Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um folgende zwei Zusatzpunkte
— ohne Debatte — erweitert werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wieland Sorge, Albert Pfuhl, Dr. Uwe Jens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichstellung von Meistern in der Industrie und Meistern im Handwerk in den neuen Bundesländern
— Drucksache 12/738 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Gründung von drei unselbständigen Stiftungen unter dem Dach des Bundesarchivs
— Drucksache 12/1379 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? — Da sich kein Widerspruch erhebt, sondern Zustimmung signalisiert wird, ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt VII der Tagesordnung auf:
Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992
— Drucksachen 12/1000, 12/1329, 12/1401 bis 12/1415, 12/1416 , 12/1417 bis 12/1422, 12/1424 bis 12/1430, 12/1600, 12/1601 —
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
— Sie sind doch hoffentlich daran beteiligt, Herr Kollege Wieczorek.
Ich weise darauf hin, daß über den Gesetzentwurf gegen 12.30 Uhr namentlich abgestimmt werden soll. Das ist die Absicht des Hauses. Es wird am Hause liegen, ob wir diesen Termin halten können.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen.
— Auch dagegen erhebt sich ganz offensichtlich
— neben einer bestätigenden Bemerkung des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses — kein Widerspruch. Dann ist auch dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Anke Fuchs das Wort.
Guten Morgen, Herr Gerster. Ich freue mich, daß Sie schon so wach sind. Das ist heute nicht bei allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages so.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach vier Tagen Debatte über den Haushalt 1992 möchte ich ein doppeltes Fazit ziehen. Das erste Fazit bezieht sich auf die Befindlichkeit dieser Bundesregierung, die heute besonders „stark" auf der Regierungsbank vertreten ist. Deute ich nämlich die Beiträge der Finanzfachleute der Regierungskoalition — allen voran die des Finanzministers — richtig, so komme ich zu dem Schluß: Nie war Schuldenmachen so schön wie heute.
Herr Waigel will sich von uns seine Schulden nicht vorhalten lassen, hat er am Dienstag gesagt. Er zog Vergleiche mit den 70er Jahren. Damit hat er unfreiwillig den Finger selbst in die offene Wunde gelegt. Der springende Punkt ist nämlich, daß wir damals zur Abwehr von zwei internationalen Wirtschaftskrisen eine arbeitsmarktorientierte offensive Industriepolitik betrieben haben, die weltweit bewundert wurde und von der Sie nur träumen können, meine Damen und Herren.
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5280 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Anke Fuchs
Sie dagegen sind im Dilemma Ihrer antiquierten Marktideologien gefangen. Deshalb packen Sie alles, was Sie tun, halbherzig und planlos an und reagieren immer zu spät.
Ein Jahr geht zu Ende, in dem Sie viel darüber nachgedacht haben, wie Sie den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen können und in dem Sie keinen Gedanken darauf verschwendet haben, wie Sie die Probleme, die die Menschen berühren, eigentlich lösen wollen. Sie haben in diesem Jahr das Gegenteil dessen getan, was Sie im Jahr zuvor versprochen hatten. Hinter uns liegt die größte Steuererhöhung, die wir je gehabt haben. Vor uns liegen ein riesiger Schuldenberg und unsichere Konjunkturaussichten. Leere Kassen, aber voller Stolz — so präsentiert sich Finanzminister Waigel. Herr Waigel versucht, uns Sand in die Augen zu streuen, indem er behauptet, die Schulden-lawine sei die zwangsläufige Folge der Einheit.
— Die Formulierung lautete, Herr Kollege Klose: Leere Kassen, aber voller Stolz.
Dabei sind die Fehler Ihrer Politik schon zu Beginn der achtziger Jahre angelegt worden. Denn seit Sie regieren, lautet Ihr wirtschaftspolitisches Credo: Nichteinmischung in die Märkte. Kein Konzept zu haben ist das Konzept. Ich will es an drei Beispielen erläutern. Sie haben kein Konzept zum Arbeitsmarkt, kein Konzept zum Wohnungsmarkt, kein Konzept für die Verkehrspolitik.
Den Dornröschenschlaf der Politik haben sie „Marktwirtschaft" genannt, und auf der Regierungsbank haben Sie ihn vorgelebt.Hören Sie sich einmal folgendes Zitat an:Ich kann überall schlafen. Ich schlafe im Auto; ich schlafe im Flugzeug; ich schlafe im lauten Hubschrauber; ich schlafe vor und, wenn Sie so wollen, nach, wenn ich einen entsprechenden Bedarf habe, und den habe ich immer. Gott sei Dank, daß ich so gut schlafe!Soweit Helmut Kohl in der Tageszeitung „Die Welt" .Ich sage dazu: Guten Morgen, Herr Bundeskanzler; es hat sich ausgeschlafen; die Realität hat Sie eingeholt, und diese Realität sieht so aus, meine Damen und Herren: In den alten Ländern der Bundesrepublik Deutschland gibt es rund zwei Millionen Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind. Es gibt rund 500 000 Menschen, die dauerhaft kein Dach über dem Kopf haben, und es gibt 3,8 Millionen Menschen ohne Arbeit und für diejenigen, die Arbeit haben, jeden Morgen und jeden Abend Chaos auf den Straßen.Dabei wissen die Bürgerinnen und Bürger, meine Damen und Herren, daß es so nicht mehr weitergeht.Sie erwarten, daß die Politik jetzt handelt. Die Menschen wollen nämlich, daß die von den Brummis transportierten Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden.
Die Menschen wollen, daß es ökonomisch Sinn macht, die Bahn zu benutzen. Die Menschen erwarten ein funktionierendes System des öffentlichen Personennahverkehrs. Aber diese Bundesregierung stellt die Weichen in die falsche Richtung. Ihre Verkehrspolitik steckt im Stau.
Die angebliche Bevorzugung der Bahn als umweltfreundliches und zukunftsträchtiges Verkehrsmittel ist nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Ich will die Zahlen noch einmal nennen. Für den Ausbau und den Neubau der Bundesfernstraßen stehen im Haushalt rund 8,1 Milliarden DM zur Verfügung. Die Investitionszuschüsse für den Streckenausbau der Deutschen Bundesbahn machen gerade 1,1 Milliarden DM aus, und bei der Reichsbahn sind es 2,75 Milliarden DM. Nun müssen wir bedenken, daß mit den 3,85 Milliarden DM für die Bahn auch alle Nahverkehrs- und Regionalstrecken abgedeckt werden müssen. Zu den Straßenbaukosten müßten wir also die Straßenbaumittel der Kreise, Kommunen und Länder hinzurechnen. Damit wird ganz deutlich, wie kraß die Benachteiligung der Bahn bei der Infrastrukturpolitik wirklich ist.Im Zuge des Aufschwung Ost werden in den Jahren 1991 und 1992 für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs in den neuen Bundesländern 800 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Für den kommunalen Straßenausbau sind es im gleichen Zeitraum dagegen 2,2 Milliarden DM. Herr Krause täuscht vorsätzlich die Öffentlichkeit, und der Vorrang der Schiene, wie es der Bundeskanzler in der Regierungserklärung angekündigt hat, ist lange vom Tisch, meine Damen und Herren.
Zweites Beispiel: Wohnungsmarkt. Diesen gibt es eigentlich gar nicht mehr. Ich habe noch im Ohr, als Sie 1983 sagten, sozialer Wohnungsbau müsse nicht mehr sein. Der Wohnungsbedarf sei gedeckt.Wir haben damals vor dem Trugschluß gewarnt. Aber Sie wußten es ja, ohne nachzudenken, wieder besser. Nicht nur die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft, die bei Ihnen sowieso ausgegrenzt sind, spüren jetzt die Folgen Ihrer Politik. Wut und Zorn über Ihre Tatenlosigkeit hat sich quer durch alle Bevölkerungsschichten breitgemacht. Die Folgen sind so dramatisch, meine Damen und Herren, daß sogar Frau Ministerin Schwaetzer das Wort „sozialer Wohnungsbau" in den Mund nimmt. Es kommt ihr allerdings schwer über die Lippen. Ich finde, sie sieht immer so aus, als ob sie einen ganz sauren Drops lutscht, wenn sie sagt, daß sie etwas für den sozialen Wohnungsbau tun muß.
Das Ziel verfehlt aber das, was wir in der Baupolitikbrauchen. Drei Bauminister haben in den letzten Jahren halbherzig Programme aufgelegt und in einem
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5281
Anke Fuchs
beispielhaften Zickzackkurs die Mittel für den sozialen Wohnungsbau jedes Jahr verändert, dabei aber immer nur gekleckert. In einer Zeit größer werdender Wohnungsnot führt dieses Herumwerkeln zu gewaltigem sozialen Sprengstoff.
Um der Wohnungsnot Herr zu werden, müssen neue Stadtviertel geplant und gebaut werden. Das ist nur möglich, wenn verläßlich klar ist, daß über Jahre hinaus Mittel zum Bau von Sozialwohnungen bereitstehen. Es ist keiner Stadt zuzumuten, ein neues großes Wohnviertel zu planen, ohne Sicherheit über die dafür benötigten öffentlichen Mittel zu haben.
Meine Damen und Herren, dank Ihrer Politik gibt es richtige Wohnungsnot.
Was wir brauchen, sind bezahlbare Wohnungen. Ihr auf drei Jahre befristetes Sonderprogramm ist das falsche Signal.
Sie weigern sich vor allem, echte Sozialwohnungen mit langfristigen Bindungen zu schaffen. Das Problem wird verschärft, wenn die langfristigen Bindungen nicht Teil Ihres Konzeptes werden.
Ich sage: Die Wohnung ist kein beliebiger Konsumartikel.
Die Wohnung ist ein Teil von Lebensqualität. Mit der Wohnung wird ein Anspruch auf Lebensqualität verwirklicht, und zwar für die Menschen im Osten und im Westen der größer gewordenen Bundesrepublik.
Nun will Frau Schwaetzer sogar noch die Länder zur Kasse bitten. Sie muß doch wissen, daß viele Länder, z. B. Nordrhein-Westfalen, sozialen Wohnungsbau aus Landesmitteln fortgesetzt haben. Es ist schlicht eine Unverfrorenheit, wenn Sie jetzt wiederum Forderungen an die Länder richten. Sie wollen damit nur von Ihrer eigenen Tatenlosigkeit ablenken.
Mein drittes Beispiel — in der Frage: keine strukturverändernde Politik — ist die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Wenn es um Wirtschaft und Beschäftigung geht, reden Sie auch nur vom Markt, an dem angeblich alles von selbst geht. Von Wirtschaftspolitik, von Gestaltung durch Politik kann keine Rede sein. Sie haben offensichtlich jenseits jeden Sachverstands geglaubt, die Umstellung der Planwirtschaft in der ehemaligen DDR auf die Soziale Marktwirtschaft käme von ganz allein.
Dann haben Sie gemerkt, daß Sie sich geirrt haben.Aber was haben Sie gemacht? Sie haben den Teilunserer Vorschläge zusammengeklaubt, den Sie begriffen haben;
z. B. die von Ihnen zunächst verteufelten Beschäftigungsgesellschaften. Aber die anderen Vorschläge, die Sie nicht kapiert haben, nämlich was man unter einer durchgreifenden Industrie- und Strukturpolitik versteht, die haben Sie im wahrsten Sinne des Wortes links liegenlassen, meine Damen und Herren. Sie hätten mit uns darüber nachdenken sollen, wie uns die Umstrukturierung ganzer Branchen und Regionen im Westen der Bundesrepublik gelungen ist. Niemals wären wir auf die Idee gekommen, so leichtfertig ganze Industriestandorte kaputtgehen zu lassen, wie Sie das jetzt im Osten unseres Vaterlandes tun. Das werfen wir Ihnen vor, meine Damen und Herren.
Konkret für diese Woche heißt das: Ändern Sie gesetzlich den Auftrag der Treuhand so, daß ein klarer Sanierungsauftrag erteilt wird, daß Industrie- und Strukturpolitik möglich wird und daß Industriestandorte erhalten bleiben können. Herr Waigel hat das wiederum hartnäckig abgelehnt. Wir werden auf die Folgen dieser Entwicklung aufmerksam machen. Die Arbeitslosen sind dann nämlich, meine Damen und Herren, von der CDU und der CSU produziert. Das werden wir den Bürgern draußen auch sagen.
Sie weigern sich aus ideologischen Gründen, jenes Haupthindernis für eine positive Entwicklung zu beseitigen — ich meine die Eigentumsfrage. Ich habe versucht, was mir immer schwerfällt, mich in Wirtschaftsliberale hineinzuversetzen. Aber warum Sie nicht in der Lage sind, mit uns zusammen diesen Kernfehler zu beheben, ist mir nicht einsichtig. Der Kollege Ullmann ist heute leider nicht da. Er hat in der Debatte in dieser Woche noch einmal ganz klargemacht, welche Mängel die Anlage IX zum Einigungsvertrag hat. Wir wissen alle miteinander, daß der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung verhängnisvoll ist.Sie haben dann halbherzig mit einem Monstrum von Gesetz versucht, etwas zu verbessern. Das nennt sich dann auch noch „Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung und der Förderung von Investitionen" . Ein solches Bandwurmgesetz kann gar nichts Vernünftiges sein. Nein, aus ideologischen Gründen halten Sie an einer falschen Eigentumsideologie fest. Ich rufe Sie auf: Werfen Sie diese Ideologie doch über Bord! Versuchen Sie doch, mit uns zusammen diese Kernfrage zu lösen; dann wären wir ein Stück weiter.
Der neue Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU
redet wie der alte. Ich hätte nach den Ankündigungen und nachdem er gesagt hat, die CDU/CSU-Fraktion solle mehr Spielraum haben und sich mehr an der Arbeit der Regierung beteiligen können, gedacht, daß
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5282 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Anke Fuchs
er uns als ersten wichtigen Einstieg gesagt hätte, wie sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eigentlich die Regelung der Pflegeversicherung vorstellt. Das wäre für ihn ein glänzender Einstieg gewesen.
Aber nichts davon! Er hat Herrn Blüm nicht unterstützt, er hat von Lohnnebenkosten gesprochen; alles Sprüche, die wir kennen. Er redete wie sein Vorgänger. Es fiel ihm nichts anderes ein, als die „Erblast der SPD" zu bemühen.
Er hat offensichtlich verdrängt, daß Sie schon neun Jahre an der Regierung sind.
Sie hätten lange Zeit gehabt, das wichtige Thema Pflegeversicherung endlich auf den Weg zu bringen. Ich bin enttäuscht von dem Herrn Fraktionsvorsitzenden.
Was Herr Schäuble zum Thema Asyl veranstaltet, ist so kaltschnäuzig, wie ich ihn immer eingeschätzt habe. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt zu Recht: Hier ist ein übler Flüchtlingstrick im Gange. Die „Süddeutsche Zeitung" sagt: Hier wird alles übertroffen, was wir an Unerbittlichkeit in der Asylfrage bisher erlebt haben. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich von Herrn Schäubles Vorschlägen zu distanzieren.
Die Menschen in den alten und neuen Ländern sind Verlierer Ihrer Politik. Sie haben kein Vertrauen mehr, daß es bezahlbare Wohnungen gibt, daß Kindergartenplätze zur Verfügung stehen. Vor allem verlieren die Menschen im Osten das Vertrauen daran, daß sie durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können.Wenn es nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, sind es in der Tat einmal wieder die Frauen, die Verlierer dieser Entwicklung sein werden. Wir haben im Westen weiß Gott mühsam genug das Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Köpfen und Herzen verankert. Es wäre verhängnisvoll, wenn jetzt der konservative Spruch „Mütter zurück an den Herd" in den neuen Ländern Wirklichkeit werden würde.
Als zynischen Ausgleich für mangelnde Arbeitsmarktpolitik wollen Sie dann auch noch die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs verschärfen: eine wahrhaft frauenfeindliche Politik.
Wir wollen nicht länger hören, warum Sie Schulden machen, sondern wir wollen wissen, wofür Sie das Geld ausgeben. Dienen die Schulden und Steuern einer Strukturpolitik, die diesen Namen verdient? —Nein, sie fließen in ein Faß ohne Boden. Dienen sie dem Abwickeln von Betrieben und dem Kaltstellen von Menschen, die nicht in das Raster Ihrer Marktideologie passen, wie im Westen geschehen — Stichwort: Zweidrittelgesellschaft —, oder brauchen wir dieses Geld nicht vielmehr zur Firmensanierung und zum Miteinander in einer solidarischen Gesellschaft?Wir halten Ihnen nicht allein die aktuellen Versäumnisse vor. Wir stehen nämlich einmal wieder da, wo wir in den Jahren 1988 und 1989 schon einmal waren, als die Regierung Kohl reif für die Ablösung war. Sie werden von Ihren damaligen Fehlern wieder eingeholt. Sie haben schon damals nichts getan
und haben heute nicht einmal die Kraft, die Probleme zu benennen.Ich möchte ein zweites Fazit ziehen: Im Land macht sich eine traurige Stimmung breit:
Diese Regierung interessiert sich nicht für das Land,
und das Land interessiert sich nicht mehr für seine Regierung.In einer Situation, in der die Regierung schon durch schiere Ehrlichkeit Punkte machen könnte, indem sie nämlich zugibt, daß uns grimmige Zeiten bevorstehen, erschöpft sie sich im planlosen „Weiter so, Deutschland! " Die Menschen sind davon abgrundtief enttäuscht. Die Konsequenz ist, daß sie sich immer mehr von der Politik abwenden.
Sie flüchten sich in gleichgültige Wahlenthaltung, oder sie laufen rechten Aufwieglern nach. Ausbaden müssen wir das alle, meine Damen und Herren.Sie werden mir jetzt natürlich Schwarzmalerei vorwerfen. Aber ich sage Ihnen: Bei dieser Regierung bleibt einem gar nicht anderes übrig.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Klaus Rose.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den unglaublichen Äußerungen der Frau Kollegin Fuchs fällt mir Konfuzius ein:
„Wenn die Worte nicht stimmen, stimmen die Begriffe nicht. Wenn die Begriffe nicht stimmen, wird die Vernunft verwirrt. Wenn die Vernunft verwirrt wird, gerät das Volk in Unruhe. Wenn das Volk unruhig wird, gerät die Gesellschaft in Unordnung. Wenn die Gesellschaft in Unordnung gerät, ist der Staat in Gefahr. "
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5283
Dr. Klaus RoseDiese Ursachenkette des bekannten altchinesischen Philosophen, bereits vor zweieinhalbtausend Jahren geäußert, sollten Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD, einmal vor Augen führen, wenn Sie den Bundesfinanzminister als den größten Schuldenmacher bezeichnen,
wenn Sie weitere Schmähungen über die Bundesregierung verbreiten und sich mit der Aussage, diese Regierung hätte nichts für unser Land übrig, hier hinstellen,
obwohl Sie selber wissen, daß der größte Teil Ihrer Fraktion selten in Deutschland ist, sich aber um so lieber in der Toskana aufhält.
Mangels eigener Konzepte, mangels überzeugender Kritikpunkte, aber auch mangels Geschlossenheit in Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der SPD, wählen Sie Polemik, Unsachlichkeit und Unterstellungen, um die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien zu diffamieren.Es ist das alte und das falsche Rezept der SPD: Sie will die unbestrittene Wiederaufbauleistung seit der Wende 1982 und die positiven Ergebnisse vor allem in der Finanz- und Haushaltspolitik verächtlich machen und garniert das Ganze mit der altsozialistischen Aussage und der Grundmelodie, daß der Ertrag dieser Politik zuwenig dem kleinen Mann zugute komme.
Meine Damen und Herren, diese Erkenntnis, die Ihnen Franz Josef Strauß bereits 1982 in der Haushaltsdebatte vorgehalten hat,
gilt unverändert. Sie streuen mit Ihrer falschen Wortwahl Neid und Zwietracht unter die Bürger.
Sie wollen verunsichern, und Sie hoffen, daraus politisches Kapital zu schlagen. Sie merken allerdings nicht, daß das ein Bumerang für Sie werden kann. Einmal meinten Sie ja, Sie könnten in Bremen ähnliches von sich geben. Da ist der Bumerang schon dagewesen.
Der Bundesfinanzminister ist nicht der große Schuldenmacher, sondern derjenige Finanzminister, der die größte finanz- und haushaltspolitische Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu meistern hat.
Wir haben auch bei der Haushaltspolitik — entgegenIhren falschen Unterstellungen — Wort gehalten, indem wir uns ganz in dem Rahmen der Eckwertbeschlüsse von vor der Bundestagswahl halten, ja, die Vorgaben sogar noch unterschreiten.Hier von Täuschung der Bürger zu sprechen ist infam. Von illusionärer Fehleinschätzung kann keine Rede sein. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Schon die positive Entwicklung des Haushalts 1991 zeigt, daß wir — entgegen Ihren düsteren Prognosen — die Lage richtig eingeschätzt haben.
Das gilt auch für den Haushalt 1992, mit dem wir, wie angekündigt, die Konsolidierungspolitik seit 1982 mit der schlimmen Herausforderung der Jahre 1990 und 1991 fortsetzen.
Meine Damen und Herren, wir kennen die Schlagworte der SPD. Einmal war es das angebliche „Kaputtsparen". Dann war es wieder die „größte unsoziale Steuerreform aller Zeiten" ,
wobei die Leute immer reicher geworden sind.
Dann war es das „größte Steuer- und Ausgabenpaket aller Zeiten" . Und jetzt kommen Sie daher mit dem „größten Verschuldungspaket aller Zeiten".Meine Damen und Herren, Sie haben doch in Ihrer Regierungszeit die Bundesschuld um 700 % erhöht — nicht wir, Sie waren es — , und das zu einer Zeit, die mit den finanzpolitischen Herausforderungen von heute nicht im entferntesten zu vergleichen ist.
Sie ziehen zur Begründung dann immer die alten Krisen, weil das Öl teurer geworden ist, heran. Das waren beileibe nicht die Herausforderungen, wie wir sie jetzt haben. Sie brauchen bloß die Nettokreditaufnahme anzusehen: Sie hatten in Ihrer Regierungszeit, 1982 — damals waren die Zahlen insgesamt viel niedriger —, schon eine Nettokreditaufnahme von fast 40 Milliarden DM. Wir liegen jetzt nach der Wiedervereinigung — ein Land mit 17 Millionen Einwohnern kam dazu — , obwohl der Haushalt weit höher ist, bei 45 Milliarden DM.
Daran können Sie einmal sehen, was Sie damals schon angestellt haben.
Meine Damen und Herren, man kann sich gut vorstellen, wie sich die Staatsverschuldung entwickelt hätte, wenn es nicht zur Wende gekommen wäre; denn ein gutes Beispiel ist die Entwicklung der Verschuldung in Nordrhein-Westfalen, wo die SPD bekanntermaßen seit 25 Jahren in der Regierungsverantwortung steht.
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5284 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Dr. Klaus RoseIn dieser Zeit ist laut Pressemitteilungen von vorgestern die Verschuldung dieses einstmals zentralen Industrielandes der Bundesrepublik von 2,7 Milliarden auf 111 Milliarden DM angewachsen,
hat sich also um das 41fache erhöht.
Bei uns im CSU-regierten Bayern — Sie gestatten, daß ich dieses schöne Land immer wieder anführe — ist im selben Zeitraum die Verschuldung nur um das 5,8fache gestiegen. Ich sage es noch einmal, damit man es auch weiß: Um das 41fache haben Sie sich in Nordrhein-Westfalen verschuldet. — Ich lasse Bremen und das Saarland weg. Wir wissen ja alle, wie Sie mit der Staatskasse umgehen.
Wer die SPD-Politik von früher im Bund und heute bei der Mehrheit der Bundesländer kennt, der kann nur immer wieder die Wende wünschen — die Wende, die wir im Bund hatten, die Wende, die Sie auch in den Bundesländern möglichst bald einleiten müssen. Sie haben in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung Ihre Glaubwürdigkeit gründlich verspielt und haben nichts dazugelernt. So manche Kritik der Bundesbank und auch der Fünf Weisen — ich fasse sie als konstruktiv auf — dürfen Sie doch nicht als Pilotenschein für eine Regierungsfähigkeit Ihrerseits auffassen.Das Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts 1991 — des Gesamthaushalts, nicht des Bundeshaushalts — wird mit etwa 135 Milliarden DM noch deutlich unter dem Ziel der Eckwertebeschlüsse vom November vergangenen Jahres liegen.
Das sind etwa 4,5 % des Bruttosozialprodukts und ist damit kapitalmarktverträglich. 1992 dürfte die öffentliche Gesamtverschuldung bereits unter diesem Betrag liegen.Im übrigen dienen diese hohen Kreditaufnahmen der Beseitigung der Folgen 40jähriger kommunistischer Mißwirtschaft und Diktatur und sind damit Investitionen für das Wohl und für die Demokratie, die unseren Kindern und Kindeskindern zugute kommen.Kollege Wieczorek hat am Dienstag, wenn ich mich recht erinnere, von intelligenten Schulden gesprochen.
Ja, die machen wir. Oder gibt es einen schöneren Auftrag als den Aufbau eines geeinten Vaterlandes und des freien Europas?
Meine Damen und Herren, der Abbau der Neuverschuldung wird konsequent fortgeführt. Der Bund setzt hier ein deutliches Zeichen. Aber auch die Länder und die Gemeinden sind als wichtige Teile des Gesamthaushalts aufgefordert, ihre Haushaltsstabilität auf das gesamtwirtschaftliche Ziel der Stabilität auszurichten. Hier stehen auch die SPD-regierten Länder und Gemeinden in der Verantwortung. Ausgabenzuwächse, wie sie beispielsweise das Land Niedersachsen — auch da gibt es jetzt ja leider eine SPDRegierung — 1991 in Höhe von 9 % und im Jahre 1992 noch einmal in Höhe von 5,3 % vorgesehen hat, werden dieser Verantwortung nicht gerecht. Wir bleiben bei den 2,9 %. Wir versuchen zu sparen, wo es geht, und Sie reden bloß davon.Cicero sagte einmal: Sparsamkeit ist eine kleine Einnahme. Wir halten uns an diesen weisen Spruch des Römers. Die Forderung der Bundestags-SPD nach eisernem Einsparen ist absolut unglaubwürdig, nicht nur weil in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung die Staatsquote von 39 % auf über 50 % angestiegen ist und damit noch höher lag als in den beiden Ausnahmejahren 1991 und 1992, sondern auch weil auf Bundesebene und im Bundesrat an allen Fronten Mehrausgaben gefordert werden, ohne seriöse Einsparungsvorschläge zu machen. Dort aber, wo von den SPD-regierten Ländern Solidarität mit den neuen Bundesländern gefordert ist, z. B. bei der Umlenkung der Strukturhilfemittel in die neuen Bundesländer, gibt es von Ihrer Seite aus Widerstand.Meine Damen und Herren, wenn ich noch einmal kurz die Kerndaten des Haushalts 1992 nenne, obwohl sie schon oft genug vorgetragen wurden — Volumen 422,1 Milliarden DM, Begrenzung des Ausgabenanstiegs auf 2,9 % , Rückführung der Nettokreditaufnahme gegenüber dem Soll 1991 um gut 21 Milliarden DM auf 45,3 Milliarden DM — , so möchte ich betonen, daß es durch konsequente Einsparungen im Haushaltsausschuß gelungen ist, die neuen unabweisbaren Mehrausgaben gegenüber dem Regierungsentwurf aufzufangen, sogar noch zusätzlich 460 Millionen DM einzusparen.Generell wird es künftig die Linie der Haushaltspolitik sein, daß Mehrausgaben immer durch Umschichtungen bzw. Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden müssen. Daran wollen wir uns halten. Mit diesem Moratorium gehen wir auch in die Beratungen der kommenden Jahre. Ich möchte sagen: Wir unterstützen die Haushalts- und Finanzpolitik unseres Herrn Bundesfinanzministers;
denn Dr. Theo Waigel steht für Kontinuität einer soliden Politik.
Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich zum Schluß auch den Mitarbeitern des Haushaltsausschusses und allen Kolleginnen und Kollegen für die insgesamt doch sehr erfreuliche Zusammenarbeit herzlich danken.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige dritte Lesung des Bundeshaushalts 1992 ist
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5285
Dr. Wolfgang Weng
Anlaß, die abgelaufene Parlamentswoche mit der ausführlichen Debatte in zweiter Lesung Revue passieren zu lassen.Wenn mit der heutigen Verabschiedung des Etats in Gesamtdeutschland finanzpolitische Normalität einkehrt, muß die Frage erlaubt sein, ob es neue Akzente gegeben hat, ob das Parlament seine Chance genutzt hat.Ganz sicher nicht genutzt hat die Opposition ihre Chance zum Generalangriff. Insbesondere die SPD hat an keiner Stelle verdeutlichen können, daß sie akzeptable Alternativen aufzuweisen hat. Solche müssen von der größten Oppositionspartei verlangt werden, wenn diese ihrem eigenen Anspruch gerecht werden will, eine Alternative zur Regierung zu bilden.
Drei Dinge möchte ich aufzeigen, die meines Erachtens so in einer öffentlichen Debatte nicht hätten dargestellt werden dürfen.Herr Kollege Klose hat in seinen nach meinem Gefühl im Verlauf nachlassenden Ausführungen u. a. beklagt,
daß für die jungen Menschen in den neuen Bundesländern kein Zeichen gesetzt werde, einen populären Jugendsender zu erhalten. Er hat den Eindruck erweckt, als hätte das irgend etwas mit der Haushaltsberatung, mit der Mehrheit im Hause oder mit der Bundesregierung zu tun. Ich halte das für unseriös, für populistisch.
Der SPD-Abgeordnete Schäfer hat es als zynisch bezeichnet, den Rückgang von Schadstoffemissionen in den neuen Bundesländern festzustellen. Dies sei wegen des Zusammenbruchs der dortigen Wirtschaft und deshalb zu Lasten der Menschen erfolgt.Wenn der gleiche Redner lauthals die Schäden am deutschen Wald beklagt und dabei die wirklich herausragenden Fortschritte im Umweltschutz in den letzten Jahren, die die Koalition geleistet hat, außen vorläßt, dann fällt der Vorwurf des Zynismus auf ihn selbst zurück,
dies um so mehr, als er unterschlagen hat, daß noch zu Zeiten der bestehenden DDR mit all den Umweltproblemen, die dieser Staat damals hatte, in Zusammenarbeit von Bundesumweltminister Töpfer mit der Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß auf Kosten des westdeutschen Steuerzahlers erhebliche umweltverbessernde Maßnahmen in der DDR in Angriff genommen worden sind.
Meine Damen und Herren, wenn die SPD Anträge nach dem Motto „Helft den Ärmsten der Armen, und nehmt das Geld aus dem Verteidigungshaushalt" stellt, wo sie doch genau das einheitliche Haushaltsverfahren kennt, dann ist dies populistisch und einer großen Oppositionsfraktion unwürdig.
Solche Verhaltensweisen sollten Sie Splittergruppen am extremen Rand des politischen Spektrums überlassen, die sich bei ihrer Suche nach Wählerstimmen an die Dümmsten der Dummen wenden.
Ich muß nochmals auf den erfolgreichen Subventionsabbau der Koalition zurückkommen,
auch im Blick auf die gestrige Debatte und auf das, was man heute in den Zeitungen lesen kann. Meine Damen und Herren, was mein Fraktionsvorsitzender Hermann Otto Solms hierzu vorgetragen hat,
ist richtig. Ich habe die Erfolge der Koalition, auch die Initiative von Bundeswirtschaftsminister Möllemann am Dienstag ausführlich dargestellt und gewürdigt. Bundesfinanzminister Waigel hat mich wegen meiner Äußerung zum Subventionsabbau in der gleichen Debatte kritisiert und sich dabei vermeintlich schützend vor den Bundeswirtschaftsminister gestellt.
Herr Minister Waigel, als Vorsitzender der bedeutendsten Regionalpartei in Deutschland
dürfen Sie nicht einfach glauben, was in der Zeitung steht.
Meine Kritik galt nicht Möllemann, sie galt der Bundesregierung insgesamt und damit Ihnen als zuständigem Finanzminister.
— Herr Kollege Glos, die „Bild"-Zeitung von heute haben Sie offensichtlich schon konsumiert, ich leider nur einen ganz kleinen Absatz, und der betraf nicht die FDP.
— Es ist kein Fehler, wenn der Finanzminister aufmerksam zuhört.
Wenn von der Bundesregierung in der letzten Phase der Etatberatung entgegen dem eigenen Grundsatz-beschluß hohe Subventionsbeträge zusätzlich eingeführt werden, die nicht durch Kürzungen an anderer Stelle abgedeckt sind, dann verschlechtert dies das Ergebnis der Etatberatungen zu Lasten der parlamentarischen Bemühungen. Das gilt um so mehr, wenn
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5286 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Dr. Wolfgang Weng
wie im Fall der neuen Agrarsubventionen von 1,43 Milliarden DM dieser Betrag ohne weiteres schon in den Regierungsentwurf hätte eingeführt werden können. Aber Sie sind nach dem Motto verfahren: Den Regierungsentwurf schreibe ich schön und lasse dann das Parlament die unabweisbaren zusätzlichen Ausgaben beschließen. Das ist kein guter Umgang miteinander.
Wenn dann noch ein Regierungsmitglied erklärt: Ihr hättet dem nicht zuzustimmen brauchen, dann ist das in Kenntnis der Dimension und der Unabweisbarkeit dieser Ausgaben wenig hilfreich.
Sicher hätten Sie, Herr Minister Waigel, dem Herrn Möllemann besser geholfen, als er sich für den Abbau der Kohlesubventionen eingesetzt hat und ihm dabei von Kollegen aus dem Kabinett eklatant in den Rükken gefallen wurde. Sowohl der CDU-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen wie der aus dem Saarland, beides Kabinettsmitglieder, haben gegenüber den Kumpeln an Saar und Ruhr in Kenntnis der Notwendigkeiten populistisch agiert und damit der Bundesregierung ebenso wie dem Ziel des Subventionsabbaus einen schlechten Dienst erwiesen.
Damals habe ich nichts von Ihnen gehört, Herr Waigel, obwohl es in der Sache begründet gewesen wäre.Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Auch das eigene Werk, das nicht das Werk der Abgeordneten des Haushaltsausschusses ist — wir sind mehr diejenigen, die Bilanz ziehen, als diejenigen, die alles strukturieren — , die Gesamtbilanz der Politik, muß von den Haushaltsabgeordneten kritisch hinterfragt und gegebenenfalls auch kritisch beurteilt werden dürfen. Gerade nach den geschilderten Abläufen frage ich mich und bitte auch den Kollegen Borchert, den Haushaltssprecher der Union, ernsthaft darüber nachzudenken, ob es zukünftig einen Sinn macht, wenn die Haushaltssprecher der Koalition an den Etatberatungen des Kabinetts teilnehmen. Wenn diese Teilnahme so verstanden wird, daß wir in alle Beschlüsse eingebunden sind, an denen wir bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in keiner Weise mitwirken konnten, dann schwächt das in der Konsequenz das Parlament in seiner eigenständigen Verantwortung für den Haushalt.
Wir sind nicht die Jubelperser der Regierung.
Ich will zum Stichwort Umgang miteinander eine Kontroverse aus der Koalitionsgruppe aufwerfen, und zwar weniger wegen der Sache als wegen des Verfahrens. Bei der strittigen Frage, ob die Botschafter in den drei baltischen Staaten mit der Besoldungsgruppe B 3 oder B 6 ausgestattet werden sollten, sprachen alle Vergleiche mit anderen Ländern für die Besoldungsgruppe B 3. Wir von der FDP allerdings hätten in derAnfangs- und Aufbauphase eine Besoldung nach B 6 für richtig gehalten,
nicht zuletzt weil besonders qualifizierte Persönlichkeiten für die Botschafterfunktionen gewonnen worden waren und diese in diesem Zusammenhang auf eine Beförderung hoffen konnten. Da die Stellen neu eingerichtet werden mußten und die Union auch die übergangsweise Einstufung nach B 6 nicht akzeptierte, haben wir dann alle gemeinsam B 3 zugestimmt. Gar keine Stellen als Alternative hätte nun wirklich keinen Sinn gemacht.Die Äußerung des Kollegen Rose in der Debatte vom Mittwoch, die Einstufung nach B 3 sei einstimmig erfolgt, erweckte natürlich den total falschen Eindruck, wir wären in der Sache einig gewesen.Auch bei unterschiedlicher Auffassung hatten wir seither keine Not, gut zusammenzuarbeiten. Es wird, meine Damen und Herren, immer unterschiedliche Auffassungen in der Sache geben, die wir dann austragen und wo wir den Kompromiß gemeinsam tragen. Das war so, das bleibt so. Die Zusammenarbeit ist ordnungsgemäß.
Tricks dieser Art sind nicht nötig und der Zusammenarbeit nicht dienlich.Meine Damen und Herren, der Ausschuß und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben im Zuge dieser Beratungen dem Ausschußvorsitzenden Rudi Walther, den Mitarbeitern von Haushaltsausschuß und Finanzministerium sowie der vielen anderen Ministerien und Behörden besonders herzlich zu danken.
Unser seit 1983 arbeitsreichstes Jahr — zwei volle Etatberatungen in einem Jahr — wäre ohne deren Mitwirkung — ich sage das wirklich besonders mit Hochachtung in Richtung auf Rudi Walther — nicht zu dem guten Abschluß gekommen, über den wir heute hier debattieren.
— Das, Herr Kollege Professor Diederich, hätten Sie deswegen nicht dazwischenrufen dürfen, weil Sie ihn damit vielleicht in den eigenen Reihen diskriminieren. Aber recht haben Sie schon.
Wir müssen nach der Haushaltswoche auch den Mitarbeitern hier im Umfeld des Bundestags danken. Ich will auch einen Gedanken an diejenigen verschwenden, die eine Etage unter diesem Plenarsaal unter manchmal schwierigsten Bedingungen ein Min-
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Dr. Wolfgang Weng
destmaß an Versorgung aufrechterhalten. Man stelle sich mal vor, meine Damen und Herren: mal zwei, dann aber plötzlich zweihundert oder mehr Gäste. Ossi und seine Mannschaft sind wirklich hoch zu loben.
Mein persönlicher Dank für gute und kollegiale Zusammenarbeit gilt Jochen Borchert, dem Haushaltssprecher der Union. Er ist neben Rudi Walther am wenigsten um seinen Job zu beneiden. Und er erfüllt ihn mit gleicher Bravour.
Meine Damen und Herren, mit dem Bundeshaushalt 1992 muß auch ein Ausblick verbunden sein. Viele Risiken liegen in der Zukunft. Viele zusätzliche Kosten, die in der Konsequenz öffentliche Schulden sind, entstehen außerhalb des Haushalts. Die Stichworte Treuhandanstalt und Sondervermögen Post und Bahn zeigen die wichtigsten zusätzlichen Risiken auf. Aber auch viele andere, kleinere Bereiche könnten in diesem Zusammenhang genannt werden.Sie kennen die kontroverse Diskussion über Schattenhaushalte oder Nichtschattenhaushalte. Es ist tatsächlich alles öffentlich, es ist alles bekannt, insofern kann man nicht von Verschleierung sprechen, aber eine Zusammenstellung würde manchmal auch bessere Transparenz bedeuten.
Die Risiken, sind wie gesagt, bekannt. Dazu gehört natürlich in ganz erheblichem Maße das größer gewordene Risiko durch Bürgschaften und Gewährleistungen für unsere Ausfuhren.
Meine Damen und Herren, daß wir mit Blick auf Unsicherheiten vor allem im Osten diese Gewährleistungen erheblich erhöhen mußten, ist bekannt. Immerhin beträgt die Gesamtsumme dieser Gewährleistungen jetzt 180 Milliarden DM, eine fast unvorstellbare Zahl — allerdings weltweit, und wir wissen natürlich, daß uns selbstverständlich nicht alle diese Risiken treffen werden.Diese Zahl ist unvorstellbar, aber die Maßnahme ist notwendig. Um den Zusammenbruch im Osten, auch um einen noch stärkeren Einbruch in der ostdeutschen Wirtschaft zu verhindern, war eine erhebliche Ausweitung zugunsten unserer östlichen Nachbarländer erforderlich. Die täglichen Meldungen über die schwierige Situation in der UdSSR brauche ich hier nur zu erwähnen. Die FDP-Fraktion akzeptiert diese Notwendigkeit; sie trägt ihr Rechnung, indem sie die Ausweitung eben mitträgt. Ein öffentlicher Haushalt kann ja keine Risikovorsorge im Sinne von Rückstellungen treffen, wie der private es üblicherweise macht. Dies gilt um so mehr, wenn der Ausgleich des öffentlichen Haushaltes auf der Einnahmenseite sowieso nur durch Schuldenaufnahme erreicht werden kann.Unsere Risikovorsorge muß deshalb in einer guten allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik liegen. Da lassen sich unsere Erfolge ja nun wirklich sehen,
als Risikovorsorge für all das,
was jetzt und in den nächsten Jahren zu bewältigen ist.Ebenso gehört zur Risikovorsorge das Bewußtsein, daß wir bei den Ausgaben in Zukunft weiterhin zurückhaltend sein, vielleicht sogar noch restriktiver verfahren müssen. Hier lade ich die Opposition mit ihren vehementen Zwischenrufen
herzlich ein, wirklich konkret mitzuarbeiten.
Sie wird sich, wie immer, verweigern.
Diese Notwendigkeit ist um so mehr gegeben, als wir die Deutsche Mark — in enger Kooperation mit der Deutschen Bundesbank und deren Empfehlungen — stabil halten müssen und die Verschuldung, wie geplant, Zug um Zug absenken wollen. Die Frage, ob es gelingt, bestätigt sich im Rückblick. Das, was wir uns 1983 vorgenommen haben, eine ständig fortschreitende Konsolidierung, haben wir erreicht. Warum sollten wir sie jetzt nicht erneut erreichen? Und: Wer außer uns sollte es erreichen, meine Damen und Herren?
Ich erneuere von dieser Stelle aus meinen dringenden Appell an die Tarifpartner, im kommenden Jahr zu mäßigen Abschlüssen zu kommen. Nur die gebotene Zurückhaltung der Leistungsträger — so ungern die Betroffenen das hören mögen — ermöglicht die soziale Komponente in unserer Marktwirtschaft in der kommenden Zeit.
Zurückhaltung ist hier zumindest so lange vonnöten, bis der Aufschwung in den neuen Bundesländern gesichert ist und wir absehen können, daß sich die wirtschaftlichen Umstände der dortigen Bürger denen im Westen annähern. Herr Kollege Jungmann, Ihren Zuruf weise ich persönlich entschieden zurück; er ist eine Frechheit. An welcher Stelle ist dieser Zuruf begründet, was mich oder meine Fraktion angeht? Wenn Sie hier die gemeinsam beschlossene Erhöhung der Diäten meinen, dann gehen Sie raus und diskutieren Sie das.
Der Zuruf, den Sie hier gemacht haben „Wasser predigen und Wein trinken!" , ist eine unerhörte Äußerung.
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Dr. Wolfgang Weng
Ich sage noch einmal: Dieses Maßhalten ist zumindest so lange notwendig, bis wir absehen können, daß sich die wirtschaftlichen Umstände in den neuen Bundesländern und die Lebensverhältnisse der dortigen Bürger tatsächlich denen im Westen annähern und der Aufschwung dort gesichert ist.Trotz schwieriger internationaler Lage müssen wir dem Verfassungsgebot, in ganz Deutschland vergleichbare Lebensverhältnisse zu erreichen, gerecht werden. Diesem Ziel dient die Arbeit der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, und zwar in allen Politikbereichen. Wir haben dieses Ziel, seit die Mauer zu bröckeln anfing, in jedem Politikbereich vor Augen. Auch in der Haushaltspolitik verfolgen wir es konsequent.Deswegen werden wir dem Bundeshaushalt 1992, einschließlich der Finanzplanung für die kommenden Jahre, auch in dritter, abschließender Lesung in der vollen Überzeugung zustimmen, einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan zu haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Es ist ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird; denn Fehler kommen ja nicht vor. Und wenn einmal ein Fehler vorkommt, wer darf dann endgültig sagen, daß es ein Fehler ist?Der Beamte, der diese Sätze in Kafkas Roman „Das Schloß" spricht, hätte heute gute Chancen, entweder Sprecher des Bundesfinanzministers oder gar Regierungssprecher zu werden. Da können oberste Bundesgerichte der Regierung eine Ohrfeige nach der anderen verpassen, da kann die Bundesbank die Finanz- und Steuerpolitik kritisieren, da kann der Bundesrechnungshof in Gutachten und Prüfaufträgen warnen und mahnen — der Bundeskanzler sieht für sich und seine Regierung keinen Grund zur Kurskorrektur.Der Finanzminister macht auch weiterhin in Optimismus. Diejenigen, die hier — wie wir — Fragen stellen, Defizite aufzeigen und auf Widersprüche aufmerksam machen, stören das im Prinzip heile Bild der Regierung.Wir gehören offenbar zu denjenigen, denen vom neuen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden das Verbreiten von Weltuntergangsstimmungen vorgeworfen wird. Es geht also um Stimmungen und nicht — ich sagte es bereits am Dienstag — um Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ist von großer Widersprüchlichkeit geprägt. Zwar scheint die Beschränkung des Ausgabenzuwachses unter die Rate des nomminellen Zuwachses des Bruttosozialprodukts offenbar immer noch eine zentrale haushaltspolitische Leitlinie der Regierungskoalition zu sein, zwar wird auch weiterhin keine ökologisch und sozial ausgerichtete Strukturpolitik verfolgt, zwar steht auch dieser Haushalt im Zeichen einer Steuerentlastungspolitik zugunsten der Unternehmer, aber das zweite finanzpolitische Grundprinzip konservativ-liberaler Haushaltsführung, nämlich die Umverteilung der konsumtiven Ausgaben in investive Mittel, wird nicht mehr so konsequent befolgt wie in frühren Haushaltsjahren.Die Bundesregierung ist der systemimmanenten Sachzwanglogik des Schuldenberges unterworfen. Aber angesichts der katastrophalen Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt muß sie den ostdeutschen Gebietskörperschaften Finanzhilfen in Milliardenhöhe bereitstellen, damit diese überhaupt den laufenden Betrieb finanzieren können.
Dem Anketten an eine verselbständigte Wachstumslogik, dem blinden Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes folgte das böse Erwachen. Die Bundesregierung kann ihre grundlegende finanzpolitische Unterscheidung zwischen konsumtiven — gleich kranken — und investiven — gleich gesunden — Ausgaben nicht mehr länger durchhalten. Sie muß konsumtive Ausgaben finanzieren.Die Verteilung der investiven Mittel ist eine politische Entscheidung. Die meisten der im Haushalt 1992 veranschlagten Investitionen sind doppelt kritikwürdig, zum einen wegen der perspektivlosen Drosselung der Investitionen im ökologischen und sozialen Bereich und zum anderen wegen der sich daraus ergebenden konservativen Investitionsprofile.Die alte Lobby, z. B. in der Rüstungs-, Luft- und Raumfahrttechnik, in der Atomtechnologie, wird weiter bedient. Allein im Verteidigungshaushalt finden sich Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von fast 17 Milliarden DM, von denen über 70 % für militärische Beschaffungen ausgegeben werden sollen. Wehrtechnische Entwicklungen und Erprobung wird der Bund 1992 mit 1,1 Milliarden DM finanzieren, um laufende Entwicklungsverfahren mit hoher Priorität weiter zu führen, wie es im Einzelplan 14 heißt. Die Atomenergieforschung wird mit 586 Millionen DM gefördert. Für die Erforschung erneuerbarer Energien werden nur rund 323 Millionen DM bereitgestellt, also 30 Millionen DM weniger als 1991.Geld für politische Neuerungen ist nicht vorhanden, der alte Laden wird restauriert. Jede Mark, die nicht in die Verwirklichung ihrer Investitionspläne gesteckt werden würde, könnte man z. B. als Ausgabe für den Umweltschutz glatt zweifach verbuchen.Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Regierung konsolidieren nicht. Was Sie Bestandssicherung nennen, ist Demontage. Ihre Konsolidierungsstrategen sind soziale und ökologische Bankrotteure.
Der Bund trägt seine Schulden nicht ab, häuft aber gleichzeitig mittelfristig gigantische Schuldenberge auf. Ob sich der Bund — je nach Rechenmodell und politischer Rechenkunst verschieden — 1992 um 135,
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Dr. Dietmar Kellerum 171 oder um 200 Milliarden DM verschulden wird, ist mittlerweile fast egal. Bezahlen müssen die gestiegenen und noch steigenden Zins- und Tilgungslasten sowieso die Steuerzahler.
Wenn die Bundesregierung den warnenden Stimmen der in Kritik an der wachsenden Staatsverschuldung zumindest vereinten Opposition schon kein Gehör leiht, sie vielmehr mit selbstzufriedenem Lächeln quittiert, vielleicht geht sie dann wenigstens auf die Warnung des Präsidenten der Landeszentralbank von Bayern ein, der für 1992 in den Schattenhaushalten Gesamtschulden — ohne Bahn und Post — in Höhe von 335 Milliarden DM erwartet. Betrug 1980 der Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes nur rund 6,5 %, so rechnet die Bundesregierung bis zum Jahre 1995 mit einer Verdoppelung dieser Zinsquote. Die Zinsausgaben werden von 34,2 Milliarden DM in 1990 auf fast 60 Milliarden DM in 1995 steigen.Der nicht nur von uns mit Nachdruck geforderte ökonomische und ökologische Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wird immer wieder mit dem Hinweis auf die dringende finanzpolitische Konsolidierung abgelehnt. Aber niemand kann gleichzeitig Haushaltssanierungen im konservativ-liberalen Sinne und eine wirkliche Lösung der Probleme betreiben.Niemand bildet sich ein, daß über den Bundeshaushalt der Berg sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Probleme vollständig beseitigt werden könnte. Es liegt mir fern, die Ursachen für die krisenhaften Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ausschließlich im Versagen der Bundesregierung oder gar einzelner Landesregierungen zu sehen.
Ich bin aber auch nicht gewillt, diese Gesellschaftsordnung nach dem Motto heiligzusprechen: Die Verhältnisse sind goldrichtig, also sind auch ihre Politiker goldrichtig.Dieses System funktioniert unabhängig von der jeweiligen Regierungsvariante so, daß Arbeitslosigkeit entweder zunimmt oder auf einem hohen Sockel erhalten bleibt. Für 1992 sind über 4 Millionen Arbeitslose und Kurzarbeitende zu erwarten. Ohne die von der Bundesregierung als Sündenfall begriffenen staatlichen Eingriffe in den Arbeitsmarkt, z. B. ohne Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Beschäftigungsgesellschaften, würde diese Zahl bei weit über 5 Millionen liegen.Ich kritisiere den angekündigten, jedoch unterbliebenen Subventionsabbau, weil ich zum einen die bisherige Praxis der Subventionsgewährung bemängele und zum anderen daran erinnern möchte, daß gerade Verfechter einer möglichst staatsfreien Wirtschaft den Anteil staatlicher Subventionen und Finanzhilfen erhöhen.In Ihren Sonntagsreden singen Sie das Hohelied der schöpferischen Privatinitiative, aber in der grauen alltäglichen Praxis helfen Sie Ihren Freunden aus Industrie und Wirtschaft, mit Geld aus dem Staatshaushalt die Kassen zu füllen. Ist es denn Zufall oder Logik, daß Daimler-Benz nicht nur 70 % der von 1988 bis 1990 für Luftfahrt, Werften und Stahl gewährten staatlichen Subventionen kassiert haben soll, sondern 1990 mit 400 000 DM auch zu den Top-Ten der CSU-Geldgeber gehörte? Ich glaube, es ist kein Zufall.
Die 97 in der Vermögensteuerstatistik ausgewiesenen größten Kapitalgesellschaften werden durchschnittlich um 2,9 Millionen DM entlastet. Von den in dieser Statistik ausgewiesenen rund 139 000 natürlichen Personen und rund 67 000 juristischen Personen, die auf Betriebsvermögen Vermögensteuer zahlen, fällt zwar durch das Steueränderungsgesetz 1992 bei fast 50 % der Steuerpflichtigen das Betriebsvermögen aus der Steuerpflicht — die Entlastung beträgt 100 % gegenüber nur 33,3 % bei Kapitalgesellschaften mit einem Gesamtvermögen bis zu 500 Millionen DM und mehr —; aber die rund 33 000 Steuerpflichtigen, die auf Grund der Anhebung des Freibetrags aus der Steuerpflicht herausfallen, werden im Durchschnitt nur um 485 DM entlastet.Kosmetische Operationen verdecken, mit welcher sozialen Kälte diese Bundesregierung agiert. Wenn ich an dieser Stelle das abgegriffene Wort vom Haushaltsplan als dem „Schicksalsbuch der Nation" noch einmal benutze, dann nur, weil ich an einem Beispiel zeigen möchte, in welcher Weise dieser Bundeshaushalt das Schicksal vieler Menschen negativ bestimmt.Die Bundesregierung kürzt im Einzelplan 11 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — die Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den alten Ländern um 560 Millionen DM und begründet diesen Schritt damit, daß sich ohne diese Kürzung die Notwendigkeit ergäbe, im Haushalt einen Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 560 Millionen DM auszubringen, und hierfür bei Begrenzung der Nettokreditaufnahme auf 50 Milliarden DM kein finanzieller Spielraum vorhanden sei. Offenbar war und ist der finanzielle Spielraum aber groß genug, um nicht nur Etatkosmetik betreiben zu können, sondern auch um Spitzenverdienern das sogenannte Dienstmädchenprivileg zu erhalten. Ist es denn mehr als nur ein Zufall, daß der Bund die Beibehaltung dieses Dienstmädchenprivilegs mit dem Verzicht auf jene 560 Millionen DM finanziert, die er an anderer Stelle einspart?Die Bundesregierung wird nicht müde, den Kreditbedarf und den Anstieg des Schuldenbergs des öffentlichen Sektors, der Ende 1990 bei 1,3 Billionen DM lag, auf die mit dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik verbundenen finanziellen Folgelasten zurückzuführen. Von 1982 bis 1989 wiederholte sie gebetsmühlenartig, der Bund müsse sich verschulden, weil ihm von der sozialliberalen Koalition eine „Erblast" hinterlassen worden sei. Immer wieder bis in die heutigen Tage wurde und wird diese Platte gespielt. Ich frage mich nur: Warum waren Sie so scharf darauf, ein Erbe anzutreten, das angeblich mit so vielen Lasten verbunden war?
