Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksachen 11/1619, 11/1627 —
Es liegen zwei Dringlichkeitsfragen der Abgeordneten Frau Eid vor. Ich rufe Frage 1 auf:
\\Vie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung der Oberfinanzdirektion Kiel, das Ermittlungsverfahren gegen die Firmen Howaldtswerke-Deutsche Werft AG und Ingenieurkontor Lübeck wegen des illegalen Exports von U-Boot-Blaupausen nach Südafrika einzustellen?
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung. Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Frau Kollegin Eid, die Oberfinanzdirektion Kiel hat als zuständige Behörde nach dem Außenwirtschaftsgesetz die Verfahren durchgeführt. Nach ihren Ermittlungen haben die gelieferten Unterlagen nicht ausgereicht, um ein Unterseeboot oder einen wesentlichen Teil davon zu bauen. Sie ist hiernach zu dem Ergebnis gelangt, daß der festgestellte Tatbestand rechtlich nicht als Verstoß gegen die außenwirtschaftlichen Bestimmungen geahndet werden kann. Dabei ist auch die Frage des Versuchs eines ordnungswidrigen Handelns im Sinne des Außenwirtschaftsgesetzes in die Prüfung einbezogen worden. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, die Entscheidung bei der von der Oberfinanzdirektion festgestellten Sachlage zu beanstanden.
Eine Zusatzfrage, Frau Eid.
Es hat nach dem Bekanntwerden dieses Verkaufs von U-Boot-Blaupausen Reaktionen im Ausland gegeben, und man muß das Ausland mit berücksichtigen, wenn es um die Bewertung dieser jetzigen Entscheidung geht.
Damals hat die Bundesregierung versucht, das Ausland zu beruhigen. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen eine Sprachregelung bekannt ist, die die Bundesregierung an die Botschaften gegeben hat, in der eventuell die Rede davon sein könnte, daß der Export von
Blaupausen nach Südafrika eine klare Verletzung deutscher Gesetze darstelle.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier um eine rechtliche Würdigung, Frau Kollegin, und nach dieser rechtlichen Würdigung und der vorangehenden Tatbestandsfeststellung steht fest, daß hier keine strafbaren Handlungen vorlagen und daß daher die Einstellung des Verfahrens erfolgen konnte. Das ist das Wesentliche dessen, was wir hier heute debattieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Der Bundesregierung ist ja — das vermute ich — bewußt, daß ausländische Staaten bisher nur deshalb mit Protesten gegen den illegalen Blaupausenexport nach Südafrika zurückhaltend waren, weil ihnen von den deutschen Botschaften versichert worden war, daß der klare Verstoß gegen deutsche Gesetze selbstverständlich verfolgt und bestraft würde. Wie beurteilen Sie nun vor diesem Hintergrund die Tatsache, daß die OFD das Verfahren eingestellt hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Wenn deutsche Gesetze verletzt sind, Frau Kollegin, werden natürlich die Taten, die damit im Zusammenhang stehen, geahndet. Aber hier ist das nicht der Fall. Hier ist nach der rechtlichen Prüfung und nach der Auslegung der vorliegenden Vorschriften der Schluß gezogen worden, daß keine strafbare Handlung vorliegt, also eine Einstellung erfolgen konnte.
Eine Zusatzfrage, Herr Bohl.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß, selbst wenn ein solcher außenpolitischer Schaden entstanden wäre, was durch die Auskünfte, die der Untersuchungsausschuß eingeholt hat, verneint wird, das deshalb an der Beurteilung nichts ändert, weil zunächst einmal Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes ist, daß mit den gelieferten Konstruktionsunterlagen überhaupt ein U-Boot gebaut werden kann?
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3582 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bohl, ich kann Ihre Frage voll bejahen. Das habe ich eben auch ausgeführt. Ich habe in meiner Antwort bereits gesagt, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, daß diese Voraussetzungen nicht vorliegen und daß also eine Einstellung erfolgen konnte. Daher sehe ich gar keine Grundlage dafür, daß im Ausland über diese Entscheidung irgendwelche Irritationen entstehen könnten.
Frau Beer, bitte schön.
Abgesehen vom Problem der rechtlichen Würdigung, auf das Sie eben auf Grund der ersten Frage antworten wollten oder geantwortet haben, ist trotzdem auch eine politische Würdigung, denke ich, nicht zu umgehen. Bezogen auf die eben gestellte Zusatzfrage ist es eine Tatsache, daß Botha bekanntgegeben hat, daß Südafrika in der Lage ist, U-Boote zu bauen.
— Es gibt Zitate darüber und auch Nachweise.
— Sie hatten Ihre Zwischenfrage, Herr Kollege.
Ich möchte gerne wissen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, daß die Einstellung des OFD-Verfahrens gegen die Firmen HDW und IKL zu einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik führen kann.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe schon häufiger hier geantwortet: Mit dem Ausschließen ist das so eine Sache. Aber in diesem Fall kann man sagen, daß trotz einer richtigen juristischen Entscheidung natürlich falsche Bewertungen auf Grund falscher Einstellungen möglich sind und daß es auf Grund dieser falschen Bewertungen dann bei dem einen oder anderen zu Meinungsverschiedenheiten oder zu Irritationen kommen kann. Das vermag ich nicht auszuschließen.
Eine Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir einmal helfen? Ich kann — vielleicht können Sie das besser als ich — die Dringlichkeit der Frage nicht recht erkennen. Aber da Sie ja Fachmann sind, werden Sie mir helfen und sagen können, worin Sie die Dringlichkeit erkennen, zumal der Kollege Gansel sehr ähnliche Fragen zur selben Sache — das sind die Fragen 14 und 15 — gestellt hat.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich helfe Ihnen immer sehr gerne.
Herr Kollege, dies ist mehr eine Sache des Bundestagspräsidenten.
Ich darf doch den Staatssekretär um Hilfe bitten.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Das ist aber eine Frage, die ich nicht zu entscheiden habe. Wenn der Bundestag entscheidet, daß es sich um eine Dringlichkeitsfrage handelt, hat die Regierung diese als solche zu beantworten, und das tut sie hier.
So ist es, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wenn Herr Kollege Eigen noch einen Moment zuhört, werde ich ihm das gerne erklären. Ob es sich um Dringlichkeitsfragen handelt, wird durch den Präsidenten des Hauses entschieden.
— Ich dachte, ich könnte Sie hier noch aufklären.
Jetzt hat Frau Hensel eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auch ich habe eine Frage, nämlich ob die Bundesregierung ausschließen kann, und zwar definitiv ausschließen kann, daß gegenwärtig in Südafrika mit Hilfe der Firmen HDW und IKL oder anderer deutscher Firmen U-Boote gebaut werden.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich habe eben bereits gesagt, Frau Kollegin, daß auf Grund des festgestellten Sachverhaltes klar ist, daß mit den Dingen, die geschehen sind, weder ein U-Boot als Ganzes noch Teile eines U-Bootes gebaut oder gefertigt werden können.
Dann kommt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Volmer.
Herr Staatssekretär, in der Einstellungsverfügung der OFD war die Rede davon, daß HDW und IKL nicht vorsätzlich die Exportgesetze umgehen wollten und daß deshalb zu ihren Gunsten entschieden werden mußte. Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Firmen IKL und HDW bereits in der Vergangenheit illegale Rüstungsgeschäfte abgewikkelt haben und daß gegenwärtig in Schleswig-Holstein Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes des erneuten illegalen Exports von Blaupausen, diesmal an den Iran, laufen, und wie wertet die Bundesregierung diesen erneuten mutmaßlichen Gesetzesverstoß der Firmen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Unterstellung der Illegalität kann ich nicht teilen, und ich weise sie zurück.
Ich bin auch nicht bereit, in schwebende Verfahren einzugreifen, die in der einen oder anderen Form noch vor sich gehen, sondern ich vertraue hier der deutschen Justiz, daß sie nach Recht und Gesetz entscheidet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sellin.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Vertrag zwischen Südafrika und den Firmen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3583
SellinIKL und HDW bislang immer noch nicht vollständig gekündigt ist, und wie verträgt sich diese Tatsache mit der offiziellen Behauptung, das Geschäft sei beendet?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: In bezug auf das, worüber wir hier debattieren, ist der Vertrag storniert, Herr Kollege, so daß wir uns über das, was Sie gerade ansprechen, hier nicht zu unterhalten brauchen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, können Sie in Ihrer Eigenschaft als Vertreter des Anteilseigners Bund bei der Firma HDW Auskunft darüber geben, ob die Firma HDW Blaupausen an den Iran verkauft hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das gehört nicht in den Bereich der Frage.
Sie können es ja trotzdem beantworten, Herr Staatssekretär.
Ich würde es gerne so entscheiden, Herr Staatssekretär: Wenn Sie antworten wollen, habe ich nichts dagegen, aber Sie müssen nicht antworten, weil es wirklich ein neues und anderes Thema ist.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Kollege, daß das die Fragen sind, die im Untersuchungsausschuß sehr eingehend und sehr breit behandelt werden, und daß hier nicht der Ort ist, dies zu behandeln, weil das über den Rahmen der Frage hinausgeht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung in internationalen Gremien bisher auf Kritik anderer Staaten an dem Export von Mikrofilmen für U-Boote nach Südafrika mit dem Hinweis geantwortet hat, die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik untersuchten die Strafbarkeit dieses Vorganges, und im übrigen sei auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß intensiv an der Aufklärung der Vorgänge beteiligt, und, wenn dies zutrifft, wird die Bundesregierung in Zukunft sagen, der Export von Proben für U-Boot-Stahl im Gewicht von fünf Tonnen, von Blaupausen zum U-Boot-Bau im beträchtlichen Umfang an Südafrika sei rechtmäßig, aber immerhin gebe es noch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der vor der Weltöffentlichkeit deutlich machen will, daß das deutsche Volk und der Deutsche Bundestag keine Rüstungszusammenarbeit mit dem Rassistenregime in Südafrika will?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt ist insofern richtig, Herr Kollege Gansel, als ein Untersuchungsausschuß eingesetzt worden ist — maßgeblich auf Ihr Betreiben —, daß sich dieser Untersuchungsausschuß bemüht, die Sache aufzuklären und die Folgerungen daraus zu ziehen. Richtig ist auch, daß es ein Verfahren bei der Oberfinanzdirektion Kiel gegeben hat, das nach Recht und Gesetz abgewickelt worden ist und mit einer Einstellung endet. Von daher müssen alle weiteren Verlautbarungen, von welcher Stelle auch immer, ihren Ausgang nehmen. Wenn sie das tun, dann, glaube ich, hat die Sache völlig ihre Ordnung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.
Herr Staatssekretär, nach dem Einstellungsbescheid der OFD habe Südafrika rundherum, wie es heißt, wertlose Pläne erhalten. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, daß für diese angeblich wertlosen Pläne 42 Millionen DM bezahlt worden sind?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Der Qualifikation, die Sie hier vornehmen, kann ich mich nicht so ohne weiteres anschließen. Vielmehr muß man darauf abstellen, daß diese Unterlagen nicht dazu ausreichten, ein gesamtes U-Boot oder Teile eines U-Bootes zu bauen. Das ist der Sachverhalt, der hier zu bewerten war. Alles andere liegt neben der Sache, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, wieso können Sie eigentlich so sicher sein, daß fehlende Teile nicht übermittelt worden sind? Es gibt doch moderne Verfahren wie Online und ähnliche Dinge. Wie kommen Sie zu dieser Sicherheit Ihrer Behauptung?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Auch das On-lineVerfahren ist geprüft worden, Herr Kollege, und auch darauf hat sich das Einstellungsverfahren dann bezogen. Hier ist ausdrücklich gesagt, daß auch dadurch nicht die eventuell fehlenden Dinge übermittelt worden sind, so daß der Sachverhalt feststeht: Mit dem, was übermittelt worden ist, konnten weder ein gesamtes U-Boot noch Teile eines U-Bootes gebaut werden. Das war die Grundlage für die Einstellungsverfügung.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 2 der Frau Eid auf:Hat Bundesminister Dr. Stoltenberg auf die Entscheidung der Oberfinanzdirektion Kiel Einfluß genommen, das Verfahren gegen die Firmen Howaldtswerke-Deutsche Werft AG und Ingenieurkontor Lübeck wegen des illegalen Exports von U-BootBlaupausen nach Südafrika einzustellen und ggf. in welcher Form?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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3584 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Bundesminister Dr. Stoltenberg hat keinen Einfluß auf die Entscheidungen der Oberfinanzdirektion Kiel genommen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Eid. Bitte schön!
Wir wissen ja, daß die OFD einen Zwischenbericht und einen Endbericht jeweils dem Ministerium vorgelegt und auf eine Stellungnahme des Ministeriums gewartet hat; das wurde im Ausschuß bekanntgegeben. Wenn nun der Minister selber keinen Kontakt gehabt hat, dann frage ich, ob vielleicht Mitarbeiter seines Ministeriums, z. B. Staatssekretär Obert oder Ministerialdirigent Schmutzer, solche Kontakte gehabt haben, und wie sahen dann die Kontakte aus?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es ist ganz selbstverständlich, Frau Kollegin, daß sich die zuständigen Beamten, die zuständigen Abteilungen des Hauses mit diesen Zwischenberichten befaßt haben.
Es gab noch einen Teil der Frage. Ich weiß nicht, ob Sie darauf noch antworten wollen. Es war danach gefragt, wie diese Kontakte aussahen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Die Kontakte waren im Rahmen der Berichtspflicht, im Rahmen der Behandlung der Sachverhalte, die dargeboten wurden, und bezogen sich natürlich auch auf die rechtliche Würdigung.
Bitte schön, Frau Eid, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
In einem Schreiben an Herrn Ministerialdirektor Dr. Schmutzer — ich glaube, das war im Mai 1986 — schrieb der Oberfinanzpräsident Hansen, er beabsichtige, gegen Herrn Nohse und die Firma IKL ein Bußgeld festzusetzen, da der Firma IKL die Genehmigungsbedürftigkeit der Ausfuhr in die Republik Südafrika bekannt war, ihr zum Zeitpunkt der Ausfuhr eine schriftliche Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft aber nicht vorlag und auch deswegen der Vorwurf einer zumindest fahrlässig begangenen ungenehmigten Ausfuhr aufrechterhalten werden müsse. Wie erklärt die Bundesregierung den Meinungswandel der OFD, die ja nun behauptet, eine Ausfuhr ohne Exportgenehmigung sei von den Firmen nie beabsichtigt worden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bei enger Auslegung Ihrer Frage steht dies, Herr Präsident, nach meinen Vorstellungen damit nicht im Zusammenhang, aber ich will Ihnen folgendes sagen: Hier ist eine Rechtsauslegung vorgenommen worden. Nach der ursprünglichen Meinung der Oberfinanzdirektion hätte es sein können, daß auch dann, wenn ein
Fall des § 5 der Außenwirtschaftsverordnung nicht vorliegt, ein solcher des § 45 Abs. 3 vorliegen könnte. Aber nachdem sich die Oberfinanzdirektion mit dem Bundeswirtschaftsministerium, das an der Kreation dieser Vorschrift maßgeblich beteiligt war, auseinandergesetzt hat, hat sie ihre Rechtsansicht geändert. Frau Kollegin, wie Sie wissen, wenn Sie in juristischen Dingen bewandert sind, kommt es sehr häufig vor, daß man, nachdem man mit einigen Leuten noch geredet hat, die eine oder andere Vorschrift in einem anderen Licht sieht und schließlich zu einem anderen Ergebnis kommt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Struck.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, seit wann der Entscheidungsvorschlag der Oberfinanzdirektion Kiel dem Bundesfinanzministerium vorgelegen hat und wie lange der Entscheidungsprozeß in Ihrem Hause gedauert hat. Insbesondere möchte ich Ihnen die Frage stellen, ob aus der Leitungsebene Ihres Hauses, Herr Staatssekretär, gegen den Entscheidungsvorschlag der Oberfinanzdirektion dann revoziert worden wäre, wenn Sie das Gefühl gehabt hätten, daß eine Entscheidung etwa in der Weise hätte fallen müssen, wie es die OFD seinerzeit schon einmal vorgeschlagen hatte.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach meiner Information sind wir seit Mitte Dezember mit dem Vorgang in diesem Punkt befaßt, aber ich darf Ihnen hier sagen, daß dann, wenn die Oberfinanzdirektion zu der Entscheidung gekommen wäre, zu der sie ursprünglich kommen wollte oder zu kommen überlegte, von seiten des Bundesfinanzministeriums keinerlei Einwände erhoben worden wären. Ich habe Ihnen gesagt: Vom Bundesfinanzministerium ist in dieser Richtung kein Einfluß genommen worden, so daß die Entscheidung, auch wenn sie anders gewesen wäre, vom Bundesfinanzministerium akzeptiert worden wäre.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hensel.
Herr Staatssekretär, wieso trifft dann eine Meldung der „Kieler Nachrichten" vom 12. Januar 1988 zu, nach der der Meinungswandel der OFD auf den Druck höchster Bonner Regierungskreise zurückzuführen sei, und um welche Regierungskreise handelt es sich hierbei?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich will hier nicht Pressemeldungen qualifizieren. Wenn Sie sich das Pressebild in unserem Lande einmal häufiger ansehen, werden Sie feststellen, daß, je nachdem, wie der Standpunkt des betreffenden Organs ist, ganz divergierende, ganz gegensätzliche Meinungen vertreten werden. Ich halte das, was Sie hier gerade zitieren, für falsch.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3585
Sie wollen damit also sagen, daß es nicht zutrifft?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, es trifft nicht zu.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, aus welchem Grund hat der Geschäftsführer des IKL Lübeck, Herr Nohse, der ja die Aussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß verweigert, Ende Oktober oder Ende November des vergangenen Jahres — ich habe das jetzt nicht genau im Kopf — das Bundesfinanzministerium besucht, hat er dabei mit dem Finanzminister, mit Ihnen oder mit anderen leitenden Mitarbeitern gesprochen, und worüber hat er eigentlich gesprochen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich muß auch hier wieder sagen: Das sprengt den Rahmen der Frage.
Nein, ich habe mir das genau überlegt. Das hängt mit der Frage „Einflußnahme des Ministers oder nicht?" zusammen.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, mit mir ist kein Gespräch dieser Art geführt worden. Mir ist zur Zeit auch nicht bekannt, mit wem ein derartiges Gespräch geführt worden ist, so daß ich Ihnen über den Inhalt — —
Ist Ihnen das Gespräch bekannt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Nein, davon ist mir nichts bekannt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Volmer.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Rechtsvertreter von IKL, Herr Dr. Zoglmann, bei einem Besuch bei der OFD im Dezember 1986 damit gedroht hat, belastendes Material gegen Dritte zu enthüllen, wenn das OFD-Verfahren ungünstig verläuft, und ist der Bundesregierung bekannt, daß Herr Dr. Zoglmann in diesem Zusammenhang einen völligen Freispruch seiner Firma gefordert hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Zoglmann ist ein viel zu galanter Mann, als daß er drohen würde, Herr Kollege,
und ich weiß, daß er mit einem Ausgang des Verfahrens, wie wir ihn soeben hier debattiert haben, durchaus auch einverstanden gewesen wäre, wenn ich das einmal so sagen darf.
Herr Staatssekretär, jetzt sind Sie mir mit Ihrer schnellen Antwort zuvorgekommen. Ich hätte nämlich gesagt: Das paßte nicht mehr.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Das sind die genuinen Unterschiede zwischen uns beiden, Herr Präsident.
Ich wäre dankbar, wenn man sich an den Text der ursprünglichen Frage halten und daraus seine Fragen ableiten würde.
Herr Sellin ist der nächste.
Herr Staatssekretär, handelt es sich bei dem belastenden Material, das Herr Dr. Zoglmann für den Fall präsentieren wollte, daß die OFD das Verfahren nicht einstellt, um Material, das eine Zustimmung der Bundesregierung zu dem U-BootGeschäft beweisen könnte?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da müßten Sie Herrn Dr. Zoglmann fragen, und das Material, das Sie hier ansprechen und das ich nicht kenne, müßte entsprechend geprüft werden.
Zusatzfrage, Herr Bohl.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung eigentlich zu tun, um die Beamten in Schutz zu nehmen, die ja durch die Attacken der Opposition
in den Geruch kommen, Pflichtwidrigkeiten oder Amtspflichtverletzungen
begangen zu haben, was ja ungeheuerliche Vorwürfe sind, die an den Beamten nach meiner Überzeugung auf keinen Fall hängenbleiben dürfen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bohl, erstens ist die Bundesregierung immer bemüht, daß alle Vorgänge, die sie betreffen und über die sie zu befinden hat, nach Recht und Gesetz behandelt werden, und sie ist zweitens darum bemüht, daß alle an diesen Verfahren und Entscheidungen Beteiligten ebenfalls so gesehen und behandelt werden, weil sie Recht und Gesetz handhaben. Für Vorwürfe, gibt es überhaupt keinen Raum. Wenn derartige Vorwürfe erhoben werden, sind sie stark verleumderischer Natur.
Augenblick! Frau Beer ist die nächste. Darf ich um Aufmerksamkeit für ihre Frage bitten.
Herr Kollege, was wir äußern, sind Fragen und keine Unterstellungen. Das ist ein Unterschied.
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3586 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Frau BeerIch frage die Bundesregierung, ob sie ausschließt, daß bundesdeutsche Parteien oder Politiker oder Mitglieder von Bundesregierung bzw. auch Landesregierungen im Zusammenhang mit der OFD-Entscheidung und dem U-Boot-Geschäft Schmiergelder erhalten haben; für den Fall, daß Sie dies ausschließen, würde ich gern wissen, wie die Bundesregierung erklärt, daß z. B. der Schweizer Rechtsanwalt Peter Alther, der Ex-Bundestagsabgeordnete Zoglmann und der Südafrikaner Karl-Friedrich Albrecht Provisionszahlungen der Firmen HDW und IKL in Millionenhöhe erhalten haben und diese teilweise zur Weiterleitug an Dritte bestimmt waren. Auch das ist keine Unterstellung, sondern es ergibt sich aus den Akten.
Ich bin im Zweifel, ob das dazugehört. Die Frage ist ja sehr gezielt auf die Leitung des Ministeriums. Insofern frage ich Herrn Voss, ob er antworten will.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich stimme mit Ihnen überein, Herr Präsident.
Das heißt: Wir beide zweifeln. Das ist das Resultat Ihrer Übereinstimmung?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, ich stimme im Zweifel mit Ihnen überein.
Herr Dr. Lippelt, bitte schön.
Herr Staatssekretär, um nochmals auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ist denn der Meinungswandel in der OFD, von dem Sie sagen, daß das Finanzministerium darauf keinen Einfluß genommen habe, zumindest mit Aufatmen im Finanzministerium begrüßt worden, und können Sie auch verraten, ob möglicherweise der Minister mit aufgeatmet hat?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Emotionale Reaktionen dieser Art, Herr Kollege, pflege ich im allgemeinen nicht wahrzunehmen.
Aber ich kann Ihnen hier sagen, Herr Kollege: Dieser Meinungswandel bei der Oberfinanzdirektion beruht auf rechtlichen Kriterien.
Hier ist bei einer nochmaligen Prüfung der Vorschriften, die ich eben bereits genannt habe, ein anderes Ergebnis erzielt worden als das, das ursprünglich in Aussicht genommen war, um es einmal so zu sagen. Das wird ebenso als ein rechtsgültiges und nicht anzufechtendes Faktum hingenommen, wie auch eine andere Entscheidung hingenommen worden wäre.
Sagen Sie das nicht Ihrer Frau, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht, weil ich keine habe, Herr Präsident.
