Rede von
Hans-Ulrich
Klose
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mir des Risikos dieser Debatte durchaus bewußt: Der angeknackste demokratische Grundkonsens könnte dauerhaft beschädigt werden. Das kann niemand wollen, unterstelle ich; ich jedenfalls will es nicht.
Meine Damen und Herren, was ist mit diesem Grundkonsens gemeint? Erstens die unbedingte Beachtung der Verfassung.
Zweitens der wechselseitige Respekt, der sich darin ausdrückt, daß die Gemeinwohlorientierung der anderen demokratischen Parteien nicht in Zweifel gezogen wird.
Drittens die gemeinsame Entschlossenheit, nie zu vergessen, was 1933 geschehen ist, und alles zu tun, um eine Wiederholung auszuschließen.
Der Erhalt dieses Grundkonsenses ist heute besonders wichtig, denn wir leben in unsicheren Zeiten. Die Welt, Europa, Deutschland haben sich in positiver Weise verändert. Gleichwohl gibt es viel Unsicherheit über die Zukunft und mancherlei Sorgen und Ängste, nicht zuletzt weil wir erleben, daß längst überwunden geglaubte nationale, ethnische, religiöse Konflikte gefährlich hochlodern. Der globale Krieg ist heute eher unwahrscheinlich, der regionale Krieg aber ist nach Europa zurückgekehrt. Zugleich sind wir Zeugen und Zielpunkt einer großen Wanderungsbewegung; Völkerwanderung ist das richtige Wort dafür.
In Zeiten der Unsicherheit erwarten die Menschen Orientierung von der Politik. Was sie erleben, ist Stimmungsmache.
Was, bitte schön, soll damit im konkreten Fall erreicht werden? Soll mit dem Gerede vom Staatsnotstand die SPD unter Druck gesetzt werden, wie der Herr Bundesminister Bohl soeben noch einmal erklärt hat? Sie wissen doch so gut wie ich, daß eine Partei der anderen nicht in die innerparteiliche Willensbildung hineinreden darf, es sei denn, sie wolle das Gegenteil von dem bewirken, was sie öffentlich erklärt. Wollen Sie wirklich, daß Engholm scheitert,
oder wollen Sie, indem Sie mit dem Finger auf uns zeigen, von der Tatsache ablenken, daß die Stunde der Wahrheit erst jetzt, zwei Jahre nach der Einheit, gekommen ist?
Oder wollen Sie die Asylbewerber weiterhin zu Sündenböcken machen? Sie sind es doch schon.
Ich will nicht meinerseits mit dem Finger auf Sie zeigen, denn ich will mir einfach nicht vorstellen, daß Sie ernsthaft einen Verfassungsbruch auch nur erwägen könnten. So ist aber verstanden worden, was da geredet worden ist. Nicht nur wir haben es so verstanden, sondern z. B. auch die FAZ hat es so verstanden, und die ist weit davon entfernt, eine sozialdemokratische Zeitung zu sein.
Es wäre gut, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn dies klargestellt würde:
Erstens. Es gibt überhaupt keinen Staatsnotstand, der einen Verfassungsbruch rechtfertigen könnte.
Zweitens sollten wir uns bei allen Meinungsverschiedenheiten untereinander einig sein in der entschlossenen Abwehr gegen Gewalt und Rechtsextremismus.
Drittens müssen wir alle uns schützend vor jene stellen, die Tag für Tag Opfer von Gewalt werden. Der Schutz der Menschenrechte beginnt im eigenen Land.
Auf dem Hamburger Parteitag meiner Partei habe ich gesagt, ich hätte erstmals Angst, wir, die Demokraten in Deutschland, könnten vor der Geschichte versagen, weil wir bei all dem Staub, den wir im innerparteilichen Streit und im Streit der Parteien untereinander aufwirbeln, übersehen könnten, daß die jeweils konkurrierende demokratische Partei ein Gegner ist, der Feind aber rechts steht.
Dies muß gesagt werden, daraus müssen Konsequenzen gezogen werden, ehe es wieder zu spät ist. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Diese Gemeinsamkeit darf von keinem Demokraten aus parteipolitischem Kalkül aufgekündigt werden.