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5290 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Dr. Dietmar KellerSeit Sommer 1990 wird die Neuverschuldung mit den Folgekosten der deutschen Einheit begründet. Aus der sozial-liberalen ist jetzt eine sozialistische „Erblast" geworden. Die Bundesregierung — an ihrer Spitze der Finanzminister — sieht sich offenbar als Opfer der Fehler und des Versagens der anderen. Daß sich die ostdeutsche Wirtschaft vom Anschluß an die Bundesrepublik noch immer nicht erholt hat, schreibt die Bundesregierung auch nicht ihrer Politik zu, die sie selber gegen den Widerstand und gegen die Kritik von Vertretern ihrer ordnungspolitischen Konzeption durchgesetzt hat. Den Vorwurf, sie betreibe in bezug auf die ostdeutschen Länder eine „Mezzogiorno-Politik", haben der Bundesregierung nicht nur Vertreter meiner Partei gemacht. Er findet sich auch in einem Kommentar in der „Wirtschaftswoche". Dort heißt es:Politiker der Koalition pflegen den Zusammenbruch der Wirtschaft im Osten damit zu begründen, daß hier die Hinterlassenschaft des Sozialismus zutage trete. Richtig daran ist, daß die geringe Produktion in der alten DDR die Schuld der Planwirtschaft war. Daß dieses Niveau aber nach der Wiedervereinigung nicht gestiegen, sondern wie ein Stein gefallen ist — das kann man Honekker und Co. nicht mehr anlasten.Der Bundesfinanzminister hat am Dienstag in seiner Rede ausgeführt — ich zitiere — :Der Entschädigungsfonds wird den Bundeshaushalt in der Endabrechnung nicht belasten. Was an Liquiditätshilfen in den ersten Jahren notwendig ist, fließt später aus der Vermögensabgabe wieder zurück.Ich halte das nicht für seriös. Es wird so getan, als wäre die Vermögensabgabe bereits beschlossene Sache. Dem ist aber nicht so. Tatsache ist doch, daß bisher kein Entschädigungs- bzw. Ausgleichsgesetz gemäß dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts entsprechend Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes — der Gleichheit vor dem Gesetz — dem Bundestag seitens der Bundesregierung vorgelegt wurde.Es geistern lediglich verschiedene Versionen angeblicher Papiere des Bundesfinanzministeriums in der Presse herum. Danach soll der Entschädigungsfonds, der übrigens im Einzelplan 60 für 1992 mit 100 Millionen DM veranschlagt ist, vor allem aus Privatisierungserlösen der Treuhandanstalt, ferner aus Krediten, die der Bund aufnimmt und die am Ende von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern insgesamt zurückgezahlt werden müssen, sowie aus einer Vermögensabgabe, die u. a. auch Bürger und Bürgerinnen der früheren DDR aufbringen sollen, die nach dem 6. Oktober 1949 und vor dem 3. Oktober 1990 Grundstücke und Immobilien erworben haben, gespeist werden.Im Gespräch ist, daß diese Grundstücke mit Stichtag 1. Januar 1991 zum Verkehrswert bewertet werden und daß davon 15 % als Vermögensabgabe entrichtet werden sollen. Da der Verkehrswert beträchtlich über den in der DDR üblichen Grundstückswerten liegt, ist nicht ausgeschlossen, daß die Abgabe höher sein kann als die ursprüngliche Kaufsumme.Ich halte dieses Vorhaben, sollte es stimmen, für einen politischen Skandal, und zwar zum einen, weil hauptsächlich die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR die Entschädigung Enteigneter finanzieren sollen, und zum anderen, weil gerade die Menschen in der DDR in viel geringerem Maße als in den alten Bundesländern Privatvermögen akkumulieren konnten. Gerade letzteres wird seitens der Bundesregierung immer wieder beklagt, und Tatsache ist, daß dieser Nachteil viel länger existent sein wird als die gegenwärtig bestehenden Einkommensunterschiede zwischen Ost und West.Die Vertretung der Interessen der ostdeutschen Menschen verbietet es, einer solchen Vermögensabgabe zuzustimmen, falls ein solcher Gesetzentwurf tatsächlich vorgelegt werden sollte. Zugleich gebietet sie, einem Entschädigungsfonds in Höhe von 100 Millionen DM wegen fehlender gesetzlicher Basis die Zustimmung zu verweigern.Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hält stur an der alten Entwicklungsrichtung fest. Sie beschneidet gerade dort notwendige Handlungsspielräume, wo ein Kurswechsel dringend erforderlich wäre: in der Arbeitsmarktpolitik, beim sozialen Wohnungsbau, bei der Förderung einer alternativen umweltfreundlichen Energieversorgung und bei der Bewältigung der Umweltzerstörung.Gleichzeitig fließen Millionen, ja Milliarden in unsinnige Großforschungsprojekte, in die Rüstung, in die Zerschlagung der ostdeutschen Industrielandschaft, in die Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen, in immer mehr Asphalt und Beton. Die ostdeutschen Länder sind durch die Anschlußpolitik der Bundesregierung zu einer Krisenregion geworden.
Bundesregierung und Koalition geben mit ihrer Politik den Krisenursachen neue Nahrung.
— Machen Sie sich nichts draus! Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen nicht sympathisch ist, wenn Sie sich das anhören müssen.
Der Haushalt 1992 schreibt negative Entwicklungen fest: Die Plünderung und Vernichtung ökologischer Ressourcen geht ungebremst weiter; soziale Verelendung und kulturelle Verödung dieses Landes werden fortgesetzt. Dieser Politik kann man nicht zustimmen.
Herr Kollege Hans Peter Schmitz, Sie haben das Wort.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5291
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß schon einen Augenblick innehalten, wenn man einen Vertreter der Nachfolgepartei der SED hier so reden hört,
wenn man jemanden so reden hört, der führend in der SED tätig gewesen ist
und sich an der Ausplünderung eines ganzen Landes beteiligt hat; denn 40 Jahre lang ist dieses Land ausgeplündert worden.
Wenn jemand den traurigen Mut hat, Herr Kollege, so zu reden, wie Sie es getan haben, ohne das zu erwähnen, woran Sie sich beteiligt haben — und das, ohne rot zu werden; davon will ich gar nicht reden —, dann muß man schon innehalten, um das auf sich wirken zu lassen. Ich hoffe, daß die Menschen draußen verstehen, welch traurigen Mut Sie besitzen, mit den Vokabeln, die Sie gebraucht haben, hier zu reden.
Weiter will ich darauf nicht eingehen. Mit dem, was Sie gesagt haben, richten Sie sich selbst. Wir sollten das, meine ich, politisch erledigen.
Mit dem heute zu verabschiedenden Haushaltsentwurf setzt die Koalition den Weg, den wir seit der Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahre 1982 eingeschlagen haben, konsequent fort. Der Haushaltsentwurf 1992 ist ein klarer Beleg dafür, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auch in Zeiten, da uns durch die deutsche Einheit große nationale und internationale Aufgaben erwachsen, den Kurs der soliden Finanzpolitik nicht verlassen werden.Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen. Da wird z. B. immer das Stichwort Nettokreditaufnahme des Bundes genannt. Als der Bundesfinanzminister in den ersten Haushaltsentwurf des laufenden Jahres 1991, des ersten Jahres also der deutschen Einheit, 70 Milliarden DM Neuverschuldung einstellen mußte — zwischenzeitlich ist das Ergebnis wesentlich niedriger, wie wir wissen —, da waren wir es, die Koalitionsfraktionen, die darauf hingewiesen haben, daß diese Höhe ein einmaliger Vorgang bleiben müsse. Diese hohe Neuverschuldung war nur durch die von uns allen doch begrüßte Wiedervereinigung Deutschlands, die eine Ausnahmesituation darstellte, zu rechtfertigen.Wir haben uns in der damaligen Debatte dafür verbürgt, daß die Höhe der Nettokreditaufnahme Schritt für Schritt zurückgefahren wird. Heute liegt uns ein Haushaltsentwurf vor, der für das zweite Jahr der deutschen Einheit eine erheblich geringere Neuverschuldung ausweist, nämlich knapp 46 Milliarden DM. Das ist immer noch zu hoch, und wir sagen das auch. Der Bundesminister der Finanzen ist deshalb in seiner Absicht zu bestärken, die Nettokreditaufnahme, wie in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen, weiter herunterzufahren. Wir bestärken Sie in dieser Absicht, Herr Bundesfinanzminister.
Es ist das gute Recht der Opposition, zu kritisieren. Aber es muß erlaubt sein, die Höhe der Neuverschuldung in das richtige Licht zu rücken. 1981, als die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung innehatten, betrug das Bruttosozialprodukt 1,5 Billionen DM.
— Herr Kollege, um so wichtiger ist es, daß Sie sich das merken.
Die Nettokreditaufnahme lag bei 38 Milliarden DM.
Wenn wir heute bei einem knapp doppelt so großen Bruttosozialprodukt mit einer Neuverschuldung von 46 Milliarden DM arbeiten
— sehr verehrte Frau Kollegin Fuchs, hören Sie zu —, geht die gesamte Kritik der SPD, scheint mir, ins Leere. Das muß man jedenfalls sagen, wenn man Sie an Ihrem eigenen Verhalten mißt.
Die Art und Weise und die Zusammensetzung der Finanzierung, das ist die eine Seite der Haushaltspolitik. Die andere Seite — das ist in der Debatte schon angesprochen worden — sind die Ausgaben. Es ist richtig, wenn gesagt wird — das ist allerdings eine Platitüde — , das Geld müsse intelligent ausgegeben werden.
Intelligentes Geldausgeben heißt nicht zuletzt — ich denke, da sind wir uns einig — , Investitionen zu tätigen und dafür zu sorgen, daß die Wirtschaft in Fahrt bleibt. Damit werden gleichermaßen die Leistungsfähigkeit und der Verteilungsspielraum des Staates gesichert und die private Investitionstätigkeit belebt. Herzstück einer Haushaltspolitik muß es sein, in die Zukunft gerichtete Investitionen zu gewährleisten. Das ist entscheidend!
Auch hier hat die Koalition Wort gehalten. Einmal mehr liegen die investiven Ausgaben des Bundes bei mehr als 65 Milliarden DM.
Sie übertreffen damit — das ist ein Vergleich, den Siesich merken müssen — um rund 20 Milliarden DM die
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Hans Peter Schmitz
Nettokreditaufnahme. Was das volkswirtschaftlich heißt, können Sie beurteilen; ich hoffe es jedenfalls.Auch hier, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, möchte ich Ihnen einen Zahlenvergleich nicht vorenthalten: Im Jahre 1981 lagen die Investitionen bei 30 Milliarden DM, die Nettoneuverschuldung lag dagegen bei 38 Milliarden DM. Das heißt, wenn Sie die Gesamtrechnung einmal richtig und vernünftig prüfen, ergibt sich, daß Sie mehr in den Konsum gesteckt haben. Wir machen das genau umgekehrt. Unsere Ausgaben sind solide.
Nur beispielhaft greife ich einige Punkte heraus: 2,4 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr, 8,1 Milliarden DM für Bundesfernstraßen, 8,3 Milliarden DM für Bundes- und Reichsbahn, 9 Milliarden DM allein für das erfolgreiche Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Ich könnte die Reihe fortsetzen.Meine Damen und Herren, was mir aufgefallen ist: Sie kritisieren diese ganze Art der Entwicklung und der Finanzierung, sagen aber zu keinem Zeitpunkt, wo Sie etwas ändern wollen.
Wenn Sie etwas ändern wollen,
— liebe Frau Fuchs, ich komme noch gleich zu Ihnen — , dann müssen Sie sagen, wo. Wenn ich all diese Maßnahmen, die ich hier eben aufgezeigt habe, einmal Revue passieren lasse, haben Sie dazu keine Alternative.
— Ach, wissen Sie, Herr Kollege, wenn ich die Frau Kollegin Matthäus-Maier sehe,
hätte ich ja eigentlich erwartet, daß sie in ihrer Rede den Jäger 90 zitiert. Was würde Frau Matthäus-Maier ohne den Jäger 90 in einer Haushaltsdebatte machen? Gar nichts!
— Ach so, das hat der Kollege Jungmann gemacht. Das Wechselspiel ist okay, in Ordnung!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau MatthäusMaier?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Wenn Ihnen, wenn Sie mich anschauen, der Jäger 90 einfällt, dann freue ich mich. Ich hoffe nur, daß Sie spätestens im nächsten Jahr endgültig bereit sind, den Jäger 90 einzustellen. Aber wenn der Ihnen nicht gefällt — —
Frau Kollegin, bitte eine Frage.
Können Sie denn dem Hohen Hause erklären, warum Sie allein im nächsten Jahr 1,9 Milliarden DM zur Beschaffung von Munition für die Bundeswehr ausgeben, und können Sie nicht sagen, daß Sie das zumindest halbieren oder noch weiter herunterfahren könnten?
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich möchte es natürlich weit von mir weisen, daß mir dann, wenn ich Sie sehe, der Jäger 90 einfällt. Das wäre ein unzulässiger Vergleich. Das würde ich nicht so sehen wollen.
— Nein, das ist völlig klar; das möchte ich nicht so sehen. Nur darf ich Ihnen eines sagen: Sie haben den Jäger 90 schon so oft verplant, sei es im Wohnungsbau, sei es in irgendwelchen anderen Maßnahmen, die Sie nun halt finanzieren wollen — ich habe ja volles Verständnis dafür — , daß wir zwar noch keinen einzigen beschafft haben, Sie aber alles bereits verplant haben. Das halte ich in dieser Frage jedoch für absolut unzulässig.
Ich wollte Sie nur daran erinnern; irgendwann müssen Sie damit aufhören, die Platte reicht nicht mehr.
— Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfrage mehr zulassen.
Der Abgeordnete möchte keine Frage mehr zulassen.
Meine Damen und Herren, wir setzen unsere Politik auch im Hinblick darauf fort, daß wir in der Sozialpolitik eindeutig die richtigen Akzente setzen,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5293
Hans Peter Schmitz Baesweilerwenn es darum geht, Maßnahmen zu ergreifen, damit wir für eine vorübergehende Zeit auch die Menschen in den neuen Bundesländern beschäftigen können. Insofern ist das zwar konsumtiv, aber gut angelegtes Geld, meine Damen und Herren, weil wir sie nicht ins Bodenlose fallen lassen wollen. Das ist praktizierte Sozialpolitik! Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat immerhin einen Haushalt in der Größenordnung von 91,3 Milliarden DM.Lassen sich mich ein weiteres Wort zu Ihnen sagen. Der Kollege Klose kann wahrscheinlich nicht hier sein. Ich habe im Protokoll nachgelesen, daß er gesagt hat, die Bundesregierung habe bei der Wiedervereinigung daran gedacht, wie sich 17 Millionen Menschen in ein gut funktionierendes System von sich drehenden Rädchen einordnen lassen. Sehr geehrter Herr Oppositionsführer, sehr geehrter Herr Klose! Bitte übermitteln Sie ihm, er möge dieses Wort zurücknehmen. Dies ist ein böses Wort, das auf eine Geisteshaltung schließen läßt, die ich ihm nicht unterstelle. Er möge seinen Text bitte noch einmal nachlesen. Ich halte das nicht für gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, der Westen der Bundesrepublik Deutschland profitiert auch vom Aufschwung im Osten. Hier ist in der Tat die Bitte an die alten Bundesländer zu richten, die einigungsbedingten Steuermehreinnahmen miteinzusetzen für das, was wir drüben in den neuen Bundesländern dringend brauchen, und sich hier nicht zu sperren, auch wenn es um die Strukturhilfemittel geht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen auch sagen, daß wir alle unter diesen Voraussetzungen wissen: Je stärker wir uns um den raschen Aufbau in den neuen Bundesländern bemühen, desto schneller tragen wir auch zur Wirtschaftskraft und zur Leistungsfähigkeit des Gesamtstaates bei. Wir alle wissen, mit welcher Energie, mit welchem Fleiß die Bürger hier wie auch drüben und wie auch die Landesregierungen in den neuen Bundesländern sich bemühen, diese Aufbauarbeit zu leisten. Das geht eigentlich nur durch gemeinsames Handeln. Wir wissen, daß unsere Spielräume eng sind. Für überzogene Forderungen gibt es auch in den nächsten Jahren keinen Raum.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt deswegen den Bundesfinanzminister in seinen Bemühungen um eine sparsame Haushaltsführung. Wir halten das für wichtig. Eine solide Haushaltspolitik ist die Voraussetzung dafür, daß dies eine erfolgreiche Politik wird — zum Wohle unserer Mitbürger. Wer spart und wer solide Finanzen hat, der hat auch das Vertrauen in die Zukunft. Wir stimmen dem Haushalt zu.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine spannende Haushaltswoche hinter uns, spannende Debatten. Es sind fast alle Problemfelder behandelt worden. Leider hat sich das auf die Aufmerksamkeit und die Atmosphäre im Plenum nicht nachhaltig ausgewirkt. Ich habe manchmal den Eindruck, einige von Ihnen sind nur zum Zeitungslesen oder zum Small talk hergekommen.
Ich sehe das — Herr Weng, auch wenn Sie das ärgert — durchaus im Zusammenhang mit der Diätenerhöhung. Auch wenn Sie sich darüber ärgern: Ich halte das nach wie vor für eine Wasserpredigt bundesdeutscher Weintrinker.
Die Diätenerhöhung ist zwar beschlossen worden, aber auf die Qualität der Arbeit hier im Plenum hat sich das nicht ausgewirkt.
Herr Kollege Schulz, Sie können selbstverständlich jeden Mißstand in diesem Hause kritisieren. Aber nehmen Sie bitte auch Rücksicht darauf, daß Ihre eigene Gruppe heute mit zwei Mitgliedern und manchmal auch mit niemandem vertreten ist.
Herr Präsident, das ist immerhin ein Viertel meiner Gruppe. Betrachten Sie bitte einmal die anderen Fraktionen, um das einzuschätzen. Aber ich nehme das durchaus auch selbstkritisch entgegen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Weng?
Gern.
Herr Kollege Schulz, folgen Sie mir nicht in der Auffassung, daß der Beruf eines Abgeordneten — man kann es beklagen, aber es ist nicht zu ändern, daß er zu einem Beruf geworden ist — eine angemessene Bezahlung im Vergleich zu anderen Berufsgruppen mit ähnlicher Belastung und Verantwortung erfordert, weil sonst auf Grund der wirtschaftlichen Situation Leistungsträger und Spitzenleute aus anderen Bereichen abgehalten werden?
Herr Weng, überhaupt keine Diskussion in diesem Punkt! Ich bin durchaus der Auffassung, daß ein Abgeordneter angemessen entlohnt werden muß, vor allen Dingen, um in gar keiner Weise der Korruption anheimzu-
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Werner Schulz
fallen. Ich denke schon, daß es sich um eine Berufsgruppe handelt, die entsprechend gut honoriert werden muß.Aber ich muß Sie auch darauf aufmerksam machen: Wir befinden uns in einer besonderen sozialpolitischen Situation in Deutschland. Sie werden mit Sicherheit einer der ersten sein, die aus dem Gutachten der Fünf Weisen zitieren und diejenigen Passagen vorlesen, in denen man sich an den Tarifabschlüssen stößt und dazu auffordert, die Tarifpartner mögen ihre „überhöhten" Lohnforderungen zurücknehmen. Das mag ja berechtigt sein; auch darüber kann man an anderer Stelle diskutieren.Ich will Ihnen ehrlich sagen: Wenn Politik ein Zeichen von Glaubwürdigkeit ausstrahlen will, dann sollte es an dieser Stelle geschehen. Hier hätte der Bundestag einen ganz deutlichen Impuls geben können. Das ist leider verpaßt worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Folgen Sie mir nicht in der Auffassung, Herr Kollege Schulz,
daß unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es im öffentlichen Dienst eine Erhöhung von 6 % gegeben hat, deren tatsächliche Auswirkung 7,5 % ausmacht, die Erhöhung der Abgeordnetendiäten um 4,8 To eine eher vorsichtige Erhöhung ist?
Wir können hier jetzt natürlich eine Diätendebatte führen.
Ich weiß, daß es für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags mißlich ist, für sich selbst diese Regelung zu beschließen. Es ist sicherlich hinderlich, daß es in dieser Beziehung im Grunde genommen keinen Automatismus gibt. Da stimme ich Ihnen zu.Aber ich muß ehrlich sagen: Wir stehen hier unter einem moralischen Druck. Ich glaube, wir hätten ein deutliches moralisches Zeichen setzen sollen. Das meine ich, und das vertrete ich in meiner Position als ostdeutscher Abgeordneter. Ich glaube, wir sind sehr gut bezahlt und hätten hier die Formel, daß Teilung durch Teilen überwunden wird, glaubhaft bestätigen können.
Ich will bloß sagen, daß ich von diesem Parlament enttäuscht bin; lassen Sie mich dieses Resümee ziehen.
Ich bin ein Jahr hier, und ich habe vorher die Volkskammer erlebt. Das ist ein lebendiges Parlament gewesen.
— Nein, nein, das Czerni-Syndrom haben Sie ja wahrscheinlich selbst und müssen es austragen.Herr Waigel — er ist jetzt leider nicht da — hat die Abgeordneten der Volkskammer mit einer dilettantischen Schauspielerschar verglichen; er versteht ein bißchen von Schauspielkunst. Aber das ist nicht der Fall gewesen.
Ich vermisse hier die Suche nach Konsens. Herr Schäuble hat davon gesprochen, daß das eigentlich Ihr Anliegen sei. Aber wenn man das dann praktisch prüft und wenn man sieht, daß wir hier in einigen Sachfragen sehr komfortable Mehrheitsverhältnisse haben könnten und daß wir Sachfragen progressiv lösen könnten, gäbe es den Fraktionszwang nicht, der daran hindert und dem im Wege steht,
dann stellt man fest, daß dieses Parlament in einer Situation ist, in der es selbstkritisch über sich nachdenken sollte. Meine Damen und Herren, wechselnde Mehrheitsverhältnisse sind nicht der Tod der Koalition, sondern eher ein Sieg der Vernunft
und Zeichen für eine wirklich belebte Politik.
Ich will noch auf eine andere Komponente zu sprechen kommen, die mir aufgefallen ist. Am Anfang der Haushaltswoche sind Herr Vogel, Herr Dregger und die anderen Abgeordneten, die ihre Funktionen gewechselt haben, mit warmen Worten und herzlichem Dank verabschiedet worden. Ich kann das nur zum Teil beurteilen; das mag in dem einen oder anderen Fall vollkommen berechtigt sein und stimmen. Ich meine allerdings, daß Sie einen Dank vergessen haben. Das ist mir vor allen Dingen beim Disput zwischen der SPD und der CDU darüber, wer denn die besseren Ökologen seien, aufgefallen. Sie haben den Dank an die GRÜNEN vergessen, die aus diesem Parlament ausgeschieden sind. Sie haben in den letzten beiden Legislaturperioden mit ihren parlamentarischen Initiativen vielleicht nicht allzuviel erreicht. Aber wenn ich mir jetzt die Programmatik der Parteien anschaue, dann muß ich feststellen, daß die Denkanstöße der GRÜNEN wie ein Schimmelrasen in den Parteien aufgegangen sind, wobei ich allerdings glaube, das Original ist allemal besser als die Kopie. Bevor Sie sich um den Nachlaß streiten, muß ich Ihnen sagen, daß wir, die GRÜNEN und das Bündnis 90, in der nächsten Legislaturperiode wieder hier sein werden, auch wenn Ihnen das mißfällt und Sie vielleicht meinen, daß wir hier nur so etwas wie politisches Asyl
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genießen und daß unsere Abschiebefrist bis 1994 läuft. Sie werden sich darin täuschen!
Denn ich glaube, wenn die GRÜNEN und wir nicht da sind, dann ist der Platz der Ökologie, der Platz der Bürger- und Menschenrechte und der Platz der direkten Demokratie nicht besetzt.
— Auch Sie haben doch Selbstbewußtsein. Ich glaube, es ist hier an dieser Stelle einmal angezeigt, auch Selbstbewußtsein zu demonstrieren.
— Ich kann das ja präzisieren, Frau Matthäus-Maier. Ich will auf die Kluft zwischen Wort und Tat hinweisen.
Herr Schäuble hat in seiner Antrittsrede die ökologischen Vorstellungen der Union deutlich gemacht. Aber schauen Sie, welche Diskrepanz zwischen den Worten und der praktischen Politik besteht! Sehen Sie sich die Not an, in die diese Bundesregierung schon im nächsten Jahr auf der Klimakonferenz in Rio de Janeiro geraten wird, wenn sie nachweisen muß, was sie zur Reduzierung des CO2 denn wirklich getan hat, außer Sprechblasen von sich zu geben.
Das wird sich deutlich zeigen.Auch Sie von der SPD applaudieren mir jetzt. Es ist zwar wirklich angenehm für jeden Redner, wenn er Beifall bekommt;
ich will jedoch auch zur SPD in diesem Zusammenhang etwas sagen. Ich bezweifle nicht das ökologische Engagement von Herrn Klose.
Soweit ich es beurteilen kann — ich habe diese Zeit ja nur hinter der Mauer bewußt miterlebt —, hat er persönlich dies unter Beweis gestellt; das ist für mich keine Frage. Aber bei Ihrer Partei habe ich da so meine Zweifel. Das wird sich, glaube ich, heute auch zeigen, wenn der Bundesrat über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz beschließen muß.Da werden wir sehen, ob sich Herr Krause mit seiner Versiegelung von Naturflächen durchsetzen wird.
— Ach ja? Sie sind wahrscheinlich auch so ein Fortschrittsgläubiger wie Herr Waigel, dessen Fortschrittsbild immer noch dem rasanten Tempo eines überschleunigten BMW entspricht.
— Ach ja?Ich will noch auf einen anderen Aspekt eingehen, der sich fast wie ein Grauschleier durch diese Haushaltswoche gezogen hat. Auf der einen Seite war da die Opposition. Das sind die Miesmacher, die Schwarzseher,
die Katastrophenszenaristen, die Worst-case-Philosophen und dergleichen.
— Sie sind also der Meinung, daß das so stimmt. Wissen Sie, Kassandra hat es sicher immer etwas schwer, sich in der Gesellschaft zu behaupten. Das ist uns schon klar.
— Herr Kriedner, Sie verstehen und kennen uns wahrscheinlich viel zu wenig. Der grüne Impuls und der Impuls der Bürgerbewegung ist ein Hoffnungsimpuls.
Ohne diesen Hoffnungsimpuls hätten Menschen überhaupt nicht den Mut geschöpft, dieses totalitäre Regime zu kippen. Wenn wir gewartet hätten,
bis die kleinen Genossen, die Sie in Ihre Partei aufgenommen haben, die eher durch Subordination und Unterwerfung geglänzt haben,
etwas getan hätten, dann würden wir noch heute auf die deutsche Einheit warten, und Sie hätten die Erfüllung der Aufgabe,
die offensichtlich bereits im Grundsatzprogramm der CDU festgeschrieben war, nämlich die Realisierung der deutschen Einheit im Jahre 1990, wahrscheinlich verpaßt.
Auf der anderen Seite betrachtet man sich selber immer als den Hoffnungsträger. Ich denke dabei an
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die Regierungskoalition, die glaubt, daß sie den Menschen Mut macht und Zuversicht gibt. Herr Waigel hat Popper zitiert. Man könnte noch viele andere zitieren. Das Prinzip Hoffnung stimmt ja. Dagegen haben wir nichts. Wir haben aber etwas gegen das verantwortungslose Spiel auf der Hoffnungstastatur. Wir haben etwas gegen den Zweckoptimismus aus Machterhalt, der immer wieder verbreitet wird.
— Nein, der macht auf Dauer die Demokratie kaputt, Herr Kriedner.
Das wiegt die Menschen zwar in Sicherheit, lähmt aber ihre Kräfte.
— Aber natürlich, das lähmt Energien. Sie rufen den Ostdeutschen immer zu: Ärmel hochkrempeln. Gukken Sie doch bitte nach Hennigsdorf. Dort haben die Leute die Ärmel bis zum Hemdkragen hochgekrempelt
und ersticken fast daran. Sie können diese Energie gar nicht umsetzen. So einfach ist das doch gar nicht.Ich muß Sie an Ihre eigene Religion erinnern, weil ich aus der christlichen Friedensbewegung komme. Schauen Sie doch bitte auf die Apokalypse. Schauen Sie sich auch einmal eine moderne Übersetzung der Johannesoffenbarung an. Im Grunde genommen macht die Warnung die Menschen aktiv und zeigt ihnen den Weg zur Umkehr; sie setzt Energien frei, so daß man Gefahren und Risiken besser erkennt und entsprechend handelt.Es gibt noch ein Klischee, das sich durch die Haushaltsdebatte gezogen hat und das wir jetzt wirklich endgültig ad acta legen könnten und sollten — ich kann es nicht mehr hören — : Da sind die einen, die die deutsche Einheit gewollt, und die anderen, die sich dagegengestellt haben.
— Nein, das ist so falsch wie nur was! Niemand hat sich im Herbst 1989 und im Jahr 1990 gegen die deutsche Einheit ausgesprochen.
Schauen Sie sich die Programme aller hier im Bundestag vertretenen Parteien, einschließlich der PDS, an. Selbst der PDS tun Sie da Unrecht, wobei es dahingestellt sei, wie ehrlich es bei ihr gemeint war. Niemand hat sich in seinem Programm gegen die deutsche Einheit ausgesprochen.