Entschuldigung. Aber das ist im Hinblick auf die Frage der Emotionen sonst sehr unsensibel.
Jetzt ist Herr Dr. Mechtersheimer mit einer Zusatzfrage dran.
Vielleicht etwas weniger emotionsorientiert: Wie beurteilen Sie diese Entscheidung der OFD grundsätzlich für Ihre Waffenexportpolitik?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich beurteile die Entscheidung der Oberfinanzdirektion Kiel nach Recht und Gesetz und habe eben bereits gesagt, daß keinerlei Anlaß besteht, sie in irgendeiner Form zu kritisieren.
Sie ist rechtlich in Ordnung. Sie ist nach eingehender Aufhellung des Sachverhalts nach allen Richtungen zustande gekommen. Derartige Entscheidungen kann ich nicht kritisieren, darf ich nicht kritisieren und würde ich nicht kritisieren. Diese Entscheidung wird natürlich — wenn Sie eine politische Wertung wollen — im Rahmen des Gegebenen den einen oder anderen Einfluß haben. Denn es handelt sich um eine rechtliche Entscheidung, die man in zukünftige Überlegungen einbeziehen kann.
Wir haben alle Fragerechte ausüben lassen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Dringlichkeitsfragen.
Wir kommen nun zum nächsten Geschäftsbereich. Der Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen braucht nicht ausgerufen zu werden, weil der Abgeordnete Lowack seine Frage 7 schriftlich beantwortet haben will. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus ist zur Beantwortung der Fragen erschienen.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Eigen auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung einzuleiten, um neuerliche Wettbewerbsverzerrungen durch die französische Regierung zu verhindern, die bei Verfütterung von Vollmilch an Kälber pro Kalb einen Zuschuß von 147,90 DNI gewährt?
Bitte schön.
Herr Präsident! Herr Kollege Eigen, der Bundesregierung ist aus der Presse bekannt, daß Frankreich beabsichtigt, bei der Verfütterung von Vollmilch an Kälber pro Kalb einen Zuschuß von 500 FF — 147,90 DM — zu gewähren, wenn der Milchviehhalter seine Anlieferung von
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3587
Parl. Staatssekretär GallusDezember 1987 bis März 1988 um mindestens 600 Liter Milch pro subventioniertes Kalb zurückführt.Die Bundesregierung geht davon aus, daß Frankreich die geplante Maßnahme der Kommission ordnungsgemäß nach Art. 93 Abs. 3 EWG-Vertrag notifiziert. Sie hat ferner die Kommission auf diesen Vorgang hingewiesen und erwartet von ihr eine Prüfung und Entscheidung über die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt.
Herr Eigen, Zusatzfrage, bitte.
Wird die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, die Entscheidung der Kommission in der Frage, ob es sich um eine Wettbewerbsverzerrung handelt oder nicht, entsprechend kontrollieren, und wird sie nachprüfen, ob die Kommission auf die Aussagen der Bundesregierung reagiert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Natürlich. Wir erwarten zunächst einmal die Entscheidung der Kommission. Danach können wir entscheiden, ob wir mit der Prüfung einverstanden sind oder nicht.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, es ist nicht das erste Mal, daß ich in Fragen der Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Bundesregierung dringlich frage. Hier gibt es wieder einmal eine Maßnahme, die den Landwirten in Frankreich die Einhaltung der Quote durch einen erheblichen Zuschuß erleichtert. Ein deutscher Landwirt hingegen, der befürchtet, seine Milchquote zu überschreiten, hat die Kosten für die Verfütterung ganz alleine zu tragen. Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus ziehen — außer nur in Brüssel dagegen zu protestieren?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Konsequenzen kann die Bundesregierung erst ziehen, wenn wir wissen, welche Stellungnahme die EG abgibt. Voreiligkeit ist deshalb nicht am Platze, weil es in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland schon Verfahren gegeben hat, als wir Maßnahmen getroffen haben, die anderen Staaten nicht gepaßt haben. Von diesen sind wir dann bei der EG-Kommission vorgeführt worden. Wir werden jedenfalls, falls die Entscheidung nicht unserer Auffassung entspricht, alles tun, um in Ihrem Sinne bei der Kommission eine Entscheidung dahingehend anzumahnen, daß so etwas nicht stattfinden darf, weil die deutschen Landwirte sonst tatsächlich in Nachteil geraten würden.
Ich rufe Frage 2 des Abgeordneten Eigen auf:
Auf welche Weise wird der französische „ Stabiporc-Hilfsfonds " finanziert, aus dem die angeschlossenen Schweineerzeuger einen höheren Zuschuß bekommen, als in der Bundesrepublik Deutschland die Rendite in der Schweinemast zur Zeit beträgt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, der französische „Stabiporc-Hilfsfonds" hat französischen Angaben zufolge ein Volumen von 220 Millionen FF, rund 65 Millionen DM. Er wird finanziert von den Organisationen Unigrains und Ovival sowie von der staatlichen Agrar-Creditkasse. Aus diesem Hilfsfonds werden seit Herbst 1987 wieder Kredite an französische Schweinefleischerzeuger gewährt, die zu einem Zinssatz von 8,25 % zu verzinsen sind und zurückgezahlt werden müssen, sobald sich die Rendite in der Schweinemast wieder verbessert hat.
Vertreter der französischen Regierung haben gegenüber der EG-Kommission und im Verwaltungsausschuß „Schweinefleisch" erklärt, daß alle früheren aus dem Fonds gezahlten Kredite — zuletzt wurden solche Mittel im Jahre 1984 gewährt — inzwischen von den Erzeugern zurückerstattet worden sind.
Wie von der zuständigen Dienststelle der EG-Kommission zu erfahren war, hat die französische Regierung die Maßnahme gemäß Artikel 93 Abs. 3 des EWG-Vertrages notifiziert. Die EG-Kommission prüft die Maßnahme auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt und hat eine Entscheidung zu treffen.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Herr Staatssekretär, die Intention meiner Frage ist ja, ob dieser Fonds möglicherweise nicht nur mit Mitteln von agrarischen Organisationen gespeist wird — immer in bezug auf den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Ländern der Europäischen Gemeinschaft — , sondern ob auch öffentliche Mittel aus Frankreich in diesen Fonds eingeführt worden sind. Gerade bei der Schweinemast besteht ja im Moment eine besonders harte Konkurrenz innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen ja gesagt, wie das finanziert wird. Nach dem, was wir bisher wissen, sieht es — außer der Tatsache, daß die Agrar-Creditkasse hier beteiligt ist — nicht danach aus, daß Haushaltsmittel direkt hineinfließen. Aber wir werden der Frage weiter nachgehen.
Keine weitere Zusatzfrage.Ein agrarpolitischer Subventionslaie wie ich darf vielleicht einmal die Frage stellen, ob „ StabiporcHilfsfonds " etwas mit stabilen Schweinen zu tun hat.
— Aber „porc" kommt von „Schweinefleisch"?
Wir haben dann den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abgeschlossen. Danke schön, Herr Gallus, für Ihre Beantwortung der Fragen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Herr
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3588 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Vizepräsident WestphalParlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 3 der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien auf:Ist der Bunderegierung bekannt, daß nach wie vor Vermittlungsagenturen ausländische, insbesondere asiatische, Madchen und Frauen zum „Kauf" fur deutsche Männer anbieten, so daß Menschenhandel unter Ausnutzung der sozialen Situation der betroffenen Frauen stattfindet?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Dr. Dobberthien, wie ich bereits der Kollegin Adler im August 1987 auf Fragen zum internationalen Frauenhandel mitgeteilt habe, ist der Bundesregierung bekannt, daß ausländische Frauen — insbesondere aus Südostasien und Südamerika — unter Vortäuschung eines Touristenaufenthaltes sichtvermerksfrei in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, um hier einer Erwerbstätigkeit als Prostituierte nachzugehen. Die Anwerbung und Vermittlung der Frauen erfolgt überwiegend durch Besitzer von Bordellen, Barbetrieben und sogenannte Massagesalons oder durch Zuhälter. Die Ausländerinnen wandern in der Regel vor Ablauf der Dreimonatsfrist weiter. Ein Teil von ihnen wird, um einen dauernden Aufenthalt zu gewährleisten, mit Deutschen oder EG-Staatsangehörigen verheiratet.
Die Polizeien des Bundes und der Länder unternehmen alles, um durch konsequente Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften und durch Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels, Zuhälterei usw. diese Form des Frauenhandels zu verhindern.
Der Bundesregierung ist weiter bekannt, daß es im Rahmen der an sich rechtlich zulässigen Heiratsvermittlung Fälle gibt, bei denen der Verdacht des Verstoßes gegen das geltende Recht, insbesondere das Strafrecht, das Ausländerrecht oder das Gewerberecht besteht. Hier ist es die Aufgabe der zuständigen Behörden, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Zusatzfrage, Frau
Dr. Dobberthien.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich diese Formen der Frauenvermittlung nicht nur auf Prostitution beziehen, sondern inzwischen auch als Menschenhandel zu bezeichnen sind? In jüngster Zeit — vor Weihnachten — hat das bayerische Landeskriminalamt neue Fälle bekanntgegeben, in denen gegen zehn Heiratsvermittler ermittelt wird, die Menschen wie Waren behandelt haben. Dies ist eine Vermittlung, bei der die Frauen auf Probe mit Rückgabe- und Umtauschrecht gekauft werden können. Das alles kostet 10 000 DM und mehr. Diese Vermittlungen haben nur im Großraum München stattgefunden. Es ist zu vermuten, daß die Zahl bundesweit erheblich höher ist. Daß ist Menschenhandel und nicht nur Prostitutionsvermittlung.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, darauf bin ich im letzten Teil meiner Antwort ausdrücklich eingegangen. Sie haben soeben selber darauf hingewiesen, daß in den von Ihnen genannten Fällen die
zuständigen Kriminalbehörden eingreifen. Das ist natürlich auch in anderen Ländern, in denen solche Verdachtsmomente auftauchen, ihre Aufgabe.
Herr Börnsen hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie sagten in dem letzten Teil Ihrer Antwort, auf den Sie sich soeben bezogen, daß die Bundesregierung alles tue, um auch solche Vermittlungstätigkeiten einzugrenzen oder unmöglich zu machen. Sie haben doch diese Möglichkeiten. Warum werden nicht gesetzliche Maßnahmen ergriffen, um solchen Vermittlungsinstituten, die in Zeitungsannoncen — also auch genau nachvollziehbar - Frauen — ich sage es hier so, wie es dort abgedruckt ist — zu Billigstpreisen anbieten, dieses Anbieten von Frauen zu verbieten?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß es die Aufgabe der zuständigen Behörden ist, hier alles zu unternehmen. Ich möchte in meiner Antwort auf die Frage 4 noch auf die Maßnahmen zu sprechen kommen, die die Bundesregierung ergriffen hat.
Im übrigen ist der Gesetzgeber der Deutsche Bundestag, Herr Kollege Börnsen.Jetzt kommt die Frage 4 der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien.Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, uni die Werbung solcher Agenturen zu verbieten und grundsätzlich die Möglichkeit des „Kaufs" von Frauen zu unterbinden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Neben der Strafverfolgung von Menschenhandel und Zuhälterei unter Ausnutzung der Hilflosigkeit ausländischer Frauen und der Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften müssen vor allem die Verbindungen zwischen illegaler Heiratsvermittlung und dem Menschenhandel zu Prostitutionszwecken im einzelnen aufgedeckt werden.Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat dazu folgende Maßnahmen ergriffen.Erstens. Wir vergeben im Frühjahr dieses Jahres einen Forschungsauftrag, um die verschiedenen Anwerbepraktiken für die Heiratsvermittlung für ausländische Frauen, die weitere Durchführung der Heiratsvermittlung unter besonderer Berücksichtigung menschenunwürdiger Formen, den Hilfebedarf der vermittelten ausländischen Frauen und die Querverbindungen zum internationalen Frauenhandel zu untersuchen. Ziel der Untersuchung ist es auch, Vorschläge und Empfehlungen zu entwickeln, um gegen sittenwidrige Praktiken wirkungsvoller vorgehen und sittenwidrige Werbung unterbinden zu können.Zweitens. Eine Modellförderung zum Ausbau eines Informations- und Beratungszentrums für hilfesuchende ausländische Frauen, die durch Heiratsvermittlung und Frauenhandel in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, beginnt im Sommer 1988.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3589
Parl. Staatssekretär PfeiferDrittens. Ein bundesweites Netzwerk der bereits bestehenden Informations- und Beratungsstellen in einigen Wohlfahrtsverbänden sowie bei verschiedenen Frauen- und Initiativgruppen wird mit unserer Unterstützung zur Zeit aufgebaut.
Zusatzfrage, Frau
Dr. Dobberthien.
Herr Staatssekretär, es ist schön und gut: zu forschen, Beratungsstellen zu schaffen und ein Netzwerk zu bilden. Halten Sie es aber nicht für viel dringlicher, darüber hinaus Sofortmaßnahmen zu ergreifen? Denn es findet ja offenbar eine außerordentlich laxe Handhabung der einschlägigen Gesetze statt. Es gibt wohl erhebliche Vollzugsdefizite. Ich kann doch nicht warten, bis Forschungsaufträge erfüllt sind!
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich bin nicht der Meinung, daß hier eine laxe Handhabung stattfindet. Ich bin auch nicht der Meinung, daß man hier generell von Vollzugsdefiziten sprechen kann. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in der Antwort auf eine Große Anfrage — ich glaube, Ihrer Fraktion — vom August 1985 dazu, wie die rechtliche Situation ist und ob die Gesetze ausreichen, im einzelnen Stellung genommen hat. Die von mir genannten Maßnahmen aber, die jetzt sofort in Gang kommen, sollen uns ja darüber hinausgehende Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Ich denke, daß vor allem die Unterstützung dieses Modellprojekts, das ich genannt habe, eine der Maßnahmen ist, die sofort wirken.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Dr. Dobberthien.
Herr Staatssekretär, in der Zwischenzeit aber werden diese Heiratsvermittler ja weiter ihr Unwesen treiben. Dabei wollen Sie erst einmal tatenlos zusehen; so sehe ich das. Es ist zwar wunderschön, sofort den Auftrag zu vergeben, bis aber das Auftragsergebnis vorliegt, ist viel Zeit ins Land geschritten. Der Deutsche Bundestag hat sich heute doch nicht zum erstenmal mit dieser Frage befaßt. Aber passiert ist offensichtlich gar nichts.
Die Frauenverbände berichten davon, daß der Menschenhandel und der Prostitutionstourismus zunehmen und nicht etwa abnehmen. Sie lassen erst forschen und eröffnen Beratungsstellen. Halten Sie das nicht für zu wenig?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe bereits in der Antwort auf Ihre Frage 3 gesagt, daß die zuständigen Behörden die Maßnahmen ergreifen. Sie selbst haben berichtet, daß beispielsweise vom Bayerischen Landeskriminalamt auch tatsächlich gehandelt wird.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen 5 und 6
des Abgeordneten Menzel sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Die Frage 8 des Abgeordneten Stiegler soll schriftlich beantwortet werden. Die Frage 9 des Abgeordneten Müller soll wegen der nachher erfolgenden Regierungserklärung zum gleichen Thema entsprechend Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Jetzt kommt der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Herr Dr. Jobst hat die erste Frage, die Frage 10:
Trifft es zu, daß die EG-Kommission die Richtlinie 77/62 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge dahin ergänzen will, daß regionale Präferenzen und somit die Zonenrandrichtlinien des Bundes und der Länder über das öffentliche Auftragswesen entfallen sollen?
Bitte schön, Herr Riedl.
Herr Präsident, darf ich die beiden Fragen, also die Frage 10 und die Frage 11, gemeinsam beantworten?
Da muß ich Herrn Jobst fragen. — Er bejaht das. Dann rufe ich ebenfalls die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:Wird sich die Bundesregierung mit Nachdruck dafür einsetzen, daß die Zonenrandrichtlinien über die Vergabe öffentlicher Auftrage beibehalten werden, damit den Zonenrandfirmen die Präferenz, auf die sie dringend angewiesen sind, erhalten bleibt?Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön.Ihre Aussage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst, trifft zu, soweit sie sich auf die Erste Lesung des Vorschlags der EG-Kommission zur Novellierung der Lieferkoordinierungsrichtlinie bezieht. Auf der Tagung des Binnenmarktrates am 5. Oktober 1987 in Luxemburg hat die Delegation der Bundesregierung unter Leitung von Staatssekretär Dr. Udo Schlecht den Kornmissionsvorschlag in diesem Punkt zurückgewiesen. Staatssekretär Dr. Schlecht wies auf die im Zusammenhang mit der Teilung Deutschlands politisch hochsensible Zonenrand- und Berlin-Problematik hin.Allerdings zeigte die Diskussion im Rat, daß die Bundesrepublik Deutschland in dieser Frage weitgehend isoliert ist. Im Rahmen der Zweiten Lesung entsprechend der Einheitlichen Europäischen Akte vom 16. Dezember 1987 ist das Europäische Parlament wie schon in der Ersten Lesung bei seiner grundsätzlichen Haltung hinsichtlich der Frage der regionalen Präferenzierung geblieben. Danach soll eine regionale Präferenzierung bei öffentlichen Aufträgen nur noch bis 31. Dezember 1992 möglich sein — das ist das Stichdatum für den gemeinsamen Binnenmarkt.Die Kommission ist derzeit dabei, entsprechend den Verfahrensvorschriften der Einheitlichen Europäischen Akte ihre Stellungnahme zu den Beschlüssen des Europäischen Parlaments vom 16. Dezember 1987 zu erarbeiten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Kom-
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Parl. Staatssekretär Dr. Riedlmission in ihrer Stellungnahme in der Frage der regionalen Präferenzierung dem Europäischen Parlament anschließen wird.Nach den derzeit vorliegenden Informationen wird die Kommission fristgerecht noch in diesem Monat ihre Stellungnahme vorlegen. Erst danach wird sich der Rat unter deutscher Präsidentschaft, wie Sie wissen, erneut mit der Lieferkoordinierungsrichtlinie befassen. Die Frage der regionalen Präferenzierung wird ein Schwerpunkt der kommenden Diskussionen bleiben. Die Bundesregierung wird sich wie auch in der Vergangenheit bei den zukünftigen Beratungen sowohl in der Ratsgruppe als auch in den Kontakten mit dem Europäischen Parlament sehr bemühen, unsere Auffassung bei der Vergabe der regionalen Präferenzierung hinsichtlich des Zonenrandgebiets möglichst erfolgreich zu vertreten.
Herr Dr. Jobst, erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß bei einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt die Randlage des Zonenrandgebietes und damit auch die nachteiligen Folgen für die Betriebe in diesen Regionen noch deutlicher zutage treten werden, als es derzeit schon der Fall ist?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Auffassung. Ein Blick auf die Landkarte Europas beweist, daß gerade das Zonenrandgebiet die äußerste Grenze der Europäischen Gemeinschaft darstellt und daß die Probleme so sind, wie Sie sie dargestellt haben, Herr Abgeordneter. Ich kenne das aus meiner täglichen Arbeit auch vor Ort, und ich kann Ihnen nur bestätigen, daß die Bundesregierung alles tun wird, um innerhalb der EG, in Rat, Kommission und Europäischem Parlament, zu einer mehrheitlichen Abstimmung in dieser Frage zu kommen. Aber ich sagte Ihnen schon: Dies ist außerordentlich schwer zu erreichen. Die gesamteuropäischen Interessen sind in diesem Punkt nicht unbedingt zonenrandorientiert.
Herr Dr. Jobst, die zweite Frage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Betriebe im Zonenrandgebiet zur Sicherung der Arbeitsplätze auf Aufträge außerhalb ihrer Region in viel stärkerem Maße als Betriebe in den Ballungsräumen angewiesen sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen zu. Das entsprechende statistische Material beweist dies auch.
Herr Abbgeordneter, wir sollten allerdings den Realitäten ins Auge sehen und die uns bis 31. Dezember 1992 auf alle Fälle gegebenen Chancen optimal nutzen. Wir können im Augenblick die vorhandenen Fördermittel so einsetzen, wie es in der Vergangenheit möglich war. Ich empfehle dringend, daß die Verantwortlichen, die Städte, die Landkreise und auch die betroffenen Bundesländer, alle Anstrengungen unternehmen, um zumindest die bis 31. Dezember 1992
gegebenen Möglichkeiten — ich darf es wiederholen — optimal auszuschöpfen.
Herr Dr. Jobst, dritte Frage.
Herr Staatssekretär, ich darf also aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung alles tun wird, damit die Präferenzen für das Zonenrandgebiet beibehalten werden können. Ich frage Sie: Reicht Art. 92 Abs. 2 Buchstabe e des EWG- Vertrages nicht aus, der doch besagt, daß Maßnahmen zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands bedingten Nachteile mit EG-rechtlichen Grundsätzen vereinbar sind?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ob das ausreicht, eine Mehrheitsentscheidung auf europäischer Ebene herbeizuführen, weiß ich nicht. Dazu kann ich im Augenblick nichts sagen. — Aber genau dieser Artikel ist für die Bundesregierung die Grundlage, auf der wir in Brüssel, in der EG unsere Position vertreten.
Letzte Zusatzfrage, Herr Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, Vorstellungen von Bundestagsabgeordneten bei der EG-Kommission nachhaltig mit zu unterstützen und vor allem in persönlichen Gesprächen den deutschen Standpunkt mit darzulegen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Dazu sind wir sehr gerne bereit. Die jetzt begonnene sechsmonatige deutsche Präsidentschaft ermöglicht in besonderer Weise solche Gespräche. Aber wir können dies ja auch vor Ort in Brüssel tun, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung ist also sehr gerne bereit, Abgeordnete aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zu unterstützen und, wenn Sie so wollen, sie auch auf ihren Reisen nach Brüssel persönlich zu begleiten. Ich werde das in Ihrem Fall besonders gerne tun.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Lippelt auf:Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten des Bundesministers für Wirtschaft, der in Ägypten Staats- und Familieninteressen auf eine Weise verquickte, daß der Eindruck entstehen mußte, er lasse sich die Unterschrift unter ein Umschuldungsabkommen mit Ägypten durch Freistellung von den Kosten fur die Mitnahme seiner Familie zu einer Bildungsreise im Land der Pharaonen honorieren ?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Danke schön, Herr Präsident. — Das Umschuldungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten wurde am 8. Dezember 1987 vom Bundesminister des Auswärtigen in Kairo unterzeichnet. Der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Martin Bangemann, führte am 23. und 24. Dezember 1987 und am 4. Januar 1988 Regierungsgespräche in Kairo. Er hielt sich zwischenzeitlich als Gast der ägyp-
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Parl. Staatssekretär Dr. Riedltischen Regierung im Lande auf. Er folgte damit mehrfachen Einladungen.
Die Einladung erstreckte sich auf Herrn Bundesminister Dr. Martin Bangemann und seine Ehefrau.
Die Kosten für die weitere private Begleitung trägt der Herr Bundesminister persönlich. Dies wurde vor Beginn der Reise mit der ägyptischen Regierung vereinbart.
Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, wie kommt es nur, daß der „Spiegel" sich immer so irrt?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Darf ich Sie bitten — das Büro des „Spiegel" ist gar nicht weit weg von hier —, daß Sie sich mal nach drüben begeben und fragen: Warum irren Sie so?
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mal den hypothetischen Fall unterstellt, der „Spiegel" würde sich nicht irren: Glauben Sie, daß der Bundeswirtschaftsminister dann eine gemeinnützige Adresse fände, an die er den Gegenwert der empfangenen Wohltaten überweisen könnte?
