Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich darf zunächst mitteilen, daß als Mitglieder des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Dr. Althammer und die Fraktion der SPD den Abgeordneten Dr. Schachtschabel zur Wiederwahl vorgeschlagen haben. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit sind die Abgeordneten Dr. Althammer und Dr. Schachtschabel gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank als Mitglieder des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank gewählt.Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen mit dem Stand vom 8. Mai 1980 vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Neunter Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
zuständig:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche BeziehungenAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau HaushaltsausschußRahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes für den Zeitraum 1980 bis 1983 Sonderrahmenplan 1977 bis 1980
zuständig:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau HaushaltsausschußBericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften
zuständig:Auswärtiger Ausschuß HaushaltsausschußBericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Körperschaftsteuerreform auf die Berlin-Darlehen nach den Of 16 und 17 des Berlinförderungsgesetzes
zuständig:Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für innerdeutsche Beziehungen HaushaltsausschußUnterrichtung durch die Bundesregierung betr. Europäische Hochschulpolitik
zuständig:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Auswärtiger AusschußAusschuß für Jugend, Familie und GesundheitErhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? — Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist.Ferner soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung Punkt 5 der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus mit der so geänderten Tagesordnung einverstanden? — Ich sehe und höre auch hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Bei der Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte muß ich Sie um etwas Geduld bitten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 bis 4 auf:1. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Familienförderung
— Drucksache 8/3701 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4083 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
bb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksachen 8/4021, 8/4031 —Berichterstatter:Abgeordnete Gobrecht Dr. Langner
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der heimlichen Steuererhöhungen und zur Entlastung der Familien
— Drucksache 8/3666 —
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17514 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Vizepräsident Dr. von Weizsäckeraa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4084 —Berichterstatter: . Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 8/4032 —Berichterstatter:Abgeordnete Gobrecht Dr. Langner
c) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der heimlichen Steuererhöhungen und zur Entlastung der Familien
— Drucksache 8/3902 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4084 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußfassung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/4032 — Berichterstatter:Abgeordnete Gobrecht Dr. Langner
d) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1980— Drucksache. 8/3456 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4084 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 8/4032 —Berichterstatter:Abgeordnete Gobrecht Dr. Langner
e) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Familienförderung— Drucksache 8/3143 — aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4085 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr, Rosebb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/4008 —Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich
f) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung eines Familiengeldes
— Drucksache 8/3443 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4085 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rosebb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/4008 —Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich
g) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Familiengeld für Nichterwerbstätige
— Drucksache 8/3577 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4085Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Rosebb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/4008 —Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich
2. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes— Drucksachen 8/3702, 8/3766, 8/3903 —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17515
Vizepräsident Dr. von Weizsäckera) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4086 —Berichterstatter:Abgeordneter Hauser
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 8/4011 —Berichterstatter:Abgeordnete Waltemathe Dr. Möller
3. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze— Drucksachen aus 8/3688, 8/3616 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4012 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Dritte Beschlußempfehlung und Dritter Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/4007 —Berichterstatter:Abgeordnete Kühbacher Dr. von Wartenberg
4. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Spielkarten-, Zündwaren- und Essigsäuresteuer— Drucksache 8/3687 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4014 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 8/3964 —Berichterstatter:Abgeordneter von der Heydt Freiherr von Massenbach
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Langner, Pfeffermann, Dr. Becker , Dr. Möller, Landré, Schröder (Lüneburg), Lampersbach, Dr. Hornhues,Dr. Kraske, Gerster , Milz, Krey, Feinendegen, Kolb, Dr. Sprung, Pohlmann, Dr. Zeitel, Dr. Köhler (Duisburg), Schmitz (Baesweiler), Hauser (Krefeld), Dr. Friedmann, Dreyer, Frau Will-Feld, Dr. Hoffacker, Dr. Rose, Dr. Waigel, Neuhaus, Glos, Dr. Hennig, Wohlrabe, Stommel, Stutzer, Dr. Laufs, Spilker, Dr. George, Würzbach, Dr. Voss, Pieroth, Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Pfennig, Dr. von Wartenberg, Dr. von Geldern, Vogt (Düren) und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des deutschen Steuerrechts— Drucksache 8/2726 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4014 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksache 8/3964 —Berichterstatter:Abgeordneter von der Heydt Freiherr von Massenbach
Meine Damen und Herren, damit sind Sie über die Gegenstände der Beratungen zunächst im Bilde. Im Ältestenrat ist verbundene Debatte der Punkte 1 bis 4 der Tagesordnung vereinbart worden.Darf ich zunächst fragen, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort wünscht? — Herr Dr. Langner zu Punkt 1 der Tagesordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der wahrscheinlich letzten großen halbtägigen Steuerdebatte dieser Wahlperiode darf von seiten der Berichterstattung ein Wort zum Steuergesetzgebungsverfahren in den letzten dreieinhalb Jahren nicht fehlen.Nach der Regierungserklärung vom Dezember 1976 sollte Steuerentlastungsgesetzgebung in größerem Umfang in dieser Wahlperiode eigentlich nicht stattfinden. Konjunkturpolitische Gründe einerseits sowie Geldentwertung und Progressionswirkung andererseits haben aber tatsächlich dazu geführt, daß die zentralen Gesetze der direkten Besteuerung zur jährlichen Anpassung angestanden haben. Die Lage der öffentlichen Kassen hat zu zwei Satzanpassungen und eine EG-Richtlinie zu einer Totalrevision des Umsatzsteuerrechts geführt.
Der Finanzausschuß war in Permanenz in der Steuergesetzgebung tätig, oft unter großem politischen und Zeitdruck. Neue Rechtsfiguren, nicht immer bis ins letzte durchdacht, aber zur Entlastung der Bürger ersonnen, wie z. B. Tariffreibetrag, Kinderbetreuungskostenabzugsbetrag, jetzt ein neuer Kindergrundfreibetrag und ein Kinderausgleichs-
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Dr. Langnerbetrag, haben und werden die Gesetzesanwendung nicht gerade erleichtern.Als Berichterstatter für zwei der großen Entlastungsnovellen in dieser Wahlperiode meine ich, in der neuen, der 9. Wahlperiode, brauchten wir ein Weniger an Gesetzgebung — der Menge nach —, aber ein Mehr an Vereinfachung und eine anpassungsfähige Tarif- und Freibetragsgestaltung. Ein zentrales Steuergesetz aus einem Guß, etwa in der Mitte der Wahlperiode, wäre sicher vorzuziehen. Die Verwaltung hätte für einen ausgereiften Entwurf ein Jahr Zeit, dem in der Regierungserklärung die Richtpunkte vorzugeben wären. Der Finanzausschuß sollte sich die Zeit des zweiten Jahres nehmen und Tarif und Freibeträge so gestalten, daß sich eine weitere Gesetzgebung erübrigt. Der ansonsten auch für Geld, Währung und Kredit zuständige Ausschuß brauchte für den Rest der Wahlperiode keineswegs arbeitslos zu werden. So manche EG-Richtlinie verdiente frühere sorgfältige Beachtung. Schließlich würden wir auch gern an den Debatten hier im Plenum öfters teilnehmen und nicht dauernd im Finanzausschuß parallel tagen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar den schriftlichen Bericht, der notwendigerweise ja knappgehalten sein muß, ergänzende Bemerkungen zum Thema Steuer und Familie, zum Thema Kind und Steuer machen.Ob ledig oder verheiratet, das kann nach deutschem Einkommensteuerrecht einen großen Unterschied für die Höhe der zu entrichtenden Steuer ausmachen. Bei unterschiedlich hohem Einkommen von Eheleuten bricht der Splitting-Tarif die Progressionsspitze des höher verdienenden Ehegatten; eine segensreiche, eine ehefördernde Sache. Ob mit oder ohne Kinder verheiratet, macht jedoch kaum einen Unterschied nach geltendem Steuerrecht. Da aber die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit erfolgen soll, verwundert das zunächst. Der Unterhalt von Kindern vermindert die Leistungsfähigkeit ganz erheblich. Die CDU/CSU-Opposition trägt dem in ihren Entwürfen durch den Vorschlag von Kinderfreibeträgen Rechnung.Auch die Ausschußmehrheit hat die Unhaltbarkeit der derzeitigen Rechtslage auf Dauer gespürt. In den Begründungen für ihren Kinderfreibetrag führte sie in den Beratungen mehrfach an, der Zusammenhang von Besteuerung und Kindesentlastung dürfe dem Steuerbürger nicht verlorengehen. Da aber das Kindergeld durch die Arbeitsämter ausgezahlt werde, sei dies heute der Fall. Durch den Abzug eines Betrages, der sich aus dem Kindergrundfreibetrag ergibt — 30 DM im Monat —, werde der Zusammenhang zwischen Besteuerung und Kindesentlastung wiederhergestellt. So die Begründung der Ausschußmehrheit.Man sollte demgegenüber nicht von der Hand weisen, was die CDU/CSU-Opposition dem in den Beratungen entgegenzuhalten hatte: Mit dem Kinderfreibetrag wird das erwünschte Ergebnis, nämlich den Zusammenhang zwischen Besteuerung und Belastung durch Kinder herzustellen, auf sehr viel unkompliziertere Weise erreicht. Die Opposition argumentiert: Für 60 % der Steuerpflichtigen bringt es mindestens dieselbe Entlastung. Einige wenige werden etwas mehr — sie zahlen aber auch mehr an Steuern —, einige wenige werden etwas weniger als durchschnittlich entlastet — sie zahlen aber auch viel weniger Steuern. Ein gleichzeitig anzuhebendes Kindergeld schafft die egalitäre Komponente in diesem Mischsystem.Bei der durchgeführten Anhörung ist der Kinderfreibetrag — das ist richtig — nur von wenigen Verbänden begrüßt worden.
— Unter anderem. Es waren mindestens auch noch zwei weitere Verbände, Herr Kollege.Gegen den Kindergrundfreibetrag aber — jetzt kommen wir zu der anderen Seite; ich hoffe, da bleiben Sie genauso lustig — sind so viel gewichtige, aus der Praxis erwachsene Einwände vorgebracht worden, daß die Kritik, die auch die SPD-Länderfinanzminister im Bundesrat an dieser Neuschöpfung vorgebracht haben, eindrucksvoll bestätigt wurde. Allgemein würde einer Anhebung des Kindergelds von seiten der Verbände der Vorzug gegeben. Bund und Länder, so wurde argumentiert, sollten ihre Finanzverteilungsprobleme nicht auf dem Rücken der Familien mit Kindern austragen, meinten einige Verbandsvertreter. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.Naturgemäß hat der Kindergrundfreibetrag
als steuerliche Neuschöpfung — in der publizistischen Diskussion hat man weniger neutrale Formulierungen gehört und gelesen — einen breiten Raum in den Beratungen des Ausschusses eingenommen. Die Schöpfer dieses Kindergrundfreibetrags, der praktisch wie ein von der Steuerschuld abgezogenes Kindergeld wirkt, haben sich bemüht, dessen Wirkungen durch den sogenannten Kinderausgleichsbetrag auch auf die Empfänger von Sozialleistungen auszudehnen. So perfektionistisch diese Regelung auch angelegt ist, es bleiben dennoch ca. 1,3 Millionen Kinder ganz oder teilweise unberücksichtigt. Auf eindringliches Fragen im Ausschuß hin sind die Zahlen von seiten der Regierung genannt worden. Etwa 550 000 Kinder erhalten danach nichts, weil ihre lohn- oder einkommensteuerpflichtigen Eltern tatsächlich nach Berücksichtigung der Freigrenzen und Freibeträge keine Lohn- oder Einkommensteuer zu zahlen haben. Eine halbe Million Kinder erhalten aus diesem Grunde nichts.Ca. 300 000 Kinder von Eltern, die weniger Steuern zahlen, als für den Abzugseffekt erforderlich ist, werden nur beschränkt begünstigt. Für ca. 20 000 Kinder, z. B. von Studentenehepaaren, kommt weder der Kindergrundfreibetrag noch der Kinderausgleichsbetrag zur Anwendung. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die etwa 430000 Erst- und Zweitkinder von Sozialrentnern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Steuer- und Transferleistungssystem ist offenbar schon so kompliziert geworden, daß eine erklärtermaßen auf gleichmäßige Wirkung konzipierte Ge-
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Dr. Langnersetzgebung dennoch rund 10% aller Kinder nicht erfaßt.Am Rande hierzu sei bemerkt, daß mit Ausnahme der Erst- und Zweitkinder von Sozialrentnern, die einen erheblich über den Erst- und Zweitkindergeldsätzen liegenden Kindergeldzuschuß erhalten, der Vorschlag der Kindergelderhöhung, wie er im CDU/CSU-Entwurf vorgesehen ist, alle Kinder gleichmäßig erfaßt hätte.In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß in der Anhörung der Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz darauf aufmerksam machte, daß er keinen Unterschied darin sehe, ob das Kindergeld in § 3 des Einkommensteuergesetzes als steuerfreie Einnahme behandelt werde oder ob Kinderfreibeträge gewährt würden. Die Begründung dazu: Ein in der Spitze mit 56% Besteuerter müsse für 100 DM steuerfreies Kindergeld mehr als 200 DM Bruttoeinkommen verdienen, bevor er denselben Nettoeffekt damit erreicht.Ich muß einen weiteren Gesichtspunkt zum Thema Familie und Steuern bzw. Kind und Steuern, der im Ausschuß erörtert wurde, hinzufügen. Er hängt mit dem Kinderbetreuungskostenabzugsbetrag zusammen. Zu diesem selbst möchte ich nichts sagen; über ihn ist in diesem Hause ja breit und kontrovers diskutiert worden. Aber ich muß auf eine Konsequenz aufmerksam machen, die mit seiner Abschaffung zusammenhängt — die Abschaffung ist im Koalitionsentwurf vorgesehen —, eine Konsequenz, die in der Öffentlichkeit bislang kaum bemerkt wurde. Es geht um die Hausgehilfin.Nach § 33 des Einkommensteuergesetzes konnten 1200 DM geltend gemacht werden, wenn zum Haushalt des Steuerpflichtigen drei Kinder oder bei beiderseitiger Erwerbstätigkeit der Eltern zwei Kinder gehörten. Dann kam das Verfassungsgerichtsurteil, das die Beschränkung der Kinderzahl bei den erwerbstätigen Eltern verbot. Darauf haben wir das Problem durch den Kinderbetreuungskostenabzugsbetrag mitgelöst. Wenn dieser jetzt, wie im Koalitionsentwurf vorgesehen, ersatzlos gestrichen wird, kann eine Haushaltshilfe steuerlich nicht mehr berücksichtigt werden. Das könnte man fast eine antiemanzipatorische Gesetzgebung nennen; denn viele Frauen möchten heute einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen und sich im Haushalt durch Hilfe entlasten. Sie bieten solchen, die gerne im Haushalt arbeiten oder aber im Haushalt arbeiten müssen — etwa weil sie noch kleinere Kinder mitbringen —, einen weiteren Arbeitsplatz, und sie können trotzdem beruflich zum Teil tätig sein. Unser Steuerrecht sollte nicht ignorieren, was sich in der Gesellschaft vernünftig und praktisch entwikkelt.Obwohl die Familienkomponenten des Steuerpakets in den Ausschußberatungen den breitesten Raum einnahmen, bleiben das Herzstück doch die Tarif- und Freibetragsänderungen. Hier haben sich die politischen Standpunkte angenähert. Noch in der Regierungserklärung vom Dezember 1976 hatte der Kanzler angekündigt, daß er aus dem Tarifbericht in dieser Wahlperiode keine Konsequenzen ziehen könne und wolle. Wie bekannt, hat die CDU/ CSU-Opposition hier von Anfang an einen anderen Standpunkt eingenommen. Wie aber auch bekannt, hat die Regierung — jetzt schon im dritten Steuerpaket dieser Wahlperiode — den Weg von Freibetrags- und Tarifänderungen mit beschritten.Im unteren Progressionsbereich — bis 60 000 DM — sehen Koalitions- und Oppositionsentwurf Entlastungen vor, die zu einer Senkung der Durchschnitts- und der Spitzensteuersätze führen. Nach dem Koalitionsentwurf erfährt aber knapp die Hälfte der Lohnsteuerzahler, die noch allein in der Proportionalzone besteuert wird, keine Tarifentlastung; denn der Erhöhung des Grundfreibetrages steht die Abschaffung des Tariffreibetrags gegenüber.Demgegenüber bewirkt die Absenkung des Eingangssteuersatzes von 22 % auf 21 % nach dem CDU/CSU-Entwurf eine zusätzliche Entlastung der kleinen Lohnsteuerzahler. Die Opposition erblickt — so führte sie in den Ausschußberatungen aus — in dieser Maßnahme einen ersten Schritt in Richtung auf einen durchgehend progressiven Einkommensteuertarif mit niedrigem Eingangssteuersatz.Obwohl sich also im Tarif- und Freibetragsbereich die politischen Positionen angenähert haben, obwohl etwa bezüglich des Weihnachtsfreibetrags in beiden Entwürfen gleichlautende Anträge enthalten sind, empfiehlt Ihnen der Ausschuß heute, beide Entwürfe alternativ zur Abstimmung zu stellen, vor allen Dingen deswegen, weil diesen Entwürfen im Bereich der Familien- und Kinderentlastung grundsätzlich verschiedene Konzeptionen zugrunde liegen. Das macht die Alternative darüber, wie heute abgestimmt werden kann, klarer. Das hat für das Sekretariat des Ausschusses natürlich eine Mehrarbeit bedeutet. Es mußten für heute zwei Ausschuß-berichte erstellt werden. Für die vorzügliche Arbeit, die im Laufe der Beratungen und bei der Erstellung der Berichte von seiten des Sekretariats des Finanzausschusses geleistet wurde, darf ich — insoweit sicherlich im Namen aller Mitglieder des Ausschusses — herzlich Dank sagen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen der Damen und Herren Berichterstatter liegen nicht vor. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gobrecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine Anleihe, diesmal nicht auf dem Kapitalmarkt, sondern in der Literatur. Der Themenbereich, der uns heute beschäftigt, könnte in Anlehnung an den Titel eines Theaterstücks wie folgt formuliert werden:Der Ruf nach Ruhe an der Steuerfront — unter herausragender Berücksichtigung der Forderungen nach Steuersenkungen und gleichzeitiger Finanzierung staatlicher Aufgaben, unter besonderer Beachtung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, des Finanzvolumens, der Steuerstruktur, der Steuerharmonisierung durch EG-Richtlinien, der Erhöhung des Weih-
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Gobrechtnachtsfreibetrages, der Tarifänderung, des Kinderlastenausgleichs, des Abbaus von Subventionen , aufgeführt von Verbänden und Vereinigungen, Parteien, Verwaltungsbürokratien, Landesparlamenten, Landesregierungen, dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland.
Trotz aller Länge ist dies der verkürzte Versuch der Beschreibung des heutigen Themenbereichs der Finanz- und Steuerpolitik, und es ist zugleich der Versuch, wenigstens einen Teil derjenigen einzufangen, die alle mitwirken, bis ein Steuergesetz verabschiedet wird, und die alle diesen Vorgang nicht einfacher, sondern komplizierter machen. Daß sich dies entsprechend auf Gesetzesformulierungen auswirken muß, ist sonnenklar. Wer darüber klagt, daß die Steuergesetze immer schwieriger geworden seien — und diese Klage ist ja in Teilen berechtigt —, hat zuvor mit Sicherheit durch seine Forderungen und Änderungswünsche diesen Komplizierungsprozeß „erfolgreich' mit ausgelöst.
Meine Damen und Herren, schon das Sprichwort sagt: Viele Köche verderben den Brei. Ich meine, wir sollten nach den Bundestagswahlen erneut mehr als einen Gedanken darauf verwenden, den Entscheidungsprozeß, der zur Verabschiedung von Steuergesetzen führt, zu überdenken. Denn es ist für einen Parlamentarier hier im Deutschen Bundestag nur schwer zu akzeptieren, daß nach meist wochenlangen intensiven Beratungen im Finanzausschuß ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz vom Bundesrat angehalten und in den Vermittlungsausschuß gebracht wird,
dessen Ergebnisse nicht nur nach der Melodie „Friß, Vogel, oder stirb!" nur angenommen oder abgelehnt werden können, sondern in der Regel auch nicht so sorgfältig beraten werden konnten, wie dies bezüglich der Beschlüsse des Bundestages zuvor in dessen Ausschüssen der Fall war.
Als Beispiel sei hier nur auf den Abzugsbetrag für Kinderbetreuungskosten hingewiesen, der ein solches Vermittlungsergebnis war und der mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen folgerichtig auch wieder abgeschafft werden soll. Es wäre gewiß auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung, den Entscheidungsprozeß bei der Verabschiedung von Steuergesetzen einfacher und durchschaubarer zu machen, und dies hieße, die Verabschiedung solcher Gesetze endgültig dem Bundestag zu übertragen.
Dies wäre, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch deswegen richtig, weil über den Bundesrat längst nicht mehr der Sachverstand der Länder aus der Verwaltung der Steuergesetze in die Steuergesetzgebung eingebracht wird, sondern in der Regel nur mehr das parteipolitische Interesse als verlängerter Arm der Bundestagsopposition.
— Das ist richtig, es beweist sich immer wieder. Das können wir an jedem einzelnen Gesetz nachweisen, und auch Sie müßten das eigentlich wissen.Ein Beweis dafür — um den gleich anzufügen — war nicht zuletzt die Forderung der Opposition bei der Beratung dieses Steuerpakets im Finanzausschuß, zu dem einzuberufenden Hearing über das Steuerpaket auch Vertreter des Bundesrates sozusagen als Vertreter einer gesellschaftlichen Gruppe einzuladen, als ob der Bundesrat als Verfassungsorgan nicht ohnedies ständig, wie eben geschildert, an der Gesetzgebung beteiligt wäre.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Steuerpaket 1981 der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung, das wir heute verabschieden wollen, eine Vorbemerkung: Steuersenkungen sind keine Schenkungen.
Wir sagen auch im Wahljahr 1980, die im Steuer- und Familienentlastungspaket 1981 enthaltenen Steuersenkungen und Erhöhungen von Transferleistungen sollen einerseits die von Zeit zu Zeit erforderliche Anpassung des Einkommensteuer- und Lohnsteuertarifs und bestimmter Freibeträge an die gestiegenen Einkünfte der Bürger vornehmen, damit nicht nominelle Erhöhungen der Einkünfte zu einer real höheren Besteuerung führen. Mit anderen Worten: die in einem progressiven Einkommensteuersystem angelegte Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit soll ausgewogen erhalten werden. Andererseits muß zugleich die finanzielle Leistungsfähigkeit des Bundes, der Länder und der Gemeinden erhalten bleiben, weil sich die große Mehrheit der Bürger einen armen Staat nicht leisten kann. Dies ist oft gesagt worden, aber unverändert richtig.
Dieser letzte Gesichtspunkt hat uns deshalb auch bewogen, obwohl dies immer unpopulär ist, die Steuersenkungsvorschläge in der Größenordnung von immerhin 6,5 Milliarden DM, von Opposition und Bundesrat schon für 1980 gefordert, abzulehnen, weil dies angesichts der Haushaltslage der Gebietskörperschaften zwangsläufig eine Rückführung von staatlichen Leistungen und damit eine Scheinbegünstigung der Bürger bedeutet hätte. Dieses wäre unsolide und unseriös gewesen, und so etwas machen wir nicht mit.
— Wenn es um seriöse Finanzpolitik geht, lachen Sie regelmäßig, Herr Kollege Schäuble, aber wer zuletzt lacht, lacht in der Regel am besten.
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GobrechtZentrale Ansatzpunkte des Gesetzes zur Steuerentlastung und Familienförderung sind deshalb aus dem Gesichtspunkt einer gerechten Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zum einen, Steuersenkungen im Tarifbereich durch die Erhöhung von Freibeträgen bei der Einkommen- und Lohnsteuer — vor allem die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages von 400 auf 600 DM schon in diesem Jahr, 1980 —, zum anderen durch Entlastungsmaßnahmen für Familien und Alleinstehende mit Kindern durch steuerliche Freibeträge und zusätzliche bzw. ergänzende staatliche Zahlungen für diejenigen, die nicht steuerpflichtig sind.Was die Horrorzahlen des verehrten Kollegen Berichterstatters von eben anbelangt: Wenn dies richtig wäre, würden diese Zahlen genauso für den von Ihnen geforderten Kinderfreibetrag gelten.