Wir waren uns bloß über den Weg und den Zeitverlauf uneinig.Schauen Sie einmal zurück: Die Hauptgründe und die Rahmenbedingungen, die Sie als Begründung dafür angesetzt haben, warum diese Vereinigung so schnell vollzogen werden muß, die sind doch überhaupt nicht aufgegangen. Der Zustrom von Ost nach West wird jetzt Binnenwanderung genannt und existiert somit nach wie vor. Die „einmalige" weltpolitische Gunst der Stunde, diese außenpolitische Situation, für die sich der Kanzler heute noch auf die Schultern klopft, ist so auch nicht gegeben gewesen.
— Nein. Schauen Sie sich das klägliche Scheitern der Janajew-Clique doch an. Das hat doch deutlich gemacht, daß die Zeit dafür reif war und daß die künstliche Teilung historisch überholt war.
Der momentane Zerfall der Sowjetunion zeigt auch, daß man dort nicht allzuviel Gegenkraft hätte entwikkeln können.Wir waren sehr wohl für einen konstitutionellen Weg zur deutschen Vereinigung, und ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß er der bessere gewesen wäre, weil er allemal mehr über die demokratische Reife der Deutschen gesagt hätte als jede politische Beteuerung von Ihnen hier.
— Die haben Sie natürlich kräftig in die Irre geführt, das stimmt.
— Nein, ein verantwortlicher Politiker hätte sich damals hinstellen müssen, meine Damen und Herren von der CDU, und hätte deutlich machen müssen, auf welche großen Problemberge wir zulaufen.Ich verkenne überhaupt nicht, daß das in den Reden mit eine Rolle gespielt hat. Aber das ist schon geschickt genutzt worden. Ich habe mir diese Reden auf den Marktplätzen sehr bewußt angehört. Das ist wie beim Märchenerzählen abgelaufen.
— Hauptsache Sie haben verstanden, was sie da gemacht haben!
— Womöglich haben Sie eine enorme Menschenkenntnis und kommen offenbar jetzt den Menschen entgegen.
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Sie haben die staatliche Einheit von oben vollzogen. Nichts anderes haben Sie gemacht,
und zwar durch die Arbeitsgruppe Krause/Schäuble. Noch nicht einmal das Parlament war beteiligt, wenn Sie mal von dem Ausschuß Deutsche Einheit absehen, der da mehr eine kosmetische Funktion hatte.
— Ja, die D-Mark haben Sie in Ost und West gewählt.
Ich will Ihnen auch sagen, warum wir diesen Haushalt ablehnen; denn das ist ja eigentlich das Thema.
— Ihre Zwischenrufe sind ja darauf angelegt, sich mit mir anzulegen. Beim nächsten Mal werden wir in einer Fraktionsstärke hier sein, Herr Borchert.
Dann kriegen Sie Ihr billiges Argument, daß acht Abgeordnete nicht gleichzeitig in 24 Ausschüssen sein können, nicht mehr unter. Das ist so billig. Hören Sie auf damit. Offenbar lernt man die Taschenspielertricks, wie man den Redner aus seinem Konzept bringt, auf diesen Bonner Rednerschulen.
Aber das nur nebenbei.Wir lehnen diesen Haushalt ab, weil er unsolide finanziert ist. Das sagt übrigens selbst die FDP, die da gleichzeitig Regierungs- und Oppositionsfunktionen wahrnimmt. Vielleicht bereitet Graf Lambsdorff damit auch nur die neue Wende vor. Ich weiß das nicht so genau.
Wir lehnen diesen Haushalt ab, weil dort die wirkliche Kraft zum Subventionsabbau zu vermissen ist und im Grunde genommen nicht stattgefunden hat. Statt dessen ist man den leichteren Weg der Steuererhöhung, der Abgabenerhöhung und der Verschuldung gegangen. Das Prinzip, Subventionen im Westen zu jäten, um sie im Osten zu säen, ist nicht eingehalten worden. Denn hier hätten wir eine große Aufgabe, nämlich die Sanierung der jetzt noch wettbewerbsfähigen Betriebe über die Treuhand zu betreiben. Dafür bräuchten wir diese Subventionsmittel. Dafür müßte eine gezielte Industrie- und Regionalpolitik zum Wohle der Menschen unternommen werden.Denn jetzt geht es darum, die Einheit zu vollbringen. Jetzt ist der Lackmus-Test für den Kanzler, ob er Instinkt-Politiker ist, der nicht nur in der Lage war, den wehenden Mantel der Geschichte zu fassen oder den wurmstichigen Apfel aufzufangen, sondern in der Lage ist, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologische Einheit herzustellen.Ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Abgeordneten Johannes Nitsch das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich jetzt sicher eine Aufgabe, einige Dinge richtigzustellen, die soeben gesagt worden sind.
— Das wird mir nicht sehr schwerfallen.Ich möchte zu Anfang etwas dazu sagen, wir hätten die Wähler in die Irre geführt. Ich möchte daran erinnern, daß das gar nicht so war. Die Wähler, das Volk in der ehemaligen DDR, wußten sehr genau, wem sie die Stimme am 18. März 1990 gegeben haben.
Ich erinnere daran, daß vor dem SPD-Parteitag in Leipzig im Februar 1990 die SPD mit weit über 50 % in den Befragungen vorn lag. Nachdem auf diesem Parteitag in Leipzig die schnelle Herstellung der Einheit Deutschlands an die zweite Stelle gerückt war, waren innerhalb von zehn Tagen die Ergebnisse der Befragungen ganz anders.
Deshalb muß ich das ganz entschieden zurückweisen und richtigstellen: Es war keine Irreführung der Wähler,
sondern es war der Wunsch der Wähler, die Einheit Deutschlands wirklich so schnell zustande zu bringen, wie wir es getan haben.Ich bin im Prinzip mit vielen Kollegen vom Bündnis/ 90 innerlich sehr verbunden. Aber eines muß ich noch sagen; es tut mir leid: Zweckoptimismus halte ich noch immer für wesentlich besser als Zweckpessimismus.
Ich glaube, gerade in dieser Phase des schwierigen wirtschaftlichen Umbaus ist sehr viel Optimismus unter den Menschen in den neuen Bundesländern. Wie könnten wir sonst die Zahlen, die uns täglich vorgesetzt werden, für den kommenden Arbeitsplatzabbau ertragen? Mit welcher Ruhe vollzieht sich das in den
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Johannes Nitschneuen Bundesländern! Schauen Sie doch bitte, liebe Kollegen aus den alten Ländern, einmal in Ihre jüngste Vergangenheit! Was war denn in hier in NRW los, als in Rheinhausen 8 000 oder 12 000 Arbeitsplätze gefährdet waren? Da brannte das ganze Land. Die Regierung mußte sich mit auf die Rheinbrücken stellen und helfen.
— Das war nicht falsch.
Aber was passiert bei uns? Mit welcher Ruhe, mit welcher Gelassenheit und mit welcher Zuversicht nehmen die Menschen diese Zahlen entgegen!
Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! Das ist doch die Wahrheit!
Deswegen wäre es doch viel günstiger für Sie, wenn auch Sie sich auf diese Seite stellen würden, den Menschen helfen würden, Hoffnungen machten und uns das alles nicht immer alleine überbringen lassen würden.
Daß Sie den Haushalt ablehnen, ist doch nicht zu ertragen.Was soll denn geschehen, wenn nicht das, was hier geschieht? Was haben Sie denn für neue Vorschläge? Wo soll es denn langgehen?
— Aber das ist doch alles nicht machbar!
Ich kann es nicht ertragen, wenn hier Wählerbeschimpfung stattfindet und Pessimismus verbreitet werden soll. Das geht nicht!
Ich bin schon der Meinung, daß das, was unser neuer Fraktionsvorsitzender gestern gesagt hat, viel zuwenig geschieht und daß wir etwas tun sollten. Herr Schäuble sagte am Dienstag im Zusammenhang mit der Ausländerproblematik, daß man so handeln und sich so entscheiden muß, daß sich die Menschen, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in ihren Sorgen ernstgenommen fühlen und daß sie das Gefühl haben, daß die Politik sie noch versteht. Das ist schon anzumahnen. Dazu möchte ich einiges sagen, und zwar hinsichtlich des Bereiches, der im Moment sicherlich die größte Aufmerksamkeit verdient. Deshalb möchte ich diesen Ausspruch für mich in Anspruch nehmen und einiges zu den Problemen im Zusammenhang mit der Treuhandanstalt sagen.Es gibt hier schon Defizite; aber zunächst möchte ich folgendes feststellen: Die Treuhandanstalt hat einen klaren gesetzlichen Auftrag. An dem Gesetzestext an sich ist nichts zu ändern.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß die schwierige Arbeit der Treuhandanstalt auf eine neue oder zusätzliche gesetzliche Basis gestellt werden müßte.
Die Folgen davon wären: Zeitverzögerungen, Attentismus sowohl bei den Investoren als auch innerhalb der Treuhand selbst.Es kann aber nicht unser Ziel sein, daß sich dieser Prozeß weiter in die Länge zieht. Wir können nicht verantworten, daß die Menschen in den Betrieben auch nur einen Tag über Gebühr warten müssen, ob ihr Arbeitsplatz bleibt oder nicht bleibt.
— Nein!
—Warten Sie doch erst einmal ab, was ich Ihnen noch sagen werde!In einem guten Jahr Treuhandarbeit ist eine gewaltige Arbeit geleistet worden. Insbesondere möchte ich der Präsidentin Frau Breuel hier meinen Dank sagen, daß sie sich auf ihrem konsequenten Weg einer schnellen Privatisierung — dazu sage ich aber, er ist nicht schnell genug —, der entschlossenen Sanierung und der behutsamen Stillegung nicht hat beirren lassen.
Zur schnellen Privatisierung: Es gilt hier allgemein sicher der Grundsatz, daß dort, wo Käufer vorhanden sind, eine schnelle Privatisierung wichtiger ist als die Erzielung höherer Verkaufs- oder Privatisierungserlöse. Danach handelt man aber nicht in ausreichendem Maße. Zu viele willige Käufer warten über Gebühr lange auf Antwort oder auf den Vollzug.
Ich habe eine ganze Reihe von Vorgängen auf meinem Tisch, wo ich mir nicht erklären kann, warum das so lange dauern muß. Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen schlechter. Das ist ein Steuerungsproblem ersten Ranges. Die Treuhandanstalt hat hier die von ihr selbst gesetzte Priorität auch durchzusetzen.Zur Privatisierung gehören aber mindestens zwei: außer dem Unternehmen, um das es geht, auch ein oder mehrere Käufer. Nun findet sich nicht für jedes Unternehmen ein Interessent, auch wenn diese Unternehmen gute Wirtschaftskonzepte vorlegen und im Bereich der schwarzen Zahlen agieren.Für diese Unternehmen wurden bisher nicht schnell genug Entscheidungen getroffen, die z. B. die Überführung in Beteiligungsgesellschaften und damit die Loslösung von der Treuhand ermöglichen. Hier müs-
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Johannes Nitschsen insbesondere im Zusammenwirken mit den Ländern Übersichten geschaffen und politische Entscheidungen zu den die regionale Struktur bestimmenden Vorhaben getroffen werden.Die Festlegung dieser Unternehmen sollte noch in diesem Jahr stattfinden, und die Beteiligung könnte nach dem Modell des Sachsen-Fonds erfolgen. Wichtig ist, daß diese Unternehmen so schnell wie möglich in eigener Verantwortung agieren, ihre Geschäftstätigkeit entfalten und sich im Markt behaupten können.Zu dem zweiten Grundsatz, den sich die Treuhand gegeben hat, entschlossene Sanierung: Ein guter Teil der Entscheidungen der Treuhandanstalt hat sowohl in der betroffenen industriellen Branche als auch in der Region strukturelle Folgen. In den Grundsätzen vom 14. März dieses Jahres zur Zusammenarbeit zwischen der Treuhand, den Ländern und dem Bund ist festgehalten, daß die sozialverträgliche regionale Strukturpolitik durch die Treuhandanstalt als Dienstleister für die Länder durchzuführen ist. Ich habe jedoch große Mühe, zu erkennen, daß strukturpolitische Bemühungen der Länder im Zusammenwirken mit der Treuhand stattfinden. Regionale Wirtschaftsförderung und Gemeinschaftsaufgabe müssen hier viel stärker, als bisher geschehen, mit den Belangen der Treuhandentscheidungen abgestimmt und verklammert werden. Die politischen Entscheidungsträger der Regionen müssen Informationen und reale Einflußmöglichkeiten erhalten.Zielstellung dabei ist nicht, die Treuhandentscheidungen zu verändern, sondern sie vorher zu kennen und die Auswirkungen auf die Region abschätzen zu können. Eine Änderung sollte nur dann erwogen werden, wenn aus strukturpolitischen Gründen und wegen der finanziellen Möglichkeiten andere Entscheidungen beabsichtigt sind. Es liegt in der Verantwortung der Politik, diese so früh wie möglich in die Hand zu nehmen.
Herr Kollege Nitsch, Ihre Redezeit ist überschritten.
Am Ende meiner Redezeit — ich bin allerdings nicht sehr weit gekommen
— will ich mich der Disziplin hier unterwerfen.
Ich danke Ihnen.
— Ja, aber ich glaube, es ging nicht anders: man muß ja so etwas einmal sagen. Wir können doch nicht die Wähler beschimpfen lassen.
Herr Kollege, Sie können nicht wieder anfangen.
Das Wort hat die Abgeordnete Ina Albowitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schulz, ich freue mich immer, wenn ich Sie sehe, ab und zu auch wenn ich Sie höre, nur leider sehe ich Sie viel zu selten.
Deshalb wundert mich auch nicht, daß Sie den Bundeshaushalt ablehnen. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, was drinsteht.
— Sehr verehrter Herr Kollege Poppe, ich verteile keine Zensuren. Genau das hat der Kollege Schulz eben getan. Ich denke, das sollten wir uns abgewöhnen.Ich weiß nicht, wo Sie ihre Prioritäten setzen. Es geht mich auch nichts an. Wir reden aber heute über den Bundeshaushalt, wir reden auch inhaltlich über ihn. Ich glaube nicht, daß Sie besonders viel Ahnung haben, weil Sie an den Einzelberatungen nicht teilgenommen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den vergangenen vier Tagen unserer Haushaltsdebatte haben wir eine Menge von Zahlen gehört. Es waren hoffnungsvolle und erschreckende, bisher unbekannte und schon oft gehörte darunter. Am eindrucksvollsten aber war für mich jedoch gleich in der ersten Rede der zweiten Lesung am Dienstag das Zahlenspiel, daß der Kollege Wieczorek hier abgegeben hat.
— Das werden wir ja sehen.Er addierte nämlich die geplante Verschuldung der öffentlichen Hand einschließlich Bund, Ländern und Gemeinden auf rund 200 Milliarden DM und machte dafür im gleichen Atemzug allein den Bundesfinanzminister Theo Waigel als den größten Schuldenminister dieser Republik verantwortlich.
— Regen Sie sich doch nicht so auf. Wer schreit, hat meistens nicht viel zu sagen.
Man kann Herrn Waigel für vieles verantwortlich machen. Wenn man jetzt aber noch alle Schulden der Länder und Gemeinden auf seinen Buckel lädt, tut man ihm zuviel der Ehre an, überschätzt seinen Einfluß maßlos. Der öffentliche konstruierte Zusammenhang ist so einfach nicht in Ordnung.
Mir scheint diese unsolide Argumentation eher als der letzte verzweifelte Versuch der Opposition, ihr finanzpolitisches Ansehen in der Öffentlichkeit aufzupolieren,
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Ina Albowitzdenn zu einer Konsolidierung der überschuldeten Haushalte in den von ihr regierten Ländern ist sie schon lange nicht mehr fähig.Dazu liegen mir einige interessante Zahlen vor: Nordrhein-Westfalen 109,8 Milliarden DM, Saarland 13 Milliarden DM, Hamburg 19,2 Milliarden DM, Bremen 15,5 Milliarden DM. Soll ich Ihnen jetzt auch noch die Vergleichszahlen von 1982 vorlegen? — Die kennen Sie, Frau Matthäus-Maier, da muß ich Ihnen nicht helfen.Nordrhein-Westfalen, Saarland, Bremen und Hamburg sind als Folge der jahrelangen ungestörten SPDFinanzpolitik nur noch durch die erheblichen Finanztransfers des Bundes überlebensfähig.
Der saarländische Rechnungshof bezeichnete die Finanzpolitik der Regierung unter Oskar Lafontaine als unverantwortlich und verfassungswidrig. Offensichtlich wird in den SPD-regierten Ländern nach der Devise gelebt: Wir leben ständig über unsere Verhältnisse, aber noch lange nicht standesgemäß — das im Zweifel auf Kosten nachfolgender Generationen.
Das Horrorszenario der Verschuldung des Bundes, das die SPD während der vergangenen Tage zu zeichnen versuchte, würde angesichts solcher Zahlen viel besser auf die Finanzlage dieser Länder passen.
Frau Kollegin — — Ina Albowitz : Nein, Herr Präsident.
Das Abweichen vom Kurs der Haushaltskonsolidierung des Bundes durch die CDU/CSU-FDP-Koalition war auf Grund der Belastungen durch die deutsche Einheit unausweichlich. Aber — die mittelfristige Finanzplanung zeigt das deutlich — : Bis 1995 wird die Neuverschuldung auf 25 Milliarden DM verringert.
Herr Kollege, ich denke der Zwischenruf ist nicht in Ordnung. Sie kennen mich, glaube ich, lange genug, um zu wissen, daß ich nicht kneife.
Übrigens könnte die Inanspruchnahme von Krediten geringer ausfallen, wenn die Länder der alten Bundesrepublik den Bund bei der finanziellen Bewältigung der Einheit nicht nahezu allein gelassen hätten. Im kommenden Jahr sind es gerade einmal 2 % der einigungsbedingten Lasten, die die Altländer tragen und sich auf diese Weise ungeniert aus ihrer Mitverantwortung stehlen.
Dennoch — davon bin ich überzeugt — wird dem Bund die Konsolidierung innerhalb der nächsten drei Jahre gelingen.
Trotzdem, meine Damen und Herren, ist zur Finanzierung der deutschen Einheit zweifellos die Solidarität aller Bürger gefordert. Diese darf nicht überstrapaziert werden.
Spielraum für eine zusätzliche Belastung der Bevölkerung war auch nur deshalb gegeben, weil die Haushalts- und Finanzpolitik seit Amtsantritt dieser Koalition eine Senkung der Abgabenquote bis 1990 von 40,3 % auf 38,4 % ermöglicht hat.
Der Haushalt 1992 ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.
Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat bei den Etatberatungen 150 Millionen DM an Ausgleichsleistungen für die Region Bonn eingestellt. Das ist ein erster Schritt in die Glaubwürdigkeit für die Bürger dieser Region.
Lassen Sie mich dazu eine Bemerkung machen. Nachdem der Arbeitsstab des Innenministeriums die Verlagerung einiger Bundeseinrichtungen nach Bonn als erwägenswert bezeichnet, ist erneut eine heftige Diskussion entbrannt. Die Verlagerung dieser Behörden muß jetzt natürlich geprüft werden. Als merkwürdig empfinde ich allerdings einen Diskussionsbeitrag aus dem Bundesrechnungshof. Dieser wolle lieber von Frankfurt nach Berlin zurückziehen. Es ist noch nicht lange her, da beklagte der Bundesrechnungshof die hohen Lebenskosten in Frankfurt, welche die Personalgewinnung erschwerten. Bisher war mir unbekannt, daß das Leben in Berlin so billig sein soll. Zudem verstehe ich nicht, daß es für den Bundesrechnungshof nicht ausreicht, wenn er sich in Bonn ansiedelt, wo ein Teil der Regierungsstellen verbleibt. In der Vergangenheit stellte die Entfernung von Bonn nach Frankfurt keinen Grund für Umzugsbemühungen dar.
Im Zweifel könnten wir überlegen, ob wir nicht den Bundesrechnungshof nach Finsterwalde verlagern.
Im Ernst, meine Damen und Herren: Bei der Verlagerung und Einrichtung von Behörden werden die neuen Bundesländer derzeit noch vernachlässigt.
Das müssen und das sollten wir ändern.
Nicht ändern aber dürfen wir den soliden Kurs der Finanz- und Haushaltspolitk. Die Koalitionsfraktionen halten Kurs.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Heiner Geißler.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5301
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute morgen auf der Fahrt hierher die Rede von Frau Fuchs im Radio gehört.
— Ich bin dann gleich hierhergekommen.Ich habe mich wirklich gewundert, was Sie z. B. über die Verschuldung und über das Beschäftigungsprogramm Ende der 70er Jahre gesagt haben. Dieses Beschäftigungsprogramm, das Sie mit einer Zunahme der Schulden finanziert haben, hatte nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr Arbeitslose bis 1982 als Ergebnis.
Es war ungefähr der größte Flop, den man sich in der ganzen Beschäftigungspolitik damals hat ausdenken können.
— Ich bin ganz friedlich. — Das Ergebnis war die größte Wirtschaftskrise seit der Währungsreform.
Es ist ein Unterschied, ob Schulden zur Finanzierung von konsumtiven Ausgaben gemacht werden — was verfassungswidrig ist — oder ob die Schulden vorübergehend anläßlich der deutschen Einheit gemacht werden, um Investitionen zu finanzieren.
Ich finde, die Kurpfuscher von vorgestern eignen sich überhaupt nicht als Vertrauensärzte von heute und morgen.
Infolgedessen sollten wir, wenn wir diese Problematik ansprechen,
die Zukunft nach den Kriterien und Richtlinien angehen, wie sie einer erfolgreichen Sozial- und Wirtschaftspolitik entsprechen.Da Sie den Arbeitsmarkt angeführt haben: Die Arbeitsmarktpolitik der Regierung hat ihre Hausaufgaben wirklich erfüllt. In Ostdeutschland werden über die Arbeitsmarktpolitik 1,94 Millionen Arbeitnehmer und im Westen 300 000 bis 400 000 betreut und in die Lage versetzt, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Allein im östlichen Teil 900 000 Eintritte in Fortbildung und Umschulung.Im übrigen habe ich, was die Beschäftigungsgesellschaften anbelangt, vorgestern mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit gesprochen, der mir sagte, ihm sei bis heute kein einziger Fall auf den Tisch gekommen, daß durch Beschäftigungsgesellschaften und ABM-Maßnahmen einem Handwerksbetrieb im Osten ein Auftrag verloren gegangen sei.
Ich finde, wir sollten dies nicht in der Theorie diskutieren, sondern in der Praxis miteinander überprüfen.Richtig ist — das will ich bestätigen — : Soziale Marktwirtschaft bedeutet nicht, daß wir in einer solchen Situation alles dem Markt überlassen.
Walter Eucken, einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, hat gesagt: Eine Wirtschaftsordnung muß nicht nur effizient, sie muß auch menschenwürdig sein.
Was wir in dieser Zeit tun müssen — ich glaube, das ist das Grundprinzip unserer Sozial- und Wirtschaftspolitik — , ist, die Einheit von Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu sehen. Was wir als eine der wichtigsten sozialpolitischen Aufgaben der Zukunft miteinander bewältigen müssen — miteinander! — , ist, die 1,63 Millionen Pflegebedürftigen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, nicht außen vor zu lassen.
Die Vorstellung, die Lösung dieses Problems auf die nächste Legislaturperiode zu verschieben, ist eine Vorstellung, die wir mit Sicherheit im ganzen Hause nicht akzeptieren und nicht realisieren dürfen.
Ich will auf folgendes hinweisen: Im Moment haben wir eine bemerkenswerte Offensive gegen die Lösung Pflegeversicherung. Ein Argument ist das Ansteigen der Kosten in der Krankenversicherung. Zum anderen gibt es die Diskussion über den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland.Was die Krankheitskosten anlangt — Frau Michalk wird sicher noch etwas dazu sagen — , habe ich gestern mit dem Bundespräsidenten der Schweiz geredet. Die Schweizer haben — und das ist ja nun kein sozialistisches Land — eine sehr klare Entscheidung getroffen. Auch sie haben eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Gestern hat der Nationalrat beschlossen, daß der Anstieg der Tarife und Preise für Leistungen im Leistungsumfang der Krankenversicherung ab nächstem Jahr höchstens ein Drittel über dem Anstieg des Preisindexes liegen darf.Ich finde, wir müssen etwas tun, damit wir angesichts der Ausuferung bei der Krankenversicherung und der schon damit verbundenen Steigerung der Lohnnebenkosten nicht in die Lage kommen, 1,6 Millionen Pflegebedürftige nicht in eine vernünftige Versicherung einbeziehen zu können.
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Dr. Heiner GeißlerZweitens. Industriestandort BundesrepublikDeutschland ist ein wichtiges Thema. Wir haben hier eine große Aufgabe zu erfüllen. Aber wenn man die Umfrageergebnisse der Industrie- und Handelskammern der Vereinigten Staaten zur Problematik Industriestandort Deutschland ernst nimmt, sind die Gründe für die zurückhaltende Investitionsneigung ganz andere: nämlich erstens mangelnde Mobilität, zweitens zu kurze Arbeitszeiten in Deutschland, drittens zu hohe Unternehmensteuern — völlig in Ordnung, deswegen sind unsere Vorhaben ein Bestandteil der Sicherung des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland.
Aber wir können in der Situation doch nicht sagen, daß Leistungen für 1,6 Millionen Pflegebedürftige dazu führen würden, daß der Industriestandort gefährdet würde, wenn gleichzeitig in diesem Jahr Gewerkschaften und Arbeitgeber in der Lage sind, Lohnerhöhungen in der Größenordnung von 7 % — fast 100 Milliarden DM — zu beschließen.Ich stelle mir unter einer solidarischen Gesellschaft etwas anderes vor, daß wir nämlich 1,6 Millionen Pflegebedürftige nicht aus der Gesamtverantwortung ausschließen dürfen. Das sind 1,6 Millionen Pflegebedürftige, die zum Teil 24 Stunden am Tag versorgt werden müssen, die gefüttert werden müssen. Sie verfügen über keine Lobby. Sie verfügen nicht über die Droh- und Störpotentiale z. B. der Gewerkschaften bei der Durchsetzung von Lohnerhöhungen.Wenn statt 7 To Lohnerhöhungen nur 6,3 % Lohnerhöhungen vereinbart worden wären, wäre die Pflegeversicherung nach dem Umlagemodell auf Dauer finanziert gewesen.
Wir sollten einmal den Gesamtzusammenhang von Arbeitszeitverkürzung und 1 Billion 200 Milliarden Lohn- und Gehaltssumme in der Bundesrepublik Deutschland sehen. Wenn man in der Zukunft auf eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde verzichten würde — wir haben ja ohnehin eine Arbeitszeitproblematik — , dann wäre der Arbeitgeberanteil in der Pflegeversicherung durch diesen Verzicht finanziert. Ich sage dies, damit wir den entsprechenden Zusammenhang herstellen und daran denken, daß der Industriestandort Bundesrepublik Deutschland durch zu kurze Arbeitszeit gefährdet wird. Wir arbeiten im Jahr 1 600 Stunden, die Japaner 2 200 Stunden. Wenn wir uns in unserem Handeln mit den Pflegebedürftigen solidarisch erklären wollen, dann müssen wir die Gesamtverantwortung der Tarifpartner, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, in diese Politik mit einbeziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir es uns nicht angewöhnen, die Gesamtverantwortung für unsere Wirtschaft im Auge zu behalten, dann werden wir selbstverständlich auch nicht mit den Problemen in den neuen Ländern fertig werden. Bei unserer Kritik an den Tarifabschlüssen verkennen wir doch nicht, daß die Unternehmensgewinne — das kann man überhaupt nicht bestreiten — gestiegen sind. Aber es ist doch völlig ausgeschlossen, daß wir Tarifabschlüsse tätigen, die in keiner Weise dem gerecht werden, was wir in den nächsten Jahren an Zunahme des Produktivitätsfortschritts in den neuen Ländern erreichen können.Der Deutsche Gewerkschaftsbund, verehrte Frau Fuchs, hat die aktive, expansive Lohnpolitik von Viktor Agartz in den 50er Jahren richtigerweise abgelehnt. Die gesamt positive wirtschaftliche Entwicklung im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft ist in den 50er Jahren dadurch erreicht worden, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund ganz bewußt und vernünftigerweise immer Lohnabschlüsse angestrebt hat, die etwas unter dem Produktivitätsfortschritt lagen, damit die Unternehmen insgesamt ein ausreichendes Volumen für zukünftige Investitionen hatten. Im Osten Deutschlands machen wir im Moment genau das Gegenteil.