Dr. Riedel, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Abgeordneter, ich weiß ja nicht, was Sie unter „empfangenen Wohltaten" verstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kosten für Unterkunft sowie Transportkosten in den jeweiligen Orten werden für den Bundesminister vereinbarungsgemäß von der ägyptischen Seite getragen.
Und jetzt kommt das, was Sie interessiert:
Kosten für Begleitung — drei Kinder von Bundesminister Dr. Bangemann, zwei Sicherheitsbeamte — werden von diesem selbst getragen.
Herr Dr. Lippelt, an Ihrer Stelle hätte ich gefragt, warum die Bundesregierung diese Frage nicht dem Familienminister zur Beantwortung übergeben hat.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Weil die Bundesregierung dem Parlament dienlich sein möchte, Herr Präsident.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Herr Kollege Börnsen ist einverstanden, daß wegen der Ausschußtagungszeiten, durch die Herr Gansel und andere gefordert sind, die Fragen des Herrn Abgeordneten Gansel vorgezogen werden, und auch Sie sind einverstanden.
Ich rufe Frage 14 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Ist es zutreffend, daß das Bundesministerium der Verteidigung im Mai 1987 der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel mitgeteilt hat, daß die Überprüfung des Verkaufs von U-BootKonstruktionsunterlagen durch zwei Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland an Südafrika keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätte, „daß geheimgeschützte Unterlagen betroffen seien" , wie es in einer Pressemeldung der Staatsanwaltschaft vom 5. Januar 1988 heißt, und bezieht sich diese Mitteilung des Ministeriums auch auf eine Überprüfung, ob beim Verkauf der Konstruktionsunterlagen an Südafrika Informationen über U-Boote weitergegeben worden sind, die auf Grund eines Geheimschutzabkommens zwischen der Bundesregierung und der Regierung Indiens nach den deutschen VS-Vorschriften als geheim klassifiziert worden sind und durch das deutsche Strafrecht entsprechend geschützt werden?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Präsident, Herr Kollege Gansel, es ist zutreffend, daß das Verteidigungsministerium mitgeteilt hat, daß die Überprüfung des Verkaufs der Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür ergeben hat, daß Verschlußsachen geliefert wurden. Diese Mitteilung bezieht sich auch auf Unterlagen, die gemäß Geheimschutzabkommen klassifiziert waren.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt — — Nein, ich komme jetzt etwas in Schwierigkeiten, weil ich auf eine „geheim" klassifizierte Sitzung des Untersuchungsausschusses verweisen müßte. Ich darf dann nur fragen, Herr Staatsekretär: Sind Sie bereit, sich die Protokolle der letzten beiden „geheim" klassifizierten Sitzungen des Untersuchungsausschusses zu beschaffen, sie zu lesen und anhand dessen Ihre Auskunft noch einmal zu überprüfen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dazu bin ich bereit, Herr Kollege.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Die zweite Zusatzfrage. Hat das Bundesverteidigungsministerium der OFD Kiel bzw. der
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Gansel
Staatsanwaltschaft in Kiel das Geheimschutzabkommen zur Verfügung gestellt und wann?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nach meiner Kenntnis haben wir das nicht zur Verfügung gestellt. Es ist aber entsprechend den Briefen, die Sie in Ihrer zweiten Frage hier zum Inhalt machen, beabsichtigt, es zuzustellen.
Zusatzfrage, Herr Bohl.
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Regierung Indiens bisher durch irgendeinen Vorfall in der Bundesrepublik Deutschland bezüglich dieses Geheimschutzabkommens beschwert?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dafür haben wir, Herr Kollege, keinerlei — keinerlei! — Hinweis.
Ich rufe Frage 15 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Trifft es zu, daß die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel im Oktober 1987 in diesem Zusammenhang „nach Bekanntwerden neuer Umstände", wie es in ihrer Presseerklärung vom 5. Januar 1988 heißt, mit einer Reihe von Fragen an das Bundesministerium der Verteidigung herangetreten ist, die noch nicht beantwortet worden sind, und ist die Bundesregierung bereit, die in § 353b Abs. 4 StGB zur Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung zu erteilen?
Bitte schön.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, mit Schreiben vom 16. Oktober 1987 wurde das Ministerium um Beantwortung einer Reihe von Fragen gebeten. Die Beantwortung dieser Fragen macht Abstimmungen zwischen den verschiedenen betroffenen Ressorts erforderlich. Deshalb wurden Zwischenmitteilungen gegeben. Die Antwort wird in den nächsten Tagen versandt werden. Wenn ein entsprechender Antrag vorliegt, wird die Bundesregierung pflichtgemäß prüfen, ob die erforderliche Ermächtigung zu erteilen ist.
Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, aus welchem Grunde eine Anfrage einer Staatsanwaltschaft in einer, wie wir vorhin erlebt haben, auch hochpolitischen Angelegenheit, die relativ einfache Fragen enthält, ein Vierteljahr braucht, um durch die Bundesregierung beantwortet zu werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, um, gerade weil es um eine hochpolitische Sache geht, gründliche Antworten zu geben und diese zwischen den Ministerien abzustimmen und auch das einzubeziehen, was im Ausschuß dieses Parlaments inzwischen erörtert und zu Protokoll genommen wurde, sehe ich diese Frist nicht als zu lang an. Ein Vierteljahr ist es nicht einmal im Kalender. Wenn wir wissen, daß ab später Mitte Dezember auch in den Ressorts die Ansprechpartner, die Fachleute nicht mehr da sind, sehe ich das nicht als zu lang an, wenn in den nächsten Tagen eine gründlich abgestimmte Antwort abgeht.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit — das frage ich in bezug auf diese Frage und auf die vorhergehende Zusatzfrage von Herrn Bohl — , sich im Zusammenhang mit der Erteilung Ihrer Antwort und der Abstimmung zwischen den Ressorts beim Bundesminister des Auswärtigen zu erkundigen, was der Vertreter des Auswärtigen Amtes dem stellvertretenden indischen Außenminister mitgeteilt hat, als er von diesem einbestellt und mit der Frage konfrontiert wurde, ob es zutreffend sei, daß an Südafrika die Pläne der U-Boote verkauft worden seien, die das Bundesunternehmen Howaldt und das Ingenieurkontor Lübeck vorher für Indien angefertigt hatten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich bin zu all diesem Nachlesen, Herr Kollege, bereit, aber ich mache mir die Unterstellung in der Frage nicht zu eigen.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Börnsen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei baulichen Schäden auf Grund von Tiefflügen von militärischen Luftfahrzeugen einen angemessenen Schadensersatz zu leisten, und wie beurteilt die Bundesregierung die Realisierbarkeit von objektiv berechtigten Ansprüchen, z. B. angesichts der Unmöglichkeit, für den Zeitpunkt eines Überschallfluges und der dabei eintretenden Schäden Zeugen benennen zu können?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Börnsen, wir sind grundsätzlich bereit, derartige Schäden zu regulieren. Dabei bestehen wir nicht, wenn entsprechende Forderungen angemeldet werden, auf einer juristisch detaillierten Beweisführung, beispielsweise hinsichtlich des exakten Schadenszeitpunktes, des Flugzeugtyps und der Nummer durch den Schädiger, was möglicherweise manchmal unterstellt wird. Vielmehr begnügen wir uns unter Berücksichtigung der auch uns bekannten Schwierigkeiten des Nachweises oder der Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang mit der Darlegung — nun benutze ich einen juristischen Begriff — der adäquaten Verursachung. Ich will diesen Begriff übersetzen: Das heißt, wir sehen den Entschädigungsfall schon dann für gegeben an, wenn dargelegt werden kann, daß es eine Wahrscheinlichkeit dafür gibt, daß der Schaden durch ein militärisches Luftfahrzeug verursacht wurde.
Sie fragen darüber hinaus nach den Überschallflügen. Hier haben wir uns — das ist viele Male in der Fragestunde erörtert worden — selbst enorme Auflagen gegeben, die ich jetzt im einzelnen nicht noch erörtern will.
Eine Zusatzfrage, Herr Börnsen.
Herr Staatssekretär, ist es dann zutreffend, daß Sie bei eingetretenen Schäden nicht den Nachweis eines Zeugen einfordern, der zu bezeugen hat, daß dieser Schaden im Moment eines Überfluges eingetreten ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn ein Überschallflug, auf den Sie im zweiten Teil der
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Parl. Staatssekretär Würzbach
Frage ja schwerpunktmäßig abheben, in vorschriftswidriger Form stattgefunden hat — tiefer, als wir es festgelegt haben — und ein Betroffener einen Schaden meldet, wobei er sagt, daß das damit zusammenhänge, ist festzustellen: Wenn es sich um ein einziges Haus handelt, bei dem beispielsweise das Dach abgedeckt worden ist, dann ist es geradezu unwahrscheinlich und technisch unmöglich, daß das auf den Überschallflug zurückzuführen ist. Das wäre eine lange Schneise, daß beträfe viele Häuser in einer Reihe und in einer großen Breite. Ein solcher Schaden kann nicht anerkannt werden.
Wenn es aber eine typische Angelegenheit ist — ich glaube, die Antwort war klar — , dann werden wir zahlen und den Schaden gutmachen, ohne daß durch Zeugen, durch Fotografien oder durch Uhrzeiten belegt werden kann, wer was verursacht hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Börnsen.
Gilt das auch — ich gehe dabei auf eine Formulierung ein, die Sie eben benutzten — bei dem Überfliegen des Schadensgebietes in erlaubter Weise, d. h. in erlaubter Höhe und erlaubter Geschwindigkeit? Denn auch dann können Schäden eintreten.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es gibt wissenschaftliche, bautechnische, statische Berechnungen, die das, was Sie soeben zur Grundlage Ihrer Behauptung gemacht haben, nicht stützen, Herr Kollege. Wenn in vorschriftsmäßiger Weise geflogen wird, treten auch bei einem Tiefflug, wo wir ja die Höhe festgelegt haben, in der mindestens geflogen werden muß, wo wir die Geschwindigkeit festgelegt haben, in der höchstens geflogen werden darf, keine Schäden ein, wenn das Bauwerk den technischen Bedingungen entspricht.
Jetzt rufe ich die Frage 17 des Abgeordneten Müller auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß über dem Naturpark Wattenmeer für militärische Übungsflüge eine Mindestflughöhe von 1 000 Meter gilt, während der Naturpark Pfälzer Wald und die daran angrenzenden Gebiete der Süd- und Vorderpfalz weiterhin dem militärischen Tiefflug unter 1 000 Meter ausgesetzt sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, die Mindestflughöhe von 3 000 Fuß — das entspricht etwa 1 000 m — wurde für Teile und eben nicht für das gesamte Gebiet des Küstenstreifens des Wattenmeeres verfügt, in dem ein besonders hohes Vogelschlagrisiko besteht und es damit sonst zu einer erheblichen Gefährdung nicht nur der dort lebenden Bevölkerung, sondern auch unserer Maschinen käme. Diese Regelung dient also der Erhöhung der Flugsicherheit und der Erhöhung der Sicherheit für die Bevölkerung und läßt sich deshalb nicht auf andere Naturparks — wonach Sie fragen — übertragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Müller.
Herr Staatssekretär, könnte man sagen, daß die zu begrüßende Schonung des Wattenmeers das Ergebnis eines Zusammenspiels von Druck des Abgeordneten und Kollegen Horst Jungmann einerseits und der Einsicht Ihres Ministers andererseits ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Müller.
Wären Sie, Herr Staatssekretär und Abgeordneter des meerumschlungenen Landes Schleswig-Holstein, bereit, eine Einladung anzunehmen, zu uns in die Pfalz zu kommen, um dort zu studieren, welcher Belastung die Bevölkerung, welcher Belastung die dortige Tierwelt ausgesetzt ist, und — um auf Ihre Antwort einzugehen — festzustellen, daß Vögel auch dort so hoch fliegen, daß sie von den Flugzeugen durchaus erfaßt werden könnten, so daß also auch die Flugzeuge gefährdet sein könnten? Wenn Sie erlauben, würde ich Sie bei dieser Gelegenheit gern bitten, die versprochene Liste vom Mai letzten Jahres über die Verstöße und Ahndungen mitzubringen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe in den letzten Jahren eine Reihe von Einladungen vieler Kollegen mehrerer Fraktionen zu gemeinsamen Besichtigungen solcher betroffenen Gebiete — daß es solche Gebiete gibt, haben wir nicht geleugnet — angenommen und werde dies ähnlich auch fortsetzen.
Nicht richtig ist, wenn Sie unterstellen, daß sich auf dem flachen Land, auf dem festen Land in einem Bereich genauso viele Vögel massiert bewegen, niederlassen, nisten und damit auch fliegen wie über dem Wattenmeer. Nicht bewiesen ist — eher ist das Gegenteil richtig — , daß Tiere durch tieffliegende Flugzeuge beeinträchtigt werden. Wie gesagt, eher ist das Gegenteil richtig: Wir haben hier häufig über die Karibus in Labrador gesprochen, wo wir nicht in einer Höhe von 75 Metern, sondern in einer Höhe von weniger als 30 Metern fliegen. Die Wissenschaftler haben festgestellt, daß das diesen Tieren nicht das geringste ausmacht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Büchner.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß z. B. im Voralpenraum — vielleicht aus anderen Gründen — ähnliche Ausnahmen gemacht werden, und in welchen Gebieten unseres Landes werden diesbezüglich weitere Ausnahmen gemacht?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt bestimmte Gebiete, in denen wir nicht fliegen, überhaupt nicht fliegen, und andere, in denen wir nicht tieffliegen.Ich will Ihnen hier nur ein paar Beispiele nennen, um den Rahmen der Fragestunde nicht zu sprengen: Wir fliegen nicht entlang der Grenze zur DDR — aus logischen Gründen, die ich hier, glaube ich, nicht nä-
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Parl. Staatssekretär Würzbachher erläutern muß. Wir fliegen nicht in der Nähe von Flugplätzen, zivilen wie militärischen. Wir fliegen nicht in der Nähe — das ist Ausgangspunkt Ihrer Frage — gefährlicher Täler, in die man mit großer Geschwindigkeit möglicherweise wie in einen Kessel hineinfliegt, so daß man scharfe Manöver machen muß, um da wieder herauszukommen. Ähnliche weitere Beispiele ließen sich anführen.
Herr Staatssekretär — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das geht nicht, Herr Kollege Büchner. Unsere Regel ist, daß Sie nur eine Zusatzfrage stellen können.
Daran müssen wir uns halten.
Das war's. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 16 des Abgeordneten Stiegler soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Jetzt kommen wir zur Frage 18 des Abgeordneten Toetemeyer:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in letzter Zeit — vor allem im Jahr 1987 — im Intercity-Verkehr der Deutschen Bundesbahn die Unpünktlichkeit der Züge die Regel und die Pünktlichkeit die Ausnahme waren, und in welcher Weise gedenkt sie auf den Vorstand der DB einzuwirken, damit dieser — vor allem die Geschäftsreisenden sehr verärgernde Zustand — umgehend abgeschafft wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, Ihre Feststellung, daß im Intercity-Verkehr der Deutschen Bundesbahn die Unpünktlichkeit die Regel und die Pünktlichkeit die Ausnahme war, trifft nach Aussagen der Deutschen Bundesbahn nicht zu. Der Pünktlichkeitsgrad betrug im Jahr 1987 80 %.
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich reise jeden Tag aus dem Wahlkreis nach Bonn an und möchte Sie fragen, wie Sie folgende private Statistik des Jahres 1987 bewerten würden: Bei 131 Fahrten mit dem Zug nach Bonn waren insgesamt 18 Züge pünktlich in Bonn. Das ist — nach oben aufgerundet — ein Wert von 14 %. Würden Sie diese private Berechnung eines Kollegen ernsthaft in Zweifel ziehen wollen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das habe ich nicht getan; dazu besteht auch überhaupt kein Anlaß. Ich habe von der Bundesbahn generell gesprochen, weil Sie nach der Bundesbahn generell gefragt haben. Generell gibt es einen Pünktlichkeitsgrad von 80 %. Ich bin aber gern bereit, dieser privaten Statistik nachzugehen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Glaubwürdigkeit der Angaben der Deutschen Bundesbahn Ihrem Haus gegenüber an Hand dieses Falles außerordentlich in Zweifel zu ziehen ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe Ihrer privaten Statistik nach. Aber ich würde nicht so weit gehen, wie Sie das gerade in der Frage getan haben.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß diese Unzulänglichkeiten in engem Zusammenhang mit der Überbelastung des Zugpersonals — das noch nicht einmal in der Lage ist, angeordnete Überstunden durch Freizeit auszugleichen — steht, und kann sie bestätigen, daß bis Mitte des Jahres 1987 wegen des Dienstanfalls 220 000 Resturlaubstage der Bediensteten nicht genommen werden konnten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der von Ihnen gesehene Zusammenhang zwischen Zugverspätungen und Mehrleistungen des Zugpersonals der Deutschen Bundesbahn trifft — ebenfalls nach Aussage der Deutschen Bundesbahn — nicht zu. Die Resturlaubstage des Zugpersonals beliefen sich Mitte 1987, also drei Monate nach Beginn des neuen Urlaubsjahres, nicht auf 220 000 Tage, sondern nur auf rund 16 000 Tage; das entspricht 0,6 Tage je Mitarbeiter. Der bisherige Verlauf der Abwicklung des Urlaubes aus dem neuen, von April 1987 bis März 1988 laufenden Urlaubsjahr läßt eine ähnliche Entwicklung wie in dem vorangegangenen Urlaubsjahr erwarten.
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hier muß ich ebenfalls nachfragen: Würden Sie es ernsthaft in Zweifel ziehen wollen, wenn Zugbegleitpersonal im Intercity Abgeordneten, die den Intercity-Zug benutzen, mitteilen — ich nenne nur ein Beispiel — , daß sie noch 10 Tage Resturlaub hätten, diesen aber nicht nehmen könnten, weil der Dienst das nicht zulasse?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es mag sein, daß es im Einzelfall solche Beschwernisse gibt. Ich habe Ihnen die nachprüfbaren Zahlen der Deutschen Bundesbahn genannt.
Ich schlage im übrigen vor, daß Sie die Fragestunde zum Anlaß nehmen, meine Aussagen Ihrerseits noch einmal zu überprüfen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Ich habe dazu keine Veranlassung.
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ToetemeyerWürden Sie mir zustimmen, daß es sinnvoll wäre, weil es eine große Verärgerung über den IntercityVerkehr nicht nur bei den Abgeordneten, sondern auch bei den Geschäftsreisenden gibt — Sie wissen, daß dies ein lukrativer Zweig der Deutschen Bundesbahn ist — und daß es ernsthafte Veranlassung gibt, darüber nachzudenken, und sind Sie bereit, meine kritischen Anfragen dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn zur Kenntnis zu bringen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, um 15 Uhr findet eine Sitzung mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn im Bundesverkehrsministerium statt. Ich komme Ihrer Aufforderung gern nach.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 20 des Abgeordneten Vahlberg und 24 des Abgeordneten Dr. Lippelt können wegen der nachher anstehenden Debatte über eine Regierungserklärung zum gleichen Thema nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien nur schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Vahlberg auf — der aber nicht im Raum ist. Es tut mir leid, daß Sie, Herr Staatssekretär, vergeblich gekommen sind. Ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Anwesenheit.
Die beiden Fragen 22 und 23 von Frau Wollny sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 der Abgeordneten Frau Ganseforth auf:
Welche Aufgaben soll die von der Bundesregierung vorgesehene Nationale Agentur im Rahmen der Weltraumaktivitäten erfüllen, und welche Organisationsform ist für diese Agentur vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Ganseforth, Ihre Frage 25 beantworte ich wie folgt.
Die vorgesehene Deutsche Agentur für Raumfahrt soll folgende Aufgaben wahrnehmen: Vertretung der deutschen Interessen in der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere in Gremien der ESA und durch Verbindung zu Raumfahrtorganisationen anderer Staaten, Vorbereitung der Raumfahrtplanung der Bundesregierung, einschließlich Mitgestaltung von ESA-Programmen — z. B. Ergreifen von Programminitiative, -prüfung und -kontrolle — und Zuarbeit bei der Vorbereitung von Entscheidungen der Bundesressorts; schließlich Durchführung von Programmen, und zwar die eigenverantwortliche Vergabe von Zuwendungen, auftraggeberseitiges Management von Projekten.
Die Agentur kann in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form errichtet werden als Bundesbehörde bzw. Bundesanstalt oder als GmbH. Welcher Organisationsform der Vorzug zu geben ist, ist noch nicht entschieden.
Eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.
Herr Staatssekretär, eine Zusatzfrage: Halten Sie es für richtig, eine neue Bürokratie zu schaffen, wo die Aufgaben, die Sie genannt haben, einerseits vom Ministerium selbst und andererseits von den bereits bestehenden Behörden, z. B. der DFVLR, wahrgenommen werden könnten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier nicht um eine neue Bürokratie, wie Sie sagen, sondern um eine Managementeinheit.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Frau Ganseforth.
Dann möchte ich die Frage wiederholen und das Wort „Bürokratie" ersetzen: Halten Sie diese Managementeinheit nicht für überflüssig, und können diese Aufgaben nicht von den bereits bestehenden Behörden wahrgenommen werden? Es geht mir dabei auch darum, zu wissen, ob diese neu zu bildende Managementabteilung einen großen Beschäftigungseffekt haben wird.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich Ihnen sagen, daß sowohl unsere inländischen Erfahrungen als auch die vergleichbarer anderer Länder in der westlichen Welt gezeigt haben, daß es ohne eine Managementeinheit der Auftraggeberseite nicht möglich ist, so große und auch teure Projekte, wie sie in der Raumfahrt anstehen, zu managen und ordentlich durchzuführen. Es ist deshalb für die Bundesrepublik Deutschland unerläßlich, eine solche Managementeinheit zu haben. Es geht dann um die Frage des Wie und Wo und Ob. Diese Frage ist nicht entschieden. Wir gehen davon aus, daß diese Managementeinheit so klein wie möglich, aber effektiv sein soll. Das bedeutet, sie muß flexibel gestaltet werden und Austausch von Personal aus dem Bereich der Wissenschaft, der Industrie und der Verwaltungen ermöglichen.
Ich rufe die Frage 26 von Frau Ganseforth auf:Nach welchen Kriterien wird der Standort ausgewählt, und wann fällt die Entscheidung darüber?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Entscheidendes Kriterium für die Wahl des Standortes der Agentur wird die Funktionalität sein, d. h. sie muß ihren Sitz an einem Ort haben, an dem sie ihren Aufgaben am besten gerecht werden kann. Ein Zeitpunkt für die Entscheidung, wo der Sitz sein soll, ist bis jetzt noch nicht festgelegt. Ich gehe aber davon aus, daß wohl im Laufe der ersten Hälfte dieses Jahres hier Konkretes sichtbar werden wird.
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3596 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.
Kann man annehmen, daß die Stadt Hannover diese Kriterien, die Sie eben genannt haben, erfüllt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben Bewerbungen — ich habe jetzt die genaue Zahl nicht im Kopf — von mindestens 40 Initiativen, wo diese Einheit angesiedelt sein soll; und Hannover gehört dazu. All diese Bewerbungen werden selbstverständlich mit in den Entscheidungsprozeß einbezogen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.