— Um so mehr kann man sagen. — Das hätte in einem Bericht, der sachlich sein soll, dann auch gesagt werden müssen.
Da unsere überzeugenden Lösungen sowohl hier im Bundestag als auch in der Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen ausführlich dargestellt worden sind, will ich mich auf das Wesentliche beschränken. Da immer zuwenig Geld vorhanden ist, setzen wir die Entlastungen in den genannten entscheidenden Bereichen dort an, wo sie wirklich nötig sind. Dies ist der Bereich der Ausweitung der Proportionalzone bei der Einkommensteuer und Lohnsteuer, weil durch die Steigerung der Einkünfte vor allem immer mehr Arbeitnehmer in die Progressionszone des Tarifs gerutscht sind, wo sie nicht hingehören. Wir erreichen damit, daß 1981 wieder über die Hälfte der Arbeitnehmer nur proportional besteuert werden.Wir setzen im Tarifbereich die Steuersenkung vor allem im Anfangsprogressionsbereich fort, so daß auch die große Mehrheit der Arbeitnehmer und aller anderen mittleren Verdiener entlastet wird, denn genau hier liegt der sensible Punkt beispielsweise der Facharbeiter, der Angestellten, der kleinen und mittleren Selbständigen und der Ehepaare, die beide als Arbeitnehmer oder Selbständige Einkünfte haben. Hier entlasten wir nach den von mir genannten Grundsätzen, um die vorhandenen Mittel zielgerecht einzusetzen, denn wir können und wollen kein Geld verkleckern.In diesem Bereich mußte auch deshalb angesetzt werden, weil es für Sozialdemokraten ganz und gar nicht hinnehmbar ist, daß die Lohnsteuerquote, das Verhältnis der Lohnsteuereinnahmen zu den Bruttolöhnen und -gehältern doppelt so stark steigt wie die Erhöhung von Löhnen und Gehältern. Wir Sozialdemokraten lassen jedenfalls nicht zu, daß es Sprünge von 20% bei der Erhöhung des Lohnsteueraufkommens gibt, wie es die heutige Opposition in ihrer Regierungszeit, ohne mit der Wimper zu zukken, hingenommen hat.Im Bereich der Entlastungsmaßnahmen für Familien und Alleinstehende mit Kindern sowie der Erhöhung der Geldleistungen für diese Bürger kommt es uns auch darauf an, die beschränkten finanziellen Mittel gerecht — d. h. hier: gleichmäßig — zu verteilen. Deshalb halten wir am vorgesehenen Kindergrundfreibetrag von rund 30 DM im Monat pro Kind und Familie fest, den wir möglichst auch allen Familien und Alleinstehenden mit Kindern zukommen lassen wollen, die nicht steuerpflichtig sind. Wir können nämlich nach wie vor nicht einsehen, daß Kinder eines Spitzenverdieners dem Staat — auf Kosten aller Steuerzahler — fast dreimal so lieb und vor allem teuer sein sollen wie Kinder eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers.
Deshalb lehnen wir die erneute Forderung nach Einführung allgemeiner Kinderfreibeträge, die wir seit 1975 überwunden glaubten, mit aller Entschiedenheit unverändert ab. Diesen Rückfahrschein in die 50er Jahre, meine Damen und Herren von der Opposition, müssen Sie sich an den Hut stecken.
Es bleibt mir jedenfalls unerklärlich, wie Sie hinter die 1974 getroffene fortschrittliche Entscheidung wieder zurückfallen konnten. Aber wahrscheinlich hat das etwas mit der gesellschaftspolitischen Rückständigkeit Ihres gegenwärtigen Kanzlerkandidaten zu tun.
Da die Opposition von der Koalition in der Finanzpolitik immer wieder die Quadratur des Kreises fordert, ohne selbst auch nur einen „runden" Kreis zustande zu bringen, muß ich hier eine Bemerkung zum finanziellen Umfang unseres Steuerpakets und dem Volumen des Oppositions-Entwurfs machen. Denn von der schon dargestellten unseriösen Forderung abgesehen, bereits für 1980 eine Senkung in Höhe von 6,5 Milliarden DM vorzunehmen, woran die CDU/CSU im Finanzausschuß auch vorige Woche noch inhaltlich festgehalten hat, meint die Opposition im weiteren Entwurf, allein für 1981, also für ein Jahr, weitere Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen in einer Größenordnung von 17,2 Milliarden DM vornehmen zu können. Das sind 4,3 Milliarden DM mehr, als unser Paket vorsieht.
Allein dem Bund will die Opposition in diesem einen Jahr 1981 eine Summe von 9,2 Milliarden DM aufladen. Dagegen belastet unser Paket den Bund 1981 mit 5,45 Milliarden DM und 1982 mit 2,6 Milliarden DM. Wir verteilen also die Belastungen für die öffentlichen Haushalte auf zwei Jahre, weil wir mit den Staatsfinanzen vorsichtiger und solider umgehen.
— Das sieht man an den Ergebnissen der wirtschaftlichen Prosperität und am sozialen Frieden in derBundesrepublik Deutschland. Vergleichen Sie das
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Gobrechtbitte einmal mit anderen Industriegesellschaften, meine Damen und Herren.
Wenn man diese Belastungsforderungen der Opposition für die Haushalte zur ständigen Kritik an der Staatsverschuldung in Beziehung setzt, dann wird klar, mit welcher Doppelstrategie — man muß wohl sagen: mit welcher Doppelzüngigkeit — von der Opposition hier gearbeitet wird.
Aber die Wähler kriechen der CDU/CSU nicht auf diesen Leim. Das hat nicht zuletzt die Wahl in Nordrhein-Westfalen bewiesen.
— Was die Liberalen zu sagen haben, werden sie sicherlich an diesem Pult sagen; dessen bin ich sicher. — Sozialdemokraten jedenfalls machen — zusammen mit den Freien Demokraten, Herr Kollege Schleifenbaum — eine ordentliche Finanzpolitik, die - das ist zugegeben — eine schwierige Gratwanderung zwischen Steuer- und Haushaltspolitik ist. Dafür verdient der zur Entlastung der Lohn- und Einkommensteuerzahler entschlossene Bundesfinanzminister Matthöfer Unterstützung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt sie ihm und der Bundesregierung in vollem Umfang.
Das heute zur Entscheidung anstehende Steuerpaket 1981 der sozialliberalen Koalition setzt ihren Weg in der Steuerpolitik mit Konsequenz und Stetigkeit fort, der durch die Eckpunkte Steuergerechtigkeit und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit einerseits sowie ausreichende finanzielle Ausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden andererseits vereinfacht beschrieben werden kann. Die unsinnige Behauptung der Opposition — sie wird erst jetzt wieder in dem ominösen Doppelprogramm von München und Berlin aufgenommen — von einem „Marsch in den Steuer- und Abgabenstaat" wird durch die Fakten widerlegt und ist überdies unlogisch, unlogisch schon allein deshalb, weil in einem Steuergesetz nicht ein Komma — ich habe das zu Anfang bereits beklagt — ohne Zustimmung des Bundesrates, des in diesem Fall — verfassungsändernd — verlängerten Arms der Bundestagsopposition, geändert werden kann. Wenn diese dummerhaftige Behauptung richtig wäre, müßte sich die Opposition selber an den Ohren ziehen. Denn jeder Schritt dieses angeblichen Marsches ist mit Ihrer Zustimmung erfolgt.
Aber, wie gesagt, Fakten und Zahlen sprechen eine andere Sprache. So sagt die Steuerquote, der Anteil der Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden am Bruttosozialprodukt, eindeutig aus, daß die Steuerpolitik der letzten zehn Jahre für ein Gleichmaß der steuerlichen Belastung der Bürger gesorgt hat. Die Steuerquote hat in allen Jahren desBestehens der Bundesrepublik Deutschland immer um 24% gependelt.
Die unwahrhaftige Bezeichnung, ja Disqualifizierung der Bundesrepublik Deutschland als Steuer- und Abgabenstaat wird dadurch eindeutig widerlegt.Allerdings hat es aus unserer Verpflichtung, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen, Umverteilungen innerhalb des Steuersystems gegeben, die der Opposition nicht in den Kram passen und die wenigstens zu einem Teil das Gerechtigkeitsgefälle, das die sozialliberale Koalition auch im Bereich der Steuergesetze bei ihrem Amtsantritt vorfand, etwas abgebaut hat.Die Steuergesetzgebung der sozialliberalen Koalition hat darüber hinaus konkrete Beiträge für die langfristige Sicherung und Finanzierung staatlicher Aufgaben durch eine Verbesserung der Steuerstruktur, d. h. des Verhältnisses des Anteils der direkten und der indirekten Steuern am Gesamtsteueraufkommen, geleistet. So ist der Anteil der direkten Steuern, vor allem der Steuern vom Einkommen, durch Steuersenkungen gemindert und der Anteil der indirekten Steuern, der Steuern auf die Einkommensverwendung, durch Steuererhöhungen angehoben worden.Eine ausgewogene Steuerstruktur wird auch zukünftig für die Finanzierung der Gebietskörperschaften zu beachten sein. Die Anhebung bestimmter Steuern vom Verbrauch und Aufwand, womit möglicherweise zugleich ein gesundheitspolitischer Beitrag in bestimmten Bereichen geleistet werden kann, ist mittelfristig jedenfalls für mich kein Tabu.Mit der Verabschiedung des heute vorliegenden Steuerpakets 1981, des Steuervereinfachungsgesetzes, mit dem drei Bundessteuern aus Vereinfachungsgründen definitiv abgeschafft werden, mit der Verabschiedung verschiedener Vereinfachungsvorschriften im Einkommensteuergesetz und in anderen Steuergesetzen sowie einer Verbesserung der Abschreibung der Anschaffung von Wirtschaftsgütern, die dem Umweltschutz dienen, ist die Gesetzgebungsarbeit auf dem Gebiet der Steuerpolitik in dieser Legislaturperiode noch nicht beendet. Denn die sozialliberale Koalition will auf jeden Fall auch noch das Gesetz gegen die Abschreibungsgesellschaften verabschieden, wofür morgen der Finanzausschuß des Bundestags die Voraussetzungen schaffen wird.
Aber auch in der 9. Wahlperiode des Deutschen Bundestages kann es eine „Ruhe an der Steuerfront" nicht geben. Denn dies würde gesellschaftspolitischen Rückgang bedeuten. Und das ist in einer dynamischen Industriegesellschaft wie der unseren undenkbar. Ich brauche hier nur auf die vielfältigen Interessen an einer Änderung der Besteuerung im Bereich von Bauen und Wohnen — * 7 b des Einkommensteuergesetzes, Grunderwerbsteuer, Ein-
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Gobrechtheitsbewertung des Grundvermögens — oder die Besteuerung im Zusammenhang mit dem Auto — Kraftfahrzeugsteuer, Mineralölsteuer, Kilometer-und Entfernungspauschale — zu erinnern.Zum Schluß. Die SPD hat sich 1971 zugetraut, ein ausgefeiltes Konzept zur Steuerpolitik in einem Prozeß breiter demokratischer Willensbildung auf einem Bundessteuerparteitag zu erarbeiten. Wir Sozialdemokraten waren damals und sind bis heute die einzige Bundespartei, die das auf diese Weise geleistet hat. Es war ein Wagnis, weil eine ganze Reihe von Zielen gleichzeitig anzuvisieren war, die überdies oft in Konflikt miteinander liegen, nämlich das gesellschaftspolitisch Wünschbare — also mehr Gerechtigkeit —, das fiskalisch Nötige — also mehr Geld für die öffentlichen Kassen —, das wirtschaftlich Erträgliche — also nichts, was wirtschaftliches Wachstum, die Investitionsbereitschaft oder die Eigeninitiative lähmen könnte — und schließlich das politisch Durchsetzbare —, also nichts, was der Mehrheit der Bürger nicht plausibel gemacht werden könnte. Danach haben wir Sozialdemokraten uns in der Steuerpolitik bisher gerichtet. Dies werden wir auch in den nächsten Jahren mit Zustimmung der Bürger für die Bürger tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die heute zur Abstimmung vorliegenden Steuergesetzentwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen der SPD und der FDP werden von ihnen selbst als „Steuerpaket" bezeichnet. Walter Kannengießer hat dafür schon im November 1979 in der FAZ die sehr viel treffendere Bezeichnung „Matthöfers Steuersalat" gefunden.
Das ist eine liebenswürdige Bezeichnung für ein Gesetz, das unordentlich konzipiert ist, groteske Komplizierungen des Steuerrechts schafft und mit dem Makel behaftet ist, daß es die Bundesregierung mit ihm gar nicht ernst meint, denn sie hat es ganz bewußt so gestaltet, daß es so, wie es vorgelegt worden ist, niemals im Bundesgesetzblatt erscheinen wird.
Die heimlichen Steuererhöhungen, seit Jahren eine der Geißeln der sozialliberalen Steuerpolitik,
wollte die CDU/CSU durch ihren Gesetzentwurf schon für 1980 wenigstens einigermaßen abbauen. Doch für 1980 wollte die Bundesregierung die heimlichen Steuererhöhungen noch selbst voll vereinnahmen. Deswegen sollte der Steuerzahler durch die Ankündigung von Steuerentlastungen für 1981 und für 1982 abgelenkt werden. Dieses Entlastungsgesetz sollte so nahe an den Wahltag herangerückt werden, daß die Entlastungen zwar am Wahltag groß herausgestellt werden können, daß aber der Bürger erst nach dem Wahltag feststellen kann, wieviel oder wie wenig ihm die Entlastungen tatsächlich in der Lohntüte bringen werden.
Doch bereits im Dezember 1979, als der von uns schon für 1980 beantragte Abbau der heimlichen Steuererhöhungen am Widerstand der SPD und der FDP gescheitert war, hatte die Union ihr steuerpolitisches Programm für 1981 vorgelegt. Nach meiner Auffassung sah sich die Bundesregierung nur dadurch dem Druck ausgesetzt, Steuerentlastungen in ähnlicher Größenordnung und mit ähnlichen Komponenten vorzuschlagen.
Sie übernahm die geforderte Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages. Beim Einkommen- und Lohnsteuertarif gelten die von der CDU/CSU vorgeschlagenen Änderungen bei allen Fachleuten als ausgewogen, als ein Schritt in die richtige Richtung. Der Tarifvorschlag der CDU/CSU hat in den Augen der Steuerpolitiker der SPD und der FDP einen, allerdings entscheidenden Nachteil: Er kommt von der Union; deshalb mußte eilig ein anderes Tarifmodell geschneidert werden.Der Bundesfinanzminister hat der Öffentlichkeit in, diesem Zusammenhang ein beachtliches Täuschungsmanöver — ich sage das nicht ohne Respekt — mit erheblicher Raffinesse vorgeführt. Noch im August 1979 bezeichnete er die Forderungen der CDU/CSU nach einer Steuersenkung als „unverantwortlich", als „mit der Haushaltslage unvereinbar", als „unseriös".
Vorrang, so erklärte er, müsse die Konsolidierung des Haushalts haben; man könne nicht beides: die Steuern senken und den Haushalt konsolidieren. So unzumutbar hoch, erklärte er manchmal, wie die Union es immer darstelle, sei die Steuerbelastung auch gar nicht. Er machte noch sehr viel mehr Äußerungen solcher Art. — Das hat sich dann schlagartig geändert, nachdem ihm offenbar einige Sekretärinnen des Ministerbüros einmal ihre Gehaltsabrechnungen vorlegten und nachdem in den Koalitionszirkeln beschlossen worden war, steuerlichen Wahlspeck anzulegen. Inzwischen vergeht keine Woche, ohne daß der Bundesfinanzminister von der zu hohen Steuerbelastung redet, die dringend abgebaut werden müsse, ganz so, als hätte nicht die Politik dieser SPD /FDP-Koalition zu dieser hohen Steuerbelastung geführt.
Wenn der Bundesfinanzminister jetzt erklärt, aus Gründen der Steuergerechtigkeit müsse eine noch stärkere Belastung der Steuerzahler verhindert werden, übernimmt er — das begrüßen wir — die jahrelang vorgetragenen Argumente der Union, offenbar in der Hoffnung, daß der Steuerzahler einem reuigen Sünder seine vorangegangenen Sünden verzeiht. Doch ich befürchte, die hier gezeigte Reue ist nicht echt; denn gleichzeitig legt er ein Steuerpaket vor, von dem er genau weiß, daß es die Union sowie sämtliche Bundesländer, auch die von der SPD ge-
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Dr. Kreileführten, so nicht akzeptieren können und werden. Er erklärte, an diesem Steuergesetz dürfe kein Jota geändert werden, der Bundestag müsse den Entwurf so verabschieden, wie er vorgelegt worden sei.Der Bundesfinanzminister betreibt damit eine Konfrontationsstrategie, offenbar auch mit dem Kalkül, das Entlastungspaket im Vermittlungsausschuß
— ich wiederhole —, offenbar auch mit dem Kalkül, das Entlastungspaket im Vermittlungsausschuß scheitern zu lassen und so die heimlichen Steuererhöhungen, von denen ohnehin nur ein Teil zurückgegeben werden soll, in den Kassen des Staates zu haben und vor der Öffentlichkeit trotzdem als derjenige dazustehen, der Steuersenkungen gewollt habe.
Dieses Täuschungsmanöver ist zu ausgeklügelt. Die Bürger werden nicht darauf hereinfallen.
Wo bleiben denn nun die Argumente, die gegen den von der Union bereits für 1980 geforderten Abbau der heimlichen Steuererhöhungen vorgetragen worden sind? Ist der Haushalt jetzt saniert? Sind nicht sogar neue Belastungen und Risiken im Gefolge der Krise von Afghanistan, infolge der Bedrohung der Rohstoffversorgung durch den weltweit ausholenden Zugriff der Sowjets eingetreten? Die Union hatte verantwortungsbewußt angeboten, über eine Abstimmung der Haushalts- und der Steuerpolitik mit sich reden zu lassen. Die Regierung hat dieses Angebot brüsk abgeschlagen.
Wenn die Regierung jetzt erklärt, ein Entlastungsvolumen von 17 Milliarden DM verkraften zu können, so werden wir diese Entlastung im Interesse unserer Steuerzahler begrüßen.
Wir haben doch jahrelang gegen die heimlichen Steuererhöhungen gekämpft Ohne unseren Druck wären die Entlastungen der letzten Jahre nicht oder nicht in diesem Umfang zustande gekommen.
Jede Mark in den Taschen unserer Bürger ist uns lieber als in den Kassen des Staates.
Aber die Entlastung des steuerzahlendeh Bürgers in Höhe von 17 Milliarden DM sollte in der richtigen und sachgerechten Art und Weise geschehen, wie sie der im Finanzausschuß des Bundestages von SPD und FDP bedauerlicherweise abgelehnte Gesetzentwurf der Union aufzeigt.Der Tarifänderungsvorschlag der CDU/CSU stimmt im Entlastungsvolumen mit dem der SPD und der FDP fast überein, unterscheidet sich von diesem in der Konzeption aber grundsätzlich.Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Entlastungen sind nur kurzfristig angelegt. Sie bieten keine Chance, zu einem durchgehenden Progressionstarif zu kommen. Die Verlängerung der Proportionalzone schafft zwar kurzfristig Entlastung, wird aber schon in einem bis zwei Jahren durch die Lohn- und Einkommensentwicklung überholt sein. Dann werden auch die 10 % aller Arbeitnehmer, die jetzt aus der Progression herausgenommen werden, dieser wieder unterworfen sein, und zwar dann bei einer steileren Progression.Damit aber wird das Problem der heimlichen Steuererhöhungen nicht entschärft, sondern im Gegenteil verschärft. Die Kosmetik, die durch die Verlängerung der Proportionalzone kurzfristig erzielt wird, erschwert zukünftige Tarifkorrekturen, die auf eine Entschärfung der Progression gerichtet sein müssen. Der Vorschlag der Union für eine Tarifkorrektur, der mit einer Reduzierung des Steuersatzes von 22 auf 21 % beginnt und die Progressionskurve dann folgerichtig abflacht, ist der entscheidende Schritt in die richtige Richtung zu einem durchgehenden Progressionstarif.Unzureichend ist auch die steuerliche Entlastung der Familien im Gesetzentwurf der SPD und der FDP, wiederum im Gegensatz zu dem Entwurf der Union. SPD und FDP wollen den Kinderbetreuungsbetrag abschaffen. Wir wollen ihn so ausgestalten, daß ihn künftig alle Familien mit Kindern geltend machen können. Die bürokratische Nachweispflicht, die zu Manipulationen geradezu anreizt, muß nicht zuletzt deswegen entfallen, weil sie die sozial schwächeren Familien benachteiligt; denn bei diesen hat die Eigenbetreuung ein viel größeres Gewicht als die Fremdbetreuung.
Der statt dessen von der Bundesregierung vorgeschlagene Kindergrundfreibetrag benachteiligt die Familie mit Kindern, die sich in der Progressionszone befindet. Für die kleineren und mittleren Einkommensbezieher wird darüber hinaus eine Verschlechterung bei den einkommensabhängigen staatlichen Leistungen bewirkt, weil nämlich die Einkommensgrenzen z. B. bei den Wohnungsbauprämien und Sparprämien sowie diejenigen, die bei den BAföG-Mitteln maßgebend sind, faktisch herabgesetzt werden. Bürger, die sonst diese Mittel in Anspruch nehmen könnten, werden aus dem Kreis der Begünstigten ausgeschlossen, ohne daß sich ihre Lage sozial geändert hat. Der Grundfreibetrag, wenn er wirklich käme, schaffte nicht zuletzt wegen des sogenannten Halbteilungsgrundsatzes eine geradezu groteske Komplizierung des Steuerrechts. Dies haben die Finanzminister der Länder, auch und gerade solche, die der SPD angehören, hart kritisiert. Dies haben die im Hearing des Finanzausschusses angehörten Sachverständigenverbände beklagt. Darüber hinaus hat auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Professor Bull, erhebliche Bedenken gegen die von der Bundesregierung vorgeschlagene
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Dr. KreileRegelung wegen der Gefahr einer Diskriminierung vorgebracht.Alle Einwände dieser Art wurden im Finanzausschuß von SPD und FDP hinweggewischt. Für mich war besonders erschreckend, wie brüsk die Bundesregierung die Bedenken des Datenschutzbeauftragten abgetan hat — ganz so, als ob es Datenschutz, wenn er einem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung lästig sei, nicht geben könne. Erklärlich ist dieses Verhalten überhaupt nur, wenn man annimmt, daß SPD und FDP schon jetzt sicher sind, daß der Kindergrundfreibetrag nicht kommt. Der Gesetzesvorschlag hierzu ist nämlich lediglich ein Instrument in der Auseinandersetzung des Bundes mit den Ländern darüber, ob und inwieweit sich Länder und Gemeinden an der Finanzierung des Kindergeldes beteiligen. Wenn für den Bundesfinanzminister in dieser familienpolitischen Frage die Mitfinanzierung von Ländern und Gemeinden im Vordergrund steht und seine Entscheidung für die Kindergrundfreibeträge dadurch begründet ist, er es also bewußt auf ein Vermittlungsverfahren anlegt, dann spricht das weder für eine auf das Gemeinwohl und auf die sozialen Belange ausgerichtete Haltung noch für den Respekt vor der föderativen Finanzverfassung der Bundesrepublik.
