Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung, unsere erste Plenarsitzung im neuen Saal, und heiße Sie herzlich willkommen. Ich hoffe, daß alles gut funktioniert und daß wir es mit relativ wenig Kritik zu tun haben.
— Bin ich jetzt verständlich?
Ich will es jetzt noch einmal versuchen. Geht es jetzt besser?
— Auch nicht.
Ich will einmal die Mitarbeiter in der Regiekabine fragen, ob sie das lauter und deutlicher stellen können. — Geht es so besser?
— Dann wollen wir hoffen, daß alle übrigen Mißhelligkeiten so schnell beseitigt werden können wie diese.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die verbundene Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags zum Konsens der Demokraten — er liegt Ihnen auf Drucksache 12/3607 vor — zu erweitern. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Peter Struck erbeten. Ich erteile ihm das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen Tagen haben wir von Mitgliedern der Bundesregierung, vom Bundeskanzler, aber auch von Mitgliedern dieses Hauses Äußerungen gehört, die uns veranlassen, heute hier einen Antrag zum Konsens der Demokraten auf die Tagesordnung setzen zu lassen und auch zu debattieren. Es ist jetzt die Stunde des Parlaments; ich erinnere hierzu an das,was die Präsidentin zur Einweihung dieses Plenarsaals gesagt hat. Jetzt sind wir gefordert.Wir wollen, daß über folgenden Antrag heute hier ausführlich debattiert wird:Konsens der Demokraten . . .1. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen festen Willen, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ohne jede Einschränkung zu wahren und zu verteidigen
und den Verfassungskonsens, der über Jahrzehnte hinweg die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland geprägt hat, zu erhalten.2. Der Deutsche Bundestag warnt den Bundeskanzler vor einem Bruch der Verfassung,
erinnert ihn an den von ihm geleisteten Amtseid — das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu wahren und zu verteidigen —
und fordert ihn auf, seine Äußerungen zurückzunehmen und sich von denen des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU zu distanzieren.Darüber müssen wir heute diskutieren. Jetzt ist die Stunde des Parlaments.
Wir können über eine solche Ungeheuerlichkeit nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Meine Damen und Herren, wenn denn schon von einem Notstand die Rede sein soll, dann sagen wir
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9856 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Dr. Peter StruckSozialdemokraten: Es gibt einen Regierungsnotstand in der Bundesrepublik Deutschland,
der auf die Unfähigkeit der Bundesregierung zurückzuführen ist, die wahren Probleme des Landes zu lösen.
Die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot, die total zerrütteten Staatsfinanzen, das Chaos in der Bundesregierung, das ist der tatsächliche Notstand, den wir in Deutschland haben.
Deshalb, Herr Präsident, beantrage ich namens meiner Fraktion, den Antrag auf Drucksache 12/3607, Konsens der Demokraten, jetzt auf die Tagesordnung zu setzen und ihn zu debattieren.Herr Präsident, ich beantrage auch gemäß Art. 43 unserer Verfassung und gemäß § 42 unserer Geschäftsordnung, den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hier in diesen Bundestag zu zitieren und ihn hier Rede und Antwort stehen zu lassen.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Jürgen Rüttgers das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gestern abend um 19.07 Uhr teilte die SPD-Fraktion mit, sie wolle heute eine Geschäftsordnungsdebatte führen; anschließend sollten Dringlichkeitsfragen gestellt werden, eine Aktuelle Stunde solle folgen. Tagelang wußte die SPD nicht, was sie wann und wie hier debattieren wollte.
Herausgekommen aus diesem Chaos ist ein unverschämter Angriff auf den Bundeskanzler und die Koalition.
In Deutschland gibt es keine Verfassungskrise und keinen Verfassungsbruch.
Was in Deutschland droht, sind Notstände: ein Notstand durch den massenhaften Mißbrauch des Asylrechts,
ein Notstand der Gemeinden bei der Unterbringung von Asylanten,
ein Notstand, weil der Schutz politisch Verfolgter durch den Mißbrauch ausgehebelt wird,
und ein Notstand durch die jahrelange Entscheidungsunfähigkeit der SPD.
Noch können wir diesen Prozeß gestalten, ehe er so viel sozialen Sprengstoff erzeugt, daß die Grundfesten unseres Gemeinwesens erschüttert werden. — Dies ist eine Feststellung nicht von mir, sondern von Björn Engholm.
Bis heute ist die SPD handlungsunfähig. Ein Parteitag nach dem anderen fällt dem SPD-Vorsitzenden in den Rücken. Der SPD laufen die Mitglieder davon.
— Entschuldigen Sie bitte, das hat Ihr Parteivorsitzender heute morgen in der „Bild"-Zeitung gesagt; Sie wollen ihn doch nicht Lügen strafen.
Herr Abgeordneter Rüttgers, ich möchte Sie daran erinnern, daß wir uns in dem Teil „Geschäftsordnungsdebatte" befinden.
Das ist richtig, Herr Präsident. Aber ich antworte hier auf die unverschämten Angriffe des Kollegen Struck, und das muß ja wohl zulässig sein.Bis heute gibt es keine Antwort auf die Briefe von Wolfgang Schäuble und Herrn Sohns durch Herrn Klose auf unser Angebot zu Gesprächen.
Es gibt 14 Tage vor dem SPD-Parteitag noch keinen Beschlußvorschlag. Es gibt noch nicht einmal die von der SPD-Fraktion selbst angebotenen Expertengespräche. Die SPD, werte Kolleginnen und Kollegen, verdammt das Parlament zu einer Zuschauerrolle. Nach dem Motto „Haltet den Dieb! " versucht sie heute, von der eigenen Zerrissenheit abzulenken.
Herr Klose, sagen Sie heute, daß Sie bei der noch in diesem Jahr stattfindenden Abstimmung über die Änderung des Art. 16 Ihren Parteitagszwang aufheben! Dann wird es hier im Deutschen Bundestag auch eine Merheit geben.
Es gibt keinen Notstand in Deutschland.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9857
Dr. Jürgen RüttgersEs gibt einen Notstand in der SPD, und aus diesem Notstand darf kein Staatsnotstand werden.
Lassen Sie mich an das erinnern, was der Bundeskanzler gesagt hat — ich zitiere —:Jeder weiß, die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten. Die Situation hat sich dramatisch zugespitzt. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgreifenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ja, ich sage es mit Bedacht, eines Staatsnotstandes.Diesen Worten ist nichts hinzuzufügen.
Wir lehnen deshalb Ihren Antrag ab. Verschonen Sie uns mit Ihren parteitaktischen Spielchen und nehmen Sie Ihre Verantwortung für unseren Staat wahr!
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Manfred Richter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand wird dagegen sein, wenn sich der Deutsche Bundestag mit aktuellen politischen Fragen beschäftigt, mit Fragen, die aus der politischen Diskussion entstanden sind, ohne daß sie den üblichen Zeit konsumierenden Vorlauf einer normalen parlamentarischen Vorlage dieses Hauses haben. Unsere Geschäftsordnung verfügt auch über ein geeignetes Instrument, solche Debatten durchzuführen. Das ist die Aktuelle Stunde. Auch die Fragestunde mit den sogenannten Dringlichen Fragen dient — wenn auch nach anderen Regeln — der Ermöglichung aktueller Informationen. Niemand will sich der Debatte über diese Fragen entziehen.
Was die SPD-Fraktion begehrt, ist allerdings etwas anderes. Sie wollen hier, nachdem wir im Einvernehmen die Tagesordnung gemeinsam aufgestellt haben, Ihren Antrag debattieren lassen
und kommen damit eine Viertelstunde vor Toresschluß. Sie suggerieren damit eine Dringlichkeit, die einfach nicht gegeben ist, meine Damen und Herren.
Es sind Erläuterungen gegeben worden zu ersten Pressemeldungen. Diese Erläuterungen haben Mißverständisse aufgeklärt, so daß jetzt keine hektische Betriebsamkeit erforderlich ist, weder das Herbeizitieren des Bundeskanzlers noch sonst etwas, zumal die angemessenen parlamentarischen Instrumente, wie gesagt, vorhanden sind.
Sie wissen das auch ganz genau; denn Agenturmeldungen entnehme ich, daß die SPD eigentlich eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema im Sinne hat.
Wenn es über das hinaus, was ich gesagt habe, noch eines Grundes bedurft hätte, dann ist das der Grund: Wir lehnen die Aufsetzung des SPD-Antrags ebenso wie die Herbeizitierung des Bundeskanzlers ab.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Gysi das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Lande wird vom Bundeskanzler und vom stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU von Staatsnotstand gesprochen, und das im Zusammenhang mit der Anzahl der Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland, und das natürlich wider besseres Wissen. Ich will Ihnen nur einige wenige Zahlen nennen:
Nach 1945 und auch nach 1949 kamen in die wirtschaftlich wesentlich schwächere Bundesrepublik Millionen von Menschen, ohne daß jemand auf die Idee gekommen wäre, etwa den Staatsnotstand auszurufen.
— Hören Sie doch erst einmal zu! — 1989 gab es 1 522 190 Zuwanderungen, und 1990 waren es 1 785 722 Zuwanderungen. Seit diesem Jahr haben die Zahlen permanent abgenommen.
Es gibt nur einen Unterscheid:
Der Anteil der Deutschen an den Zuwanderungen im Vergleich zu dem der Ausländerinnen und Ausländer ist gesunken. Das heißt, „Staatsnotstand" entsteht für Sie nicht aus der Zahl der Zuwanderungen, die gleiche kommunalpolitische Probleme auslösen, egal, ob es sich nun um Deutsche oder um Ausländerinnen und Ausländer handelt, sondern aus der Tatsache, daß Ausländerinnen und Ausländer kommen.
Das ist — es tut mir leid — Rassismus und Fremdenhaß, der darin zum Ausdruck kommt.
Herr Dr. Gysi, sind Sie formulierungsfähig genug, um immer auf die Geschäftsordnung zurückzukommen. — Danke schön.
Ich habe mich einfach nach den vorhergehenden Beiträgen gerichtet.Wer in dieser Situation vom Staatsnotstand spricht, der legt die Hand an das Grundgesetz, der will diese Staatsordnung auf jeden Fall verändern, und das auch noch durch Bruch der Verfassung. Aber der Höhepunkt des Ganzen ist, sich dann, wenn man das schon vorhat, auch noch zu weigern, darüber in diesem Parlament wenigstens zu sprechen. Das ist der Gipfel
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9858 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Dr. Gregor Gysian undemokratischer Verhaltensweise. Das muß ich hier ganz deutlich sagen.
Aus diesen Gründen sage ich Ihnen: Was hier im Lande geschieht, was wir hier an Gewalt erleben, die Brandstiftungen und vieles andere mehr, geht ganz eindeutig auch auf Ihre Kappe, geht auf solche Äußerungen zurück,
die immer wieder ganz eindeutig neu zündeln. Wenn sie vom Staatsnotstand sprechen, kann dann nicht jeder Gewalttäter für sich in Anspruch nehmen, eben im Notstand gehandelt zu haben? — Das genau provozieren Sie doch damit!
Deshalb sage ich Ihnen — ich nehme ausnahmsweise einmal nicht meine gesamte Redezeit in Anspruch —: Seien Sie wenigstens so demokratisch, eine Debatte über diese Frage zuzulassen!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu dieser Geschäftsordnungsdebatte liegen mir nicht vor. Wir kommen daher zur Abstimmung.Ich lasse zunächst über den Antrag abstimmen, den Antrag auf Drucksache 12/3607 auf die Tagesordnung zu setzen, und dann über den zweiten Antrag den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen.Wer der Aufsetzung des Antrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 12/3607 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Danke schön. Wer enthält sich? — Damit ist dieser Antrag abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum zweiten Antrag. Die SPD-Fraktion hat gemäß Art. 43 unserer Verfassung die Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers beantragt. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.Meine Damen und Herren, bevor wir nunmehr in diesem neuen Plenarsaal zur Regierungsbefragung kommen, möchte ich noch einige Hinweise zur Benutzung der Mikrophone geben. Wie sie eben schon gesehen haben, haben wir alle mit der Technik unsere Probleme. Ich kann Sie aber beruhigen: Eine fürsorgliche Verwaltung hat für den Fall, daß die Anlage ausfällt, für einen entsprechenden Ersatz gesorgt. Eine Katastrophe wird es also nicht geben.Die Wortmeldungen und die Worterteilungen erfolgen wie bisher. Wer vom Mikrophon an seinem Platz aus zu sprechen wünscht oder eine Frage stellen möchte, muß dies beim amtierenden Präsidenten anmelden und darf urn Gottes Willen nicht die grüne Taste drücken. Das ist zwar verführerisch, aber damit wird sozusagen das Gegenteil dessen erreicht, was Sieeigentlich erreichen wollen. Sie dürfen also diese grüne Taste „Anmeldung" nicht dazu benutzen, sondern müssen sich in der traditionellen Form bei mir melden.Nach der Worterteilung stehen Sie bitte auf. Die Mikrophone sind ausziehbar. Sie können also aufstehen wie bisher, und dann drücken Sie die grüne Taste „Anmeldung", die sich am Fuß des Mikrophons befindet. Dann erscheint ein rotes Blinklicht.
Solange das Licht blinkt, sind Sie noch nicht eingeschaltet. Erst dann, wenn das rote Licht dauerhaft erscheint, ist das Mikrophon aufnahmebereit. Bitte also abwarten, bis das rote Licht aufhört zu blinken. Das kann, wie mir gesagt wird, etliche Sekunden dauern. Ein wiederholtes Drücken auf diesen Knopf führt auch zum Gegenteil des gewünschten Effekts; dann bricht nämlich die ganze Anlage zusammen. Hüten Sie sich also davor!
Das Ganze haben wir Ihnen auch noch schriftlich vorgelegt, damit es zu möglichst wenig Mißverständnissen kommt.Ich möchte Sie nun noch darauf aufmerksam machen, daß es einige Erleichterungen mit Ihren Sitzen gibt. Auf verschiedene Anfragen kann ich Ihnen mitteilen, daß die Sitze nicht nur nach vorne und hinten zu verschieben, sondern auch in der Höhe verstellbar sind. Die Rückenlehnen können ebenfalls verändert werden. Dazu sind unter dem Sitz zwei Lederflicken. Darunter befinden sich die Betätigungshebel, die Sie nach Bedarf benutzen können.
Meine Damen und Herren, nach diesen technischen Hinweisen rufe ich den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungIch möchte die für die Befragung der Bundesregierung notwendige Ruhe im Saal wiederherstellen und alle, die nicht an der Befragung teilnehmen möchten, bitten, den Saal zu verlassen. Ich bitte auch, die allgemeine Unterhaltung einzustellen.
Wenn mein Schweigen mehr bewirkt als mein Reden, werde ich noch länger schweigen. Ich möchte die notwendige Ruhe herstellen. Die Akustik ist noch nicht so gut, die Anlage funktioniert noch nicht so gut, daß jeder alles hört. Ich möchte die Regie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß offenbar auf den mittleren und hinteren Rängen der Präsident und die Redner nicht verständlich sind. Vielleicht können Sie das besser einstellen.
Die Bundesregierung hat mir folgende Themen der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Arbeitsgruppen „Aufbauhilfe neue Bundesländer"; Gesetz zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr; Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9859
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenbergund Vertragsgesetz zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen.Das Wort zum einleitenden Bericht erteile ich dem Bundesminister Bohl. Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Tarifaufhebungsgesetz und zum Planungsvereinfachungsgesetz steht Ihnen Herr Bundesminister Krause zur Verfügung, zum Vertragsgesetz über Klimaveränderungen der Parlamentarische Staatssekretär Kollege Laufs.
Zu den Arbeitsgruppen „Aufbauhilfe neue Bundesländer" möchte ich Ihnen folgendes berichten.
Die Bundesregierung hatte zehn Arbeitsgruppen eingesetzt. Diese Arbeitsgruppen haben in mehrfachen Sitzungen ihre Vorschläge unterbreitet, und die Bundesregierung hat heute die nicht haushaltsrelevanten Teile dieser Vorschläge aufgegriffen, übernommen und entsprechende Arbeitsaufträge an die Ministerien erteilt. Im Vordergrund unserer Überlegungen stand heute, daß ohne Zweifel ein großer Investitionsstau dadurch vorhanden ist, daß wir lange Planungszeiten haben, daß die Genehmigungsverfahren kompliziert sind und daß wir bei den Eigentumsumschreibungen die bekannten Schwierigkeiten haben.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß hier ein Investitionsvolumen brachliegt, das durch eine Erleichterung mobilisiert werden kann. Dabei geht es der Bundesregierung nicht darum, den Standard von Vorschriften für Einfamilienhäuser, für Entsorgungsanlagen, für Straßenbaumaßnahmen und anderes mehr abzusenken, sondern darum, bei Beibehaltung dieser Standards die Planungsfristen zu verkürzen, die Beteiligung von anderen Behörden zu vereinfachen und ansonsten Hemmnisse im Verwaltungsalltag nicht zuletzt durch die Bereitstellung zusätzlicher personeller Hilfe zu beseitigen.
Wir glauben, daß wir damit einen ganz wichtigen Impuls für den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern geben und damit zur Stimulierung einen wichtigen Beitrag leisten können.
Konkret hat die Bundesregierung beschlossen, daß der Wirtschaftsminister federführend noch in diesem Jahr ein Artikelgesetz vorlegen soll, in dem die verschiedenen Bereiche — Baubereich, Verkehrsbereich, Umweltbereich, Bereich der Justizministerin — aufgegriffen werden. Dieses Artikelgesetz wird dann dem Deutschen Bundestag zur Umsetzung vorgelegt werden.
Wir wollen das damit flankieren, daß wir eine zusätzliche Arbeitsgruppe einsetzen. In dieser Arbeitsgruppe sollen die Länder, die kommunalen Spitzenverbände und natürlich auch Abgeordnete des Bundestages vertreten sein, um sozusagen den Vollzug der Verwaltungsvereinfachung zu überwachen und weitere Anregungen zu geben.
Darüber hinaus hat das Bundeskabinett beschlossen, den Bundesfinanzminister im Zusammenwirken mit dem Bauminister zu beauftragen, bis Mitte
Dezember dieses Jahres eine Lösung für das Problem der Altschulden der kommunalen Wohnungsunternehmen und der Wohnungsgenossenschaften vorzulegen. Auch das ist ja bekanntermaßen ein Investitionshemmnis. Es ist wohl nicht notwendig, das hier weiter auszuführen.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die darüber hinausgehenden Maßnahmen, die sie ergriffen hat, genau in diese Richtung zielen. Das heißt, wir wollen dazu beitragen, daß die öffentlichen Aufträge vermehrt in die neuen Länder gegeben werden. Wir werden in diesem Jahr noch das Entschädigungsgesetz vorlegen und, wie ich hoffe — ohne damit eine Zusage zu machen —, auch das Wiedereinrichterprogramm auflegen können.
Die Bundesregierung hat mit den neuen Ländern eine Einigung über die Regelung der ökologischen Altlasten herbeigeführt. Auch das war ein signifikantes Investitionshemmnis. Mit der Deblockierung, die wir in diesem Bereich herbeiführen, marschieren wir in die richtige Richtung.
Die Bundesregierung hat heute über die darüber hinausgehenden Vorschläge der Arbeitsgruppen, die haushaltsrelevant sind, nicht entschieden. Sie beabsichtigt, in den nächsten Wochen dazu ein umfassendes Konzept vorzulegen, und ist sicher, daß sie damit die Voraussetzungen schafft, über die Verfahrensvereinfachung hinaus durch die entsprechende Bereitstellung von Mitteln, die in den verschiedenen Sektoren notwendig sind, den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern gerade angesichts der dümpelnden Konjunktur zu befördern.
Insgesamt möchte ich mich, Herr Präsident, bei den Kollegen aus den Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. für die engagierte Mitarbeit bedanken. Ich bin ganz zuversichtlich, daß wir auch den zweiten Teil der Vorschläge der Abgeordneten und der Arbeitsgruppe noch umsetzen und damit dem Hohen Hause ein Gesamtkonzept vorlegen werden, das den Menschen in den neuen Bundesländern hilft.
Herzlichen Dank.
Herr Bundesminister, ich bedanke mich für den einleitenden Bericht. Die Abgeordnete Frau Monika Ganseforth möchte die erste Frage stellen.
Ich habe gehört, daß im Kabinett die Klimakonvention behandelt worden ist. Die Klimakonvention ist in Rio auf der Umweltkonferenz von über 150 Ländern gezeichnet worden. Sie tritt in Kraft, wenn mindestens 50 Länder sie ratifiziert haben. Ratifiziert haben sie inzwischen Länder wie die USA und Griechenland. Es wird höchste Zeit, daß auch das Bundesparlament die Klimakonvention ratifiziert. Deswegen freue ich mich, daß sie nun endlich durch das Kabinett gegangen ist, und ich wüßte gern, wann wir mit der Vorlage im Parlament rechnen können und wann der parlamentarische Gang beginnt, so daß auch die Bundesrepublik, die sich in der Klimafrage sehr stark gemacht hat, dieses Abkommen durch die Ratifizierung umsetzen kann. Wie wird der Gang sein?
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9860 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Frau Kollegin Ganseforth, es ist richtig, daß der Entwurf eines Ratifizierungsgesetzes unverzüglich erarbeitet worden ist. Heute im Kabinett beschlossen, wird er unverzüglich in den Beratungsgang eingebracht werden. Die Bundesrepublik Deutschland kann damit eines der ersten Länder sein, die die Klimakonvention ratifizieren. Wir rechnen damit, daß dies in Kürze der Fall sein kann.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Abgesehen davon, daß mir die Aussage „in Kürze" ein bißchen sehr allgemein ist — es kann sich j a um Wochen oder um Monate handeln —, sind wir nicht eines der ersten Länder, sondern die USA, Griechenland — wie gesagt — und einige andere Länder haben bereits unterzeichnet. Warum hat es so lange gedauert, bis wir so weit waren, daß das jetzt im Kabinett beschlossen worden ist?
Der Gesetzentwurf wird am Freitag dem Bundesrat zugeleitet.
Wann wird er dem Bundestag zugeleitet, gleichzeitig?
Nein, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, wird er dem Deutschen Bundestag anschließend zugeleitet.
Zur ergänzenden Beantwortung hat Bundesminister Bohl das Wort.
Frau Abgeordnete, vielleicht darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß es sich hier um ein „normales Gesetz" handelt. Das heißt, die Bundesregierung muß diesen Gesetzentwurf nach unserer Verfassung dem Bundesrat zuleiten. Der Bundesrat wird diesen Gesetzentwurf anschließend wieder der Bundesregierung zuleiten und mit der Gegenäußerung der Bundesregierung danach unmittelbar dem Deutschen Bundestag. Vom Verfahren her hat die Bundesregierung also alles Erforderliche veranlaßt. Es ist jetzt Sache des Bundesrates und anschließend des Bundestages, daß wir möglichst schnell zur Ratifizierung kommen. Seitens der Bundesregierung werden wir alles tun, um so schnell wie möglich zu einer Verabschiedung zu kommen.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin das Wort zu einer Frage.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ich habe zwei Fragen zu dem, was der Kollege Bohl erklärt hat. Eine bezieht sich auf die Entschädigungsregelung zu der verkorksten Eigentumsregelung, die ja nach unserer Meinung — wie Sie wissen — längst korrigiert gehört.
Herr Bohl, angekündigt wurde eine Entschädigungsregelung in den letzten Monaten schon öfter. Wann genau legen Sie das Gesetz vor?
Die zweite Frage bezieht sich auf die Beschleunigung und Vereinfachung des von uns gemeinsam für wichtig gehaltenen bürokratischen Verfahrens in den verschiedenen Bereichen. Da gibt es bekanntlich zwei Punkte: Wir sind dafür, Behördenlaufzeiten und bürokratische Überläufe zusammenzufassen. Wir sind dagegen, Bürgerbeteiligung abzubauen. Beides muß sorgfältig überprüft werden. Wie sind Ihre genauen und detaillierten Fahrpläne — auch zeitlich — für diese wichtigen Gesetze?
Frau Abgeordnete, zu dem ersten Teil betreffend das Entschädigungsgesetz ist zu sagen: Die bisherige Planung der Bundesregierung sieht vor, daß das Entschädigungsgesetz Ende November im Kabinett behandelt wird.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich nur darauf hinweisen, daß wir das Artikelgesetz in diesem Jahr vorlegen werden. Nach der jetzigen Planung der Bundesregierung wollen wir dieses Artikelgesetz Anfang Dezember im Kabinett behandeln, so daß dann die üblichen Laufzeiten eintreten, die durch Verfassung und Geschäftsordnung vorgesehen sind.
Danke schön. Wenn Sie keine Zusatzfrage wünschen, hat der Abgeordnete Peter Conradi das Wort.
Herr Bundesminister, beabsichtigt die Bundesregierung die Entschädigung aus Steuermitteln aufzubringen, oder planen Sie einen Lastenausgleich und, wenn letzteres der Fall wäre, wird der Lastenausgleich nur die ostdeutsche Bevölkerung oder auch die westdeutsche Bevölkerung einbeziehen?
Herr Kollege Conradi, ich bitte Sie um Nachsicht, daß ich angesichts der Tatsache, daß das Bundeskabinett darüber noch nicht beschlossen hat, naturgemäß keine Auskunft geben kann.
Aber vielleicht kann man soviel sagen, daß die bisherigen Überlegungen des Finanzministers sicherlich von der sogenannten Fondslösung ausgehen. Darüber hinausgehende Überlegungen kann ich Ihnen nun beim besten Willen nicht mitteilen, auch wenn ich gerne bereit bin, sehr auskunftsfreudig zu sein.
Ich möchte jetzt fragen, ob noch weitere Fragen zu dem einleitenden Bericht des Bundesministers Bohl vorliegen. — Das ist offensichtlich der Fall. Bitte schön.
Herr Bundesminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, steht nun die Lösung der Schuldenfrage im Bereich der Wohnungsunternehmen auf der Tagesordnung des Kabinetts. Hat es dazu einen Beschluß gegeben, der eine Harmonisierung bewirkt zwischen den unterschiedlichen Auffas-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9861
Rolf Schwanitzsungen von Minister Waigel und von Frau Ministerin Schwaetzer?
Herr Abgeordneter, ich verstehe gut, daß Sie auch hier eine möglichst präzise Antwort haben wollen. Aber ich bitte Sie auf der anderen Seite auch um Nachsicht, daß ich nur darauf hinweisen kann, daß das Kabinett beschlossen hat, daß wir die Vorlage für die Lösung dieses Problems, abgestimmt zwischen Finanzminister und Bauminister, bis Mitte Dezember im Kabinett erwarten. So lautet der Auftrag. Ich glaube, es verbietet sich, nun weitere Abstimmungsprozeduren innerhalb der Bundesregierung anzukündigen. Wir werden das bis dahin gelöst haben.
Zu dem Bericht des Bundesministers Bohl liegen jetzt keine weiteren Fragen vor. Dann möchte ich fragen, ob Fragen gestellt werden zu dem Bereich „Gesetz zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr, Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege". — Bitte sehr, Frau Dr. Enkelmann,
Herr Verkehrsminister, es geht um die Beschleunigung der Planungsverfahren im Bereich des Straßenbaus und des Schienenbaus.
Erste Frage: Sind Ihnen Untersuchungen aus Nordrhein-Westfalen und aus Bayern bekannt, wonach die Planungsfristen dort bei durchschnittlich zehn Jahren und nicht bei 15 bis 20 Jahren liegen, wie Ihre Argumentation lautet?
