Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesjustizminister, ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu, die Sie gerade in außerordentlich freundlicher Art — das bestätige ich Ihnen nicht nur wegen der fortgeschrittenen Stunde am heutigen Freitag gern — vorgetragen haben. Es ist in der Tat so, daß die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es möglich gemacht haben, menschliches Leben zu planen und künstlich zu schaffen. Auf verschiedenen Wegen wird dies ohne große Schwierigkeiten möglich. Frauen können mit Samenzellen ihres Ehemannes, ihres Partners, aber — das wissen wir ja — auch eines wildfremden Mannes befruchtet werden. Medizinische Hilfsmöglichkeiten lassen das zu.
Es ist auch ohne Schwierigkeiten möglich, Frauen Eizellen zu entnehmen, diese im Reagenzgals im Labor zu befruchten und den entstehenden Embryo der Frau, von der die Eizelle stammt, aber auch jeder beliebigen anderen Frau wieder einzupflanzen.
Was das bedeutet, wird heute in der Öffentlichkeit immer deutlicher. Bisher standen Vaterschaft und Mutterschaft eigentlich für leibliche Abstammung, für Liebe zwischen Eltern und Kindern, für familiäre und soziale Zusammengehörigkeit. Jetzt, meine Damen und Herren, wird das alles anders: Es wird anders planbar und anders regelbar. Die Vaterschaft und die Mutterschaft lassen sich auflösen. Die Vaterschaft läßt sich auf die Funktion des Samenspendens reduzieren.
14168 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Der „Vater" ist dann nicht mehr der Vater, sondern der „Samenspender". Bei der Mutter ist die Aufspaltung der Mutterschaft in noch viel mehr Teile denkbar: soziale Mutterschaft als eine Möglichkeit, Spenderin von Eizellen als andere Möglichkeit oder auch das Austragen einer befruchteten Eizelle, befruchtet mit den Samenzellen des Partners oder eines fremden Mannes.
Fortpflanzung ist — und das ist die Folgerung daraus — heute schon und auch in der Zukunft noch mehr ohne jede personale Beziehung möglich. Meine Damen und Herren, das ist ein Einschnitt!
Es ist ein Einschnitt, über den wir uns, glaube ich, nicht so einfach hinwegsetzen dürfen.
Es gibt auch noch mehr Stufen: Es ist heute möglich, nicht nur das Geschlecht eines Kindes zu planen, eines künstlich erzeugten festzulegen, sondern es wird in Zukunft auch ohne weiteres möglich sein, Eigenschaften und Aussehen vorauszubestimmen. Und jetzt sage mir einer, daß diese Aussichten ihn nicht schrecken. Lächeln können darüber wohl nur ganz wenige, unbekümmert und ohne Probleme. Wissen Sie, es sind ja nicht nur Philosophen und Denker, die hier warnen, die ihre Stimme erheben und sagen: „Macht das nicht. Nehmt diese Möglichkeiten nicht in Anspruch. Betrachtet das um Gottes Willen nicht als Fortschritt; denn das ist es nicht."
In der Öffentlichkeit wird deswegen — und das halte ich für wichtig und richtig — immer mehr gefragt: Wo bleibt denn da eigentlich die Menschlichkeit? Wo bleiben die menschlichen Beziehungen,
und vor allen Dingen: Wo bleiben eigentlich die Kinder?
Was soll eigentlich aus ihnen werden? Werden sie das nicht alles auszubaden haben, was eben nicht planbar ist, was nicht genau vorherbestimmbar ist? Werden sie es nicht auszubaden haben, daß sie dann nicht mehr einen Vater oder eine Mutter im herkömmlichen Verständnis haben, sondern bestenfalls Kontakte, Teilbeziehungen zu Teilfunktionen von Teilvätern und Teilmüttern?
— Ja, ja, oder eben noch aufgespaltener. Was wird eigentlich mit Kindern, die den Planungen oder Vorbestimmungen dieser Eltern — seien es nun die leiblichen oder die sozialen — nicht genügen, die sich im Lauf ihres Lebens nicht so entwickeln, wie es die Eltern, die sozialen Eltern, vorbestimmt haben, wo es nicht nur mit der Haarfarbe nicht mehr stimmt, sondern wo das Kind dann eben kein Yehudi Menuhin wird, um es jetzt einmal übertrieben auszudrücken?
Diese Schreckensvisionen sind ja nicht mehr nur Visionen oder Science Fiction, sondern Dinge, mit denen wir rechnen müssen.
