Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich die Tagesordnungspunkte unserer heutigen Sitzung aufrufe, möchte ich aus Anlaß des Tages der Menschenrechte eine kurze Erklärung abgeben.
Am 10. Dezember wird alljährlich aus Anlaß der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1948 der Tag der Menschenrechte begangen. Wir haben vor einem Jahr hier im Deutschen Bundestag eine Debatte zur Situation der Menschenrechte geführt, bei der die Verletzung und Mißachtung der Menschenrechte in weiten Teilen der Welt zur Sprache kam.
Heute können wir dankbar feststellen: Durchsetzung und Achtung der Menschenrechte, das ist für Millionen Menschen in der DDR und den anderen Staaten Osteuropas Wirklichkeit geworden. Viele haben übermenschlichen Mut bewiesen, sich gewagt und die Freiheit gewonnen ohne Anwendung von Gewalt.
Der Freiheitsdrang derjenigen, die ihre Heimat verließen, und die großen Demonstrationen in den Städten und Gemeinden der DDR und in Prag haben uns vor Augen geführt, welche Macht und Lebenskraft der Gedanke der Menschenrechte zu entfalten vermag, und dies trotz jahrzehntelanger Unfreiheit.
Die gewaltlos erkämpfte Freiheit darf nicht durch Gewalt beschädigt werden. Humaner Fortschritt und barbarische Verletzung der elementaren Menschenrechte kennzeichnen allerdings immer noch die Conditio humana. Wieder wurden auch bei uns Menschen das Opfer grausamer und verächtlicher Gewalt. Bekräftigen wir aus Anlaß des Tages der Menschenrechte unser klares und unbedingtes Nein zur Gewalt gegen Sachen und Menschen.
Vergessen wir aus Freude über das Erreichte nicht, wie viele Menschen in den verschiedenen Regionen und Staaten der Welt nach wie vor aus politischen, rassischen, ethnischen und weltanschaulichen Gründen verfolgt werden, wie viele auch in diesem Jahr ihr Leben im Kampf für die Menschenrechte verloren haben.
Weltweit sind 16 Millionen Menschen auf der Flucht, Flucht vor Hunger und vor Hunger nach Freiheit, Menschenwürde und Selbstbestimmung. 90 dieser Flüchtlinge leben in der Dritten Welt. Für viele von ihnen bedeutet die Flucht unmittelbare Lebensbedrohung, gänzliche Entwurzelung, ein ungewisses Umherirren und ein ungewisses Schicksal in Lagern und Notunterkünften.
Nicht alles Flüchtlingselend vermögen wir zu lindern, nicht alle Flüchtlingsströme aufzunehmen. Um so dringlicher ist es unsere Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß in allen Teilen der Welt die Lage der Menschenrechte so verbessert wird, daß die Menschen nicht mehr fliehen müssen.
Die Menschenrechte sind nicht nur bedroht durch ihre unmittelbare Verletzung durch Diktatur, Willkürherrschaft, durch Folter oder Diskriminierung, sondern auch durch das Schweigen derer, die im Besitz der Freiheit sind, durch Gleichgültigkeit gegenüber der Unterdrückung anderer und gegenüber den Folgen dieser Unterdrückung. Deswegen ist Schweigen keine Antwort auf die Verletzung von Menschenrechten.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 17 auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 11/5347 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 11/5961 —
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
zu einer Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 11/5348 —
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
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Präsidentin Dr. Süssmuth
Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Altersgrenze in der Ausbildungsförderung
— Drucksache 11/2823 — e) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Achter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2
— Drucksache 11/5524 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagespunkte eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja nicht so, daß wir der Bundesregierung beim Einbringen der 12. BAföG-Novelle hier bei der Rednerliste den Rang streitig machen wollten. Es war aber so, daß die SPD-Bundestagsfraktion mit einem eigenen Gesetzentwurf, der im Oktober eingebracht wurde, die Mängel der heutigen 12. BAföG-Novelle schon im Vorfeld ausbessern wollte.
Die jetzt anstehende 12. BAföG-Novelle ist die fünfte, an der ich seit Beginn meiner Arbeit hier im Deutschen Bundestag mitwirke. Wenn ich es genau betrachte, könnte ich eigentlich meine erste BAföG-Rede aus dem Jahre 1983 wieder genauso halten. Die Vorzeichen sind nämlich die gleichen geblieben. Es wäre Ihnen überhaupt nicht aufgefallen.
Bei der Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes im Jahre 1971 hier im Deutschen Bundestag bestand bei allen Parteien Einigkeit darüber, daß diese Ausbildungsförderung ein Instrument der Chancengleichheit in der Bildung sei, damit für junge Menschen der Zugang zu weiterführenden Schulen und Hochschulen nicht länger vom Geldbeutel der Eltern abhänge. Seitdem hat sich die Ausbildungsförderung von diesem gemeinsamen Ziel immer weiter entfernt.
1981 mußten ausschließlich aus finanzpolitischen Gründen — das betone ich — die ersten Eingriffe vorgenommen werden. Mit der Wende folgte dann der völlige BAföG-Kahlschlag der CDU/CSU- und FDP-Regierung, der ausdrücklich auch ordnungspolitisch begründet wurde, bis etwa 1985 sogar der Kanzler erkannt hatte, daß dieser Kahlschlag wohl etwas zu hart ausgefallen war.
Weil Sie nun, Herr Minister Möllemann, schon bei der Übernahme des Bildungsministeriums diese Erkenntnis des Bundeskanzlers mit auf den Weg bekamen, gleichwohl aber der strikten Anweisung des Finanzministers nachzukommen hatten, vor 1989 keine Leistungsgesetze vorzulegen, kamen Sie auf die naheliegende Idee, den BAföG-Beirat mit der Untersuchung struktureller Verbesserungen der Ausbildungsförderung zu beauftragen. Der BAföG-Beirat ist diesem Auftrag im Rahmen der von der Bundesregierung vorgegebenen Fragestellung sehr sorgfältig und detailliert nachgegangen. Wir möchten uns an dieser Stelle sehr herzlich dafür bedanken.
Es hat uns nicht überrascht, daß sich die meisten Empfehlungen des BAföG-Beirats mit den von der SPD-Fraktion seit 1983 bei jeder BAföG-Novelle eingebrachten Forderungen gedeckt haben. Ein Teil findet sich auch in dem heute von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf der 12. BAföG-Novelle wieder, angefangen von der dringend notwendigen Anpassung der Bedarfssätze und der Elternfreibeträge, über die 50prozentige Teilzuschußförderung — das sehen wir als einen ersten Schritt an — , bis hin zu der Erweiterung der Förderungshöchstdauer für die Examenssemester usw. — alles Verbesserungen, die Sie nachher sicherlich noch im Detail vortragen werden. Wir begrüßen es, daß Sie sich endlich dazu durchringen konnten. Lange genug hat es gedauert.
Daß die SPD-Bundestagsfraktion einen eigenen Gesetzentwurf und einen Antrag zur Reform des Ausbildungsförderungsgesetzes eingebracht hat, ist darauf zurückzuführen, daß Sie Ihr Versprechen, eine Reform des BAföG herbeizuführen, eben nicht einhalten. Sie kommen nämlich einer zentralen Forderung des BAföG-Beirates und aller Fachgremien, die Ausbildungsförderung für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 11 wieder einzuführen, nicht nach.
Unser Gesetzentwurf nimmt diese Schülerförderung wieder auf und stellt somit Chancengleichheit in der Bildung wieder her. Schülerförderung ist ein Hauptelement der Ausbildungsförderung, ohne die der Übergang in weiterführende Schulen und der Weg zur Hochschule von der Finanzkraft der Eltern abhängig gemacht wird. Es ist völlig falsch, Herr Minister, wenn Sie in den Veröffentlichungen neueren Datums von der Studienförderung reden. So war BAföG niemals gedacht.
Nach den Ergebnissen der 12. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks haben die massiven Kürzungen beim BAföG seit 1983 vor allem bei der Schülerförderung besonders Arbeiterkinder, junge Frauen und Einkommensschwache vom Studium abgehalten. So liegt der Anteil der Arbeiterkinder — es sind auch die Kinder kleiner Angestellter dabei — an den Studierenden mit 8,2 % noch unter der Quote des Jahres 1982 mit 8,7 %, bei gestiegenen Studentenzahlen, versteht sich.
Seit 1983 hat die SPD den Deutschen Bundestag auf die Verschlechterung bei der Ausbildungsförderung und vor allem auf die negativen strukturellen Auswirkungen hingewiesen, obwohl die Quote der Geförderten von rund 38 % im Jahre 1983 auf knappe 20 % absank. Obwohl die Zahl der voll geförderten Studierenden ständig abnahm, sah die Regierungskoalition bisher keinen Handlungsbedarf.
Im Gegenteil, der Finanzaufwand für das BAföG sank trotz steigender Studierendenzahlen. 1982 zahlte der Bund noch knapp 2,5 Milliarden DM. Seit
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Frau Odendahl
1986 sind es gerade 1,4 Milliarden DM. Wir haben aber inzwischen rund 1,4 Millionen real existierende Studierende, und dies wird nach allen Einschätzungen auch so bleiben. Trotzdem soll sich auch mit der zwölften BAföG-Novelle bis 1993 der Finanzaufwand nur wieder auf 1,6 Milliarden DM belaufen. Dieser finanzielle Kraftakt erscheint noch weniger glanzvoll, wenn gleichzeitig rund eine halbe Milliarde DM jährlich an Darlehensrückflüssen als Einnahme zu Buche schlägt.
Entgegen der dringlichen Empfehlung des Beirats hat der Regierungsentwurf die Schülerförderung nur eingeschränkt aufgenommen. Schülerinnen und Schüler ab Klasse 11 bleiben außen vor. Entgegen den dringenden Empfehlungen des BAföG-Beirats bleibt der Minister bei der Teilerlaßregelung, die ja auch eine Zuschußkomponente darstellt, allerdings eher ein Lotteriespiel ist. Auch der Bundesrat empfiehlt einhellig, angesichts der gegenwärtigen Hochschulbedingungen auf die Teilerlaßregelung zu verzichten.
Sie kostet mehr als sie bringt: Außer Spesen nichts gewesen! Zudem bringt der Verzicht für den Bund wirklich etwas.
Der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Gesetzentwurf zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ermöglicht die ersten strukturellen Veränderungen und Verbesserungen beim BAföG. Er nimmt die Förderung von Schülerinnen und Schülern ab Klasse 11 auf und ermöglicht es, daß die Hochschulen allen Studienberechtigten auch bei geringem Familieneinkommen offen bleiben, daß die materielle Situation der Studierenden verbessert wird, daß Auslands-, Aufbau- oder Ergänzungsausbildungen sinnvoll möglich sind.
Durch unseren Gesetzentwurf soll erstmals die Vereinbarkeit von Familie und Studium ermöglicht werden. Immerhin haben 6 % der Studierenden Kinder. Der Zeitaufwand für die Pflege und Erziehung von Kindern bis zu zehn Jahren wird im SPD-Gesetzentwurf anerkannt.
Nach den Beratungen im Bundesrat ist nun anscheinend auch die Bundesregierung bereit, die Novelle in diesem Sinne nachzubessern, allerdings eingeschränkt auf Kinder bis zu drei Jahren. Wir haben uns für zehn Jahre entschieden, weil die Bedingungen, ein Kind in Kindergarten, Schule und Tagesstätte — noch dazu in Hochschulnähe — unterzubringen, denkbar schlecht sind. Der Bundesrat hat sich für sechs Jahre ausgesprochen. Wir sollten uns das noch einmal gemeinsam überlegen.
Herr Minister, das BAföG ist ein Bundesgesetz, das jedoch zu einem Drittel von den Ländern mitfinanziert wird. Unser Gesetzentwurf ist mit allen SPD-regierten Ländern abgestimmt. Alle haben sich — trotz erheblicher Finanzierungsprobleme — für unseren Vorschlag ausgesprochen.
— In Schleswig-Holstein war das sicher sehr schwer.
Wie schon so oft muß ich die Bundesregierung an dieser Stelle auffordern, dort, wo sie Handlungskompetenz hat, dieser auch nachzukommen. Wenn Sie davon abrücken sollten, Schüler-BAföG aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten zu verweigern, wie Sie das noch vor vier Wochen hier taten, und auf finanzpolitische Zwänge abheben wollen, möchte ich Sie, Herr Minister Möllemann, fragen, ob die jährlichen Mehrkosten von 300 Millionen DM für das Schüler-BAföG angesichts der prognostizierten Steuermehreinnahmen für den Bund nicht ein Klacks sind.
Herr Möllemann, wie ich dem „Spiegel" entnehme, haben Sie im Abrüstungsetat ja auch einige Milliarden freigeschaufelt.
Seit Bestehen des BAföG haben sich Bildungsvoraussetzungen und Bildungsverhalten, Einkommensstrukturen und Familienstrukturen sowie die Lebensgestaltung junger Menschen verändert. Es ist deshalb notwendig, eine Neugestaltung der Ausbildungsförderung zu untersuchen und vorzubereiten. In diesem Sinne hat sich auch der BAföG-Beirat in seinem Bericht geäußert. Der SPD-Antrag fordert die Bundesregierung auf, mit dieser Untersuchung erneut den BAföG-Beirat zu beauftragen. Mein Kollege Eckart Kuhlwein wird auf diese anstehenden Zukunftsfragen sowie auf die Probleme beim zweiten Bildungsweg noch gesondert eingehen.
Es ist notwendig, meine Damen und Herren, Sofortmaßnahmen zu einer Reform des Ausbildungsförderungsgesetzes zu ergreifen. Es ist ebenso notwendig, eine Neugestaltung des BAföG vorzubereiten. Deshalb hat die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf und einen Antrag zur Reform der Ausbildungsförderung eingebracht. Ich möchte an Sie appellieren: Bleiben Sie heute doch nicht auf halbem Wege stehen, indem Sie ausgerechnet eines der Grundelemente außen vor lassen. Ich appelliere noch einmal nachdrücklich an Sie: Stimmen Sie auch dem Schüler-BAföG zu!
Das Wort hat der Bundesminister Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute eine weitere wesentliche bildungspolitische Reform, die die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht hat. Es geht um eine spürbare Verbesserung unseres Systems der Ausbildungsförderung.
Schon im Herbst 1990 sollen Studierende Ausbildungsförderung bis zur Höhe von 890 DM monatlich erhalten, die sie — im Unterschied zum geltenden Recht — nicht mehr in voller Höhe, sondern nur noch zur Hälfte zurückzahlen müssen. Studierende, die bisher keine BAföG-Leistungen bekommen, weil sie Familien mit mittlerem Einkommen entstammen, werden neu in den Kreis derjenigen aufgenommen, die diese staatliche Studienfinanzierung in Anspruch nehmen können. Das werden im nächsten Jahr zusätzlich 70 000 sein. Zudem werden 160 000 von derzeit 260 000 geförderten Studierenden künftig mehr
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Bundesminister Möllemann
BAföG erhalten. Insgesamt wird die Zahl der BAföG-Empfänger mit Beginn des neuen Schul- und Studienjahres um nicht weniger als 30 % ansteigen, nämlich von derzeit 328 000 auf dann 428 000 Geförderte.
Bund und Länder werden für die Ausbildungsförderung 1991 rd. 3 Milliarden DM aufwenden. Das sind rd. 650 Millionen DM mehr als nach geltendem Recht.
Im einzelnen sieht der Gesetzentwurf folgende wesentlichen Verbesserungen vor:
Erstens. BAföG wird künftig nicht mehr als Volldarlehen, sondern — wie bereits angedeutet — zu 50 % als Zuschuß gewährt.
Zweitens. Die Einkommensgrenzen, bis zu denen BAföG gezahlt wird, werden erheblich angehoben. Beispielsweise durfte eine Familie mit einem auswärts studierenden Kind bislang nicht mehr als 4 800 DM brutto verdienen. Bei höherem Verdienst fiel das Kind aus der Förderung heraus. Künftig wird die BAföG-Grenze im Beispielsfall bei 6 200 DM liegen.
Bei dem bisherigen Grenzeinkommen von 4 800 DM werden dann in einem solchen Fall künftig 324 DM BAföG im Monat gezahlt, und zwar zur Hälfte als Zuschuß.
Drittens. Vielen Studierenden gelingt es auch wegen der Überfüllung der Hochschulen und der unzureichenden Studien- und Prüfungsbedingungen derzeit nicht, ihr Examen innerhalb der Förderungshöchstdauer des BAföG abzuschließen. Damit diese Studierenden nicht ausgerechnet in der Examensphase auf Erwerbstätigkeit angewiesen sind, sollen sie künftig zwei Semester länger gefördert werden, sofern sie sich innerhalb der bisherigen Förderungshöchstdauer zum Examen gemeldet haben und ihr Studium innerhalb der nächsten zwei Semester auch abschließen können.
Gegen die Studienabschlußförderung wird von manchen eingewandt, sie werde zu einer weiteren Verlängerung der Studienzeiten führen. Ich teile diese Befürchtung nicht, da die Gesamtförderungsdauer, einschließlich der Studienabschlußförderung, noch unter der heutigen durchschnittlichen Studiendauer bleiben wird. Im Gegenteil: Ich erwarte, daß die Möglichkeit, sich voll auf die Examensvorbereitungen konzentrieren zu können, zu einem schnelleren Studienabschluß führen wird.
Viertens. Der Krankenversicherungszuschlag für Studierende wird von gegenwärtig 45 DM auf die tatsächliche Höhe der Beiträge in der studentischen Krankenversicherung, nämlich 65 DM, angehoben.
Fünftens. Die Bedarfssätze und Einkommensfreibeträge werden zum Herbst 1990 um durchschnittlich 3 % angehoben. Einschließlich der möglichen Zuschläge steigt damit der Förderungshöchstsatz von derzeit 845 auf 890 DM monatlich an.
Sechstens. Die Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum Alter von drei Jahren sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung bei der Bemessung der Förderungsdauer künftig berücksichtigt werden.
Siebtens. Für behinderte Studierende werden sich die Förderungs- und Rückzahlungsbedingungen verbessern. Wer durch eine Behinderung länger studieren muß als eigentlich vorgesehen, erhält nach Ablauf der Förderungshöchstdauer BAföG zu hundert Prozent als Zuschuß. Behinderungsbedingte Mehraufwendungen sollen zukünftig auch im Bereich der Darlehensrückzahlung angemessen berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, ich bin froh darüber, daß der Großteil der in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck kommenden Reformvorstellungen von CDU/ CSU, FDP und SPD unterstützt wird. Die sozialdemokratische Opposition hat überdies vorgeschlagen — Frau Kollegin Odenthal hat das ja gerade auch erläutert — , eine allgemeine Schülerförderung wiedereinzuführen. Dies erscheint uns aus Gründen der Finanzierbarkeit derzeit nicht möglich.
Wir hatten abzuwägen, ob wir das Reformwerk zustande bringen oder ob es an zu hohen Kosten scheitert. Wie ich schon sagte: selbst die vorgelegte Reform kostet im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit den Bund und die Länder 650 Millionen DM mehr als die bisherige Regelung.
Auf diesem Hintergrund und im Blick auf die Tatsache, daß vielfältige, neue Auf- und Ausgaben durch die aktuelle deutschland- und ostpolitische Entwicklung auf uns zukommen wird
— das wissen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch sehr genau — , ist es angezeigt, nun nicht noch weiter draufzusatteln. Ich wäre froh, wenn man sich darauf verständigen könnte.
Übrigens muß ich hier auch ganz offen sagen, daß wir heute nicht wissen können, in welcher Schwankungsbreite der gesetzlich verbriefte Anspruch möglicherweise den Bundeshaushalt zusätzlich in Anspruch nehmen wird. Wir wissen nicht, wieviel junge Menschen, unter denen sein werden, die BAföG-berechtigt sein werden, die aus Mittel- und Osteuropa zu uns kommen. Die Schätzungen gehen da sehr weit auseinander. Dies wird das Gesetz gewiß nicht entlasten, sondern eher verteuern; davon kann man ganz sicher ausgehen. Und wir wissen auch nicht, welche Möglichkeiten durch die von uns allen begrüßte Öffnung der deutsch-deutschen Grenze durch mögliche Pendler in Anspruch genommen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Beratung im Bundesrat — das wurde vorhin angedeutet — hat sich das Land Schleswig-Holstein schon sehr schwergetan; aber ich bin ganz gewiß und sicher, daß nicht nur das Land Schleswig-Holstein, sondern vor allem das Land Berlin, möglicherweise auch Bayern, Hessen und Niedersachsen, wegen des letztgenannten Aspekts ihre Zahlen möglicherweise werden korrigieren müssen, so daß die Debatte in einem halben Jahr schon wieder anders geführt würde. Wir sind in einer
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Bundesminister Möllemann
Situation, in der wir solche Ungewißheiten einzustellen haben.
Nun können Sie darauf hinweisen, daß der Vorschlag, den ich unterbreite, bereits zu einem Zeitpunkt fixiert wurde, als es dieses Problem in dieser Ausprägung nicht gab. Das ist richtig. Aber sicher ist es so, daß durch diese Entwicklung der Spielraum nicht größer geworden ist, den ich genannt habe, sondern kleiner.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kastning?
Ja, gern.
Herr Bundesminister, Zwischenfragen sollen kurz sein. Ich frage kurz: Welche Motive hatten Sie denn vor etwa einem Jahr, als Sie schon damals gesagt haben, Schüler-BAföG wird nicht wieder eingeführt?
Es ging von Anfang an in entscheidender Weise darum, dieses Reformprojekt durchzubringen. Die Voraussetzung war, daß die Finanzierungsgrößen nicht über das jetzt gegebene Maß hinausgingen. Das war der entscheidende Punkt. Und dieser Punkt hat sich durch die Entwicklung, von der ich sprach, zugespitzt.
Zum Schluß will ich einen zweiten Punkt im Hinblick auf die Ausführungen der Kollegin Odendahl behandeln. Sie sprachen von den „real existierenden Studenten". Nachdem das andere üblicherweise als „real existierend" Bezeichnete aufgehört hat, als solches zu existieren, ist das ja eine ganz schön interessante Variante. Aber ich wäre Ihnen dankbar, Frau Kollegin, wenn Sie die Tatsache, daß wir auch aus Ihrer Sicht 1,49 — glaube ich — Millionen real existierender Studierender haben, folgenden Damen und Herren besonders nahebringen könnten: Schleußer, Simonis, Meisner, Grobecker, Krupp und Kasper.
Das sind die Ihrer Partei angehörenden Finanzminister
— ja; leider die anderen auch —, die bis vor kurzem — —
— Herr Kollege Kuhlwein, es ist immer so: Wenn man einen Stein in eine bestimmte Gruppe wirft, dann schreit nur der erschrocken auf, der getroffen worden ist.
Ich will folgendes sagen: Diese sechs Kollegen
Schleußer, Simonis, Meisner, Grobecker, Krupp und Kasper sind Mitglieder der LänderfinanzministerKonferenz, die festgestellt hat, daß derzeit an den Hochschulen als für die Kapazitätsberechnung relevante Zahl nicht die von mir genannten 1,49 Millionen Studierenden da seien, sondern eine Größenordnung von unter 1 Million. Die haben eine halbe Million Studierender weggerechnet.
Das sind Ihre sozialdemokratischen Kollegen. Ich finde es nicht in Ordnung, daß Sie sich hierher stellen und die Zahlen so nennen, während ihre eigenen Finanzpolitiker das Gegenteil sagen.
Ich bitte Sie, zu helfen, daß mit Blick auf die Besprechung des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder am 21. Dezember, wo wir über weitere wichtige bildungspolitische Maßnahmen reden wollen, Konsens darüber hergestellt wird, daß die reale Bezugsgröße die 1,49 Millionen Studierenden sind, um die wir uns zu kümmern haben.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wetzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine Damen und Herren! Natürlich ist die Qualität dieses 12. Änderungsgesetzes
zum BAföG daran zu messen, ob es dazu beiträgt, mehr Chancengleichheit im Bildungswesen herzustellen. Chancengleichheit muß — darin sollten wir übereinstimmen — das Kernstück jeder Bildungspolitik in einer demokratischen Gesellschaft sein.
Wie es damit nach sechs Jahren Kohl-Regierung tatsächlich bestellt ist, darüber geben nach wie vor harte Tatsachen Auskunft. Die Gefördertenquote hat mit 22 % den niedrigsten Stand seit der Einführung des BAföG im Jahr 1971 erreicht. Aus dem Regierungslager habe ich dazu immer wieder hören müssen, daß diese niedrige Förderungsquote eben als ein Beweis für eine gute Wirtschaftspolitik zu gelten habe; der Bedarf an staatlicher Förderung habe sich durch eben diese gute Wirtschaftspolitik verringert.
Diese Deutung der wirklichen Verhältnisse ist schlichter Unfug.
Denn das Sinken der Gefördertenquote ist von einem gleichzeitigen Anstieg studentischer Erwerbstätigkeit begleitet.
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Wetzel
Inzwischen müssen mehr als 50 % der Studierenden sogar während des Semesters Geld verdienen.
— Sie haben völlig recht, Frau Kollegin Wegner. Und das trägt zusammen mit den miserablen Studienbedingungen dauernd zu einer Verlängerung der Studienzeiten bei.
