte garantieren – Rechtsposition der Nutzerinnen
und Nutzer sozialer Leistungen stärken“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-
men.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung der Strafprozessordnung

(Abschaffung der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage – § 100 g Absatz 2 Satz 2 StPO)


– Drucksache 17/7335 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Ingrid
Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu einer rechts-
staatlichen und bürgerrechtskonformen
Ausgestaltung der Funkzellenabfrage als Er-
mittlungsmaßnahme

– Drucksache 17/7033 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/12419 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Sebastian Edathy
Jörg van Essen
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1722310800

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Der Februar 2011 hat uns schon gestern
beschäftigt. Es ging um eine Entscheidung des Immuni-
tätsausschusses; eine Kollegin und ein Kollege der
Linksfraktion beanspruchten dort eine Sonderregelung
für sich. Wir müssen uns aber auch noch aus einem an-
deren Grund mit dem Februar 2011 beschäftigen. Es hat
nämlich damals in Dresden in einem für mich unvorstell-
baren Umfang Funkzellenabfragen durch die Strafver-
folgungsbehörden gegeben. Das ist ein Vorgang, der
nicht ohne parlamentarische Beratung bleiben kann.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Burkhard Lischka [SPD] und Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb haben wir darüber ja auch gemeinsam im
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert.

Wenn es zu einer solchen missbräuchlichen Anwen-
dung einer Vorschrift kommt – ich glaube, das ist die ge-

meinsame Feststellung von allen –, dann müssen wir uns
fragen: „Hat der Gesetzgeber darauf zu reagieren?“, und
gegebenenfalls: „Wie hat er darauf zu reagieren?“ Genau
das ist der Gegenstand unserer Beratungen gewesen. Wir
haben dazu auch eine Sachverständigenanhörung durch-
geführt.

Zunächst einmal die Feststellung: Die Funkzellen-
abfrage ist ein wichtiges Ermittlungsinstrument. Aber
sie ist auch ein Eingriff in die individuellen Rechte des
Bürgers. Deshalb muss beides gegeneinander abgewo-
gen werden. Ich finde, dass der Gesetzgeber das sehr
vernünftig abgewogen hat. Er hat nämlich deutlich ge-
macht, dass ein solcher Eingriff nur dann zulässig ist,
wenn der Vorwurf, der im Raum steht, ein entsprechend
hohes Gewicht hat. Wenn man sich allein das vor Augen
führt, muss man sagen, dass die Voraussetzungen in
Dresden dazu nicht gegeben waren.

Ich finde es im Übrigen auch richtig, dass der Polizei-
präsident nach diesem Vorgang zurücktreten musste,
weil dieses Instrument hier offensichtlich rechtsmiss-
bräuchlich angewandt worden ist.

Es gibt eine zweite Hürde, die wir auch bei ähnlichen
Eingriffshandlungen der Justiz haben: Ein Richter muss
dazu befragt werden und seine Zustimmung geben. Von
daher gibt es also die üblichen hohen Hürden, die in der
Strafprozessordnung immer dann vorgesehen sind, wenn
in Rechte des Bürgers eingegriffen wird. Damit sorgen
wir dafür, dass das von den Strafverfolgungsbehörden
nicht aus eigenem Entschluss getan werden kann.

Es gibt zwei Vorschläge, die heute zur Abstimmung
stehen. Zunächst zum Vorschlag der Linken, insgesamt
auf dieses Instrument zu verzichten. Ich sage klar und
eindeutig, dass wir strikt dagegen sind, aus einem sol-
chen Einzelfall den Schluss zu ziehen: Es darf in Zu-
kunft in Deutschland keine Funkzellenabfrage mehr ge-
ben. – Wer sich die Anhörung, die der Rechtsausschuss
des Deutschen Bundestages durchgeführt hat, vor Augen
führt, weiß, welch große Bedeutung die Funkzellenab-
frage in der Vergangenheit beispielsweise bei der Auf-
klärung von Straftaten wie Mord gehabt hat;


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die individualisierte!)


bestimmte Straftaten konnten nur dadurch aufgeklärt
werden. Deshalb muss ich sagen: Ich wundere mich über
den Vorschlag, den Sie hier machen. Schwerste Strafta-
ten wie Mord könnten nicht mehr aufgeklärt werden,
wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist Unsinn, und das wissen Sie!)


Deshalb werden wir das nicht tun.

Die Grünen haben einen anderen Weg gewählt. Sie
haben die Anforderungen an die Funkzellenabfrage in
ihrem Gesetzentwurf erhöht, beispielsweise was die
richterliche Begründungspflicht angeht.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wegweisend!)






Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)


Das ist etwas, worüber man ganz selbstverständlich dis-
kutieren kann. Das kann man schon daran sehen, dass
auch die Sächsische Staatsregierung, in deren Zuständig-
keitsbereich sich ja dieser Vorgang ereignet hat, Vor-
schläge dazu gemacht hat. Das freut mich übrigens sehr,
weil es zeigt, dass eine Regierung selbst fragt: Haben ei-
gentlich diejenigen, die für uns handeln, richtig reagiert?


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn daran so neu?)


Müssen wir daraus gesetzgeberische Konsequenzen zie-
hen? Ich will also ausdrücklich loben, dass man sich
nicht sofort vor die eigenen Strafverfolgungsbehörden
gestellt hat, sondern auch darüber nachgedacht hat, ob
man gegebenenfalls Konsequenzen ziehen muss. Ich
persönlich muss für meine Fraktion sagen: Vielen Dank
für diese Anregung!


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte! Gern geschehen!)