Zweite Frage: Sind Ihnen Gründe für die Verzögerungen bekannt, außer dem Grund, daß sich Umweltverbände, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in diese Planung einbezogen fühlen und daß sie sozusagen diese Planungen verzögern? Sind Ihnen auch solche Gründe bekannt, die im Bereich der politisch-administrativen Abstimmung liegen und auch in Finanzierungsfragen? Was gedenken Sie auf diesem Gebiet zu tun?
Herr Bundesminister, bitte schön.
Frau Kollegin Abgeordnete, ich denke, daß die Untersuchungen von zwei Bundesländern nicht repräsentativ für die Erfahrungen von elf Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland sind. Ich glaube eher der Statistik, die im Bundesverkehrsministerium in den letzten 40 Jahren erstellt worden ist. Deshalb bleibe ich bei der Aussage, daß die durchschnittliche Planungszeit in der Bundesrepublik gegenwärtig 15 Jahre für alle Verkehrsaufgaben — Flughäfen beispielsweise mit eingeschlossen — beträgt.
Zum zweiten. Ziel dieses Planungsvereinfachungsgesetzes ist es, angesichts der guten Erfahrungen der jungen Bundesländer im Rahmen der Wiedervereinigung in Anwendung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes, welches seit Dezember in den jungen Bundesländern angewendet wird, dieses
in Deutschland unbefristet wirksam werden zu lassen.
Zum dritten. Das Planungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hat nach meiner festen Überzeugung an einem Grundfehler gekrankt, daß nämlich relativ einfache, triviale Aufgaben mit der gleichen Planungskanone beschossen worden sind wie europäische Aufgaben, die wichtige internationale Abstimmungsprozesse beinhalten. Deshalb wird in diesem Planungsvereinfachungsgesetz sehr viel Bürgernähe praktiziert, indem kleine Aufgaben, die beispielsweise Ortsumgehungen angehen oder den Bau von Parkplätzen, um öffentliche Nahverkehre mit dem individuellen Nahverkehr zukünftig in Deutschland besser zu gestalten, nicht mehr der durchschnittlichen Planungszeit von 15 Jahren bedürfen.
Viertens. Ich denke, daß gerade in der Verkehrspolitik und in der Verkehrswegeplanung, wenn wir in diesem Parlament, wie bereits am letzten Donnerstag in der Abschlußveranstaltung im Wasserwerk eingebracht, über eine Verkehrswegestrategie bis zum Jahre 2010 diskutieren, das Ereignis Politische Union einen wichtigen Stellenwert hat. Wir müssen einen Beitrag in Deutschland leisten, um in ähnlichen, wenn nicht sogar gleichen Fristen wie in Frankreich, in Spanien und in anderen europäischen Mitgliedsländern die europäischen Verkehrswege genau zu planen.
Das alles sind Begründungen für dieses Gesetz, und ich wünsche mir eine gute Zusammenarbeit.
Eine zusätzliche Frage, Frau Abgeordnete? — Bitte schön, Frau Dr. Enkelmann.
Wie soll Ihrer Auffassung nach künftig die Einbeziehung von Kommunalvertretungen und Umweltverbänden in die Planung von Autobahnen und Fernverkehrsstraßen aussehen?
Sie sollten für Autobahnen und Fernverkehrsstraßen ebenso berücksichtigt werden, wie dies für Bundeswasserstraßen und für Bundeseisenbahntrassen gilt. Ich habe, um die Problematik zu verdeutlichen, in der wir stecken, ein Beispiel vorbereitet. Wenn Sie gestatten darf ich Ihnen dieses Beispiel einmal vortragen.Ein wichtiges Beschleunigungsinstrument ist die Plangenehmigung. Ich habe eben darauf hingewiesen. Das heutige Planungsrecht macht verfahrensrechtlich keinen Unterschied, ob es um den Bau einer Eisenbahnhochgeschwindigkeitsstrecke quer durch Deutschland oder um den Bau einer neuen Abbiege-spur an der Kreuzung in Witzenhausen geht. Witzenhausen gibt es wirklich, auch wenn dieser Begriff natürlich etwas eigenartig ist. Für die Abbiegespur, d. h. kleine, einfach gelagerte Fälle, bei denen alle Beteiligten mit dem Vorhaben einverstanden sind, soll künftig eine ebenso einfache Plangenehmigung an die Stelle des aufwendigen Planfeststellungsverfahrens treten.Ein wichtiges Problem — der Zeit wegen möchte ich Ihnen die Schwierigkeiten, in denen wir da stecken,
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9862 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Bundesminister Dr. Günther Krausenicht im Detail vortragen — liegt in dem Sachverhalt, daß es nach der EG-Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung gerade für diesen Einzelfall, der wesentlich mehr an raumordnerischen Kriterien der Umgebung und der Bürgernähe enthält, heute notwendig ist, die Europäische Gemeinschaft wegen solcher Fälle, von denen es sehr, sehr viele gibt, zu befragen. Für den Regelfall, z. B. Planfeststellungsverfahren in Verbindung mit europäischen Hochgeschwindigkeitstrassen, gilt dies dagegen nicht.Ich möchte hier nur darauf hinweisen, daß heute der Bundesumweltminister aus der Kabinettsitzung auch den Auftrag erhalten hat, etwas mehr Bürgernähe in der Europäischen Gemeinschaft dadurch zu erreichen, daß nicht die Linksabbiegespur einer Kreuzung in Witzenhausen zum europäischen Thema wird, sondern, so wie ich das plane, zukünftig die Hochgeschwindigkeitseisenbahnstrecken in Deutschland für Europa.
Als nächstes erteile ich dem Abgeordneten Dr. Feige das Wort, um eine Frage zu stellen.
Herr Bundesverkehrsminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie jetzt also entgegen den bisherigen Äußerungen für eine frühestmögliche Beteiligung von Bürgerinnen, Bürgern und Verbänden bei der Planung von verschiedenen Projekten in Ihrem Ministerium? Wie ich Sie verstanden habe, glauben Sie, daß die meisten Probleme bei diesen 15jährigen Planungszeiträumen verwaltungsintern sind?
Wenn ich Ihre Frage dahin gehend zu verstehen habe, daß ich mich gegen Bürgerbeteiligung oder gegen Umweltverträglichkeit in dem alten Planungsrecht geäußert hätte, so ist das grundfalsch. Bestandteil des beschleunigten Planungsrechts in Ostdeutschland ist eine möglichst frühzeitige Einbeziehung von Bürgern, wie wir es u. a. auch bei dem ersten Investitionsmaßnahmegesetz praktiziert haben. Allerdings muß man materiell-inhaltliche von verfahrensrechtlichen Schritten, denke ich, unterscheiden. Die Idee des Planungsvereinfachungsgesetzes für Deutschland und damit auch unbefristet besteht darin, daß wir einen Spatz an Planung natürlich nicht mit einem Szenario an Planungsgesetzgebung belasten müssen, wenn durch Bürgernähe und Vereinfachung vor Ort das Anliegen wesentlich schneller realisiert werden kann. Wir wollen die vielen tausend kleinen Dinge, die in unserem Land im Verkehrsbereich hinsichtlich der Verfahrensweisen ähnlich kompliziert behandelt werden wie die riesigen Infrastrukturplanungen für Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetze oder für teure Autobahnvorhaben, von diesen Vorhaben trennen, so daß qualitativ für den Bürger die gleiche Beteiligung bleibt, dann allerdings, wenn sich alle Beteiligten einig sind, die Verfahrensweise wesentlich vereinfacht wird. Vom Gegenstand und von der Größe des Objekts wollen wir also künftig abhängig machen, mit welchem Planungsumfang das Problem bewältigt wird.
Lassen Sie mich noch einen wichtigen Punkt für diese Maßnahme nennen: Wir diskutieren gegenwärtig über das Geld. Man muß wissen, daß sich in den letzten 40 Jahren der Anteil der Planungskosten an Bauvorhaben von 3 bis 5 % auf jetzt 15 % erhöht hat. Ich denke, die vorgeschlagene Maßnahme ist auch wichtig, um Steuererhöhungen zu vermeiden.
Eine weitere Frage. Bitte sehr, Herr Dr. Feige.
Herr Minister Krause, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Bürgerbeteiligung nicht die Ursache für einen 15 Jahre langen Planungszeitraum ist, sondern daß die Hemmnisse anderswo liegen? Können Sie diese anderen Positionen nennen?
Dr. Günther Krause, Bundesminisster für Verkehr: Herr Feige, Sie haben mich richtig verstanden, daß es Ziel dieser Bundesregierung nicht ist, die demokratische Mitbeteiligung von Bürgern zu sichern.
Allerdings möchte ich darauf hinweisen, daß im beschleunigten Planungsrecht für die jungen Bundesländer beispielsweise die fakultative Wahlmöglichkeit für Raumordnungsverfahren enthalten ist, so daß wir es den Ländern überlassen, ob sie Raumordnungsverfahren verfahrensrechtlich durchführen. Wenn Sie interpretieren, dies sei aus meiner Sicht eine Planung, die die Bürger nicht direkt beteiligt, so muß ich das ablehnen.
Zu einer weiteren Frage erteile ich dem Abgeordneten Dr. Elmer das Wort.
Zum ersten: Haben Sie im Ernst sagen wollen, daß die Bundesregierung die Bürgerbeteiligung nicht sichern möchte, wie ich vernommen habe?
Ich denke, dann waren wir auf zweierlei Veranstaltungen. Da muß ich im Protokoll nachlesen.
Herr Bundesminister, wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie feststellen, daß die Formulierung in der Tat mißverständlich gewesen ist.
Das war in der Tat mißverständlich. Die Bundesregierung plant nicht die Abschaffung von Bürgerbeteiligung.
Vielen Dank.Die zweite Frage: Sie sprachen von 15 Jahren durchschnittlicher Planungsdauer. Da hatten Sie angedeutet, daß Sie alle Bauvorhaben, auch die schwierigsten, mitgerechnet haben. Könnten Sie sagen, wie die durchschnittliche Planungsdauer ist, wenn wir nur die normalen Bundesstraßen und die Straßen darunter betrachten?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9863
Die Definition „normal" ist natürlich schlecht zu „handeln" . Wenn man vom Durchschnitt spricht, sind die kürzeren und die längeren Planungszeiten mit Bestandteil. Es gibt Planungen, die seit 35 Jahren in diesem Land nicht abgeschlossen sind, und es gibt — da gebe ich Ihnen allerdings recht — im Ausnahmefall auch die Situation, daß Planungen nach fünf bis sechs Jahren erfolgreich sein können. Der Mittelwert — und das ist der Durchschnitt — liegt bei 15 Jahren. Das ist der normale Durchschnittswert, wenn man sowohl Bundesautobahnen wie auch Ortsumgehungen berücksichtigt. Im übrigen hat die Planung für die erste ICE-Strecke — und wir wollen ja zukünftig gemeinsam in Deutschland eine schienenfreundliche Politik organisieren — 20 Jahre gedauert. Sie sehen bei dem wichtigen Beispiel ICE im Verhältnis zum TGV den entscheidenden Nachteil, den wir gegenwärtig auf Grund dieses Planungsrechts haben, um umweltfreundliche Verkehrsträger in Deutschland durchzusetzen,
Herr Doktor, Sie sind damit zufriedengestellt oder auch nicht, das weiß ich nicht, aber jedenfalls ist Ihre Fragemöglichkeit beendet.
Nunmehr will der Abgeordnete Ekkehard Gries eine Frage stellen.
Vorausgeschickt, daß ich nichts gegen Witzenhausen habe, weil meine Frau und ich dort großgeworden sind, frage ich Sie zum besseren Verständnis, weil die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen hier so gefragt haben und weil ich weiß, daß sie das nach dieser Stunde vergessen, ob der Entwurf der Bundesregierung tatsächlich davon ausgeht, daß die Bürgerbeteiligung und die Prüfung der Umweltverträglichkeit durch das neue Gesetz nicht eingeschränkt, sondern nur terminiert und gebündelt werden, und zwar rechtzeitig, bevor Entscheidungen im Planungsprozeß getroffen werden, wie hoch Sie den Verkürzungseffekt im Planungsverfahren einschätzen — von 15 bis 20 Jahren vielleicht auf 5 bis 10 Jahre, ich würde aber gern Ihre Antwort darauf wissen und wie hoch Sie auch den Infrastruktureffekt — ich meine damit auch einen ökonomischen Effekt — dieses Beschleunigungsprozesses im Planungsverfahren einschätzen.
Herr Bundesminister, bitte schön.
Herr Abgeordneter Gries, ich schätze, daß wir mit diesem Planungsvereinfachungsgesetz in Deutschland Planungszeiten im Mittel von fünf bis sieben Jahren erreichen können.
Zu der Infrastruktur: Wenn wir dieses Planungsvereinfachungsgesetz in dieser oder in ähnlicher Form nicht realisieren können, wird die Zielsetzung dieser Bundesregierung, bis zum Jahre 2010 die umweltfreundlichen Verkehrsträger in Deutschland deutlich zu stärken, realistischerweise nicht umsetzbar sein. Deshalb ist zum Bundesverkehrswegeplan dieser Gesetzentwurf als entscheidende Reform neben der
Bahnreform erforderlich, um unsere Aufgabe als Transitland Deutschland in Europa zu realisieren.
Danke schön.
Da wir das Vertragsgesetz zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen abgehandelt haben, kommen wir jetzt zu den freien Themen, aktuellen Themen.
Zunächst hat der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz gebeten, eine Frage stellen zu dürfen.
Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. — Frau Staatsministerin, treffen Meldungen zu, in denen es heißt, Bundesaußenminister Kinkel habe in China geäußert, daß angesichts der deutschen Verhältnisse die Betonung der Menschenrechtsfragen schwierig sei, und bedeutet dies, daß der Bundesaußenminister die schrecklichen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens, ausgelöst durch Staatsterrorismus, mit den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland, ausgelöst durch einzelne Gewalttäter, in einen Zusammenhang bringen will?
Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Frau Seiler-Albring zur Verfügung.
Herr Kollege, an der Haltung des Auswärtigen Amtes und speziell an der Haltung des Außenministers zu Fragen der Menschenrechtsverletzungen in China auf dem Tienanmenplatz gibt es nach meinem Dafürhalten keinen Zweifel. Er hat dies mehrfach, immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, nicht zuletzt in seiner Rede vor den Vereinten Nationen.
Der Außenminister hat heute auch noch einmal im Kabinett sehr deutlich gemacht, daß er entgegen den Meldungen in der Presse das Thema Menschenrechtsverletzungen bei seinen Gesprächen intensiv zur Sprache gebracht und diskutiert hat, daß er aber der Ansicht ist, daß es besser ist, den Menschen auf diskrete Art und Weise zu helfen, als durch eine öffentliche Diskussion manche Dinge möglicherweise zu gefährden.
Danke schön.
Sie wollen eine Zusatzfrage stellen, Herr Augustinowitz? — Bitte schön,
— Ja, Sie und Sie auch zu diesem Bereich. — Also: Bitte schön, Herr Augustinowitz.
Frau Staatsministerin, vielen Dank für die Antwort, aber sie trifft nicht den Kern meiner Frage. Mir geht es darum zu erfahren, wie der Bundesaußenminister in Peking — in Peking ! — sagen kann, daß es schwierig wird, mit Blick auf die Lage in Deutschland auf Menschen-
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Jürgen Augustinowitzrechtsverletzungen hinzuweisen. Das ist der Kern meiner Frage!
Herr Kollege, ich kann diese Äußerung, die ich nicht gehört oder gelesen habe, nur interpretieren.
— Der Außenminister hat sich mit Sicherheit in der Weise geäußert, daß gerade wir Deutschen ganz besonderen Anlaß haben, Menschenrechtsverletzungen auch bei uns sehr wohl im Auge zu haben und weiter zu verfolgen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter Conradi.
— Nicht zu diesem Bereich. — Dann kommt der Abgeordnete Feilcke.
— Nein, nicht Dr. Feige, sondern der Abgeordnete Feilcke !
— Auch Sie müssen warten, bis das rote Licht dauerhaft erscheint. Es darf nicht blinken. Es tut mir leid, Herr Abgeordneter.
— Ich würde Ihnen empfehlen: Versuchen Sie es mal mit dem Nachbarmikrophon! Vielleicht haben Sie da mehr Glück.
Vielleicht liegt es an der Art der Frage, die ich stellen will, daß die Mikrophone streiken. — Frau Staatsministerin, einer Verlautbarung über das Gespräch des deutschen Außenministers mit dem chinesischen Ministerpräsidenten ist zu entnehmen, daß Li Peng darauf hingewiesen hat, es gebe keine direkten Interessenkonflikte zwischen den beiden Ländern, und einem Gespräch, das der Bundesaußenminister mit Radio China International geführt hat, ist die folgende Äußerung des Bundesministers zu entnehmen — ich zitiere wörtlich —:
Ich werde mich in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages dafür einsetzen, daß die Beschlüsse, die wegen der Ereignisse von 1989 ergangen sind, wenn es irgendwie geht, aufgehoben werden.
Frage an Sie: Gibt es für die Gespräche mit diesen Ausschüssen schon Zeitpläne?
Herr Kollege, mir sind keine entsprechenden Zeitpläne bekannt.
Zu diesem Bereich nun der Abgeordnete Schily.
— Es hat keinen Sinn mehr, glaube ich, daß Sie sich melden. Mir liegen so viele Wortmeldungen vor, auch zu anderen Bereichen.
Zunächst also zu diesem Bereich noch der Abgeordnete Schily.
Frau Staatsministerin, Außenminister Kinkel soll auch erklärt haben, daß jetzt das Verhältnis zur Volksrepublik China normal geworden sei. Kann eigentlich das Verhältnis zu einem Staat, in dem so massive Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind — sie gehören nach wie vor auch zur offiziellen Staatsdoktrin —, in dem so massive Menschenrechtsverletzungen bis heute anhalten, auch mit der Unterdrückung des tibetischen Volkes, kann also das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu einem solchen Staat normal sein?
Frau Staatsministerin.
Herr Kollege Schily, auch dies hat der Bundesaußenminister wie auch sein Vorgänger immer wieder gesagt, nämlich daß Menschenrechtsverletzungen nicht regional unterschiedlich bewertet werden können.
Dennoch, glaube ich, muß hier auch zur Kenntnis genommen werden, daß China ein wichtiger Partner der deutschen Wirtschaft sein wird, daß dies aber nach meinem Dafürhalten, Herr Kollege Schily, mit der Frage von Menschenrechtsverletzungen nicht in Verbindung gebracht werden darf.
Danke schön. — Nun hat Herr Dr. Feige noch die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Frau Staatsministerin, ich muß noch eine Zusatzfrage zu dem vorhin aufgeworfenen Thema stellen. — Sie haben das Zitat, das mein Kollege gebracht hat, interpretiert. Können Sie es dementieren, daß Herr Kinkel diese Worte benutzt hat? — Sie haben es zwar nicht gelesen, aber Sie haben ja jetzt die Worte gehört. Können Sie das also dementieren?
Herr Kollege, wenn ich das Zitat nicht kenne — wie ich gesagt habe — und wenn ich es nicht
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Staatsministerin Ursula Seiler-Albringgelesen habe, dann kann ich es natürlich auch nicht dementieren. Das ist doch eine Frage der Logik.Aber ich bin gern bereit, Ihnen schriftlich zu beantworten, ob tatsächlich eine entsprechende Äußerung des Außenministers gefallen ist.
Meine Damen und Herren, die Zeit für die Befragung der Bundesregierung ist jetzt deutlich überschritten. Ich muß an dieser Stelle zur Aktuellen Stunde kommen.
— Entschuldigung, zur Fragestunde.
Wir kommen also jetzt zur Fragestunde: Fragestunde
— Drucksachen 12/3600, 12/3580 —
Wir kommen zunächst zu den Dringlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht uns wiederum der Bundesminister Friedrich Bohl zur Verfügung.
Wir kommen zu den Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Schily:
1. Welche weiteren Maßnahmen zur Eindämmun des Flüchtlingsstromes unter Inkaufnahme eines Verfassungsverstoßes bereitet die Bundesregierung vor , und welche Weisungen hat dazu der Bundeskanzler erteilt?
2. Wie steht die Bundesregierung zu der Meldung, sie plane einen Staatsstreich ?
Herr Bundesminister, Sie haben die Möglichkeit, die Dringlichen Fragen des Abgeordneten Schily zu beantworten.
Herr Präsident, zunächst zur Frage 1 des Kollegen Schily:
Die Bundesregierung verwahrt sich gegen die Unterstellung, sie nehme einen Verfassungsverstoß in Kauf. Voraussetzung jeder Neuregelung des Asylrechts ist es, daß diese im Einklang mit unserer Verfassung steht. Soweit die Verfassung eine sachgerechte Lösung nicht ermöglicht, muß und kann eine Änderung angestrebt werden.
Entsprechend hat sich die Regierungskoalition vor kurzem auf Änderungen des Art. 16 Grundgesetz verständigt, die ihren Niederschlag im Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. vom 14. Oktober auf Drucksache 12/3428 gefunden haben.
Eine notwendige Änderung von Art. 16 setzt eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat voraus. Bisher hat sich die SPD einer vernünftigen Lösung verweigert. Ich fordere an dieser Stelle die SPD-Fraktion noch einmal auf, den Weg für eine Verständigung zur notwendigen Verfassungsänderung freizumachen. Unser Grundrecht auf Asyl muß vor Mißbrauch geschützt werden, damit Deutschland weiter Menschen Asyl gewähren kann, die in ihren Herkunftsländern politisch, rassisch oder religiös verfolgt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily? — Bitte schön.
Herr Bundesminister Bohl, wie erklärt sich die Bundesregierung Meldungen, daß der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Asylproblematik weitere Überlegungen anstellt und — auch nach diesen Meldungen — dabei Verfassungsverstöße in Kauf nehmen will und dazu wörtlich oder sinngemäß geäußert haben soll: Man muß den Mut haben, sich aufheben zu lassen; man muß das Risiko eingehen, aufgehoben zu werden?
Herr Bundesminister.Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, ich kann natürlich nicht erklären oder begründen, weshalb Meldungen, die Sie zitieren und die ich im einzelnen — auch bezüglich der Quellen — nicht nachprüfen kann, in die Presse kommen. Ich kann Ihnen nur mit aller Deutlichkeit sagen, daß diese Bundesregierung und dieser Bundeskanzler wie selbstverständlich die Verfassung achten werden. Ich habe auch nicht die Absicht, dies ständig zu wiederholen, weil durch die Wiederholung sogar der Eindruck entstehen könnte, wir hätten Anlaß dazu, dieses zu betonen.Ich weise noch einmal darauf hin, daß der Bundeskanzler nach meinen Unterlagen hierzu insgesamt drei relevante Aussagen gemacht hat, die erste in dem Interview mit der „Rheinischen Post" am 24. Oktober. In dieser Zeitung hat der Bundeskanzler auf die Frage „Sie sehen einen Staatsnotstand heraufziehen, wenn das Asylproblem ungelöst bleibt?" geantwortet:In den Augen der Bürger ist der Staatsnotstand eingetreten, wenn ein Staat handlungsunfähig ist. Wenn sich die SPD einer vernünftigen und wirksamen Regelung widersetzen sollte, muß ich weitere Überlegungen anstellen. Als Bundeskanzler kann und werde ich nicht zusehen, wie die Situation für die Bürger vollkommen unerträglich wird.In der Zeitung „Bild am Sonntag" vom 25. Oktober hat er auf die Frage „Was heißt das?" geantwortet:Das heißt, daß es dann völlig neue politische Überlegungen und Entscheidungen geben wird, über die ich heute noch nicht sprechen möchte. Aber ich werde in einer solchen Situation handeln. Dafür bin ich gewählt.Die dritte Erklärung des Bundeskanzlers gab es auf dem Parteitag der CDU in Düsseldorf am 26. Oktober 1992. Dort hat der Bundeskanzler ausgeführt:Jeder weiß, die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten. Die Situation hat sich dramatisch zugespitzt. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgehenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ja — ich sage es mit Bedacht — eines Staatsnotstands.
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Bundesminister Friedrich BohlDas sind die drei Erklärungen des Bundeskanzlers, die, wie Sie unschwer an den Daten erkennen werden, zumindest eine Woche, wenn nicht zehn Tage alt sind. Ich habe darüber hinaus nichts weiter zu erklären. Wir setzen als Bundesregierung darauf, daß die SPD entweder bei ihrem Parteitag zu vernünftigen und sachgerechten Beschlüssen in dieser Frage kommt oder die Parteitagsbeschlüsse der Fraktion der SPD zumindest soviel Spielraum lassen, daß sie in den anschließenden Verhandlungen mit den Koalitionsfraktionen zu einem solchen Ergebnis kommen kann.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Bundesminister Bohl, könnten Sie den Ausdruck „weitere Überlegungen" dem Hause etwas genauer erläutern? Gehört zu diesen „Überlegungen" auch ein Asylsicherungsgesetz, und was versteht die Bundesregierung unter einem solchen?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, hat den Begriff Asylsicherungsgesetz nicht in die Debatte eingeführt. Die Bundesregierung hat auch nicht die Absicht, ihre Überlegungen hier vorzutragen, weil diese Überlegungen überhaupt nur dann relevant werden könnten, wenn sich die SPD der Lösung dieses Problems verweigert.
Wir haben auch nicht die Absicht, sozusagen die Scheinwerfer, die auf die SPD und ihren Parteitag gerichtet sind, jetzt in eine andere Richtung zu lenken. Sie als SPD sind gefordert, endlich der Änderung des Grundgesetzes zuzustimmen, damit das Problem, das die Menschen draußen im Lande belastet, endlich gelöst wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Norbert Gansel.
Herr Bundesminister, können Sie die Darstellung über den Bundeskanzler im „Spiegel" bestätigen — ich zitiere —: „Wenn die erforderlichen Grundgesetzänderungen mit der SPD nicht zu machen seien, dann werde er sich so verhalten ,als ob' die einschlägigen Grundgesetzartikel geändert worden wären"?
Aus welchem Grunde hat der Bundeskanzler diese Darstellung verfassungswidriger Planung nicht selber eindeutig widerlegt, und warum ist er nicht bereit, dazu hier im Bundestag Rede und Antwort zu stehen?
Herr Bundesminister.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Gansel, der Bundeskanzler sieht deshalb keine Veranlassung, weil er erstens den unrichtigen Sachverhalt, den der „Spiegel" dort wiedergibt, nicht zu dementieren braucht. Zweitens hat der Bundeskanzler nicht die Absicht, zu betonen, daß er sich gemäß der Verfassung verhält. Er achtet selbstverständlich den Amtseid und das Grundgesetz.
Zusatzfrage des Abgeordneten Rudolf Bindig.
Warum stellen der Bundeskanzler und die Bundesregierung solche Erwägungen an, wie Sie sie gerade geschildert haben, statt zwischenzeitlich die Hauptaufmerksamkeit darauf zu richten, das bestehende gesetzliche Instrumentarium zur Reduzierung des Zustroms an Flüchtlingen und Asylbewerbern in die Bundesrepublik effektiv anzuwenden?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Bindig, ich entnehme der Diskussion dieser Tage, daß die Bundesregierung vielleicht noch mehr Anstrengungen dahingehend unternehmen muß, damit die SPD unter Druck gesetzt wird und sich einer Verfassungsänderung nicht verschließt. Wir haben z. B. gerade dieser Tage eine Eingabe von 1 000 Bürgermeistern und Amtsvorstehern aus Schleswig-Holstein bekommen, in der die Bundesregierung und der Bundeskanzler aufgefordert werden, einen sofortigen Stopp des Asylmißbrauchs herbeizuführen. Es handelt sich um eine Eingabe von 1 000 Amtsbürgermeistern aus Schleswig-Holstein, dem Land des Herrn Ministerpräsidenten Engholm.