Erst recht aber sollten alle Alarmglocken bei der Feststellung klingeln, daß die Hochschulen noch immer Einrichtungen darstellen, die vor allem den Kindern aus höheren Einkommensschichten vorbehalten sind. Wenn heute jedes zweite Beamtenkind eine Hochschule besucht, dagegen nur acht von 100 Arbeiterkindern, dann haben wir es hier mit einem unerträglichen Defizit an Demokratisierung zu tun.
Die Bildungspolitik dieser Bundesregierung ist also danach zu bewerten, wie energisch sie bereit ist, diesen Fehlentwicklungen gegenzusteuern.
Im 12. Änderungsgesetz finden wir dazu auch einige von uns durchaus anerkannte Verbesserungen.
Herr Abgeordneter Wetzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Kollege Wetzel, würden Sie einräumen, daß erstens eine höhere Förderquote kein Selbstzweck in der Konstruktion eines staatlichen Ausbildungsförderungssystems sein kann
und daß sich zweitens — Sie haben ja diesen Zusammenhang hergestellt, von dem ich einräume, daß er sicher seine Bedeutung hat — nicht einmal aus der Zahl und dem Anteil der Studenten, die gleichzeitig jobben, zwingende Schlüsse auf die Bedarfssituation herleiten lassen, weil es selbst unter den Studenten, die mit dem vollen Fördersatz gefördert werden, einen beachtlichen Teil gibt, der beispielsweise im Interesse eines angestrebten Lebensstandards nebenher Erwerbstätigkeiten verrichtet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Lammert, ich fange mit Ihrer zweiten Frage an. Das war ein Eigentor. Es könnte ja auch durchaus sein, daß dieser Höchstfördersatz so niedrig ist, daß man sich, um als Studierender leben zu können, etwas hinzuverdienen muß. Genau das besagen die statistischen Untersuchungen des Deutschen Studentenwerks.
Auf Ihre erste Frage, Herr Lammert, will ich ganz knapp antworten. Sie fragten, ob die Höhe der Förderungsquote als solche bereits auskunftsfähig sei.
Wenn 50 % der Kinder aus höheren Einkommensschichten — Beamtenkinder, Kinder von Selbständigen und höheren Angestellten — studieren können, dann möchte ich, daß ein entsprechend hoher Prozentsatz von Arbeiterkindern die gleiche Chance hat. Das durch ein gescheites BAföG zu gewährleisten, ist staatliche Verpflichtung.
Meine Damen und Herren, die Verbesserungen, die wir durchaus anerkennen — Heraufsetzung der relativen Freibeträge, die Tatsache, daß künftig nur noch die Hälfte der erhaltenen Fördermittel zurückgezahlt werden müssen —, sind gut. Vernünftig ist auch die Einführung einer zweisemestrigen Studienabschlußförderung.
Aber diesen Fortschritten in Teilbereichen stehen schwerwiegende Unterlassungen und teilweise sogar Verschlechterungen gegenüber. Zunächst einmal ist die Tatsache zu nennen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, die Förderungshöhe — darüber sprachen wir gerade, Herr Lammert — den wirklichen Lebenshaltungskosten der Studierenden anzupassen. Das heißt, der Zwang zur Erwerbstätigkeit während der eigentlich dem Studium vorbehaltenen Zeit bleibt bestehen. So werden sich auch in Zukunft zwei negative Tendenzen gegenseitig hochschaukeln: Das Jobben und die miserablen Studienbedingungen machen lange Studienzeiten auch in Zukunft zum Regelfall.
Ein weiterer Kritikpunkt: Trotz der politisch zu verantwortenden Überlastung der Hochschulen wird an der Fiktion von Regelstudienzeiten festgehalten und die Förderungshöchstdauer daran orientiert. Diese Regelstudienzeiten sind aber nun einmal bei den heutigen Studienbedingungen immer schwerer einzuhalten. Gerade die Studentinnen und Studenten aus einkommensschwächeren Familien sollen dafür auch nach diesem Gesetzentwurf noch extra büßen.
Ein weiterer Punkt unserer Kritik ist die vorgesehene Einschränkung der elternunabhängigen Förderung von Studierenden, die auf dem zweiten Bildungsweg zur Hochschule kommen. Nach Berufstätigkeit und Abitur sollen diese Leute, die häufig schon eine Familie gegründet haben, wieder in die Elternabhängigkeit zurückfallen, wenn sie jünger als 30 Jahre sind. Einspruch, Herr Möllemann. Das geht nicht. Das wäre ein untragbarer Zustand. Mit Recht protestieren die Leute an den Abendgymnasien und Kollegs gegen diesen Akt neuerlicher Verunmündigung.
Der letzte Punkt unserer Kritik berührt grundsätzliche Fragen von Bildungspolitik. Die Bundesregierung hat es in ihrem Gesetzentwurf abgelehnt, die Schülerförderung ab Klasse 11 wieder in das BAföG aufzunehmen. Sie hat damit dem Votum namhafter Wissenschaftler und Verbände sowie dem Votum des von ihr eingesetzten BAföG-Beirats widersprochen.
Was bedeutet aber diese Ablehnung? Sie bedeutet, daß von dieser Regierung bereits an der Schule für viele begabte Kinder aus den unteren Sozialschichten eine materielle Bildungsschranke errichtet wird.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14155
Wetzel
Chancengleichheit bleibt für diese Jugendlichen nur ein frommer Wunsch.
Da gibt es nun zwei höchst unterschiedliche Begründungen. Auf sie will ich mich kurz einlassen. Die eine haben Sie gerade gehört — vor ein paar Tagen hat sie der Herr Minister auch im Bundesrat vorgetragen — : Die Verweigerung eines Schüler-BAföG habe vor allem finanzpolitische Gründe. Heute hat er hinzugefügt, im übrigen entstünden neue Prioritäten durch die Deutschlandpolitik und anderes mehr, obwohl er die Begründung, worauf schon hingewiesen wurde, bereits vor über einem Jahr vorgetragen hat.
Die Deutschlandpolitik verursacht zweifellos und zu Recht neue Kosten für den Bundeshaushalt. Aber, warum muß dann gerade eines der schwächsten Glieder in diesem Bundeshaushalt dafür herhalten, die entstehenden Löcher zu stopfen? Warum muß gleichzeitig, während notwendige Maßnahmen im Bereich der Bildungspolitik unterbleiben, auf dem Wege zu einer neuen europäischen Friedensordnung der Verteidigungshaushalt ansteigen?
Das paßt doch nicht in die politische Landschaft. Da sind doch von Ihnen klar die Prioritäten falsch gesetzt.
— Wenn Sie noch etwas zu sagen haben, Herr Staatssekretär, dann sagen Sie es bitte am Mikrophon. So kann ich Sie schlecht verstehen.
Viel wichtiger für die Beurteilung ist aber, daß es noch eine ordnungspolitische Begründung gibt. Danach wird das BAföG durch den Herrn Minister ausdrücklich als Instrument zur Steuerung des Hochschulzugangs angesehen.
Ich sehe, die Zeit ist außerordentlich knapp geworden. Ich verweise Sie auf die Erklärung des Ministers vom 5. September 1989 im Deutschen Bundestag, wo er sich gefragt hat, ob wir eine Entwicklung anstreben sollen, bei der wir am Ende zwar sehr viele Leute haben, die wissen, was getan werden müßte, aber keinen mehr, der es machen kann.
Diese Erläuterung hat er im Ausschuß vertieft. Er meinte, es gebe zu viele Kinder, die entsprechend ihrem Begabungspotential am Gymnasium nichts zu suchen hätten. Deshalb — so hat der Minister argumentiert — sehe er kein Erfordernis, den Zustrom zum Gymnasium durch ein Schüler-BAföG für alle Schüler zu fördern. Das ist der springende Punkt.
Im Kern benutzen Sie bei der Verweigerung eines Schüler-BAföG das BAföG als Steuerungsinstrument für den Hochschulzugang.
Soziale Kriterien geben den Ausschlag dafür, ob jemand die Chance bekommt, studieren zu können oder nicht. In der Tat weisen Sie mit dieser Politik nach staatlichem Gusto Individuen, einzelnen jungen Menschen selektiv Bildungschancen zu. Das halte ich für unerträglich. Sie können gerne das entsprechende Ausschußprotokoll, in dem sich der Minister dazu eingehend ausgelassen hat, nachlesen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Graf Waldburg-Zeil.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition — Frau Odendahl und Herr Wetzel — hat natürlich, wie es sich für die Opposition gehört, Sorgen in den Vordergrund gestellt. Sie werden es mir dennoch nicht verargen, meine Genugtuung darüber auszudrücken, daß auch diesmal pünktlich die Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge jeweils zum Herbst 1990 und 1991 um durchschnittlich 3 % erfolgt ist und daß es darüber hinaus bei der 12. BAföG-Novelle gelungen ist, eine Reihe von Problemen zu bereinigen, über die in den letzten Jahren zunehmend diskutiert wurde.
Ich darf in folgenden Schritten vorgehen. Ich möchte zunächst einmal feststellen, was wir alle gemeinsam gefordert haben und deshalb auch an den Verbesserungen begrüßen. Ich möchte dann über die Punkte sprechen, die von der Opposition moniert wurden und die wir im Ausschuß noch intensiv beraten werden.
Dann möchte ich noch ganz kurz einen Ausblick auf sich abzeichnende Probleme geben, die in künftigen BAföG-Novellen eine Rolle spielen dürften.
Zunächst die gemeinsam geforderten und begrüßten Verbesserungen: Die wichtigste Verbesserung ist die Schließung der Lücke bei Beziehern von mittleren Einkommen. Dies geschieht durch die Anhebung der relativen Freibeträge von jetzt 25 % der Eltern auf 50 % und 5 % je Kind ohne Begrenzung. Durch diese Änderung wird sich die Zahl der BAföG-Geförderten im Hochschulbereich um etwa 70 000 erhöhen. Zusätzlich werden rund 160 000 Studenten deutlich höhere Förderungsbeträge erhalten. Übrigens kommen dadurch auch 10 000 Schüler mehr wieder in die Förderung.
Ein Beispiel hat der Herr Minister schon genannt. Ich kann das gerne weglassen. Ich möchte aber ein anderes Beispiel erwähnen, um auf einen zweiten Punkt zu kommen. Ich nenne den Fall, daß ein Schüler der Fachoberschule II bei den Eltern wohnt, die über ein Bruttoeinkommen von 6 200 DM verfügen. Bisher gab es in diesem Fall keine Förderung, ab 1990 werden es 632 DM sein.
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Graf von Waldburg-Zeil
Damit bin ich bei dem zweiten Punkt, nämlich der Verbesserung der Schülerförderung. Auszubildende in Berufsaufbauschulen und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt — es handelt sich also um Auszubildende des zweiten Bildungswegs zu den Fachhochschulen —, sollen wieder voll in die BAföG-Förderung einbezogen werden. Dies gilt unabhängig von der Unterbringung des Auszubildenden ab Klasse 11.
Eine wichtige Bereinigung ist auch die Studienabschlußförderung. Damit wird das Problem gelöst, das darin besteht, daß — nach Fächern unterschiedlich — manche Studenten aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen ihr Ziel nicht in der vorgeschriebenen Mindestförderungsdauer erreichen konnten.
Übrigens gibt es Verbesserungen auch für Behinderte; ein Problem, das sich bei mehreren Anhörungen deutlich gezeigt hat. Ferner gibt es Verbesserungen für Frauen, die kleine Kinder erzogen haben.
Verlängerungstendenzen beim Studium sollen sich allerdings nicht ergeben. Der leistungsabhängige Darlehensteilerlaß wird deshalb um eine Zeitkomponente ergänzt.
Die Ausbildungsförderung wird in Zukunft wieder zur Hälfte als Zuschuß und zur Hälfte als Darlehen gewährt. Rechnerisch handelt es sich zwar durch die Erhöhung der Rückzahlungsraten um die Ersetzung eines bisher verdeckten Zuschusses durch einen offenen Zuschuß. Die Maßnahme ist aber hilfreich, psychologische Barrieren bei Studierenden aus Familien mit geringerem Einkommen zu beseitigen, zu deutsch: Angst vor hohen Schulden bei Bildungsinvestitionen abzubauen.
Ich muß hinzufügen: Es hätte natürlich auch die Möglichkeit eines anderen Weges gegeben, nämlich die Einsicht, daß Bildungsinvestitionen letztendlich Zinsen bringen. Insofern hätte man auch den Weg des Bildungsdarlehens beschreiten können. Wir sind aber den skizzierten Weg gegangen, weil die Bedenken in dieser Richtung bestanden haben.
Schließlich möchte ich erwähnen, daß der Zuschuß zur Krankenversicherung nun auf 65 DM angehoben ist.
Nun komme ich zu den strittigen Punkten. Eine sachliche Diskussion setzt voraus, daß neben Punkten der Übereinstimmung auch die strittigen Punkte angefügt werden. Ich möchte zunächst kurz die Schulddiskussion ansprechen. Frau Odendahl, ich kann mich nur respektvoll vor Ihnen verneigen, daß Sie das Jahr 1981 ebenso genannt haben wie das Jahr 1982.
— Richtig. Ich habe mir gerade noch einmal die Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 30. November 1989 zum BAföG angesehen. Darin werden sogar drei Punkte genannt, bei denen nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbunds Verschlechterungen eingetreten seien. Das bezieht
sich auf die Jahre 1974, 1981 und 1982. Zwei Termine fallen in Ihre Regierungszeit, ein Termin in unsere.
Ich meine, daß im Zusammenhang mit den wechselseitigen Schuldzuweisungen auch einmal ausgesprochen werden muß, daß ein Staat einmal mehr ausgeben kann, sich aber manchmal in Situationen befindet, in denen weniger ausgegeben werden muß. Infolgedessen können einmal quantitative Ausweitungen erfolgen, aber manchmal müssen auch Rücknahmen erfolgen. Das ist in jeder Regierungszeit so.
Den Kern der strittigen Diskussionspunkte stellt die Schülerförderung dar. Unsere Auffassung seit 1982 war, daß es nicht Aufgabe des Bundes sein könne, ein Schülergehalt zu zahlen. Der Bund müsse für gleichmäßige Bildungschancen sorgen.
Daher habe er sich um auswärts wohnende Schüler und um solche des zweiten Bildungsweges zu kümmern. Bei Schülern im allgemeinbildenden Schulwesen seien die Bedingungen wie Schülerbeförderung und Lernmittelfreiheit so unterschiedlich, daß ein gerechter Ausgleich der den Eltern entstehenden Kosten nur durch die Länder und nicht durch den Bund erfolgen könne.
Graf Waldburg-Zeil, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Odendahl?
Gerne.
Graf Waldburg, darf ich Sie fragen, da Sie jetzt offenbar die Meinung der CDU/ CSU-Fraktion vortragen, ob Sie wirklich daran festhalten wollen, das Schüler-BAföG aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten — wenn Sie von einem Gehalt reden, muß ich davon ausgehen — zu verweigern?
Verehrte Frau Odendahl, ich komme jetzt gerade zu diesem Punkt. In der Begründung von 1982 ist dargelegt, daß es die Unterschiedlichkeit der Gewährung von Mitteln für die Schülerbeförderung, von Lernmittelfreiheit und dergleichen erfordere, daß die Länder unterschiedlich hohe Schülerförderung gewähren sollten.
Dies habe ich vorgetragen. Ich habe mir gerade — ich suche es, aber ich finde es jetzt nicht — eine Liste darüber machen lassen, was die Länder nun alles gemacht haben. Diese Liste weist in der Tat erstaunliche Unterschiede auf. Zunächst einmal habe ich gedacht, die Liste sei falsch, weil in ihr nur zehn Länder standen. Dann habe ich gesehen, daß das Saarland fehlt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14157
Graf von Waldburg-Zeil
Da wurde mir gesagt, das Saarland fehlt deshalb, weil es überhaupt nichts tut.
Die Problematik besteht darin, daß die Länder offensichtlich nicht das gemacht haben, was wir im Jahre 1982 von ihnen erwartet haben. Ich glaube, daß über dieses Thema durchaus einmal in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung diskutiert werden sollte, damit wir sehen, was eigentlich geschehen müßte, um bei den allgemeinbildenden Schulen eine Förderung zu gewähren, durch die die Chancengleichheit garantiert wird.
Übrigens, Herr Wetzel, Sie haben vorher gesagt, das sei ein Regulativ. Ich möchte doch aus dem BAföG-Beiratsbericht zitieren. Auf Seite 110 wird gesagt: „Die Analyse der Ausbildungsförderung für Schüler hat ergeben, daß sich das Bildungsverhalten der Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich mit Kindern im Schulalter durch den Wegfall der Schülerförderung nach dem BAföG nicht deutlich verändert hat. " Das ist kein Grund, nicht über das Thema zu diskutieren. Ich möchte das nur sehr deutlich angemerkt haben.
Ein weiterer Punkt, bei dem es sicherlich zu Diskussionen kommen wird, ist die Förderungsbindung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Familien. Das war vom BAföG-Beirat so empfohlen worden.
Graf Waldburg-Zeil, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wetzel?
Gern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe folgende Frage: Können Sie sich an eine Sitzung von vor etwa fünf, sechs Wochen im Ausschuß erinnern, in der der Minister ausdrücklich ausgeführt hat, das Hauptproblem bestehe darin, daß zu viele Unbegabte Abitur machten, während auf der anderen Seite Facharbeiter fehlten, daß deswegen ein Problem fehlgeleiteter Bildungsströme existiere und daß man diesem Problem nicht mit den Begriffen Freiheit der Berufswahl, Marktwirtschaft und Offenhalten der Bildungswege entgegentreten könne? Würden Sie das interpretieren als eine Aufforderung zu staatlichem Bildungsdirigismus oder Wiedereinführung sozialdarwinistischer Kategorien in das Bildungssystem?
Herr Vorsitzender des Ausschusses, ich erinnere mich an die Sitzung. Aber ich glaube, Sie haben den Minister hier mißverstanden.
Er hat in der Debatte nur den Gesichtspunkt eingeführt, daß das alte Schüler-BAföG für diejenigen Schüler, die in einem Bundesland gelebt haben, in dem praktisch alle Kosten der Schule getragen worden sind,
im Unterschied zu den Schülern in den Ländern, in denen dies nicht der Fall war, Vorteile gehabt hat. Das heißt, das Schüler-BAföG hat in diesem Falle eine bildungswerbende Funktion gehabt. In der Diskussion draußen im Lande hat man damals vom MoföG und ähnlichen Sachen gesprochen.
Ich muß ganz ausdrücklich sagen: Ich bin dafür, daß den Eltern die Kosten ersetzt werden, die dadurch entstehen, daß ihr Kind auf einem Gymnasium ist. Die bildungswerbende Maßnahme aber — deshalb habe ich vorhin den Begriff Schülergehalt gebraucht — muß in Frage gestellt werden, weil wir ein Bildungssystem haben, in dem der Durchstieg auch auf anderen Wegen erfolgen kann. Hierfür haben wir ja nun die ganz breit angelegte Förderung für den zweiten Bildungsweg.
Lassen Sie mich auf einen bereits angesprochenen Gesichtspunkt zurückkommen. Der Beirat für Ausbildungsförderung hat empfohlen, die Ausbildungsförderung in Zukunft wieder stärker an die wirtschaftliche Leistungskraft der Familie zu binden. Um es etwas drastisch zu sagen: Wer nach dem Schulabschluß nur deshalb eine praktische berufliche Ausbildung absolviert, um danach auch bei hohem Elterneinkommen in den Genuß von BAföG zu kommen, der wird das in Zukunft nicht mehr können.
Davon unberührt bleibt der echte zweite Bildungsweg. Es ergeben sich allerdings bei der Frage, was ist der echte zweite Bildungsweg, eine ganze Reihe wichtiger Einzelprobleme, die wir heute im Plenum natürlich nicht abhandeln können, aber die wir im Ausschuß sehr, sehr gründlich werden beraten müssen, z. B. die Frage der Anrechnung der Arbeitslosigkeit.
Ein grundlegender Dissens besteht hier wohl nur zur Fraktion der GRÜNEN, die Ausbildungsförderung nicht als Hilfe zur Chancengleichheit im Bildungswesen sieht, sondern als Beitrag zur Emanzipation — so ist es jedenfalls früher begründet worden —, und deshalb grundsätzlich die elternabhängige Förderung ablehnt. Es wäre aus meiner Sicht allerdings verhängnisvoll, wenn der Staat durch Schüler- und Studentengehälter die Generationen aus wechselseitiger Verpflichtung entläßt, um eine Unabhängigkeit vorzutäuschen, die tatsächlich noch nicht gegeben ist.
Die Tatsache, daß über manche in der 12. BAföG-Novelle geregelten Probleme seit einem Jahrzehnt, über andere zumindest seit der Beauftragung des Beirates für die Ausbildungsförderung 1987 beraten und diskutiert wird, muß uns veranlassen, schon jetzt für künftige BAföG-Novellen Überlegungen anzustellen. Hierzu zunächst nur zwei Anmerkungen.
Nach der Vollendung des Binnenmarktes müssen wir überdenken, ob die jetzige Form der Förderung
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Graf von Waldburg-Zeil
— es werden praktisch nur zwei Semester im Ausland gefördert — weiterhin sinnvoll ist oder ob nicht ein gemeinsamer Binnenmarkt dazu führen muß, daß man das ganze Studium in einem anderen europäischen Land absolvieren kann. Die Vollendung des Binnenmarktes wird 1993 erfolgen. Wir haben daher noch etwas Zeit zum Nachdenken. Aber wie wir aus der Beratung dieser Novelle gesehen haben, brauchen wir viel Vorlauf. Wir brauchen viel Zeit, um solche Themen auszudiskutieren.
Der zweite Punkt, der mir für eine künftige Fortschreibung von BAföG wichtig erscheint: Es hat sich eine gewisse Verschiebung zwischen Erstausbildung und Weiterbildung ergeben. Die rasante Veränderung technischer Errungenschaften führt dazu, daß die Erstausbildung im Grunde immer schneller obsolet wird und daß man deshalb in immer rascherer Folge durch Nachbildung das ergänzen muß, was an Wissen fehlt. Die Weiterbildung erlangt also neben der Erstausbildung eine größere Bedeutung, als sie es früher gehabt hat.
Nun ergibt sich hieraus auch für die Chancengleichheit eine bestimmte Problematik. Bisher ist es nämlich so: Die Weiterbildung desjenigen, der etwa durch Arbeitslosigkeit nicht mehr in der Lage ist, in seinem bisherigen Beruf zu arbeiten, und der weiterqualifiziert werden muß, erfolgt mit Mitteln aus dem Sozialbereich. Hier ist also eine Förderung vorhanden.
Auch bei demjenigen, der im Betrieb besonders aufgefallen ist, wird sich eine Förderung ergeben, weil die betriebliche Weiterbildung ihn herausziehen wird, ihn Kurse durchlaufen läßt. Er wird ebenfalls seinen Weg gehen.
Was ist aber mit der Gruppe, die dazwischen liegt? Hier haben wir sozusagen ein neues Mittelstandsloch. Ist hier die Chancengleichheit gegeben oder muß letzterer seine Weiterbildung mit eigenen Mitteln finanzieren? Ich glaube, daß wir die Diskussion führen müssen, ob bei künftigen BAföG-Novellen die Weiterbildung einbezogen werden sollte.
Ich darf zusammenfassen: Die 12. Novelle hat die Grundidee der Ausbildungsförderung, die Chancengerechtigkeit zu fördern, ein gutes Stück weitergebracht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! SPD-Fraktion und Bundesregierung haben dem Bundestag Vorschläge für die Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vorgelegt. Der Entwurf der SPD war früher da. Die Bundesregierung hat etwas länger gebraucht. Beide Entwürfe sind in vielen Passagen deckungsgleich. Dies darf aber nicht zu dem Trugschluß verführen, die SPD habe bei der Regierung Anleihen gemacht; denn wenn wir ganz ehrlich sind, bekennen wir gemeinsam, daß der BAföG-Beirat unter Leitung von Professor Dams hervorragende Vorarbeiten geleistet hat.
Die SPD — das geht dann an die Adresse der Koalition — hat allerdings sehr viel konsequenter daran angeknüpft, als dies die Regierung getan hat. Das betrifft vor allem die Schülerförderung.
Wir erinnern in dem Zusammenhang, Herr Kollege Lammert, auch gern daran — da haben Sie sich um Bildungspolitik noch nicht soviel gekümmert, deswegen können Sie das nicht wissen —, daß die SPD schon in früheren Novellen erstens eine kräftige Erhöhung der Elternfreibeträge, zweitens eine Studienabschlußförderung und drittens eine verbesserte Förderung für Behinderte beantragt hat, damals allerdings leider ohne Erfolg. Aber man freut sich ja als Opposition immer, wenn sich die eigenen richtigen Ideen schließlich doch durchsetzen.
Deshalb sind wir guten Mutes, daß wir mittelfristig auch mit den Teilen unseres Entwurfs Erfolg haben werden, die heute noch den ordnungs- oder — wie auch immer — finanzpolitischen Bedenken der Koalition zum Opfer fallen, wie etwa das Schüler-BAföG. Die Begründungen — das haben wir heute wieder festgestellt — sind durchaus vielschichtig und schillernd: Einmal wird dieses Argument vom Bundesbildungsminister an einer Stelle verwendet und an anderer Stelle dann das andere, gerade wie es die Luft über dem Stammtisch erforderlich macht.