Wie gesagt, man kann zu diesem Ergebnis kommen;
das wird ganz ohne Weiteres von uns zugestanden. Aber
ein Ergebnis der Anhörung war, dass davor gewarnt
worden ist, aus Einzelfällen sofort gesetzgeberische
Konsequenzen zu ziehen. Die Praxis der Funkzellenab-
frage gibt es jetzt ja schon lange Zeit. Wenn man sich
diese Praxis anschaut, muss man feststellen: Bis auf den
Fall in Dresden und einen zweiten Fall in Berlin ist es
nicht zu Beanstandungen gekommen. Das zeigt, dass die
Strafverfolgungsbehörden mit der Funkzellenabfrage
ganz offensichtlich verantwortungsvoll umgehen. Des-
halb sind wir als Koalition zu dem Ergebnis gekommen,
dass, jedenfalls im Augenblick, kein Anlass besteht, zu
einer Änderung zu kommen.

Ich sage aber auch ganz deutlich: Es gab bei der
Funkzellenabfrage Verstöße gegen den Verhältnismäßig-
keitsgrundsatz. Wir werden im Rechtsausschuss des
Deutschen Bundestages sorgfältig beobachten, ob es bei
diesen beiden Vorfällen bleibt, ob der Verhältnismäßig-
keitsgrundsatz eingehalten wird oder nicht. Sollte sich
herausstellen, dass die Verhältnismäßigkeit nicht beach-
tet wird, dann bin ich, das sage ich ganz offen, bereit, auf
die Vorschläge, die in diesem Zusammenhang gemacht
worden sind – beispielsweise von den Grünen, aber auch
von der Sächsischen Staatsregierung –, zurückzukom-
men. Aber im Augenblick sehe ich diese Notwendigkeit,
wie gesagt, nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722310900

Die Kollegin Marianne Schieder hat für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1722311000

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Die Dresdner Vorfälle geben wirklich allen An-
lass, sich die Regelungen rund um die Funkzellen-

abfrage genau anzuschauen. Zu Recht, wirklich zu Recht
befallen viele, viele Menschen Zweifel, ob es wirklich
sinnvoll sein kann, nach einer Demonstration 140 000 Da-
tensätze von ganz überwiegend friedlichen Demonstran-
ten und unbeteiligten Dritten zu ermitteln.

Hinzu kommt, dass diese Datensätze später gesetzes-
widrig genutzt wurden, um zum Beispiel Verstöße gegen
das Versammlungsrecht festzustellen. Selbst der sächsi-
sche Ministerpräsident musste dies öffentlich einräumen.
So ist die Funkzellenabfrage vom Gesetzgeber natürlich
nicht gedacht.

Nach der Strafprozessordnung soll die Funkzellenab-
frage nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung an-
wendbar sein. Voraussetzung ist weiter, dass die Erfor-
schung des Sachverhalts oder die Ermittlung des
Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise
aussichtslos ist oder wesentlich erschwert wird. Schließ-
lich bedarf eine solche Funkzellenabfrage einer richterli-
chen Anordnung. Das ist auch gut so; denn es handelt
sich um eine heimliche Ermittlungsmaßnahme. Die Be-
troffenen werden allenfalls im Nachhinein informiert;


(Karin Binder [DIE LINKE]: Nein, werden sie nicht!)


auf diese nachträglichen Informationen komme ich noch
zu sprechen. Wenn diese Voraussetzungen aber vorlie-
gen, ist die Funkzellenabfrage eine Ermittlungsmethode,
die sinnvoll ist und sicherlich gebraucht wird.

In der Sachverständigenanhörung ist uns – Kollege
van Essen hat bereits darauf hingewiesen – der Mordfall
Moshammer geschildert worden. Die Polizei konnte dort
zunächst keinerlei Hinweise auf Tatverdächtige finden,
sie konnte aber aufgrund einer Funkzellenabfrage fest-
stellen, dass die das Tatorthaus versorgende Funkzelle in
der fraglichen Nacht nur von 14 Mobilfunkteilnehmern
benutzt wurde. Die Abfrage bei den Mobilfunkunterneh-
men ergab, dass 13 Teilnehmer praktisch Nachbarn wa-
ren, der 14. aber nicht. Die weiteren Ermittlungen erga-
ben dann, dass diese Person tatsächlich der Mörder war.
Ohne diese Funkzellenabfrage hätte der Mörder wahr-
scheinlich nicht ermittelt werden können. In einem sol-
chen Fall halte ich die Funkzellenabfrage für eine ge-
eignete und angebrachte Ermittlungsmaßnahme.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr
geehrten Damen und Herren, habe ich auch kein Ver-
ständnis für die Forderung der Linken, die Möglichkeit
zur Funkzellenabfrage abzuschaffen.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/
Die Grünen, gehen einen anderen Weg: Sie wollen, was
den Anwendungsbereich betrifft, die Hürden anheben.
Konkret bedeutet aber auch das, dass etwa bei schwerem
Landfriedensbruch keine Funkzellenabfragen mehr
durchgeführt werden könnten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch kein Telefon abgehört werden darf!)






Marianne Schieder (Schwandorf)



(A) (C)



(D)(B)


Damit wäre die Dresdner Funkzellenabfrage natürlich
nicht möglich gewesen – das ist wahr –; denn sie wurde
beantragt, um in 23 Fällen des besonders schweren
Landfriedensbruchs die Täter zu ermitteln. Aber auch
bei Wohnungseinbrüchen oder anderen Einbrüchen oder
bei sexueller Nötigung wäre keine Funkzellenabfrage
mehr möglich. Dies halte ich für überzogen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU])


Sollen Serieneinbrüche aufgeklärt werden, wäre der
Einsatz der Funkzellenabfrage nur dann möglich, wenn
die Polizei Ansatzpunkte dafür hätte, dass es sich um
mindestens drei Täter handelt. Was aber, wenn die Poli-
zei hierfür zunächst keine Anhaltspunkte hat? Wollen
wir Funkzellenabfragen in solchen Fällen wirklich von
vornherein ausschließen? Ich glaube nicht, dass dies
sinnvoll ist, und ich glaube, dass auch die Bürgerinnen
und Bürger dafür wenig Verständnis hätten.


