Rede von
Johannes
Singer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fachleute rechnen damit, daß sich das weltweit bestehende Drogenproblem in den europäischen Ländern bedrohlich ausweiten wird. Die international organisierten Drogensyndikate versuchen, in Europa Absatzorganisationen aufzubauen und sich Absatzmärkte zu erschließen, und sind damit wohl auch schon recht erfolgreich. Der Angebotsdruck bei Kokain und Heroin nimmt erheblich zu. Die sichergestellten Mengen, von denen wir täglich in den Zeitungen lesen, sind inzwischen in Tonnen zu beziffern, während sie früher noch in Kilogramm beziffert wurden. Wir sprechen von etwa 80 000 Abhängigen von illegalen Drogen in der Bundesrepublik. Im letzten Jahr hatten wir 673 Drogentote; für dieses Jahr wird die entsprechende Zahl auf über 1 000 geschätzt.
Unter diesen Umständen ist der Gesetzgeber gefordert, tätig zu werden und Wege zu finden, um der Narko-Mafia und den international tätigen Drogensyndikaten ans Leder zu gehen.
Die Gewinne aus der organisierten Kriminalität verstärken den Anreiz zu weiteren Straftaten in einem doppelten Sinne: Zum einen erwecken sie natürlich bei jedem Straftäter die Begehrlichkeit, sie erwecken
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989 14177
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den Eindruck, als ob sich das Verbrechen eben doch lohne. Zum anderen — das ist das Entscheidende — verschaffen sie ihm die finanzielle Basis, um weitere Straftaten zu begehen und um die von mir erwähnten Absatzorganisationen aufzubauen, die Logistik zu bezahlen und die geradezu schon industriell angelegten Tätigkeiten ihrer Syndikate zu verstärken und auszuweiten.
Praktiker, Kriminologen und der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages fordern daher seit langem, wirksame Vorschriften zur Abschöpfung von Gewinnen aus der organisierten Kriminalität zu schaffen. Es gibt einen Auftrag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 18. Mai 1988, dem die Bundesregierung nur sehr unzureichend nachgekommen ist.
Die bisher geltenden Vorschriften im Strafgesetzbuch über Verfall und Einziehung waren unpraktikabel. Sie sind von der Praxis kaum angenommen und angewendet worden. Ein Blick in einen Kommentar zeigt, wie wenig höchstrichterliche Rechtsprechung es hierzu gibt. Diese Vorschriften sind deshalb unpraktikabel, weil sie dem Richter ein kompliziertes Prüfungsverfahren aufnötigen. Er muß alle möglichen Abzugsposten z. B. beim Drogenhändler berücksichtigen, bevor er das bei ihm Vorgefundene, das aus dem Drogengeschäft Erlangte einziehen und für verfallen erklären kann. Diese zivilrechtlichen Vorprüfungsschritte scheut der Richter zumeist. Wenn er sie dennoch vornimmt und in das Urteil einbaut, schafft er einen Revisionsgrund. Deshalb sind die Bestimmungen weitgehend wirkungslos geblieben.
Wir haben deswegen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich von dem Entwurf der Bundesregierung in einem wesentlichen Punkt unterscheidet: Wir belassen es bei dem engen Zusammenhang zwischen der Gewinnabschöpfung, also dieser neuen Nebenstrafe, und der Schuld des Täters. Insofern wird hier ein elementarer verfassungsrechtlicher Grundsatz beachtet. In dem Entwurf des Bundesjustizministers wird hingegen nur ein Zusammenhang zwischen dem Wert des Vermögens des Täters und dessen kriminellem Verhalten vorher hergestellt. Wir begrenzen das.
Wir begrenzen die von uns vorgeschlagene Gewinnabschöpfung im übrigen aber nicht nur auf den Drogenhandel, sondern, entsprechend dem Auftrag des Rechtsausschusses, auf die gesamte organisierte Kriminalität, und vermeiden damit verfassungsrechtliche Bedenken.