Herr Möllemann, ich habe mit großem Interesse im „Spiegel" am Montag gelesen, daß Sie sich jetzt auch die alte Forderung der Studentenbewegung zu eigen gemacht haben: Heute sei Bildung statt Raketen angesagt.
Deshalb setzen wir auf schnelle Umsetzung dieser Erkenntnis schon bei den Beratungen zur 12. Novelle. Sie brauchen nur die entsprechenden Passagen zur Wiederaufnahme der einkommensabhängigen Förderung für alle Schüler ab Klasse 11 und zur Förderung bei Pflege und Erziehung eines Kindes aus unserem Gesetzentwurf, Graf Waldburg, in den Ausschußberatungen mit einzuarbeiten.
Was die Finanzierbarkeit angeht: Herr Möllemann hat auf wachsende Finanzprobleme wegen der Öffnung der Grenzen zur DDR hingewiesen. Ich habe noch im Ohr, Herr Möllemann, wie Ihr Parteivorsitzender vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit dem Devisenfonds auf Fragen eines WDR-Journalisten gesagt hat: Geld ist genug da.
Das ist das eine.
Das zweite ist: Ich hoffe, daß — jedenfalls nicht mit Ihrer Zustimmung — die finanzpolitischen Probleme, die sich aus der Annäherung zwischen der Bundesrepublik und der DDR ergeben, nicht ausgerechnet allein mit dem BAföG-Plafond gelöst werden sollen. Das sollte hier einmal festgehalten werden.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14159
Kuhlwein
Wenn Sie uns beim Schüler-BAföG folgen, werden Sie auch den Beifall des Beirats finden, Graf Waldburg, der sehr deutlich — neben dem, was Sie zitiert haben — gesagt hat, daß die derzeitige Belastung von Eltern in den unteren und mittleren Einkommenschichten mit Kindern in der Sekundarstufe II unvertretbar — so heißt es wörtlich — sei. Wenn sich die Bundesregierung auf die Empfehlungen des Beirats beruft, dann sollte sie dies nicht vergessen.
Regierung und Opposition haben Schularbeiten gemacht. Die großen Lösungen bringen beide Entwürfe nicht, was der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Albert von Mutius, schon im Mai 1988 auf einer Fachtagung vorausgesagt hat. Damals sagte er:
Wenn ich unter Beachtung der föderativen Strukturen unseres politischen Entscheidungsprozesses in der Bundesrepublik Deutschland, der gegebenen Kompetenzen in den Ressorts sowie der parteipolitischen Gegebenheiten den Spielraum einer Konsensbildung über die Reformen der Ausbildungsförderung realistisch einschätze, so kann allenfalls mit einer mittleren Lösung gerechnet werden, die die grundlegenden Elemente unseres derzeitigen Familienlastenausgleichs nicht wesentlich antastet.
Herr von Mutius hat recht behalten: Diese Regierung hat den großen Wurf nicht geschafft. Das soll für die Zukunf nicht heißen, daß wir uns immer wieder mit kleinen oder größeren Korrekturen im System zufriedengeben und letztlich dabei immer erneut Widersprüche produzieren.
Ein Beispiel dafür — Kollege Wetzel hat es genannt — ist die Logik der Bedarfssatzermittlung: nicht etwa an einem studentischen Warenkorb orientiert, sondern am politischen Kuhhandel. Oder kann mir jemand sagen, warum die Steigerung der Lebenshaltungskosten 1989/90 wenigstens 5,5 % — wahrscheinlich eher mehr — betragen wird, die Erhöhung des Bedarfssatzes aber nur 3 %?
Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung der elternunabhängigen Förderung. Regierung und SPD haben mit plausiblen Gründen die Förderung von Zweitausbildung für die Zukunft auf die Fälle mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beschränkt. Das Beispiel ist richtig. Es ist nicht einzusehen, Kollege Wetzel, warum der Sohn eines Bankdirektors im Betriebswirtschaftslehrestudium BAföG beziehen soll, wenn seine Eltern ihm zuvor schon eine Banklehre ermöglicht haben. Aber es ist ebensowenig logisch, daß derselbe Sohn elternunabhängig gefördert werden kann, wenn er sein Abitur nach drei Jahren Berufstätigkeit an einem Abendgymnasium oder Kolleg nachholt.
Im übrigen muß hier die Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht nach § 1610 BGB berücksichtigt werden. Neues Urteil vom 7. Juni dieses Jahres, in dessen Tenor es heißt:
Der Unterhalt eines Kindes, das nach Erlangung der Hochschulreife zunächst eine praktische Ausbildung durchlaufen hat, umfaßt auch die Kosten eines Hochschulstudiums, wenn dieses mit den vorangegangenen Ausbildungsabschnitten in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang steht und die Finanzierung des Ausbildungsgangs den Eltern wirtschaftlich zumutbar ist.
Dies stellt uns vor neue Erkenntnisse und vor neue notwendige Schlußfolgerungen. Der in den 80er Jahren neu entwickelte Königsweg über Abitur und Berufsausbildung zum Studium wäre danach ohnehin nicht mehr elternunabhängig gefördert worden. Für unterbrochene Bildungskarrieren mit längerer Berufstätigkeit jedoch bleibt die elternunabhängige Förderung des Studiums möglich. Im Einzelfall wird dies immer wieder zu Härten und zu logischen Brüchen führen, allein schon deshalb, weil die Dauer der Berufsausbildung bzw. der Erwerbstätigkeit als Kriterium für die Ablösung vom Elternhaus und für die wirtschaftliche Selbständigkeit herangezogen werden muß. Das ist ein Verfahren, das dem Einzelfall mit Sicherheit nicht gerecht werden kann.
Wir sollten aus zwei Gründen an Konzepten für eine elternunabhängige Förderung für alle Studierenden arbeiten, Graf Waldburg. Der eine ist, daß immer mehr junge Leute sehr früh heute ihre eigenen Wege gehen und lieber ihren Unterhalt durch Werkarbeit verdienen, als bei ihren Eltern anzuklopfen. Dies führt mit Sicherheit zu einer Verlängerung der Studienzeiten.
Der zweite Grund ist, daß die Generation der Eltern heute nicht mehr nach der Fiktion einer vorindustriellen Gesellschaft auf Jahrzehnte für ihre Sprößlinge verantwortlich gemacht werden kann. Eltern mit Kindern sollten eine faire Chance bekommen, ihre Erwerbseinkommen nicht bis zur Rente mit ihren Kindern teilen zu müssen. Sie haben es schwer genug in unserer Gesellschaft. Deshalb bedarf das Unterhaltsrecht einer kritischen Überprüfung. Die Alternative zur elternabhängigen Förderung wäre ein bedarfsorientiertes Mindesteinkommen für alle für bestimmte Zeiten der Ausbildung. Damit diejenigen nicht zu kurz kommen, die nie in ihrem Leben eine Hochschule besuchen, könnte man ihnen dieses Mindesteinkommen auch für Zeiten der Weiterbildung gewähren.
Der Beirat, Graf Waldburg, untersucht übrigens in seinem Bericht auch ein einheitliches Transfersystem für alle Jugendlichen ab 18 Jahren in Ausbildung, und er hat in Modellrechnungen einen einheitlichen Sockelbetrag für alle und einkommensabhängige Zuschläge geprüft. Er hat dieses Modell zunächst verworfen. Aber bemerkenswert ist doch immerhin seine Feststellung, daß neben den Ausgaben für BAföG durch Steuerentlastung bzw. Kindergeld Transfer, indirekt und direkt, in Höhe von weit über 4 Milliarden DM für Kinder über 18 Jahre gewährt wird; allerdings nach sehr viel weniger sozialen Kriterien, als beim BAföG. Da kriegt ja auch der Bankdirektor ungefähr 200 DM über den Ausbildungsfreibetrag jeden Monat an indirekter Ausbildungsförderung für studierende Kinder. Eine Poolung dieser Mittel zu einem direkten Einkommenstransfer könnte ein erster Schritt zu einer grundlegenden BAföG-Reform sein. Wir sollten in dieser Richtung weiterdenken und weiterarbeiten und dabei gleichzeitig die Frage der Vereinbarkeit unseres Förderungssystems mit dem in den europäischen Nachbarländern im Auge behalten.
14160 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989
Kuhlwein
Meine Fraktion hat Ihnen deshalb heute, neben dem Gesetzentwurf, in der Drucksache 11/5348 auch einen Antrag vorgelegt; und zwar den Antrag, den Beirat zu beauftragen, bis zum 30. Juni 1991 Vorschläge zur Durchführung und Finanzierung einer neugestalteten Bundesausbildungsförderung vorzulegen. Sie finden in unserem Antrag eine ganze Reihe von offenen BAföG-Problemen. Sie finden vor allem die Frage nach einem familieneinkommensunabhängigen Förderungssystem. Ich hoffe, daß wir zum Auftrag an den BAföG-Beirat im Ausschuß einen gemeinsamen Beschluß fassen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Zitat aus dem Beiratsbericht schließen, das unsere Verantwortung gegenüber der jungen Generation deutlich macht:
Die großen Belastungen, die die nächste Generation als Folge der wachsenden Kosten der Alters- und Krankenversorgung, des Kapitaldienstes der öffentlichen Haushalte und der entstandenen Umweltschäden zu tragen haben wird, zeichnen sich heute schon deutlich ab. Wenn die nächste Generation in der Lage sein soll, diese vielfältigen Aufgaben zu erfüllen, müssen die heute Erwerbstätigen dafür sorgen, daß sie so qualifiziert wie möglich ausgebildet werden.
Ich glaube, dem haben wir nichts hinzuzufügen. Aber wir müssen als Gesetzgeber auch die Konsequenzen daraus ziehen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Anbetracht der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich mich nur mit einigen mir wichtig erscheinenden Punkten beschäftigen und nicht das ganze Tableau abhandeln.
Ich möchte erstens einmal als besonders bedeutsam herausstellen, daß die Förderungsbedingungen für Familien mit mittleren Einkommen durch eine erhebliche Anhebung der relativen Freibeträge des Elterneinkommens deutlich verbessert werden. Ich denke, dies sollten wir hier einmal besonders betonen. Durch die allgemeine Einkommensentwicklung fallen bisher Studierende aus solchen Familien in immer größerer Zahl aus dem Kreis der Förderberechtigten heraus. Dies wird jetzt korrigiert. Herr Wetzel, vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ob auch das ein Grund dafür ist, daß die Förderquote in den letzten Jahren gesunken ist.
Zweitens. Unter bestimmten Bedingungen können Studierende in der Examensphase um zwei Semester über die Förderungshöchstdauer hinaus gefördert werden, damit sie nicht ausgerechnet dann, wenn sie ihre geistigen Kräfte konzentrieren müssen, auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen sind.
Herr Wetzel, Sie haben hier ein Szenario dargestellt. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin nach wie vor an einer Hochschule tätig und sehr intensiv mit den Fragen dort befaßt. Ich kann Ihre Ausführungen, die Sie zu der Situation der Studenten hier gemacht haben, generell so nicht bestätigen.
— Fragen Sie einmal Ihren Minister in NordrheinWestfalen. Ich bin da nämlich ein One-Dollar-Man, weil mich das beruflich interessiert.
Aber zunehmend können die Studierenden aus nicht von ihnen selbst zu vertretenden Gründen ihr Studium innerhalb der Höchstförderungsdauer nicht abschließen. Die Gründe kennen wir alle. Wir diskutieren darüber. Sie liegen z. B. in der Überfüllung mancher Hochschulen oder bestimmter Disziplinen; sie liegen im Warten auf einen Laborplatz; sie liegen in den Schwierigkeiten, Literatur zu bekommen.
Deswegen finde ich es richtig, daß hier eine Lösung gefunden wird, um diese Schwierigkeiten zu überwinden, was nicht ausschließt, daß wir die anderen ebenfalls überwinden müssen. Ich glaube, darin liegt dann eine Aufgabe, und das ist wohl notwendig, um die hier diskutierten überlangen Studienzeiten zu verkürzen.
Denn den Einwand, der da kommt, daß hier eventuell eine Verlängerung der Studienzeiten herbeigeführt würde, kann ich nicht teilen. Die Studienbedingungen müssen also verbessert werden, und die Studierenden müssen in ihrem Examenszeitraum für dieses Examen freigestellt werden. Damit wird auch die Dauer des Prüfungszeitraums verkürzt werden können, und wir müssen dann nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Nur eine Anmerkung möchte ich in diesem Zusammenhang wieder zu Ihnen, Herr Wetzel, machen. Sie sprachen die Erwerbstätigkeit an und sagten, daß die Studierenden aus einkommenschwachen Familien erwerbstätig sein müßten. Sie haben als Vergleich dazu angeführt, daß sich dann nur Beamte und Höherverdienende das Studium für ihre Kinder leisten können. Schauen Sie sich doch einmal die Besoldungstabelle von Beamten an! Ich glaube, Sie würden dann Ihre Äußerungen doch wohl revidieren.
Meine Damen und Herren, herauszustellen ist auch mit besonderem Nachdruck, daß junge Frauen und Männer, die nach einem mittleren Bildungsabschluß und einer Lehre ein Abendgymnasium oder ein Kolleg besuchen, auch künftig weiterhin unabhängig vom Vermögen und dem Einkommen der Eltern Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten, bis sie im zweiten Bildungsweg die Hochschulreife erworben haben. Ich denke, die dann einsetzende elternabhängige Förderung mit den erwähnten Ausnahmen ist berechtigt. Dies muß man ja einmal deutlich herausstellen. Wir können das nicht alles so pauschal abtun. Ich kann das hier im einzel-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14161
Dr.-Ing. Laermann
nen leider nicht ausführen. Aber ich denke, wir sind auch aufgerufen, eine Gleichstellung zwischen allen zu Fördernden herzustellen. Dann können wir nicht eine Gruppe aus besonderen Gründen besser bedienen als eine andere. Hier müssen bestimmte Differenzierungskriterien schon berücksichtigt werden. Aber es bleibt ja den Ausschußberatungen vorbehalten, sich noch einmal um diese Fragen zu kümmern.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß Schüler von Berufsaufbauschulen und Fachoberschulklassen mit abgeschlossener Berufsausbildung wieder in die Förderung aufgenommen werden sowie auch Schüler und Schülerinnen von Fach- und Berufsfachschulklassen, die zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führen. Ich denke, hier verwirklichen wir ein Stück Chancengleichheit; denn deren Berufsausbildung ist damit ebenso förderungswürdig wie eine Berufsausbildung und ein Studium an Hochschulen. Auch dieses möchte ich besonders herausstellen.
Meine Damen und Herren, dem einen oder anderen wird der vorliegende Entwurf möglicherweise nicht weit genug gehen. Die Kollegen von der grünen Fraktion und von der SPD-Fraktion haben das ja hier sehr deutlich gemacht. Sie mögen die eine oder die andere Maßnahme vermissen. Ich nenne hier einmal besonders das Thema, das Sie beschäftigt hat, nämlich die Wiedereinführung einer Schülerförderung für Schüler und Schülerinnen ab der Klasse 11.
Frau Kollegin Odendahl, Sie haben Statistiken angeführt: Es seien nur noch 8,2 % Arbeiterkinder beim Studium; 8,7 % seien es 1982 gewesen. Bitte berücksichtigen Sie dabei erstens, daß sich die Strukturen, die Gehaltsstrukturen, und die Tätigkeiten derjenigen, die in die Arbeiterklasse oder in den Angestelltenbereich eingeordnet werden, verändert haben.
Zweitens möchte ich doch darauf hinweisen dürfen, daß Sie nicht so sehr auf die Studierenden blicken sollten, sondern daß Sie einmal sehen sollten, daß die Hauptschulen und die Gesamtschulen doch viel weniger Schüler haben und statt dessen viel mehr Schüler in der gymnasialen Oberstufe und auch in der Kollegstufe sind. Bitte, das widerspricht doch Ihren Ausführungen hier, daß das rückläufig gewesen sei. Das stimmt doch nicht. Wir machen immer mehr Hauptschulen zu, und es erfolgt nicht im gleichen Maße ein Aufbau von Gesamtschulen.
Ich möchte dem entgegenhalten: Die Fördermaßnahmen insgesamt — und dies hat auch der Minister schon gesagt — müssen seriös finanzierbar sein. Immerhin erhöht sich das Leistungsvolumen um rund 650 Millionen DM pro Jahr. Damit werden Bund und Länder 1991 rund 3 000 Millionen DM für die Ausbildungsförderung ausgeben. Hierzu müssen auch die Finanzleistungen des Bundes für Graduiertenkollegs, für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die zahlreichen Studienprogramme und die Stiftungen — das, was die Stiftungen tun, kommt meistens auch aus Steuergeldern — hinzugerechnet werden.
— Machen wir doch einmal eine Gesamtbilanz über das, was wir im Bereich der Bildungsförderung ausgeben.
Meine Damen und Herren, ich darf insgesamt wertend feststellen, daß der Gesetzentwurf wesentliche Verbesserungen für die Ausbildungsförderung bringt, vor allem, wenn er im Kontext einer Reihe anderer, begleitender bildungspolitischer Aktivitäten betrachtet wird.
Ich erwähnte einige.
Ich möchte im Namen meiner Fraktion dem Bundesbildungsminister ausdrücklich für seine Initiativen danken, die er auf dem gesamten Felde, aber auch hier auf dem Felde der Ausbildungsförderung ergriffen hat. Ich hoffe, daß sie auch erfolgreich abgeschlossen werden können.
Ich darf abschließend feststellen, daß wir es gerade in den Bereichen Bildung und Ausbildung mit ausgesprochen dynamischen Prozessen zu tun haben. Da stimme ich auch Herrn Kuhlwein zu.
Es wird deshalb auch eine fortdauernde Aufgabe der Bildungspolitik sein, das Ausbildungsförderungsgesetz immer wieder einer Überprüfung zu unterziehen,
ob und welche Verbesserungen möglich und notwendig sind. Ich glaube, wir stimmen auch darin überein, daß wir die zukünftigen Entwicklungen stets verfolgen und uns in unseren politischen Entscheidungen entsprechend darauf einstellen müssen.
Ich möchte die Erwartung ausdrücken, daß der Entwurf zügig im Ausschuß beraten wird und alsbald rechtskräftig werden wird.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/5347, 11/5961, 11/5348, 11/2823, 11/5524 und 11/6003 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 11/5524 soll zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Einführung eines einheitlichen linearen zeitvariablen Tarifs für alle Verbrauchergruppen und Stromanwendungsgebiete
— Drucksachen 11/2079, 11/5635 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Jung
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratungen ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Sprung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, den wir heute behandeln, ist mit der vor wenigen Wochen beschlossenen Bundestarifordnung Elektrizität sachlich in weiten Teilen überholt. Mit der neuen Tarifordnung hat die Bundesregierung die Kostengerechtigkeit der Tarife deutlich erhöht und zusätzliche finanzielle Anreize zum Stromsparen gegeben. Sie werden verstärkt durch zusätzliche Beratungspflichten der Versorgungsunternehmen.
Die Höhe der Stromrechnung wird in Zukunft wesentlich stärker vom Verbrauchsverhalten der Stromkunden abhängen. Der Grundpreistarif II, der eine ausgeprägte Preisdegression bei hohem Verbrauch aufwies, wurde abgeschafft, der verbrauchsabhängige Anteil des Strompreises vergrößert und auf verbrauchsunabhängige Größen wie Raumzahl, Hektarfläche oder Anschlußwerte verzichtet. Die Folge: Stromsparen zahlt sich in Zukunft für jeden aus, Mehrverbrauch wird teurer.
Damit werden zugleich Impulse für den Kauf und die Entwicklung stromsparender Geräte gegeben.
Die neue Tarifordnung Elektrizität stellt ein Instrument dar, mit dem die Einsparung von Energie und damit eine Reduzierung von Emissionen, also ein Mehr an Umweltschutz, erreicht wird. Weiterhin stellt Energiesparen — ich glaube, darüber sind wir uns alle hier einig — einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz dar.
Aber auch der Bedarf an Kraftwerken und Leitungen ist zu begrenzen. Daher genügt es nicht, an Brennstoff, also an Kilowattstunden, zu sparen. Wir müssen den Strom gleichmäßiger verbrauchen und Nachfragespitzen abbauen. Die neue Tarifordnung ist in der Lage, beide Aufgaben optimal zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz die Gründe nennen — sie wurden übrigens schon während der Beratungen der Bundestarifordnung Elektrizität vor wenigen Wochen angesprochen —, weshalb wir dem Antrag der GRÜNEN zur generellen Einführung eines linearen zeitvariablen Stromtarifs nicht zustimmen können:
Erstens. Wir können keine Tarifmodelle allgemeinverbindlich vorschreiben, über die uns keine oder nur wenige Erfahrungen vorliegen.
Zweitens. Die Einführung einer neuen Tarifordnung würde neue Meßverfahren erfordern. Die Kosten für eine Umrüstung aller Zähler beliefen sich bei Stückkosten von ca. 300 DM und bei geschätzten 26 Millionen Haushalten auf ca. 8 Milliarden DM. Können wir diese Ausgaben jedem einzelnen Kleinverbraucher auf der Grundlage eines noch nicht erprobten Konzeptes zumuten? Ich meine nein.
Drittens. Die Einführung des linearen zeitvariablen Tarifs würde unter sozialen Gesichtspunkten zu erheblichen Mehrbelastungen führen. Insbesondere auf Familien mit vielen Kindern, die bei aller Sparsamkeit einfach mehr Strom verbrauchen müssen, würden durch den Wegfall der verbrauchsunabhängigen Komponente nach dem Vorschlag der GRÜNEN zusätzliche Kosten in nicht unerheblichem Umfange entfallen. Dies ist sozial nicht vertretbar.
Viertens. Selbstverständlich steht die Bundestarifordnung Elektrizität eventuellen Vorhaben zur Erprobung eines linearen zeitvariablen Tarifs durch die Energieversorgungsunternehmen nicht im Weg. Wenn die Bereitschaft dazu besteht und die ersten verwertbaren Erfahrungen und Ergebnisse vorliegen — ich denke dabei an die Feldversuche, die derzeit in einigen Bundesländern durchgeführt werden —, dann sind wir zu einer unvoreingenommenen Prüfung bereit.
Fünftens. Die neue Bundestarifordnung muß zunächst einmal Gelegenheit erhalten, ihre Wirkung zu entfalten. Die Energieversorgungsunternehmen müssen innerhalb der nächsten zwei Jahre die Umstellung auf die neuen Tarife vornehmen, so daß wir damit rechnen können, daß der neue Tarif ab 1. Januar 1992 flächendeckend eingeführt ist.
Wir sind davon überzeugt, daß mit der neuen Tarifordnung alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, um durch eine kostenorientierte Tarifstruktur zu sparsamem und rationellem Umgang mit Strom beizutragen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Jung aus Düsseldorf.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns inzwischen wohl alle darüber einig, daß eine langfristige, auch kommenden Generationen gegenüber verantwortbare Energiepolitik einschneidende Reformen verlangt. Wenn wir unseren Energieverbrauch nicht drastisch reduzieren, wenn wir nicht alle Anstrengungen unternehmen, um die Emissionen von Kohlendioxid zu reduzieren, dann droht die Gefahr einer Klimakatastrophe. Die Einsparung von Energie und auch von Strom muß deshalb im Zentrum aller Bemühungen unserer Energiepolitik stehen. Wir streiten uns allerdings über die richtigen Wege und Instrumente, die dazu anzuwenden sind.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14163
Jung
Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Jahren ein energiepolitisches Gesamtkonzept entwickelt, das staatliche Programme zur Energieeinsparung und rationellen Energienutzung sowie zur Entwicklung und Markteinführung regenerativer Energiequellen ebenso einschließt wie ein neues Energierecht und eine höhere Besteuerung des Energieverbrauchs. Wir begrüßen daher die im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Energieprognose der Prognos AG und des Fraunhofer-Instituts, die auf die Notwendigkeit einer europaweiten Einführung höherer Energiesteuern hinweist. Ohne solche Steuern läßt sich auch nach Meinung dieser Experten eine Absenkung des ProKopf-Energieverbrauchs nicht erreichen.
Dieselben Erwägungen haben unsere Kommission „Fortschritt '90" veranlaßt, ein Ökosteuerkonzept vorzulegen. Dieses Konzept enthält nicht nur Vorschläge für eine höhere Besteuerung der Energieträger. Es verlangt auch eine grundlegende Reform der Energieversorgungsstruktur. Außerdem arbeitet meine Fraktion an einem neuen Energiegesetz,
mit dem wir eine grundlegende ökologisch orientierte Reform der Energieversorgung einleiten wollen.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN haben ja in der letzten Legislaturperiode ebenfalls einen neuen Ordnungsrahmen für die Energieversorgung vorgeschlagen, diesen Vorschlag in dieser Legislaturperiode aber nicht mehr aufgegriffen. Statt dessen sind sie jetzt dazu übergegangen, einen kaum mehr überschaubaren Wust von einzelnen Vorschlägen vorzulegen, wozu wir auch diesen Antrag rechnen, den wir jetzt beraten.
Wir teilen zwar Ihren grundsätzlichen Ansatz, über eine neue Tarifstruktur die Potentiale zur Stromeinsparung auszuschöpfen, was die novellierte Bundestarifordnung Elektrizität nach unserer Auffassung nicht leisten wird. Auch wir Sozialdemokraten denken über die Einführung linearer Tarife nach, die eine zeitvariable Komponente aufweisen.