Ich denke, daß alle diese Fragen bedrücken. Wir sollten das hier auch deutlich aussprechen. Wir sollten auch ehrlich zugeben, daß das auf uns zukommt und daß wir zufriedenstellende Antworten nicht geben können. Wir sollten auch sagen, daß diese technischen Möglichkeiten, diese wissenschaftlichen Möglichkeiten nicht Fortschritt bedeuten. Wir müssen mit der ganzen Verantwortung des Gesetzgebers sagen: Nein, wir wollen das nicht. Menschliches Leben darf nicht total planbar und darf nicht verfügbar gemacht werden.
Wir wollen eine solche Fortpflanzung, eine gespaltene Mutterschaft und Vaterschaft in geplanter totaler menschlicher Beziehungslosigkeit nicht.
Wir wollen sie auch nicht zulassen. Wir werden sie auch verhindern, soweit wir das können. Meine Damen und Herren, ich sehe schon, wir sind da einer Meinung, und ich finde das gut.
Es verwundert mich auch nicht besonders. Wir haben ja auch schon häufiger darüber geredet.
Deswegen will ich jetzt auch noch die zweite Seite nennen. Ganz ohne Zweifel ist es ja auch so, daß die neuen medizinischen Erkenntnisse auch Hilfen bieten, z. B. dann, wenn Frauen darunter leiden, daß sie keine eigenen Kinder bekommen können. Darunter leiden viele Frauen, und die Gründe dafür, daß sie das tun, sind ebenso unterschiedlich wie vielfältig.
Da gibt es nun einige, die dazu eine bestimmte Position vertreten, weil sie die Gefahren, die mit den neuen Möglichkeiten verbunden sind, genau sehen. Sie sagen: Gut, Kinderlosigkeit ist eben Schicksal. Sie sagen: Gut, man muß sich damit abfinden. Sie verweisen dann auf Adoption und auf die Möglichkeit, anderen, fremden Kindern zu helfen. Das ist ein Standpunkt. Weiter sagen sie — wie ich finde, zumindest zum Teil mit Recht—, daß es häufig viel eher der Druck der Gesellschaft ist, der ursächlich für die Probleme und die Sorgen kinderloser Frauen ist, als die Kinderlosigkeit selbst. Das mag schon so sein, jedenfalls in Teilen, meine Damen und Herren, und ich verstehe diese Haltung auch.
Aber ich teile die Konsequenz, die daraus häufig gezogen wird, nicht, nämlich die, daß man keine der Methoden der künstlichen Befruchtung zulassen sollte. Ich bin der Auffassung, daß es Fälle geben kann, z. B. dann, wenn Frauen durch Unfall oder Krankheit keine eigenen Kinder mehr von ihrem Ehemann oder ihrem dauerhaften Partner bekommen können, Fälle, in denen man helfen kann, wenn es die neuen Erkenntnisse zulassen. Das halte ich für richtig und auch für verantwortbar.
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
Das wird aber die Verantwortung des Gesetzgebers ins Gigantische vergrößern. Damit sind wir genau an dem Punkt, den wir hier im Bundestag aufgreifen müssen. Wir müssen nämlich die wenigen Hilfsmöglichkeiten erhalten, sinnvoll anwenden und die großen Gefahren nicht nur offenlegen und abwägen, sondern auch durch Regelungen beide Felder scharf gegeneinander abgrenzen. Wir müssen uns vor allen Dingen darüber im klaren sein, mit welchen Mitteln wir sicherstellen wollen, daß diese trennscharfen Regelungen auch eingehalten werden. Das heißt, es muß ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf die Überwachung und Sicherung dieser Regelungen entfallen. Das wird nicht einfach sein.
Die Diskussion der letzten fünf Jahre, die zu den einzelnen Bereichen sehr intensiv vor sich gegangen ist, geht weiter. Gerade weil wir diese Diskussion weiterführen wollen, kündige ich jetzt schon an, daß das Gesetzgebungsverfahren ein Höchstmaß an Öffentlichkeit, ein Höchstmaß auch an Beteiligung der Wissenschaft und der Betroffenen garantieren sollte. Ich bitte Sie hier schon jetzt um Ihre Mitwirkung.