Wir nehmen die Anfragen, die die Bürger in unserem Lande an die Bundesregierung richten, so ernst, daß wir diesen Dingen nachgehen. Das unterscheidet uns offensichtlich von der Opposition.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ernst Waltemathe.
Herr Bundesminister, Sie haben soeben die „Rheinische Post" vom 24. Oktober zitiert. Bedeutet das Zitat, das Sie vorgetragen haben, daß der Bundeskanzler den Staatsnotstand dann heraufziehen sieht, wenn alle Gesetze, die wir noch in diesem Jahr gemacht haben und die unter dem Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers und in den Fraktionen am 10. Oktober 1991 verabredet wurden, Makulatur sind, und sind das Parlament und die Bevölkerung bewußt getäuscht worden?
Herr Bundesminister.
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Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Waltemathe, ich kann Ihre Schlußfolgerung schlicht und einfach nicht nachvollziehen. Da der Herr Ministerpräsident Engholm am 10. Oktober 1991 bei dieser Besprechung auch anwesend war und heute erklärt: Noch können wir diesen Prozeß gestalten, ehe er soviel sozialen Sprengstoff erzeugt, daß die Grundfesten unseres Gemeinwesens erschüttert werden, und er darüber hinaus im Frankfurter Gespräch erklärt:Wir sind an einem Punkt, an dem wir begreifen müssen: Hier geht es um ein Stück des Bestandes der Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems.kann ich insofern eigentlich nicht erkennen, wieso Sie meinen, der Herr Ministerpräsident Engholm befinde sich in Kontinuität zu den Beschlüssen vom 10. Oktober 1991.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Penner.
Herr Bundesminister, Sie sprachen vorhin von der Sicherung des Grundrechts auf Asyl. Hält der Bundeskanzler am Grundrecht auf Asyl fest?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, ich darf mich zunächst gegen den Vorwurf verwahren, ich würde vorbereitete Texte zu Zusatzfragen verlesen. Ich habe zu der Dringlichkeitsfrage 1 in der Tat einen abgestimmten Text als Antwort vorgetragen. Ansonsten habe ich völlig frei gesprochen. Ich habe mir nur erlaubt, die Zitate des Herrn Ministerpräsidenten Engholm wörtlich wiederzugeben, weil ich nicht die Übung habe, die Zitate des Herrn Ministerpräsidenten Engholm auswendig zu lernen. Das ist der ganze Grund.
Nun zu der Frage des Herrn Abgeordneten Penner. Der Herr Bundeskanzler hat dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. zugestimmt und befindet sich mit seiner politischen Einschätzung voll und ganz in Einklang mit der Beschlußlage des Deutschen Bundestages.
— Herr Abgeordneter Penner, die Meinung des Bundeskanzlers deckt sich voll und ganz — —
Meine Damen und Herren, nun geben Sie dem Bundesminister die Chance, sich zu der Sache zu äußern und die Frage, wenn möglich, zu beantworten.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Die Meinung des Bundeskanzlers deckt sich voll und ganz mit der Beschlußlage des Deutschen Bundestages.
Nunmehr hat der Abgeordnete Erwin Marschewski die Möglichkeit, eine Frage an den Bundesminister zu richten. Bitte sehr.
Herr Bundesminister, ich habe eine Frage, und zwar: Wenn Herr Engholm wirklich gesagt hat, keine Änderung des Asylrechtes werde dazu führen, daß die Grundfesten des Gemeinwesens erschüttert würden, sehen Sie in dieser Äußerung eigentlich eine Differenz zu der begründeten Äußerung des Herrn Bundeskanzlers?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter Marschewski, ich muß in der Tat sagen, daß die Formulierungen des Herrn Ministerpräsidenten Engholm auch nach meiner Interpretation zum Ausdruck bringen, daß die Lage auf einen Zustand zusteuert, der seitens des Staates sozusagen nicht mehr beherrschbar zu sein scheint.
Wenn ich die politisch zu wertende Aussage des Herrn Bundeskanzlers von einem drohenden Staatsnotstand richtig interpretiere, kann ich nur eine große Deckungsgleichheit feststellen.
Danke schön. — Als nächster hat der Abgeordnete Günter Graf die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Ich möchte allerdings darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht ganz außer acht lassen dürfen, daß der Zusammenhang zur ursprünglichen Frage wieder hergestellt wird. Ich meine, das Thema ist sehr interessant, und wir haben noch mehr Fragen in diesem Zusammenhang; aber wir wollen ein bißchen die Form wahren.
Nun der Abgeordnete Graf.
Herr Minister, vor dem Hintergrund, daß die über die deutsch-polnische Grenze zu uns kommenden Rumänen zu einem Anteil von weniger als 1 % Asyl begehren, frage ich noch einmal nach — das hat schon der Kollege Bindig gefragt —: Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, die bestehenden gesetzlichen Instrumentarien so eingesetzt zu haben, daß sie mit dieser Problematik besser fertig wird, als sie es bisher wurde?Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter, wir haben am 10. Oktober 1991 bestimmte Ver-
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Bundesminister Friedrich Bohleinbarungen getroffen, die mit dem Beschleunigungsgesetz zum Teil umgesetzt wurden.
— Das ist in der Tat das Problem, Frau Kollegin Leonhard. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Zwischenruf.Die Einrichtung von Sammellagern ist Aufgabe der Länder. Das haben die Länder bisher nicht getan.
Die Länder haben ihre Verpflichtungen nicht erfüllt. Die Länder haben zugesagt, 500 Entscheider für das Bundesamt zur Verfügung zu stellen. Ich kann nur aus meinem Bundesland Hessen berichten: Das Bundesland Hessen sollte 37 Entscheider zur Verfügung stellen. Das ist bis heute nicht geschehen. Die Länder haben ihre Verpflichtungen, die sie am 10. Oktober 1991 übernommen haben, nicht erfüllt. Wenn die Lander ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, ist es dem Bund in der Tat nicht möglich, das zu erzielen, was wir eigentlich angestrebt haben.Ich lehne es jedenfalls strikt ab, daß Sie die Verantwortung für das totale Versagen der SPD-regierten Lander in dieser Frage jetzt der Bundesregierung in die Schuhe schieben wollen.
Die nächste Frage kann der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi stellen.
Herr Bundesminister, können Sie mir erklären, weshalb der Herr Bundeskanzler in den Jahren 1989 und 1990, als die Zahl der Zuwanderungen wesentlich größer war als in diesem Jahr, nicht auf die Idee gekommen ist, von Staatsnotstand oder ähnlichem zu sprechen?
Allein 1990 waren es über 1,7 Millionen.
— Ja, das waren zum größten Teil Deutsche. Das ist wahr. Entschuldigung, daß ich auf den Zwischenruf eingehe.
Der Anteil der Deutschen an dieser Zahl war im Vergleich zu heute wesentlich größer. Das ist richtig. Aber Sie können nicht leugnen, daß kommunalpolitische Probleme wie Wohnung, Unterbringung und finanzielle Versorgung völlig unabhängig davon sind, welche Nationalität der Zuwanderer oder die Zuwandererin hat. Weshalb also bricht bei wesentlich geringeren Zuwanderungszahlen im Vergleich zu wesentlich höheren Zuwanderungszahlen in den Vorjahren der Staatsnotstand aus? Weshalb werden zu keinem Zeitpunkt die Zahlen der Auswanderungen aus der Bundesrepublik Deutschland genannt: im Vorjahr über 400 000, im Jahr davor über 500 000? Das heißt, immer mehr ausländische und deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger verlassen dieses Land. Auch dies muß, glaube ich, in der jetzigen Situation gesehen werden.
Herr Bundesminister, bitte schön.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter Gysi, abgesehen von der sicherlich auch Ihnen einleuchtenden Tatsache, daß es durchaus so ist, daß gewisse Reserven, die es gegeben haben mag, zwischenzeitlich nicht mehr vorhanden sind, bitte ich Sie aber doch wirklich, nicht dem Realitätsverlust anheimzufallen. Wir haben 1983 19 000 Asylbewerber gehabt. Wir haben im Jahre 1990 190 000 Asylbewerber gehabt, im Jahre 1991 256 000 und in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 370 000.
Angesichts dieser Zahlen und der Tatsache, daß wir unverändert eine Anerkennungsquote von ungefähr 5 % haben, kann man doch nicht annehmen, daß wir in der Lage wären, dieses Problem ohne eine Verfassungsänderung zu lösen.
Ich muß ganz ehrlich sagen: Ich begreife gar nicht, wieso sich die SPD offensichtlich in eine, wie ich finde, argumentativ kaum zu überwindende Ecke begibt. Es war doch die SPD, die mit den Petersberger Beschlüssen die Auffassung vertreten hat, nun sei eine Verfassungsänderung notwendig. Dann kann sie heute, nachdem ihre Vorturner das bekundet haben, doch nicht so tun, als ob diejenigen, die für eine Verfassungsänderung sind, nicht die Lösung des Problems betrieben.
— Das hatte ich vergessen.
Nunmehr fragt der Abgeordnete Dr. Konrad Elmer.
Herr Bundesminister, darf ich Ihre Nichtbeantwortung der Frage des Kollegen Bindig als Eingeständnis verstehen, daß Sie nicht gewillt sind, zur Milderung der Asylproblematik alle Anstrengungen auf die Anwendung der bestehenden Gesetze, die wir beschlossen haben, zu richten?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Das Gegenteil ist richtig, Herr Abgeordneter. Wir haben dem Hohen Hause auch schon berichtet, daß wir z. B. in einer besonderen Aktion noch einmal 1 300 Verwaltungsbeamte für diese Aufgabe seitens des Bundes vorsehen werden. Ich kann nur noch einmal betonen: Die Länder müssen ihre Verpflichtungen ebenso erfüllen. Der Bund geht hier mit gutem und großem Beispiel voran. Ich kann nicht erkennen, daß die Länder ihre Aufgabe sachgerecht erfüllen, und ich weigere mich, daß wir dieses Versagen der SPD-geführten Länder der Bundesregierung in die Schuhe schieben.
Nunmehr stellt der Abgeordnete Wolfgang Lüder eine Frage.
Herr Bundesminister, ich möchte wieder näher an die ursprüngliche Frage
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Wolfgang Lüderheran, die die Hilfsüberlegungen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers für den Fall betraf, daß das Quorum für die Verfassungsänderung in beiden Verfassungsorganen — Bundestag und Bundesrat — nicht erreicht wird. Hält der Bundeskanzler für diesen Fall daran fest, daß das Individualrecht auf Asyl auch in der Einzelfallprüfung und in dem Recht jedes Asylbewerbers, einzeln auf seinen Asylgrund geprüft zu werden, ausgeprägt bleibt?
Herr Bundesminister.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Lüder, ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich schon auf die Frage des Abgeordneten Penner geantwortet habe: daß sich der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung voll in Übereinstimmung mit der Mehrheit dieses Hauses befinden und auf der Grundlage des Beschlusses dieses Bundestages, der ja auf eine Koalitionsentscheidung zurückgeht, die Änderung des Grundgesetzes betreiben wollen und werden und auch unterstützen.
Herr Abgeordneter Lüder, wenn die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag für diese Auffassung keine Zweidrittelmehrheit erhalten sollten, würden Sie keine Zweidrittelmehrheit haben, und eine Grundgesetzänderung wäre gescheitert. Das ist ganz einfach.
Auf Grund der nächsten Frage der Abgeordneten MatthäusMaier wird der Bundesminister möglicherweise weitere Antworten geben. Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Herr Bohl, entspricht es Ihrem Verständnis von diesem Parlament, daß Sie zwar einerseits der Opposition eine ordnungsgemäße Debatte über die Äußerung des Bundeskanzlers verweigern, andererseits aber Ihre Antworten in der Fragestunde dazu mißbrauchen, selber dauernd polemische Debattenbeiträge zu liefern?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich finde, Sie müssen schon hinnehmen, daß wir erstens darauf hinweisen, daß natürlich die Möglichkeit zur Diskussion dieses Themas im Rahmen einer Aktuellen Stunde morgen oder übermorgen bestanden hätte, und daß ich zweitens auch keine Gelegenheit auslasse, deutlich zu machen, daß diese Veranstaltung, die Sie durchführen, ein bombastisches Ablenkungsmanöver in bezug auf die Schwierigkeiten ist, die Sie in Ihrer eigenen Partei haben und die Sie angesichts der Parteitagsdiskussion bewegen.
Meine Damen und Herren, ich erinnere noch einmal daran, daß es sinnvoll ist, sich den Text der Frage 1 des Abgeordneten Schily ins Gedächtnis zurückzurufen, weil die Zusatzfragen in diesem Zusammenhang gestellt werden sollen. Mit diesem Hinweis gebe ich nunmehr dem Abgeordneten Dietrich Sperling die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß Sie wie der Kanzler und die anderen Kollegen in der Bundesregierung Ihren Amtseid auf den geltenden Wortlaut des Grundgesetzes abgelegt haben und den Gehorsam diesem Wortlaut schulden und nicht einer gewünschten, koalitionär verabredeten Änderung des Textes, daß Sie diesen Gehorsam auch dann weiter schulden, sollte es zu keiner Änderung des Grundgesetzes kommen, und daß der Staatsnotstand dann ausbricht, wenn koalitionär mit klammheimlicher Freude darauf gehofft wird, daß Mordbrenner und Mörder in diesem Land einen Zustand schaffen, in dem eine Partei zur Verfassungsänderung bereitgeklopft werden soll?
Herr Abgeordneter Sperling, ich muß mit großem Bedauern zur Kenntnis nehmen, daß Sie meinen Hinweis offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben, den Zusammenhang zu der Frage 1 herzustellen. Ich gebe dem Bundesminister trotzdem die Möglichkeit, die Frage zu beantworten.Ich mache darauf aufmerksam, daß ich jetzt noch Wortmeldungen der Abgeordneten Terborg, Burkhard Hirsch, Stiegler und Marschewski vorliegen haben. Ich beabsichtigte nicht, weitere Fragen zu Frage 1 zuzulassen, weil ich die Möglichkeit schaffen möchte, daß auch die Frage 2 des Abgeordneten Schily beantwortet wird.Nun, Herr Bundesminister, haben Sie die Möglichkeit zu antworten.Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, ich lege Wert auf die Feststellung, daß sich die Bundesregierung verfassungskonform verhalten wird und auch in dieser Frage Weiteres gemäß ihrem Amtseid tun wird. Im übrigen weise ich mit aller Entschiedenheit die — so habe ich es jedenfalls aus Ihren Worten herausgehört — unterstellte heimliche Komplizenschaft der Bundesregierung mit Mordbrennern, Hausbesetzern und sonstigen terroristischen Anschlägen in unserem Land zurück.
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Frau Abgeordnete Terborg, Sie haben die Möglichkeit, die Frage zu stellen
Herr Bundesminister, können Sie definitiv ausschließen, daß der Herr Bundeskanzler ein Mitglied dieses Hauses vorgeschickt hat, um zu testen, wie das Parlament auf eine mögliche Ausrufung des Staatsnotstandes reagieren würde?
Frau Abgeordnete Terborg, Sie erklären mir dann später den Zusammenhang mit der Frage 1 des Abgeordneten Schily. Ich möchte mich nun nicht am laufenden Band wiederholen. — Bitte sehr.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, da der Bundeskanzler nicht beabsichtigt, sich verfassungswidrig zu verhalten, kann er auch keinen Abgeordneten dieses Hauses vorgeschickt haben, mit verfassungswidrigen Vorschlägen das Gelände zu erkunden.
Der Abgeordnete Burkhard Hirsch hat nunmehr die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Herr Bundesminister, wenn Sie die Bedeutung des Problems an Hand der Zahlen der Zuwanderer deutlich machen wollen, müßten Sie dann hier nicht nur die Zahlen derjenigen angeben, die sich auf den Art. 16 berufen — was Sie getan haben —, sondern auch sagen, wie viele derjenigen, die sich hier gemeldet haben, weitergewandert sind, abgeschoben wurden? Müßten Sie nicht die Anerkennungsquote nicht nur an den Entscheidungen der Verwaltung messen, wie Sie es getan haben, sondern müßten Sie nicht auch diejenigen einbeziehen, die durch gerichtliche Entscheidungen anerkannt wurden oder die wir wegen der Eigenheiten unseres Asylrechts auf Grund humanitärer Überlegungen im Land behalten? Ist es nicht so, daß wir dann zu ganz anderen Bewertungsergebnissen kommen müssen?
Herr Bundesminister.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Hirsch, ich weiß nicht,
wie Sie in Ihrem Wahlkreis die Wirklichkeit erleben. Ich erlebe sie jedenfalls so, daß durch die Zuweisung, die über die Länder an die Kommunen und Landkreise erfolgt, in diesen Gemeinden unseres Landes großer Aufruhr besteht, daß die Bürgermeister vor der Frage stehen, wie sie diese Asylbewerber unterbringen sollen,
daß sich unsere Gemeinden vor den Verwaltungsgerichten mit den Ländern streiten und nicht bereit sind, weitere Quoten zu übernehmen, daß sich die Gemeinden mit den Regierungspräsidenten herumschlagen, um Gelände zu finden, wo sie Container aufstellen können,
daß sie mit den Vereinen in unserem Land Probleme haben, die nicht einsehen, daß Turnhallen und andere öffentliche Einrichtungen nicht mehr dem ursprünglichen Zweck zugeführt werden können. Draußen im Lande besteht ein Unmut über diesen Zustand, den ich nur so beschreiben kann, daß wir als Politiker, als Bundesregierung und Bundestag, unbedingt handeln müssen, wenn die Menschen an diesem Staat und an uns Politikern nicht verzweifeln sollen. Das ist die Feststellung, die ich treffen möchte.
Den Hinweis, den ich der Abgeordneten Terborg gegeben habe, muß ich auch dem Abgeordneten Hirsch geben. Wenn nun Fragen gestellt werden, die nicht mehr im direkten Zusammenhang mit der Frage 1 des Abgeordneten Schily stehen, müssen Sie auch damit rechnen, daß die Antworten entsprechend ausfallen.
— Natürlich, das sind Bewertungen, meine Damen und Herren, um die Sie nicht umhinkommen.
Der Abgeordnete Ludwig Stiegler hat nunmehr die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zur Frage 1 des Abgeordneten Schily zu stellen. — Herr Abgeordneter, bitte.
Herr Bundesminister, Sie sind ja auf der Suche nach verfassungskonformen Möglichkeiten. Ich frage Sie: Wie wäre die Lage bezüglich der Asylverfahren, wenn die Bundesregierung schon vor zwei oder drei Jahren die heutige Entscheiderzahl herbeigeführt hätte, wenn sie das Personal der Asylsekretariate aufgestockt und die technischen Probleme, die es in Zirndorf und den Außenstellen gibt, abgebaut hätte? Werden Sie dem Parlament einen Bericht darüber vorlegen, wie denn die Entscheidungssituation aussähe, wenn man z. B. in Zirndorf die volle Besetzung hätte? Bis heute sind angeblich mit der kleinen Drittelbesetzung schon 167 000 Fälle entschieden worden. Wie sähe es denn aus, wenn hier komplett besetzt worden wäre?Wird denn die Bundesregierung eine Gewissenserforschung unternehmen und fragen, welche Hausaufgaben sie selber nicht gemacht hat und ob sie wirklich berechtigt ist, nach einer Verfassungsänderung zu rufen, obwohl all das, was sie unterhalb der Verfassung tun könnte, nicht oder nicht rechtzeitig getan worden ist?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Stiegler, Sie kritisieren — das war eindeutig der Kern Ihrer Aussage —, daß die Bundesregierung für eine Verfas-
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Bundesminister Friedrich Bohlsungsänderung eintritt. Das ist zugegebenermaßen Ihr gutes Recht.
Aber ich stelle fest, daß Ihr SPD-Vorsitzender, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ebenfalls eine Verfassungsänderung will.
Ich muß sagen, daß ich es schon als sehr merkwürdig empfinde, wenn Sie die Bundesregierung deshalb hier attackieren.Im Jahre 1985 hatten wir 350 Entscheider. Wir haben jetzt 3 500 Entscheider, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe.
— Planstellen, die noch zu besetzen sind und deshalb nicht besetzt werden können, weil die SPD-Länder ihre Quoten nicht erfüllen.
Von den 500 sind bisher 24 eingestellt worden. Das heißt, daß die Länder — ich weiß nicht, wieviel Prozent es sind — ungefähr 5 % erfüllt haben.
Das ist im übrigen dieselbe Quote, die bei den Asylbewerbern zur Anerkennung gelangt.
Herr Abgeordneter Marschewski, ich kann Ihnen keine weitere Zusatzfrage zur Frage 1 genehmigen; Sie haben Ihre Frage zur Frage 1 des Abgeordneten Schily verbraucht.
Sie können sich möglicherweise zu einer Zusatzfrage zur Frage 2, die nunmehr beantwortet wird, melden.
Herr Bundesminister, ich bitte um die Beantwortung der Frage 2 des Abgeordneten Schily:
Wie steht die Bundesregierung zu der Meldung, sie plane einen Staatsstreich ?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Die zweite Frage des Kollegen Schily beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung plant keinen Staatsstreich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Minister, trifft es zu, daß ein Mitarbeiter im Bundeskanzleramt im Zusammenhang mit der Asyldebatte geäußert hat, daß bei einem Staatsnotstand, wenn also der Staat handlungsunfähig ist, die Regierung im Interesse des Staates Mittel einsetzen muß, die nicht mehr verfassungsgemäß sind, und hat daraufhin die Bundesregierung die Einleitung eines Disziplinarverfahrens veranlaßt?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Wenn Sie mir vielleicht noch einen Hinweis geben könnten, gegen wen ich das Disziplinarverfahren einleiten soll.
Ich frage ja erst einmal, ob es eine solche Äußerung gegeben hat. Vielleicht sollte ich das Wort „gegebenenfalls" noch in die Frage einfügen.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Mir ist eine Äußerung dieses Inhalts eines Mitarbeiters meines Amtes nicht bekannt.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Welche Verfassungsartikel stehen nach Meinung der Bundesregierung unter dem Vorbehalt des Staatsnotstandes, und was ist nach Beurteilung der Bundesregierung der Unterschied zwischen einem echten und einem nur politisch gemeinten Staatsnotstand?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Schily, ich kann Ihnen die Frage, die Sie sozusagen im Hinblick auf die Artikel des Grundgesetzes hier stellen, deshalb nicht beantworten, weil es sich bei der Aussage des Herrn Bundeskanzlers ohne Zweifel nicht um einen rechtlichen Begriff handelt, der jetzt sozusagen an Hand einzelner Verfassungsartikel abzuhandeln wäre, sondern um eine politische Wertung dieses Vorgangs.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Norbert Gansel.
Herr Bundesminister, der Begriff „Staatsstreich" ist ja in diesem Zusammenhang nicht von der SPD, sondern von einem wirklich ehrenwerten Mitglied der Koalitionsfraktionen, nämlich von dem Kollegen Hirsch, geprägt worden.
Weil der Kollege Hirsch darauf hingewiesen hat, daß der Versuch, Regelungen, die das Grundgesetz nicht vorsieht, über einen Staatsnotstand zu treffen, nichts anderes als ein Staatsstreich ist, frage ich Sie: Stimmt es, daß Bundesminister Blüm das Gerede vom Staatsnotstand und seinen möglichen Folgen mit dem wörtlichen Zitat bestätigt hat — ich zitiere aus dem „Spiegel" —: „Darüber ist gesprochen worden"; wenn die SPD sich verweigere, werde das „über den Staatsnotstand geregelt"?Ich füge hinzu: Wir wissen, daß man Darstellungen des „Spiegel" in Frage stellen kann. Aber wenn es wörtliche Zitate sind, dann sind sie entweder vom Verfasser bestätigt, oder der „Spiegel" kann sie
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9872 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Norbert Ganselbeweisen. Deshalb frage ich Sie: Ist das mit Herrn Blüm geklärt? Ist er bereit, das hier klarzustellen oder zu widerrufen? Soll sich das Parlament gefallen lassen, daß gesetzliche Regelungen über einen Staatsnotstand getroffen werden sollen?
Herr Bundesminister.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Gansel, ich kenne Sie ja nun aus vielen Jahren gemeinsamer Arbeit nicht zuletzt in entsprechenden Ausschüssen dieses Hauses. Ich glaube, aus dieser Zeit ein feines Gespür dafür entwickelt zu haben, wann Sie sich künstlich und wann Sie sich echt erregen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen sagen: Ich bitte, zu angeblich wörtlichen Zitaten des Herrn Bundesarbeitsministers diesen selbst zu befragen.
Herr Bundesminister, ich wäre Ihnen schon dankbar, wenn Sie bei allem Respekt vor der Beurteilung der Gefühlslage einzelner Abgeordneter den Versuch unternähmen, eine Antwort auf die Frage des Abgeordneten Gansel zu geben.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, bei allem schuldigen Respekt darf ich vielleicht doch unterstellen, daß durch die Intervention des Kollegen Gansel während meiner Ausführungen und durch Ihr Eingehen auf ihn vielleicht der zweite Teil meiner Antwort bei Ihnen untergegangen ist. Ich hatte geantwortet, daß ich Herrn Kollegen Gansel bitten würde, die Frage, ob das Zitat von Herrn Arbeitsminister Blüm, im „Spiegel" wiedergegeben, stimmt oder nicht, an den Bundesarbeitsminister selbst zu richten. Ich kann ein solches Zitat aus dem „Spiegel", Herrn Blüm offensichtlich in den Mund gelegt, weder bestätigen noch dementieren.
Herr Dr. Feige hat nunmehr das Wort.
Herr Bundesminister, Sie haben in der Beantwortung der Frage des Abgeordneten Schily gesagt, die Regierung plane keinen Staatsstreich, d. h. Sie haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, was ein Staatsstreich ist. Könnten Sie uns bitte sagen, wo würde Ihrer Meinung nach ein Staatsstreich beginnen, und zwar in dieser Asylangelegenheit?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, ich will Ihrer Ermahnung gerne gerecht werden und versuchen, die Fragen, so gut ich es kann, zu beantworten. Nur muß ich ganz ehrlich sagen: Das ist ja soviel Sophistik, daß ich um Nachsicht bitte, Herr Präsident, wenn ich antworte: Ich kann diese Frage nicht ernst nehmen.
Herr Abgeordneter Dietrich Sperling ist nunmehr der nächste Fragesteller.
