Gesamtes Protokol
Guten Morgen, meine Damen und Herren. Die Sitzung ist eröffnet.
Der Abgeordnete Wüppesahl hat einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung angekündigt. Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Wüppesahl.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beantrage, nach § 20 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung die Aufnahme des Tagesordnungspunktes „Menschenrechtliche Situation in Tibet und bundesdeutsche Wirtschaftsinteressen in China" in Verbindung mit einer 45minütigen Aussprache — nach § 24 der Geschäftsordnung und unter Abweichung von der Geschäftsordnung nach § 126 — über die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN — Drucksachen 11/7812 und 11/8019 — sowie den Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN „Menschenrechtsverletzungen und Kriegsrecht in Tibet" — Drucksache 11/4264 — und die Beschlußfassung darüber nach § 78 Abs. 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen.
Diesen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung stelle ich im — jedenfalls seit gestern abend — Wissen darum, daß nächste Woche ein Tagesordnungspunkt 20 mit den Buchstaben a bis 1, also insgesamt zwölf verschiedene Drucksachen, zur Menschenrechtssituation, und zwar weltweit, behandelt werden soll. In diesen zwölf Unterpunkten sind der Menschenrechtsbericht sowie spezifische Probleme aus diesem sehr problembeladenen Gesamtfeld enthalten. Von daher ist klar, daß in dieser 45minütigen Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt nächste Woche Tibet nur ein Fall von vielen ist.
Angesichts der Tatsache, daß die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dalai Lama noch nicht so furchtbar lange her ist und er den Preis natürlich dafür bekommen hat, daß er den Widerstand in Tibet gegen die chinesische Zentralregierung und die totalitären Vorgehensweisen unterstützt hat, halte ich es für dringend notwendig — auch weil nächste Woche, während wir über die Menschenrechtssituation weltweit
diskutieren werden, die Hermes-Bürgschaften für China wieder ermöglicht werden sollen, so daß der Bund wieder für das Engagement unserer bundesdeutschen Wirtschaft in China bürgt — , daß wir heute im Vorfeld dieser beiden sich widersprechenden Debattenpunkte der nächsten Woche über die konkrete Situation entsprechend den Anträgen und anderen Drucksachen, auf die ich diesen Tagesordnungsaufsetzungspunkt bezogen habe, diskutieren.
Nach dem internationalen Aufschrei der Empörung über das vom chinesischen Militär im Juni 1989 angerichtete Blutbad in Peking — das ist also gerade ein gutes Jahr her — , wurde es schnell wieder ruhig in bundesdeutschen Politiker- und Diplomatenrunden. Es folgten nur noch einige Reden der Verurteilung und die Ankündigung weniger wirtschaftlicher Sanktionen.
Was in Peking der Ausnahmezustand war, das ist in Tibet schon fast der Normalzustand. Der Dalai Lama sprach kürzlich in einem Interview von einer „Endlösung" für die Tibeter. Die bundesdeutsche Öffentlichkeit jedoch und auch die bundesdeutsche Politik nehmen die bedrückende Situation in China und Tibet kaum zur Kenntnis; denn dort haben auch bundesdeutsche Konzerne im Zuge der Westöffnung der chinesischen Wirtschaft ökonomische, gewinnbringende Interessen, deren Realisierung nicht durch eine öffentliche Diskussion der Menschenrechtssituation in Tibet und China gestört werden soll. Es geht in der Substanz uni einen Vier-Milliarden-DM-Kredit für den U-Bahnbau in Schanghai und nicht um irgendwelche hehren menschenrechtlichen Ansprüche. Ich denke, wir müssen uns entscheiden, ob Menschenrechte nur dann berücksichtigt werden sollen, wenn es politisch opportun ist, daß man z. B. für den Irak und auch für Südafrika Sanktionen erläßt, und ob tatsächlich immer die wirtschaftlichen Gesichtspunkte die erste Priorität einnehmen müssen.
In der letzten Woche wurden Hermes-Bürgschaften für Verträge zwischen bundesdeutschen Firmen — —
Herr Wüppesahl, Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet und dürfen deshalb auch nur zur Geschäftsordnung sprechen.
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18432 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Ich tue das, ganz recht, Frau Präsidentin.
Ich danke noch einmal dafür, daß Sie das Plenum daran erinnern.
In der letzten Woche wurden Hermes-Bürgschaften für Verträge zwischen bundesdeutschen Firmen und ihren chinesischen Geschäftspartnern erteilt. Das sind Bundesbürgschaften. Auch deshalb gehört die Situation der Menschenrechte in Tibet auf die Tagesordnung.
In der allgemeinen Verdunkelungsaktion hinsichtlich der chinesischen Zustände, die Tausenden von Menschen das Leben kosten können und ihnen schon heute den Kampf um die Verwirklichung der Menschenrechte äußerst erschweren — Rechte, für die einzutreten die Bundesregierung vorgibt — , spielt die Bundesregierung mit. Dies ist ein weiterer Grund dafür, daß wir im Vorfeld der Debatte in der nächsten Woche heute darüber diskutieren und Öffentlichkeit herstellen.
Deutschland — ein Land der Menschenrechte?
Ihre Redezeit ist beendet.
Vielen Dank für den freundlichen Hinweis. Ich möchte das Plenum auch nicht überstrapazieren. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung.
Hierzu wird das Wort gewünscht. Herr Abgeordneter Ehmke!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sehen keinen Grund, die Tagesordnung so, wie von Herrn Wüppesahl gewünscht, zu ergänzen. Der Ältestenrat kann sich überlegen, ob wir dem Antrag in der nächsten Woche noch entsprechen. Jetzt besteht kein Grund, die heutige Tagesordnung zu ändern. Wir sind dafür, den Antrag abzulehnen.
Frau Präsidentin, weil ich gerade zur Tagesordnung spreche, darf ich vielleicht gleichzeitig sagen, daß wir es für einen Affront gegenüber dem Parlament hielten, wenn zur Debatte über das nächste Thema, den U-Boot-Ausschuß, der Finanzminister und der Verteidigungsminister nicht anwesend wären.
Außerdem sind wir der Meinung, daß das Kanzleramt und das Auswärtige Amt vertreten sein müssen. Ich halte es — gelinde gesagt — für einen Skandal, wie die Regierungsbank besetzt ist.
Herr Abgeordneter Hüser!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil der Kollege Wüppesahl auch unsere Anträge angesprochen hat, möchte ich sagen, daß es unbestritten ist, daß Menschenrechtsverletzungen und gerade auch die Problematik in China und in Tibet Themen sind, die hier intensiv diskutiert werden müssen. Aber wir haben dieses Thema nächste Woche auf der Tagesordnung. Unsere Kollegin Frau Kelly wird hierzu in der nächsten Woche in der Plenarsitzung sprechen.
Eine andere Frage ist, ob angesichts der vielen Punkte, die mit diesem Thema in verbundener Debatte auf der Tagesordnung stehen, die vereinbarte Redezeit ausreicht. Darüber — so denke ich — könnte man sich vielleicht noch einmal verständigen. Aber wir sehen auch keinen Grund, daß das hier jetzt ad hoc behandelt wird, weil wir es nächste Woche auf der Tagesordnung haben.
Herr Professor Riege!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl möchte ich dem Grunde nach unterstützen und vorschlagen, daß die Materie in der nächsten Woche mit erörtert wird.
— Ja, ich möchte, daß es ausdrücklich in die Erörterungen des Plenums einbezogen wird. Das ist auch eine Frage der Vorbereitung auf diese Materie.
Wird das Wort noch von weiteren Abgeordneten gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer stimmt für diesen Antrag? — Einer, der Antragsteller selbst. Wer stimmt gegen diesen Antrag? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag mehrheitlich bei einigen Enthaltungen aus der Gruppe der PDS abgelehnt.Herr Abgeordneter Ehmke, die Vertreter der Regierung werden herbeigerufen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzeszu dem Antrag der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusseszu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,SPD und FDP und der Fraktion DIE GRÜNENÄnderung des Untersuchungsauftrags des 1. Untersuchungsausschusses der 11. Wahlperiode
— Drucksachen 11/50, 11/6483, 11/8109, 11/8176 —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18433
Präsidentin Dr. SüssmuthBerichterstatter:Abgeordnete Bohl GanselFrau Seiler-Albring Frau EidNach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen.
Zu dieser Vereinbarung über die Redezeit sehe ich keinen Widerspruch. — Sie sind auch in Gespräche verwickelt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich haben Untersuchungsausschüsse die Aufgabe, einen politisch relevanten Sachverhalt aufzuklären. In der Verfassungswirklichkeit — das wissen wir — sind sie aber auch politische Kampfinstrumente. Haben sie nur noch die Funktion, ein besonderes Forum für die parteipolitische Auseinandersetzung zu bieten, entarten sie nicht selten zu einem Schmierentheater. Der U-Boot-Untersuchungsausschuß war dafür ein abschreckendes Beispiel. Dies begann schon im 10. Deutschen Bundestag. Seinerzeit wurde der 4. Untersuchungsausschuß von der Opposition kurz vor Schluß der Wahlperiode installiert, obwohl von vornherein klar war, daß er den Zweck jedes Untersuchungsausschusses, nämlich dem Plenum einen Bericht vorzulegen, nicht mehr erfüllen konnte. Er wurde als billige Wahlkampfplattform mißbraucht, billig sowohl im ursprünglichen als auch im übertragenen Sinne.
Als zu Beginn dieser Wahlperiode der Ausschuß auf Antrag der Opposition neu gebildet wurde, hätte das den Zweck haben können, die abgebrochene Arbeit des U-Boot-Untersuchungsausschusses der 10. Wahlperiode ordnungsgemäß zu Ende zu führen und dem Plenum einen Bericht vorzulegen. Dazu hätte man allenfalls ein Jahr benötigt.Es zeigte sich aber sehr bald, daß die Opposition und insbesondere der Herr Kollege Gansel als Berichterstatter der SPD-Fraktion etwas ganz anderes im Sinn hatten,
nämlich die Einsetzung eines sogenannten Untersuchungsausschusses als ständige parlamentarische Einrichtung während der gesamten Wahlperiode zur planmäßigen und gezielten Diffamierung der Regierung.
Dabei verwendete Herr Kollege Gansel allerdingsmindestens ebensoviel Zeit darauf, sich selbst als edlen Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit emporzustilisieren.So ist es dann gekommen, meine Damen und Herren, daß dieser Ausschuß der am längsten arbeitende Untersuchungsausschuß in der Geschichte des Deutschen Bundestages wurde.
Im Kern hat er den Erkenntnissen seines Vorgängers kaum etwas hinzugefügt, jedenfalls insoweit nicht, als es das Handeln der Bundesregierung betrifft, um deren Tun es ja ging.Die beiden in Frage stehenden Firmen wollten U-Boot-Pläne nach Südafrika exportieren. Sie haben bei der Bundesregierung zu klären versucht, ob sie mit einer Genehmigung rechnen könnten.
Dies hat die Bundesregierung verneint.
Daraufhin ist ein formeller Genehmigungsantrag nicht mehr gestellt worden. Zu beurteilen, ob die Firmen dann ohne Genehmigung Pläne und Material geliefert und damit die Tatbestände einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat erfüllt haben, ist Sache der für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden und letztlich der Gerichte.Diesen dürren und im Grunde recht einfachen Sachverhalt versucht die Opposition nun seit Jahren zu vernebeln. Sie unterzieht die erhobenen Beweise einer Beweiswürdigung, die diesen Namen nicht verdient und die jedem Rechtsreferendar als Witz erscheinen würde. Sie behauptet, es sei bewiesen, die Bundesregierung habe unter der Hand dem Geschäft zugestimmt, habe für die Durchführung des Vertrages grünes Licht gegeben, und zwar fernmündlich am 31. August 1984 durch Staatssekretär Dr. Schreckenberger. Dieser und alle anderen Zeugen auf der Regierungsseite haben das verneint. Die Firmenvertreter und der als Vermittler tätig gewesene frühere Bundestagsabgeordnete Zoglmann haben von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Opposition kann sich somit nur auf Vermerke und Protokolle aus dem Firmenbereich berufen. Dabei wird geflissentlich verschwiegen, daß diese Schriftstücke ein durchaus widerspruchsvolles Bild bieten.Dafür will ich Ihnen nur ein Beispiel geben: In einer bei HDW gefundenen Aktennotiz vom 31. Juli 1984 heißt es, Staatssekretär Dr. Schreckenberger habe mitgeteilt, der Bundeskanzler und Franz Josef Strauß hätten dem Blaupausenexport ihre Zustimmung verliehen.
Andererseits geht aus Protokollen der HDW-Vorstandssitzungen vom 7. und 11. Januar 1985 hervor, daß bis zu diesem Zeitpunkt das sogenannte grüne Licht noch immer nicht gegeben worden sei.
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18434 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
EylmannWenn das richtig ist, dann kann man es ja nicht ein halbes Jahr vorher von Dr. Schreckenberger erhalten haben. Das ist logisch, sollte man meinen. Aber was hat die Beweiswürdigung der Opposition schon mit Logik zu tun?Am 18. September dieses Jahres erklärte Herr Kollege Dr. Vogel für die SPD-Fraktion wörtlich: „Die nunmehr freigegebenen Dokumente aus dem Ermittlungsverfahren gegen Herrn Teltschik beweisen, daß das U-Boot-Geschäft mit Südafrika unter Beteiligung des Bundeskanzleramts und des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten in konspirativer Weise vorbereitet worden ist
und daß dabei Schmiergeldzahlungen in erheblichem Umfange gefordert und in Aussicht gestellt worden sind. " Zwei Sätze später ist in diesem Zusammenhang von den „hier praktizierten kriminellen Methoden" die Rede. Die sogenannten Dokumente sind zwei Vermerke über das, was Herr Zoglmann über seine Gespräche mit Herrn Teltschik erzählt hat. Es sind Vermerke vom Hörensagen. Es hieße ja wohl, Herrn Dr. Vogel als Juristen zu nahe zu treten, wollte man annehmen, er wüßte nichts von dem beschränkten Wert eines Zeugen von Hörensagen, der hier zudem auch noch alles andere als ein neutraler Zeuge ist, weil er von diesem Exportgeschäft profitieren wollte und deshalb hinreichend Anlaß hatte, die Chancen für die Abwicklung des Geschäfts günstig darzustellen.
Wie prekär muß eigentlich Herr Dr. Vogel die Situation seiner Partei einschätzen, wenn er es für erforderlich hält, mit beiden Händen so tief in die Schlammkiste zu greifen?
Und wie glaubt eigentlich Herr Kollege Dr. Vogel es angesichts der jüngsten Äußerungen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes über die Ursachen der Gewaltwelle gegen Politiker verantworten zu können,
das Bundeskanzleramt als eine Art Mafia-Dependance darzustellen, das an konspirativ vorbereiteten und mit Schmiergeldzahlungen verbundenen kriminellen Waffenschiebereien beteiligt sei?Aber nun zu Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Gansel, der Sie ja den Ausschuß in den letzten vier Jahren als Ihre höchstpersönliche Spielwiese betrachteten.
Sie haben in dieser Zeit den Mund immer wieder zu voll genommen und angekündigt, nun würde bald die Bombe platzen. Je häufiger es Seifenblasen waren, desto schriller wurden Ihre Töne. Noch ärgerlicher war allerdings, daß Sie während der langen Ausschußtätigkeit in steigendem Maße ein gestörtes Verhältnis zu Recht und Gesetz offenbarten
und sich insbesondere rechtlichen Argumenten völligunzugänglich zeigten. Mich haben Sie schon 1987angegriffen, als ich wegen der Besorgnis, mit einem Aktenbeschlagnahmeverfahren keinen Erfolg zu haben, die Firmen veranlaßte, einen Teil der Akten freiwillig herauszugeben. Die spätere Gerichtsentscheidung gab mir recht. Hätte ich seinerzeit nicht für die Herausgabe der Akten gesorgt, hätten wir sie heute noch nicht; denn inzwischen sind ja Sie und die Kolleginnen von den GRÜNEN so liederlich mit Geheimhaltungsvorschriften umgegangen,
daß Gerichte es abgelehnt haben, uns als geheim eingestufte Akten zur Verfügung zu stellen. Damit haben Sie sich selbst ein Bein gestellt, was Sie aber nicht davon abhält, mit Unschuldsmiene der Öffentlichkeit zu erklären, die bösen Koalitionsparteien seien es, die den Fortgang der Ermittlungen erschwerten und verzögerten.Sie haben das Ansehen des Parlaments in schlimmer Weise beeinträchtigt.
Es ist meines Wissens das erste Mal, daß Gerichte es abgelehnt haben, dem Parlament Akten zur Verfügung zu stellen, mit der Begründung, im Ausschuß säßen Abgeordnete, von denen nicht zu erwarten sei, daß sie sich an Gesetz und Recht hielten.
Aber das ist ja bei weitem nicht alles. Die Art und Weise, mit der Sie Zeugen, und zwar nicht nur Politiker, sondern auch Beamte, befragten, ließ häufig genug Fairneß und Anstand vermissen.
Sie haben Zeugen, die sich nicht wehren konnten, vor und nach ihren Vernehmungen öffentlich diffamiert. Sie haben sich immer wieder angemaßt, darüber zu entscheiden, ob sich jemand strafbar gemacht habe, obwohl das allein die Gerichte zu entscheiden haben. Sie haben vor der UNO Ihr eigenes Land angeschwärzt,
und dann haben Sie noch die Stirn gehabt, im Zusammenhang mit der angeblichen Beteiligung des Bundeskanzleramts an illegalen Waffengeschäften von öffentlicher Hygiene zu reden. Sie selbst sind ein Problem für die parlamentarische Hygiene dieses Bundestages.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat die Opposition angekündigt, sie werde nach der Wahl einen dritten Untersuchungsausschuß beantragen. Wir sehen dem mit Gelassenheit entgegen. Die SPD muß schließlich selbst entscheiden, mit welchem Stroh sie ihre Fraktionsmatratze stopfen will. Dann bekommt das Schauspiel eben noch einen dritten Akt. Nachdem es von der Opposition zunächst als Schurkenstück ins-
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Eylmannzeniert werden sollte, entwickelte es sich im zweiten Akt mehr und mehr zu einer Kriminalkomödie: der Abgeordnete Gansel als Möchtegern-Schimanski von der Wasserkante mit Thermosflasche und rotem Schlapphut
auf der Jagd nach dem Phantom der Meere, dem nicht existierenden U-Boot. Es könnte ja sein, meine Damen und Herren, daß die ganze Geschichte mit einer durchaus ironischen und reizvollen Volte endet, daß nämlich von den vielen, die mit Strafanzeigen und Strafverfahren bereits überzogen worden sind oder sie noch zu gewärtigen haben, als wirkliche Straftäter ausgerechnet diejenigen übrigbleiben und angeklagt werden, die sich jahrelang bemüht haben, andere vor den Kadi zu bringen.Ich danke Ihnen.
Das Wort zur Geschäftsordnung erhält der Herr Abgeordnete Ehmke.
Frau Präsidentin, Sie hatten eben gesagt, daß die Herbeirufung der Minister, die wir wünschen, veranlaßt wird. Ich stelle jetzt fest: Die CDU/CSU-Fraktion folgt der Aufforderung der Frau Präsidentin nicht, ein weiterer ungewöhnlicher Vorgang.
Ich stelle den Antrag, daß die Kollegen Stoltenberg und Waigel und je ein Vertreter des Kanzleramts und des Auswärtigen Amts herbeigerufen werden.
Herr Bohl!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich feststellen, daß ich nicht irgendwelche Äußerungen der Präsidentin konterkariert habe. Ich bin vielmehr gefragt worden, wie die CDU/CSU-Fraktion zu dem Begehren steht, daß hier weitere Regierungsmitglieder herbeigerufen werden sollen. Dazu muß ich folgendes sagen. Das ganze Bemühen der SPD in dieser Frage war ja seit Jahr und Tag, daß hier eine gewisse Vorverurteilung stattfindet,
und die Herbeizitierung der Minister soll ein weiterer Akt in diesem Spiel der Vorverurteilung sein.
Sie möchten die Regierungsbank gern auch visuell in Ihre Taktik und Strategie der Verleumdung einspannen.
Was ist Sache? Es ist Sache, daß in dieser Frage verschiedene Ministerien involviert sind.
Dazu gehört das Wirtschaftsministerium, dazu gehört das Finanzministerium, dazu gehört das Bundeskanzleramt.
— Moment. — Diese drei Ministerien sind alle vertreten. Es ist das Wirtschaftsministerium vertreten, es ist das Finanzministerium vertreten, und es ist das Bundeskanzleramt vertreten.
Richtig ist, daß das Auswärtige Amt bisher nicht vertreten ist.
Ich bin durchaus der Meinung, daß das Auswärtige Amt, wenn es Ihr Wunsch ist, vertreten sein kann.
Wenn das Ihr Wunsch ist, dann wird das hier selbstverständlich aufgegriffen und übermittelt. Ich gehe davon aus, daß das gar keine Probleme bereitet. Sie hätten das auch im Vorfeld sagen können.
Ich bin deshalb der Meinung, daß Ihr Antrag hier völlig überflüssig ist und daß er nur dazu dient, Schau zu machen.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß z. B. der Bundesfinanzminister einfach rein zeitlich nicht in der Lage sein wird, einem solchen Begehren Rechnung zu tragen.
Sie hätten uns das auch vorher mitteilen können. Dasselbe gilt auch für andere Regierungsmitglieder, deren gewünschte Anwesenheit Sie uns schon in unseren Vorbesprechungen hätten selbstverständlich ankündigen können, was alles unterblieben ist.
Mir wird gerade noch ein Zettel gereicht, daß Bundesfinanzminister Waigel nicht nur zeitlich verhindert ist. Er ist auch krank — er hat sich entschuldigt — , so daß Sie sicherlich Verständnis dafür haben werden, daß er nicht anwesend sein kann.
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18436 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
BohlFrau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der Überzeugung — das darf ich sicherlich auch in Abstimmung mit dem Koalitionspartner sagen — , daß wir einer Herbeizitierung der Minister als Person nicht zustimmen. Sie sind im Ausschuß gehört worden, zum Teil sind sie als Zeugen gehört worden. Die Ministerien sind hier vertreten, und das muß eigentlich ausreichen, so daß wir jetzt über die Sache abstimmen können.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Sehr veehrte Damen und Herren! Es ist schon ein Meisterstück, Herr Bohl, wie Sie fünf Minuten lang eigentlich nicht zur Sache geredet
und versucht haben, Zeit dafür zu gewinnen, daß die Mitglieder Ihrer Fraktion vom Langen Eugen hier herüberkommen konnten, damit Sie mit Ihrem Versuch Erfolg haben, die Bundesregierung von der Regierungsbank fernzuhalten, damit wir unser Recht nicht wahrnehmen können. Es wäre eine Verpflichtung der Bundesregierung gewesen, zu dem Bericht des Untersuchungsausschusses der debattiert wird und der in der Öffentlichkeit sehr große Wellen geschlagen hat, Stellung zu nehmen. Es ist eine Unverschämtheit, wenn sich die betroffenen Minister, die in diesen Fall verwickelt waren, der Diskussion nicht stellen.
Es ist auch nur eine Ausrede, wenn Sie sagen, Herr Waigel habe keine Zeit. Die Tagesordnung und der Termin, wann hierüber debattiert werden sollte, stehen schon seit langem fest. Wir denken, es wäre eine Selbstverständlichkeit gewesen, daß sich Herr Waigel und Herr Stoltenberg dieser Debatte stellen.
Es ist ein Armutszeugnis, wenn Sie versuchen, sich mit anderen Terminen herauszureden.
— Nein. Zum einen habe ich die Möglichkeit, fünf Minuten zu diesem Punkt zu reden. Zum anderen: Je mehr Leute von Ihrer Fraktion kommen, um so deutlicher macht das, daß Sie diesen Untersuchungsbericht nicht ernst nehmen. Dies in der Öffentlichkeit darzustellen ist eine Notwendigkeit und eine Verpflichtung. Ich betone noch einmal, daß es wirklich ein Armutszeugnis ist, daß sich die Regierung dieser Debatte nicht stellt. Wir wissen, daß wir diese Abstimmung verlieren werden. Aber nichtsdestotrotz wissen wir auch, daß wir mit unserem Antrag im Recht sind.
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen.
Wir stimmen über den Antrag des Abgeordneten Ehmke ab. Wer stimmt für den Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich möchte noch bekanntgeben, daß Herr Staatsminister Schäfer auf dem Weg hierher ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Stobbe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede, die der Herr Kollege Eylmann gehalten hat,
war wirklich sehr aufschlußreich. Herr Eylmann ist immerhin der Vorsitzende des Ausschusses, auch wenn er eben als Mitglied seiner Fraktion gesprochen hat.
Diese Rede hat deutlich gemacht, aus welcher Gesinnung heraus die Mehrheit im Ausschuß diese Untersuchung betrieben hat.
Da war von einem Respekt gegenüber den im Grundgesetz verbrieften Rechten der Minderheit keine Spur.
Seine Rede hat gezeigt, daß es der Mehrheit im Ausschuß nur um eines ging, nämlich in einer falsch verstandenen Loyalität die Regierung aus dem Fehlverhalten herauszupauken, das sie gezeigt hat.
Sie haben beklagt, die Opposition hätte ein Interesse daran gehabt, eine parlamentarische Dauerveranstaltung über vier Jahre durchzuführen.
Es ist genau umgekehrt: Sie haben in jeder Sitzung des Ausschusses dafür gesorgt, daß es Verzögerungen gab, daß Zeugeneinvernahmen nicht beschlossen werden konnten.
Die ganze Geschichte dieses Ausschusses beweist: Sie wollten verzögern. Jetzt stellen Sie sich hier hin und werfen uns so etwas vor.
Herr Abgeordneter Stobbe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18437
Nein, Frau Präsidentin. Ich gestatte sie deshalb nicht, weil ich wirklich verärgert bin
über die Art und Weise, wie jemand, der einen Ausschuß geleitet hat, mit der Minderheit im Parlament umspringt.
Meine Damen und Herren, heute zeigt sich eindringlicher als je zuvor, daß Rüstungsexport von Industrienationen in Länder der Dritten Welt der blanke politische Wahnsinn ist. Der Überfall des mit Hilfe der Industrienationen hochgerüsteten Irak auf Kuwait macht heute für jedermann in unserem Land einsichtig, daß den aus Rüstungsexporten resultierenden Gewinnen privater und staatseigener Betriebe am Ende weitaus höhere finanzielle Aufwendungen gegenüberstehen, dann nämlich, wenn die Gesamtheit der Bürger dieser Nationen zur Kasse gebeten werden müssen, um die Schadensbegrenzungsmaßnahmen zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, was im Falle des Irak heute so eindringlich klar wird, war auch immer schon richtig, wenn es um Südafrika ging, weil das Apartheidregime aggressiv nach innen wie nach außen wirkt. Deshalb hatten die Vereinten Nationen das Rüstungsembargo gegen Südafrika beschlossen nach der Maxime: Keine militärische Zusammenarbeit mit einem Land, das seine innere Ordnung auf Rassismus aufbaut; keine Rüstungsgeschäfte mit einem Regime, das seine Militärmacht nach innen wie nach außen gegen das Völkerrecht einsetzt.Das U-Boot-Geschäft mit Südafrika wäre nie zum Zuge gekommen, hätte Bundeskanzler Kohl bei seinem Gespräch mit dem südafrikanischen Staatspräsidenten Botha den Rüstungsembargobeschluß des UN-Sicherheitsrates rechtlich und politisch so ernst genommen, wie es erforderlich gewesen wäre.
Seine Zusage einer wohlwollenden Prüfung des U-Boot-Geschäftes zweier deutscher Firmen ist mit dem Hinweis bei hochrangigen Besuchern auf international gebräuchliche Höflichkeitsformeln, auf die sich der Bundeskanzler herauszureden versucht hat, in keinster Weise zu rechtfertigen.
Der Bundeskanzler hätte dem Vertreter Südafrikas unter Berufung auf das Rüstungsembargo der Vereinten Nationen mit einer klaren und eindeutigen Absage an U-Boot-Lieferungen nach Südafrika entgegentreten müssen. Das und nichts anderes, wäre seine Pflicht gewesen.
Deshalb hat es letztlich der Regierungschef dieser Regierung zu verantworten, daß der U-Boot-Skandal seinen Lauf nehmen konnte.
Der Bundeskanzler hat damit dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland schwer geschadet
und in unserem Land die Zweifel bei vielen Bürgern verstärkt, ob uns diese Bundesregierung ausreichend vor den Gefahren schützt, die im Rüstungsexport liegen.Mitglieder der Bundesregierung haben im Zusammenhang mit der Anbahnung des Geschäfts auf die Interessen der deutschen Werften verwiesen und damit das Arbeitsplatzargument verwendet, das in Verbindung mit Rüstungsexporten nach Südafrika schlechterdings unvertretbar ist.
Das war im übrigen verlogen; denn im selben Jahr wollte die Bundesregierung die Hilfen für den Schiffsbau kürzen.
Franz Josef Strauß hat mit maritimen, geostrategischen Thesen und Überzeugungen zur Rechtfertigung des Geschäftes aufgewartet, die auch zur Zeit des Kalten Krieges nur als grotesk hätten bezeichnet werden können.
Deshalb, meine Damen und Herren, steht für die SPD-Mitglieder im Untersuchungsausschuß fest: Es hat dieser Bundesregierung einfach an dem moralischen und politischen Rückgrat gefehlt, die Absichten von HDW und IKL sowie von Franz Josef Strauß klipp und klar zurückzuweisen.
Statt dessen ist beklagenswerterweise festzustellen, daß sich die Bundesregierung in dem Zwielicht offensichtlich wohler gefühlt hat, ein heimlicher Verbündeter Südafrikas auf der Grundlage einer militärischen Zusammenarbeit in einem wichtigen Rüstungssektor zu werden.
Das ist der Kernpunkt unserer Kritik am Bundeskanzler und an der Bundesregierung.
— Wenn Herr Eylmann dazu ruft „das ist nicht viel" — dieses Zwielicht —,
dann kann ich nur sagen, meine Damen und Herren:Das zeigt, daß Sie auch heute noch die Entscheidungen der UNO nicht ernst nehmen, und das in einer
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18438 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
StobbeZeit, wo wir alle darauf angewiesen sind, daß sich die UNO mit ihrer Politik gegenüber einem neuen Aggressor in der Welt durchsetzt.
Ferner ist beklagenswerterweise festzustellen, daß sich die Bundesregierung offensichtlich wirklich darangemacht hatte, dieses Geschäft wohlwollend zu prüfen. Sie hat aber auch durch Staatssekretär Schreckenberger nach unserer Auffassung tatsächlich grünes Licht für die Abwicklung des Geschäfts gegeben; so hat es auch das Landgericht Kiel gesehen. Das entnehmen wir vor allen Dingen den Aufzeichnungen der Firmen. Das ist aber auch unsere Bewertung der Ausführungen des Staatssekretärs im Untersuchungsausschuß, selbst wenn sich dieser darauf herausgeredet hat, er habe den Firmen nur eine echte Vertagung und nicht die politische Zustimmung des Bundeskanzlers signalisiert. Alle, die die Berichte des Ausschusses lesen, können sich selbst ein Bild von der Abfolge der Entscheidungen im Kanzleramt und von den unserem Bericht zugrunde liegenden Dokumenten und Zeugenaussagen machen.Die Mehrheit im Untersuchungsausschuß hat es allerdings zu verantworten, daß eine Gegenüberstellung von Mitgliedern und Mitarbeitern der Bundesregierung und von Firmenvertretern nicht zustande kam,
weil die Mehrheit den Managern der Firma ein generelles Aussageverweigerungsrecht zugestanden hat.
Es ist wahr, daß unsere Untersuchung deshalb an dieser Stelle letztlich steckenbleiben mußte. Das aber war von der Mehrheit im Untersuchungsausschuß politisch so gewollt.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Fülle von anderen Beweisen dafür, daß die Bundesregierung das Geschäft zumindest tolerieren wollte. Der Hinweis der Mehrheit im Untersuchungsausschuß, daß die Bundesregierung schon deshalb von politischer und strafrechtlicher Mitverantwortung freizustellen sei, weil das Exportgeschäft von den beteiligten Firmen niemals bei den zuständigen Bundesbehörden beantragt worden sei — Herr Eylmann hat diese These ja hier eben noch einmal wiederholt — , ist geradezu dreist und dient nur der Verschleierung des wahren Sachverhaltes.
Denn die Firmen hatten niemals die Absicht, das Exportgeschäft auf gesetzlicher Grundlage abzuwikkeln. Das beweisen die Akten nun wirklich. Die Firmen wollten von Anfang an eine politische Genehmigung durch die Bundesregierung; sie wollten das berühmte grüne Licht.
Hätte die Bundesregierung dieses Rüstungsexportgeschäft als völkerrechtswidrig und als im Sinne des deutschen Rechts ungesetzlich eingestuft, dann hätte Staatssekretär Schreckenberger, dann hätten mehrere Bundesminister, dann hätten viele Mitarbeiter der Bundesregierung zum Telefon greifen müssen,
um den Staatsanwalt zu informieren. Aber nichts dergleichen geschah.
Wir haben in unserem Bericht im Gegenteil eine große Zahl von Unterlassungen der Bundesregierung registrieren müssen, nachdem ihr der Vertragsabschluß und der Beginn der Lieferungen bekannt geworden waren. Nach dem Gespräch der Firmenvertreter mit Bundesminister Bangemann kam es nicht zu einer Beendigung des Rüstungsexportgeschäfts. Es gab keine Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen durch die Bundesregierung. Es gab eine geradezu beängstigende Untätigkeit der Bundesregierung in ihrer Eigentümerverantwortung für HDW.
Es gab keine Maßnahmen gegen die Kurierdienste der südafrikanischen Botschaft. Hinzu kommen klare Rechts- und Ermittlungsfehler der OFD Kiel, schließlich sogar Behinderungen der Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.Deshalb ist es offensichtlich, daß die Bundesregierung die Lieferung von U-Boot-Unterlagen an Südafrika nicht nur wohlwollend geprüft hat und daß sie nicht nur grünes Licht für die Aufnahme des Geschäfts signalisiert hat, sondern auch dessen Abwicklung nicht verhindern wollte.Meine Damen und Herren, hätte ich es in all den Jahren im Untersuchungsausschuß nicht selbst miterlebt, hätte ich es wahrscheinlich so ohne weiteres nicht glauben können. Aber die Wahrheit ist in diesem Fall, daß die Bundesregierung in der Phase der Anbahnung des Geschäfts entgegen der klaren Völkerrechtslage die politischen Weichen falsch gestellt hat und während der Abwicklung des Geschäfts rechtswidrig untätig geblieben ist.
Das Ergebnis dieses Verhaltens ist eine moralische und politische Diskreditierung der Bundesregierung auf dem hochsensiblen Gebiet des Rüstungsexports,
dort, wo gerade von der Bundesrepublik Deutschlandsowohl vor dem Hintergrund unserer Geschichte wieauch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Not-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18439
Stobbewendigkeiten die höchste und penibelste Beachtung des Völkerrechts erwartet werden muß.
Diesem Versagen der Bundesregierung werden wir Sozialdemokraten auch weiterhin unsere entschiedene Kritik und unser entschlossenes Bekenntnis zur Beachtung des Völkerrechts entgegensetzen.
Wir haben darüber hinaus zu beklagen, daß wir in unseren Untersuchungen im Rahmen der uns vom Grundgesetz zugestandenen Möglichkeiten als Minderheit von der Mehrheit im Ausschuß fortgesetzt auf das schwerste behindert worden sind.
Ein künftiges Untersuchungsausschuß-Gesetz des Deutschen Bundestages muß damit Schluß machen, daß Geschäftsordnungsmehrheiten in einem Untersuchungsausschuß das vom Grundgesetz garantierte Minderheitenrecht letztlich aushebeln.
— Nein, Herr Bohl, wir werden diesem Gesetz nicht zustimmen; es bringt zwar in einem Punkt eine Verbesserung, aber es bringt uns gerade in den sensiblen Punkten des Verfahrens in Untersuchungsausschüssen nicht weiter.
Das zeigt dieser Untersuchungsausschuß, dessen Arbeit nunmehr beendet ist.
Herr Stobbe, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen.
Ein solches Gesetz muß auch damit Schluß machen, daß eine Regierung, gegen die sich eine solche Untersuchung richtet, durch das „Geheim"-Stempeln von sie belastendem Material freigewählte Abgeordnete, die diese Untersuchung durchführen, mattsetzen kann. Das ist in diesem Ausschuß auch passiert.
Lassen Sie mich abschließend zur Sache — denn sie ist letzten Endes noch wichtiger als die Verfahrensfragen — folgendes sagen: Die Bundesrepublik Deutschland hat UN-Beschlüsse ernst zu nehmen. Sie muß das Rüstungsembargo gegen Südafrika strengstens beachten. Im Falle des U-Boot-Geschäfts mit Südafrika hat die Bundesregierung politisch und rechtlich glatt versagt. Das ist das Ergebnis dieser Untersuchung aus
der Sicht der SPD-Mitglieder im Untersuchungsausschuß.
— Der Herr Vorsitzende sagt, dies habe für uns schon vorher festgestanden.
Lieber Herr Eylmann, wer eine solche Behauptung aufstellt, zeigt auch, daß er der Minderheit im Untersuchungsausschuß gar nicht erst zubilligt, daß sie eine echte parlamentarische Kontrolle durchführen will.
Entgegen der offiziell verkündeten Politik war die Bundesregierung tatsächlich bereit, an einer Umgehung und an einer Verletzung des UN-Rüstungsembargos mitzuwirken. Sie hat die Verantwortlichen des Rüstungsgeschäfts mit Südafrika geschützt, ihre Verfolgung nach Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht verzögert und erschwert und ihre Mitverantwortung für die erfolgten Lieferungen zu verdecken versucht. Die Bundesregierung hat damit hinter den Kulissen eine andere Politik gemacht, als sie sie in der Öffentlichkeit vertritt.
Die Bundesregierung hat die Autorität der Vereinten Nationen beschädigt. Sie hat sich so verhalten, daß das Apartheidregime Südafrikas militärisch und politisch Nutzen daraus ziehen konnte.
Die Bundesregierung hat durch eine neue Auslegung des Außenwirtschaftsrechts die Kontrolle von Rüstungsexporten
und die Einhaltung gegenwärtiger und zukünftiger Embargo-Beschlüsse der Vereinten Nationen erheblich erschwert. Sie hat dem internationalen Ansehen und den Interessen der Bundesrepublik Deutschland erheblich geschadet, und sie hat damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat erschüttert.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Stobbe, ich war immer heilfroh, wenn Sie im Untersuchungsausschuß an der Seite Ihres Obmanns saßen. Dann gab es wenigstens eine gewisse Gewähr dafür, daß die Atmosphäre nicht gleich in eine Art von Körperverletzung ausar-
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18440 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Seiler-Albringtete. Nach Ihrem heutigen Beitrag muß ich dieses positive Bild, glaube ich, etwas revidieren.
Meine Damen und Herren, 90 Minuten sind im Prinzip zu lang, um über das Ergebnis der Sacharbeit des U-Boot-Untersuchungsausschusses zu berichten. 90 Minuten sind andererseits viel zu kurz, um die politische Farce darzustellen, zu der ein Untersuchungsausschuß werden kann, wenn er
von Kollegen aus diesem Hause wie von den Kollegen Gansel und Frau Eid — von Angelika Beer ganz zu schweigen — betrieben wird.
Ich denke, bei etwas Vernunft auf beiden Seiten hätten wir hier heute gemeinsam folgendes feststellen können:Erstens. Wenn die beteiligten Unternehmen Howaldtswerke Deutsche Werft AG, seinerzeit in unmittelbarem Bundesbesitz, und das Ingenieurkontor Lübeck, wie unbestritten ist, es unternommen haben, eine förmliche Genehmigung für das U-Boot-Blaupausen-Geschäft zu erlangen, ist das nicht von vornherein illegitim. Wie sich die Bundesregierung dazu verhalten hat, ist einwandfrei. Eine förmliche Genehmigung ist nie in Aussicht gestellt worden.