Ich bin an sich davon ausgegangen, daß sie alle mit einbezogen werden. Meine Frage ging aber mehr dahin, ob diese Kriterien, die Sie genannt haben, die ja nur sehr lose waren, auf eine sehr große Zahl dieser 40 Standorte zutreffen. Können Sie das bestätigen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich kann nichts bestätigen, weil der Entscheidungsprozeß über die Bewertung der Einzelkriterien nicht abgeschlossen und die davon abhängige Standortentscheidung ebenfalls noch in der Beratung ist.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Treffen Meldungen zu, wonach der Bundesminister für Forschung und Technologie in Verbindung mit der Deutschen Bundesbahn eine transrapid Magnetschwebebahn zwischen Essen und Mannheim bauen will?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wären Sie bereit, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu lassen?
Da muß ich Herrn Urbaniak fragen.
Ich bin bereit, der Herr Präsident sicherlich auch.
Dann rufe ich auch noch die Frage 28 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Liegen dem Bundesminister für Forschung und Technologie Erkenntnisse darüber vor, wann das Planfeststellungsverfahren hierfür eingeleitet werden kann und welcher Zeitraum bis zum abschließenden Baurecht vorgesehen ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ihre Fragen 27 und 28 beantworte ich wie folgt:
Meldungen dieser Art treffen nicht zu. Der Bundesminister für Forschung und Technologie plant nicht den Bau einer Magnetschnellbahnverbindung auf der Relation Essen—Mannheim.
Richtig ist, daß der Bundesminister für Forschung und Technologie in Abstimmung mit dem Bundesminister für Verkehr und der Deutschen Bundesbahn die Versuchs- und Planungsgesellschaft für Magnetbahnsysteme — kurz MVP genannt — im Rahmen der sogenannten Einsatzfelderstudie beauftragt hat, eine
Magnetschnellbahnverbindung im Korridor Köln—Frankfurt zu untersuchen, und zwar um sie mit der entsprechenden Rad-Schiene-Planung der Deutschen Bundesbahn für diese Relation vergleichen zu können.
In dieser MVP-Studie wurden mit mehr orientierendem Charakter auch zwei Langvarianten von Essen über Köln und Frankfurt nach Mannheim betrachtet, um aufzuzeigen, welchen Einfluß eine größere Ausdehnung der Magnetbahnstrecke auf die Ergebnisse einer vergleichenden Bewertung hat.
Die MVP-Studie wird in Kürze fertiggestellt und veröffentlicht. Bezüglich des Inhalts möchte ich dieser Veröffentlichung heute nicht vorgreifen.
Damit ergibt sich die Beantwortung der Frage 28 automatisch.
Eine Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, dann kann ich davon ausgehen, daß diese Meldung eine Zeitungsente war und sich die Planungsstudie auf den Raum Köln—Frankfurt konzentriert?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Derzeit ja. Wir haben einen Zeithorizont bis etwa Sommer dieses Jahres, in dem man entscheiden kann, ob so etwas überhaupt möglich ist. Das hängt von dem Zeithorizont der Einsatzfähigkeit der Magnetschwebetechnik ab. Das hängt aber auch von der Möglichkeit ab, RadSchiene- und Schwebetechnik verkehrstechnisch sinnvoll verbinden zu können. Die Entscheidung hierüber ist nicht gefallen. Hier gibt es einige kritische Anmerkungen. Wenn das nicht positiv entschieden werden sollte, schließt das natürlich nicht aus, daß weitere Referenzstrecken vorgeschlagen, diskutiert und untersucht werden.
Zweite Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Herr Staatssekretär, Sie schweben zur Zeit, das ist verständlich.
— Sie schweben in dieser Frage hoffentlich nicht zu weit von der Realität weg. — Kann ich denn davon ausgehen, daß die Bundesregierung Vorstellungen hat, große Wirtschaftsräume mit diesem leistungsfähigen Verkehrssystem zu verbinden, also den großen nordrhein-westfälischen Wirtschaftsbereich, Ruhrgebiet und Köln mit Frankfurt und Mannheim, und daß Sie eine solche Perspektive für die Weiterentwicklung auch tatsächlich verfolgen?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat das zwar im Hinterkopf, sie weiß aber, daß das großräumige und weit entfernt liegende Gedankenflüge sind. Das Entscheidende ist, daß die Systemtechnik Magnetschwebebahn so vervollständigt werden kann, daß sie auf einer Referenzstrecke getestet werden kann. Es ist keine Frage, daß die Magnetschwebetechnik eine sehr, sehr wichtige Aufgabe zwischen Bundesbahn und dem Flugverkehr ha-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3597
Parl. Staatssekretär Dr. Probstben wird, zumal die Flugdichte im Inland so hoch ist, daß eine Entlastung notwendig wird. Die Zeithorizonte sind allerdings oft zu optimistisch — vielleicht bezeichnen Sie das als Höhenflug — bewertet, und zwar auch in den Medien.
Dritte Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Wenn Sie von einer Referenzstrecke sprechen, mit der der Nachweis erbracht werden soll, daß ein solches System beim Transport von Menschen und Gütern tatsächlich leistungsfähig ist: Wann, meinen Sie, würde eine solche Einrichtung überhaupt realisiert werden und dem allgemeinen Publikum und der verladenden Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden können?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß eine Studie über den zweckmäßigen Einsatz einer Referenzstrecke in einem Zeithorizont von ein paar Jahren fertig sein kann. Ich hoffe, daß die Technik dann so weit ausgereift ist, daß auch mit dem Bau begonnen werden kann.
Letzte Zusatzfrage, Herr Urbaniak.
Meinen Sie „ein paar Jahre" mittelfristig, so wie wir Haushaltspläne aufstellen, oder haben Sie da einen anderen Zeithorizont?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich habe den Zeithorizont, daß wir im Sommer oder Frühherbst zu einer Entscheidung kommen müssen, ob diese Referenzstrecke die Rheinschiene sein kann und ob das zeitlich, wirtschaftlich und technisch machbar ist.
Wenn die Entscheidung gefallen ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ist sie positiv; dann haben wir den Referenzstreckenbeschluß. Wenn sie negativ ist, dann muß sofort mit der Untersuchung einer möglicherweise anderen Referenzstrecke begonnen werden. Hier besteht ein Engpaß, der parallel zur technischen Entwicklung verläuft.
Jetzt kommt Herr Cronenberg zu einer Zwischenfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß als Referenzstrecke, insbesondere unter Berücksichtigung der von Ihnen angesprochenen Möglichkeit der Verbindung von Flughäfen, auch Hannover—Hamburg in der ernsthaften Diskussion ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es sind so viele Vorschläge für Referenzstrecken gemacht worden, daß ich sie gar nicht alle im einzelnen aufzählen möchte. Auch die von Ihnen genannte Strecke ist genannt.
Hoffentlich bleiben Sie so magnetisch, daß Sie Ihre Bodenhaftung dabei behalten.
Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung für etwa 10 Minuten bis zum Beginn der Plenarsitzung mit der Regierungserklärung.
Ich setze die unterbrochene Sitzung fort.Zunächst einmal habe ich die Freude, Geburtstagsglückwünsche aussprechen zu können, und zwar dem Abgeordneten Willy Brandt — er feierte am 18. Dezember seinen 74. Geburtstag — und dem Abgeordneten Gerstein — er feierte am 11. Januar seinen 60. Geburtstag. Das Haus gratuliert sehr herzlich.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1566 in verbundener Debatte zusammen mit der Regierungserklärung auf die Tagesordnung zu setzen. Darüber hinaus soll die verbundene Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vollzug des Abfallgesetzes — Drucksache 11/1624 —4. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung : Antrag auf Genehmigung der Fortsetzung eines Strafverfahrens — Drucksache 11/1567 —5. Aktuelle Stunde: Äußerungen des Bundesministers für Wirtschaft zur Schließung des Stahlstandortes Rheinhausen6. Aktuelle Stunde: Erhöhung der Neuverschuldung im Bundeshaushalt 1988 — Realistische Darstellung der Lage der BundesfinanzenIch gehe davon aus, daß das Haus mit diesem Verfahrensvorschlag einverstanden ist. — Das ist offensichtlich der Fall. So ist dies beschlossen.Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN „Bewerbung der Bundesrepublik Deutschland für das Europäische Markenamt mit Standort München-Haidhausen", Drucksache 11/1011, nachträglich dem Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen. — Hiergegen erhebt sich kein Widerspruch. So ist auch das beschlossen.Ich rufe nunmehr die Zusatzpunkte 1 und 2 zur Tagesordnung auf:Abgabe einer Erklärung der BundesregierungDie Behandlung schwach- und mittelaktiver Abfallstoffe aus Kernkraftwerken im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Firma Transnuklear GmbHBeratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses— Drucksache 11/1566 —Meine Damen und Herren, interfraktionell gibt es eine Vereinbarung. Eine gemeinsame Beratung dieser Zusatzpunkte zur Tagesordnung von 90 Minuten ist vorgesehen. — Widerspruch erhebt sich nicht.Das Wort hat der Herr Minister Töpfer.
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3598 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die skandalösen Ereignisse um die Firma Transnuklear haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verläßlichkeit, in die Zuverlässigkeit der Menschen erschüttert, die mit Kernenergie umgehen.
Finanzielle Manipulation in Millionenhöhe, Vorwürfe der Bestechung und der Bestechlichkeit selbst von Strahlenschutzbeauftragten in Kernkraftwerken sowie Mißachtung von Rechtsvorschriften sind sichtbar geworden.Es ist daher verständlich, daß viele Mitbürger immer drängender fragen, ob diese Erkenntnisse, die von Staatsanwaltschaft und Behörden durchaus unter aktiver Mithilfe von betroffenen Unternehmen der Kernenergie zutage gefördert wurden, nicht bloß die Spitze eines Eisberges darstellen. Sie fragen, ob bei aller Gewährleistung von Sicherheit in der Technik die Kernenergie nicht doch die Grenze ihrer Verantwortbarkeit in der Fehlerhaftigkeit des Menschen gefunden hat. Besondere Zuverlässigkeit, zu Recht als Anforderung an die mit Kernenergie beschäftigten Menschen im Atomgesetz gefordert, erweist sich in diesem Fall als brüchig, bei einer Technik, die verheerende Folgen haben kann, wenn sie nicht sicher beherrscht wird. Fraglich geworden ist wiederum die Fähigkeit des Menschen zur Verantwortung im Umgang mit unseren wachsenden Erkenntnissen über die Bausteine des Lebens, die sich im technologischen Fortschritt niederschlagen. Bestechlichkeit von Menschen ist geradezu die Konkretisierung der Besorgnis, die ethische und moralische Kraft der Menschen reiche nicht mehr aus, um die zuwachsenden technischen Möglichkeiten zu verantworten.Diese Besorgnisse und Befürchtungen, ja diese Ängste in der Bevölkerung nimmt die Bundesregierung außerordentlich ernst. Es muß daher tief geschnitten werden, wenn Vertrauen wiedergewonnen werden soll. Und dennoch: Gerade in Kenntnis dieser Besorgnisse in der Öffentlichkeit ist mit Sachverstand und Nüchternheit, also in rationaler Bewertung der Fakten und der daraus abzuleitenden Konsequenzen zu handeln. Dies hat die Bundesregierung in den letzten vier Wochen getan.
Natürlich war abzusehen, daß auch als Antwort auf die skandalösen Vorgänge um Transnuklear verstärkt die Forderung erhoben würde, die einzige angemessene und sachgerechte Antwort auf die neu erkannten — diesmal menschlichen — Risiken im Umgang mit dieser Energietechnik sei der Ausstieg. Die Bundesregierung hat demgegenüber stets die Auffassung vertreten und danach gehandelt, daß die Konsequenz aus erkannten Risiken technischen Fortschritts nicht der Ausstieg sein kann. Für eine Bewältigung der vor uns liegenden Probleme in unserem Lande und weltweit ist vielmehr die höhere Sicherheit bei der Nutzung der Technik die einzig vertretbare Konsequenz.
Dies gilt auch dann, wenn — wie in diesem Fall —nicht Technik versagt hat, sondern der Mensch in seiner Unzulänglichkeit Ausgangspunkt des Skandals gewesen ist.Die Bundesrepublik Deutschland hat zudem diese Verpflichtung nicht nur für sich selbst zu tragen. Sie muß vielmehr auch einen entscheidenden Beitrag für die internationale Sicherheitspartnerschaft beim Umgang mit dieser Technik leisten.
Um nicht mißverstanden zu werden: Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland haben natürlich auch ihren Beitrag zu leisten für das Einsparen von Energien und für die Entwicklung neuer Energietechniken. Nachhaltige Kraftanstrengungen zur Verbesserung des Sicherheitsstandards, aber auch der Vorkehrung gegen menschlichen Irrtum oder gegen bewußtes Fehlverhalten — aus welchen Gründen auch immer — waren und sind daher Maßstab für unsere Verantwortung bei der Nutzung der Kernenergie und sicherlich auch gegenüber anderen neuen und zu entwickelnden Technologien.
Notwendig ist, den Menschen als Unsicherheitsfaktor bei der verantwortlichen Nutzung moderner Technologien zu akzeptieren. Wir können und wollen auch bei Kernenergie, aber auch bei Gentechnologie und anderen modernen Technologien den Menschen nicht das Grundrecht auf Irrtum absprechen, ebensowenig wie wir den moralisch neuen Menschen dafür unterstellen.Sichergestellt werden muß vielmehr durch Organisation und Kontrolle, daß der immer wieder fehlerhafte Mensch durch sein Handeln keine Gefahren für Mensch und Umwelt auslösen kann. Um es ganz konkret zu sagen: Menschliches Fehlverhalten — wie immer begründet — muß in der Redundanz und Diversität, muß also im Vier-Augen-Prinzip, in der staatlichen Kontrolle aufgefangen werden. Der Ruf nach dem Ausstieg allein — bezogen auf die Kernenergie — wird dieser grundsätzlichen Anforderung an das Verhältnis von Individuum, Staat und Gesellschaft im Umgang mit modernen Techniken nicht gerecht werden.
Sicherlich sind diese rationalen Überlegungen in einer zu Recht hochsensibilisierten Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem Bestechungsskandal um die Firma Transnuklear schwerer zu verdeutlichen als das Aufgreifen einer emotionalen Grundstimmung.Nach wie vor muß die Eigenverantwortung der in der Kernenergie Tätigen immer wieder eingefordert werden. Und so ist es ganz selbstverständlich, daß auch in diesem Zusammenhang vor Pauschalverurteilungen — so skandalös und schwierig sie auch sind — dringend zu warnen ist. Tausende und Abertausende arbeiten seit vielen Jahren mit hohem Verantwortungsbewußtsein und hoher fachlicher Qualität in der deutschen Kernenergie. Diese Menschen sind in der Vergangenheit durch die Vorgänge um Transnuklear in besonderer Weise betroffen; sie sind unberechtigt in einen Strudel genereller Verunglimpfungen, Ver-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3599
Bundesminister Dr. Töpferdächtigungen und moralischer Fragwürdigkeit hineingezogen worden.
Die Bundesregierung stellt sich vor diese Mitarbeiter in der Kernenergie. Sie dankt ihnen für ihre verantwortungsbewußt erbrachte Leistung in der Vergangenheit.
Neues Vertrauen in der Bevölkerung ist nur durch entschlossenes, notfalls auch hartes Handeln wiederherzustellen. Aber, meine Damen und Herren, wer dies gegenüber denen, die gefehlt haben, mit aller Klarheit tut, ist auch verpflichtet, bei denen, bei denen das nicht der Fall ist, zu sagen: Wir stellen uns für sie auf die Barrikaden.
Vertrauen wird nur erwartet werden können, wenn nichts verheimlicht und bagatellisiert, sondern wenn offen informiert und bewertet wird.
Information und schnelles, konsequentes Handeln waren und sind daher auch die Anforderungen an die Bewältigung des Transnuklear-Skandals.Für die Bundesregierung gab es nach der Erkenntnis, daß bei Transnuklear auch nuklearspezifische Verstöße vorgekommen sind, deswegen drei Handlungsaufgaben: erstens kurzfristige Ermittlung, ob mit diesen Vorgängen eine akute Gefährdung für Mensch und Umwelt verbunden ist, sowie Aufklärung und Information über Ablauf und Ausmaß der Vorgänge, zweitens direkte Konsequenzen für die Behandlung schwach- und mittelradioaktiver Abfallstoffe aus Kernkraftwerken und deren staatliche Kontrolle und drittens mögliche Konsequenzen für die Bewältigung der Entsorgungsaufgabe in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt.Die Bundesregierung hat auf allen drei Ebenen unmittelbar gehandelt.Zum ersten: Überprüfung möglicher Auswirkungen. Folgende Maßnahmen sind ergriffen worden:Erstens. Unmittelbar nach Bekanntwerden hat der Bundesumweltminister die Länder beauftragt, Außenmessungen in den Faßlagern und insbesondere bei den aus Belgien zurückgelieferten Fässern vorzunehmen. Alle betroffenen Bundesländer haben gemeldet, daß die Außenstrahlung im Rahmen der Genehmigungswerte verbleibt, so daß insofern eine Gefährdung von Mitarbeitern oder Umgebung ausscheidet. Das heißt nicht bagatellisieren, sondern nach Fakten informieren, meine Damen und Herren.
— Ich muß ganz ehrlich sagen, ich halte diese Aufgabe und das, was damit verbunden ist, wirklich für soernst, daß man an dieser Stelle tatsächlich einmal denAblauf einer Rede abwarten sollte, bevor man durch Zwischenrufe Meinungen und Wertungen abgibt.
Ich verstehe dieses Haus auch darin, daß man dies durch Diskussionen in geordneter Form weiterführt. Ich bin dazu gerne bereit.
Zweitens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar gehandelt und die bestehenden Beförderungsgenehmigungen der Firma Transnuklear suspendiert sowie die Vergabe neuer Genehmigungen untersagt.Drittens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt, Transnuklear zu untersuchen, insbesondere bezüglich der Organisationsabläufe, der internen Kontrolle und der Buchführung. Als erste Aufgabe wurde dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen die Überprüfung der unternehmerischen Verflechtungen, insbesondere bezüglich der Tochtergesellschaft Nukleare Transportleistung, aufgetragen. Die Ergebnisse dieser Überprüfung sind meinem Ministerium vor zwei Tagen mitgeteilt worden. Sie ergeben keine Grundlage für die Entziehung der bestehenden Transporterlaubnis für NTL. Ich habe jedoch sichergestellt, daß Umgehungsgeschäfte von TN über NTL nicht vorgenommen werden können.
Ich habe darüber hinaus sichergestellt, daß diese Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in unserem Auftrag diese Untersuchung auch auf die Firma NUKEM ausdehnt.
Viertens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar Kontakt zur belgischen Regierung aufgenommen mit dem Ziel, die dort verfügbaren Informationen direkt in die Bewältigung dieses Vorgangs in Deutschland einzubeziehen. Eine belgisch-deutsche Expertengruppe arbeitet an dieser Aufgabe und wird den in Belgien bereits erstellten Zwischenbericht weiter konkretisieren.Fünftens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar in Wahrnehmung der Bundesaufsicht die Bundesländer auf politischer Ebene und auf Fachebene bei der Erarbeitung der notwendigen Maßnahmen herangezogen und deren Umsetzung veranlaßt.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zur Bundesaufsicht sagen. Diejenigen, die auch nur die vage Möglichkeit einer bundesaufsichtlichen Weisung etwa zu Kalkar als eine — ich zitiere — „Kriegserklärung an den Föderalismus" bewerten, sollten in diesem Falle nicht mit faszinierender Unbekümmertheit den Verzicht auf eine präventive Weisung bei schwach- und mittelradiokativen Abfallstoffen beklagen.
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3600 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Bundesminister Dr. TöpferMeine Damen und Herren, lassen Sie mich auch das hinzufügen: Wenn die SPD einen Untersuchungsausschuß hier im Bundestag mit beantragt, so muß sie sich sicher fragen lassen, warum sie das gleiche Instrument im Bundesland Hessen ablehnt,
in dem Bundesland, das über Jahre hinweg verantwortliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für Transnuklear gewesen ist,
gerade auch in den Jahren, in denen diese Bestechungen und Manipulationen erfolgten.Sechstens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar über die Länder die in deutschen Zwischenlagern vorhandenen Fässer aus Belgien ermitteln lassen. Die dabei aufgetretenen Unstimmigkeiten bei den Zahlen der Fässer waren zum Teil — ich betone extra: zum Teil — von der Sache her begründet, da etwa auch Abfälle, die in Mol nicht konditioniert werden können, zur entsprechenden Bearbeitung z. B. an das Kernforschungszentrum in Karlsruhe geliefert wurden und dort konditioniert wurden. Von diesen Fässern, die in Karlsruhe konditioniert wurden, gibt es rund 600 in den Zwischenlagern.Siebtens. Der Bundesumweltminister hält in Abstimmung mit der Hessischen Landesregierung engen Kontakt zur ermittelnden Staatsanwaltschaft.Achtens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar veranlaßt, daß die aus Belgien zurückgelieferten Fässer überprüft werden, sowohl bezüglich der Begleitpapiere als auch durch zerstörungsfreie und zerstörende Untersuchung dieser Fässer.Neuntens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar eine allgemeine umfassende Bestandserfassung der in Zwischenlagern der Bundesrepublik Deutschland liegenden Abfallstoffe veranlaßt.Zehntens. Der Bundesumweltminister hat unmittelbar gehandelt, auch dort, wo Gerüchte zu verfolgen waren. Er hat alle Störfallmeldungen und Revisionsberichte aus dem Zeitraum Anfang bis Mitte der 80er Jahre dahin gehend überprüfen lassen, ob Hinweise auf die Freisetzung von spaltbarem Material vorliegen, das möglicherweise unter Einsatz von Bestechungsgeldern nach Belgien verbracht wurde. Nach wie vor wird dieses von der belgischen Regierung ebenso wie von den Bundesländern nicht bestätigt.Zweiter Teilbereich: Die Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden, beschränkten sich jedoch nicht auf die Aufdeckung dieses Skandals in der Firma Transnuklear. Weitere Konsequenzen für die Kontrolle der Abfallstoffe sind vorgenommen worden, und zwar folgende: Erstens. Pflicht zur Anzeige jedes derartigen Transports spätestens 48 Stunden vor Absendung. Zweitens. Klare Meßprotokolle für Gamma- und Alphastrahlung vor Absendung der Abfälle und Dokumentationspflicht. Drittens. Entnahme von Proben und deren Aufbewahrung zur jederzeitigen Überprüfung. Viertens. Intensivierte Stichproben. Fünftens. Dokumentation der Transportvorgänge.Über diese Konsequenzen für die Kontrollen hinaus wurde über die Entsorgungsstruktur selbst wie folgtentschieden: Erstens. Behandlung der Abfallstoffe soweit wie möglich beim Verursacher, also im Kernkraftwerk. Zweitens. Dadurch Minimierung der Transportvorgänge und somit Minimierung der Manipulierbarkeit. Drittens. Schaffung von zentralen Behandlungseinrichtungen für schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe in der Bundesrepublik Deutschland selbst, vornehmlich von Verbrennungsanlagen. Viertens. Verstärkte Anstrengungen zur Verminderung kontaminierter Abfälle. Fünftens. Konditionierung für die Zwischenlagerung von vornherein unter den Bedingungen der Endlagerfähigkeit.Ich betone nachdrücklich, daß diese neue Kontrollstruktur und diese technischen Anforderungen generell und nicht nur für die von der Firma Transnuklear beförderten Abfälle gelten. Die Kraftwerksbetreiber haben die technische Umsetzung zu unserer Überprüfung vorzulegen. Wir wollen die Betreiber von Kernkraftwerken nicht aus ihrer Verantwortung für die Behandlung der Abfallstoffe vor dem Endlager entlassen. Der Staat kann nicht zum wohlfeilen Ausfallbürgen bei privaten Mißständen werden.Die Überprüfung, die der Bundesumweltminister eingeleitet hat, bezieht sich keineswegs nur auf die Fragen der Radioaktivität. Mit gleichem Nachdruck habe ich die Überprüfung der Gasbildung in Fässern der Zwischenlager in die Wege geleitet. Nach unserer gegenwärtigen Kenntnis ist diese Gasbildung auf das Vorhandensein von organischen Substanzen, dabei auch auf chlorierte Verbindungen, wie sie für Lösemittel kennzeichend sind, zurückzuführen. Ich halte dies für eine sehr gravierende Erkenntnis und habe deswegen direkte Maßnahmen veranlaßt:In Ergänzung der Maßnahmen von Landesaufsichtsbehörden werden weitere Überprüfungen in der Kernforschungsanlage Jülich in meinem Auftrag durchgeführt. Ich habe eine Spurenanalyse der sich bildenden Gase veranlaßt. Bereits jetzt stelle ich jedoch unmißverständlich fest, daß Fässer mit derartigen Inhaltsstoffen nicht den Anforderungen an die Endlagerung entsprechen.