Die CDU/CSU ist nach wie vor der Auffassung, daß die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die bei den Familien mit Kindern gegenüber den Familien ohne Kinder besteht, sich bei der Besteuerung niederschlagen muß. Nur die Wiedereinführung der Kinderfreibeträge, die Wiederherstellung des früheren dualen Systems — Kinderfreibeträge einerseits und Sockelgarantien in Form von Kindergeld andererseits — kann die relative Verschlechterung der Lage der Familien, die in den letzten Jahren festzustellen war, aufhalten und umkehren. Mittelfristig sollte angestrebt werden, von den steuerlichen Kinderfreibeträgen zu einem Familiensplitting überzugehen.Daß sich eine von SPD und FDP getragene Steuerpolitik dazu ebensowenig durchringen wird wie zu einer wirklichen steuerpolitischen Hilfe für die freien Berufe, das ist zu befürchten. Mit tönenden Worten hat Anfang dieses Jahres zwar die FDP davon gesprochen, die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Selbständigen bei der Behandlung der Vorsorgeaufwendungen abzubauen. Geschehen aber ist hier nichts. Daß der gesamte Vorsorgebereich hinsichtlich seiner steuerlichen Behandlung aus den Fugen geraten ist, wird nicht anerkannt. Denn das ist er einerseits durch die ständige Erhöhung der Sozialversicherungspflichtabgaben und andererseits durch die Weigerung des Gesetzgebers, die steuerlichen Höchstgrenzen entsprechend anzupassen. Es ist auf die Dauer unerträglich, daß gesetzliche Zwangsabgaben auch von den Arbeitnehmern aus zuvor versteuerten Einkommen geleistet werden müssen. Auch dieser Bereich ist eine Quelle ständiger heimlicher Steuererhöhungen. Den Selbständigen, die ihre Beiträge selber voll aufbringen müssen, kann eine adäquate Berücksichtigung des Teils ihrer Aufwendungen zur Kranken- und Altersvorsorge, der bei Arbeitnehmern dem steuerfreien Arbeitgeberanteil entspricht, auf die Dauer nicht verweigert werden.Nahezu völlig leer geht in dem von der Mehrheit der SPD und der FDP im Finanzsausschuß so beschlossenen Gesetzentwurf der betriebliche Bereich aus. Die Anpassung des vermögensteuerlichen Abzuges von Pensionsverpflichtungen an die durch das Betriebsrentengesetz veränderte Situation war längst geboten. Sie hätte schon 1975 erfolgen müssen und kann jetzt nicht als Erfolgsmeldung dargestellt werden.
— Wir reden von der Übernahme der Ertragsteuerwerte in die Vermögensaufstellung, und dieses Problem hätte längst behandelt werden müssen. Das ist der entscheidende Punkt.Die CDU/CSU hat zusätzlich vorgeschlagen, in wesentlich stärkerem Maße als bisher die ertragsteuerlichen Werte auch für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zu übernehmen. Auch dies sollte nur ein Einstieg sein, dem als nächster Schritt die volle Übernahme dieser Werte ohne eine Restwertregelung folgen sollte. Doch selbst dieser Einstieg, der bereits mit einer wesentlichen Vereinfachung des Steuerrechts verbunden wäre, wurde von den Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Dieses Gesetzespaket stellt im wesentlichen den Schlußpunkt der Steuergesetzgebung dieser Legislaturperiode dar, mit Ausnahme dessen, was in den nächsten Tagen noch kommen wird. Zieht man eine Bilanz der Steuerpolitik dieser Legislaturperiode, so ist festzustellen, daß die Bundesregierung auf dem Bereich der Steuerpolitik versagt hat.
Sie hat bei der Aufgabe versagt, die Steuerbelastung und Abgaben der Bürger in erträglichen Grenzen zu halten.Die Entwicklung vom Anfang der 70er Jahre, die durch rasches Ansteigen der Steuerbelastung, ins-' besondere der Belastung mit direkten Steuern, gekennzeichnet war, hat sich auch in der 8. Legislaturperiode fortgesetzt. Der Anstieg der Lohnsteuer ist schlechthin atemberaubend. 1980 wird erstmals die 100-Milliarden-DM-Grenze bei der Lohnsteuer überschritten sein.
Dieser Lohnsteuerstaat, zu dem wir geworden sind, macht sich bei den einzelnen Betrieben bemerkbar. Ich habe mir die Zahlen von einem mittelständischen Betrieb mit 103 Arbeitnehmern geben lassen. Seit 1969 sind bei diesem Betrieb die Löhne auf 244,97 % des Basisjahres 1969 gestiegen, während die Lohnsteuer auf 391,29 % gestiegen ist.
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Dr. KreileNoch krasser macht sich dies natürlich bei dem einzelnen Arbeitnehmer bemerkbar. Einem Arbeitnehmer in Steuerklasse I mit einem Durchschnittseinkommen verbleiben nach Abzug der Belastung durch direkte und indirekte Steuern und der Sozialabgaben von einer Lohnsteigerung von 100 DM 1979 gerade noch 40,14 DM, also erheblich weniger als die Hälfte. In Extremfällen — auch mit solchen muß man sich beschäftigen, wenn man sachgerechte Steuerpolitik betreibt —, kann, wenn z. B. die Einkommensgrenzen für die Sparförderung überschritten werden, eine Lohnerhöhung sogar dazu führen, daß der Arbeitnehmer weniger als vorher auf dem Gehaltskonto hat.
Der Bund der Steuerzahler hat hierzu ein treffendes Beispiel geliefert, bei dem ein lediger Arbeitnehmer nach einer Lohnerhöhung von 50 DM 74 Pfennig weniger als vorher erhält.
— Sie regen sich darüber auf; auch ich rege mich darüber auf.
— Aber, Herr Spöri, ich würde es auf Grund meiner Aufregung ändern und nicht eine solch schlechte Steuerpolitik rechtfertigen.
Es war in den letzten Monaten grotesk: SPD und FDP haben sich geradezu damit gebrüstet, daß sie mit den Steuergesetzen der vergangenen Jahre auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet hätten. Das hört sich dann so an, als verzichte der Staat auf etwas, was ihm zustehe.
Tatsächlich ist es aber umgekehrt; denn der Staat greift zuerst in die Taschen der Bürger und gibt dann zähneknirschend und unter dem Druck der Opposition einen Teil — leider nur einen Teil — des zuviel Geholten zurück.
Gleichzeitig versucht er aber, sich in anderen Bereichen des Steuerrechts schadlos zu halten.
So ist der Mehrwertsteuersatz in mehreren Schritten auf 13 % angehoben worden, die Tabak-, Branntwein- und Mineralölsteuer sind erhöht worden, um nur einiges zu nennen.
— Ja, wegen Ihrer miserablen Haushaltspolitik.
Jetzt wird schon angekündigt, § 7 b des Einkommensteuergesetzes sei problematisch geworden. In diesen Tagen war in der Presse von Plänen zu lesen, die im Bundesfinanzministerium schon fertig in der Schublade liegen sollen, nach denen nach der Wahl die Verbrauchsteuern erhöht werden sollen. Das heißt, vor der Wahl das Spiel: Wir senken die Steuern, und nach der Wahl werden die Steuern, insbesondere die indirekten, erhöht.Parallel hierzu — das vergißt man meistens — haben die Quasi-Steuern, der Kohlepfennig, die Altölabgabe, Steuern, die den Bürger unmittelbar, über die Preise belasten
und belasten sollen, schwindelerregende Zuwachsraten zu verzeichnen.' 1970 betrug ihr Volumen 0,4 Milliarden DM, 1979 ist das auf 3,5 Milliarden DM gestiegen, also um fast 800 %.
Trotz gestiegener Vorsteuerbelastungen — das ist ein weiterer Punkt — haben SPD und — mir völlig unverständlich —, ihr sklavisch folgend, die FDP,
die von der Union beantragte Anhebung der Vorsteuerpauschale von 7 auf 8 % bei der Landwirtschaft und von 5 auf 5,5 % bei der Forstwirtschaft abgelehnt, obwohl Vertreter der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen vorher öffentlich und im Ernährungsausschuß dargelegt hatten, die Anhebung sei von der Sache und von der Rechtslage her geboten.
Die Nichtanhebung führt zu Steuererhöhungen im landwirtschaftlichen Bereich, trägt also den gleichen Stempel, wie die Verschärfung der landwirtschaftlichen Besteuerung, um die heute erneut im Vermittlungsausschuß gerungen wird.Versagt hat die Bundesregierung aber nicht nur bei dem Abbau der heimlichen und offenen Steuererhöhungen, bei der Gestaltung des Steuertarifs, bei der angemessenen steuerlichen Regelung der Altersvorsorge und der Behandlung der Vorsorgeaufwendungen sowie der altersbezogenen Einkünfte, sondern auch — dies ist schon dargelegt worden — bei der Familienförderung. Familien mit Kindern, die Hausfrauen und Mütter werden von dieser Steuerpolitik ständig diskriminiert. Die Beschränkung des Mutterschaftsgeldes auf berufstätige Mütter kann nicht hingenommen werden.
Schlechthin unverständlich ist uns, daß SPD und FDP die vom Bundesrat und von uns vorgeschlagene Erhöhung der Wohnflächengrenzen für Familien mit Kindern abgelehnt haben,
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Dr. Kreileebenso wie die von der tüchtigen Familie Zimmermann aus Bonn mit bewundernswerter Zähigkeit
verfolgte Begünstigung von Ausbauten und Erweiterungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes für Familien, bei denen Kinder kommen und die Wohnfläche nicht langt und deswegen das Haus ein wenig erweitert werden muß.
Schließlich hat die Bundesregierung versagt — man will kaum mehr darüber reden — bei der Vereinfachung des Steuerrechts.
— Im Gegenteil.Bei dem Steuerrecht, auf das es wirklich hier ankommt, bei der Einkommensteuer, der Lohnsteuer und der Umsatzsteuer — wen interessiert schon die Essigsäuresteuer —, ist klar, daß es immer komplizierter, immer verworrener, immer unübersichtlicher geworden ist.
Nicht nur die Vielzahl der Steueränderungen — man muß sich einmal begreiflich machen, daß das Einkommensteuergesetz in den letzten drei Jahren 22mal geändert worden ist — tragen nicht zu einer Vereinfachung des Steuerrechts bei, sondern auch die Flut der Verordnungen, Richtlinien und Schreiben des Bundesministers der Finanzen, die den Wirrwarr zum Teil noch erheblich vergrößern.Letztlich hat die Bundesregierung bei der Sicherung und der Erhaltung der Wettbewerbs- und Investitionsfähigkeit der Unternehmen versagt. Von 1970 bis 1979 ist das Bruttosozialprodukt um 103%, real um nicht ganz 30% gestiegen. Die Vermögensteuer aber ist um 55 % gestiegen, die Grundsteuer um 111 %, die Gewerbekapitalsteuer um 135 % und die ertragsunabhängigen Steuern um 130 %. Dies beklagen wir. Der Bundeswirtschaftsminister beklagt dies bei Veranstaltungen der Unternehmerverbände. Aber hier, wo es darauf ankommt, dies einmal gesetzlich zu fassen und abzubauen, geschieht nichts.
Dabei ist uns klar und wird uns in der Zukunft noch klarer werden, daß der Abbau der Investitionshemmnisse,
der Abbau der einheitswertabhängigen Steuern eine der vordringlichsten Aufgaben sein wird, die vom Bundesgesetzgeber erledigt werden müssen und deren Erledigung man nicht schlechten Gewissens den Gemeinden übertragen sollte.Das größte Versagen, das auch die Steuerpolitik ganz erheblich beeinträchtigt, liegt auf dem Gebiet der Haushalts- und Verschuldenspolitik. Hier kann nur eines wiederholt werden, bis es wirklich jeder begriffen hat: Staatsschulden sind aufgeschobene Steuern.
Je höher der Staat seine Verschuldung aufbaut, desto mehr wird er die Steuerpolitik in Zukunft darauf anlegen müssen, die Belastung des Bürgers und der Wirtschaft zu steigern statt zu senken.Die Schuldenlast wird zum existentiellen Problem für die Wohlfahrt und die Gesundheit dieses unseres Staates. Man kann auf die Dauer diese Probleme nicht vertuschen. Vor der letzten Wahl sprach der Bundeskanzler von einem „Rentenproblemchen". Nach der Wahl ist dies als eine „Rentenlüge" entlarvt worden. Was derzeit als Steuer- und Haushaltsproblemchen angesehen wird, kann und wird sich — wir befürchten dies — als Steuer- und Haushaltslüge entlarven.
Da dieses Gesetz ein Teil dieser Haushalts- und Steuerlüge ist, wird es unsere Zustimmung nicht finden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten haben 1969 bei Eingehen dieser sozialliberalen Koalition zugesagt, daß es keine Erhöhung der Steuerbelastung geben wird. Wir haben dies eingehalten. Wir haben mit regelmäßigen Steuerentlastungspaketen dafür gesorgt, daß die Belastung des Bürgers mit Steuern nicht angestiegen ist.
Sie haben eben in Ihrem Bericht kritisiert, Herr Langner, daß die Steuerpolitik hektisch gewesen sei, weil wir so oft Steuerentlastungspakete beschlossen haben. Ich muß Ihnen da zum Teil recht geben. Wir haben sehr oft sehr schnell hintereinander umfangreiche Entlastungspakete diskutieren und verabschieden müssen.
Das paßt dann aber natürlich nicht damit zusammen, daß Sie gleichzeitig sagen, wir hätten auf diesem Gebiet nichts getan. Wir haben sehr viel getan.
Allein in dieser Legislaturperiode haben wir drei umfangreiche Entlastungspakete mit Milliardenentlastungen durchgeführt.Wenn Sie sagen, Herr Kreile, alles, was wir jetzt machten, sei Wahlspeck und wir machten das, weil in vier, fünf Monaten Bundestagswahl sei, dann dürfen Sie doch einfach nicht vergessen, daß wir all diese anderen Entlastungspakete im Laufe der Legislaturperiode gemacht haben, als keine Bundestagswahlen anstanden, um zu garantieren, daß die Steuerbelastung des Bürgers nicht anwächst. Sie haben im Gegenteil je nach Bedarf die jeweils andere
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17526 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Frau Matthäus-MaierKlageplatte aufgelegt: Einmal tun wir zuwenig zur Steuerentlastung. Wenn wir dann doch etwas dafür getan haben, kommt die Klageplatte der Hektik, weil wir von Jahr zu Jahr hier bei den Steuern dauernd etwas ändern müssen. Dies ist in der Tat richtig.Auch mir als Steuerpolitiker paßt es nicht, daß wir immer wieder, zum Teil in kurzen Abständen, über solche Pakete beraten müssen. Aber hat denn jemand ein Patentrezept, wie man das abändern kann? Es hat doch keiner ein Patentrezept.Ich lese in der Zeitung, daß das Ifo-Institut wieder einmal ins Gespräch gebracht hat — „wieder" bezieht sich darauf, daß es früher aus anderen Richtungen ähnliche Vorschläge gab —, wir sollten bei den Steuern doch ein Indexsystem einführen, d. h. eine automatische Anpassung von Freibeträgen usw. an die Geldentwertung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir Liberalen lehnen dies entschieden ab;
denn sämtliche Modelle in anderen Ländern zeigen, daß dies nicht ein Beitrag zu mehr Geldwertstabilität ist, sondern daß dies im Gegenteil — wie etwa die scala mobile in Italien oder entsprechende Regelungen in England zu mehr Geldentwertung führt.
Von daher müssen wir einen Zwischenweg zwischen Steuerpaketen in bestimmten Abständen einerseits und der Reduzierung der damit notwendigerweise verbundenen Hektik andererseits finden.Herr Kreile, Sie sagten zu Beginn Ihrer Rede — das hat mich ein bißchen verwundert —, die Koalition habe im Dezember letzten Jahres auf Ihren Druck hin weitgehend solche Forderungen übernommen, die Sie öffentlich gestellt hätten. Im Laufe Ihrer Rede klang das aber ganz anders; dann wiesen Sie nämlich auf unterschiedliche Positionen zwischen den beiden Konzepten von Koalition und Opposition hin. Aber beides zusammen ist ja nicht möglich. Entweder haben wir bei Ihnen abgeschrieben, weil es so gut ist, oder wir haben es nicht getan.Ich finde, wir haben etwas getan, was zum Teil mit Ihren Forderungen übereinstimmt. Das ist völlig richtig. Etwa bei der Tarifentlastung sind Teile Ihrer und unserer Forderungen ähnlich. Es gibt andere Teile, bei denen wir uns fundamental unterscheiden. Aber uns beides auf einmal vorzuwerfen, ist schlechterdings nicht möglich.Die Proportionalzone, in der ursprünglich die meisten Steuerpflichtigen sein sollten, ist mittlerweile so verkürzt, daß im Jahre 1980 ohne Korrektur des Tarifs nur noch 42 % aller Steuerpflichtigen in diese Zone fallen würden. Deshalb muß nach unserer Ansicht eine Erweiterung der Proportionalzone erfolgen, damit etwa 10 % der Steuerpflichtigen aus der Progression in die Proportionalzone zurückgeholt werden.Wenn Sie demgegenüber sagen, Ihr vorrangiges Ziel sei es — darin unterscheiden sich unsere Tarifkonzeptionen —, den Steuersatz in der Proportionalzone zu senken, dann können wir dem nicht folgen; denn das Problem, um das es heute geht, sind nicht die Bürger, die sich in der Proportionalzone befinden und gleichbleibend mit 22 % besteuert werden, sondern das Problem taucht doch bei denen auf — gerade Sie beziehen sich doch immer darauf —, die in die Progression hineinwachsen. Von daher sind alle Maßnahmen in unserem Paket darauf abgestellt, die Progression zu mildern, nicht aber in erster Linie darauf, innerhalb der Proportionalzone Absenkungen vorzunehmen.Wenn Sie sagen, die Absenkung des Proportionalzonensteuersatzes in Ihrer Konzeption sei der erste Schritt hin zu einem durchgehend progressiven Tarif, so muß ich Sie fragen: Haben Sie denn bis heute die mindestens zwei schwerwiegenden Probleme gelöst, die mit einem durchgehenden Progressionstarif zusammenhängen? Ich persönlich bin, wie ich es einmal formuliert habe, aus steuerästhetischen Gründen und aus steuersystematischen Gründen sehr für einen progressiven Tarif. Ich hätte ihn gern — beginnend bei 14 oder 15 % oder auch bei 13 %.Aber ich sehe bis heute zwei Probleme, die auch Sie bisher nicht gelöst haben; kein Wissenschaftler hat bisher dafür Vorschläge gemacht. Das erste Problem betrifft die Progressionswirkung, d. h. die Folge, daß bei jeder mehr verdienten Mark auch die Steuerprogression zunimmt. Diese Progressionswirkung nähme zu, zwar bei einem unteren Satz beginnend, aber sie träte immerhin viel deutlicher zutage.Das zweite Problem besteht darin, daß wir ungefähr 1 Million Arbeitnehmerehepaare zusätzlich in die Veranlagung hineinholen müßten. Trotz EDV würde das zu einer Mehrbelastung und Verkomplizierung der Steuerverwaltung führen, für die Sie bis heute keinen Vorschlag vorgelegt haben. Von daher sehe ich zum heutigen Zeitpunkt keine Patentlösung für einen progressiven Tarif.Die Lohnsteuer stiege, wenn wir dieses Steuerpaket nicht verabschiedeten, im Jahre 1980 um nahezu 12 % an. Von daher war es notwendig, einen besonderen Akzent auf die Milderung der Lohnsteuer zu setzen. Deswegen heben wir bereits für Dezember dieses Jahres den Weihnachtsfreibetrag an. Ich sage das ausdrücklich, weil es natürlich Bürger gibt, die uns sagen: Warum tut ihr hier etwas ganz speziell für die Arbeitnehmer? Der Weihnachtsfreibetrag kommt ja z. B. Selbständigen nicht zugute. — Einfach deswegen, weil bei der Lohnsteuer eine ganz besondere Zunahme zu verzeichnen ist. Dem kann man nur begegnen, wenn man bei der Lohnsteuer auch einen Sonderakzent setzt.Zu nennen wären weiterhin die Anhebung der Sonderausgaben — auch ein Punkt, der im Bereich der Progression wirkt, wo der Steuerbürger die Belastung am stärksten spürt — und der Vorwegabzug. Herr Dr. Kreile, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie auf die Bemühungen der FDP hingewiesen haben, hier zu einer verbesserten Lösung für die Selbständigen zu kommen. Wenn das bisher nicht geschehen ist, so wissen Sie ganz genau, woran das liegt: Auch die betroffenen Verbände sind nämlich erst vor wenigen Wochen, als das Ganze schon festgezurrt war, mit ei-
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Frau Matthäus-Maiernem brauchbaren Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten.Sie wissen, daß wir alle gemeinsam darüber nachgedacht haben, wie man die Selbständigen hinsichtlich der Vorsorgeaufwendungen mit den Arbeitnehmern steuerlich gleich behandeln und dadurch diesen Bereich gerechter gestalten könnte, als das bis heute der Fall ist. Selbstverständlich ist der Vorwegabzug ein Weg dahin, aber ein unvollkommener Weg, wobei wir als FDP uns dennoch zugute halten, daß er auf unsere Intervention inzwischen dreimal angehoben worden ist bzw. wird. Aber es bleibt festzuhalten, daß auch die betroffenen Verbände bis vor etwa drei, vier Wochen keinen Vorschlag haben machen können, welcher Weg nach ihrer Ansicht denn der bessere wäre.Erst vor kurzem ist der Verband der Freien Berufe mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, den wir nun allerdings für gut halten: die Einführung eines sogenannten Selbständigenvorwegabzugs, bezogen auf die Krankenversicherung. Das bedeutet, daß 5,5 % — nach den Vorschlägen der Freiberufler 6% — des Einkommens steuerfrei bleiben, wenn gewährleistet ist, daß diese Gelder in eine Krankenversicherung einfließen und der betroffene Selbständige nicht schon anderweitig in der Krankenversicherung versichert ist.Wir halten diesen Vorschlag von seiten der Freien Demokraten trotz der Verkomplizierung des Steuerrechts, die darin liegt, für gut. Der Steuerberaterkongreß kritisiert immer wieder, wir kämen zu einer Verkomplizierung der Gesetze. Das ist richtig. Leider muß man aber den in diesem Zusammenhang betroffenen Verbänden auch sagen, daß dieser Vorschlag, den wir unterstützen, zu einer Verkomplizierung führt. Gleichwohl halten wir diesen Vorschlag trotz der darin liegenden Verkomplizierung des Steuerrechts für gut. Wir hoffen immer noch, daß er im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Mehrheit findet. Dabei weise ich darauf hin, daß er gegenüber der Anhebung des Vorwegabzugs den großen Vorteil hätte, billiger zu sein. Er würde nämlich nur 800 Millionen DM statt der bei der Erhöhung des Vorwegabzugs vorgesehenen 1,6 Milliarden DM kosten.
— Nein, wir haben keinen Antrag gestellt.
— Entschuldigen Sie, Sie wissen ganz genau, daß wir Steuerpakete nicht im Bundestag alleine machen. Der Kollege Gobrecht wies zu Recht darauf hin, daß— ich finde: leider — an unseren Steuergesetzgebungsverfahren auch der Bundesrat beteiligt ist. Bisher ist es so, daß z. B. zu diesem Vorschlag von Ihrer Seite auch noch nichts signalisiert worden ist.Was den Familienlastenausgleich angeht, so brauche ich nur in einem Satz zu wiederholen, daß die Liberalen den von der Union geforderten Kinderfreibetrag ablehnen. Wir haben das schon mehrfach gesagt; wir können es daher kurz machen. Wir sind der Ansicht, bei der Grundförderung, bei der Mindestförderung jeder Familie muß dem Staat jedes Kind gleich lieb und teuer sein. Das haben wir 1975 gemeinsam mit der Opposition beschlossen. Wir sehen keinen Grund, davon wieder abzuweichen.Die Freien Demokraten sehen die sachgerechteste Lösung — das haben wir mehrfach gesagt — in der Erhöhung des Kindergeldes bei gleichzeitiger Einführung der sogenannten Finanzamtslösung. Das hätte insbesondere drei Vorteile.Erstens. Es wäre gewährleistet, daß für jedes Kind eine gleich hohe Entlastung vom Staat vorgesehen wird.Zweitens. An der Finanzierung wären Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam beteiligt. Das halten wir für wichtig; denn wir können nicht akzeptieren, daß von seiten der Opposition und des Bundesrates dauernd mehr Ausgaben für die Kinder gefordert werden, gleichzeitig aber in peinlicher Weise vergessen gemacht wird, daß sich die Länder an der Finanzierung dieser Mehrausgaben nicht beteiligen wollen. Wenn Sie ein höheres Kindergeld wollen, dann bitte schön unter Beteiligung auch der Länder und Gemeinden an den Kosten.