Sie ist deswegen nie beantragt worden. Sogar die SPD scheint auf dem Weg der Besserung zu sein, denn zum erstenmal gibt sie dies in ihrem abweichenden Votum ja auch zu.
Zweitens. Wenn HDW und IKL auf eine informelle Genehmigung, quasi mit Augenzwinkern, gehofft haben, ist das ihre Sache.
Damit das ganz klar ist: So etwas der Bundesregierung anzusinnen war eine Zumutung.
— Über die Portierleistungen in den verschiedenen Häusern kann ich Ihnen leider nichts berichten, Herr Kollege Jungmann.
Bundesminister Genscher, Bundesminister Stoltenberg, Beamte des Wirtschaftsministeriums, des Bundesfinanzministeriums, des Auswärtigen Amtes, alle haben das eindeutig und klar abgelehnt. Was will dieOpposition denn mehr? Gegenteilige Behauptungen über ein etwaiges kollusives Zusammenwirken sind barer Unsinn und durch nichts erwiesen. Wenn Untersuchungsausschüsse tatsächlich einen Sinn haben, dann muß eigentlich auch die Opposition bereit sein, für sie negative Beweisergebnisse irgendwann einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Drittens. Wenn die Unternehmen IKL und HDW, wofür manche Anhaltspunkte bestehen mögen, die U-Boot-Blaupausen trotz fehlender Genehmigung und in Erwartung des sogenannten grünen Lichts oder in der Hoffnung darauf bereits nach Südafrika geliefert haben, ist das eindeutig und klar zu mißbilligen. Auch insofern wiederhole ich nur das, was für die FDP-Fraktion an den verschiedensten Stellen, auch hier im Deutschen Bundestag, erklärt worden ist. Wie jeder weiß, der dabei war, hat Staatssekretär Professor Dr. Schreckenberger bereits am 17. Oktober 1984 das Verhalten der Unternehmen mißbilligt. Was kann eigentlich unter rechtschaffenen Leuten mehr erwartet werden als die daraus zu ziehende Konsequenz, daß das Geschäft eingestellt wird? Wer anders denkt, erlaubt Rückschlüsse auf seinen eigenen Charakter.
Viertens. Die Bundesregierung hat nach Bekanntwerden der Lieferungen alles getan, um den Sachverhalt aufzuklären. Das Bundesministerium für Wirtschaft hat eigene Ermittlungen angestellt. Die Sache ist an die zuständige Oberfinanzdirektion Kiel abgegeben worden. Alle Behauptungen, die Bundesregierung habe die Befassung der zuständigen Staatsanwaltschaft Kiel verhindert oder behindert, sind einfach haltlos.
— Wer schreit, hat unrecht, Horst Jungmann.
Wozu brauchen wir eigentlich noch eine Beweisaufnahme in einem Untersuchungsausschuß, wenn die Oppositionsvertreter die Ergebnisse der Beweisaufnahme einfach nicht zur Kenntnis nehmen und sich ihre eigene Wahrheit zimmern?
Was soll denn das staatsmännische Gehabe von der Pflicht der Opposition, die Bundesregierung zu kritisieren, wenn der Sachverhalt wider bessere Einsicht unvollständig, verdreht, letztlich vorsätzlich verfälscht wiedergegeben wird und wenn auf dieser Grundlage ein falsches Bild in der Öffentlichkeit gezeichnet wird?
Für uns liegt ein wesentlicher Teil des Skandals in dem Verhalten der Opposition.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18441
Frau Seiler-AlbringFünftens. Die Bundesregierung hat im Einklang mit ihrer seit langem verfolgten Südafrikapolitik gegen Apartheid, für Menschenrechte und auch für strikte Einhaltung des Waffenembargos gegenüber Südafrika gehandelt. Wir wollen nicht, daß U-Boote deutscher Herkunft oder mit deutschen Plänen gebaute U-Boote in den Händen der Südafrikaner sind.
Deswegen hat die Bundesregierung in den Vorgesprächen das Ansinnen der Unternehmen abgelehnt, insbesondere und mehrfach der Bundesaußenminister. Eine Genehmigung für das Geschäft ist nicht in Aussicht gestellt worden. Sie ist nie erteilt worden.
Sechstens. Das Verhalten der Unternehmen war vom Untersuchungsausschuß nicht abschließend zu untersuchen. Dazu gab der Untersuchungsauftrag nichts her. Das Bundesverfassungsgericht hat das so bestätigt. Das Verhalten der Unternehmen ist von unabhängigen Gerichten, von Staatsanwaltschaften und von der Oberfinanzdirektion in den letzten mehr als fünf Jahren — seit Herbst 1985 — intensiv geprüft worden. Das Ergebnis entspricht dem, was die Bundesregierung bereits 1985 festgestellt hatte:
Es besteht der Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit nach Außenwirtschaftsrecht.Mich stimmt es schon sehr nachdenklich, wenn insbesondere die SPD, nicht nur Herr Gansel, sondern speziell auch der SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende, zu einer Treibjagd gegen die Unternehmen aufgerufen haben.
Dabei war es doch eine der sozialliberalen Errungenschaften in den 70er Jahren, die Entkriminalisierung des Verwaltungsunrechts betrieben und die früher viel weitergehenden Strafbestimmungen auf den strafrechtlich relevanten Kern begrenzt zu haben. Ich denke, hier zeigt sich bei der SPD wie in so vielen Dingen ein gewandeltes Rechtsverständnis.
Angesichts der bestehenden Rechtslage grenzt die Forderung nach Strafverfolgung an die Aufforderung zur Verfolgung Unschuldiger. Damit bezwecken Sie nur eine Strafverfolgung aus politischen Gründen.
Der Staatsanwalt soll zum Büttel Ihrer Parteipolitik gemacht werden.
Es wäre schon sehr interessant, zu wissen, wie weit die politische Einflußnahme des schleswig-holsteinischen Justizministers Klinger
und des von ihm berufenen Generalstaatsanwalts in Schleswig, Heribert Ostendorf, gegangen ist. Ich halte es für eine Pflicht der Opposition in Kiel, diesen Vorgängen nachzugehen.Dazu gehört auch, daß nunmehr die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Herrn Engholm, agierend durch den Innenminister Bull, sogar das Landgericht Kiel durch schlechthin unzulässige, sogar unsinnige Anträge — was noch schlimmer ist — mit öffentlicher Pressebegleitung unter Druck zu setzen versucht.
Siebtens. Die FDP hat immer begrüßt und für nötig gehalten, daß das Verhalten der Unternehmen untersucht wird, und zwar nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. Diese verlangen nun mal einen hinreichenden Tatverdacht, und wenn Ihnen das nicht paßt, ist das Ihre Sache. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ist das aber so.
Wie von Anfang an die Bundesregierung hat nunmehr auch das Landgericht Kiel einen hinreichenden Tatverdacht auf Geheimnisverrat verneint. Eine Straftat nach Außenwirtschaftsrecht kommt — trotz der Agitation von Norbert Gansel bei den Vereinten Nationen —
nicht in Betracht.
Wir müssen nunmehr abwarten, ob sich der Anfangsverdacht auf eine Ordnungswidrigkeit nach Durcharbeitung der umfänglichen Akten durch die Oberfinanzdirektion in Kiel bestätigt oder nicht.Ich weiß natürlich, daß die SPD und die GRÜNEN das nicht für ausreichend halten und auch jetzt schon glauben, die Oberfinanzdirektion Kiel
vorverurteilen zu müssen, wie üblich. Nur scheint mir deren Sachbearbeitung des Falles nach rechtsstaatlichen Methoden vertrauenserweckender zu sein als das Verhalten dieser Oppositionsabgeordneten, die selbst im Verdacht stehen, Geheimnisverrat begangen zu haben.
Damit komme ich zum zweiten Teil, dem eigentlichen Skandal. Die SPD hat sich — getrieben von den GRÜNEN — dazu herabgelassen, das Untersuchungsverfahren zu denaturieren. Von Aufklärung war keine Spur. Agitiert wurde ausschließlich nach
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18442 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Seiler-Albringdem Motto: Was bringt uns politischen Nutzen? Das Untersuchungsverfahren war häufig eine Farce.
Ich will an dieser Stelle einflechten, daß es zunächst der langmütigen Geduld und dann dem energischen Eingreifen des Vorsitzenden Horst Eylmann zu verdanken ist, daß das Untersuchungsverfahren in den öffentlichen Beweisaufnahmen nicht in eine Zeugenbeschimpfung entartet ist.
Ich zolle ihm und auch den Mitarbeitern des Sekretariats des Untersuchungsausschusses meinen vollen Dank für eine Arbeit, die schwieriger war — wenn Sie mir den Vergleich gestatten — , als eine Herde störrischer Esel zu hüten. Ich nehme uns davon manchmal durchaus nicht aus.
Frau Abgeordnete Seiler-Albring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ullmann?
Nein, ich gestatte aus dem einfachen Grund keine Zwischenfrage, daß der Kollege Stobbe dies auch nicht getan hat.
Selbst wenn der Kollege Stobbe eine Zwischenfrage zugelassen hätte: nach dem unsäglichen Auftreten Ihres Obmanns im Frühstücksfernsehen in dieser Woche, als er von „brutalem Mißbrauch der Rechte der Mehrheit" gesprochen hat,
habe ich mich entschlossen, hier „brutal" von meinem Recht Gebrauch zu machen und Zwischenfragen von Ihrer Seite nicht zuzulassen.
— Sie haben doch in vier Jahren die Möglichkeit gehabt, im Untersuchungsausschuß so viel zu schreien, wie Sie wollten. Nehmen Sie doch die Kraft noch zusammen und hören Sie mir kurz zu. Es dauert auch nicht mehr lange.
— Dieser Ausschuß war eine Zumutung, Herr Kollege Gansel, und Sie an der Spitze.
Zuletzt hatte sich der Ausschußvorsitzende, zuallerletzt auch noch der gesamte Ausschuß damit zu beschäftigen, daß Norbert Gansel und Ursula Eid als Berichterstatter der Oppositionsfraktionen sich weigerten, den Bericht des Ausschusses mit dem Bericht der Mehrheit zu unterzeichnen.
Bei Norbert Gansel lag es daran, daß er mit seinem Bericht nicht fertig geworden war, bei Uschi Eid daran, daß sie die Meinung der Mehrheit nicht zur Kenntnis nehmen wollte.Das nächste Erwähnenswerte ist die Agitation insbesondere von Norbert Gansel bei den Vereinten Nationen, die sich dann tatsächlich fast in der Herbeiführung eines Schadens für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland niedergeschlagen hätte.Durch den unsäglichen Auftritt von Norbert Gansel bei den Vereinten Nationen sollten die Voraussetzungen für eine Strafverfolgung nach bundesdeutschem Recht willkürlich herbeigeführt werden, nachdem die Reaktionen der Vereinten Nationen und der ausländischen Staaten nach dem Bekanntwerden der U-Boot-Blaupausen-Lieferungen zwar nicht angenehm, aber der tatsächlichen Sachlage durchaus angemessen waren.Wir wissen, daß auch die Abgeordneten der GRÜNEN vergleichbare Aktionen unternommen haben.
— Waren Sie mal bei uns im Ausschuß? Das hätten Sie sich wirklich antun sollen.
— Wenn es der Kollege Gansel bei einer Rede belassen hätte, dann wäre das ja alles zu ertragen gewesen. Aber er hat es leider nicht. Also!
Ein weiteres Stück aus dem Tollhaus ist der — milde formuliert — Verdacht des leichtfertigen bzw. — bei den Abgeordneten der GRÜNEN Eid und Beer — vorsätzlichen Verletzung vom Geheimhaltungspflichten. Merkwürdigerweise sind die, die andere über Jahre hinweg vorverurteilen, sehr empfindlich, wenn es um die angebliche eigene Vorverurteilung geht.Hier geht es darum, daß die Staatsanwaltschaften zu Recht die Frage nach der Einleitung von Ermittlungsverfahren gestellt haben. Hätten die Kolleginnen Eid und Beer ein gutes Gewissen, könnten sie den Ausgang dieser Verfahren in Ruhe abwarten.Ein besonders böser Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens liegt in der Behandlung von Zeugen durch SPD und GRÜNE. Wer Zeugen vor oder nach der Vernehmung so bezeichnet, wie es die SPD und die GRÜNEN gemacht haben, hat von den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens— und mag er sich selber noch so sehr als Juristen oder Prädikatsjuristen bezeichnen — wirklich keine Ahnung.
Man muß den Herrn Teltschik ja nicht mögen; aber so, wie Sie mit Herrn Teltschik umgegangen sind, wollten Sie nur einen Beamten unter Druck setzen und in der Öffentlichkeit unglaubwürdig machen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18443
Frau Seiler-AlbringEin weiteres Beispiel für den „sorgfältigen Umgang" mit Zeugen ist z. B., daß die GRÜNEN Zeugen vor ihrer Vernehmung als „Mitglieder einer Waffenschieberbande im Bundeskanzleramt" bezeichnet haben.
Es bleibt einem eigentlich fast die Spucke weg!
Bedauerlich ist dabei, daß es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der ARD offensichtlich nicht gelingt, bei dem politischen Magazin „Monitor" wenigstens im Grundsatz eine faire Berichterstattung durchzusetzen.
Das, was sich dieses Magazin am Dienstag dieser Woche geleistet hat, steht dem, was Norbert Gansel, Uschi Eid und Angelika Beer in den vergangenen vier Jahren zusammen bewirkt haben, an Unaufrichtigkeit und Abwegigkeit nicht nach.
Zu formulieren, Bundesaußenminister Genscher sei für den außenpolitischen Schaden verantwortlich, ist eine infame Verdrehung.
Es ist dem Auswärtigen Amt und dem Bundesaußenminister zu verdanken, durch seinen erfolgreichen diplomatischen Einsatz die Glaubwürdigkeit der Südafrikapolitik der Bundesregierung erhalten
und den Schaden durch das Auftreten von Norbert Gansel vor den Vereinten Nationen in Grenzen gehalten zu haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Untersuchungsausschuß ist am Ende seiner Arbeit. SPD und GRÜNE behaupten, nicht alle maßgeblichen Unterlagen ausgewertet haben zu können.
Richtig ist daran, daß in der Tat die auf Grund der Beschlagnahmeaktion der Staatswaltschaft Kiel vorhandenen Akten dem Untersuchungsausschuß nicht zur Verfügung gestellt worden sind. Aber Sie verschweigen, daß dies auf Ihr eigenes Verschulden zurückzuführen ist.
Sie stehen im Verdacht des vorsätzlichen oder leichtfertigen Bruchs von Geheimhaltungspflichten. Wenndeswegen Staatsanwaltschaften und Gerichte Aktenzurückhalten, bedaure ich dies, habe dafür aber Verständnis.
Natürlich ist es unbefriedigend, wenn dadurch die Arbeit von Untersuchungsausschüssen leidet. Nur gehe ich davon aus, daß die Staatsanwaltschaft Kiel der Staatsanwaltschaft Bonn alles, was für die Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Kiel von Bedeutung ist, zur Verfügung gestellt hat. Wenn alles übrige, was uns unbekannt ist, die Qualität dieser Unterlagen hat, können wir guten Gewissens auf sie verzichten.Wir wollen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Südafrikapolitik der Bundesregierung und der Bereitschaft der Bundesregierung, internationale Verträge und Verpflichtungen einzuhalten und umzusetzen. Wir hätten uns deswegen einen seriösen und rechtsstaatlich einwandfrei arbeitenden Untersuchungsausschuß gewünscht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Mit der heutigen Debatte wollen die Koalitionsfraktionen den Schleier des Vergessens über den U-BootSkandal ziehen. Die Verfehlungen Bonner Spitzenpolitiker und die Gesetzesverstöße der U-Boot-Bauer sollen ungeahndet bleiben. Aber das letzte Wort in dieser Affäre ist mit Sicherheit noch nicht gesprochen. Es gibt zwei Fraktionen, die die Aufklärung dieses Skandals wollen. Wir, die GRÜNEN, werden keine Ruhe geben, um mit geeigneten parlamentarischen Mitteln die offenen Fragen über die Verwicklung von Regierungsmitgliedern in dieses Waffengeschäft zu klären.
Warum geben wir uns nicht zufrieden mit der Fülle an Erkenntnissen, die die Regierung belasten und die wir seit vier Jahren durch hartnäckige Arbeit herausgefunden haben?
Dies liegt einfach an der besonderen Qualität und Brisanz dieses Rüstungsexportgeschäfts; denn in der Geschichte der Bundesrepublik ist dies der erste bekanntgewordene Fall, in dem fast das halbe Bundeskabinett in illegale Waffengeschäfte verstrickt ist.
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18444 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau EidSeit 1983, Herr Bohl, war den Ministern Stoltenberg und Genscher sowie dem ehemaligen Minister Wörner das Ansinnen der Firmen IKL und HDW bekannt, U-Boot-Pläne über Diplomatengepäck der südafrikanischen Botschaft in Bonn nach Südafrika zu schaffen.
Die Minister haben nichts getan, um dieses Geschäft zu verhindern.
Nach unseren Erkenntnissen war im Bundeskanzleramt sehr wohl, Frau Seiler-Albring, ein Waffenschieberring am Werk.
Auch wenn der Bundeskanzler, Herr Teltschik und Herr Schreckenberger diesen Begriff nicht gern hören, bleibe ich bei dieser Feststellung und möchte sie erneut begründen.Erstens. Kohl, Teltschik und Schreckenberger haben sich mit erheblicher Energie und Ausdauer dem Geschäft „U-Boote nach Südafrika" gewidmet. Der Kanzler hat mit fremden Staatsoberhäuptern, mit Ministern seines Kabinetts, mit den Beamten des Kanzleramts und mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten ausgiebig über das U-Boot-Projekt verhandelt.
Zweitens. Der Kanzler war Adressat und Empfänger mehrerer Briefe des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, die in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
In den beiden bekanntgewordenen Briefen, deren Originale — man höre und staune — im Bundeskanzleramt im Reißwolf vernichtet worden sind, legte Strauß nieder, daß der Kanzler das U-Boot-Geschäft befürwortet und genehmigt hat und daß er sogar über die konkreten Liefertermine, das Inkrafttreten des Vertrags und über die Einzelheiten des Vertragsinhalts informiert war.Diese Strauß-Briefe beweisen, daß der Kanzler nicht erst, wie er selber behauptet, 1985, sondern bereits im Sommer 1984 über alle wesentlichen Aspekte des U-Boot-Geschäfts informiert war.Der U-Boot-Deal war Chefsache im Bundeskanzleramt. Helmut Kohl war nach diesen Briefen der Dreh- und Angelpunkt beim U-Boot-Geschäft.Der Bundeskanzler hat bei seiner Zeugenaussage versucht, die Bedeutung dieser entscheidenden Strauß-Briefe herunterzuspielen. Er kennzeichnete Strauß abfällig als einen notorischen Briefeschreiber, der es mit der Wahrheit oft nicht so genau nahm und der oft etwas in Briefe hineinschrieb, was zwischen Strauß und Kohl gar nicht vereinbart worden sei.
Damit komme ich zum dritten Punkt. Zum Pech des Bundeskanzlers gibt es eine schriftliche Notiz eines ehemaligen Vorstandsmitglieds von HDW. Darin heißt es, daß Kohl und Teltschik über die wichtigsten Termine des Geschäfts — also Inkrafttreten des Vertrags, Beginn der Lieferungen — informiert seien. Hier besteht also eine volle Übereinstimmung mit den beiden Strauß-Briefen.
Viertens. Zwei Notizen der Firmen HDW und IKL über ein Telefongespräch mit dem ehemaligen Kanzleramtschef Prof. Schreckenberger weisen aus, daß dieser im Auftrag des Kanzlers am 31. Juli 1984 grünes Licht für das U-Boot-Blaupausen-Geschäft gab. Obwohl Schreckenberger bei seinen Vernehmungen ursprünglich bestritten hatte, im Auftrag des Bundeskanzlers grünes Licht gegeben zu haben, teilte er in einer Ergänzung zu seiner letzten Aussage vor dem Ausschuß vor kurzem schriftlich mit, daß es doch sein könne, daß er jene legendären Telefongespräche im Auftrag des Kanzlers führte und daß er dies den Gesprächspartnern auch gleich zu Beginn mitgeteilt haben könnte. Damit ist die Beweiskette fast geschlossen.Der Bundeskanzler hat ein illegales Rüstungsgeschäft mit dem Apartheid-Regime mündlich genehmigt und ein Terrorregime mit modernster Waffentechnik, nämlich U-Booten mit gefährlichen Raketen, aufgerüstet.
Vor dem Untersuchungsausschuß hat der Bundeskanzler immer wieder behauptet, er habe von dem Vertrag erst viel später, nämlich 1985, erfahren. Grünes Licht sei in seinem Auftrag nie gegeben worden.
Frau Abgeordnete Eid, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?
Frau Präsidentin, wenn der Herr Vorsitzende im Untersuchungsausschuß großzügig gewesen wäre, wäre ich dies heute auch. Aber da er das nicht war, bin ich das heute auch nicht.
Akten, die im September 1990 auftauchten, belegen den Verdacht, daß der Kanzler vor dem Ausschuß genau an den strittigen Punkten mehrfach und systematisch die Unwahrheit gesagt hat.
Wir GRÜNEN stellten daraufhin eine Strafanzeige gegen den Bundeskanzler wegen vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat das Verfahren mit der Begründung eingestellt, daß Kohl gar kein Zeuge gewesen sei, sondern sich in
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18445
Frau Eideiner „beschuldigtenähnlichen Stellung" befunden habe.
Daß für den Bundeskanzler zweierlei Recht gilt, nehmen wir GRÜNE nicht hin. Deshalb haben wir beim Generalstaatsanwalt in Köln Beschwerde gegen die Entscheidung der Bonner Staatsanwaltschaft eingelegt.
Fünftens. Der Bundeskanzler hat seinen engsten Berater, Horst Teltschik, mit der Feinabstimmung des Waffengeschäftes beauftragt. Zu diesem Zweck traf sich Teltschik ein halbes dutzendmal im Kanzleramt mit den Firmenvertretern. Dabei wurden Details erörtert, wie man die gesetzlichen Bestimmungen umgehen könne, z. B. die Lieferung über Drittländer.
Die Frage, ob der Bundeskanzler mit dem türkischen Ministerpräsidenten Özal über das U-Boot-Geschäft gesprochen hat, konnte nicht aufgeklärt werden. Diese Frage ist jedoch von zentraler Bedeutung. Denn es gab in den Akten eindeutige Hinweise, daß die Abwicklung des geheimen Geschäftes nach Sommer 1985 über die Türkei geplant war.Damit komme ich zu den noch ungeklärten, aber sehr wichtigen Fragen.Die zweite ungeklärte Frage ist: Womit war die Bundesregierung eigentlich erpreßbar? Gibt es in den 500 Aktenordnern der OFD Kiel vielleicht Hinweise über das „grüne Licht" ? Vieles deutet darauf hin. Das Landgericht Kiel, das diese Akte kannte, kam in seinem Geheimurteil vom 4. Juli dieses Jahres zu dem Ergebnis,
daß den U-Boot-Managern strafmildernde Umstände zugebilligt werden müßten;
denn sie seien — Zitat aus dem „Spiegel" —
„erst nach dem ihnen anfänglich übermittelten ,Grünen Licht' der Bundesregierung" intensiv tätig geworden.Dritte ungeklärte Frage: Nach wie vor ist der Verdacht nicht ausgeräumt, daß die beiden Rüstungslobbyisten Zoglmann und Albrecht Teile ihrer Provisionsgelder an die Kassen der Regierungsparteien weitergeleitet haben.
Wir möchten gerne wissen, ob es stimmt, daß die von „Monitor" erwähnten 1,7 Millionen DM an hohe Bonner Politiker geflossen sind.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen Sie mich zum Schluß in Erinnerung rufen, wer eigentlich die Geschäftspartner des zu untersuchenden illegalen Rüstungsgeschäfts sind.
Da ist auf der einen Seite IKL. IKL erhält seine Aufträge überwiegend von der Bundesregierung. Da ist HDW, die bis vor kurzem zu 75 % in Bundesbesitz waren
und zu 25 % im Besitz des Landes Schleswig-Holstein sind.
Auf der anderen Seite ist das südafrikanische Rassistenregime, das die schwarze Bevölkerungsmehrheit in beispielloser Brutalität unterdrückt, durch Staatsterror die Opposition ausschaltet und einen Krieg gegen die Frontstaaten führt. Erst gestern besuchte mich Frau Maharatsch, Ehefrau des im Juli inhaftierten ANC-Exekutivkomitee-Mitgliedes McMaharatsch. Sie wurde auch von Arbeitsminister Blüm empfangen. Sie legte in erschütternder Weise dar, wie der Unterdrückungsapparat trotz des eingeleiteten Reformprozesses heute noch Menschenleben zerstört, Familien auseinanderreißt und zur Flucht zwingt. McMaharatsch befand sich in Übereinstimmung mit dem Groote-Schur-Protokoll in Südafrika und wurde trotzdem nach dem Gesetz zur inneren Sicherheit verhaftet und brutal gefoltert. Bereits 1964 wurde er so gefoltert, daß er sechs Jahre ein Stützkorsett tragen mußte. Er wurde auf Grund der Folterung vor kurzem in Durban ins Krankenhaus eingeliefert.Dies sind die Geschäftspartner von IKL und HDW. Dies sind die Partner von Bundeskanzler Kohl, denen er am liebsten statt Blaupausen gleich ganze U-Boote verkauft hätte.
Die Bundesregierung, die von anderen Regierungen immer die Einhaltung von Menschenrechten zu Recht einklagt, hat sich nicht gescheut, grünes Licht zur Aufrüstung eines Regimes zu geben, das von der UNO als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde.
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18446 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau EidHerzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich auf einen eher literarischen Beitrag beschränken: Dem wachsenden Fanatismus und zunehmender Unfairneß auf seiten der Opposition in diesem Untersuchungsausschuß konnten wir von der Regierungskoalition wachsende Gelassenheit entgegensetzen.
Der Sturm aus Kiel, Lübeck und Hamburg entpuppte sich als sanfter Aufwind für die Regierungskoalition und für die Bundesregierung. Der Aufschwung des Kollegen Gansel zum Großinquisitor führte schließlich dazu, daß er auf die Nase fiel.
Ob diese Arbeit, Herr Kollege Gansel, die gleiche dichterische Zuwendung wie die geschichtliche Persönlichkeit eines Michael Kohlhaas finden wird, wage ich zu bezweifeln.Der Kollege Gansel hat sich — um in seinem eigenen Sprachgebrauch zu bleiben — zum Büttel seiner eigenen Fantasien und Effekthascherei gemacht.
Der Ausschuß hat ganze Arbeit geleistet — ich meine das ironisch — : Er hat die Abgeordneten immer wieder zu unmöglichen Zeiten, zu unmöglichen Fragen und zu unmöglichen Anträgen zusammengebracht und uns leider unnötig viel Zeit gestohlen. Dem Ansehen des Parlaments hat er jedenfalls nicht gedient.Die Technik, mit Presseerklärungen zu den Ergebnissen der Ausschußsitzungen Stellung zu nehmen, bevor die Sitzungen überhaupt begonnen hatten, wurde durch die Opposition systematisiert und perfektioniert.
— Nein, Sie rauben mir nicht den Schlaf, Kollege Gansel.Erstmals wurde ein Regierungswechsel in einem Bundesland dazu benutzt, um den Generalstaatsanwalt zu feuern und damit die Ermittlungen zu beeinflussen — ein ungeheuerlicher Vorgang, der das Rechtsstaatsprinzip in Frage stellt.
Erstmals im Laufe eines Untersuchungsausschusses fühlte sich ein Berichterstatter veranlaßt — nämlich der Kollege Gansel — , in einer umfangreichen Korrespondenz ausländischer Organisationen und Regierungen aufzufordern, sich gegen die Bundesregierung zu stellen.
Der Kollege Gansel hat sich nicht einmal für zu schade gefunden, nach New York zu fliegen und dort gegen die Bundesregierung zu plädieren.
Er hat damit nicht der Bundesregierung, sondern er hat sich selber und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland geschadet.
Kollege Gansel, nachdem Sie gesehen haben, daß die Sache mit dem Außenwirtschaftsgesetz nicht läuft, haben Sie ganz schnell einen Haken geschlagen und auf einmal versucht, die Indien-Geschichte wieder hochzuspielen. Sie haben nämlich gesehen, daß Ihnen die Felle davonschwimmen. Das war Ihre Taktik: Nachdem Sie nichts mehr bringen konnten, haben Sie versucht, mit unfairen Mitteln das Verfahren zu beeinflussen.
Das Untersuchungsziel wurde, soweit es von vornherein als Wahlkampf und als persönliche politische Spielwiese des Kollegen Gansel gedacht war, sicher nicht erreicht.Aber natürlich hat der Ausschuß auch ergeben, daß unser Außenwirtschaftsrecht immer noch nicht in Ordnung ist.
Wir haben von der sozialdemokratisch geführten Regierung eine Erblast mit einem Außenwirtschaftsrecht übernommen, das absolut unübersichtlich ist, weil kein Mensch von vornherein sagen kann, was im Endergebnis eigentlich genehmigt wird. Oft hängt es von der höchst persönlichen Einschätzung eines einzelnen Sachbearbeiters oder eines Richters ab, ob eine Beeinträchtigung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland vorliegt.
— Herr Soell, Sie können doch nicht bestreiten, daß es unübersehbar geworden ist, wann überhaupt eine Genehmigung erteilt und wann sie nicht erteilt wird.
Fragen Sie doch einmal die betroffenen Firmen, ganz egal, was sie exportieren wollen: Sie wissen heute überhaupt nicht mehr, was sie noch anbieten und was sie exportieren können. Dort müssen wir Konsequenzen ziehen.
Ich freue mich, daß der erste wichtige Schritt im Mai dieses Jahres gegangen wurde.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18447
LowackDabei bleibt die Frage völlig offen, inwieweit die Lieferung von Unterseebooten die Apartheid, liebe Kollegin Eid, hätte fördern können. Bei Blaupausen habe ich überhaupt keine Vorstellung, wie das die Apartheid hätte stützen sollen.
Vor allem aber ist zu fragen, ob nicht das gegen Südafrika verhängte Embargo dazu geführt hat, daß Südafrika dann mehr oder weniger aus eigenen Kräften eine Waffenindustrie aufgebaut hat, die heute zu den modernsten der Welt gehört und Südafrika zu einem Waffenexportland gemacht hat.Der Untersuchungsausschuß hat durch die geradezu blindwütige Verhandlungsführung seitens der Opposition dazu geführt, daß die Bundesrepublik Deutschland bei vielen Ländern in der Dritten Welt ins Zwielicht geraten ist.
Dabei hätte es weit mehr Sinn gegeben, wenn dieser, vor allem auch von Mitgliedern der Auswärtigen Ausschusses besetzte Untersuchungsausschuß sich auch einmal mit der Frage befaßt hätte, ob ein Embargo und Sanktionen gegen Südafrika tatsächlich heute noch sinnvoll sind und ob wir nicht besser daran täten, auch einmal in die Zukunft zu schauen, statt uns permanent mit der Vergangenheit zu befassen.So lassen Sie mich schließlich im Versmaß abschließen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen:Wie viele Stunden wurde hier geschwätzt. Wie viele Tage haben wir versessen. Wie hätten wir ein bißchen Sachlichkeit geschätzt. So aber werden wir den Ausschuß gern vergessen.Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Kaufmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über 1100 Seiten stehen hier heute zur Debatte, 1100 Seiten, deren Inhalt eigentlich jedes verantwortungsbewußte Mitglied dieses Hohen Hauses mehr als nachdenklich stimmen müßte. Aber wie nicht anders zu erwarten, gibt es natürlich völlig unterschiedliche Wertungen bei den Koalitionsparteien und den Oppositionsparteien. Es verwundert uns nicht, daß CDU/CSU und FDP die vierjährige Arbeit des Ausschusses als abgeschlossen betrachten, letzlich als unnötig ansehen und offenkundig eben überhaupt kein Interesse an der lückenlosen Aufdeckung dieses Skandals, vor allem auch an den Verstrickungen führender Politiker haben.
Ja, meine Damen und Herren, für uns ist eines ganz klar: Den vorliegenden Bericht des Ausschusses kann man in der Tat nur zur Kenntnis nehmen, mehr nicht; denn dieser Bericht ist fürwahr ein Lehrstück über die Ohnmacht derartiger parlamentarischer Gremien.
Meine Damen und Herren, der U-Boot-Skandal ist doch nur ein Glied in einer Kette von Fällen, die zeigen, daß bundesrepublikanische Firmen seit Jahren und Jahrzehnten an schmutzigen Waffengeschäften verdienen, und zwar, wie jeder weiß, Milliarden-Summen.
Wenn es um Profit, Einflußgewinnung und Machtinteressen geht, dann spielen offenbar selbst die brisantesten internationalen Fragen keine Rolle mehr,
: Die größten Waffenschieber der Welt sind die doch! — Austermann [CDU/CSU]: Da sollte man sich doch
schämen, wenn man da hingeht mit einigermaßen moralischem Anspruch! Ist völlig unglaublich!)
ob es wie in diesem Fall um die eklatante Verletzung internationaler Sanktionen und Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gegen den Apartheid-Staat Südafrika geht oder um den illegalen Bau von Giftgaswerken.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Entwicklungen am Golf zeigen doch ganz offenkundig, wie höchstaktuell diese Machenschaften noch immer sind.
Frau Kaufmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Geiger?
Die Vorredner, die in der vierjährigen Arbeit drinstecken, haben darauf verzichtet. Ich sehe gar nicht ein, warum ich mich jetzt hier in Detailfragen einlassen soll.
Meine Damen und Herren, ich war gerade dabei, darauf hinzuweisen, daß die jüngsten Entwicklungen am Golf sehr offenkundig zeigen, wie höchstaktuell diese Machenschaften noch immer sind. Jahrelang wurden in vollem Bewußtsein über die Explosivität der Lage im Nahen und Mittleren Osten illegale Waffenverkäufe an den Irak getätigt. Erst verhindert man nicht, daß unberechenbaren Politikern massenhaft
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18448 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Dr. KaufmannMittel zur Kriegführung in die Hand gegeben werden,
und dann fordert man sogar noch, gewissermaßen als Schadensbegrenzung, den Einsatz deutscher Truppen und militärischer Ausrüstung zur Beilegung von Konflikten in Krisenregionen.
Wer soll denn das noch verstehen?
Wahrnehmung wachsender internationaler Verantwortung durch das vereinte Deutschland heißt für uns, nicht deutsche Waffen und Streitkräfte in alle Himmelsrichtungen zu entsenden, sondern strikte Einhaltung internationaler Vereinbarungen, striktes Verbot von Waffenexporten, drastische Kürzung des Rüstungsetats, Verzicht auf den Jäger 90, Schluß mit Tiefflügen, Konversion der Rüstungsbetriebe, Abschaffung der Wehrpflicht. Kurz: Völlig neue Sicherheitspolitik in Richtung Entmilitarisierung Deutschlands.
Eine Fortsetzung der bisherigen Politik kann sich dieses Land nicht mehr erlauben.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen: Die PDS betrachtet den Bericht des Untersuchungsausschusses als vorläufigen Zwischenbericht. Wir verlangen, daß diejenigen, die hier Schuld auf sich geladen haben —
seien es nun Unternehmer, Händler oder Politiker —, ohne Ansehen der Person wirklich zur Verantwortung gezogen werden. Der U-Boot-Skandal, einer der größten Rüstungsexportskandale in der Geschichte der Bundesrepublik, ist endlich lückenlos aufzuklären.
— Daß Ihnen das nicht paßt, meine Damen und Herren, ist mir völlig klar.Ich bin sicher, daß der zwöfte Deutsche Bundestag hier noch einen Berg an Arbeit vor sich haben wird. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort zu einer zweiminütigen Zwischenintervention hat die Abgeordnete Frau Beer.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte fordert diese Kurzintervention.
Die Wahrheit, das Wort, das hier so oft fällt, liegt auf der Hand; man kann sie nachlesen: Die Bundesregierung hat gelogen — im Ausschuß gelogen, in diesen Debatten gelogen.
Die Bundesregierung hat dieses Geschäft allein zu verantworten.
Wir sind nicht bereit, den Vorwurf „Waffenschieberkabinett" , der hier den GRÜNEN so empört vorgehalten wird, zurückzunehmen; denn wir haben es vor uns sitzen, wenn es sich auch durch Handlanger und Stellvertreter vertreten läßt. Es fehlen allerdings — das gebe ich gerne zu — die weggelobten Herren Bangemann und Wörner und die Herren Waigel, Außenminister Genscher, Stoltenberg, Kohl. Wo sind sie alle? Sie sind zu feige, uns
selbst bei dem weiteren Mißbrauch parlamentarischer Mehrheiten bei der Diskussion über diesen Abschlußbericht, der diesen Skandal endgültig beiseite legen soll, ins Gesicht zu sehen.
Die Bundesregierung hat mit dieser heutigen Debatte und mit dem weiteren Mißbrauch ihrer Mehrheit in diesem Parlament die parlamentarische Demokratie ein Stück weiter reduziert, die Außenpolitik weiterhin unglaubwürdig gemacht,
die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie, die darin stecken sollten, vermindert und das Verhältnis zu den anderen Völkern für die nächsten Jahre weiterhin geschädigt.
Die Schäden, die aus diesem Mehrheitsverhalten erwachsen, werden erst im Laufe der nächsten Jahre ihre Konsequenz und Deutlichkeit entwickeln. In einer Situation, in der wir so sehr darauf angewiesen sind, einen neuen Krieg zu verhindern, werden wir nicht dulden, daß weitere Embargos unterlaufen werden. Gerade auf die konsequente Einhaltung des Embargos gegenüber dem Irak durch deutsche Firmen werden wir achten. Auch durch einfache und undemokratische Vorwürfe seitens der Regierungsvertreter an die Opposition bis hin zur Lancierung von Strafermittlungsverfahren wird dies nicht in Frage gestellt werden. Denn im Bewußtsein eines jeden verantwortungsvollen Parlamentariers muß es die Aufgabe sein, dafür zu sorgen, daß Embargos lückenlos eingehalten werden.
Wer dieses Bewußtsein nicht hat, ist es nicht wert, Parlamentarier zu sein.
Ihre Redezeit ist beendet.
Ich möchte zum Schluß sagen, daß die Außerkraftsetzung der parla-
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Frau Beermentarischen Kontrolle die Herausforderung für uns alle sein muß und sein wird — was jedenfalls die GRÜNEN betrifft — bis hin zum restlosen Verbot von Rüstungsexporten. Dafür und für die endgültige Aufklärung der Verschleierungen im nächsten Parlament zu sorgen, ist am heutigen Tag die Aufforderung an die SPD.
Frau Eid, ich kann den Ausdruck „Waffenschieberkabinett" hier nicht akzeptieren. Ich muß ihn zurückweisen und erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf. Ich möchte das hier ausdrücklich feststellen.
— Entschuldigung. Gemeint waren Sie, Frau Abgeordnete Beer.
Herr Abgeordneter Bohl, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zwischenintervention von Frau Beer erfordert doch eine sofortige Erwiderung. Ich muß ganz deutlich und offen sagen:
Ich finde es nicht nur würdelos, was hier gesagt wurde, sondern ich halte es für eine Unverschämtheit, für eine Unverfrorenheit und für eine Verdrehung der Tatsachen, die wir festgestellt haben.
Meine Damen und Herren, welch Geistes Kind Sie sind, zeigt sich ja daran, daß Sie diese Zwischenintervention
nicht spontan in der Debatte angemeldet haben, sondern sie zu Beginn der Debatte schon vorgetragen haben und dann die Chuzpe haben, sich hier hinzustellen und zu sagen, daß Sie durch die Debatte zu Ihrer Zwischenintervention gebracht worden sind.
Sie sind ständig auf dem Holzweg. Sie sagen ständig die Unwahrheit, so gerade eben hier vor wenigen Minuten am Podium des Deutschen Bundestages.