Daß mit einer forcierten Gewinnabschöpfung Erfolge zu erzielen sind, hat eine Delegationsreise des Rechtsausschusses in die Vereinigten Staaten vor etwa vier Wochen gezeigt. Wir konnten dort vom Generalstaatsanwalt für Nordkalifornien erfahren, daß allein in seinem Bezirk Vermögenswerte von Drogenhändlern in Höhe von über 26 Millionen US-Dollar eingezogen werden konnten.
Ein großer Teil dieses Geldes kann in Absprache mit lokalen Polizeibehörden für Aufklärungskampagnen, für Präventionsprogramme und auch für Therapieprogramme verwendet werden. Wir sollten uns überlegen, ob wir uns hier nicht ein Beispiel daran nehmen sollten, d.h. ob wir angesichts der allgemeinen Geldknappheit und der damit verbundenen Schwierigkeit, Geld für Anti-Drogen-Kampagnen und für Therapiebzw. Präventionsprogramme bereitzustellen, nicht auf dieses Beispiel zurückgreifen sollten.
Der Generalstaatsanwalt von Nordkalifornien hat uns weiter erzählt, daß er aus der in Amerika geltenden forfeiture — so heißt das entsprechende amerikanische Instrument, das unserer Gewinnabschöpfung vergleichbar wäre — für die gesamten USA mit einem Vermögenswert von insgesamt 500 Millionen US-Dollar jährlich rechnet — ein ganz erheblicher Betrag, mit dem man sicherlich einiges anfangen könnte.
Der Entwurf des Bundesjustizministers hat nicht nur den Nachteil, daß er lediglich die Vermögensstrafe vorschlägt, aber zur Geldwäsche nichts sagt und insofern nur auf den Vorschlag der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit verweist — es ist also kein geschlossener Entwurf — , sondern hat auch noch den weiteren Nachteil, daß die Vermögensstrafe schon bei einer Strafe von mehr als zwei Jahren greifen soll. Sinn der ganzen Angelegenheit hier ist ja, die Drogenverbrecher, die großen Drogenhändler zu treffen und zu bestrafen. Dafür sieht das Betäubungsmittelgesetz aber Strafen bis zu 15 Jahren vor. Wenn man die Vermögensstrafe schon bei relativ niedrigen Strafen — ab zwei Jahre aufwärts — greifen läßt, besteht doch wieder die Gefahr, daß Polizei und Justiz sagen: Da wir die Großen nicht kriegen, konzentrieren wir uns auf die Kleinen. Damit vergessen sie dann ihre eigentliche Aufgabe.
Das, was der Minister zur Beschlagnahme gesagt hat, haben wir mit Interesse gehört. Bisher haben wir solche Vorschläge nicht vernommen. In unserem Gesetzentwurf ist ein solcher Vorschlag schon sehr frühzeitig gemacht worden. Es ist nämlich notwendig, illegal erworbene Vermögenswerte sofort nach Beginn des Ermittlungsverfahrens „einzufrieren" und damit dem Täter die Möglichkeit zu nehmen bzw. ihm den Weg zu verlegen, das Geld sofort ins Ausland zu transferieren, sich abzusetzen und sein Tun auf diese Weise fortzusetzen.
Wir werden die Einzelheiten im Ausschuß durchaus noch zu beraten haben und im einzelnen besprechen müssen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Beschränkung der Vermögensstrafe im Entwurf des BMJ, habe ich aufgezeigt. Auch habe ich dargestellt, warum wir meinen, daß mit unserer neuen Vorschrift des § 44 a StGB, Abschöpfung des Taterlöses, ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Instrument — angemessen und dem Schuldstrafrecht entsprechend — eingeführt werden kann.
Aber man sollte an dieser Stelle nicht über Sanktionen und Repressionsmittel sprechen, ohne klarzumachen, daß die repressiven Mittel der Polizei beim Kampf gegen Drogen im übrigen weitgehend ausgeschöpft sind. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Fülle von Novellierungen des Betäubungsmittelgesetzes gehabt: Wir haben die Strafrahmen erhöht, wir haben die Polizei sächlich und personell besser ausgestattet. Allzuviel hat das nicht geholfen. Die Maßnahmen der USA haben dazu geführt, daß Kokainströme in ungeahntem Ausmaß nach Europa
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gelangen, insbesondere über die kaum kontrollierbaren Grenzen Spaniens, und sich von dort aus in alle Industrieländer Westeuropas verteilen.