Wir wollen aber die Feldversuche, die im Saarland und in Nordrhein-Westfalen laufen, abwarten, ehe wir darüber entscheiden, wie die Zeitkomponente auszugestalten ist. Schon deswegen können wir heute Ihrem Vorschlag nicht zustimmen.
Eines steht allerdings jetzt schon fest: Ihr Konzept eines einheitlichen Stromtarifes für alle Verbrauchergruppen ist nach unserer Auffassung nicht realisierbar. Dies wird den unterschiedlichen Gegebenheiten von Industrieabnehmern und privaten Haushalten nicht gerecht. Man kann nicht ein völlig verschiedenes Abnehmerverhalten — vom industriellen Großverbraucher bis zum Einpersonenhaushalt — mit gleichen Tarifen erfassen.
Das ist nach unserer Auffassung weder technisch noch wirtschaftlich vertretbar.
Sie haben auch einen Vorschlag für höhere Energiesteuern gemacht, der aber praktisch kaum durchführbar ist. Sie wollen nicht — wie wir das wollen — das Steueraufkommen an die Energieverbraucher zurückgeben, damit diese u. a. in Energieeinsparmaßnahmen investieren können. Dieses marktwirtschaftliche Konzept lehnen Sie ab. Statt dessen wollen Sie Ihr Energiesparprogramm ausschließlich über staatliche Maßnahmen abwickeln. Das ist unrealistisch, bestraft auch die gutwilligsten Energieverbraucher, die ihr Geld für einen umweltverträglichen Energieverbrauch ausgeben wollen. Das lehnen wir ab.
Ich meine, meine Damen und Herren, Sie täten gut daran, Ihre energiepolitischen Vorschläge einmal im Zusammenhang zu durchdenken, anstatt immer nur einzelne Maßnahmen vorzuschlagen. Ich glaube, mit solchen Schnellschüssen wird man dem Umbau unserer Energieversorgungsstruktur nicht gerecht.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN ist durch die Vorlage der Bundesregierung zur Änderung der Bundestarifordnung inzwischen überholt. Diese Änderung der Bundestarifordnung Elektrizität hat die Bundesregierung dem Bundesrat vorgelegt, und der für ist dafür zuständig. Wir denken, daß das auch so bleiben soll in den Zuständigkeitsabfolgen. Das sieht die Verfassung so vor, und wir sollten daran nichts ändern.
Die Anpassung der Stromtarife in Richtung von mehr Einsparanreizen wird von der FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich begrüßt. Wir haben dies seit vielen Jahren in Parteitagsbeschlüssen immer wieder gefordert und bekräftigt. Es lag nicht so sehr an der Bundesregierung, auch nicht an den verschiedenen Bundeswirtschaftsministern, daß entsprechende Schritte nicht erfolgreich durchgesetzt und umgesetzt werden konnten, sondern es lag immer wieder an den Bundesländern, die sich jahrelang gegen die Abschaffung des Stromtarifes II gewehrt haben. Den Beschluß haben wir übrigens schon 1977 auf unserem Kieler Parteitag gefaßt. Sie sehen, daß wir jedenfalls in der Sache einig sind, im Ziel einig sind; nur was die Verfahren und die Wege dahin angeht, sehen wir die Dinge doch etwas anders.
Die neue Tarifordnung erlaubt es den Ländern, weitgehend im eigenen Ermessen Tarife zu genehmigen. Sie ist auch offen für Versuchstarife, die z. B. im Saarland angewandt werden. In Nordrhein-Westfalen gibt es ebenfalls Feldversuche. Die breite Einführung von Zeitzonenzählern ist jedoch dem Normalverbraucher als Stromkunden wohl kaum zuzumuten — Herr Kollege Sprung hat ja auch schon darauf hingewiesen — und kostenmäßig gegenwärtig wohl nur schwer darstellbar. Wir hatten seinerzeit schon einmal darüber diskutiert, ob wir Leistungsbegrenzungsschalter, wie es bei industiellen Abnehmern möglich ist, ein-
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Dr.-Ing. Laermann
führen sollten; aber auch da galten die gleichen Argumente, die hier bisher einem Erfolg entgegenstanden. Es ist daher sinnvoll, wenn nach der neuen Tarifordnung erst einmal die Gruppen mit hohen Verbrauchswerten mit solchen Zeitzonenzählern ausgerüstet werden. Ich denke, wir sollten das stufenweise angehen. Um so sicherer sind wir hinsichtlich des Erfolges.
Für den Haushaltsnormalverbrauch gilt, daß die Gepflogenheiten nicht so ohne weiteres von heute auf morgen umgestellt werden können. Die Waschmaschine wird eingestellt, wenn es gerade in die Zeitplanung der Hausfrau paßt. Im übrigen gibt es dann auch wieder seltsame Regelungen, die wir auch einmal überprüfen müßten. Nach dem Mietrecht beispielsweise darf nach 22 Uhr keine Waschmaschine angestellt werden. Wie eigentlich wollen Sie mit einem Schwachlasttarif da hineingehen, wenn das auf der anderen Seite nicht zulässig ist? Es gibt also eine Fülle von Fragen, denen wir uns sicherlich mit aller Intensität zuwenden müssen, aber dies ist eine mühsame Geschichte. Ich fasse zusammen: Es ist nicht möglich, die Verbraucher auf billige Schwachlasttarife in der Nacht zu verweisen, wenn diese Möglichkeiten aus anderen Gründen nicht zur Verfügung stehen. Auch der Strom für die Warmwassererzeugung ist von den menschlichen Verbrauchsgewohnheiten zwischen 6 und 7 Uhr oder nach Feierabend abhängig. Wenn man das einmal nachvollzieht, dann ergibt sich eine Haushaltsstromkurve, die eine Morgen-, Mittags- und Nachmittagsspitze hat. Dies ergänzt sich im Bundesdurchschnitt recht gut mit den Verbrauchszeiten der Sonderabnehmer.
Lassen Sie mich ein Wort zu den angeblichen Verzerrungen zwischen dem Tarifabnehmer- und Sonderabnehmerpreisniveau sagen. Es ist nicht so, daß die Tarifabnehmer die Sonderabnehmer subventionieren. Es ist vielmehr geboten, daß gerade in den Bereichen, in denen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft betroffen ist, mehr Flexibilität von den Elektrizitätsunternehmen an den Tag gelegt wird. Wir können nicht vom europäischen Binnenmarkt reden, uns andererseits jedoch über dessen Auswirkungen auf Wettbewerb und Kosten einfach hinwegsetzen. Die Energie ist für die gewerbliche Wirtschaft halt ein Kostenfaktor, und zwar nicht nur für die Aluminiumindustrie, sondern z. B. auch für die Nahrungsmittelveredelungsindustrie. 33 % der Wertschöpfung entfallen auf Energiekosten. Deswegen müssen wir sehen, daß wir beide Bereiche trennen. Außerdem spart die Industrie schon, weil das nämlich ein Kostenfaktor für sie ist.
Ich denke, daß wir — das ist jedenfalls die Auffassung meiner Fraktion — Ihren Antrag ablehnen sollten, weil die Verfahrensschritte und die Maßnahmen, die Sie dort vorsehen, uns unseriös erscheinen. Im Ziel sind wir uns einig, in bezug auf das Verfahren haben wir unterschiedliche Auffassungen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Daniels.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt die Ablehnung unseres Antrages „Einführung eines einheitlichen linearen zeitvariablen Tarifs für alle Verbrauchergruppen und Stromanwendungsgebiete". Ich glaube, daß er damit nicht gut beraten ist.
Zehn Jahre bedurfte es, bis die Bundesregierung auf Druck von Umweltschützern und GRÜNEN, unzufriedenen Stromkunden und zuletzt der Wirtschaftsministerkonferenz endlich in Bewegung kam und eine novellierte Fassung der Bundestarifordnung Elektrizität vorlegte. Aber die Vorlage ist durch die lange Bearbeitungszeit nicht besser geworden, denn bestenfalls ist sie eine Halbheit, schlechtestenfalls ist sie — insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Förderung der rationellen Energieverwendung — schlicht kontraproduktiv.
Was hätte das Ziel einer Reform des Stromtarifs sein können und müssen? Die Studien der Klima-Enquete des Bundestages beweisen: Wir stehen vor einer heute noch nicht vollständig abschätzbaren Bedrohung des Weltklimas. Die ungelösten Probleme der nuklearen Stromerzeugung führen in naher Zukunft zu einem Atommüllnotstand. Trotz der Unterversorgung der Dritte-Welt-Länder erlauben wir in den Industrieländern uns eine maßlose Energieverschwendung.
Wesentlichen Anteil daran hat die herkömmliche Art des Wirtschaftens und der Energieversorgung. Deshalb ist es dringend geboten, rasch wirksame Maßnahmen für die rationelle und sparsame Verwendung von Energie und insbesondere von Elektrizität zu ergreifen und den Stromkundinnen und -kunden starke, aber auch leicht verständliche Anreize zum Stromsparen zu geben und dies als vordringliches gesamtgesellschaftliches Anliegen zu begreifen.
Diesem Ziel wird die neue Bundestarifordnung Elektrizität der Bundesregierung nicht gerecht. Das beginnt mit der fehlenden Eindeutigkeit: Durch die Vielzahl und Unübersichtlichkeit der vorgelegten Tarifmodelle wird es den großen Energieversorgern in Zukunft erleichtert werden, die Stromtarife nach ihren Absatzbedürfnissen festzulegen. Im Endeffekt könnte das sogar zu einer Steigerung des Stromabsatzes führen. Schuld daran ist die Unklarheit, ob die alte — absatzfördernde — Aufspaltung in einen Grundpreistarif und einen Arbeitspreis nun tatsächlich abgeschafft ist oder nur durch andere Tarifelemente ersetzt wird. Der neue Leistungspreis könnte in diesem Sinne von den EVUs verwendet — besser: mißbraucht — werden. Denn im Regierungsentwurf wird nichts über das quantitative Verhältnis von Arbeitspreis und Leistungspreis ausgesagt. Es steht deswegen zu befürchten, daß sich die großen EVUs sehr eng an die bisherige Preisgestaltung anlehnen werden.
Bei einer Betrachtung der neuen Bundestarifordnung Elektrizität fällt weiterhin ins Auge: Von einer Transparenz der Preisgestaltung kann in diesem Entwurf nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Mit dem vorgeschlagenen 96-Stunden-Tarif ist der Willkür bei der Strompreisgestaltung Tür und Tor geöffnet. Der Stromabnehmer kann sich nicht sicher fühlen, was als Bemessungsgrundlage seiner Stromkosten herange-
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Dr. Daniels
zogen wird: die 96-Stunden-Regelung oder die Pauschalierung. Damit wird jeder Anreiz zum Stromsparen im Keim erstickt — abgesehen davon, daß dieses Preisbildungssystem auch beim besten Willen niemand begreift.
Bleibt zu fragen, was dann die abstrakte Absichtserklärung in der Präambel nutzt, die lautet, „Anreize für einen sparsamen und rationellen Umgang mit Strom zu erhöhen" , wenn dies durch die Verordnung selbst nicht unterstützt wird. Wo ist denn der Anreiz für die Industrie enthalten, Energie zu sparen? In dieser Bundestarifordnung nirgendwo, meine Damen und Herren. An die Sondervertragskunden traut sich nämlich niemand von Ihnen heran.
Summa summarum ist festzustellen: Dringend erforderlich ist eine vollständig neue Bundestarifordnung, da die vorgelegte Novelle im Grunde schon wieder novellierungsbedürftig ist, was sich hier aus der Diskussion eigentlich schon ergeben hat. Seit Jahren empfehlen die GRÜNEN deshalb einen einheitlichen linearen zeitvariablen Tarif für alle Verbrauchergruppen und Stromanwendungsgebiete. Dieser vereint verschiedene ökonomische und ökologische Vorzüge in sich und wird einzig den Anforderungen an eine ökologische Stromversorgung gerecht.
Und wenn Sie nun fragen „Was bleibt an Positivem?", dann kann ich zum Schluß gerne sagen: § 16 Abs. 2 der neuen Bundestarifordnung läßt lineare Tarife als Wahlmodell durchaus zu. Wir können die Kommunen und Gebietsversorger nur ermuntern, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und damit ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Danke schön.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Einführung eines linearen Stromtarifs ist bereits im letzten Jahr eingebracht worden. Inzwischen hat die Bundesregierung die vom Bundeswirtschaftsminister vorgelegte neue Bundestarifordnung Elektrizität verabschiedet. Im November hat auch der Bundesrat mit großer Mehrheit zugestimmt. Mit dessen Änderungswünschen wird sich das Kabinett am 13. Dezember befassen. Ich rechne damit, daß die Bundesregierung dem Vorschlag von Bundesminister Haussmann zustimmt und die Änderungen des Bundesrates akzeptiert. Die neue Bundestarifordnung kann damit planmäßig am 1. Januar 1990 in Kraft treten.
Die neue Bundestarifordnung wird die Kostengerechtigkeit der Stromtarife erhöhen und die Anreize zum Stromsparen verstärken.
Dazu wird die Reform folgende Eckpunkte umfassen:
Erstens. Der Grundpreistarif II mit seiner ausgeprägten Preisdegression bei hohen Verbräuchen wird abgeschafft.
Zweitens. Die Stromrechnung ist zukünftig nicht mehr von verbrauchsunabhängigen Größen wie Raumzahl, Hektarfläche oder Anschlußwerten abhängig. Vielmehr wird ein Leistungspreis eingeführt, dessen Höhe vom individuellen Abnahmeverhalten des Kunden abhängt.
Drittens. Die stärkere Verbrauchsabhängigkeit erzeugt neue Impulse zum Stromsparen, z. B. durch den Kauf und die Entwicklung stromsparender Geräte.
Viertens. Es wird ein Schwachlasttarif generell vorgeschrieben. Davon verspreche ich mir eine Verlagerung des Stromverbrauchs in die lastschwachen Zeiten während der Nacht.
Meine Damen und Herren, im neuen Leistungspreissystem wird bei hohen Verbräuchen durch Messung festgestellt, wie stark der Kunde im Abrechnungsjahr maximal Kraftwerke und Kraftnetze in Anspruch genommen hat. Hierzu ist ein Zusatzgerät erforderlich, so daß die Leistung aus Kostengründen zunächst nur bei höheren Verbräuchen individuell gemessen wird. Bei niedrigeren Verbräuchen, zu denen fast alle Haushalte rechnen, wird die Leistungsinanspruchnahme pauschal nach Erfahrungswerten aus dem Jahresverbrauch errechnet.
Der Leistungspreis kann einen festen Sockel erhalten. Damit sollen die Kosten gedeckt werden, die auch bei langfristiger Betrachtung vom Verbrauch unabhängig sind; das sind insbesondere die Kosten des Ortsnetzes.
Auf Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers sieht die neue Bundestarifordnung jedoch ausdrücklich vor, daß auf einen festen Sockel auch ganz verzichtet werden kann; dann ergibt sich für den Bereich unterhalb der Leistungsmessung faktisch ein linearer Tarif.
Demgegenüber zielt der Antrag der GRÜNEN auf die generelle Einführung eines zeitgezonten linearen Tarifs, bei dem die Leistungsinanspruchnahme auch bei hohen Verbräuchen keine Rolle mehr spielt. Dies steht nicht im Einklang mit den Empfehlungen der EG und der Länderwirtschaftsminister.
Im übrigen liegen uns mit einem solchen Tarif, wie er jetzt erstmals in Saarbrücken — allerdings nur für die privaten Haushalte — erprobt wird, belastbare Erfahrungen zumindest im Bundesgebiet noch nicht vor. Schon deshalb kann die Bundestarifordnung dieses Modell im Interesse der Kunden jetzt nicht vorschreiben oder generell zulassen. Allerdings kann zukünftig bei erfolgreichem Abschluß der Erprobung das jeweilige Bundesland auch ein derartiges Modell auf Antrag genehmigen. Voraussetzung ist jedoch, daß von der Nachfragekurve her überhaupt ein Bedürfnis dafür besteht, den Verbrauch durch Preisstaffelung im Tarifabnehmerbereich auch tagsüber weiter zu vergleichmäßigen. Im übrigen wird sich erst nach Abschluß der laufenden Versuche beurteilen lassen, ob die noch offenen Fragen des Saarbrücker Modells be-
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Parl. Staatssekretär Beckmann
friedigend geklärt werden können und insbesondere ob nicht dadurch neue Leistungsspitzen verursacht werden.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Daniels? Es wir Ihnen nicht angerechnet.
Es ist mir wegen der Zeit leider nicht möglich. Ich bedaure das, Herr Kollege. Ich stehe Ihnen später gerne zur Verfügung. Ich bin sehr eingeengt.
Durch die neue Bundestarifordnung wird das Strompreisniveau im Tarifabnehmerbereich insgesamt nicht geändert. Längerfristig wirkt die Tarifreform eher kosten- und preisdämpfend. Die höhere Kostengerechtigkeit bedeutet jedoch, daß die Kunden je nach Verbrauchsverhalten teils mehr, teils weniger bezahlen müssen. Bei überdurchschnittlichen Verbräuchen wird der Strompreis tendenziell steigen.
Meine Damen und Herren, durch die Verschiebung zwischen den Preiselementen wird erreicht, daß trotz gleichbleibenden Strompreisniveaus der verbrauchsabhängige Kilowattstundenpreis ansteigt. Stromsparen wird zukünftig also stärker honoriert. Insgesamt schöpft die neue Bundestarifordnung alle Möglichkeiten aus, um durch eine kostenorientierte Tarifstruktur zum sparsamen und rationellen Umgang mit Strom beizutragen. Sie ist damit ein wichtiger Baustein der Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung aus Energie- und Umweltgründen den Energieverbrauch weiter vermindern will.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5635. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2079 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe den Punkt 20 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen
— Drucksache 11/5460 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein , Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 74 Nr. 19a — neu — )
— Drucksache 11/5709 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin, Schmidt , Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Schmidt München), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Catenhusen, Becker-Inglau, Blunck, Bulmahn, Conrad, Dr. Emmerlich, Adler, Faße, Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Niehuis, Seuster, Dr. Sonntag-Wolgast, Weyel, Dr. Wegner, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Problemen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen
— Drucksache 11/5710 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesminister Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die neuen Methoden der Fortpflanzungsmedizin wie auch der Gentechnik eröffnen nicht nur Chancen, sondern vor allem auch Möglichkeiten des Mißbrauchs. Es ist daher eine vordringliche Aufgabe des Gesetzgebers, die Grenzen ihrer Anwendung beim Menschen festzulegen; gilt es doch, rechtzeitig jeder Form der genetischen Manipulation zu wehren. Die Hybris, einen vermeintlich vollkommenen Menschen züchten zu können, dürfen wir nicht zulassen. Das Bewußtsein, daß wir es vom Zeitpunkt der Befruchtung der menschlichen Eizelle an mit menschlichem Leben zu tun haben, müssen wir stärken. Dem Umgang mit menschlichem Leben sind gerade im Bereich der Forschung Grenzen zu setzen. Leben und Menschenwürde bedürfen eines umfassenden Schutzes.
Das Embryonenschutzgesetz setzt diese Verpflichtungen in die Tat um. Sein Entwurf stellt sicher, daß auch in einer zunehmend von medizinischen Techniken bestimmten Zukunft ein an der Würde des Menschen orientierter Umgang mit dem menschlichen Leben gewährleistet ist. Er will zudem das seelische Wohl der Kinder schützen, die ihr Leben der Anwendung einer medizinisch neuen Methode verdanken.
Der Entwurf tritt allen Manipulationen entgegen, die mit unserem auch die Unvollkommenheit des
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Bundesminister Engelhard
Menschen einschließenden Menschenbild nicht in Einklang zu bringen sind. Ich nenne nur die Pönalisierung eines Gentransfers in menschliche Keimbahnzellen und das Verbot der gezielten Geschlechtswahl, die gleichsam einen ersten Schritt auf dem verhängnisvollen Weg zu einer Manipulation menschlichen Lebens bildet. Daß auch die krassesten Formen des Mißbrauchs wie etwa die gezielte Erzeugung genetisch identischer Menschen und die Erzeugung von Chimären und Hybridwesen aus Mensch und Tier strafrechtlich verboten werden, versteht sich deshalb von selbst.
Außer Frage steht für die Bundesregierung auch das strafrechtliche Verbot einer gezielten Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken. Mit der in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes getroffenen Entscheidung zugunsten des menschlichen Lebens sind solche Machenschaften nicht in Einklang zu bringen. Embryonen extrakorporal zu erzeugen, ohne ihnen die Chance einzuräumen, ausgetragen und geboren zu werden, heißt nichts anderes, als ihre alsbaldige Vernichtung bewußt in Kauf zu nehmen. Unseren Vorstellungen vom Umgang mit menschlichem Leben widerspricht es grundsätzlich, Leben — auch solches in den frühesten Stadien seiner Entwicklung — zu Forschungszwecken zu verwenden. Um zu verhindern, daß bei der extrakorporalen Befruchtung Embryonen entstehen, die nicht ausgetragen werden können, verbietet der Entwurf die Befruchtung von mehr Eizellen, als für einen einmaligen Transfer auf die zur Austragung bereite Frau benötigt werden.
Meine Damen und Herren, im Interesse des Kindeswohls will der Entwurf Manipulationen verhindern, welche die seelische Entwicklung des jungen Menschen gefährden können. So dient das Verbot der Eispende dazu, sogenannte gespaltene Mutterschaften zu verhindern, bei denen genetische und austragende Mutter nicht mehr identisch sind. Jedem Kind muß, so meine ich, die Auseinandersetzung mit dem Umstand erspart bleiben, daß es sein Leben drei verschiedenen Elternteilen gleichermaßen verdankt: dem Vater, der genetischen Mutter und schließlich der austragenden Mutter.
Darüber hinaus ist dem Arzt strafrechtlich zu untersagen, an einer künstlichen Befruchtung mitzuwirken, wenn er weiß, daß die betroffene Frau bereit ist, nach der Geburt ihr Kind Dritten auf Dauer zu überlassen. Sogenannte Ersatzmutterschaften, im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Presse weithin als Leihmutterschaften apostrophiert, laufen regelmäßig dem Kindeswohl zuwider.
Ich bin sehr froh, daß über diese Grundpositionen, wie ich sie in einem kurzen Aufriß geschildet habe, und die daraus folgenden Regelungen des Entwurfs hier eine große Einmütigkeit besteht.
Nicht geregelt hat der Entwurf die vielschichtige Problematik der heterologen Insemination wie auch der künstlichen Befruchtung bei alleinstehenden oder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebenden Frauen.
Diese schwierigen Fragen haben wir ganz bewußt ausgeklammert,
weil sich in den vergangenen Monaten sehr deutlich gezeigt hat, daß die Erörterung der damit verbundenen Probleme noch nicht abgeschlossen ist.
— Frau Kollegin, im Interesse des Rechtsfriedens und der Akzeptanz brauchen wir auch hier einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Ich habe versucht, das in dieser freundlichen Art zu schildern. Wir werden uns um diese Probleme weiter kümmern müssen.
Meine Damen und Herren, was schließlich den von der SPD vorgelegten Entwurf eines 37. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes betrifft, so habe ich schon bei früherer Gelegenheit eine gewisse Sympathie für dieses Anliegen gezeigt. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich vor allem auch im Bundesrat die erforderliche Zweitdrittelmehrheit für diesen Vorschlag wird finden lassen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesjustizminister, ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu, die Sie gerade in außerordentlich freundlicher Art — das bestätige ich Ihnen nicht nur wegen der fortgeschrittenen Stunde am heutigen Freitag gern — vorgetragen haben. Es ist in der Tat so, daß die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es möglich gemacht haben, menschliches Leben zu planen und künstlich zu schaffen. Auf verschiedenen Wegen wird dies ohne große Schwierigkeiten möglich. Frauen können mit Samenzellen ihres Ehemannes, ihres Partners, aber — das wissen wir ja — auch eines wildfremden Mannes befruchtet werden. Medizinische Hilfsmöglichkeiten lassen das zu.
Es ist auch ohne Schwierigkeiten möglich, Frauen Eizellen zu entnehmen, diese im Reagenzgals im Labor zu befruchten und den entstehenden Embryo der Frau, von der die Eizelle stammt, aber auch jeder beliebigen anderen Frau wieder einzupflanzen.
Was das bedeutet, wird heute in der Öffentlichkeit immer deutlicher. Bisher standen Vaterschaft und Mutterschaft eigentlich für leibliche Abstammung, für Liebe zwischen Eltern und Kindern, für familiäre und soziale Zusammengehörigkeit. Jetzt, meine Damen und Herren, wird das alles anders: Es wird anders planbar und anders regelbar. Die Vaterschaft und die Mutterschaft lassen sich auflösen. Die Vaterschaft läßt sich auf die Funktion des Samenspendens reduzieren.
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
Der „Vater" ist dann nicht mehr der Vater, sondern der „Samenspender". Bei der Mutter ist die Aufspaltung der Mutterschaft in noch viel mehr Teile denkbar: soziale Mutterschaft als eine Möglichkeit, Spenderin von Eizellen als andere Möglichkeit oder auch das Austragen einer befruchteten Eizelle, befruchtet mit den Samenzellen des Partners oder eines fremden Mannes.
