Rede von
Dr.
Rupert
Scholz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klose hat in seinen Eingangsbemerkungen ein, wie ich meine, sehr richtiges und auch beherzigenswertes Wort gesagt. Er hat nämlich nach Orientierung gerufen. In der Tat, um Orientierung geht es in der Frage, um die wir jetzt hier streiten, um die Probleme, die die Menschen im Lande wirklich drücken.
Orientierung bedingt aber auch Entscheidungsfähigkeit. Ich bin davon überzeugt, daß viele Bürger im Lande, die diese erste Debatte in diesem neuen Plenarsaal verfolgen oder verfolgt haben, das Gefühl haben werden: Hier wird wirklich an der Sache vorbeigeredet,
hier werden Scheingefechte geführt, hier werden bestimmte Begriffe aufgegriffen, Begriffe, die man nie so gemeint hat, wie sie hier interpretativ aufgeladen werden.
Meine Damen und Herren, das Thema, um das es geht, ist nun wirklich, den Art. 16 zu ändern und ihn damit auch wirklich so zu bewahren, wie er einmal gedacht war: von Theodor Heuss über Konrad Adenauer bis Carlo Schmid. Ich zitiere bewußt Carlo Schmid. Sie alle waren sich darin einig, daß dieses Asylrecht für politisch Verfolgte nach unserer Geschichte ein besonderes Gut ist. Und was ist aus diesem Art. 16 geworden? Er ist faktisch ein Einwanderungsparagraph geworden, der die Menschen im Lande wirklich bedrückt. Und Sie diskutieren darüber, ob der eine oder andere vielleicht diesen Sorgen
in möglicherweise überzeichneter Form Ausdruck gibt. Das ist doch ein Ablenkungsmanöver!
Das geht doch völlig an der Sache vorbei!
Im übrigen lassen Sie mich kurz einiges zu Art. 16 sagen: Art. 16 des Grundgesetzes ist nicht nur ein etwa grenzenloses liberales Freiheitsrecht auf beliebigen Zuzug. Art. 16 ist auch ein Recht auf soziale Leistungen, nämlich Aufnahme, Unterbringung und Versorgung. Soziale Rechte finden ihre natürliche Grenze in den Ressourcen, die ein Staat hat. Wenn es so weitergeht, besteht die Gefahr, daß diese Ressourcen wirklich eines Tages erschöpft sind, nicht nur im Bewußtsein und im Empfinden der Menschen, meine Damen und Herren, sondern auch in der Sache.
Und was passiert denn dann? Wenn die Flut der Asylbewerber nach dem Fallen der Grenzen in Europa im nächsten Jahr endgültig über uns hereinbrechen wird, wenn es vielleicht nicht 500 000, sondern 700 000 oder 800 000 oder 900 000 sind, glauben Sie wirklich, daß die Menschen Ihnen das abnehmen und daß Sie den Art. 16 dann überhaupt noch zu einem Thema machen können? Es geht doch darum, diesen Art. 16 für politisch Verfolgte zu erhalten.
Er muß in der Bevölkerung akzeptiert sein. Aber das gelingt nur, wenn man dem Mißbrauch wirklich wirksam begegnet. Es ist meines Erachtens nicht mehr fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf.
Aus diesem Grunde denke ich, meine Damen und Herren: Debatten wie diese — und ich bitte Sie Frau Präsidentin, mir das nachzusehen — mit so vielen Scheinargumenten sind eigentlich verlorene Zeit.
Es ist verlorene Zeit, weil es eigentlich um etwas grundlegend anderes geht. Man könnte es auch so sagen, wenn Sie mir eine ironische Schlußbemerkung gestatten: Die Petersberger Beschlüsse sollten nicht im Peter-Prinzip enden, sondern man sollte endlich zur Sache kommen.
Vielen Dank.