Rede von
Detlef
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, hat uns vor weniger als einer Woche hier zu dem neuen Saal, zu der heiteren und transparenten Atmosphäre beglückwünscht und uns gewünscht, daß wir uns auch angemessen, heiter, freundlich und aufgeschlossen in diesem Saal miteinander unterhalten mögen. Diese Erwartung geht wohl bei der ersten Debatte nicht so ganz in Erfüllung; denn Sie sind mit reichlich schwerem Schuhwerk auf dieses Parkett getreten,
das für elegantere Bewegungen gedacht war.
Wenn Sie einen Antrag mit „Konsens der Demokraten" überschreiben und anschließend der Text ausweist, daß es sich um eine Aneinanderreihung von Verdächtigungen und Beleidigungen besonders übler Art handelt,
dann ist das eine zumindest etwas eigenwillige Idee, wie man den Konsens unter Demokraten fördern kann. Dies werden die Einsichtigeren unter Ihnen mit einem inneren Schmunzeln zur Kenntnis nehmen.
Als Thema, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben Sie den Konsens unter Demokraten gewählt. Den anderen zu unterstellen, sie hätten es nötig, von Ihnen Nachhilfe in Verfassungstreue entgegenzunehmen und den Bundeskanzler auf seinen Diensteid hinzuweisen, das ist doch nicht die Art, wie man aufeinander zugeht, wenn man genau weiß, daß man in dieser schwierigen Frage — den meisten von Ihnen ist es ja bewußt, wenn auch häufig schmerzlich bewußt — schließlich hier zusammenkommen muß, um zu zukunftsweisenden Lösungen zu kommen.
Genau an dieser Frage gehen Sie vorbei. Gerade weil uns nach wie vor bewußt ist, daß wir zu Lösungen kommen müssen, und zwar einvernehmlich, widerstehe ich dem Gedanken, nachzuforschen, welches Motiv Sie denn dann veranlaßt haben könnte, uns diesen Antrag so vorzutragen, als ob wir zustimmen müßten, daß wir mit der Verfassung falsch umgehen, und diese Belehrung zur Kenntnis nehmen müßten. Das kann nicht der eigentliche Gedanke dieses Antrages gewesen sein.
„Notstand" ist ein Wort, das technische Bedeutung hat, das im übrigen zu Recht erhebliche Auseinandersetzungen in diesem Hause zur Folge hatte, bei denen wegen der Gnade der Oppositionsrolle — möchte ich einmal sagen — die Freien Demokraten seinerzeit bei der Einführung in das Grundgesetz nicht mitgewirkt haben. Sie hingegen haben daran mitgewirkt.
Das Wort ist zu Recht belastet, ist zu Recht von Sorgen begleitet, wenn es fällt. Deshalb ist es aber immer noch nicht verboten, diesen Begriff wie eine Reihe anderer Begriffe in der Umgangssprache mitzuverwenden, um eine besondere Situation bildhaft darzustellen. Wenn das der Bundeskanzler auf gezielte Frage unter Nennung dieses Wortes getan hat, kann ich darin wirklich keinen Grund für die Aufregung finden, die hier in den letzten Tagen mit Akribie, Fleiß und Eifer entfesselt worden ist,
die einer ganz anderen Aufgabe würdig gewesen wären, nämlich der, die entstandene Not — denn davon jedenfalls kann man aus der Sicht der Bürger sprechen — durch den ungeheuren Zustrom infolge des Asylmißbrauchs wenden zu helfen. Das ist das einzige, was interessiert, nicht unsere feinsinnigen Betrachtungen über die Frage, was noch geht, ohne den Kern des Asylrechts anzutasten, und was gerade nicht mehr geht.
Ich habe mich im Sommer 1991 einmal zu dieser Frage geäußert und gemeint, das meiste, was hier zu geschehen hätte, könnte auch einfachgesetzlich geschehen, wobei allerdings das Risiko bestünde — und zwar nicht, weil man es mutwillig einginge, sondern weil man über Fragen von solcher Komplexität verfassungsrechtlich streiten kann —, daß ein solches einfaches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden könnte.