Herr Bundesminister, liegt in der Tatsache, daß die Bundesregierung ihren Verfassungsgehorsam sowenig demonstriert, wohl aber Angriffe auf Menschen stattfinden, deren Rechte, eben Menschenrechte, durch Teile der Bevölkerung verletzt werden, und sie unzulänglichen Schutz durch die dazu berufenen Staatsorgane finden, und liegt in der beiläufigen Sprache von einem Staatsnotstand, falls die Verfassung nicht geändert wird, nicht ein Verhalten, das einem schleichenden Staatsstreich nahekommt, auch wenn es die Bundesregierung nicht so geplant hat?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Ich darf vielleicht doch noch einmal auf folgendes hinweisen. Die Zustände, die Sie hier angesprochen haben, werden von diesem Hohen Hause gemeinsam beklagt. Dieses Hohe Haus hat sich auch eindeutig dazu geäußert. Ich muß nur darauf hinweisen, daß nach unserer Verfassungsordnung das Verfolgen von Straftaten und die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung Sache der Länder ist. Wenn unsere Länder nicht oder unzureichend in der Lage sind, das von Ihnen gewünschte Ergebnis zu erzielen, bitte ich, doch nicht der Bundesregierung zu unterstellen, sie sei daran schuld.Des weiteren muß ich sagen, daß die Bundesregierung bereit ist — und das auch allen Ländern mitgeteilt hat —, jederzeit die personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, wenn die Länder sie anfordern, die in der Zuständigkeit des Bundes sind.Darüber hinaus hat der Bundesminister die Auffassung vertreten, daß angesichts der Schwere der Ausschreitungen und der offensichtlich geringen Möglichkeiten der Polizei und der Sicherheitskräfte, das in angemessener Weise in den Griff zu bekommen, auch darüber zu sprechen ist, wie man Gesetze verändert und verschärft, um diesem Treiben auf der Straße einen wirkungsvollen Einhalt zu gebieten. Also, die Bundesregierung sorgt sich nicht nur um dieses Thema, sondern innerhalb ihrer Zuständigkeit, die in diesem Bereich in erster Linie im Legislativen liegt, ist sie auch aktiv.Ich muß darauf hinweisen, daß die Länder, insbesondere also die sogenannten A-Länder, also die SPD-geführten Länder, sich bei der letzten Innenministerkonferenz diesen Erwägungen oder Vorschlägen verschlossen haben. Daher müssen Sie für den Zustand nicht den Bund, sondern die Länder verantwortlich machen.
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Der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch ist der nächste Fragesteller.
Herr Bundesminister, kann ich unterstellen, daß allen Mitgliedern der Bundesregierung bekannt ist, daß das Grundgesetz klare und eindeutige Regelungen für den Fall enthält, daß die Bundesregierung fürchtet, nicht die erforderliche Mehrheit für einen Gesetzentwurf zu bekommen, den sie für dringlich erklärt?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Der Bundesregierung ist die Verfassungslage, wenn ein grundgesetzänderndes Gesetz nicht zustande kommt, sehr wohl bewußt.
Warum tut sie es dann nicht?
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter Hirsch, ich sage noch einmal mit den Worten des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein:
Wir sind dann an einem Punkt, an dem wir begreifen müssen: Hier geht es um ein Stück des Bestandes der Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems. Der Auffassung bin ich sehr wohl.
Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Bundesminister, Sie haben vorhin auf die Frage des Kollegen Gansel nach dem Zitat von Herrn Blüm darauf verwiesen, Sie hätten bisher der Sache nicht nachgehen können und seien sozusagen neu damit konfrontiert worden. Nun liegt das Magazin, in dem Herr Blüm zitiert wird, schon einige Tage vor. Ist es üblich, daß das Kanzleramt sich um solche wirklich bedeutsame Äußerungen von Kabinettskollegen überhaupt nicht kümmert? Haben Sie die Ungeheuerlichkeit dieser Äußerungen nicht rechtzeitig erkannt? Wird das Kanzleramt jetzt endlich dieser Äußerung nachgehen und dem Parlament gegenüber Klarheit schaffen, ob der dort zitierte Minister das so gesagt hat? Und wenn er das so gesagt hat, welche Konsequenzen will der Bundeskanzler daraus ziehen?
Herr Abgeordneter Kuhlwein, die Frage des Abgeordneten Schily lautet:
Wie steht die Bundesregierung zu der Meldung, sie plane einen Staatsstreich
Es handelt sich nicht um die Frage, wie sich der Abgeordnete und Minister Blüm geäußert hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ein bißchen auf die Zusammenhänge achten könnten.
Ich gebe aber dem Bundesminister die Möglichkeit, wenn er will, zu antworten.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Ich will gerne die Gelegenheit wahrnehmen und dabei darauf hinweisen, daß ich es bis zu dem Moment, als der Kollege Gansel dieses Zitat gebracht hat, nicht kannte
und daß ich zugeben muß, daß das Lesen des „Spiegel" im Bundeskanzleramt nicht zur Pflichtlektüre gehört.
Aber ich bin — ich habe da gar keine Probleme —, wenn der Kollege Gansel nicht die Gelegenheit sieht, Herrn Blüm darauf anzusprechen, oder es nicht möchte, in Ansehung der Frage und dem Respekt vor dem Deutschen Bundestag gerne bereit, in meiner Eigenschaft Herrn Blüm zu befragen.
— Ich kann natürlich keine Fragestunde mit Herrn Blüm im Bundestag machen. Ich muß es dann außerhalb dieses Raumes tun.
Die Bundesregierung bzw. der beantwortende Minister, Herr Abgeordneter Gansel, kann nun beim besten Willen nicht die Zitate bestätigen oder dementieren, die er nicht kennt. Dazu kann ich ihn auch nicht zwingen, auch kraft dieses Amtes nicht.
Herr Albrecht Müller hat die nächste Frage.
Herr Staatsminister, sind wir uns hier in diesem Haus und ist die Bundesregierung mit uns einig, daß es angesichts des Ernstes der objektiven Schwierigkeiten der Zuwanderung, angesichts der ernsten Stimmung in unserem Lande und der bedrückenden Ereignisse, die sich abspielen, die Pflicht jedes Verfassungsorgans, auch der Bundesregierung und des Bundeskanzlers, wäre, nicht 01 ins Feuer zu gießen, sondern alles zu unterlassen — auch sprachlich, wie etwa auf dem CDU-Bundesparteitag —, um den inneren Frieden zu sichern und um zu verhindern, daß diese ernsten Situationen nicht noch durch den Sprachgebrauch, den wir wählen, verschärft werden, und auch durch die Schilderung der Situationen?Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Kollege Müller, auch wenn ich Sie möglicherweise damit quäle: Ich sage noch einmal, daß der Ministerpräsident Engholm gesagt hat: Noch können wir diesen Prozeß gestalten, ehe er soviel sozialen Sprengstoff erzeugt, daß die Grundfesten unseres Gemeinwesens erschüttert werden. Das ist die Aussage des Ministerpräsidenten Engholm.
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9874 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Bundesminister Friedrich BohlIch würde vorschlagen, daß Sie zunächst einmal Ihren Parteichef fragen, ob er das erfüllt hat, was Sie einfordern.
Der nächste Fragesteller ist Professor Meyer.
Herr Bundesminister, halten Sie ebenso wie ich die Warnung, die unser Kollege Rupert Scholz auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf — einer öffentlichen Veranstaltung, an der Sie sicherlich mit großer Aufmerksamkeit teilgenommen haben —
an den Bundeskanzler gerichtet hat, für berechtigt, nicht weiter den Begriff „Staatsnotstand" zu verwenden, der im Zusammenhang mit Asylbewerbern nicht paßt, weil diese keine Invasoren sind, und der im übrigen in Fällen des inneren Notstandes nur bei revolutionären Verhältnissen verwandt werden kann, mit denen wir es ebenfalls nicht zu tun haben? Wenn Sie diese Warnung als berechtigt ansehen, halten Sie es dann nicht für angemessen, daß sich der Bundeskanzler von seiner eindeutigen Äußerung in diesem Sinne auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf distanziert?
Herr Bundesminister.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich stimme in dieser Frage nicht mit dem Abgeordneten Professor Scholz überein. Ich befinde mich aber in Übereinstimmung mit dem Abgeordneten Professor Scholz in der Erkenntnis, daß wir alles tun müssen, damit die SPD auf ihrem Parteitag endlich zu einer Grundgesetzänderung kommt.
Der nächste Fragesteller ist Dr. Gysi.
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß der Vorwurf im „Spiegel" — und nicht nur dort —, die Bundesregierung plane einen Staatsstreich, eigentlich eine schwerwiegende Straftat unterstellt? Wenn, wie Sie gesagt sagen, diese Meldung unzutreffend ist, frage ich, ob und, wenn ja, wie sich die Bundesregierung gegen diese Unterstellung gewehrt hat oder ob sie das einfach hat laufen lassen.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Abgeordneter Gysi, ich bitte noch einmal, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bundesregierung bei einem solchen Unterstellen, das so absurd und völlig abwegig ist, wirklich nicht genötigt ist, ständig und wiederholt Stellung zu nehmen und zu dementieren. Ich muß auch sagen: Für meine Person lehne ich das ab.
Ich will einmal versuchen, in aller Ruhe auf folgendes hinzuweisen: Nur einmal unterstellt, die Bundesregierung würde ein Gesetz vorlegen, das nach Ihrer Auffassung verfassungswidrig ist, worin sollte dann der Staatsstreich eigentlich bestehen? Es wäre dann doch zunächst Sache des Deutschen Bundestages, zu entscheiden, ob ein solcher Gesetzesvorschlag der Bundesregierung verfassungsgemäß ist oder nicht.
Nun will ich einmal unterstellen, daß der Deutsche Bundestag diesem Begehren folgt. Dann müßte auch der Herr Bundespräsident ein solches Gesetz unterzeichnen. Dann will ich unterstellen, daß der Bundespräsident ein solches Gesetz, das Sie für verfassungswidrig erachten, unterzeichnet. Dann würden Sie mit Sicherheit und aus gutem Recht, wie ich finde, das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Nun würde es in der Tat zwei Möglichkeiten geben: Entweder würde das Bundesverfassungsgericht sagen, dieses Gesetz ist verfassungswidrig, und es wird gestoppt. Dann ist das Gesetz nicht in Kraft, und es ist keine Veränderung unseres Grundgesetzes oder unseres Normenkatalogs gegeben. Es findet also kein Staatsstreich statt.
Oder das Bundesverfassungsgericht erklärt eine solche Gesetzesänderung für verfassungskonform. Dann dürfte ebenfalls kein Staatsstreich vorliegen.
Also, wenn ich das hin und her drehe und Ihre Argumente gewichte, kann ich selbst bei Unterstellen von bösen Absichten nicht erkennen, wie ein solches Unterfangen überhaupt angehen könnte.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Erwin Marschewski.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß wir über eine Schädigung des Gemeinwohls, über Staatsstreich oder Staatsnotstand nicht redeten, wenn die SPD-regierten Bundesländer ihre Verpflichtungen aus dem Gespräch am 10. Oktober letzten Jahres beim Bundeskanzler erfüllt hätten und wenn insbesondere die SPD-regierten Bundesländer erheblich mehr dazu beigetragen hätten, 500 Entscheider nach Zirndorf zu schicken und auch dafür zu sorgen, daß Sammelunterkünfte in ausreichender Zahl vorhanden sind? Teilen Sie meine Meinung, Herr Bundesminister, daß die Vorwürfe des hier anwesenden Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Eichel, gegenüber unserem Bundesminister Seiters, dieser habe Versäumnisse begangen, als „Heuchelei" zu bezeichnen sind, wenn er selber seine Pflicht nicht erfüllt hat?
Herr Bundesminister.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9875
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident, ich kann dem nur zustimmen.
Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Dr. Konrad Elmer.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß es Aufgabe der Exekutive ist, die Äußerungen frei gewählter Abgeordneter auch in ihren Emotionen ernst zu nehmen, und daß es Ihnen nicht ansteht, authentische Äußerungen von Abgeordneten mit Worten wie „künstlich" zu disqualifizieren, womit Sie wiederum Öl ins Feuer der Politikverdrossenheit gegossen haben?
Herr Dr. Elmer, mit Verlaub: Der Zusammenhang mit der Frage 2 des Abgeordneten Schily ist wirklich nicht erkennbar.
— Dreiecksfragen sind nach unserer Geschäftsordnung ebenfalls nicht zulässig. Da es noch viele Fragesteller gibt und auch die Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler nicht beantwortet ist, bitte ich um Verständnis, wenn ich die Beantwortung nicht zulasse.
Nunmehr hat der Abgeordnete Wolfgang Ullmann die Möglichkeit zu fragen.
Herr Bundesminister, Sie haben soeben dargetan, daß Sie über eine schwerwiegende öffentliche Auseinandersetzung, in der das Wort „Staatsstreich" eine Rolle spielt, nicht hinlänglich informiert waren und daß Sie über die Verfassungslage in dieser Sache offenkundig auch nicht hinlänglich informiert waren.
Ist das in Ihren Augen ein Wahrnehmen der Pflicht, die Sie diesem Hohen Hause gegenüber haben? Ist es nicht vielmehr eine Provokation vor diesem Hohen Hause, so unvorbereitet hierherzukommen?
Herr Bundesminister.
Friedrich Bohl, Bundesminister: Herr Präsident! Ich darf darauf hinweisen, daß a) mir die Verfassungslage wohl bekannt ist, b) ich es nicht als ehrenrührig empfinde, den „Spiegel" nicht zu lesen, und c) ich mit dem Vorwurf Ihrerseits, hier unvorbereitet zu erscheinen, durchaus auch in den nächsten 24 Stunden leben kann.
Herr Bundesminister, ich will keine Bewertung der Antworten vornehmen, aber bei allem Verständnis — —
Herr Professor Scholz.
Verehrter Herr Bundesminister, wären Sie bereit, im Nachgang zu Ihrer Antwort auf die Frage von Herrn Kollegen Meyer zur Kenntnis zu nehmen, daß ich — es wurde der „Spiegel" zitiert — den Bundeskanzler auf dem Bundesparteitag nicht gewarnt habe, daß ich mich vielmehr mit dem Begriff „Notstand" auseinandergesetzt habe und daß ich die Sorge des Bundeskanzlers teile, die er auf dem Bundesparteitag zum Ausdruck gebracht hat, daß wir nicht bald zu einer Regelung kommen, und daß demgemäß von Ihren beiden Teilantworten auf die Frage von Herrn Meyer nur der zweite Teil richtig sein kann?
Nein, Herr Professor Scholz, ich lasse auch diesmal keine Antwort zu, weil auch das eine Dreiecksfrage ist. Im übrigen ist die Zeit für die Fragestunde abgelaufen.
Ich erteile dem Abgeordneten Peter Struck das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vergangene Stunde hat ein beschämendes Bild über die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung gezeigt,
insbesondere auch über die Fähigkeiten des Bundesministers Friedrich Bohl, Fragen sachgerecht und ausführlich zu beantworten.
Im Gegenteil: Er hat sogar Äußerungen über die Qualität von Fragestellern gemacht, die Ihnen, Herr Kollege Bohl, nicht zustehen.
Weil die Antworten völlig unzureichend und hohl waren, Herr Kollege Bohl, beantrage ich eine Aktuelle Stunde sofort im Anschluß an meine Ausführungen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag der SPD-Fraktion gehört. Das entspricht unseren Richtlinien für eine Aktuelle Stunde.Damit eröffne ich dieAktuelle Stunde
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9876 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Ich erteile als erstem dem Abgeordneten Hans-Ulrich Klose das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mir des Risikos dieser Debatte durchaus bewußt: Der angeknackste demokratische Grundkonsens könnte dauerhaft beschädigt werden. Das kann niemand wollen, unterstelle ich; ich jedenfalls will es nicht.
Meine Damen und Herren, was ist mit diesem Grundkonsens gemeint? Erstens die unbedingte Beachtung der Verfassung.
Zweitens der wechselseitige Respekt, der sich darin ausdrückt, daß die Gemeinwohlorientierung der anderen demokratischen Parteien nicht in Zweifel gezogen wird.
Drittens die gemeinsame Entschlossenheit, nie zu vergessen, was 1933 geschehen ist, und alles zu tun, um eine Wiederholung auszuschließen.
Der Erhalt dieses Grundkonsenses ist heute besonders wichtig, denn wir leben in unsicheren Zeiten. Die Welt, Europa, Deutschland haben sich in positiver Weise verändert. Gleichwohl gibt es viel Unsicherheit über die Zukunft und mancherlei Sorgen und Ängste, nicht zuletzt weil wir erleben, daß längst überwunden geglaubte nationale, ethnische, religiöse Konflikte gefährlich hochlodern. Der globale Krieg ist heute eher unwahrscheinlich, der regionale Krieg aber ist nach Europa zurückgekehrt. Zugleich sind wir Zeugen und Zielpunkt einer großen Wanderungsbewegung; Völkerwanderung ist das richtige Wort dafür.
In Zeiten der Unsicherheit erwarten die Menschen Orientierung von der Politik. Was sie erleben, ist Stimmungsmache.
Was, bitte schön, soll damit im konkreten Fall erreicht werden? Soll mit dem Gerede vom Staatsnotstand die SPD unter Druck gesetzt werden, wie der Herr Bundesminister Bohl soeben noch einmal erklärt hat? Sie wissen doch so gut wie ich, daß eine Partei der anderen nicht in die innerparteiliche Willensbildung hineinreden darf, es sei denn, sie wolle das Gegenteil von dem bewirken, was sie öffentlich erklärt. Wollen Sie wirklich, daß Engholm scheitert,
oder wollen Sie, indem Sie mit dem Finger auf uns zeigen, von der Tatsache ablenken, daß die Stunde der Wahrheit erst jetzt, zwei Jahre nach der Einheit, gekommen ist?
Oder wollen Sie die Asylbewerber weiterhin zu Sündenböcken machen? Sie sind es doch schon.
Ich will nicht meinerseits mit dem Finger auf Sie zeigen, denn ich will mir einfach nicht vorstellen, daß Sie ernsthaft einen Verfassungsbruch auch nur erwägen könnten. So ist aber verstanden worden, was da geredet worden ist. Nicht nur wir haben es so verstanden, sondern z. B. auch die FAZ hat es so verstanden, und die ist weit davon entfernt, eine sozialdemokratische Zeitung zu sein.
Es wäre gut, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn dies klargestellt würde:
Erstens. Es gibt überhaupt keinen Staatsnotstand, der einen Verfassungsbruch rechtfertigen könnte.
Zweitens sollten wir uns bei allen Meinungsverschiedenheiten untereinander einig sein in der entschlossenen Abwehr gegen Gewalt und Rechtsextremismus.
Drittens müssen wir alle uns schützend vor jene stellen, die Tag für Tag Opfer von Gewalt werden. Der Schutz der Menschenrechte beginnt im eigenen Land.
Auf dem Hamburger Parteitag meiner Partei habe ich gesagt, ich hätte erstmals Angst, wir, die Demokraten in Deutschland, könnten vor der Geschichte versagen, weil wir bei all dem Staub, den wir im innerparteilichen Streit und im Streit der Parteien untereinander aufwirbeln, übersehen könnten, daß die jeweils konkurrierende demokratische Partei ein Gegner ist, der Feind aber rechts steht.
Dies muß gesagt werden, daraus müssen Konsequenzen gezogen werden, ehe es wieder zu spät ist. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Diese Gemeinsamkeit darf von keinem Demokraten aus parteipolitischem Kalkül aufgekündigt werden.
Als nächster spricht der Abgeordnete Johannes Gerster.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klose, einverstanden: Gemeinsamkeit der Demokraten in Reden und Handeln. Dies setzt aber auch voraus, daß man nicht bewußt und wider besseres Wissen Interpretationen des Gesagten vornimmt, sondern daß man das akzeptiert, was z. B. vom Bun-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9877
Johannes Gerster
desminister gesagt worden ist, und nicht andere Interpretationen findet.
Im Oktober kamen doppelt so viele Asylbewerber nach Deutschland wie im ganzen Jahr 1992 nach Frankreich kommen werden. Kommunen, Länder, Bund, Verwaltungsgerichte, Verwaltungsbehörden stehen vor dem Kollaps. Natürlich ist das ungelöste Asylproblem mitursächlich für die schreckliche Radikalisierung von Teilen unserer Gesellschaft.Ich stimme Ihnen, Herr Klose, zu: Es muß das Hauptziel allen Handelns sein, diese Radikalisierung zu stoppen und Wege zu finden, daß diese Menschen zu Demokratie und demokratischen Parteien finden.
Dennoch ist kein Ende des Asylmißbrauchs abzusehen. Es gibt einen dramatischen Anstieg der Zuwanderung politisch Nichtverfolgter. Schlepperorganisationen haben Hochkonjunktur. Immer mehr Menschen geraten in deren Fänge und werden in unser Land gebracht. Der Asylmifibrauch hat eine Eigendynamik erreicht, die längst zum Teufelskreis geworden ist. Man kann mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln allein nicht mehr auskommen; das wissen auch Sie.In den Kommunen besteht ein Unterbringungsnotstand. In den Finanzhaushalten vieler Kommunen und auch der Länder besteht ein Finanzierungsnotstand. In den Behörden und Gerichten besteht ein Bewältigungsnotstand, und, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrer Partei besteht leider Gottes noch — noch! — ein Entscheidungs- und Handlungsnotstand.Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen auf der Basis der Entschließung mit der F.D.P. eine vernünftige Änderung des Grundgesetzes herbeiführen. Sie muß kommen, soll Schaden vom Volk, von unserer in 40 Jahren aufgebauten Demokratie abgewendet werden. Wir fordern Sie auf, statt Scheindebatten zu führen, endlich Ihre Entscheidungs- und Handlungsblockade aufzugeben und mit uns zu handeln.
Ich versichere: Niemand in der Union will die Verfassung brechen oder verbiegen. Wer dies behauptet, diffamiert wider besseres Wissen.
Kollege Bindig, wenn Sie mich schon zitieren, dann sollten Sie die „Welt am Sonntag" lesen. Darin steht ausdrücklich: „Das Asylrecht, so Gerster, ist ein soziales Grundrecht und folglich unbedingt zu schützen."Ich verwahre mich ebenfalls gegen Falschinterpretationen aus Ihren Reihen.Sollte sich die SPD weigern, die längst überfällige Grundgesetzänderung mitzutragen, dann wäre dies in der Tat eine Katastrophe für unser Gemeinwesen. Diese Katastrophe abzuwenden ist Ihre, aber auch unsere staatspolitische Pflicht. Entziehen Sie sich dieser Pflicht, so muß dennoch gehandelt werden — auf dem Boden unserer Verfassung und nicht anders. Für diese Situation darf es kein Denkverbot und keinHandlungsverbot geben. Die Asylfrage ist ein Testfall für die Handlungsfähigkeit unseres Staates in einer ganz schwierigen Frage geworden. Nur wenn wir gemeinsam diesen Test bestehen, werden wir die Erosion an den Rändern unserer demokratischen Gesellschaft aufhalten.Diesen Prozeß werden wir nicht nur, aber dennoch nur mit der Handlungsfähigkeit in der Asylfrage aufhalten können.Meine Damen, meine Herren von der SPD, Sie können die Spekulationen über das, was nach dem Scheitern etwa der Vorstellungen Ihres SPD-Parteivorstands geschehen würde, am leichtesten beenden: Sagen Sie endlich ja zu den Beschlüssen Ihres Vorstands, sagen Sie ja zu einer vernünftigen Grundgesetzänderung, sagen Sie ja zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Anpassung unseres Asylgrundrechts an den europäischen Standard! Dann werden wir nicht etwa einen nationalen Alleingang machen, sondern europäischen Gleichklang erreichen. Das ist das Gebot der Stunde. Handeln wir gemeinsam, statt andere mit böswilligen Unterstellungen zu traktieren!Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster spricht der Abgeordnete Burkhard Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Je ernster ein Problem ist, umso kühler sollte der Kopf sein, mit dem man es lösen will.
Wir denken, daß die Rede, die der Bundeskanzler auf seinem Parteitag gehalten hat, nicht staatsrechtlich beurteilt werden sollte, sondern politisch gemeint ist und daß der Regierungssprecher dazu ausreichende Erklärungen abgegeben hat. Trotzdem, bei aller gebotenen Zurückhaltung: Das Wort Notstand, ob politisch oder rechtlich gemeint, ist nicht gut gewählt.
So schwierig und belastend der politische Sachverhalt ist, der sich aus der außerordentlich starken Zuwanderung von Flüchtlingen ergibt — und zwar schwierig für die Integrations- und Aufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung und schwierig und belastend für die Gemeinden, die die Zuwanderer unterbringen sollen —, so unstreitig handelt es sich nicht um einen Notstand im verfassungsrechtlichen Sinn. Dieses Wort ist historisch belastet. Es führt nicht zu der notwendigen und wünschenswerten Zusammenarbeit der Demokraten in diesem Hause, sondern es polarisiert
und erweckt den Eindruck, notfalls solle auch unter Verstoß gegen die Rechtsordnung eine Lösung herbeigeführt werden: Not kennt kein Gebot.So kann der Begriff des Notstands von denen mißbraucht werden, die eine scheinbare Rechtfertigung für private Gewalt suchen, für schamlose Ver-
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Dr. Burkhard Hirschbrechen an Ausländern. Es ruft auch die auf den Plan, die meinen, man könne mit einfacher Mehrheit beschließen, wozu eigentlich eine Verfassungsänderung notwendig wäre. Hier tauchen Gedankenspielereien auf, die schon vor Jahren abgelehnt wurden: die Überlegung von einem verfassungswidrigen Grundrecht bis hin zu der schlichten Formel: Wir beschließen, was wir für notwendig halten, und überlassen es der SPD, zum Verfassungsgericht zu gehen.Es ist nicht anstößig, wenn der Gesetzgeber Entscheidungen trifft, bei denen er nicht absolut sicher ist, ob das Verfassungsgericht sie akzeptiert. Aber es ist anstößig, seine eigene Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit einer Entscheidung davon abhängig zu machen, ob die Opposition einer Verfassungsänderung zustimmt oder nicht.
Die Verfassung ist keine Angelegenheit der Opposition oder der Opportunität.
Die Vorschriften über die Verfassungsänderungen gehören genauso dazu wie ihre inhaltlichen Grundlagen. Wir reden hier nicht über irgendeine Kleinigkeit, sondern um Inhalt und Grenzen von Grundrechten, die zum Kern, zur grundlegenden humanitären Substanz des Grundgesetzes gehören.
Darum werden wir in diesen Fragen weder die Belastbarkeit der Verfassung noch die Belastbarkeit des Bundespräsidenten oder die Toleranz der Verfassungsrichter erproben, sondern wir werden unsere Entscheidungen unverändert einzig und allein daran ausrichten, ob eine gesetzliche Regelung der Verfassung und unseren völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht oder nicht.
Verfassungsrechtliche Verstöße oder verfassungspolitische Experimente wird es mit uns Liberalen nicht geben.
Lassen Sie mich ein abschließendes Wort an die sozialdemokratische Opposition richten. Ich kann sehr gut verstehen, daß und wie schwer Ihnen die Debatte über das Asylrecht fällt. Auch für mich ist es unverändert eine Freiheitsstatue im Hafen unserer Verfassung, nicht nur eine Belastung, sondern auch ein Stolz, ein Bekenntnis zu humanitären Grundsätzen.
Ich wünsche Ihnen und uns, daß Sie auf ihrem bevorstehenden Parteitag zu Beschlüssen kommen, die allen Demokraten dieses Hauses ein gemeinsames Handeln mit dem Ziel ermöglichen, die Freiheitsverbürgung für politisch Verfolgte unverbrüchlich zu erhalten.
Als nächster hat der Abgeordnete Gregor Gysi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde die Debatte, wie sie nun schon seit fast einem Jahr geführt wird, wie sie in den letzten Monaten und Wochen aber immer weiter verschärft wird, allmählich unerträglich. Es fehlte eben noch, daß die Begriffe Notstand und Staatsnotstand eingeführt werden, und das an allen Realitäten vorbei.Herr Bundesminister Bohl, Sie haben meine Frage vorhin nicht beantwortet. Ich weise noch einmal darauf hin, daß die Zahl der Zuwanderungen in diesem Jahr wesentlich niedriger ist als die Zahl der Zuwanderungen im vorigen Jahr. Und die war schon niedriger als im Jahr davor. Der einzige Unterschied besteht darin, was gezählt wird und was nicht gezählt wird. Aber einen Zuwanderer, der deutscher Nationalität ist, löst die gleichen kommunalpolitischen und Integrationsprobleme aus — wenn er z. B. aus Rumänien oder der früheren Sowjetunion kommt — wie ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die finanzielle Problematik ist dieselbe, ebenso die Wohnungssuche oder die Arbeitssuche.