(Beifall bei der SPD)


Insofern geht uns der Entwurf der Grünen also zu
weit. Gut finden wir aber den Vorschlag, wonach im An-
schluss an die Funkzellenabfrage dem anordnenden
Richter über die Ergebnisse berichtet werden muss. Die
Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass es offenbar
auch, was die rasche Löschung der nicht benötigten Da-
ten betrifft, nicht zum Besten steht. Wir sollten deshalb
darüber nachdenken, ob ein solcher nachträglicher Be-
richt auch hierzu Angaben enthalten sollte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, § 100 g StPO ist
seit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
zur Vorratsdatenspeicherung von 2010 und 2012 – zu-
mindest teilweise – nicht verfassungskonform. So wie
bisher darf nur noch übergangsweise vorgegangen wer-
den. Deshalb denke ich, dass im Zusammenhang mit den
nötigen gesetzlichen Neuregelungen sicher auch noch
einmal ganz intensiv über die Funkzellenabfrage zu dis-
kutieren sein wird.

Wir als SPD-Fraktion sind sehr dafür, die Funkzellen-
abfrage als Ermittlungsinstrument beizubehalten, aber
zugleich muss sichergestellt werden, dass ihr Einsatz
nicht unverhältnismäßig erfolgen kann und die erhobe-
nen Daten auch wieder gelöscht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU])


Insofern werden wir bei den Diskussionen gern wieder,
wie Herr Kollege van Essen ebenfalls schon sagte, auf
die Vorschläge der Grünen zurückgreifen. Ich sage aber
noch einmal: Heute können wir nicht zustimmen, weil
wir die Vorschläge für zu weitgehend halten; aber ich
denke, es lohnt sich dennoch, intensiv nachzudenken,
was hier gesetzgeberisch verbessert werden könnte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722311100

Der Kollege Dr. Patrick Sensburg hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1722311200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ich möchte zu Anfang feststellen,
dass alle Fraktionen im Deutschen Bundestag außer die
Linke die Funkzellenabfrage befürworten und ihren Ein-
satz in der Strafverfolgung als sinnvoll und notwendig
erachten. Ich danke auch Frau Kollegin Schieder, dass
Sie hier intensiv ausgeführt haben, unter welchen Vo-
raussetzungen bzw. Fallgestaltungen eine Funkzellenab-
frage sinnvoll ist, und dass sie gerade dann, wenn sie
verhältnismäßig ist, ein notwendiges Mittel polizeilicher
und staatsanwaltschaftlicher Arbeit ist.

Die Auskunft, ob sich bestimmte Mobiltelefone von
Tatverdächtigen in einer Funkzelle befinden, ist eine
sinnvolle und verhältnismäßige Auskunft,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch die individualisierte! Wir reden doch über die nichtindividualisierte! Das ist ein Unterschied!)


die wir brauchen, um schwerste Straftaten zu verfolgen,
Frau Wawzyniak. Es werden ja auch – ich weiß nicht, ob
Sie sich das einmal angeschaut haben – nur Verkehrsda-
ten gespeichert. Verkehrsdaten bedeutet: Rufnummer,
Beginn und Ende der Kommunikation und Telekommu-
nikationsdiensteanbieter.


(Jörg van Essen [FDP]: Sie reden doch nicht, Herr Kollege!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722311300

Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Bemerkung oder

Frage des Kollegen Montag?


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1722311400

Aber natürlich beim Kollegen Montag.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722311500

Lieber Herr Kollege Sensburg, nachdem Sie, wie ich

mich lebhaft erinnern kann, bereits bei unserer ersten
Debatte im Oktober 2011 unsere Vorschläge nicht gele-
sen hatten und das, was wir geschrieben hatten, nicht
verstehen wollten oder konnten, frage ich Sie nun noch
einmal: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen und
dann auch differenziert darüber zu diskutieren, dass es
zwei Sorten von Abfragen gibt?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt eine, bei der man die Mobilfunknummer kennt


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!)


und schauen will, wo sich das Gerät gerade befindet. Das
ist das, wovon Sie gesprochen haben.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!)






Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)


Man möchte gern wissen, sagten Sie, ob sich ein be-
stimmtes Mobilfunktelefon irgendwo befunden hat –
eine unproblematische Sache, über die wir heute über-
haupt nicht sprechen. Warum reden Sie darüber?


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!)


Auf der anderen Seite geht es um die nichtindividuali-
sierte Abfrage. Das ist doch das datenschutz- und bür-
gerrechtlich Problematische, und dabei geht es gerade
nicht um die Frage, ob sich ein bestimmtes Mobiltelefon
an einem bestimmten Ort aufgehalten hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehr guter Hinweis!)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1722311600

Herzlichen Dank, Herr Kollege Montag; der Hinweis

ist gut. Aber natürlich habe ich damals Ihre Anträge ge-
lesen. Ich habe sie auch jetzt gelesen. Sie haben sich um
kein Wort verändert, es sind inhaltlich immer noch die
gleichen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer noch gut, ja!)


Es geht zum einen um bestimmte Mobiltelefone und
zum anderen um bestimmbare Telefone. Das ist der Un-
terschied.

Wir haben Straftaten, bei denen ich wissen will, wo
sich der Täter möglicherweise aufgehalten hat. Denken
Sie einmal an Geiselnahmesituationen. Dort habe ich na-
türlich im Vorfeld nicht die Mobiltelefonnummer. Das
wäre ja sehr simpel. Dann wüsste ich, wer der Geisel-
nehmer ist. Denken Sie an Konstellationen wie Kindes-
entführungen. Da habe ich im Vorfeld auch nicht die
Mobiltelefonnummer.