Die Gesetzentwürfe, die wir heute beraten, streben — das will ich deutlich sagen — bei aller Unterschiedlichkeit diese Trennschärfe durchaus an. Das ist gar keine Frage. Wir können auch wiederholen, daß es viele Gemeinsamkeiten gibt. In dem auf das Strafrecht ausgerichteten Regierungsentwurf steht, was alles verboten werden soll, was mit Strafe belegt werden soll: beispielsweise die gezielte Erzeugung menschlicher Embryonen, die Verwendung menschlicher Embryonen etwa zu Forschungszwecken, die extrakorporale Befruchtung von mehr Eizellen, als innerhalb eines Zyklus der Frau auf diese übertragen werden sollen, das Klonen, das gezielte Erzeugen von Chimären, die Geschlechterwahl.
Alles dieses wollen auch wir verboten haben. Da gibt es Gemeinsamkeiten; ich glaube, darüber brauchen wir gar nicht lange zu streiten. Wir meinen, wir hätten einige bessere Formulierungen vorzuschlagen; der Bundesrat hat einiges dazu beigetragen. Wir sind für gemeinsame vernünftige Lösungen sehr offen.
Aber wir sagen — jetzt kommen die Unterschiede — : Darum geht es nicht allein. Genau das ist die Stelle, wo Sie mit Ihrer strafrechtlichen Lösung an der falschen Wegkreuzung stehengeblieben sind. Sie gehen davon aus, es gehe nur darum, den Mißbrauch zu verbieten und ihn mit Strafe zu belegen. Wir hingegen sagen: Nein, es geht keineswegs nur um die Verhinderung von strafbarem Mißbrauch, sondern wir müssen die unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten, die uns als Gesetzgeber zur Verfügung stehen, gezielt und abgestuft einsetzen, um Voraussetzungen zu bestimmen und dann auch zu sagen, was wir nicht wollen, ohne daß es gleich bestraft werden muß. Wir wollen sagen können: Hier liegen solche gravierenden Eingriffe vor, daß sie auf jeden Fall verboten bzw. mit Strafe belegt werden müssen.
All das tun Sie ja nicht. Sie haben sich ausschließlich auf das Strafrecht verlassen und vollständig übersehen, daß wir auch zivilrechtliche, ärztlich-berufsrechtliche und sozialrechtliche Möglichkeiten haben. Das finde ich nicht gut. Wir haben Ihnen das schon vor mehreren Jahren gesagt. Hier im Raum sitzen eine ganze Menge von Sachkennern, die ganz genau wissen, daß ein differenziertes Regelungsinstrumentarium sehr viel sachgerechter wäre.
Ich möchte einmal anführen, was alles in Ihrer gesetzlichen Regelung nicht angesprochen wird: Wann darf eigentlich mit Methoden der künstlichen Befruchtung vorgegangen werden? Welches sind die Voraussetzungen? Muß es nicht gestufte unterschiedliche Voraussetzungen geben, je nachdem, um welche Methode der künstlichen Befruchtung es sich handelt?
Wir sagen: Bei der Reagenzglasbefruchtung müssen die Voraussetzungen sehr viel restriktiver angesetzt werden als beispielsweise bei der Insemination, und zwar einfach deshalb, weil die Reagenzglasbefruchtung das Einfallstor für all diese unglaublich gefährlichen Experimente darstellt, nicht aber die Insemination.
Wir fragen auch: Wer soll eigentlich solche Methoden anwenden können? Wie ist es mit dem Arztvorbehalt? Wenn wir uns darüber einig sind, daß trennscharfe Grenzregelungen geschaffen werden müssen, frage ich: Wo dürfen diese Methoden angewandt werden? In den Praxen? In jeder Praxis? In einer gynäkologischen, in einer Facharztpraxis? Oder wollen wir bestimmte Dinge wie die Reagenzglasbefruchtung auf Krankenhäuser beschränken? Oder: Wie ist das mit der Dokumentation, von wem die Eizelle und von wem die Samenzelle stammt? Wer dokumentiert das? Wer muß das aufbewahren?
Wie ist es eigentlich mit den Kindern? Wann dürfen, müssen, sollen sie erfahren, wer ihre leibliche Mutter oder ihr leiblicher Vater ist?
Natürlich gibt es hier eine Rechtsprechung. Aber wir sind der Auffassung, wenn wir diesen Fragenbereich verantwortlich angehen, dann müssen wir ihn hier insgesamt durchdenken und dann müssen wir ihn mit dem differenzierten Regelungsinstrumentarium, das wir haben, festlegen.
Sie tun das nicht. Sie sagen, Sie gehen mit dem Strafrecht vor. Ich bedaure das. Wir sehen in anderen Bereichen, in welche Sackgasse uns das bringt.