Alles hängt gleichermaßen zusammen.Im Jahre 1990 hatten wir Zuwanderungen in einer Größenordnung von 1 785 722. Es ist in diesem Jahr nicht einmal annähernd an eine solche Zahl zu denken. Das bedeutet aber, daß die Bundesregierung und die Koalition, wenn sie denn wollten, die Chance hätten, die Menschen in diesem Lande zu beruhigen, sie darauf hinzuweisen, daß die Zuwanderungszahlen zurückgehen, daß es lediglich eine Verschiebung zwischen ausländischen und deutschen Zuwanderern gibt und daß deshalb kein Grund zur Panik besteht. Statt dessen nennen Sie genau diese Zahlen nicht. Sie verschweigen sie ebenso wie die Zahl der Auswanderungen aus der Bundesrepublik Deutschland, die im Jahre 1990 immerhin bei 545 000 lag. Auch diese Zahl benennen Sie nicht, weil Sie eine ganz bestimmte Atmosphäre erzeugen wollen oder sich zumindest damit abgefunden haben, damit ein politisches Süppchen zu kochen. Das halte ich im Interesse der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland für unverantwortlich.Wenn schon über Notstand oder ähnliches geredet werden soll, dann vielleicht wegen der Massenarbeitslosigkeit im Osten oder aus anderen Gründen. Aber das sind für Sie nicht die Gründe. Die Gründe für Sie sind die Flüchtlinge, die wegen Bürgerkrieg, Elend, Hunger oder politischer Verfolgung versuchen, eine Zuflucht zu finden. Ich finde es skandalös, wie immer wieder auf dem Rücken dieser Schwächsten in der Gesellschaft Politik gemacht wird. Da ordnet sich ein, daß die Bundesregierung allen Ernstes
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9879
Dr. Gregor Gysivorhat, den Haushalt auf Kosten der Ärmsten in dieser Gesellschaft zu sanieren, nämlich auf Kosten der Asylbewerberinnen und -bewerber und darüber hinaus aller deutschen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger. Sie greifen denen in die fast leeren Taschen, die es wirklich nicht verdient haben, während Sie bei den Besserverdienenden und bei Reichen nach wie vor einen absoluten Schongang einlegen. Dazu paßt auch, daß Sie an Kürzungen oder an Nichterhöhungen des Wehrsolds denken, aber nur für Wehrpflichtige, nicht etwa für Generäle und Offiziere. Das ist Klassenpolitik alten Stils, die Sie betreiben.
— Entschuldigen Sie, von mir ist dieser Begriff hier noch nie verwendet worden. Sie betreiben diese Politik im klassischen Stil. Ich darf mich doch wenigstens darüber wundern. Allerdings gebe ich zu: So sehr wundert es mich nicht.
Lassen Sie uns ein verfassungswidriges Gesetz vorlegen — ich interpretiere jetzt auf meine Art — —
-- Sie haben gesagt: Wenn das Bundesverfassungsgericht nachher feststellen sollte, daß es verfassungswidrig ist, ist es eben zu diesem Zeitpunkt aufgehoben,
und so lange finden wir uns erst einmal mit einem verfassungswidrigen Gesetz ab.
Ich glaube, daß diese Art des Testens dieser Bundesregierung politisch nicht würdig sein sollte. Denn das Bestreben kann doch wohl nur darin liegen, dafür zu sorgen, daß das Grundgesetz verwirklicht wird, und nicht ständig darüber zu debattieren, wie es ausgehöhlt oder verletzt werden kann und welche Wege man dabei beschreiten könnte.
Die Äußerung des Bundesarbeitsministers, die bisher ja nicht bestritten worden ist, geht in dieselbe Richtung und schürt Haß und Panik.
Ich komme zum Schluß und sage Ihnen: Wenn die Debatte weiter so geführt wird, wird Ihre Mitschuld an allen Gewalttaten in der Bundesrepublik Deutschland gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, an Brandlegungen und vielem anderen Schandbaren, das wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, täglich größer.
Sie übernehmen eine riesige Mitverantwortung auf diesem Gebiet.
Als nächster spricht der Abgeordnete Wolfgang Ullmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler ist es gewesen, der vom Staatsnotstand gesprochen hat. Unsere Verfassung legt für den Gebrauch dieses Wortes mit gutem Grund ganz enge Grenzen fest. Sie kennt den Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 und konstatiert hierfür die Zuständigkeit des Bundespräsidenten; sie kennt den inneren Notstand nach Art. 91 und die Zuständigkeit der Länder. Diese klaren Festlegungen verbieten alle Wortspiele, auch diejenigen, Herr Rüttgers, die ich heute zu Beginn der Debatte von Ihnen gehört habe. Sie verbieten alle Leichtfertigkeiten.Ich konstatiere: Der Bundeskanzler hat die Grenzen, die ihm die Verfassung vorschreibt, durch seine Äußerungen überschritten.
Er hat es getan, weil er nicht mehr in der Lage ist, einen geordneten Gebrauch von seiner politischen Richtlinienkompetenz zu machen.
Er hat damit das Land an den Rand einer Krise geführt. Es ist die Pflicht des Parlaments, ihn an weiteren Schritten in dieser Richtung zu hindern.
Die Regierung ist offenkundig unfähig, einen Weg aus der weiteren Destabilisierung der Bundesfinanzen heraus zu finden. Sie ist unfähig, die gesetzgeberischen und exekutiven Initiativen angesichts der innenpolitischen Herausforderungen zu ergreifen.
Sie hat damit dem internationalen Ruf unseres Landes schweren Schaden zugefügt.
Sie ist, wie sie am heutigen Tage durch den Verlauf der Debatte gezeigt hat, unfähig, ein geordnetes Miteinander von Parlament und Regierung im Sinne der Gewaltenteilung zu realisieren.Wie hat das Parlament seine Kontrollaufgabe unter so kritischen Bedingungen wahrzunehmen? Es hat zu fordern, daß die anstehende Reform der Bundesfinanzverfassung oberste Priorität zu gewinnen hat. Es hat eine neue Innenpolitik zu fordern, bestehend aus gesetzgeberischen Schritten im Bereich der Flüchtlings-, der Einwanderungs- und der Niederlassungssowie der Staatsbürgerrechtspolitik. Es hat Initiativen zur Stützung der Kommunalrechte zu fordern, die es in den Stand setzen, den neuen Herausforderungen der gesamteuropäischen Migrationsbewegungen zu begegnen.
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9880 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Dr. Wolfgang UllmannDas Parlament hat ein neues Polizeikonzept zu fordern, das es ermöglicht, Quartiere von Flüchtlingen wirksam zu schützen, statt Kundgebungen von Rechtsextremisten und deren Sympathisanten zu schützen, so wie es in Dresden geschehen ist.
Das Ausmaß dieser Forderungen ist — ich weiß es, meine Damen und Herren — enorm. Diese Aufgaben können nur mit außerordentlichen Anstrengungen und außerordentlichen Maßnahmen gelöst werden. Ich stimme ausdrücklich allen Mahnungen zu, daß wir hier gemeinsam zu handeln haben. Aber wir müssen handeln. Der Bundeskanzler ist an seine eigene Ankündigung zu erinnern, zu einem gesamtgesellschaftlichen Dialog und einer Konsultation einzuladen. Diese Konsultation ist umgehend einzuberufen. An ihr sind zu beteiligen: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, Vertreter der Industrie, der Finanzen und der Länder, die Bundesregierung — ressortgebunden —, auch die Kirchen als Vertreter individueller und persönlicher Rechte.Die Autorität der Bundesregierung hängt davon ab, ob sie fähig ist, diese Konsultation einzuberufen. Die Bundesregierung hat sich entschieden, an der Demonstration für Menschenwürde und Demokratie in Berlin teilzunehmen — eine richtige und darum begrüßenswerte Entscheidung. Aber sie reicht nicht aus. Darum sind die hier formulierten Forderungen jetzt an die Bundesregierung zu richten.Fehlt es dem Bundeskanzler an der Autorität, diesen Forderungen nachzukommen, dann sollte er die Konsequenzen ziehen und zurücktreten und damit den Weg für eine handlungsfähige Regierung freimachen. Dieses Land braucht eine Exekutive, die ihre Verantwortung selbst wahrnimmt und sie nicht auf die Opposition abzuschieben versucht oder gar auf die Schwächsten, die diesen Schwächsten gar den Mißbrauch ihrer Rechte vorwirft, die diese Regierung zu schützen hätte.
Als nächster hat das Wort der Kanzleramtsminister Friedrich Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich möchte jetzt nicht auf jede Einzelheit eingehen, die hier, wie ich finde, absolut falsch und unzutreffend vorgetragen wurde. Wenn Sie, Herr Gysi, beispielsweise davon sprechen, daß der Bund durch eine Absenkung der Sozialhilfe seinen Bundeshaushalt sanieren wolle, dann ist das Argument schon in sich unsinnig, weil ja nicht der Bund sozusagen in den Genuß verminderter Sozialhilfeleistungen kommt. Insofern habe ich wenig Verständnis für dieses Argument.Das macht auf der anderen Seite vielleicht deutlich, um was es Ihnen bei der Debatte geht, nämlich darum,einen anderen Schauplatz für die hier jetzt anstehende Auseinandersetzung zu suchen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie, wenn ich das einmal so freimütig sagen darf, als Kollege und Mitglied dieses Hauses ansprechen. Wir müssen alle Kritik ertragen. Dazu gehört auch, daß wir nicht allzu zimperlich sind. Ich gehöre sicherlich auch zu denen, die da manchmal über das Ziel hinausschießen.Aber vielleicht können wir doch einmal über folgendes nachdenken. Sie unterstellen mit Ihren Fragen und Debattenbeiträgen zumindest als möglich, daß diese Bundesregierung die Absicht hat oder in Erwägung zieht, sich verfassungswidrig zu verhalten. Ich muß Sie in aller Ruhe und ganz kollegial fragen: Wie können Sie eigentlich Menschen, die Sie mehr oder weniger jeden Tag hier sehen, von denen Sie aus persönlichen Gesprächen in vielen, vielen Jahren wissen, wo sie stehen, die vielleicht hier und da ein bißchen rauhbeinig sein mögen, die vielleicht politisch nicht Ihrer Überzeugung sind, die sich aber, wie ich finde, über Jahre und häufig über Jahrzehnte als Demokraten ausgewiesen haben,
unterstellen, daß sie Verfassungsbruch begehen oder in Erwägung ziehen wollten? Ich finde das ehrenrührig.
Herr Wiefelspütz, ich möchte Ihnen in allem Freimut folgendes sagen. Schauen Sie, ich bemühe mich ja, zumindest his zu dieser Minute, kein Öl ins Feuer zu gießen; ich weiß nicht, ob mir das bis zum Schluß meiner Ausführungen gelingt. Die Aussagen des Herrn Bundeskanzlers sind vom 24., 25. und 26. Oktober. Wir hatten nach diesen Ausführungen eine Parlamentswoche, nämlich die letzte Woche. In dieser Parlamentswoche haben Sie weder eine Aktuelle Stunde beantragt, noch habe jedenfalls ich einen Aufschrei der Empörung gehört.Diese Aussagen des Bundeskanzlers waren in allen deutschen Zeitungen nachzulesen, zum Teil wurden sie im Fernsehen übertragen. Sie haben sich darüber nicht aufgeregt, was ich ja gut finde. Aber jetzt auf einmal, eine Woche später, regen Sie sich auf.Nun müssen Sie mir zumindest die Frage gestatten: Wie kommt es eigentlich, daß es Sie in der ersten Woche nicht aufregt, Sie aber in der zweiten Woche den Untergang des Abendlandes an die Wand malen? Diese Frage beschäftigt mich zutiefst.Ich kann es mir nur so erklären, daß Sie in dieser Woche gern einen anderen Schauplatz für das politische Geschehen hätten, als es das Bild abgibt, das Sie nach den Landesparteitagen der SPD bieten, die sich von Herrn Engholm distanzieren. Das ist doch der Punkt.
Wir müssen die Debatte wieder auf den Kern zurückführen, und der Kern der Debatte ist, daß wir
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Bundesminister Friedrich Bohljetzt eine Änderung des Grundgesetzes brauchen, so wie auch Herr Engholm es sagt.
Da wir Herrn Engholm auch hier gerne folgen wollen,
nehmen wir als Bundesregierung hier im Deutschen Bundestag heute ein weiteres Mal die Gelegenheit wahr, darauf hinzuweisen, wie notwendig eine Änderung des Grundgesetzes zur Lösung des Asylproblems ist.Ich will Ihnen die entsprechenden Zahlen gern wiederholen: Wir hatten im Jahr 1983 19 000 Asylbewerber. Im Jahr 1990 hatten wir 190 000 Asylbewerber. Im letzten Jahr hatten wir 256 000 Asylbewerber, und in den ersten zehn Monaten dieses Jahres haben wir 370 000 Asylbewerber. Man muß davon ausgehen, daß im Jahre 1992 insgesamt 500 000 Asylbewerber zu uns kommen.Wenn wir am Wochenende in unsere Wahlkreise zurückkommen, dann sagen uns alle Kommunalpolitiker: Es geht nicht mehr; wir haben keine Aufnahmemöglichkeit mehr; es ist Schluß, es ist Ende. Und wenn Sie mit den Bürgern draußen sprechen, dann sagen die: Ihr in Bonn müßt handeln, ihr müßt etwas tun. — Das ist die Lage!
Da wir handeln wollen — zusammen mit Herrn Engholm —, hoffen wir natürlich, daß der SPD-Parteitag zu einem guten Ergebnis für Herrn Engholm führt.
Wenn ich in Gesprächen mit Ihnen bin, höre ich — zumindest von einigen von Ihnen —: Was machen wir eigentlich, wenn wir uns in der SPD nicht durchsetzen, wenn es nicht zur Verfassungsänderung kommt? Diese Frage wird mir in Vier-Augen-Gesprächen auch von Ihnen gestellt. Diese Frage wird sich auch die Bundesregierung stellen müssen, wenn der Fall eintritt — den wir hoffentlich nicht erleben werden. Was dann zu tun ist, werden wir sehen.Diese Bundesregierung wird — da kann ich Ihnen, Herr Kollege Hirsch, nur zustimmen — das tun, was sie nach gewissenhafter Prüfung als verfassungsgemäß erachtet. Wir werden uns an Recht und Gesetz, an die Verfassung und unseren Amtseid halten.Ich habe gelesen, daß sich die SPD, daß sich die Mehrheit dieses Hauses zu den Entscheidungen im Zusammenhang mit § 218 StGB durchgerungen hat — wohl wissend, was das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1975 zu § 218 StGB beschlossen hat.
Ich habe gegen diese Mehrheit des Hauses nie den Vorwurf erhoben, daß dieser Beschluß des Bundestages in Sachen § 218 StGB — weil er im Widerspruch zu den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts von 1975 steht — ein Verfassungsbruch sei. Eine solche Behauptung würden doch sicher auch Sie als ehrenrührig auffassen. Denn Sie sind der Überzeugung, daß dieses Gesetz mit der Verfassung in Einklang steht, obwohl das Bundesverfassungsgericht etwas anderes sagt.Und so wird ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, das dieses Haus passieren und vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden sollte, sicher geprüft werden. Wir werden dann sehen, ob es verfassungskonform ist oder nicht.Aber ich sage noch einmal mit allem Nachdruck: Es gibt hierzu keine Entscheidung. Das wird zu prüfen sein, wenn der Parteitag der SPD negativ ausgegangen sein sollte.Deshalb appelliere ich schlußendlich noch einmal an alle Mitglieder der SPD-Fraktion, die Delegierte des SPD-Parteitages sind, auf diesem Parteitag entschlossen und entschieden dafür einzutreten, daß wir im Interesse unseres Landes und seiner Menschen zu einer Änderung des Grundgesetzes kommen.Herzlichen Dank.
Es spricht der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Rudolf Scharping.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will freimütig sagen, daß das Stichwort „Staatsnotstand" mich elektrisiert hat. Dem wurden andere Stichworte nachgereicht, z. B. „Asylsicherungsgesetz" .Ich habe mir zunächst die Frage gestellt, in welchem Jahr wir eigentlich leben,
und muß nun hinzufügen, Herr Bundesminister — auch auf die Gefahr hin, daß Sie mir ähnliche Hinweise wie der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion geben —: Was kann ein Vertreter der Bundesregierung dagegen haben, daß eine so schwerwiegende Sache im Parlament diskutiert und aufgeklärt wird? Was rechtfertigt es, zu unterstellen, man hielte für möglich, was Sie da gesagt haben?
Nun habe ich heute in einer deutschen Zeitung gelesen, führende Koalitionspolitiker seien zu dem Ergebnis gekommen, man müsse das Wort „wegdenken". — Es wäre ganz gut, wenn Sie einmal nachdenken würden, bevor Sie sich äußern.
Als Ministerpräsident eines Bundeslandes, das in dem von anderen so bezeichneten Staatsnotstand bestimmte Aufgaben zu übernehmen hätte, will ich hier mein völliges Unverständnis dafür zum Ausdruck bringen, daß Sie — in den Tagen, die Sie als Bundesregierung selber reklamiert haben — unfähig sind,
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9882 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Ministerpräsident Rudolf Scharping
eine schwerwiegende Äußerung sowohl des Bundeskanzlers als auch des Bundesarbeitsministers politisch klarzustellen. Das sollte einmal einer Landesregierung passieren!
Lassen Sie mich nun zu dem Stichwort „Staatsnotstand" selbst etwas sagen: Ich bin ganz sicher, daß ein Teil der Verdrossenheit an Politik damit zu tun hat, daß die Bürgerinnen und Bürger sehr genau spüren, daß die Politik eine manchmal völlig maßlose Sprache entwickelt und daß der Sinn für Maß und für gedankliche Disziplin verlorengeht. Wie wollen Sie, wenn das, was wir in Deutschland an Zuwanderungsproblemen haben, ein Notstand ist, beispielsweise jüngeren Menschen in diesem Land noch einen Begriff, einen Gedanken dafür anbieten, was es an realen Situationen außerhalb dieses Landes — nicht nur in der Dritten Welt — gibt?
Im Zusammenhang mit diesem Begriff und den politischen Problemen, die uns in Deutschland beschäftigen, sage ich: Wer unerfüllbare Erwartungen geweckt hat, der darf sich nicht wundern, wenn auf die Täuschung der Menschen die Enttäuschung der Bürger folgt.
Wer später halbherzige Korrekturen vornimmt, der macht aus einer großen historischen Chance ein Risiko für die wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität unseres Landes.
Wer die Zuwanderung nicht als Aufgabe, sondern als eine Möglichkeit begreift, von den realen sozialen und wirtschaftlichen Problemen abzulenken, der macht statt der Zuwendung zu den Aufgaben daraus die Abwendung der Bürgerinnen und Bürger von Politik.
Damit bin ich dann bei dem Gegenstand, der dieses Wort angeblich ausgelöst hat. Wir haben ein wirkliches Problem: Zuwanderung nach Deutschland in großem Umfang, Zuwanderung durch eine einzige Tür, nämlich die des Asylrechts. Es ist völlig unverantwortlich, wenn diese Debatte dazu benutzt wird, um von realen Problemen abzulenken.
Damit bin ich wieder bei dem Begriff des Notstands. Wie eigentlich wollen Sie Menschen in diesem Land das noch begrifflich klarmachen und begreifbar machen? Wenn das ein Notstand ist, was ist denn dann die wachsende Arbeitslosigkeit in diesem Land?
Wenn das ein Notstand ist, was ist denn dann der wachsende Wohnungsmangel in diesem Land?
Wenn das ein Notstand ist, was ist denn dann die wachsende organisierte Kriminalität in diesem Land?
Wenn das ein Notstand ist, was ist denn dann die Explosion der Staatsverschuldung, die Sie herbeigeführt haben, obwohl Sie das Gegenteil versprochen hatten?
Nein, ich glaube nicht, daß wir einen Staatsnotstand haben, aber ich bin auch ganz sicher, daß die politische Glaubwürdigkeit leidet, wenn man für dieses eine Problem das Wort Notstand verwendet
und auf der anderen Seite nicht bereit ist, sich den wirklichen Problemen der Menschen in diesem Land zu stellen.
Was das Thema im engeren Sinn angeht, haben wir allerdings eine Aufgabe, und die haben wir gemeinsam, nämlich, Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen, dabei das Grundrecht auf politisches Asyl zu erhalten und gleichzeitig seinen unbestreitbaren Mißbrauch zu bekämpfen. Dazu gehört zunächst die Trennung der allgemeinen Zuwanderung vom Asylrecht selbst. Das ist notwendig und möglich in einer jeweils eigenständigen Gesetzgebung für die verschiedenen Zuwanderungsgruppen.Es wäre mit Sicherheit hilfreich gewesen, wenn auch die Bundesregierung und die sie tragende Koalition in dem, was in diesem Hause beschlossen worden ist, für diese Problematik — auf anderes will ich gar nicht eingehen — nicht nur die Nummern 11 und 12 ihres Entschließungsantrags verwendet hätten.Es ist auch klar, daß für diese Maßnahmen eine Ergänzung des Art. 16 des Grundgesetzes erforderlich wird. Und es ist klar, daß niemand der politisch Verantwortlichen, egal, auf welcher Seite der politischen Debatte er steht, den Eindruck erwecken darf, als würde eine bloße Änderung oder Ergänzung des
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9883
Ministerpräsident Rudolf Scharping
Grundgesetzes an den realen Problemen der Zuwanderung irgend etwas ändern.
Auch das gehört hinzu, und deshalb braucht es eine eigenständige Gesetzgebung für die verschiedenen Zuwanderungsgruppen, und es braucht eine Veränderung der eklatanten Mißstände im Verwaltungsverfahren selbst.
Das allerdings ist die volle Verantwortung des Bundes.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes waren beim Bundesamt in Zirndorf 70 % der Stellen unbesetzt.
- Herr Kollege Gerster, wir sind verpflichtet, zum 1. April 2 000 Plätze in Rheinland-Pfalz nachzuweisen. Wir werden es tun, so wie wir es zugesagt haben. Ich bin sicher, Sie werden Ihre christdemokratischen Kommunalpolitiker daran hindern, mit voller Kraft vor Ort gegen das Sturm zu laufen, was Sie hier im Deutschen Bundestag einfordern.
70 % der Stellen waren unbesetzt, und es ist heute immer noch schwer, die notwendigen Einrichtungen beispielsweise auch dann zu schaffen, wenn die Kasernen freigeworden sind.Der Bundesinnenminister verkündet die Zahlen der Asylbewerber für den Oktober und verschweigt, daß die Zahl der unbearbeiteten Fälle noch einmal um rund 30 000 auf jetzt 450 000 Fälle gestiegen ist.
Das bedeutet, daß es eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer ohne Entscheidung im Verwaltungsverfahren des Bundes von mindestens anderthalb Jahren gibt. Das wiederum verursacht den Ländern und Gemeinden Kosten von deutlich über zwei Milliarden D-Mark. Das ist der eklatanteste Mißstand im gesamten Verfahren.
Wenn Sie die Gemeinden und die Bürger damit allein lassen, wie Sie es bisher getan haben, dann müssen Sie auch Verantwortung dafür übernehmen, daß die Akzeptanz des Rechts auf politisches Asyl unter dem Strom und unter der verwaltungsmäßig nicht mehr durchgeführten Entscheidung am Ende leidet. Ich füge hinzu: Zum Schutz des Sozialstaats gehört unabdingbar auch die Bekämpfung des Mißbrauchs des Sozialstaates, zum Schutz des Asylrechts ebenso die Bekämpfung des Mißbrauchs des Asylrechts.Meine Damen und Herren, ich sage das aus folgendem Grund. Wenn unabhängig von den Problemen, die sich mit gewalttätigen Auseinandersetzungen ergeben, die Bürger das Vertrauen nicht mehr haben können, daß der ihnen fremd erscheinende, anders-sprachige Mensch in diesem Land lebt, weil er zu seiner kulturellen Bereicherung beiträgt, wenn sie das Vertrauen nicht mehr haben können, daß er in diesem Land lebt, weil er mit seiner Arbeit zum Fortschritt dieses Gemeinwesens beiträgt, oder wenn sie das Vertrauen nicht mehr haben können, daß er hier ist, damit Leib und Leben geschützt bleiben können, dann darf man sich nicht wundern, wenn es auf der Grundlage dieses gestörten Vertrauens auch ein gestörtes Vertrauen in die politischen Institutionen und ihre Fähigkeit zur Entscheidung und zur Lösung schwerwiegender Probleme gibt.Meine Damen und Herren, zum Schluß — —
Herr Ministerpräsident, Ihre Redezeit, die nach den Regeln vorgesehen ist, ist beendet, ja überschritten. Ich denke, Sie sind sich der Folgen der überzogenen Redezeit bewußt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit allem Respekt, Frau Präsidentin: Ich hätte gegen diese Folgen nichts einzuwenden. Im übrigen gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung.Es gibt ungeschriebene Regeln der Demokratie. Erst die Befolgung auch ungeschriebener Regeln der Demokratie macht sie lebendig. Dazu gehören Toleranz, Maß in der Sprache und Fairneß in der politischen Auseinandersetzung. Dazu gehört, die politischen Grundlagen, auf denen wir alle arbeiten, in der Substanz nicht zu beschädigen. Dazu gehört der entschlossene und geschlossene Einsatz aller Demokraten, Gewalt zu bekämpfen, statt sie auf kleine und benachteiligte Bevölkerungsgruppen abzuleiten oder ableiten zu lassen.Deshalb wäre es gut, wenn unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten alle demokratischen Parteien am 8. November in Berlin demonstrierten.
Mit Blick auf viele öffentliche Äußerungen auch in diesem Hause füge ich hinzu: Es gibt nicht nur diese ungeschriebenen Regeln, die parlamentarische Demokratie lebendig machen. Es gibt auch keinen parteipolitischen Vorteil, der eine Verletzung dieser Regeln rechtfertigen würde.
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9884 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Als nächster macht der Bundesminister des Innern, Rudolf Seiters, von seinem Rederecht Gebrauch.
Herr Ministerpräsident Scharping, Vorwürfe werden nicht besser, wenn man sie ständig wiederholt, um damit vom eigenen Versagen abzulenken.
Ich habe in den vergangenen Monaten — ich wiederhole es —niemals Vorwürfe an die Adresse der Länder gerichtet, weil Sie die Zusagen aus dem Kanzlergespräch am 10. Oktober 1991 nicht eingehalten haben. Ich habe immer gesehen, daß nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und die Verwaltungsgerichte ihre Schwierigkeiten haben. Daß in den vergangenen Monaten Unterstellungen ausgesprochen wurden, ich würde bewußt verzögern, finde ich nicht in Ordnung, und ich muß das als unfair zurückweisen.
Wozu sind denn eigentlich Debatten in diesem Hause oder Gespräche im Innenausschuß des Deutschen Bundestages da?Als ich mein Amt angetreten habe,
habe ich auf Grund des damaligen Ansturms von Asylbewerbern auf folgendes hingewiesen.
— Nein, das ist kein Vorwurf an meinen Vorgänger. Im Gegenteil, der Wolfgang Schäuble hatte im Jahre 1991 plötzlich den gleichen Anstrom auf einmal zu verarbeiten wie ich in verstärkter Weise im Jahr 1992; das wissen Sie genau.