Es wäre ja eine skurrile Situation, wenn die Polizei
schon im Vorfeld die Mobiltelefonnummer hätte. Gerade
da ist es sinnvoll, die Funkzellen durchzuscannen, um in
Erfahrung zu bringen: Wer hat denn möglicherweise am
Ort der Kindesentführung oder der Geiselnahme in die-
ser Funkzelle telefoniert? Das genau sind die Konstella-
tionen, die Sie meinen; denn die Nummer ist vorher
nicht bekannt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Bei diesen Konstellationen wollen Sie die Hürden ver-
schärfen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Dabei geht es um schwerste Straftaten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Doch. Sie wollen Satz 1 ändern und auf § 477 StPO
hinweisen. Dabei geht es um die Fälle, in denen wir
gerne die Funkzellenabfrage ermöglichen würden. Wir
wollen die Hürden da nicht höher legen, weil diese Straf-

taten erheblich sind und wir diejenigen, die diese Taten
begehen, finden wollen. Sie denken nur an die Fälle, wo
eine Vielzahl von Dritten mitabgefragt wird. Das ist
nicht der Kern des Problems. Kern des Problems ist, dass
wir die Täter finden. Alle anderen Daten werden ge-
löscht. Bei diesen Straftaten ist es aber notwendig, Herr
Kollege Montag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe jetzt ja einige Straftaten aufgezählt. Es geht
nicht nur um solche Fälle, sondern auch um Fälle von
Mord und Totschlag, Raub und räuberischer Erpressung
sowie Vergewaltigung; von daher der Verweis auf
§ 108 StPO.

Meine Damen und Herren, es geht auch um Straftaten
wie Abgeordnetenbestechung. Die sind in § 100 a StPO
auch aufgezählt. Ich nenne in diesem Zusammenhang
den § 108 e StGB. Einige in diesem Hause meinen ja,
Abgeordnetenbestechung sei im Strafgesetzbuch nicht
geregelt. Dabei ist dies eine schwere Straftat im Sinne
des § 100 a StPO, also eine geregelte Straftat.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Um solche Straftaten geht es.


(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich frage mich auch, was die Fraktion Die Linke in
diesem Hause möchte. Sie von der Linken haben schon
ein komisches Verständnis von Staat und Gesellschaft,
wenn Sie sagen: Wir misstrauen der Polizei, wir miss-
trauen den Staatsanwaltschaften, wir misstrauen den
Richtern.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Dazu hat es keinen Grund!)


Das steht doch – wenn man es genau liest – in Ihrem An-
trag. Sie möchten am liebsten alle polizeilichen und
staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen abgeschafft se-
hen. Dabei brauchen wir für eine Funkzellenabfrage ei-
nen Antrag der Staatsanwaltschaft. Wir benötigen eine
Anordnung des Ermittlungsrichters. Sollte sie in Eilfäl-
len nicht vorliegen, muss sie nachgereicht werden. Wenn
sie nicht nachgereicht wird – daran ermessen Sie, wie
hoch die Hürde für die entsprechenden Voraussetzungen
liegt –, gibt es ein Beweiserhebungsverbot. Daran sieht
man, wie hoch die Latte gelegt wird und wie wichtig
diese Anordnungen sind. Das alles ist Ihnen aber egal.
Sie nehmen lieber in Kauf, dass wir bei solchen Konstel-
lationen die Täter nicht ermitteln können, weil, wie Sie
meinen – das ist ja richtig –, Dritte miteinbezogen wer-
den. Es handelt sich aber nur um deren Verkehrsdaten,
die dann wieder gelöscht werden.

Von daher muss ich sagen: Wir brauchen im Rahmen
der Verhältnismäßigkeit – der Kollege van Essen hat das
angesprochen – dieses polizeiliche Mittel. Wir müssen
die Chance haben, bei diesen Straftaten eine Funkzellen-
abfrage zu machen, um in Erfahrung bringen zu können,
wer in einem bestimmten Bereich kommuniziert hat. Da-
mit können wir den potenziellen Täterkreis reduzieren.





Dr. Patrick Sensburg


(A) (C)



(D)(B)


Das gilt sowohl für den Fall, wo wir die Telefone kennen
– das ist ein seltener Fall –, als auch für den, wo wir sie
nicht kennen, aber so erfahren, dass bestimmte Telefone
im Rahmen einer Tat in einer Funkzelle genutzt worden
sind. Dies ist ein wichtiges Instrument, das unsere Poli-
zei braucht.

Wenn Sie jetzt noch die Verknüpfung zur Vorratsda-
tenspeicherung herstellen würden, meine Damen und
Herren, hätten wir, weil wir dann auch retrograd sehen
könnten, wer in Funkzellen telefoniert hat, ein effizien-
tes, praktisches und wirklich gutes Instrument, um Täter
aufzuspüren und identifizieren zu können.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste jetzt noch hinein!)


Herr Kollege Montag, zum Schluss möchte ich noch
auf Sie zu sprechen kommen, um Ihnen zu zeigen, dass
ich Ihre Anträge lese. Sie haben in Ihrem Antrag im
Grunde nicht viel Neues geregelt – eigentlich nicht mehr
als das, was schon in der StPO steht. Was die Einzelfall-
begründung angeht: Das steht ohnehin schon in der
StPO.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?)


– Die findet sich in Abs. 1. – Die jährliche Dokumenta-
tion ist neu; diese möchten Sie haben. Ich sehe im Grunde
keinen weiteren Handlungsbedarf, an dieser Stelle viel zu
dokumentieren. Wir müssen darauf schauen, dass der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Ich sehe es
aber nicht als besonders sinnvoll an, wahnsinnige Doku-
mentationen aufzuerlegen, die im Zweifel hinterher nie-
mand liest.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lese sie schon!)


– Sie lesen sie. Das freut mich. – Ich weiß nicht, ob Sie
die Dokumentationen zu Abs. 1 gelesen haben. Viel-
leicht werde ich gleich eine Zwischenfrage stellen, wenn
Sie reden. Ich bin gespannt, ob Sie über die Dokumenta-
tionen dazu berichten können, wo Sie sie ja alle lesen.
Ich glaube, dass ein kleiner Teil dieses Hauses sie liest.
Wenn wir viel dokumentieren und es nicht nutzen, ge-
winnen wir nichts Neues dazu, meine Damen und Her-
ren.