Die Unerträglichkeit und die Unwahrhaftigkeit Ihrer Aussagen wird noch dadurch übertroffen, daß Sie bei den schamlosen Ausführungen der Vertreterin der PDS als einzige hier im Hause auch noch Beifall geklatscht haben. Das ist die Wirklichkeit.
Folgendes möchte ich Ihnen hier noch einmal mit Deutlichkeit sagen: Wir haben uns am Rechtsstaat zu orientieren.
Das Verfahren im Untersuchungsausschuß muß rechtsstaatlich vonstatten gehen.
Sonst rufen Sie nach Datenschutz, nach Rechtsstaat und sind gegen Vorverurteilung, aber wenn es gegen den politischen Gegner geht, dann ist Ihnen nichts zu schade. Dann werden Dreck und Kübel von Schmutz ausgeschüttet.
Das ist völlig unmöglich und unerträglich. Deshalb ist die Bundesregierung hier in Schutz zu nehmen. Sie hat die Wahrheit gesagt, und sie hat sich absolut korrekt verhalten. Das ist die Wirklichkeit.
Weiter will ich Ihnen noch eines sagen: Gegenüber Ihren Untersuchungs- und Vernehmungsmethoden, die Sie im Untersuchungsausschuß an den Tag gelegt haben,
ist Schimanski ein Kriminalbeamter voller Zurückhaltung und Skrupel. Das ist die Wirklichkeit, meine Damen und Herren. In unerträglicher Weise haben Sie das Untersuchungsausschußverfahren hier betrieben und damit dem Deutschen Bundestag und dem Ansehen der Untersuchungsausschüsse einen Bärendienst erwiesen.
Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Börnsen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Intervention meines Kollegen Bohl war notwendig, um deutlich zu machen, daß die Regierung korrekt gehandelt hat.Mein Fazit nach vier Jahren Untersuchungsausschuß ist: Es war eine zeit- und kostenaufwendige Unternehmung. Es gab mehr Frust als Lust. Der Untersuchungsausschuß ist nach Aufklärungserfolgen am Anfang zum politischen Kampfinstrument verkommen.
Der Untersuchungsausschuß war belastet durch denGeburtsfehler, im Wahlkampf entstanden zu sein unddiesem zu dienen und als parlamentarisches Kontroll-
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Börnsen
gremium nur Regierungshandeln geißeln zu können, wo doch die Verfehlungen der Firmen vorlagen.Trotzdem: Wenn es dieses Königsrecht der Opposition nicht gäbe, müßte es geschaffen werden.
Zur Sache selbst nach über 60 Sitzungen meine ich: Es kreißte der Berg, und er gebar eine Maus. Aber es gilt, auch das Umfeld des Untersuchungsausschusses aufzugreifen und es kritisch zu untersuchen, und dazu gehörte die schon erwähnte Sendung des Magazins „Monitor" . Es behauptete am 15. August 1989: „Der U-Boot-Bau in Südafrika unter Leitung deutscher Firmen ist in vollem Gange. "Tatsache ist: Weder „Monitor" noch Vertreter unserer Delegation haben sieben Monate später dort ein solches im Bau befindliches U-Boot gesehen. „Monitor" machte deshalb im April 1990 einen Rückzieher und erklärte, „es werde daran gearbeitet, die Werft für den U-Boot-Bau vorzubereiten". „Monitor" hat offensichtlich gelogen.„Monitor" behauptete weiter: „Innerhalb der nächsten 18 Monate wird ein erstes U-Boot vom Stapel laufen." Ein 20 Jahre altes französisches U-Boot der Daphne-Klasse wurde umgebaut und sollte nach 18 Monaten das Dock verlassen.
Man vermittelte aus Unfähigkeit oder Absicht den Eindruck, daß hier der Neubau eines nach deutschen Plänen hergestellten U-Boots gemeint sei. „Monitor" hat offensichtlich manipuliert.Man behauptete des weiteren im April 1990, in Durban entstehe eine komplette U-Bootfabrik. Tatsache ist: Was in der Sendung als zukünftiger Montagebereich für U-Boote bezeichnet wurde, war in Wirklichkeit die Verladefläche für die Bohrplattform Mossgass. Behauptungen ohne nachprüfbare Beweise! Dem Fernsehzuschauer wurde die Unwahrheit untergeschoben.
Diese und andere Spukgeschichten wurden von der rot-grünen Koalition im Ausschuß unverzüglich genutzt, um durch neue Verdächtigungen und Beweisanträge die Brühe am Kochen zu halten. Diese Antragswelle wiederum führte dazu, daß „Monitor" einen Aufhänger für eine Kampagne gegen die Koalition bekam. So hat man sich die Bälle geschickt zugespielt.
Weder das Magazin noch die Ausschußminderheit haben zur Kenntnis nehmen wollen,
was Gewerkschaftler, die parlamentarische und die außerparlamentarische Opposition in Südafrika behauptet hatten: Bei uns in Südafrika — so sagten sie alle — werden keine U-Boote gebaut.
Weder de Klerk noch in diesem Jahr Mandela haben einen anderen Eindruck wiedergegeben. Es werden dort keine U-Boote gebaut.
Böse Beiträge für die politische Kultur unseres Landes! Bis heute haben sich weder „Monitor" noch die Ausschußminderheit bei den Zuschauern und Zuhörern korrigiert und entschuldigt.Für die bösen Beiträge zur Kultur unseres Landes sind auch einige Sozialdemokraten zuständig, die sich nach einer Reihe verhehrender rechtlicher Niederlagen eine rüpelhafte und rücksichtslose Richterschelte leisteten.
Die peinliche Pleite für die Opposition begann im Januar 1987, als der Generalbundesanwalt einen Anfangsverdacht verneinte. Die Staatsanwaltschaft in Kiel setzte diese Verneinung im Sommer 1987 fort. Sie sah keinen Grund für die Aufnahme eines Verfahrens, auch die OFD nicht.Die bitterste Niederlage erhielt die rot-grüne Koalition durch das Bonner Amtsgericht. Es bescheinigte ihr einen fehlerhaften und falschen Untersuchungsauftrag; eine parlamentarische Korrektur wurde notwendig. Ein einmaliger Fall im Deutschen Bundestag, Resultat einer Tätigkeit, die nicht durch einen kühlen Kopf, sondern durch Besessenheit bestimmt wurde!
Auch nach dem Kieler Regierungswechsel, auf den man so viel Hoffnung gesetzt hatte, hielten die richterlichen Ohrfeigen für die SPD an. Nachdem die 3. Große Strafkammer des Landgerichts im Juli trotz vieler neuer Akten einen Anfangsverdacht verneint hatte, stellte die Staatsanwaltschaft unter Verantwortung des SPD-Justizministers Dr. Klingner die Ermittlungsverfahren ein. Der SPD-Landesvorsitzende Walter bezeichnete diese Entscheidung als absurd. Gansel setzte am 16. Juli 1990 mit einem demagogischen Ausfall nach — das sollten sich auch die Genossen selbst anhören — :Alles deutet aber darauf hin, daß die einschlägige deutsche Tradition hochgehalten wird: daß sich die Reichs- bzw. Bundesregierung bei dubiosen Waffengeschäften, in die sie verwickelt ist, darauf verlassen kann, daß die von der Justiz verinnerlichte Staatsräson gilt: The King can do no wrong!Welch eine Diffamierung!Doch der ASJ-Landesvorsitzende Neskovic in Schleswig-Holstein setzte dem noch die Krone auf. Er
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Börnsen
bezeichnete die Entscheidung der Kieler Staatsanwaltschaft als „Kapitulation vor der Kriminalität der Mächtigen". Schleswig-Holsteins Justizminister Klingner stellte sich nicht vor seine Mitarbeiter.
Auch der ehemalige Bundesjustizminister Vogel hat in diesem Fall nichts getan, um die Autorität unseres Rechtswesens vor den Angriffen seiner Genossen zu schützen.
Wer solche ungeheuerlichen Verdächtigungen gegenüber der Justiz nicht umgehend korrigiert, begeht auch einen Anschlag gegen die politische Kultur unseres Landes.
Das gilt auch für einen weiteren Punkt: für den Geheimnisverrat der GRÜNEN und von Gansel.
Dieser Geheimnisverrat hat nicht nur das Vertrauen im Umgang miteinander zerstört, sondern auch das Prestige und die Würde des Parlaments bei den Bürgern in Mißkredit gebracht.
Wenn Akten von den Gerichten an Abgeordnete nicht weitergegeben werden, weil diese die Vertraulichkeit nicht einhalten, dann wird die Funktionsfähigkeit von Untersuchungsausschüssen lahmgelegt.
Die Kritiker verstopfen ihre eigenen Kanonen.
Klar war bereits damals: Zwei Firmenleitungen haben sich in skandalöser Weise ein nicht entschuldbares Fehlverhalten geleistet.
Ihr Vorgehen hat dem Ansehen unseres Landes und dem Ruf ihrer Branche geschadet. Klar war bereits vor zwei Jahren: Die Bundesregierung hat sich korrekt verhalten. Zeugenaussagen und Justiz haben es jedesmal bestätigt. Hätte Gansel doch auf Engholm gehört, der vor mehr als einem Jahr erklärte, er glaube, der Bonner Untersuchungsausschuß habe alles, was möglich war, schon zutage gefördert. Klar war bereits damals — damit hat Engholm recht — : Die Korrektur des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des AWG sind notwendig, und die Bundesregierung hat entsprechend gehandelt.Doch illegale Rüstungsgeschäfte sind nicht nur durch nationale Maßnahmen, sondern auch durch ein internationales Kartell der demokratischen Länder zu unterbinden. Darauf kommt es an.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß der Legislaturperiode möchte ich zunächst den Mitarbeitern des Untersuchungsausschusses und besonders herzlich den Mitarbeitern der SPD-Fraktion Jürgen Brandt, Dieter Puschke und Barbara Deuling für ihre Arbeit danken.
Seit der Entscheidung des Landgerichts Kiel vom 4. Juli 1990 kann auch die Regierungsseite nicht mehr abstreiten: erstens, daß Unterlagen für den U-Boot-Bau sogar bis Anfang 1987 an Südafrika geliefert worden sind, zweitens, daß dadurch das UNO-Rüstungsembargo und das deutsche Außenwirtschaftsrecht verletzt worden sind, drittens, daß die Bundesregierung den Firmen für das illegale Rüstungsexportgeschäft anfänglich „grünes Licht" übermittelt hat.
Die Bundesregierung hat die Feststellung des Kieler Landgerichts mit Schweigen zur Kenntnis genommen.
Sie versucht, den Vorwurf ihrer Mittäterschaft auszusetzen. Typisch für den Stil dieses Verfahrens ist, daß Herr Waigel, daß Herr Stoltenberg, daß Herr Genscher und viele andere alle Zeit hatten, um mit den Rüstungslobbyisten zu reden, aber niemand hat Zeit, hier im Parlament Rede und Antwort zu stehen.
Die Regierungsmehrheit im Ausschuß verteidigt die Regierung jetzt damit, daß sie sagt, sie habe aber keine schriftliche Genehmigung für das illegale Rüstungsgeschäft erteilt. Eine solche schriftliche Genehmigung haben die Firmen nie beantragt, weil sie sie nicht wollten. Deshalb wurde dem Bundesfinanzminister Stoltenberg schon im Oktober 1983 in einem persönlich-vertraulichen Schreiben von den Firmen mitgeteilt, daß ihnen eine „regierungsseitige Zustimmung" durch eine „Erklärung eines leitenden Beamten" ausreichend sein würde — später in den Firmenakten als „grünes Licht" bezeichnet — und daß sie die Zusicherung von „Rückendeckung" benötigen, „für den Fall, daß sich Schwierigkeiten ergeben würden" . Zugleich wurde Stoltenberg darüber informiert, daß beabsichtigt sei, die U-Boot-Unterlagen als „Mikrofilm im Diplomatengepäck über die Grenze" nach Südafrika zu bringen, und daß in den U-Boot-Plänen die Aufbauten verändert werden sollten, um „deutsches Design" zu vermeiden.
Diesem Tatplan entsprechend erfolgten der Vertragsabschluß, die Lieferungen nach Südafrika und schließlich auch die Vertuschungsaktionen der Firmen und der Bundesregierung.
Die „regierungsseitige Zustimmung" erfolgte durch einen leitenden Beamten des Bundeskanzleramts, nämlich durch Staatssekretär Schreckenberger.
Durch zwei Briefe vom 31. Juli und vom 5. November
1984 wurde Bundeskanzler Kohl durch den bayeri-
Gansel
schen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß persönlich über den Sachstand unterrichtet.
Mit dem Strauß-Brief vom 5. November 1984 wurde Kohl auch darüber informiert, daß die erste Lieferung von U-Boot-Unterlagen am 6. Oktober 1984 erfolgen sollte. Tatsächlich erfolgte sie am 10. Oktober 1984.
Am 10. Oktober 1984 erfolgte die erste Lieferung von U-Boot-Plänen. Dies haben die Ermittlungen der Oberfinanzdirektion Kiel ergeben, und auch das ist selbst in Ihrem eigenen Ausschußbericht enthalten.
Durch Gespräche mit Franz Josef Strauß, mit dem südafrikanischen Premierminister Botha, durch Gespräche mit seinen Mitarbeitern und Außenminister Genscher und durch die Strauß-Briefe war Helmut Kohl vom April 1984 bis zum Januar 1985 ein dutzendmal mit dem U-Boot-Geschäft befaßt.
Herr Abgeordneter Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?
Bitte sehr.
Zunächst vielen Dank, Herr Kollege Gansel, daß Sie nicht so ein Angsthase wie Herr Stobbe sind.
Nun zu meiner Frage: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zur nehmen, daß aus Vorstandsprotokollen von HDW, die von Januar 1985 stammen, hervorgeht, daß zu diesem Zeitpunkt das sogenannte grüne Licht noch immer nicht erteilt worden sei, und geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß das ganz offensichtlich Ihrer These widerspricht, das grüne Licht sei am 31. Juli 1984, ein halbes Jahr vorher, von Herrn Staatssekretär Schrekkenberger telefonisch erteilt worden?
Tatsache ist: Nach den Feststellungen der Oberfinanzdirektion Kiel sind am 10. Oktober 1984 die ersten Lieferungen erfolgt. Tatsache ist, daß die Firmen mehrere Versionen für das U-Boot-Geschäft hatten: die kleine Lösung und die erweiterten Lösungen. Tatsache ist, daß das Landgericht Kiel festgestellt hat, daß anfänglich grünes Licht gegeben worden ist. Das ist auch unser Ergebnis der Beweiswürdigung. In unserem Bericht ist festgestellt, daß der Untersuchungsausschuß nicht hat klären können, ob die weiteren Gespräche im Bundeskanzleramt erfolgt sind, um grünes Licht auch für eine erweiterte Lösung zu erhalten.Tatsache ist auch, Herr Kollege Eylmann, daß der Kollege Stobbe kein Angsthase ist, obwohl er Ihnen kein Fragerecht gegeben hat. Er ist mit Ihnen im Plenum so verfahren, wie Sie im Untersuchungsausschuß ständig mit Frau Eid verfahren sind.
Frau Präsidentin, ich fahre in meiner Rede fort. Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg tragen die Hauptverantwortung dafür, daß das illegale Rüstungsgeschäft mit Südafrika exekutiert werden konnte. Stoltenberg hat dem Aufsichtsratsvorsitzenden von HDW durch Staatssekretär Tietmeyer nach dem schon mehrfach zitierten Schreiben telefonisch mitteilen lassen, er rate dringend, „die Finger davon zu lassen". Das ist nicht die Reaktion eines verantwortlichen Ministers, der von dem Vorhaben eines illegalen Rüstungsgeschäfts erfährt.
Wo ein Eingreifen erforderlich war, wurde ein Rat gegeben, und zwar im Jargon von Kumpanen.Ein Mann, der sich bei einem erkennbar illegalen Rüstungsgeschäft so verhält, gehört nicht in eine Bundesregierung.
Die Briefe von Franz Josef Strauß an den Bundeskanzler und Unterlagen der Firmen wurden im Bundeskanzleramt von Herrn Teltschik vernichtet, bevor der Untersuchungsausschuß sie hätte erhalten können. Die Beweislage im Untersuchungsausschuß wurde nur dadurch gerettet, daß bei den Firmen Duplikate verwahrt wurden, was das Bundeskanzleramt wohl nicht erwartet hatte.Helmut Kohl hat vor dem Untersuchungsausschuß behauptet, sich an die Briefe seines Männerfreundes, des bayerischen Ministerpräsidenten, nicht erinnern zu können.
Um seine Erinnerungslücken plausibel zu machen, hat er Franz Josef Strauß als einen lästigen Briefeschreiber hingestellt, der gar nicht mehr ernst genommen wurde.
Franz Josef Strauß kann sich nicht mehr wehren, sonst wäre Kohl wirklich ein Betroffener gewesen.Nur die CSU-Landtagsfraktion in Bayern hat Kohl wegen dieser unverschämten Äußerungen kritisiert. Sie, die Sie zu den Epigonen und Bejublern von Strauß gehört haben, haben nicht den Mut gehabt, ihn in Schutz zu nehmen.
Der Untersuchungsausschuß wäre wohl nie eingesetzt worden, wenn die OFD Kiel 1986 ihre Ermittlungen gegen die Firmen HDW und IKL mit dem damals zulässigen Bußgeld von 500 000 DM abgeschlossen, den angefallenen Gewinn von mehr als 40 Millionen DM eingezogen und gegen das Bundeskanzleramt wegen des Verdachts der Beteiligung oder der Mittäterschaft an dem illegalen Rüstungsgeschäft ermittelt hätte.Tatsächlich wurde durch die „Kieler Nachrichten" im November 1986 bekannt, daß gegen die Firmen ein lächerliches Bußgeld von 50 000 DM festgesetzt wer-
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Ganselden sollte, und zwar ohne Gewinnabschöpfung. Dieses Bußgeld hätte aus der Portokasse gezahlt werden können. Eine staatliche Ermunterung für weitere illegale Rüstungsgeschäfte!
Im Januar 1988 stellte die OFD Kiel das Ermittlungsverfahren sogar ein. Praktisch war das ein Freispruch für die Firmen und für die in die Affäre verwickelten Mitglieder der Bundesregierung. Auf diese Weise wurde die Rückendeckung für den Fall, daß sich Schwierigkeiten ergäben, die die Firmen 1983 in ihrem Brief an Stoltenberg erbeten hatten, tatsächlich eingelöst.Die Einstellung des OFD-Verfahrens beruhte auf einem Trick, der juristisch als Rechtsbeugung zu klassifizieren ist.
Erstmalig für das U-Boot-Geschäft wurde eine neue Auslegung der Außenwirtschaftsverordnung geprägt, derzufolge die Lieferung von Teilplänen für den U-Boot-Bau nur dann genehmigungspflichtig ist, wenn es sich dabei um wesentliche Teile, und zwar bei ,,militärisch-strategischer Betrachtungsweise", handelt.
Diese Auslegung verstößt gegen den Wortlaut der Verordnung, gegen ihren Zweck und gegen ihre Entstehungsgeschichte.
Mit dieser Auslegung wurde eine Lücke in das Rüstungsexportkontrollrecht gerissen, und zwar durch die Bundesregierung; denn nach dieser Rechtsauffassung bedurfte es keiner Genehmigung mehr bei der Lieferung von Teilplänen, selbst dann nicht, wenn im Empfängerland die Waffenpläne durch verschiedene Teillieferungen komplementiert wurden.Die Staatsanwaltschaft Kiel hat diese Rechtskonstruktion, die die OFD Kiel unter der Rechtsaufsicht des Bundesfinanzministeriums — Stoltenberg ist dafür verantwortlich und Sie, Herr Voss — eigens für das U-Boot-Geschäft für Südafrika entwickelt hatte, als falsch verworfen.
So auch das Landgericht Kiel. Das Landgericht Mannheim ist ebenfalls der eigenwilligen Gesetzesauslegung der Bundesregierung nicht gefolgt; denn sonst hätte der Angeklagte Hippenstiel in dem Prozeß wegen der Lieferung von Teilplänen für den Bau einer Giftgasfabrik in Libyen freigesprochen werden müssen.Das Verfahren der Oberfinanzdirektion Kiel kennzeichnet sich durch eine lange Reihe schwerer und unentschuldbarer Ermittlungs- und Verfahrensfehler.
Ein Dutzend schlimmster Beispiele haben wir in unserem Minderheitenvotum aufgeführt. Aber ich sage Ihnen: Am schlimmsten wiegt die rechtsbeugende Auslegung des § 5 der Außenwirtschaftsverordnung;
denn dadurch sind auch andere illegale Rüstungsgeschäfte legalisiert worden, so z. B. die Lieferung von Unterlagen für den Turm eines Panzers in den Irak durch eine westdeutsche Firma im November 1988.Der damalige Bundesfinanzminister, Stoltenberg, und das Bundeswirtschaftsministerium tragen die politische Verantwortung dafür, wenn sich die Händler des Todes bei ihren illegalen Rüstungslieferungen in das Spannungsgebiet des Nahen Ostens auf die sie begünstigende Rechtsauslegung der Bundesregierung berufen können.
Und nun kommt's:
Das Bundeswirtschaftsministerium hat in diesen Tagen an die Spitzenverbände der Wirtschaft den Entwurf einer zwölften Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung übersandt und einen neuen § 5 c vorgeschlagen. In der amtlichen Begründung dazu heißt es — ich zitiere — :In § 5 c wird als Konsequenz aus der Lieferung von Plänen für U-Boote nach Südafrika die Genehmigungspflicht auch dann vorgesehen, wenn die Pläne nicht den Bau der kompletten Ware erlauben.Die U-Boot-Pläne wurden im Jahr 1985 nach Südafrika geliefert. Fünf Jahre hat die Bundesregierung also gebraucht, um eine Lücke in den Rüstungsexportkontrollen zu schließen, die sie selbst erst aufgemacht hat.
Das ist die regierungsamtliche Mentalität, die den Rüstungsexportskandalen der vergangenen Jahre Vorschub geleistet hat. Um sich selbst vor den Konsequenzen des illegalen Rüstungsgeschäfts mit Südafrika zu schützen, hat die Bundesregierung zumindest in Kauf genommen, auch die Händler des Todes zu schützen, die durch diese Lücke ihre Rüstungsexportgeschäfte fünf Jahre lang betreiben konnten.Meine Damen und Herren, im Untersuchungsausschuß hat es keine Erklärung dafür gegeben, warum sich die Bundesregierung überhaupt auf Verhandlungen mit Südafrika und mit den Firmenvertretern über das U-Boot-Geschäft eingelassen hat, obwohl es auf legale Weise nie hätte abgewickelt werden können. Außenminister Genscher hat vor dem Ausschuß bestätigt, daß es dabei „keinen Ermessensspielraum" für die Bundesregierung wegen UN-Embargos gab.In einem Aktenvermerk eines HDW-Vorstandsmitglieds ist festgehalten — ich zitiere —:Als ständiger Drängler im Hintergrund betätigt sich F. J. S. insbesondere bei K.
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18454 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
GanselK. ist Kohl, und F. J. S. ist Strauß.Daß dem bayerischen Ministerpräsidenten die Probleme der norddeutschen Werftindustrie am Herzen lagen, wie K. im Untersuchungsausschuß weismachen wollte, gehört in den Bereich der Märchen. Tatsache ist hingegen, daß der in Parteispenden erfahrene ehemalige FDP- und spätere CSU-Abgeordnete Zoglmann, der als Lobbyist von HDW auftrat und die Verbindungen zu Strauß, zu Schreckenberger und zu Teltschik hielt, eine Provision in Millionenhöhe für das Zustandekommen des illegalen Rüstungsgeschäftes erhalten sollte.Als es Meinungsverschiedenheiten zwischen Zoglmann und HDW über die Höhe der Provisionen gab, hielt das HDW-Vorstandsmitglied Hansen-Wester in einem Vermerk fest — ich zitiere — :Zo. sieht hierbei Schwierigkeiten. Wir sollten es nicht riskieren, daß das unmittelbare Interesse seiner Freunde erlischt.Im gleichen Vermerk heißt es zu den Provisionen — Zitat —:Vor allem aber möchte man, daß bis etwa Mitte 1985 alle Zahlungen geleistet sind: Politische Ämter sind oft kurzlebig.
Schließlich war im Jahre 1986 Wahlkampf in Bayern und in Bonn.Es steht fest, daß Provisionen gezahlt worden sind. Es steht auch fest, daß es in diesem Zusammenhang Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bonn wegen des Verdachtes der Steuerhinterziehung gibt.
Im Ausschußbericht der Regierungsmehrheit heißt es dazu— ich zitiere —:Zahlungen von Provisionen sind grundsätzlich etwas Zulässiges. Da Provisionszahlungen auch vom deutschen Steuerrecht als abzugsfähige Betriebsausgaben anerkannt werden, ist in ihnen grundsätzlich nichts Geheimnisumwittertes oder gar Anstößiges zu erkennen.Tatsächlich hat die Regierungsmehrheit im Untersuchungsausschuß alle Beweisanträge zum Schmiergeldkomplex abgelehnt.Wen wollen die Regierungsparteien damit eigentlich decken?
Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, daß Provisionszahlungen für illegale Rüstungsexportgeschäfte schlichtweg in den Bereich der Korruption und nicht zu den Einnahmequellen eines ehrbaren Kaufmanns gehören, gleichgültig, ob sie versteuert werden oder nicht,
erst recht dann, wenn sie in den politischen Bereich weitergeleitet werden sollen. Das ist Geld, das stinkt.
Wir haben im Untersuchungsausschuß einiges auslüften können. Aber Gestank ist geblieben. Eine Bundesregierung, in der daraus keine personellen Konsequenzen gezogen werden, bleibt in dem Geruch, ihre schützende Hand über den illegalen Waffenhandel zu legen, beim Irak wie bei Libyen sowie beim menschenverachtenden Apartheidregime in Südafrika.Frau Präsidentin, vielleicht kann ich jetzt statt einer späteren persönlichen Bemerkung nur einen Satz zu den Vorwürfen, die gegen mich erhoben worden sind, sagen.Der Unterschied zwischen den Vorwürfen gegen Herrn Kohl und gegen mich liegt in folgendem: Herr Kohl steht in dem Verdacht, vor dem Untersuchungsausschuß die Unwahrheit gesagt zu haben. Ich stehe im Verdacht, vor den Vereinten Nationen die Wahrheit gesagt zu haben.
Dazu stehe ich auch.Schließlich sage ich Ihnen: Nicht jede Wahrheit ist ein Geheimnis.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gansel, ich finde eigentlich schon, daß etwas mehr Bescheidenheit und weniger Selbstgerechtigkeit bei Ihnen angebracht wäre,
nachdem gestern der Immunitätsausschuß Ihre Immunität in diesem Zusammenhang aufgehoben hat.
Als Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses ist folgendes festzuhalten:Erstens. Zwei am U-Boot-Geschäft interessierte Unternehmen haben Vorgespräche im Bereich der Bundesregierung geführt mit dem Ziel, U-Boot-Blaupausen nach Südafrika zu exportieren. Einen entsprechenden Exportantrag haben die Unternehmen nicht gestellt.
Zweitens. Niemals hat die Bundesregierung für die tatsächlich erfolgten Lieferungen von U-Boot-Blaupausen nach Südafrika eine Genehmigung erteilt.
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BohlDrittens. Die Bundesregierung hat nach Kenntniserhalt von solchen Blaupausenlieferungen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Oberfinanzdirektion Kiel veranlaßt, die ihrerseits die Staatsanwaltschaft Kiel auf dem laufenden gehalten hat.Viertens. Ob die tatsächlich erfolgten Blaupausenlieferungen genehmigungsbedürftig waren, steht derzeit nicht fest. Nach Auffassung der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Kiel besteht insoweit lediglich der Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit.Fünftens. Die Generalbundesanwaltschaft sah nach Vorprüfung keinen Anlaß zum Einschreiten. Auch die Staatsanwaltschaft Kiel hat über Jahre hinweg keinen Rechtsgrund gesehen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.Sechstens. Im Herbst 1989 hat die Staatsanwaltschaft Kiel ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und umfangreiche Unternehmensakten beschlagnahmt.Siebtens. In Kenntnis dieser Unterlagen hat das Landgericht Kiel am 4. Juli 1990 entschieden: Es besteht kein Anfangsverdacht für strafrechtliches Verhalten der Unternehmensverantwortlichen.
Achtens. Daraufhin hat die dem SPD-Justizminister Klingner unterstehende Staatsanwaltschaft Kiel am 17. August dieses Jahres das Ermittlungsverfahren eingestellt.Fazit, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der politisch relevante Sachverhalt gibt keinerlei Anlaß für Vorwürfe gegen die Bundesregierung.
Die SPD hat lediglich eine Verleumdungskampagne betrieben. Das ist die Wahrheit.
Diese Kampagne wurde immer heftiger und ausfälliger, je deutlicher die Vorwürfe in sich zusammenbrachen.Ich möchte insbesondere nach den Ausfällen gegenüber dem Ausschußvorsitzenden, dem Kollegen Eylmann, ausdrücklich für seine aufopferungsvolle Langmut danken. Ich muß sagen: Ich habe ihn bewundert.
Ich schließe das Ausschußsekretariat gerne in den Dank ein.Ich möchte hinzufügen, daß die Opposition in dieser Frage offensichtlich so verbrannt und verbohrt ist,
daß sie einfach nicht in der Lage ist, von ihren Aussagen abzurücken. Ich sage Ihnen: Egal, wieviel Wahlperioden Sie noch untersuchen sollten, Sie werden nichts anderes ans Licht befördern. Das ist die Wahrheit.
Sie haben sich doch in der Lage gesehen, alles jederzeit zu bewerten und beinahe jedermann zu jeder Zeit der Falschaussage oder sonstiger Straftaten zu bezichtigen, und Sie haben unentwegt mit angeblich geheimen Informationen operiert.
Wenn es so wäre, wie Sie sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann frage ich mich nur, was Gerichtsentscheidungen für Sie wert sind. Die Gerichte sagen genau das Gegenteil von dem, was Sie hier feststellen. Das ist die Wahrheit.
Nun tragen Sie noch vor, es müsse viel mehr aufgeklärt werden, es sei noch gar nicht alles aufgeklärt. Wenn noch nicht alles aufgeklärt ist, möchte ich Sie fragen: Wie kommen Sie dann zu diesen selbstgerechten Urteilen und Bewertungen? Es ist doch völlig unglaubwürdig, auf der einen Seite zu sagen, die Sache müsse aufgeklärt werden, und auf der anderen Seite zu behaupten, die Bundesregierung sei schuld. Das paßt doch gar nicht zusammen. Ihnen geht es nur um Klamauk.
Rechtsstaatlichkeit scheint für die Opposition sowieso ein Horror zu sein. Zeugnisverweigerungsrechte, die vom Rechtsstaat und nicht vom Ausschuß oder seiner Mehrheit gewährt werden, waren Ihnen stets ein Greuel.Es ist Ihr merkwürdiges Verständnis vom Rechtsstaat, wenn Sie darin unentwegt nur Behinderung und Blokkade Ihrer angeblichen Aufklärungsbemühungen sehen.Das Bundesverfassungsgericht — das möchte ich Ihnen doch einmal vorhalten — hat in seinem FlickUrteil die Möglichkeiten des Untersuchungsausschusses dadurch erweitert, daß es entschieden hat: Akten, deren Inhalt durch ein besonderes Geheimnis, z. B. das Steuergeheimnis, geschützt sind, können gleichwohl einem Untersuchungsausschuß zur Verfügung gestellt werden, wenn der Untersuchungsausschuß Vorkehrungen trifft, daß diese Akten geheimgehalten werden. Das hat es ermöglicht, daß der Ausschuß umfangreiche Akten erhalten hat. Nun beklagen Sie gleichzeitig, daß diese Akten geheim sind. Die Alternative dazu wäre nur, daß wir gar keine Akten bekämen. Das ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und keine Behinderung durch die Regierungskoalition.Meine Damen und Herren, ich muß in diesem Zusammenhang noch einen Oppositionsskandal ansprechen. Er ist schon angedeutet worden. Das Amtsgericht Bonn und das Landgericht Bonn sowie der Vorsitzende der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Kiel haben dem Ausschuß bescheinigt, daß er beim Umgang mit geheimzuhaltenden Unterlagen unzuverlässig ist,
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18456 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Bohlwobei ausdrücklich die beiden Abgeordneten der GRÜNEN erwähnt sind. Das ist der Sachverhalt.
Auch Herr Kollege Gansel ist ins Zwielicht geraten. Deshalb mußte gestern der Immunitätsausschuß bemüht werden. Aber jeder blamiert sich eben, so gut er kann.
Ich will hinzufügen, daß ich einen weiteren Skandal darin sehe, daß der Herr Gansel eine Wühlarbeit bei den Vereinten Nationen betrieben hat.
Da er auf innenpolitischer Bühne nicht weiterkam, hat er mit krummen Berichten bei der UN versucht, die Bundesrepublik Deutschland zu schädigen. Er hat durch ein sehr merkwürdiges Statement vor der UNO mit billigen Tricks die Unwissenheit der Vertreter dieses Gremiums auszunutzen versucht. Er hat eine unverhüllte Aufforderung an das UNO-Gremium gerichtet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Staatsanwaltschaft von einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ausgehen könne.
Die Lektüre des SPD-Minderheitenberichtes und auch des Zwischenberichtes zeigen, welches Interesse offensichtlich nicht nur Herr Gansel, sondern die gesamte SPD am Vorhandensein einer solchen erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen hat. Das ist schon schändlich, wenn gleichzeitig das Auswärtige Amt feststellt, daß eine solche erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen nicht gegeben ist.Die Strategie der verbrannten Erde und der Schwarzmalerei — das ist offensichtlich der neue Weg, den die SPD unserem Staat zumuten will. Der Wähler wird der SPD dafür die Quittung geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar, daß bei diesem Thema eine harte Auseinandersetzung in der Sache geführt wird. Aber Zurufe wie „Berufsdenunziant" , Herr Austermann, oder „vaterlandsloser Geselle" weise ich mit einem Ordnungsruf zurück.
Ich stelle in diesem Zeitpunkt fest — damit das hier im Parlament nicht so stehenbleibt — , daß die Immunität des Abgeordneten Gansel nicht aufgehoben ist,
— Ich stelle hier etwas fest, auch zum Schutz des Abgeordneten.
Herr Abgeordneter Gansel.
Frau Präsidentin! Es ist hier nicht der Ort, zu klären, ob es der normale Stil ist, wenn man von einem Mitglied einer anderen Fraktion vom Rednerpult aus solche Mitteilungen erhält. Das gehört woanders hin.
Ich möchte Ihnen nur sagen: Ich weiß, daß es das übliche und generelle Verfahren gibt und daß es in diesem Zusammenhang ein Schreiben der Staatsanwaltschaft an Sie gibt. Ich gehe davon aus, daß das so wie immer bearbeitet wird. Ich möchte Sie persönlich bitten, daß ich im Ergebnis nicht anders behandelt werde als die Journalisten, gegen die wegen ihrer Berichterstattung auch Anzeige erstattet worden ist. Ich möchte wie ein normaler Staatsbürger behandelt werden.
Im übrigen, finde ich, müssen auch Fragen geklärt werden, die den Stil betreffen. Was Herr Bohl gemacht hat, ist typisch für die Methode, mit der auch im Ausschuß gearbeitet worden ist.
Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, das klarzustellen.
Frau Präsidentin, ich stehe wenn meine Formulierung mißverständlich sein sollte, nicht an zu erklären, daß ich sie zurücknehme und sie bedauere. Nach meinen Informationen hat der Immunitätsausschuß der Präsidentin empfohlen, der Strafverfolgung zuzustimmen. Das ist mein Kenntnisstand. Wenn ich vorhin etwas Falsches gesagt haben sollte oder der Sachverhalt, wie ich ihn jetzt wiedergebe, falsch sein sollte, dann würde ich es bedauern. Aber meine Kenntnis ist so, wie ich es hier wiedergegeben habe.
Ich kann die letzte Aussage weder bestätigen noch verneinen. Ich muß sie erst überprüfen und nehme deswegen jetzt nicht bejahend oder verneinend Stellung.
Herr Austermann.
Frau Präsidentin, Ihre Äußerung vorhin im Zusammenhang mit meinem Namen war so zu verstehen, als hätte ich den Ausdruck „vaterlandsloser Geselle" gebraucht.
Nein.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18457
Vielen Dank. Ich habe das also nicht gesagt, habe mich allerdings gegen die Denunziation oder das Verhalten des Kollegen Gansel ausgesprochen.
Vielen Dank.
Hier entstehen Mißverständnisse. Ich habe eben sehr klar gesagt, daß die Immunität des Abgeordneten Gansel nicht aufgehoben ist. Ich wiederhole das, weil gesagt wurde, es sei unkorrekt ausgesagt worden. Bei dieser Aussage bleibe ich. Damit möchte ich das abschließen.
Zur Geschäftsordnung Frau Eid.
Frau Präsidentin, wegen der vielen ungeklärten Fragen beantrage ich hiermit Vertagung der Beschlußfassung auf den 22. November 1990 gemäß § 25 Abs. 2 der Geschäftsordnung.
Ich möchte dies begründen. Die Beiträge haben heute gezeigt, daß es notwendig ist, daß wir diese 500 Aktenordner, die bei der OFD Kiel noch eingebunkert sind, bekommen, um noch die offenen Fragen zu klären. Wir wollen wissen, womit die Bundesregierung erpreßbar war. Warum hat sie alles unternommen, um den U-Boot-Skandal zu vertuschen, und warum hat sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Firmen schließlich doch noch zu ihrer bereits 1983 versprochenen Straffreiheit zu verhelfen?
Auf den anderen Fragenkomplex der Schmiergelder und Provisionszahlungen möchte ich jetzt als Begründung nicht weiter eingehen. Ich glaube, dazu hat der Kollege Gansel genügend gesagt.
Ich meine, es wäre möglich, noch bis zum 22. November 1990 die Herbeiziehung der Aktenordner der Oberfinanzdirektion Kiel zu beantragen und die Akten durchzuschauen. Staatssekretär Klemm hat ja in seinem Schreiben an den Ausschuß am 15. Oktober 1990 verschiedene Kompromißmöglichkeiten angeboten. Wir sollten alles versuchen, auf diese Kompromißvorschläge einzugehen. Vielleicht könnte mit diesem Vorschlag eine Neueinsetzung des Untersuchungsausschusses oder eine anderweitige Fortführung des parlamentarischen Verfahrens doch noch vermieden werden.
Herzlichen Dank.
Herr Kuhlwein, bei Geschäftsordnungsanträgen gibt es keine Zwischenfragen.
— Nein, das geht jetzt auch nicht mehr. Dann müßten Sie zum Geschäftsordnungsantrag sprechen.
Wird dazu das Wort gewünscht?
— Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich über den Antrag der Kollegin Eid abstimmen, d. h. über die Vertagung. Wer stimmt dem Antrag der Kollegin Eid zu? — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des 1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 11/8109 einschließlich der Ergänzung auf Drucksache 11/8176 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? Damit ist die Beschlußempfehlung bei einigen Enthaltungen aus der Gruppe der PDS und einer Gegenstimme angenommen.