Ich schließe bewußt nicht aus, daß über diese bereits in der Umsetzung befindlichen Maßnahmen hinaus weitere grundsätzliche Änderungen vorgenommen werden müssen.
Deutlich geworden ist für mich bei der Bearbeitung dieses Skandals um Transnuklear, daß die Bundesaufsicht ihren Verpflichtungen nur gerecht werden kann, wenn sie dafür personell entsprechend ausgerüstet ist. Es geht nicht um eine Veränderung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern; bei gegebener Zuständigkeit kann aber die Bundesaufsicht nur wirksam eingesetzt werden, wenn sie über kontinuierliche aktuelle Informationen verfügt. Ich habe daher Verständnis für die Forderung nach einem Bundesamt für Strahlenschutz. Das Bundeskabinett hat heute morgen diese meine Meinung bestätigt.
Drittens und abschließend:
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3601
Bundesminister Dr. TöpferDie Bundesregierung ist sich bewußt, daß mit dem Skandal um Transnuklear, mit den erkannten Lücken und Schwächen bei der Behandlung schwach- und mittelradioaktiver Abfallstoffe das Entsorgungskonzept insgesamt in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt ist. Dies ist nicht nur verständlich, sondern auch durchaus zu begrüßen; denn es gibt keinen Zweifel daran, daß noch umfangreiche und durchaus schwierige Arbeiten bewältigt werden müssen, bis das integrierte Entsorgungskonzept verwirklicht ist.Dies gilt für das Planfeststellungsverfahren zum Schacht Konrad ebenso wie für die Erkundung und den dann möglichen Ausbau des Salzstocks in Gorleben. Dies gilt für die Nutzung der Zwischenlagerkapazität bei abgebrannten Brennelementen. Auch bei dieser schweren Aufgabe sucht und nutzt die Bundesregierung die Zusammenarbeit im internationalen Rahmen.Die Tatsache aber, daß sich Menschen als bestechlich erwiesen haben, stellt die technische Verwirklichung der einzelnen Bausteine des Entsorgungskonzepts, das 1979 vom Bundeskanzler und allen Ministerpräsidenten einvernehmlich beschlossen worden ist, nicht in Frage. Es geht nicht um ein „Weiter so", es geht um eine rationale Bewältigung der Entsorgungsaufgabe,
die in der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von jeglicher parteipolitischer Zugehörigkeit bewältigt werden muß,
weil wir gemeinsam bereits seit 30 Jahren Kernenergie nutzen und dabei Abfallstoffe entstanden sind.
Die früheren Prognosen für den Ausbau der Kernenergie sind nicht eingetreten. Wir haben daher für die Umsetzung des integrierten Entsorgungskonzeptes mehr Zeit gewonnen. Wir stehen also nicht, wie von Kritikern immer wieder unterstellt, unter einem Zeitdruck,
der eine Zurückstellung von Sicherheitsbedenken aus einem Entsorgungsnotstand heraus besorgen ließe. Die Bundesregierung sucht, wo immer möglich, meine Damen und Herren, eine breite Gemeinsamkeit bei der technischen und rechtlichen, aber auch bei der sozial verträglichen Verwirklichung eines nationalen Entsorgungskonzeptes.
Es ist für mich nicht verantwortbar, über dem Ruf nach Ausstieg die unumgängliche Notwendigkeit einer Entsorgung zu vergessen, die für diese und vielekommende Generationen keine Gefährdungen für Mensch und Umwelt befürchten läßt.
Dies, meine Damen und Herren, ist und bleibt unsere Verpflichtung.
Die Bundesregierung ist entschlossen, dieser Verpflichtung in Verantwortung gerecht zu werden.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Töpfer, was ich an Ihrer Regierungserklärung kritisiere, hat wenig mit dem zu tun, was Sie gesagt haben, aber viel mit dem, was Sie verschwiegen haben. Diese Regierungserklärung verschweigt erheblich mehr, als sie ausspricht.
Das erste: Sie verschweigen, daß nicht nur Transnuklear, sondern eine ganze Industriebranche mit erheblicher krimineller Energie das Atomgesetz und bestehende Sicherheitsvorschriften verletzt haben.
Dies ist, meine Damen und Herren, der größte Vertrauensskandal einer Industriebranche in der Geschichte der Bundesrepublik.
Wer meint, das auf Transnuklear beschränken zu können, der verharmlost und verdrängt das Problem. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Die Verantwortung dafür liegt in erster Linie bei den Vorständen und den Aufsichtsräten, nicht bei den dort Beschäftigten.
Zweitens. Sie verschweigen, daß bis zur Stunde völlig unklar ist, wohin und wofür die 21 Millionen DM Schmiergelder gezahlt wurden. Ganz offensichtlich stehen da noch einige Überraschungen ins Haus.
Warum haben Sie hier kein Wort dazu gesagt, was in Mol tatsächlich passiert ist? Oder wollen Sie das möglicherweise gar nicht wissen, was dort passiert ist?
Was bis jetzt bekannt ist, ist — ich bin sicher — die Spitze des Eisbergs.Dritten. Sie verschweigen in Ihrer Regierungserklärung, daß das Atomgesetz mindestens in zweifacher Hinsicht verletzt wurde. Es verlangt von allen, die mit
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3602 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Dr. Hauffradioaktivem Material umgehen, nicht nur in kerntechnischen Anlagen, daß „keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit ergeben" . Soweit das Atomgesetz. Diese Zuverlässigkeit, die gesetzlich gefordert ist und die keinen Ermessensspielraum zuläßt, ist ganz offensichtlich weder bei Transnuklear noch bei Nukem, noch bei den Kernkraftwerken gegeben, die die besonderen Dienste von Transnuklear in Anspruch genommen haben, es sei denn, diese Einrichtungen weisen zweifelsfrei nach, daß sie mit den Machenschaften von Transnuklear nichts zu tun hatten.
— Ja, das ist eine Bringschuld nach dem Gesetz, in der Tat, Herr Laufs. Das ist eine Bringschuld der Betreiber.
Das zweite. Der Betrieb von Kernkraftwerken ist nach dem Atomgesetz nur zulässig, wenn die radioaktiven Abfälle geordnet beseitigt werden. Um das zu konkretisieren — Sie haben es ausgesprochen —, wurden 1979/80 die Entsorgungsgrundsätze beschlossen. Diese Grundsätze aber, Herr Minister, knüpfen Betriebsgenehmigungen an „Fortschritte bei der Verwirklichung des Entsorgungskonzepts", so wörtlich. Wir stellen heute fest, daß diese Fortschritte so, wie man 1979/80 gehofft hat, nicht eingetreten sind. Das Zwischenlager in Ahaus ist nicht gebaut. Das Zwischenlager in Gorleben hat bis zur Stunde keine rechtlich bestandskräftige Genehmigung. Das Lager Asse ist gerichtlich gestoppt. Die Schachtanlage Konrad ist bei der Genehmigungsbehörde auf erhebliche Bedenken gestoßen. Das Endlager Gorleben ist in seiner Eignung, zumal nach dem letzten Unfall, ungesichert. Alternative Standorte zu Gorleben zu untersuchen, wie wir das immer gefordert haben, weigert sich nach wie vor die Niedersächsische Landesregierung; es weigern sich auch andere Regierungen. Für den aus dem Ausland 1992 zurückkommenden radioaktiven Atommüll gibt es nach den Entsorgungsgrundsätzen und dem Atomgesetz verlangte Endlager nicht. Das sind Fakten.Sie fordern in Ihrer Regierungserklärung Nüchternheit. Richtig, hier bei diesen Fakten wäre in der Tat Nüchternheit angebracht gewesen. Wer angesichts dieser Sachlage behauptet, die Entsorgung in der Bundesrepublik sei gesichert, der täuscht die Öffentlichkeit und der gaukelt etwas vor, was in Wahrheit nicht vorhanden ist.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte im Zusammenhang reden.Es gibt in Wirklichkeit keinen Fortschritt bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Die Hoffnungen, die wir in den Jahren 1979 und 1980 hatten, haben sichnicht erfüllt, weil die Probleme sehr viel ernster und schwieriger sind, als wir damals angenommen haben, wahrscheinlich einige davon sogar unlösbar sind.
All das verschweigen Sie, und deswegen muß ein Untersuchungsausschuß her. Als im Jahre 1985 einige Länder u. a. das Bundesland Hessen, auf die desolate Lage der Entsorgung hingewiesen und eine Bestandsaufnahme gefordert haben, wurde das ausweislich des Protokolls vom Herrn Bundeskanzler mit dem Kommentar versehen: „Kein Handlungsbedarf. " Meine Damen und Herren, das war bereits 1985 verantwortungslos, und es zeigt, daß dieser Bundeskanzler diese Schicksalfrage nicht wirklich ernst nimmt.
Der Atommüllskandal hat das Vertrauen zerstört, daß die Verantwortlichen der, wie sie sich selbst nennen, „nuklearen Gemeinde" mit gefährlichen, todbringenden, zeitlich unkalkulierbaren Risiken verantwortlich und behutsam umgehen. Kaum ein Mensch, ich auch nicht, hätte gewagt zu glauben, daß dieses Vertrauen so mit Füßen getreten würde, wie das ein ganzer Industriezweig getan hat.Wir Sozialdemokraten werden nicht zulassen, daß jetzt wieder, wie nach Tschernobyl, die regierungsamtliche Verdrängungsmaschine in Betrieb gesetzt wird. Seien Sie doch endlich ehrlich, hören Sie auf mit der Schönfärberei bei der Entsorgung! Geben Sie doch zu, daß his jetzt keine Lösung in Sicht ist, den 1992 aus Frankreich zurückkommenden hochgiftigen Atommüll dann schadlos so endzulagern, wie die Entsorgungsrichtlinien das verbindlich vorschreiben. Das Maß an Unsicherheit bei der Entsorgung ist unerträglich geworden.Für mich wird Tag für Tag dreierlei klarer: Ein verantwortlicher Umgang mit der Kernenergie verlangt erstens ein Ausmaß an technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherheit, das die Atomkraft unwirtschaftlich machen wird; zweitens einen Umfang an staatlicher Kontrolle, der die Grenze zum Überwachungsstaat überschreiten wird; drittens — für mich das Wichtigste — einen Anspruch an die moralische Integrität und Zuverlässigkeit aller Menschen, die mit Atomkraft umgehen, der so nicht erfüllbar ist, meines Erachtens sogar unmenschlich ist.
Das sind einige der ganz grundsätzlichen Fragen, die mit diesem Atommüllskandal aufgeworfen sind.
Auch diese Fragen müssen in dem Untersuchungsausschuß geklärt werden. Darauf müssen wir Antworten finden. Das darf, bitte schön, nicht diffamiert werden als eine „emotionale Grundstimmung" ; ein böses Wort in Ihrer Regierungserklärung.
Es sind vielmehr notwendige Klärungen erforderlich.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3603
Dr. HauffEs wäre redlich, wenn wir wenigstens jetzt endlich die Kraft aufbrächten zum „Innehalten und zur Selbstüberprüfung",
so wie der Bundespräsident das nach Tschernobyl formuliert hat. Er hat gesagt — ich zitiere ihn — :Das Energieproblem gehört zum Kern der Überlebensfrage. Der wichtigste Sinn, den wir Menschen Katastrophen abgewinnen können, ist das Innehalten zur Selbstüberprüfung. Jeder muß sich nach einem solchen Ereignis öffnen für die Möglichkeit, seinen eigenen bisherigen Standpunkt zu verändern.Tschernobyl war eine technische Katastrophe. Der Atommüllskandal ist eine moralische Katastrophe für unser Land.
Die Nutzung der Kernenergie ist eine Sackgasse. Mein Appell an Sie: Erkennen Sie endlich die Zeichen der Zeit und bürden Sie unserem Land nicht noch weitere Risiken auf!Sie haben recht, Herr Töpfer: Die bereits bestehenden Anlagen haben gewaltige Hypotheken geschaffen, und wir sind mit darin verstrickt, daß sie entstanden sind. Das soll überhaupt nicht bestritten werden.
Dazu bekennen wir uns auch. Nur, wenn man diese gewaltigen Hypotheken, die wir geschaffen haben, erkannt hat, muß doch auch klar sein, daß sie nicht weiter erhöht werden dürfen. Da kann man doch nicht einfach weitermachen.
Auch Sie werden erkennen, daß der Tag kommen wird, der zeigt, daß es gut war, sich für den Umstieg in eine Energieversorgung ohne Atomkraft einzusetzen. Das Risiko der Atomkraft, das viele Menschen, sogar ganze Generationen in ihrer Existenz bedrohen kann, liegt auf einer anderen Ebene als die Vorteile, die dieser Energieträger ohne Zweifel auch hat, für die es aber Alternativen gibt.Wir wissen, daß wir die Risiken nicht von heute auf morgen beseitigen können. Aber wir dürfen — hier möchte ich mit einem Zitat eines der größten zeitgenössischen Philosophen schließen; ich glaube, daß er recht hat, wenn er dies sagt — nur solche Technologien nutzen, deren Folgen — so wörtlich Hans Jonas — verträglich sind mit der Dauerhaftigkeit menschlichen Seins auf Erden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Schmiergeld- und Bestechungsaffäre im Umfeld der Firma Transnuklear sowie die Falschdeklaration von Atommüllfässern aus Belgien sind eine ganz schlimme Geschichte, die bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet und gründlich in Ordnung gebracht werden muß. Im sensiblen Bereich der Kernenergienutzung darf es bei der Aufklärung solcher Mißstände keine Schonung und keine Kompromisse geben.
Ich möchte für meine Fraktion ein Wort des Dankes und des Respekts an den Bundesumweltminister und seine Beamten richten, die angesichts dieser sehr schwer zu durchdringenden Situation umsichtig und konsequent den Fall Transnuklear behandelt haben. Niemand, auch nicht die Opposition, kann Professor Töpfer auch nur das geringste Versäumnis zum Vorwurf machen.
Die Bundesregierung kann dem von der SPD geforderten Untersuchungsausschuß mit großer Gelassenheit entgegensehen.
Soweit die Bundesaufsicht betroffen ist, liegt alles offen, ist alles im Umweltausschuß im einzelnen erörtert worden und nicht zu kritisieren.
Herr Abgeordneter Dr. Laufs, gestatten Sie Zwischenfragen oder — —
Nein, ich möchte es wie der Kollege Hauff halten und im Zusammenhang vortragen.Klärungsbedarf gibt es allerdings noch auf Länderebene. Was ist bei der für Transnuklear verantwortlich zuständigen hessischen Landesregierung in jenen Jahren unter einer SPD-geführten Regierung versäumt und unterlassen worden?
Das ist eine interessante Frage. Wir verstehen nicht, warum die SPD nicht einen Untersuchungsausschuß im Hessischen Landtag fordert. Dort wäre er zuerst am Platz. Wir sind nicht gegen einen Untersuchungsausschuß des Parlaments, wir sind für Effizienz auch im parlamentarischen Bereich.
Das ist ein Fremdwort für Sie, das verstehe ich schon.
Ich brauche nicht besonders zu begründen, warum wir heute den absolut einseitigen Antrag der GRÜNEN ablehnen werden.
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3604 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Dr. Laufs„Lassen Sie die Fakten weg!" war der bezeichnende Zwischenruf vorhin aus Ihren Reihen, den Reihen der GRÜNEN.
Wenn Herr Kollege Hauff den Bundesumweltminister hier so völlig in die Verantwortung nimmt, so möchte ich ihm sagen: Die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ist im Grundgesetz geregelt. Es geht natürlich nicht, Herr Kollege Hauff, daß Weisungsrecht und Aufsicht des Bundes bei der Genehmigung von neuen Anlagen wie in Kalkar nach Laune und Belieben von Parteitagen total abgelehnt werden und dort, wo es kritisch wird, dazu herhalten müssen, die Verantwortung für alles, was schiefgeht, im nachhinein restlos bei der Bundesregierung abzuladen. So geht's nicht!
In der allgemein herrschenden Entrüstung über diese Vorfälle bei Transnuklear ist es nicht leicht, sie unter dem entscheidenden, die Bürger zuallererst interessierenden Aspekt der gefährdeten Sicherheit von Menschen und Umwelt nüchtern einzuordnen. Ich möchte das versuchen.Es ist dazu notwendig, einen Augenblick bei den Äußerungen der SPD zu verweilen. Der Kollege Hauff sagte vergangene Woche wörtlich:Mit großer krimineller Energie wurden bestehende Sicherheitsvorschriften verletzt, die dazu dienen, Leben und Gesundheit von Menschen zu schützen.
Das ist ein ungeheurer Vorwurf.
Soweit ich sehe, steht die SPD mit dieser Bewertung allein.
Seit Wochen laufen intensive technische Untersuchungen. Sie bestätigen insoweit die bekannten belgischen Mitteilungen. Die Außenstrahlung ist im Rahmen der vorgegebenen Norm.
Was jedes einzelne Faß enthält, wissen wir noch nicht.
Diese Prüfungen müssen weiter systematisch und umfassend durchgezogen werden.
Wenn Sie, Herr Kollege Hauff, hier kritisch ansetzen, so muß ich Sie fragen, wie Sie als der damalszuständige Technologieminister Ihre Bundesaufsicht über das Endlager Asse ausgeübt haben?
Bis 1979 wurden 125 000 Fässer in der Asse versenkt,
von denen bis heute niemand weiß, was sie im einzelnen enthalten.
Was haben Sie denn damals gemacht, Herr Kollege Hauff, wenn Sie das heute so anprangern?
Der Untersuchungsausschuß wird uns Gelegenheit geben,
uns damit näher auseinanderzusetzen, Herr Kollege Hauff.Die Radioaktivität, die von diesen Fässern meßbar ausgeht, ist so gering, daß Menschen ohne besondere Abschirmung mit ihnen umgehen können. Die Faßläger können ohne besonderen Schutz betreten werden. Viele von uns — Sie, Herr Kollege Hauff, ich — haben das in der Vergangenheit oft getan. Nach den vorliegenden Ergebnissen ist durch den Transport und die Lagerung der falsch deklarierten Müllfässer keine Gefährdung für Mensch und Umwelt eingetreten.
— Ich weiß, Sie bringen hier immer das Stichwort vom Plutonium. Im Fall Transnuklear handelt es sich, soweit wir aus den belgischen Mitteilungen wissen, um Spuren von Plutonium,
insgesamt um 200 Milligramm, die über 321 Fässer verteilt und einzementiert sind. Wo soll hier mit großer krimineller Energie Leben und Gesundheit von Menschen in Gefahr gebracht worden sein?Der Kollege Schäfer setzt noch einen obendrauf. Er erklärte, der Umgang mit hochgiftigem und atomwaffentauglichem Plutonium sei bei uns im Land unkontrolliert möglich. Dieser Vorgang zeige, wie leicht es möglich sei, Plutonium abzuzweigen und für militärische Zwecke zu mißbrauchen. Solche Erklärungen sind angesichts der geringen Spuren von Plutonium im Milligrammbereich wirklich schamlos; anders kann ich das nicht mehr bezeichnen.
Die SPD ist in Sachen Kernenergie nicht mehr zu Objektivität und Wahrheit fähig.
Ihr geht es nicht mehr um die Sachargumente, sondern darum, wie durch eine manipulativ beeinflußte
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3605
Dr. Laufsöffentliche Meinung bei möglichst vielen möglichst viel Angst und Schrecken erzeugt werden kann.Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Monaten im Umfeld von Transnuklear. Auch in Belgien sind die Ermittlungen der Justizbehörden noch nicht abgeschlossen. Die bestehende Ungewißheit nutzt die Opposition für ihre Agitation. Nach allem, was man bisher erfahren hat, ist ein begrenzter Personenkreis betroffen. Die Zahl der Beschuldigten könnte sich natürlich noch erhöhen. Der Kollege Hauff behauptet hier aber wörtlich: Ein ganzer Industriezweig hat sich nicht gesetzestreu verhalten. Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, viele Tausende pflichtbewußte, tüchtige und ehrliche Arbeitnehmer im Bereich der Kernenergie davor in Schutz zu nehmen, in dieser unerträglichen Weise in die Transnuklear-Affäre hineingezogen und diffamiert zu werden.
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß Ihre Bitte, nicht unterbrochen zu werden, für die gesamte Rede gilt. Oder ist das falsch?
Bei dem Kollegen Penner muß ich eine Ausnahme machen, verzeihen Sie.
Herr Abgeordneter Penner, dann haben Sie die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Herr Kollege Laufs, ich frage mich angesichts Ihrer Ausführungen: Worin sehen Sie denn jetzt eigentlich aus Ihrer Sicht den Skandal?
Herr Kollege Penner, der Skandal ist von mir benannt worden: die Schmiergeld- und Bestechungsaffäre und die Falschdeklaration von Fässern. Das muß man scharf unterscheiden — dazu sind Sie offensichtlich nicht mehr in der Lage — von der Gefährdung von Sicherheit, von Leben und Gesundheit der Menschen, von der Gefährdung der Umwelt. Ich versuche, diese Unterscheidung hier klarzumachen; dazu sind Sie nicht mehr fähig.
Meine Damen und Herren, uns alle bewegt die Frage: Wie konnte das bei Transnuklear passieren, wie konnte es überhaupt zu diesen Unregelmäßigkeiten kommen? Wir kennen die Hintergründe noch nicht vollständig. Wir können aber feststellen, daß der Transport und die Lagerung von schwachaktiven Abfällen wegen ihrer relativen Ungefährlichkeit früher herzlich wenig öffentliche Aufmerksamkeit gefunden haben, offensichtlich auch bei den staatlichen Aufsichtsbehörden, trotz der großen Mengen von jährlich vielen tausend Fässern aus Kernkraftwerken, Medizin, Industrie und Forschung. Das ist auch ein Vorwurf an uns alle im Deutschen Bundestag.
Herr Abgeordneter Dr. Laufs, ich wollte an sich keine Zusatzfragen zulassen, weil ich dachte, Sie wollten generell nicht unterbrochen werden, aber nunmehr kann ich nicht umhin, zu fragen, ob Sie bereit sind, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vahlberg zuzulassen.
Also bitte. Wenn man einmal schwach geworden ist, Kollege Penner...!
Also, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Schönen Dank, Herr Kollege, für diese Möglichkeit.
Sie haben die Tatsache, daß sich Spuren von Plutonium in den Abfällen befinden ein bißchen heruntergespielt. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß es ein technisches Verfahren gibt, das sogenannte NaßAsch-Verfahren, mit dessen Hilfe es möglich ist, aus schwach und mittel radioaktiv verstrahlten Materialien Plutonium zu recyclen, Plutonium zu gewinnen, und bekommt unter diesem Gesichtspunkt die Tatsache, daß es Spuren von Plutonium immerhin in 100 und 150 Kubikmeter großen Mengen von schwach radioaktiv verstrahlten Materialien gibt, nicht doch eine andere Dimension?
