Rede von
Dr.
Klaus-Dieter
Feige
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Wahlkreis ist Rostock. Immer wenn ich irgendwo auf einer Veranstaltung gefragt oder ungefragt zu erkennen gebe, daß ich aus Rostock komme, zieht man die Augenbrauen hoch und sagt: So, so, ihr seid das also!
Ich war in den Nächten im August und im September dort in Lichtenhagen; ich habe in der Zeit mit vielen Leuten gesprochen. Mich erreichten später Anrufe, in denen gefragt wurde: Sind die Menschen dort tatsächlich alle so? Gestern wieder fragte man mich: Was hat der Herr Schmidt von der CDU da gesagt? Sind die dort alle so?
Das erregt mich jedesmal, und ich schäme mich für vieles, was dort in Rostock passiert ist. Aber ich schäme mich auch für all das, was dort nicht passiert ist, was unterlassen wurde.
In den vielen Gesprächen dort mit den Bürgerinnen und Bürgern habe ich mitbekommen, daß sie überhaupt nicht auf eine Änderung des Art. 16 drängen. Ganz im Gegenteil erinnern sich die Menschen in den neuen Ländern sehr gut an die Zeit vor der Wende, und sie waren eigentlich froh, daß es hier in der Bundesrepublik ein Grundgesetz mit diesem Art. 16 gibt.
In dieser Hinsicht glaube ich, daß die Menschen in Rostock für die bestehenden Probleme viel mehr Verständnis haben und daß sie eben nicht so sind, wie jetzt vielfach unterstellt wird. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie haben aber kein Verständnis dafür, daß lange Zeit — von einer intakten Landesregierung — zur Lösung der Probleme in Lichtenhagen nichts getan wurde.
An mich ist immer wieder die Frage gestellt worden: Warum ist z. B. der Bürgerbeauftragte der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern — dort gibt es
eine christdemokratisch-liberal geführte Regierung — ein Jahr lang nicht bereit gewesen, auf die Notstände, die dort vor Ort einfach nur formuliert und beschrieben wurden, zu antworten? Wenn ich das sehe, dann kann ich manche Ungeduld verstehen.
Sie interpretieren das jetzt so, daß das zu einer Änderung des Grundgesetzes führen muß. Das verlangt dort aber niemand.
Wenn Sie jetzt Gesetze ändern, wenn Sie vielleicht sogar — wie auch immer — etwas am Grundrecht des Asyls verändern, dann, glaube ich, wird es noch sehr lange dauern, bis diese Gesetze wirksam werden. Ich bitte Sie wirklich ganz dringend: Nutzen Sie die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, die wir gegenwärtig haben, damit wir diesen Problemberg wirklich in Angriff nehmen. Das, was dort an Versäumnissen aufzuzählen ist, war — Sie wollen immer sozialdemokratische Regierungen vorführen — auch bei christdemokratischen Regierungen nicht anders und nicht besser.
Meine Damen und Herren von der Koalition, fordern Sie bitte insbesondere in den neuen Ländern — wobei ich die neuen Länder nicht immer hervorheben will — die christdemokratisch geführten Regierungen auf, daß sie die bestehenden Gesetze ausnutzen und nicht einfach durch Unterlassungen das Feuer weiter schüren.
Glauben Sie bitte nicht, daß eine einfache Teilnahme an einer Demonstration ausreichen könnte. Ich glaube, wir sollten viel häufiger an allen möglichen Orten in diesem Land Flagge zeigen. Ich bitte Sie ganz dringend, nehmen Sie auch an der großen Demonstration am 14. November in Bonn teil, zu der die Bürgerbewegungen aufgerufen haben.
Wenn Sie wirklich an einen Notstand glauben: Es gibt diesen Notstand bei der Einhaltung der Menschenrechte in unserem Land. Wir alle haben als Repräsentanten des Deutschen Bundestages die Pflicht, Flagge zu zeigen und uns dort hinzubegeben, wo die Menschenrechte verletzt werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.