Wir setzen unsere Beratung fort.Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 a bis 17 c auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Zweiten Bericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zum Thema Schutz der tropischen Wälder gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 16. Oktober und 27. November 1987 sowie vom 7. Dezember 1988— Drucksachen 11/533, 11/787, 11/971,11/1351, 11/3479, 11/7220, 11/8009 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. HartensteinFrau Dr. SegallDr. Knabeb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der KommissionDie politischen Zielsetzungen der Gemeinschaft zum Treibhauseffekt— Drucksachen 11/7319 Nr. 2.20, 11/8007 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. HartensteinFrau Dr. SegallDr. Knabec) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Göhner, Harries, Dörflinger, Herkenrath, Dr. Lippold , Schmidbauer, Dr. Friedrich, Eylmann, Dr. Pinger, Sauter (Epfendorf), Frau Rönsch (Wiesbaden), Dr. Kunz
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18458 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Vizepräsident Westphal
, Höffkes, Frau Fischer, Feilcke, Schreiber, Hedrich, Dr. Kronenberg, Graf von Waldburg-Zeil, Frau Männle, Dr. Pohlmeier, Schemken, Weiß (Kaiserslautern), Dr. Müller, Schulze (Berlin), Kossendey, Freiherr von Schorlemer, Börnsen (Bönstrup), Sauer (Stuttgart), Schmitz (Baesweiler), Seesing, Lowack, Müller (Wesseling) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, Wolfgramm (Göttingen), Bredehorn, Dr. Weng (Gerlingen), Dr.-
Ing. Laermann, Timm, Frau Folz-Steinacker, Hoppe, Dr. Feldmann, Irmer, Dr. Hoyer, Paintner, Dr. Hitschler, Zywietz, Grünbeck, Dr. Hirsch, Richter, Frau Seiler-Albring, Kleinert , Lüder und der Fraktion der FDPKlima- und Artenschutz durch Erhaltung der tropischen Regenwälderzu dem Antrag der Abgeordneten Volmer, Dr. Knabe, Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNENUmfassender Schutz für die Trocken- und Feuchtwälder in den Ländern der Dritten Weltzu dem Antrag der Abgeordneten Schanz, Adler, Bachmaier, Bindig, Blunck, Brück, Dr. von Bülow, Conradi, Fischer , Großmann, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Dr. Hauff, Dr. Holtz, Kiehm, Lennarts, Luuk, Dr. Martiny, Menzel, Müller (Düsseldorf), Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Reimann, Reuter, Schäfer (Offenburg), Schluckebier, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Toetemeyer, Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Bernrath, Bulmahn, Ganseforth, Ibrügger, Purps, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDErhaltung der tropischen Regenwälder zum Schutz einheimischer Bevölkerungen, des Klimas und der genetischen Artenvielfalt durch entwicklungspolitische Maßnahmenzu dem Antrag des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNENKeine Verwendung tropischer Hölzer in bundeseigenen Einrichtungen— Drucksachen 11/2010, 11/2933, 11/3740, 11/1838, 11/8010 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. HartensteinFrau Dr. SegallDr. KnabeZu Tagesordnungspunkt 17 a liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf den Drucksachen 11/8253 und 11/8256 vor.Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die gemeinsame Beratung 90 Minuten vor. — Ich sehe keinen Widerspruch gegen diesen Vorschlag. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst der Abgeordnete Schmidbauer. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die 90er Jahre sind ein historisch entscheidender Zeitraum. Dies zeigt uns bereits das erste Jahr dieses neuen Jahrzehnts. Der Ost-West-Konflikt wurde nahezu beendet, die Einheit Deutschlands erreicht, die europäische Einigung weiter vorangebracht.Die Bedeutung Europas wächst zusehends und damit auch unsere Verantwortung mitzuhelfen, einvernehmlich und so rasch wie möglich den anderen noch existierenden, wahrscheinlich viel größeren Konflilkt, nämlich die Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd, zwischen arm und reich, zu lösen. In engem Zusammenhang damit sind die Gefahren durch den zusätzlichen Treibhauseffekt, die Abnahme der stratosphärischen Ozonschicht und die Vernichtung der tropischen Wälder zu sehen.Auf dem Spiel stehen die Gesundheit und das Leben aller Menschen sowie das Gleichgewicht der gesamten Biosphäre unserer Erde. Wir sind global gefährdet, und nur global sind wir in der Lage, diese Herausforderung anzunehmen und zu bestehen. Nur gemeinsam, denke ich, können wir überleben.Wir brauchen daher einen Pakt der Vernunft zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern. Die Verantwortung der Industrienationen wird besonders daran deutlich, daß 20 % der Menschen 80 % der Schäden in der Erdatmosphäre verursachen.Wir brauchen eine Rahmenkonvention, die alle Bereiche umfaßt: den Ozonschichtabbau, den Treibhauseffekt und den Schutz der tropischen Wälder. Dieses umfassende Rahmenkonzept werden wir in der kommenden Woche bei der ersten Lesung unseres dritten Berichts dem Deutschen Bundestag vorlegen. Der Schutz der tropischen Wälder ist ein wesentlicher Teilbereich auch im Hinblick auf den Schutz der Erdatmosphäre.Lassen Sie mich an dieser Stelle allen danken, die in den vergangenen Jahren mitgearbeitet haben: den Mitgliedern der Enquete-Kommission, insbesondere den Abgeordneten, den Wissenschaftlern. Lassen Sie mich Dank sagen der Bundestagspräsidentin, dem Präsidium, der Verwaltung des Deutschen Bundestags und insbesondere der Bundesregierung für ihre koordinierende Mitberatung und ihre Hilfe bei der Erstellung unserer Berichte.Wir müssen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, alles daransetzen, die tropischen Wälder zu erhalten, nicht nur weil die Waldvernichtung zu etwa 15 % zum zusätzlichen Treibhauseffekt beiträgt, sondern weil mit dem Tropenwald auch das artenreichste Ökosystem dieser Erde zugrunde geht.Derzeit ist von dem ursprünglichen Bestand der Tropenwälder kaum noch die Hälfte übrig. Von diesen 18 Millionen Quadratkilometern werden allein in diesem Jahr weitere 160 000 bis 200 000 Quadratkilometer vernichtet. Dies sind täglich 500 Quadratkilometer eines in Jahrmillionen gewachsenen Ökosystems. Ohne Gegenmaßnahmen wird es in etwa
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18459
Schmidbauer50 Jahren überhaupt keinen Tropenwald mehr geben.Bereits heute sind die Auswirkungen der Vernichtung erkennbar. Die außergewöhnliche Artenvielfalt, die mindstens 50 bis 75 % aller Arten in den tropischen Feuchtwäldern ausmacht, ist unmittelbar bedroht. Man schätzt, daß täglich mehrere Arten aussterben.Die indigenen Völker und ethnischen Minderheiten verlieren ihre Lebensräume. Durch die zum Teil bereits eingetretenen regionalen Klimaänderungen kommt es zu Verschiebungen von Trockenzeiten und zu Änderungen des Wasserkreislaufes. In sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereichen sind die Tropenwaldländer kurzfristig sogar stärker betroffen als durch die Folgen der globalen Erwärmung.Um die tropischen Wälder wirksam schützen zu können, müssen die Ursachen ihrer Zerstörung beseitigt werden. Dies sind u. a. Armut und existentielle Not breiter Bevölkerungskreise, das zunehmende Bevölkerungswachstum, die schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Überschuldung, sowie auch die Steuer- und Abgabensysteme, die Anreize zur Vernichtung der Tropenwälder darstellen.Unsere Maßnahmenvorschläge wollen einen Weg für sofortiges politisches Handeln aufzeigen. Die vorliegende Beschlußempfehlung des Umweltausschusses beinhaltet in vollem Umfang die Empfehlungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Sowohl während der Beratungen im Umweltausschuß als auch bereits im Beratungsverfahren der Enquete-Kommission bestand Übereinstimmung über die Dringlichkeit der Aufgabe. Um so enttäuschender ist es, daß es nicht gelungen ist, den Streit über den besten Weg zur Tropenwalderhaltung beizulegen. Es war ein sachlich ausgetragener Streit; ich will das durchaus festhalten.Ich hoffe, daß in Zukunft der zielorientierte Konsens für diese wichtige Sache wieder im Vordergrund steht; denn unsere Maxime muß sein, sofort, konsequent und effektiv zu handeln. Die Gemeinsamkeiten sollten bei uns, in diesem Hause, beginnen.Grundsätzlich gilt: Alle Maßnahmenvorschläge zur Erhaltung der Tropenwälder können nur greifen, wenn wir gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen — national, EG-weit und international — ansetzen.Zu den Notwendigkeiten im nationalen Bereich gehört erstens die bilaterale Zusammenarbeit mit den Tropenwaldländern. Die Entwicklungshilfepolitik ist eine der wichtigsten Ebenen zur Umsetzung von Maßnahmen für den Tropenwaldschutz. Sie muß noch breiter ansetzen. Wir müssen noch mehr tun, über das hinaus, was wir heute bereits realisieren.
Dazu gehört zweitens der Schuldenerlaß. Seit 1978 hat die Bundesrepublik Deutschland Schulden in Höhe von rund 9 Milliarden DM erlassen. Wir bitten die Bundesregierung, diesbezüglich ihre bisherigen Bemühungen vor allem gegenüber den Tropenwaldländern fortzusetzen und auszubauen. Selbstverständlich sollte das betreffende Land seine Bereitschaft erkennen lassen, seine tropischen Wälder zu schützen.Dazu gehören drittens zusätzliche Finanzhilfen. Wir bitten die Bundesregierung, den gegenwärtig realen Mittelumfang von 250 Millionen DM für Maßnahmen zum Schutz der Tropenwälder ab 1994 zu verdoppeln, um wirksame Anreize für die Tropenwalderhaltung zu geben. Es geht darum, alle verfügbaren Mittel dort einzusetzen, wo durch schnelle Hilfe tropische Wälder gerettet werden können.Schließlich gehört dazu viertens die Umweltverträglichkeit. Eine wichtige Forderung ist, daß bei unserer Zusammenarbeit mit den Tropenwaldländern — wie überhaupt, so denke ich, mit allen Entwicklungsländern — die Frage der Umweltverträglichkeit im Vordergrund unserer Überlegungen stehen muß. Unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten sollte die Bundesregierung auch auf die entsprechende Ausgestaltung der kommerziellen Handelsbeziehungen hinwirken. Alle Industrienationen können und müssen auch hier entscheidende Impulse geben und richtungsweisend handeln.Die zweite Ebene ist die EG-Ebene. Wir appellieren an die Europäische Gemeinschaft, die Maßnahmen der einzelnen Partner zu unterstützen und gleichzeitig bei der Koordinierung auf internationaler Ebene mitzuwirken.Ein wesentlicher Teil wird sein, daß wir auf der internationalen Ebene Fortschritte erreichen. Wir brauchen drigend eine Internationale Konvention zum Schutz der tropischen Wälder. Sie soll Teil der Internationalen Konvention zum Schutz der Erdatmosphäre sein, deren Ziel es sein muß, die energiebedingten Spurengasemissionen weltweit zu reduzieren.Für eine unmittelbare, direkte Hilfe fordern und unterstützen wir ein Sofortprogramm zum Schutz der tropischen Wälder. Ein jährlicher Mitteleinsatz in Höhe von 750 Millionen DM könnte vor allem dazu dienen, akut gefährdete Wälder in den Tropenwaldländern vor der Vernichtung zu retten.Wir begrüßen, daß der Bundeskanzler beim Wirtschaftsgipfel in Houston erreicht hat, daß ein solches Sofortprogramm in bezug auf Brasilien aufgelegt wird.
Ich finde es sehr wichtig, daß wir erfahren haben, daß Vorschläge der Enquete-Kommission unmittelbar in politische Handlungsstrategie umgesetzt werden — das gilt nicht nur für Brasilien, sondern auch für alle übrigen Tropenwaldländer —, um für besonders gefährdete Regionen möglichst bald ein solches Programm auf den Weg zu bringen.Das zunehmende Bevölkerungswachstum und die sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen in den Tropenwaldländern sind die eigentlichen Ursachen der Tropenwaldvernichtung.
Hier kann nur eine langfristige Schutzkonzeption helfen.
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18460 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
SchmidbauerDiese Schutzkonzeption wollen und können wir nur in Kooperation mit den Tropenwaldländern entwikkeln. Dabei sollten wir alles vermeiden, was uns von seiten der betroffenen Länder den Vorwurf der Einmischung eintragen könnte.Nach unserer Vorstellung könnte diese Konzeption folgendermaßen aussehen. Erstens. Die Industrieländer und andere Staaten, die nicht über eigene Tropenwaldvorkommen verfügen, stellen finanzielle Mittel bereit.Zweitens. Sie unterstützen keine Aktivitäten im eigenen Land — und führen solche auch nicht selbst durch — , die im Rahmen ihrer außenwirtschaftlichen Beziehungen oder in Tropenwaldländern direkt oder indirekt zur Zerstörung von Tropenwäldern beitragen. Damit ist ausdrücklich die Mitverantwortung der Industrieländer angesprochen.Drittens. Die Tropenwaldländer verpflichten sich ihrerseits, ihre Primärwälder weitestmöglich zu erhalten. Zu diesem Zweck werden u. a. verstärkt Schutzgebiete eingerichtet. Die anderen Wälder werden nachhaltig bewirtschaftet; Aufforstungs- und Regenerationsmaßnahmen werden durchgeführt, damit langfristig neue Sekundärwälder entstehen können.In diesem Zusammenhang sprechen wir uns für eine umfassende Reform des internationalen TropenForstwirtschafts-Aktionsplanes der FAO aus. In Zukunft muß es deren vorrangiges Ziel sein, die tropischen Wälder zu erhalten, zu schützen und — wo bereits vernichtet — wieder aufzuforsten.Ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg. Wir begrüßen es daher, daß sich die Bundesregierung mit allem Nachdruck für eine Verbesserung der FAO-Pläne einsetzt und insbesondere darauf drängt, daß der Waldschutz in Zukunft stärker berücksichtigt wird.Darüber hinaus fordern wir schnellstmöglich einen internationalen Treuhandfonds zum Schutz der tropischen Wälder. Dieser Treuhandfonds soll erstmals 1994 durch die Unterzeichnerstaaten der Konvention, insbesondere durch die Industrieländer, mit Mitteln in Höhe von 10 Milliarden DM versehen werden. Die UNEP, die FAO, die Weltbank und andere Organisationen sind geeignet, das dann entsprechend umzusetzen.Wir müssen die verschiedenen Maßnahmen zur Erhaltung der tropischen Wälder parallel und sofort auf den Weg bringen. Dann kann es gelingen, die Ziele des von uns befürworteten Stufenplans zu erreichen, nämlich diese Vernichtung in wenigen Jahrzehnten insgesamt zu stoppen.Dieser Stufenplan ist nicht, wie fälschlicherweise behauptet wird, als Zielvorgabe für die Zulassung weiterer Eingriffe in den Tropenwald zu verstehen. Das heißt, er billigt in keiner Weise, daß Tropenwälder bis zum Jahr 2000 oder gar länger vernichtet werden. Diese Unterstellung weise ich mit allem Nachdruck, wenn sie irgendwo erfolgen sollte, zurück.Wer auch immer meint, daß sich diese Aufgabe schneller verwirklichen läßt, verkennt die großen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Der Bundeskanzler hat zugesichert, daß die von uns genannten Zeithorizonte als Orientierungsdaten dienen sollen, und zwar sowohl im Hinblick auf die eigenen Anstrengungen als auch bezüglich der internationalen Zusammenarbeit.Unsere Aufgabe und Verpflichtung ist es, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln einen Beitrag zum Schutz der Erhaltung der tropischen Wälder zu leisten. Aus der gleichen Verantwortung heraus, mit der gleichen Intensität müssen auch die anderen Bereiche angegangen werden.In Anbetracht unserer Glaubwürdigkeit gegenüber den Tropenwaldländern müssen wir selbst tiefgreifende Maßnahmen einleiten. Wie fordern die Bundesregierung deshalb auf, darauf hinzuwirken, daß sich die EG-Mitgliedstaaten noch im Jahr 1991 auf gemeinsame und möglichst weitreichende Ziele verständigen, so daß wir, um nur ein Beispiel zu bringen, die CO2-Emissionen in der Europäischen Gemeinschaft bis zum Jahr 2005 um 20 bis 25% absenken. Allein die Bundesrepublik Deutschland könnte mit ihrer Verminderung dieser Emissionen um etwa 30 % bis zum Jahre 2005 dazu beitragen, daß diese Emissionen EG-weit insgesamt um 10 % reduziert werden.
Die Emissionen der übrigen energiebedingten, klimarelevanten Spurengase sind umfassend zu vermindern. Dies gilt vor allem für den Energie-, Umwelt- und Verkehrsbereich.Dies ist ein guter und notwendiger Anfang. Ich fordere Sie auf, sich gemeinsam mit uns sowohl für eine Internationale Konvention zum Schutz der tropischen Wälder als auch für eine Internationale Konvention zum Schutz der Erdatmosphäre mit aller Kraft auf allen politischen Ebenen einzusetzen.Herzlichen Dank.
Die nächste Rednerin ist Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Beratung des Tropenwaldberichts hat im Juni einen Tag nach der großen Deutschlanddebatte stattgefunden. Die heutige Beratung findet einen Tag nach der Verabschiedung des dritten Nachtragshaushalts statt. Ich erinnere nur deshalb daran, weil diese beiden Konstellationen zeigen, daß auch wir als Parlament zunächst und vorrangig mit den eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt sind. Das ist legitim, das ist verständlich, aber das sollte uns nicht daran hindern, auch wieder über den eigenen deutschen und europäischen Tellerrand hinauszublicken; denn die großen globalen Bedrohungen sind inzwischen nicht kleiner geworden. Wir müssen uns ihnen stellen.Das Ozonloch ist nicht verschwunden, die Zerstörung der tropischen Regenwälder ist nicht gestoppt, und die Klimaaufheizung geht ungebremst weiter. Jeder Tag, der vergeht, ohne daß etwas geschieht, verringert die Chancen zum Gegensteuern und vergrößert die Hypothek für die kommenden Generationen.
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Frau Dr. HartensteinWir dürfen uns nicht an der Erkenntnis vorbeischleichen, daß diese verhängnisvollen Entwicklungen noch lange nicht am Gipfelpunkt angelangt sind und daß die Industrieländer dabei nicht nur Mitakteure, sondern Hauptakteure sind. Deswegen tragen sie auch die Hauptverantwortung. Darum müssen wir uns als erste in die Pflicht nehmen lassen, wenn es um einen Kurswechsel zugunsten der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen geht. Dieser Kurswechsel ist überfällig.
Wir müssen die Initialzündung geben, um den ökologischen Umbau in Angriff zu nehmen; denn wir verfügen bereits heute über die umweltfreundlichen Technologien. Nur so besteht die Chance, auch die Dritte Welt davon zu überzeugen, daß Fortschritt und Wohlstand eben nicht um den Preis der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen zu haben ist, sondern nur dann, wenn man im Sinne des Brundtland-Berichts auf eine dauerhafte Entwicklung, nämlich im Einklang mit der Natur, zugeht.
Was steht auf dem Spiel? Die Menschheit ist drauf und dran, sich mit der Vernichtung der tropischen Wälder um ein unersetzliches, nicht wiederherstellbares Naturerbe zu bringen. In weniger als 50 Jahren werden nur noch belanglose Restbestände vorhanden sein, wenn sich nicht die internationale Staatengemeinschaft zu einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung aufrafft.Das Bewußtsein für die Gefahr wächst übrigens erfreulicherweise auch in den Tropenländern selbst. So hat z. B. der mexikanische Präsident Carlos Salinas am Tag der Umwelt in Mexiko-City der Weltöffentlichkeit vorgerechnet, daß mit dem Geld, das heute an einem einzigen Tag für Rüstung ausgegeben wird, das bisher größte Wiederaufforstungsprogramm in der Geschichte der Entwicklungspolitik durchgeführt werden könnte. Diese Rede zeigt, daß man auch in den Ländern der Dritten Welt weiß, daß Sicherheit heute nicht mehr mit militärischer Stärke gleichzusetzen ist, sondern daß sie weit mehr eine Frage der Sicherung unserer gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen ist.
Der brutale Raubbau in den Tropenwäldern verstärkt nicht nur den Treibhauseffekt und gefährdet das Klimagleichgewicht — wie schon betont wurde — , sondern er vernichtet auch Millionen Arten von Lebewesen für alle Zeiten; denn 50 bis 70 % aller auf der Erde vorkommenden Tiere und Pflanzen sind nur in den Tropenwäldern beheimatet, manche Experten schätzen sogar 90 %. Nirgendwo auf der Erde gibt es einen größeren Artenreichtum. Allein in Amazonien findet man etwa 25 000 verschiedene Baumarten, während es hier in unseren nördlichen Wäldern gerade noch 30 verschiedene Arten gibt. Die meisten Arten sind noch gar nicht erforscht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verwüsten die Vorratskammern derErde, ohne daß wir zuvor nachgeguckt haben, was sie eigentlich enthalten.
Woher nehmen wir eigentlich das Recht dazu? Vielleicht wird uns dies einmal als der größte ökologische Frevel von den künftigen Generationen angekreidet werden.
Mit dem Wald werden auch die Lebensräume derjenigen Völker zerstört, die es seit Jahrtausenden verstanden haben, in Harmonie mit dem Wald und vom Wald zu leben. Sie haben mit Sicherheit noch nie etwas von der Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie gehört, aber sie haben es auf Grund von jahrhundertelangem, ja jahrtausendelangem Wissen praktiziert. Die Entscheidung darüber, was vom Weltbestand an Arten übrigbleibt, wird in den Tropen fallen.Die Entscheidung darüber, ob und wie lange noch die Menschheit zum Überleben fähig ist, wird nicht zuletzt auch in der Tropenwaldpolitik fallen. Die wird auch in den Industrieländern gemacht. Es hängt auch von uns ab, davon, wie wir uns künftig verhalten; denn unsere Wirtschaftsreformen, unsere Konsumsysteme haben unmittelbare Auswirkungen auf die Umweltzerstörungen in der Dritten Welt. Das beginnt z. B. bei dem üppigen Fleischkonsum, den wir uns leisten. Das geht weiter über die unersättliche Rohstoffgier und reicht bis zum Parkett beispielsweise aus Sipo-Mahagoni, mit dem wir unsere Sitzungssäle und unsere Wohndielen ausstatten. Das muß nicht sein. Das muß enden, damit muß Schluß sein.
Wirksamer Tropenwaldschutz beginnt bei uns, meine Damen und Herren. Deshalb müssen wir den Anfang machen.
Die Enquete-Kommission hat eine breite Palette von Maßnahmen vorgeschlagen, über die in Teilen Einigkeit erzielt wurde. Nicht einig waren wir uns allerdings bei der Bewertung der Ursachen und infolgedessen auch nicht bei bestimmten Handlungsempfehlungen. Deshalb hat eine Minderheit von acht Kommissionsmitgliedern ein abweichendes Votum für den Maßnahmen-Katalog vorgelegt. Der entscheidende Punkt, so denke ich, ist, daß nach unserer Auffassung die externen Ursachen für die Tropenwaldzerstörung eine wesentlich größere Rolle spielen als die internen Ursachen und als es der Tropenwald-Bericht darstellt.Es ist zwar unbestritten, daß auch innenpolitische Faktoren zur Waldvernichtung beitragen, natürlich. Dazu gehören etwa verfehlte Steuergesetze und Subventionspraktiken, dazu gehört vor allem eine himmelschreiend ungerechte Landbesitzverteilung, z. B. in Brasilien oder auf den Philippinen, die die landwirtschaftlich nutzbare Fläche in der Hand ganz weniger Großgrundbesitzer konzentriert und die landlosen
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18462 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Dr. HartensteinBauern mit ihren hungrigen Familien zu Hunderttausenden und Millionen in die Wälder abdrängt. Ohne Frage, Frau Segall, gehören dazu auch Armut und Bevölkerungswachstum, da sie einen steigenden Landbedarf erzeugen.
Allerdings sage ich dazu, daß das Bevölkerungswachstum eher eine Folge von Armut ist als umgekehrt, wie es meistens dargestellt wird.
— Da sind wir unterschiedlicher Meinung, Herr Gallus. Das ist aber bekannt.
Es wäre nicht richtig, darin die vorrangigen oder gar ausschließlichen Ursachen der Zerstörungsprozesse sehen zu wollen. Weit entscheidender ist die fatale Abhängigkeit der Entwicklungsländer von weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere von dem durch die Industrieländer dominierten internationalen Finanzsystem.
Weit entscheidender ist ihre exorbitante Schuldenlast und die einseitige Fixierung auf ein westlich geprägtes, rein industriewirtschaftliches Wachstumsmodell. Das haben wir ihnen gepredigt und predigen es leider weiter.
Was schlagen wir vor? — Wir brauchen sowohl einen umfassenden wie auch einen rasch greifenden Rettungsplan für die noch vorhandenen Tropenwälder. Darin stimmen wir überein.
Dafür nenne ich nur einige Eckpunkte, die in Ihrem Mehrheitsvotum so nicht dargestellt worden sind.Erstens. Im Zentrum eines solchen Rettungsplanes muß ein drastischer Schuldenabbau stehen;
denn der Zwang zur Devisenbewirtschaftung führt in vielen Tropenwaldländern unmittelbar zur Regenwaldzerstörung — sei es durch kommerziellen Holzeinschlag oder auch durch die Ausdehnung der Anbauflächen für Exportgüter wie zum Beispiel für Kaffee, Kakao oder Soja.Es muß doch zu denken geben, daß die fünf wichtigsten Tropenwaldländer gleichzeitig zu den größten Schuldnerländern dieser Erde gehören. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich an die Spitze einer internationalen Entschuldungskampagne zu setzen.
— Ihr seid Spitze, ja.
Sie sollte sich insbesondere für die rasche Einberufung einer internationalen Entschuldungskonferenz einsetzen sowie für ein Moratorium bei Zins- und Tilgungszahlungen, und sie sollte selber konsequenter Gebrauch von der Möglichkeit machen, die sie haushaltsrechtlich schon hat, den ärmsten Ländern dieser Erde die öffentlichen Schulden vollständig zu erlassen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, Herr Lippold, und um Ihnen einen Einwurf zu ersparen, möchte ich sagen: Wir sehen in einem generellen, undifferenzierten Schuldenerlaß nicht das Allheilmittel, das alle Probleme löst.
Aber wir kritisieren — hören Sie gut zu! —, daß im Mehrheitsvotum die Zusammenhänge zwischen Verschuldung und Umweltzerstörung eher verschleiert als offen dargelegt werden, und wir kritisieren auch, daß konkrete Vorschläge fehlen. Das ist ein Mangel.Ist es denn nicht geradezu eine Perversion des Gedankens der Entwicklungshilfe, wenn beispielsweise 1987 alle westlichen Geberländer zusammen rund 41 Milliarden Dollar an Entwicklungsgeldern bereitgestellt haben, die Schuldnerländer im Süden dagegen 80 Milliarden Dollar für Zins und Tilgung zurückzuzahlen hatten? Nicht wenigen Dritte-Welt-Ländern wird regelrecht die Luft abgeschnürt. Das führt nicht nur zu ökologischen Verhehrungen, sondern auch zur enormen Verschärfung sozialer Konflikte.Unser zweiter Vorschlag — enthalten im Minderheitsvotum — betrifft die Einrichtung eines Tropenwaldfonds. Daraus sollen diejenigen Länder Kompensationsleistungen erhalten, die ein Programm dazu vorlegen, wie sie innerhalb eines Zeitraums von etwa fünf Jahren schädliche Eingriffe in Primärwälder auf Null reduzieren wollen. Es ist relativ gleichgültig, Herr Schmidbauer, ob diese Einrichtung „Tropenwaldfonds" oder „Umweltfonds" getauft wird. Auch zweitrangig ist — zweitrangig, aber nicht unwichtig — , ob ein neu zu bildender Umweltrat oder das Umweltprogramm der Vereinten Nationen diesen Fonds verwaltet. Nur eines steht fest: Ohne Geld sind Nationalparks und Naturreservate nicht einzurichten und auch Aufforstungsmaßnahmen nicht durchzuführen. Ohne Geld sind die Tropenwaldländer unter den heutigen Umständen auch nicht zu den erforderlichen Nutzungsverzichten zu bewegen.
Wenn aber die Zerstörungsorgie im Tropenwaldgürtel der Erde ungebremst weitergeht, werden die Folgekosten in Zukunft für alle Menschen auf der Erde um ein Vielfaches höher sein, ja, sie werden unbezahlbar werden. Das ist nicht verantwortbar.
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Frau Dr. HartensteinSollte bis 1992 ein Tropenwaldfonds auf UN-Ebene nicht zustande kommen, so fordern wir die Bundesregierung auf, eine Fondslösung auf EG-Ebene anzustreben.Die Enquete-Kommission war sich darüber einig, daß nur Sofortmaßnahmen ein irreparables Desaster noch verhindern könnten. Aber was ist 1990 geschehen? — Das sehen wir ein bißchen anders, als Sie, Herr Kollege Schmidbauer, es dargestellt haben.
Ich stelle fest: Leider überall Fehlanzeige.
Weder auf dem EG-Gipfel in Dublin im Juni noch auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston, noch auf der Vorbereitungskonferenz der UN in Nairobi kam es zu einer handfesten Initiative in Richtung Tropenwaldschutz —
das ist ein Faktum — , obwohl Umweltminister Töpfer — aha, er ist ja da; das ist erfreulich — laut Zeitungsmeldungen mit der festen Absicht nach Nairobi gefahren war, einen Grundsatzbeschluß zur Rettung der Wälder und des Weltklimas zu erwirken. Ich habe nichts dergleichen gehört. Nicht einmal das Sofortprogramm — und es war ein Miniprogramm, das die Enquete-Kommission dem Bundeskanzler ins Reisegepäck noch Houston gesteckt hatte — fand die Zustimmung der sieben dort versammelten reichsten Industrienationen.
Danach hätten sie gemeinsam 750 Millionen DM zum Tropenwaldschutz bereitstellen sollen, um wenigstens einen Anfang zu setzen. Die Brasilien-Initiative, Herr Schmidbauer, ist durchaus zu begrüßen. Aber sie hat doch den Charakter — wollen wir doch ehrlich sein — einer Miniaturausgabe eines ohnehin schon auf ein Miniprogramm zusammengeschrumpften Auftrags.Das Jahr 1990 scheint — das sage ich nicht mit Freude, sondern mit Bedauern — für einen Tropenwaldrettungsplan verloren. Das ist ein Rückschlag für unsere Bemühungen.Meine Damen und Herren, ich will nicht über den Erfolg oder den Mißerfolg auf dem internationalen Parkett richten. Aber die Konsequenz muß für uns sein: Wenn sich schon auf internationaler Ebene nichts oder nur wenig bewegt, dann ist es um so wichtiger, daß das, was auf nationaler Ebene machbar ist, sofort geschieht.
Hier, denke ich, geht vor allem der Appell an die Entwicklungspolitik. Ich freue mich, daß Herr Minister Warnke hier ist. Wir brauchen eine grundlegende Neuorientierung der Entwicklungspolitik. Wir bedauern es, daß Sie diese Forderung, auch die Überschrift, aus dem Tropenwaldbericht herausgestrichen haben.
Wir fordern unter anderem einen Stopp für alle Projekte, die nachweislich waldschädigend wirken, z. B. Umsiedlungsprogramme, Staudammbauten und Industriealisierungsprojekte oder Straßenbauten, die in Primärwälder hineinführen und sie aufreißen.
Wir fordern weiter: Keine weitere Mitfinanzierung des Tropenforstwirtschaftsaktionsplanes, der in seiner bisherigen Form mehr Schaden anrichtet, als daß er Schutz gewährt, weil er überwiegend zur wirtschaftlichen Ausbeutung der Wälder eingesetzt wird. Hier hätte in den Bericht eine klare Absage hineingeschrieben werden müssen.Wir fordern eine intensive Entwicklung der Solarenergie und anderer erneuerbarer Energien und einen raschen Technologietransfer in die tropischen Länder, um den enormen Brennholzverbrauch einzudämmen; denn Brennholz ist eben immer noch für 70 % der Bevölkerung in der Dritten Welt die einzige Energiequelle, die sie zur Verfügung haben. Und wer, wenn nicht die Tropenländer, hat eine solch unerschöpfliche und gleichzeitig kostenlose Energiequelle wie die Sonne zur Verfügung?
Immer noch steckt aber der Forschungsminister ein Vielfaches dessen, was er für die Solarenergie ausgibt, in die weitere Erforschung der Kernenergienutzung. Das halten wir für falsch.
Schließlich fordern wir einen möglichst EG-weiten Importstopp für Tropenhölzer aus Primärwäldern. Sie haben sich dazu nicht durchringen können. Der mit dem kommerziellen Holzeinschlag verursachte Schaden steht in den meisten Fällen in gar keinem Verhältnis zu den tatsächlich erzielten Deviseneinnahmen, zumal häufig die vorgeschriebenen Abgaben von den Holzkonzessionären, z. B. zur Wiederaufforstung, entweder nicht entrichtet werden oder aber viel zu niedrig liegen.Kurzum: Den Profit hat der internationale Holzhandel. Den Schaden haben Menschen und Natur.
Meine Damen und Herren, da in zahlreichen Punkten Einvernehmen innerhalb der Kommission bestand, können wir Teil I der Beschlußempfehlung zustimmen, nicht aber Teil II.Wir halten das übergroße Vertrauen in die Wandlungsfähigkeit internationaler Organisationen wie der Weltbank, dem IWF oder der FAO für nicht angebracht, denn dort wurden in der Vergangenheit alle Aktivitäten mitfinanziert und mit abgesegnet, die zum heutigen Desaster geführt haben.
Auch wir finden, Herr Schmidbauer, daß der Stufenplan trotz aller Appelle, die darin enthalten sind, im
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18464 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Dr. HartensteinPrinzip noch 20 Jahre zerstörerische Eingriffe zuließe; nicht billigt, aber zuließe. Das kann nicht unsere Zustimmung finden.Meine Damen und Herren, es wäre also falsch, die Bruchstellen verkleistern zu wollen. Wo sind wir auseinander?Erstens. Wir halten nichts von Alibiformeln. Deshalb lehnen wir es ab, den sich negativ auswirkenden Tropenwaldaktionsplan flugs in Tropenwaldschutzplan umzubenennen, als ob sich damit etwas ändern würde. Damit ändert sich gar nichts.Zweitens. Wir bleiben bei der Forderung, daß die Entwicklungszusammenarbeit endlich auf neue, ökologisch und sozial verträgliche Fundamente gestellt werden muß. Sie sagen: Wir tun doch das Richtige, aber wir brauchen mehr Geld! Wir sagen: Auch wir wollen mehr Geld für die Entwicklungsländer, aber es soll nicht in die alten Kanäle fließen, sondern wir wollen eine neue Weichenstellung.
Drittens. Vor allem sind wir der Auffassung, daß es nicht zulässig ist, darüber hinwegzuhuschen, in welchem Ausmaß die heutigen Mechanismen des Weltmarktes tödliche Schleifspuren im Ökosystem und im Sozialgefüge der Dritten Welt hinterlassen. Hier liegt ein Defizit des Berichts.Wer es richtig findet, daß ein Entwicklungsland für ein Importgut, z. B. einen Lastwagen, heute drei- bis viermal soviel Kaffee zu liefern hat wie noch vor fünf Jahren, wer es richtig oder zumindest verständlich oder unabänderlich findet, daß die Elfenbeinküste heute fünfmal so viel Kakao exportiert wie 1980, ohne mehr Devisen dafür zu bekommen, und daß sich das Land sogar gezwungen sieht — Herr Präsident, ich sehe das rote Licht; ich bin sofort fertig — , auch noch die Restflächen seines Waldbestandes abzuholzen, um weitere Anbauflächen zu gewinnen, weil es das Strukturanpassungsprogramm des IWF so vorschreibt, der kann unsere Zustimmung nicht finden. Der Ruf nach einer neuen Weltwirtschaftordnung muß hier erhoben werden.
Meine Damen und Herren, der Kampf um die Erhaltung der ohnehin schon um 50 % dezimierten tropischen Wälder wird ein Testlauf dafür sein, ob es uns gelingt, die Bewohnbarkeit des Planeten zu erhalten. Die Industrieländer können da nur Glaubwürdigkeit erlangen, wenn sie zu allererst ihre eigenen Wälder schützen und ihre Verschwendungswirtschaft beenden. Jede kleinste Wende zum Guten soll uns willkommen sein. Wir werden sie unterstützen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die heute in verbundener Debatte zur Beratung anstehenden Beschlußempfehlungen verdeutlichen das ganze Ausmaß globaler Umweltgefahren, denen sich die Menschheit am Ende dieses Jahrtausends gegenübersieht. Die möglichen Folgen einer prognostizierten Erwärmung der Erdatmosphäre als Folge steigender Spurengasemissionen, der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, erhöhte Ozonwerte in Erdnähe mit ihrer Bedrohung der borealen Wälder und die Vernichtung der tropischen Wälder sind wesentliche Bestandteile einer globalen Umweltproblematik.Es ist unstrittig, daß einer solchen Herausforderung nur durch gemeinsame Anstrengungen einer internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen einer Gesamtstrategie zum Schutz der Erdatmosphäre begegnet werden kann. Die Reduzierung der CO2-Anreicherung der Atmosphäre spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Dies erfordert nicht nur weltweit energische Maßnahmen zugunsten einer langfristig sicheren, preiswerten, ressourcenschonenden und umweltverträglichen Energieversorgung, sondern auch die Erhaltung natürlicher Auffangbecken für das Kohlendioxid. Durch die fortgesetzte Vernichtung tropischer Wälder gehen nicht nur mögliche CO2-Senken verloren, sondern wird durch die Hauptzerstörungsform, die Brandrodung, auch Kohlendioxid freigesetzt.Das dramatische Ausmaß der Tropenwaldvernichtung erfordert dringend Gegenmaßnahmen. Hierüber sind wir uns alle einig. Ein Schutz der tropischen Wälder läßt sich allerdings nur verwirklichen, wenn die eigentlichen Ursachen für ihre Zerstörung beseitigt werden. Dazu bedarf es gleichermaßen umfassender und verschiedenartiger Lösungsansätze. Einzelmaßnahmen und Patentrezepte sind hierfür ungeeignet, ja sogar schädlich und häufig kontraproduktiv. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung von Schutzrezepten und Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung ist jedoch die Akzeptanz und Bereitschaft der Tropenwaldländer, sich an der Realisierung solcher Vorschläge auch zu beteiligen.
Nicht der Versuch, den Tropenwaldländern noch so gut gemeinte Konzepte von außen aufzuzwingen, sondern nur der die gemeinsamen Interessen berücksichtigende Dialog und konstruktive Zusammenarbeit in klar definierten Kooperationsprogrammen führen weiter.
Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt daher, daß die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" mit ihrem zweiten Zwischenbericht eine umfassende Darstellung und Bewertung der Tropenwaldproblematik vorgenommen sowie in den Handlungsempfehlungen weitreichende Vorschläge und Forderungen für einen wirksamen Tropenwaldschutz unterbreitet hat.Ich bedaure sehr, daß die vorliegende Beschlußempfehlung, die inhaltlich diesem Bericht mit seinen Maßnahmenvorschlägen voll zustimmt, in ihrer Gesamtheit von den Fraktionen der SPD und DIE GRÜNEN nicht mitgetragen wurde. Damit hat die Opposition eine große Chance vertan, durch parlamentarische Geschlossenheit den Forderungen nach weitrei-
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Frau Dr. Segallchenden nationalen, EG-weiten und internationalen Schutzmaßnahmen im Rahmen eines realistischen Konzepts mehr Nachdruck zu verleihen.Die Opposition macht es sich mit ihren abweichenden Forderungen zum Stufenplan, zur Neuordnung im Nord-Süd-Verhältnis und beim Maßnahmenkonzept leider wieder einmal sehr leicht. Es genügt doch nicht, lediglich wohlklingende Ziele zu formulieren. Von entscheidender Bedeutung für die Verwirklichung von Zielen ist doch der Weg, sind die Instrumente, ist die Auflösung von Zielkonflikten mit anderen Interessen.
Hierauf geben Sie mit Ihrem Minderheitenvotum keine befriedigende Antwort.Es ist einfach falsch, in der Veränderung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und einer Neuordnung des Nord-Süd-Verhältnisses die entscheidende Voraussetzung für einen effektiven Tropenwaldschutz zu sehen. Solche aus der Nord-SüdDiskussion bekannten Forderungen werden doch nicht dadurch richtiger, daß man sie ständig wiederholt.Dazu gehört auch die irrige These, die Verschuldung und der Verfall der Rohstoffpreise zwinge die Entwicklungsländer, ihre Umwelt zu zerstören bzw. ihre Ressourcen zu plündern.