Das kann, meine sehr verehrten Damen und Herren — das müssen Sie doch selber sehen — , nicht in Ordnung sein.
Infolgedessen empfehle ich wirklich, daß wir uns wieder auf das besinnen, was unsere Wirtschaft vorangebracht hat. Und das kann man ja auch nicht bestreiten: Der Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland, die Voraussetzung dafür, daß wir wirklich sagen können, wir seien ein sozial fortschrittliches Land, ist eben dadurch zustande gekommen, daß wir nicht nur das wirtschaftliche Wachstum, sondern auch den sozialen Frieden als Produktionsfaktor anerkannt haben. Aber das bedeutet gleichzeitig, daß sich alle, auch die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die — im Gegensatz zu sozial Schwächeren — über Droh- und Störpotentiale verfügen, der Gesamtverantwortung auch in der Zukunft bewußt bleiben.
Frau Kollegin Maria Michalk, Sie sind die nächste Rednerin. Ich erteile Ihnen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Allein für 1992 sind für unsere Familien Entlastungen in Höhe von 7 Milliarden DM geplant — 7 Milliarden DM! Dies betrifft sowohl die Erhöhung des Erstkindergeldes von 50 DM auf 70 DM wie auch die Aufstokkung des Kindergeldzuschlags. Ein Teil des genannten Betrages von 7 Milliarden DM umfaßt auch die beschlossene Anhebung des Baukindergeldes von 750 DM auf 1 000 DM.Es handelt sich bei diesen Maßnahmen um die erste Stufe einer mehrstufigen Reform, um der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen, das in seinen Beschlüssen vom Mai und Juni 1990 festgestellt hat, daß das Existenzminimum für Kinder nicht
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Maria Michalkzu besteuern ist. Wir werden den Leistungsrahmen für Familien — so wie die Union das seit 1982 kontinuierlich macht — auch weiterhin so ausgestalten, daß der besonderen Belastungssituation der Familien Rechnung getragen wird. Immerhin — und das kann nicht oft genug gesagt werden — hat der Einzelplan 18 — Familie und Senioren — den größten prozentualen Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr, und zwar um 12,9 %.
Daß die Bundesregierung seit 1982 familienpolitisch wesentliche Verbesserungen erreicht hat, spiegelt auch die Tatsache wieder — ich möchte sie hier wirklich einmal nennen — , daß bei der Befragung von 6 000 Bundesbürgern im Alter von 18 bis 64 Jahren, die in den alten Bundesländern interviewt wurden, 94 % dem Familienglück große Bedeutung zumessen. Unsere Menschen wissen nämlich, die Familie ist der Ort, wo tagtäglich Kraft aufgebracht werden muß, um die Aufgaben zu lösen, wo aber auch tagtäglich große Kraft für die innere Ausgeglichenheit der Menschen geschöpft und geschenkt wird.
Weil das so ist und weil unsere Gesellschaft ausgeglichene Menschen braucht, werden wir auch die Familien weiterhin mehr und mehr unterstützen. Da Herr Geißler an dieser Stelle gesagt hat, ich würde etwas zu den Gesundheitskosten sagen, möchte ich an dieser Stelle sagen, daß unsere Menschen in den neuen Bundesländern sich wirklich mehr als einmal bedanken für die quantitativ bessere Betreuung, für die qualitativ bessere Betreuung, für all die Betreuung, auf die sie früher lange Zeit warten mußten, als sie ein höheres Gesundheitsrisiko eingehen mußten.
Ich möchte das aber nicht in den Mittelpunkt meiner Rede stellen, sondern möchte etwas anderes zu dem gesundheitspolitischen Teil sagen. Ich meine, wenn ein Mensch gesund bleiben will, dann kann er auf längere Zeit auf drei Dinge nicht verzichten. Ich denke und behaupte an dieser Stelle, jeder Mensch, der für längere Zeit auf die drei Dinge, die ich jetzt nennen werde, verzichtet, wird krank, zumindest an der Seele. Jeder Mensch braucht Liebe, Geborgenheit und Anerkennung. Liebe und Geborgenheit sind zwei Kraftquellen, aus denen jeder in einer intakten Familie schöpfen kann. Die dritte Voraussetzung — lassen Sie mich das sagen — , die ich nannte, ist die Anerkennung. Die möchte ich in die persönliche und die gesellschaftliche Anerkennung aufteilen. Die persönliche Anerkennung kann man am Verhalten des Partners, an dem Umfeld ablesen. Wie steht es um die gesellschaftliche Anerkennung ganz konkret unserer Mütter in den Familien? Mütter, die sich ganz der Familie widmen, erleben als Hausfrauen nicht das Spiegelbild ihrer Arbeit in Form von tagtäglicher gesellschaftlicher Anerkennung des Umfeldes. Hier gibt es Nachholbedarf.
Ich denke an mehr Würdigung ihrer Hausarbeit inForm der Höhe z. B. der Rente. Die Anerkennung derErziehungsjahre in der Rente ist eine wesentliche Verbesserung, die die Union zustandegebracht hat und nicht Sie. Das hat etwas mit gesellschaftlicher Anerkennung zu tun.
Dennoch bleiben Frauen im Rentenalter bei der Rentenhöhe oftmals unter dem Niveau der Frauen, die nicht viele Jahre die Familie als ihren „Arbeitsplatz" hatten. Ich denke aber auch an den Versicherungsschutz der Frauen und an die Wiedereingliederung in das Berufsleben. Hier gibt es viel Nachholbedarf. In den Plänen steht auch genügend drin.Mütter, die Familie und Erwerbstätigkeit miteinander verbinden, haben weniger Probleme mit gesellschaftlicher Anerkennung. Sie müssen sich diese jedoch oftmals mit größerem Einsatz erkämpfen. Diesen Einsatz gilt es zu unterstützen und zu honorieren, indem für Frauen weitere Erleichterungen geschaffen werden. Deshalb ist z. B. die Durchsetzung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz eine wichtige Aufgabe. Die Bundesländer — vor allem die SPD-regierten — sollten ihre Zurückhaltung bei der Festsetzung eines Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz endlich aufgeben.
Die Gesellschaft muß dem Einsatz der Frauen auch entgegenkommen durch die Schaffung von mehr Teilzeitarbeitsplätzen, familienfreundlichere Arbeitszeiten oder Job-Teilung. Für diese Aufgabenerfüllung brauchen wir die Bereitschaft der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, zumal die gesamtdeutsche Frauenerwerbsquote die bislang höchste ist, und zwar sind 11,7 Millionen Frauen im Arbeitsprozeß.Frauen in den neuen Bundesländern haben jetzt zusätzliche Belastungen zu meistern, unter den neuen Bedingungen in den Arbeitsprozeß integriert zu werden. Frauen sind — das wurde an dieser Stelle schon gesagt — mehr von Arbeitslosigkeit betroffen, bei den ABM-Regelungen jedoch weniger berücksichtigt. Das muß geändert werden.Die Quote der arbeitslosen Frauen beträgt etwa 60 %. Ich habe mir jetzt einmal eine Zusammenstellung geben lassen. Wie ist der Anteil der Frauen bei AB-Maßnahmen im Oktober? Demnach sind es nahezu 50 %. Das bedeutet: Im Schnitt ist jede zweite Frau in ABM beschäftigt. Aber das ist nicht überall so. In Neubrandenburg ist das Verhältnis 1 : 5. Das ist nicht in Ordnung.
Vor allem auf dem sozialen Gebiet sind diese Frauen beschäftigt.Nun muß ich aber etwas sagen. Neulich hat ein Bürgermeister meiner Region öffentlich gesagt: Meine Frauenbrigade ABM —
— Moment, das hat er gesagt; ich zitiere ja nur — istmir die liebste. Frauen und Mädchen sehen nämlichdie Arbeit mehr und haben auch mehr Instinkt für
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Maria MichalkOrdnung und Sauberkeit als die Männer. Warum wollen wir diese Tatsache und diese Eigenschaft nicht auch hier zum Tragen bringen, wo es in unseren Dörfern und Städten so viel aufzuräumen und Ordnung zu machen gibt?
Einem anderen Thema möchte ich mich noch zuwenden: den Zukunftsperspektiven junger Menschen. Es ist wichtig, verläßliche persönliche Lebens-und Berufschancen zu schaffen. Berufliche Bildung und Zugang zum Arbeitsleben sind elementare Punkte.
Hervorheben möchte ich den verstärkten Mitteleinsatz für Modellförderung der Jugendsozialarbeit, der internationalen Jugendarbeit, aber auch der Ferienmaßnahmen für Kinder.An dieser Stelle möchte ich dankend auch den Einsatz erwähnen, den viele Familien z. B. mit Kindern aus Tschernobyl erbracht haben, indem sie ihnen durch die Aufnahme in die Familie das Gefühl der Freundschaft vermittelt haben. Dies ist wichtig.
Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist in besonderer Weise auch auf das ehrenamtliche Engagement angewiesen. Es ist eben nicht alles mit Geld zu bezahlen. Deshalb sind viele Bürger und Bürgerinnen in Vereinen und Verbänden, die freien Träger und andere Einrichtungen nach wie vor gefordert, die gemeinsam gestellte Aufgabe zu meistern.In den letzten Tagen wurden in diesem Haus schrecklich viele Zahlen von fast unvorstellbarer Höhe genannt. Dennoch ist die finanzwirtschaftliche Wirklichkeit mehr durch die ausgetauschten Argumente deutlich geworden.Der Haushalt 1992 stellt sich den Lasten der Vereinigung, und zwar sozial gerecht. Wir haben Wünsche— wie alle hier im Haus — . Aber wir lassen uns nicht wie Sie von Wunschvorstellungen leiten und treiben— ich meine jetzt Sie von der Opposition —,
sondern setzen Stück für Stück das Machbare um. Das macht die Union glaubwürdig.Ich danke Ihnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile das Wort jetzt dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, unserem Kollegen Rudi Walther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist zwar normalerweise nicht üblich, daß man so freundlich vom amtierenden Präsidenten begrüßt wird. Aber es gibt deshalb einen Zusammenhang, weil ich in der Tat beabsichtige, zunächst in der vom amtierenden Präsidenten genannten Funktion einige Bemerkungen zu machen.
Denn — ich darf das den anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament sagen — hinter uns im Ausschuß liegen Wochen, die von uns ein Höchstmaß an Arbeit erfordert haben. Wir hatten in einem knappen Zeitrahmen nicht nur den Haushalt 1992 zu beraten, sondern zeitgleich auch den Nachtragshaushalt 1991 und weitere Gesetzentwürfe mit erheblichen finanziellen Auswirkungen, so u. a. das Gesetz über die Aufhebung der Strukturhilfe und die Aufstockung des Fonds Deutsche Einheit. Daß der Ausschuß dieses enorme Arbeitspensum bewältigen konnte, ist in erster Linie dem großen Engagement aller Ausschußmitglieder zugute zu halten. Auch die Obleute waren in diesem Jahr in ganz besonderem Maße gefordert. Für ihre kooperative Zusammenarbeit bedanke ich mich herzlich.Alle Mitglieder des Ausschusses haben als Berichterstatterinnen und Berichterstatter die Beratung zu den jeweiligen Einzelplänen sachkundig, sorgfältig und gründlich vorbereitet, was Sie auch aus den dikken Papieren ersehen können, die wir uns erlaubt haben, diese Woche auf Ihre Tische zu legen. Für diese gute Vorbereitung sage ich den Ausschußmitgliedern herzlichen Dank, in den ich auch und vor allem die neuen Ausschußmitglieder — insbesondere diejenigen aus den neuen Ländern — einschließe, die sich erstaunlich schnell in den Haushalt eingearbeitet haben und die mit ihren oftmals erfrischenden Beiträgen die alten Hasen davor bewahrt haben, allzusehr in eingefahrenen Bahnen zu denken.
Ich darf mich ganz persönlich bei meinem Stellvertreter Klaus Rose dafür bedanken, daß er bei der schwierigen und zeitraubenden Arbeit geholfen hat, das dem Vorsitzenden zustehende Arbeitspensum mit zu bewältigen. Lieber Klaus Rose, ich sage einmal: Das ist eine gute Vorbereitung. Wenn ihr ab 1994 in die Opposition geht, dann kannst du reibungslos meinen Posten übernehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ressorts, insbesondere an die Mitarbeiter des Finanzministeriums, des Bundesrechnungshofes und vor allem — das liegt mir sehr am Herzen — an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschußsekretariats.
Sie haben in aufopferungsvollem Engagement unterAußerachtlassung aller Arbeitszeitvorschriften mitdazu beigetragen, daß wir heute den Haushalt und
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Rudi Walther
den Nachtragshaushalt abschließend beraten können.Herr Präsident, damit möchte ich zu dem überleiten, was nicht in Ihrer Anrede enthalten war, nämlich zu meinen abschließenden Bemerkungen für meine Fraktion. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich, obwohl es mich sehr reizen würde, nicht mit dem auseinandersetzen kann, was meine Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben, sondern ich möchte mit Ihrer Erlaubnis den Bundesminister der Finanzen ansprechen.Daß mein Dank an die Mitglieder des Haushaltsausschusses besonders herzlich ausfällt, hat seinen guten Grund, denn die Mitglieder des Ausschusses mußten — wie schon beim Haushalt 1991 — versuchen, diejenigen Hausaufgaben nachzuholen, die zu erledigen die Bundesregierung versäumt hatte.
Was die Bundesregierung dem Ausschuß im Rahmen dieser Reparaturarbeiten gerade in der Schlußphase der Beratungen zugemutet hat, spottet jeder näheren Beschreibung. Kurz vor Toresschluß — in der letzten Woche — zauberte sie Projekte, Vorhaben und Förderungsmaßnahmen in Milliardenhöhe aus dem Hut, über die nicht einmal sie selbst, geschweige denn die Mitglieder der Koalitionsfraktionen einen kompletten Überblick besaßen.
So ist der Ausschuß in seinen beiden Bereinigungssitzungen auf Veranlassung des Bundesministers der Finanzen von der Koalition mit einer Flut von Anträgen konfrontiert worden, von denen viele mit heißer Nadel gestrickt waren und deshalb häufig hektisch nachgeholter weiterer Korrekturen bedurften, die ihrerseits wiederum das Chaos beinahe komplettierten und ein geordnetes Verfahren sehr erschwerten. Meine Damen und Herren, damit das nicht falsch verstanden wird: Ich möchte den guten Willen und den enormen Fleiß der Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitions-Arbeitsgruppen ausdrücklich loben.
Daß in diesem Wirrwarr die Generallinie, den Regierungsentwurf nachzubessern, dennoch verlorenging, stelle ich mehr resignativ als hämisch fest. Nichteinmal die Minimalziele, die sich die Koalition gesetzt hatte, sind am Ende der Ausschußberatungen erreicht worden. Ich verkenne dabei nicht, daß die Mitglieder der Koalitionsfraktionen — allen voran die beiden Obleute Jochen Borchert und Wolfgang Weng —
im Laufe der Beratungen zunächst alles darangesetzt haben, die Ausgabenansätze des Regierungsentwurfs, wie von ihnen geplant, um ein Prozent, also um rund 4 Milliarden DM, zu kürzen.
— Ihre bis zu den Bereinigungssitzungen erfolgreichen Bemühungen, Kollege Borchert,
haben Sie indes zunichte gemacht, weil Sie letztendlich dem Druck der Bundesregierung nachgegeben und in der Schlußphase der Beratungen zugelassen haben, daß alle von Ihnen bis dahin beschlossenen Kürzungen durch zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe aufgezehrt wurden.
Herausgekommen ist auf diese Weise das magere und beinahe keiner weiteren Erwähnung werte Ergebnis, daß die Ansätze des Regierungsentwurfs nun lediglich um 1 ‰ und nicht um 1 % zurückgeführt werden konnten. So konnten sich die Koalitionsfraktionen letztlich nicht gegen die zusätzlichen Ausgabenwünsche der Bundesregierung durchsetzen und sich auch nicht an diejenigen Vorgaben halten, die sie sich selbst gesetzt hatten.So haben sich dann in den beiden Sitzungen des Haushaltsausschusses die flotten Ankündigungen von Jürgen Möllemann, Subventionen in Höhe von 10 Milliarden DM abzubauen, als das entpuppt, was wir immer vermutet hatten, nämlich als kurzlebige Seifenblasen einer medienwirksamen Schaumschlägerei.
Der um den Subventionsabbau immer bemühte Wirtschaftsminister Möllemann war nämlich einer derjenigen — hören Sie gut zu — , der in der Schlußphase der Haushaltsberatungen in besonderem Maße gedrängelt hat, daß sein Etat weiter aufgebläht wurde.
Er zauberte kurz vor Toresschluß noch ein Paket zusätzlicher Ausgaben in Milliardenhöhe aus dem Hut, deren Berechtigung durchaus einsichtig zu sein schienen. Letztlich aber führte das dazu, daß Herr Möllemann sein Subventionsabbauziel, von dessen Realisierung er sein Verbleiben im Amt des Wirtschaftsministers abhängig gemacht hat, nicht einmal annähernd erreicht hat.
Die Zahlen, die Staatssekretär Grünewald — ich sehe ihn im Moment nicht — gestern hinsichtlich dessen genannt hat, was tatsächlich an Subventionsabbau erreicht worden sei, sprechen nun wirklich Bände.Wenn Jürgen Möllemann jetzt auf der Regierungsbank säße, würde ich das folgende etwas dringlicher formulieren. Ich halte Jürgen Möllemann für einen Ehrenmann. Ein Ehrenmann müßte eigentlich wissen, was er in einer solchen Situation zu tun hat.
Aber mit ursächlich für dieses Ergebnis scheint mir zunehmend zu sein, daß Theo Waigel von seiner Doppelrolle, Parteivorsitzender der CSU und oberster Kas-
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Rudi Walther
senführer des Bundes zu sein, offenbar überfordert ist.
Er — nicht Herr Möllemann — hätte den Abbau von Subventionen propagieren und durchsetzen müssen. Er hätte den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß den Rücken stärken müssen und nicht zulassen dürfen, daß der Sparwille durch massive Interventionen von Mitgliedern des Bundeskabinetts unterminiert wurde. Statt dessen hat Theo Waigel mit dem lachenden Auge des Parteivorsitzenden gerne das Seinige dazu beigetragen, daß sich die Klientel seines Parteifreundes Ignaz Kiechle letztendlich über neuerliche Milliarden-Subventionen freuen durfte ; die Anträge dazu wurden kurz vor Beendigung der Bereinigungssitzung noch nachgereicht.
— Das ist doch nicht mein Problem. Mein Problem ist— das haben wir doch gestern schon dargestellt, Kollege Ausschußvorsitzender— : Die Bundesregierung wußte das doch alles schon bei Aufstellung des Haushalts, hat das aber nicht gesagt, hat die Anträge für diese Mehrausgaben vielmehr auf dem Umweg über die Koalitionsfraktionen in letzter Minute eingebracht, damit nicht der Bundesfinanzminister, sondern die Arbeitsgruppe Haushalt der Koalitionsfraktionen verantwortlich ist.
Für diese Haushaltsberatungen gilt daher exakt das, was Wolfgang Weng in seiner unnachahmlichen Art zur Haushaltspolitik und zum Zustand dieser Koalition gesagt hat. Er hat nämlich konstatiert — nachzulesen im „FDP-Tagesdienst" vom 23. Oktober 1991; ich sammle alles, was Wolfgang Weng darin schreibt — :
Zwar sind wir uns einig, daß alles getan werden muß, um die Finanzen wieder in den Griff zu bekommen, doch die Wirklichkeit sieht ... leider ganz anders aus.So Wolfgang Weng.Dieser Satz des — vielleicht — künftigen FDP-Vorsitzenden— Wolfgang, alle guten Wünsche begleiten Dich — ist auf eine herrliche, aber enttarnende Weise doppeldeutig. Er kann entweder bedeuten: In Wirklichkeit hat die Koalition die Finanzen nicht im Griff, oder er kann semantisch auch in dem Sinne verstanden werden: In Wirklichkeit ist sich die Koalition nicht einig, die Staatsfinanzen wieder in den Griff bekommen zu müssen. — Wie ich Wolfgang Weng kenne— ich hoffe, ich kenne ihn jetzt gut genug — , hat er beides gemeint.
Hier kann ich ihm nur recht geben; denn diese Bundesregierung ist sich weder über die Notwendigkeit,den Haushalt konsolidieren zu müssen, einig noch hat sie die Finanzen tatsächlich im Griff.Ich räume ja ein — darauf haben die Sprecher der Koalition in diesen Tagen aufmerksam gemacht —, daß sich die Eckwerte, die dabei letztendlich herausgekommen sind, durchaus passabel anhören.
Das will ich überhaupt nicht bestreiten.
Wer aber — wie auch meine verehrte Kollegin Ina Albowitz — diese Zahlen isoliert betrachtet, ohne den Gesamtzusammenhang zu sehen, der diskutiert nicht in aller Breite über die tatsächliche Lage des Bundeshaushalts und der Bundesfinanzen; denn der Haushalt 1992 verschleiert wie schon sein diesjähriger Vorgänger, daß die Schuldenberge des Bundes höher sind und sein Kreditbedarf größer ist, als uns Theo Waigel immer glauben machen will. Denn im Haushalt tauchen nicht die sogenannten Sondervermögen auf.
Es ist merkwürdig, daß man Schulden als Sondervermögen bezeichnet, Kollege Schmitz, daß man sie in Milliardenhöhe dort versteckt, und zwar auch im kommenden Jahr, wobei Sie die Fehlbeträge mit weiteren Milliardenkrediten decken werden? Wissen Sie, was Sie mit den Sondertöpfen machen? Hans Peter Schmitz, wir beide kennen ja noch Walter Althammer; er hat hier einen erheblichen Kampf gegen die Schattenhaushalte geführt und hat ihn auch gewonnen. Sie führen diese ganzen Schattenhaushalte jetzt wieder in einem Umfang ein, den wir früher nie gekannt haben.
Sie machen mit diesen Schuldentöpfen wie die Länder der Dritten Welt folgendes: Sie finanzieren die Zinsen, die entstehen, durch weitere Schuldenaufnahme. Wären wir ein Land der Dritten Welt, müßten wir zum Pariser Club.Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ich hier zu den Milliardenkrediten, zu den Sondervermögen gesagt habe, gilt zum einen für die traditionellen Sondervermögen, also Bundespost, Bahn, ERP usw. mit mindestens 30 Milliarden DM, den Kreditbedarf der Reichsbahn nicht eingerechnet. Es gilt zum anderen — das ist unter Risikogesichtspunkten noch wichtiger — für diejenigen Sondervermögen, welche im Zuge der deutschen Einigung eingerichtet worden sind.Übrigens noch folgendes, damit wir uns nicht falsch verstehen und nicht der falsche Eindruck aufkommt, als machte ich das Theo Waigel zum Vorwurf. Um Himmels willen, wie käme ich dazu, der Bundesregierung vorzuwerfen, daß sie das traurige Erbe der ehemaligen DDR übernommen hat? Das ist kein Vorwurf, damit wir uns richtig verstehen.
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Mein Vorwurf ist, daß der Bundesfinanzminister diese Risiken beharrlich verschweigt.
— Ich habe die Rede gehört. In seiner unnachahmlichen Art und Weise hat Theo Waigel so getan, als gebe es diese Risiken gar nicht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt für den Kreditabwicklungsfonds, das gilt für die Treuhandanstalt, das gilt für alle möglichen anderen Sondervermögen.
— Für den Fonds Deutsche Einheit natürlich auch. Ich bin durchaus bereit, hier alle aufzuzählen. Nur, das Ganze — und das hat der Kollege Klaus Rose heute morgen auch schon hier dargestellt — summiert sich zu einer Schuldenaufnahme der öffentlichen Haushalte von 135 Milliarden DM. Nun bin ich aber weit davon entfernt zu sagen, das alles habe Theo Waigel zu verantworten. Das ist auch nicht mein Vorwurf, sondern mein Vorwurf ist, daß er sich nicht auf die Risiken vorbereitet, die demnächst mit den Zinsbeträgen in seinem Haushalt landen werden. Dies ist mein Vorwurf.
Das ungeheure Ausmaß der Staatsverschuldung hat nicht nur einer nörgelnden Opposition, sondern auch der Deutschen Bundesbank und dem Bundesrechnungshof Anlaß zu nachhaltiger Kritik gegeben. Die negativen Konsequenzen der Verschuldungspolitik dieser Bundesregierung machen sich bereits heute allenthalben bemerkbar. Sie manifestieren sich in dem spürbaren Verlust an Vertrauen in die Stabilität der D-Mark, in dem relativ hohen Zinsniveau und in der stetig ansteigenden Zinsquote, die die finanzpolitischen Gestaltungsräume zunehmend einengen.Diese Alarmsignale sind indessen, verglichen mit dem, was auf den Bundeshaushalt auf Grund der jetzigen Verschuldungspolitik mittelfristig zukommt, vergleichsweise harmlos. Denn in den im Zuge der deutschen Einheit geschaffenen Sondervermögen sammeln sich gigantische Schuldenberge an, die abzutragen die Bundesregierung der nachfolgenden Generation aufbürdet, die für die Schulden, die heute gemacht werden, geradezustehen hat. Durch den Kniff, diese Schuldenberge nicht im Haushalt auszuweisen, sondern in Sondertöpfen zu verstecken oder, wie der Bundesfinanzminister vornehm formuliert, dort zu parken, werden diese Berge nicht kleiner; im Gegenteil, sie wachsen durch die alljährliche Aufnahme neuer Kredite stetig weiter an.Ich habe das hier im einzelnen dargestellt. Ich will Ihnen die Aufzählung heute morgen ersparen. Ich sage Ihnen nur: Sie können die Abtragung dieser Schuldenberge nicht mehr lange vor sich herschieben. So ist der Kreditabwicklungsfonds — Herr Minister, Sie haben ja, wenn ich mich recht erinnere den Vertrag selber unterschrieben — gemäß Art. 23 Abs. 5 des Einigungsvertrags Ende 1993 aufzulösen, wobei die bis dahin aufgelaufene Gesamtverschuldung auf die Treuhandanstalt, den Bund und die neuen Länder aufgeteilt werden soll.Geplant ist dabei, daß diese Schulden, soweit möglich, aus Mitteln der Treuhandanstalt getilgt und die verbleibenden Restschulden dann vom Bund und den neuen Ländern je zur Hälfte übernommen werden. Es ist jedoch nicht zu erwarten, daß bis zur Auflösung des Kreditabwicklungsfonds Privatisierungserlöse der Treuhandanstalt zur Tilgung dieser Schulden zur Verfügung stehen. Im Gegenteil, es wird sich bei der Treuhandanstalt ein riesiger Schuldenberg ansammeln. Da es sich abzeichnet, daß die neuen Länder auf Grund ihrer schlechten Haushaltslage kaum in der Lage sind, die Schulden zu übernehmen, bedarf es nicht der Gabe des Propheten, um bereits heute vorherzusagen, daß der Bund Anfang 1994 jedenfalls für einen großen Teil dieser Schuldenberge wird geradestehen müssen mit der Folge einer dramatischen Erhöhung der Zinsausgaben im Bundeshaushalt in zweistelliger Milliardenhöhe. Spätestens dann wird offenbar, wie verfehlt die heutige Finanzpolitik der Bundesregierung ist, die die Haushaltskonsolidierung in diesem Zusammenhang nicht einmal ernsthaft in Angriff nimmt und nicht einmal Vorsorge für erkennbare Risiken trifft.Sie trifft auch keine Vorsorge für weitere Risiken, z. B. aus den übernommenen Gewährleistungen insbesondere gegenüber den früheren RGW-Staaten, den Entschädigungen für Enteignungen der früheren DDR und den Wiedergutmachungsleistungen für in der früheren DDR erlittenes Unrecht. Es ist übrigens auch keine Vorsorge getroffen — Frau Matthäus-Maier, das ist immer Ihr Thema — für eine verfassungskonforme Anhebung des Grundfreibetrags für die Familien. Nach Berechnungen der Bundesregierung wird die gebotene nachträgliche Anhebung des Grundfreibetrags in allen noch offenstehenden Steuerverfahren Mindereinnahmen in Höhe von vielen Milliarden DM zur Folge haben. Gehen die insoweit beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren, wie zu erwarten ist, zu Lasten des Bundes aus, so wird dieser Betrag fällig, ohne daß sich die Bundesregierung bislang darüber Gedanken gemacht hat, geschweige denn Lösungen erarbeitet hat, wie er zu erwirtschaften ist.Übrigens sehe ich auch keine Vorsorge — auch nicht in der mittelfristigen Finanzplanung — für die Ausgaben, die für den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin fällig werden.Aus diesem Grunde, lieber Herr Bundesfinanzminister, befürchtet z. B. der Präsident der Landeszentralbank in Bayern, Lothar Müller — ich vermute, er ist Ihr Parteifreund —, eine regelrechte Explosion der öffentlichen Schulden und vermutet, die Bundesbank müsse eine erneute Zinsanhebung prüfen. Das hat er in einem Interview geäußert, das gestern in der „Süddeutschen Zeitung" nachzulesen war.Übrigens: Die geplante Finanzierung öffentlicher Investitionen durch Private — verfassungsrechtlich eh nicht unbedenklich — wird den Schuldenberg noch zusätzlich erhöhen, denn die eigentlich für den Haushalt relevanten Belastungen, und zwar Zins- und
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Tilgungsleistungen, werden über die Leasingraten voll auf den Bundeshaushalt durchschlagen.