Es ist eine Frage der Menge insgesamt, der technischen Verfahren und des Aufwandes, dem man treiben muß, um diese Spuren aus großen Abfallmengen wieder herauszuholen. Ich muß Ihnen sagen: Bei 200 Milligramm in 321 Fässern ist diese Besorgnis nun wirklich nicht im Vordergrund unserer Überlegungen. Sie kann es nicht sein, auch im Hinblick auf all die anderen Fässer mit Spuren dieses Nuklids und anderer Nuklide, die z. B. in der Asse liegen und sonstwo.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Häfner möchte nun auch eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Bitte sehr, Sie haben nun die Möglichkeit.
Ich danke Ihnen, daß Sie mir nunmehr doch die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben. Ich will auf die Gründe, warum Sie sich nun dazu entschlossen haben, auch nicht näher eingehen.Sie haben eingangs Ihrer Rede gesagt, es handele sich um eine ganz schreckliche Geschichte, die bis in den allerletzten Winkel hinein — so wörtlich — ausgeleuchtet werden müsse. Darf ich diese Ausführungen sowie den Verlauf Ihrer Rede, der bei mir den Eindruck erweckt hat, daß auch bei Ihnen selbst noch ein erheblicher Informations- und Aufklärungsbedarf besteht, so verstehen, daß Sie dem Antrag der GRÜNEN auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zustimmen werden?
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3606 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Herr Kollege, ich habe ausgeführt, daß wir Ihrem Antrag aus naheliegenden Gründen nicht zustimmen werden. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Wir werden in der nächsten Woche Gelegenheit haben, uns über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu verständigen, nachdem die SPD-Fraktion, die hier ihr Minderheitenrecht nutzt, es so beschlossen hat.
Meine Damen und Herren, die Frage ist: Warum hat z. B. die hessische Landesregierung Börner/Fischer nie den geringsten Anlaß gesehen, im Bereich der Genehmigung und Aufsichtsführung bei schwachaktiven Abfällen tätig zu werden?
— Ich sage das erklärend. Bisher waren eben auf allen Ebenen unsere intensiven Anstrengungen dort auf einen ständig erhöhten Sicherheitsstandard gerichtet, wo die großen Gefahrenpotentiale liegen, z. B. bei den hochradioaktiven Abfällen. Es ist eine Lehre aus den jüngsten Erfahrungen, daß wir die Entsorgung des schwach- und mittelaktiven Abfalls neu und besser regeln und kontrollieren müssen. Wir begrüßen, daß Bund und Länder auf Initiative von Professor Töpfer bereits ans Werk gegangen sind.
Wir empfehlen der Bundesregierung , sich zusammen mit den Ländern einmal den Wirrwarr der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Stellen anzusehen. Das vorhandene staatliche Aufsichtsinstrumentarium kann wirkungsvoller eingesetzt werden.
Wir begrüßen, daß der Bundesumweltminister mit uns gemeinsam eine Zusammenlegung der Kompetenzen auf Bundesebene in einem Bundesamt für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz anstreben will. Wir wiederholen, daß wir zu einer entsprechenden Änderung des Atomgesetzes bereit sind.
Die Opposition behauptet, die Vorfälle um Transnuklear hätten das gesamte integrierte Entsorgungskonzept zur Makulatur gemacht. Davon kann nun wirklich nicht die Rede sein. Die falsch deklarierten Fässer haben nichts mit den geplanten und im Bau befindlichen Anlagen des Brennstoffkreislaufs zu tun, nichts mit Wackersdorf und Gorleben und auch nichts mit dem Planfeststellungsverfahren für das Endlager Konrad.
Wir haben uns aber wieder bewußt werden müssen, daß für unser Ziel der gesicherten Entsorgung im vorgesehenen Zeitplan noch eine Menge Arbeit geleistet werden muß. Wir werden sie im zuständigen Umweltausschuß auch leisten. Wir wollen durch nüchternes, sorgfältiges und sachbezogenes Bemühen mithelfen, neues Vertrauen in unsere hochentwickelte Industrienation zu gewinnen.
Ich bedanke mich.
Das Wort zur Geschäftsordnung nach § 42 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage hiermit gemäß § 42 der Geschäftsordnung die Herbeizitierung des Bundeskanzlers zu dieser Debatte.
Es geht heute um eine politische Grundsatzfrage von enormer Bedeutung. Es geht darum, ob wir uns und weitere Generationen mit Risiken belasten, die für viele künftige Generationen unkalkulierbare Gefahren aufwerfen. Zum ersten Mal ist im Zusammenhang mit dem, was jetzt in der Öffentlichkeit diskutiert wird, einer breiten Öffentlichkeit bewußt geworden, welche Risiken mit dem Umgang von radioaktiven Abfallstoffen verbunden sind und welche Risiken schon lange auf uns lasten, seit es diese Atomkraftwerke gibt.
In dieser Situation ist die Frage, über die wir heute sprechen, zu einer politischen Grundsatzfrage geworden, die mit vielen anderen Fragen, die wir hier behandeln, unvergleichbar ist. Eine solche politische Grundsatzfrage, die die ganze Gesellschaft auch wie kaum eine zweite Frage in den letzten Wochen beschäftigt, erfordert meines Erachtens und nach Ansicht meiner Fraktion zwingend, daß der Bundeskanzler an einer solchen Debatte teilnimmt.
Es ist ein unmöglicher Zustand, daß die Bundesregierung bei einer Angelegenheit von derartiger Bedeutung ausschließlich durch den Umweltminister und durch Forschungsminister Riesenhuber vertreten wird.
Deswegen halte ich es für zwingend erforderlich, daß der Bundestag an dieser Stelle von seinem Recht Gebrauch macht, den Bundeskanzler herbeizuzitieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kleinert, Sie haben mich nicht gefragt. Sonst hätte ich Ihnen sagen können, daß der Bundeskanzler bei einem seit langem vereinbarten wichtigen Termin ist, nämlich bei einem Zusammentreffen mit der Ständigen Interparlamentarischen Delegation des Europäischen Rates und des amerikanischen Kongresses. Das hätten Sie alles von mir erfahren können. Aber Sie wollten hier einen Überraschungsangriff starten, denn ausnahmsweise ist Ihre Fraktion einigermaßen vollzählig vertreten.Ich wäre wirklich dankbar, wenn das Haus diese Entschuldigung und diese Mitteilung zur Kenntnis nimmt. Dies gilt auch angesichts der Tatsache, daß das Bundeskanzleramt auf der Regierungsbank vertreten ist und die beiden von Ihnen bereits zitierten Minister sowie mehrere Staatssekretäre anwesend sind.Ich beantrage die Ablehnung Ihres Antrags.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3607
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung und insbesondere das Bundeskanzleramt ist natürlich nicht so vertreten, wie es dieser Debatte angemessen wäre.
Aber das haben wir auch schon bei anderen Regierungen und zu anderen Zeiten erlebt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur folgendes feststellen. Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialistische Fraktion des Europäischen Parlaments haben zu Beginn dieser Woche beraten, was denn für die bevorstehende EG-Präsidentschaft wichtig ist. Auch haben wir Forderungen aufgestellt und dem Bundeskanzler übermittelt. Wir möchten Gespräche, in denen er sich auf eine erfolgreiche deutsche Präsidentschaft vorbereiten will, nun nicht mit Gewalt stören und verhindern. Deswegen und weil wir zu diesem Thema in diesem Hause noch genügend Aussprachen haben werden, lehnen wir den Antrag auf Herbeirufung des Bundeskanzlers ab.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen mir nicht vor.
Ich nehme an, daß keine Bedenken bestehen, sofort über den Antrag des Abgeordneten Kleinert abstimmen zu lassen.
— Ich kann mit Zustimmung des Plenums selbstverständlich über den Antrag abstimmen lassen und tue das auch. — Wer für den Antrag des Abgeordneten Kleinert ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Antragsteller und einige Abgeordnete der SPD. Wer stimmt gegen den Antrag des Abgeordneten Kleinert?
— Wer enthält sich der Stimme? — Bei einigen Enthaltungen ist der Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Kleinert abgelehnt.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollny.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Machen Sie Schluß mit der Produktion von Atommüll!
Mit diesem Appell habe ich bis heute jede Rede beschlossen, die ich von dieser Stelle aus halten durfte. Heute stelle ich diesen Satz an den Anfang, denn die sogenannte Affäre Transnuklear ist keine Affäre Transnuklear, sondern eine Affäre Atommüllentsorgung.
Der Skandal hat das Augenmerk auf den Umgang mit atomarem Abfall gelenkt, der bisher in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung gefunden hat.
Bisher beschränkte sich die Diskussion in der Hauptsache auf die Sicherheit atomtechnischer Anlagen. Plötzlich steht nun ein Komplex im Scheinwerferlicht, der bisher als „vernachlässigbar" galt: der Umgang mit leicht- und mittelradioaktivem Abfall, mit einer Abfallkategorie, die im Umgang mit Atombrennstoffen in ungeheurer Menge anfällt.Was ist geschehen, und was wurde bisher bekannt? Wir wissen bis heute, daß durch eine Firma, die praktisch das Monopol für den Transport von radioaktiven Materialien besaß, 21 Millionen DM an Schmiergeldern gezahlt wurden. Wir wissen indes nicht wofür eigentlich.Wir wissen, daß diese Firma über viele Jahre völlig unkontrolliert Atomabfälle durch die Lande kutschieren und ebenso unkontrolliert an den unmöglichsten Stellen abstellen, unterbringen und verschieben konnte.Wir wissen, daß es etwa 50 Verdächtige gibt und daß sich unter ihnen Angehörige des Managements von Kraftwerksunternehmen, Sicherheitsbeauftragte von Kraftwerken bis hin zum kleinsten Buchhalter befinden. Wir wissen, daß zwei der beteiligten Manager das Aufkommen der Wahrheit so sehr fürchten mußten, daß sie ihrem Leben ein Ende setzten.Dies alles konnte über Jahre hinweg unter den Augen der Kontrollbehörden geschehen, und zwar im sensibelsten Bereich der Wirtschaft überhaupt, in dem die absolute Zuverlässigkeit des Personals so wichtig ist, daß man es sogar für nötig hielt, dafür einen eigenen Passus ins Atomgesetz zu schreiben, in einem Bereich, in dem von der charakterlichen Reife und absoluten Zuverlässigkeit Leben und Gesundheit von ungezählten Menschen und ungezählten Generationen abhängen.Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieser Leute ist durch die Vorgänge um den Skandal ein für allemal erschüttert.
Dieses Vertrauen wird sich auch nicht durch hektische Geschäftigkeit und ein bißchen Kitt und ein bißchen rosa Tünche hier und da jemals wiederherstellen lassen; da hilft es auch nicht, wenn einige Figuren ausgewechselt werden. Nie mehr werden die Menschen einem Umweltminister glauben, wenn er erklärt, eine Katastrophe wie in Tschernobyl könne in unserem Lande nicht vorkommen,
weil bei uns die Menschen so viel zuverlässiger seien und außerdem die Kontrolle des Staates so viel besser greife. Grundsätzlich: Es gibt ihn nicht, den deutschen Übermenschen. Es gibt auch nicht die von dem amerikanischen Atompapst Weinberg geforderte „nukleare Priesterschaft".3608 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988Frau WollnyDer Vertrauensverlust beschränkt sich jedoch nicht auf die Menschen,- die mit nuklearen Stoffen umgehen, sondern betrifft auch die Bundesregierung, und das ist gut so, denn Politiker, die heute noch immer versuchen, das Problem herunterzuspielen, die mit Verharmlosung und Schönfärberei an die Öffentlichkeit treten, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, sich zu Komplizen von kriminellen Machenschaften zu machen.
Der Skandal um Transnuklear hat bewiesen, daß die Aufklärung der seit April bekannten Bestechungsaffäre von der Regierung und hier besonders vorn BMU verschleppt und verharmlost wurde. Noch am 11. November 1987 wurde in der Fragestunde bestritten, daß Sicherheitsbereiche berührt seien.
Trotz aller alarmierenden Meldungen hat es von April bis Dezember gedauert, bis das Bundesumweltministerium sich bequemt hat, etwas zu unternehmen.Hätte man nicht früher eingreifen müssen, indem man eine Firma mit der Geschäftsüberprüfung der Transnuklear beauftragt hätte? Oder sahen Sie, Herr Töpfer, die Unbedenklichkeitsüberprüfung für die Transnuklear durch die PTB kurz vor dem 16. Dezember 87 als Ihren Beitrag zur Aufklärung an? Da dürfen Sie sich nicht wundern, wenn der Verdacht aufkommt, die Regierung sei an einer Aufklärung gar nicht so sehr interessiert gewesen. Was kann man in neun Monaten nicht alles verwischen und verschwinden lassen! Oder war es vielleicht die Angst, das schöne Kartenhaus, genannt Entsorgung, könnte zusammenbrechen? Das ist verständlich. Schließlich gibt niemand gern zu, daß er mit einer abgezogenen Handgranate dasteht und nicht weiß, wohin er sie werfen soll.Die Affäre Transnuklear macht deutlich, daß das ganze Entsorgungskonzept, einschließlich der Kontrollmöglichkeiten, für die Katz ist. Da wird plutoniumhaltiger Abfall unter schwachradioaktiven Abfall gemischt, ohne daß es jemandem auffällt. Wie sollte es auch auffallen? Es fehlt an der Meßtechnik; und Plutonium, in einem Betonfaß versteckt, ist nicht zu messen. Das gilt für ein Kilogramm ebenso wie für ein Mikrogramm. Wie will man eigentlich garantieren, daß auf die gleiche Art nicht größere Mengen verschoben wurden oder werden? Man beruhigt die Bevölkerung damit, daß es sich nur um minimale Mengen handelt, verschweigt dabei jedoch, daß ein Millionstel Gramm ausreicht, um Lungenkrebs zu erzeugen.Eine andere Tatsache ist, daß bei der ganzen Angelegenheit durch die Entwicklung von brennbarem Wasserstoff diese aufgeblähten Fässer gefunden wurden. Es zeigt sich, daß es noch nicht einmal möglich ist, schwachradioaktiven Müll richtig zu konditionieren und zu beseitigen. Wie will man erst mit hochradioaktivem Müll sicher umgehen?Der Bundesminister spricht von Untersuchungen in dieser Beziehung. Was aber geschieht, wie hier schon gefragt, mit den Fässern, die zwischen 1967 und 1978 ohne jede Untersuchung der Sicherheit des Lagers und ohne Genehmigung in der Asse eingelagert wurden? Sind auch sie aufgebläht, womöglich schon geplatzt? Wer weiß das?Da ist von Zwischenlagern die Rede, deren Bau und Benutzung sich uni Jahre verzögern. Da ist von einer Wiederaufarbeitungsanlage die Rede, die das Abfallproblem nicht löst, sondern 40fach vergrößert und einen endlosen Strom von gefährlichen Transporten von Wackersdorf nach Konrad und Gorleben nach sich ziehen wird und bei der fraglich ist, ob sie jemals realisiert werden kann. Da werden Endlager als Entsorgungsnachweis geführt, die über den Stand der Höffigkeit nicht hinausreichen — weder Gorleben noch Schacht Konrad.Kein Haus bekommt ohne den Nachweis der Entsorgung eine Baugenehmigung. Aber die absolut gefährlichsten Anlagen mit den gefährlichsten Abfällen, die das Leben der Menschheit auf Generationen bedrohen, dürfen mit dem Segen der Regierung ohne gesicherte Entsorgung betrieben werden.
Ein solches Verhalten ist absolut verantwortungslos, wenn nicht kriminell.Und es sind glatter Zynismus und eine absolute Dreistigkeit der Regierung, sich hier hinzustellen und zu behaupten, das Entsorgungskonzept sei in Ordnung,
die Entsorgung gesichert und der Weiterbetrieb der Atomanlagen nicht in Frage gestellt. Weit gefehlt, Herr Minister! Der Betrieb ist selbst nach Ihren eigenen Grundsätzen illegal.
Genau diese Praxis aber ist der Nährboden, auf dem Geschäftspraktiken wie bei Transnuklear fast zwangsweise entstehen und gedeihen können. Aus diesem Grunde kann der Bundesregierung die Aufklärung der Affäre und ihrer Hintergründe nicht alleine überlassen werden. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet.Daß sich die SPD nun endlich, nach schweren Geburtswehen, entschlossen hat, auch einen Untersuchungsausausschuß zu fordern, ist außerordentlich begrüßenswert. Es gibt ihr die Gelegenheit, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten.
Denn das Entsorgungskonzept, unter dem wir heute leiden, war das Werk der SPD. Heute morgen schien es so, als hätten auch die Regierungsparteien nicht mehr sehr viel gegen einen Untersuchungsausschuß. Auch das ist natürlich zu begrüßen, läßt allerdings unter Umständen den Verdacht aufkommen, daß man auf diese Art versuchen will, bestimmte Fragen gar nicht erst zur Sprache kommen zu lassen. Wenn das nicht so sein sollte, wäre es um so besser.Die Tatsache, daß auch Politiker lernfähig und möglicherweise bereit sind, einmal gemachte Fehler zu
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3609
Frau Wollnykorrigieren, läßt für die Zukunft hoffen. Vielleicht ist der Zeitpunkt doch nicht mehr so fern, wo alle hier im Hause versammelten Parteien einsehen, daß nur ein Entschluß uns in dem Dilemma weiterhilft, nämlich: Schluß mit der weiteren Produktion von Atommüll.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren von den GRÜNEN. Sie beklatschen diesen Satz. Was machen Sie denn mit dem Atommüll, der bereits da ist, und mit dem schwach- und mittelaktiven, der immer noch anfällt, auch wenn wir abschalten würden?
So einfach können Sie es sich nicht machen.Meine Damen und Herren, wir kritisieren nachdrücklich die Machenschaften im Bereich der Firma Transnuklear. Wir verlangen schonungslose Aufklärung und unterstützen Bundesminister Töpfer, dessen Entscheidungen in den letzten Wochen wir ausdrücklich billigen und begrüßen.
Er hat das Notwendige getan. Er hat Aufklärung herbeigeführt und die Konsequenzen, die man bis heute ziehen konnte, gezogen.
Wir sind der Meinung, die ganze Wahrheit muß an das Licht der Öffentlichkeit. Ich bin überzeugt: Noch wissen wir nicht alles. Allein daß wir nicht genau wissen, wofür ungesetzliche Zahlungen in dieser gewaltigen Höhe geleistet worden sind, ist ein Alarmzeichen. Die FDP wird sich im Untersuchungsausschuß aktiv an der Aufklärung dieses Falles beteiligen.
Ich sehe aber nicht, meine Damen und Herren, daß hier ein Fehlverhalten der Bundesregierung zur Aufklärung steht. Wir fragen beispielsweise: Wer in den Unternehmen war an führender Stelle verantwortlich, und wer hat in seinen Aufsichtspflichten möglicherweise versagt? Ist es richtig, daß die Firma Nukem, also die Mutterfirma von Transnuklear, bereits im Jahre 1985 Fässer beanstandet und zurückgeschickt hat? Warum sind damals nicht weitere Untersuchungen vorgenommen worden? Warum sind die Aufsichtsbehörden nicht unterrichtet worden? Was ist in Belgien gelagert — fragen wir weiter — , was dort gar nicht hingehört?
Der Skandal Transnuklear hat über den Fall hinaus das Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Teilen der Atomwirtschaft erschüttert, wenn gegen ca. 30 Mitarbeiter deutscher Kernkraftwerke, darunter Strahlenschutz- und Sicherheitsbeauftragte, ermittelt wird.Das ist ein unerträglicher Zustand. Ich mache nicht die Mehrheit der Mitarbeiter in der deutschen Atomwirtschaft dafür verantwortlich. Aber ich möchte aufgeklärt wissen, was hier geschehen ist.Es haben Firmen versagt, meine Damen und Herren. Es hat aber auch die staatliche Aufsicht nicht ausreichend funktioniert.
Offenbar sind von den Aufsichtsbehörden der Länder die Probleme des schwach- und mittelaktiven Abfalls unterschätzt worden. Ich wiederhole hier einen drastischen Vergleich. In diesem unserem Lande werden beispielsweise Fischbratküchen besser von der Gewerbepolizei kontrolliert als Teile des hochsensiblen Bereichs der Atomwirtschaft. Und das darf nicht so bleiben.
Die Entwicklung der Atommüllentsorgung — so hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen vor kurzem festgestellt — hat mit den Notwendigkeiten nicht Schritt gehalten. Mit dem Entsorgungskonzept von Bundesregierung und Bundesländern aus dem Jahre 1979 soll eine gesicherte Entsorgung hergestellt werden. Am Ende soll eine unterirdische Endlagerung stehen, und zwar dergestalt, daß von diesen Abfällen keine Gefährdung für Mensch und Umwelt ausgehen darf.Entsorgungssicherheit haben wir aber mit dem Konzept allein nicht erlangt. Es war von Anfang an klar, Herr Hauff — Sie haben ja daran mitgewirkt —, daß ein Konzept nur in Schritten zu verwirklichen ist und daß dies mit Risiken und Verzögerungen verbunden sein würde. Solche Verzögerungen hat es gegeben; sie sind auch für die Zukunft nicht auszuschließen, auch wenn die Bundesregierung feststellt, daß es erhebliche Fortschritte gegeben hat.Meine Damen und Herren, es gibt zu einer geordneten Entsorgung, wie wir sie versuchen und wie jeder, der in diesem Lande politische Verantwortung trägt, sie in Angriff nehmen und realisieren müßte, keine Alternative. Ich kann diejenigen nicht verstehen — sie werden in meinen Augen ganz unglaubwürdig — , die einerseits der Entsorgung immer und überall entgegentreten, die andererseits aber kritisieren, daß eine Entsorgung nicht hergestellt ist. Sie wollen keine Entsorgung, sondern sie wollen die Kernenergie ad absurdum führen, und das sollten sie dann auch offen sagen.Meine Damen und Herren, wir bekräftigen angesichts dieses Falles die Feststellung der FDP, daß die Kernenergie Übergangsenergie ist. Die FDP hält an der friedlichen Nutzung der Kernenergie nur so lange fest, wie sie nicht durch andere umweltfreundlichere Energiegewinnungsformen ersetzt werden kann. Umweltpolitisch ist sie nach dem Gutachten des Sachverständigenrates, das gerade veröffentlicht worden ist, verantwortbar. Die Kernenergie kann und darf nicht die letzte Antwort auf die Energieprobleme sein. Über den bisherigen Ausbaustand sollten wir nicht hinaus-
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3610 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988
Baumgehen. Herr Hauff, wir schließen uns aber nicht unrealistischen Ausstiegskonzepten an, die zusätzliche Gefährdungen der Umwelt zur Folge hätten.Übrigens ist hier von den GRÜNEN zu Recht der Zwischenruf gekommen: Warum warten Sie zehn Jahre mit dem Ausstieg, wenn das alles so ist, wie Sie es hier geschildert haben? Da sind die GRÜNEN eigentlich konsequenter.
Herr Abgeordneter Baum, der Abgeordnete Stratmann möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Das wird auch nicht auf die Redezeit angerechnet. — Bitte sehr.
Herr Kollege Baum, wenn Sie schon die Sozialdemokraten auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüfen: Wie stehen Sie dann zu Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, wenn Sie — wie gerade in Ihrem letzten Satz — sagen, aus den von Ihnen erwähnten Gründen dürfe die Atomenergie in diesem Lande nicht weiter ausgebaut werden? Wie stehen Sie zu der umstrittenen Inbetriebnahme des Schnellen Brüters in Kalkar?