Ich habe 240 000 Fälle vorgefunden. In acht Monaten sind 140 000 Fälle abgearbeitet, entschieden worden. Aber gleichzeitig sind 274 000 neue Asylbewerber in unser Land gekommen. Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Wenn Sie nicht 10 000, sondern 20 000 oder 30 000 oder 40 000 Entscheidungen in Zirndorf in einem Monat treffen, dann wird der Stoß der unerledigten Fälle noch weiter steigen, weil nämlich in diesem Monat 49 000 in unser Land gekommen sind.Das ist ohne eine Änderung des Grundgesetzes nicht zu bewältigen. Das ist die Wirklichkeit.
Hinzu kommt, daß mehr als 100 000 Rechtsmittelverfahren bei den Verwaltungsgerichten liegen. Ich sage Ihnen vorher: Dieser Stapel wird weiter wachsen; das ist überhaupt gar keine Frage.Jetzt sage ich noch einmal, damit das endlich einmal auch zwischen uns hier und nicht nur in einer Talkshow oder einer sonstigen Veranstaltung über die Medien ausgetragen wird: Vereinbart war am 10. Oktober 1991 — Herr Kollege Scharping und Herr Kollege Eichel, das wissen Sie —, daß nicht erst zum 1. April 1993, sondern zur Mitte des Jahres 1992 dieErstaufnahmeeinrichtungen der Länder geschaffen werden sollten.
Erst wenn Sammeleinrichtungen der Länder geschaffen sind, kann ich die Außenstellen einrichten. Und erst wenn die Außenstellen da sind, kann ich die Beamten dorthin schicken, die dann die Fälle bearbeiten. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Deswegen weise ich das mit allem Nachdruck zurück.Ich habe hier noch einmal die Aufstellung: Rheinland-Pfalz hat zum 1. September 1992 — nicht zum 1. Juli 1992 — Ingelheim eingerichtet. Aber die Sammeleinrichtungen in Neustadt und in Trier werden erst am 1. April 1993 eingerichtet werden.
— Aber die Vereinbarung war eine andere.In Hessen haben wir die Situation, daß Schwalbach erst zum 1. September 1992 eingerichtet worden ist und daß Gießen und Gelnhausen mit 2 500 Plätzen erst zum 1. Februar 1993 eingerichtet werden. Ich kann keine Außenstellen einrichten, wenn keine Sammellager da sind. Nehmen Sie das bitte erst einmal zur Kenntnis.
In Wirklichkeit — das will ich noch einmal sagen — haben wir es schon mit einer dramatischen Notsituation in unseren Städten und Gemeinden zu tun. Bei den Briefen, die uns erreichen, spielt es dabei überhaupt keine Rolle, ob sie von einem CDU-Bürgermeister oder von einem SPD-Bürgermeister geschrieben wurden.Wie soll ich denn eine Situation benennen, die Engholm mit „sozialem Sprengstoff" beschreibt und die die Grundfesten unseres Gemeinwesens erschüttert? Das ist ja schon zitiert worden. Nennen Sie mir doch einmal einen Begriff, der auf diese Aussage des Herrn Engholm paßt.Die Briten haben gestern eine Verschärfung ihres Asylgesetzes beschlossen, die im britischen Parlament von allen Parteien gemeinsam getragen wurde. Und warum? Weil sich die Zahl der Asylbewerber in Großbritannien in diesem Jahr auf 20 000 belaufen wird. Das ist die Situation in Europa. Wir erwarten in diesem Jahr 450 000 bis 500 000. Das ist ohne eine Änderung des Grundgesetzes nicht zu bewältigen. Alle sind überfordert.
Wenn die SPD vor diesem Hintergrund — das sage ich mit aller Ruhe, aber auch mit allem Nachdruck — die dramatische Notsituation in unseren Gemeinden und Städten bestreitet, dann spielen Sie mit dem sozialen Frieden in unserem Lande und machen Politik gegen unser Volk und gegen Ihre eigenen Wähler.
Ich wäre heilfroh, wenn wir dieses Thema durch eine gemeinsame überzeugende demokratische Ant-
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Bundesminister Rudolf Seiterswort wirklich einer Lösung näherführen könnten. Ich wäre sehr froh, wenn sich der Bundesinnenminister auch noch einmal verstärkt um ein paar andere Dinge kümmern könnte, als sich ständig um diese Fragen in der parteipolitischen Auseinandersetzung bemühen zu müssen.Aber ich muß nach dem, was gesagt worden ist, doch noch einmal darauf hinweisen, daß wir schon sehr viel weiter wären, wie jetzt auf dem Petersberg unter Ihrer Führung, wenn bei Ihnen die Erkenntnis über den Handlungsbedarf in Sachen Änderung des Grundgesetzes vor einem Jahr beim Kanzlergespräch vorhanden gewesen wäre.Der Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder ist übrigens völlig ungeeignet, das Problem zu lösen. Damit werden wir die Enttäuschung der Bevölkerung erst heraufbeschwören und die Vertrauenskrise in unserem Staat noch vergrößern.Was mich am meisten bedrückt, ist, daß viele, die heute auf Landesparteitagen der SPD sprechen, mehr darüber nachdenken, wie man verhindern kann, daß gewählte Spitzenleute demontiert werden, als darüber, wie wir, der Erwartung und dem Willen unserer ganzen Bevölkerung entsprechend, dem massenhaften Asylmißbrauch begegnen können. Angesichts einer dramatischen Entwicklung in unserem Lande darf es aber nicht um Personalfragen einer Partei gehen, sondern muß es darum gehen, unseren Staat und unsere Demokratie vor schwerem Schaden zu bewahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Institutionen wieder zu stärken.
Als nächster spricht der Abgeordnete Detlef Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, hat uns vor weniger als einer Woche hier zu dem neuen Saal, zu der heiteren und transparenten Atmosphäre beglückwünscht und uns gewünscht, daß wir uns auch angemessen, heiter, freundlich und aufgeschlossen in diesem Saal miteinander unterhalten mögen. Diese Erwartung geht wohl bei der ersten Debatte nicht so ganz in Erfüllung; denn Sie sind mit reichlich schwerem Schuhwerk auf dieses Parkett getreten,
das für elegantere Bewegungen gedacht war.
Wenn Sie einen Antrag mit „Konsens der Demokraten" überschreiben und anschließend der Text ausweist, daß es sich um eine Aneinanderreihung von Verdächtigungen und Beleidigungen besonders übler Art handelt,
dann ist das eine zumindest etwas eigenwillige Idee, wie man den Konsens unter Demokraten fördern kann. Dies werden die Einsichtigeren unter Ihnen mit einem inneren Schmunzeln zur Kenntnis nehmen.
Als Thema, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie den Konsens unter Demokraten gewählt. Den anderen zu unterstellen, sie hätten es nötig, von Ihnen Nachhilfe in Verfassungstreue entgegenzunehmen und den Bundeskanzler auf seinen Diensteid hinzuweisen, das ist doch nicht die Art, wie man aufeinander zugeht, wenn man genau weiß, daß man in dieser schwierigen Frage — den meisten von Ihnen ist es ja bewußt, wenn auch häufig schmerzlich bewußt — schließlich hier zusammenkommen muß, um zu zukunftsweisenden Lösungen zu kommen.
Genau an dieser Frage gehen Sie vorbei. Gerade weil uns nach wie vor bewußt ist, daß wir zu Lösungen kommen müssen, und zwar einvernehmlich, widerstehe ich dem Gedanken, nachzuforschen, welches Motiv Sie denn dann veranlaßt haben könnte, uns diesen Antrag so vorzutragen, als ob wir zustimmen müßten, daß wir mit der Verfassung falsch umgehen, und diese Belehrung zur Kenntnis nehmen müßten. Das kann nicht der eigentliche Gedanke dieses Antrages gewesen sein.
„Notstand" ist ein Wort, das technische Bedeutung hat, das im übrigen zu Recht erhebliche Auseinandersetzungen in diesem Hause zur Folge hatte, bei denen wegen der Gnade der Oppositionsrolle — möchte ich einmal sagen — die Freien Demokraten seinerzeit bei der Einführung in das Grundgesetz nicht mitgewirkt haben. Sie hingegen haben daran mitgewirkt.
Das Wort ist zu Recht belastet, ist zu Recht von Sorgen begleitet, wenn es fällt. Deshalb ist es aber immer noch nicht verboten, diesen Begriff wie eine Reihe anderer Begriffe in der Umgangssprache mitzuverwenden, um eine besondere Situation bildhaft darzustellen. Wenn das der Bundeskanzler auf gezielte Frage unter Nennung dieses Wortes getan hat, kann ich darin wirklich keinen Grund für die Aufregung finden, die hier in den letzten Tagen mit Akribie, Fleiß und Eifer entfesselt worden ist,
die einer ganz anderen Aufgabe würdig gewesen wären, nämlich der, die entstandene Not — denn davon jedenfalls kann man aus der Sicht der Bürger sprechen — durch den ungeheuren Zustrom infolge des Asylmißbrauchs wenden zu helfen. Das ist das einzige, was interessiert, nicht unsere feinsinnigen Betrachtungen über die Frage, was noch geht, ohne den Kern des Asylrechts anzutasten, und was gerade nicht mehr geht.
Ich habe mich im Sommer 1991 einmal zu dieser Frage geäußert und gemeint, das meiste, was hier zu geschehen hätte, könnte auch einfachgesetzlich geschehen, wobei allerdings das Risiko bestünde — und zwar nicht, weil man es mutwillig einginge, sondern weil man über Fragen von solcher Komplexität verfassungsrechtlich streiten kann —, daß ein solches einfaches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden könnte.
Herr Abgeordneter Kleinert, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
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Deshalb wäre es uns lieber, wenn wir hier einverständlich zu einer Grundgesetzänderung kommen könnten, weil die Bürger es leid sind, daß wir seit 20 Jahren mit immer neuen rechtlichen Argumenten es nicht nur nicht fertiggebracht haben, das Problem des Zustroms zu lösen,
sondern daß wir gleichzeitig die rechtsstaatlichen Garantien, die beschworen werden, fast gegen Null gedreht haben, zu einem Hohn der Rechtsstaatlichkeit entwickelt haben und sich inzwischen der Zustrom der Aussiedler verstärkt hat.
Ich bedaure sehr, Frau Präsidentin, daß meine innere Einstellung zur Unabhängigkeit es mir verbietet, das Amt eines Ministerpräsidenten anzustreben. Dann könnte ich so großzügig vom Gastrecht des Hauses Gebrauch machen, wie es hier vorhin geschehen ist,
Als nächster spricht der Abgeordnete Professor Rupert Scholz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klose hat in seinen Eingangsbemerkungen ein, wie ich meine, sehr richtiges und auch beherzigenswertes Wort gesagt. Er hat nämlich nach Orientierung gerufen. In der Tat, um Orientierung geht es in der Frage, um die wir jetzt hier streiten, um die Probleme, die die Menschen im Lande wirklich drücken.
Orientierung bedingt aber auch Entscheidungsfähigkeit. Ich bin davon überzeugt, daß viele Bürger im Lande, die diese erste Debatte in diesem neuen Plenarsaal verfolgen oder verfolgt haben, das Gefühl haben werden: Hier wird wirklich an der Sache vorbeigeredet,
hier werden Scheingefechte geführt, hier werden bestimmte Begriffe aufgegriffen, Begriffe, die man nie so gemeint hat, wie sie hier interpretativ aufgeladen werden.
Meine Damen und Herren, das Thema, um das es geht, ist nun wirklich, den Art. 16 zu ändern und ihn damit auch wirklich so zu bewahren, wie er einmal gedacht war: von Theodor Heuss über Konrad Adenauer bis Carlo Schmid. Ich zitiere bewußt Carlo Schmid. Sie alle waren sich darin einig, daß dieses Asylrecht für politisch Verfolgte nach unserer Geschichte ein besonderes Gut ist. Und was ist aus diesem Art. 16 geworden? Er ist faktisch ein Einwanderungsparagraph geworden, der die Menschen im Lande wirklich bedrückt. Und Sie diskutieren darüber, ob der eine oder andere vielleicht diesen Sorgen
in möglicherweise überzeichneter Form Ausdruck gibt. Das ist doch ein Ablenkungsmanöver!
Das geht doch völlig an der Sache vorbei!
Im übrigen lassen Sie mich kurz einiges zu Art. 16 sagen: Art. 16 des Grundgesetzes ist nicht nur ein etwa grenzenloses liberales Freiheitsrecht auf beliebigen Zuzug. Art. 16 ist auch ein Recht auf soziale Leistungen, nämlich Aufnahme, Unterbringung und Versorgung. Soziale Rechte finden ihre natürliche Grenze in den Ressourcen, die ein Staat hat. Wenn es so weitergeht, besteht die Gefahr, daß diese Ressourcen wirklich eines Tages erschöpft sind, nicht nur im Bewußtsein und im Empfinden der Menschen, meine Damen und Herren, sondern auch in der Sache.
Und was passiert denn dann? Wenn die Flut der Asylbewerber nach dem Fallen der Grenzen in Europa im nächsten Jahr endgültig über uns hereinbrechen wird, wenn es vielleicht nicht 500 000, sondern 700 000 oder 800 000 oder 900 000 sind, glauben Sie wirklich, daß die Menschen Ihnen das abnehmen und daß Sie den Art. 16 dann überhaupt noch zu einem Thema machen können? Es geht doch darum, diesen Art. 16 für politisch Verfolgte zu erhalten.
Er muß in der Bevölkerung akzeptiert sein. Aber das gelingt nur, wenn man dem Mißbrauch wirklich wirksam begegnet. Es ist meines Erachtens nicht mehr fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf.
Aus diesem Grunde denke ich, meine Damen und Herren: Debatten wie diese — und ich bitte Sie Frau Präsidentin, mir das nachzusehen — mit so vielen Scheinargumenten sind eigentlich verlorene Zeit.
Es ist verlorene Zeit, weil es eigentlich um etwas grundlegend anderes geht. Man könnte es auch so sagen, wenn Sie mir eine ironische Schlußbemerkung gestatten: Die Petersberger Beschlüsse sollten nicht im Peter-Prinzip enden, sondern man sollte endlich zur Sache kommen.
Vielen Dank.
Als nächster spricht der Abgeordnete Ernst Waltemathe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß dies keine überflüssige Debatte ist, und ich hoffe auch, daß es nicht eine Debatte um Paragraphen ist.
Es ist die Frage gestellt, ob eine demokratisch gewählte Regierung wirklich vom Staatsnotstand —
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Ernst Waltematheselbstverständlich nur politisch — reden darf, wenn sie mit ihrer eigenen Politik nicht fertig wird und davon ablenken will, oder oh ein Staat in Gefahr ist, wenn er als Grundlage — und unser Staat hat diese Grundlage — erstmalig auf deutschem Boden eine wohlerwogene Verfassung hat, die in Zeiten größter Not dieses Landes geschaffen wurde und die mit den Grundrechten beginnt, die es einzuhalten gilt.Ein Staat, meine Damen und Herren, begibt sich dann in Gefahr, wenn ein amtierender Innenminister eines Bundeslandes öffentlich äußert, wenn es denn gar nicht anders gehe, dann müsse man Gesetze unter bewußter Umgehung der Verfassung machen.
Und eine Demokratie ist in Gefahr, wenn sie nur für schöne Wetterlagen gedacht ist und die Demokraten sich bei Sturm umpusten lassen.
Richtig, meine Damen und Herren, auch ich bin der Meinung: Bonn ist nicht Weimar, und Übertreibungen können gefährlich sein. Aber zum Thema gehört auch, daß Verharmlosungen eben erst recht gefährlich sein können. In Weimar hat man auch gedacht oder geglaubt, der rechte Mob sei nur ein Spuk und werde vorübergehen. Weimar ist gestorben an einem Mangel an demokratischer Gesinnung und Zivilcourage. Die Bundesrepublik Deutschland aber soll und muß als demokratischer, freier und sozialer Rechtsstaat überleben. Das gelingt nur, wenn wir es nicht zulassen, daß Anschläge auf Menschen als etwas anderes begriffen werden als das, was sie sind, nämlich der Versuch, ungestraft Mord und Totschlag zu begehen.
Wir müssen gegen die fast schon tägliche und damit abstumpfende Nachricht kämpfen, welche Grabstätte, welche Gedenkstätte oder welche Heimstätte in der vergangenen Nacht geschändet, welche Unterkunft mit Brandsätzen beschädigt wurde. Ein neues „Faszinosum" — dieses Wort spreche ich hier 208 Wochen, nachdem es aus einem anderen Anlaß im Wasserwerk gesprochen worden ist, ganz bewußt aus —wie 1938 angesichts brennender Häuser und ermordeter und verletzter Menschen darf sich gar nicht erst festsetzen, weder tatsächlich noch in den Köpfen.Meine Damen und Herren, rechtsextremistisches Verhalten fängt in den Köpfen an, und Köpfe werden beeinflußt: durch die biedermännisch anständigen Deutschen, die natürlich nichts gegen Ausländer haben, durch angeblich objektive Kommentare, aber auch durch ach so volkstümliche Politikerreden. Wenn die schon sagen, daß schon fast ein Notstand da ist: Was soll denn dann die Bevölkerung glauben?Vier klare Worte in unserem Grundgesetz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" können weder Hysterie noch Gewaltanwendung rechtfertigen, wenn sie gebraucht werden, auch von solchen, die angeblich unbefugt sind. Solange wir kein anderes Zuwanderungsrecht geschaffen haben, werden sich die Menschen auf das Asylrecht berufen; denn diese vier Worte „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" sagen ja auch gleichzeitig das Gegenteil aus.Ein Notstand ist nicht feststellbar, Herr Scholz, und auch die Drohung mit noch größerer Asylantenflut halte ich, an diesem Pult gesprochen, für unangemessen.
Meine Damen und Herren, wir haben vor 15 Jahren klare Gesetze gegen Terrorismus gemacht. Die gelten auch heute noch. Sie gelten auch dann, wenn die Opfer des Terrorismus nicht ganz so prominent sind. Wer sich terroristisch betätigt, braucht kein Verständnis für sein Handeln, sondern die Härte des Strafgesetzbuches. Wer Straftaten bekämpfen und verhindern soll, darf nicht unbeteiligt wegsehen oder sogar noch zuschauen, sondern muß seine Pflicht tun, um unser demokratisches Gemeinwesen zu schützen.
Nun, Meine Damen und Herren, ich sage: Die CDU hat nach 1945 die gute Tradition, sich als Partei zur Hütung menschlicher Grundwerte zu begreifen. Der moderne Liberalismus verschreibt sich nicht nur den freiheitlichen Idealen, sondern auch einer humanistischen Grundauffassung von Demokratie und Menschenwürde. Die SPD als älteste und traditionsreichste deutsche Partei hat immer Freiheit verteidigt, Demokratie eingefordert und Verfolgte geschützt. Sozialdemokraten bedurften oft auch selbst des Schutzes innerhalb und außerhalb ihrer Heimat.
Herr Abgeordneter Waltemathe, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Schluß. — Es darf nicht sein, daß Menschen in Deutschland aus Angst vor Übergriffen ihren Schlaf nicht finden, daß Kindern und Erwachsenen Leid zugefügt wird, nur weil sie keine Deutschen sind. Ich weiß, wie es mir als Kind einmal ging. Ich will nicht, daß anderen gleiches widerfährt. Deshalb hoffe ich, daß Deutschland keinen neuen Notstand erlebt, sondern jetzt gerade und künftig Recht und Freiheit und die Achtung vor der Würde jedes Menschen, der bei uns lebt.
Seitens des Bundesrates spricht jetzt der Ministerpräsident des Landes Hessen, Herr Hans Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle müssen uns vielleicht fragen, was mit unserer Sprache in der Politik inzwischen passiert ist, weil wir alle, nachdem zunächst der Herr Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Zuwanderung, im Zusammenhang mit der großen Zahl von Flüchtlingen, die in unser Land kommen, vom Staatsnotstand gesprochen hat, erst ein paar Tage gebraucht haben, bis wir wirklich begriffen haben, was hier sprachlich und
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9888 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992
Ministerpräsident Hans Eichel
damit für die politische Kultur dieses Landes passiert ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe keinen Augenblick geglaubt, daß jemand in der Bundesregierung einen Staatsstreich plant. Ich halte das für ausgeschlossen.Aber ein ganz anderes Problem tritt bei der Verwilderung unserer politischen Sprache auf. Wenn man im Zusammenhang mit den Flüchtlingen, die in unser Land kommen, sagt, daß ihre große Zahl den Staatsnotstand auslöst: Ja, glauben Sie denn nicht, daß es dann Menschen in diesem Lande gibt, die glauben, sie könnten das Recht in ihre Hände nehmen und sich so benehmen, wie wir das auf den Straßen dieses Landes und in den Städten jetzt erleben?
Darm bekämpfen sie den „Notstand" auf ihre Art.Meine Damen und Herren, wer Flüchtlinge zum Notstand des Staates erklärt,
der muß sich wirklich fragen, was er in diesem Lande innenpolitisch anrichtet.
Deswegen sage ich mit Nachdruck — bei allem, was uns politisch trennt —: Mäßigen wir unsere Sprache, meine Damen und Herren, gerade in diesem Punkt!
Ich sage Ihnen für mich, was mir in meiner eigenen Partei, in meinem eigenen Landesverband, bekanntlich eine Abstimmungsniederlage eingebracht hat: Ich bin ja dafür und werbe auch dafür — weil ich gar nicht sehe, wie das Problem anders gelöst werden kann —, daß die großen politischen Lager in diesem Lande und daß die verschiedenen Staatsebenen durch gemeinsames Handeln die Probleme, die wir haben, lösen, weil ich eben nicht glaube, daß gerade das Thema „Zusammenleben mit Ausländern und Flüchtlingen in unserem Land" zum Gegenstand großer parteipolitischer Kontroversen — und dann in diesem Stil — gemacht werden kann.
Deswegen, meine Damen und Herren, ergibt sich für mich aus der Verwendung des Begriffs „Staatsnotstand" und aus dem, was ich dann in den folgenden Tagen weiter gelesen habe, eine Frage an die Bundesregierung, an den Bundeskanzler, an den Vorsitzenden der CDU.Wir haben doch erlebt, daß mit einem ausländerfeindlichen Wahlkampf in Frankfurt die CDU gewaltig verloren hat.
Wir haben mit dem Asylwahlkampf in Baden-Württemberg erlebt: Die CDU hat gewaltig verloren, und auch die SPD hat noch verloren.
Die CDU liegt bei 40 %, die SPD bei unter 30 %. In Passau ist die SPD bei 23 %, die CSU bei 35 %. — Meine Damen und Herren, wer glaubt, dies noch zur politischen Keule im Kampf gegen die andere große Partei machen zu können,
wird nur erleben, daß dabei beide großen politischen Parteien kaputtgehen — und damit die Demokratie im Lande.
Aus dieser Einsicht — nach all dem, was uns in Wahlen bescheinigt worden ist —, habe ich geglaubt: Jetzt ist das endlich vorbei. Niemand macht das Thema mehr zur politischen Keule. — In dieser Absicht habe ich in meiner Partei dafür geworben, daß wir gemeinsam mit der CDU/CSU, gemeinsam mit der F.D.P. und — das sage ich für Hessen — mit den GRÜNEN dieses Problem lösen, weil es in der Tat einen Allparteienkonsens der Demokraten braucht.Ich frage Sie, ob der Begriff vom Staatsnotstand und alles, was wir in den letzten Tagen gehört haben, nicht bedeutet, daß Sie dies weiterhin als Keule im politischen Kampf nutzen wollen.
Wenn Sie das wollen, meine Damen und Herren, dann wird all das, worum wir uns bemühen, nichts nützen.
Darüber bestand jedenfalls in der Ministerpräsidentenkonferenz Einvernehmen, und wenn auch noch die gesamte Konferenz bei der Kundgebung in Berlin dabei wäre — das hätte ich mir wirklich gewünscht —, dann allerdings hätten wir da auch eine etwas bessere Lage.Nun zu den konkreten Problemen:Sie haben ja gebetsmühlenartig — das, Herr Bundesinnenminister, war der Ärger; das hat Herr Bohl ja noch einmal vorgeführt, indem er sagte, die SPD- geführten Länder seien an allem schuld — immer wieder erklärt, nur weil sich die einen der Änderung des Art. 16 verweigerten, hätten wir das Problem.
Herr Rühe hat den bösartigen Begriff gebraucht, daß jeder Asylant künftig ein SPD-Asylant sei. Ein bösartiger Begriff!
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Ministerpräsident Hans Eichel
Man könnte darauf auch ebenso antworten. Wir haben es nicht getan.Nun will ich Ihnen sagen, was unser Problem ist. Ich sage das jetzt nicht mehr mit Schuldzuweisungen, weil es ja sehr wohl sein kann, daß die Umstellung einer ganzen Verwaltung des Bundes, der Länder und der Gemeinden auf eine völlig neue Aufgabe in einem so trägen System, in dem wir sind, durchaus ein Problem ist, daß dabei jeder auch Fehler macht und daß dabei jeder auch nicht jederzeit so dran ist, wie er eigentlich dran sein müßte. Nur: Wenn Sie der SPD die Schuld zuschieben und sagen, es liege nur am Art. 16, dann müssen Sie sich eben auch die Aussagen anhören, die Sie, wenn Sie nach Zirndorf fahren, selber bekommen können. Herr Kollege Scharping hat Ihnen gesagt: 450 000 unbearbeitete Anträge sind das im Moment.Nun sage ich Ihnen gleich etwas zu den Entscheidern, weil ich auch das nicht hinzunehmen bereit bin. Sehen Sie, da hat es in Zirndorf bis zum 1. Juli faktisch einen Einstellungsstopp gegeben, obwohl Sie die Stellen im Januar ausgeschrieben haben. Ich kenne ein paar Leute aus Hessen, die sich beworben haben und die mir mitgeteilt haben, daß Ihnen eine Eingangsbestätigung für ihre Bewerbung zugeschickt worden sei. Das ist doch die Wirklichkeit!
Jetzt werden in Zirndorf im Monat 180 Personen zur Bearbeitung der Anträge eingestellt. Wenn das so weitergeht, brauchen wir noch mehr als ein Jahr, bis in Zirndorf die Stellen besetzt sind, die Sie im Haushaltsplan für das Jahr 1992 zur Verfügung gestellt haben.
Das kann doch nicht wahr sein! Sie werden doch Beamte abordnen können, so daß das wesentlich schneller geht.
Was Hessen angeht — das sage ich, weil wir das ausgetauscht haben —, muß ich mich ein bißchen korrigieren, Herr Bundesminister; da bin ich nämlich immer für die ganz faire Linie. Wir haben nicht 37 benannt, sondern nur 26. Wir haben Ihnen weitere 11 für den Zeitpunkt zugesagt, an dem sie die Aufgabe tatsächlich übernehmen, und das ist der 1. April nächsten Jahres.Wir haben in meinem Land — das sage ich, weil Sie die Länder angesprochen haben — mehr als 300 neue Stellen geschaffen, sowohl bei den Ausländerämtern als auch bei den Gerichten. Wir haben davon 200 besetzt. Über 100, die wir dem Bund zusätzlich zur Verfügung stellen wollen, reden wir, damit wir mit der Abarbeitung der Altfälle schneller zurechtkommen.Meine Damen und Herren, da kann wirklich nicht gesagt werden, daß ein Land seine Aufgaben nicht macht. Hessen hat auch — manchmal nach zähem Ringen mit dem Bund — für die Erstunterkunft gesorgt. Ich habe nicht verstanden, daß lange verhandelt werden muß, bis man Kasernen bekommt, bzw. daß man noch über Mietpreise feilschen muß, wenn es ein „Staatsnotstand" ist, von dem wir hier reden.