Der dritte Vorteil der Finanzamtslösung wäre, daß der Steuerbürger, da ihm ja das Kindergeld gegen seine Lohn- und Einkommensteuer gegengerechnet würde, sofort die Steuerbelastung einerseits mit dem Kindergeld andererseits verrechnen würde und daß von daher auch die Diskussion über die Steuerquote ganz anders aussähe.Meine Damen und Herren, ich habe im Finanzausschuß das Thema „Finanzamtslösung" mehrfach persönlich angesprochen, und wir haben es gemeinsam diskutiert. Dabei schien es mir so zu sein, daß im Grundsatz durchaus alle Beteiligten etwas von dieser Finanzamtslösung halten. Als neues Hauptgegenargument tauchte aber die Frage auf, was wir denn künftig mit den Stellen bei den Arbeitsämtern machen, die heute mit der Auszahlung des Kindergeldes beschäftigt sind. Meine Damen und Herren, dieses Argument kann doch wohl nicht ernst gemeint sein!
— Herr Schäuble, da brauchen Sie gar nicht auf die linke Seite des Hauses zu zeigen.
Ich erinnere mich sehr wohl daran, daß Sie selber davon gesprochen haben; insofern können Sie mit dem Finger auf sich und auf Herrn Dr. Kreile weisen.
Ich weiß das ganz genau, weil ich mehrfach danach gefragt habe.Ich finde, der Bürger hat für dieses Argument zu Recht kein Verständnis. Denn, wenn wir 1975 entge-
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Frau Matthäus-Maiergen der Konzeption der Koalition die Arbeitsamtslösung eingeführt haben — das heißt, das Kindergeld wird durch die Arbeitsämter ausgezahlt mit der Folge, daß bei den Arbeitsämtern zusätzliche Stellen geschaffen worden sind, wobei die Schätzungen zwischen 3 500 und 5 000 schwanken —, muß es doch wohl möglich sein, dies fünf oder sechs Jahre später wieder rückgängig zu machen;
das kann dann doch wohl nicht an tarifrechtlichen oder beamtenrechtlichen Regelungen scheitern.Herr Dr. Kreile, Sie haben den betrieblichen Bereich genannt und behaupten, dafür werde in diesem Steuerpaket fast nichts getan. Immerhin, ein alter Wunsch der Wirtschaft wird erfüllt, nämlich die Übernahme der ertragsteuerlichen Werte bei den Pensionsrückstellungen auch in die Vermögensteuerbilanz.Aber haben Sie denn vergessen, was alles wir in den letzten Jahren gemacht haben? Wir haben die Gewerbesteuer mehrfach gesenkt, die Freibeträge angehoben, wir haben die Lohnsummensteuer mit einem großen Kraftakt abgeschafft. Herr Dr. Kreile, sorgen Sie, bevor Sie sich über die angeblich nicht vorhandenen Steuerentlastungsmaßnahmen der Koalition im betrieblichen Bereich aufregen, erst einmal in Ihrer Heimatstadt München dafür, daß dort die Entlastungen infolge der Abschaffung der Lohnstummensteuer an die Wirtschaft weitergegeben werden, was bislang nicht der Fall ist.
Wir haben die degressive Abschreibung verbessert, wir haben die degressive Abschreibung für Wohngebäude wieder eingeführt, wir haben die Sätze bei der Vermögensteuer gesenkt usw. usw. Ich meine also schon, daß wir in den vergangenen Jahren auf diesem Sektor sehr viel getan haben, so daß man sich hier keine Vorwürfe machen lassen muß. — Das ist die eine Seite.Die andere Seite ist, daß wir Freien Demokraten uns zugute halten, in diesem Steuerpaket und in dieser Diskussion festgeschrieben zu haben, daß wir dieses Steuerpaket ohne Erhöhung der vorgesehenen Nettoneuverschuldung — weder für 1980 noch für 1981 — durchführen.
Ich halte das für einen wichtigen Punkt, weil selbstverständlich der Bürger draußen zu Recht sagt: Zwar bin ich für Steuersenkungen, aber können wir das denn überhaupt finanzieren, können wir uns ein solches Steuerpaket leisten? Wir meinen, mit einer vernünftigen und ruhigen Politik können und müssen wir einerseits dieses Steuerentlastungspaket durchführen, weil natürlich — das wurde heute mehrfach gesagt — diese Steuersenkungen keine Geschenke sind, sondern das Zurückgeben von progressionsbedingten Steuereinnahmen an den Bürger, auf die er ein Recht hat. Andererseits aber haben wir festgeschrieben, daß keine Erhöhung der Nettoneuverschuldung stattfindet.Meine Damen und Herren, daß aber gerade Sie sich vorwurfsvoll in diese Diskussion einschalten, muß ja nun wirklich zurückgewiesen werden. Die CDU/CSU verfährt hier nach der klassischen Doppel- und Dreifachstrategie. Sie fordert einerseits Steuersenkungen — die reichen Ihnen gar nicht aus —, sie fordert andererseits Einsparungen wegen der Staatsverschuldung, macht aber keinen einzigen Vorschlag, und sie stellt drittens Mehrausgabenforderungen auf, daß einem nur so die Ohren schlakkern. Ich denke an Ihr Mittelstandsprogramm, das Ihre Mittelstandsvereinigung vor wenigen Wochen beschlossen hat: Forderungen in Milliardenhöhe allein an den Steuergesetzgeber. Ich erinnere an die Forderungen von Franz Josef Strauß zur Verteidigungspolitik. Ich erinnere an Ihr neues Wahlprogramm mit Forderungen zur Familienpolitik. Ich habe noch die Worte von Herrn Blüm im Radio im Ohr, daß alles das, was wir zur Familienpolitik sagen, völlig unzureichend und zu gering sei. Meine Damen und Herren, wer soll das denn alles bezahlen?Wir sind ja gewohnt, daß die Opposition mit verteilten Rollen arbeitet.
— Herr Stutzer, zur Vorsteuerpauschale komme ich noch. — Als der Herr Geißler gefragt wurde, wie er sein Wahlprogramm finanzieren wolle, sagte er: „Das werden wir mit einem Wachstum von 6 bis 8 % schaffen. Herr Biedenkopf hat uns aber schon kritisiert, weil unsere Prognosen für das Wachstum zu hoch seien. Er sagt, es gebe höchstens 2 %. Das vergißt Herr Geißler natürlich.
Gleichzeitig sagte Herr Häfele gestern laut Pressemeldungen, die Steuerprogression sei viel zu hoch, und auf Grund der neuen Steuerschätzungen müßten wir die Steuern viel mehr senken, als wir das. heute tun. Das alles paßt doch überhaupt nicht zusammen.Meine Damen und Herren, wir kennen nicht nur Ihr Spiel mit verteilten Rollen durch unterschiedliche Personen. Sie spielen ja auch durchaus gut auf jener Klaviatur, daß dieselben Leute innerhalb kürzester Zeiträume die unterschiedlichsten Dinge erzählen. Ich darf darauf hinweisen, daß Strauß Weihnachten 1979 gesagt hat, wir brauchten eine Steuerentlastung für 1980. Am liebsten hätte er den Weihnachtsfreibetrag schon 1979 erhöht. Im Januar 1980 sagte er dann: Wir müssen das 80er Paket verschieben; wir müssen alle wegen Afghanistan etwas kürzer treten; wir machen nur 1981 ein Steuersenkungspaket, aber immerhin von 17 Milliarden DM. Im Frühjahr hat er dann gesagt: Nein, das ist zuviel, wir müssen sogar beim Koalitionspaket abspecken, das ohnehin über einen Zeitraum von zwei Jahren geht, nämlich 1981/82; das ist schon zu teuer — obwohl billiger als sein eigenes Paket da werden wir ein bißchen einsparen müssen. Im Finanzausschuß wiederum hat die CDU/CSU vor einer Woche beantragt, die Lohn- und Einkommensteuerentlastung in Höhe von 6,5 Milliarden DM solle doch
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Frau Matthäus-Maiernoch für 1980 verwirklicht werden. Sie haben beantragt, daß die Vorsteuerpauschale für die Landwirte angehoben werden solle. Kostenpunkt: eine halbe Milliarde DM. Ich frage Sie wirklich: Wer soll das denn alles bezahlen?
— Herr Stutzer, wenn Sie mich immer nach der Vorsteuerpauschale fragen: Ich habe Sie jetzt erst einmal etwas gefragt.
Ich habe Sie gefragt: Wie wollen Sie das bezahlen, wie paßt das zusammen?Jetzt beantworte ich die Frage, die Sie gestellt haben. Wir haben sie schon im Finanzausschuß beantwortet. Die Position dieser FDP ist völlig klar.
Eine Anhebung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft wäre wünschenswert, wie so vieles wünschenswert wäre. Wir meinen aber, daß zum jetzigen Zeitpunkt darüber keine endgültige Entscheidung getroffen werden kann.
Erstens kostet eine solche Maßnahme rund eine halbe Milliarde DM, für die Sie keinen Deckungsvorschlag gemacht haben, im Gegenteil, Sie haben noch zusätzlich 6,5 Milliarden DM beantragt. Zweitens meinen wir, daß die Diskussion um die Vorsteuerpauschale im Zusammenhang mit der Diskussion über die EG-Agrarpreise geführt werden muß. Wir haben im Finanzausschuß deutlich gesagt, das Nein zur Anhebung der Vorsteuerpauschale im Finanzausschuß ist keine endgültige Entscheidung über diese Problematik. Wenn Sie sie aber jetzt zur Abstimmung stellen, können wir nicht mitmachen,
weil wir meinen, daß die genannten Fragen noch nicht endgültig geklärt sind. Wir erheben den Anspruch, eine seriöse Finanzpolitik zu machen.
Meine Damen und Herren, in diesem Hin und Her der Opposition, das sich von Person zu Person und von Woche zu Woche ändert, finde ich es gut, daß die Koalition mit ihrem Steuerpaket seit Dezember 1979 bis heute ruhig und gelassen durchgehalten hat. Dieses Steuerpaket hat den Vorteil, daß es von vornherein viel seriöser angelegt gewesen ist als Ihr Paket, nämlich erstens Beschränkung auf das unbedingt Erforderliche, zweitens Zurückweisung aller Anträge für das Jahr 1980 außer dem Weihnachtsfreibetrag, drittens Verteilen dieser Ausgaben auf zwei Jahreszeiträume, um die Belastung für den Haushalt gering zu halten, viertens Festschreiben der Belastung für den Bundeshaushalt in Höhe von 8 Milliarden DM.Herr Dr. Kreile, Sie führen am Schluß Ihres Beitrages wieder die Diskussion über die Verschuldung. Dazu möchte ich doch einiges sagen. Ich meine, daß die Diskussion, wie sie jetzt geführt wird, übrigens auch in den Medien, an vielen Stellen irrational ist und sich an formalen Größen orientiert. Die Frage kann doch wohl nur folgendermaßen lauten: Welche mit Schulden finanzierten Ausgaben des Staates bringen für die nachfolgenden Generationen mehr Nutzen als Kosten? Das ist doch die entscheidende Frage. Ein allgemeines Lamentieren darüber, die Schulden belasteten die nachfolgenden Generationen, ist doch völlig formal. Denn eine ganze Menge der von uns vorgenommenen Maßnahmen, die mit Schulden finanziert worden sind, belastet die nachfolgenden Generationen nicht nur nicht, sondern gibt ihnen überhaupt erst die Chance, die Probleme, die heute und morgen auf uns alle zukommen, zu lösen.Ich darf einmal einige Beispiele anführen, Auf gaben, die wir — wir heute — unbedingt durchführen müssen, damit die nachfolgende Generation in der Zukunft nicht mit entsprechenden Folgekosten belastet wird. Wenn wir z. B. Milliarden für die Förderung von Kohleverflüssigung und Kohleveredelung ausgeben, dann finanzieren wir das zum Teil mit Schulden. Aber niemand wird bestreiten, daß dies ein vorsorgliches Eintreten für die Interessen der nachfolgenden Generation ist, nämlich der Versuch, sie energieunabhängiger zu machen.
Wenn wir die Reservebildung beim Rohöl vorantreiben, dann ist das Vorsorgeleistung. Wenn wir eine gut ausgebildete Jugend anstreben, z. B. durch ein großes Potential an Lehrpersonen, dann ist das Vorsorgetätigkeit für die nachfolgende Generation. Wenn wir die psychiatrische Versorgung, die natürlich mit Kosten verbunden ist, heute in Angriff nehmen, dann ist das Vorsorge für die nachfolgenden Generationen. Wenn wir in der Familienpolitik besondere Akzente setzen, dann tun wir das auch, um Folgekosten, z. B. im Bereich der Drogenproblematik, in der nachfolgenden Generation zu verhindern. Wenn wir beim Lärmschutz hohe Investitionen vorsehen, dann ist der Nutzen für die nachfolgenden Generationen größer als die Belastung durch die Zinsen für die Schulden. Das will ich hier deutlich sagen.Man kann doch alle diese Kosten, die notwendigerweise damit verbunden sind, nicht der heutigen Generation auflasten für Nutzen, die erst in fünf, zehn oder auch 20 Jahren entstehen, also für Investitionen, die erst in naher oder später Zukunft Früchte tragen. Vielmehr muß man diese Kosten auf mehrere Generationen verteilen. Man kann also nie formal so argumentieren, daß man sagt: An der Schwelle X, an der Schwelle — was weiß ich — von soundsoviel Milliarden ist die absolute Verschuldensgrenze des Staates erreicht. Die Frage kann doch wohl nur so lauten: Sind Schulden für den richtigen Verwendungszweck gemacht worden? Darüber, finde ich, kann man, muß man diskutieren.
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17530 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Frau Matthäus-MaierDarüber, daß wir möglicherweise auch Schulden für Zwecke machen, über die man streiten und hinsichtlich derer man sagen kann, das Geld sollte besser für andere Zwecke ausgegeben werden,
lasse ich jederzeit mit mir diskutieren, Herr von der Heydt. Da Sie mit dem Kopf nicken, frage ich Sie: Wo ist z. B. Ihr Eintreten für den Abbau von Erhaltungssubventionen?
Es gibt doch zwei Bereiche, in denen das Schuldenmachen in der Tat höchst gefährlich ist: Das eine ist der Bereich der Rüstung und hier der Weg, über Verschulden ein Rüstungspotential zu erhöhen. Das kann im volkswirtschaftlichen Sinne keinen Nutzen einbringen,
es sei denn, man führt einen Eroberungskrieg, was niemand will. Es ist also völlig klar: Im volkswirtschaftlichen Sinne bringt das keinen Nutzen. Der andere Bereich, in dem man auf keinen Fall Schulden machen darf, sind die Erhaltungssubventionen,
da dadurch nicht nur falsche Strukturen aufrechterhalten werden,
sondern auch verhindert wird, daß neue Strukturen, die wir volkswirtschaftlich brauchen,
eingeführt werden.
Meine Damen und Herren, der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat — ich glaube, vor zwei, drei Tagen — gesagt, man müsse die Humaninvestitionen, d. h. Investitionen in die Psychiatrie, in die Lehre, Ausbildung, in die ärztliche Versorgung, wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber sonstigen Investitionen aus dem Investitionsbegriff herausnehmen. Dazu kann ich nur sagen, daß das für die Politik wenig hilfreich ist. Daß es da Abgrenzungsprobleme gibt, wissen wir selber. Daß aber Humaninvestitionen gerade in einem rohstoffarmen Land besonders wichtig sind — auch für die nachfolgenden Generationen —, kann ja wohl niemand bezweifeln. Ich kann Sie also nur fragen: Sind Sie bereit, mit uns an der Stelle einzusparen, wo Schuldenmachen in der Tat gefährlich ist, nämlich im Bereich der Erhaltungssubventionen?
Da habe ich bisher nicht den Eindruck, daß Sie dazu bereit sind.Ich darf z. B. einmal darauf hinweisen, daß wir im Bundesrat bis heute darum kämpfen, die minimaleReform — mehr ist es doch wirklich nicht — bei der Einkommenbesteuerung der Landwirte durchzusetzen.
Das ist doch keine Erfindung dieser Koalition. Sie haben dicke Gutachten, aus denen sich ergibt,
daß z. B. die Besteuerung der Landwirtschaft
— Moment! Hören Sie doch mal eben zu, Herr von Wartenberg! —
nicht nur' eine Subvention mit sehr viel höheren Beträgen als denen ist, die wir ändern wollen, sondern daß z. B. die Strukturen gefördert werden, die es am allerwenigsten nötig haben, daß nämlich am meisten die größeren und mittleren Landwirte davon haben,
nicht aber die, die Hilfe bräuchten, also die kleineren.
Wenn Sie fragen: „Warum nennen Sie an dieser Stelle nicht andere Subventionen, die Sie abbauen wollen?", dann kann ich Ihnen nur folgendes sagen: Ich habe in diesem Bundestag gelernt, daß man keinen größeren Fehler machen kann, als hier am Pult oder in der Zeitung zu sagen: Wir möchten morgen diese und jene Subvention abschaffen. Denn in Windeseile — und Sie beteiligen sich daran, indem Sie sich mit hinter die Verbände stecken — bauen dann die entsprechenden Verbände ihre Position auf und hindern uns mit massiver Einflußnahme an der Verwirklichung.
Das geht — das habe ich gelernt — nur, indem man das kurz und klar und schnell über die Bühne bringt. Daher werde ich mich hüten, zu diesem Zeitpunkt exakt zu sagen, wo wir etwas tun werden. Denn dann hätten Sie nichts anderes zu tun, als das zu verhindern — wie Sie es schon an mehreren Stellen getan haben.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Herr Dr. Kreile, Sie sprachen am Schluß Ihrer Rede von einem großen Täuschungsmanöver dieser Koalition,
bis sogar zu der Absicht
— doch, „Täuschungsmanöver" sagten Sie auch! —, dieses Steuerpaket scheitern zu lassen, um nachher als der dazustehen, der es ja gern durchgeführt hätte, aber daran gehindert worden sei. Herr Dr. Kreile, ich weise diese Unterstellung sehr deutlich zurück.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17531
Frau Matthäus-MaierWir haben bei allen bisherigen Steuerpaketen gezeigt, daß wir die Steuerentlastung wollen, daß wir nicht wollen, daß der Bürger stärker als in den Jahren zuvor mit Steuern belastet wird.Wir haben unseren Teil heute erledigt — mit einer raschen Arbeit, für die ich übrigens allen Beteiligten im Finanzausschuß, auch der Opposition, danke.
Wir haben dafür gesorgt, daß dieses Steuerpaket den Bundestag heute verläßt. Wir haben dafür gesorgt, daß keine Verzögerung eintritt.Sie haben die Chance, aber auch die Pflicht, dazu beizutragen, daß im Bundesrat dieses Steuerpaket schnellstens über die Bühne geht. Sie können zustimmen. Ich hoffe, Sie werden es tun. Bringen Sie den Steuerbürger in den Genuß dieses Steuerentlastungspakets! Beteiligen Sie sich als Länder an der Finanzierung dieses Pakets! Stellen Sie sich bitte nicht hin — übrigens geht diese Forderung, das sage ich sehr deutlich, an alle Länder, auch an die sozialliberal regierten —
und sagen Sie nicht: Der Bund möge zahlen; wir beteiligen uns daran nicht! Bei der Zunahme der internationalen Aufgaben, die ja einzig und allein vom Bund gezahlt werden, ist es eine Frage der Solidarität von Bund, Ländern und Gemeinden und ist es eine Frage eines funktionierenden föderalen Systems, ob auch die Länder bereit sind, die entstandene Mehrentlastung mit zu tragen. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie diesen Gesetzentwurf durch den Bundesrat gehen! Tragen Sie dazu bei, daß der Bürger am Ende dieses Jahres und vor allem 1981/82 in den Genuß der Steuerentlastung kommt!
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke dem Finanzausschuß des Bundestages für die zügige und sorgfältige Beratung der Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe. Der Bundestag kann jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die notwendigen Steuerentlastungen für die Bürger noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.Es gibt für mich keinen Zweifel, daß es richtig ist, an den geplanten Steuersenkungen ab 1981 festzuhalten. Die Belastung der Arbeitnehmer, insbesondere mit direkten Steuern und Abgaben, ist immer noch zu hoch und muß dringend abgebaut werden. Wir lehnen auch den von Frau Matthäus so vorzüglich geschilderten Zickzackkurs der Opposition in der Steuer- und Finanzpolitik ab, der jetzt übrigens im Wahlprogramm der CDU/CSU in geradezu grotesker Weise fortgesetzt wird.Herr Dr. Kreile, Sie versuchen, das nachträglich zu rechtfertigen. Aber es kann doch nicht wegdiskutiert werden, daß wir auf der Tagesordnung heute zwei Gesetzentwürfe haben: Einen Steuersenkungsgesetzentwurf, der von Ihnen und Ihrer Mehrheit im Bundesrat eingebracht wurde, für 1980 und einen für 1981. Wenn Sie hier sagen, wir richteten das alles auf den Wahlkampf aus, dann sage ich Ihnen: Unsere Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik richtet sich nicht nach den Notwendigkeiten von Wahlterminen.
— Lieber Herr Dr. Kohl, daß Sie wieder ein bißchen fröhlicher sind, nachdem der Herr Strauß eins auf den Deckel bekommen hat, das freut mich mit Ihnen.
Ich begrüße Sie schon als neuen Kanzlerkandidaten für 1984.
Dann werden wir auch nicht mehr diese verschwitzten Ungeheuerlichkeiten, die auf Ihrem Parteitag über den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gesagt worden sind, hören müssen.
Es wäre falsch gewesen, die Steuern für 1980 zu senken, weil es ganz einfach nicht miteinander vereinbar ist, die auf uns zukommenden Belastungen zu tragen, das Defizit in den Grenzen zu halten, in denen wir es in diesem Jahr halten — das Defizit ist wesentlich geringer, als in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war —, und die Steuern zu senken. Zu diesem Zeitpunkt kann doch überhaupt niemand bestreiten, daß Ihre Kampagne vom Herbst und Winter vergangenen Jahres falsch gewesen ist. Hätten wir uns auf Ihre Forderungen eingelassen, dann wären wir heute nicht in der Lage, auf die internationalen Notwendigkeiten und auf konjunkturelle Notwendigkeiten zu reagieren.Herr Dr. Kreile sagt: Da gibt es aber doch Afghanistan; man muß mehr für Entwicklungshilfe, mehr für die Verteidigung und mehr für Europa tun. — Das ist selbstverständlich. Nur: der Vorschlag der Union, die Steuersenkungen vom 1. Januar 1981 wegzuschieben oder drastisch zu vermindern, ist nicht sachgerecht. Der Bund bekommt von der Einkommensteuer und von der Lohnsteuer nur 42,5 %. Es wäre falsch, den Steuerzahler mit 100 DM zu belasten, damit der Bund 42,50 DM für Verteidigung, Entwicklungshilfe oder Europa hat. Aus diesem Grunde — aber auch wegen der Hintergedanken bei Ihnen, daß dann die Länder 57,5 % bekommen hätten, obwohl deren Aufgaben nicht gestiegen sind — wäre es nicht richtig gewesen, den Steuerzahler zusätzlich zu belasten. Auch das riesige familien- und sozialpolitische Geschenkpaket im Umfang von
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Bundesminister Matthöfer23 Milliarden DM, das Sie für die nächste Legislaturperiode ankündigen, ist nicht zu finanzieren.Ihrer Politik fehlt es an Grundsätzen, an Beständigkeit und an Seriosität.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden uns nach den konjunkturellen und den internationalen Notwendigkeiten richten. Wir haben bis zum Jahre 1973 Schulden abgebaut — wir haben ja die Konjunkturrücklage angelegt —, wir — Bund, Länder und Gemeinden insgesamt — haben 1973 Kredite in Höhe von wenigen Milliarden DM aufgenommen, haben dann allerdings in den Zeiten der weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Beschäftigung in der Bundesrepublik sichergestellt; wir haben Nachfrage geschaffen durch die Kreditaufnahme, und wir haben die Kredite so verwendet, so investiert für Zukunftssicherung, für Innovationen, für strukturelle Veränderungen zur Erhöhung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, daß wir auch in Zukunft gerüstet sind, allen Notwendigkeiten zu entsprechen.Wenn mir nun der Herr Dr. Kreile „Raffinesse" und komplizierte, geradezu billardspielerähnliche Überlegungen unterstellt hat, dann kann ich ihm nur sagen: Es gibt in der Psychologie den Begriff der Projektion, der besagt, daß der einzelne dazu neigt, seine eigenen krausen Gedanken in den Kopf des anderen zu projizieren.