So ist es z. B. geradezu nativ, anzunehmen, die Tropenwälder würden nicht vernichtet, wenn nur der Holzpreis entsprechend erhöht würde, oder die Monokulturen würden verkleinert, wenn der Preis für Kaffee, Zucker oder Soja steigen sollte.Die Volkswirtschaften in den Entwicklungsländern unterscheiden sich in ihren Strukturen, in ihren Entwicklungsstrategien und -politiken sowie in dem Ausmaß ihrer Abhängigkeit von Veränderungen im internationalen wirtschaftlichen Umfeld inzwischen erheblich voneinander. Eine zunehmende Zahl von Entwicklungsländern hat die Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Reformen zur Lösung ihrer strukturellen Probleme erkannt. Marktwirtschaft ist nicht nur die effizienteste Wirtschaftsordnung, sie ermöglicht auch die beste Umweltweltpolitik im Vergleich zu anderen Wirtschaftssystemen.
Bei aller Bedeutung der Notwendigkeit einer weiteren Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Zwänge,
die sich aus den äußerst schwierigen natürlichen Verhältnissen und den ungünstigen sozioökonomischen Voraussetzungen ergeben: Die Verantwortung dafür, daß Umwelt- und Ressourcenschutz zu einem bestimmenden Faktor der Entwicklungspolitik wird, liegt weitgehend bei den Ländern der Dritten Welt selbst. Umweltschutz muß auch in der Dritten Welt von innen, aus den Staaten selbst erfolgen. Da es den Entwicklungsländern jedoch häufig an der notwendigen Umwelttechnik, an Umsetzungsstrategien und nichtzuletzt an Finanzierungsmitteln und Mechanismen für einen umfassenden Umwelt- und Ressourcenschutz fehlt, müssen diese Länder bei der ökologisch notwendigen Umstrukturierung und Sicherung einer auf Dauer tragfähigen Entwicklung nachhaltig unterstützt werden.
Das ökologische Schlüsselproblem in der Dritten Welt ist und bleibt jedoch das enorme Bevölkerungswachstum.
Es ist die entscheidende Ursache dafür, daß sich die Armut in den Entwicklungsländern verschärft
und zur Übernutzung der natürlichen Ressourcen führt.
Ich will jetzt nicht noch lange den Weltbevölkerungsbericht 1990 zitieren, in dem nachgewiesen wird, daß 80 % der Waldvernichtung auf das Bevölkerungswachstum zurückgeht.Nach dem totalen Desaster sozialistischer Planwirtschaft und der Abkehr vieler Entwicklungsländer von überholten Vorstellungen mutet es geradezu grotesk an, wenn SPD und GRÜNE unbeirrt an der Durchsetzung einer sogenannten neuen Weltwirtschaftsordnung mit ihren planwirtschaftlichen und dirigistischen Elementen festhalten.
Ihre unrealistischen Zeithorizonte, die fehlende Bereitschaft zu marktwirtschaftlichen Lösungen auch im Umweltschutz und die zum großen Teil den tatsächlichen Erfordernissen nicht gerecht werdenden Maßnahmenvorschläge stellen daher keine vernünftige Alternative zu dem von uns vorgeschlagenen in sich schlüssigen Gesamtkonzept dar.Angesichts der alarmierenden Tropenwaldzerstörung mit ihren globalen Auswirkungen muß es darum gehen, durch integierte Lösungsansätze und international abgestimme Maßnahmen umgehend ein weiteres Ansteigen der Vernichtungsrate zu stoppen und in einem realistischen Zeitrahmen durch eine Unterbindung des Zerstörungsprozesses und Wiederaufforstungsmaßnahmen Tropenwaldbestände in dem gegenwärtigen Umfang auf Dauer zu erhalten.Zur Erreichung dieser ehrgeizigen Ziele schlagen wir einen Drei-Stufen-Plan vor, der eine realistische Abschätzung für die Bewältigung der damit verbundenen äußerst komplexen und vielschichtigen Problematik darstellt.Entscheidende Elemente zur Unterstützung dieses Stufenplanes sind ein Sofortprogramm und die Verwirklichung einer internationalen Konvention zum Schutz der tropischen Wälder, die gleichzeitig den Schutz der Lebensräume indigener Gesellschaften gewährleisten sollen. Neben einer Unterschutzstel-
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18466 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Dr. Segalllung von Primärwäldern kommt es vor allem darauf an, durch eine nachhaltige Bewirtschaftung der im Rahmen nationaler Tropenwaldschutzpläne ausgewiesenen Tropenwaldnutzungsflächen die ökologischen Funktionen der Wälder zu erhalten und die Interessen einer wirtschaftlichen Nutzung dieser Ressourcen zu wahren.
Forderungen nach Importverboten oder einem Verzicht auf die Nutzung tropischer Hölzer oder Verwendungsbeschränkungen stellen dagegen keine praktikablen und erfolgversprechenden Handlungsmöglichkeiten dar. Solche Maßnahmen würden sich eher schädlich auswirken, da sie das Eigeninteresse der Tropenwaldländer am Erhalt ihrer Waldressourcen untergraben, statt es zu stärken. Wegen der dann zu erwartenden Überführung großer Tropenwaldflächen in andere Nutzungsformen würde dies erst recht eine vermehrte Tropenwaldvernichtung zur Folge haben.Im übrigen könnten solche Maßnahmen schon rein quantitativ keine Rolle spielen, worauf ich nicht mehr eingehen will. Es handelt sich um den alten Streit, wieviel Prozent das überhaupt ausmachen würde.Populismus war schon immer ein Feind sachgerechter Lösungen. Mit ihren Forderungen nach solchen vermeintlichen Patentlösungen tragen SPD und GRÜNE
letztlich zur Behinderung realistischer Lösungsansätze beim Tropenwaldschutz bei.
Künftig muß vor allem sichergestellt werden, daß das gesamte gehandelte Tropenholz aus nachhaltiger Bewirtschaftung stammt. Daher sind die im Mai 1990 gefaßten Beschlüsse der Internationalen Tropenholzorganisation zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Naturtropenwäldern ausdrücklich zu begrüßen. Damit haben die Initiativen der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Tropenwaldländern in einem für die Erhaltung der tropischen Wälder wesentlichen Bereich erste Erfolge gezeigt.Weitere Initiativen, wie die Bemühungen zur konzeptionellen Fortentwicklung des Tropenwald-Aktionsplanes und seiner verbesserten Anwendungspraxis, die Ankündigung eines Tropenwaldkooperationsprogrammes mit Brasilien und den übrigen Amazonasstaaten durch die Europäische Gemeinschaft, die Vorbereitung einer besonderen Finanzierungsfazilität für Umweltprogramme bei der Weltbank, die auch den Tropenwaldschutz einschließt, die Ausweitung des von der Bundesregierung auf bilateraler Ebene geförderten Tropenwaldprogrammes mit einem jährlichen Mittelvolumen von inzwischen rund 300 Millionen DM sowie die deutlichen Aussagen des Weltwirtschaftsgipfels von Houston zur Notwendigkeit zusätzlicher Anstrengungen zum Tropenwaldschutz, sind erfreuliche Zeichen einer gewachsenen internationalen Verantwortung für die Bewältigung globaler Umweltprobleme und verdienen Anerkennung.Liebe Frau Dr. Hartenstein, wenn nicht alles bereits so läuft, wie es wünschenswert ist, liegt das Problem aber auch ganz erheblich bei den Entwicklungsländern. Wir können die Mittel nur bereitstellen; umgesetzt werden müssen sie in den Entwicklungsländern.
Ich erwarte trotzdem von der Bundesregierung, daß sie ihre intensiven Bemühungen zum Tropenwaldschutz auf internationaler Ebene, und insbesondere zur Durchsetzung einer ausschließlich nachhaltigen Bewirtschaftung von Tropenwäldern, einschließlich einer Unterschutzstellung von Primärwäldern, der Ausweisung von Flächen zur Nutzung als Naturwälder und als Holzplantagen unter Beachtung der Erhaltung der Artenvielfalt sowie bei der Eindämmung der Brandrodung, durch eine Vereinbarung wirksamer Kontrollmaßnahmen fortsetzt.Die Bundesregierung ist aufgefordert, mit Nachdruck für eine Realisierung der in der Beschlußempfehlung auf internationaler, EG-weiter und nationaler Ebene als dringend notwendig bezeichneten Maßnahmen hinzuwirken und damit ihre internationale Vorreiterrolle beim Tropenwaldschutz zu unterstreichen.Im Namen der FDP-Bundestagsfraktion bitte ich um Zustimmung zu den vorliegenden Beschlußempfehlungen des Ausschusses.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" Ende Mai ihren Bericht zum Thema Schutz der tropischen Regenwälder vorgelegt hat, ist die Tropenwaldzerstörung rapide weitergegangen. In wenigen Monaten ist mehr als die Waldfläche, die wir in der alten Bundesrepublik haben, vernichtet worden.
Dieser Prozeß muß gestoppt werden.In Sarawak, Ost-Malaysia, laufen die Einschläge Tag und Nacht bei Flutlicht. Die Kultur, Lebensgrundlagen und Landrechte der dort lebenden Eingeborenen werden von den Holzkonzernen verletzt. In Amazonien versprechen Politiker im Wahlkampf weiterhin kostenlose Motorsägen. Die Yanomami-Indianer in Brasilien sind nach wie vor in ihrer physischen Existenz akut gefährdet, die Integrität ihres Landes ist nicht garantiert. Der Holzeinschlag geht auch in den meisten übrigen Tropenländern ungebremst, ja teilweise sogar beschleunigt weiter.
In dieser dramatischen Situation gelingt der Bundesregierung nach wie vor kein wirksamer Beitrag zum Schutz der tropischen Wälder und ihrer Eingeborenen. Zwar erhöht sie die Mittel — dankenswerterweise, muß man sagen — für Tropenwaldprojekte in
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Dr. Knabeder Entwicklungshilfe und verspricht alleine Brasilien 250 Millionen DM. Aber sie findet so gut wie keine neuen, verantwortbaren Projekte für den Abfluß der Mittel. Zwar tritt sie für eine Reform des TropenForstwirtschafts-Aktionsplanes ein, aber überprüft nicht, ob die Einrichtungen und Organisationen wirklich bereit sind, von der Holznutzung in den Primärwäldern abzugehen. Sie vertritt in der Internationalen Tropenholzorganisation die Idee der nachhaltigen Nutzung, kann aber nicht beweisen, daß nachhaltige Nutzung in Tropenwäldern überhaupt möglich ist.
Konträr zu den Absichtserklärungen ihres Bundeskanzlers verfolgt die Bundesregierung, vor allem der Wirtschaftsminister, der bei dieser Debatte leider, leider fehlt, eine Politik, die Tropenwälder vernichtet oder langfristig gefährdet.
Sie unterstützt weiterhin tropenwaldgefährdende Entwicklungsprojekte, so etwa die Straßenbauten in den Regenwäldern von Kamerun und Zaire. Innerhalb der EG ist die Bundesrepublik noch immer einer der größten Importeure von Tropenholz. Seit zwei Jahren unternimmt sie noch immer nichts, um die Entschließung des Europäischen Parlamentes zum Schutz der Eingeborenen von Sarawak endlich auf Bundesebene umzusetzen. Die Mehrheit im Wirtschaftsausschuß des Bundestages verweigerte sich, ungerührt vom drohenden Genozid, einer wirksamen Aktion.
Im Internationalen Währungsfonds treibt die Regierung noch immer eine Schuldenpolitik voran, die viele Tropenwaldländer zur Ausbeutung ihrer Naturressourcen zwingt. Frau Segall, das stimmt nämlich. Nur den Allerärmsten gab man Pardon.In der Außenhandelspolitik schließlich verfolgt sie eine Freihandelsstrategie, die die Austauschverhältnisse zu Lasten der Tropenländer so herunterdrückt, daß diese immer weniger Gewinn aus ihren Exporten ziehen können. — Frau Segall, Sie hören ja nicht zu! — Die Leute an der Goldküste haben uns erklärt: Der Kakaopreis ist auf die Hälfte gesunken; wir müssen die doppelte Fläche Wald roden, um Kakao anzubauen.
Die Regierung engagiert sich nicht für ökologische und soziale Auflagen für den Außenhandel, weil sie die Rolle der Deutschen als Exportnation nicht gefährden will.Meine Damen und Herren, mit einer Politik der Versprechungen und des Abwartens ist der Wald nicht zu retten. Es reicht nicht, Entwicklungsgelder zu versprechen, damit die Tropenländer nun endlich ihre Wälder schützen, obwohl ich das Bemühen durchaus anerkennen möchte.
Aber solange die Industrieländer, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, ihre aggressive Wirtschaftspolitik, ihr Finanzsystem und ihren maßlosen Konsumstil, an dem wir alle beteiligt sind, nicht an die Realitäten einer endlichen Erde und ihrer empfindlichen Ökosysteme anpassen, sind die Tropenwälder nicht zu retten.
Wir GRÜNEN lehnen eindeutig eine Politik ab, die sich durch Entwicklungsgelder ein Alibi für die weitere Beteilligung an der Plünderung der Tropenwälder zu verschaffen sucht. Dies muß sofort aufhören.
Welcher Weg aber führt aus diesem Skandal heraus? Vom Mehrheitsvotum von CDU/CSU und FDP, das Ihnen als Beschlußempfehlung des Umweltausschusses vorliegt, ist keine Abhilfe zu erwarten. Da werden höhere Mittel für die Entwicklungshilfe verlangt, ohne daß diese Mittel mit den notwendigen ökologischen und sozialen Kontrollen gekoppelt werden und ohne zu fragen, ob für diese Mittel geeignete Projektanträge vorhanden sind.Da wird als eine Art Königsweg eine Tropenwaldkonvention verlangt, während sich die internationale Diskussion um eine Waldkonvention oder um ein Waldprotokoll in einer Klimakonvention dreht. Welches Tropenland will denn diese Tropenwaldkonvention, die die Koalitionsparteien vorschlagen? Und welches Land will die sogenannten Tropenwaldschutzpläne, die u. a. auf der Illusion der nachhaltigen forstwirtschaftlichen Nutzung der Regenwälder beruhen?Obendrein ignorieren die Parteien die weltwirtschaftlichen Voraussetzungen für den langfristigen Tropenwaldschutz. Die katastrophale Verschuldung der Dritten Welt, die diese Länder zur Ausbeutung von Mensch und Natur zwingt, hat sich nämlich eher verschlechtert als verbessert. Die Koaltionsparteien berücksichtigen auch das nicht und setzen auf die Fortführung so unangemessener Schuldenstrategien wie der Brady-Initiative, ebenso wie sie auch das heilige Dogma des Freihandels höher stellen als Sofortmaßnahmen gegen den Tropenholzhandel.Das Mehrheitsvotum, sollte der Deutsche Bundestag es annehmen, wird nicht zu den dringend notwendigen Maßnahmen in den Tropenholzländern führen, um den Druck von den Wäldern zu nehmen. Was besonders nachteilig ist: Es wird auf die Chance verzichtet, bei uns etwas zu ändern, bei uns den Tropenholzimport aufhören zu lassen und bestimmte Agrarprodukte, die eben schuld am Abbau der Wälder sind, nicht mehr einzuführen.
Die Enquete-Kommission hat in einem diskursiven Prozeß aller Beteiligten wichtige analytische Arbeit geleistet. Aber die auf dem Mehrheitsvotum der Enquete-Kommission basierende Beschlußempfehlung hat trotzdem kein solides Fundament. Sie setzt falsche
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Dr. KnabeSchwerpunkte, und sie läßt wichtige Chancen ungenutzt. Damit führt sie in die Irre.
Wer diesen Empfehlungen zustimmt, tritt nicht mit voller Konsequenz für die Regenwälder und ihre Bewohner ein, selbst wenn er dies beabsichtigt.Meine Damen und Herren, in der Enquete-Kommission hat eine Minderheit dem Mehrheitsvotum eine umfassende Alternative gegenübergestellt. Für die Kommissionsmitglieder von GRÜNEN und SPD und für uns nahestehende Wissenschaftler war das Mehrheitsvotum aus schwerwiegenden Erwägungen nicht tragbar. Ein Kompromiß erschien nicht möglich. Wir haben deshalb ein oppositionelles Votum mit Handlungsempfehlungen vorgelegt. Dieses bringen wir als GRÜNE als Beschlußempfehlung hier ein.Das grünrote Minderheitsvotum enthält Empfehlungen für Maßnahmen, die heute dringend erforderlich sind. Sie gehen teilweise weit über das Mehrheitsvotum hinaus; teilweise stehen sie im Widerspruch dazu.Zustimmung aus dem internationalen und nationalen Raum bestätigt uns in der Überzeugung, daß das Minderheitsvotum beschreibt, welche Maßnahmen notwendig sind. Diese fordern auch der Deutsche Naturschutzring, der BUND, die Umweltstiftung WWF Deutschland, Robin Wood, die Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz und andere.Um diesem politischen Willen zur Durchsetzung zu verhelfen, hat die Fraktion der GRÜNEN einen Änderungsantrag als Alternative zum Mehrheitsvotum vorgelegt, der sich inhaltlich 100%ig mit dem Minderheitsvotum in der Enquete-Kommission deckt. Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, diesen Antrag anzunehmen.Aber wir erleben jetzt das merkwürdige Schauspiel, daß die SPD, der wir sehr für ihre Mitarbeit danken, nun erklärt:Der Deutsche Bundestag stimmt auch den im zweiten Bericht enthaltenen Maßnahmenvorschlägen inhaltlich voll zu.
— Liebe Kollegin Hartenstein, Sie stimmen dem voll zu. Das bedeutet doch, daß Sie einerseits pauschale rechtliche Festschreibungen des Tropenwaldschutzplanes akzeptieren und andererseits unerprobte Tropenwaldschutzpläne nicht als Grundlage einer internationalen Vereinbarung sehen wollen. Ihre inhaltliche volle Zustimmung betrifft Maßnahmen, die weitere Tropenwaldvernichtungen bis 2010 zulassen. Aber in Ihrem Änderungsantrag fordern Sie dazu auf, dem Tropenwaldschutzkonzept möglichst rasch Wirkungen zu verleihen.Die inhaltliche volle Zustimmung gilt einerseits einer vagen Verstärkung der in Gang befindlichen Anstrengungen zum Schuldenabbau und damit implizit auch der unverantwortlichen Strukturanpassungspolitik des IWF. Andererseits fordern Sie in Ihrem Änderungsantrag eine Schrittmacherrolle der Bundesrepublik und eine internationale politische Lösung.
Herr Abgeordneter, ich würde, bevor Ihre Redezeit abgelaufen ist, gern noch die Frage stellen, ob Sie der Kollegin Frau Dr. Hartenstein eine Zwischenfrage erlauben.
Ja.
Ich stoppe die Zeit. — Bitte schön, Frau Hartenstein.
Sehr geschätzter Herr Kollege Knabe, ich möchte Sie gern fragen, ob Ihnen bei der Lektüre des letzten Abschnitts des Teils I der Beschlußempfehlung entgangen ist, daß dort ausdrücklich davon die Rede ist, daß die Analysen, die Schlußfolgerungen sowie die im zweiten Bericht enthaltenen Maßnahmenvorschläge akzeptiert werden, d. h. daß ihnen zugestimmt wird. Das betrifft den Bericht in seinem vollen Umfang. Ich halte nichts von Interpretationskünsten. Ich würde Sie bitten, dies zur Kenntnis zu nehmen und hier auch dazu Stellung zu nehmen.
Ich kann dem nicht zustimmen; denn Ihre Erklärung, daß Sie Teil I der Beschlußempfehlung anerkennen, besagt eindeutig, daß Sie das Gesamtkonzept für vereinbar mit Ihrem Minderheitsvotum halten. Das ist nicht möglich.
Ich lege Ihnen nahe, heute der Beschlußempfehlung der GRÜNEN zuzustimmen. Ich richte diesen Appell besonders an die Kolleginnen und Kollegen der SPD. Dadurch würde die Möglichkeit eröffnet, einen wirksamen Beitrag zur Rettung der Tropenwälder zu leisten. Ich möchte vor Ihren Augen die Vision einer Welt erstehen lassen, in der diese Wälder ein Herzensanliegen aller Nationen und auch aller Parteien im Bundestag sind.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Fischer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Schutz der tropischen Regenwälder und alles, was unmittelbar damit verbunden ist, stellt für mich persönlich und die Mitglieder meiner Fraktion eine der entscheidenden Problemstellungen unserer Zeit dar. Die Materialfülle — ich zolle der Enquete-Kommission meine Hochachtung — zur Thematik ist groß. Es ist, wie Sie mir vielleicht nachfühlen können, nicht ganz einfach, die Arbeit einer Enquete-Kommission über drei Jahre in anderthalb Wochen irgendwie nachzuvollziehen und zu wichten. Mein Interesse dafür ist allerdings so groß, daß ich mich bemühe, hierzu ein Sachurteil abzugeben.Kommen globale Krisen zur Sprache, werden bekanntlich häufig drei psychologische Abwehrreaktionen bemüht, die ich — das möchte ich hier ausdrücklich betonen — hier sehr gut beobachten kann. Erste Abwehrreaktion: Es ist doch gar nicht so schlimm. Zweite Abwehrreaktion: Man kann ja doch nichts machen. Dritte Abwehrreaktion: Es wird schon irgendwie ein Wunder geschehen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18469
Frau Dr. FischerDas sind Ausflüchte, mit denen ein großer Teil— ich betone: leider — unserer Bevölkerung — aber nicht nur unserer — auf solche lebenswichtigen Entscheidungen, wie sie die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit darstellt, in der Diskussion auf uns zukommen wird. Darauf muß man eingestellt sein. Es sind Ausflüchte, weil durch sie zum einen die mangelnde eigene Beteiligung, zum anderen die Mutlosigkeit nicht eingestanden werden müssen, was notwendig wäre, um den Krisen handelnd entgegenzutreten. Um in der Sprache meines Berufsstandes zu bleiben: Veränderung liegt zunächst darin, daß wir den tiefen Schmerz einer schonungslosen Diagnose ertragen— ich kann Ihnen versichern, daß ich darin durchaus Erfahrung habe — und dann auch noch den Wunsch und den Willen zur Genesung aufbringen sollen oder— besser — müssen. Das ist eines der Probleme, die sich mir beim Studium aller Materialien gestellt haben.Die schleichenden, aber nicht weniger zerstörenden Katastrophen werden verdrängt. Sie werden verleugnet, um den eigenen Lebensstil, eigene Gedankenansätze und auch Ideologien nicht in Frage zu stellen. Dabei nehme ich mich ganz gewiß nicht aus.Der globale Stufenplan, der vorgeschlagen wird, muß zunächst selbstverständlich als ein Fortschritt betrachtet werden. Trotzdem schließe ich mich bzw. schließt sich meine Fraktion dem Minderheitsvotum von Mitgliedern der SPD und der GRÜNEN an — wir stimmen insbesondere dem Änderungsantrag, der hier von der Fraktion der GRÜNEN eingebracht wurde, voll zu — , weil auch wir meinen, daß, selbst wenn eine andere Betrachtungsweise realistischer erscheint, die Zeiträume des genannten Stufenplans angesichts der alarmierenden und für mich manchmal auch verwirrenden Zahlen, die in bezug auf den Regenwald vorliegen, zu lang sind, was hier eindringlich nachgewiesen worden ist.Ich erinnere dabei — ich halte diesen Zusammenhang für sehr wichtig — an das 1981 beschlossene Sonderprogramm der Vereinten Nationen für die am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Kaum ein Ziel ist im vergangenen Jahrzehnt verwirklicht worden. Nein, im Gegenteil, vielmehr hat sich die Lebenssituation der Armen in der sogenannten Dritten Welt während der 80er Jahre ständig verschlechtert. Ich habe einfach die Befürchtung, daß wir in zehn Jahren in bezug auf den tropischen Regenwald wiederum von einem verlorenen Jahrzehnt sprechen müssen. Ich vertrete den Standpunkt, wenn dem Sonderprogramm der UNO für die LDC-Staaten mehr Erfolg beschieden gewesen wäre, dann gäbe es jetzt andere Voraussetzungen für alle Probleme, die es heute hier zu diskutieren gilt.
Damit will ich nicht die Leistungen der Enquete-Kommission schmälern. Nur wird man mir zugestehen, daß mich nachdenklich macht, daß von dem Freiberger Politologen D. Oberndörfer im Auftrag des Bundeskanzleramtes eine Studie über das Ausmaß und die Folgen des Edelholzimports erstellt wurde und politische Maßnahmen zur Rettung der Regenwälder vorgeschlagen werden und die Reaktion darauf im „Spiegel" mit der skeptischen Anmerkung endet:Die Branche hoffe, daß Kanzler Kohl die Schlußfolgerungen der von ihm— Oberndörfer —bestellten Studie verwerfen wird. Bislang hat sich seine Regierung eher als Freund tropischer Hölzer erwiesen: In ihrem Gästehaus auf dem Petersberg bei Bonn werden 500 Fenster aus südamerikanischem Merantiholz eingebaut.
Sicher werden Sie mir, meine Damen und Herren, angesichts dieser Aussagen ebenfalls Skepsis zugestehen.Natürlich ist für mich und meine Fraktion
eine Neuordnung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen — eine gerechte Weltwirtschaftsordnung —, damit die Dritte-Welt-Länder eine faire Chance erhalten, ihren eigenen Entwicklungsweg unter Wahrung ihrer kulturellen Identität zu gehen — ich erinnere dabei an 500 Jahre Kolonisation; das ist hier überhaupt noch nicht gefallen —, eine vordringliche Forderung. Aber die Frage für mich ist, wie das zu bewerkstelligen sein wird. Die Realität ist, wie sie ist. Und es ist doch eine Realität, daß die Bundesrepublik Deutschland am Raubbau an den Regenwäldern konkret beteiligt ist. Ich erinnere dabei an das Regionalentwicklungsprogramm „Grande Carajas" in Brasilien. Mit Hilfe dieses Projekts wären wir durchaus in der Lage, in 25 Jahren den gesamten Naturwald Nordbrasiliens zu verfeuern.
Frau Abgeordnete, darf ich Sie unterbrechen. Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber natürlich, immer.
Ich weiß nur noch nicht den Namen des Zwischenfragers.
Steiner. — Frau Dr. Fischer, ich bewundere Ihren Einsatz zum Schutz der tropischen Regenwälder und akzeptiere das auch. Aber ich muß doch etwas in die Vergangenheit zurückblicken. Ich würde Sie gern einmal zu einer Fahrt durchs Erzgebirge einladen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin schon durchgefahren.
Sie sollten sich diesen Wald einmal ansehen. Was hat Ihre Partei dafür
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18470 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Steiner
getan, um dort wirkungsvolle Schutzmaßnahmen vorzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da das von meiner Zeit abgeht, darf ich Sie unterbrechen.
Es geht nicht von Ihrer Zeit ab; die ist gestoppt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde Ihnen gerne auf diese Frage antworten. Sie können doch nicht davon ausgehen, daß in dieser Partei nur Leute gewesen sind — — Das wäre wirklich ein Trugschluß. Sie sind in der CDU. Ich möchte dazu nicht mehr sagen. Das langt für mich.
Der Wirtschaftsminister Pohl, der zehn Jahre in der Volkskammer gearbeitet hat — im Wirtschaftsausschuß —, war von der CDU.
— Ich war zwei Jahre in Nicaragua als Kinderarzt. Mir sind die Kinder unter den Händen verhungert. Wenn Sie das auch gemacht hätten,
hätten Sie vielleicht zu manchen Dingen eine andere Einstellung. — Ich habe sie nicht geliefert.
Vielleicht darf ich jetzt weitermachen. Natürlich bin ich bereit, jederzeit Fragen zu beantworten.
— Ja, natürlich. Ich zähle zu den wenigen handverlesenen SED-Kadern, die im Krankenhaus in Nicaragua die Fahnen rauf- und runtergezogen haben. — Wenn das langt. Ich kann Ihnen aber dazusagen, daß da kirchliche Vertreter fast über den Tisch gesprungen sind. Vielleicht sollten Sie einmal an Ihr C denken.Mit Hilfe dieses Projekts wären wir in der Lage, in 25 Jahren den gesamten Naturwald Nordbrasiliens zu verfeuern. Entschuldigen Sie den Sarkasmus, aber für mich gehört das ins Guiness-Buch der Rekorde. Ich erinnere weiter an den „Plan 2010", der den Bau von 145 Staudämmen in Brasilien vorsieht, mit allen Konsequenzen, auch der Vertreibung von einer halben Million Menschen aus ihrer Heimat. Vielleicht irre ich mich, aber ist es wahr, daß die BRD-Regierung sich sträubt, Kredite für dieses Projekt zu stoppen, bis Brasilien auf die Verarbeitung des Regenwaldes zu Holzkohle verzichtet?
Allein die EG hat für dieses Projekt 600 Millionen Dollar Zweckkredite bereitgestellt. — Liebe Kollegin, wenn Sie wie ich 1952 in der DDR geboren wären und dann bereit sind, auf diesen Stand zurückzukommenund dann weiter mit mir zu diskutieren, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Allein die EG hat für dieses Projekt 600 Millionen Dollar Zweckkredite bereitgestellt und sich so für fünfzehn Jahre ein Drittel der Eisenerzproduktion zu Preisen von 1982 gesichert. Der Thyssen-Konzern sicherte sich 1982 vertraglich acht Millionen Tonnen Erz.Ich könnte natürlich noch viel mehr Beispiele anführen, aber ich will Sie nicht langweilen. Ich hoffe aber auf Verständnis für mich, daß ich große Zweifel habe, daß es zu einem wirklich harten Durchgreifen gegen Großkonzerne usw. kommen wird, wenn ihre Interessen durch ein noch so gutes internationales Abkommen gefährdet sind. Das muß man erst mal widerlegen.Auch für mich stellt sich die Frage, ob diese Art zu leben, die wir Zivilisation nennen, und damit 1,2 Millionen Pflanzen- und Tierarten allein in den nächsten 25 Jahren auszurotten, nicht die sogenannte grandiose Fehlentwicklung darstellt. Ich frage mich natürlich betroffen, angesichts meines Engagements für Kinder im eigentlichen Sinne — so ist das auch zu verstehen — , wie die nachfolgenden Generationen die Bürde tragen werden, die wir ihnen bereits aufgeladen haben. Da bin ich hinsichtlich des Erzgebirges genau Ihrer Meinung.
— Darüber könnte man mal länger diskutieren. Ich schließe mich im Namen meiner Fraktion
dem Minderheitsvotum an, insbesondere, wie ich noch einmal betonen möchte, dem Änderungsantrag der GRÜNEN. Ein Schuldenerlaß für die LDC-Staaten ist für uns selbstverständliche Forderung. Ich verweise da auf Ebeling, übrigens ehemals DSU. Aber auch für die anderen Länder der Dritten Welt muß dringend eine Lösung nicht nur gesucht, sondern auch gefunden werden.Dem Antrag der Abgeordneten Vollmer und der Fraktion der GRÜNEN zur Verwendung tropischer Hölzer ist natürlich voll zuzustimmen.Außerdem — ich hoffe nicht, daß Sie mir das übelnehmen oder mich als arrogant ansehen — schlage ich vor, daß jeder Politiker mal ein bis zwei Jahre unter den Bedingungen eines Entwicklungslandes lebt. Ich denke, unsere Politik würde dann etwas anders aussehen.Ich bedanke mich.
— Haben Sie das versucht? Ich habe es versucht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18471
Wir müssen uns an allerlei Neues hier gewöhnen und reagieren lernen.
Der nächste Sprecher ist der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Herr Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung dankt der Enquete-Kommission und dem Parlament für ihre bahnbrechende Arbeit. Es ist die Schicksalsfrage der 90er Jahre weltweit, wirtschaftliche Entwicklung mit der Erhaltung der Schöpfung vereinbar zu machen. Dieses Jahrzehnt gibt uns die letzte Chance, irreparable Schäden der Umwelt zu verhindern und — ich füge hinzu — das wiedergutzumachen, was im weltweit schlimmsten Katastrophendreieck, nämlich in der Region ehemalige DDR, Tschechoslowakei und Polen, hier in Europa in 20 Jahren angerichtet worden ist. Wer da mit Verantwortung trägt, der sollte sich eine Ruhepause gönnen, bevor er bei uns als Berater auftritt.
Die Arbeitsergebnisse der Kommission sind eine wichtige Grundlage für Handlungsentscheidungen innerhalb und außerhalb Deutschlands. Mit den Handlungsempfehlungen stimmt die Bundesregierung in großem Umfang überein. Das gilt für den internationalen Stufenplan zur Walderhaltung, und das gilt auch für die unverzügliche Umsetzung der im Bericht genannten Ansätze im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, der Internationalen Tropenholzorganisation, der Welternährungsorganisation, der Weltbank und der Umweltorganisation der Vereinten Nationen.
Dabei müssen wir uns allerdings im klaren sein, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Es sind souveräne Regierungen der Tropenwaldländer, die uns gegenüberstehen.
Das heißt, Tropenwaldschutz kann nur in Partnerschaft, kann nicht in Konfrontation verwirklicht werden.
Nie waren die Chancen so groß wie heute. Die Regierungen der Entwicklungsländer sind bereit, sich den Schutz der Umwelt, d. h. auch den Schutz des Tropenwaldes, zum eigenen Ziel zu machen. Nicht Schuldzuweisungen, sondern die Bereitschaft und die Fähigkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, sind jetzt gefragt, und das gilt für alle Beteiligten.
So hat die Bundesregierung in diesem Jahr eine Zusage gegenüber Guatemala zurückgenommen und das Vorhaben in ein Naturschutzprojekt umgewidmet. Lernbereitschaft ist auch von den Industrieländern insgesamt gefordert. Es geht darum, unsere Märkte für jene Erzeugnisse zu öffnen, die in den Entwicklungsländern umweltverträglich hergestellt werden, damit Tropenwaldländer nicht auf fragwürdige Holzausfuhr abgedrängt werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daniels?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Minister, ich frage Sie: Wenn Sie hier diese positiven Willenserklärungen abgeben, wie stehen Sie denn zu dem Vorschlag, daß man, wenn man wirklich ernsthaft auch in der Dritten Welt diesen bedrohlichen Entwicklungen entgegenwirken will, doch mit wesentlich mehr massiven Mitteln dort eingreifen muß? International wird ja der Vorschlag diskutiert, mindestens 1 To des Bruttosozialprodukts in einen solchen Fonds einzuzahlen, der dann in der Dritten Welt Wiederaufforstung und ähnliche Maßnahmen finanzieren könnte.
Wir werden in den 90er Jahren in Verfolg der jetzt bereits angelegten Politik dazu kommen, daß die internationalen Transferleistungen zum Schutz des Tropenwaldes in einem ganz erheblichen Maß steigen.Die Bundesregierung wird beim Abschluß der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens in diesen Wochen darauf drängen, daß die Industrieländer den freien Welthandel auch dort mehr akzeptieren, wo er ihnen selbst unbequem wird.Ich gebe Ihnen, Herr Kollege Knabe — ich bedaure, daß Frau Kollegin Hartenstein nicht mehr hier ist —,
in der Diagnose natürlich recht, wenn Sie auf den Verfall von Kakao- und Kaffeepreisen hinweisen. Nur, Ihre Therapie mit dirigistischen Weltrohstoffabkommen hat noch nie irgend etwas getaugt, wenn es galt, Preise zu stabilisieren.
Deshalb schlagen wir einen anderen Weg vor und verfolgen ihn, nämlich im Abkommen von Lomé IV, das wir im vergangenen Jahr mit einer Rekordsumme aufgestockt haben: die Umstrukturierung hin zu solchen Produkten und zur Weiterverarbeitung, die den Entwicklungsländern ein angemessenes Einkommen ermöglichen.Lernfähigkeit ist allerdings auch bei den Entwicklungsländern selber geboten. Sie müssen von heute noch weit verbreiteten Vorstellungen Abschied nehmen, daß der Kampf gegen den Urwald und seine Tierwelt gleichbedeutend mit landwirtschaftlicher und gewerblicher Entwicklung und ein Ziel in sich ist. Vorstellungen, mit denen sie in Wirklichkeit dem Raubbau Vorschub leisten.Fehler der Vergangenheit müssen auch bei den internationalen Organisationen überwunden werden. Der von der Welternährungsorganisation gesteuerte Tropenwaldaktionsplan als geschlossene, sektorüber-
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18472 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Bundesminister Dr. Warnkegreifende Strategie der Landnutzung und ländlichen Entwicklung ist ja im Ansatz richtig. Das Management ist derzeit falsch. Deshalb macht sich die Bundesregierung die Anregung der Enquete-Kommission zu eigen und greift die Vorschläge auf, die von seiten des früheren schwedischen Ministerpräsidenten Ullsten gemacht worden sind; sie wird die gründliche Reform der bisherigen Arbeit der Welternährungsorganisation, die Beseitigung der Nachlässigkeiten und die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen zur Voraussetzung dafür machen, daß sie den Tropenwaldaktionsplan weiter unterstützt.
Die Bundesregierung wird beim Tropenwaldschutz wie durchgängig in Umweltfragen mit den Nichtregierungsorganisationen im eigenen Land wie in den Entwicklungsländern weiter eng zusammenarbeiten und ihr Engagement, ihre Fachkenntnis und Einzelinformationen nutzen.Für Nichtregierungsorganisationen wie für alle anderen gilt: Boykottaufrufe und die Proklamierung von Kompromißlosigkeit bei der Verfolgung der Ziele dienen nicht dem Tropenwaldschutz, sondern schädigen den Wald. Sie müssen — das sage ich auch hier im Parlament — der Einsicht weichen: Entwicklungsländer können nicht zu Naturschutzparks erklärt werden.
Umweltschutz darf nicht zu Lasten von Menschen in absoluter Armut gehen.
Bevölkerungen und Regierungen, Menschen und frei gewählte demokratische Vertretungen in den Entwicklungsländern sind nicht bereit, sich die Nutzung von Bodenschätzen und Wald, Landerschließung und Straßenbau in ihren Waldgebieten verbieten zu lassen, und sie haben recht damit. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, die Fehler zu vermeiden, die wir selbst bei unserer landwirtschaftlichen und industriellen Entwicklung gemacht haben. Dem soll auch das Pilotprojekt zum Schutz des Tropenwaldes in Brasilien dienen. Diese Initiative von Bundeskanzler Kohl hat sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston durchgesetzt. Frau Kollegin Hartenstein, die Bundesregierung stellt 250 Millionen DM zur Förderung der Houston-Initiative bereit. Wir setzen damit eine Orientierungsgröße — wir sind die ersten, die das vorgelegt haben — , an der sich die anderen ausrichten können. Dann haben wir nicht 750 Millionen DM, sondern dann haben wir auf Grund der Beschlüsse von Houston 1 Milliarde DM bereitgestellt.
Meine Damen und Herren, mit dem Antrag auf Einführung eines weltweiten Umweltfonds bei der Weltbank zielt die Bundesregierung auf die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln zur Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission im Rahmen der Weltklimakonvention ab 1992. Auf dem Weg dahin hat die Bundesregierung gehandelt. Im internationalen Maßstab nimmt die Bundesrepublik Deutschland bereits heute im globalen Umweltschutz die Spitzenposition ein. Unsere Zusagen dafür im Rahmen der Entwicklungshilfe sind von — bilateral und multilateral — 1,2 Milliarden DM im vergangenen Jahr auf 1,3 Milliarden DM 1990 gesteigert worden. Allein für den Forstbereich werden in diesen beiden Jahren mehr als eine halbe Milliarde DM bereitgestellt. Die Tendenz ist steigend.Weltweiter Umweltschutz hat einen hohen Preis. Weil wir in den 90er Jahren irreparable Schäden an Umwelt und Tropenwald verhindern wollen, sind wir bereit, diesen Preis zu entrichten. Am Ende dieses Jahrzehnts werden wir nicht daran gemessen werden, was wir für die Menschen in der bisherigen Bundesrepublik Deutschland an prozentualer Steigerung des Realeinkommens bewirkt haben, sondern daran, wie es uns gelungen ist, die Bewahrung der Schöpfung zu ermöglichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen, die beide wichtig sind. Auch wir von der SPD-Fraktion möchten allen, die zu der in Rede stehenden Arbeit beigetragen haben, herzlich danken, insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats.