Fortpflanzung ist — und das ist die Folgerung daraus — heute schon und auch in der Zukunft noch mehr ohne jede personale Beziehung möglich. Meine Damen und Herren, das ist ein Einschnitt!
Es ist ein Einschnitt, über den wir uns, glaube ich, nicht so einfach hinwegsetzen dürfen.
Es gibt auch noch mehr Stufen: Es ist heute möglich, nicht nur das Geschlecht eines Kindes zu planen, eines künstlich erzeugten festzulegen, sondern es wird in Zukunft auch ohne weiteres möglich sein, Eigenschaften und Aussehen vorauszubestimmen. Und jetzt sage mir einer, daß diese Aussichten ihn nicht schrecken. Lächeln können darüber wohl nur ganz wenige, unbekümmert und ohne Probleme. Wissen Sie, es sind ja nicht nur Philosophen und Denker, die hier warnen, die ihre Stimme erheben und sagen: „Macht das nicht. Nehmt diese Möglichkeiten nicht in Anspruch. Betrachtet das um Gottes Willen nicht als Fortschritt; denn das ist es nicht."
In der Öffentlichkeit wird deswegen — und das halte ich für wichtig und richtig — immer mehr gefragt: Wo bleibt denn da eigentlich die Menschlichkeit? Wo bleiben die menschlichen Beziehungen,
und vor allen Dingen: Wo bleiben eigentlich die Kinder?
Was soll eigentlich aus ihnen werden? Werden sie das nicht alles auszubaden haben, was eben nicht planbar ist, was nicht genau vorherbestimmbar ist? Werden sie es nicht auszubaden haben, daß sie dann nicht mehr einen Vater oder eine Mutter im herkömmlichen Verständnis haben, sondern bestenfalls Kontakte, Teilbeziehungen zu Teilfunktionen von Teilvätern und Teilmüttern?
— Ja, ja, oder eben noch aufgespaltener. Was wird eigentlich mit Kindern, die den Planungen oder Vorbestimmungen dieser Eltern — seien es nun die leiblichen oder die sozialen — nicht genügen, die sich im Lauf ihres Lebens nicht so entwickeln, wie es die Eltern, die sozialen Eltern, vorbestimmt haben, wo es nicht nur mit der Haarfarbe nicht mehr stimmt, sondern wo das Kind dann eben kein Yehudi Menuhin wird, um es jetzt einmal übertrieben auszudrücken?
Diese Schreckensvisionen sind ja nicht mehr nur Visionen oder Science Fiction, sondern Dinge, mit denen wir rechnen müssen.
Ich denke, daß alle diese Fragen bedrücken. Wir sollten das hier auch deutlich aussprechen. Wir sollten auch ehrlich zugeben, daß das auf uns zukommt und daß wir zufriedenstellende Antworten nicht geben können. Wir sollten auch sagen, daß diese technischen Möglichkeiten, diese wissenschaftlichen Möglichkeiten nicht Fortschritt bedeuten. Wir müssen mit der ganzen Verantwortung des Gesetzgebers sagen: Nein, wir wollen das nicht. Menschliches Leben darf nicht total planbar und darf nicht verfügbar gemacht werden.
Wir wollen eine solche Fortpflanzung, eine gespaltene Mutterschaft und Vaterschaft in geplanter totaler menschlicher Beziehungslosigkeit nicht.
Wir wollen sie auch nicht zulassen. Wir werden sie auch verhindern, soweit wir das können. Meine Damen und Herren, ich sehe schon, wir sind da einer Meinung, und ich finde das gut.
Es verwundert mich auch nicht besonders. Wir haben ja auch schon häufiger darüber geredet.
Deswegen will ich jetzt auch noch die zweite Seite nennen. Ganz ohne Zweifel ist es ja auch so, daß die neuen medizinischen Erkenntnisse auch Hilfen bieten, z. B. dann, wenn Frauen darunter leiden, daß sie keine eigenen Kinder bekommen können. Darunter leiden viele Frauen, und die Gründe dafür, daß sie das tun, sind ebenso unterschiedlich wie vielfältig.
Da gibt es nun einige, die dazu eine bestimmte Position vertreten, weil sie die Gefahren, die mit den neuen Möglichkeiten verbunden sind, genau sehen. Sie sagen: Gut, Kinderlosigkeit ist eben Schicksal. Sie sagen: Gut, man muß sich damit abfinden. Sie verweisen dann auf Adoption und auf die Möglichkeit, anderen, fremden Kindern zu helfen. Das ist ein Standpunkt. Weiter sagen sie — wie ich finde, zumindest zum Teil mit Recht—, daß es häufig viel eher der Druck der Gesellschaft ist, der ursächlich für die Probleme und die Sorgen kinderloser Frauen ist, als die Kinderlosigkeit selbst. Das mag schon so sein, jedenfalls in Teilen, meine Damen und Herren, und ich verstehe diese Haltung auch.
Aber ich teile die Konsequenz, die daraus häufig gezogen wird, nicht, nämlich die, daß man keine der Methoden der künstlichen Befruchtung zulassen sollte. Ich bin der Auffassung, daß es Fälle geben kann, z. B. dann, wenn Frauen durch Unfall oder Krankheit keine eigenen Kinder mehr von ihrem Ehemann oder ihrem dauerhaften Partner bekommen können, Fälle, in denen man helfen kann, wenn es die neuen Erkenntnisse zulassen. Das halte ich für richtig und auch für verantwortbar.
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
Das wird aber die Verantwortung des Gesetzgebers ins Gigantische vergrößern. Damit sind wir genau an dem Punkt, den wir hier im Bundestag aufgreifen müssen. Wir müssen nämlich die wenigen Hilfsmöglichkeiten erhalten, sinnvoll anwenden und die großen Gefahren nicht nur offenlegen und abwägen, sondern auch durch Regelungen beide Felder scharf gegeneinander abgrenzen. Wir müssen uns vor allen Dingen darüber im klaren sein, mit welchen Mitteln wir sicherstellen wollen, daß diese trennscharfen Regelungen auch eingehalten werden. Das heißt, es muß ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf die Überwachung und Sicherung dieser Regelungen entfallen. Das wird nicht einfach sein.
Die Diskussion der letzten fünf Jahre, die zu den einzelnen Bereichen sehr intensiv vor sich gegangen ist, geht weiter. Gerade weil wir diese Diskussion weiterführen wollen, kündige ich jetzt schon an, daß das Gesetzgebungsverfahren ein Höchstmaß an Öffentlichkeit, ein Höchstmaß auch an Beteiligung der Wissenschaft und der Betroffenen garantieren sollte. Ich bitte Sie hier schon jetzt um Ihre Mitwirkung.
Die Gesetzentwürfe, die wir heute beraten, streben — das will ich deutlich sagen — bei aller Unterschiedlichkeit diese Trennschärfe durchaus an. Das ist gar keine Frage. Wir können auch wiederholen, daß es viele Gemeinsamkeiten gibt. In dem auf das Strafrecht ausgerichteten Regierungsentwurf steht, was alles verboten werden soll, was mit Strafe belegt werden soll: beispielsweise die gezielte Erzeugung menschlicher Embryonen, die Verwendung menschlicher Embryonen etwa zu Forschungszwecken, die extrakorporale Befruchtung von mehr Eizellen, als innerhalb eines Zyklus der Frau auf diese übertragen werden sollen, das Klonen, das gezielte Erzeugen von Chimären, die Geschlechterwahl.
Alles dieses wollen auch wir verboten haben. Da gibt es Gemeinsamkeiten; ich glaube, darüber brauchen wir gar nicht lange zu streiten. Wir meinen, wir hätten einige bessere Formulierungen vorzuschlagen; der Bundesrat hat einiges dazu beigetragen. Wir sind für gemeinsame vernünftige Lösungen sehr offen.
Aber wir sagen — jetzt kommen die Unterschiede — : Darum geht es nicht allein. Genau das ist die Stelle, wo Sie mit Ihrer strafrechtlichen Lösung an der falschen Wegkreuzung stehengeblieben sind. Sie gehen davon aus, es gehe nur darum, den Mißbrauch zu verbieten und ihn mit Strafe zu belegen. Wir hingegen sagen: Nein, es geht keineswegs nur um die Verhinderung von strafbarem Mißbrauch, sondern wir müssen die unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten, die uns als Gesetzgeber zur Verfügung stehen, gezielt und abgestuft einsetzen, um Voraussetzungen zu bestimmen und dann auch zu sagen, was wir nicht wollen, ohne daß es gleich bestraft werden muß. Wir wollen sagen können: Hier liegen solche gravierenden Eingriffe vor, daß sie auf jeden Fall verboten bzw. mit Strafe belegt werden müssen.
All das tun Sie ja nicht. Sie haben sich ausschließlich auf das Strafrecht verlassen und vollständig übersehen, daß wir auch zivilrechtliche, ärztlich-berufsrechtliche und sozialrechtliche Möglichkeiten haben. Das finde ich nicht gut. Wir haben Ihnen das schon vor mehreren Jahren gesagt. Hier im Raum sitzen eine ganze Menge von Sachkennern, die ganz genau wissen, daß ein differenziertes Regelungsinstrumentarium sehr viel sachgerechter wäre.
Ich möchte einmal anführen, was alles in Ihrer gesetzlichen Regelung nicht angesprochen wird: Wann darf eigentlich mit Methoden der künstlichen Befruchtung vorgegangen werden? Welches sind die Voraussetzungen? Muß es nicht gestufte unterschiedliche Voraussetzungen geben, je nachdem, um welche Methode der künstlichen Befruchtung es sich handelt?
Wir sagen: Bei der Reagenzglasbefruchtung müssen die Voraussetzungen sehr viel restriktiver angesetzt werden als beispielsweise bei der Insemination, und zwar einfach deshalb, weil die Reagenzglasbefruchtung das Einfallstor für all diese unglaublich gefährlichen Experimente darstellt, nicht aber die Insemination.
Wir fragen auch: Wer soll eigentlich solche Methoden anwenden können? Wie ist es mit dem Arztvorbehalt? Wenn wir uns darüber einig sind, daß trennscharfe Grenzregelungen geschaffen werden müssen, frage ich: Wo dürfen diese Methoden angewandt werden? In den Praxen? In jeder Praxis? In einer gynäkologischen, in einer Facharztpraxis? Oder wollen wir bestimmte Dinge wie die Reagenzglasbefruchtung auf Krankenhäuser beschränken? Oder: Wie ist das mit der Dokumentation, von wem die Eizelle und von wem die Samenzelle stammt? Wer dokumentiert das? Wer muß das aufbewahren?
Wie ist es eigentlich mit den Kindern? Wann dürfen, müssen, sollen sie erfahren, wer ihre leibliche Mutter oder ihr leiblicher Vater ist?
Natürlich gibt es hier eine Rechtsprechung. Aber wir sind der Auffassung, wenn wir diesen Fragenbereich verantwortlich angehen, dann müssen wir ihn hier insgesamt durchdenken und dann müssen wir ihn mit dem differenzierten Regelungsinstrumentarium, das wir haben, festlegen.
Sie tun das nicht. Sie sagen, Sie gehen mit dem Strafrecht vor. Ich bedaure das. Wir sehen in anderen Bereichen, in welche Sackgasse uns das bringt.
Herr Bundesjustizminister, Sie wissen, ich schätze Ihre Freundlichkeit ganz außerordentlich. Ich habe deswegen gerade so schmunzeln müssen — das hat sich dann in lautem Lachen niedergeschlagen — , als Sie davon sprachen, Sie hätten die heterologe Insemination nicht geregelt, weil es hier noch Probleme gebe. Wissen Sie, seit dem Benda-Gutachten — das ist jetzt auch schon wieder nahezu fünf Jahre her — haben wir selbstverständlich erkannt, und zwar quer über die Parteigrenzen hinweg, daß hier einer der gravierenden Punkte liegt. Ich kann mich an viele Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizministeriums erinnern, die sehr wohl wissen, was hier geregelt werden muß und wo es Probleme gibt. Auch Bund-Länder-Kommissionen waren hier am Werk und und und ... Also, wir betreten hier kein Neuland.
Ich sage: Es gibt da andere Probleme. Die Probleme sind z. B., daß Sie die gespaltene Mutterschaft verbieten und mit Strafe belegen wollen, die gespaltene
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
Vaterschaft aber nicht. Das heißt, wenn der Vater zum Samenspender reduziert wird, dann haben Sie nichts dagegen. Ich hoffe, daß das eine Konsequenz aus dem von Ihnen eingeschlagenen Weg und nicht eine Konsequenz aus Ihrem Wollen und aus Ihrem Denken ist. Ich kann nämlich den Unterschied zwischen einer gespaltenen Vaterschaft und einer gespaltenen Mutterschaft prinzipiell nicht sehen. Ich teile Ihre Auffassung, daß man das nicht verbieten und dann mit Strafe belegen sollte. Aber da zeigt sich eben der Nachteil, daß Sie ein unterschiedliches Instrumentarium nicht gewählt haben. Ich sage Ihnen: So geht es nicht. Wir machen uns nicht nur insgesamt als Bundestag lächerlich, wenn so etwas beschlossen werden sollte, sondern es ist auch inhaltlich einfach falsch.
Damit auch jeder sieht, was ich meine, will ich es wiederholen. Es geht darum: Was passiert, wenn die Eizelle von einer Frau stammt und sie mit dem Samen eines fremden Mannes, der also weder Ehepartner noch Partner ist — diese Diskussion werden wir selbstverständlich auszutragen haben, Herr Marschewski —, befruchtet wird? Soll man die Funktion des Vaters einfach austauschen können? Ist es da wirklich so, daß man es, weil man es nicht bestrafen will, überhaupt nicht regelt, d. h. auch mit anderen Regelungen nicht unterbindet? Ich sage Ihnen: Da machen wir nicht mit. Das ist für uns der Streitpunkt.
Übrigens war dies eine der Überlegungen, die uns dazu geführt haben, zu sagen: Jawohl, wir müssen hier nach Wegen suchen, die umfassende Regelungen ermöglichen. Das war der Grund — das wissen Sie —, warum ich werbend von Land zu Land gezogen bin, um eine Grundgesetzänderung möglich zu machen, für die Sie ja auch viel Sympathie haben. Ich sage Ihnen: Wir kriegen den Bundesrat dazu — allerdings nicht, wenn wir abwarten, sondern nur dann, wenn wir hergehen und diejenigen Länder, die noch überzeugt werden müssen, wirklich davon überzeugen, daß das der bessere Weg ist.
Es wäre merkwürdig, wenn uns das nicht gelänge, nämlich deshalb, weil es wieder so eine Art Resignation vor den Fakten wäre, die wir doch dann, wenn es um die Regelung neuer wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse, um die Sicherung unserer Grundrechte und Grundwerte in einer völlig veränderten Zeit geht, gar nicht zulassen dürfen. Natürlich werden wir hier die eine oder andere Korrektur an der Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern zulassen müssen. Aber das können wir doch auch tun! Das wissen wir jetzt seit mehreren Jahren.
Meine Damen und Herren, Herr Justizminister, das, worum ich nachhaltig und nachdrücklich bitte, ist, daß Sie den Standpunkt des Abwartens aufgeben und mithelfen, daß wir die Länder davon überzeugen, daß der Weg, den wir vorschlagen, vernünftig und richtig ist. Ich denke, wenn dieser Weg eingeschlagen wird, dann wäre uns hier etwas möglich, was es noch nicht gegeben hat, nämlich daß wir uns wirklich über die Gefahren und über die Chancen neuer Technologien einig werden und das geeignete, sachgerechte und vernünftige Regelungsinstrumentarium dafür suchen und es auch wählen. Darum bitte ich; das schlagen wir vor.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neue Technologien bestimmen immer stärker unser Leben, bestimmen menschliches Leben und die Welt um uns. Neue Techniken ermöglichen die Herstellung von Leben, aber auch seine beliebige Beendigung. Unsere Verfassung, das Grundgesetz, gibt uns auf, das Leben des Menschen zu schützen. Wenn der Staat diesen Schutz gewährleisten soll, muß er es durch ein Gesetz tun. Denn in gewisser Weise müssen wir schon das Tun von Menschen eingrenzen und einschränken.
Es liegen heute drei Gesetzentwürfe vor, die den Rahmen der staatlichen Einflußnahme darstellen sollen. Ich nenne sie: erstens der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen, der von der Bundesregierung eingebracht wurde, zweitens der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und drittens der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Problemen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen, die beide soeben von der SPD-Fraktion in die parlamentarische Beratung eingeführt wurden. Ich sichere für alle drei Gesetzentwürfe sehr gründliche, aber auch sehr zügige Beratung zu. Denn sehr viel Zeit haben wir nicht mehr zu verlieren.
Ich möchte heute einige grundsätzliche Äußerungen zu diesem Fragenkomplex machen, damit wenigstens in etwa deutlich wird, was die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und was mich persönlich bewegt.
Meine erste Frage lautet: Wer ist Mensch? Lange Zeit haben nicht nur Wissenschaftler geglaubt, daß die biogenetische Grundregel des Zoologen Ernst Haeckel aus dem Jahre 1866 den Beginn des menschlichen Lebens richtig darstellt. Danach durchläuft das Lebewesen im frühen embryonalen Zustand die ganze Entwicklungsgeschichte, ist also zunächst Fisch, dann Lurch, vielleicht auch Vogel oder Affe, bevor es Mensch wird. Unter Wissenschaftlern macht man sich Gedanken darüber, ab welchem Tag nach der Zeugung der Mensch als Mensch existiert. Ich las kürzlich, daß ein deutscher Professor vom 40. oder — ganz neu — vom 60. Tag spricht. Wenn ich mich nicht irre, hat schon Thomas von Aquin angenommen, daß der männliche Mensch etwa mit dem 40. Tag beseelt wird, der weibliche Mensch erst mit dem 80. Tag. Bei Thomas von Aquin ist der Augenblick, in dem Gott dem Menschen die Seele einhaucht, der Augenblick der Menschwerdung. Das paßt für Thomas von Aquin, weil es in sein philosophisches System paßt. Die Festlegung auf den 40. Tag kann für den Gesetzgeber ebensowenig Vorgabe sein wie die Festlegung auf den Augenblick der Nidation. Die Einrüstung in die Schleimhaut der Gebärmutter hat man einfach auf den 14. Tag nach der Befruchtung festgelegt. Wir wissen heute: zu Unrecht.
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Seesing
Wenn der Staat heute menschliches Leben schützen will, muß der Schutz vom Anfang bis zum Ende des Lebens gehen.
Unsere Basis für die Lösung dieser Fragen ist: Menschliches Leben beginnt mit dem Augenblick der Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Samenzelle.
Der Staat muß das menschliche Leben von diesem Augenblick an schützen. Der Schutz kann nach unserer Auffassung nicht nur für Retortenmenschen gelten.
Zweitens. Wie macht man einen Menschen, und was macht man mit einem Menschen? Diese beiden Fragen, vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion — ich verrate jetzt interne Geheimnisse — von mir gestellt — rein rhetorisch; denn ich wollte sie selbst beantworten — , lösten zunächst einen gewaltigen Heiterkeitsausbruch aus. Diese Heiterkeit wich aber sehr schnell größter Nachdenklichkeit und Betroffenheit. Man stellte bald fest, daß man heute der menschlichen Natur oder gar Gott leicht ins Handwerk pfuschen kann. Ich spreche von der sogenannten künstlichen Befruchtung. Das ist an sich ein falscher Begriff. Denn die Befruchtung geschieht nach wie vor dadurch, daß Eizelle und Samenzelle zueinander finden. Aber die Verfahren sind das Problem.
Ich hätte es als Politiker am einfachsten, wenn es mir gelänge — was mir auch sehr sympathisch wäre — , die Instruktion der päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung zum Inhalt eines Fortpflanzungsmedizingesetzes zu machen. Damit könnte ich auch das Problem der Embryonenforschung und des Embryonenschutzes wenigstens zu einem großen Teil abhaken. Ein totales Verbot würde sicher auch vielen anderen Menschen gefallen.
Die Kundgebung der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands vom November 1987 ist in ihren Forderungen zurückhaltender. Aber auch darin wird die kritische Distanz zu den Verfahren der sogenannten Fortpflanzungsmedizin oder Reproduktionsmedizin noch sehr deutlich.
Ob aber die Betroffenen sehr glücklich über ein solches Verbot sein würden, ist mehr als fraglich. Ich meine die ungewollt kinderlosen Ehepaare in unserem Land. Sicher, man könnte auch diesen Betroffenen etwas vom ethischen Wert des Verzichtens sagen. Aber soll ich als Politiker ausgerechnet bei denen damit anfangen, die sich ein Kind wünschen, wenn ich sonst nicht genug tun kann, die Wünsche der Wählerinnen und Wähler zu erfüllen,
besonders solche Wünsche, die ich erst selbst wachgerufen habe? Wir werden also das Problem Embryonenforschung und -verwendung nicht durch ein Verbot der Reproduktionsmedizin lösen können.
Drittens. Wie soll der Mensch im frühesten Stadium seines Lebens geschützt werden? Wir haben uns darauf geeinigt, daß wir den Menschen in seinem frühesten Lebensstadium als Embryo bezeichnen wollen. Dieser Zustand beginnt im Augenblick der Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Samenzelle und der nun einsetzenden Zellteilung. Es ist etliche Jahre lang heftig diskutiert worden, ob eine Einschränkung oder gar ein vollständiges Verbot der Forschung an und mit Embryonen sinnvoll, verfassungskonform und durchsetzbar sei. Kernpunkt der Auseinandersetzung war die Frage, ob gezielt Embryonen zu Forschungszwecken erzeugt werden dürfen.
Ich muß gestehen, daß wir uns mit diesem Gesetz sehr schwergetan haben. Grundsätzliche Schwierigkeiten mußten überwunden werden. Über ein Jahr dauerte die Auseinandersetzung, ob eine heterologe Insemination strafrechtlich völlig verboten oder unter erheblichen Einschränkungen zugelassen werden sollte. Dabei ist in den meisten Staaten des Europarats die Herbeiziehung eines Samenspenders eine Frage, die nach Ansicht in diesen Staaten nicht vom Staat, sondern nur von dem beteiligten Paar, den Ärzten und den Trägern der medizinischen Einrichtungen zu entscheiden ist. Ich sage es ganz offen: Das ist nicht unsere Auffassung hier; wir hatten und haben andere Lösungsvorschläge. Da uns aber der Schutz des menschlichen Lebens sehr viel wichtiger ist als die Problematik Samenspender, stimmen wir dem Regierungsentwurf zu.
Viertens. Einige Worte zum Inhalt des Embryonenschutzgesetzes. Dieses Gesetz setzt im Grunde voraus, daß bestimmte Methoden der sogenannten Reproduktionsmedizin zugelassen sind. Wie sie zu handhaben sind, ist in den standesrechtlichen Vorschriften der Bundesärztekammer festgelegt. Das Gesetz wendet sich gegen eine mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken.
Dazu einige Beispiele. Wir sind in der Lage, im Reagenzglas menschliches Leben herzustellen. Man kann mit solchen Embryonen, statt sie in eine Gebärmutter zu übertragen, experimentieren, an ihnen Forschung betreiben. In Großbritannien sind solche Experimente bis zum 14. Tag nach der Kernverschmelzung gestattet worden. Die Erzeugung menschlichen Lebens, dem von vornherein jede Chance der Entwicklung genommen wird, läuft nach meiner Auffassung den aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes ableitbaren Zielen des Lebensschutzes sowie der Forderung des Grundgesetzes nach einem objektiven Schutz der Menschenwürde zuwider.
Gegen die Freigabe der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken spricht auch die Gefahr eines Dammbruchs. Wenn die Erzeugung von Embryonen für bestimmte Forschungszwecke zugelassen würde, ließe sich die künftige Erweiterung eines solchen Katalogs um neu auftauchende Forschungszwecke kaum vermeiden. Damit würde eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren künftiger Verlauf nicht abzusehen ist.
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Seesing
Wegen des hohen Ranges des betroffenen Rechtsguts erscheint ein strafrechtliches Verbot erforderlich, und ich glaube, da sind wir alle einer Meinung.
Das ist kein Ausdruck von Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft; vielmehr ist es das Deutlichmachen unseres Wollens, einen wirksamen Rechtsgüterschutz sicherzustellen.
Ein anderes Beispiel. Mit Hilfe von Samenzentrifugen kann man eine Trennung der Samenzellen, die zur Geburt eines Jungen führen, also Zellen mit männlichem Geschlechtschromosom, von den Samenzellen, die zur Geburt eines Mädchens, also Zellen mit weiblichem Geschlechtschromosom, führen, erreichen. Die Injektion einer betreffenden Samenzelle muß im Erfolgsfalle zu der Geburt des gewünschten Kindes führen. Man könnte sich auch die Vorbestimmung anderer Qualitäten vorstellen. Deswegen gehört dieses Verfahren verboten, vielleicht mit einer Ausnahme. Soll die Auswahl der Samenzellen durch den Arzt dazu dienen, eine schwerwiegende geschlechtsgebundene Erkrankung des zu erzeugenden Kindes zu verhindern, dann soll die Handlung nicht strafbar sein. Ich bin mir noch nicht sicher, ob man diese Ausnahme zulassen sollte.