Meine Politik — das haben Sie im Laufe der Jahre verfolgen können — ist klar und durchsichtig.
Wenn ich etwas sage, dann wird das auch so gemacht.
Wir haben gesagt: 1980 keine Steuersenkung — die Steuern sind nicht gesenkt worden. Wir haben gesagt: Wir senken die Steuern 1981 — wir senken 1981 die Steuern. Wir haben gesagt: Wir werden den Nachtragshaushalt durch Streichungen finanzieren — und wir werden ihn durch Streichungen finanzieren. Ich habe im März gesagt: Die Steuerschätzung im Mai wird genau das alles wieder ausgleichen — die Steuerschätzung liegt jetzt vor, und sie gleicht den Ausfall wieder aus.
Ihr nervöses Hin und Her, Ihr Getue und Gegacker dient doch nur dazu, die Leute draußen zu verwirren und irrezuführen.
So, wie es vorhin Herr Dr. Kreile tat, fordern Sie in derselben Rede sowohl Steuersenkungen in Milliardenhöhe als auch einen Abbau der Verschuldung und der Subventionen. Glauben Sie doch nicht, daß die Leute das nicht merken! Sie werden das alles noch bezahlt bekommen.
Wie ich sagte, sind Steuerentlastungen besonders für Arbeitnehmer dringend erforderlich. Die Steuerentlastungen sind auf ein Ausmaß begrenzt und zeitlich so verteilt, daß es möglich ist, gleichzeitig die Nettokreditaufnahme des Bundes in volkswirtschaftlich vernünftigen und vertretbaren Grenzen zu halten. Dies ist allerdings für das Steuerpaket der Opposition viel weniger möglich, obwohl es mit dem der Bundesregierung im Gesamtvolumen übereinstimmt. Die Opposition will aber die Finanzierungslasten ungleich stärker auf den Bund verlagern. Der Abgeordnete Gobrecht hat Ihnen dies ausführlich dargestellt.Eine stetige Steuerentlastungspolitik. der Bundesregierung hat dazu geführt, daß die Steuerbelastung aller Bürger, besonders der Arbeitnehmer, insgesamt noch in vertretbaren Grenzen geblieben ist.Die Lohnsteuerquote wird 1981 unter Berücksichtigung der Steuersenkung, die wir jetzt beschließen, mit 14,8 % nicht höher sein als 1974. Diese Stabilisierung der Steuerquote in den letzten Jahren ist erreicht worden, obwohl seit 1974 die Reallöhne der Arbeitnehmer kräftig gestiegen sind. Auch das Lohnsteueraufkommen, Herr Dr. Kreile, hat sich seit 1975 mit 9 % Steigerung im Durchschnitt der Jahre erheblich langsamer entwickelt als in den Zeiträumen, als die CDU/CSU den Bundeskanzler stellte.
Damals waren Steigerungsraten von 15, 16, ja 20 im Durchschnitt der Jahre an der Tagesordnung. Wenn man von heimlichen Steuererhöhungen sprechen kann, dann haben sie damals stattgefunden, nicht heute. Die volkswirtschaftliche Steuerquote ist heute nicht höher, als sie es im Schnitt der 50er und 60er Jahre war. Daran wollen wir und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.Wir werden künftig aber etwas daran ändern wollen, daß sich die Steuerlast bei wachsendem allgemeinen Einkommen auf die Lohnsteuerzahler konzentriert. Wir werden weiter durch von Zeit zu Zeit vorzunehmende Änderungen des Tarifs dafür sorgen, daß die zunehmende Belastung der Lohnsteuerzahler, die wir vor allen Dingen in den ersten 25 Jahren dieser Republik festzustellen haben, wieder abgebaut wird. Ungewollte Belastungsverschiebungen müssen von Zeit zu Zeit gezielt, vor allem durch Anpassungen beim Steuertarif, korrigiert werden.Der wesentliche strittige Punkt zwischen der Regierung und der Opposition, die ja leider mit der 'Mehrheit des Bundesrats identisch ist, ist die Ausgestaltung der Familienkomponente, die in beiden Gesetzentwürfen, in Ihrem und unserem, von besonderer Bedeutung ist. Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung haben eine steuerliche Lösung, nämlich den Kindergrundfreibetrag, vorgeschlagen. Diese Lösung verbindet die Steuerbelastung der Bürger und die Familienentlastung wieder unmittelbar miteinander.Hierzu hat Herr Dr. Kreile ein Täuschungsmanöver vorgeführt. Wenn Sie bei der Darstellung des Ansteigens der Lohnsteuer von 1970 bis 1979 ganz verschwinden lassen — vergessen können Sie es ja
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Bundesminister Matthöfernicht, weil Sie mit daran beteiligt waren —, daß eine Systemänderung stattgefunden hat, daß wir jetzt nämlich bei der Lohnsteuerberechnung nicht mehr Kinderfreibeträge abziehen, sondern Kindergeld zahlen, wenn Sie also die 17 Milliarden DM Kindergeld nicht gegenrechnen, Herr Dr. Kreile, dann, das muß ich Ihnen sagen, verfälschen Sie mit diesem methodischen Trick die Tatsachen. Sie führen die Leute irre. Das sollten Sie nicht tun.
— Natürlich geht die Masse des Kindergeldes an Lohnsteuerzahler; das kann überhaupt keiner bezweifeln. Es ist doch ganz selbstverständlich, daß man hier gegenrechnen muß, wenn man den vorherigen Zustand und das, was nachher geschehen ist, miteinander vergleichen will. Hier andere Zahlen auf den Tisch zu legen ist doch methodisch unsauber.
Wir möchten eine Entlastung der Steuerzahler, die ähnlich wie das Kindergeld wirkt und die unabhängig vom Einkommen für alle gleich hoch ist. Nach Auffassung der Bundesregierung soll das gesamte System des Kinderlastenausgleichs, also unter Einschluß des jetzigen Kindergeldes, in die Einkommensteuer einbezogen werden. Wir streben die sogenannte Finanzamtslösung langfristig an. Wir sehen im Kindergrundfreibetrag einen ersten Schritt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei allen Argumenten, die Sie vortragen, das auch immer berücksichtigten.Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Familienlastenausgleich eine gesamtstaatliche Aufgabe darstellt, deren Finanzierung nicht nur dem Bund allein aufgebürdet werden kann. Nur die gerechte Beteiligung aller Gebietskörperschaften — des Bundes, der Länder und der Gemeinden — an der Finanzierung ermöglicht es, im Interesse der Familien und der Kinder in unserem Lande jetzt und für die Zukunft die notwendige Ausweitung der kinderbezogenen Entlastung herbeizuführen.Wir wollen das steuer- und familienpolitische Maßnahmenpaket ohne Erhöhung der vorgesehenen Kreditaufnahme finanzieren. Um dies möglich zu machen, haben wir Forderungen nach massiven Steuerentlastungen und Ausgabenerhöhungen für 1980 abgewehrt. Hätten wir auf die falschen Ratschläge der Opposition gehört, dann hätten wir jetzt eine wesentlich höhere Kreditaufnahme. Das hätte gegen jede wirtschaftliche Vernunft gesprochen. Wir haben einen Nachtragshaushalt für 1980 vorgelegt, in dem die 1,8 Milliarden DM zusätzlichen Ausgaben vollständig durch Streichungen bei anderen Ausgaben gedeckt werden. Ich danke meinen Kollegen in der Bundesregierung ausdrücklich dafür, daß sie die Ausgabenkürzungen in ihren Haushalten
im übergeordneten gesamtstaatlichen und gesamtwirtschaftlichen Interesse hingenommen haben, obwohl selbstverständlich auch die Ausgaben, die wir gestrichen haben, ihren guten Sinn gehabt hätten.Nicht anders wird es mit der Finanzierung der von den Koalitionsfraktionen und von der Bundesregierung vorgeschlagenen Steuerentlastung im Bundeshaushalt 1981 sein. Ich habe nach dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP und nach dem deckungsgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung im Haushalt 1981 rund 5 Milliarden DM zu finanzieren. Ich werde dies tun, ohne zusätzliche Kredite aufzunehmen. Ich werde — einmal abgesehen von den sich abzeichnenden Mehreinnahmen nichtsteuerlicher Art — die bisher geplanten Ausgabenansätze im Haushalt 1981 insbesondere im konsumtiven Bereich entsprechend den Notwendigkeiten kürzen. Dies wird schwierig sein, aber es ist möglich. 5 Milliarden DM sind nach meiner festen Überzeugung ohne zusätzliche Kredite zu finanzieren. Damit ist allerdings auch die Grenze des Möglichen und Vertretbaren erreicht. Sollte die Wirtschaft sich weiter so gut entwickeln wie bisher, dann werden wir auch 1981 unter die Defizitansätze der mittelfristigen Finanzplanung gehen müssen. Es wird an dieser Marke von 5 Milliarden DM auch in den Vermittlungsverhandlungen kein Weg vorbeigehen.Zur Debatte steht heute neben den steuer- und familienpolitischen Entlastungsmaßnahmen auch der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze. Seine Erleichterungs- und Vereinfachungsvorschläge verdienen es, stärker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt zu werden.Mit der Verlängerung und Erweiterung der steuerlichen Abschreibungsvergünstigungen für betriebliche Umweltschutzinvestitionen wird der Anreiz zu umweltgerechtem Verhalten gestärkt. Das wird insbesondere industriellen Ballungsgebieten mit erhöhten Umweltbelastungen zugute kommen. Die zehnjährige Verlängerung der Abschreibungsvergünstigungen bis Ende 1990, die Lockerung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen sowie die Einbeziehung des innerbetrieblichen Umweltschutzes in die Vergünstigung werden dazu beitragen, den Betrieben die Anpassung an die rasche umwelttechnologische Entwicklung zu erleichtern.Mit der vorgeschlagenen Verdoppelung des Abzugssatzes für Spenden zur Förderung kultureller Zwecke auf 10 v. H. des Gesamtbetrags der Einkünfte soll ein zusätzlicher Anreiz für private Initiativen zur Förderung von Kunst und Kultur geboten und die Stiftung wertvoller Kunstwerke für die Allgemeinheit in höherem Maße als bisher steuerlich gefördert werden. Die erweiterte Abzugsmöglichkeit für derartige Spenden soll auch als zusätzliche Maßnahme auf dem Gebiet des Steuerrechts zu der vor allem mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz angestrebten Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler beitragen.Die Erhöhung des Abzugssatzes für Spenden an politische Parteien wurde im Verlauf der parlamentarischen Beratung in den Gesetzentwurf eingefügt. Die Erhöhung der seit 1967 unveränderten Beträge
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17534 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Bundesminister Matthöferhält sich in dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten angemessenen Rahmen.Für die Arbeitnehmer im Dienstleistungsbereich ist die Anhebung des Trinkgeldfreibetrages von großer praktischer Bedeutung. Trinkgelder, die einem Arbeitnehmer von Dritten gezahlt werden, ohne daß der Arbeitnehmer hierauf einen Rechtsanspruch hat, unterliegen danach nur noch der Lohnsteuer, soweit sie 1 200 DM im Kalenderjahr übersteigen. Der Gesetzentwurf sieht also eine Verdoppelung des bisherigen Freibetrages vor. Damit werden in einer Vielzahl von Fällen kleinliche Ermittlungen der Finanzbehörden vermieden.Änderungen der Abgabenordnung sehen u. a. vor, daß, abweichend vom bisherigen Recht, dem Steuerpflichtigen in bestimmten Fällen die notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im außergerichtlichen Rechtsbehelfverfahren erstattet werden.
Der zweite Schwerpunkt des Entwurfs liegt in der Steuervereinfachung. Wir sehen ein ernstes Problem darin, daß die Bürger ihr Steuersystem gewissermaßen immer weniger durchschauen.
— Sagen Sie bitte nicht „ach nein, während Ihre Parteifreunde im Bundesrat ständig die größten Komplizierungen in die Gesetze hineinbringen!
Unverständnis macht sich breit, Steuerverdrossenheit kann geschürt werden, obwohl sich ein beachtlicher Verwaltungsapparat, ein ganzer Berufsstand von Beratern und ein eigener Zweig der Gerichtsbarkeit um dieses Verständnis bemühen.Es kann in unserem komplexen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in einem Staat mit einer auf höchste Gerechtigkeit im Einzelfall bedachten Gerichtsbarkeit kein Steuersystem geben, bei dem Einfachheit allein schon als entscheidender Vorzug gelten könnte.
Ein gewisses Maß an Differenzierung und auch an Komplizierung ist uns durch die Vielfalt der wirtschaftlichen und sozialen Sachverhalte des täglichen Lebens, durch den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und auf Gleichbehandlung vorgegeben. Steuervereinfachung kann nur in dem dadurch vorgegebenen Rahmen schrittweise und nicht blindlings, gewissermaßen mit dem Brecheisen durchgesetzt werden. Die unumgängliche Rücksichtnahme auf die sozial gerechte und gleichmäßige Besteuerung aller Bürger nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, auf die öffentlichen Haushalte, auf die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, auf das nationale und internationale Recht, auf die Technik der Steuererhebung im Massenverfahren begrenzt dieHandlungsmöglichkeiten und zwingt dazu, die Aufgabe in kleinen Schritten anzugehen, zumal der Bund auch nur begrenzte Zuständigkeiten hat. Ich glaube, in diesen Grenzen können wir in den letzten Jahren auf beachtliche Erfolge verweisen, die in dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Fortsetzung finden. Mit diesem Entwurf durchforsten wir das Einkommensteuergesetz und andere Steuergesetze nach Vorschriften, die an Bedeutung verloren haben und schlagen deren Streichung vor.Lassen Sie mich von den weiteren Maßnahmen bitte neben der bereits erwähnten Anhebung des Freibetrages für Trinkgelder auf 1 200 DM drei Vorschriften besonders hervorheben. Die Grenze für Vierteljahreszahler und Jahreszahler bei der Lohnsteuer wird an die seit diesem Jahr geltende Regelung bei der Umsatzsteuer angepaßt. Wir versprechen uns davon eine bemerkenswerte Verringerung des Papierkrieges zwischen Arbeitgebern und dem Finanzamt. Die Anhebungen der Erklärungspflichtgrenze nach dem Gewerbekapital soll mindestens die Hälfte der gewerblichen Betriebe von der Einheitswertfeststellung, die nicht immer einfach ist, freistellen. Wir wollen bei der Bestimmung der Vordrucke für die Einkommensteuererklärung das Gewicht des Bundes verstärken. Der Bundesfinanzminister hat sich seit Jahren um die Vereinheitlichung der Vordrucke bemüht und auch einen entsprechenden Beschluß der Finanzministerkonferenz erwirkt.Der ebenfalls heute zur Beratung anstehende Entwurf der Bundesregierung zur Abschaffung von Verbrauchsteuern des Bundes, nämlich der Steuern auf Zündwaren, auf Spielkarten, auf Essigsäure und Branntwein zur Herstellung von Gärungsessig, wird zu Steuermindereinnahmen von knapp 20 Millionen DM führen. Damit ist die Grenze erreicht, innerhalb derer ich es zur Zeit für vertretbar halte, durch Verzicht auf Steuereinnahmen zur Bereinigung unseres Steuersystems beizutragen. Der Oppositionsentwurf, der im Finanzausschuß keine Mehrheit gefunden hat, sah auch noch die Abschaffung der Salzsteuer, der Leuchtmittelsteuer und der Zuckersteuer vor. Er hätte bei seiner Verwirklichung Steuermindereinnahmen von weiteren 321 Millionen DM zur Folge.Herr Dr. Kreile, die von Ihnen geforderte Erhöhung der Vorsteuerpauschale, die wir ablehnen, würde zusammen mit den Mindereinnahmen infolge Wegfalls der Bagatellsteuern etwa 900 Millionen DM Einnahmeverminderung bringen. Die vielen anderen Forderungen, die Sie hier erhoben haben, will ich gar nicht nennen. Ich verstehe wirklich nicht, wie Sie es mit Ihrer intellektuellen Redlichkeit vereinbaren können, einen sich in seinen Teilen widersprechenden Vortrag halten,
indem Sie einerseits den Abbau der Defizite fordern und andererseits den steuerzahlenden Bürgern geradezu ein Füllhorn von Zusagen anbieten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17535
Bundesminister MatthöferIch kann das vor dem Hintergrund der derzeitigen und allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages bewußten Haushaltslage nicht rechtfertigen. Ich bitte Sie deshalb, bei Ihrer Ablehnung zu bleiben.Ansonsten hoffe ich, daß Sie den Entwürfen, die Ihnen der Finanzausschuß vorgelegt hat, zustimmen. Ich bedanke mich für die Arbeit. Ich darf mich insbesondere bei Frau Matthäus bedanken und gratuliere ihr auch sehr herzlich zur Geburt ihres Sohnes.
Ich freue mich, daß sie schon heute wieder so aktiv unter uns ist.Ich bitte Sie, unseren Entwürfen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister hat mit seiner Rede erneut den Versuch unternommen, die Politik dieser Regierung als eine Politik, die der Vermeidung heimlicher Steuererhöhungen gewidmet sei, und als eine Politik, die von finanzieller Solidität gekennzeichnet sei, darzustellen.
Das Gegenteil, meine Damen und Herren, ist richtig.
Seit 1973 hat die CDU/CSU in diesem Hause immer wieder auf Grund der inflationären Entwicklung und auf Grund der wachsenden Steuerbelastung breiter Schichten der Bevölkerung Entlastungsanträge stellen müssen. Seit 1973 haben Sie immer wieder zögernd, zu spät, unzureichend, teilweise in die falsche Richtung gehend darauf reagiert. Immer wieder haben Sie sich von uns zwingen lassen müssen, teilweise Steuern zu senken, die Sie ursprünglich nach Ihren Ankündigungen gar nicht senken wollten. In diesem Hause, meine Damen und Herren, ist die CDU/CSU die Steuerentlastungspartei.
Ich finde es auch ausgesprochen merkwürdig, Herr Minister, daß Sie sagen: Wir müssen 1981 die Steuern senken; denn die Steuerbelastung für die Arbeitnehmer ist zu hoch. Das ist richtig. Der Herr Gobrecht hat gesagt: Sozialdemokraten werden niemals hinnehmen, daß Arbeitnehmer so hoch mit Lohnsteuer belastet werden.
Meine Damen und Herren, warum haben Sie dennnicht unserem maßvollen Antrag auf eine Steuersenkung zum 1. Januar 1980 zugestimmt? Das istdoch der entscheidende Punkt: Sie handeln zu spät. Sie haben die Arbeitnehmer betrogen.
Sie nehmen ihnen mehr Steuern, als sie nach dem Gesetz zu zahlen hätten, wenn man einen stabilen Geldwert zugrunde legt.
— Herr Diederich, da können Sie schreien, wie Sie wollen. Das hilft doch nichts. Der Herr Bundesfinanzminister und Ihr Herr Gobrecht haben beide zugegeben: Die Steuerbelastung der Arbeitnehmer ist zu hoch. Sie haben nicht gesagt: Sie wird nächstes Jahr zu hoch sein. Sie ist im Jahre 1980 zu hoch. Wir hatten den Antrag gestellt, die Steuern rechtzeitig zu senken, damit die Steuerbelastung nicht so hoch würde, wie sie jetzt geworden ist. Meine Damen und Herren, 60 % der Arbeitnehmer befinden sich dieses Jahr in der Progressionszone, zahlen mehr als 30 % Lohnsteuer für den Endbetrag ihres Einkommens.
Das ist zuviel. Da sind wir uns einig. Nur haben Sie unseren Anträgen nicht zugestimmt. Wir hätten es damit vermeiden können.Herr Bundesfinanzminister, gleich das nächste. Sie rühmen sich, Sie würden alle Ihre Zusagen einhalten, auch die, daß die neuen Steuerschätzungen im Mai ergäben, daß der Nachtragshaushalt zu finanzieren sei, und daß Sie diesen Nachtragshaushalt durch Streichungen finanzieren wollten. Wir werden morgen im Finanzausschuß die neue Steuerschätzung genauer diskutieren. Wir werden dabei finden, daß sie im wesentlichen darauf beruht, daß Sie die Inflationsrate, die Sie bis jetzt hartnäckig für dieses Jahr mit 4,5 % vorausgesagt haben, jetzt auf 5,5 % hochsetzen und dadurch natürlich zu inflationsbedingten Steuermehreinnahmen kommen. Dadurch haben Sie den wesentlichen Teil Ihres Nachtragshaushalts finanziert. Wenn Sie das als das Einhalten Ihrer Zusage betrachten, dann ist das ein beachtliches Eingeständnis, zu dem ich uns alle beglückwünschen kann. Dann haben Sie wenigstens insoweit die Wahrheit gesagt.
— Ja, lieber Herr Spöri, ich habe mir vom Bundesfinanzministerium die Zahlen über die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im ersten Quartal 1980 einmal mitgebracht. Ich entnehme daraus, daß das Lohnsteueraufkommen schon in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 11,2 % gestiegen ist. Vielleicht kommen Sie nachher einmal hierher und sagen, wie hoch die Bruttolohnsumme in diesen drei Monaten gestiegen ist.
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17536 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Dr. SchäubleDann haben Sie die heimlichen Steuererhöhungen, die wir dieses Jahr vermeiden wollten. Das ist der entscheidende Punkt. Sie haben nicht zum richtigen Zeitpunkt gehandelt. Diesen Vorwurf werden Sie zu tragen haben.
Herr Gobrecht hat die Tollkühnheit besessen — so muß ich sagen —, an den Steuerreformparteitag der SPD von 1971 zu erinnern. Er hat auch noch den Mut besessen, zu sagen, das habe man konsequent verwirklicht. Gott sei Dank haben Sie das noch nicht konsequent verwirklichen können. Damals wollten Sie doch — und offenbar wollen das die Sozialdemokraten auch in den 80er Jahren machen — die Grenzen der Belastbarkeit unserer Wirtschaft mit Steuern erproben. Sie haben ein ganzes Stück davon erprobt. Die Folgen davon haben wir gesamtwirtschaftlich und hat auch der einzelne Arbeitnehmer gespürt.
Wir wollen alles tun, um dafür zu sorgen, daß Sie auch in Zukunft diesen Weg nicht gehen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Meinike?
Nein, Herr Präsident. Ich habe nur wenig Zeit.