Eine zweite Bemerkung. Lieber Herr Knabe, wir sollten in der Tat jetzt nicht so tun, als könne man uns auseinanderdividieren. Ich glaube, wir sind in der Sache weitgehend einig. Ich will bei Ihnen das Wort „künstlich" nicht mißinterpretierend gebrauchen, weil ich Sie dafür zu gut kenne.Ich möchte für die SPD-Fraktion ausdrücklich erklären, daß wir natürlich ohne Wenn und Aber an unserem Sondervotum festhalten. Wenn Sie die beiden Anträge kennen — Sie kennen sie —, stellen Sie fest, daß da inhaltlich keine Unterschiede bestehen.
Lassen Sie mich auf Charles Darwin zurückkommen, den ich üblicherweise nicht übermäßig überzeugt zitiere, der, als er 1831 nahe Bahia an der brasilianischen Atlantikküste an Land ging, als Naturforscher schrieb — ich zitiere — :Freude ist ein schwacher Ausdruck für die Gefühle eines Naturforschers, der zum erstenmal durch einen brasilianischen Wald streift. Die Eleganz der Gräser, die eigentümlichen Schmarotzerpflanzen, das glänzende Grün der Blätter, vor allem aber der Reichtum der Vegetation erfüllten mich mit Bewunderung.Wenn Darwin heute wieder dorthin ginge, würde er sich in der Tat — ich gebrauche diesen Ausdruck bewußt — einer Apokalypse Amazoniens gegenübersehen.Ich will in aller Kürze aus meiner Sicht auf sieben oder acht Ursachen eingehen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18473
Dr. KüblerFür die Entwaldung der Amazonas-Wälder als des noch größten Tropenwaldgebietes der Erde z. B. gibt es eine Reihe vernetzter Ursachen. So können — man darf ja nicht nur die allerjüngste Zeit sehen, sondern muß dies über einen längeren Zeitraum betrachten — die zahlreichen nationalen und internationalen Viehranches und Plantagen auf eine schon jahrzehntelange Tradition des Raubbaus zurückblicken. Die Folgen — Verödung, Nicht-mehr-Nutzbarmachung des Erdbodens usw. — sind bekannt.Eine lange Tradition hat auch die Gold- und Diamantensuche im Amazonas-Becken. Die Zahl der Goldsucher, um nur einmal eine Zahl zu nennen, betrug 1989 nach Schätzungen 1,2 Millionen und wächst weiter an.Auch der Export an Edelhölzern ist zweifellos ein weiterer in diesem Zusammenhang zu nennender Faktor.Aber der wesentliche Faktor sind in der Tat die Auslandsschulden, die die lateinamerikanischen Länder zwingen, die Rohstoff-, Fleisch- und Futtermittelexporte so hoch wie möglich zu halten. Eine verantwortliche Planung der Zukunft ist unter den gegebenen Bedingungen aus ihrer Sicht ausgeschlossen.Auch die brasilianische Siedlungspolitik — ich konzentriere mich im Augenblick darauf — ist hier als Ursache zu nennen. Die brasilianische Bevölkerung hat sich verzehnfacht, so daß Amazonien von seiten der brasilianischen Regierung jetzt faktisch zum Einwanderungsgebiet gemacht worden ist.Es gibt noch weitere Gründe, die ich aber im Hinblick auf die Kürze der Zeit nur mit zwei oder drei Stichworten umreißen möchte.Die Bundesrepublik importiert — da darf ich doch etwas verweilen — heute wohl schon 40 % des dort gewonnenen Erzes, um ihren eigenen Bedarf zu dekken. Und da frage ich natürlich auch Sie, Herr Warnke, den Umweltminister oder auch den Wirtschaftsminister: Müßte man nicht, wenn man wirklich etwas machen will, darüber nachdenken, ob man diese Zahl von 40 % reduzieren will? Ich glaube, darüber muß man wohl wirklich nachdenken. Aber ich sehe da in der Tat keine Ansätze, außer verbalen Formulierungen.Im übrigen — auch dies ein wichtiger Gesichtspunkt — : Im Bereich des Amazonas leben wohl 50 000 oder mehr Yanomami-Indianer. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang sagen: Die Zerstörungen der Urwälder sind nicht nur Menschenrechtsverletzungen gegenüber den in Südamerika lebenden Ureinwohnern, sondern das sind auch Menschenrechtsverletzungen, die jetzt schon im Hinblick auf unsere Kinder und Kindeskinder angelegt sind.Es sind in der Tat keine wirksamen Lösungsansätze, wenn z. B., wie geschehen, bei einem 8-MilliardenProgramm für Tropenforstwirtschaft der Weltbank und der FAO nur 7 oder 8 % zur Konservierung bestehender Tropenwälder bestimmt sind und der ganz überwiegende Anteil für Forschungsprojekte, für Ausbildungsstätten, für Waldanbau zur industriellen Nutzung, für die Entwicklung der Ackerforstwirtschaft und für weitere Maßnahmen verwendet wird — typisch klassische entwicklungspolitische Maßnahmen, die eben bis jetzt nicht gegriffen haben. Diese Maßnahmen der traditionellen Entwicklungspolitik — und darauf setzt die Bundesregierung leider überwiegend weiterhin — sind für die Erhaltung der Tropenwälder wenig nützlich. Das Risiko, daß diese Maßnahmen die Zerstörung der Tropenwälder eher fördern als verhindern, ist zu groß.Die Politik der Bundesregierung, mit nach wie vor überwiegend entwicklungspolitischen Programmen und zuwenig neuer Wirtschafts- und Finanzpolitik an die Lösung heranzugehen, ist unzureichend und gefährlich. Deswegen hat die Bundesregierung auch noch keine Lorbeeren dafür geerntet, daß sie jetzt 250 Millionen DM Entwicklungshilfe zum Schutz der Tropenwälder — auf fünf Jahre verteilt; das muß man wissen — gibt. Ich bin hoffentlich nicht zu polemisch, wenn ich sage, daß dies im Grunde genommen nichts anderes ist als eine europäische Ausgleichszahlung an diese Länder für Umweltverschmutzungen, die in Europa entstehen.Lassen Sie mich, Frau Dr. Segall, nur noch folgendes sagen: Ich beschönige überhaupt nichts von dem, was in dem Dreieck, wie vorhin gesagt wurde, DDR—Tschechoslowakei usw. an Beschädigungen der Umwelt geschehen ist. Aber es ist zweifellos richtig, daß die Länder mit Tropenwäldern — Brasilien, Philippinen, Thailand, Zaire — sicherlich eher kapitalistisch orientierte Länder sind. Es ist sicherlich auch richtig, daß der Kommunismus mit diesen Ländern relativ wenig Handel getrieben hat. Ich möchte also Ihren Einwand, wir würden in diesem Sektor sozialistische oder sonstige Politik betreiben, deutlich zurückweisen.
Herr Minister Warnke, ich möchte Ihrem Argument mit der Souveränität das auf den ersten Blick nicht schlecht klingt und dem man in dieser generellen Form auch zustimmen könnte, folgendes entgegenhalten: Es geht nicht darum, daß wir auf das Einfluß nehmen, was die dort machen, sondern es geht darum, daß wir auf unsere Wirtschaftspolitik, auf unsere Entwicklungspolitik und auf unsere Finanzpolitik Einfluß nehmen. Darüber müssen in der Tat doch wir souverän entscheiden. Es ist auch unsere souveräne Entscheidung, ob wir im Zusammenhang mit dem Freihandel — Sie nannten eben das Beispiel — die Grenzen öffnen. Ich warne davor, mit dem Argument, wir dürften in die Souveränität nicht eingreifen — das wollen wir natürlich auch nicht — , den Kriegsschauplatz zu wechseln.Ich will sehr deutlich betonen, daß wir massiv versuchen und dies auch für den richtigen Weg halten, über die Schuldenerlaßpolitik — Frau Hartenstein hat dazu das Notwendige schon gesagt — , an Lösungen heranzukommen.Ehemals tropische Waldregionen sind soweit wie möglich wieder aufzuforsten. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang, daß wir mit weniger traditioneller Entwicklungspolitik und mit mehr neuer Wirtschaftspolitik wesentlich mehr erreichen können.Wir haben in der Tat im Grunde genommen keine ökologisch orientierte Außenwirtschaftspolitik. Ich
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Dr. Küblerwäre dankbar, wenn der Herr Bundesumweltminister aus seiner Sicht speziell zu dieser Frage Stellung nehmen würde.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die Menschen in den Tropen, die ganz normalen Brasilianer oder Zairer, orientieren sich — wer kann ihnen das verdenken — an unserem Lebensstandard und streben ihn auch an. Ein Recht — jetzt spreche ich von individueller Souveränität — , ihnen das abzuschlagen, haben wir nicht.Es ist deshalb an uns, einen Wohlstand zu entwikkeln, der die Umwelt weniger zerstört. Wer, wenn nicht der reiche Norden, hat sonst die finanziellen und technischen Mittel für diese überlebensnotwendigen Anstrengungen? Der reiche Norden ist gefordert.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige kurze Vorbemerkungen: Jedesmal, wenn ich in Entwicklungsländern war, habe ich gesehen, daß wir für die Förderung von Bildung, von Fachwissen und für den Bau von Schulen gesorgt haben und daß wir Infrastruktureinrichtungen im Bereich der Hygiene geliefert haben. Soll sich unsere Bundesregierung, die das alles mit den Mitteln der westdeutschen Steuerzahler unterstützt hat, heute und hier von denen kritisieren lassen, die dorthin Waffen geliefert haben, die das Schuldenpotential vergrößert haben und die den Menschen nichts anderes als Vernichtung gebracht haben? Genau diese stellen sich nämlich hierhin und kritisieren.
Wenn Sie nur einen Funken von Anstand hätten — das richte ich an die Mitglieder der SED/PDS —, dann würden Sie sich erst einmal selber kritisieren, bevor Sie mit dem Finger auf andere zeigen.
Wir werden nicht in Vergessenheit geraten lassen, was Sie alles angestellt und getrieben haben. Vielmehr werden wir ganz deutlich machen, wie Sie in diesen Ländern der Dritten Welt gewirtschaftet haben. Wenn Sie hier so etwas noch einmal sagen, werden wir darauf hinweisen, zu welchen Katastrophen Sie mit beigetragen haben.
Ich finde es in Anbetracht der Größe des Problems und der Herausforderung, vor der wir stehen, insbesondere bei der Artenschutzproblematik gerade in den tropischen Regenwäldern, ein bißchen kleinkariert, wenn ich sehe, wie hier die SPD und die grünen Kollegen um ein bißchen Profil rangeln, wo wir doch in den weitestgehenden Bereichen flächendeckende Maßnahmenkataloge haben, die wir gemeinschaftlich akzeptieren können und die auch Sie mitgetragen haben. Je näher allerdings der Wahlkampf rückte, um so kleinkarierter sind Sie von dieser Gemeinschaftlichkeit abgerückt, die wir eigentlich draußen brauchen, um dem Ganzen mehr Durchschlagskraft zu geben.
Herr Abgeordneter, es ist bei Ihnen außerordentlich schwer, zwischen zwei Sätzen eine Pause zu finden. Deshalb muß ich Sie jetzt unterbrechen, um zu fragen, ob Sie bereit sind, eine Zwischenfrage von Frau Dr. Fischer zu beantworten.
Ich darf den Kollegen Knabe bitten, noch zwei Minuten zu warten; denn ich möchte noch kurz anreißen, was nicht mitgetragen wird. Hier wird der Eindruck erweckt, als ob unser Programm ein Programm auf Jahrzehnte sei und deshalb sofort nichts geschehe. Wir wollen Sofortmaßnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Primärwaldgebiete. Wollen Sie das nicht? Wir wollen die Ausweisung von Schutzgebieten, Gebieten absoluten Schutzes, sofort beschleunigen. Wollen Sie das nicht? Wir wollen die Größe der unter Schutz zu stellenden Flächen drastisch ausweiten. Wollen Sie dies nicht? Wir wollen dafür Kompensationszahlungen leisten. Wollen Sie dies alles nicht? Wir wollen deutlich machen, daß wir über Schuldenerlaß bei Ländern, wo wir dies differenziert geprüft haben, hinaus Geld in die Hand nehmen, sofort und mehr als alle anderen Länder der Welt. Wollen Sie das nicht mittragen? Wir wollen die flächendeckende Umsetzung von Agroforstprojekten, integrierten Entwicklungshilfeprojekten, die den Menschen Arbeit geben, aber gleichzeitig ökologisch verträglich sind. Wir bieten Geld dafür an, sofort. Wollen Sie das nicht mittragen? Ich frage Sie nur. Wir wollen Brennholz-Plantagen, damit die Leute nicht den Wald roden müssen, um Feuerholz zu gewinnen, damit der Druck vom Regenwald weggenommen wird. Wollen Sie auch das nicht? Ich könnte immer weiter gehen: Wir wollen Geld in die Hand nehmen für die Wiederaufforstung, für die Wiedergewinnung versteppter Flächen für die Landwirtschaft, damit die Menschen auf diese Flächen gehen können und nicht in den Tropenwald abgedrängt werden. Alles dieses sind doch Maßnahmen, die wir gemeinsam wollen. Und wir wollen den Abbau von Forstverwaltungen, sofort, stützen. Wir wollen eine verstärkte Kontrolle dort mit Leuten ermöglichen, die nicht bestechlich sind, damit auch die Fällverbote nicht umgangen werden. Das alles wollen Sie nicht mittragen zugunsten einer kleinkarierten Abweichung? Das halte ich für bedauerlich.
Herr Abgeordneter, es gibt inzwischen zwei Wünsche nach Zwischenfragen, und auch die zwei Minuten sind um. — Ich würde mit Frau
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18475
Vizepräsident WestphalDr. Fischer anfangen, die sich zuerst gemeldet hat. Wollen Sie ihre Frage beantworten? — Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich wollte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß z. B. im Hospital Carlos Marx in Nicaragua 40 % SED-Mitglieder und 60 % anderen Parteien angehörende Leute gewesen sind.
Ich habe das ganz genau verfolgt. Die sind zum Teil in Ihrer CDU aufgegangen.
Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, daß ich mir nicht den Mund verbieten lasse, auch nicht von Ihnen.
Frau Dr. Fischer, dies ist eine Möglichkeit für den Abgeordneten, eine Frage zu stellen, aber nicht Feststellungen dieser, jener oder anderer Art zu treffen.
Wollen Sie auch die zweite Frage von Herrn Dr. Heuer beantworten? — Herr Dr. Heuer, bitte schön.
Ich habe eine Frage zur Geschäftsordnung. Nach dem, was uns mitgeteilt worden ist — —
Herr Kollege, das geht nun nicht.
Nein. Darf ich Sie etwas fragen? — Nach der Geschäftsordnung sind auch Interventionen vorgesehen. Habe ich die Möglichkeit, eine Intervention vorzunehmen?
Ja, das ist richtig.
Dann muß ich den Redner fragen, ob er bereit ist, das zuzulassen, aber am Ende seiner Redezeit. Er wird Ihnen das mitteilen.
Wollen Sie erst einmal antworten, Herr Lippold? — Bitte schön.
Frau Fischer, es hat doch keinen Zweck, daß Sie Einzelmaßnahmen jetzt für das hinstellen, was Sie in der Globalität nicht gemacht haben. Daß eine vereinzelte Maßnahme sinnvoll gewesen sein mag, heißt doch nicht, daß Sie in der Gesamtgewichtung unendlich viel mehr Geld für Waffen bereitgestellt haben als für solche Hilfsmaßnahmen, wie Sie sie zitieren. Das muß man doch einmal gewichten.
Dann darf ich noch auf einen weiteren wesentlichen Punkt kommen. —
— Willst du jetzt oder willst du nicht?
Herr Dr. Knabe, zu einer Frage, bitte schön.
Ich danke für die Möglichkeit der Frage. Herr Kollege Lippold, ist es denn wirklich kleinkariert, wenn wir GRÜNEN verlangen, daß dem Welthandel ökologische und soziale Handlungsempfehlungen, -begrenzungen auferlegt werden? Ist es kleinkariert, wenn wir sagen, daß kein Tropenholz aus den Primärwäldern geschlagen und exportiert werden soll?
Und ist es kleinkariert, wenn wir auch bei dem Import von Agrarprodukten, die unmittelbar zur Waldvernichtung führen, eine Bremse anlegen wollen? Ich glaube, das sind die wichtigsten Fragen.
Ich darf es einmal ganz kurz so sagen:Der erste Punkt ist: Ich kann mich nicht hier hinstellen und fordern, daß alles sofort greifen muß, und dann eine ökologische Umorientierung der Weltwirtschaft fordern, die, wenn wir sehen, wie lange die GATT-Verhandlungen laufen, Jahrzehnte braucht. Das hilft dann doch nicht. Dann macht ihr den Leuten doch ein falsches Bild vor.Das zweite ist: Wenn 80 % der Hölzer als Brennholz verbraucht werden, dann setze ich dort bei diesem großen Punkt an und nicht bei den 4 %, die letztlich exportiert werden,
und zwar nicht einmal zu einem Zehntel hierhin, sondern woandershin exportiert werden.Das heißt, ihr setzt an völlig falschen Ecken an. Die eigentlichen Ursachen beachtet ihr nicht.Ich sage noch einmal eines: Der Brundtland-Bericht ist wesentlich ausgewogener in seinen Vorstellungen — er ist ja maßgeblich auch von euren Leuten mitgetragen worden — als das, was hier dargestellt wird. Darin wird nämlich auch deutlich gemacht, daß es interne Faktoren in den Ländern dort gibt, die wir beachten müssen. Ich warne davor, immer so zu tun, als seien die nordischen Länder die Alleinschuldigen. Das führt nämlich dazu, daß bei Maßnahmen, die dringend erforderlich sind, in den Entwicklungsländern nicht mehr selbst angesetzt wird, sondern gesagt wird, nur die Industriestaaten sollten das machen.
Aber auch in den Entwicklungsländern ist Eigenanstrengung gefordert, und wir dürfen diese Länder nicht aus ihrer Mitwirkung entlassen.
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18476 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Dr. Lippold
Ich sage das einmal ganz deutlich: Nicht allein wir sind diejenigen. Auch dort wird gesündigt.
Darf ich Sie noch einmal unterbrechen? — Herr Dr. Heuer hat eine Intervention während Ihrer Rede verlangt. Sie müssen entscheiden, ob Sie das wollen oder nicht.
Wie lange geht das?
Zwei Minuten.
Bitte schön, Herr Dr. Heuer.
Meine Damen und Herren! Ich bitte doch, daß Sie Ihre Verhaltensweise etwas bedenken. Man kann nicht bei jedem Tagesordnungspunkt sagen, die PDS möge zu etwas ganz anderem Stellung nehmen. Es geht hier um die tropischen Regenwälder. Ich glaube nicht, daß es zulässig ist, unserer Partei zu untersagen — hier ist von „Denkpause", von „Selbstkritik" gesprochen worden —, zu dieser Frage ihre Meinung zu äußern.
— Mehrere Abgeordnete dieses Hauses haben sich so geäußert.
Sie nehmen damit im Grunde unserer Partei das Rederecht. Ich halte ein solches Vorgehen für nicht in Ordnung.
Abschließend darf ich Sie vielleicht noch auf einen Artikel im heutigen „General-Anzeiger" hinweisen. Da schreibt Ekkehard Kohrs:
So richtig es ist,
— wie Sie das gern immer wieder wollen —
die PDS immer wieder an ihre katastrophale SED-Vergangenheit zu erinnern,
— das ist ein breites Feld der Diskussion —
irgendwann wird man sich eine neue Argumentation einfallen lassen müssen. Jeder Vorwurf nutzt sich früher oder später ab.
Ich danke Ihnen.
Es ging hier auch nicht um eine Frage.
Damit hier kein falscher Eindruck aufkommt, darf ich einmal ganz kurz festhalten: Sie werden hier in Ihren Rechten nicht beschnitten. Wie Sie sehen, lassen wir Zwischenfragen zu, lassen wir Interventionen zu. Versuchen Sie ja nicht, den Mitleidseffekt erreichen zu wollen nach dem Motto: Wir armen Kleinen, wir dürfen da ja gar nichts. Sie dürfen hier alles, was demokratisch und richtig ist. Aber wir sagen Ihnen auch, was wir von Ihnen meinen und was wir von Ihnen halten.
Dann bringen wir Sie dazu, dazu echt Stellung zu nehmen. So muß das aussehen.
Kommen Sie da nicht mit der Mitleidsmasche. Ihr müßt euch schon der Kritik stellen. Ihr könnt doch nicht erwarten, daß wir sagen, ihr seid liebe, nette Kerle, und das war es dann. Wir werden schon euch gegenüber in der Sache Stellung nehmen. Im Stil können wir das gehaltvoll machen. In der Sache ist das etwas anderes.
Jetzt kommen wir noch einmal zum Punkt tropischer Regenwald zurück. Ich glaube, daß es sinnvoll ist, deutlich zu machen, daß ein Schuldenerlaß differenziert vorgenommen werden muß. Ich sage für unsere Fraktion noch einmal ganz deutlich, daß Schuldenerlaß allein auch nicht ausreicht, wenn wir für den Tropenwald etwas positiv bewirken wollen; denn Leute, denen wir Geld erlassen, haben noch nicht automatisch das Geld, um aufzuforsten, um Regenerationsmaßnahmen durchzuführen, um Gebiete unter Schutz zu stellen. Wir wollen hier positiv ansetzen. Damit gehen wir über das, was von Ihnen gefordert wird, weit hinaus.
Ich glaube, daß wir das auch tun müssen; denn wenn wir nicht Artenvielfalt im tropischen Regenwald erhalten, dann gefährden wir die Stabilität von Entwicklung. Nur Vielfalt von Arten heißt Stabilität biologischer, menschlicher Umweltentwicklung auch für die Zukunft. Wir würden Unwiederbringliches verlorengehen lassen, wenn wir hier nicht sofort und direkt ansetzen würden.
Deshalb ist es für uns auch ein zentraler Punkt, gemeinschaftlich mit Ihnen zu Handlungsmöglichkeiten zu kommen und dem Ganzen auch international mehr Durchschlagskraft, mehr Möglichkeiten zu eröffnen.
Ich danke der Bundesregierung noch einmal ganz nachhaltig dafür, daß sie jedes internationale Forum nutzt, daß sie jede Gelegenheit nutzt, um dieses Anliegen voranzubringen,
im Bereich Ozonloch, im Bereich tropischer Regenwald und gleichzeitig auch in der Frage Klimaschutz. Das ist eine Einstellung, die positiv ist. Sie finden keine andere Regierung, die sich dieses Anliegens so angenommen hätte wie diese. Wir wollen das noch einmal ganz nachhaltig deutlich machen. Wenn es eine Vorreiterrolle in Umweltaußenpolitik gibt, dann hat diese Regierung diese Vorreiterrolle für uns übernommen. Wir werden sie dafür stützen.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Lippold, die Frage, wen Sie mit „du", „ihr" oder „Sie" anreden, liegt natürlich in Ihrer Verantwortung. Aber nicht jeder möchte das für sich in Anspruch nehmen. Deswe-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18477
Vizepräsident Westphalgen bitte ich Sie, das in Zukunft zu beachten. Es hat dazu Klagen gegeben.Jetzt hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Töpfer, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten hat eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages eine so herausragende Arbeit vorgelegt wie die hier zur Diskussion stehende Enquete-Kommission, die sich auch mit dem Schutz der tropischen Regenwälder beschäftigt hat. Ich glaube, das größte Lob, das man einer Enquete-Kommission aussprechen kann, besteht darin, daß man ihr konstatiert: Diese Arbeit ist unmittelbar politikwirksam geworden. Das ist hier festzustellen.
Deswegen hat die Bundesregierung mit großem Nachdruck allen Mitgliedern dieses Parlaments in der Kommission und sicherlich auch den vielen Wissenschaftlern, die direkt oder indirekt mitgewirkt haben, zu danken. Ich möchte unterstreichen: Auch den hochqualifizierten Mitarbeitern dieser Enquete-Kommission haben wir zu danken. Dies ist ein Beispiel, das unmittelbar politikwirksam werden konnte.Das zeigte und erwies sich bei dem ersten Abschnitt dieser Arbeit, der sich mit dem Schutz der Ozonschicht beschäftigt hat. Wir haben international die Vorreiterrolle im Ausstieg aus Fluorchlorkohlenwasserstoffen deswegen übernehmen können, weil wir von der Breite dieses Hohen Hauses mitgetragen worden sind. Das sollte man bei aller Unterstreichung der eigenen Arbeit nicht vergessen. Auch dafür ist zu danken.Ich glaube, daß das, was hier mehrheitlich vorgelegt worden ist, genauso ein unglaublich ambitioniertes Programm für die Rettung der tropischen Regenwälder ist. Es wäre eine großartige Sache, wenn wir hier ebenfalls ein einstimmiges Votum des gesamten Hohen Hauses bekämen. Es würde die Durchschlagskraft dieser Empfehlung deutlich verstärken. Ich glaube, dieses Programm ist so ambitioniert, daß wir es kaum ohne erhebliche Schwierigkeiten international durchsetzen können. Deswegen danke ich auch, daß die Mitglieder der Enquete-Kommission und die Wissenschaftler die Bundesregierung in internationalen Konferenzen unmittelbar unterstützt haben. An diesem Bericht der Kommission wird keiner mehr weltweit vorbeigehen können. Ich hoffe, daß es durchaus noch die Möglichkeit gibt, zu dieser Einstimmigkeit in der Bewertung zu kommen.Der Abgeordnete Lippold hat sehr deutlich gemacht, welche weitreichenden Forderungen und welche weitreichenden Bereitschaften zum Handeln damit verbunden sind. Sicher ist richtig, was mein englischer Kollege Chris Patten gesagt hat — ich zitiere — : „Die Armut ist die giftigste Substanz, die es weltweit gibt. " Ich möchte ergänzen: Sie ist deswegen auch eine besonders umweltzerstörende Kraft. Sicher ist auch zu ergänzen, daß auch der Egoismus der entwikkelten Länder der nördlichen Hemisphäre zu dieser umweltzerstörenden Kraft mit hinzuzurechnen ist. Es gibt diesen Teufelskreis, der dort beginnt, wo wir mit einer steigenden Bevölkerungsentwicklung höhere Ansprüche an die Natur und ihre Produktivität stellen. Ein Land wie Kenia, mit einem jährlichen Anstieg der Bevölkerung um vier Prozent, kennzeichnet das sehr deutlich.Damit das allen klar wird: Auch dieses kann man in unmittelbarer Arbeit für die Entwicklungspolitik selbst mit einbringen. Ich habe versucht, es in Ländern Afrikas und Brasilien zu tun. Die wachsende Bevölkerung auf der einen Seite und die steigende Auslandsverschuldung auf der anderen Seite, die nicht zuletzt über die höhere Energierechnung dieser Länder zustande gekommen ist — steigende Ölpreise waren mit die entscheidende Ursache für die gewaltige Auslandsverschuldung — haben natürlich
— und der steigende Zins ist die Kehrseite der gleichen Medaille, Herr Abgeordneter Knabe — einen Teufelskreis bewirkt, weil die Entwicklungsländer ihre Hauptexportgüter in Massengütern der landwirtschaftlichen Produktion oder in Rohstoffen sehen.Deswegen ist es natürlich richtig, daß wir uns auch die Frage stellen, wie es mit den internationalen Austauschrelationen aussieht — die Ökonomen sprechen von den Terms of trade — , also den Austauschrelationen zwischen den Produkten der entwickelten Länder und den Gütern, die unterentwickelte Länder uns liefern. Dies ist nicht eine neue Erkenntnis, sondern Grundlage der gesamten Umwelt- und Außenwirtschaftspolitik der Bundesregierung, meine Damen und Herren.Gerade deswegen ist es so wichtig, was Kollege Warnke gesagt hat, daß wir nämlich dies nicht nur in Deklarationen hier im Parlament verwirklichen, sondern an den Verhandlungstischen von Lomé IV und in den GATT-Runden im Uruguay-Bereich. Das sind die Zusammenhänge.Es ist schon richtig, daß wir uns fragen müssen, ob es überzeugend ist, wenn andere Industrieländer etwa keinerlei Importzölle auf Rohholz erheben, aber erhebliche Zölle auf den Import bearbeiteter Hölzer erheben; denn damit verlagern wir die Wertschöpfung bei diesem Holz in die entwickelten Länder. Wir müßten genau umgekehrt vorgehen, damit die Wertschöpfung bei diesen Hölzern in den unterentwickelten Ländern bleibt, dort Arbeitsplätze geschaffen werden und der Entwicklungsprozeß weitergeführt wird. Das sind, wie ich meine, fortführende Überlegungen.Meine Damen und Herren, deswegen ist die Bundesregierung sehr frühzeitig zum Vorreiter des Schutzes der tropischen Regenwälder geworden. Wir wissen, daß dies etwas mit der Gewährleistung der Artenvielfalt, mit der biodiversity zu tun hat. Wir halten dafür internationale Maßnahmen bis hin zu einer Konvention für notwendig. Es hat etwas mit der Bedeutung tropischer Regenwälder als CO2-Senke und sicherlich als ein Stabilisierungsfaktor für die Naturkreisläufe in diesen Ländern insgesamt zu tun. Auch muß man immer wieder unterstreichen, daß die Frage
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Bundesminister Dr. Töpferdes Schutzes der tropischen Regenwälder zu dem zentralen persönlichen Anliegen des Bundeskanzlers Helmut Kohl geworden ist.Wir haben dies auf dem Weltwirtschaftsgipfel von Paris als erste zum Thema gemacht. Ich darf aus der Abschlußerklärung dieses Weltwirtschaftsgipfels zitieren:Die Erhaltung der tropischen Wälder ist im Interesse der ganzen Welt dringend geboten. Wir begrüßen die deutsche Initiative in diesem Bereich als Grundlage für Fortschritt.Es war die deutsche Initiative, die weltweit etwas bewirkt hat, und sie ist über den europäischen Gipfel in Dublin fortgeführt worden und hat sich nicht zuletzt auch auf Initiative und wegen der Durchschlagskraft der Enquete-Kommission in Houston weiter konkretisiert. Man kann wohl auch deutlich sagen, daß sich gerade hierbei der Vorsitzende der Enquete-Kommission sehr persönliche Verdienste erworben hat, um dies international, aber auch in die Tätigkeit der Regierung mit einzubinden. Wir haben ihm aus Sicht der Bundesregierung dafür zu danken.
Wie haben wir darauf reagiert, und wie müssen wir weiter daran arbeiten? Zum ersten ist konkrete Hilfe gefragt; nicht Sprüche sind gefragt. Die konkrete Hilfe beginnt dort, wo wir uns als eine führende Technologienation dazu durchringen, neue Technologien für Energieerzeugung und Nahrungsmittelproduktion zu entwickeln. Das ist unsere konkrete Hilfe für eine weltweit steigende Bevölkerung:
daß wir neue Techniken für Energie- und Nahrungsmittelproduktion bei uns entwickeln, um sie anderen verfügbar zu machen. Dies ist eine ganz bedeutsame Angelegenheit, die ich unterstreichen will. Hier müssen wir auch unser Verhältnis zu moderner Technik weiterentwickeln.An zweiter Stelle ist ganz sicher auch der Einsatz unserer Wirtschaftskraft zu nennen. Es ist nochmals zu sagen — Frau Hartenstein hat mit gutem Grund das Plenum etwas früher verlassen müssen; ich darf das nicht kritisieren — , daß es natürlich auch ein Erfolg dieser Bundesregierung ist, daß wir endlich zu einer Abrüstung zwischen Ost und West gekommen sind.
Dadurch können wir freie Mittel dafür einsetzen, daß die Umwelt wirklich erhalten wird. Die Abrüstung zwischen Menschen ergibt den Spielraum, den wir brauchen, damit wir die Aufrüstung bei der Ausbeutung der Natur überwinden können. Das ist der entscheidende Fortschritt, den diese Bundesregierung gemacht hat. Wenn man das mit etwas Bescheidenheit betrachtete, dann würde man es aus der Sicht einer neuen Gruppe in diesem Parlament ganz sicherlich völlig anders bewertet haben. Es ist nicht dieFrage, daß Sie sprechen, sondern wie Sie sich zu diesem wichtigen Thema eingelassen haben.
Ich meine, es wäre für uns hilfreich gewesen, wenn es anders gewesen wäre.Ich bin heute morgen aus Aue gekommen, und ich habe gestern die Möglichkeit gehabt, in Schneeberg vor vielen Menschen zu sprechen; ich bin im Erzgebirge gewesen. Wer dies hinter sich gebracht hat und hier einklagt, daß diese Bundesrepublik Deutschland ihre Aufgaben weltweit nicht erfüllt habe, der sollte wirklich in sich gehen und fragen, wo die verursachenden Faktoren liegen.
Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, daß wir diese unsere Wirtschaftskraft weiterhin erhalten. Sie ist die Grundlage dafür, daß wir national, europäisch und weltweit Umweltpolitik voranbringen können. Dies, meine ich, ist eine ganz großartige Sache. Wir haben den Durchbruch geschafft. In London wurde zum erstenmal ein Finanzmechanismus, ein Fonds eingerichtet, der tatsächlich international Gelder verfügbar macht, um anderen den Ausstieg aus Fluorchlorkohlenwasserstoffen zu erleichtern. Wir werden mit gleichem Nachdruck einen Beitrag leisten können, wenn wir bei der Klimakonvention, die 1992 zu verabschieden ist, nicht nur von anderen etwas fordern, sondern ebenfalls unsere Bereitschaft zur Mithilfe konkret einbringen.Der Bericht der Enquete-Kommission ist dafür eine hervorragende Grundlage. Die Bundesregierung hat dafür zu danken.
Meine Damen und Herren, man darf auch von hier oben im Namen aller der Enquete-Kommission und gerade auch denjenigen, die nicht aus diesem Hause kommen, sondern Mitarbeiter in einer solchen Kommission sind, und den Mitarbeitern für die Kommission für ihre Arbeit sehr herzlichen Dank aussprechen.
Jetzt hat Herr Dr. Knabe noch einmal kurz das Wort. Er hat nämlich gemeint, ich hätte den Tagesordnungspunkt 17 c nicht mit aufgerufen. Ich habe ihn aber aufgerufen. Dies ist nur ein Mißverständnis. Sie wollen einen Antrag begründen. Ich hoffe, Sie schaffen das in 2 Minuten.
Ich wollte einen Änderungsantrag zu der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/8010 begründen. Es geht um Empfehlungen für die Behandlung von vier Anträgen. Der vierte Antrag wird zur Ablehnung empfohlen.Der Antrag von mir als Abgeordnetem und von der Fraktion der GRÜNEN lautet:Ziffer 4 der Beschlußempfehlung auf Drucksache11/8010 erhält folgende Fassung: Der Bundestag
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Dr. Knabewolle beschließen, den Antrag auf Drucksache 11/1838 in der vom Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit verabschiedeten Fassung anzunehmen.Die Änderung besteht in der Einfügung der Worte „aus Primärwäldern" an zwei Stellen. Der aus zwei Sätzen bestehende Antrag auf Drucksache 11/1838 lautet demnach wie folgt:Der Bundestag wolle beschließen:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, keinerlei Haushaltsmittel für die Verwendung der Beschaffung tropischer Hölzer aus Primärwäldern zu verausgaben.Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, alle mit der Durchführung von Baumaßnahmen betrauten Dienststellen des Bundes anzuweisen, auf die Verwendung tropischer Hölzer aus Primärwäldern zu verzichten.Ich glaube, daß alle Fraktionen hier zustimmen können, denn auch in dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wird ein Importverbot für Tropenhölzer aus Primärwäldern gefordert.Damit wäre bei diesem Antrag eine einstimmige Verabschiedung möglich, was bei den anderen Anträgen nicht möglich sein wird.
Herr Dr. Heuer, Ihre Intervention ist erledigt?Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 17 a, und zwar zuerst über die Änderungsanträge. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8253? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/8256? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 sowie der Gruppe der PDS abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/8009. Wer stimmt dafür? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion der SPD und bei Gegenstimmen der GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/8007. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der GRÜNEN angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/8010. Der Ausschuß empfiehlt unter den Ziffern 1 bis 3 die Anträge der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/2010, der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3740 sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2933 für erledigt zu erklären. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung unter den Ziffern 1 bis 3 ist bei Gegenstimmen und Enthaltungen der Gruppe der PDS mehrheitlich angenommen.Wir kommen zu Ziffer 4 der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/8010. Hierzu hat der Abgeordnete Dr. Knabe gerade mündlich einen Änderungsantrag vorgetragen. Wer für diesen mündlich vorgetragenen Änderungsantrag stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.Nun ist über Ziffer 4 der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 11/8010 abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1838 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen alle anderen angenommen worden.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:a) Beratung des Schlußberichts der EnqueteKommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000"— Drucksachen 11/1448, 11/7820 —Überweisungsvorschlag :Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Auswärtiger AusschußInnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung, Technologie und TechnikfolgenabschätzungAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1987— Drucksachen 11/1448, 11/5349, 11/7381 —Berichterstatter:Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil KuhlweinNeuhausenFrau Hillerich
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Vizepräsident WestphalIm Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000", die heute dem Bundestag ihren Abschlußbericht vorlegt, hat sich zweieinhalb Jahre lang mit der Frage beschäftigt, wie die sich abzeichnenden Herausforderungen an die Jahrtausendwende bildungspolitisch gemeistert werden können. Sie hat Betriebe, Werkstätten und Hochschulen besucht, mit Ausbildern, Auszubildenden und Studierenden vor Ort gesprochen, mit Experten und Expertinnen — auch außerhalb von Bonn — Strukturfragen und Einzelprobleme unseres Bildungssystems erörtert. Sie hat in Anhörungen Wissenschaft und Verbände nach Veränderungsvorschlägen gefragt und umfassende Gutachten in Auftrag gegeben. Sie hat, wie das so üblich ist, Berge von Papier produziert, die in den letzten Monaten zu diesem Abschlußbericht verdichtet worden sind.Als Vorsitzender der Kommission danke ich allen, die uns geholfen haben, insbesondere den als Sachverständige berufenen Mitgliedern der Kommission und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats.
Die gemeinsamen Anstrengungen haben sich, glaube ich, gelohnt.Nun hat die Zeit nicht ausgereicht, um alle aufgeworfenen Fragen mit der notwendigen Tiefe zu bearbeiten. Wir haben nicht alle Kontroversen zu Ende diskutierten können. Die jeweils getrennten Voten von Mehrheit und Minderheit in einer Reihe von Kapiteln lassen dennoch ein erhebliches Maß an Annäherung erkennen.Die Kommission sah sich nicht in der Lage, dauerhaft gültige Aussagen zum Zusammenwachsen der beiden deutschen Bildungssysteme zu machen. Zu viele Überlegungen zur deutsch-deutschen Bildungspolitik sind in den vergangenen Monaten durch die politische Entwicklung überrollt worden. Ich glaube, daß der Bericht dennoch für die Bildungspolitik auch im gemeinsamen Deutschland von Bedeutung bleibt.Zum einen enthält er für die von der Bundespolitik zu verantwortenden Felder eingehende Problemanalysen, die auch für Leser in den neuen Ländern von großem Interesse sind. Zum anderen gelten die von uns bearbeiteten „Herausforderungen", wie etwa die Frage nach der Gleichstellung, nach den ökologischen Erfordernissen, nach dem bildungspolitischen Beitrag zur aktiven Mitgestaltung des Strukturwandels, nach den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und nach der Verdichtung der internationalen Beziehungen und Abhängigkeiten, selbstverständlich auch für das gemeinsame deutsche Bildungssystem.Wir haben uns auftragsgemäß vor allem im Rahmen der Zuständigkeiten des Bundes bewegt, obwohl dies angesichts vielfältiger Berührungspunkte mit den Länderzustädigkeiten nicht immer „lupenrein" möglich gewesen ist. Wir haben der Versuchung widerstanden, einen neuen Struktur- oder „Mängelbericht" zu produzieren.Die Länder sollten in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, z. B. im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, stärker als Partner des Bundes gesehen werden. Ich glaube, daß ich für die Kommission insgesamt feststellen kann, daß wir sehr viel davon halten, daß von allen Seiten wieder zum kooperativen Föderalismus zurückgefunden wird.