Die zusätzliche Belastung des Kapitalmarkts wird um keinen Deut ungefährlicher, wenn für den Bund Private Kredite aufnehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung verfügt über kein schlüssiges Konzept, mit dem die immer noch großen Probleme in den neuen Ländern gelöst werden können, denn das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost läuft Ende kommenden Jahres aus. Was an seine Stelle treten wird, ist nicht einmal in Umrissen erkennbar. Die Menschen in den neuen Ländern erwarten eine Antwort hierauf. Sie verdienen es im übrigen nicht, mit falschen Zahlen abgespeist zu werden.Ich habe keine Veranlassung, dem Kollegen Kolbe aus der CDU-Fraktion besonders nahe zu sein; er hat dieses Thema zum großen Leidwesen mancher in der Regierung und auf der Regierungsseite angesprochen. Theo Waigel hat nämlich bei dem Beschluß des Kabinetts über den Bundeshaushalt 1992 öffentlich erklärt, es stünden 109 Milliarden DM für die neuen Länder zur Verfügung. Ich habe ihn daraufhin schriftlich gefragt, wie sich diese Summe errechnet. Die Antwort hat ein paar Wochen gedauert. Dann bekam ich nicht die Zahl über die Ausgaben für die neuen Länder, sondern über die einigungsbedingten Ausgaben. Wenn man richtig nachgerechnet hat, hat man festgestellt, daß die Hälfte davon überhaupt nichts mit den neuen Ländern zu tun hat. Er rechnet beispielsweise die Zinsen für Kredite, die er aufgenommen hat, den neuen Ländern zu. Für die neuen Länder bleibt nur etwa die Hälfte des Geldes übrig.Eine Randbemerkung — ich blicke in Richtung des Hauptberichterstatters zum Einzelplan 05 — : Wenn angesichts der gestiegenen Nachfrage nach deutscher Sprache und deutscher Kultur bei den einigungsbedingten Kosten auch die Goethe-Institute berücksichtigt worden wären, hätte ich nichts dagegen gehabt.
Ich bin ganz sicher, daß sich der Außenminister einmal darum kümmern sollte.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen die nicht gelösten Probleme und die aktuelle und die sich mittelfristig abzeichnende Finanzsituation so ausführlich skizziert, um zu verdeutlichen, daß die Abkehr von der Verschuldungspolitik unumgänglich ist. Gelingt dies nicht, wird es über kurz oder lang zu einem bösen Erwachen kommen, das niemand will, aber Kundige befürchten. Denn die Steuer- und Abgabenschrauben sind nach der größten Steuererhöhungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik, die als Steuerlüge in den deutschen Sprachgebrauch Eingang gefunden hat, zu Ende gedreht.
Ich weiß, Abkehr von der Verschuldungspolitik heißt in erster Linie sparen. Welcher Haushälter wüßte das nicht? Diese Erkenntnis ist trivial; aber ihreUmsetzung ist von der Bundesregierung offensichtlich jetzt nicht gewollt, wie wir aus den Vorlagen für die Bereinigungssitzungen gesehen haben. Herr Arbeitskreisvorsitzender Schmitz, Sie hatten ja keine Gelegenheit, dabeizusein, aber sehen Sie sich einmal die Berge an, die wir da in den letzten beiden Tagen auf den Tisch bekommen haben.Die Bundesregierung sucht die finanzpolitische Wende zunächst einmal nicht bei sich selber, sondern allenfalls bei anderen, nämlich z. B. bei den Ländern, die künftig auf Strukturhilfemittel verzichten müssen, oder bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, denen höhere Sozialversicherungsbeiträge auferlegt worden sind und denen angeraten wird, sich bei Lohnforderungen zurückzuhalten.
Nur im eigenen Hause wird nicht in dem Maße gespart, wie man es könnte, wenn man gewollt hätte. Es fehlt — das sage ich noch einmal — wirklich der eiserne Sparwille in dieser Regierung, Herr Bundesfinanzminister.Man kann, wenn man wirklich ernsthaften Sparwillen hat, im Verteidigungshaushalt mehr sparen, als das bisher geschehen ist. Ich will die alten Themen, die bei der Debatte über den Einzelplan 14 eine Rolle gespielt haben, nicht noch einmal im einzelnen aufführen. Sie können das Wort Jäger 90 schon nicht mehr hören. Ich weiß das und sage es trotzdem so lange, bis der Vogel gestorben ist
und zumindest in dieser Frage Jürgen Möllemann recht behält. Er hat ja gesagt: Der Jäger 90 wird der sicherste Flieger, weil er nie fliegen wird. Hoffentlich behält er recht.
— Ja, sicher. Aber es kommt nicht so oft vor, daß er recht hat, Herr Kollege Beckmann.Ich will das nicht noch einmal im einzelnen vortragen, was der Kollege Jungmann zum Einzelplan 14 in diesem Zusammenhang gesagt hat. Aber auch hier sehen wir, daß die Vorgaben der Koalitionsvereinbarung nicht eingehalten sind. Denn der Verteidigungshaushalt verharrt, wenn man die unzulässige Verschiebeaktion in den Einzelplan 60 mit berücksichtigt, auf derselben Höhe wie 1991; das heißt, es gibt keine nominalen Einsparungen in diesem Bereich.
— Hans-Werner Müller, ich habe ja Ihre Rechnungen vorgestern nachmittag gehört. Es ist dann zutreffend, wenn man, ob zu Recht oder zu Unrecht, lasse ich einmal dahingestellt, die Ausgaben für die NVA in Ostmark der ehemaligen DDR hinzuzählt.
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Rudi Walther
Aber das darf man natürlich nicht, weil man weiß: Eine Ostmark war bestenfalls 25 Pfennig wert.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß zwar im Etat überflüssige Mittel für überflüssige Zwecke veranschlagt sind; andererseits und umgekehrt ist die Bundeswehr von Aufgaben befreit worden, die keineswegs überflüssig, sondern höchst notwenig sind und für deren Wahrnehmung sie geradezu prädestiniert ist, nämlich vom Abbau der Grenzanlagen und vom Räumen von Minen an der vormals innerdeutschen Grenze. Wir haben im Haushaltsausschuß erfahren müssen, daß sich die Bundeswehr hierfür zu schade ist und daß die Bundesregierung diese Aufgabe einer privaten Einmanngesellschaft mit beschränkter Haftung übertragen hat, die hierfür aus dem Bundeshaushalt 20 Millionen DM bekommt, mit der ausdrücklichen Möglichkeit der Vertragsverlängerung. Meine Damen und Herren, abgesehen davon, daß die Bundeswehr dies sehr viel kostengünstiger hätte leisten können, fehlt jedenfalls mir jedes Verständnis dafür, daß die Bundeswehr zwar in der Golfregion Minen räumt, sich aber für nicht zuständig erklärt, wenn die gleiche Aufgabe mitten in Deutschland anfällt.
Übrigens — auch dies ist hier im Zusammenhang mit dem Einzelplan 14 vorgetragen worden — fehlt dem Bundesminister der Verteidigung jedwedes Konzept für die neue Situation auf Grund der geänderten Sicherheitslage in Europa und in der Welt. Er tut bei den Beschaffungsvorhaben so, als hätte sich nichts geändert; alles soll so weiter beschafft werden wie bisher. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann auch kein sinnvolles Signal nach außen sein, Herr Bundesfinanzminister.
Ich würde Sie bitten, Ihren zuständigen Fachbeamten — einer von denen sitzt hinter Ihnen — , die das genauso sehen, ein bißchen mehr den Rücken zu stärken, damit sie hier Druck auf die Pumpe geben. Mein Vorschlag heißt: Zurück — Marsch! Marsch! — mit diesen Vorlagen ins Bundesverteidigungsministerium!Meine sehr verehrten Damen und Herren, allen diesen Aspekten, die ich hier versucht habe nur kurz zu skizzieren, wird der beschlossene Verteidigungsetat nur unzulänglich gerecht.Ich muß noch einen weiteren Punkt ansprechen, der mir besonders wesentlich erscheint. Das, was ich ausgeführt habe, gilt auch für die Bewältigung der Abrüstungsfolgen durch Standort- und Rüstungskonversion. Die Bundesregierung hat es bislang sachwidrig unterlassen, ein umfassendes, ressortübergreifendes Programm zur Bewältigung der Abrüstungsfolgen vorzulegen,
das die Teilaspekte soziale Konversion, Forschungskonversion und Standortekonversion umspannt. Das,was die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen als Konversionsprogramm für die nächsten fünf Jahre anbieten und deklarieren, nämlich — hören Sie, auch gerade die Kolleginnen und Kollegen aus den betroffenen Regionen, gut zu — eine Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur" um 250 Millionen DM und die Erhöhung der Städtebauförderungsmittel um 250 Millionen DM sowie die verbilligte Abgabe von Grundstükken mit geschätzten Einnahmeausfällen von 500 Millionen DM, hört sich gar nicht so schlecht an, wenn man nur die Zahlen so sieht, obwohl das alles viel zu wenig ist. Dieses angebliche Konversionsprogramm verdient aber seinen Namen nicht; denn erstens umfaßt es nicht sämtliche Aspekte der Konversion, sondern allenfalls die Standortekonversion, und zweitens ist es nicht spezifisch auf die Kommunen und Regionen zugeschnitten, die von Standortreduzierung betroffen sind.
Drittens hilft die Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe den Kommunen nicht, die nicht in der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung" gewesen sind. Kommunen, die jetzt ihre ganzen Standorte verlieren, die aber z. B. wegen der Anwesenheit von Truppenteilen früher prosperierten und deshalb nicht in die Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen worden sind, bekommen jetzt vom Bund keinen Pfennig. Das, Herr Bundesfinanzminister, halte ich wirklich für einen Aberwitz, und ich halte es für naiv, zu glauben, einer vom Truppenabzug betroffenen Gemeinde könne durch die verbilligte Abgabe von Kasernen wirklich geholfen werden.
Viele Kommunen werden sie nicht einmal als Geschenk akzeptieren, weil sie mit ihnen nichts anfangen können oder weil sie die hohen Kosten für Unterhalt und Bewachung mit Recht scheuen.Gefragt und erforderlich ist demgegenüber etwas ganz anderes, nämlich ein Gesamtkonzept für eine sozialverträgliche und strukturgerechte Abrüstung auf der Grundlage eines umfassenden Friedens- und Entwicklungsplans, so wie wir das seitens unserer Fraktion mehrfach gefordert haben.Meine Damen und Herren, unser Fazit aus alledem ist: Theo Waigel ist der fröhlichste Schuldenmacher und der größte Schuldenmacher, den man sich denken kann.
Es hat noch nie jemand so fröhlich Schulden gemacht wie Theo Waigel.Zuerst behauptet er, die Kosten der deutschen Einheit seien aus der Portokasse zu bezahlen und Steuererhöhungen seien gänzlich unnötig. Dann verantwortet er die größte Steuererhöhungsaktion der Nachkriegszeit. Er verkündet die Notwendigkeit des Sparens, hält sich aber selber nicht daran. Er behauptet, die Schuldenaufnahme ginge zurück; tatsächlich versteckt er aber Hunderte von Milliarden in ausgelagerten Schuldentöpfen, die er schamhaft Sondervermögen nennt.Herr Bundesfinanzminister, ich respektiere die große physische Leistung, die Sie erbringen. Aber die
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5310 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Rudi Walther
Doppelfunktion, die jede für sich einen ganzen Mann erfordert, überfordert Sie ganz offensichtlich. Notwendiges Vertrauen, meine Damen und Herren, kann so nicht hergestellt werden. Wo Vertrauen in die Regierung fehlen muß, kann die Opposition dieses Manko nicht ausgleichen. Die Ablehnung des Haushalts durch uns ist deshalb gleichzeitig der Aufruf zu einem neuen Anfang haushalts- und finanzpolitischer Solidität.Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Bemerkungen zur Geschäftslage. Wir werden mit der namentlichen Abstimmung wahrscheinlich in einer halben Stunde, also um 12.15 Uhr beginnen können. Das wird auch draußen bekannt gemacht, weil die ursprüngliche Zeit 12.30 Uhr war.
Jetzt habe ich noch eine höfliche Bitte an meine Kollegen Geschäftsführer. Das Haus füllt sich gleich. Wir haben bei der letzten namentlichen Abstimmung schon erlebt, daß sich der letzte Redner in der Schluß-phase nicht mehr bemerkbar machen konnte. Sie, die ich jetzt bitte, das Ende der Debatte in Ruhe mitzuvollziehen, brauche ich darauf nicht besonders aufmerksam zu machen. Aber wir sollten die nachrückenden Kollegen ein bißchen darauf aufmerksam machen, daß wir in Ruhe zu Ende debattieren wollen.
Nun gebe ich das Wort dem Herrn Bundesfinanzminister, unserem Kollegen Theo Waigel.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich vor allen Dingen bei Ihnen, Herr Präsident, für die Fürsorge. Sie sind schon ein sehr guter Präsident.
Herr Minister, nach der Geschäftsordnung dürften Sie noch nicht einmal das sagen.
Ich weiß es und nehme es nicht zurück.
— Es ist wahr, Herr Präsident: Ich habe mich gestern eines Fehlverhaltens schuldig gemacht. Ich habe auf der Regierungsbank geklatscht, als eine Kollegin der SPD sprach. Beides durfte ich nicht.
Aber es ist mir auch noch nie passiert, daß sich bei meinem Erscheinen gestern abend, als zufällig die Regierungsbank leer war — —
— Zufällig. Wirklich zufällig, und zwar deshalb, weil es anders vereinbart war.Ich war da, weil ich mit meinen Prätorianern von der Haushaltsgarde noch etwas zusammensaß. Dann bin ich mit dem Beifall des ganzen Hauses, vor allem der Frauen, weil es eine Frauen-Debatte war, begrüßt worden. Seitdem lasse ich mich von niemandem mehr einen Chauvi heißen.
Um so mehr bedaure ich, Frau Fuchs, daß ich bei der Wertschätzung, die ich für Sie empfinde, sagen muß: Gestern, das war leider eine schwache Ouvertüre. Sie haben leider wieder eine alte Platte abgespielt.
Sie könnten es besser, und Sie wissen es auch besser. Aber trotzdem: Ich freue mich, daß Sie hier wieder als erste gesprochen haben. Vielleicht können wir künftig noch öfter die Klingen kreuzen. Aber Sie müssen sich etwas Neues einfallen lassen. Mit der alten Platte von vorgestern ist weder für Sie noch für die Fraktion, noch für die SPD ein Blumentopf zu gewinnen.
Was ich nicht für möglich gehalten hätte, ist eingetreten: Unser Kollege Professor Ehmke hat sein Herz für den Finanzminister entdeckt. Als ich gestern an ihm vorbeiging, gab er mir diese Mark. Er hat sie gespendet. Ich weiß nur noch nicht, ob ich sie behalten darf oder ob ich sie abliefern muß.
Lieber Kollege Rudi Walther, Sie haben mir die Doppelrolle vorgeworfen. Über die Frage, wer Vorsitzender der CSU ist, entscheidet allein der Parteitag der CSU. Der hat am letzten Sonntag darüber entschieden.
Wer Finanzminister wird, darüber entscheiden der Wähler, der Bundeskanzler und meine Parteifreunde.
Bisher ist beides sowohl den Finanzen als auch meiner Partei gut bekommen.
Ich fühle mich in der Tradition meiner großen Vorgänger Schäffer, Strauß, aber auch der CDU-Finanzminister und auch der SPD-Finanzminister, die mit mir
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Bundesminister Dr. Theodor Waigeleinen besseren Umgang pflegen als mit den meisten von Ihnen.
Ich will sie jetzt nicht einzeln zitieren; sonst bekommen Sie innerhalb der eigenen Reihen Probleme, und das Buch von Hans Apel wird nicht mehr gekauft. Ich will auch Ihr Buch, Frau Kollegin Fuchs, nicht zitieren; sonst kauft es niemand mehr innerhalb der eigenen Fraktion.
— Jetzt wieder, weil der Kollege Klose wieder Reklame macht. Sein Vorgänger hat dafür keine Reklame gemacht, oder nur indirekt.Lieber Kollege Walter, in diesem Haushalt und in unserer Finanzpolitik wird nichts verschwiegen. Warum auch? — Man kann es doch gar nicht verschweigen. Sie sind doch so gut, daß Sie alles merken, was drinsteht. Insofern ist die offene Diskussion richtig.Wir haben im Rahmen dessen, was möglich ist, Vorsorge durch globale Mehrausgaben, die in der Finanzplanung enthalten sind, getroffen. Zum Beispiel das, was im Kreditabwicklungsfonds mutmaßlich auf uns zukommt, ist in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten. Mehr können wir nicht tun.Es ist auch nicht fair, mir quasi zu sagen, ich hätte die einigungsbedingten Kosten den neuen Bundesländern vorgerechnet. Das tue ich nicht. Nein, das Faktum ist wichtig: Wieviel ist es? Wieviel haben wir zu bewältigen? Ich weiß sehr wohl, daß dazu die Bürger in den jungen Bundesländern und auch die Bürger in den alten Bundesländern ihren Beitrag erbringen und daß eine gemeinsame Solidarität notwendig ist und stattfindet.Nur, ich lasse mir ungern von Ihnen den Vorwurf machen — denn von Ihnen ist in den letzten Wochen der Vorwurf erhoben worden — , wenn die Steuereinnahmen drüben im Osten nicht voll realisiert werden könnten, dann müsse man sich doch auch über die Ausgaben im Osten Gedanken machen.
Diesen Zusammenhang halte ich nun nicht für richtig, Herr Kollege Walther, und er tut auch der gemeinsamen Solidarität nicht gut. Man kann nicht beides miteinander vermischen, mir auf der einen Seite Vorwürfe machen und mir auf der anderen Seite unterstellen, etwas im Raum stehenzulassen, wo wir uns dann vor die Leute hinstellen müssen.
— Rudi Walther war es; ich sage das doch!
— Entschuldigung, ich will ja nicht, daß sich alle auf ihn stürzen. Ich mag ihn ja nicht ungern. Ich habe eher in die andere Richtung gesehen, um nicht immer denBlick auf ihn zu werfen. Übrigens: Man muß einmal hier und einmal dort hinschauen.
Ich kann ja nicht laufend zu Ihnen schauen.Was den Verteidigungshaushalt anbelangt, Kollege Walther: Das ist nun wirklich die größte Friedensrendite, die hier erwirtschaftet wurde.
8 Milliarden DM werden hier jährlich eingespart. Das ist eine riesige Leistung. Ich ziehe vor den Kollegen und vor dem Bundesverteidigungsminister den Hut, mit welcher Verantwortungsbereitschaft er das angegangen ist.
Sie beklagen, daß die Strukturhilfe wegfallen soll. Meine Damen und Herren, wir sind doch fast alle — übrigens auch SPD-regierte Länder — der Meinung, daß das Gesetz nach der Einigung verfassungswidrig ist. Dann muß man daraus auch die Konsequenzen ziehen.Was das Konversionsprogramm anbelangt: Das steht natürlich in einem Zusammenhang mit den Gesamtausgaben, die jetzt in einem Vermittlungsverfahren angegangen werden.Ich wundere mich nur etwas über die Krokodilstränen, die im Moment die SPD und SPD-Abgeordnete über Bundeswehrstandorte vergießen.
Sie waren doch überall auf der Matte. Sie standen doch an der Spitze der Demonstrationen und der Aktionseinheiten, bei denen es um Abrüstung und Abzug ging.
Jetzt verbünden sich die gleichen Personen mit anderen Bündnissen und beklagen, daß die Amerikaner und die Bundeswehr abziehen.
Die SPD in Bayern hat eine Reduzierung der Bundeswehr auf 200 000 Mann gefordert. Ja, meine Damen und Herren, da müssen Sie uns einmal sagen, wie es dann mit den Standorten, der Reduktion und den Kosten eines Konversionsprogramms aussieht.
Eine letzte humorvolle Bemerkung zu Rudi Walther. Lieber Rudi Walther, Sie können mir meine Finanzpolitik vorwerfen. Sie dürfen da schlimm mit mir umgehen. Aber die Fröhlichkeit, die ich mir Gott sei dank noch bewahrt habe und zu bewahren hoffe, lasse ich mir von niemandem absprechen und auch von niemandem vorwerfen.
Wissen Sie, warum ich fröhlich bin? Ich bin deswegen fröhlich, weil ich in einer Zeit Finanzpolitik machen darf, in der wir die Einheit Deutschlands, die
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Bundesminister Dr. Theodor WaigelFreiheit Deutschlands und den Neuaufbau Europas finanzieren. Das sind die schönsten Investitionen, die überhaupt getätigt werden können!
Ich habe mich für alle Beiträge zu bedanken, ob sie nun unterstützend oder kritisch gemeint waren. Wir haben uns auch bei den Pressekommentatoren zu bedanken, die sich insgesamt doch um eine ausgewogene Darstellung bemüht haben. Sie sind für uns immer wieder wichtig, damit wir über das, was wir tun und sagen, nachdenken.Mein herzlicher Dank gilt dem Haushaltsausschuß, den mitberatenden Ausschüssen und den Beamten in den Ressorts für die Arbeit an zwei Haushaltsgesetzen innerhalb eines Jahres. Dabei gilt mein ganz besonderer Dank natürlich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß, den Prätorianern des Parlaments.
— Wir haben keinen Kaiser, nur Franz.Nur, bei einigen Beiträgen ist noch die alte Denkschablone erkennbar, als ob nicht ein riesiges Ereignis stattgefunden hätte, nämlich die Einheit Deutschlands, eine Revolution und viele Evolutionen in ganz Europa.Meine Damen und Herren, wenn Sie mit der griffigen Formulierung „der größte Schuldenminister" arbeiten wollen, muß ich Ihnen sagen: Jeder andere wäre in dieser Zeit vor der gleichen Aufgabe gestanden, und kein anderer hätte anders gehandelt. Wenn Sie das weiterverfolgen, als was wollen Sie dann Lafontaine im Saarland, als was wollen Sie dann Wede-meier in Bremen, Engholm in Schleswig-Holstein und andere bezeichnen?
Überlegen Sie sich einmal gut, wie lächerlich, wie billig, wie falsch und wie unzulässig diese Bezeichnung ist!Ich erinnere mich daran, daß im Jahre 1969 der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß Schulden zurückgezahlt hat. Er war wahrscheinlich der letzte Finanzminister in diesem Jahrhundert, der das tun konnte. Damals habe ich ihm gesagt: Lieber Herr Strauß, was Sie da getan haben war großartig: staatspolitisch, in einem Wahljahr Schulden zurückzuzahlen, volkswirtschaftlich wie im Lehrbuch, vier Ziele gleichzeitig erreicht, finanzwissenschaftlich glänzend, antizyklische Finanzpolitik. Ich habe ihm gesagt: Was Sie getan haben, hatte nur einen Nachteil: Sie haben eine volle Kasse einem sozialdemokratischen Finanzminister übergeben.
Strauß hat mir in seiner Art geantwortet: Theodor, duhast recht; denn eher legt ein Hund einen Wurstvorratan, als daß ein SPD-Finanzminister das Geld zusammenhalten könnte.
Genau so ist es gekommen.Meine Damen und Herren, wer hier nur die Zahlen ohne die Zusammenhänge und ohne die Ursachen darstellt, der vergißt doch: Deutschland hat sich verändert, Deutschland ist größer geworden, es hat 40 % mehr Fläche und 25 % mehr Bevölkerung, und das Bruttosozialprodukt hat seit 1989 um 25 % zugenommen. Dann kann ich doch nicht die Zahlen, auch nicht die Finanzdaten der Jahre 1991 und 1992 mit denen von 1982, 1985 oder von 1989 vergleichen.
Ich kann Ihnen eine Rechnung nicht ersparen: Bei Verzinsung der Endverschuldung von 1982 mit 7 %
entsprach das aufgezinste Schuldenerbe der SPD Ende 1990 fast genau dem aktuellen Schuldenstand. Die verzinsten SPD-Schulden würden sich auf 1 041 Milliarden DM belaufen. Die tatsächlichen Schulden sind um 6 Milliarden DM höher; der Rest ist für die Einheit. Die Schulden, die Sie beklagen, die Sie angreifen, sind — verzinst — Ihre Schulden, die wir 1982 übernommen haben.
1982 betrug die Nettokreditaufnahme 37,2 Milliarden DM, die investiven Ausgaben nur 32 Milliarden DM. 1992 wird die Nettokreditaufnahme 45 Milliarden DM betragen, die investiven Ausgaben 66 Milliarden DM.Auch in den 70er Jahren wurden die Schulden von Bahn, Post und ERP-Sondervermögen nicht den Bundesschulden zugeschlagen.Was haben eigentlich die Schulden der Wohnungswirtschaft oder der Industrien der früheren DDR im Bundeshaushalt zu suchen? Frühere Salzgitter- oder Saarbergwerk-Schulden wurden dem Bundeshaushalt ebenfalls nicht zugerechnet. Sollen wir sie vielleicht dem saarländischen Haushalt zurechnen?
So absurd ist Ihre Rechnung!Die gesamte Neuverschuldung ist praktisch einigungsbedingt. Ohne die Einigung hätten wir 1991 im öffentlichen Gesamthaushalt nur ein Defizit von 13 Milliarden DM gehabt, 1992 eines von 28 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, auch in einer Zeit, in der es vielleicht verlockend wäre, den Bundesbankgewinn für die Reduzierung der Nettokreditaufnahme oder für manchen anderen wichtigen Zweck einzusetzen, bleiben wir unserem Grundsatz treu. Wir setzen nur 7 Milliarden DM ein. Was darüber hinaus hereinkommen könnte — und es wird wahrscheinlich mehr
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Bundesminister Dr. Theodor Waigelsein —, wird für die Altschuldentilgung verwendet, dient der Reduzierung der Bruttokreditaufnahme, entlastet den Kapitalmarkt und wirkt sich positiv auf die Zinsen aus.