— Ich fürchte mich überhaupt nicht. Ich habe nur sowenig Redezeit. Sie nehmen mir sowieso schon immer soviel weg, indem Sie dazwischenschreien. Vielleicht hören Sie es nicht so gerne. Deswegen bin ich auch hier, um es Ihnen zu sagen.Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß in den zurückliegenden Jahren immer wieder Steuersenkungen notwendig geworden sind, zeigt die Dimension der heimlichen Steuererhöhungen.Wenn Sie sich jetzt weigern, die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft anzuheben, begehen Sie schon wieder Betrug am Steuerzahler. Sie sagen, Sie hätten kein Geld für ein Steuergeschenk an die Landwirtschaft — als ob nicht das Mehrwertsteuergesetz vorschriebe, daß die Belastungen der Landwirtschaft durch die Vorsteuer, die sie bezahlen muß, mit der Vorsteuerpauschale ausgeglichen werden soll. Der Vertreter Ihres Hauses, Herr Minister, hat dem zuständigen Bundestagsausschuß bestätigt, daß die Belastung der Landwirtschaft mit Vorsteuern in diesem Jahr so hoch ist, daß die Anhebung der Vorsteuerpauschale, wie wir sie beantragt haben, von der Systematik des Gesetzes her geboten ist. Sie können nicht sagen, das sei eine Subvention für die Landwirtschaft. Es ist die Vermeidung einer heimlichen Steuererhöhung, die in diesem Fall die Landwirtschaft trifft. Deswegen haben wir das beantragt.Es muß auch festgeschrieben werden, daß Frau Kollegin Matthäus-Maier, als sie gefragt wurde, welche Subventionen sie denn abbauen wolle, als einziges Beispiel die Besteuerung der Landwirtschaft genannt hat. Das klingt so, als verstehe sie die Anhebung der Vorsteuerpauschale als eine Erhaltungssubvention und als habe sie nicht verstanden, daß es bei der Besteuerung der Landwirtschaft entscheidend darum geht, eine Vielzahl landwirtschaftlicher Existenzen, auch nebenerwerbslandwirtschaftliche Betriebe, lebensfähig zu erhalten. Das ist doch der Grund, warum wir in diesem Punkt so hartnäckig kämpfen.
Der Bundesfinanzminister hat ein merkwürdiges Verständnis von Parlamentarismus. Er stellt sich hier hin und sagt: Der Bundesrat soll nun einfach zustimmen. Der Bundestag tut das sowieso. Im Finanzausschuß haben wir eine Denaturierung des Gesetzgebungsverfahrens erlebt, indem die Koalition zu einer sachlichen Beratung überhaupt nicht bereit war, weil sie sagte: Das geht eh in den Vermittlungsausschuß; was sollen wir darüber im Detail beraten; wir sind auch nicht bereit, irgendeinen Kompromiß zu schließen. — Meine Damen und Herren, die Bundesregierung muß zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Gesetzgebungssystem mit zwei Kammern hat, Bundestag und Bundesrat. Sie muß zur Kenntnis nehmen — wir möchten es übrigens gern ändern, aber im Augenblick ist es so —, daß wir unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und im Bundesrat haben. Steuergesetze kommen nur im Zusammenwirken beider Kammern zustande. Infolgedessen ist es unsinnig und undemokratisch, wenn Sie ohne jede Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse in der zweiten Gesetzgebungskammer Gesetzentwürfe einbringen, von denen Sie wissen, daß sie so nicht die Zustimmung der Mehrheit finden.
— Herr Kühbacher, wenn man in einer Kammer keine Mehrheit hat, muß man schauen, daß man zu einem Kompromiß kommt. Sie sind bisher nicht kompromißbereit, und dies wird nicht zum Nutzen des Steuerzahlers sein.Ich will mich mit einem weiteren Argument auseinandersetzen; das tun wir auch nicht zum erstenmal. Es ist einfach unzutreffend, wenn Sie die Dinge so darstellen — so war zwar Ihre Politik, aber deswegen war sie falsch —, wir müßten entweder die Steuern senken oder den Haushalt konsolidieren und Schulden abbauen. Wir müssen beides abgewogen und harmonisiert gleichzeitig tun. Der Zickzackkurs, den Sie gefahren sind — ein Jahr Steuererhöhung, im nächsten Jahr Zunahme der Verschuldung —, tut unserer Wirtschaft und den Steuerzahlern nicht gut. Was wir brauchen, ist eine abgewogene Berücksichtigung beider Elemente.Das heißt natürlich, daß die Ausgabenseite des Haushalts mit in die Betrachtungen einbezogen werden muß. Frau Matthäus-Maier, es tut mir wirklich leid, aber ich hätte mich beinahe für Sie geschämt, als Sie uns vorwarfen, wir würden jeden Versuch von Ihnen, zu Ausgabekürzungen zu kom-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17537
Dr. Schäublemen, in der Öffentlichkeit diffamieren. Ich erinnere mich noch daran, wer das Wort von der „Sozialen Demontage wem angeklebt hat. Es ist doch wohl umgekehrt gewesen: Wann immer die CDU/CSU einen konkreten Vorschlag gemacht hat, sind Sie sofort — und so werden Sie es wieder machen — draußen in der Öffentlichkeit gewesen und haben uns diffamiert.
Ich will jetzt gar nicht die Reden von den Kollegen der SPD-Fraktion aus den Jahren 1965 und 1966 halten, die wir Jüngeren nachgelesen haben, wie es um die Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition bestellt ist. Ich will Ihnen nur sagen: Wir haben immer wieder gesagt, auch was das Volumen dieses Pakets angeht, wir seien bereit, mit Ihnen gemeinsam Verantwortung für das Notwendige zu tragen. Wir sind nur nicht bereit, allein vorauszugehen und von Ihnen im Regen stehengelassen und diffamiert zu werden. Das ist nicht die Arbeitsteilung, die Sie mit uns vornehmen können.
— Meine Zeit ist zu knapp.Herr Bundesfinanzminister, es gibt ferner folgenden Widerspruch, für den ich kaum eine Erklärung finde. Auf der einen Seite haben Sie unser Steuerpaket wegen seiner finanziellen Auswirkungen geradezu in Horrorvisionen gemalt; es hätte ganz schreckliche finanzielle Auswirkungen. Ihr eigenes Paket haben Sie als solide, abgestimmt und ausgewogen bezeichnet.
Die Unterschiede im finanziellen Volumen sind, Herr Gobrecht, minimal. Gut, Sie haben den haushaltstechnischen Kniff angewandt, die Entlastung auf zwei Haushaltsjahre zu verteilen.
Darüber hätte man reden können. Das wäre verhandlungsfähig gewesen, wenn man ernsthaft in substantielle Beratungen eingetreten wäre. Wenn Sie das langfristige konsolidierte Entlastungsvolumen beider Pakete nehmen, stellen Sie fest, daß der Unterschied unter 1 Milliarde DM liegt. Das kann die so dramatische Beschreibung der Unterschiede nicht rechtfertigen.Im Tarif hätten wir uns, wenn Sie ernsthaft gewollt hätten, einigen können. Da bin ich ziemlich sicher. Sie haben den Tarif ja weitgehend von uns abgeschrieben. Wir haben einen Punkt, wo wir Ihre Lösung für falsch halten.
— Natürlich haben Sie abgeschrieben. Wenn man die Kurven sieht, merkt man genau, daß Sie zwei Millimeter zugelegt haben.
— Das will ich Ihnen sagen, wenn Sie mich dazu kommen lassen.Wir unterscheiden uns im Tarif vor allen Dingen darin, daß wir sagen: Wenn Sie die Proportionalzone verlängern, gehen Sie genau in die falsche Richtung. Sie erreichen zwar für ein Jahr oder zwei Jahre eine gewisse Entlastung; Sie bringen ein paar Arbeitnehmer wieder aus der Progressionszone heraus. Aber was Sie jetzt schaffen, ist im Jahre 1982 schon wieder durch die inflationäre Entwicklung überholt.Wir müssen in die Richtung gehen, wie sie Frau Matthäus-Maier beschrieben hat, daß wir nämlich zu einem durchgehenden Progressionsverlauf kommen. Deswegen habe ich gar nicht verstanden, was Sie gesagt haben. Sie haben gesagt, Sie wollten es. Sie hätten mit uns eine Mehrheit dafür, aber Sie haben dagegen gestimmt Wenn Sie das wirklich wollen, müssen Sie auch den Proportionalsteuersatz der Eingangszone absenken. Das ist der Grund, warum in unserem Tarifvorschlag die Senkung enthalten ist. Das ist ein Schritt — kein zureichender. Wir haben nie behauptet, es sei ein zureichender Schritt.
Aber wir haben gesagt: Wenn man zu einem durchgehenden Progressionsverlauf kommen will, muß man den Eingangssteuersatz absenken. Deswegen haben wir das in unserem Vorschlag. Aber ich sage noch einmal: In Fragen des Tarifs hätten wir uns einigen können, wenn Sie nur gewollt hätten.
Herr Abgeordneter Schäuble — —
Nein.
Sie lassen also generell keine Zwischenfragen zu?
Das gilt generell, Herr Präsident.Ein Unterschied, der zwischen uns besteht, Herr Spöri, betrifft die Frage der Familienförderung. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied. Ich glaube auch, daß Sie auf Grund Ihres verklemmten, falschen ideologischen Verständnisses in bezug auf die Notwendigkeit der Familie nicht zu einer Bewegung bereit sind.
Wir wollen das duale System in der Förderung der Familie. Wir wollen einerseits das einheitliche Kindergeld — ob über das Finanzamt, darüber kann man reden —,
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17538 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Dr. Schäublewir wollen zum anderen, daß die in einer Familie vorhandenen Kinder bei der steuerlichen Leistungsfähigkeit dieser Familie berücksichtigt werden.
— Ich habe das schon so oft gesagt, —
— Doch. Ich muß es offenbar noch einmal wiederholen, Herr Gobrecht, weil Sie es immer noch nicht kapieren. Es kann doch nicht wahr sein, daß eine Familie mit zwei oder drei Kindern bei gleichem Bruttoeinkommen genausoviel Steuern zahlen muß wie ein Ehepaar ohne Kinder. Das kann doch nicht richtig sein.Herr Gobrecht, wenn Sie im Hearing zugehört hätten, müßten Sie ja auch noch im Ohr haben, was von einem Verbandsvertreter — ich weiß nicht mehr, wer es war — zu Ihrem Kindergrundfreibetrag gesagt worden ist: Was denn wohl ein Familienvater sagt, der — jetzt nach Ihrem Kindergrundfreibetrag— für sein Kind 22 % Steuerentlastung bekommt, jedoch 40 % mehr Steuern zahlen muß, wenn sein Kind unglücklicherweise sterben sollte. Das kann auch nicht richtig sein. Wir meinen, daß bei einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit die Tatsache berücksichtigt werden muß, daß Kinder in einer Familie vorhanden sind. Darüber werden wir streiten.Ich darf zusammenfassen. Der Kollege Dr. Kreile hat eine schreckliche Bilanz der verfehlten Finanzpolitik Ihrer Regierungszeit vorgetragen.
— Ja, das sind Ihre Fehlleistungen in dieser Zeit. Eine erschütternde Bilanz.Das Flickwerk dieses Steuerpakets 1981 wollen Sie ja deswegen erst 1981 in Kraft setzen, damit draußen niemand überprüfen kann, wie es sich in Mark und Pfennig tatsächlich auswirkt. Das ist ja der Trick dabei, daß man es jetzt verspricht — das ist die neue Form der Wahlgeschenke — die Leute aber erst hinterher sehen, daß das Versprochene überhaupt nicht gehalten wird.
— Wir wollten es ja 1980 in Kraft setzen, Herr Gobrecht; das können Sie also nicht sagen.
Mit diesem Flickwerk werden Sie den verheerenden Eindruck Ihrer verfehlten Finanzpolitik in dieser Legislaturperiode nicht beseitigen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble, von Ihrem Vorredner Dr. Kreile ist eine schreckliche Rede gehalten und nicht eine schreckliche Bilanz gezogen worden.Es gibt irgend jemanden, der sagt: An ihrer Sprache wird man sie erkennen. Herr Dr. Kreile, wenn Sie Ihre Rede noch einmal nachlesen, werden Sie sich, so meine ich, selbst nicht wiedererkennen.
Ich habe mir einmal einige Vokabeln herausgesucht. Das fing an mit „Geisel", wurde fortgesetzt mit „Täuschung", „heimlich", „Konfrontationsstrategie", „schwindelerregend", „sklavisch folgen' und endete mit „Lüge". Ich kann Ihnen dazu nur sagen, Herr Dr. Kreile: Offensichtlich folgen Sie der Weisung „Ende der Kreidezeit, härtere Gangart". Dazu kann ich feststellen: Am Ende der Kreidezeit waren die Dinosaurier ausgestorben. Vielleicht überlegen Sie sich das einmal.
Herr Kollege Dr. Schäuble, zur Frage Steuerpaket 1980, 1981. Als Haushaltsfachmann sage ich Ihnen
— ja, ich bezeichne mich als Haushaltsfachmann; das war mein Beruf —: Wenn man für 1980 Steuersenkungen verspricht, wie Sie es mit Ihrem Paket gemacht haben, muß man, auch wenn der Vorschlag vom Bundesrat kommt, notwendigerweise auch sagen, wie man mit den Mindereinnahmen fertig werden will. Das haben weder Sie noch der Bundesrat getan. Da man auf der Ausgabenseite der Etats — sowohl des Bundes als der Länder — nicht gleichzeitig Konsequenzen gezogen hat, bedeutet Einnahmeverzicht auf der anderen Seite Einnahmeerhöhung durch mehr Kredite. Diese unseriöse Formel, auf Steuern zu verzichten und Kredite zu erhöhen, die Ihrem Steuerpaket innewohnte, wird hier bewußt verschwiegen, und das nenne ich Wählertäuschung. Dies ist der Punkt!
Um die übrige Situationsbeschreibung zu verkürzen, möchte ich nur noch sagen: Ihr Einsatz für Großverdiener und Großbetriebe — und wie Sie es hier dann auch noch vorgeben: für Großfamilien — geht in eine Richtung. Sie wollen denjenigen in diesem Lande, die leistungsstärker sind, über Steuergesetze zu noch mehr Einnahmen verhelfen,
— ich rede jetzt nicht von Großfamilien, sondern von Großverdienern und will gleich sagen, was ich damit meine —, und Sie lassen die soziale Komponente außer acht.
Wenn Herr Dr. Schäuble hier erklärt, daß eine Familie mit zwei Kindern die gleichen Steuern wie eine Familie mit einem Kind zu zahlen habe, ist das nur die eine Seite der Medaille, denn eine Familie mit zwei Kindern bekommt ein höheres Kindergeld, und eine Familie mit drei Kindern bekommt ein um 200 DM höheres Kindergeld. Das ist eine Sache, die wir Sozialdemokraten gegen Ihre Ideologie der Kinderfreibeträge durchgesetzt haben; dies ist unser Ver-
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Kühbacherdienst, und ich glaube, darauf können wir stolz sein.
Dieses mit der Kinderzahl steigende Kindergeld wollen Sie vergessen machen, indem Sie nunmehr wieder auf Kinderfreibeträge hinauswollen. Dahinter steht Ihre Ideologie. Jemand, der Höchstverdiener ist, soll über einen Freibetrag von 100 DM im Monat 40 DM bekommen. Unsere Auffassung ist: Bitte schön, für alle Kinder die gleiche Entlastung. Dies verstehen wir unter steuerlicher Gerechtigkeit. Da unterscheiden wir uns voneinander. Sie sollten ehrlicherweise sagen, daß Sie den besser Verdienenden eben aus dem Staatsbereich mehr zukommen lassen wollen, während wir Gleichmäßigkeit wollen. Dies muß man eben immer wiederholen, damit es auch deutlich wird.
Meine Damen und Herren, wir haben hier heute neben dem Steuerpaket ein weiteres Gesetz zu beraten, nämlich das Gesetz zur Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze. Wir haben mit diesem Gesetz elf andere Gesetze vereinfacht und bereinigt und im Einkommensteuerbereich eine Reihe von Erleichterungen geschaffen, die weit in die Zukunft hinein wirken werden.Ich möchte bei dem vom Volumen her wichtigsten und größten Einnahmeverzicht anfangen. Es handelt sich um die Umweltschutzinvestitionen, die für die Jahre bis 1991 begünstigt werden sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dahinter steckt folgende' Überlegung. Wir möchten erreichen, daß die Betriebe, die umweltschädlich produzieren müssen, dazu angereizt werden, in ihren Betriebsablauf Investitionen hineinzunehmen, die nicht die Produktivität, aber die Umweltschutzbedingungen verbessern. Gleichzeitig möchten wir erreichen, daß — neben der Außenwirkung — auch innerbetrieblich für die Arbeitnehmer Investitionen vorgenommen werden, die den Arbeitsplatz verbessern und die Arbeit er-leichtern. Aus diesem Grunde gibt es auf unserer Seite die — im Regierungsentwurf sich ausdrükkende — Absicht, steuerliche Erleichterungen durch erhöhte Abschreibungen im Bereich des Umweltschutzes einzuführen.Ich meine, daß dies ein richtiger und zukunftsweisender Schritt ist, um anstehende Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen in eine Richtung zu lenken, die sowohl den Arbeitnehmern als auch den Teilen der Bevölkerung, die in der Nähe von Fabriken oder Industriebetrieben leben, Erleichterung verschafft. Dies ist Umweltschutz, wie er im geltenden System unserer Wirtschaftsordnung vernünftig und in die Zukunft gerichtet praktiziert werden kann. Es ist der größte Brocken, der an Einnahmeverzicht in diesem Gesetz enthalten ist.Wir haben in diesem sogenannten Omnibusgesetz — das so bezeichnet wird, weil viele andere Gesetze damit befördert werden -- eine Reihe von Ungereimtheiten und auch Unzuträglichkeiten beseitigt.Wir versuchen bei Dienstleistungsbereichen, in denen Trinkgelder üblich sind, durch eine Verdoppelung des Freibetrages — dadurch, daß man sagt, 100 DM Trinkgelder bleiben auf jeden Fall steuerfrei — der Praxis ein Ende zu setzen, daß die Finanzbehörden die sogenannten Bescheinigungen, die ausgestellt werden, anzweifeln.Wir haben in diesem Gesetz das Kreditaufnahmeverbot bei Abzug von Sonderausgaben — von Beiträgen zur Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung sowie zur Risikolebensversicherung — beseitigt.Wir haben insbesondere für die Künstler etwas getan und hoffen, daß sich dies in Erfüllung eines Versprechens des Bundeskanzlers so auswirken wird. Wir haben die Abzugsmöglichkeiten im Sonderausgabenbereich und auf dem Gebiet der Körperschaftsteuer verdoppelt in der Hoffnung, daß sich dadurch auf dem Nachwuchsmarkt für Künstler einiges tut.Wir haben in einem weiteren Bereich, der etwas mit Ausbildung zu tun hat, im Einkommensteuerrecht eine Neugestaltung der Berechnung der zumutbaren Belastung durchgesetzt, die dazu beitragen soll, daß insbesondere den BAföG-Bezieher-Familien eine Erleichterung im steuerlichen Bereich zugute kommt. Wir haben ferner eine sehr schwierig auszulegende Begründung bei den Ausbildungsfreibeträgen, die man in Anrechnung bringen kann, wenn man Kinder in der Ausbildung hat, die über 18 sind, durch die Streichung der Worte „zur Berufsausbildung", weil der Nachweis sehr schwierig war, gestrichen und hoffen, damit Erleichterungen gebracht zu haben.In diesem Gesetz sind eine ganze Reihe von Änderungen enthalten, die sich bei Arbeitnehmern positiv auswirken werden. Wir haben gemeinsam die Verlängerung der Gewährung der Erfindervergünstigungen beraten, und wir haben darüber hinaus Bestimmungen über das Staatshaftungsrecht in dieses Gesetz eingebaut, was insbesondere die Arbeitnehmer im Finanzbereich betrifft. Parallel hierzu wird ja wohl in der nächsten Sitzung des Bundestages das Staatshaftungsrecht für den übrigen Bereich der öffentlichen Hand beraten werden.Wir haben eine Steuerbefreiung geregelt, die Sach- und Geldleistungen für Angehörige von Berufsfeuerwehren und der Polizei betrifft. Das hat insbesondere etwas mit der Gestellung von Berufskleidung und der komplizierten Berechnung der geldwerten Vorteile, die daraus erwachsen, zu tun.Meine Damen und Herren, darüber hinaus sind für die politischen Parteien die Möglichkeiten der Abzugsfähigkeit verdreifacht worden. Dieses ist in Ausführung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Anpassung der Einkommensgrenzen.Wir haben, was ich ganz erfreut feststellen kann, über den Regierungsentwurf hinausgehend eine Gleichstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer im öffentlichen und im privaten Bereich mit einem Versorgungsfreibetrag ab dem 60. Lebensjahr im Steuerrecht nachvollzogen. Wir haben ferner den Begriff
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17540 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Kühbacher„Adoptivkind" und die Verankerung des Begriffes „Haushaltsmerkmal" in diesem Gesetz geregelt.Darüber hinaus sind einige Bedingungen des Umsatzsteuerrechts neu gefaßt worden, und es liegt Ihnen ein weiterer Gesetzentwurf vor, der sich mit der Vereinfachung und der Abschaffung von Bagatellsteuern beschäftigt. Danach werden die Spielkarten-, die Zündwaren- und die Essigsäuresteuer künftig in der Liste der Steuerabgaben nicht mehr erscheinen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in diesem Zusammenhang einen Gesetzesantrag, der allerdings heute hier im Plenum nicht wieder auftaucht, zunächst einmal zurückgestellt. Er betrifft den Vorsteuerabzug im Bereich der Landwirtschaft. Dieser Antrag muß im Zusammenhang mit den EG-Agrarpreisen, mit dem Grenzausgleich und mit der steuerlichen Belastung der Landwirtschaft gesehen werden. Ich glaube, es ist richtig und sinnvoll, hierzu im Moment nichts zu beschließen. Sie bringen ja heute auch keinen entsprechenden Antrag im Parlament ein. Wir sollten die Entwicklung der Situation im EG-Bereich abwarten und 1981 zu einem einvernehmlichen Gesamtkonzept für den landwirtschaftlichen Bereich kommen. Das heißt, es gibt nicht, wie hier behauptet wurde, ein Nein in dieser Frage, sondern diese Frage muß -- und dies werden alle, die europäische Verhältnisse kennen, bestätigen — im größeren Zusammenhang gesehen werden. Es sollte hier nicht zu isolierten Lösungen kommen. Erst einmal sind die Europäer in Brüssel mit dem Agrarhaushalt am Zuge. Da gibt es noch vieles zu regeln. Dann wird das Parlament der Bundesrepublik die sich daraus ergebenden Konsequenzen, ohne daß man das jetzt auf den Prozentpunkt genau festlegen könnte, ziehen müssen. Darüber gibt es wohl keinen Streit.Ich will mit folgender Bemerkung schließen: Mich irritiert etwas, daß uns hier von den Rednern der Opposition vorgeworfen wird, wir würden auf Kompromisse, auf Verhandlungsvorschläge bei Steuergesetzen nicht eingehen.
— Herr Dr. Sprung, gerade die Bedingungen, die ich eben aufgezählt habe, haben gezeigt, daß wir im Ausschuß durchaus unterschiedliche Positionen vereinigen können. Fast alle Bestimmungen, von denen ich eben gesprochen habe, sind im Ausschuß einvernehmlich angenommen worden. Da gab es Anträge von der einen und von der anderen Seite. Da gab es bei Ihnen den Wunsch, das Kreditaufnahmeverbot zu beseitigen. Dem konnten wir aus ganz bestimmten Gründen, die Sie ja wohl akzeptieren müssen, auch wenn Sie anderer Auffassung sind, nicht folgen. Was ich befürchte, ist, daß sich dieses Parlament — und das von Ihrer Seite her — selbst etwas vormacht. Sie stellen hier heute im Parlament in zweiter Lesung keine Änderungsanträge, wie es sich für eine konstruktive Opposition eigentlich gehörte.
— Natürlich! Diese Änderungsanträge werden hiernicht gestellt. Sie sagen: Bitte schön,' das ist ja im Finanzausschuß schon einmal abgelehnt worden. — Diese Ablehnung im Finanzausschuß ist aber kein Vorgang vor den Augen der Öffentlichkeit; Öffentlichkeit besteht hier im Parlament. Wenn die Opposition nach außen glaubwürdig bleiben will, dann muß sie in der zweiten und dritten Lesung Änderungsanträge zu bestimmten Fragen, in denen sie nicht der Auffassung der Koalition ist, stellen. Dann kann sie ihre Meinung transparent machen.