In engem Zusammenhang mit den Methoden der Fortpflanzungsmedizin muß man auch die Möglichkeit sehen, menschliche Keimbahnzellen künstlich zu verändern. Dabei kann man Verfahren der Gentechnologie anwenden: Man entfernt unerwünschte Eigenschaften oder verleiht neue durch Entnahme, Hinzufügung oder Austausch eines Gens. Das wäre ein so schwerwiegender Eingriff in menschliches Leben — denn alle Nachkommen wären ja mitbetroffen —, daß der Gesetzgeber mit hoher Strafandrohung hier die notwendige Klarheit schafft. Wir wollen solche Entwicklungen nicht zulassen.
Fünftens einige Gedanken zu den Gesetzentwürfen der SPD-Fraktion. Viele Regelungsvorschläge, vor allem in dem Teil Fortpflanzungsmedizingesetz, könnten von mir mitgetragen werden. Aber es kann von mir nicht erwartet werden, daß ich die in diesem Gesetzentwurf durchgängige Gleichstellung von Ehe und sogenannter auf Dauer angelegter Partnerschaft gutheiße.
Ich gehe davon aus, daß diese Frage der Hauptpunkt unserer Auseinandersetzung werden wird.
Richtig ist aber, daß manche Probleme der sogenannten künstlichen Befruchtung bisher rechtlich nicht geregelt sind, die aber geregelt werden müssen. Dafür bieten die Entwürfe der SPD-Fraktion gute Ansatzpunkte.
Meine Damen und Herren, wir beginnen heute mit der Beratung einer Gesetzesmaterie, die uns viel abverlangt, denn es geht um sehr grundsätzliche und tiefgreifende Fragen. Ich kann mir vorstellen, daß jeder nach seinem individuellen Bild vom Menschen und dessen Würde diese Probleme betrachtet. Deswegen kann ich diese Beratung nicht im Stil üblicher parteipolitischer Auseinandersetzungen führen. Hier ist wirklich, so meine ich, das Gewissen des einzelnen gefragt. Ich glaube, es wäre auch gut für das Parlament, wenn man das draußen spürte.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, so wie ich hier die bisherigen Beiträge gehört habe, wundert es mich doch sehr, daß Sie diese Gesetzesvorlagen hier einbringen, weil nach dem, was Sie hier alle beschworen haben, es doch vor allen Dingen der Mißbrauch oder die Technik an sich ist, die Sie hier beklagen, also die Möglichkeit, daß Fortpflanzung auseinandergerissen wird und daß es Möglichkeiten von Manipulationen an Embryonen gibt.
Herr Minister, Sie haben gar nicht mehr von den Chancen der Technik geredet, was Sie ja in der Vorlage des Gesetzentwurfs noch tun, sondern vor allem von den Möglichkeiten des Mißbrauchs. Frau Dr. Däubler-Gmelin, auch Sie haben das im Prinzip getan, und auch schon bei der letzten Beratung im Jahr 1988 hat Frau Conrad von ihrer Fraktion gesagt, daß die In-vitro-Befruchtung das Trojanische Pferd für Manipulationen am menschlichen Leben ist. Das haben Sie selbst eben noch einmal mit anderen Worten wiederholt. Wenn sie das wirklich ist, dann frage ich Sie, warum Sie dieses Trojanische Pferd hier vorlegen; denn Sie wollen die In-vitro-Befruchtung ja nach wie vor zulassen.
Ich möchte zwar zugestehen, daß der Entwurf der Bundesregierung und auch Ihr Entwurf sich zwar den Schutz von Embryonen auf ihre Fahnen geschrieben haben und auch die schlimmsten Auswüchse — z. B. Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, Gentransfer in menschliche Keimbahnzellen und die gezielte Festlegung des Geschlechts — unter Strafe stellt, daß aber trotzdem beide Entwürfe noch genügend Schlupflöcher für Forscherdrang, Eugenik und Selektion lassen. Wenn Sie derartige Praktiken wirklich verhindern wollen, dann müßten Sie sich konsequenterweise gegen die gesamten neuen Fortpflanzungstechniken aussprechen.
Wir fragen uns, wer denn kontrollieren soll, wer denn den Ärzten auf die Finger sehen soll. Wer kontrolliert denn, wieviel Eier „geerntet" werden, wie es im Fachjargon der In-vitro-Spezialisten heißt? Wer kontrolliert, wieviel Eier befruchtet werden, sich teilen und dann auch eingepflanzt werden? Und wer kontrolliert, ob nicht gezielt das Geschlecht des Kindes festgelegt wird? Wir sagen: Niemand. Denn eine solche Kontrolle ist einfach nicht möglich.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14173
Frau Schmidt
Sie müßten ja Beamte haben, die über eine gleiche Ausbildung wie die Ärzte verfügen, die dann bei jedem technischen Prozeß dabeistehen und unter dem Mikroskop gucken, was da genau gemacht wird. Sie können noch nicht einmal feststellen, wieviel Eier es wirklich sind. Sind es drei, sind es fünf, oder sind es zehn Eier? All diese Sachen sind überhaupt nicht kontrollierbar. Wenn Sie diese Techniken zulassen, wenn Sie den Zugriff auf die Embryonen zulassen, dann ermöglichen Sie damit auch Manipulationen.
Wer die In-vitro-Fertilisation akzeptiert, der nimmt die Gefahren der Genmanipulation in Kauf.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind symbolische Gesetze, die vorgeben, Hilfe für ungewollt kinderlose Paare zu ermöglichen, während sie in Wirklichkeit die rechtlichen Voraussetzungen für die Manipulation am menschlichen Erbgut schaffen. Dabei geht es hier nicht um Menschenzucht im Sinne einer Frankensteinschen Horrorvision, sondern um sehr viel weniger spektakuläre, aber ebenso folgenschwere Formen der Selektion.
Der Regierungsentwurf erlaubt explizit die Selektion von Samenzellen, wenn es darum geht, eine geschlechtsgebundene erbliche Erkrankung des zu zeugenden Kindes zu vermeiden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schließt Samenspenden nicht aus; aber jeder Samenspende geht notwendigerweise eine irgendwie geartete qualitative Auswahl voraus.
Das sind die ersten Schritte zur genetischen Optimierung, d. h. zur Selektion nach wertvollen und minderwertigen Menschen.
Neben dem angeblichen Schutz von Embryonen liegt ein weiterer Begründungsstrang dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung in der vermeintlichen Sicherung des Kindeswohls, wobei Kindeswohl verräterischerweise lediglich auf das Wissen um die eigene genetische Identität reduziert wird. Die Bedeutung von sozialen Bindungen und Bedingungen für die Entwicklung eines Menschen wird nicht einmal angedeutet.
Auch das Wissen um genetische Identität wird zwar heraufbeschworen, aber an keiner Stelle abgesichert. Oder will die Bundesregierung die Anonymität von Samenspenden aufheben? Darüber schweigt sich der Gesetzentwurf aus.
Etwas klarer ist er allerdings in der Erlaubnis der Ersatzmutterschaft, die er angeblich wegen des Verhinderns von gespaltener Mutterschaft verbietet. Ersatzmutterschaft ist nämlich erlaubt, wenn — Zitat —
eine Embryospende die einzige Möglichkeit bietet, den Embryo vor einem Absterben zu bewahren.
Das heißt, es gibt überzählige Embryonen, die einer anderen Frau als der genetischen Mutter eingepflanzt werden können. Also ist die Ersatzmutterschaft nicht verboten, das Wissen des Kindes um genetische Identität nicht gesichert, gespaltene Mutterschaft möglich und somit der Gesetzentwurf von seinem Anspruch her überflüssig.
Mit keinem Wort erwähnen beide Gesetzentwürfe die Gefahren, denen Frauen sich aussetzen, die sich auf eine künstliche Befruchtung einlassen. Es wird nicht erwähnt, daß die Überstimulierung der Eierstöcke z. B. zu gefährlichen platzenden Zysten führen kann, daß Eierstock- und Brustkrebs infolge der hohen Hormongaben vermehrt auftreten können, daß sogar schon weibliche IVF-Babys mit Eierstockzysten zur Welt kamen und Frauen auf Grund der Medikalisierung für die Retortenbefruchtung ihr Leben ließen.
Bei einer Technik, die derartige Gefahren für Gesundheit und Leben von Frauen birgt, die seit Jahren weltweit eine durchschnittliche Mißerfolgsrate von mindestens 90 % hat und mit hohem finanziellen Aufwand auch in der Bundesrepublik weiterbetrieben wird, stellt sich die Frage, welche Mächte und Interessen dahinterstehen.
So prognostiziert die Ärztin Anne McLaren aus den USA, daß sich die In-vitro-Fertilisations-Forschung künftig wahrscheinlich mehr mit der Frühdiagnose und Verhütung von genetischen Anomalien befassen wird. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn ein derartiger finanzieller und technischer Aufwand betrieben würde, um Frauen einen Wunsch zu erfüllen.
Darum kann es also nicht gehen.
Im übrigen wird der Kinderwunsch vieler Frauen von der Regierung und auch von der SPD weder in Frage gestellt noch problematisiert. Statt dessen läßt die Bundesregierung keine Gelegenheit aus, Menschen ohne Kinder als verantwortungslos, egoistisch und unsozial erscheinen zu lassen. Damit schafft sie ein Klima, das Frauen derartig unter Druck setzt, daß diese sich Torturen unterwerfen, an deren Ende mit großer Sicherheit weiterhin die Kinderlosigkeit steht. Es ist ja eben nicht so — das war auch Ihren Ausführungen nicht zu entnehmen, Frau Däubler-Gmelin —, daß den Frauen wirklich geholfen wird. Den wenigsten Frauen wird — in Anführungszeichen — geholfen; bei den meisten funktioniert es ja nicht. Den Forschern werden somit wieder einmal Frauenkörper für ihre Forschungszwecke zur Verfügung gestellt.
Das sicherste Mittel gegen die Gefahren der Invitro-Fertilisation ist unserer Meinung nach die Weigerung der Frauen, sich als Versuchskaninchen für diese Techniken zur Verfügung zu stellen.
Ich hoffe und wünsche mir, daß sich viele Frauen wirklich sehr genau angucken, was da mit ihnen gemacht wird, daß sie sich über die Erfolgs- bzw. über die Mißerfolgsraten beraten und aufklären lassen und daß sie das nicht mehr mit sich und ihren Körpern machen lassen.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Schutz von Embryonen. Dieses Ge-
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Funke
setz hat das entscheidende Ziel, jeder Manipulierung menschlichen Lebens bereits im Vorfeld zu begegnen. Geht man davon aus, daß bereits mit Abschluß der Befruchtung menschliches Leben entsteht, so zeigt sich die Notwendigkeit eines auch bereits in diesem frühen Stadium einsetzenden Lebensschutzes. Dazu gehört vorrangig, daß, ohne deshalb die Freiheit der Forschung über Gebühr einzuengen, dem Umgang mit menschlichem Leben von seinem Beginn an klare Grenzen gesetzt werden müssen.
Das Embryonenschutzgesetz hat abzuwägen zwischen der Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes und den anderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes. So wäre es mit Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, wenn zu Forschungszwecken gezielt Embryonen erzeugt oder sonstwie fremdnützig verwendet würden.
Der Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter, vor allem der Schutz menschlichen Lebens und der Menschenwürde, lassen in engen Grenzen auch strafrechtliche Verbote im Bereich der neuen Technologien unverzichtbar erscheinen. Aus diesem Grunde enthält das Embryonenschutzgesetz strafrechtliche Verbote, die bereits von Herrn Bundesminister Engelhard wie auch von Frau Dr. Däubler-Gmelin ausführlich dargestellt worden sind, so daß ich hierauf verzichten kann.
Darüber hinaus will der Entwurf insbesondere auch das Entstehen sogenannter gespaltener Mutterschaften verhindern, bei denen genetische und austragende Mutter nicht identisch sind. Hier setzt der Schutz schon im Vorfeld ein, indem der Entwurf verbietet, fremde Eizellen auf eine Frau zu übertragen, menschliche Eizellen für eine spätere Embryospende oder mit dem Ziel der Übertragung des Embryos auf eine sogenannte Ersatzmutter zu befruchten und die Eizelle einer Frau zu befruchten, die sich bereit erklärt hat, ihr Kind nach der Geburt Dritten zu überlassen.
Dieses Gesetz zeigt unter anderem, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch gesetzlich erlaubt sein darf.
Schließlich trägt der Entwurf neuen Entwicklungen Rechnung, indem er zum Schutz vor möglichen Manipulationen generell verbietet, künstlich Samenzellen in eine menschliche Eizelle eindringen zu lassen oder etwa durch Injektionen zu verbringen, sofern die Maßnahme nicht auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft der Frau gerichtet ist, von der die Eizelle stammt. Mit diesem Verbot soll Tendenzen begegnet werden, menschliche Eizellen vor Abschluß des Befruchtungsvorgangs, aber nach Ausbildung der männlichen und weiblichen Vorkerne, zu Forschungszwecken zu verwenden oder — gleichsam auf Vorrat — einzufrieren.
Nun wird man diesem Gesetzentwurf vorwerfen — dies wird auch aus dem Gegenentwurf der Sozialdemokraten deutlich — , daß ein großer und wichtiger Teil der künstlichen Befruchtung im Embryonenschutzgesetz nicht mit geregelt sei. Hierzu zählt das Problem der rechtlichen Behandlung einer heterologen Insemination und die künstliche Befruchtung bei
Nichtverheirateten. Frau Dr. Däubler-Gmelin — Ihre Rede hat mich außergewöhnlich beeindruckt —, es ist mir klar, daß wir diese Fragen auch im Zuge dieser Beratungen im Rechtsausschuß intensiv miteinander diskutieren müssen. Wir sichern Ihnen eine entsprechend gründliche Beratung zu. Wir werden nicht, weil es sozusagen ein Entwurf der Opposition ist, sagen: Das kommt überhaupt nicht in Frage.
Aber wir haben bei der Beratung des Embryonenschutzgesetzes sehr wohl gesehen, daß diese Fragen, die jetzt durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung angeschnitten und zur Regelung vorgeschlagen sind, jetzt auch vorab geregelt werden müssen.
Die Fragen, die Sie in Ihrer wirklich eindrucksvollen Rede angeschnitten haben, Frau Dr. Däubler-Gmelin, haben aber auch deutlich gemacht, daß es doch eine Reihe von Problemen gibt, die noch nicht ausdiskutiert sind. Wir wollen mit Ihnen diese Fragen ausdiskutieren. Aber sie sind eben in diesem Stadium, auch gesellschaftlich, noch nicht ausdiskutiert. Wir haben zwar, wie Sie gesagt haben, viele Jahre darüber geredet, und wir wissen viele Jahre um diese Probleme, aber wir haben in diesen Jahren noch keinen Konsens gefunden.
Ich meine, wichtig ist auch, daß wir noch die nationalen und internationalen Erfahrungen mit einzubringen haben; denn in anderen Ländern ist in diesem Feld bereits einiges möglich. Deshalb sollten wir die Erfahrungen aus diesen Ländern mit einbringen. Wenn wir diese Erfahrungen hoffentlich gebündelt im nächsten Jahr einbringen können, dann werden wir mit Ihnen an Ihrem Gesetzentwurf arbeiten.
Maßstab bei der Abwägung aller Probleme müssen das Wohl des Kindes, die Würde und die Persönlichkeit der Beteiligten sein.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/5460, 11/5709 und 11/5710 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 11/5709 und 11/5710 sollen zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Gibt es noch anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Dann kann ich den Tagesordnungspunkt 19 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 7 und 8 aufrufen:
19. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Singer, Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein , Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Ab-
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Vizepräsident Westphal
schöpfung von Gewinnen, Geldwäsche —
— Drucksache 11/5313 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Vermögensstrafe —
— Drucksache 11/5461 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthäus-Maier, Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Penner, Poß, Singer, Dr. de With, Adler, Amling, Bachmaier, Börnsen , Dr. Diederich (Berlin), Becker-Inglau, Bernrath, Dr. Böhme (Unna), Büchner (Speyer), Bulmahn, Conrad, Conradi, Diller, Duve, Esters, Gilges, Dr. Glotz, Graf, Hämmerle, Haack (Extertal), Dr. Hauchler, Dr. Hartenstein, Huonker, Jungmann (Wittmoldt), Kastning, Klein (Dieburg), Kretkowski, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Lohmann (Witten), Lutz, Dr. Mertens (Bottrop), Nehm, Dr. Niehuis, Dr. Nöbel, Odendahl, Oesinghaus, Opel, Dr. Pick, Purps, Reschke, Reuter, Rixe, Schmidt (München), Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Schröer (Mülheim), Schütz, Sieler (Amberg), Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Stiegler, Dr. Struck, Tietjen, Waltemathe, Walther, Wartenberg (Berlin), Dr. Wegner, Weisskirchen (Wiesloch), Westphal, Dr. Wieczorek, Wieczorek (Duisburg), Wiefelspütz, Wimmer (Neuötting), Zander, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Unterbindung der Geldwäsche zur Bekämpfung des Rauschgifthandels
— Drucksache 11/5738 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN
Abrüstung im Drogenkrieg Entkriminalisierung des Drogenkonsums,
Verringerung der Kriminalität und Förderung von Hilfsangeboten
— Drucksache 11/4936 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sofortprogramm für Heroinabhängige
— Drucksache 11/5966 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Innenausschuß
Haushaltsausschuß
ZP8 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über die Rauschgiftsituation und die Grundzüge eines Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans
Bericht des Bundesministers der Justiz zur Umsetzung der Drogenkonvention, zur Novellierung der Vorschriften über Verfall und Einziehung und anderer Vorschriften des Strafgesetzbuches sowie zu Maßnahmen zum Aufspüren von Drogengewinnen
— Drucksache 11/5525 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist dann so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes wollen wir eine neue Sanktion einführen: die Vermögensstrafe. Es geht darum, die Möglichkeiten des Strafrechts zur Bekämpfung schwerer Drogendelikte, vor allem auch des organisierten Drogenhandels, um eine besonders spürbare Reaktion zu erweitern. Wir müssen diejenigen, die aus verwerflichem Gewinnstreben das Leben und die Gesundheit vieler, häufig junger Menschen zerstören, rückhaltlos bekämpfen.
Die neue Vermögensstrafe wird den Gerichten damit künftig die Möglichkeit eröffnen, auf das Vermögen der Drogenhändler zuzugreifen. Dieser Zugriff auf ihr Vermögen wird die Täter neben dem Freiheitsentzug an einer besonders empfindlichen Stelle tref-
14176 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989
Bundesminister Engelhard
fen. Daneben wird die Vermögensstrafe dazu beitragen, den Verurteilten die wirtschaftliche Grundlage für künftigen Drogenhandel zu entziehen.
Beim Abschluß des Strafverfahrens ist es für diese Sanktion aber häufig bereits zu spät. Der Täter hat sein Vermögen schon beiseite gebracht. Um die Durchsetzung des späteren Urteils zu sichern, brauchen wir deshalb bereits im Ermittlungsverfahren den sofortigen Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf das Vermögen des Beschuldigten.
Nicht zuletzt dank einer erfreulichen Kooperation mit den Ländern konnten straf- und zivilprozessuale Lösungen gefunden werden, die sich — davon bin ich überzeugt — in der Praxis bewähren werden. So gestattet der Entwurf für den Fall, daß die Einzelzwangsvollstreckung zu langwierig oder sonstwie unzweckmäßig ist, den Zugriff auf das Vermögen des Beschuldigten als Ganzes oder auch auf einen Teil dieses Vermögens.
Die neue und außerordentlich einschneidende Sanktion der Vermögensstrafe ist Bestandteil eines umfassenden Programms zur Bekämpfung der Drogenkriminalität. Nur wenn wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen entwickeln, haben wir überhaupt eine Chance, der Drogenkriminalität Herr zu werden.
Ich habe dem Kabinett am 24. Oktober dieses Jahres eingehend über die möglichen Maßnahmen zum Aufspüren von Drogengewinnen berichtet. Es hat sich gezeigt, daß hier noch erheblicher Prüfungs- und Lösungsbedarf besteht. So wollen wir die Möglichkeiten, Vermögensgegenstände der Drogentäter für verfallen zu erklären, wesentlich erweitern. Die geltenden Vorschriften, die heute schon die Gewinnabschöpfung bei Drogentätern vorschreiben, sind — das wissen wir — zu kompliziert, und sie sind unpraktikabel. Ich gehe davon aus, daß das Bundeskabinett schon sehr bald hierüber beschließen kann.
Große Sorgen macht auch das sogenannte Waschen von Gewinnen. Die Drogenhändler und ihre Helfer haben hier besonders raffinierte Methoden entwikkelt. Abgesehen von den Problemen, die Drogengewinne überhaupt aufzuspüren, wozu man die Sachkunde und die Hilfe der Kreditinstitute benötigt, bedarf es entsprechender Strafvorschriften. Im Bundesministerium der Justiz sind deshalb entsprechend den Vorgaben des Betäubungsmittelübereinkommens der Vereinten Nationen vom Dezember 1988 Strafvorschriften erarbeitet worden, die der für das Betäubungsmittelgesetz federführenden Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit inzwischen in einem Vorentwurf zur Änderung dieses Gesetzes zur Verfügung gestellt worden sind. In der nächsten Woche sollen diese Vorschriften in meinem Ministerium mit Vertretern der Landesjustizverwaltungen erörtert werden.
Meine Damen und Herren, wir befassen uns heute nicht nur mit diesem Entwurf der Bundesregierung, sondern auch mit dem SPD-Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes. Auch dieser Entwurf ist Ausdruck des Bemühens, den von der organisierten Kriminalität drohenden Gefahren entgegenzutreten. Insoweit begrüße ich die Vorlage des Entwurfs; denn er macht deutlich, daß wir um die Erreichung eines gemeinsamen Ziels bemüht sind. Allerdings: Der Entwurf der SPD ist noch unausgereift. Seine Wirksamkeit muß daher bezweifelt werden. So kann die geforderte Abschöpfung des Taterlöses nicht einfach zusätzlich zu der verwirkten Freiheitsstrafe verhängt werden, da auch die in Höhe des Tatgewinns zu verhängende Geldsummenstrafe mit der gegen den Täter verhängten Freiheitsstrafe schuldangemessen bleiben muß. Sie nennen es „Nebenstrafe", aber in Wirklichkeit ist in diesem Entwurf die Geldstrafe eine Hauptstraf e, und sie verstößt gegen den Schuldgrundsatz unseres Strafrechts. Ich erinnere daran, daß dies ja auch schon bei der Befragung der Bundesregierung am 24. Oktober hier im Hause eine Rolle gespielt hat. Ihr Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD, nimmt zudem auf die konkurrierenden Vorschriften über den Verfall nicht hinreichend Bedacht, und er droht, das bestehende Sanktionensystem des Strafgesetzbuches zu stören.
Die Bundesregierung kann sich deshalb den Gesetzentwurf der SPD nicht zu eigen machen.
Wenn auch die Vorstellungen über das Vorgehen gegen die organisierte Drogenkriminalität zwischen der Regierung und der Opposition zum Teil in Details noch auseinandergehen, so habe ich doch die Hoffnung, daß die noch bestehenden Differenzen in den Ausschußberatungen überwunden werden können. Die Gefahren, die weltweit von der organisierten Kriminalität auf dem Drogensektor drohen, machen — wie in vielen anderen Bereichen auch — ein gemeinsames Vorgehen nicht nur wünschenswert, sondern es ist ganz dringend notwendig, daß hier Einigkeit erzielt wird und wir geschlossen mit einem neuen Instrumentarium auch dieser Gefahr entgegentreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Singer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fachleute rechnen damit, daß sich das weltweit bestehende Drogenproblem in den europäischen Ländern bedrohlich ausweiten wird. Die international organisierten Drogensyndikate versuchen, in Europa Absatzorganisationen aufzubauen und sich Absatzmärkte zu erschließen, und sind damit wohl auch schon recht erfolgreich. Der Angebotsdruck bei Kokain und Heroin nimmt erheblich zu. Die sichergestellten Mengen, von denen wir täglich in den Zeitungen lesen, sind inzwischen in Tonnen zu beziffern, während sie früher noch in Kilogramm beziffert wurden. Wir sprechen von etwa 80 000 Abhängigen von illegalen Drogen in der Bundesrepublik. Im letzten Jahr hatten wir 673 Drogentote; für dieses Jahr wird die entsprechende Zahl auf über 1 000 geschätzt.
Unter diesen Umständen ist der Gesetzgeber gefordert, tätig zu werden und Wege zu finden, um der Narko-Mafia und den international tätigen Drogensyndikaten ans Leder zu gehen.
Die Gewinne aus der organisierten Kriminalität verstärken den Anreiz zu weiteren Straftaten in einem doppelten Sinne: Zum einen erwecken sie natürlich bei jedem Straftäter die Begehrlichkeit, sie erwecken
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den Eindruck, als ob sich das Verbrechen eben doch lohne. Zum anderen — das ist das Entscheidende — verschaffen sie ihm die finanzielle Basis, um weitere Straftaten zu begehen und um die von mir erwähnten Absatzorganisationen aufzubauen, die Logistik zu bezahlen und die geradezu schon industriell angelegten Tätigkeiten ihrer Syndikate zu verstärken und auszuweiten.
Praktiker, Kriminologen und der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages fordern daher seit langem, wirksame Vorschriften zur Abschöpfung von Gewinnen aus der organisierten Kriminalität zu schaffen. Es gibt einen Auftrag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 18. Mai 1988, dem die Bundesregierung nur sehr unzureichend nachgekommen ist.