Wir haben alles gemacht! Wir haben für die Erstunterkunft viel mehr Stellen zur Verfügung gestellt, als Sie von uns im Zusammenhang mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verlangt haben.Warum haben wir denn die Probleme in den Gemeinden? — Von den 450 000 unbearbeiteten Anträgen in Zirndorf entfallen etwa 45 000 auf mein Land. Von den 45 000 sind etwa 20 000 bis 25 000 Bewerber betroffen, die das Land wieder verlassen müßten, wenn ihre Anträge bearbeitet worden wären. Meine Damen und Herren, es gäbe kein Unterbringungsproblem in Hessen, wenn diese 20 000 bis 25 000 das Land verlassen hätten.
In diesem Zusammenhang haben wir im Bundesrat einen Vorschlag gemacht. Aus diesem Grunde frage ich: Was machen wir denn, wenn jetzt die 450 000 Anträge nachdem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz — gegen das wir im Bundesrat gestimmt haben, weil wir es an bestimmten Stellen für nicht konsequent genug hielten; und ich meine nach wie vor, daß da nachgearbeitet werden muß — erst alle abgearbeitet werden, bevor wir an die neuen Fälle kommen? Dann, Herr Seiters, passiert genau das, was Sie hier vorgetragen haben. Dann wird der Berg der unbearbeiteten Akten immer höher. Das heißt: Die Zahl der Menschen, die im Lande sind und für die wir dann wirklich die Unterbringung nicht mehr schaffen können, wird immer größer werden. Infolgedessen frage ich: Wo bleibt denn, mit Verlaub, die Antwort der Bundesregierung auf unseren Vorschlag einer Altfallregelung? Sie könnten doch z. B. sofort alle Flüchtlinge aus Jugoslawien aus dem Verfahren herausnehmen. Dabei plädiere ich nicht für ein generelles Bleiberecht.
Die anderen Anträge könnten schneller abgearbeitet werden. Dafür gibt es ja Lösungen. Dazu gibt es z. B. durch das Land Hessen einen Vorschlag im Bundesrat. Darauf gibt es aber bis jetzt keine Antwort.Meine Damen und Herren, für die Neuzugänge brauchen wir tatsächlich drei Tore und nicht nur eines: erstens eines für Asylsuchende, zweitens eines für Bürgerkriegsflüchtlinge — ich freue mich, daß im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen jetzt der B-Status für Bürgerkriegsflüchtlinge endlich vorgesehen ist — und drittens ein Tor für die Einwanderer.Eine Bemerkung zum Thema Sicherheit in diesem Lande: Meine Damen und Herren, bei dieser Kampagne, bei der die Überschrift „Asylmißbrauch" lautet, unterscheiden diejenigen, die in diesem Lande mit Gewalt und mit dem Faustrecht versuchen, sich Gehör zu verschaffen, nicht mehr. Sie fragen nicht erst: Bist du ein Asylbewerber oder ein Ausländer, der lange bei uns lebt? Es wird dabei nicht unterschieden, ob der Ausländer nicht in Wirklichkeit längst ein Deutscher ist, der vielleicht nur in der Türkei geboren wurde. Nein, sie schlagen zu! Deswegen ist die Aufgabe jetzt auch, ein klares Zeichen für diejenigen zu setzen, die rechtmäßig hier sind. Wir müssen zeigen, daß wir mit ihnen auf Dauer zusammenleben wollen. Wir müssen
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Ministerpräsident Hans Eichel
zum Ausdruck bringen, daß sie ein Reichtum in unserem Lande sind.
Auch dazu gibt es von meinem Land im Bundesrat klare Vorlagen. Warum kann es denn nicht endlich und warum denn nicht jetzt zu einer erleichterten Einbürgerung kommen? Warum ist es denn nicht endlich und warum nicht jetzt möglich, die Doppelstaatsbürgerschaft einzuführen? Warum besteht denn nicht endlich und warum nicht jetzt die Möglichkeit, alle Ausländer, die lange Zeit bei uns sind, wenigstens an den politischen Entscheidungen in den Kommunen teilhaben zu lassen? Meine Damen und Herren, das wäre ein Zeichen, das beide Gesetzgebungsorgane, der Bundestag und der Bundesrat, setzen könnten.
Dadurch könnte nach draußen deutlich gemacht werden, daß wir wirklich mit Ausländern zusammenleben wollen und daß kulturelle Vielfalt Reichtum und nicht Bedrohung in diesem Lande ist.Zum Schluß, meine Damen und Herren: Es geht ganz schlicht um die Menschenwürde nach Art. 1 GG. Das ist ein Menschen- und kein Bürgerrecht. Gemeint ist die Menschenwürde jedes Menschen, der sich in Deutschland — und sei es auch nur befristet — aufhält.
— Wie schön wäre es — da Sie diesen Zwischenruf gemacht haben —, meine Damen und Herren, wenn wir uns alle klarmachten, daß auch die Flüchtlinge— auch die Flüchtlinge, die zu Unrecht im Lande sind und die das Land wieder verlassen müssen — jedenfalls in diesem Land Menschenwürde genießen und nicht herausgeprügelt werden.
Es wäre schön gewesen, wenn sich der Bundestag— leider hat er es nicht getan — dazu gefunden hätte, wozu sich die Länder gefunden haben: wenigstens dieses kleine Zeichen, das nicht für einen steht, sondern in dieser Situation für alle, nämlich das Denkmal für Walter Benjamin in Port Bou, zu setzen. Warum eigentlich ist das nicht möglich gewesen? Es wäre im Ausland ganz anders verstanden worden.
Herr Ministerpräsident, darf ich Sie ganz kurz an die Geschäftsordnung erinnern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte nur noch einen Satz sagen: Ich bitte herzlich darum
— und ich bin sehr froh, Herr Bundesminister Seiters, daß Sie hiergeblieben sind; das möchte ich ausdrücklich gesagt haben —: Ich werbe dafür, daß wir diese Aufgabe gemeinsam anpacken. Aber dann hören Sie bitte auf, dieses Thema parteipolitisch zu instrumentalisieren. Das muß sicher sein. Sonst wird es die notwendige Einigung nicht geben.
Sie haben ihn mißbraucht — entgegen Ihren eigenen Ausführungen, das Thema Asyl nicht zu instrumentalisieren, ein Thema, das zu einer Existenzfrage, zu einer Wendemarke für unsere politische Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland wird. Sie behandeln und Sie mißhandeln das Thema Asyl mit einer Befragung der Bundesregierung und in einer Aktuellen Stunde, in der Sie nichts zu einer Lösung dieser Frage beitragen.
— Sie brauchen sich gar nicht so zu echauffieren.
Sie haben heute in jedem zweiten Wortbeitrag gesagt, man solle das Thema Asyl sorgfältig und sachgerecht behandeln. Das haben Sie hier nicht getan. Dieser heutige Tag wäre für Sie geeignet gewesen, zu sagen: Wir springen über unseren eigenen Schatten und sind bereit, die Verfassung zu ändern.
Das machen Sie nicht.
Sie wollen von Ihren gravierenden innerparteilichen Schwierigkeiten ablenken.
Hier vor dem Bundestag hat nicht der Bundeskanzler eine Antwort zu geben. Hier, meine Damen und Herren von der SPD, sind Sie uns seit Monaten, seit mehr als einem Jahr eine Antwort schuldig,
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Erika Steinbach-Hermannwarum Sie nicht mit uns zu einer konstruktiven Lösung dieses gravierenden Problems beitragen.
Sie sind in Ihrer eigenen Ideologie gefangen — zum Schaden unseres Landes. Ich bedaure das sehr.
Meine Damen und Herren, die Lunte brennt schon. Die Lunte brennt!
Wir alle werden uns umschauen, wenn es nicht zu einer Lösung dieser dramatischen Frage, wie wir mit dem Asylrecht umgehen, kommen wird. Die Bürger dieses Landes haben keinerlei Verständnis mehr für einfach nur oberflächliche Reden, für Fragen und für Fragestunden. Damit wird nichts bewirkt.
Jeder, der nicht in absehbarer Zeit bereit ist, konstruktiv daran mitzuwirken, daß die Menschenströme in unser Land - dabei sage ich: zugegebenermaßen sind das arme, bedauernswürdige Menschen —
gebremst werden und daß hier nur noch wirklich politisch Verfolgte im Lande bleiben und alle anderen in möglichst schnellen Verfahren auch wieder aus Deutschland hinaus müssen — denn es geht nicht anders —, trägt nicht zur Lösung bei.Wer nicht bereit ist, dazu beizutragen, der trägt Mitverantwortung dafür, daß sich unsere demokratische Landschaft verändern wird, und zwar in einer Form, die uns in einer geraumen Zeit sehr zum Nachdenken bewegen muß. Ich sage das vor dem Hintergrund, daß mein Großvater im KZ saß und an den Folgen dieses KZ-Aufenthaltes verstorben ist. Ich sage das auch aus familiärer Betroffenheit und nicht leichtfertig.Wir dürfen unsere Bürger nicht überstrapazieren und nicht überbelasten, weil sie nicht mehr mitzutragen bereit sind. Die Weimarer Republik ist daran zerbrochen, daß die politischen Parteien nicht in der Lage waren, zusammenzustehen und die Probleme, die die Bürger bewegt haben, tatsächlich zu lösen.
Unser Landfrieden wird Schritt um Schritt zerrüttet. Jeder, der heute bedauert, daß die Polizei nicht die ausreichenden Möglichkeiten hat durchzugreifen, der muß sich überlegen: Wann sind denn die rechtlichen Instrumentarien dafür dem Staat aus der Hand geschlagen worden? Das war doch in der Zeit einer Koalition, in der Sie doch mit die Verantwortung getragen haben.
— Das ist doch so, das ist doch so. Wie ist es denn mit dem Landfriedensbruch?Ich bin ja froh darüber, daß Sie heute bereit sind, in dieser Frage wieder anders zu denken und daß Sie nach mehr Möglichkeiten für die Polizei rufen, um Gewalttätern das Handwerk zu legen. Ich unterstützedas. Aber Sie waren doch mit die Initiatoren dafür, daß diese Instrumentarien abgeschafft worden sind.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ja, danke schön.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Willy Brandt hat gesagt:
Unsere damals als Flüchtlinge gemachten Erfahrungen taugen nicht, um die uns heute gestellten Fragen zu beantworten.
In diesem Sinne beschwöre ich Sie, auf Ihrem Parteitag den Weg für eine gemeinsame demokratische Lösung in dieser Frage zu bereiten.
Das Wort hat nun Frau Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Frau Kollegin Steinbach-Hermann, Sie werden verstehen, daß ich jetzt auf Ihre Rede nicht antworte. Gerade wegen Ihrer Familiengeschichte glaube ich: Sie sollten noch einmal sorgfältig durchdenken, was Sie hier gesagt haben.
Ich bin ganz sicher, Sie werden das nächste Mal über diese Fragen etwas anders reden.Ich möchte mich gerne noch einmal an den Kanzleramtsminister, Herrn Bohl, wenden und darauf zurückkommen, was eigentlich Anlaß der Debatten in den letzten dreieinhalb Stunden war.Wir reden über Äußerungen zum Staatsnotstand, über Manipulationen der Verfassung im Zusammenhang mit Asylbewerbern. Herr Bohl, ich denke, Sie sollten es ernst nehmen, daß wir Sie nicht nur in den vergangenen Tagen öffentlich, sondern auch hier dreieinhalb Stunden hindurch aufgefordert haben, das zu tun, was richtig, was parlamentarisch und politisch geboten gewesen wäre, nämlich zu sagen: Diese Äußerungen nehmen wir mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück,
und zwar das, was der Bundeskanzler gesagt hat, das, was Herr Blüm gesagt hat, und auch das, was der Kollege Gerster gesagt hat. Dann wäre alles in Ordnung gewesen.Sie haben jetzt noch die Gelegenheit dazu. Dies zu tun wäre deshalb richtig gewesen, weil es sich halt nicht um ein leichtfertiges Gerede handelt, sondern um wesentlich mehr. Wenn Sie das nicht tun, müssen Sie sich darauf einstellen, daß der Deutsche Bundestag hier sehr klar sagt: Dies geht nicht. Wir können in unserem Land nicht zulassen, daß Mitglieder der
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Dr. Herta Däubler-GmelinRegierung hier als Biedermänner reden, während draußen Brandstifter agieren. Dies geht nicht.
Es ist nicht so, daß es sich hier um Spekulationen handeln würde. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß Sie von nahezu jedem anständigen Blatt in der Bundesrepublik gescholten worden sind, nicht nur von Sozialdemokraten. Der Satz „Es gibt keine Staatsräson außerhalb der Verfassung" von Claus Arndt wird Ihnen nicht nur von Sozialdemokraten entgegengehalten. Er wird Ihnen auch von den Medien entgegengehalten. Ich bin froh, daß das so ist. Das unterscheidet nämlich unsere Republik von Weimar.Das zweite ist: Wir haben nicht die Sorge, daß Sie mit Verfassungsbruch durchkämen, obwohl ich mich wundere, was Sie Ihrem Koalitionspartner, dem Bundespräsidenten oder wem auch immer leichtfertig zumuten würden, wenn es denn ernstgemeint wäre. Auch das unterscheidet unsere Republik von Weimar. Unsere Institutionen sind stabil. Aber wir sagen Ihnen: Sie müssen das Ganze klarstellen und zurücknehmen aus drei ganz anderen Gründen.Erstens. Die Menschen haben hier in Deutschland Probleme genug. Von der Bundesregierung wird erwartet, daß sie Politik macht, daß sie die Wahrheit sagt,
auch auf finanziellem, sozialpolitischem, erzieherischem und gesundheitspolitischem Gebiet, daß sie ihre Konzepte vorlegt, daß sie sagt, was diese Politik kostet, und dann die Menschen zusammenführt, damit man hier zu gemeinsamen Lösungen kommen kann. Solche Äußerungen von wem auch immer, aber ganz besonders des Bundeskanzlers, reißen neue Gräben auf und spalten. Das geht nicht in unserem Land.
Das zweite ist — darüber haben die Ministerpräsidenten Scharping und Eichel sehr deutlich geredet —: Die Frage, wie wir mit dem Zuwanderungsproblem gemeinsam umgehen können, wird dadurch nicht erleichtert. Herr Bohl, Sie haben vorhin so dramatisch Briefe von Bürgermeistern aus Schleswig-Holstein vorgelesen. Diese eignen sich nicht zur Schuldzuweisung. In den zehn Punkten dort wird ganz deutlich darauf hingewiesen, daß Sie vielleicht für einen eine Ergänzung des Art. 16 brauchen, für neun praktisches, konsequentes Handeln durch die Bundesregierung. Das steht aus; das fordern wir ein.
Zum dritten und letzten Punkt. Ich denke, wir sind uns — verbal jedenfalls — alle einig, daß Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in diesem Land entschieden bekämpft werden müssen und daß es, Herr Kollege Bohl, darum geht, den Dunstschleier eines fremdenfeindlichen Klimas wegzureißen, daß Äußerungen wie die des Herrn Schmidt in Rostock ermöglicht oder Brandstiftern draußen in ihren wirren Köpfen die Möglichkeit eines Irrtums — so will ich daseinmal sagen — einräumt, als würden sie sich als Staatsnothelfer im Staatsnotstand verstehen können.Wissen Sie, was ich mir wünsche? Ich wünsche mir, daß in unserem Land genau das gleiche passiert, was in Polen passiert ist, als auch dort eine schreckliche Sache geschehen ist, als polnische Skinheads einen deutschen Fernfahrer totgeschlagen und einen anderen schwer verletzt haben. Da hat der polnische Staat ganz schnell und ohne lange zu diskutieren, durchgegriffen. Da war es völlig klar, daß Signale gegeben wurden und Demonstrationen stattfanden: Das wird nicht geduldet.
Und die Bevölkerung hat Blumen an den Tatort gelegt. Bei uns sind mittlerweile solche Gewalttaten an der Tagesordnung. Und ich vermisse nicht nur, daß bei uns zuwenig Leute sagen: „Wir wollen das nicht" und — als selbstverständliche menschliche Geste — Blumen an Tatorte legen. Ich vermisse gerade auch das entschlossene Handeln und das richtige politische Signal der Bundesregierung. Nicht hin nehmen wir jedoch, daß falsche Signale — aus welcher politischen Taktiererei auch immer, oder sei es nur aus Unachtsamkeit oder falscher Formulierung — in die falsche Richtung gegeben werden.Meine Bitte deshalb — Sie haben wirklich noch Zeit; wir haben die Debatte verlängert —: Stellen Sie sich hier hin, und sagen Sie: Wir nehmen diese Äußerungen zurück. Dann ist dieses Kapitel abgeschlossen.Danke schön.
Nun spricht der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahrheit ist, Frau Dr. Däubler-Gmelin, daß der Asylstrom täglich wächst.
50 000 waren es im letzten Monat. Jeden Monat kommt zu uns eine Zahl von Menschen in der Größenordnung einer mittleren Stadt der Bundesrepublik Deutschland und will bei uns Asyl und ein Bleiberecht. Das ist die Wahrheit.Nun können wir uns leicht ausrechnen, wann wir, weil dieser Asylstrom überhaupt nicht enden wird — es gibt ja gar keine Chance —, die Kapazitäten nicht mehr haben, um diese Menschen aufnehmen zu können. Wir können uns doch auch leicht ausrechnen, wann es zur Katastrophe kommt. Das kann man doch schon heute sagen. Da nennen Sie es halt nicht Notstand. Nennen Sie es Katastrophe, wenn dieses Wort Sie so sehr stört.
Es geht doch letztlich darum, daß wir Wortklauberei betreiben und der eigentlichen Tatsache nicht ins Gesicht sehen. Diese unsere Haltung bewirkt draußen, daß wir eine zunehmende Radikalisierung der Bevölkerung, zumindest eine starke Sympathie
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9893
Norbert Geisgegenüber radikalen Parteien erleben. Wir erleben dies ja täglich, zumindest dann, wenn Wahlen sind. Dieser Radikalismus ist die Ursache für Exzesse. Nun dürfen Sie doch uns nicht den Vorwurf machen, wir seien an diesen Exzessen schuld — so kommt es ja heute heraus —, weil wir das Problem der Asylzuwanderung noch nicht gelöst haben. Wir haben es doch deshalb pocht nicht gelöst, weil wir das Grundgesetz noch nicht ändern konnten.
Das ist ja auch Ihre Auffassung. Es ist doch inzwischen übereinstimmende Auffassung der Spitze der SPD und der Spitze der CDU/CSU, daß man das Grundgesetz in dieser Frage ändern muß. Herr Scharping und Herr Eichel haben das hier doch auch gesagt.Wir ändern das Grundgesetz doch nicht zum Spaß. Wir ändern das Grundgesetz doch deshalb, weil wir glauben, anders des Zustroms nicht Herr werden zu können. Deshalb brauchen wir eine Grundgesetzänderung. Es soll keiner kommen und sagen, er müsse den Art. 16 des Grundgesetzes schützen. Es geht doch darum, daß wir die Verfassung insgesamt schützen. Und der handelt doch verfassungswidrig, der glaubt, er könne seinen ganzen Schutz nur in diese Richtung ausbreiten, aber den Rest der Bevölkerung außer acht lassen. Wir brauchen die Änderung des Grundgesetzes, weil wir mit unseren gerichtlichen Instrumentarien nicht mehr in der Lage sind, dieses Anstroms Herr zu werden. Die Prozesse, die auf uns zukommen, können wir so nicht bewältigen. Es ist nicht eine Frage des Bundes, Frau Däubler-Gmelin, sondern eine Frage der Länder — um dies zwischendurch zu bemerken —, wie sie die Strafverfolgung handhaben. Aber wir können die Verwaltungsprozesse, die auf uns zukommen, nicht mehr bewältigen.Deswegen brauchen wir eine Änderung des Grundgesetzes. Das ist doch schon fast Allgemeingut in diesem Parlament. Jedenfalls gehe ich einmal davon aus, daß die Spitze der SPD-Fraktion in der eigenen Fraktion nicht ohne Widerhall ist, daß es dort nicht ganz so schlimm ist wie draußen, wo es hinüber und herüber geht, wo der eine Bezirksverband so und der andere so beschließt, so daß die Leute gar nicht mehr wissen, mit wem sie es zu tun haben.Das Problem ist doch, daß Sie zur Zeit ein Bild abgeben, wo doch jeder sagen muß: Was ist denn eigentlich mit dieser SPD los? Der eine schreit hü, der andere hott, der Parteivorsitzende sagt, wir brauchten eine Grundgesetzänderung, und dann kommt irgendein anderer und sagt: Nein, wir brauchen keine. Sie suchen dann ein Ventil und finden heute diese Debatte und meinen, Sie könnten sich an einem Wort, das da gesagt worden ist, aufhängen. Das ist ein ganz und gar untaugliches Mittel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es mit einem massenhaften Asylmißbrauch zu tun. Jeder von uns weiß das, und das ist ein massenhafter Mißbrauch unseres Grundgesetzes. Der Staat ist verpflichtet, den Mißbrauch des Grundgesetzes zu beseitigen und zu verhindern. Er gerät in den Verdacht, sich selbst verfassungswidrig zu verhalten,wenn er diesen Mißbrauch andauernd duldet. Ohne Änderung des Grundgesetzes — und dazu brauchen wir Ihre Hilfe — können wir doch diesen Mißbrauch nicht ändern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht nur eine Frage von nationalem Recht. Wir allein werden dieses Problem nicht lösen können, sondern wir brauchen dazu auch die Hilfe der anderen europäischen Staaten. Dies ist schon mehr eine Frage des internationalen als des nationalen Rechtes. Wir können uns da doch überhaupt nicht an internationalen Vereinbarungen beteiligen, wenn wir als einziges Land in der Welt in unserem Grundgesetz ein Grundrecht auf Asyl haben. Deswegen müssen wir das Grundgesetz ändern. Ich hoffe doch sehr, daß wir gemeinsam zu dieser Erkenntnis kommen. Demonstrationen, Herr Scharping, nützen da wenig; die können sogar, wenn man nichts tut, eine Lüge sein.
Nun hat der Kollege Freimut Duve das Wort.
Ich hoffe, Kollege Geis, daß das Wort von der Lüge einer Demonstration, vor allen Dingen in bezug auf die, die wir am Sonntag planen, wieder zurückgenommen wird. Ich finde es allerhand, daß die CSU auf der einen Seite sagt, sie wolle nicht teilnehmen, und auf der anderen Seite glaubt, dem Bundespräsidenten Vorschläge machen zu sollen, was er da sagen soll.
Ich fordere Sie noch einmal auf: Kommen Sie zu dieser Demonstration, zu dieser Demonstration auch des Anstandes. Wir brauchen nicht Ausrufe des Notstands, wir brauchen einen Pakt des Anstands.
Ich fand das eine gute Debatte. Aber sie hat an einigen Stellen auch gezeigt — und das wissen wir alle —: Es gibt in der Demokratie ähnlich wie im Leben ein manchmal gefährliches und hoffentlich nie tödliches „Drogenproblem", nämlich populistisch zu argumentieren. Am Anfang ist es fast ein Spiel. „SPD-Asylant" war ein erster Versuch. Am Anfang scheint es fast leicht und angenehm. Aber irgendwann ist es fast unmöglich, davon wieder herunterzukommen. Wenn die Demokratie es nicht schafft, von dieser Sucht mit Zahlen und Zahlenspielen, mit Flutbildern, mit Wellen, mit Millionen wieder von dem herunterzukommen, was am Anfang noch so angenehm war, dann sind wir alle in Gefahr, auch die, die mit dieser Sucht angefangen haben.Ich denke, wenn wir uns da treffen — und einiges, was heute gesagt wurde, ließ anklingen, daß wir uns da treffen können —, wäre es sehr gut. Wir leben jetzt nicht mehr im wind of change. Der neue amerikanische Präsident wird es merken: Wir leben — jedenfalls wir hier in Europa — fast in einem Orkan, in einem
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Freimut DuveSturm des Wandels, in dem wir alle aufgefordert sind, unsere Verhaltensformen zu überprüfen, auch auf unsere politischen Prägungen, wenn wir wirklich für unser Land demokratische Zukunft sichern wollen. Willy Brandt hat es schon vor Jahren sehr bündig formuliert:Was von uns erwartet wird, reicht über den Horizont unserer Erfahrungen hinaus. Die Werte unserer Gesellschaft müssen neu bedacht und neu geordnet werden, wenn unsere Zivilisation selbst eine gute Überlebenschance haben soll.Überprüfen wir alle, meine Damen und Herren, vor allem Sie von der Union, unseren gefährlichen Spieltrieb. Es war früher vielleicht eine etwas unangenehme Begleitmusik von Wahlkämpfen, wenn wir populistisch wurden. Jetzt kann das eine lebensgefährliche Droge werden, an der die Demokratie zugrunde gehen könnte.
Der Asylpopulismus begleitet uns jetzt seit 1978, als Lothar Späth damit anfing. Damals hatten wir 7 % der Asylbewerber des Jahres 1992, und da ist bereits in dieser Weise von Lothar Späth im Landtagswahlkampf argumentiert worden. Es ist immer wieder versucht worden, dieses Thema zu einem billigen Wahlthema zu machen, und jetzt werden wir es nicht los. Jetzt haben wir ein reales Problem. Wir müssen von der Sucht herunterkommen, mit diesem Thema so umzugehen, daß die Menschen mehr Ängste vor Millionen haben, die morgen kommen, als den Auftrag zum inneren Frieden, mit denen, die hier sind, menschlich anständig zusammenzuleben.
Meine Generation, unsere Generation — Herr Geis, wir sind ungefähr gleichaltrig — hat Verantwortung für den inneren und äußeren Frieden unseres Landes. Wir müssen endlich lernen, auch die alten Spielformen zu überprüfen. Wir leben nicht mehr in der aufregbaren Welt des Kalten Krieges, wo jedes Mittel der Auseinandersetzung recht schien. Denn was konnte passieren? Es konnte nicht sehr viel passieren. Der Bewegungsraum war relativ klein. Wir konnten sehr, sehr dramatisch sein, weil die Bewegungsschritte ganz langsam und die Grenzen unseres Handelns sehr stark vorgezeichnet waren. Das ist heute anders. Wir leben jetzt in einer demokratischen Wirklichkeit fast im Zentrum des Sturms und sozusagen ganz vorn, fast an der Bugwelle der Geschichte. Was gestern noch kokette Radikalität war, könnte heute gefährlich sein.Sie haben mit Ihrer Unfähigkeit — und das sage ich an die Regierung, Herr Bohl —, dem Notstand der Schutzlosen in den Asylheimen auch durch politische Äußerungen gegen die nächtlichen Terrorangriffe zu begegnen, auch Gefahr für unser Gemeinwesen heraufbeschworen. Das geht Nacht um Nacht, und die Bundesregierung tut so, als sei das nicht etwas, was unser ganzes Land berührt, was alle Menschen berührt und was dazu führt, daß fünf Millionen ausländische Mitbürger Angst haben könnten, ebenfalls gemeint zu sein.Gerade weil wir die Wanderungsprobleme gemeinsam lösen müssen, gerade weil wir zutiefst davon überzeugt sind, daß die Demokratie durch sie keinen Schaden erleiden darf, muß jetzt mit schädlichem Populismus Schluß sein. Dies an alle Seiten des Hauses und an alle, die sich in dieser Frage politisch engagieren! Vorbedingung zu einer Einigung müßte doch sein, daß dieser Staat den allnächtlichen Terror gegen Menschen beenden kann, daß er stark genug ist, ihn zu beenden. Dann können wir uns gemeinsam zusammensetzen.Die zentrale Idee der Demokratie war für mich stets, daß sich die Mehrheit immer wieder entscheidet, Minderheiten zu schützen, die Minderheit des einzelnen und all jene Minderheiten, denen wir in verschiedenen Rollen unseres Lebens angehören. Die Mehrheit entscheidet sich, Minderheiten zu schützen; das ist der Kerngedanke des Grundgesetzes. Jetzt müssen wir — dazu brauchen wir alle — den ausländischen Mitbürgern, die bei uns leben, helfen, die Angst wieder abzubauen. Der innere Frieden mit den 5 Millionen Mitbürgern nichtdeutscher Herkunft, mit denen also, die da sind, darf nicht durch die Angstmache vor denen, die angeblich kommen, beschädigt werden.