Zu dem Antrag der Linken sage ich nicht mehr viel.
Die Linke will die Funkzellenabfrage gänzlich verbie-
ten.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen enthält ein
paar sehr sinnvolle Ansätze. Aber die Forderung, hier
eine Gesetzesänderung vorzunehmen, teile ich nicht.

Ich glaube, wir müssen bei allen Verfahren ganz ge-
nau hinschauen, ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist,
und unseren Ermittlungsbehörden deutlich machen, dass
wir vonseiten des Gesetzgebers eine massenhafte Ab-
frage ohne konkrete Verdachtsmomente nicht akzeptie-
ren.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722311700

Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722311800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich will bei dem ansetzen, was Herr Montag zu
Recht gesagt hat: Wir reden hier über die nichtindividua-
lisierte Funkzellenabfrage.


(Jörg van Essen [FDP]: Ja, klar!)


Damit ist gemeint, dass erst einmal die Kommunika-
tionsdaten aller Handybesitzer, die sich in einer Funk-
zelle befinden, miterfasst werden,


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Falsch!)


weil vermutet wird: In dieser Funkzelle findet eine Straf-
tat statt.


(Jörg van Essen [FDP]: Etwa ein Mord!)


Das heißt, es findet nichts anderes statt, als dass die Er-
mittlungsbehörden die Kommunikationsdaten recht-
schaffener Bürgerinnen und Bürger erfassen, obwohl sie
überhaupt keinen Anlass zur Erfassung gegeben haben.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722311900

Kollegin Wawzyniak, gestatten Sie eine Bemerkung

oder Frage des Kollegen Sensburg?


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722312000

Ja, wenn es sein muss.


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1722312100

Frau Kollegin Wawzyniak, Sie reden von Kommuni-

kationsdaten. Ist Ihnen bekannt, dass es um die Ver-
kehrsdaten geht, dass es nicht darum geht, dass Gesprä-
che aufgezeichnet werden, und dass es auch nicht um die
Namen der Anschlussinhaber geht?


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722312200

Herr Kollege Sensburg, im weiteren Teil der Rede

werde ich Ihnen den Unterschied zwischen Bestandsda-
ten und Verkehrsdaten noch erklären.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Danke für die Antwort!)


Der Unterschied ist folgender: Bei der individualisier-
ten Funkzellenabfrage wird genau geschaut, ob sich in
einer Funkzelle ein bestimmtes Handy befindet. Die
nichtindividualisierte Funkzellenabfrage bedeutete prak-
tisch – jetzt komme ich dazu; hören Sie zu, Herr
Sensburg –, dass zum Beispiel 2011 bei den Protesten
gegen den Naziaufmarsch in Dresden 900 000 Verkehrs-
daten ermittelt wurden. Das heißt Rufnummer, Karten-
nummer und im Übrigen Beginn und Ende der Kommu-
nikation.





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das habe ich doch gesagt!)


Daraus wurden dann 257 000 Rufnummern ermittelt und
daraus wiederum 40 000 Bestandsdaten. Das sind dann
Namen und Adressen. 40 000 Bestandsdaten, Namen
und Adressen, bei einem Protest gegen einen Naziauf-
marsch! Es tut mir leid, aber Ermutigung zu zivilem Un-
gehorsam sieht anders aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Dresden ist kein Einzelfall. Wir haben das auch in
Berlin erlebt. Zwischen 2009 und 2011 sind nach Infor-
mationen von netzpolitik.org 800 Funkzellenabfragen
durchgeführt worden und dabei 8 Millionen Verkehrsda-
ten erhoben worden.

Nun haben wir unterschiedliche Positionen. Die einen
sagen: Das ist alles ganz knorke und prima mit der nicht-
individualisierten Funkzellenabfrage. Die anderen sa-
gen: Wir müssen das grundgesetzkonform ausgestalten.
Wir sagen: Die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage
soll abgeschafft werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Warum? Es gibt das Grundrecht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit. Dieses Recht darf eben nur eingeschränkt
werden, wenn die Rechte anderer verletzt oder gegen die
verfassungsgemäße Ordnung oder gegen das Sittengesetz
verstoßen wird. Aus diesem Grundrecht leitet sich das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab, nämlich
das Recht, selbst zu entscheiden, welche Daten ich preis-
gebe. Unstreitig ist, dass die nichtindividualisierte Funk-
zellenabfrage in das Fernmeldegeheimnis eingreift.

Nun wissen wir vermutlich alle, dass Eingriffe in die
Grundrechte geeignet, erforderlich und angemessen sein
müssen. Das Beispiel Dresden und das Beispiel Berlin
zeigen in diesen beiden Fällen überhaupt kein Ermitt-
lungsergebnis. In der Anhörung wurde gesagt – Sie ha-
ben das noch einmal bestätigt –: Das ist ein Ansatz, um
weiter zu ermitteln.

Insofern sagen wir: Bei der nichtindividualisierten
Funkzellenabfrage bestehen schon Zweifel, ob sie geeig-
net ist. Noch mehr Zweifel bestehen, ob sie erforderlich
ist. In keinem Fall ist sie angemessen. Ich wiederhole: Es
ist ein verdachtsloser Zugriff auf Daten unbescholtener
Bürgerinnen und Bürger. Deren Kommunikationsum-
stände werden erfasst, obwohl sie überhaupt keinen An-
haltspunkt für eine Straftat gegeben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Übrigen erfahren die Bürgerinnen und Bürger, zu-
mindest bei der nichtindividualisierten Funkzellenab-
frage, nichts von dieser Maßnahme. Es gibt keine Rechts-
schutzmöglichkeit. Sie selbst wissen, wie das in Dresden
war. Quasi wie am Fließband wurden die Genehmigun-
gen für diese Maßnahme unterschrieben.

Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Dieser Eingriff in
die Rechte von Bürgerinnen und Bürger ist für uns nicht
hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt sage ich Ihnen noch etwas zur Frage der Krimi-
nalitätsbekämpfung. Ich habe ganz bewusst nicht über
die individualisierte Funkzellenabfrage gesprochen.
Selbstverständlich – das wurde in der Anhörung auch
gesagt – wird ein Krimineller mittlerweile überlegen, ob
er ein normales Handy oder lieber eines mit Prepaidkarte
mitnimmt etc. pp.

Ich will mit einem Zitat aus dem Jahr 1983 enden:

Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen
kann, welche ihn betreffenden Informationen in be-
stimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt be-
kannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommu-
nikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen
vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich ge-
hemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu
planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf in-
formationelle Selbstbestimmung wären eine Gesell-
schaftsordnung und eine diese ermöglichende
Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht
mehr wissen können, wer was wann und bei wel-
cher Gelegenheit über sie weiß.

Das ist ein Zitat aus dem Volkszählungsurteil.

Wir als Linke wollen die Selbstbestimmung der Men-
schen und mündige Bürgerinnen und Bürger. Weil wir
das wollen, lehnen wir die nichtindividualisierte Funk-
zellenabfrage ab.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722312300

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722312400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Kollege van Essen, ich danke Ihnen
ganz außerordentlich und ausdrücklich, dass Sie hier
eine klare Bewertung des Vorfalls in Dresden und der
justiziellen Aufarbeitung der Funkzellenabfrage abgege-
ben haben. Sie haben das, was dort passiert ist, als un-
vorstellbar und missbräuchlich bezeichnet. Ich stimme
dem zu.

Ich komme deswegen darauf zu sprechen, weil Ihre
Fraktionskollegen Höferlin und Ahrendt noch in der ers-
ten Debatte zu unserem Gesetzentwurf am 21. Oktober
2011 das Vorgehen der Dresdner Justiz in ihren Beiträ-
gen als rechtmäßig bezeichnet haben. Sie können das im
Protokoll nachlesen. Ich finde es gut, dass jetzt hier eine
andere Bewertung vonseiten der FDP vorgenommen
worden ist.

Meine Damen und Herren, im Februar 2011 wurden
in Dresden praktisch zeitgleich zu einer großen Demon-
stration gegen Neonazis an 18 Orten 1,2 Millionen Da-
tensätze und, Herr Sensburg, daraus 105 000 Bestands-
daten mit Namen und Adressen erhoben. In vielen Fällen
hat die Polizei diese Daten ohne eine weitere richterliche
Kontrolle oder Anordnung in parallel laufende Ermitt-
lungsverfahren verschoben, wo sie verwendet werden
sollten und zum Teil auch verwendet worden sind, ob-





Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)


wohl die dortigen Vergehen gar nicht so schwer waren,
dass die für die Datenerhebung notwendige Ausgangs-
lage gegeben war. Sie scheinen das offensichtlich zu ver-
gessen.

Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hat diesen
ganzen Vorgang geprüft und erhebliche Verstöße gegen
gesetzliche Bestimmungen gerügt. Das würde aber nicht
bedeuten, dass wir tätig werden müssten. Ich wieder-
hole: erhebliche Verstöße gegen gesetzliche Bestimmun-
gen! Er hat aber auch eine fehlende Klarheit des Geset-
zes gerügt und konkrete Vorschläge an den Gesetzgeber
formuliert.

Wir Grünen sind dem nachgekommen, anders als die
Linke, die diesen Teil der Funkzellenabfragen abschaf-
fen will. Das halten wir nicht für richtig. Wir haben kon-
krete, konstruktive Vorschläge gemacht:

Erstens. Es geht nicht, dass die individuelle, also ein-
zelne Abfrage an das Erfordernis einer Straftat von auch
im Einzelfall erheblicher Bedeutung gekoppelt ist, wäh-
rend die nichtindividualisierte Abfrage nur an eine Straf-
tat von erheblicher Bedeutung gekoppelt ist. Statt eines
Weniger brauchen wir ein Mehr an Hürden. Wir sagen:
Da es sich um eine heimliche Maßnahme handelt, wie
das Abhören eines Telefons, halten wir es für sinnvoll
und richtig, diese Hürden zu parallelisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich bestimmter Straftatbestände sagen Sie:
Wir glauben nicht, dass sie unter diese Regelung fallen,
aber sie sollten es. Ich will gerne sachlich mit Ihnen da-
rüber diskutieren. Das müssen wir dann aber in Bezug
auf § 100 a StPO und nicht hier tun. Wir möchten gerne,
dass sich die Hürde für die nichtindividualisierte Ab-
frage aus § 100 a StPO ergibt.

Das Zweite. Die Anordnungsbegründungen durch die
Ermittlungsrichter sind verheerend inhaltslos, und des-
wegen wollen wir festlegen, dass eine Anordnungsbe-
gründung als wichtigste Elemente enthält: Erheblichkeit
der Straftat, Ausführungen zu Ort und Zeit der Maß-
nahme, Ausführungen zum Ultima-Ratio-Prinzip, zur
Verhältnismäßigkeit und zur Anzahl der Betroffenen.
Wir wollen bei der Überführung der Zufallsfunde eine
richterliche Überprüfung, und wir wollen die Statistik
verbessern.