Die bisher geltenden Vorschriften im Strafgesetzbuch über Verfall und Einziehung waren unpraktikabel. Sie sind von der Praxis kaum angenommen und angewendet worden. Ein Blick in einen Kommentar zeigt, wie wenig höchstrichterliche Rechtsprechung es hierzu gibt. Diese Vorschriften sind deshalb unpraktikabel, weil sie dem Richter ein kompliziertes Prüfungsverfahren aufnötigen. Er muß alle möglichen Abzugsposten z. B. beim Drogenhändler berücksichtigen, bevor er das bei ihm Vorgefundene, das aus dem Drogengeschäft Erlangte einziehen und für verfallen erklären kann. Diese zivilrechtlichen Vorprüfungsschritte scheut der Richter zumeist. Wenn er sie dennoch vornimmt und in das Urteil einbaut, schafft er einen Revisionsgrund. Deshalb sind die Bestimmungen weitgehend wirkungslos geblieben.
Wir haben deswegen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich von dem Entwurf der Bundesregierung in einem wesentlichen Punkt unterscheidet: Wir belassen es bei dem engen Zusammenhang zwischen der Gewinnabschöpfung, also dieser neuen Nebenstrafe, und der Schuld des Täters. Insofern wird hier ein elementarer verfassungsrechtlicher Grundsatz beachtet. In dem Entwurf des Bundesjustizministers wird hingegen nur ein Zusammenhang zwischen dem Wert des Vermögens des Täters und dessen kriminellem Verhalten vorher hergestellt. Wir begrenzen das.
Wir begrenzen die von uns vorgeschlagene Gewinnabschöpfung im übrigen aber nicht nur auf den Drogenhandel, sondern, entsprechend dem Auftrag des Rechtsausschusses, auf die gesamte organisierte Kriminalität, und vermeiden damit verfassungsrechtliche Bedenken.
Daß mit einer forcierten Gewinnabschöpfung Erfolge zu erzielen sind, hat eine Delegationsreise des Rechtsausschusses in die Vereinigten Staaten vor etwa vier Wochen gezeigt. Wir konnten dort vom Generalstaatsanwalt für Nordkalifornien erfahren, daß allein in seinem Bezirk Vermögenswerte von Drogenhändlern in Höhe von über 26 Millionen US-Dollar eingezogen werden konnten.
Ein großer Teil dieses Geldes kann in Absprache mit lokalen Polizeibehörden für Aufklärungskampagnen, für Präventionsprogramme und auch für Therapieprogramme verwendet werden. Wir sollten uns überlegen, ob wir uns hier nicht ein Beispiel daran nehmen sollten, d.h. ob wir angesichts der allgemeinen Geldknappheit und der damit verbundenen Schwierigkeit, Geld für Anti-Drogen-Kampagnen und für Therapiebzw. Präventionsprogramme bereitzustellen, nicht auf dieses Beispiel zurückgreifen sollten.
Der Generalstaatsanwalt von Nordkalifornien hat uns weiter erzählt, daß er aus der in Amerika geltenden forfeiture — so heißt das entsprechende amerikanische Instrument, das unserer Gewinnabschöpfung vergleichbar wäre — für die gesamten USA mit einem Vermögenswert von insgesamt 500 Millionen US-Dollar jährlich rechnet — ein ganz erheblicher Betrag, mit dem man sicherlich einiges anfangen könnte.
Der Entwurf des Bundesjustizministers hat nicht nur den Nachteil, daß er lediglich die Vermögensstrafe vorschlägt, aber zur Geldwäsche nichts sagt und insofern nur auf den Vorschlag der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit verweist — es ist also kein geschlossener Entwurf — , sondern hat auch noch den weiteren Nachteil, daß die Vermögensstrafe schon bei einer Strafe von mehr als zwei Jahren greifen soll. Sinn der ganzen Angelegenheit hier ist ja, die Drogenverbrecher, die großen Drogenhändler zu treffen und zu bestrafen. Dafür sieht das Betäubungsmittelgesetz aber Strafen bis zu 15 Jahren vor. Wenn man die Vermögensstrafe schon bei relativ niedrigen Strafen — ab zwei Jahre aufwärts — greifen läßt, besteht doch wieder die Gefahr, daß Polizei und Justiz sagen: Da wir die Großen nicht kriegen, konzentrieren wir uns auf die Kleinen. Damit vergessen sie dann ihre eigentliche Aufgabe.
Das, was der Minister zur Beschlagnahme gesagt hat, haben wir mit Interesse gehört. Bisher haben wir solche Vorschläge nicht vernommen. In unserem Gesetzentwurf ist ein solcher Vorschlag schon sehr frühzeitig gemacht worden. Es ist nämlich notwendig, illegal erworbene Vermögenswerte sofort nach Beginn des Ermittlungsverfahrens „einzufrieren" und damit dem Täter die Möglichkeit zu nehmen bzw. ihm den Weg zu verlegen, das Geld sofort ins Ausland zu transferieren, sich abzusetzen und sein Tun auf diese Weise fortzusetzen.
Wir werden die Einzelheiten im Ausschuß durchaus noch zu beraten haben und im einzelnen besprechen müssen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Beschränkung der Vermögensstrafe im Entwurf des BMJ, habe ich aufgezeigt. Auch habe ich dargestellt, warum wir meinen, daß mit unserer neuen Vorschrift des § 44 a StGB, Abschöpfung des Taterlöses, ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Instrument — angemessen und dem Schuldstrafrecht entsprechend — eingeführt werden kann.
Aber man sollte an dieser Stelle nicht über Sanktionen und Repressionsmittel sprechen, ohne klarzumachen, daß die repressiven Mittel der Polizei beim Kampf gegen Drogen im übrigen weitgehend ausgeschöpft sind. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Fülle von Novellierungen des Betäubungsmittelgesetzes gehabt: Wir haben die Strafrahmen erhöht, wir haben die Polizei sächlich und personell besser ausgestattet. Allzuviel hat das nicht geholfen. Die Maßnahmen der USA haben dazu geführt, daß Kokainströme in ungeahntem Ausmaß nach Europa
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gelangen, insbesondere über die kaum kontrollierbaren Grenzen Spaniens, und sich von dort aus in alle Industrieländer Westeuropas verteilen.
Wir müssen noch einmal klarmachen — darum geht es der SPD-Fraktion in besonderem Maße — : Die Drogenproblematik muß in den kommenden Monaten und Jahren zum Volksthema Nummer eins werden. Wir müssen den Drogenkonsum gesellschaftlich ächten;
das ist mir sehr wichtig. Und wir müssen klarmachen, daß der Grundsatz „Therapie vor Strafe" wieder neue Geltung bekommt.
— Ich habe gesagt, wir werden hier nicht umhinkommen, Frau Nickels, auch — bei der Gewinnabschöpfung — eine Verschärfung des Strafrechts vorzusehen. Im übrigen bleiben wir bei unserer Meinung, daß Prävention, Aufklärung, Erziehung und Therapie die vordringlichen Punkte sind, denen wir unsere Aufmerksamkeit widmen müssen.
— Wir werden darauf eingehen. Wir haben auch entsprechende Gesetzentwürfe dazu vorbereitet, keine Sorge!
Aber für Programme brauche ich keine gesetzlichen Handhabungen.
Da genügt es, z. B. darauf hinzuweisen, daß die Absicht der Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, lediglich Postwurfsendungen zu verteilen, nicht ausreicht, daß die Erhöhung der für die Drogenkampagne bereitgestellten Geldmittel von 25 Millionen DM auf 50 Millionen DM — für die AIDS-Kampagne sind es 120 Millionen DM — auch bei weitem nicht ausreicht und daß es sich da einmal empfiehlt, ins Ausland zu blicken. Ein Land wie Peru, vom Bürgerkrieg geschüttelt, ein Land, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, ist immerhin in der Lage, professionell gemachte Werbespots über seine Fernsehanstalten regelmäßig kostenlos auszustrahlen und seine Bevölkerung auf die Weise aufzurütteln.
Wir werden auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit gerade mit den Hauptanbauländern stärker nutzen müssen, weil die Drogenproblematik, was die Abhängigkeit und die ökologischen Gefahren betrifft, die sich aus dem Kokaanbau ergeben, diesen Ländern jetzt erst richtig bewußt wird. Eine Zusammenarbeit mit diesen Ländern und eine europaweite Antwort auf den ja ebenso auf Europa insgesamt konzentrierten Angriff der Narko-Mafia muß gefunden werden. Wenn wir versuchen, hier lediglich mit nationalen Alleingängen zurechtzukommen, werden wir sicherlich scheitern; denn es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß in der Vergangenheit manchmal die Maßnahmen in dem einen Land die Maßnahmen in dem anderen Land aufgehoben haben oder wirkungslos haben verpuffen lassen.
Wer heute über Konzepte oder Strategien zur Drogenbekämpfung redet, könnte mühelos 50, 60 Bücher über die völlig unterschiedlichen Ansätze allein in den europäischen Ländern schreiben. Ohne eine Harmonisierung, ohne eine Vereinheitlichung des Betäubungsmittelrechts und der Art und Weise, wie wir mit dem Problem umgehen, werden wir hier nicht vorankommen. Insofern kann ich die Kritik des Deutschen Richterbundes an den Vorschlägen der Bundesregierung nur aufgreifen, der ebenfalls gesagt hat, das, was von der Bundesregierung bisher auf den Tisch gelegt wird, ist unzureichend. Es ist nicht zu erwarten, daß es uns nennenswert voranbringen wird. Man muß hier in stärkerem Maße auf Europa blicken und einheitliche europäische Regelungen einführen.
Ich sehe, daß meine Redezeit abgelaufen ist. Es gäbe noch eine ganze Menge zu sagen über die Probleme der Anbauländer sowie darüber, wie wir hier auch mit entwicklungshilfepolitischen Maßnahmen helfen können; aber das werden wir dann in den anstehenden Beratungen noch eingehend erörtern. — Vielen Dank.
Herr Hörster ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben alle schon davon gehört und teilweise darüber gelesen, es teilweise auch schon gesehen: hagere Menschen mit 20, 25 Jahren, vorzeitig gealtert, körperlich heruntergekommen, auf öffentlichen Plätzen herumhängend, Jugendliche vor dem Richter wegen Diebstahls, gelegentlich Raubs, häufig Hehlerei, die sich damit Geld verschaffen wollen, Minderjährige und Volljährige beiderlei Geschlechts, die sich anderen gegen Geld anbieten, verzweifelte Eltern, denen die Kinder entfremdet sind, weil sie in eine Welt wegtauchen, die sie nicht mehr ansprechbar macht, Tote um die 30 Jahre, immer häufiger auch jünger, die sich den Goldenen Schuß gesetzt haben. Individuelle Verelendung, beruflicher und gesellschaftlicher Ruin, in vielen Fällen Kriminalität und Tod, sind das Ergebnis der zunehmenden Verbreitung von Rauschgift und psychotropen Suchtmitteln.
Die Zahl der Drogenabhängigen in der Bundesrepublik wird auf 60 000 bis 80 000 geschätzt; ganz Genaues weiß man nicht. Allein im letzten Jahr wird eine Steigerungsrate von 20 % angenommen. 15 000 bis 20 000 werden zu der Gruppe gezählt, die besonders auffällig sind, weil sie zur Stillung ihrer Drogensucht Beschaffungskriminalität betreiben, als Kleindealer Drogen verbreiten, andere mit Drogen in Kontakt bringen, sie anfixen und damit in den Teufelskreis der Abhängigkeit einführen.
War man zu Beginn der 80er Jahre der Meinung, das Drogenproblem könne sich entschärfen, so ist jetzt ein Ansteigen der Zahl der Abhängigen, der Drogenaufgriffe, aber insbesondere auch ein Ansteigen der Drogentoten zu verzeichnen.
Das Problem läßt sich nicht auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen konzentrieren; es ist weder bil-
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dungs- noch ausbildungsabhängig, noch läßt es sich an der sozialen Stellung oder dem Einkommen festmachen. Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen sind betroffen und gefährdet.
Dies ist der Hintergrund, auf dem wir heute die beiden Gesetzentwürfe und verschiedene Anträge beraten. Die heutige Beratung ist jedoch meines Erachtens nicht der Zeitpunkt, um in aller Breite umfängliche rechtssystematische und rechtspraktische Überlegungen zu diesen Gesetzentwürfen und Anträgen zu erörtern.
Ich möchte versuchen, in einem gewissen Zusammenhang die Entwicklung der Drogenproblematik darzustellen und dabei auch die Grundzüge des Nationalen Rauschgiftprogramms, das uns auf der Drucksache 11/5525 vorliegt, inzidenter mit in die Betrachtung einbeziehen.
Um die Diskussion zur heutigen Tagesordnung auf das wesentliche zu konzentrieren, will ich jedoch auch mit einem Vorurteil aufräumen. Diejenigen, die sich mit dem illegalen Rauschgifthandel und der Drogenkriminalität befassen, verkennen keineswegs das Problem, das der Gesellschaft dadurch verursacht wird, daß Alkoholabhängigkeit, Tablettenabhängigkeit und andere Abhängigkeiten ebenfalls zu schweren sozialen Folgen führen. Dennoch, die Rauschgiftproblematik hat eine Dimension, die alleine durch Fallzahlen nicht erfaßt werden kann.
Der Drogenhandel und die Sucht nach Rauschgift wurden erstmals in diesem Jahrhundert als ein internationales Problem erkannt. Die Wechselbeziehungen zwischen den europäischen Staaten und ihren kolonialen Besitzungen, die Zuwanderung in die Vereinigten Staaten, vor allem aus Asien, brachten das Opiumproblem. Bereits 1912 wurde das internationale Opiumabkommen als erste internationale Akte zur Bekämpfung des Rauschgifthandels geschlossen. Nationale Gesetze folgten in den europäischen Ländern, u. a. 1929 in Deutschland. Das Gesetz wurde ausdrücklich als Opiumgesetz bezeichnet.
Diese Gesetze waren nicht Bestandteile der normalen nationalen Strafgesetzgebung, sondern schufen in Nebengesetzen neue Straftatbestände. Geschütztes Rechtsgut war die Gesundheit der Bevölkerung. Aus gesundheitspolitischen und sozialpolitischen Erwägungen sollten befürchtete Ansteckungsgefahren und individuelle Verelendung mit diesen Gesetzen verhindert werden.
Damals war der illegale Handel mehr individuell begründet. Organisationen, die dieses kriminelle Geschäft betrieben, waren im Vergleich zu heute nur rudimentär vorhanden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem sprunghaften Anstieg des Warenaustauschs und des Personenverkehrs über Länder und Kontinente. Es entwickelte sich zunehmend auch der illegale Drogenhandel. Es war einfach technisch leichter, die Rauschmittel aus den Erzeugerländern in die Verbraucherländer zu schaffen, denn die Ausweitung des Handels und des Personenverkehrs machten den Reisenden nicht mehr zu einer leicht kontrollierbaren Einzelerscheinung.
In den 60er und 70er Jahren war dann ein sprunghafter Anstieg des Drogenmißbrauchs sowohl in den USA als auch bei uns in Europa zu verzeichnen, gefördert von einem rasch wachsenden Wohlstand der Bevölkerung, der manche persönliche Identitätskrise auslöste, gefördert sicher auch durch den Vietnamkrieg und seine Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft. Die Erscheinung der Flower-Power-Bewegung der Hippie-Gesellschaft darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden.
Mit einer gewissen Verzögerung waren neue
— meist verschärfte — Betäubungsmittelgesetze die Folge; bei uns 1982 die Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes. Die Rechtsgüter, die geschützt werden sollten, waren im Kern so wie früher auch schon die Volksgesundheit und mit einer besonderen Verstärkung der Jugendschutz. Also, die Drogenproblematik ist nicht neu.
Dennoch diskutieren wir heute im Jahre 1989 dieses Thema erneut.
— Das Zuhörenkönnen ist eine besondere Qualität.
— Selbstverständlich. — Erstmals hat eine Bundesregierung Grundzüge eines Nationalen Rauschgiftbekämpfungsprogramms entwickelt. Das Bundeskabinett hat sich bereits mit dieser Frage befaßt. Der Bundeskanzler selbst hat die Problematik anläßlich der Befragung der Bundesregierung am 24. Oktober 1989 und am selben Tag vor der Bundespressekonferenz zu einer Aufgabe von nationalem Rang erklärt.
Das, was seit einiger Zeit befürchtet worden ist und sich weit weg von uns entwickelt hat, ist auch für uns zu einer großen Gefahr geworden. Denn die Rauschgiftkriminalität hat eine völlig neue Dimension bekommen. Diese neue Dimension drückt sich in sprunghaft steigenden Rauschgifteinfuhren nach Europa und auch in die Bundesrepublik aus, erklärt sich aber nicht mehr mit mehr oder minder ausgeprägten Folgeerscheinungen von Wohlstandsgesellschaften oder sonstigen, individuellen Problemen. Die neue Dimension der Gefahr des internationalen Rauschgifthandels erfährt man in der Dritten Welt.
Im Gebiet des Goldenen Dreiecks in Südostasien werden weite Landesteile nicht mehr von den Regierungen kontrolliert. In Birma, wo 75 % des gesamten Heroins in Südostasien produziert werden, gibt es Shangebiete, wo die Regierung keine Kontrolle mehr ausübt und Armeen von 10 000 Mann mit modernen Waffen unterhalten werden. Dort dient der Drogenhandel der Waffenbeschaffung.
Im benachbarten Thailand bekämpft die Regierung den illegalen Rauschgifthandel zur Wahrung der nationalen Integrität, aber auch, weil die Zahl von mehr als 320 000 Heroinabhängigen — man vergleiche diese Zahl im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland — eine große Gefahr für die Sozialstruktur und die innere Ordnung darstellt.
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Ähnliche Situationen ergeben sich im Gebiet des Goldenen Halbmondes. Zum Beispiel in Pakistan wird die Zahl der Heroinabhängigen auf über 400 000 Menschen geschätzt, obwohl dort das Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung 390 US-Dollars beträgt, es sich also um ein sehr armes Land handelt. Über die südamerikanische Rauschgiftmafia in Kolumbien ist in den letzten Wochen viel geredet worden. Die Koka-Bosse beherrschen den Markt in den USA. Ganze Inselstaaten in der Karibik wären ohne Rauschgiftgelder nicht zahlungsfähig. Panama wäre ohne Rauschgiftgeld zwischenzeitlich zahlungsunfähig. Auch hier zeigt sich, daß in den Grenzgebieten zu den benachbarten Staaten die Regierungskontrolle praktisch verloren gegangen ist, Guerillaorganisationen die Situation beherrschen und infolge dessen dort die Rauschgiftproduktion weitestgehend ungestört vonstatten gehen kann.
Ich weise auf diese Sachzusammenhänge hin, weil dies eigentlich die neue Dimension der Bedrohung durch den illegalen Rauschgifthandel deutlich macht. In den Rauschgiftanbau- und produzentenländern sind politisch instabile Verhältnisse entstanden. Diese werden durch die Rekrutierung zahlloser Abhängiger gefördert. Die Gewinne werden zunächst teilweise in Waffen, teilweise in beachtliche Bestechungsgelder investiert, um neue Einflußmöglichkeiten, neue Märkte, neue Möglichkeiten der Geldanlage zu erschließen.
Vor allem aus Südamerika kommend, ist die Rauschgiftmafia straff organisiert. Sie verfügt über eine intelligente Logistik und über immense Finanzmittel, die geeignet sind, auch unsere staatlichen Strukturen durch Bestechung zu gefährden und zu unterwandern. Im Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Waschen von Gewinnen aus illegalem Betäubungsmittelhandel — Abschöpfung der Gewinne aus Straftaten" heißt es vornehm amtlich:
. . zeigt jedoch die Entwicklung in einigen Ländern der Dritten Welt, so besonders deutlich in Kokainproduktionsländern wie Kolumbien, daß die Drogengewinne, angehäuft in den Händen weniger krimineller Organisationen, einen gesellschaftlichen Machtfaktor darstellen, der diesen Organisationen zu erheblichem politischen Einfluß verhilft. Die Gefahr verstärkter Einflußnahmen krimineller Organisationen ist aber auch für entwickelte Industrienationen wie die Bundesrepublik Deutschland schon deshalb vorstellbar, weil große Vermögen in den Händen von Straftätern unter anderem auch ein Potential für Korruptionsversuche darstellen."
Diese Sachzusammenhänge muß man sehen, um zu wissen, was auf uns zukommt und was dazu geführt hat, daß sich die Bundesregierung mit den Problemen des internationalen Rauschgifthandels befaßt und zu einer Chefsache erklärt hat.
Ich möchte zu den vorliegenden Gesetzentwürfen einiges sagen. Der illegale Rauschgifthandel soll durch die Einführung einer Vermögensstrafe an seiner empfindlichsten Stelle, nämlich bei der Sicherung des kriminell erzielten Gewinnes, getroffen werden. Neben einer lebenslangen oder zeitlichen Freiheitsstrafe kann auf eine Vermögensstrafe erkannt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ausdrücklich den konstruktiven Einfluß der Bundesländer beim Zustandekommen dieses Regierungsentwurfs hervorheben. Das Problembewußtsein der Justizminister der Bundesländer hat wesentlich dazu beigetragen, daß nach anfänglich zähen Überlegungen ein brauchbarer Regierungsentwurf zustande gekommen ist.
Ich denke, daß wir hinsichtlich der Einführung einer Vermögensstrafe bei den Beratungen im Rechtsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen einen breiten Konsens auch mit der SPD erzielen werden.
Was den Teil des Gesetzentwurfes der SPD anbetrifft, der sich mit der Geldwäsche befaßt, wird der von Frau Matthäus-Maier initiierte Antrag dem vorgeschlagenen neuen § 257 a StGB „Geldwäsche" ihres eigenen Entwurfes nicht gerecht. Die von Frau Matthäus-Maier und der SPD-Fraktion vorgeschlagene Aufweichung des Steuergeheimnisses, die Aufnahme der Geldwäsche in den Katalog der verbotenen Bankgeschäfte sowie die Meldepflicht bei Bareinzahlungen — an wen eigentlich? — sind wohl aus den amerikanischen Regelungen abgekupfert und hinsichtlich ihrer Praktikabilität unter den Gesichtspunkten des deutschen und europäischen Kapitalmarktes mehr als zweifelhaft.
Zu meinem Bedauern aber sehe ich mich nicht in der Lage, dem Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Waschen von Gewinnen aus illegalem Betäubungsmittelhandel — Abschöpfung der Gewinne aus Straftaten" zu folgen, in dem es heißt:
Derzeit liegen noch nicht genügend Rechtstatsachen vor, um die Frage beantworten zu können, in welchen Bereichen und in welchem Umfang ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.
Diese Schlußfolgerung des Regierungsberichtes steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen, die man wenige Zeilen vorher in dem gleichen Teil dieses Berichtes liest.
Dort heißt es nämlich:
Neuere polizeiliche Erkenntnisse zeigen, daß sich Straftäter insbesondere im Falle des organisierten Handelns nicht mehr auf einen Kriminalitätsbereich beschränken. Es muß danach von einer Wechselbeziehung zwischen der Finanzierung zukünftiger Straftaten sowohl im Drogen- als auch in anderen Kriminalitätsbereichen ausgegangen werden.
— Gut zuhören! Und es heißt des weiteren:
Durch die Schaffung einer Strafvorschrift, die das Waschen von Gewinnen aus bestimmten, nicht dem Betäubungsmittelbereich zuzurechnenden schweren Straftaten unter Strafe stellt, könnte der
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Verschleierung in diesen Bereichen ebenfalls vorgebeugt und damit letztlich die Entziehung dieser Gewinne eingeleitet werden.
Wegen der Wechselbeziehung zwischen der Finanzierung von Straftaten sowohl im Drogen- als auch in anderen Kriminalitätsbereichen wäre die Einführung einer solchen Strafvorschrift bereits alleine unter dem Aspekt der Bekämpfung der Betäubungskriminalität wünschenswert.
So der Regierungsbericht. Insoweit begrüße ich den Gesetzentwurf der SPD, weil er uns Gelegenheit gibt, konkret schon in diesem Stadium über die Einführung einer Strafe für das Geldwaschen zu beraten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist die Zeit davongelaufen. Ich hätte gern noch etwas zu den Anträgen der GRÜNEN gesagt.
Ich hätte auch gerne noch etwas zu den Anträgen der SPD, bezogen auf das Geldwaschen, gesagt. Ich bin der Auffassung, daß ein Vergleich mit dem ebenfalls im Regierungsbericht angeführten englischen und schweizerischen Recht uns einen Weg aufzeigt, wie man ohne Einrichtung großer Bürokratien das Problem des Geldwaschens sauber in den Griff bekommen kann.
Ich darf hier an den neuen Artikel 305 Abs. 2 und 3 des Schweizerischen Strafgesetzbuches denken. Ich darf an den Abschnitt 24 des Drug Trafficking Offences Act aus Großbritannien denken, wo ebenfalls solche Regelungen getroffen worden sind. Beide Länder, weder die Schweiz noch England, sind etwa dafür bekannt, daß sie überbürokratisch wären oder etwas gegen Finanzgeschäfte oder Geldmärkte hätten.
Verehrter Herr Kollege, die Zeit läuft und läuft und läuft.
Ja, ich weiß. — Gleichwohl haben sie solche Tatbestände eingeführt. Ich denke, wir sollten es ihnen gleichtun, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nickels.