Herr Kollege Duve, kommen Sie bitte zum Ende. Sie sind eineinhalb Minuten über die Zeit. Das darf ich nicht mehr zulassen.
Ich komme zum Schluß.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wollte dies gern sagen.
Danke.
Herr Bohl, wollten Sie das Wort? — Sie haben das Wort.Friedrich Bohl, Bundesminster für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Darnen und Herren! Ich möchte zum Schluß der Debatte doch noch einmal die Gelegenheit wahrnehmen, etwas, was von Herrn Ministerpräsidenten Eichel und auch dem einen oder anderen Redner der Opposition hier insinuiert wurde, zurückzuweisen. Hier ist gesagt worden, daß durch Begriffe, die hier eingeführt worden seien, sozusagen ein gewisser geistiger Vorschub für rechtsextreme Ausschreitungen übelster Art geleistet worden sei. Dagegen muß ich mich nun wirklich mit aller Entschiedenheit wehren.
Das ist etwas, was nicht angeht.
Ich betone noch einmal — das war der Grund, warum ich Herrn Ministerpräsidenten Engholm mehrfach zitiert habe —, daß auch Herr Ministerpräsident
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Bundesminster Friedrich BohlEngholm wie der Bundeskanzler davon spricht, daß dann, wenn die Situation nicht durch eine Grundgesetzänderung verbessert wird, eine Lage eintritt — jetzt zitiere ich Herrn Ministerpräsidenten Engholm --, die die Grundfesten unseres demokratischen Gemeinwesens erschüttert.
Das ist die Aussage, auf die ich mich hier beziehe.Ich kann nicht akzeptieren, daß eine Beschreibung eines Zustandes, der eintritt, wenn wir nicht zu einer Lösung kommen — —
— Frau Präsidentin, habe ich das Wort?
Herr Minister, Sie haben das Wort. Vielleicht kann ich aber noch etwas zur Aufklärung beitragen. Wir sind im Moment nicht in einer Debatte — diese ist von niemandem beantragt worden —, sondern in einer Aktuellen Stunde und deren Verlängerung. Das heißt, die Redezeiten von fünf Minuten sind einzuhalten; das heißt, es gibt keine Zwischenfragen, und das heißt, die Bundesregierung redet maximal zehn Minuten, ebenso wie der Bundesrat. Ansonsten steht es Ihnen frei, eine Aussprache zu beantragen. Dies besagt unsere Geschäftsordnung.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Herr Minister, Sie haben wieder das Wort.
Friedrich Bohl, Bundesminster für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes: Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich glaube, ich habe deutlich machen können, wogegen ich mich hier doch mit aller Entschiedenheit verwahren möchte und muß. Weil dem so ist, besteht auch keine Veranlassung, hier etwas zurückzunehmen.
Das zweite, das ich ebenfalls mit Nachdruck sagen möchte: Ich stimme Ihnen zu, daß wir mit aller Entschiedenheit gegen solche rechtsradikalen und — ich füge hinzu — selbstverständlich auch linksradikalen Umtriebe vorgehen müssen.
Herr Kollege Waltemathe, wir kennen uns ja ein wenig besser. Ich habe sehr hohen Respekt vor Ihnen und insbesondere auch vor Ihrem ganz persönlichen Schicksal. Nur möchte ich doch wirklich eines mit Deutlichkeit sagen: Weil sich diese Bundesregierung an die Verfassung hält und selbstverständlich halten muß, haben wir doch als Bund gar keine Möglichkeit, für Sicherheit und Ordnung in unseren Ländern zu sorgen. Wir haben keine Möglichkeit — es gibt zwar Ausnahmen, aber in diesem Falle nicht —, eine Strafverfolgung zu betreiben. Weil dem so ist, müssen wir uns bei Bereitstellung der Ressourcen, die der Bund hat — ich denke an den Grenzschutz und anderes mehr —, auf die Hilfe für die Länder beschränken.
— Entschuldigung, ich bitte Sie; der Bundesinnenminister hat selbstverständlich jede Anforderung, die aus den Ländern gekommen ist, befolgt und hat entsprechendes Personal zur Verfügung gestellt.
Das letzte, was wirklich mit Deutlichkeit zu sagen ist: Da wir uns doch einig zu sein scheinen, daß unsere geltende Rechtsordnung keine ausreichend entschiedenen Instrumente zur Bekämpfung dieser rechtsradikalen Umtriebe ermöglicht, bitte, lassen Sie uns doch die Gesetze ändern. Dazu sind wir als Bundesregierung und Koalition bereit.
Es geht aber nicht an — auch dagegen muß ich mich noch einmal mit Entschiedenheit verwahren —, daß Sie sozusagen der Bundesregierung die Verantwortung für diese Dinge in die Schuhe schieben
und dann noch denjenigen, die Mitglieder dieser Bundesregierung sind, eine persönliche moralische Schuld ankleben wollen. Das ist nicht fair; das ist nicht anständig; dagegen verwahre ich mich mit aller Entschiedenheit.
Nun hat der Kollege Wolfgang Lüder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Bohl, ich glaube, es geht nicht darum, daß hier aus dem Hause — ich habe das jedenfalls so nicht gehört — der Bundesregierung der Vorwurf gemacht würde, sie setze nicht genügend Strafkapazität ein, um rechtsradikale bzw. rechtsextremistische Gewalt zu bekämpfen, sondern es geht darum, daß wir auch die politische Gewichtung und die politische Verurteilung sehen müssen und auch Klarheit über die Ursachenbekämpfung schaffen müssen, damit wir hier nicht aneinander vorbeireden.
Natürlich gibt es nach wie vor die latente Gefahr der RAF. Aber in diesem Jahr droht doch aus Ostdeutschland heraus konkret die Gefahr der rechtsextremistischen Gewalt. 13 Tötungen — so hat gestern das BKA bekanntgegeben — hat es allein in diesem Jahr gegeben. 3 374 ausländerfeindliche Straftaten wurden in der Bundesrepublik verübt. Da sitzt die Verbindung zu unserem Thema, daß es bisher nicht geschafft ist, zwischen den Flüchtlingen, den Asylbewerbern, den Mißbrauchsfällen, den Zuwanderern, den Aussiedlern und den Juden klar zu trennen.Herr Schmidt aus Rostock, der meinen Freund und Parteifreund Ignatz Bubis aus Deutschland ausgliedern wollte, Herr Schmidt aus Rostock, von dem wir nichts hörten, als mit Mordversuch und Brandanschlag in seiner Hansestadt rechtsextremistische Gewalt ihren ersten Höhepunkt fand, ist für mich ein
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Wolfgang LüderSignal, daß mehr geschehen muß, als bisher von uns allen politisch verantwortet wurde.
Wenn wir uns hier vornehmen, etwas zu tun — wir wissen, daß wir einiges tun müssen; ich habe es beim letzten Mal in der Debatte über die Entschließung zum Asylrecht und zu dem Teil der Verfassungsänderung gesagt, die ich mittragen werde —, und wenn wir uns diesem Thema widmen, um den Wähler und Bürger zu überzeugen, dann müssen wir doch zunächst einmal Klarheit darüber haben, ob wir selbst, nämlich Bund und alle Länder, alles getan haben, was wir innerhalb der Verfassung tun können.
Dann darf doch nicht die Bundeswehr damit kommen, daß der Finanzminister 2 DM Miete pro Quadratmeter von den Gemeinden für zur Verfügung zu stellende Kasernen verlangt. Wenn wir dann auch noch im Innenausschuß hören, daß die Masse der Kasernen überhaupt erst ab Sommer nächsten Jahres, also Monate nach dem April nächsten Jahres, zur Verfügung steht, dann zeigt das doch die Unfähigkeit und das Unvermögen von Verwaltungen. Dieses müssen wir erst einmal bekämpfen.
Bund und Länder, alle zusammen, tun so, als sei das Dreck, den man nicht anzupacken brauche. Keiner sieht, daß die Freiheitsfackel des Grundgesetzes — ich nehme den Ausdruck von Dr. Hirsch auf — geschützt und gehegt werden muß, damit sie nicht verbrennt. Es ist unsere Aufgabe, erst einmal damit anzufangen.Das zweite, das wir tun müssen: Wir müssen dem Bürger Klarheit geben. In jedem Gespräch müssen wir Verständnis dafür wecken, daß Flüchtlinge keine Asylbewerber zu sein brauchen und daß Flüchtlinge keine Asylmißbräuchler sind. Damit wäre die Zahl der Asylbewerber schon sehr viel geringer. Vielleicht kommen wir dann auch noch dazu, klarzumachen, was Aussiedler sind und daß es letztlich bei Zigeunern — ich spreche bewußt diese Gruppe an — und auch bei anderen politischen Verfolgten häufig und eigentlich nur darum geht, daß wir die Opfer der Gewalt Stalins und die Opfer der Gewalt Hitlers schützen und anerkennen müssen.Für den Rest müssen wir schnelle Verfahren finden. Wir haben uns das vorgenommen. Aber, dann lassen Sie uns erst einmal bitte schön praktisch anfangen. Wir können doch nicht von Staatsnotstand reden, wenn wir noch nicht sicher sind, daß wir wirklich alles getan haben, was die Verwaltungen tun können.
Nun hat der Kollege Otto Schily das Wort.
Herr Bohl, wir kennen uns schon eine Weile. Sie sind viel zu intelligent, als daß ichIhnen heute Ihre gut gespielte Arglosigkeit abnehmen könnte.
Herr Bohl, ich muß hier den Verdacht äußern, daß mindestens aus dem Umfeld der Bundesregierung, aber auch von Angehörigen der Bundesregierung selbst Worte in Umlauf gesetzt worden sind, die durch ihren Ausdruck böse Stimmungen, gefährliche Stimmungen im Lande erzeugen. Das ist es, worüber wir heute reden müssen.Wer in der Demokratie den Boden unter den Füßen behalten will, der darf den Grundkonsens der Verfassung, der sich in einer über 40jährigen Geltungszeit des Grundgesetzes bewährt hat, nicht beschädigen.
Das gilt auch und erst recht in Zeiten neuer Gefährdungen und Herausforderungen.Das Einverständnis der übergroßen Mehrheit unseres Volkes mit unserer Demokratie und ihren Institutionen findet seinen wichtigsten Ausdruck im Grundgesetz, dessen Wert nicht zuletzt darin besteht, daß es staatliches Handeln an feste Regeln und Grundsätze bindet. Dazu gehört auch die Selbstverständlichkeit, daß die Verfassung nicht mit einfacher Mehrheit, deren Verfallszeit mit dem Ende der Legislaturperiode vorgezeichnet ist, verändert oder ergänzt werden darf.Wer sich von der Verfassung und ihren Regeln lossagen will, verabschiedet sich aus der Demokratie. Das Gerede vom vermeintlichen Staatsnotstand, mit dem die Verfassung in Frage gestellt werden soll, ist töricht und verantwortungslos,
auch wenn sich die Regierung jetzt in den Nebel halbherziger Dementis zurückziehen will.Herr Bohl, Ihr heutiges Schweigen zu den Äußerungen, die Herrn Blüm zugeschrieben werden, und den Äußerungen von Herrn Stoiber, die man in den Protokollen, die vom Bundespresseamt versandt werden, nachlesen kann, ist sehr aussagekräftig. Selbst wenn jetzt aber erklärt wird, es sei alles nicht so oder nicht ernst oder nur politisch — was heißt eigentlich „nur politisch"? — gemeint gewesen, sind die Wirkungen verheerend, die die Bundesregierung angerichtet hat.
Es ist und war schon schlimm genug, daß in letzter Zeit Verfassungsänderungen als Dutzendware und nach Belieben auf dem Medienmarkt gehandelt wurden. Ich erinnere an die Zwangsanleihe. Verfassungsänderungen sind immer ein tiefer Einschnitt und müssen mit Sorgfalt und Zurückhaltung bedacht und diskutiert werden. Es ehrt die SPD, daß sie es sich mit dieser Frage so schwermacht.
Alles andere schadet dem Verfassungsbewußtsein des Volkes. Alles andere hieße Einsturzgefahr für die tragenden Säulen unserer Demokratie.
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Otto SchilyMeine Kolleginnen und Kollegen, mit salbungsvollen Sonntagsreden werden Sie die Demokratie nicht bewahren, die stets erneuert werden muß. Mit Hochglanzbroschüren sogenannter politischer Bildungsarbeit werden Sie die Jugend nicht beeindrucken, wenn Sie in Ihrer Panik und Verblendung die Verbürgung der Verfassung im politischen Nahkampf in Frage stellen.Die Sozialdemokratie ist bereit, mit Ihnen über ein Gesamtkonzept zu reden, in dem Zuwanderung nicht nur negativ verstanden wird, sondern als positive kulturelle, zivilisatorische Aufgabe im Herzen Europas begriffen wird.
Das schließt nach meiner persönlichen Auffassung die Bereitschaft ein, im Rahmen eines Gesamtkonzeptes, das auch die europäische Dimension erfaßt, auch darüber zu reden, ob eine Änderung oder Ergänzung von Art. 16 notwendig ist. Als Dialogpartner für ein solches Gespräch qualifzieren Sie sich aber nur dann, wenn nicht der leiseste Zweifel aufkommen kann, daß Sie sich an die geltende Verfassung auch dann halten, wenn Sie Ihnen unbequem oder lästig ist.
Die Verfassung gehört nicht zum Reptilienfonds des Bundeskanzlers, über den er nach Belieben verfügen darf.
Wer die Verfassung leichtfertig relativiert, streut ein zerstörerisches Gift aus, das die Demokratie bedroht.In diesen Wochen, in denen uns beinahe täglich Nachrichten von antisemitischen Äußerungen, antisemitischen Ausschreitungen, mörderischen Gewalttaten gegenüber Ausländern und von ausländerfeindlichen Aktionen anderer Art erreichen, steht die Kernsubstanz unserer Demokratie auf dem Spiel.
Herr Kollege Schily, darf ich Sie an die Geschäftsordnung erinnern.
Ich bin am Schluß. — Mit den Worten von Tocqueville: Erweisen wir uns als Freunde der Verfassung und der Demokratie!
Nun hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Dinge zum Verfahrensstil sagen. Ich halte es nicht für gut, daß wir in einer Aktuellen Stunde über eine halbe Stunde lang dem Bundesrat und der Bundesregierung Zeit einräumen. Ich weiß, was die Geschäftsordnung sagt. Ich halte es trotzdem nicht für gut. Ich halte es auch nicht für gut, daß Diskussionsteilnehmer, die vor mir gesprochen haben, vor Ende der Diskussion den Saal verlassen. Dies gilt für Ministerpräsidenten, dies gilt für Bundes-minister, es gilt aber auch für Kollegen. Ich nenne Gysi, ich nenne Ullmann. Ich halte es für keinen guten Stil.
Ich halte es weiterhin nicht für einen guten Stil, wenn man im Rahmen einer Aktuellen Stunde über Konsens und Verfassungsbruch spricht und dann nicht zur Kenntnis nimmt, was die Bundesregierung erläuternd dazu sagt,
sondern immer wieder in die gleiche Kerbe hineinhaut — ich denke jetzt gerade an den Kollegen Schily — und so tut, als würde hier Verfassungsbruch stattfinden, angekündigt und praktiziert werden.Meine Damen und Herren, ich bin seit 1987 in diesem Hohen Hause. Ich habe an der Koalitionsrunde vor einem Jahr teilgenommen. Ich habe erlebt, daß in diesem Haus schon das Wort „Mißbrauch" in Ihren Reihen einen Sturm der Entrüstung entfaltet hat. Heute sagen Sie selbst, es gibt diesen Mißbrauch. Bei 250 000 Zugängen haben Sie den Mißbrauch nicht gesehen. Heute sehen Sie ihn.Ich gehöre einer Partei an, die dafür beschimpft wurde, daß sie sehr früh
eine Änderung des Grundgesetzes gefordert hat. Sie selbst arbeiten in diesem Parlament in einer Verfassungskommission mit, in der Sie Vorschläge für zahlreiche Verfassungsänderungen unterbreiten. Ich denke nur an die verschiedenen Rechte auf Arbeit, auf Wohnung, auf Umwelt. All diese Fragen werden diskutiert.Nur in einem Punkt, beim Asyl, reden wir seit Jahren. Wir reden und reden und handeln nicht. Selbst Ihre Partei sagt: Wir wollen jetzt zwar etwas verändern, wir diskutieren über eine Änderung, aber wir sind nicht bereit, jetzt im Parlament zu handeln, sondern wir warten auf den Parteitag. Bis dahin wird die Öffentlichkeit im Grunde täglich mit neuen Hiobsbotschaften traktiert, welcher Landesverband denn nun eine Änderung will und welcher sie nicht will.Dann werden hier Formulierungen wie die vorgetragen, das Asylrecht sei die Freiheitsstatue. Meine Damen und Herren, für den wirklich Verfolgten, der in unser Land kommen will, ist doch nur entscheidend, daß er — und das kann man doch umfassend für alle Parteien feststellen — Asyl bekommt. Ob der Paragraph nun im Grundgesetz steht oder ob eine einfachgesetzliche Regelung getroffen worden ist: Wenn alle politischen Parteien in diesem Hause deutlich sagen, sie wollten den wirklich Verfolgten Asyl gewähren, dann ist das doch eine ausreichende Basis für Gemeinsamkeiten in den nächsten Monaten.Meine Damen und Herren, wir müssen dieses Problem bei 450 000 Asylbewerbern regeln. Vor Jahresfrist im Oktober waren Sie zu einer Regelung nicht bereit. Sie haben damals beim Bundeskanzler den heutigen Fraktionsvorsitzenden der Union aufgefordert, Frau Däubler-Gmelin, er möge doch endlich beim Bundeskanzler einen Vorschlag vorlegen, und
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Wolfgang Zeitlmannam nächsten Tag hat er einen Vorschlag vorgelegt. Aber am nächsten Tag haben Sie ihn dafür geprügelt. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Es ist ein Stück Scheinheiligkeit, so vorzugehen.
Wenn ich nicht selber dabeigewesen wäre, Frau Däubler-Gmelin, würde ich das nicht behaupten.Meine Damen und Herren, das Thema ist zu ernst. Der Bundeskanzler hat nicht davon gesprochen, daß die Flüchtlinge einen Notstand auslösen, sondern er hat davon gesprochen, daß dann, wenn der Verfassungsgeber — und damit auch die Opposition — nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, politisch verstanden ein Notstand vorhanden ist. Dies ist einfach nicht zu bestreiten. Wenn wir in dieser Frage zu keiner Lösung kommen, dann stehen wir am Rande eines Notstands.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Dr. Klaus Feige das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Wahlkreis ist Rostock. Immer wenn ich irgendwo auf einer Veranstaltung gefragt oder ungefragt zu erkennen gebe, daß ich aus Rostock komme, zieht man die Augenbrauen hoch und sagt: So, so, ihr seid das also!
Ich war in den Nächten im August und im September dort in Lichtenhagen; ich habe in der Zeit mit vielen Leuten gesprochen. Mich erreichten später Anrufe, in denen gefragt wurde: Sind die Menschen dort tatsächlich alle so? Gestern wieder fragte man mich: Was hat der Herr Schmidt von der CDU da gesagt? Sind die dort alle so?
Das erregt mich jedesmal, und ich schäme mich für vieles, was dort in Rostock passiert ist. Aber ich schäme mich auch für all das, was dort nicht passiert ist, was unterlassen wurde.
In den vielen Gesprächen dort mit den Bürgerinnen und Bürgern habe ich mitbekommen, daß sie überhaupt nicht auf eine Änderung des Art. 16 drängen. Ganz im Gegenteil erinnern sich die Menschen in den neuen Ländern sehr gut an die Zeit vor der Wende, und sie waren eigentlich froh, daß es hier in der Bundesrepublik ein Grundgesetz mit diesem Art. 16 gibt.
In dieser Hinsicht glaube ich, daß die Menschen in Rostock für die bestehenden Probleme viel mehr Verständnis haben und daß sie eben nicht so sind, wie jetzt vielfach unterstellt wird. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie haben aber kein Verständnis dafür, daß lange Zeit — von einer intakten Landesregierung — zur Lösung der Probleme in Lichtenhagen nichts getan wurde.
An mich ist immer wieder die Frage gestellt worden: Warum ist z. B. der Bürgerbeauftragte der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern — dort gibt es
eine christdemokratisch-liberal geführte Regierung — ein Jahr lang nicht bereit gewesen, auf die Notstände, die dort vor Ort einfach nur formuliert und beschrieben wurden, zu antworten? Wenn ich das sehe, dann kann ich manche Ungeduld verstehen.
Sie interpretieren das jetzt so, daß das zu einer Änderung des Grundgesetzes führen muß. Das verlangt dort aber niemand.
Wenn Sie jetzt Gesetze ändern, wenn Sie vielleicht sogar — wie auch immer — etwas am Grundrecht des Asyls verändern, dann, glaube ich, wird es noch sehr lange dauern, bis diese Gesetze wirksam werden. Ich bitte Sie wirklich ganz dringend: Nutzen Sie die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, die wir gegenwärtig haben, damit wir diesen Problemberg wirklich in Angriff nehmen. Das, was dort an Versäumnissen aufzuzählen ist, war — Sie wollen immer sozialdemokratische Regierungen vorführen — auch bei christdemokratischen Regierungen nicht anders und nicht besser.
Meine Damen und Herren von der Koalition, fordern Sie bitte insbesondere in den neuen Ländern — wobei ich die neuen Länder nicht immer hervorheben will — die christdemokratisch geführten Regierungen auf, daß sie die bestehenden Gesetze ausnutzen und nicht einfach durch Unterlassungen das Feuer weiter schüren.
Glauben Sie bitte nicht, daß eine einfache Teilnahme an einer Demonstration ausreichen könnte. Ich glaube, wir sollten viel häufiger an allen möglichen Orten in diesem Land Flagge zeigen. Ich bitte Sie ganz dringend, nehmen Sie auch an der großen Demonstration am 14. November in Bonn teil, zu der die Bürgerbewegungen aufgerufen haben.
Wenn Sie wirklich an einen Notstand glauben: Es gibt diesen Notstand bei der Einhaltung der Menschenrechte in unserem Land. Wir alle haben als Repräsentanten des Deutschen Bundestages die Pflicht, Flagge zu zeigen und uns dort hinzubegeben, wo die Menschenrechte verletzt werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludwig Stiegler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Kollegen der Union haben hier gesagt, sie wollten das Thema nicht parteipolitisch mißbrauchen. Eben flattert die Meldung auf den Tisch: CDU startet bundesweit die Asylaktion. Sie werden sogar in der Debatte bei der Scheinheiligkeit erwischt. Sagen Sie Herrn Hintze, er soll das das nächste Mal besser timen, damit Sie hier nicht auf frischer Tat ertappt werden
und damit Sie rechtzeitig sozusagen die Pfoten bestäuben können.Meine Damen und Herren, Sie wären hier wesentlich glaubwürdiger, wenn bei all diesem Gerede über
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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1992 9899
Ludwig StieglerKatastrophen und Notstand wirklich alles getan worden wäre. Wir haben hier eine Schäublesche Erblast. Wir haben drei Jahre lang Zirndorf personell und materiell nicht so ausgestattet, wie es sein sollte, weil Sie damals eine parteipolitische Taktik verfolgten und erst nach der Wahl in Baden-Württemberg zur Besinnung gekommen sind.Mir will es nicht in den Kopf, daß dieser Staat, der die Bürgermeister so lange quält, bis es fast nicht mehr geht, nicht 1 200 Inspektoren auf die Beine stellt, die die berechtigten von den nicht berechtigten Anträgen unterscheiden können. Mir will es nicht in den Kopf, daß es an Fotokopiergeräten fehlt, damit man Akten vervielfältigen kann, daß Gerichte sieben Wochen, ja Monate auf Akten warten und daß Entscheidungen, wenn sie dann geschrieben sind, wochenlang herumliegen und nicht zugestellt werden können, weil sich die Leute wieder verlaufen haben.Dieses Asylverfahren hat diese Bundesregierung zu einem Augiasstall verkommen lassen; das ist die Wahrheit. Es kommt hier darauf an, daß erst einmal die Hausaufgaben gemacht werden, bevor man nach anderen Rechten schreit.
Bert Brecht hat einmal in seiner „Antigone" die Ismene sagen lassen: Durch sein Recht bezwingt der Schwächere den Starken. — Solange wir das geltende Recht nicht anwenden können, haben wir kein Recht, die Menschen bei der Asylproblematik zu entrechten.Ich will zum Schluß der Debatte noch ein anderes Thema anschneiden: Mir ist aufgefallen, daß die Union hier nur vom Strom, vom Zuzug und von der Überforderung geredet hat. Es hat niemand danach gefragt, wie es eigentlich den Menschen in den Ländern, woher die Asylbewerber kommen, geht.
Die Zahl dieser Länder kann man an fünf Fingern abzählen. Wir haben im Westen immer, solange die Rote Armee sozusagen unsere Ostgrenze bewacht hat, gerufen und gefordert: Freiheit für Informationen, Menschen und Meinungen. Jetzt ist diese Situation nicht mehr gegeben.
— Ja, macht das Tor auf! Reißt die Mauer ein! Reagan in Berlin! Die Union konnte bei ihren Forderungen vor Tränen der Rührung kaum mehr aus den Augen schauen. Jetzt, wo die Menschen diesen Aufruf ernst nehmen, meinen Sie, Rolläden herunterzulassen und das Problem verdrängen zu können.Nein, meine Damen und Herren, wir müssen uns klarmachen und auch unseren Mitbürgern ehrlich sagen: Wir können hier im reichen Westen Europas nicht glücklich leben, solange andere Menschen für sich keine Lebensperspektive sehen.
Wir können nicht erwarten, daß die Menschen dort bleiben, wo sie Hunger schieben und kein Dach über dem Kopf haben. Unsere Hauptaufgabe wird sein müssen, den Menschen Hoffnung in ihrem eigenen Land zu geben. Das ist die beste Bleibepolitik und die beste Wanderungspolitik.
Unsere CSU-Kollegen werden ja bald wieder von Weihnachtsfeier zu Weihnachtsfeier hetzen. Sie werden auf jeder Weihnachtsfeier das alte Krippenspiel aufführen und singen: Wer klopfet an? Sie werden sich über die hartherzigen Hirten von Bethlehem aufregen und werden hinterher über die Asylbewerber schimpfen.
Meine Damen und Herren, das paßt nicht zusammen.Lassen Sie uns das Thema ernst nehmen! Das heißt: Wir sind auch für das verantwortlich, was in anderen Ländern vorgeht. Wir können nicht glauben, wir könnten die Jalousien herunterlassen und den Zustand der Welt vom Ohrensessel aus beurteilen. Je früher wir uns darauf einstellen, je früher sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger darauf einstellen, desto eher werden wir in Einklang mit der Wahrheit leben und desto eher werden wir auch im Konsens an diesem Thema arbeiten können.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen in der verlängerten Aktuellen Stunde liegen mir nicht vor. Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß die von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. verlangte Aktuelle Stunde zu dem Thema „Schutz und Unterstützung der Staatengemeinschaft für Salman Rushdie" morgen stattfindet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. November 1992, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.