Herr Kollege van Essen, es gab nicht nur noch einen
zweiten Einzelfall in Berlin. Wir haben in Berlin nach ei-
ner Überprüfung über drei Jahre 108 Verfahren, 1 400 Ein-
sätze des Mittels der Funkzellenabfrage; 6,6 Millionen
Datensätze wurden abgegriffen. Wenn wir einmal davon
ausgehen, dass es 1 000 Verdächtige gab – das ist aber
viel zu hoch gegriffen –, dann ist das Verhältnis von Ver-
dächtigen zu Betroffenen 1 : 99,95. Daraus ersehen Sie
das Maß an Eingriffen in Rechte unbeteiligter Dritter.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722312500

Herr Kollege Montag.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722312600

Ich bin fertig. – Vor diesem Hintergrund fordert der

Berliner Datenschutzbeauftragte in seiner Überprüfung
wortwörtlich die Punkte, die wir in unserem Gesetzent-
wurf vorgeschlagen haben; es ist genau das Gleiche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß, dass Sie unseren Gesetzentwurf heute ab-
lehnen werden. Aber ich weiß auch: Die Zeit bis Sep-
tember ist nicht mehr so lang, und dann kommt das in
diesem Hohen Haus wieder auf die Tagesordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722312700

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die

Unionsfraktion.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1722312800

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die heutige Debatte
zeigt wieder einmal eindrucksvoll: Es wäre wirklich fa-
tal und grob fahrlässig, wenn die Grünen und die Linken
in Deutschland Verantwortung für die Innen- und die
Rechtspolitik hätten.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht in einem Atemzug nennen, bitte! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haben Sie Herrn van Essen gehört, der uns gelobt hat? Sie sind ja nicht ganz bei Trost!)


Die Zeit bis September ist zwar nicht mehr so lang, Herr
Kollege Montag, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es
auch nach dem September mit der Innen- und Rechts-
politik in Deutschland erfolgreich und vernünftig weiter-
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es wird durch die Linken und die Grünen hier ver-
sucht, den Eindruck zu vermitteln, dass unsere Ermitt-
lungsbehörden, unsere Polizeien außer Rand und Band
geraten sind und ohne Maß und Ziel Funkzellenabfragen
durchführen. Das trifft im Kern einfach nicht zu. Schon
heute sind bei der nichtindividualisierten Funkzellenab-
frage hohe rechtsstaatliche Anforderungen zu erfüllen.
Es steht eine Subsidiaritätsklausel in § 100 g Abs. 2
Satz 2 StPO;


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nicht beachtet wird!)


sprich: Es muss erst untersucht werden, ob es nicht mil-
dere Mittel gibt, die besser geeignet sind, einen Beschul-
digten aufzudecken. Die Funkzellenabfrage ist räumlich
und zeitlich hinreichend bestimmt, und – das ist ganz
entscheidend – es muss sich um Straftaten von erhebli-
cher Bedeutung handeln. Es ist also schon heute vor der
Beantragung und Anordnung einer Funkzellenabfrage
eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich. Die Da-
ten sind, sobald sie nicht mehr benötigt werden, unver-





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


züglich zu löschen. Es gibt schon heute eine Benachrich-
tigungspflicht gegenüber den Betroffenen, um ihnen die
Möglichkeit zu geben, sich mit einer Beschwerde gegen
die Funkzellenabfrage zu wenden.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wird das gemacht?)


Natürlich stellt die nichtindividualisierte Funkzellen-
abfrage einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis nach
Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes dar.


(Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Lieber Herr Kollege Montag, vielleicht kann ich Ihre
Frage gleich vorweg beantworten. Wenn es eine andere
Frage sein sollte, bin ich gerne bereit, diese dann noch
zu beantworten.

Sie haben behauptet, die Funkzellenabfrage sei ver-
gleichbar mit einer Telekommunikationsüberwachung
nach § 100 a StPO. Das stimmt einfach nicht. Die Ein-
griffsintensität, die Eingriffstiefe einer Telekommunika-
tionsüberwachung ist weitaus gravierender als die einer
Funkzellenabfrage, weil bei einer Telekommunikations-
überwachung oder einer akustischen Wohnraumüber-
wachung nach § 100 c StPO die Inhalte der Gespräche
gespeichert werden; bei einer Funkzellenabfrage geht es
nur um die Abfrage der Verkehrsdaten.

Herr Montag, ist Ihr Fragewunsch noch aktuell?


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722312900

Offensichtlich hatte der Kollege Montag eine andere

Frage. Erlauben Sie diese?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1722313000

Ich beantworte sie sehr gerne.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1722313100

Danke schön, lieber Kollege Mayer. – Auf die von Ih-

nen hypothetisch gestellte Frage will ich jetzt nicht ein-
gehen, weil ich ja keine Fragen beantworten darf. Ich
will Ihnen vielmehr eine Frage stellen.

Sie haben gerade in Ihren Ausführungen gesagt, es
gebe klare gesetzliche Regelungen, dass die bei der
Funkzellenabfrage erhobenen Daten, wenn sie nichts
bringen oder nachdem sie bearbeitet worden sind, sofort
zu löschen sind. Ich darf Ihnen aus dem Bericht des Ber-
liner Datenschutzbeauftragten von einem Befund berich-
ten, den er gemacht hat. Ich zitiere von Seite 15:

In einem anderen Verfahren wegen versuchten
Mordes wurden Funkzellendaten erhoben, die je-
doch wegen des belebten Tatorts so zahlreich wa-
ren, dass die Staatsanwaltschaft von einer weiteren
Auswertung dieser Daten absah. Anstatt die Daten
nun zu löschen, verfügte die Staatsanwaltschaft
ohne nähere Begründung eine dreißigjährige Spei-

cherung hinsichtlich des gesamten elektronischen
Vorgangs.

Jetzt sagen Sie uns bitte, wie sich so etwas mit Ihrer
Behauptung verträgt, die Daten würden sofort gelöscht
werden, wenn sie nicht mehr gebraucht würden.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1722313200

Lieber Herr Kollege Montag, das verträgt sich sehr

wohl mit meinen Ausführungen. Sie haben mich inso-
weit richtig wiedergegeben, als dass ich gesagt habe: Es
gibt eine klare gesetzliche Vorgabe in § 100 g StPO, dass
die Daten unverzüglich zu löschen sind. Wenn dies in ei-
nem Einzelfall aus Berlin, den Sie eben zitiert haben, of-
fenbar nicht der Fall war und eine 30-jährige Speiche-
rung angeordnet wurde, dann scheint das offenkundig
contra legem gewesen zu sein bzw. zu sein, sofern die
Daten noch gespeichert sind. Aber es gibt eine klare ge-
setzliche Vorgabe.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Die entscheidende Frage ist: Sind wir als Gesetzgeber
aufgefordert und in der Verpflichtung, gesetzgeberisch
tätig zu werden? Diese Verpflichtung sehe ich in dem
konkreten Fall nicht. Der Kollege van Essen hat schon
darauf hingewiesen. Ich hoffe, ich tue ihm nicht unrecht,
wenn ich jetzt versuche, ihn zu interpretieren. Denn Sie,
Herr Kollege Montag, haben ihm vorgeworfen, es gebe
mehr als zwei Fälle.

