Rede von
Friedrich
Neuhausen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Kürze, sagt man, liege die Würze. Aber von ihr allein kann man nicht leben. In den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, die, wie schon gesagt, fast dreijährige Arbeit und den thematisch sehr weit gespannten Bericht der Enquete zu bewerten, erscheint mir so wenig seriös wie nahrhaft. Wer also satt werden will, muß schon selbst lesen, vergleichen, den Argumenten nachgehen, sie hinterfragen. Über Geschmack läßt sich zwar nicht, über die Mehrheits- und Minderheitsvoten und -empfehlungen, wie wir hörten, aber trefflich streiten.
Die bildungspolitischen Ziele meiner Partei, eine offene Bildungsgesellschaft, die mit dem Begriff des Bürgerrechts auf Bildung die Entwicklung des einzelnen in den Vordergrund stellt, in der bestmöglichen Förderung individueller Fähigkeiten und Begabungen, Ausgleich von Benachteiligungen, hohe Qualifikation der Bürgerinnen und Bürger, Vielfalt und Durchlässigkeit der Bildungsmöglichkeiten und ständige Weiterbildung wesentliche Voraussetzungen für Freiheit und Selbstbestimmung ebenso wie für die kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens sind, sehe ich durch den Bericht bestätigt, und zwar nicht nur, was auf der Hand liegt, in den Beiträgen der Koalitionsseite oder in den ausdrücklichen Konsensbereichen oder in den Ergebnissen der Anhörungen, Expertengespräche und Gutachten. Es gibt auch manchen immanenten Konsens, trotz divergierender Akzentuierungen, die auch hier zur Sprache gekommen sind, trotz — allerdings wichtiger — Auseinandersetzungen darüber, ob ein bewährtes System, etwa das der dualen Berufsausbildung, weiterzuentwickeln und auch zu verbessern sei oder ob radikal andere Wege eingeschlagen werden sollen, die aber, so befürchten wir, in ein für die Betroffenen unwohnlicheres Gelände führen könnten.
Wenn ich einen Aspekt des Themas Weiterbildung jetzt exemplarisch, notgedrungen pars pro toto, anspreche, verkenne ich auch nicht, daß sich Ihre Seite mit auch von mir aufgeworfenen Fragen, etwa zum Spannungsverhältnis „Vielfalt, Offenheit, Gestaltungsfreiheit hier, öffentliche Verantwortung dort" beschäftigt hat; so in Ihrem Votum zu den Grundherausforderungen, wo Verständnis für das Mißtrauen gegenüber Verstaatlichung geäußert wird, oder in der Versicherung, daß öffentliche Verantwortung nicht Verstaatlichung bedeute.
Trotzdem stimmt mich mancher Kontext nachdenklich, wenn es etwa heißt, ein qualitatives Angebot sei gegeben, stünden die Dauer der Veranstaltung, die Gestaltung des Lehrplans, die Unterrichtsmethode, Ausbildung und Berufserfahrung der Lehrkräfte und sächliche Ausstattung der Einrichtung in einem angemessenen Verhältnis. Gut gesagt, aber was bedeutet das genau, exakt, präzise? Wer bestimmt das? Wie steht es um die Eigenverantwortung für neue Ideen, Methodik, Gestaltung und wie um das diffizile Verhältnis zwischen Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit, zwischen Gleichheit und Vergleichbarkeit in diesem pädagogischen Sinne? Der Teufel wohnt bekanntlich im Detail, und oft folgt der guten Absicht die Bürokratie auf dem Fuße.
Bedeutet nicht öffentliche Verantwortung auch Schutz der Freiheit von Angebot und Lehre, Kooperation mit Wirtschaft und Gewerkschaften, Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen staatlichen, kommunalen und freien Trägern, Abbau von Zugangsbarrieren für benachteiligte Gruppen durch bedarfsgerechte Förderung usw.? Denn wenn es stimmt, daß die Bedeutung des formalen Eintritts in das Berufsleben zurückgeht und sich die Notwendigkeit eines Umdenkens in der üblichen Verteilung der Bildungszeiten im gesamten Lebenszyklus abzeichnet, und wenn wir zudem an die Herausforderungen denken, die durch die Entwicklungen in Deutschland und im europäischen Einigungsprozeß entstehen, dann erhalten solche Fragen — ich betone: Fragen — über das traditionelle Verständnis von Weiterbildung hinaus in der Rückwirkung auch für die Bereiche der beruflichen Erstausbildung und der Hochschulen ein besonderes Gewicht, und es wäre fatal, wenn die Weichen in Richtung Bürokratisierung und übermäßige Verrechtlichung statt in die von Kreativität und Innovation gestellt würden.
Meine Damen und Herren, vielleicht zeigt dieses exemplarische Beispiel — mehr war nicht möglich —, daß sich die Diskussion lohnen wird. An ihr werde ich hier nicht mehr teilnehmen. Aber ich wünsche, daß es so kommen möge, wie von den verschiedenen Sprechern gesagt wird, daß dieser Bericht über den heutigen Tag hinaus nicht nur in diesem Hause diskutiert wird, diene es nur der Schärfung des eigenen Standpunktes, der sich auch manchmal — Zeit bringt Rat, manchmal guten Rat — ändern kann. Ich wünsche denen, die sich an der Diskussion hier im Hause zukünftig beteiligen werden, alles Gute, und natürlich bedanke ich mich bei jedem, der in der Enquete mitgearbeitet hat, bei dem Vorsitzenden, aber auch bei allen anderen. Mich hat diese wirklich angenehme, wenn auch manchmal etwas nervende Arbeit letzten Endes dann doch, auch vor dem Hintergrund unseres friedlichen Auseinandergehens gestern abend, sehr gefreut. Dafür bedanke ich mich.