Ich kann in der mir zur Verfügung stehenden Zeit jetzt keine Kalkar-Debatte führen.
— Ich werde das jetzt hier nicht tun.
Herr Abgeordneter Stratmann, würden Sie die Freundlichkeit haben, die Usancen des Hauses zu praktizieren. Ich nehme an, daß Sie eine Antwort erwarten.
Sie hätten wohl gern, daß außerordentlich schwierige Sachverhalte einfach nur mit Ja oder Nein beantwortet werden. Hier gibt es Unwägbarkeiten, hier gibt es offene Fragen, und die müssen erst beantwortet werden, bevor man zu einer endgültigen Inbetriebnahme eine Entscheidung treffen kann.
Nach Tschernobyl hat meine Partei im Juni 1986 eine ernsthafte Prüfung verlangt, ob im Rahmen einer geschlossenen Entsorgungskette eine Konditionierung abgebrannter Brennelemente zur direkten Endlagerung an die Stelle der Wiederaufarbeitung treten soll, ohne daß wir damit die gegenwärtigen Planungen für Wackersdorf in Frage gestellt hätten. Ich stellefest, daß der Sachverständigenrat für Umweltfragen unsere Position bestätigt und bekräftigt hat.Wir fordern daher — erstens — eine rückhaltlose Aufklärung aller Vorgänge durch den Untersuchungsausschuß, durch die Bundesregierung und die Justiz.Zweitens. Wir halten an dem Entsorgungskonzept fest, weisen auf die Fortschritte hin, verschweigen aber nicht Risiken und Verzögerungen. Herr Hauff, wenn Sie das kritisieren, erwarten wir von Ihnen, von der SPD, eine Alternative. Sagen Sie uns, was wir anders tun sollen.
Auch Sie sind verpflichtet, für Entsorgung zu sorgen. Ein verbessertes Konzept der Entsorgung von schwach- und mittelaktiven Abfällen ist erforderlich. Die gesamte Entsorgungsstruktur in diesem Bereich muß neu durchdacht und geordnet werden, und wir schließen auch gesetzliche Änderungen im Atomgesetz nicht aus.Drittens. In besonderen Verordnungen müssen die Endlagerungsbedingungen und die Grundzüge der Aufsicht geregelt werden. Die Bearbeitung von Abfällen muß dort erfolgen, wo die Abfälle anfallen. Neue Verordnungen und Richtlinien können aber nur dann wirksam werden, wenn die Staatsaufsicht in der Praxis verstärkt wird und wir nicht neue Vollzugsdefizite entstehen lassen.Wir fordern daher — viertens — eine Intensivierung von Kontrolle und Aufsicht. Ich wiederhole meinen Vorschlag: Die Bundesaufsicht sollte in einem „Bundesamt für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz" zusammengefaßt und wesentlich verstärkt werden. Ich begrüße es, daß das Kabinett in diesem Sinne heute eine Meinungsbildung herbeigeführt hat.
Der Bund muß als Konsequenz dieser Vorgänge eine kontinuierliche Aufsicht durchführen können und nicht nur Stichprobenaufsicht. Die Bundesaufsicht ist nicht nur ein Recht, sondern eine dauernde Verpflichtung des Bundes. Die heute in mindestens acht Ämtern zersplitterten Zuständigkeiten müssen zusammengefaßt werden. Der Bund muß in Recht, Organisation und Personal in die Lage versetzt werden, diese notwendigen Aufgaben durchzuführen.Die privaten Unternehmen müssen weiter ihre Verantwortung wahrnehmen. Wir halten nichts davon, die privaten Betreiber von der Verpflichtung für die Entsorgung des produzierten Abfalls zu entlasten. Sie müssen diese Verpflichtung weiter wahrnehmen, allerdings unter einer strengeren staatlichen Kontrolle und Aufsicht.
Die Endlagerung ist eine staatliche Aufgabe und muß eine solche bleiben, weil dies eine Verantwortung ist, die über Generationen hinausreicht.Abschließend: Wir begrüßen die offensive Art, mit der die Bundesregierung in dieser Krise operiert hat, wie sie uns informiert hat, welche Konsequenzen sie gezogen hat, welche Ankündigungen sie hier ge-
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Baummacht hat. Wir unterstützen Sie, Herr Bundesminister Töpfer, bei Ihren Vorhaben. Das ist eine beispielhafte Art der Information der Öffentlichkeit und rascher Konsequenzen. Wir danken Ihnen und Ihren Mitarbeitern für diese Arbeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Ausführungen des Herrn Dr. Laufs oder auch des Ministers für Umwelt hier einer kritischen Würdigung unterziehe, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß eigentlich das, was hier im Deutschen Bundestag ausgeführt wird, den Sorgen der Menschen im Umfeld der Hanauer Betriebe nicht gerecht wird.
— Sie reden von Stimmungsmache, Herr Kollege Dr. Laufs. Sie sind für mich ein Phänomen.
Bis zum Heiligen Abend wußten Sie noch nicht, um wie viele Fässer es sich handelte, und heute wissen Sie schon, wieviel Milligramm Spuren in den Fässern sind, obwohl keiner hineingesehen hat. Sie sind ein Held!
Meine Damen und Herren, seit Mitte 1987 ist der Öffentlichkeit und somit auch der Bundesregierung bekannt, daß es bei der Firma Transnuklear eine Schmiergeld-Affäre gibt. Viele haben heute mittag schon darauf hingewiesen, daß niemand so recht weiß, warum und für was eigentlich diese Schmiergelder gezahlt wurden. Diese Firma transportiert so ziemlich jeden Stoff, der im nuklearen Kreislauf vorkommt, und hat in der Bundesrepublik fast eine Monopolstellung.Transnuklear ist wiederum an neun weiteren Firmen beteiligt. Die Verflechtungen sind weltweit. Insider sind der Meinung, daß diese Firma keine selbständige Firma darstellt, sondern mehr als eine Hauptabteilung der Firma Nukem geführt wird. Wenn also 21 Millionen DM Schmiergelder gezahlt worden sind, kann ich mir nicht vorstellen, daß die Firma Nukem als Mutter von Transnuklear von der ganzen Dimension nichts gewußt haben soll.Meine Damen und Herren, das ganze Ausmaß dieses Skandals aber wird deutlich, wenn man weiß, daß das Transportunternehmen mit fast allen deutschen Kernkraftwerken in Geschäftsverbindungen steht, und als jetzt auch bekannt wurde, daß Schmiergelder nach Frankreich zu dem Kernkraftwerk Super-Phoenix und nach Italien zum Kernkraftwerk Caorsa geflossen sein sollen.Der Anfang dieses Jahres entlassene Geschäftsführer von Nukem, der für Transnuklear zuständig war, soll laut „Spiegel" schon seit fünf Jahren gewußt haben, was da lief. Schon damals mußte die Zuverlässigkeit der handelnden Personen nach dem Atomgesetz in Zweifel gezogen werden. Das volle Ausmaß des Skandals kam jedoch erst im Dezember des vorigen Jahres zu Tage, als falsch deklarierte Fässer mit Atommüll auftauchten. Wieder ist hierfür die Firma Transnuklear verantwortlich.Meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal besteht darin, daß hier mit einem so hochgefährlichen Material wie Plutonium umgegangen wird, als wäre es Puderzucker.
Meine Damen und Herren, bei der Giftigkeit dieses Stoffes mit einer Halbwertszeit von 24 000 Jahren dürfen keine Personen Verantwortung tragen, die bestechlich sind und die Geld für diese Dinge nehmen.Wenn Sie sagen, das ist alles gar kein Problem
— doch, es wurde der Eindruck vermittelt, als wäre das alles zu vernachlässigen und es wären nur ganz geringe Mengen Plutonium — , dann frage ich Sie einmal allen Ernstes: Bei wieviel Millionen DM fängt eigentlich die Summe an, wo man Plutonium möglicherweise auch für militärische Zwecke abzweigt?
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß alle Nuklearfirmen und die Kernkraftwerke auf den Prüfstand müssen und daß intensiv untersucht werden muß, was hier eigentlich vorgekommen ist.Gestern gab es bei der Firma Alkem wieder einen Vorfall, bei dem ein Mitarbeiter einer höheren Strahlendosis ausgesetzt war, weil ein Handschuh kaputtging. Bei der Firma Reaktor-Brennelement Union flossen über längere Zeit radioaktiv verseuchte Abwässer in die Kanalisation der Stadt Hanau. Bei Nukem wurde versehentlich Plutonium verarbeitet, obwohl die Firma hierfür keine Genehmigung hat, und es erst entdeckt wurde, als die Verarbeitung schon stattgefunden hatte. Wer einmal das Urteil des Alkem-Prozesses liest, wird feststellen, daß auch hier von schwerwiegenden Verstößen und rechtswidrigen Zuständen gesprochen wird.Die Bevölkerung hat die ständigen Beschwichtigungen satt und verlangt zu Recht eine volle Aufklärung aller Vorkommnisse. Der Magistrat der Stadt Hanau spricht von einem gestörten Vertrauensverhältnis zu den Firmen und macht in einem Schreiben deutlich, daß er keinesfalls bereit ist, eine Gefährdung der Sicherheit und des Lebens seiner Bürger hinzunehmen.Jetzt will ich Ihnen einmal ein Zitat vortragen:Die Nutzung der Kernenergie ist verantwortbar,weil unsere Sicherheitsvorkehrungen höchstenAnsprüchen genügen. Die Bundesregierung wird
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Reuterweiterhin streng darauf achten, daß alle Vorschriften genauestens eingehalten werden.So der heute nicht anwesende Bundeskanzler Helmut Kohl bei seiner Regierungserklärung am 18. März 1987. Ich frage die Bundesregierung, was sie nach dem Bekanntwerden der Schmiergeldaffäre unternommen hat. Wo hat sie denn streng darauf geachtet, daß alle Vorschriften eingehalten werden?Wir erleben immer wieder eine Verharmlosung der Risiken und Probleme im Zusammenhang mit der Nutzung der Kernenergie. In derselben Regierungserklärung ist zu lesen:Unser Wissen um eine sichere Nutzung der Kernenergie wollen wir weiterentwickeln, und wir streben nach möglichst breiter internationaler Übereinstimmung über ein Höchstmaß an Sicherheit.Sieht so das Höchstmaß an Sicherheit aus, daß erst 350 Fässer mit Atommüll hier aufgefunden werden, dann 1 084, jetzt 1 942? Meine Damen und Herren, vielleicht wird hier noch im Rahmen einer kleinen Feierstunde dann das Auffinden des zweitausendsten Fasses gefeiert.Am 18. Dezember war in der Zeitung zu lesen, daß der Firma Transnuklear die Genehmigungen für den Transport entzogen seien. Minister Töpfer hat auch vorhin wieder erklärt: Die Genehmigung wurde suspendiert, wurde beurlaubt. Ich frage deshalb heute hier: Wie kann es eigentlich sein, daß der Pressesprecher der Firma noch drei Tage danach nichts schriftlich vorliegen hat und daß am 21. Dezember, also einige Tage nach der Ankündigung, der Regierungspräsident von Darmstadt bei dem Landrat des MainKinzig-Kreises in Hanau nachfragt und ihn bittet, die Genehmigungen bei Transnuklear zu entziehen. Was ist hier eigentlich von dem Minister nun gemacht worden, damit Transnuklear nicht weiter transportieren kann?Ich komme zum Schluß. Durch diesen Skandal ist viel Vertrauen verloren gegangen, Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit der Politik, die anstehenden Probleme zu meistern. Ob wir dieses Vertrauen wieder zurückgewinnen können, hängt im wesentlichen auch davon ab, ob wir hier aus dem Skandal die notwendigen politischen Konsequenzen ziehen. Eine Technologie, die den unfehlbaren, unbestechlichen Menschen voraussetzt, den es nach unserem Wissen nicht gibt, muß nach meiner Meinung baldmöglichst abgelöst werden.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Worin liegt der Skandal? hat die SPD gefragt. — Wir haben keinerlei Verständnis für kriminelles Verhalten im Zusammenhang mit Transnuklear. Die Zuverlässigkeit der Betreiber ist Voraussetzung für den Umgang mit Radioaktivität.Unabhängig davon zählt natürlich die Bestechung ohnehin nicht zu den erlaubten Geschäftspraktiken.
Wir haben auch keinerlei Verständnis für eine lasche und oberflächliche Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften im Bereich des Atomrechts. Ich meine, das, was geschehen ist, ist Skandal genug. Man braucht dem nicht noch weitere, wie ich meine, unsinnige Verdächtigungen hinzuzufügen, wie Sie, Herr Kollege Reuter, es soeben getan haben.Wir wissen, daß viele Verantwortliche in der Atomindustrie meinen, die Vorschriften des Gesetzgebers seien unangemessen vorsichtig. Und wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß die schwachradioaktiven Abfälle ja nicht gerade das Thema waren, dem wir, quer durch die Parteien, das Hauptaugenmerk geschenkt haben. Aber dies ermächtigt niemanden, in eigener Vollmacht über Sinn und Unsinn von Vorschriften zu entscheiden. Die Vorschriften sind so „pingelig", weil aus kleinen Fehlern großer Schaden entstehen kann. Und der Schaden ist entstanden, zwar nicht in der Form der Gefährdung der Gesundheit und des Lebens unserer Mitbürger, aber es ist Vertrauensschaden entstanden, der schwer wiegt. Und die Atomindustrie täte gut daran, zu begreifen, daß sie diesen Schaden nur mit größter Anstrengung wiedergutmachen kann.
Ich will aber auch die andere Seite der Medaille ansprechen: Kriminelles Verhalten einzelner rechtfertigt es nicht, eine ganze Branche der deutschen Industrie in eine Gesamthaftung zu nehmen und insgesamt zu diskriminieren.
Was die SPD hier veranstaltet, ist äußerst durchsichtig. Es ist bekannt, daß Sie die Kernenergie in Deutschland totmachen wollen; Sie wollen Ihre Ausstiegsbeschlüsse vom Nürnberger Parteitag durchsetzen,
— Beschlüsse, die Ihre Geschäftsführerin Anke Fuchs, Herr Vorsitzender Vogel, selber als unehrlich bezeichnet hat.
— Wenn Sie öfter den „Bayernkurier" lesen würden, würden Sie hier nicht so abwegige Zwischenrufe machen.
Sie tun alles, Herr Kollege Vogel, um die Entsorgung in Deutschland durch die Dämonisierung jedes einzelnen Entsorgungsschrittes zu erschweren. Wir sind bei diesen Fragen nicht unter Zeitdruck. Die Panik, die Sie predigen, darf nicht zu einer Vernachlässigung der Sicherheit führen. Hinter Ihrer Taktik steht die Absicht Ihrer Strategen, den Entsorgungsnachweis bei jeder Gelegenheit in Zweifel zu ziehen, um
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Fellnerdamit die Stillegung, d. h. die gerichtlich verfügte Stillegung der Kernkraftwerke in Deutschland betreiben zu können. Diese Strategie ist sicherlich längst durchschaut. Wir setzen auf rationales Handeln. Erforderlich ist jetzt, die eigenen Anstrengungen bei allen Entsorgungsschritten zu verstärken, damit die Kernenergiepolitik verantwortbar bleibt.Herr Vogel, wie billig ihre Strategie ist, wird deutlich, wenn Sie aus dem Skandal von Transnuklear jetzt für Ihren Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf Honig saugen wollen, so, wie es die bayerische SPD tut. Weil die Energiewirtschaft, die hinter Nukem und Transnuklear steht, auch für den Bau von Wackersdorf verantwortlich ist, zu unterstellen, auch in Wackersdorf sei Fehlverhalten sozusagen vorprogrammiert, ist wirklich aberwitzig. Ich bin überzeugt, daß dieser Skandal genügt, um die verantwortlichen Manager nachhaltig an ihre Pflichten zu erinnern.Ein Wort zu Ihrer Forderung nach einem Untersuchungsausschuß: Es bleibt Ihnen selbstverständlich unbenommen, eine Untersuchung von Fragen zu fordern, die anderweitig leichter aufgeklärt werden könnten oder schon geklärt sind. Es bleibt Ihnen auch unbenommen, diese Untersuchung vor einem Forum zu fordern, das sicherlich am wenigsten dafür zuständig ist. Der Sache dient dieses Vorgehen nicht. Ich meine, es dient auch nicht den Interessen der SPD; denn Sie können selbstverständlich die Untersuchung nicht auf unsere Regierungszeit hier in Bonn oder in Hessen beschränken.
Herr Hauff, wir werden Sie selbstverständlich fragen: Was ist in den 125 000 Fässern, mit denen Sie die Asse zugekippt haben? Das haben Sie zu verantworten. Selbstverständlich werden wir das auch fragen. Und wir werden uns mit Interesse darauf konzentrieren, wie es um die Tätigkeit der hessischen Genehmigungsbehörden zu der Zeit stand, als Sie dort die Regierungsverantwortung getragen haben. Herr Kollege Schäfer, wenn ich auf gemeinsame Schlachtfelder, wo wir uns in Untersuchungsausschüssen getummelt haben, zurückblicke, stelle ich fest, daß es natürlich bedauernswerte Opfer gegeben hat. Ich erinnere Sie daran, sie stammten aus Ihren Reihen. Das ist nur ein freundschaftlich gemeinter Rat. Ich will Ihnen keineswegs drohen.Ein letztes Wort zur Bundesaufsicht. Es ist richtig, daß die Bundesaufsicht verantwortbar ausgeübt werden muß. Das kann nur geschehen, wenn auch die notwendigen personellen und sachlichen Ausstattungen dafür zur Verfügung stehen. Es geht ja auch um eine vorsorgende Bundesaufsicht und nicht darum, daß erst nach dem Bund gerufen wird, wenn etwas passiert ist. Ich meine, wir sollten uns mit den Bundesländern auf die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz einigen. München mit den in der Nähe gelegenen Instituten des Bundes wäre sicherlich der geeignete Standort dafür.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Wie Sie, Herr Töpfer und Ihre Kollegen von der CDU/CSU, Herr Laufs und eben Herr Fellner, den Atommüllskandal angehen, ihn bewerten und in aktionistischer Manier in den Griff zu bekommen meinen, erinnert in fataler Weise an das Vorgehen nach Tschernobyl. Zugegeben, damals hatten Sie es leichter. Sie verfuhren nach dem Motto: Russische Kernkraftwerke sind schlechte Reaktoren. Deutsche Reaktoren erhielten die Auszeichnung „sicherste Reaktoren der Welt" . Ganz so einfach ist das heute nicht. Transnuklear und die Firma Nukem liegen in Hanau, also mitten in der Bundesrepublik Deutschland. Gleichviel, meine Damen und Herren, die Art Ihrer Reaktion auf Skandale hat sich nicht geändert. Sie beurteilen den Atommüllskandal auch als schlimm, ohne Ansehen der Person müsse aufgeklärt werden, alles müsse ans Licht gebracht werden, aber gleichzeitig gilt für Sie unumstößlich: Unser Sicherheitssystem ist das beste der Welt und allenfalls in Kleinigkeiten zu ändern, eine Richtlinie da, eine Korrektur des Atomgesetzes dort. Ein energiepolitischer Kurswechsel ist bei Ihnen aber weiterhin nicht angesagt.
Der bisher bekanntgewordene Atommüllskandal ist nur die kleine Spitze eines noch unübersehbar großen Eisbergs. Nicht nur eine Transportfirma, die Creme der deutschen Energiewirtschaft, ist in den Skandal verwickelt. In nahezu allen Kernkraftwerken lagern illegal Atommüllfässer. Den Eisberg des Skandals abmessen, damit Aufklärung mit allen politischen und rechtlichen Mitteln stattfindet, ist eine Selbstverständlichkeit. Daß wir mit dem jetzt schon produzierten Atommüll so sorgsam wie möglich umgehen müssen, ist ebenso selbstverständlich. Aber wo, so frage ich Sie — und das ist das Erschreckende, meine Damen und Herren von der Regierungsbank — , bleiben Ihre nachhaltigen Überlegungen, wo bleiben die Konsequenzen, wo die politischen Planungen, die auch nur annähernd erkennen lassen, daß Sie Ihren Beitrag leisten und leisten wollen, das Verhältnis zur Atomindustrie, zur Atomwirtschaft und zur Entsorgungsproblematik neu zu überdenken und zu korrigieren?
Ich sehe nur Fehlanzeigen.
Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Fragen nachgehen. Erstens: Kann staatliche Kontrolle, kann Kontrolle überhaupt mit menschlich vertretbarem Aufwand so perfektioniert werden, daß Mißbrauch jeglicher Art ausgeschlossen ist? Wir alle wissen, wir erfahren, wir sehen, wir erleben, mit welch ungeheurem, unverhältnismäßigem staatlichen Gewaltaufwand und Gewalteinsatz
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Schäfer
die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf geschützt wird. Der Staat läßt sich dabei auf ein Niveau herab, um jeden Preis eine überflüssige und unnötige Technik gegen die Menschen durchzusetzen. Welches Kontrollsystem ist eigentlich mit welchem Aufwand noch denkbar und notwendig, um das für den Menschen todbringende Gift Plutonium in all seinen Verwendungsprozessen für alle Zeiten — ich sage bewußt: für alle Zeiten — möglichst genau zu erfassen und unter Kontrolle zu halten?Warum verschweigen Sie, Herr Töpfer, daß Plutonium eines der gefährlichsten Gifte, vielleicht sogar das gefährlichste Gift für den Menschen ist? Plutonium, das ein unabweisbares Beiprodukt der Atomenergienutzung ist, Plutonium, von dem Bruchteile eines Gramms, wenn sie in die Blutkreislaufbahn geraten, ausreichen, um mit absoluter Sicherheit den Krebstod zu bringen.Seit Jahren gilt — zumindest auf dem Papier und in Reden — : Eine sichere Entsorgung ist Voraussetzung für den Betrieb und den Zubau von Kernkraftwerken. Wir alle wissen — Sie auch, und Herr Töpfer räumt es sogar ein — : Weltweit kann von einem tatsächlich vorhandenen Endlager, geschweige denn von einer gesicherten Entsorgung nicht die Rede sein.
Trotzdem gehen Sie von einer ausreichenden „Entsorgungsvorsorge" aus. Trotzdem wollen Sie nicht nur die in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke weiter laufen lassen, sondern noch drei weitere einschließlich des Schnellen Brüters mit über 4 000 MW Leistung ans Netz gehen lassen. Das ist nicht zu verantworten.
Sie, Herr Töpfer, beschönigen die ungelösten Entsorgungsfragen in Ihrem heute verabschiedeten Entsorgungsbericht ebenso, wie es in der Broschüre des Forschungsministers „Nukleare Entsorgung" getan wird, die wenige Wochen vor dem Atommüllskandal veröffentlicht worden ist. Ich zitiere aus der Broschüre; man muß sich das Zitat auf der Zunge zergehen lassen. Da steht als Fazit am Ende der Broschüre:Nukleare Entsorgung ist praktischer Umweltschutz wie bei keiner anderen Abfallart: durch Erfassung aller Abfälle, gewissenhafte Behandlung, überwachte Lagerung, Endlagerung unter besonderer Berücksichtigung der langfristigen Sicherheit und genauer Kontrolle aller dieser Schritte.Das ist zwischenzeitlich Realsatire. Die Wirklichkeit hat Sie einmal mehr bei Ihrer Beschönigung eingeholt.
Ich sage Ihnen in allem Ernst und ohne Vorwurf: Sie verharmlosen grenzenlos. Kein Mensch kann über Jahrtausende von Jahren Sicherheit garantieren.