Zu den herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten von Mehrheit und Minderheit gehören: erstens der Hinweis auf die wachsende Bedeutung von Bildung und Ausbildung und ein Bekenntnis zur Bildungdexpansion — ich sehe darin nicht nur die nachträgliche Bestätigung für die Richtigkeit der sozialliberalen Bildungspolitik der siebziger Jahre, sondern auch eine Hoffnung für die Zukunft — , zweitens die These, daß Bildung und Ausbildung einen Beitrag zu einem neuen Verhältnis der Geschlechter zueinander leisten müssen, was mehr ist als die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frauen, drittens die Erkenntnis, daß wir einen erweiterten Qualifiaktionsbegriff brauchen, bei dem Selbständigkeit und Kommunikationsfähigkeit im weitesten Sinne von besonderem Gewicht sind, viertens die Forderung, daß alle Ausbildungen die Bereitschaft zum umweltgerechten beruflichen Handeln in allen Berufs- und Lebensbereichen wecken und fördern müssen, fünftens das Bekenntnis zu „lebensbegleitendem Lernen" und zur Bedeutung der Weiterbildung als der vierten Säule des Bildungssystems und schließlich sechstens die Betonung des Zusammenhangs von beruflicher, allgemeiner, politischer und kultureller Bildung in allen Bereichen des Bildungssystems und die Feststellung, daß allgemeine und berufliche Bildung grundsätzlich gleichwertig sind.Meine Damen und Herren, unterhalb solcher relativ abstrakt formulierten Gemeinsamkeiten bleibt genügend Stoff zum Streiten. Ich will hier nur einige Beispiele nennen.Von einem sozialen Grundrecht auf Bildung und einem einklagbaren Anspruch auf Ausbildung will die Mehrheit nichts wissen. Sie hält es eher mit Individualisierung, Flexibilisierung und Differenzierung.Ein Ausbau der Mitbestimmung für die im Bildungsbereich Beteiligten kommt bei der Mehrheit nicht vor. Wenn sie gleichzeitig den Einfluß des Staates in der Weiterbildung und in den Hochschulen zurückdrängen will, bekennt sie sich zu einem Machtzuwachs für diejenigen, die bereits heute in diesen Systemen den Ton angeben.
Eine stärkere Pädagogisierung der beruflichen Erstausbildung hält die Mehrheit offenbar für verzichtbar. Daran ändern auch ihre Empfehlungen zur
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KuhlweinVerbesserung der Lage der Teilzeitberufsschule wenig.Noch immer hält die Mehrheit an der Möglichkeit von Sonderausbildungsgängen für Lernschwächere fest, obwohl die Praxis zeigt, daß bei entsprechender Förderung fast alle Jugendlichen einen geordneten Ausbildungsberuf lernen können.Die Mehrheit hat sich auch nicht dazu bewegen lassen, der von uns geforderten umfassenden Reform des Berufsbildungsgesetzes und des Hochschulrahmengesetzes zuzustimmen. Die Minderheit fordert weitere neue gesetzliche Grundlagen im Bereich der Gleichstellung, im Bereich der Freistellung für Bildungszwecke und in der Forschungsförderung.Für die künftige Weiterbildungspolitik beschränkt sich die Mehrheit auf Rahmenbedingungen, was immer das sein mag. Sie will Weiterbildung weitgehend dem Markt überlassen und scheut jede weitere Ordnung durch Staat oder Gesellschaft. Deshalb kommt für sie natürlich auch ein gesetzlich geregelter Bildungsurlaub nicht in Frage.Zur Herstellung von mehr Gleichberechtigung durch Bildung darf es bei der Mehrheit zwar Frauenförderung, aber ja keine Quotierung geben.Für den Hochschulbereich singt die Mehrheit das hohe Lied von Eingangsprüfungen, Privathochschulen und Deregulierung. Von notwendigen inhaltlichen Neuorientierungen auf den ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft auch in Forschung und Lehre ist in ihrem Papier nicht die Rede.In Fragen der Ausbildungsförderung ist die Mehrheit schließlich nicht bereit, über das BAföG hinauszudenken, obwohl wir seit Jahren eine Diskussion über die Notwendigkeit neuer Fördersysteme haben und gerade das Zusammenwachsen der beiden deutschen Bildungssysteme die Frage nach elternunabhängiger Förderung für bestimmte Ausbildungszeiten mit großer Eindringlichkeit wieder aufgeworfen hat.
— Graf Waldburg, wir haben die Diskussion ja nicht nur im Zusammenhang mit einem in Auftrag gegebenen Gutachten geführt, sondern wir haben sie auch schon lange vorher in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages geführt.Anders als die Koalition machen SPD und GRÜNE im Abschlußbericht auch Vorschläge für die institutionelle Umsetzung einer veränderten Bildungspolitik des Bundes. Angesichts der Prozesse der deutschdeutschen Einigung und der europäischen Integration wollen wir die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung stärker als Drehscheibe für die Vorbereitung aller bildungspolitischen Entscheidungen nutzen, bei denen Bund und Länder zusammenwirken. Dort sollten künftig auch die Weiterbildung und die schulische Berufsausbildung in Teilzeit- und Vollzeitschulen verstärkt bearbeitet werden.Die qualitativen und quantitativen Probleme der nächsten Jahre machen eine Wiederaufnahme der Bildungsplanung unter parlamentarischer Mitwirkung und Kontrolle erforderlich. Schwierige Zeiten, Graf Waldburg, meistert man nicht, indem man auf Planung völlig verzichtet; das wird Ihnen jedes Unternehmen und jeder Unternehmer bestätigen. Ich habe gehört, daß es inzwischen in Unternehmen sogar so etwas wie Personalentwicklungsplanung über einen Zeitraum von mehreren Jahren geben soll. Dies nur an die Adresse der Parteien, die glauben, man werde ohne Planung auskommen, und die auf Planung überhaupt verzichten wollen.
Ein künftiger Bildungsgesamtplan sollte allerdings jährlich fortgeschrieben werden und einen höheren Grad an Verbindlichkeit erhalten.Schließlich sollte es einen von Regierungen wie Parlamenten wirklich unabhängigen Bildungsrat geben, der, vom Bundespräsidenten berufen, über mittel- und langfristige Perspektiven im Bildungsbereich nachdenkt und dazu Vorschläge macht.Meine Damen und Herren, der 11. Deutsche Bundestag wird sich mit unserem Abschlußbericht und den darin enthaltenen Empfehlungen nicht mehr ausführlich beschäftigen können. Ich möchte deshalb ausdrücklich zu Protokoll geben, daß die EnqueteKommission erwartet, daß ihr Bericht vom nächsten Bundestag erneut auf die Tagesordnung gesetzt und in den Ausschüssen eingehend beraten wird. Dann wird auch Gelegenheit sein, die Erfahrungen und die Zukunftsvorstellungen der Abgeordneten aus den neuen Ländern in die Entscheidungen des Deutschen Bundestages zum Bericht der Enquete-Kommission mit einzubeziehen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen Endbericht mit einem Anhangband von über 1 000 Seiten, dazu einen Zwischenbericht und die zugrunde liegenden Anhörungen, Expertengespräche und Gutachten in sieben Minuten behandeln zu müssen, läßt fast resignieren.Dennoch zunächst eine kritische Würdigung der Arbeit.Erstens. Wir haben uns zuviel vorgenommen. Trotz verfassungsgemäßer Einschränkung auf die Bildungspolitik des Bundes und trotz fleißiger Arbeit in 50 Sitzungen reichte die Zeit im Grunde nur zur Bestandsaufnahme. Es blieb jedoch zuwenig Zeit zur Diskussion und Aufarbeitung.
Vielleicht kam das aber dem Bericht insofern zugute, als sowohl Zwischen- wie auch Endbericht eine Fundgrube für am Bildungswesen Interessierte dar-
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Graf von Waldburg-Zeilstellen. Dennoch die Empfehlung für zukünftige Enquete-Kommissionen, den Untersuchungsgegenstand strikter einzugrenzen.Zweitens. Bei der Suche nach dem Übermorgen sind das Heute und das Morgen zu kurz gekommen. D i e bildungspolitische Aufgabe hat am 3. Oktober 1990 begonnen und liegt nun in den fünf beigetretenen Bundesländern. Es wäre unseriös gewesen, hätte die Kommission zur gesamtdeutschen Bildungspolitik Aussagen mit Zehnjahresausblick treffen wollen. Ähnliches gilt auch für die nach Osten zu erweiternde europäische Perspektive.
Sodann einige Schwerpunkte aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:Erstens. Schon bei der Debatte des Zwischenberichts konnte ich auf gesunkene Prognosesicherheit, aber auch auf gewollte bildungspolitische Enthaltsamkeit bei der Steuerung von Zukünften hinweisen. Die Ereignisse im Osten verstärken die Einsicht noch, daß planende Einengung zentraler Freiheitsräume menschlicher Entscheidungen in der Wirtschaft so wenig wie in der Bildung taugt. Wir brauchen mehr Bildungsmarktwirtschaft und nicht Bildungsplanwirtschaft.Zweitens. Beim Schwerpunkt berufliche Erstausbildung und Erwerbsarbeit stand, jedenfalls was die Anhörungen anbelangt, das solide Fundament im Vordergrund, auf dem zur Bewältigung künftiger Aufgaben weitergebaut werden kann. Von Bildungskatastrophenstimmung keine Spur.Drittens. Über die Akzentverschiebung von der Erst- auf die Weiterbildung bestand Konsens. Notwendig sind mehr Allgemeinbildung und mehr Schlüsselqualifikationen für die Erstausbildung, mehr Gliederung — Baukastensystem — und lebensbegleitende Weiterbildung zur Aufrechterhaltung und Vervollkommnung beruflichen Wissens.Beim Thema Mehrheits- und Minderheitsgutachten wird eines deutlich: In der Sache waren wir gar nicht so weit auseinander. Die Unterschiede liegen vielmehr im gedanklichen Grundansatz: mehr staatlicher Regelungsbedarf von der Oppositionsseite, Weiterentwicklung bestehender Ansätze mit geringstmöglicher Staatseinmischung von Koalitionsseite her gesehen.
Viertens. Die Bedeutung der neuen Medien für individualisiertes und offenes Lernen ist vor allem in der Weiterbildung erkannt worden.Fünftens. Im Hochschulwesen standen die Studienzeitverkürzung, die wachsende Bedeutung der Fachhochschulen und die Notwendigkeit verwertbarer Zwischenabschnitte im Vordergrund.Sechstens. Erreichte Erfolge bei der Gleichstellung der Frau bei der Wahrnehmung von Bildungsangeboten müssen im Ergebnis der beruflichen Stellung ergänzt werden. Dabei spielt die Anpassung von Bildungslebensläufen an Lebensentwürfe von Frauen eine bedeutsame und wichtige Rolle.Siebtens. Die Notwendigkeit von Wertvermittlung neben der Wissensvermittlung wurde vor allem bei der Diskussion der Umweltbildung und auch von der Verantwortungserziehung her deutlich.Achtens. Gestiegene Qualifikationsanforderungen und Bildungsmöglichkeiten erhöhen leider auch die Zahl derer, die nicht mithalten können. Besondere Hilfen für diese Gruppen ziehen sich durch den gesamten Bericht.Neuntens. Zur Bildung in Europa wurde auf Schwierigkeiten hingewiesen, die überwunden werden müssen, wenn der Bildungsförderalismus durchgehalten werden soll.Schließlich danke ich den Kommissionsmitgliedern, den Gutachtern, den Gesprächspartnern, dem Sekretariat und der Bundestagsdruckerei, die sich riesige Mühen gegeben hat. Vor allem aber danke ich dem Vorsitzenden, Herrn Eckart Kuhlwein, der die Arbeit dieser Kommission in der ganzen Zeit beharrlich und sicher geleitet hat.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fülle der Informationen und Erkenntnisse, die wir aus Anhörungen, Informationsbesuchen und Gutachten gewinnen konnten, schlägt sich nur zu einem Bruchteil in den jetzt von Mehrheit und Minderheit formulierten Empfehlungen nieder. Viele inhaltliche Debatten — darauf wurde schon hingewiesen — konnten nicht zu Ende gebracht werden, denn zu kleinmütig waren die zeitraubenden Verfahrensstreitereien, besonders angesichts des umfangreichen Auftrags, den wir dieser Enquete-Kommission vor fast drei Jahren gegeben haben. Auch mir kommt angesichts unserer dennoch geleisteten Arbeit die äußerst knapp bemessene Debattenzeit und erst recht meine fünfminütige Redezeit, die dieses Hohe Haus hierfür bereitgestellt hat, ziemlich absurd vor.
Meine Schlußfolgerungen aus diesen Erfahrungen sind:Erstens. Meine dringende Bitte oder eher Aufforderung an den künftigen Bundestag, aber auch an die Landtage und selbst an die kommunalen Parlamente sowie an Parteien und in der Bildungspolitik engagierte Gruppen und Menschen ist: Diskutiert die Empfehlungen, setzt sie in Gesetzesnovellen und -entwürfe, in Förderprogramme und Modellversuchsreihen um.
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Frau HillerichZweitens. Die Bildungspolitik benötigt institutionalisierte begleitende, aber unabhängige Beratung, also keinen ministeriellen Elferrat, und sie benötigt Bildungsplanung, lieber Graf Waldburg, im Rahmen gesamtstaatlicher Verantwortung.
Deshalb empfehlen wir zusammen mit der SPD einen politisch unabhängigen Bildungsrat, erst recht im Hinblick auf die Bildungspolitik in der um fünf neue Länder gewachsenen Bundesrepublik Deutschland.
Dieser Bildungsrat sollte unserer Meinung nach auch Planungsempfehlungen für die Bildungspolitik in Bund und Ländern und für die Bund-Länder-Kommission erarbeiten.Die Mitwirkung der GRÜNEN und des von uns berufenen Sachverstands hat sich besonders deutlich in den Arbeitsschwerpunkten „berufliche Erstausbildung" und „Frauen in Bildung und Arbeit" niedergeschlagen. Hier sind wir größtenteils gemeinsam mit der SPD zu wichtigen Ergebnissen gekommen. Wir haben festgestellt, daß das duale System der Berufsausbildung nur dann eine Zukunftsberechtigung hat, wenn es in dreierlei Hinsicht verbessert wird und politische, staatlich bereitzustellende Unterstützung und Garantien erfährt: erstens im Hinblick auf die soziale Sicherheit durch ein einklagbares Recht auf berufliche Ausbildung,
dessen Einlösung sich auch auf die zweite Schwelle, also auf berufliche Erstbeschäftigung, erstrecken muß, wenn der Gesellschaft und den Menschen Erwerbsarbeitslosigkeit und Qualifikationsverlust erspart bleiben sollen. Gerade weil die Zukunft der Arbeit in unserer Gesellschaft mehr denn je auf umfassende Qualifikation und Lernfähigkeit angewiesen ist, ist die politische neben der individuellen Verantwortung zur Ausweitung der Bildungsbeteiligung enorm gestiegen.Zweitens bedarf es einer Steigerung der Bildungsqualität beruflicher Ausbildung, wozu wir nicht nur enorme Verbesserungen und höhere verbindliche Standards in der fachlichen und pädagogischen Qualifikation und Weiterbildung der Ausbilderinnen und Ausbilder benötigen, sondern auch einen eigenständigen Bildungsauftrag der Berufsschule und — jedenfalls nach Meinung der GRÜNEN — eine Steigerung ihres Zeitanteils auf die Hälfte der Ausbildungsdauer.Drittens brauchen wir Demokratisierung und Erweiterung öffentlicher Verantwortung und Mitbestimmung der Beteiligten in der Arbeit der Berufsbildungsausschüsse, bei überbetrieblichen Ausbildungsstätten und bei der regionalen Koordination und Planung der Berufsbildung. Das ist etwas anderes, lieber Graf Waldburg, als die falsche Alternative „mehr Markt oder mehr Staat" .Wir haben, unterstützt durch ein umfängliches Gutachten zum Thema „Frauen und Bildung", ein weiteres Strukturproblem in der Berufsausbildung behandelt. Der größere Anteil junger Frauen wird nicht im dualen System, sondern in Schulberufen nach Landesrecht ausgebildet, insbesondere im sozialpflegerischen Bereich. Diese Ausbildungen, für die häufig sogar noch Schulgeld gezahlt werden muß, münden wegen ihrer starken Spezialisierung immer noch in berufliche Sackgassen ohne Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, obwohl es sich z. B. bei den nichtärztlichen Heilberufen oder beim Beruf der Erzieherin um anspruchsvolle und qualifizierte Arbeit handelt.Der schon eingetretene Pflegenotstand, aber auch der steigende gesellschaftliche Bedarf an professioneller Kinderbetreuung, von dem allenthalben die Rede ist, wird nur dann qualifiziert und ausreichend zu bewältigen sein, wenn neben der Beschäftigung auch die Ausbildungsqualität in diesen Bereichen erheblich aufgewertet wird. Hierfür schlagen wir die bundesweite Vereinheitlichung und Neuordnung schulischer Berufsausbildungen entsprechend den neuen Standards der Ausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz vor.Im Unterschied zum Kommissionsmehrheit haben wir uns sehr gründlich mit der Frage beschäftigt, welchen Beitrag die Berufsbildung zur ökologischen Umgestaltung unserer Wirtschaft und der Erwerbsarbeit leisten muß. Grundsätzlich benötigen wir ein neues Leitbild von ökologisch verträglicher Berufsarbeit, in dem der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu einem elementaren Maßstab beruflichen Arbeitshandelns werden muß.
Hierfür reichen die bisherigen, größtenteils nur proklamierten oder auf technischen Umwelt- und Arbeitsschutz verkürzten umweltbezogenen Qualifikationsanforderungen nicht aus. Berufliche Umweltbildung muß vielmehr umfassende ökologische Fach- und Handlungskompetenz vermitteln, und sie muß als konkreter Beitrag zur umweltgerechten Umgestaltung des beruflichen Ausbildungs- und Arbeitsalltags angelegt sein. Unsere Empfehlungen zur ökologischen Erneuerung der Berufsbildung reichen von der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes und der Ausbildungsordnungen, auch der neuen, über die Entwicklung ökologischer Berufsbilder für den Vollzug geltender und künftiger Umweltschutzgesetze bis zu einem ökologisch begründeten Arbeitsverweigerungsrecht, um die Chancen der betrieblichen Umsetzung von ökologischer Fach- und Handlungskompetenz zu verbessern.Wohl weniger durch unsere Empfehlungen als durch Engagement vor Ort, in Gewerkschaften, in Jugend- und Auszubildendenvertretungen, in Umweltverbänden und -initiativen wünsche ich mir schließlich, daß die ökologische Bewegung in den Betrieben Fuß faßt. Von dort wird die wirksamste Unterstützung auch für eine ökologische Erneuerung der Berufsbildung ausgehen müssen.
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Frau HillerichIch danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Kürze, sagt man, liege die Würze. Aber von ihr allein kann man nicht leben. In den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, die, wie schon gesagt, fast dreijährige Arbeit und den thematisch sehr weit gespannten Bericht der Enquete zu bewerten, erscheint mir so wenig seriös wie nahrhaft. Wer also satt werden will, muß schon selbst lesen, vergleichen, den Argumenten nachgehen, sie hinterfragen. Über Geschmack läßt sich zwar nicht, über die Mehrheits- und Minderheitsvoten und -empfehlungen, wie wir hörten, aber trefflich streiten.
Die bildungspolitischen Ziele meiner Partei, eine offene Bildungsgesellschaft, die mit dem Begriff des Bürgerrechts auf Bildung die Entwicklung des einzelnen in den Vordergrund stellt, in der bestmöglichen Förderung individueller Fähigkeiten und Begabungen, Ausgleich von Benachteiligungen, hohe Qualifikation der Bürgerinnen und Bürger, Vielfalt und Durchlässigkeit der Bildungsmöglichkeiten und ständige Weiterbildung wesentliche Voraussetzungen für Freiheit und Selbstbestimmung ebenso wie für die kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens sind, sehe ich durch den Bericht bestätigt, und zwar nicht nur, was auf der Hand liegt, in den Beiträgen der Koalitionsseite oder in den ausdrücklichen Konsensbereichen oder in den Ergebnissen der Anhörungen, Expertengespräche und Gutachten. Es gibt auch manchen immanenten Konsens, trotz divergierender Akzentuierungen, die auch hier zur Sprache gekommen sind, trotz — allerdings wichtiger — Auseinandersetzungen darüber, ob ein bewährtes System, etwa das der dualen Berufsausbildung, weiterzuentwickeln und auch zu verbessern sei oder ob radikal andere Wege eingeschlagen werden sollen, die aber, so befürchten wir, in ein für die Betroffenen unwohnlicheres Gelände führen könnten.
Wenn ich einen Aspekt des Themas Weiterbildung jetzt exemplarisch, notgedrungen pars pro toto, anspreche, verkenne ich auch nicht, daß sich Ihre Seite mit auch von mir aufgeworfenen Fragen, etwa zum Spannungsverhältnis „Vielfalt, Offenheit, Gestaltungsfreiheit hier, öffentliche Verantwortung dort" beschäftigt hat; so in Ihrem Votum zu den Grundherausforderungen, wo Verständnis für das Mißtrauen gegenüber Verstaatlichung geäußert wird, oder in der Versicherung, daß öffentliche Verantwortung nicht Verstaatlichung bedeute.
Trotzdem stimmt mich mancher Kontext nachdenklich, wenn es etwa heißt, ein qualitatives Angebot sei gegeben, stünden die Dauer der Veranstaltung, die Gestaltung des Lehrplans, die Unterrichtsmethode, Ausbildung und Berufserfahrung der Lehrkräfte und sächliche Ausstattung der Einrichtung in einem angemessenen Verhältnis. Gut gesagt, aber was bedeutet das genau, exakt, präzise? Wer bestimmt das? Wie steht es um die Eigenverantwortung für neue Ideen, Methodik, Gestaltung und wie um das diffizile Verhältnis zwischen Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit, zwischen Gleichheit und Vergleichbarkeit in diesem pädagogischen Sinne? Der Teufel wohnt bekanntlich im Detail, und oft folgt der guten Absicht die Bürokratie auf dem Fuße.
Bedeutet nicht öffentliche Verantwortung auch Schutz der Freiheit von Angebot und Lehre, Kooperation mit Wirtschaft und Gewerkschaften, Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen staatlichen, kommunalen und freien Trägern, Abbau von Zugangsbarrieren für benachteiligte Gruppen durch bedarfsgerechte Förderung usw.? Denn wenn es stimmt, daß die Bedeutung des formalen Eintritts in das Berufsleben zurückgeht und sich die Notwendigkeit eines Umdenkens in der üblichen Verteilung der Bildungszeiten im gesamten Lebenszyklus abzeichnet, und wenn wir zudem an die Herausforderungen denken, die durch die Entwicklungen in Deutschland und im europäischen Einigungsprozeß entstehen, dann erhalten solche Fragen — ich betone: Fragen — über das traditionelle Verständnis von Weiterbildung hinaus in der Rückwirkung auch für die Bereiche der beruflichen Erstausbildung und der Hochschulen ein besonderes Gewicht, und es wäre fatal, wenn die Weichen in Richtung Bürokratisierung und übermäßige Verrechtlichung statt in die von Kreativität und Innovation gestellt würden.
Meine Damen und Herren, vielleicht zeigt dieses exemplarische Beispiel — mehr war nicht möglich —, daß sich die Diskussion lohnen wird. An ihr werde ich hier nicht mehr teilnehmen. Aber ich wünsche, daß es so kommen möge, wie von den verschiedenen Sprechern gesagt wird, daß dieser Bericht über den heutigen Tag hinaus nicht nur in diesem Hause diskutiert wird, diene es nur der Schärfung des eigenen Standpunktes, der sich auch manchmal — Zeit bringt Rat, manchmal guten Rat — ändern kann. Ich wünsche denen, die sich an der Diskussion hier im Hause zukünftig beteiligen werden, alles Gute, und natürlich bedanke ich mich bei jedem, der in der Enquete mitgearbeitet hat, bei dem Vorsitzenden, aber auch bei allen anderen. Mich hat diese wirklich angenehme, wenn auch manchmal etwas nervende Arbeit letzten Endes dann doch, auch vor dem Hintergrund unseres friedlichen Auseinandergehens gestern abend, sehr gefreut. Dafür bedanke ich mich.
Herr Kollege Neuhausen, dann muß ich Sie wohl auch von hier oben verabschieden.
— Dann sage ich das später.
Frau Stolfa ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muß auch ich mein Befremden darüber ausdrücken, daß für etwas so Wichtiges wie perspektivische Bildungspolitik insgesamt sage und schreibe 30 Minuten Zeit für die Debatte eingeräumt wurden. Befremden auch des-
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Frau Stolfahalb, weil ein so schwerwiegendes Problem wie die Herstellung der Einheit auch im Bildungswesen vor uns steht. Zu Tagesordungspunkt 19 können wir gar nicht Stellung nehmen, denn wir haben zu den beiden letzten Tagesordnungspunkten nur drei Minuten Redezeit.Zunächst äußere ich meinen Respekt vor der Arbeit der Enquete-Kommission; denn immerhin gelang es, in einigen wesentlichen Punkten Konsens zu erreichen. Ich finde jedoch, daß einige in Minderheitsvoten enthaltene wirklich konstruktive Vorschläge auch der Regierungsmehrheit gut zu Gesicht gestanden hätten.Bedauerlich ist, daß der Ansatz für den Prozeß der Einigung im Bildungswesen in einer ursprünglich geplanten Problemanalyse nicht mehr zustande kam. Deshalb vertreten wir die Auffassung, daß der Schlußbericht der Kommission als Ausgangspunkt für eine breite öffentliche Diskussion in allen Bundesländern betrachtet werden muß;
geht es doch um demokratische Mitsprache und Mitentscheidung in einer im wirklichen Sinn öffentlichen Angelegenheit, die ausnahmslos alle angeht: die Perspektive von Bildung und Schule. Der Bericht sollte im Zusammenhang mit dem Positionspapier des Zentralen Runden Tisches vom 5. März 1990 zu Bildung, Erziehung und Jugend gesehen werden. Das könnte helfen, in den neuen Bundesländern große Irritationen, die es besonders bei Lehrern gibt, zu beseitigen.Da hier auch die Dissenspunkte mit den entsprechenden unterschiedlichen Lösungsansätzen angeführt worden sind, können sich Lehrende, Auszubildende, Eltern und Forschende in der ehemaligen DDR in den Meinungsstreit um die modernere, bessere Variante einbringen.Ich sage das deshalb, weil bereits jetzt in einigen der neuen Bundesländer administrativ darangegangen wird, ihnen kritiklos ein im europäischen Maßstab überholtes dreigliedriges Schulsystem überzustülpen. Formal angeblich Bewährtes wird übernommen, bzw. es erfolgt eine bloße Anpassung.
Wenn wir schon über Bildungsperspektiven reden, sollte man sich doch auch in den neuen Ländern moderne Konzepte erstreiten dürfen.
Aus Zeitgründen kann ich nur die wichtigsten Positionen künftiger Bildungspolitik, für die sich die PDS einsetzt, nennen.Erstens. Wir treten ein für verfassungsmäßige Verankerung des Rechts auf Bildung als eines grundlegenden Menschenrechts — und das für ein Leben lang.
— Ach, unterlassen Sie doch endlich einmal diese Wendungen! Die sind doch abgegriffen!
Zweitens. Wir fordern Chancengleicheit in Bildung und Ausbildung, unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, nationaler Herkunft, politischer, kultureller und religiöser Identität und sozialen Verhältnissen.Chancengleichheit erfordert ein Schulsystem, das nicht frühzeitig selektiert, sondern integriert. Die beste Voraussetzung dafür ist die Gesamtschule.Zur Chancengleichheit gehört auch, daß eine Ausgrenzung von Lehrern aus politischen Gründen nicht stattfinden darf.
— Ich habe es nicht gemacht. Verwechseln Sie mich doch nicht mit Margot Honecker!Drittens. Die Reformierung des Bildungswesens muß zwingend mit einer weiteren Demokratisierung verbunden sein, und das nicht nur in den neuen Bundesländern.Viertens. Mit Blick auf notwendige Transparenz, demokratische Mitbestimmung und gesellschaftliche Kontrolle unterstützt die PDS nachdrücklich den Vorschlag einen regierungsunabhängigen Bildungsrat zu bilden, in dem Praktiker und Wissenschaftler zusammenwirken, um Empfehlungen an die Regierenden zu erarbeiten oder um Kritik zu üben. Dieser Bericht kann, wenn er in die Öffentlichkeit kommt, das für ein modernes, perspektivisches Bildungskonzept notwendige Reformbewußtsein nur fördern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen!
— Sie merken das doch an meinen Reden.
Ich habe nicht ganz solchen Respekt wie meine Vorrednerin vor der Arbeit dieser Kommission, weil der Bericht, wie von Mitgliedern der Kommission hier schon ausgeführt, im wesentlichen einen Analyseteil darstellt, also eine gehobene Fleißarbeit, aber nicht die Perspektiven aufzeigt, die notwendig sind. Die politisch-praktische Folgenlosigkeit dieses Berichts ist weitestgehend determiniert. Daran ändern auch die beschwörenden Formeln der Kollegin Hillerich und anderer nichts.Die Bildungspolitiker der Bundesregierung und auch die der sogenannten sozialdemokratischen Op-
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Wüppesahlposition sind zu der Leistung zu beglückwünschen, 1987 die Einsetzung einer Enquete-Kommission zu planen, die im September 1989 einen gerade 200 Seiten starken Bericht herausbringt, der dann ein Jahr später, im Oktober 1990, im Bundestag behandelt wird. Eine reife Leistung in Windeseile!Vielleicht sollte einmal jemand im Hause Möllemann anrufen und dem Herrn Minister mitteilen, daß sich die Einheit Deutschlands vor fast einem Jahr abzeichnete, seit einem halben Jahr konkrete Gestalt annahm und seit gut drei Wochen Wirklichkeit ist. Dies könnte ja der Arbeitsminister übernehmen, der für eine solche Verschlafenheit unlängst den richtigen Begriff vom historischen Penner prägte.Da werden drei Staatsverträge in sechs Monaten für die Gesamtordnung einer neuen Gesellschaft geschlossen, aber man ist nicht in der Lage, einen Bildungsbericht oder einen Bericht der Enquete-Kommission vorzulegen, der ein vergleichbares Niveau hat.
Dieser Vorgang zeigt symptomatisch, welchen Stellenwert die Bundesregierung und der Bundestag — denken Sie nur an die 30 Minuten, innerhalb deren wir dieses Thema heute behandeln — der Bildungspolitik zumessen, nämlich fast gar keinen. Im Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist fast nichts von neuer Bildungspolitik unter dem Aspekt der deutschen Einheit zu spüren.
Das in Lehrer- und Schülerkreisen geflügelte Wort, man lerne nicht für die Schule, sondern für die Zukunft, Scheit sich noch nicht auf jedem Truppenübungsplatz, auf dem Minister Möllemann verkehrt, herumgesprochen zu haben.Selbst die Beschlußempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, eines Gremiums also, das doch in der Lage sein sollte, auf die aktuellen Erfordernisse angemessen zu reagieren, sind Papiere aus der Gegend rechts hinter dem Mond. Dies gibt der Ausschuß auch noch zu. Zitat: „Die Enquete-Kommission beschränkt ihre Arbeit auf die im Grundgesetz verankerte Zuständigkeit des Bundes. " Damit ist natürlich auch eine territoriale und nicht nur eine institutionelle Zuständigkeit gewünscht.Was diese Beschlußempfehlung dann auch noch inhaltlich vermittelt, ist eine Mischung aus wohlmeinenden Plattheiten wie „Jeder Beruf und jede berufliche Tätigkeit sind umweltrelevant"
— Herr Neuhausen, vielleicht ist es ganz gut, daß einmal ein Kollege, der nicht aus der Kommission heraus befangen diesen Bericht bewertet, sondern von außen einen Blick darauf geworfen hat, Ihnen ein paar Dinge mit auf den Weg gibt —
und den in der Bundesrepublik seit Jahren üblichen leeren Forderungen wie „Dringend erforderlich ist es, die Ausbildungsmittel in allen Bildungsbereichen rasch weiterzuentwickeln".Meinen Glückwunsch zu dieser Einsicht! Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, die EnqueteKommission „Bildung 2000" und nicht zuletzt die Bundesregierung haben im Bereich der Bildungspolitik schlampige, fahrlässige Arbeit geleistet, die nun die jungen Menschen in der Bundesrepublik auszubaden haben. Wo ist in der Beschlußvorlage auch nur ein Wort darüber zu lesen, daß die deutsche Einheit auch bildungspolitische Konsequenzen hat? Wo ist etwas darüber zu lesen, daß die Berufsbildung in der ehemaligen DDR der dringenden Modernisierung bedarf, wenn man heute nicht schon wieder die bildungspolitische Teilung der gerade staatlich vereinten Nation herstellen will?Sicherlich, die Bildungspolitik fällt in die Kompetenz der Länder, aber die Bundesregierung, die doch sonst bemüht ist, alles zu zentralisieren — —
Herr Abgeordneter Wüppesahl, ich unterbreche Sie. Für heute ist es nun genug.
Das denke ich nicht. Ich weiß, wie konziliant Sie bei anderen Rednern verfahren sind, Herr Westpahl. Ich finde es nicht fair, daß Sie im letzten Satz meiner Rede so hart intervenieren.
Aber Sie sind derjenige, der genausoviel gesprochen hat wie eine ganze Gruppe in diesem Hause. Wir sind großzügig gewesen. Das ist gegenüber all den anderen Kollegen längst nicht mehr zu verantworten.
Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Herr Dr. Lammert, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den sympathischen Kuriositäten des Parlamentarismus, daß der Deutsche Bundestag zu Beginn der Behandlung dieses Tagesordnungspunkts übereinstimmend der Vereinbarung einer Redezeit zustimmt, die anschließend von sämtlichen Rednern aus allen Fraktionen als völlig unzulänglich zurückgewiesen wird. Daß sich dabei dieser Bundestag an Liberalismus von niemandem übertreffen läßt, geht schließlich hinreichend daraus hervor, daß in einer nicht ausreichenden Redezeit auch noch Kolleginnen und Kollegen das Wort erhalten, die an der Arbeit dieser Kommission überhaupt nicht beteiligt waren.
Ich halte es in der Tat für eines der ehrgeizigsten und kühnsten Unterfangen des Deutschen Bundestags in dieser nun zu Ende gehenden Legislaturperiode, die Perspektiven der zukünftigen Bildungs-
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Parl. Staatssekretär Dr. Lammertpolitik in einer gerade halbstündigen Debatte aufarbeiten zu wollen.
Der Versuch, die Position der Bundesregierung dazu in weniger als fünf Minuten vorzutragen, wäre geradezu tollkühn und aussichtslos. Deswegen werde ich ihn auch gar nicht unternehmen.
Ich beschränke mich vielmehr auf fünf Bemerkungen.Erstens. Einsetzung und Arbeit der Enquete-Kommission sind, wie ich denke, Ausdruck eines wieder gestiegenen öffentlichen Bewußtseins von der zentralen gesellschaftlichen Bedeutung von Bildung und Wissenschaft. Ich denke, Herr Kollege Kuhlwein, sowohl das Parlament als auch die Bundesregierung sollten das bei dieser Gelegenheit ausdrücklich begrüßen.Zweitens. Der Versuch einer umfassenden Bestandsanalyse und Bildungsplanung für das Jahr 2000 und darüber hinaus ist bei gleichzeitiger Begrenzung der Perspektiven auf die jeweiligen Zuständigkeiten von Bund bzw. Ländern überzeugend nicht möglich. Das haben, wie ich denke, die Arbeit der Kommission und ihr Ergebnis deutlich gezeigt. Die aktuelle Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern darf einer solchen Perspektive nicht im Wege stehen. Vielmehr ist sie selbst ein notwendiger Bestandteil dieser Analyse.Drittens. Der Schlußbericht der Enquete-Kommission und insbesondere der Anhang-Band mit den in Auftrag gegebenen Gutachten und der Auswertung von Anhörungen stellen gewiß eine wertvolle Materialsammlung der künftigen Bildungspolitik dar.
Eine verläßliche Leitlinie sind sie allerdings schon deswegen nicht, weil übereinstimmende Handlungsempfehlungen der Kommission nur in wenigen Ausnahmefällen verabschiedet werden konnten, in der Regel dagegen Mehrheits- und Minderheitsvoten.Viertens. Die gemeinsamen Empfehlungen im Kapitel „Bildung in Europa" bestätigen dankenswerterweise weitgehend die Positionen der Bundesregierung in diesem Aufgabenfeld, wie sie etwa zuletzt in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion vom November vergangenen Jahres deutlich gemacht wurden. Im Bereich der Hochschulpolitik darf die Bundesregierung für sich in Anspruch nehmen, vielen Empfehlungen, die im Mehrheits- oder im Minderheitsvotum ausgesprochen werden, durch konkrete Initiativen bereits vorausgeeilt zu sein.Fünftens. Dieser Abschlußbericht bedarf zweifellos einer ausführlichen und möglichst unvoreingenommenen Diskussion, die in der nächsten Legislaturperiode zu führen ist und die die doppelte Herausforderung der deutschen Einheit und des europäischen Binnenmarktes mit ihren Folgen für die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems berücksichtigen muß.