Das machen wir jetzt und auch im nächsten Jahr.Sie beklagen die zu hohe Zinsausgabenquote. Sie wird 1992 10,6 % betragen; sie betrug 1983 10,8 %. Der Ausgabenanstieg betrug in den Jahren von 1982 bis 1989 im Durchschnitt 2,5 %. 1982 betrug der kreditfinanzierte Ausgabenanteil 15,2 %, 1989 waren es 6,6 %; allein das zeigt unseren Konsolidierungserfolg in dieser Zeit.Die Ausgabenlinie der SPD in den 70er Jahren betrug 9 %. Das unterscheidet die heutige Politik von der damaligen. Sie haben damals permanent mehr ausgegeben, als Sie einnehmen konnten, und haben damit den Staat und die Volkswirtschaft überfordert,
während wir konsolidiert haben, Steuer- und Abgabenlast zurückgenommen haben, damit die Rahmenbedingungen für die längste Wachstumsphase, die die deutsche Volkswirtschaft seit dem Krieg überhaupt gehabt hat, hergestellt wurden. Das gab uns den Spielraum, diese Jahrhundertaufgabe in den Jahren von 1989 bis 1991 und auch 1992 anzugehen. Wir gehen jetzt bereits wieder auf dem Konsolidierungspfad von damals; der Ausgabenanstieg beträgt nur knapp über 2 %.Meine Damen und Herren, Sie wollen überhaupt nicht wahrhaben, was an Einsparungsmaßnahmen seit 1990 bereits vorgenommen worden ist. Im ersten bis dritten Nachtragshaushalt 1990 waren es 5,56 Milliarden DM, die wir eingespart haben. Im Regierungsentwurf 1991 waren es 7,6 Milliarden DM, im Haushalt 1991 37,3 Milliarden DM, und im Bundeshaushalt 1992 sind es 11,8 Milliarden DM, die ganz konkret eingespart wurden. Das Ganze ergibt eine Haushaltsentlastung durch Einsparungen, durch Umschichtungen, durch Umlenkungen und auch durch Erhöhungen der Beiträge von 62,3 Milliarden DM. Das, meine Damen und Herren, ist eine entscheidende Konsolidierungsaufgabe, die wir vorgenommen haben und die ihresgleichen seit 1949 sucht.
Peter Velte schreibt im ,,General-Anzeiger" dazu:Die Beratungen im Haushaltsausschuß, die traditionsgemäß nicht nur von Sachverstand, sondern auch vielen Gemeinsamkeiten bestimmt sind, haben gezeigt, daß mehr als knapp fünf Milliarden Mark am Etatvorschlag des Bundesfinanzministers nicht zu kürzen waren.Das zeigt unseren Ausgangspunkt sehr deutlich.Noch ein Wort zum Subventionsabbau. Entscheidend ist das Volumen der Subventionsabbaubeschlüsse und nicht die Kassenwirksamkeit. Das wußten wir von vornherein.
Subventionsabbau kann immer nur in allmählichen Schritten kassenwirksam werden. Das sind die volkswirtschaftlichen Anpassungskosten. Die Subventionsdefinition des Subventionsberichts hilft nicht immer weiter. Steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Einschränkung können sich nicht im Subventionsbericht niederschlagen.Auch hier lohnt es sich, meine Damen und Herren, einmal auf den Abbau von Subventionen in den letzten Jahren hinzuweisen. Im Jahre 1990, als Gegenfinanzierung zur Steuerreform, waren es 14 Milliarden DM, Berlin- und Zonenrandförderung durch das Steueränderungsgesetz 1991: 10 Milliarden DM. Auch das Abbauvolumen der Koalitionsarbeitsgruppe von knapp 10 Milliarden DM wird erreicht. Es ist eine Gesamtsumme von 32,2 Milliarden DM. Wenn die Subventionen insgesamt steigen, dann darf man sich doch nicht wundern, angesichts dessen, was in den jungen Bundesländern bei den entsprechenden Umschichtungen und bei den Übergangshilfen aufgebracht werden muß, auch im Zusammenhang damit, daß dort durch den Abbau der Preisstützungsmaßnahmen ein großes Maß an Subventionsabbau jetzt und in den nächsten Jahren stattfindet.
Lieber Kollege Weng, ich darf in diesem Zusammenhang auch auf Ihren Beitrag eingehen. Sie haben mich als Vorsitzenden einer bedeutenden Volkspartei bezeichnet.
— Dafür danke ich Ihnen. Ich nehme an, auch Sie wären gerne Vorsitzender einer großen Volkspartei.
Aber Sie müssen sich noch mit einigen Konkurrenten in Ihrer eigenen Partei auseinandersetzen. Aber wie Sie mit Ihrem Mitkonkurrenten Möllemann umgehen, ist beispielhaft: fair und sehr, sehr uneigennützig; bewundernswert. Es ist ein Beispiel, wie man einen solchen Wettkampf in einer Partei durchführt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat übrigens in einem Konvergenzpapier auch gegenüber der Europäischen Gemeinschaft festgestellt, wie sie ihre mittelfristige Finanzplanung weiter durchführt. Wir haben die Konvergenzkriterien schon heute weitgehend erfüllt. Der Schuldenstand beträgt 43 % des Bruttosozialprodukts. Nach den Vorstellungen der Wirtschafts- und Währungsunion in der dritten Phase sind 60 % zulässig. Die Preisstabilität bewegt sich gegenwärtig um die 4 %. Damit liegen wir gut in Europa, aber nicht ausreichend für unsere Zielsetzung. Das muß in den nächsten Jahren wieder besser werden. Bei den langfristigen Zinsen liegen wir in Europa am günstigsten. Wir können auch jeden Vergleich mit den anderen Weltwirtschaftsländern aushalten. Wir stehen beim Wachstum an zweiter Stelle hinter Japan, bei der Stabilität mit Japan an zweiter Stelle, bei der Arbeitslosenquote hinter Japan an zweiter Stelle, bei den Zinsen haben wir die drittniedrigste Rate, und bei der Sparquote liegen wir hinter Japan an zweiter Stelle;
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Bundesminister Dr. Theodor Waigelund das, meine Damen und Herren, obwohl wir im Moment als einziges Land unter den G 7 eine riesige Aufgabe haben, nämlich die Einheit unseres Vaterlandes zu gestalten und zu finanzieren.
Die Nettoleistungen für die Einheit nach Abzug der einigungsbedingten Mehreinnahmen, ohne internationale Leistungen, betragen in diesem Jahr 100 Milliarden DM, 1992 sind es 140 Milliarden DM. Das erhöht die Kaufkraft der jungen Bundesländer um mindestens 50 % im Verhältnis zur selbst produzierten Leistung.Ich will hier sagen, was die Bürger in Ost und die Bürger in West als Beitrag der Solidarität dazu leisten: Per saldo leisten die Bürger im Osten durch weiter bestehenden Einkommensabstand und die Bürger im Westen durch Beitrag zur Einheit ihren solidarischen Einsatz für Deutschland.Meine Damen und Herren, der Kommentator Barbier hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 27. November 1991 gesagt:Die Zahlen des Bundeshaushalts 1992 ... sagen nicht, wie schwierig es in einem föderalen Staatswesen ist, die Lasten der Vereinigung auf faire Weise zwischen dem Bund und den alten Bundesländern zu verteilen.Die deutsche Einheit muß auch weiterhin eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen bleiben.
Unsere Steuerpolitik bleibt auf Wachstumskurs. Die Steuererhöhungen 1991 betragen 17 Milliarden DM. In 1992 und danach werden es etwa 27 Milliarden DM sein. Demgegenüber steht die Steuerentlastung von 1986 bis 1990 in Höhe von 50 Milliarden DM. Die Steuerquote 1991 beträgt 23,5 %, sie betrug 1980 24,7 %. Die Abgabenquote beträgt 1991 40,5 %, sie betrug auch 1980 40,5 %. Wenn wir nicht die deutsche Einheit finanzieren müßten — Gott sei Dank können wir sie finanzieren — , könnten wir die Quote auch senken. Und später werden wir das wieder tun.
Übrigens ist es auch falsch, vom weiteren Marsch in den Lohnsteuerstaat zu sprechen, wie es der Kollege Wieczorek am Dienstag getan hat.
Der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen betrug 1982 32,6 %, er beträgt 1991 32,2 %. Sie werden immer wieder von Ihren eigenen Zahlen eingeholt, und wir sind nicht so vergeßlich, Ihnen den Hinweis darauf zu ersparen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um mehr Ruhe hinten im Saal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der notwendigen kritischen Auseinandersetzung gilt es, die Finanzpolitik seit Beginn der deutschen Einheit richtig zu würdigen und einzuordnen.Hier möchte ich mich bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben, vor allen Dingen bei denen, die nie im Rampenlicht stehen, in den Ministerien, in jedem Amt, in jeder Behörde, in jeder Institution, bei den Kammern, bei den Gewerkschaften und vielen, vielen anderen. Wir allein hätten das nie geschafft. Und es ist nicht unser Werk allein, sondern es ist vor allen Dingen das Werk der Millionen in Deutschland, die daran mitarbeiten.
Lieber Kollege Walther, wenn Sie als Vorsitzender des Haushaltsausschusses die Eile und manchmal Hektik beklagen, kann ich das verstehen. Auf der anderen Seite muß man sehen, was wir auf einmal und fast gleichzeitig zu tun hatten und haben: damals die Vorbereitung und den Abschluß der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion, fast gleichzeitig die Mitwirkung beim Einigungsvertrag, die Finanzierung der Einheit, Fach- und Rechtsaufsicht über die Treuhandanstalt, zur gleichen Zeit die Arbeit an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, zur gleichen Zeit die Mitwirkung am Aufbau der Demokratien und Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa und auch die Mitwirkung an dem positiven Prozeß in der Sowjetunion. Ich glaube, noch nie stand eine Politik — auch nicht die Finanzpolitik — gleichzeitig vor so vielen Herausforderungen. Ich bitte, das zu berücksichtigen.
Es ist eine unglaubliche Befriedigung — auch für das gedankliche Erbe, das wir mit zu verwalten haben — , wenn man sich heute einmal vorstellt, daß die Soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard zum größten Exportartikel geistiger, politischer Art geworden ist, den wir in der Welt im ökonomischen Bereich im Moment vorzuweisen haben.
Es ist schon bemerkenswert, wenn sich der polnische Finanzminister Balcerowicz und sein tschechoslowakischer Kollege Klaus eindeutig zu den Lehren Ludwig Erhards bekennen.Meine Damen und Herren, es geht um Zahlen, es geht um Daten. Aber viel mehr geht es um die Interessen der Menschen und um Einzelschicksale. Wir dürfen und können diese Dinge nicht mit den Maßstäben von gestern messen. Die großen Aufgaben der deutschen Einheit erfordern besondere Instrumente, besondere Bewertungsmaßstäbe und auch eine besondere Kooperation zwischen Regierung und Opposition.Man hat mir in den letzten Wochen ein Herz aus Stein empfohlen. Aber ich behalte mir vor, wir behalten uns vor, als Menschen zu entscheiden: an der Wirklichkeit und nicht nur an kalten Fakten und Zahlen orientiert. Allerdings: Jeder wird auf Granit beißen, der mit untragbaren Forderungen an uns heran-
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Bundesminister Dr. Theodor Waigeltritt und damit die Stabilität von Staat und Wirtschaft gefährden könnte.Ich danke Ihnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache zum Haushalt 1992.
Es ist hier viel Dank ausgesprochen worden. Lassen Sie mich hier noch einen Dank — ich hoffe, in Ihrer aller Namen — aussprechen, den Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Hause, in den Fraktionen und bei den Abgeordneten, die mitgewirkt haben, daß dies zustande kommen konnte. Ganz herzlichen Dank!
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1992 in der Ausschußfassung.
Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die Abstimmung und mache Sie darauf aufmerksam, daß wir anschließend noch über einen Entschließungsantrag abstimmen werden.
— Nein, nicht namentlich.
Meine Damen und Herren, kann ich davon ausgehen, daß alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben haben? — Noch nicht. —
Ich frage noch einmal: Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Die Abstimmung ist geschlossen.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. *)
Ich bitte Sie Platz zu nehmen, weil wir über den Entschließungsantrag der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1992 auf Drucksache 12/1671 abstimmen wollen.
— Je eher Sie Platz genommen haben, um so früher können wir zur Abstimmung kommen und in den Beratungen fortfahren. Wir haben uns anschließend mit Änderungen des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes auseinanderzusetzen.
Wir kommen zur Abstimmung über den aufgerufenen Entschließungsantrag auf Drucksache 12/1671. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS/Linke Liste abgelehnt worden.
*) Seite 5317A
Wir haben damit diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich bitte Sie, einverstanden zu sein, daß wir mit der Beratung des nächsten Tagesordnungspunkts beginnen und daß wir diese Beratung, sobald das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt, kurz unterbrechen, damit dieses Ergebnis bekanntgegeben wird. Kann ich davon ausgehen, daß Einverständnis herrscht? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VIII auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes und zur Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
— Drucksache 12/1643 —Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner unserem Kollegen Dr. Paul Laufs das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im März 1978 haben wir das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste beschlossen. Es wurde mit großer Mehrheit aller Fraktionen angenommen.Ich freue mich, daß wir jetzt, wo dieses Gesetz unseren Erfahrungen und Ansprüchen gemäß weiterentwickelt wird, wiederum einen Gesetzentwurf vorlegen können, der in diesem Hause auf breiter Basis mitgetragen wird, nämlich von den Koalitionsparteien und der Sozialdemokratie.Unser Ziel ist wie im Jahr 1978, eine institutionalisierte parlamentarische Kontrolle über die Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes ausüben zu können,
ohne dabei gleichzeitig in die politische Verantwortung der Regierung für die Nachrichtendienste einzugreifen.Die Aufgabe der Kontrollkommission ist zweigeteilt. Sie wacht einerseits darüber, daß die Grundrechte der Bürger vor Übergriffen der Geheimdienste geschützt werden, andererseits darüber, daß für die Leistungsfähigkeit und den Schutz der Nachrichtendienste bei ihrer Tätigkeit gesorgt ist.Die damalige Bundesregierung versprach sich von der Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission einen Zuwachs an Unterstützung im Parlament und
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5316 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Dr. Paul Laufseinen konstruktiven Dialog gerade über die sehr schwierige Grenzziehung beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Sie erwartete auch eine Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die rechtmäßige und ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Dienste bei ihrem so schwierigen Geschäft zum Wohle unserer Bürger. Heute haben wir festzustellen, daß sich diese Erwartungen nur teilweise erfüllt haben.Es ist nicht die Aufgabe der Kontrollkommission, eine vorbeugende und begleitende Kontrolle der Dienste auszuüben. Die Öffentlichkeit erregende Fehlleistungen können im einzelnen durch die Arbeit der Kommission nicht verhindert werden. Es hat keine direkte Überprüfung operativer Handlungen gegeben, und es durfte sie auch nicht geben. Dies ist die Aufgabe der Regierung, die für die Tätigkeit der Dienste die ungeteilte politische Verantwortung trägt.Die nachrichtendienstliche Tätigkeit kann aber nur erfolgreich sein, wenn der Schutz der handelnden Personen in diesen Behörden sowie des Nachrichtenzugangs über Quellen und ausländische Partnerdienste uneingeschränkt gewährleistet ist. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, daß jede Bundesregierung bei Bestimmung der Zeit, der Art und des Umfangs der im PKK-Gesetz begründeten nachträglichen Unterrichtung äußerst vorsichtig und zurückhaltend war. Darunter litt die Qualität der Arbeit der Kontrollkommission. Wir wollen nunmehr die parlamentarische Kontrollfunktion stärken. Diese Absicht haben die Regierungsfraktionen schon in ihre Koalitionsvereinbarung zu Beginn dieser Wahlperiode aufgenommen.Wir wollen die Bundesregierung durch den vorliegenden Gesetzentwurf dazu verpflichten, daß sie künftig über alle Vorgänge von besonderer Bedeutung umfassend berichtet. Die Bundesregierung kann danach die Unterrichtung über einzelne Vorgänge nur noch dann verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs notwendig ist und wenn dies begründet wird.Die Informationsmöglichkeiten der Kontrollkommission sollen auch dadurch verbessert werden, daß sie die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste mit berät. Die Bundesregierung hat sie über den Vollzug der Wirtschaftspläne durch die Nachrichtendienste zu unterrichten.Außerhalb der gesetzlichen Vorschriften wird die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag eine Erklärung abgeben, wonach sich Angehörige der Dienste zur Verbesserung der Aufgabenerfüllung ihrer Häuser mit Hinweisen direkt an die Kommission wenden können, weshalb der jeweilige Bedienstete dienstrechtlich weder gemaßregelt noch benachteiligt werden darf. Es versteht sich von selbst, daß dienstrechtliche Vorschläge im eigenen Interesse oder zugunsten Dritter ausgeschlossen sind.Zudem soll die Kommission zur Akteneinsicht bei den Diensten und zur Anhörung bestimmter Personen jederzeit befugt sein. Zwar hat auch hier die Bundesregierung ein Verweigerungsrecht, doch muß sie die Gründe auf Wunsch der Parlamentarischen Kontrollkommission darlegen.Wir sind uns bewußt, daß diese erweiterten Unterrichtungspflichten und Informationsrechte eine solide Vertrauensbasis zwischen den Mitgliedern der PKK und der Regierung voraussetzen. Die strikte strafbewehrte Geheimhaltungspflicht bleibt für die PKK-Mitglieder bestehen.Gleichwohl wird auch die öffentlichkeitswirksame Darstellung der Arbeit der Kommission verbessert werden. So sollen die Kommission und einzelne Mitglieder die Möglichkeit erhalten, aktuelle Vorgänge in der Öffentlichkeit zu bewerten, wenn zuvor zwei Drittel der anwesenden Mitglieder der Kommission dem zugestimmt haben. Diese Bewertung von aktuellen Vorgängen schließt eine Preisgabe konkreter Einzelheiten aus, die zur Gefährdung der Tätigkeit der Dienste führen könnte.Schließlich soll die Kommission dem Bundestag in der Mitte und am Ende einer Wahlperiode über ihre Kontrolltätigkeit berichten.Der Untergang des SED-Staates und der Umbruch in Osteuropa wirkten sich tiefgreifend auch auf die Tätigkeit unserer Geheimdienste aus. Umfassende Anpassungen sind erforderlich und auch bereits auf den Weg gebracht worden.Es ist die Frage aufgeworfen worden, inwieweit der Auftrag unserer Nachrichtendienste, Gefahren, die es für diesen Staat abzuwehren gilt, frühzeitig zu erkennen, überhaupt noch aufrechtzuerhalten ist. Es deutet manches darauf hin, daß eine unruhige, von Krisen geschüttelte und von regionalen Kriegen heimgesuchte Zukunft vor uns liegt. Zahlreiche bedrükkende Ereignisse haben uns gezeigt, wieviel kriminelle Energie nah und fern darauf gerichtet wird, atomare, biologische und chemische Waffen herzustellen und zu beschaffen. Die Welt wird nicht frei sein von kriegerischen Bedrohungen, Staatsterrorismus, politischen Erpressungen und Geiselnahmen. Und auch die innere Ordnung des Grundgesetzes wird weiterhin vor links- und rechtsextremistischen Bestrebungen und Terroranschlägen geschützt werden müssen.Wir brauchen die Nachrichtendienste auch in der Zukunft. Wir sollten über manchen Fehlleistungen nicht vergessen, daß sie einen wichtigen Auftrag zu erfüllen hatten und auch erfüllt haben. Wir verdanken auch ihnen, daß wir auf viele Jahrzehnte des Friedens in Freiheit und Sicherheit zurückblicken können.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche verabredungsgemäß kurz die Aussprache und gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung — Schlußabstimmung — über das Haushaltsgesetz 1992 — Drucksachen 12/1000, 12/1329, 12/1401 bis 12/1415, 12/1416 , 12/1417 bis 12/1422, 12/1424 bis 12/1430, 12/1600, 12/1601 — bekannt: abgegebene Stimmen 542. Alle Stimmen waren gültig. Mit Ja haben 335 Kolleginnen und Kollegen des Hauses gestimmt, mit Nein 207.
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Vizepräsident Helmuth BeckerEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 541ja: 334nein: 207enthalten: 0ungültig: 0JaCDU/CSUFrau Dr. AckermannAdamDr. AltherrFrau AugustinAugustinowitzAustermannBargfredeDr. BauerBayhaBelleFrau Dr. Bergmann-Pohl BierlingDr. BlankFrau BlankDr. BlensBleserDr. BlümBöhm
Frau Dr. BöhmerBörnsen
Dr. BötschBohl BohlsenBorchertBrähmigBreuerFrau BrudlewskyBrunnhuberBühler
Büttner
Carstens
ClemensDehnelDeresFrau DiemersDörflingerDossDr. DreggerEchternachEhlersEhrbarFrau EichhornEngelmannEppelmannEylmannFrau FalkDr. FaltlhauserFeilckeDr. FellFischer FockenbergFrancke
Dr. FriedrichFritz FuchtelGanz
Frau GeigerGeisDr. GeißlerDr. von GeldernGerster
GibtnerGlosDr. GöhnerGöttschingGötzGresFrau GrochtmannGröblGrotzGünther HarriesHaschke
Frau HasselfeldtHauser
Hauser HedrichHeiseFrau Dr. HellwigHelmrichDr. HennigDr. h. c. Herkenrath HinskenHintze Hörsken HörsterDr. HoffackerHollerithDr. HornhuesHornung Hüppe Frau JaffkeJagodaDr. Jahn JanovskyFrau JeltschDr.-Ing. JorkDr. JüttnerJung JunghannsDr. Kahl KalbDr.-Ing. KansyDr. KappesFrau KarwatzkiKauder KellerKiechle KittelmannKlein
Klein
KlinkertKöhler
Dr. Köhler
Dr. Kohl KolbeFrau KorsKoschyk KossendeyKrausKrause
Kriedner KronbergDr.-Ing. Krüger KrziskewitzLamersDr. LammertDr. LaufsLaumannFrau Dr. LehrLenzerDr. LieberothFrau LimbachLink
LintnerDr. sc. LischewskiFrau LöwischLohmann LouvenLummer Dr. LutherFrau MännleMaginFrau Marienfeld MarschewskiMartenDr. Mayer MeckelburgMeinlDr. Meyer zu BentrupFrau Michalk Dr. Mildner Dr. MöllerMüller
Müller
Müller
NelleDr. Neuling Neumann
NitschOstOswaldOtto Dr. PäseltDr. Paziorek PeschPetzoldPfeffermann PfeiferDr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger PofallaFrau Priebus Dr. ProbstDr. Protzner PützhofenFrau Rahardt-Vahldieck RaidelDr. Ramsauer RauRauenReddemann Regenspurger Reichenbach Dr. Reinartz Frau Reinhardt RepnikDr. RiederDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode
Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Dr. RoseRossmanith Roth RotherDr. RuckRüheDr. Rüttgers Sauer
Sauer ScharrenbroichFrau Schätzle Dr. Schäuble Schartz Schemken ScheuSchmalzSchmidbauer Schmidt
Dr. Schmidt Schmidt (Mühlheim)Frau Schmidt Schmitz (Baesweiler)von SchmudeDr. Schneider
Graf von Schönburg-Glauchau Dr. ScholzFrhr. von SchorlemerDr. Schreiber SchulhoffSchulz
SchwalbeSchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeehoferSeesingSeibelSeitersSkowron Dr. Sopart Frau SothmannSpilkerSpranger Dr. SprungDr. StavenhagenFrau Steinbach-HermannDr. SterckenDr. Frhr. von Stetten StockhausenDr. StoltenbergStrubeSussetTillmann Dr. Töpfer Dr. Uelhoff UldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VondranDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-ZeilDr. WarrikoffWerner
Frau WiechatzekFrau Dr. WilmsWilzWimmer
Frau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWittmann WonnebergerFrau WülfingWürzbach Zeitlmann ZöllerFDPFrau AlbowitzFrau Dr. BabelBaumBeckmann Eimer
Engelhard van Essen Dr. FeldmannFriedhoff FriedrichFrau Dr. Funke-Schmitt-Rink GallusGanschow Gattermann GriesGrünerGünther
Dr. GuttmacherHansenHeinrich Dr. Hirsch Dr. HitschlerFrau Dr. HothDr. Hoyer HübnerIrmerKleinert
Dr. Kolb Koppelin Dr.-Ing. LaermannFrau Leutheusser-SchnarrenbergerLüderLührDr. Menzel
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5318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Vizepräsident Helmuth BeckerMischnickNoltingOtto
PaintnerFrau PetersFrau Dr. PohlRichter RindDr. RöhlSchäfer
Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt
Dr. SchmiederSchüßlerFrau Dr. Schwaetzer Frau SehnFrau Dr. SemperThieleDr. ThomaeTimmTürkFrau WalzDr. Weng Wolfgramm (Göttingen) Frau WürfelZurheideZywietzNeinSPDAndres AntretterBachmaierFrau BarbeBartschBecker
Frau Becker-InglauBerger BernrathBeucherBindigFrau BlunckDr. Böhme
BrandtFrau Brandt-ElsweierDr. BrechtBüchler
Büchner
Büttner
Frau BulmahnFrau BurchardtBuryFrau Caspers-Merk CatenhusenConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. Diederich
DillerFrau Dr. DobberthienDreßlerDuve Ebert Dr. EckardtDr. Ehmke
EichDr. ElmerEsters Ewen Frau FernerFrau Fischer
Fischer
FormanskiFrau Fuchs
FuhrmannGanselDr. GautierGilgesFrau GleickeGroßmann HackerFrau HämmerleHampelFrau HanewinckelFrau Dr. Hartenstein HasenfratzHeistermannHiller
Hilsberg HornIbrüggerFrau IwersenFrau JägerDr. JanzenJaunich Dr. JensJung Jungmann (Wittmoldt) Frau KastnerKastning Kirschner Frau KlappertFrau KlemmerKloseDr. sc. KnaapeKörperFrau KolbeKolbow Koltzsch KubatschkaDr. Kübler Kuessner Lambinus Frau Langevon LarcherLennartz Lohmann
Frau Dr. LucygaMaaß
Frau Marx Frau MascherMatschieDr. MatterneFrau Matthäus-Maier MeckelMeißnerDr. Mertens
Dr. Meyer MosdorfMüller
Frau Müller Müller (Zittau) MünteferingNeumann Neumann (Gotha)Frau Dr. NiehuisDr. Niese NiggemeierFrau Odendahl OesinghausOostergeteloOpelOstertagFrau Dr. OttoPaternaDr. PennerDr. Pfaff PoßPurpsReimannFrau von RenesseFrau Rennebach Reschke ReuschenbachReuterRixeSchäfer SchanzScheffler SchilySchlotenSchluckebier Schmidbauer Frau Schmidt (Aachen) Frau Schmidt-ZadelDr. Schmude Dr. Schnell SchreinerSchröterSchützFrau Schulte Dr. Schuster SchwanitzSeidenthal Frau Seuster SielaffSingerDr. SoellFrau Dr. Sonntag-Wolgast SorgeDr. Sperling Frau Steen SteinerDr. Struck TappeDr. Thalheim ThierseTietjenFrau TitzeToetemeyer UrbaniakVerginDr. VogelWagnerWallowWalter
Walther Wartenberg (Berlin)Frau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler WeißgerberWeisskirchen WeltDr. WernitzFrau Wester Frau WestrichFrau Wettig-Danielmeier Frau Dr. WetzelFrau Weyel Wieczorek WiefelspützDr. de With Frau WohllebenFrau WolfDr. ZöpelPDS/LLFrau Bläss Frau BrabandDr. BriefsFrau Dr. EnkelmannDr. Gysi Frau JelpkeDr. Keller Frau LedererDr. Modrow Dr. RiegeDr. Schumann Dr. SeifertFrau StachowaBündnis 90/GRÜNEDr. FeigeFrau Köppe PoppeFrau Schenk Schulz Dr. Ullmann Weiß (Berlin)Fraktionslos LowackDamit ist das Haushaltsgesetz in der Schlußabstimmung angenommen worden.