— Natürlich, Sie müssen es nicht. Sie können sich auch auf die Vertraulichkeit der Beratungen des Vermittlungsausschusses verlassen. Nur: Wenn Sie hier konstruktive Opposition nicht mehr leisten können und sich, wie Herr Dr. Schäuble, auf die zweite Kammer versteifen, dann trägt ein solches Verhalten, wie ich meine, dieses Parlament zu Grabe. Der Bundesrat hat Länderinteressen, Finanzausgleichsinteressen bei Steuergesetzen, nicht aber materielle Regelungen im Auge zu haben, die die Opposition vorzutragen hier nicht in der Lage ist. Daß der Bundesrat über diese seine Aufgabe hinausgeht, ärgert mich.
— Herr von der Heydt, dann unterscheiden wir uns in unserer Auffassung über Funktion und Aufgaben des Bundesrates.
Dies ist der entscheidende Punkt. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie durch das Nicht-Aufdecken Ihrer Forderungen hier im Parlament bewußt darauf vertrauen, in den vertraulichen Beratungen des Vermittlungsausschusses — und ich beklage das sehr — Dinge durchsetzen zu können, von denen Sie meinen, daß Sie dafür hier im Hause keine Mehrheit finden. Offene Politik der einzelnen Parteien bedeutet, daß man hier im Parlament sagt, wohin man will, und auch entsprechende Anträge stellt. Daraus, daß Sie hier heute keine Anträge stellen, kann ich nur schließen, daß Ihnen nach Ihrem eigenen Selbstverständnis nichts anderes übrigbleibt, als immer wieder nur nein, nein und nochmals nein zu sagen, uns aber vorzuwerfen, wir würden dieses ganze Paket, diese Steuergesetze machen, um Wählerstimmen damit zu fangen.
— Herr Meyer zu Bentrup, mein Verständnis von Parlament ist, daß das Parlament in dem Moment, in dem wir einen Gesetzentwurf im Finanzausschuß haben, Herr des Verfahrens ist, ganz gleich, ob der Finanzminister dazu eine bestimmte Auffassung hat oder nicht; das ist unser Verständnis von Parlamentarismus. Wenn Sie sich wegen solcher Äußerungen offensichtlich nicht zu Änderungsanträgen ent-
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Kühbacherschließen können, dann zeigt das, daß Sie zu konstruktiver Opposition nicht fähig sind.
Dies ist zwar bedauerlich, aber es ist leider so. In der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren, wird das sicherlich ähnlich gesehen. Die ersten Wahlergebnisse haben wir ja bereits zu verzeichnen gehabt.Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß das „Omnibusgesetz", auf das ich den größten Teil meiner Redezeit verwandt habe, nun nicht — genausowenig wie das Gesetz zur Abschaffung der Bagatellsteuern — im Vermittlungsausschuß landen wird. Von daher hat das Parlament heute hier in zweiter und dritter Lesung wohl das letzte Wort, und das ist gut so. Welche Anträge Sie im Vermittlungsausschuß stellen werden, werden wir nur dem Hörensagen nach erfahren. Denn was Sie im Bereich des Familienlastenausgleichs, des Tarifs usw. im einzelnen genau vorhaben, ist hier leider nicht zur Sprache gekommen. Das bedaure ich sehr. Die Opposition muß sich fragen lassen: Wo sind eigentlich ihre Programme?
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schleifenbaum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um der heutigen Debatte gerecht zu werden, möchte ich die Grundlinien liberaler Steuerpolitik gern in einigen Stichworten kurz darstellen. Uns geht es bei allen steuerpolitischen Entscheidungen darum, daß der Freiheitsspielraum für den Bürger erweitert werden muß. Das bedeutet, daß wir grundsätzlich für eine niedrige Steuerquote und für niedrige direkte Steuern sind. Die FDP war immer ein Motor für Steuersenkungen. Wir sind der Meinung, daß die Steuergroschen in der Hand der Bürger oftmals besser aufgehoben sind als in der Hand des Staates. Sie werden dem volkswirtschaftlichen Kreislauf damit nicht entzogen; denn auch der Bürger speist das Geld in den volkswirtschaftlichen Kreislauf ein.Parallel dazu muß natürlich eine solide Finanzierung der Staatsaufgaben — besonders der notwendigen Staatsaufgaben — sichergestellt werden. Wir sind für leistungsgerechte Steuern, d. h. Leistung muß sich lohnen. Wir sind dafür, daß aus höherer Leistungsfähigkeit eine höhere Verpflichtung für das Gemeinwohl erwächst. Deshalb befürworten wir grundsätzlich auch die Progression im Steuersystem, wenn sie nicht zu steil ist, wenn sie nicht familienfeindlich ist und wenn sie nicht zusammen mit den Sozialabgaben konfiskatorisch wirkt.Ein Grundprinzip für uns ist, daß wir einfache Steuern vereinbaren. Hierzu hat es einen besonderen Beschluß eines FDP-Parteitags zur Steuervereinfachung gegeben.Die FDP-Fraktion begrüßt es, daß im Rahmen der familienpolitischen Komponenten des Steuerpakets auch Verbesserungen des Wohngelds realisiert sind. Wir begrüßen das deshalb, weil wir das Wohngeld als besonders wichtiges und zielgenau treffendes Instrument der Wohnungspolitik schätzen, das auch im Rahmen einer Neukonzeption der Wohnungspolitik seinen besonderen Platz haben wird.Dabei begrüßen wir es insbesondere, daß mit der Einführung einer neuen Baualtersklasse bei den Mietobergrenzen eine Abkoppelung von den Bewilligungsmieten im sozialen Wohnungsbau vorgenommen worden ist, so daß das Instrument Wohngeld seinen Charakter als Ergänzung zur Subventionsregelung, zum objektgeförderten sozialen Wohnungsbau verloren hat.Allerdings gibt es in diesem Gesetz auch einen Wermutstropfen für uns Liberale. Er besteht darin, daß die Verbesserungen der Wohngeldleistungen für die Ein- und Zweifamilienhaushalte nicht so umfangreich ausgefallen sind, wie wir es sozialpolitisch für wünschenswert halten. Aber wir waren natürlich in unserem Spielraum sehr begrenzt. Denn es waren innerhalb des gesamten Steuerpakets für dieses Gesetz nur 600 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden, wovon die Hälfte auf den Bund entfiel. Deshalb konnten wir in dieser Frage den an sich plausiblen Anträgen der Opposition nicht zustimmen.Aber es ist nicht so, daß den Ein- und Zweifamilienhaushalten alles Geld entzogen worden ist. Auch für die Rentnerhaushalte wird es Wohngeldverbesserungen geben.
— Was heißt minimal?
220 Millionen DM von 600 Millionen DM sind kein Pappenstiel.Das Schwergewicht bei den Verbesserungen liegt eindeutig bei den Familien mit mehreren Kindern. Hierfür sind 380 Millionen DM vorgesehen. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung.Es ist erfreulich, festzustellen, daß in diesem Gesetz ein Beitrag zur Steuervereinfachung geleistet worden ist. Im Bericht sind mehrfach Regelungen dieser Art aufgezählt worden. Es ist festgelegt worden, daß die Bundesregierung einen Prüfauftrag erhält, wie man die Bearbeitung der Wohngeldanträge der Sozialhilfe- und der Kriegsopferfürsorgeempfänger vereinfachen kann.Beim sogenannten Omnibusgesetz — auch hierzu ist schon gesprochen worden — handelt es sich um ein Gesetz, das eine Reihe offener steuerlicher Probleme regelt. Die FDP begrüßt dieses Gesetz. Ein Teil der Rechtsänderungen ist zwar nur von geringem Gewicht. In der Summe der Maßnahmen werden jedoch spürbare Vereinfachungseffekte erreicht.Die FDP begrüßt den Gesetzentwurf auch deswegen, weil er einige Vorschläge unserer Bremer Beschlüsse zur Steuervereinfachung übernimmt, nämlich Verdoppelung des Freibetrags für Trinkgelder von 600 auf 1 200 DM, Abschaffung der Einkommensbesteuerung nach dem Verbrauch, Verdoppelung des Pauschbetrags für Nachlaßkosten bei der
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17542 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
SchleifenbaumErbschaftsteuer. Zusammen mit unseren ebenfalls in Bremen beschlossenen Vereinfachungsvorschlägen, nämlich die ertragsteuerlichen Werte der Pensionsrückstellungen in die Vermögensaufstellung zu übernehmen und eine Reihe von Bagatellsteuern abzuschaffen, die heute im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1981 und des Gesetzes zur Abschaffung der Spielkarten-, Zündwaren- und Essigsäuresteuer verabschiedet werden, bedeutet dies, daß erste Teile unseres Vereinfachungskonzepts in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Wir fühlen uns jedoch nach wie vor verpflichtet, weitere Vereinfachungsbeschlüsse Schritt für Schritt zu realisieren.Von größerem materiellem Gewicht ist die Verlängerung und Erweiterung der Abschreibungsmöglichkeiten für Wirtschaftsgüter, die dem Umweltschutz dienen. Nachdem schon im Jahre 1975 eine deutliche Verbesserung dieser Abschreibungsvergünstigungen vorgenommen wurde, verzichtet der Staat jetzt noch einmal auf jährliche Steuereinnahmen von 125 Millionen DM. Dies zeigt deutlich, daß wir keine Grünen für eine umweltfreundliche Politik brauchen — wir schon gar nicht.Von besonderem Gewicht ist auch die Verdoppelung des Abzugsrahmens von Spenden für kulturelle Zwecke. Solche Spenden können in Zukunft bis zur Höhe von 10 % des Gesamtbetrags der Einkünfte steuermindernd abgezogen werden. Hiermit löst die Koalition ein Versprechen ein, das sie im Jahre 1978 gegeben hat. Die FDP bedauert allerdings, daß die Abzugsmöglichkeit nur für Spenden zugunsten kultureller Zwecke verdoppelt werden konnte, die nunmehr den Spenden für staatspolitische und wissenschaftliche Zwecke gleichgestellt sind. Sie hätte lieber eine Lösung gesehen, die alle begünstigten Spenden gleichbehandelt. Es ist nur schwer einzusehen, daß z. B. Spenden für ein Museum bis zu 10 %, Spenden für die „Aktion Sorgenkind" aber nur bis zu 5 % der Einkünfte abzugsfähig sind. Wir mußten uns hier notgedrungen der Haushaltslage beugen, die zusätzliche Steuerausfälle von über 100 Millionen DM nicht zuläßt.Nicht zustimmen wollten wir dagegen dem von der CDU/CSU gestellten Antrag, zeitgenössische Kunstwerke von der Vermögensteuer zu befreien, und zwar unabhängig von ihrem Wert. Von einer solchen Maßnahme würden junge unterstützungsbedürftige Künstler nicht profitieren, weil deren Werke nun einmal noch keinen hohen Marktwert haben. Begünstigt würden die Kunstwerke mit hohem Wert von solchen Künstlern, die bereits einen Namen haben. Deren wirtschaftliche und soziale Lage rechtfertigt aber keine Subventionierung durch den Staat.Die Verbesserung des Abzugs von Spenden für politische Parteien von 600 DM auf 1 800 DM ist notwendig. Spenden zugunsten jener Institutionen, die Voraussetzung für eine demokratische Willensbildung in unserem parlamentarischen System sind, dürfen gegenüber anderen Spendenzwecken nicht diskriminiert werden. Die bisherigen Grenzen waren zu niedrig, die neuen festen Obergrenzen sind immer noch maßvoll und bewegen sich in dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Rahmen.Die Abschaffung der Spielkarten-, Zündwarenund Essigsäuresteuer ist ein Beitrag zu einem übersichtlicheren Steuersystem. Der Vereinfachungseffekt ist zugegebenermaßen sehr bescheiden, weil nur wenige Bürger von diesen Steuern unmittelbar berührt werden. Es sind nur Pfennigbeträge, mit denen die Bürger zur Zeit durch diese Steuern belastet werden; für den Staat führt die Abschaffung dieser Steuern aber immerhin zu Einnahmeausfällen von 19 Millionen DM.Den weitergehenden Antrag der CDU/CSU, neben den drei von uns zur Abschaffung vorgeschlagenen Bagatellsteuern noch die Zucker-, Salz- und Leuchtmittelsteuer zu beseitigen, haben wir aus haushaltsmäßigen Gründen abgelehnt. Uns fiel das schwer, weil wir grundsätzlich für die Abschaffung dieser Steuern sind. Die CDU/CSU, die ständig von der Notwendigkeit einer Haushaltskonsolidierung redet, glaubt jedoch, zusätzliche Steuerausfälle von fast 300 Millionen DM in Kauf nehmen zu können. Sie können offenbar die Steuern senken und gleichzeitig die Schulden verringern. Konkrete Vorschläge zur Ausgabenkürzung bleiben sie natürlich schuldig.In diesem Zusammenhang möchte ich auch den Dialog mit der Familie Zimmermann fortsetzen, den ich hier bereits am 7. März aufgenommen habe. Es ist dies ein ungewöhnliches Verfahren; ich möchte es aber durchhalten. Ich glaube, daß die öffentliche Resonanz, die Frau Jutta Zimmermann nun auch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und durch ihre Fragen hier im Plenum zugegebenerweise erreicht hat, es rechtfertigt, daß man noch einmal darauf eingeht.
Ich meine, daß nach wie vor gültig ist, daß der 7 b-Bericht der Bundesregierung im federführenden Finanzausschuß zunächst beraten werden muß, ehe über eine solche Änderung endgültig entschieden wird. Ich zweifle nicht daran, daß das Votum schließlich positiv sein wird. Die mitberatenden Ausschüsse haben schließlich auch positiv abgestimmt.
Aber das Verfahren muß eingehalten werden. Ich meine, hier geht es um eine Frage des Timings.Dieser Fall ist ein sehr gutes Beispiel dafür, daß nicht alles, was gerechtfertigt und gerecht ist, auch verabschiedet werden kann. Denn der Katalog der gerechtfertigten und der gerechten Maßnahmen addiert sich natürlich zu einer weit größeren Summe der notwendigen Steuerentlastung als zu der, auf die wir uns hier aus haushaltsmäßigen Gründen beschränken müssen. Wir müssen hier wirklich einmal aufzeigen, daß sich zwischen der uns zur Verfügung stehenden Manövriermasse und dem aus Gründen der Gerechtigkeit Notwendigen für uns als Parlament immer wieder ein Dissens ergibt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17543
SchleifenbaumFür die Opposition, die sich natürlich erlaubt, hier keinen Dissens zu sehen, sondern zu fordern, was nur denkbar ist, ist dies kein Problem.
Die Verantwortung wälzen Sie jeweils auf die Regierung ab. Sie gehen nach der Methode vor: Omnis omnibus; alles für alle. Sie achten dabei nicht auf eine solide Finanzierung.
Ihr Unionsprogramm, das jetzt von Franz Josef Strauß vorgestellt worden ist, ist angeblich solide finanziert.
Das ist doch völlig utopisch.Zum Thema Staatsverschuldung malen Sie hier ein utopisches Horrorgemälde an die Wand. Gleichzeitig verlangen Sie Kataloge von Entlastungen, die dem völlig diametral entgegenstehen.Ihre rigorosen Äußerungen zur Staatsverschuldung müssen einmal unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, wie diese denn überhaupt entstanden ist. Ein sehr großer Anteil der Staatsverschuldung ist durch die Sozialgesetzgebung ausgelöst worden, die Sie mitgetragen haben. Ein sehr großer Anteil der Staatsverschuldung ist durch die Konjunkturförderungsgesetze ausgelöst worden, die Sie ebenfalls mitgetragen haben.Die FDP hätte sich sehr gern noch einigen gerechtfertigten Forderungen angeschlossen. Sie hat ihrem Koalitionspartner im Laufe der Verhandlungen auch entsprechende Deckungsvorschläge gemacht, um z. B. bei der Vorsteuerpauschale eine Manövriermasse für die Finanzierung zu bekommen, um z. B. beim Wohngeld eine zusätzliche Manövriermasse zu bekommen, um z. B. bei der Spendenabzugsregelung großzügiger verfahren zu können, um die Bagatellsteuern großzügiger abschaffen zu können, um die familienpolitischen Maßnahmen großzügiger gestalten zu können.
Wir haben innerhalb der Koalition angeregt, den Vorwegabzug anders zu regeln, und zwar in dem Sinne, wie es die Selbständigen selber wollen, nämlich in dem Sinne, daß ein spezieller Vorwegabzug für die Krankenversicherung der Selbständigen eingeführt wird. Das hätte zu einer Einsparung geführt. Aber wir können uns als FDP auch nicht überschätzen.
Wir sind Partner in einer Koalition und sind hier mit einer Forderung nicht durchgedrungen. Andererseits muß man doch zugeben, daß das Steuerpaket, das heute vorgelegt wird, ein fairer Kompromiß zwischen den Koalitionspartnern ist. Beide Seiten ha-ben nehmen und geben müssen. Insofern sage ich dies hier ohne Bitterkeit.
Herr Dr. Kreile sprach von den heimlichen Steuererhöhungen als der Geißel der Bundesrepublik.
— Sie sprachen aber nicht von Schmeißfliegen, sondern von der Geißel der Bundesrepublik. Sie sprachen davon, Staatsschulden seien aufgeschobene Steuern.
Ich weiß gar nicht, wie Sie das, was Sie insgesamt in den einzelnen, unabhängig voneinander zu sehenden Anträgen gefordert haben, finanzieren wollen, sollten Sie an die Regierung kommen. Deswegen vermute ich, daß Sie zu Ihrem bisherigen Programm noch ein weiteres Programm verabschiedet haben, das Geheimprogramm der Union für Steuererhöhungen nach der Wahl.
Ich bitte Sie, dieses Geheimprogramm nun einmal endlich auf den Tisch zu legen, da das, was Sie insgesamt an ausgabewirksamen Forderungen gestellt haben, nur durch Steuererhöhungen finanziert werden. kann.
— Sie sind ja doch geübt in Steuererhöhungen. Als Franz Josef Strauß Finanzminister war — in den Jahren zwischen 1966 und 1969 —,
sind die Steuern kräftig erhöht worden. Als der Herr Katzer damals Arbeitsminister war, sind die Maßnahmen im Sozialbereich zu Lasten der Abgabepflichtigen kräftig ausgeweitet worden. Insgesamt handelte es sich um einen Betrag von 22 Milliarden DM. Und was Sie in der Zwischenzeit insgesamt hier alles an Forderungen gestellt haben, addiert sich auch schlankweg zu 100 Milliarden DM.
— Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie, daß ich Ihnen auch keine Zwischenfrage zulasse. Sie haben meiner Kollegin Frau Matthäus leider auch keine zugelassen.
Die Existenz eines geheimen Steuererhöhungsprogramms der Union ist doch einfach eine Frage der Logik.
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17544 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
SchleifenbaumDie Widersprüchlichkeit der Oppositionsargumentation läßt sich auch an der heute geführten Diskussion sichtbar machen. Dr. Kreile sprach von einem miserablen Konzept unseres Steuerpakets. Dr. Schäuble sprach anschließend davon, darüber hätte man ja reden können. Dr. Kreile sprach davon, daß das Unionskonzept das gleiche Volumen habe, aber besser sei. Auf der anderen Seite sprach Dr. Kreile davon, daß es sich um Steuerbetrug handle.Ich möchte bei alledem nicht ungesagt lassen, daß die Freien Demokraten bei dieser Diskussion ein gewisses Unbehagen überkommt. Wir sagen ja zum Steuerpaket, möchten aber auch darlegen, daß wir einige Bedenken haben.
Als wir dieses Steuerpaket mit dem Koalitionspartner schnürten, war die Situation nicht die gleiche wie heute. Wir haben inzwischen eine veränderte außenpolitische Lage. Wir haben inzwischen außenwirtschaftliche Daten, die sich extrem verändern, wenn man sie in die Zukunft hochrechnet. Daß wir heute weiterhin zu diesem Steuerpaket ja sagen, beruht auf einer Geschäftsgrundlage, nämlich der Zusage des Bundeskanzlers und der Zusage des Bundesfinanzministers, daß dieses Steuerpaket nicht durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme finanziert zu werden braucht,
daß gleichzeitig der Nachtragshaushalt nicht zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme führen wird und daß auch sonstige andere ausgabewirksame Forderungen nicht zu einer Erhöhung der Neuverschuldung führen werden.
Wir dürfen doch nicht übersehen, daß unser Handlungsspielraum etwas enger geworden ist. Ich glaube auch nicht, daß der Finanzminister dies übersieht. Der Finanzminister hat sich mit diesem Problem sehr ernsthaft befaßt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß er die Zusage geben kann. Wir wollen doch alle eine Verringerung der Staatsverschuldung und nicht eine weitere Erhöhung.
Wir müssen dem Bürger meines Erachtens klarmachen, daß wir mit diesem Steuerpaket ganz klare Prioritäten gesetzt haben. Ich glaube, es ist innerhalb aller Fraktionen des Deutschen Bundestages nicht umstritten, daß eine Steuerentlastung der Bürger notwendig und gerechtfertigt ist. Auch die Opposition hat entsprechende Vorschläge vorgetragen. Aber wir müssen natürlich sehen, daß der Begehrlichkeit der Bürger durch die Verabschiedung des Steuerpakets in Zukunft Grenzen gesetzt sind. Grenzen, die der Haushalt setzt — denn es soll nicht der Fall eintreten, daß der Schuldendienst eines Tages nur noch durch Neuverschuldung bedient werden kann —, Grenzen, die man sich selbst aus freier politischer Verantwortung gegenüber zukünftigen Steuerzahlergenerationen setzen muß.
— dazu hat meine Kollegin Ingrid Matthäus schon einiges ausgeführt —, und auch Grenzen, die man aus freier politischer Verantwortung im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen und unserer Verpflichtungen für die Sicherung von Frieden und Freiheit in der Welt setzen muß. Das hängt mit Sicherheit und auch mit der Politik gegenüber der Dritten Welt zusammen.Ich möchte allerdings klar zum Ausdruck bringen, daß ich das absolute Ausmaß der Staatsverschuldung, rein volkswirtschaftlich, makroökonomisch gesehen, nicht schon für einen Anlaß halte, die Lage zu dramatisieren.
Denn die Staatsverschuldung muß gesehen werden in bezug auf die Gesamtgröße des Bruttosozialproduktes, den Warenkreislauf und die Bewertung der Währung, die auf dem freien Markt vorgenommen wird.
Im internationalen Vergleich schneiden wir bei all diesen Zahlen auch hinsichtlich der Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung gut ab. Die Grenzen setzt der Haushalt selbst, und dazu habe ich das Nötige gesagt.Die FDP möchte sich auf keinen Fall für das Schaustück mißbrauchen lassen: „Vor der Wahl geben, nach der Wahl nehmen. Die FDP hält das Steuerpaket aus den dargelegten Gründen nach wie vor für wünschenswert. Aber wir müssen auch sagen, daß gegebenenfalls die Möglichkeit offenbleiben muß, das Steuerpaket zu strecken. Diese Option behalten wir uns für den Fall vor, daß sich die Rahmendaten ändern, die uns die Befürwortung gerechtfertigt erscheinen lassen. Wir wollen nicht, daß die Neuverschuldung weiter wächst,
vielmehr wollen wir sie weiter abbauen. Die Liberalen werden ihr Wächteramt für eine solide und sparsame Haushaltsführung sehr ernst nehmen.