Was man alles so in fünf Minuten unterbringen kann — und Sie haben sie noch nicht einmal gebraucht, Herr Lammert — , finde ich prima.Meine Damen und Herren, auch hier ist ein Grund gegeben, den Mitarbeitern dieser Enquete-Kommission, insbesondere denjenigen, die nicht selbst im Bundestag vertreten sind, und denjenigen, die uns büromäßig geholfen haben, von hier oben aus zu danken.Dieser Bericht geht nun — das werden wir gleich entscheiden — in die Ausschüsse, leider nicht in kontinuierlicher Arbeit. Wir haben gehört, was wir unseren Nachfolgern an Aufgaben mit auf den Weg geben wollen.Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Schlußbericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" auf Drucksache 11/7820 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich lasse jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/7381 abstimmen. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen; einige Kollegen haben nicht mit abgestimmt.Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBerufsbildungsbericht 1989zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBerufsbildungsbericht 1990— Drucksachen 11/4442, 11/6787, 11/7904 —Berichterstatter: Abgeordnete Nelle RixeNeuhausenFrau Hillerichb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNENEinrichtung eines 8. Förderungsschwerpunktes „Mädchen und Frauen" für Modellversuche der Bund-Länder-Kommission für Bil-
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18488 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Vizepräsident Westphaldungsplanung und Forschungsförderung
— Drucksachen 11/5713, 11/7918 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Schmidt RixeFrau HillerichIm Ältestenrat sind auch für diese Beratungen 30 Minuten veranschlagt worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; ich kann ihn empfinden, aber wir haben ihn nicht. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Oswald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berufsbildungsbericht 1990 liefert nach 20jähriger Gültigkeit des Berufsbildungsgesetzes eine beachtliche Bilanz über den Zustand der beruflichen Bildung in unserem Land. Man kann der Bundesregierung in ihrem Urteil nur zustimmen, daß die Leistungen des dualen Systems der Berufsausbildung und der im wesentlichen auf Eigeninitiative beruhenden beruflichen Weiterbildung zu den eindrucksvollen Beispielen positiver wirtschaftlicher Entwicklung in der 40jährigen Geschichte unseres Landes gehören.Der Lehrstellenmangel, Anfang der 80er Jahre das bildungspolitische Problem Nummer eins, gehört für die 90er Jahre endgültig der Vergangenheit an. Bereits 1989 war die Lehrstellensituation besser als je zuvor. Das Lehrstellenangebot überstieg die Nachfrage bundesweit um 11 %. Das heißt, von rund 668 000 angebotenen Ausbildungsplätzen blieb jeder achte unbesetzt.Ich will jetzt nicht auf die Fülle der Ursachen eingehen. Es bleibt eine Feststellung: Immer weniger junge Erwachsene stehen dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung. Die größten Nachwuchsprobleme zeigen sich heute im gewerblichen Mittelstand, im Bereich des Handwerks, der Bauwirtschaft, des Gaststättengewerbes und des Handels. Es zeigt sich vor allen Dingen im süddeutschen Raum ein dramatischer Lehrstellen- und Fachkräftemangel in diesem Bereich.Zugespitzt stellt sich damit für die 90er Jahre die besorgte Frage: Droht womöglich dem dualen System, das seine Bewährungsprobe gerade im letzten Jahrzehnt mit Auszeichnung bestanden hat und um dessen Effizienz wir von der ganzen Welt beneidet werden, jetzt die innere Auszehrung?Ich möchte jetzt kurz auf die Situation der beruflichen Bildung in den neuen Bundesländern zu sprechen kommen, wo bekanntlich seit dem 1. September unser Berufsbildungsgesetz gilt. Dort verfügt man zwar nach Erhebungen des Bundesinstituts für Berufsbildung über ein gut ausgebautes Berufsbildungssystem, das aber den Anforderungen einer modernen Wirtschaft nicht gewachsen ist. So ist die Ausbildung in kaufmännischen Berufen und im Dienstleistungsbereich bisher vollkommen vernachlässigt worden.Bei der Neugestaltung der beruflichen Bildung auf dem Gebiet der neuen Bundesländer stehen wir vor einer doppelten Aufgabe: Zum einen müssen kurzfristig ausreichend viele neue Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, und zum anderen müssen gleichzeitig alle Anstrengungen auf das Ziel gerichtet werden, das Ausbildungsniveau anzuheben und die Berufsausbildung entsprechend zu modernisieren.Mitten in einer Phase des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs muß das ganze System der beruflichen Bildung in den neuen Bundesländern auf den Ordnungsrahmen der Bundesrepublik umgestellt werden. Ich nenne nur einige wichtige Stichworte: Berufsbildungsgesetz, Handwerksordnung, Berufsschulgesetz , Ausbildungsordnungen, Rahmenlehrpläne — dabei wird schon sichtbar, welche Punkte letzten Endes auf uns zukommen —, Konsolidierung der Berufsschulen, Ausbildung der Ausbilder, Umstellung der Ausbildungsdauer — und dies alles natürlich in einer nicht ganz einfachen wirtschaftlichen Situation.Angesichts dieser Probleme möchte ich ausdrücklich die Bereitschaft der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Bundesregierung zu einer konzertierten Aktion beruflicher Bildung unterstützen. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl ist ausdrücklich dafür zu danken, daß er zu einem denkbar frühen Zeitpunkt durch die Lehrstellenaktion in Halle eine Initiative zur Schaffung von Ausbildungsplätzen gestartet hat. Die Bundesregierung hat mit ihrem Versorgungsprogramm für 30 000 Lehrlinge im Umfang von 312 Millionen DM einen finanziellen Startschuß gegeben und dadurch positive Signale gesetzt.Ich hoffe sehr, daß wir bei der Debatte des nächsten Berufsbildungsberichts Gelegenheit haben, auch für die neuen Länder auf der Basis einer guten Versorgungslage mit Ausbildungsplätzen über die Weiterentwicklung des dualen Systems nachzudenken.Noch einige grundsätzliche Punkte — auch im Anschluß an die vorherige Debatte zur beruflichen Bildung: Das duale System der Berufsausbildung stellt auf absehbare Zeit die bedeutendste und eine gesellschaftlich weithin anerkannte Ausbildungsform für die große Mehrheit der Jugendlichen eines Jahrgangs in unserem Lande dar. In den letzten 10 Jahren haben 6,5 Millionen Jugendliche die duale Ausbildung durchlaufen. Das heißt, 72 % eines jeden Jahrgangs absolvieren im Laufe ihres Bildungswesens eine Lehre in einem anerkannten Ausbildungsberuf.Ich werbe für die duale Ausbildung. Die Besonderheiten dieser dualen Ausbildung liegen vor allem in ihrem Praxisbezug, der partnerschaftlichen Ausgestaltung zwischen Staat und ausbildender Wirtschaft, der Zahlung von Ausbildungsvergütungen und der maßgeblichen Beteiligung am Konsens der Sozialpartner. Als besonderer Vorzug des dualen Systems erscheinen mir die frühzeitige Einbindung in das Betriebsgefüge, das Lernen am Arbeitsplatz, die Teilhabe an technischen Veränderungen und die ergänzende theoretische Ausbildung. Das alles fördert von Anfang an die Bereitschaft und Fähigkeit zur späteren Weiterbildung, die wir doch im Sinne eines letzten Endes lebenslangen Lernens für so notwendig halten.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18489
OswaldDie hohe Qualifikation der arbeitenden Bevölkerung ist angesichts der rasanten technischen Entwicklung ein herausragender Standortvorteil, der nur zu halten ist, wenn die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter erhalten bleibt. Ich will hier noch etwas wirklich Entscheidendes sagen: In den kommenden Jahrzehnten wird es notwendig sein, in unserer gesamten Gesellschaft eine hohe Flexibilität und Mobilität zu entwickeln. Nur Flexibilität und Mobilität in der Berufsorientierung, der Weiterbildungsbereitschaft sowie in den Ansprüchen an Status und Einkommen bieten die Gewähr, sich an die sich immer schneller ändernde Arbeits- und Wirtschaftswelt anzupassen und dem Risiko der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Dazu gehört bei zunehmender internationaler Arbeitsteilung und zunehmender europäischer Integration auch eine stärkere Berücksichtigung von Fremdsprachen in der beruflichen Bildung.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn sich das duale System der Berufsausbildung in den 20 Jahren quantitativ und qualitativ in so hervorragender Weise gefestigt hat, dann ist dies das unbestreitbare Verdienst aller Beteiligten, der Ausbildungsbetriebe, der Berufsschulen, der Sozialpartner und der verschiedenen staatlichen wie politischen Gremien.Zur Erweiterung der Rahmenkompetenz des Bundes besteht im übrigen überhaupt kein Anlaß. Wir sind gut beraten, wenn wir uns auch im vereinten Deutschland auf die integrierende Kraft unserer föderativen Verfassung besinnen;
denn gerade im Zusammenwachsen in Europa muß Kulturhoheit der Länder als Wesensmerkmal der deutschen Verfassungstradition und als ein Element freiheitssichernder Gewaltenteilung erhalten bleiben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elmer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gehört, man kann um diese Zeit nur noch durch Kürze Eindruck machen. Aber dann müßte ich den Teil über die alten Länder weglassen, und das kann ich meinen neuen Kollegen auch wieder nicht antun.Die beiden letzten Berufsbildungsberichte zeigen, daß sich in den zurückliegenden Jahren zwar die Zahl der beruflichen Ausbildungsplätze in den alten Ländern der Bundesrepublik positiv verändert hat, wie Kollege Oswald hier ausführlich bemerkte. Es gibt jedoch auch weiterhin erhebliche Mängel in der regionalen Verteilung — Süd-Nord-Gefälle, habe ich hier lernen müssen — und im Hinblick auf die Qualität der Ausbildungsplätze.
Durch die Fehlausbildung vieler Jugendlicher in denvergangenen Jahren ist außerdem ein hoher Weiterbildungsbedarf entstanden, der noch nicht gedeckt sein soll.Die Weiterbildung, die man nicht mehr von der beruflichen Erstausbildung trennen darf, hat sich in der alten Bundesrepublik wegen fehlender geeigneter planerischer Grundlagen nicht dem erhöhten Qualifizierungsbedarf angepaßt, einem Bedarf, den technologische Entwicklung und ökonomischer Strukturwandel erzwungen haben. Diese hohen Qualitätsanforderungen können nicht ausschließlich durch berufliche Weiterbildung erfüllt werden, vor allem dann nicht, wenn diese allein an arbeitsmarktwirksame Verwertbarkeit ausgerichtet ist, wie wir das vorhin vom Grafen Waldburg-Zeil hören konnten.Flexibilität, Ideenreichtum und Vielseitigkeit bleiben auf der Strecke, wenn allgemeine politische und kulturelle Weiterbildung aus dem Weiterbildungskonzept ausgeschlossen bleiben.
Auf Grund der erheblichen Mängel in der regionalen Verteilung und in der Qualität der Ausbildungsplätze und der Weiterbildungsmöglichkeiten sind Mädchen und junge Frauen bei der Ausbildung, Weiterbildung und Berufstätigkeit immer noch benachteiligt. Es ist keinesfalls die Schuld junger Frauen, daß zu viele eine Ausbildung in einem sogenannten Frauenberuf absolvieren, in dem sie dann nach erfolgreicher Ausbildung kaum Chancen auf Beschäftigung haben.
Modellversuche zur Förderung der Ausbildung von jungen Frauen in zukunftsorientierten Berufen sind dagegen erfolgreich verlaufen. Es ist an der Zeit, auf breiter Ebene die Einstellung von Frauen in diese Berufe und deren Übernahme nach der Ausbildung zu fördern.
Die Bundesregierung hat bisher bei der Lösung dieses Problems ihre gesamtstaatliche Verantwortung leider noch nicht ausreichend wahrgenommen. Hier ist die Einrichtung eines achten Förderschwerpunktes Mädchen und Frauen für Modellversuche der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung ein sinnvolles Instrument und kann die gewünschten Signale setzen. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft empfiehlt diese Förderung.Seit die Mängel in der regionalen Verteilung und der Qualität eines auswahlfähigen Ausbildungsangebotes sichtbar wurden, hat die SPD dem Deutschen Bundestag Vorschläge unterbreitet, um diese Mängel zu beheben. Die SPD ist eingetreten für eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Schulen, Berufsschulen, Ausbildungszentren, Betrieben, Kammern und Verwaltungen von kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften, um ein qualifiziertes Ausbildungsangebot regional zu sichern und auszuweiten.
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18490 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Dr. ElmerSeit Jahren fordern wir eine Weiterentwicklung der Qualifizierung von Ausbildern und Ausbilderinnen. Über eine größere Zahl qualifizierter Ausbilderinnen sollten mehr junge Frauen und Mädchen für eine Ausbildung in zukunftsorientierten gewerblich-technischen Berufen gewonnen werden.
In der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft heißt es, daß qualifizierte berufliche Bildung zugleich grundlegende Voraussetzungen zur menschen- und umweltgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen schaffen muß.Die Menschen gerade bei uns in den neuen Ländern haben ein besonderes Interesse am Erhalt und an der Wiederherstellung natürlicher Lebensgrundlagen. Wachsendes Umweltbewußtsein verlangt nach einer hohen Umweltweiterbildung und -bildung.Meine Damen und Herren, besonders schwierig ist die Lage der Berufsbildung zur Zeit in unseren fünf neuen Bundesländern, die erst der kommende Berufsbildungsbericht einschätzen wird. Viele Jugendliche haben zum September keinen Ausbildungsplatz erhalten, oder ihr Ausbildungsvertrag ist widerrechtlich gekündigt worden. Durch den Konkurs vieler Betriebe verlieren immer mehr Jugendliche ihren Arbeitsplatz. Betriebsberufsschulen werden wegen der finanziellen Belastung geschlossen, weil die Betriebe um ihr Überleben kämpfen. Es fehlen überbetriebliche Ausbildungsplätze, die die Ausbildung im überhastet eingeführten dualen System ergänzen könnten. Berufsschullehrer und Berufsschullehrerinnen, Ausbilder und Ausbilderinnen müssen erst noch in die neuen Anforderungen des dualen Ausbildungssystem hineinwachsen.Auf die Übernahme des Berufsbildungsgesetzes, die durch den Beschluß der Volkskammer zum 1. September erfolgte, waren und sind die Betriebe und Einrichtungen der beruflichen Bildung unzureichend vorbereitet worden. Die Qualität der beruflichen Bildung konnte sich in der DDR — von einigen unterentwickelten Bereichen abgesehen — bisher durchaus sehen lassen. Dies bestätigen sowohl Aussagen der westdeutschen Wirtschaft als auch Fachinstitute; so zum Beispiel der Leiter des Bundesinstituts für berufliche Bildung anläßlich eines von der SPD veranstalteten Hearings zur Berufsausbildung in der Volkskammer im Juli dieses Jahres.In diesem Zusammenhang ist auf den bei uns vorhandenen Bildungsweg der Berufsausbildung mit Abitur hinzuweisen — eine Kombination aus allgemeiner, zur Hochschulreife führender Bildung mit der Berufsausbildung. Dies ist ein Bildungsweg der uns dann, wenn er den neuen Anforderungen an allgemeine und berufliche Bildung angepaßt wird, sehr erhaltenswert zu sein scheint.
Die Qualifikation unserer Fachkräfte ist das eigentliche Kapital im Einigungsprozeß, das es zu erhalten und auszubauen gilt.Ohne Unterstützung durch flankierende Maßnahmen wird es jedoch keine geordnete Neugestaltung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern geben. Auch in der alten Bundesrepublik wurde die Einführung des Berufsbildungsgesetzes vor 20 Jahren von weiteren Aktionsprogrammen begleitet. Die Menschen in den neuen Ländern haben Anspruch auf entsprechende flankierende Maßnahmen.
Wir haben das in der Volkskammer mit Nachdruck gefordert, und wie Sie wissen, hat auch die SPD-Bundestagsfraktion schon im August ein solches Sofortprogramm zur Behebung der Ausbildungsnot in der damaligen DDR vorgeschlagen.Die Entwicklung der letzten Wochen macht dieses Programm heute noch dringlicher. Täglich können Sie in der Presse verfolgen, meine Damen und Herren, wie die Arbeitslosigkeit und die Arbeitsplatznot in den neuen Ländern zunehmen. Rasche Hilfe ist gefordert.Wie sollte dies am sinnvollsten geschehen? Solange in den neuen Ländern eine mit der in der alten Bundesrepublik vergleichbare Ausbildungsplatzstruktur nicht gegeben ist, haben die ehemaligen Betriebsberufsschulen, die jetzt als Berufsschulen in kommunale Trägerschaft übergegangen sind, die zentrale Bedeutung. Die Firmen als die ehemaligen Eigentümer der Betriebsberufsschulen weigern sich aber zum großen Teil, den Schulen die Werkstätten und Labors für die berufspraktische Ausbildung zu überlassen.
— Dazu werde ich gleich kommen.Sie nutzen sie zweckentfremdet und verpachten sie an andere Firmen.
Die Berufsschulen müssen daher finanziell in die Lage versetzt werden, diese notwendigen Einrichtungen erwerben oder mindestens mieten zu können.
Deshalb ist ein Sonderprogramm notwendig, das die vollen laufenden Kosten, freilich zeitlich befristet, für die Berufsschulen übernimmt.
Die Finanzierung sollte duch den Bund oder gemeinsam durch Bund und Länder erfolgen. Ein Vorbild dafür könnte die Förderung der außerbetrieblichen Berufsausbildung in den ehemaligen Ausbildungsstätten der Montanbetriebe in Nordrhein-Westfalen sein. Dort gibt es, wie Sie wissen, ein Sonderprogramm, bei dem sich Bund, Länder und Betriebe die Ausbildungskosten teilen. Die Kosten für die Modernisierung der Berufsschulen könnten außerdem aus dem Modernisierungstitel des Bildungshaushaltes für berufliche Ausbildungsstätten finanziert werden.Als weitere Lösungsvorschläge möchte ich hier benennen:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18491
Dr. ElmerErstens: Um das Verantwortungsbewußtsein der Betriebe für die Berufsausbildung zu stärken, sollte die Treuhandanstalt die Vergabe von Krediten von der Ausbildungsbereitschaft abhängig machen.
Außerdem müßte sie bei der Veräußerung von Betrieben die Berufsausbildung sichern.
In diesem Zusammenhang wäre vielleicht auch einmal zu fragen, wieviel Ausbildungsplätze — und nicht nur Arbeitsplätze — VW bei den großen Investitionen in Zwickau bereitstellen wird.Zweitens. Um die Ausbildungsleistung in den kleinen und mittleren Betrieben zu intensivieren, könnte ein System der Ausbildungsprämie für zusätzlich eingerichtete Ausbildungsstellen — nach dem Vorbild der Bundesländer in den 70er Jahren — eingeführt werden.Drittens. Dringend erforderlich erscheint die sofortige Einrichtung von mindestens 5 000 überbetrieblichen Ausbildungsplätzen. Bis zum Jahr 2000 sollte im Bereich der neuen Bundesländer der Bau von mindestens 35 000 überbetrieblichen Ausbildungsplätzen für mehr als 100 000 Auszubildende in Handwerk, Kleinindustrie und Landwirtschaft vorgesehen werden.Viertens. Die Umstellung der DDR-Berufsausbildung auf die Normen des Berufsbildungsgesetzes hängt von den rund 17 000 Berufsschullehrern und Berufsschullehrerinnen sowie den 30 000 Ausbildern und Ausbilderinnen ab. Ihrer Weiterqualifikation ist darum besonderes Augenmerk zu schenken.Meine Damen und Herren in diesem Hohen Haus, lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung schließen. Viele von uns aus der ehemaligen DDR sind im Herbst vorigen Jahres auch deshalb auf die Straße gegangen, weil sie verhindern wollten, daß ihre Kinder über Ungarn oder auf anderen Wegen die Heimat verlassen. Auch meine älteste Tochter sagte mir im Sommer letzten Jahres: „Vater, ich werde im Dezember 18, und so lange wie ihr warte ich nicht auf die Demokratisierung des Sozialismus." Das war für mich der letzte Anstoß, nicht mehr nur über Reformen nachzudenken, sondern zusammen mit Gleichgesinnten die Sozialdemokratische Partei in der Illegalität zu gründen.Es wäre für uns, die SPD, und die anderen politischen Gruppierungen des Herbstes, die die friedliche Revolution in der DDR zum Erfolg brachten, und sicher auch für Sie, meine Damen und Herren, geradezu absurd, wenn der Preis für die errungene Freiheit nun darin läge, daß die jungen Menschen jetzt gen Westen ziehen, weil wir es nicht schaffen, ihnen dort, wo sie aufgewachsen sind, Ausbildungsplätze zu sichern und ausreichende Lebensperspektiven zu ermöglichen.
In diesem Sinne bitte ich Sie, tätig zu werden und dem hier vorliegenden Antrag zuzustimmen.
Nun hat der Abgeordnete Neuhausen das Wort zu seiner letzten Rede.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Bevor Sie überhaupt anfangen zu reden, ist schon jemand da, der Sie etwas fragen will. Gestehen Sie Herrn Weng diese Frage zu?
Ja, wenn mir das auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.
Nein, wir stoppen das. Bitte schön, Herr Dr. Weng.
Mit leiser Wehmut frage ich Neuhausens lieben Friederich,
Ob er denn weiß, daß wir bedauern, Wenn er in Parlamentes Mauern
In Zukunft wird nicht mehr erfreuen Uns mit Ideen, guten, neuen?
Da als Poet er ist bekannt,
Sei ihm als Frage noch genannt, Ob ihm bewußt ist oder nicht, Daß wir erhoffen ein Gedicht.
Jedoch wir werden auch verzeih'n Die Abschiedsrede ohne Reim.
In jedem Fall, er sollte wissen:
Wir werden ihn in Bonn vermissen!
Herr Kollege Neuhausen, ich füge das Fragezeichen noch an und frage Sie: Kriegen wir ein Gedicht?
Herr Präsident! Verehrter Herr Kollege Weng! Leider kann ich jetzt kein Gedicht machen. Aber ich mache Sie bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß die Buchhandlung am Bundeshaus noch über einen Restbestand an preiswerten Büchlein verfügt, die dort wohlfeil zu erhalten sind, und das dient der Bildung auf dem Wege der Langfristwirkung ja viel mehr, als wenn ich jetzt hier für den Tag etwas machte.
Herr Präsident, im Ernst: Ich wollte gerade meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß wir bei den Beratungen in unserem Ausschuß zu einer gemeinsamen Beschlußempfehlung gekommen sind und, wie ich glaube, auch zu einer gemeinsamen Einschätzung der Qualität der Berufsbildungsberichte. Wir haben hier über zwei zu sprechen. Das dauert immer so lange. Ich hätte fast gesagt: Wenn jetzt das Universalgenie Wüppesahl noch unter uns wäre,
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18492 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Neuhausenwürde das natürlich — — Ich sage das nicht; ich sage es nicht, nein.
Es handelt sich also um den Berufsbildungsbericht 1989 und den Bericht 1990. Sie enthalten sehr gute und qualitativ wichtige Untersuchungen und Analysen. Sie zeigen Tendenzen und langfristige Trends, ihre Umbrüche und Veränderungen auf und machen auf Perspektiven, Notwendigkeiten und Erfolge, aber auch auf Defizite aufmerksam. Daß der Bericht für 1990, der sich ja im wesentlichen auf 1989 bezieht, die neuen Entwicklungen in Deutschland noch nicht berücksichtigen konnte, ist ihm nicht vorzuwerfen. Aber ich glaube, daß er besonders deswegen wichtig ist, weil er für alle künftigen Überlegungen, die hier schon angeschnitten worden sind, eine gute Voraussetzung und Grundlage bildet. Dafür möchte ich allen, die für diese Berichte verantwortlich sind, an dieser Stelle einmal ausdrücklich danken.
Meine Damen und Herren, ich sagte schon, daß es mich auch gefreut hat, daß wir zu einer gemeinsamen Beschlußempfehlung gekommen sind und daß wir darüber hinaus — in leicht veränderter Form — dem Antrag der GRÜNEN zustimmen werden, der heute hier mitberaten wird. Für mich persönlich ist das ein schöner Ausklang.Lassen Sie mich noch kurz ein paar Dinge nennen, die mir — natürlich neben vielen anderen — wichtig geworden sind und wichtig bleiben.Erstens. Meines Erachtens besteht zwischen dem Anteil der Abbrecher einer Ausbildung und der Beratung der jungen Leute vor Ausbildungsbeginn ein zwar nicht ausschließlicher, aber doch wesentlicher Zusammenhang. Man denkt, es gebe so viele Beratungsbemühungen und so viel Informationsmaterial. Aber dennoch ist nicht zu verkennen, daß der Anteil der Abbrecher zu hoch ist. Hierüber muß nachgedacht werden. Ich halte Aktionen von einzelnen Firmen, wie sie jetzt gestartet werden und die beinhalten, daß junge Auszubildende und Lehrlinge selber möglichen Nachfolgern ihre Berufswelt vorstellen, für sinnvoll und ausbaufähig.Zweitens. Meine Damen und Herren, die Bedeutung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung ist nach mancherlei Wehen, an die wir uns erinnern, heute nicht mehr umstritten. Sie nimmt zu. Ich glaube, daß auch im Hinblick auf die neuen Bundesländer solche Einrichtungen zur Verbesserung der Situation und auch zur Steigerung der Attraktivität der beruflichen Bildung beitragen können.
Drittens. Die betrieblichen und die sonstigen Formen der beruflichen Weiterbildung spielen in diesen Zusammenhängen ebenfalls eine immer wichtigere Rolle. Darüber ist ja schon gesprochen worden. Ich denke dabei auch an die jungen Menschen, die in den Zeiten des Ausbildungsplatzmangels keine Ausbildungsstelle bekamen und der Förderung und Qualifizierung durch Weiterbildungsmaßnahmen bedürfen.Viertens. Das Benachteiligtenprogramm, über das wir hier oft gesprochen haben, hat sich bewährt. Es muß, wie ich glaube, weiterhin so ausgestattet sein, daß die Träger ihre — ich wage einmal das große Wort — segensreiche Tätigkeit verstetigen und fortschreiben können.Herr Präsident, dies ist nun voraussichtlich mein letzter Beitrag. Wer weiß, was die Tagesordnung der nächsten Woche bringt; man ist nicht davor geschützt, hier zu reden. Aber lassen Sie mich einmal ganz kurz auf die zehn Jahre zurückschauen, die ich, Herr Kollege Kuhlwein, in unterschiedlichen politischen Konstellationen hier verbracht habe. Wenn ich jetzt auch dem Ministerium danke, dann gilt das eben nicht nur für das heutige Ministerium; es gilt für die ganze Zeit. Es ist jetzt komisch: Ich danke Ihnen, der Sie damals Parlamentarischer Staatssekretär waren.
Ich danke sehr herzlich auch für die Zuarbeit für einen Abgeordneten. Manches, was wir so machen, könnten wir nicht tun ohne die Hilfe des Ministeriums, wenn es uns nicht mit seiner Formulierungskunst und ähnlichen Dingen zur Seite stünde.
— Frau Schulte, es ehrt mich, daß Sie das so sagen.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber vor allen Dingen den Kollegen im Ausschuß danken. Ich glaube nämlich, daß wir es über zehn Jahre lang geschafft haben, ein Klima zu erzeugen, das zwar nicht eine heile Welt ist — dazu haben wir uns auch zu oft gestritten — , das aber dem entspricht, wofür man sich nicht zu schämen braucht, um auch das einmal zu sagen: einem Stück politischer Kultur. Wenn das nämlich in der Bildungsarbeit nicht möglich ist, wo sonst soll es dann im politischen Bereich möglich sein? Das ist der Bereich, auf den junge Menschen auf ihren ersten Schritten in das Leben zukommen, und da haben wir eine gewisse Funktion. Das will ich nicht überhöhen — wir haben alle unsere Fehler und Schwächen —; aber in diesen zehn Jahren, darf ich sagen, ist das im Bildungsausschuß gelungen. Dafür danke ich. Ich ermuntere dazu, das so fortzuführen. Wenn Sie das nicht tun, werde ich Ihnen Briefe schreiben.Vielen Dank.
Herr Kollege Neuhausen, ich fühle, daß Sie auch mir Dank gesagt haben, denn ich war der Berichterstatter im Haushaltsausschuß für den Bildungsetat.
Wir alle wünschen Ihnen auf Ihrem weiteren Weg alles Gute, Herr Neuhausen.
Jetzt hat Frau Hillerich das Wort.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990 18493
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schreiben schwarze Zahlen in der Ausbildungsstellenbilanz der alten Bundesrepublik. Das ist erfreulich. Ich möchte hinzufügen: Dies sollte baldmöglichst auch in den neuen Ländern selbstverständlich sein. Wir GRÜNEN halten ein gesetzlich garantiertes Recht auf berufliche Erstausbildung hierfür für unverzichtbar. Eine neue deutsche Verfassung sollte dies als soziales Grundrecht festschreiben, und ein novelliertes Berufsbildungsgesetz sollte Regelungen für den Fall enthalten, daß die ausbildende Wirtschaft in den einzelnen Regionen nicht genügend Ausbildungsplätze anbietet.Unabhängig von der demographischen Entwicklung und von wirtschaftlichen Konjunkturen müssen in den Regionen ergänzend zum Ausbildungsstellenangebot der Wirtschaft Ausbildungskapazitäten vorgehalten werden. Für die Bildung in den Schulen der Sekundarstufe II ist dies übrigens selbstverständlich. „ Alle, die Abitur machen wollen, haben einen Platz in einer Schule gefunden" — diese Tatsache wäre keine Meldung wert. Ich wünsche mir das gleiche für die berufliche Erstausbildung.
Meine Damen und Herren, die Ausbildungsbeteiligung steigt seit Jahren kontinuierlich an. Die ausbildende Wirtschaft hat sich in den 70er und 80er Jahren insgesamt zwar als äußerst elastisch in ihrer Aufnahmefähigkeit erwiesen, dennoch hat das Lehrstellenangebot trotz starker Subventionierung nicht ausgereicht. Festzustellen ist aber auch, daß gerade für die industriellen Kernberufe im Elektro- und Metallbereich die Ausbildungskapazitäten in der Vergangenheit nicht in dem Maß erhöht wurden, wie das dem wachsenden Bedarf an qualifizierter Facharbeit entspräche. Die Klagen über den neuen Facharbeitermangel aus diesem Bereich sind in Wirklichkeit ein Eingeständnis dafür, daß der Aus- und Weiterbildungsverantwortung selbst im Interesse an eigenem Nachwuchs äußerst unzureichend genügt wurde.
Im Jahr 1989 wurden in der alten Bundesrepublik fast 584 000 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Wir wissen, daß davon in kurzer Zeit etwa 117 000, also gut 20 %, wieder gelöst werden oder teilweise schon gelöst sind. Dieser Durchschnitt wird in einigen Bereichen des Handwerks noch weit übertroffen. Aus dieser Quelle speiste sich auch etwa die Hälfte jener ca. 15 % der Geburtsjahrgänge von 1960 bis 1969, die in den 80er Jahren ohne Berufsausbildung geblieben sind. Von seiten des Bundesinstituts für Berufsbildung wird die „Drop out"-Quote in der Berufsbildung sogar auf 17 % geschätzt. Diese jungen Menschen halten sich heute durch ungelernte Arbeit, durch Gelegenheitsjobs, durch Arbeitslosen- oder Sozialhilfe über Wasser. Viele von ihnen haben bereits Kinder, die darunter zu leiden haben. Den meisten dieser Ausbildungsabbrecher/Ausbildungsabbrecherinnen hätte durch ausbildungsbegleitende Hilfen und intensivere Beratung — auch von seiten der Ausbildungsverantwortlichen — dieses Schicksal erspart werden können. Eine Ausweitung der Zielgruppen des Benachteiligtenprogramms und ein Rechtsanspruch auf ausbildungsbegleitende und sozialpädagogisch orientierte Förderung, was wir GRÜNEN mehrfach gefordert haben, ist die einzig vernünftige Lösung für dieses Problem jetzt und in Zukunft.
Was die 1,5 bis 1,7 Millionen junger Erwachsener ohne Ausbildung aus den 80er Jahren betrifft, finde ich es beschämend, wenn im jetzigen Berufsbildungsbericht lediglich von Angeboten zur Nachqualifizierung die Rede ist, ohne klare Verantwortlichkeiten zu benennen. Auch für diese Menschen muß das Recht auf Ausbildung gelten; sie benötigen ein auf ihre Lebenssituation zugeschnittenes Förderprogramm mit der klaren Option auf voll qualifizierende Ausbildung, finanziert durch die öffentliche Hand und die Bundesanstalt für Arbeit.Ein weiteres Problem. Immer noch werden die Übernahmewünsche vieler Auszubildender nach der Lehre durch das Einstellungsverhalten der Ausbildungsbetriebe nicht eingelöst. Die wichtige Phase der beruflichen Ersterfahrung, durch die das in der Ausbildung Gelernte erst wirklich gefestigt und auf die realen Arbeitsanforderungen bezogen werden kann, wird also einem Teil der Jugendlichen vorenthalten. Ihre Vermittelbarkeit in ihrer Ausbildung entsprechende Beschäftigung sinkt mit jedem Tag, an dem sie ausbildungsfremd arbeiten oder arbeitslos sind. Dieses Schicksal trifft etwa 4 % der Absolventinnen und Absolventen einer Ausbildung; Frauen sind auch hier wieder überrepräsentiert.An der zweiten Schwelle also, vor dem Berufseintritt, werden sehenden Auges die künftigen Sozialfälle produziert, von denen in der jüngst erschienenen Studie „Armut im Wohlstand" ausführlich die Rede ist. Wir GRÜNEN schlagen zur Lösung des Problems eine Übernahmeverpflichtung für mindestens zwei Jahre nach der Ausbildung vor. Wenn Ausbildungsbetrieben dies nicht möglich ist, müssen die Kammern — gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung — diese gesellschaftliche Verantwortung für die Erstbeschäftigung der Ausbildungsabsolventen übernehmen und geeignete Stellen finden.Mittelfristig würde sich dadurch auch die äußerst ungleiche Ausbildungsintensität der Betriebe entsprechend den tatsächlichen Beschäftigungschancen bzw. -bedarfen ausgleichen.In unserer Ausschußempfehlung sprechen wir uns gemeinsam dafür aus, daß qualifizierte berufliche Bildung auch Voraussetzungen zur menschen- und umweltgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen schaffen muß. Auf dem Weg zu diesem Ziel gibt es leider auch ernst zu nehmende Fallstricke.Im Berufsbildungsbericht wird zum Thema „Umweltlernen" u. a. auf Materialien zum Umweltschutz in der betrieblichen Ausbildungspraxis hingewiesen, die zusammen mit der Hoechst AG entwickelt wurden. Ich habe mir diese Materialien genauer angeschaut und festgestellt: Darin geht es nicht um die Schaffung umweltgerechter Arbeitsplätze, sondern um ganzheitlich angelegte Gewöhnung an soge-
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18494 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1990
Frau Hillerichnannte Sachzwänge der sondermüllvermehrenden großtechnischen Chemikalienproduktion.Was die industriellen Metallberufe, eine Branche mit bisher kaum abschätzbarer Umwelt- und Gesundheitsgefährdung, betrifft, muß der Wahrheit halber angemerkt werden, daß die Erarbeitung von Erkenntnissen über umweltrelevante Handlungsfelder von Metall-Arbeitgeberseite bis vor kurzem stark beeinträchtigt wurde, übrigens gegen den Willen von Betrieben, die sich für derartige Untersuchungen der Berufsbildungsforschung zur Verfügung stellen wollen.Wir beschließen heute erfreulicherweise auch über eine Beschlußempfehlung, die auf den Antrag der GRÜNEN zur Einrichtung eines Förderungsschwerpunktes „Mädchen und Frauen" für Modellversuche der Bund-Länder-Kommission zurückgeht. Wir freuen uns, daß wir bei diesem Anliegen gemeinsam mit der Bundesregierung an einem Strick ziehen und daß unser Antrag deshalb im Ausschuß die einstimmige Zustimmung gefunden hat und wohl auch hier finden wird. Allerdings müssen dem bei den künftigen Haushaltsberatungen Taten folgen.Dies war mein Schwanengesang zur Berufsbildung im Deutschen Bundestag. Mir hat die Arbeit im Ausschuß und im Plenum viel Spaß gemacht; natürlich auch in der Enquete-Kommission. Ich werde der Berufsbildungspolitik auch außerhalb dieses Hohen Hauses treu bleiben.
Frau Hillerich, mich trifft das unvorbereitet. Aber auch Ihnen gilt mein guter Wunsch für Ihren weiteren Weg.
Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Lammert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die geschätzten Kollegen aus dem Kabinettsreferat meines Ministeriums haben heute mittag, als der Schluß dieser Debatte auf etwa 13 Uhr kalkuliert wurde, vorsichtig bei mir angefragt, ob ich meine Rede nicht vielleicht so sorgfältig formulieren könnte, daß ihnen im späteren Verlauf des Nachmittages umfängliche Korrekturen des Stenographischen Protokolls erspart blieben. Ich habe das selbstverständlich zugesagt und will deswegen jede Neigung zu möglichen kontroversen Punkten sorgfältig vermeiden, um Zwischenrufe und Zwischenfragen, wenn eben möglich, auszuschließen, was vielleicht um so leichter gelingen könnte, als wir eine Beschlußempfehlung vorliegen haben, die der Ausschuß mit allen Fraktionen einstimmig verabschiedet hat.
In der Tat begrüße ich für die Bundesregierung natürlich ausdrücklich, daß die von uns vorgelegten beiden Berufsbildungsberichte 1989 und 1990 den zuständigen Fachausschuß in die Lage versetzt haben, dem Bundestag eine einstimmige Beschlußempfehlung vorzulegen.
Daß im übrigen auch die zweite Beschlußempfehlung, die wir in verbundener Beratung heute verabschieden wollen, auf Initiative der Fraktion DIE GRÜNEN bereits vorhandene Aktivitäten der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt, komplettiert das ganz ungewöhnlich harmonische Klima der Schlußdebatte des heutigen Tages im Deutschen Bundestag.
— Verehrter Kollege Rüttgers, das könnte Gegenstand einer Kontroverse werden, die zu vermeiden ich ausdrücklich versprochen hatte.
Die beiden wichtigsten Nachrichten zu den Berufsbildungsberichten 1989 und 1990 finden sich gleich zu Beginn der Beschlußempfehlung. Erstens, die Berufswahlmöglichkeiten der Jugendlichen haben sich deutlich verbessert; zweitens, für die Betriebe wird Nachwuchsmangel zunehmend zum Problem.
In der Tat kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Verhältnis von Ausbildungsplätzen zu Ausbildungsbewerbern in den letzten Jahren immer günstiger geworden ist. Verehrter Kollege Elmer, selbst die über viele Jahre uns sehr in Anspruch nehmenden Problemregionen weisen inzwischen ein Überangebot an Ausbildungsstellen gegenüber Ausbildungsbewerbern aus, was wir gemeinsam ausdrücklich begrüßen können, weil es in der Tat für die betroffenen jungen Leute die Auswahlmöglichkeiten ständig vergrößert.
Ich habe die letzten verfügbaren Zahlen vom September dieses Jahres vorliegen. Danach ist die Zahl der verfügbaren Ausbildungsstellen im September 1990 noch einmal von knapp 600 000 im September vergangenen Jahres — das war das Berichtsende, über das wir heute zu befinden haben — auf über 650 000 im September dieses Jahres gestiegen, während die Zahl der Berufsausbildungsbewerber von damals 482 000 auf 465 000 zurückgegangen ist. Daher müssen wir in der Tat damit rechnen, daß sich die Verdoppelung der unbesetzten Ausbildungsstellen zwischen 1987 und 1989 zwischen 1989 und 1990 wiederholt und wir von damals etwa 85 000 auf insgesamt etwa 170 000 unbesetzte Ausbildungsstellen kommen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Elmer?
Selbstverständlich, ich kann das ja nicht verweigern.
Ich wollte nur fragen, ob Sie solch positive Zahlen — mit diesem Verhältnis — auch für den Bereich der neuen Länder haben.
Ich will in der Tat im Zusammenhang mit der Beschlußempfehlung des Ausschusses ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung den Aufforderungen, die hier aufgelistet sind, gerne und mit Engagement nachkommen wird und daß wir für die Empfehlungen, die unter Ziffer 9 formuliert sind, bereits Vollzug melden können; denn unter Ziffer 9 wird die Bundesregierung zur Vorlage eines Programms zur Sicherung der Ausbil-
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Parl. Staatssekretär Dr. Lammertdung auf dem Gebiet der neuen Länder unter finanzieller Beteiligung des Bundes, der Länder und der Wirtschaft aufgefordert, das inzwischen längst beschlossen und auch in Kraft gesetzt ist.In der Tat können wir Gott sei Dank, Herr Kollege Elmer, auch für den Ausbildungsplatzmarkt in den neuen Bundesländern heute von einer wesentlich günstigeren Situation berichten, als wir sie noch vor wenigen Montagen gemeinsam befürchten mußten. Von mehr als 156 000 Bewerbern sind mit Stichtag Ende September nur gut 3 000 nicht in Ausbildungsplätzen untergebracht worden. Das heißt, das sind weniger als 2 %. Dies ist damit ein wesentlich günstigerer Wert, als wir ihn noch vor wenigen Jahren in den alten Bundesländern über einen langen Zeitraum hatten.Ich verbinde damit übrigens ausdrücklich nicht die Behauptung, hier gebe es kein Problem mehr — damit wir uns da nicht mißverstehen — , weil wir mit einer sehr dynamischen Veränderung und mit Strukturbrüchen zu tun haben, die uns auch in den nächsten Monaten gemeinsam engagiert beschäftigen müssen. Dies wünscht der Fachausschuß, und dies hat die Bundesregierung ausdrücklich als ihre eigene Absicht mehrfach zu Protokoll gegeben.Meine Damen und Herren, auch ich möchte zum Schluß gerne insbesondere den Kollegen, die heute zum letztenmal in einer Berufsbildungsdebatte des Deutschen Bundestages gesprochen haben, für die gute Zusammenarbeit, für das ungewöhnlich angenehme Klima, mit dem wir gelegentlich auch Kontroversen ausgetragen haben, und für die besonders produktiven Auseinandersetzungen, die in diesem Klima möglich waren, herzlich danken.Daß einer der begabtesten Dichter des Deutschen Bundestages
das Parlament mit dem ausdrücklichen Lob der Formulierungskünste der Bundesregierung verläßt, dies, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist der für mich nicht mehr zu überbietende Höhepunkt dieser Legislaturperiode.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/7904 ab. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei der Annahme dieser Beschlußempfehlung stelle ich Einstimmigkeit fest.
Jetzt folgt die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/7918. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5713 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch dies einstimmig angenommen worden.
Nun kann ich Ihnen nur noch mitteilen, daß dies der Schluß unserer heutigen Tagesordnung ist.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 30. Oktober 1990, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.