Wir müssen noch einmal klarmachen — darum geht es der SPD-Fraktion in besonderem Maße — : Die Drogenproblematik muß in den kommenden Monaten und Jahren zum Volksthema Nummer eins werden. Wir müssen den Drogenkonsum gesellschaftlich ächten;
das ist mir sehr wichtig. Und wir müssen klarmachen, daß der Grundsatz „Therapie vor Strafe" wieder neue Geltung bekommt.
— Ich habe gesagt, wir werden hier nicht umhinkommen, Frau Nickels, auch — bei der Gewinnabschöpfung — eine Verschärfung des Strafrechts vorzusehen. Im übrigen bleiben wir bei unserer Meinung, daß Prävention, Aufklärung, Erziehung und Therapie die vordringlichen Punkte sind, denen wir unsere Aufmerksamkeit widmen müssen.
— Wir werden darauf eingehen. Wir haben auch entsprechende Gesetzentwürfe dazu vorbereitet, keine Sorge!
Aber für Programme brauche ich keine gesetzlichen Handhabungen.
Da genügt es, z. B. darauf hinzuweisen, daß die Absicht der Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, lediglich Postwurfsendungen zu verteilen, nicht ausreicht, daß die Erhöhung der für die Drogenkampagne bereitgestellten Geldmittel von 25 Millionen DM auf 50 Millionen DM — für die AIDS-Kampagne sind es 120 Millionen DM — auch bei weitem nicht ausreicht und daß es sich da einmal empfiehlt, ins Ausland zu blicken. Ein Land wie Peru, vom Bürgerkrieg geschüttelt, ein Land, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, ist immerhin in der Lage, professionell gemachte Werbespots über seine Fernsehanstalten regelmäßig kostenlos auszustrahlen und seine Bevölkerung auf die Weise aufzurütteln.
Wir werden auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit gerade mit den Hauptanbauländern stärker nutzen müssen, weil die Drogenproblematik, was die Abhängigkeit und die ökologischen Gefahren betrifft, die sich aus dem Kokaanbau ergeben, diesen Ländern jetzt erst richtig bewußt wird. Eine Zusammenarbeit mit diesen Ländern und eine europaweite Antwort auf den ja ebenso auf Europa insgesamt konzentrierten Angriff der Narko-Mafia muß gefunden werden. Wenn wir versuchen, hier lediglich mit nationalen Alleingängen zurechtzukommen, werden wir sicherlich scheitern; denn es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß in der Vergangenheit manchmal die Maßnahmen in dem einen Land die Maßnahmen in dem anderen Land aufgehoben haben oder wirkungslos haben verpuffen lassen.
Wer heute über Konzepte oder Strategien zur Drogenbekämpfung redet, könnte mühelos 50, 60 Bücher über die völlig unterschiedlichen Ansätze allein in den europäischen Ländern schreiben. Ohne eine Harmonisierung, ohne eine Vereinheitlichung des Betäubungsmittelrechts und der Art und Weise, wie wir mit dem Problem umgehen, werden wir hier nicht vorankommen. Insofern kann ich die Kritik des Deutschen Richterbundes an den Vorschlägen der Bundesregierung nur aufgreifen, der ebenfalls gesagt hat, das, was von der Bundesregierung bisher auf den Tisch gelegt wird, ist unzureichend. Es ist nicht zu erwarten, daß es uns nennenswert voranbringen wird. Man muß hier in stärkerem Maße auf Europa blicken und einheitliche europäische Regelungen einführen.
Ich sehe, daß meine Redezeit abgelaufen ist. Es gäbe noch eine ganze Menge zu sagen über die Probleme der Anbauländer sowie darüber, wie wir hier auch mit entwicklungshilfepolitischen Maßnahmen helfen können; aber das werden wir dann in den anstehenden Beratungen noch eingehend erörtern. — Vielen Dank.