Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lieber Herr Präsident Westphal! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie meine Vorredner hier schon ausgeführt haben, stehen wir weltweit vor einer rasanten Zunahme der Drogenproblematik. Das brauche ich nicht noch einmal auszuführen und zu erläutern.
Die Bundesregierung hat, wie Sie, Herr Hörster, gerade anmerkten, das Thema im Benehmen mit den US-amerikanischen Vorstellungen deshalb zur Chefsache erklärt. Der Bundeskanzler hat dann in großartigen Ankündigungen zwei Zielvorgaben für seine Drogenoffensive genannt. Einerseits möchte er den
Abhängigen helfen und gleichzeitig den internationalen Drogenhändlern das Geschäft vermiesen.
Wo die Schwerpunkte liegen, zeigt ein Blick auf die Erklärung vom 24. Oktober. Auf genau 6 1/2 Seiten seiner Erklärung führt der Herr Bundeskanzler aus, welche neuen Aufrüstungsmaßnahmen im Drogenkrieg er vorsieht. Da hören wir, daß das Bundeskriminalamt um fast 400 Stellen aufgestockt wird. Es ist von neuen verdeckten Ermittlern die Rede, von technischer Observation und Rasterfahndung, die verstärkt eingesetzt und gesetzlich abgesichert werden soll usw. usw.
— Hören Sie doch einmal zu. Genau eine halbe Seite der langen Erklärung, eine mickrige halbe Seite bleibt dann übrig, um sich der gesundheitlichen Aufklärung und verstärkten Hilfen für Gefährdete und Abhängige zuzuwenden. Ich finde, daß bedeutet, die Möglichkeiten, die wir in der Bundesrepublik haben, auf den Kopf zu stellen. Der Ansatz, den Sie, Herr Singer, genannt haben, mit strafrechtlichen Maßnahmen etwas erreichen zu wollen, ist falsch. Wir haben gesehen, das ist gescheitert. Diese falschen Maßnahmen werden aber jetzt erneut weiter aufgeplustert.
Was wirklich Erfolg versprechen würde, wird überhaupt nicht gemacht. Bei der SPD haben Herr Lafontaine, Herr Penner, Frau Däubler-Gmelin und Herr Schröder außerhalb des Parlaments etwas ganz anderes gesagt. Ich bedaure, daß Sie hier kein Programm eingebracht haben, das die Konsumentinnen und Konsumenten betrifft, wo wir wirklich ansetzen können.
Wir von den GRÜNEN halten die von seiten der Regierung und von seiten der SPD vorgeschlagenen Maßnahmen für nicht geeignet, durchgreifende Veränderungen zu erzielen. Die Vermögensstrafe findet selbst in den Reihen des Bundesministeriums der Justiz wenig Beifall, Herr Minister, weil wir in unserer Strafrechtsordnung immer noch das Gebot, schuldangemessen zu strafen, finden und deshalb kein spürbarer Zugriff auf das Tätervermögen möglich sei.
Die Kritik von seiten der SPD wiegt schwerer. Sie qualifizieren diesen Vorschlag dahin gehend, daß er sich in der Praxis nicht handhaben lasse und verfassungsrechtlich bedenklich sei. Man kann gespannt auf die nächste Vorlage warten. Wahrscheinlich wird der „erweiterte Verfall" kommen, der von Ihnen ja auch schon in die Debatte eingeführt wurde.
An die Adresse der SPD gerichtet möchte ich sagen: Ich finde es sehr bedauerlich, daß hier wieder der Eindruck entsteht, als würden Sie auf einen Zug aufspringen, der schon ein beachtliches Tempo erreicht hat, aber in die falsche Richtung fährt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie im Ernst daran glauben, daß einem illegalen Geschäftsbereich, der weltweit mehrere 100 Milliarden Mark im Jahr umsetzt, dadurch beizukommen ist, daß man ab und zu einen mittelprächti-
14182 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 183. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Dezember 1989
Frau Nickels
gen Fisch fängt, dem man tatsächlich nachweisen kann, daß er sich „durch die Begehung einer oder mehrerer strafbarer Handlungen unrechtmäßig bereichert hat" .
Ich glaube nicht, daß Sie annehmen, daß dies wirklich etwas verändern kann.