Herr Bundesjustizminister, Sie wissen, ich schätze Ihre Freundlichkeit ganz außerordentlich. Ich habe deswegen gerade so schmunzeln müssen — das hat sich dann in lautem Lachen niedergeschlagen — , als Sie davon sprachen, Sie hätten die heterologe Insemination nicht geregelt, weil es hier noch Probleme gebe. Wissen Sie, seit dem Benda-Gutachten — das ist jetzt auch schon wieder nahezu fünf Jahre her — haben wir selbstverständlich erkannt, und zwar quer über die Parteigrenzen hinweg, daß hier einer der gravierenden Punkte liegt. Ich kann mich an viele Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizministeriums erinnern, die sehr wohl wissen, was hier geregelt werden muß und wo es Probleme gibt. Auch Bund-Länder-Kommissionen waren hier am Werk und und und ... Also, wir betreten hier kein Neuland.
Ich sage: Es gibt da andere Probleme. Die Probleme sind z. B., daß Sie die gespaltene Mutterschaft verbieten und mit Strafe belegen wollen, die gespaltene
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
Vaterschaft aber nicht. Das heißt, wenn der Vater zum Samenspender reduziert wird, dann haben Sie nichts dagegen. Ich hoffe, daß das eine Konsequenz aus dem von Ihnen eingeschlagenen Weg und nicht eine Konsequenz aus Ihrem Wollen und aus Ihrem Denken ist. Ich kann nämlich den Unterschied zwischen einer gespaltenen Vaterschaft und einer gespaltenen Mutterschaft prinzipiell nicht sehen. Ich teile Ihre Auffassung, daß man das nicht verbieten und dann mit Strafe belegen sollte. Aber da zeigt sich eben der Nachteil, daß Sie ein unterschiedliches Instrumentarium nicht gewählt haben. Ich sage Ihnen: So geht es nicht. Wir machen uns nicht nur insgesamt als Bundestag lächerlich, wenn so etwas beschlossen werden sollte, sondern es ist auch inhaltlich einfach falsch.
Damit auch jeder sieht, was ich meine, will ich es wiederholen. Es geht darum: Was passiert, wenn die Eizelle von einer Frau stammt und sie mit dem Samen eines fremden Mannes, der also weder Ehepartner noch Partner ist — diese Diskussion werden wir selbstverständlich auszutragen haben, Herr Marschewski —, befruchtet wird? Soll man die Funktion des Vaters einfach austauschen können? Ist es da wirklich so, daß man es, weil man es nicht bestrafen will, überhaupt nicht regelt, d. h. auch mit anderen Regelungen nicht unterbindet? Ich sage Ihnen: Da machen wir nicht mit. Das ist für uns der Streitpunkt.
Übrigens war dies eine der Überlegungen, die uns dazu geführt haben, zu sagen: Jawohl, wir müssen hier nach Wegen suchen, die umfassende Regelungen ermöglichen. Das war der Grund — das wissen Sie —, warum ich werbend von Land zu Land gezogen bin, um eine Grundgesetzänderung möglich zu machen, für die Sie ja auch viel Sympathie haben. Ich sage Ihnen: Wir kriegen den Bundesrat dazu — allerdings nicht, wenn wir abwarten, sondern nur dann, wenn wir hergehen und diejenigen Länder, die noch überzeugt werden müssen, wirklich davon überzeugen, daß das der bessere Weg ist.
Es wäre merkwürdig, wenn uns das nicht gelänge, nämlich deshalb, weil es wieder so eine Art Resignation vor den Fakten wäre, die wir doch dann, wenn es um die Regelung neuer wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse, um die Sicherung unserer Grundrechte und Grundwerte in einer völlig veränderten Zeit geht, gar nicht zulassen dürfen. Natürlich werden wir hier die eine oder andere Korrektur an der Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern zulassen müssen. Aber das können wir doch auch tun! Das wissen wir jetzt seit mehreren Jahren.
Meine Damen und Herren, Herr Justizminister, das, worum ich nachhaltig und nachdrücklich bitte, ist, daß Sie den Standpunkt des Abwartens aufgeben und mithelfen, daß wir die Länder davon überzeugen, daß der Weg, den wir vorschlagen, vernünftig und richtig ist. Ich denke, wenn dieser Weg eingeschlagen wird, dann wäre uns hier etwas möglich, was es noch nicht gegeben hat, nämlich daß wir uns wirklich über die Gefahren und über die Chancen neuer Technologien einig werden und das geeignete, sachgerechte und vernünftige Regelungsinstrumentarium dafür suchen und es auch wählen. Darum bitte ich; das schlagen wir vor.
Herzlichen Dank.