Lieber Herr Präsident Westphal! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie meine Vorredner hier schon ausgeführt haben, stehen wir weltweit vor einer rasanten Zunahme der Drogenproblematik. Das brauche ich nicht noch einmal auszuführen und zu erläutern.
Die Bundesregierung hat, wie Sie, Herr Hörster, gerade anmerkten, das Thema im Benehmen mit den US-amerikanischen Vorstellungen deshalb zur Chefsache erklärt. Der Bundeskanzler hat dann in großartigen Ankündigungen zwei Zielvorgaben für seine Drogenoffensive genannt. Einerseits möchte er den
Abhängigen helfen und gleichzeitig den internationalen Drogenhändlern das Geschäft vermiesen.
Wo die Schwerpunkte liegen, zeigt ein Blick auf die Erklärung vom 24. Oktober. Auf genau 6 1/2 Seiten seiner Erklärung führt der Herr Bundeskanzler aus, welche neuen Aufrüstungsmaßnahmen im Drogenkrieg er vorsieht. Da hören wir, daß das Bundeskriminalamt um fast 400 Stellen aufgestockt wird. Es ist von neuen verdeckten Ermittlern die Rede, von technischer Observation und Rasterfahndung, die verstärkt eingesetzt und gesetzlich abgesichert werden soll usw. usw.
— Hören Sie doch einmal zu. Genau eine halbe Seite der langen Erklärung, eine mickrige halbe Seite bleibt dann übrig, um sich der gesundheitlichen Aufklärung und verstärkten Hilfen für Gefährdete und Abhängige zuzuwenden. Ich finde, daß bedeutet, die Möglichkeiten, die wir in der Bundesrepublik haben, auf den Kopf zu stellen. Der Ansatz, den Sie, Herr Singer, genannt haben, mit strafrechtlichen Maßnahmen etwas erreichen zu wollen, ist falsch. Wir haben gesehen, das ist gescheitert. Diese falschen Maßnahmen werden aber jetzt erneut weiter aufgeplustert.
Was wirklich Erfolg versprechen würde, wird überhaupt nicht gemacht. Bei der SPD haben Herr Lafontaine, Herr Penner, Frau Däubler-Gmelin und Herr Schröder außerhalb des Parlaments etwas ganz anderes gesagt. Ich bedaure, daß Sie hier kein Programm eingebracht haben, das die Konsumentinnen und Konsumenten betrifft, wo wir wirklich ansetzen können.
Wir von den GRÜNEN halten die von seiten der Regierung und von seiten der SPD vorgeschlagenen Maßnahmen für nicht geeignet, durchgreifende Veränderungen zu erzielen. Die Vermögensstrafe findet selbst in den Reihen des Bundesministeriums der Justiz wenig Beifall, Herr Minister, weil wir in unserer Strafrechtsordnung immer noch das Gebot, schuldangemessen zu strafen, finden und deshalb kein spürbarer Zugriff auf das Tätervermögen möglich sei.
Die Kritik von seiten der SPD wiegt schwerer. Sie qualifizieren diesen Vorschlag dahin gehend, daß er sich in der Praxis nicht handhaben lasse und verfassungsrechtlich bedenklich sei. Man kann gespannt auf die nächste Vorlage warten. Wahrscheinlich wird der „erweiterte Verfall" kommen, der von Ihnen ja auch schon in die Debatte eingeführt wurde.
An die Adresse der SPD gerichtet möchte ich sagen: Ich finde es sehr bedauerlich, daß hier wieder der Eindruck entsteht, als würden Sie auf einen Zug aufspringen, der schon ein beachtliches Tempo erreicht hat, aber in die falsche Richtung fährt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie im Ernst daran glauben, daß einem illegalen Geschäftsbereich, der weltweit mehrere 100 Milliarden Mark im Jahr umsetzt, dadurch beizukommen ist, daß man ab und zu einen mittelprächti-
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Frau Nickels
gen Fisch fängt, dem man tatsächlich nachweisen kann, daß er sich „durch die Begehung einer oder mehrerer strafbarer Handlungen unrechtmäßig bereichert hat" .
Ich glaube nicht, daß Sie annehmen, daß dies wirklich etwas verändern kann.
Es wird auch auf das Beispiel der USA verwiesen. Dort habe man auf diese Weise Erfolg gehabt. Sie müßten einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bericht des Bundesministeriums der Justiz vom 5. Oktober 1989, der heute auch Beratungsgrundlage ist, aufmerksam lesen. Dort steht, daß mittlerweile 5,7 Millionen Geldbewegungen jährlich den Behörden in den USA gemeldet werden. Die Zusammenarbeit mit den Banken funktioniere ausgezeichnet, wie die Botschaft meldet. Soweit, so gut. Das führt aber dann dazu, daß die Behörden nicht mehr in der Lage sind, das anfallende Datenmaterial überhaupt zu verarbeiten. Das ist die Konsequenz; aber nicht, daß dabei etwas Positives herauskommt. Dementsprechend bezeichnet das Bundesministerium der Justiz selbst die dortigen Aufgriffe als „spektakuläre Fahndungserfolge" und berichtet, daß die Amerikaner keineswegs die Hoffnung haben, die Drogenkriminalität auf diese Weise einzudämmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, daß die Drogenkartelle ihre Aktivitäten nicht deshalb nach Europa verlegen, weil die Amerikaner so erfolgreich in der Abwehr sind, sondern weil der amerikanische Markt zur Zeit absolut gesättigt ist. Auch das steht in Ihrem Bericht, Herr Minister.
Einen völlig anderen Effekt werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, aber auch von der SPD, mit den vorgeschlagenen Maßnahmen erreichen: Neben der weiteren Aufblähung der Fahndungsorgane und der Aufgabe rechtsstaatlicher Grundsätze, die hier drohen, folgen Sie weiter der strikten Verbotspolitik des Betäubungsmittelrechts der 80er Jahre, die doch gescheitert ist, wie Sie richtig gesagt haben, Herr Singer. Sie wissen, daß alle Verbotsvarianten, so hart es auch klingt, nur dazu führen, daß die Kosten der Anbieter steigen. Unter Umständen wird, wenn Sie wenigstens teilweise Erfolg haben, eine geringere Menge angeboten. Dann wird aber eine Monopolisierung des Handels eintreten, weil risikoscheue Anbieter aus dem Markt ausscheiden.
— Hören Sie doch mal weiter zu.
Weil auf der Seite der Konsumenten aber weder ausreichende Therapieangebote vorhanden sind, noch die Ersatzstoffabgabe in angemessenem Umfang praktiziert wird, sich die Leute also weiterhin auf der Straße versorgen werden, würde in der Bundesrepublik auch in Zukunft ein hohes Suchtpotential existieren. Damit verbunden wäre natürlich eine starke Nachfrage. Das wissen Sie ganz genau.
Folgerichtig wird der Preis deutlich anziehen und bewirken, daß Drogenabhängige zwangsläufig aktiver werden müssen, um ihre Sucht zu finanzieren. Kleindealer werden verstärkt versuchen, neue Konsumenten zu werben. Die gesundheitlichen Risiken für die Konsumenten, an die wir alle hier doch vorrangig denken müssen, werden sich durch „Strecken" des Stoffs erhöhen. Natürlich wird auch die Beschaffungskriminalität wieder ansteigen, die Sie eigentlich vermindern wollen.
Außerdem macht der hohe Preis die Produktion von oft noch viel gefährlicheren Substanzen in heimischen Giftküchen, die kaum kontrollierbar sind, rentabler.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 10. August 1989 wird richtig bemerkt, daß ein Verbot bewirkt, „daß Gruppen mit gleichen Interessen, gleichen Ritualen, einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsamer Sprache entstehen. Gerade solche Bezugsgruppen sind für viele Jugendliche interessant".
Sie müßten für meine Begriffe endlich Schritte in die richtige Richtung tun. Dazu gehört nicht der verstärkte Einsatz, sondern die Abkehr vom Strafrecht gegenüber Drogenkonsumenten. Dazu haben wir in unserem Antrag einige Vorstellungen unterbreitet.
Von Herrn Hörster ist ausführlich auf die Drehtürproblematik, diese Verelendung der Konsumenten, eingegangen worden. Dazu gehört auch die Beschaffungskriminalität.
Um diesen elenden Kreislauf zu durchbrechen, fordern wir in dem weiteren Antrag zum Sofortprogramm für heroinabhängige Fixer, daß hier durchgreifende Hilfen auch vom Bund modellhaft angestoßen werden, damit man wirklich Hilfe dort leistet, wo wir auch tatsächlich ansetzen können.
Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich kann das nicht weiter ausführen. Ich bitte Sie herzlich, die Anträge aufmerksam durchzulesen.
Ich werde mir für die nächste Woche, in der wir über die Änderung der Geschäftsordnung reden, ernsthaft überlegen, ob ich einen Vorschlag für eine mittlere Redegeschwindigkeit mache, die etwa in der Mitte der Redegeschwindigkeit von Frau Nickels und der des Herrn Bundesministers der Justiz liegt.
Herr Kleinert ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich glaube nicht, daß man sich ein schrecklicheres Verbrechen vorstellen kann, als insbesondere junge Menschen, die ein langes, gesundes, schönes Leben vor sich haben sollten, dazu zu bringen, ihren eigenen Willen nach kürzester Zeit nicht mehr einsetzen zu können, sondern sich statt dessen selbst auf qualvolle und langwierige Weise zu ruinieren und zu Tode zu bringen. Es gibt nichts Furchtbareres, und zwar auch in bezug auf den Einzelfall. Wenn dieses Verbrechen organisiert betrieben wird, industriell geradezu, wie dies hier bereits ausgeführt worden ist, dann ist das um so furcht-
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Kleinert
barer. Dies ist eine der ganz großen Herausforderungen an unsere Gesellschaft.
Dieser Herausforderung muß mit allen Mitteln begegnet werden. Es geht nicht an zu sagen, liebe Frau Nickels: Wir von den GRÜNEN meinen, zieht euch zurück von dem strafrechtlichen Weg, zieht euch zurück von den unserer Ansicht nach schon jetzt überzogenen Bekämpfungsmethoden und Bekämpfungsinstitutionen, und widmet euch statt dessen der Therapie, der Vorsorge und der Aufklärung. Beides hat unserer Auffassung nach zu geschehen, und zwar mit aller Kraft.
— Ich glaube nicht, daß es sehr sinnvoll ist, in diesem Zusammenhang Seiten oder Zeilen zu zählen. Ich glaube auch, daß Sie Herrn Kollegen Singer mißverstanden haben, als Sie gesagt haben, er hätte selbst die Erfolglosigkeit strafrechtlicher Maßnahmen dargestellt. Ich habe Herrn Kollegen Singer so verstanden, daß er sagt: Das bisherige Instrumentarium hat sich nicht als genügend wirksam erwiesen. Das ist ja der Grund, warum wir hier heute miteinander zu sprechen haben. Das ist der Grund, warum der Bundesjustizminister hier einen sehr konkreten, sorgfältig abgewogenen Vorschlag vorgelegt hat, an dem im Rahmen der Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung sicherlich auch das Bundesjustizministerium erheblich mitgewirkt hat, und angekündigt hat, daß die zuständige Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit einen weiteren konkreten Vorschlag in aller Kürze wird folgen lassen.
Das Lob für diese konkret vorgelegten und angekündigten Maßnahmen kann mich überhaupt nicht davon abbringen, darüber nachzudenken, ob hier schon alles richtig bedacht ist. Deshalb bin ich dankbar für die Vorschläge der Sozialdemokaten, die uns die Möglichkeit eröffnen, weitere Dinge schon im jetzigen Stadium mit zu bedenken und im Ausschuß mit zu beraten, und insbesondere möglichst viele praktische Erfahrungen und möglichst viele Überlegungen, wie sich die Dinge in der Praxis entfalten und gestalten sollen, mit in unsere Betrachtungen einzubeziehen. Dazu gehört sicherlich die Verfallsregelung, die hier etwas abgewandelt als Abschöpfung, als Nebenstrafe wieder auftaucht. Rechtsdogmatisch bewegen wir uns hier auf einem ganz gefährlichen Gebiet.
Wir haben auch andere Beispiele bei weit weniger schwerwiegenden Delikten in unserem Strafrecht, bei denen man von Nebenstrafen spricht, bei denen man sogar von Maßnahmen der Besserung und Erziehung spricht, die sich in Wirklichkeit als Nebenstrafe darstellen. Es gibt da schon einige Ungereimtheiten.
Ich habe am Anfang auf die ganz ungewöhnliche Schändlichkeit der hier in viel zu großer Zahl begangenen Verbrechen hingewiesen, um auf den Gedanken zurückzukommen, der sich im Bericht der Bundesregierung findet, daß nämlich nach der Verfassung abzuwägen ist zwischen der strikten Einhaltung unserer rechtssystematischen Vorstellungen und Garantien und der besonderen Gesellschaftsschädlichkeit der in Rede stehenden Delikte. Wenn man diese Abwägung vornimmt, kommt man allerdings zu dem
Ergebnis, daß hier ganz besondere Maßnahmen durchaus in pflichtgemäßer Abwägung ergriffen werden können, die wir in anderen Zusammenhängen so sicherlich nicht für richtig halten würden. Deshalb wollen wir alle diese Maßnahmen erwägen und so bald wie möglich und auch so umfassend wie möglich in ihrer wechselseitigen Ergänzung bereitstellen, damit hier wirkungsvoller als früher vorgegangen werden kann.
Ich bedaure zutiefst, daß an der Schnittstelle zwischen den strafrechtlichen Maßnahmen und der Therapie, die wir bei einer Änderung des Gesetzes vor weit mehr als zehn Jahren ausdrücklich im Auge hatten, so wenig praktische Erfolge erzielt worden sind. Ich finde es auch nicht befriedigend, daß in dem Bericht der Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit zwar eine Reihe von Erfolgen, auch zahlenmäßige Darstellungen über das, was auf dem Therapiegebiet alles geschieht, gegeben sind, daß die aber an keiner Stelle zu dem Bedarf für solche Maßnahmen in Bezug gesetzt werden.
Erst das würde ein richtiges Bild ergeben.
Deshalb müssen wir im Laufe unserer Beratungen diesen Dingen erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden. Wenn wir die Möglichkeit haben, von Strafe abzusehen, wenn sich ein Täter therapiebereit erklärt, aber hören müssen, daß ein halbes Jahr lang kein Therapieplatz zur Verfügung steht, dann sind derartige gesetzliche Maßnahmen die reine Augenwischerei und nicht geeignet, zu den gedachten Zielen zu führen.
Deshalb muß unsere Aufmerksamkeit der Verwirklichung auf allen Gebieten einschließlich der Fahndung, aber natürlich auch — das ist heute nicht der enge Rahmen, in dem wir zu diskutieren haben — einschließlich aller Aufklärungsmaßnahmen und aller Therapiemaßnahmen gelten. Nur wenn die Dinge umfassend gesehen werden, können wir hoffen, u. a. mit den Mitteln eines verbesserten Strafrechts, aber keineswegs mit diesem Mittel allein zu den dringend notwendigen Erfolgen zu kommen.
Ich denke, daß wir bei dieser Gelegenheit nicht in den interessanten Streit verfallen sollten, wer hier etwas richtiger oder etwas falscher mit seinen Vorschlägen liegt, noch dazu unter rechtsdogmatischen oder rechtssystematischen Gesichtspunkten. Wir sollten uns vielmehr in den edlen Wettstreit begeben, daß jeder noch bessere Vorschläge macht und wir alle zusammen sie verwirklichen, damit dieser schrecklichen Verbrechensseuche Einhalt geboten und Besserung erreicht werden kann. In diesem Sinne wollen wir alle zusammenarbeiten.
Danke schön.
Das Wort als letzter Redner hat Professor Hauchler.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rauschgiftkriminalität und Drogensucht nehmen in erschreckendem Maße zu. Sie drohen zu einer modernen Geißel der Menschheit zu werden, auch bei uns. Das ist hier erörtert worden.
Der Drogenhandel, quer über die Grenzen hinweg gespannt, bedroht immer mehr vor allem junge Menschen und unterhöhlt, etwa im Falle Kolumbiens und Perus, die Autorität, Integrität und Entwicklung ganzer Staaten. Die Ursachen sind vielfältig. Sie sind genannt worden. Fehlende Entwicklungschancen, Armut und Korruption in Anbauländern, Skrupellosigkeit und kriminelle Bereicherung des Drogenhandels, systematische Verführung und individuelle Flucht in die Droge gehören dazu.
Ein Angelpunkt in diesem Komplex von Ursachen sind aber die exzessiven Profite, die in diesem schmutzigen Geschäft zu machen sind. Exzessive Profite schaffen Anreize zum Drogenanbau. Sie ermöglichen dem Drogenhandel, sich weltweit zu organisieren und im großen Stil Menschen und Apparate zu erpressen, Gewalt anzuwenden und sogar Krieg gegen Regierungen zu führen. Exzessive Profite setzen wiederum voraus, daß es Kanäle gibt, durch die das schmutzige Geld unbemerkt von Finanz- und Strafverfolgungsbehörden fließen kann, und daß Konten genutzt werden können, über die Transaktionen abgewickelt und auf denen kriminelles Kapital gesammelt wird. Das wiederum ist nur möglich, wenn schmutziges Geld reingewaschen werden kann. Die Drogenmafia wird im Mark nur getroffen werden können, wenn man ihr die finanzielle Operationsbasis wegschlägt.
Das aber heißt: Es muß gelingen, die Geldwäsche zu verhindern. Sonst ist das nicht möglich. Leider ist weder der Regierung noch den GRÜNEN zu diesem Thema viel eingefallen. Die einen setzen einseitig weiterhin auf Repression, die anderen einseitig auf Therapie. Dazwischen gibt es ein weites Feld, um das wir uns kümmern müssen, nämlich Verhinderung exzessiver Profite und Verhinderung von Geldwäsche.
Geldwäsche ist nur möglich, wenn größere Bareinzahlungen und Barkäufe von Wertpapieren und Edelmetallen, wenn größere Umsätze in Wettbüros und Spielbanken nicht speziell erfaßt, wenn auch bargeldlose Geldbewegungen nicht verfolgt werden können. Wo die Kenntnisse über solche Transaktionen fehlen — das ist bei uns heute weitgehend der Fall — , kann man oft weder auf die Täter und schmutziges Geld zugreifen noch Straftaten beweisen.
In den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Luxemburg ist Geldwäsche an sich nicht nur ein eigener Straftatbestand. In vielen Ländern sind oder werden auch die Voraussetzungen zunehmend geschaffen, um die Geldwäsche aktiv aufzuspüren.
Anders in der Bundesrepublik. Hier steht die Geldwäsche nur unter Strafe, wenn sie unter den Tatbestand der Hehlerei und der Begünstigung fällt. Hier ist die Erfassung von Geldwäsche völlig unzureichend, weil diese Bundesregierung das Bankgeheimnis zum Fetisch hochstilisiert.
Drogenkriminalität und Steuerhinterziehung, der existenzbedrohende Angriff auf unsere Jugend und vorsätzlicher Verstoß gegen das Gemeinwohl werden von der Regierungskoalition offenbar als geringere Gefahren erachtet als die Transparenz von Geldtransaktionen und Kapitaleinkünften. Wahrlich eine eigenartige, schlimme Güterabwägung! Wenn dies bei uns so bleibt, während die Länder um uns herum konsequent gegen die Geldwäsche vorgehen, wird die Bundesrepublik bald zur Oase der Geldwäscher. Die Drogenbosse werden die Schlupflöcher schon nutzen, die man ihnen hier läßt.
Die SPD-Fraktion hat deshalb einen Antrag zur Unterbindung der Geldwäsche vorgelegt. Wir fordern erstens, daß Geldwäsche generell unter Strafe gestellt wird. Es geht nicht nur darum, die Straftäter im Drogenhandel zu fassen, zusätzlich mit der Zahlung einer dem Taterlös entsprechenden Geldstrafe zu belasten und eine schnelle Beschlagnahme von Vermögenswerten zu ermöglichen. Es geht auch darum, jene unter Strafe zu stellen, die das Geldwaschen mit ermöglichen. Nur so kann der Boden ausgetrocknet werden, in dem schmutziges Geld ständig versikkert.
Wir fordern zweitens, daß alle denkbaren Vorkehrungen getroffen werden, damit Tatbestände, wo und wie Geld gewaschen wird, aktiv aufgespürt werden können. Dabei sehen wir verschiedene Ansatzpunkte.
Zunächst muß Geldwäsche in die Reihe der nach § 3 des Kreditwesengesetzes verbotenen Bankgeschäfte aufgenommen werden. Die Bankenaufsicht erhält dadurch die Möglichkeit, von den Kreditinstituten Vorkehrungen zur Unterbindung der Geldwäsche zu verlangen und die Bankenprüfung darauf auszudehnen.
Sodann muß in das Kreditwesengesetz eine Regelung aufgenommen werden, welche die Banken veranlaßt, bei Bareinzahlungen ab einer gewissen Höhe jeden Einzahler zu identifizieren, zu registrieren und zu melden.
— Den Strafverfolgungsbehörden selbstverständlich und den Finanzämtern. Es gibt verschiedene Methoden, um dies sicherzustellen.
Die USA praktizieren das mit Erfolg, und das ist auf der Reise der Delegation festgestellt worden. Dies muß sich auf andere Bargeschäfte, etwa den Kauf von Wertpapieren und Edelmetallen, erstrecken, und entsprechende Regelungen müssen auch geschaffen werden für Nicht-Banken, wo großes Geld läuft, in Spielbanken und Wettbüros.
Aber auch für alle verdächtigen bargeldlosen Transaktionen sind Vorschriften nötig, die eine Pflicht zur Identifizierung und Meldung begründen. Schließlich ist es notwendig, die Abgabenordnung so zu ändern, daß Finanzbehörden, die Gerichte und Staatsanwalt-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14185
Dr. Hauchler
schaften auch dann über Kenntnisse zu Rauschgiftkriminalität und Geldwäsche unterrichten dürfen und sogar müssen, wenn diese im normalen Veranlagungs-, Außenprüfungs- und Vollstreckungsverfahren erlangt werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung verweigert sich bis jetzt solchen konsequenten Maßnahmen. Der Bundeskanzler erklärt im Bundestag zwar in seiner üblichen Deutlichkeit und Entschiedenheit — ich zitiere — : „Die Drogenkriminalität mit
aller Härte zu bekämpfen, ist wichtig und vorrangig.
Er läßt den Worten aber keine wirklichen Taten folgen.
Vielmehr appelliert er — das wissen Sie — an die Banken, sie sollen freiwillige Mithilfe leisten. Dieser Appell ist entweder naiv oder nicht ernst gemeint. Ich nehme das letztere an. Mit starken Worten soll Untätigkeit vertuscht werden.
Ich stimme der dramatischen Analyse des Kollegen Hörster zu; sie ist richtig. Um so beschämender ist es aber, daß die Bundesregierung wieder so lau und flau handelt, wie wir es bei ihr seit je bei der großen Wirtschaftskriminalität kennen.
Im übrigen haben die Banken schon selbst erklärt, daß sie den Strafverfolgungsbehörden ohne gesetzliche Grundlagen nicht in erwünschtem Maße relevante Erkenntnisse zur Verfügung stellen können, ohne daß sie selbst rechtliche Risiken eingehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hält die Bundesregierung eigentlich davon ab, konsequent gegen die Drogenwäsche vorzugehen? Was ist mit Ihrem bei Demonstrationen und sonst so oft strapazierten Satz, Herr Minister, Datenschutz sei Täterschutz, wenn es um das organisierte Verbrechen geht? Zu begreifen ist dies wohl nur so: Die Regierungskoalition hat das Bankgeheimnis — ich sagte es schon — zum Fetisch und praktisch zum zentralen Wert gemacht, hinter dem der Kampf gegen Rauschgiftkriminalität im Zweifel zurückzustehen hat. Sie bestätigt damit die Haltung, die sie in der Frage der steuerlichen Erfassung von Kapitalerträgen sowie bei der Aufdeckung von Kapitalfluchtgeldern aus Entwicklungsländern eingenommen hat. Sie wäscht auch hier ihre Hände in Unschuld.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Uns erschreckt die Haltung, daß Sie nicht wirklich
gegen Geldwäsche vorgehen wollen, daß Sie das Bankgeheimnis höher schätzen als beispielsweise die Möglichkeit gegen Drogenbosse und gegen die Drogenmafia konsequent vorzugehen.
— Das, was Sie vorgelegt haben, reicht nicht, um diesen Boden auszutrocknen, in dem dieses Geld verschwindet. Das wissen Sie ganz genau. Das läßt tief blicken.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, stellen Sie sich diesen Fragen, die hier von verschiedener Seite und von mir aufgeworfen worden sind, ändern Sie Ihre Haltung, gehen Sie in sich und machen Sie den Weg frei, um die Rauschgiftkriminalität in einer ihrer zentralen Voraussetzungen, auf die ich mich konzentriert habe, zu bekämpfen. Der von uns eingebrachte Antrag weist den richtigen Weg.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/5313, 11/5461, 11/5738, 11/4936 und 11/5966 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Der Antrag auf Drucksache 11/4936 soll zusätzlich zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Vorlage auf Drucksache 11/5525 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an die übrigen in der Tagesordnung auf geführten Ausschüsse sowie an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Dezember 1989, 9 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.