Es wird auch auf das Beispiel der USA verwiesen. Dort habe man auf diese Weise Erfolg gehabt. Sie müßten einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bericht des Bundesministeriums der Justiz vom 5. Oktober 1989, der heute auch Beratungsgrundlage ist, aufmerksam lesen. Dort steht, daß mittlerweile 5,7 Millionen Geldbewegungen jährlich den Behörden in den USA gemeldet werden. Die Zusammenarbeit mit den Banken funktioniere ausgezeichnet, wie die Botschaft meldet. Soweit, so gut. Das führt aber dann dazu, daß die Behörden nicht mehr in der Lage sind, das anfallende Datenmaterial überhaupt zu verarbeiten. Das ist die Konsequenz; aber nicht, daß dabei etwas Positives herauskommt. Dementsprechend bezeichnet das Bundesministerium der Justiz selbst die dortigen Aufgriffe als „spektakuläre Fahndungserfolge" und berichtet, daß die Amerikaner keineswegs die Hoffnung haben, die Drogenkriminalität auf diese Weise einzudämmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, daß die Drogenkartelle ihre Aktivitäten nicht deshalb nach Europa verlegen, weil die Amerikaner so erfolgreich in der Abwehr sind, sondern weil der amerikanische Markt zur Zeit absolut gesättigt ist. Auch das steht in Ihrem Bericht, Herr Minister.
Einen völlig anderen Effekt werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, aber auch von der SPD, mit den vorgeschlagenen Maßnahmen erreichen: Neben der weiteren Aufblähung der Fahndungsorgane und der Aufgabe rechtsstaatlicher Grundsätze, die hier drohen, folgen Sie weiter der strikten Verbotspolitik des Betäubungsmittelrechts der 80er Jahre, die doch gescheitert ist, wie Sie richtig gesagt haben, Herr Singer. Sie wissen, daß alle Verbotsvarianten, so hart es auch klingt, nur dazu führen, daß die Kosten der Anbieter steigen. Unter Umständen wird, wenn Sie wenigstens teilweise Erfolg haben, eine geringere Menge angeboten. Dann wird aber eine Monopolisierung des Handels eintreten, weil risikoscheue Anbieter aus dem Markt ausscheiden.
— Hören Sie doch mal weiter zu.
Weil auf der Seite der Konsumenten aber weder ausreichende Therapieangebote vorhanden sind, noch die Ersatzstoffabgabe in angemessenem Umfang praktiziert wird, sich die Leute also weiterhin auf der Straße versorgen werden, würde in der Bundesrepublik auch in Zukunft ein hohes Suchtpotential existieren. Damit verbunden wäre natürlich eine starke Nachfrage. Das wissen Sie ganz genau.
Folgerichtig wird der Preis deutlich anziehen und bewirken, daß Drogenabhängige zwangsläufig aktiver werden müssen, um ihre Sucht zu finanzieren. Kleindealer werden verstärkt versuchen, neue Konsumenten zu werben. Die gesundheitlichen Risiken für die Konsumenten, an die wir alle hier doch vorrangig denken müssen, werden sich durch „Strecken" des Stoffs erhöhen. Natürlich wird auch die Beschaffungskriminalität wieder ansteigen, die Sie eigentlich vermindern wollen.
Außerdem macht der hohe Preis die Produktion von oft noch viel gefährlicheren Substanzen in heimischen Giftküchen, die kaum kontrollierbar sind, rentabler.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 10. August 1989 wird richtig bemerkt, daß ein Verbot bewirkt, „daß Gruppen mit gleichen Interessen, gleichen Ritualen, einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsamer Sprache entstehen. Gerade solche Bezugsgruppen sind für viele Jugendliche interessant".
Sie müßten für meine Begriffe endlich Schritte in die richtige Richtung tun. Dazu gehört nicht der verstärkte Einsatz, sondern die Abkehr vom Strafrecht gegenüber Drogenkonsumenten. Dazu haben wir in unserem Antrag einige Vorstellungen unterbreitet.
Von Herrn Hörster ist ausführlich auf die Drehtürproblematik, diese Verelendung der Konsumenten, eingegangen worden. Dazu gehört auch die Beschaffungskriminalität.
Um diesen elenden Kreislauf zu durchbrechen, fordern wir in dem weiteren Antrag zum Sofortprogramm für heroinabhängige Fixer, daß hier durchgreifende Hilfen auch vom Bund modellhaft angestoßen werden, damit man wirklich Hilfe dort leistet, wo wir auch tatsächlich ansetzen können.
Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich kann das nicht weiter ausführen. Ich bitte Sie herzlich, die Anträge aufmerksam durchzulesen.