Es gab mehr als zwei Fälle, in denen Beanstandungen
festgestellt wurden. Das ist doch der entscheidende Un-
terschied. Der überwiegende Teil der Funkzellenabfra-
gen erfolgt rechtsstaatlich völlig ordnungsgemäß, und
selbst bei Überprüfungen wird festgestellt, dass keine
Beanstandungen vorzunehmen sind und dass es nichts
Rechtswidriges gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Fall Dresden ist sicherlich differenziert zu be-
trachten; das gebe ich auch freiweg zu. Aber ich glaube,
wir sollten uns als Gesetzgeber davor hüten, nur auf-
grund eines konkreten spezifischen Vorfalles aktionis-
tisch tätig zu werden.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
sehe die große Gefahr, insbesondere wenn dem Gesetz-
entwurf der Linken gefolgt würde, dass wir unsere Er-
mittlungsbehörden taub- und blindmachen. Es sind
schon einige konkrete Fälle angesprochen worden. Der
Mordfall Moshammer in München konnte nur aufgrund
einer Funkzellenabfrage aufgeklärt werden.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Aber es geht nicht nur um Mord und Totschlag; es
geht auch um andere Delikte. Es geht um massenhaft
Diebstahlserien, um Brandanschlagserien auf Pkw – wie
vor zwei Jahren reihenweise in Berlin –


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Abgeordneten!)






Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


und um Wohnungseinbruchsserien. Wer den Focus von
vorletzter Woche liest, stellt fest, dass wir in Deutsch-
land einen deutlichen Anstieg der Wohnungseinbrüche
zu verzeichnen haben.

Es geht auch um Fälle des Enkeltrickbetruges, bei
dem sich Personen als Enkel von älteren Menschen aus-
geben, um sie dazu zu bringen, größere Geldbeträge aus-
zureichen. Auch das sind gravierende Straftaten, die,
insbesondere wenn man dem Gesetzentwurf der Grünen
folgen würde, nicht mehr mit der Funkzellenabfrage er-
mittelt werden könnten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstverständlich!)


Herr Kollege Montag, Sie wollen eine Änderung da-
hin gehend vornehmen, dass Sie eine Funkzellenabfrage
nur noch für schwere Straftaten im Grundsatz als ange-
messen erachten und nicht mehr für Straftaten von er-
heblicher Bedeutung zulassen wollen, wie es jetzt ist und
wie es auch bleiben soll. Diese Änderung wäre völlig
systemwidrig. Denn eine Vergleichbarkeit mit der Tele-
kommunikationsüberwachung nach § 100 a StPO ist,
wie ich bereits gesagt habe, nicht sachgerecht, weil die
Telekommunikationsüberwachung hinsichtlich der Ein-
griffsintensität weitaus gravierender ist als die Funkzellen-
abfrage. Deswegen kann man diese beiden Ermittlungsme-
thoden, was die rechtsstaatlichen Hürden anbelangt, nicht
auf eine Stufe stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist auch vollkommen normal und in der StPO gang
und gäbe, dass von Straftaten von erheblicher Bedeutung
die Rede ist, zum Beispiel bei der DNA-Identitätsfest-
stellung nach § 81 g StPO, bei der Rasterfahndung nach
§ 98 a, beim Einsatz verdeckter Ermittler nach § 110 a
oder auch bei längerfristigen Observationen nach
§ 163 f. Es gibt also vergleichbare Ermittlungsmetho-
den, die, auch was die Eingriffsintensität anbelangt, mit
der Funkzellenabfrage vergleichbar sind und die bei
Straftaten von erheblicher Bedeutung schon zulässig
sind. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in ständi-
ger Rechtsprechung die Straftaten von erheblicher Be-
deutung anerkannt, so zum Beispiel im sogenannten
GPS-Urteil von 2005.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Gesetzentwurf der Linken, auf dieses Ermittlungsinstru-
ment der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage in
Zukunft ganz zu verzichten, ist völlig abwegig, und der
Gesetzentwurf der Grünen ist in vielen Bereichen über-
flüssig, was zusätzliche Begründungspflichten anbelangt
und was Benachrichtigungspflichten gegenüber dem Er-
mittlungsrichter anbelangt. Außerdem ist er in Teilen
höchst bürokratisch und kostenaufwendig. Sie fordern
zum Beispiel, dass § 100 g StPO Abs. 4 dahin gehend
neu gefasst wird, dass eine Berichtspflicht geschaffen

wird und dass umfangreiche Statistiken geführt werden
müssen.

Ich sage zum Abschluss ganz offen, meine sehr ver-
ehrten Kolleginnen und Kollegen: Mir ist es lieber, wenn
Staatsanwälte, wenn Polizeibeamte ihren eigentlichen
Tätigkeiten nachgehen können, Straftätern auf die Schli-
che zu kommen und Straftaten aufzudecken, als dass sie
am Schreibtisch sitzen und überflüssige Statistiken füh-
ren müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Insofern ist sowohl der Gesetzentwurf der Linken als
auch der Gesetzentwurf der Grünen abzulehnen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1722313300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei-
nes Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Änderung der
Strafprozessordnung, Abschaffung der nichtindividuali-
sierten Funkzellenabfrage. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12419, den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/7335 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu
einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Aus-
gestaltung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaß-
nahme. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12419,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/7033 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt. Auch hier entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 27. Februar 2013, 13 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.