Plutonium hat — Sie wissen es alle — eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. In 24 000 Jahren ist die Hälfte von 1 g ungiftig. Über Tausende von Jahren hinweg muß absolut sicher sein, daß der hochradioaktive Müll nicht mit der Biosphäre, also nicht mit Wasser, nicht mit dem Boden, nicht mit der Luft in Berührung kommt. Indem wir bereits heute hochradioaktiven Müll Tausenden von Generationen nach uns als ungedeckte Hypothek aufladen, ist jegliche Garantieabgabe vermessen. Eine solche Garantie über Jahrtausende von Jahren hinweg zu geben ist unmenschlich. Sie widerspricht der menschlichen Natur, ja es ist menschlicher Größenwahnsinn. Genau darum geht es, meine Damen und Herren, und das sollten Sie überdenken.
Was ist denn Tatsache? Wie schwer tun wir uns bereits heute mit den sogenannten Altlasten, mit alten Industriestandorten, mit alten Mülldeponien? Dabei geht es hier nur um Folgen von Produktionsweisen, die 30 und 50 Jahre zurückreichen. Und Sie von der Regierung stellen sich hin und behaupten: Die Atommüllentsorgung ist gesichert bzw. sicher zu machen.Welche Gewißheit haben Sie, daß wir tausend Jahre Frieden haben? Welche Gewißheit haben Sie, daß das geplante Endlager tatsächlich funktioniert? Woher nehmen Sie denn die Gewißheit, daß die Generationen nach uns beispielsweise im Jahre 3020 noch wissen und wissen können, was wir unter welchen Bedingungen wo gelagert haben?
Angesichts dieser Dimensionen ist es menschenverachtend, weitere Atomkraftwerke ans Netz gehen zu lassen, Wiederaufarbeitung durchzusetzen und weiterhin Atommüll ohne absehbares Ende zu produzieren, meine Damen und Herren.
Herr Abgeordneter Schäfer, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert ?
Nein, ich gestatte keine.
Es ist längst an der Zeit, meine Damen und Herren, verantwortlich zu handeln, die Notbremse zu ziehen. Deshalb: Keine neuen Atomkraftwerke in Betrieb nehmen und bauen. Die bestehenden müssen in einem überschaubaren Zeitrahmen abgeschaltet, der Energiebedarf muß durch bessere Energienutzung und breitere Förderung und Anwendung alternativer Energien gedeckt werden.
Das ist die einzig mögliche und letztlich verantwortbare Folgerung aus dem aktuellen Atommüllskandal, meine Damen und Herren.
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Schäfer
Die zweite Frage, die ich nur noch andeuten kann, ist die Frage: Ist Kernenergie wirklich nur oder in erster Linie eine Frage der technischen Machbarkeit? Schon 1979 hat Carl Friedrich von Weizsäcker formuliert, daß man sich bezüglich der Erzeugung von Gefahren vor dem menschlichen Wirken oder Willen mehr zu fürchten habe als vor den rein technischen Zufällen. Es darf nicht geleugnet werden, meine Damen und Herren, daß das so ist. Die Frage des Umgangs mit der Atomenergie ist von daher, Herr Töpfer, also nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch eine Frage der Moral, meine Damen und Herren.
Wir verheben uns nämlich als Menschen, wenn wir Technologien mit hohem Gefahrenpotential weiter fördern und auf Dauer nutzen wollen,
die den fehlerfreien Menschen voraussetzen. Es gibt ihn nicht, den fehlerfreien, unfehlbaren Menschen. Schon den Anspruch zu erheben, so etwas sei möglich, ist unmenschlich, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat ohne Gegenstimme beschlossen, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen.
Wir werden unseren Antrag mit dem genau umrissenen Untersuchungsgegenstand in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag vorlegen. Dieser Untersuchungsausschuß wird sich nicht nur, nicht ausschließlich mit dem Atommüllskandal um Transnuklear zu befassen haben. Die gesamte Entsorgung, das ganze Problem der Kontrolle des Plutoniumkreislaufs, die Fragen, wie der Mensch das Risikopotential durch fehlerhaftes Verhalten vergrößern kann, muß mit auf den politisch-parlamentarischen Prüfstand eines Untersuchungsausschusses.
Jetzt haben wir bereits heute, meine Damen und Herren, einen Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Genauer gesagt: Bis gestern hatten wir zwei Anträge, innerhalb weniger Tage zwei Anträge mit unterschiedlicher Fragestellung zu einem wichtigen Problem von der gleichen Fraktion.
Schon die Art und Weise, wie Sie von den GRÜNEN mit dem Problem umgehen, zeigt: Dies ist keine seriöse, keine angemessene Vorgehensweise, die diesem Problem gerecht wird.
Hinzu kommt noch, meine Damen und Herren, daß weder Ihr Antrag vom 21. Dezember 1987 noch Ihr Antrag von gestern, 17.55 Uhr, tatsächlich die Fragen enthält — jedenfalls in der Gesamtheit — , die notwendig sind, um dem Problem über den Untersuchungsausschuß auf die Spur zu kommen.
Sie tun sich keinen Gefallen, lieber Herr Kleinert, wenn Sie Ihren unvollständigen und schlechten Antrag heute zur Abstimmung stellen.
Sie würden sich einen Gefallen tun, wenn Sie den Antrag zurückzögen, neu überdächten und ihn gut formulierten, wie es der Fragestellung auch angemessen wäre, meine Damen und Herren.
Wenn Sie freilich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, auf der Abstimmung heute bestehen, werden wir Sozialdemokraten Ihren Antrag ablehnen, weil er ungenügend, nicht ausreichend ist und den Ansprüchen an einen soliden Untersuchungsauftrag in keiner Weise entsprechen kann.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Bevor Sie, Herr Minister, anfangen, möchte ich das Haus noch einmal sehr eindringlich bitten, dem Redner gegenüber die notwendige Höflichkeit zu praktizieren. Wer sich unterhalten will — niemandem kann das verboten werden —, möge den Saal doch bitte verlassen und den Redner und diejenigen, die zuhören wollen, nicht stören. Das ist eine ernstgemeinte Aufforderung, meine Damen und Herren.
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte steht es dem Umweltminister gut an, sich zunächst dafür zu bedanken, daß er in seiner Entscheidung von den Koalitionsfraktionen mit getragen worden ist. Ich habe auch festzustellen, daß der Abgeordnete Hauff in seinem Beitrag zunächst einmal nicht das kritisiert hat, was ich gesagt habe, und daraus leite ich ab, daß auch die SPD-Fraktion die von mir getroffene Entscheidung mit trägt, denn ich habe dort das Konzept vorgestellt, das wir für notwendig halten, um darauf zu reagieren.
Ich halte zweitens fest, daß Herr Abgeordneter Hauff kritisiert hat, was ich nicht gesagt habe. Ich will das hier nicht alles wiederholen, weil auch dieses sicherlich den Zeitrahmen übersteigt. Wichtig ist aber, daß es offenbar eine gute Arbeitsteilung zwischen
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Bundesminister Dr. Töpferdem gibt, was wir im Plenum auszutauschen haben, und dem, was wir im Ausschuß beraten. Wenn, Herr Abgeordneter Hauff, Sie z. B. heute im Umweltausschuß anwesend gewesen wären,
dann hätten Sie mitbekommen, daß ich einen Großteil der Fragen mit beantwortet habe, die Sie hier gestellt haben.
Ich habe nicht zu kritisieren, daß Sie nicht anwesend waren — dies ist nicht mein Thema — , sondern ich habe nur darauf hinzuweisen, daß ich diesen Fragen nicht ausweiche, sondern daß ich sie in aller Klarheit dort beantworte und daß wir eine Viertelstunde nach Abschluß dieser Debatte offenbar weiter im Ausschuß arbeiten, um in den Details und Fakten weiter voranzukommen.Meine Damen und Herren, ich habe ferner festzustellen, daß wir im Ausschuß bereits im Sommer dieses Jahres über diese Bestechungsaffäre Transnuklear berichtet haben, einmal auf Antrag der Fraktion, einmal aus unserer eigenen Entscheidung heraus. Wir haben vorgetragen, was wir wußten, und wir sind von keinem in dem kritisiert worden, was wir getan haben. Auch dies habe ich nicht zu kritisieren, sondern nur festzuhalten, daß wir jeweils dieselben Informationen hatten und offenbar auch im Ausschuß die Meinung bestand: Das, was von der Regierung in dieser Situation veranlaßt wurde, war sachgerecht. — Wenn wir im nachhinein mehr wissen und gemeinsam feststellen, daß es nicht hinreichend war, so bekenne ich mich dazu, aber ich bitte ganz herzlich, dann auch die gleichen Waffen für alle gelten zu lassen; denn die Informationslage war in der Situation für alle gleich.
Ein Drittes: Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Situation weder etwas verdrängt noch etwas verharmlost. Herr Abgeordneter Schäfer, offenbar lesen Sie oder auch andere die richtigen Bücher immer nur in der Zeit, wenn Sie in der Opposition sind. Das Buch, das Sie zitiert haben, ist 1979 erschienen.
Ich bin auf die Antwort zu der Frage gespannt, warum Sie das, was Carl Friedrich von Weizsäcker damals geschrieben hat, nicht in Ihr damaliges Regierungshandeln hineingenommen haben und damals zu dieser Überzeugung gekommen sind.
Auch dies möchte ich unterstreichen: In den vier Wochen, in denen wir diese Arbeit zu tun hatten, haben wir Probleme und Schwierigkeiten, bis hin zu der Entsorgung, nicht verdrängt. Ich habe hier heute nicht gesagt: Wir haben die Entsorgung gesichert, sondern ich habe nachhaltig gesagt: Es gibt erhebliche Schwierigkeiten. Nur, Herr Abgeordneter Schäfer, wenn Sie einmal das, was Sie heute hier gesagt haben, in Ruhe nachlesen und wenn Sie wirklich glauben, daß wir alle wegen der langen Halbwertszeiten nicht in der Lage sind, diese Verantwortung zu übernehmen, dann ist doch all das, was schon da ist, nicht verantwortbar.
Ich bitte alle in diesem Hohen Hause, daß wir diese Aufgabe nicht dadurch zusätzlich belasten, eine derartige Handlung generell als moralisch unmöglich anzusehen.
Deswegen ein Weiteres — lassen Sie mich das auch zu Ende bringen — : Ich habe heute gerade nicht den Anspruch erhoben, als würden wir bei der Behandlung dieser Themen den moralisch fehlerfreien Menschen unterstellen. Ich habe sehr bewußt gesagt, daß ich davon ausgehe, daß wir nicht den neuen Menschen haben. Das ist für mich immer ein Ausweis von Staatsutopien gewesen — von Platon bis zu Marx — : Sie sind nur dann gut, wenn sie den neuen Menschen haben. Genau dies unterstellen wir nicht. Ich habe gesagt, daß wir in dieser Situation die Notwendigkeit sehen, unter Kontrolle und auch unter eigener Verantwortung zu handeln. Ich bitte Sie, auch das zu berücksichtigen.Wir haben nicht falsche Sicherheit verbreitet. Man kann mir eher vorwerfen, daß wir an manchen Stellen zu offen und zu vorbehaltlos gesagt haben, es gebe Risiken, und daß wir vielleicht ein gut Stück dazu beigetragen haben, daß hier mehr an Emotionen da ist. Herr Abgeordneter Hauff, vielleicht unterscheiden wir uns darin; ich glaube es aber nicht. Ich bin nicht der Meinung, daß es etwas Schlechtes ist, wenn wir sagen: Hier gibt es Emotionales; hier gibt es Empörung.
— Nein. Nicht die Empörung und nicht die Emotionalität sind das Problem; sie werden aber dann zum Problem, wenn sie zum Maßstab politischer Entscheidungen gemacht werden, und das alleine müssen wir sehr deutlich aufgreifen.
Ein Letztes, meine Damen und Herren: Für die Zukunft unserer Industriegesellschaft wäre es wirklich eine Katastrophe — ich gebrauche das Wort nicht inflationär, sondern ich meine das sehr genau — , wenn das, was der Abgeordnete Schäfer hier zuletzt gesagt hat, wirklich zum Tragen käme, daß wir nämlich aus der Erkenntnis moralischer Begrenztheit menschlichen Verhaltens heraus sagen würden: Dies ist in technologischer Qualität nicht mehr leistbar. Wir müssen dazu kommen, daß wir moderne neue Technologien auch weiterhin für erfindbar halten und dafür sorgen, daß wir die moralische Qualität mitliefern können.Ich halte sehr viel davon, meine Damen und Herren, was die deutschen Bischöfe in ihrem Hirtenwort zu Energie und Umwelt gesagt haben. Die ersten beiden Sätze dieses Hirtenwortes, das schon 1980 erschienen
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Januar 1988 3617
Bundesminister Dr. Töpferist, heißen wie folgt: „Der Mensch darf nicht alles, was er kann" — —
— Lassen Sie mich bitte ausreden. Wenn ich zwei Sätze ankündige, sollte man den zweiten Satz mit hinzunehmen.Ich wiederhole: „Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Aber je mehr er kann, um so größer wird seine Verantwortung. " Dies heute aufzugreifen, Herr Abgeordneter Hauff, ist deswegen so wichtig, weil sich von diesem Bischofswort aus dem Jahre 1980 bis zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Hans Jonas im letzten Jahr in der Verantwortung der Bogen spannt.Sie haben mit einem Zitat von Hans Jonas geschlossen. Lassen Sie mich das heute aufgreifen. Ich zitiere aus der Rede, die Hans Jonas in Frankfurt gehalten hat. Er hat gesagt:Nie darf apokalyptische Panik uns vergessen machen, daß die Technik ein Werk der uns Menschen eigenen Freiheit ist. Taten dieser Freiheit haben uns zum gegenwärtigen Punkt gebracht. Taten derselben Freiheit, die sie bleibt trotz der selbstgeschaffenen Zwänge zum Fortfahren auf der eingeschlagenen Bahn, werden über die globale Zukunft entscheiden, die zum erstenmal in ihren Händen liegt.Diese Verantwortung brauchen wir, wenn wir Zukunft mit Technik gestalten wollen.Recht herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren! Mir liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Kleinert vor. Herr Abgeordneter, ich erteile Ihnen gemäß § 31 der Geschäftsordnung das Wort zu einer Erklärung zu Ihrem eigenen Abstimmungsverhalten.
Meine Damen und Herren! Ich fühle mich nach den Bemerkungen des Kollegen Schäfer als Mitglied meiner Fraktion persönlich angegriffen und bewußt falsch dargestellt. Herr Kollege Schäfer, das, was Sie eben gesagt haben, entspricht nicht den Tatsachen. Sie hatten seit dem 21. Dezember letzten Jahres Zeit, Stellung zu dem damals schon vorliegenden Antrag der GRÜNEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu beziehen.
Sie haben diese Gelegenheit nicht wahrgenommen.
Wir haben in der Folgezeit an diesem Antrag weitergearbeitet; wir haben ihn verbessert. Wir haben gestern noch einmal eine verbesserte Fassung vorgelegt. Sie haben zu diesem Zeitpunkt und auch heute in der Debatte nicht die Gelegenheit genutzt, um klarzulegen, an welchen Stellen dieser Antrag für Sie nicht zustimmungsfähig ist. Herr Schäfer, Sie haben diese Gelegenheit nicht genutzt.
Insofern ist es falsch, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Sie machen hier Schnellschüsse, und deswegen können wir dem nicht zustimmen. — Ich behaupte, Sie wissen sehr gut und sehr genau, daß das falsch ist und nicht auf den Tatsachen beruht und daß Sie genügend Gelegenheit zu einer sorgfältigen Prüfung dessen, was wir dort vorgelegt haben, hatten.
Ich denke, daß Ihr Beitrag auch klargemacht hat, daß all die Fragen, die Sie für wichtig halten und eben auch aufgeführt haben, zu einem erheblichen Teil sehr wohl in die Formulierung unseres Antrags aufgenommen worden sind.
Gerade weil man das nachlesen kann, Herr Schäfer, kann ich hier nicht anders, als Ihnen klipp und klar zu erklären: Ich habe den Eindruck, daß Ihre Erklärungen für die jetzt absehbare Nichtzustimmung zu unserem Antrag schlicht und ergreifend fadenscheinig sind.
Ihnen geht es nicht um die Sache, sondern — das kennen wir aus diesem Hause seit längerer Zeit — Ihnen geht es ausschließlich darum, zu verhindern, daß hier der Eindruck entstehen muß, daß auf Grund einer Initiative der GRÜNEN sich auch die Sozialdemokratische Partei, in welcher Weise auch immer, zu einem Schritt gezwungen sieht, den sie nach meinem Eindruck ursprünglich nicht tun wollte.
Das parteipolitische Interesse ist Ihnen offensichtlich doch wichtiger als der politisch mögliche und zu diesem Zeitpunkt angemessene Schritt, den Untersuchungsausschuß einzusetzen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu einer Begründung Ihres Abstimmungsverhaltens zu Wort gemeldet haben. Sie machen hier im Grunde genommen eine Äußerung nach § 30 der Geschäftsordnung.
Das macht ja nichts.
Das macht sehr viel, denn das hätte vorausgesetzt, daß Sie vom Abgeordneten Schäfer in einer Sache persönlich angesprochen worden wären.
Bin ich doch.
Nein, das war nicht der Fall. — Bitte begründen Sie Ihr Abstimmungsverhalten, und dann ist die Sache erledigt.
Herr Präsident, ich bin auch sofort am Ende.Wir geben die Hoffnung nicht auf. Das alles wird uns nicht daran hindern, den Versuch zu machen — auch wenn Sie das jetzt ablehnen; uns geht es um die Sache — , hier einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, in dessen Untersuchungsauftrag auch wirklich all die Dinge aufgeführt sind, die dringend geklärt werden müssen. Dazu gehört nicht nur die Klärung
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Kleinert
der Kriminalitätsvorwürfe, sondern dazu gehören in allererster Linie in der Tat die Frage der Entsorgung und die Frage der Zukunft der Energiepolitik.Danke schön.
Bevor wir nun zur Abstimmung kommen, möchte ich einen Glückwunsch von heute Mittag wiederholen. Da der Abgeordnete Willy Brandt nun anwesend ist, möchte ich ihm im Namen des Hauses zu seinem 74. Geburtstag, den er am 18. Dezember letzten Jahres gefeiert hat, herzlich gratulieren.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Zur Annahme eines solchen Antrags, der nicht von einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages unterzeichnet wurde, ist die Mehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat namentliche Abstimmung beantragt. Wir stimmen nach dem bekannten Verfahren ab. Bevor ich die Abstimmung eröffne, muß ich mich vergewissern, ob die Schriftführer an den Urnen bereit stehen. — Das ist offensichtlich der Fall.Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht abgestimmt hat? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich gebe dem Haus das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/1566 bekannt. Abgegebene Stimmen: 384; davon ungültig: keine. Mit Ja haben 35 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 348 Abgeordnete gestimmt; es gab eine Enthaltung.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 382; davonja: 34nein: 347enthalten: 1JaDIE GRÜNENBrauerDr. BriefsDr. Daniels EbermannFrau Flinner Frau Garbe HäfnerFrau HillerichHossHüserFrau Kelly Kleinert
Dr. KnabeDr. Lippelt Dr. Mechtersheimer Frau NickelsFrau Oesterle-Schwerin Frau OlmsFrau RustFrau Saibold Frau Schilling SchilyFrau Schoppe SellinStratmannFrau Teubner Frau TrenzFrau UnruhFrau Dr. Vollmer VolmerWeiss Frau Wilms-Kegel Frau WollnyWüppesahlNeinCDU/CSUBauerBayhaDr. Becker BiehleDr. BlankDr. BlensDr. Blüm Bohlsen Breuer BuschbomCarstensen ClemensDr. CzajaDr. Daniels DawekeDörflingerDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbar EigenEngelsbergerDr. FaltlhauserFeilcke Dr. Fell Fellner Frau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedrichFuchtelGanz
Frau GeigerGeisDr. von Geldern GersteinDr. GöhnerGröblDr. GrünewaldGünther Dr. HäfeleHarriesFrau Hasselfeldt HaungsHauser HedrichHelmrich HerkenrathHinrichs Hinsken HöpfingerHörsterDr. HoffackerDr. HornhuesFrau Hürland-Büning Dr. HüschDr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jobst KalbKalisch Dr.-Ing. KansyDr. KappesKiechleKlein
Dr. Köhler KolbKossendeyKrausKroll-Schlüter Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsLemmrichLenzerFrau Limbach Link Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. Lippold LouvenLummerMaaßFrau Männle MaginMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. MöllerMüller Neumann (Bremen) NiegelDr. Olderog OswaldFrau PackPfeiferDr. PingerDr. Pohlmeier Dr. ProbstRauenRaweRegenspurger RepnikDr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) RüheDr. Rüttgers RufSauer
Sauer
Sauter
Sauter Scharrenbroich Schartz (Trier) SchemkenSchmidbauerFreiherr von Schorlemer SchreiberSchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwörer SeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg StraßmeirFrau Dr. SüssmuthSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
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Vizepräsident Cronenberg WeirichWeiß Werner (Ulm)Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer
Frau Dr. Wisniewski Dr. WittmannDr. WörnerDr. WulffZeitlmannZiererDr. Zimmermann ZinkSPDFrau AdlerAmlingAndresAntretterDr. ApelBachmaierBambergBecker Frau Becker-Inglau BindigFrau BlunckDr. Böhme Börnsen (Ritterhude) BrandtBrückBüchler
Dr. von BillowFrau BulmahnBuschfortCatenhusenConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserFrau Dr. Dobberthien DreßlerDuveDr. EmmerlichErlerEwenFrau FaßeFischer Frau Fuchs (Köln) Frau Fuchs (Verl) Frau Ganseforth Dr. GautierGerster GilgesDr. GlotzGrafGroßmannGrunenbergDr. HaackHaack
Frau HämmerleFrau Dr. Hartenstein HasenfratzDr. HauchlerDr. Hauff HeistermannHeyennHiller
Dr. Holtz thornHuonker IbrüggerJahn JansenJaunichJung KiehmKirschnerKlein
Dr. KlejdzinskiKolbow Koltzsch KoschnickKretkowskiKuhlweinLambinus Leidinger Lennartz LeonhartLohmann LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MenzelMeyerMüller Müller (PleisweilerOberhofen)Müller MünteferingNagelFrau Dr. NicholsDr. NieseNiggemeierDr. NöbelFrau Odendahl PaternaDr. PennerPeter
PfuhlDr. Pick Porzner Reimann Frau RengerReschke Reuter RixeSchäfer SchanzDr. ScheerSchluckebierSchmidt
Frau Schmidt Schmidt (Salzgitter)Dr. SchmudeSchreinerSchröer
SchützSeidenthal Frau SeusterFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingStahl
SteinerFrau SteinhauerFrau TerborgFrau Dr. TimmToetemeyer Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Voigt
VosenWartenberg WeiermannFrau WeilerDr. WernitzWestphal Frau WeyelDr. WieczorekFrau Wieczorek-Zeul Wiefelspützvon der WiescheDr. de WithWittichZeitlerZumkleyFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer Dr. BangemannBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardDr. FeldmannFrau Folz-Steinacker FunkeGallusGattermann GriesFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HeinrichDr. Hirsch Dr. Hitschler Dr. Hoyer IrmerKleinert KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LüderMischnick Neuhausen NoltingPaintnerRichterRindRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallDr. Solms Dr. Thomae TimmWolfgramm Frau WürfelEnthaltenSPDFrau Dr. GötteDamit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Januar 1988, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.