Wir fahren in der Aussprache zu Punkt VIII der Tagesordnung fort. Das Wort hat unsere Kollegin Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute liegt uns eine der wenigen Antworten auf den BND-Waffendeal vor: eine Änderung des PKK-Gesetzes. Wenn in der Begründung mitgeteilt wird, die nunmehr dreizehnjährige Praxis mit dem bisherigen Gesetz habe gezeigt, daß die PKK der Aufgabe einer parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste mit diesem Gesetz nicht gerecht werden könne, dann wundert mich eigentlich nur eines: Haben Sie das wirklich erst bemerkt nach den Hamburger „Mähdreschern'?13 Jahre sind immerhin eine lange Zeit. Meine Redezeit würde nicht ausreichen, die ganzen Geheimdienstskandale aufzuzählen, die sich in diesen 13 Jahren in diesem Lande ereignet haben. Nur, eins ist jedenfalls auch sicher: Noch nicht ein einziger solcher Skandal ist durch die PKK aufgedeckt worden. Sie hinkt wirkungslos hinterher. Ich vermute, dabei wird es auch bleiben.Jetzt ist zwar nach 13 Jahren offenbar Handlungsbedarf entstanden, doch die an den Tag gelegte Eile
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Andrea Lederersoll nur darüber hinwegtäuschen, was nicht nur alle Mitglieder der PKK und dieses Hauses, sondern auch die Menschen in diesem Lande längst wissen: Die bundesdeutschen Geheimdienste sind nicht zu kontrollieren. Sie werden es auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes nicht sein. Sie sollen es offensichtlich auch gar nicht sein.Wenn Sie beispielsweise Regelungen getroffen hätten über die Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit, wenn Sie sich z. B. dazu entschlossen hätten, daß Rücksichten auf sogenannte Partnerdienste gegenüber der Kontrolle der eigenen Dienste hintanstehen müßten, oder wenn Sie sich endlich dazu entschlossen hätten, Geheimdienstkritikerinnen in die PKK aufzunehmen wie etwa die Gruppen Bündnis 90 und PDS/Linke Liste, dann könnte ich wenigstens feststellen: Es gibt einen Ansatz von Bemühen. Aber das ist nicht der Fall.Sie feiern hingegen solche Errungenschaften wie folgende: Schaffung einer Unterrichtungspflicht der Bundesregierung, die das dann aber auch gleich wieder verweigern kann aus „zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs", wie es so schön heißt. Und wenn Sie es verweigert, dann darf die PKK noch eine Begründung dafür verlangen, und dann ist aber auch schon Schluß. Wie wollen Sie da eigentlich eine Kontrolle von Geheimdiensten ausüben?Oder trotz der neuen Regelung: Anhörung von Auskunftspersonen. Wir kennen doch alle das nette Spiel mit den Aussagegenehmigungen. Die von Ihnen künftig anzuhörenden Agenten und Mitarbeiter bestimmter Behörden werden sozusagen nur dann wirkliche Auskunftspersonen, wenn sie sich entgegen jeder Beschränkung durch Aussagenehmigungen zum Auspacken entschlössen, und dann nützt es nichts, daß sie sich an Sie wenden können, ohne disziplinarrechtlich gerügt zu werden. Sie werden letztlich darauf verwiesen, daß die Bundesregierung entscheidet, was raus darf und was nicht. Genau vor diesem Problem wird die PKK so wie in den letzten 13 Jahren weiterhin stehen.Das sind nur einige Beispiele aus den Unzulänglichkeiten dieses Änderungsentwurfs. Ich kann Ihnen nur sagen: Im Schalck-Ausschuß vergeht kaum ein Sitzungstag, an dem nicht festgestellt wird, daß BND-Vermerke zu allem anderen als zur Ermittlung der Wahrheit zu gebrauchen sind. Machen Sie doch uns und der Öffentlichkeit nichts vor! Sie gehen mit diesem Skandal, dem Waffendeal aus Hamburg, um wie mit den bundesdeutschen Giftgasausrüstungen für den Irak: Sie schaffen zur Beruhigung der Öffentlichkeit ein Stück Makulatur. Sie beabsichtigen gar nicht, eine wirkliche Kontrolle durchzusetzen, sowenig wie Sie wirklich den Waffenexport beschränken wollen.Solange der Bundesregierung ein „Verweigerungsrecht unter dem Stichwort „Quellenschutz" und „Schutz der Partnerdienste" zusteht, solange Geheimdienstkritiker aus der PKK herausgehalten werden, solange es also am politischen Willen zu einer wirklichen Kontrolle fehlt, genau so lange werden die Geheimdienste ihre bisherige Praxis fortsetzen; sie werden keiner wirklichen Kontrolle durch dieses Haus unterliegen und erst recht nicht durch die Öffentlichkeit. Es werden immer andere als Mitglieder dieses Hauses sein, die die finsteren Machenschaften der Geheimdienste ans Licht zerren müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Peter Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute einen erfreulichen Vorgang zu verzeichnen, nämlich die erste Lesung eines Gesetzentwurfs zur Novellierung des Gesetzes über die Parlamentarische Kontrollkommission, eine der wenigen positiven Auswirkungen der Affäre, die mit der Lieferung von Panzern für Israel zusammenhängt. Diese Affäre hat nun mit Sicherheit auch den letzten Zweifel bei denjenigen beseitigt, die bisher davon ausgingen, die Parlamentarische Kontrollkommission nehme ihre Rechte ordentlich wahr und werde auch von der Bundesregierung ordentlich informiert, und deshalb sei eine Novelle nicht erforderlich. Ich konzediere auch gerne, Kollege Laufs, daß dies sozusagen nur der letzte Tropfen war. Die Koalitionsfraktionen haben in ihrer Koalitionsvereinbarung ohnehin dieses Thema angesprochen. Wir Sozialdemokraten haben das sehr begrüßt und in der Diskussion ja auch immer mitgetragen.Ich möchte nicht zu den Einzelheiten Stellung nehmen, weil ich glaube, daß Kollege Laufs das Wesentliche dazu gesagt hat. Wir müssen uns ja auch nicht unbedingt wiederholen, wenn wir einer Meinung sind. Ich möchte nur einen Aspekt ansprechen, der sicherlich noch der näheren, vertiefenden Beratung im Innenausschuß bedarf, den wir — federführend — darum bitten wollen.Wir müssen aufpassen bei der Frage, ob sich Mitarbeiter der Dienste an die Parlamentarische Kontrollkommission sollen wenden können und welche Konsequenzen das hat, damit diese Parlamentarische Kontrollkommission nicht zu einer Art Petitionsausschuß oder Kummerkasten oder zwischen Personalrat und Petitionsausschuß der Angehörigen der Dienste wird. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Jeder von uns weiß: Wenn sich ein Mitarbeiter von seinem Arbeitgeber beschwert fühlte, was ja überhaupt nicht auszuschließen ist, und dann plötzlich dieses Instrumentarium angeboten bekäme, würden wir mit einer Reihe von Dingen befaßt, die für die Parlamentarische Kontrollkommission für die Nachrichtendienste überhaupt nicht erörterungswürdig wären. Deshalb weise ich für meine Fraktion darauf hin, daß diesem Thema besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Ich begrüße ausdrücklich die Bereitschaft der Bundesregierung, die einzuhaltende Grenze zwischen Exekutive und Legislative jedenfalls etwas weicher — um das einmal zurückhaltend zu formulieren — zu gestalten, als es der Fall wäre, wenn man das streng juristisch faßte im Hinblick auf die von Herrn Staatsminister Stavenhagen in der Öffentlichkeit und auch in der Parlamentarischen Kontrollkommission abgegebenen Äußerungen.Zum Schluß, meine Damen und Herren: Ich glaube, daß wir gut beraten sind und der Innenausschuß gut beraten sein wird, wenn wir das Gesetz über die No-
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Dr. Peter Struckvelle zur PKK möglichst noch in diesem Jahr, d. h. konkret: in zwei Wochen, hier in zweiter und dritter Lesung beraten können; Kollege Laufs und Kollege Hirsch.Die Menschen, die sich von den Aktivitäten von Geheimdiensten beschwert fühlen, ob zu Recht oder zu Unrecht, haben ein Recht darauf, daß wir wirklich zügig zu Ende kommen. Ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, daß wir hier ein Ergebnis diskutieren werden, das allen Ansprüchen, die dabei zu berücksichtigen sind, gerecht werden.
Ich erteile jetzt der Frau Kollegin Ingrid Köppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur heutigen Beratung über Korrekturen an der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste kommt es, weil diese Dienste in den letzten Wochen und Monaten wieder einmal für negative Schlagzeilen gesorgt haben. Ich brauche diese Schlagzeilen hier nicht noch einmal zu nennen. Daraufhin setzt nun ein hektisches Treiben in Richtung Öffentlichkeit ein, die ja ohnehin seit einiger Zeit zu Recht und zunehmend eine Entspannungsdividende bei den Diensten einfordert, also zumindest personelle und materielle Kürzungen.
Zu den angekündigten personellen Kürzungen bei den Diensten vergißt man aber leider, Termine zu nennen. Die Sachmittelkürzungen sehen so aus, daß z. B. das Bundesamt für Verfassungsschutz im nächsten Jahr statt der geplanten 30 Millionen DM nur 20 Millionen DM mehr bekommen soll.
Als Krönung kommt noch eine angebliche Verbesserung der Kontrolle, denn die parlamentarischen Kontrolleure hatten ja die letzten Eskapaden der Dienste wieder einmal erst aus der Presse erfahren.
Den Entwurf, den Sie, meine Herren aus der PKK, jetzt vorlegen, können Sie nicht ernst meinen. Daß die Neuregelungen vielfach gar nicht gesetzlich festgeschrieben werden sollen, sondern nur in Herrn Stavenhagens ehrenwörtlicher Erklärung — auf diese wirklich einmalige Form des Ansinnens an den Gesetzgeber will ich hier gar nicht vertieft eingehen.
Inhaltliche Substanz ist praktisch nicht vorhanden. Ich nenne folgende Beispiele.
Erstens. Eine umfassende Unterrichtungspflicht der Bundesregierung auch über alle „Vorgänge von besonderer Bedeutung" sah das Gesetz in genau dieser Formulierung schon bisher vor. Wie die Bundesregierung dies interpretiert hat und auch weiterhin interpretieren wird, ist bekannt bzw. absehbar.
Zweitens. Soweit die PKK nun auch die Etats der Dienste mitberaten soll, wird sie problematische Ausgaben darin ebensowenig erkennen können und verhindern wie das Haushaltsgremium.
Drittens. PKK-Mitglieder sollen nicht etwa die Öffentlichkeit über erfahrene Machenschaften der Dienste informieren; nein, in ausnahmsweise öffentlicher Sitzung dürfen nur der Öffentlichkeit bereits durch die Medien bekanntgewordene aktuelle Vorgänge lediglich bewertet werden, und das auch nur, wenn es auch den Vertretern der Regierungsfraktionen genehm ist.
Viertens. Dem gleichen Zweck dienen die vorgesehenen Tätigkeitsberichte der PKK an den Bundestag. Wir fragen uns: Was soll darin überhaupt stehen? Jedenfalls keine Angelegenheiten, die den PKK-Mitgliedern bei ihrer Tätigkeit bekanntgeworden sind, denn die so formulierte Geheimhaltungspflicht wird natürlich nicht angetastet.
Herrn Stavenhagens Ehrenworterklärung gewährt Akteneinsicht nur auf Unterrichtungswünsche hin, also wenn der PKK der zugrunde liegende Vorgang schon anderweitig gesteckt worden sein muß.
Sechstens. Zwar sollen sich Mitarbeiter der Dienste an die PKK wenden dürfen, aber offenbar nur mit vorheriger Erlaubnis, denn anders wäre gar nicht denkbar, wie die Bundesregierung nach Nr. 3 der Erklärung eine solche Maßnahme aus Sicherheitsgründen verweigern kann.
Siebtens. Natürlich stehen alle Unterrichtungen, die Akteneinsicht usw. unter dem alten, jetzt nur etwas enger klingenden Vorbehalt des Quellenschutzes bzw. Nachrichtenzugangs.
Meine Damen und Herren, in der PKK treffen sich Vertreter der CDU/CSU-, der FDP- und der SPD-Fraktion; Teile der Opposition sind von dieser Arbeit ausgeschlossen. Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE wird weiter und demnächst gegebenenfalls auch in Karlsruhe einen Sitz selbst in dieser zahnlosen PKK einfordern, solange die Dienste noch existieren, doch ohne die Illusion, damit die strukturelle Unkontrollierbarkeit und Demokratieunverträglichkeit der Geheimdienste plötzlich beheben zu können. Vielmehr hält die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN daran fest, daß Dienste wie BND und MAD abzuwickeln sind und daß auch die Verfassung nicht durch das Bleichlautende Amt geschützt, sondern nur durch die Bürgerinnen und Bürger selbst sowie durch den Ausbau demokratischer Rechte fortentwickelt werden kann.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Rolf Olderog das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Mitglied der PKK begrüße ich den gemeinsamen Gesetzentwurf und insbesondere die angekündigte Erklärung der Bundesregierung nachdrücklich. Damit erhält die Kontrollkommission optimale Rechte und Möglichkeiten. Das war auch dringend notwendig.Bei den Diensten handelt es sich um große personelle Apparate. Die Arbeitsfelder sind unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten weitaus sensibler als bei allen anderen Verwaltungsbeamten. Verwaltungsapparate dieser Größenordnung werden normalerweise durch vielköpfige Parlamentsausschüsse in einer Fülle von Sitzungen begleitet und durch die öffentli-
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Dr. Rolf Olderogchen Medien kontrolliert. Der Kontrollbedarf bei den Diensten ist daher besonders groß.Tatsächlich gibt es aber nur die vergleichsweise kleine PKK, die auch lediglich in größeren zeitlichen Abständen zusammenkommt. Obendrein ist die Sitzungszeit in der Regel auf zwei Stunden beschränkt.Wenn also schon von daher die PKK in ihren zeitlichen Möglichkeiten eingeschränkt ist, dann ist es um so dringlicher notwendig, daß sie optimale Rechte und Möglichkeiten erhält, vergleichbar denen eines Untersuchungsausschusses.Meine Damen und Herren, rückblickend auf die bisherige Tätigkeit der PKK möchte ich feststellen: Ich habe mir manchmal gewünscht, daß die Bundesregierung und die Chefs der Nachrichtendienste zu sensiblen Themen von sich aus mit Informationen stärker auf uns zugekommen wären. Aber ich möchte auch ganz deutlich klarstellen: Nach meiner Überzeugung sind unsere Fragen jeweils nach bestem Wissen und Gewissen ehrlich beantwortet worden. Lediglich — ich nenne einen Punkt, an dem bei mir Zweifel, die ich nicht habe klären können, geblieben sind — bei der Informationspolitik zu Rabta gab es einige Fragen.Wird es jetzt mit den optimalen Rechten und Möglichkeiten der PKK eine umfassende Kontrolle der Dienste geben? Mir erscheint das zweifelhaft. Es setzte voraus, daß die PKK von sich aus ihre Kontrolltätigkeit nachdrücklich intensivierte. Wenn wir als PKK-Mitglieder ehrlich sind, werden wir einräumen müssen, daß die Kontrolle auch deshalb unbefriedigend ist, weil wir alle unter Termin- und Zeitdruck stehen. Das hat dazu geführt, daß unsere Tätigkeit meist durch Pressemitteilungen über angebliche oder vielleicht tatsächliche Skandale, weniger aber durch ein systematisches Kontrollkonzept für die Dienste ausgelöst wurde. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß wir den langen Themenkatalog des Informationsangebotes von Regierung und Diensten meist nur zu Bruchteilen genutzt haben und daß wir auch unsere eigenen Informationswünsche oftmals nicht konsequent weiterverfolgt haben.
Wenn auch in Zukunft die Kontrolle der Dienste unzureichend sein sollte, so werden sich kritische Fragen auch an die PKK selbst zu richten haben.Meine Damen und Herren, meine Überzeugung ist: Die Dienste sind weit besser als ihr Ruf. Über sie wird in der Öffentlichkeit leider nur geredet, wenn es angeblich oder tatsächlich einmal zu Pannen gekommen ist und in der Presse dann von Skandalen berichtet wird. Die Erfahrung zeigt, daß jeder Fehler mit Außenwirkung, der von Geheimdiensten gemacht wird, von der Öffentlichkeit sofort als Skandal bewertet wird.Natürlich gibt es Pannen. Wer wollte das bestreiten? Überall gibt es sie. Aber sie sind selbstverständlich auch bei den Diensten die Ausnahme. Die korrekt und ordnungsgemäß ablaufende Arbeit der Geheimdienste findet verständlicherweise in der Presse keinen Niederschlag; das liegt leider in der Natur der Sache.Was die in der Presse zunächst groß herausgestellten Skandale angeht, so habe ich persönlich wiederholt miterlebt, daß eine gründliche Untersuchung dann ergeben hat, daß von einem Skandal gar nicht die Rede sein konnte, manchmal nicht einmal von Fehlern. Über eine befriedigende Aufklärung wurde in der Presse dann aber kaum ein Wort verloren. Haften blieb in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger: Wieder einmal Skandale und finstere Machenschaften bei den Nachrichtendiensten. Ich appelliere deshalb an die deutsche Presse: Seien sie fairer gegenüber den Diensten, die im Auftrag des Parlaments wichtige und schwierige Aufgaben zu erfüllen haben! Ich möchte die Gelegenheit ebenfalls benutzen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Dienste auch einmal ausdrücklich unseren Dank für ihre Arbeit auszudrücken.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns auch einmal fragen, wie diese Art des öffentlichen Umgangs mit den Diensten auf die Motivation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirkt. Ein Dienst kann seine Aufgabe nur dann wirklich überzeugend leisten, wenn er weiß, daß er auch ein gutes Stück Rückhalt und Vertrauen beim Parlament, bei der Regierung und bei der breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger besitzt. Der israelische Mossad hat einen guten Ruf; der BND einen weniger guten. Der Mossad wird vom Vertrauen seines Parlaments, seiner Regierung und der Bürgerinnen und Bürger seines Landes getragen. Seine Mitarbeiter sind voll motiviert. Am Bundesamt für Verfassungsschutz und am Bundesnachrichtendienst wird öffentlich in aller Regel nur herumgenörgelt. Besonders populär — wir haben es vorhin gehört — ist zur Zeit die Forderung nach ihrer Abschaffung.Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt: Auch in Zukunft brauchen wir die Dienste. Natürlich ist die die Aufgaben bisher bestimmende Ost-West-Konfrontation entfallen. Aber es gibt eine Fülle neuer Gefahrenmomente, die uns herausfordern — ich nenne nur einige Stichwörter; auch Paul Laufs hat dies getan — : Rechtsextremismus, Terrorismus, Spionage, im äußeren Bereich die neuen Krisenregionen in der Welt, Unsicherheiten über den Verbleib atomarer sowjetischer Waffen, eine ungeheure Aufrüstung vor allem in der Dritten Welt. Was des weiteren an organisierter Kriminalität auf uns zukommt, das sprengt alle bisher bekannten Dimensionen: ein weltweiter Drogenhandel und ein international in erschreckender Weise perfekt und professionell organisiertes Bandenwesen.Ich bin ganz sicher: Nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dieser Thematik mag man noch von Umorganisation oder von neuen Schwerpunkten reden; aber von einer Abschaffung der Dienste kann keine Rede mehr sein.Herzlichen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vorläufig letzter Redner zu
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5322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Vizepräsident Helmuth Beckerdiesem Tagesordnungspunkt ist unser Kollege Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn auch die Nachrichtendienste — wenn ich vom Waffenhandel absehe — mit der Kriminalitätsbekämpfung nichts zu tun haben, so möchte ich doch an die Schlußbemerkungen des Kollegen Olderog anknüpfen. Die Dienste sind in der Tat besser, als sie in der Öffentlichkeit normalerweise dargestellt werden. Sie haben Erfolge — sie erleiden auch Niederlagen, sie machen auch Fehler; wo passiert das nicht? —, über die sie aber weniger reden können als andere. Das liegt in der Natur der Sache.
Ich habe bei dem, was Frau Lederer und Frau Köppe vorgetragen haben, nicht verstanden, warum sie Mitglieder der Kontrollgremien werden wollen, wenn sie dafür sind, die Dienste abzuschaffen, und sagen, eine Kontrolle sei gar nicht möglich. Das paßt nicht zusammen. Ich habe den Eindruck, daß Frau Köppe nicht verstanden hat, daß die Art der Kontrolle, auch die Tatsache, daß die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder hinter sich haben müssen und daß sie zur Verschwiegenheit verpflichtet sein müssen, natürlich mit den besonderen Bedingungen zusammenhängt, unter denen ein Dienst im Ausland arbeitet. Man muß natürlich zwischen der Tätigkeit des Verfassungsschutzes und des MAD auf der einen Seite und des BND auf der anderen Seite, bei dem wir wirklich das Schicksal von Menschen aufs Spiel setzen, unterscheiden können.
Es ist sehr viel über die Parlamentarische Kontrollkommission gesprochen worden. Die einen haben kritisiert, daß sie zuwenig kontrolliert; die anderen haben kritisiert, daß sie die Dienste so kontrolliert, daß sie nicht mehr arbeitsfähig seien. Beide Auffassungen beruhen auf einem Mißverständnis. Man muß sich im klaren darüber sein, was wir kontrollieren wollen und worauf sich die Kontrolle richtet. Wir wollen uns durch die PKK davon überzeugen, daß sich die Dienste nicht verselbständigen und etwa glauben, die Gesetze, die das Parlament beschlossen hat, unterlaufen zu können.
Wir wollen die Bundesregierung darin kontrollieren, daß sie die politische Verantwortung für die Tätigkeit der Dienste wahrnimmt. Wir wollen sicher sein, daß die Dienste die Rechte der Bürger dieses Landes nicht verletzen. Wir wollen durch unsere Pflicht zur Verschwiegenheit der Bundesregierung die Gelegenheit geben, auch in heiklen Fragen im Parlament zu sprechen.
Die Bundesregierung ihrerseits muß aber auch bedenken, daß die Mitglieder der PKK dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber ihren guten Namen dafür hergeben, daß wir diese notwendigen Kontrollaufgaben auch wirklich wahrnehmen können. Das ist zur Zeit nicht so der Fall, wie wir uns das wünschen. Das ist nicht etwa eine Folge der letzten Vorgänge, als Waffen zu landwirtschaftlichen Maschinen gemacht worden sind, sondern das ist ein Prozeß, über den wir uns interfraktionell lange unterhalten haben.
Wir sind in der Tat über eine Reihe politisch wesentlicher Vorgänge erst informiert worden, nachdem sie öffentlich bekannt waren. Wir haben das wiederholt beanstandet. Es hat auch andere ärgerliche Vorgänge gegeben, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen möchte. Aber es kann und soll auch im Interesse der Dienste selber so nicht weitergehen.
Wenn die PKK ihre Aufgabe erfüllen soll, muß die Bundesregierung eine umfassende Berichtspflicht haben. Die Kommission muß bessere Kontrollrechte bekommen, auch den wichtigen Einblick in die Haushalte der Dienste. Frau Kollegin Köppe, Ihr Irrtum liegt darin, daß die Haushälter auf der einen Seite zwar Einblicke haben, aber nicht den operativen Teil des Unternehmens sehen, während wir in der PKK den operativen Teil des Unternehmens, aber nicht die haushaltsmäßigen Zusammenhänge sehen. Beides muß zusammengeführt werden.
Man muß auch sagen, daß die Anhörung von Mitarbeitern und auch die Akteneinsicht, die in diesem Gesetzentwurf zwar nicht ausdrücklich geregelt wird, die aber durch eine Erklärung der Bundesregierung zugesagt wird, bewährte parlamentarische Kontrollrechte sind, die wir vom Petitionsausschuß und vom Wehrbeauftragten her kennen.
Herr Kollege Dr. Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Köppe?
Was könnte ich ihr abschlagen? — Natürlich.
Warum werden denn dann die bewährten Kontrollrechte, die Sie eben nannten — Akteneinsicht und auch die Möglichkeit, daß sich Mitarbeiter der Dienste an die PKK wenden können — , nicht im Gesetz festgeschrieben? Warum ist das nicht in Ihrem Antrag enthalten? Warum wollen Sie sich auf eine Erklärung der Bundesregierung dazu verlassen?
Zunächst einmal glauben wir mehr als Sie, daß wir uns auf eine Erklärung der Bundesregierung auch inhaltlich tatsächlich verlassen können.
— Herr Kollege Wiefelspütz, vielleicht wird es nun deutlicher: Das zweite ist, daß wir uns nicht auf eine verfassungsrechtliche Diskussion einlassen wollen, wenn es nicht wirklich nötig ist. Ich meine die Frage, ob wir mit diesen Kontrollrechten, ohne daß die PKK in der Verfassung ausdrücklich geregelt ist, in den eigentlichen Bereich der Exekutive hineingehen. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.Wir sind der Auffassung, daß es uns dann, wenn wir es praktisch regeln und zu einer praktikablen Lösung kommen, lieber ist, daß wir das jetzt, und zwar sehr schnell, parlamentarisch umsetzen können, als daß wir uns auf eine längere Auseinandersetzung einlassen. Das ist der eigentliche Grund. Lassen Sie uns doch abwarten, welche Erfahrungen wir damit machen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5323
Dr. Burkhard HirschWir hoffen, daß der vorgelegte Gesetzentwurf zusammen mit den dazu abgegebenen Erklärungen die notwendigen Kontrollmöglichkeiten besser schafft als bisher. Wir begrüßen es, daß der Inhalt des Entwurfs auch mit den Vertretern der SPD abgestimmt werden konnte, weil das in der Tat zu der Hoffnung berechtigt, daß wir zu einer schnellen parlamentarischen Behandlung kommen können.Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung zu einer Gesetzesänderung machen, die sich auf das G-10-Gesetz bezieht und die ebenfalls in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist. Diese Bestimmung begründet kein neues Privileg der Mitglieder des Hauses, sondern zieht die Konsequenz aus dem verfassungsmäßigen Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten nach Art. 47 des Grundgesetzes.
— Vielen Dank, Herr Kollege.Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre tatkräftige Unterstützung. Ich bedanke mich bei dem Innenminister, daß er im Vorgriff auf diese Regelung bereits jetzt danach verfährt. Ich bedanke mich ebenso bei den Mitgliedern Ihres Ausschusses und dem G-10-Gremium.Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, mit dieser Novelle wieder Ruhe in die Arbeit der Dienste zu bekommen, deren Tätigkeit für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik nach unserer Überzeugung notwendig ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/1643 zur Federführung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie an den Rechtsausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt IX auf:a) Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des DMarkbilanzgesetzes— Drucksache 12/1467 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 12/1605 —Berichterstattung:Abgeordnete Herbert Helmrich Ludwig Stiegler
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über ein europäisches Hochgeschwindigkeitsbahnnetz.Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Entwicklung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes— Drucksachen 12/311 Nr. 2.18, 12/1173 — Berichterstattung:Abgeordneter Rainer Haungsc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungZweite Änderung zum Vorschlag für eine Fünfte Richtlinie des Rates nach Artikel 54 EWG-Vertrag über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe— Drucksachen 12/269 Nr. 2.4, 12/1464 — Berichterstattung:Abgeordnete Joachim GresLudwig Stieglerd) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 02 — Sozialzuschlag zu Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe —— Drucksachen 12/1264, 12/1497 —Berichterstattung:Abgeordnete Karl Diller Dr. Klaus Dieter Uelhoff Ina Albowitze) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Planegg, Flur Nr. 411— Drucksachen 12/1146, 12/1498 —Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Nils Diederich Hans-Werner Müller (Wadern)Werner ZywietzEs handelt sich um Beratungen von Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Wir kommen zunächst zur zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes in Tagesordnungspunkt IX a. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1605, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache 12/1467 zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen damit zurdritten Beratungdieses Gesetzes und zur Schlußabstimmung. Ich bittediejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben.
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5324 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991
Vizepräsident Helmuth Becker— Gegenprobe und Enthaltungen erübrigen sich. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 12/1173 zu einem Vorschlag der EG zur Entwicklung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes ab. Das ist Punkt IX b. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.Wir kommen jetzt zu Punkt IX c: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 12/1464 zu einem Vorschlag der EG über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! — Stimmenhaltungen? — Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/1497 zu überplanmäßigen Ausgaben ab. Das ist Punkt IX d. Es handelt sich um den Sozialzuschlag zu Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/1498 zur Veräußerung einer bundeseigenen Liegenschaft ab. Das ist Punkt IX e. Der Haushaltsausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltung? — Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Dezember 1991, 13 Uhr ein.Ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches Wochenende.Die Sitzung ist geschlossen.