Dieses Ziel steht nach unserer Ansicht und nach unseren Erkenntnissen der Verabschiedung des Steuerpakets nicht entgegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorredner Kühba-
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Dr. von Wartenbergcher hat darauf hingewiesen, daß wir neben dem strittigen Steuerentlastungsgesetz auch gemeinsam und einmütig über das sogenannte Omnibusgesetz beraten, das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze. Die einzelnen Entrümpelungsmaßnahmen und Streichungsvorschriften wurden genügend dargestellt, so daß ich nur einen Punkt erwähnen möchte, den wir gemeinsam, Bundesrat, Bundesregierung, Opposition und Regierungskoalition, ausgearbeitet haben: die Erhöhung der Abschreibungsmöglichkeit für Umweltschutzinvestitionen. Diese Regelung wurde um zehn Jahre verlängert, flexibler gestaltet und bezieht innerbetriebliche Maßnahmen mit ein. Wenn man berücksichtigt, daß bereits unter den geltenden Bedingungen im Jahre 1977 978 Millionen DM und im Jahre 1978 1,1 Milliarden DM auf diesem Sektor investiert wurden, zeigt das, wie bedeutend diese Maßnahme zur Sicherung der Arbeitsplätze und für einen besseren Umweltschutz für die Zukunft ist.Herr Kühbacher, Sie haben in Ihrem Beitrag zum Omnibusgesetz darauf hingewiesen, daß wir als Opposition im Finanzausschuß eine Reihe von Änderungsanträgen gestellt haben, die teilweise angenommen wurden, in wesentlichen Punkten aber nicht die Mehrheit des Finanzausschusses gefunden haben. Sie schlagen ferner vor, wir sollten diese Änderungsanträge hier stellen. Herr Kühbacher, wenn wir hier wirklich eine konstruktive Beratung hätten und davon ausgehen könnten, daß dadurch nicht nur die Arbeit des Parlaments ausgedehnt würde, nicht nur fart pour l'art gemacht würde, wir also die Hoffnung haben könnten, daß unsere Anträge ernsthaft geprüft werden, wäre es sinnvoll, diese Anträge hier zu stellen.
Da wir aber wiederholt erlebt haben, daß Sie mit ideologischen Vorurteilen, vorgefaßten Meinungen und Vertröstungen in die Zukunft die Dinge einfach ablehnen, hat es gar keinen Sinn, diese Anträge hier zeitraubend noch einmal zu behandeln.Lassen Sie mich zwei Anträge nennen, Herr Kühbacher. Wir haben einmal eine Aufstockung der Grenze für die Abzugsfähigkeit von Werbegeschenken von 50 DM auf 100 DM vorgeschlagen. Das ist kein neuer Satz, sondern der galt bis zum Jahre 1974. Sie von der SPD haben das damals aus ideologischen Gründen abgeschafft.
Wenn man das Jahr 1974 zu einem Vergleich mit dem Jahre 1980 heranzieht, zeigt sich, daß die Kosten- und Preissteigerungen dazu geführt haben, die Erhöhung dieses Betrages von 50 DM längst überfällig ist und daß die Erhöhung dieses Betrages auch für die kostenintensive Werbemittelindustrie lebenswichtig geworden ist. Wenn Sie fairerweise berücksichtigen, daß diese Maßnahme nicht nur Geld kostet, sondern dem Steuersäckel auch Einnahmen bringt, dann wird deutlich, daß es nichtsweiter als ein ideologisches Vorurteil war, diesen wichtigen Antrag abzulehnen.
Zweitens. Hier wurde angesprochen, daß wir den §7b des Einkommensteuergesetzes gar nicht inhaltlich verändern wollten, sondern nur in einem ganz kleinen Punkt eine Korrektur des Gesetzgebungsfehlers „1964" einbringen wollten. Wir haben schon mehrfach eine Erhöhung der Abschreibungsgrenze von 150 000 DM auf 200 000 DM beantragt. Das wurde seit Jahren abgelehnt. Diese Grenze gilt seit dem Jahre 1965, und die Baupreise haben sich seitdem mehr als verdreifacht, so daß es längst überfällig wäre, hier eine Anpassung vorzunehmen. Wenn hier haushaltstechnische Überlegungen gelten, kann man darüber mit Recht streiten. Völlig widersprüchlich und widersinnig wird es jedoch, über eine Maßnahme wie die sogenannte Lex Zimmermann zu streiten, die überhaupt kein Geld kostet. Hier verrennt sich die FDP in Widersprüche und vertröstet auf einen zukünftigen, neuen § 7 b des Einkommensteuergesetzes, obwohl der 7 b-Bericht längst diskutiert wurde.Worum geht es denn hier? Nach der geltenden Regelung können Familien, die seit dem 1. Januar 1964 ein Haus gebaut — bescheiden gebaut haben — und nun einen Familienzuwachs haben und deshalb oder wegen der älter werdenden Kinder ausbauen wollen, § 7 b des Einkommensteuergesetzes nicht beanspruchen. Wir waren dafür, eine flexiblere Lösung zu finden und eine Zehnjahresgrenze einzuführen. Das heißt, daß ein Ausbau dann, wenn das Haus zehn Jahre alt ist, durch § 7 b hätte begünstigt werden können. Durch Ihre Sturheit, die Grenze beim Jahr 1964 festzuzurren, machen Sie es unmöglich, daß in Zukunft Familien, die wachsen, belohnt werden. Sie bestrafen doch doppelt: Einmal bestrafen Sie Familien mit Kindern nachträglich dafür, daß sie sparsam und bescheiden gebaut haben und erst jetzt wegen einer steigenden Kinderzahl oder wegen der älter werdenden Kinder ausbauen wollen, und zum anderen bestrafen Sie sie dafür, daß sie nicht genug Geld haben, ein völlig neues Haus zu bauen und damit den § 7 b des Einkommensteuergesetzes neu in Anspruch zu nehmen, was möglich wäre.
Meine Damen und Herren, wir werden dem Omnibusgesetz zustimmen. Aber diese beiden Punkte, die ich angeschnitten habe, werden wir sofort aufgreifen, wenn wir über die parlamentarische Mehrheit hier verfügen. Das dauert nicht mehr so lange.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von der Heydt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige ganz wenige Bemerkungen zu der Abschaffung von drei Bagatellsteuern machen. Ich
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17546 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
von der Heydt Freiherr von Massenbachhalte das für ein zwar unzureichendes, aber trotzdem erfreuliches Ergebnis. ich glaube nicht, daß es vor anderthalb Jahren hier im Hohen Hause irgend jemand für möglich gehalten hätte, daß wir in das Randgestrüpp unseres Steuerdschungels, das aus diesen Bagatellsteuern besteht, mit der Machete einige Lücken hineinhauen könnten. Inzwischen sind wir soweit, daß alle Seiten des Hauses nicht mehr darüber streiten, daß diese Steuern zum größten Teil überflüssig sind wie ein Kropf, nur stören, viel Verwaltungsaufwand sowohl bei der Behörde als auch beim Steuerpflichtigen verursachen und daß man sie so schnell wie möglich abschaffen muß.Der einzige Einwand, der jetzt noch erhoben wird, ist ein fiskalischer. Der Bundesfinanzminister sagt, die Opposition — unverantwortlich, wie sie nun mal ist —, wolle auf einen Streich sechs Bagatellsteuern abschaffen, was für den Bund Mindereinnahmen von 300 oder 310 Millionen DM ausmachen würde, und das sei viel zuviel, das könne man nicht. Das müssen Sie, Herr Bundesfinanzminister, an Ihren eigenen Worten messen, die Ankündigungscharakter hatten. Bevor diese Diskussion konkrete Formen annahm, sagten Sie, man müsse bei den Bagatellsteuern im Zuge der Vereinfachungserfordernisse endlich vorankommen, da müßten wir mal sehen, was wir da machen können.Über die 300 Millionen haben wir uns gerade unterhalten, bevor ich ans Pult gekommen bin. Die Steuereinnahmenschätzungen für den Bund verschieben sich von März bis Mai allein um einen Betrag von i bis 1,5 Milliarden DM pro Jahr. Diese Änderung der Steuereinnahmenschätzungen innerhalb von drei Monaten ist also fünfmal so groß wie der Verzicht, den wir der Bundeskasse mit den 300 Millionen DM zumuten wollten, über die wir hier reden, und sie sind noch nicht einmal netto gerechnet, weil die Sekundär- und Tertiärwirkungen gar nicht berücksichtigt sind. Damit hätten wir immerhin erreicht, daß ungefähr 23 000 Worte total sinnlosen Gesetzestextes mit einem ähnlichen Volumen an kuriosesten Verordnungen endlich einmal wegkämen und der Bürger sieht, daß „die" es ehrlich meinen und zeigen wollen, daß auf diesem Randgebiet — es ist nicht der Kern der Vereinfachungsdiskussion — unnötige Steuergesetze vorhanden sind und deswegen wegkönnen.Ich möchte Ihnen sagen, daß das Thema mit der heutigen Abstimmung über diesen Gesetzentwurf, dem wir zustimmen werden, auf keinen Fall erledigt ist. Wir werden weiter daran festhalten — und Sie auffordern mitzugehen —, daß die Steuern auf Zukker und Salz und auf Leuchtmittel im nächsten Schritt abgeschafft werden und daß auch die Steuern auf Tee und auf Schaumwein, die Gesellschaftsteuer, die Börsenumsatzsteuer und die Wechselsteuer auf der Abschußliste stehen und schrittweise von uns angegangen werden. Wir werden uns darüber mit Ihnen weiter unterhalten.Ein letztes Wort. Es ist noch ein Einwand von der Seite unserer Freunde von der Landwirtschaft und von der Gäressigindustrie da, die die Sorge haben, daß die Abschaffung der Essigsäuresteuer und der Branntweinsteuer auf den Essigbranntwein nicht ausreiche, um die Wettbewerbsverschiebungen zu ihrem Nachteil auszugleichen. Wir haben im Ausschuß gesagt, daß es möglicherweise notwendig sei, die Preisgestaltung für den Alkohol, der für die Essigherstellung verwandt wird, bei der Monopolverwaltung z. B. auf dem Verordnungswege so zu verändern, daß den Gäressigherstellern kein Wettbewerbsnachteil erwächst. Ich bin sicher, daß dies bei gutem Willen möglich ist. Wir wollen hier vor dem Hohen Hause und in der Öffentlichkeit noch einmal klarmachen, daß wir nur unter dieser Voraussetzung dieser Vereinfachung zugestimmt haben und erwarten, daß die Bundesregierung diese Position entsprechend berücksichtigt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spöri.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr von der Heydt, Sie werden mir verzeihen, wenn ich jetzt unabhängig von der Bedeutung der Bagatellsteuern doch noch einmal zu den bemerkenswerten Beiträgen zurückkehre, die vorhin von Herrn Kreile und Herrn Schäuble geleistet worden sind. Sie waren bemerkenswert in einem negativen Sinne. Ganz deutlich war hier die härtere Gangart zu spüren, die ja jetzt vorgeschrieben worden ist und die versuchsweise hier in dieser Debatte umgesetzt werden sollte.
Man hat deutlich gespürt, daß Sie versucht haben, der finanzpolitischen Realität auszuweichen und an die Stelle der im großen und ganzen soliden und erfolgreichen Finanzpolitik Zerrbilder zu setzen, weil Sie im Rahmen Ihrer Wahlkampfstrategie nicht mit der finanz- und wirtschaftspolitischen Realität in diesem Lande zurande kommen,
weil Sie dieses Bild der Zerrüttung und dieses Bild des finanzpolitischen Niedergangs brauchen, weil das die Prämisse der Sonthofener Strategie ist.
— Wir kommen jetzt zu den Realitäten, Herr Kolb.— Wenn man die Erfolge von Finanz- und Steuerpolitik beurteilen will, muß man diesen Erfolg an objektiven Maßstäben messen. Ein objektiver Maßstab für den Erfolg ist der tatsächliche wirtschaftliche Ablauf in unserem Lande.
Diese Realität möchte ich Ihnen jetzt einmal an einigen Beispielen vorführen, Herr Kolb.Wenn wir auf die gegenwärtige Situation im wirtschaftlichen Bereich eingehen, ist ganz im Gegensatz zu den Untergangsparolen, daß die Leistungskraft und der Wille zur Selbständigkeit geschwächt würden und die Leistungsdynamik durch die angeblich wirtschaftsfeindliche Steuerpolitik unterminiert würde, festzustellen, daß in diesem Land zum erstenmal seit Jahrzehnten in den letzten beiden
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Dr. SpöriJahren die Zahl der Selbständigen zugenommen hat. Das sind die Realitäten.
Das hat mit der Finanzpolitik dieser Bundesregierung zu tun.Wir müssen auch feststellen, daß in diesem Lande unabhängig von einer wirklich explosiven Kostendynamik aus dem außenwirtschaftlichen Bereich — allein die Ölzeche hat im letzten Jahr 18 Milliarden DM mehr gekostet — eine sehr gute Investitionskonjunktur herrscht. Auch dies ist ein Ergebnis der Haushalts- und Finanzpolitik.
— Darauf komme ich gleich. Im letzten Jahr hatten wir 400 000 zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Land. In diesem Jahr werden es nach Aussage der Wirtschaftsforschungsinstitute 200 000 zusätzlich besetzte Arbeitsplätze sein. Dies sind die Effekte der Politik, die wir hier vertreten.
— Ruhig Blut, Herr Kolb!
Die Realitäten sind für Sie natürlich immer unbequem, aber ich muß Ihnen doch noch einen Takt zu diesen Realitäten sagen.
In dem Augenblick, da Sie in dieser finanzpolitischen Debatte versuchen, die Finanzpolitik dieser Regierung total abzuqualifizieren, stellen die Statistiker im Mai 1980 fest, daß das Wirtschaftswachstum real höher ist als in allen vergangen Jahren. Der reale Zuwachs betrug im ersten Quartal 1980 5,3 %. Diese Realitäten sprechen Bände, sie sprechen für sich.
Ich glaube nicht, hier sagen zu können, diese Leistung unserer Wirtschaft sei allein ein Ergebnis der Regierungs- und Finanzpolitik. Das wäre sicherlich überzogen.
Sicherlich ist diese Leistung in unserem Lande, auf die wir im internationalen Vergleich stolz sind — das sollten Sie übrigens auch sein, Herr Sprung —, vorrangig auch ein Ergebnis der Arbeitnehmer und der Unternehmer in diesem Lande, die dies unabhängig von tarifpolitischen Konfrontationen zustande gebracht haben.
Diese Leistung war nur unter den günstigen Rahmenbedingungen möglich, die die Finanzpolitik gesetzt hat.
Diese Finanzpolitik war, unabhängig von Ihren Abqualifizierungsversuchen, von Ihren Zerrbildern, die Sie hier heute morgen vorgetragen haben,
in dem Sinne ausgewogen und austariert, daß sie auf der einen Seite in dieser Legislaturperiode immer die notwendige private Kaufkraft gesichert hat, steuerlich günstige Rahmenbedingungen für die mittelständischen Betriebe gesetzt, Investitionsanreize geschaffen hat, auf der anderen Seite aber nicht, wie Sie es wollten, überdreht hat und nicht zu stark in die Richtung auf einen unvertretbaren Steuereinnahmeverzicht ausgerichtet war. Wenn wir das gemacht hätten, was Sie uns an Warenhauskatalogen bezüglich Steuerverzichten vorgeschlagen haben, hätten wir den Kapitalmarkt total überstrapaziert.Das Konzept der Finanzpolitik, die diese Regierung in dieser Legislaturperiode gemacht hat, ist ganz im Gegensatz zu den in dieser Debatte gehörten Abqualifizierungsversuchen bei dem Bürger, bei den sozialen Gruppen in diesem Land sehr gut angekommen; natürlich nicht in jedem Punkt. Das kann man auch gar nicht erwarten. So gefälligkeitsdemokratisch ist unsere Politik nicht.
Das Steuerpaket 1981, das heute zur Diskussion steht, ist aber bei den Arbeitnehmern und bei den Gewerkschaften auf eine äußerst positive Resonanz gestoßen. Sie sind deswegen vielleicht neidisch, aber das ist trotzdem eine Tatsache.Auf der anderen Seite muß man auch sagen: Die Unternehmer hätten es zwar gerne gesehen, wenn in diesem Paket noch einige Bonbons für sie, einige unternehmensorientierte Elemente enthalten wären. Das ist ganz klar. Aber Sie müssen auch berücksichtigen, daß die Unternehmensverbände sehr zurückhaltend waren, als Sie vorgeschlagen hatten, die Steuerentlastung schon in diesem Jahr vorzunehmen. Der BDI z. B. hat sehr genau erkannt, daß es haushaltspolitisch unverantwortlich wäre, den Haushalt 1980 durch eine Steuersenkung in dem Umfang zu belasten, wie Sie das vorgeschlagen haben.
Trotz dieser Meinungsunterschiede, die zwischen Unternehmensverbänden und Vertretern der Bundesregierung manchmal bestehen, hat sich natürlich auch unter den Unternehmern herumgesprochen, daß die finanz-, steuer-, wirtschafts- und auch die friedenspolitischen Anstrengungen dieser Regie-
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Dr. Spörirung für den wirtschaftlichen Ablauf äußerst günstig waren.
Wenn diese Leistung einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung und eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers von führenden Vertretern dieser Wirtschaft honoriert wird, dann finde ich es stillos — wie in der letzten Woche z. B. in Ingolstadt passiert — wenn diese Männer der Wirtschaft beschimpft werden, nur weil sie Ihre Strategie des Schwarzmalens nicht mitmachen.
Es ist für diese härtere Gangart, die Ihnen der Kanzlerkandidat ja in die Präambel Ihres Wahlprogramms hineingeschrieben hat, bezeichnend, daß Sie versuchen, sämtliche positiven Effekte der Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik in dieser Legislaturperiode im Rahmen einer bedingungslosen Konfrontationsstrategie abzuqualifizieren und durch finstere Zerrbilder zu ersetzen. Ich sage Ihnen: Sie werden mit dieser Strategie in diesem Jahr keinen Erfolg haben. Das wird ein grandioser Mißerfolg.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie unterschätzen das Einschätzungsvermögen der Bundesbürger, die Einsicht in die ökonomischen Grundzusammenhänge. Sie unterschätzen die Fähigkeit des Wählers zur Differenzierung zwischen der CDU-Dichtung, die heute vorgetragen worden ist, und der Realität. Und Sie unterschätzen den guten Geschmack, was politischen Stil anlangt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser Märchenstunde von Herrn Dr. Spöri wollen wir wieder zur Sachlichkeit zurückkehren.
Zum Steuerpaket gehört auch die Wohngeldnovelle, zu der der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede heute morgen leider kein einziges Wort gesagt hat.
Die CDU/CSU begrüßt es, daß wir heute die fünfte Novelle zum Wohngeldgesetz verabschieden können. Durch diese fünfte Novelle zum Wohngeldgesetz werden die Maßnahmen fortgeführt und fortgeschrieben, die noch aus der Zeit der von CDU und CSU geführten Regierungen stammen. Das Wohngeldgesetz, das wir heute verabschieden, ist eine Fortführung des Mietbeihilfegesetzes von 1960, des Wohnbeihilfegesetzes von 1963 und des Wohngeldgesetzes von 1965. Damals wurde insbesondere vonPaul Lücke eine weitblickende und solide Wohnungspolitik betrieben.
Deswegen, meine Damen und Herren, fällt uns heute die positive Entscheidung, zum Gesetz ja zu sagen, leicht.Damals schon war gesetzlich festgelegt, daß Leistungen nach dem Wohngeldgesetz keine Sozialhilfe sind, sondern dem gesetzlichen Ziel dienen, jeder Familie ein Mindestmaß an angemessenem Wohnraum zu verschaffen. Das Wohngeld ist also keine Sozialhilfemaßnahme; auf das Wohngeld besteht vielmehr ein unmittelbarer Rechtsanspruch für denjenigen, der die Voraussetzungen erfüllt. Der Subsidiaritätsgrundsatz der Sozialhilfeleistung gilt hier also nicht.Meine Damen und Herren, ich erinnere an diese lange Entstehungsgeschichte und an die gesetzliche Bedeutung des Wohngeldes, weil es auch heute, nach 20 Jahren, noch immer eine große Anzahl von Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland gibt, die sich scheuen, Wohngeld in Anspruch zu nehmen. Über die Quote der Ausschöpfung des Wohngeldes gibt es leider keine fundierten Erhebungen und damit auch keine verläßlichen Zahlen. Aber Stichproben kann man entnehmen, daß das Wohngeld sicherlich von etwa einem Viertel der an sich Wohngeldberechtigten nicht in Empfang genommen wird. Das dürfte gerade und besonders kraß im ländlichen Bereich der Fall sein, wo viele Mitbürger, insbesondere ältere, das Wohngeld nicht beanspruchen, weil sie entweder die Vergünstigungen des Gesetzes überhaupt noch nicht kennen oder es für eine Fürsorgemaßnahme halten oder weil ihnen der Papierkrieg zuwider ist. Es wäre deshalb notwendig gewesen, daß das zuständige Wohnungsbauministerium von den reichlich vorhandenen Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit mehr, intensivere und lesbarere Informationen über die Möglichkeiten und Anspruchsvoraussetzungen des Wohngeldgesetzes gegeben hätte, damit die Bürger darüber besser informiert sind.
— Sicherlich, wir würden das gern machen, wenn der Bund es entsprechend bezahlt.Meine Damen und Herren, nach diesen grundsätzlichen Ausführungen einige kurze Bemerkungen zum Inhalt der vorliegenden Novelle; im einzelnen kann ich mich auf die Darlegungen beziehen, die ich am 7. März von dieser Stelle aus gemacht habe.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt — und sie hat das auch in den Ausschußberatungen getan —, daß die Entwürfe für die fünfte und die sechste Novelle zusammengefaßt werden konnten und jetzt als ein Gesetz verkündet werden können. Damit wurde erreicht, daß die Zahl der Gesetze wenigstens um ein Gesetz reduziert wurde.Mit der heutigen Novelle soll die Einkommensentwicklung seit 1978 berücksichtigt werden. Die
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Dr. MöllerCDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt dieses Ziel. Sie begrüßt insbesondere, daß die Wohngeldleistungen für Familien mit zwei und mehr Kindern besonders und gezielt verbessert werden. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hatte schon im Zusammenhang mit der vierten Novelle vor mehr als drei Jahren einen entsprechenden Vorschlag und entsprechende Anträge unterbreitet, aber damals haben die Koalitionsparteien unsere Vorlagen leider abgelehnt.
Wir begrüßen weiter, daß für alleinerziehende Elternteile ein Freibetrag eingeführt wird, daß also für diesen Personenkreis Verbesserungen eintreten.Ebenso begrüßen wir, daß mit dieser fünften Novelle der ernsthafte Versuch der Verwaltungsvereinfachung — insbesondere bei der Einkommensermittlung und beim Verwaltungsvollzug — gemacht worden ist.Meine Damen und Herren, neben diesen positiven Erkenntnissen aus der Sicht der CDU/CSU-Fraktion haben aber auch kritische Anmerkungen zu stehen. Wir bedauern sehr, daß eine Reihe von Änderungs- und Verbesserungsvorschlägen abgelehnt worden ist; im einzelnen verweise ich auf Seite 89 des ausführlichen Berichts, wo diese Anträge und Anregungen detailliert dargestellt sind.Ganz besonders bedauern wir aber, daß die Bundesregierung, voran der Bundesfinanzminister, und die Koalitionsparteien entgegen ihren wiederholten Bekundungen und Absichtserklärungen unsere Anregungen und Empfehlungen, gerade bei den Ein-, Zwei- und Dreipersonenhaushalten zusätzlich erforderliche Verbesserungen vorzunehmen, nicht aufgenommen, sondern abgelehnt haben.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben hier wieder einmal auf Kosten der Rentner gespart.
77 % aller Wohngeldempfänger leben in Ein- oder Zwei-Personen-Haushalten. Davon sind 90 Prozent Rentner. Gerade diesen Rentnern wird eine angemessene und dringend notwendige Wohngeldverbesserung vorenthalten. Der Hinweis der Bundesregierung, daß für die Wohngeldnovelle insgesamt nur 600 Millionen DM zur Verfügung stehen, ist ein Armutszeugnis der Sozialpolitik dieser Regierung.
Im Nachtragshaushaltsplan hat die Bundesregierung für andere auch notwendige Zwecke zusätzliche Mittel bereitgestellt. Auch nach den heute bekanntgewordenen neuen Steuerschätzungen bestünde durchaus die Möglichkeit, die erforderlichen 140 Millionen DM für Rentner aufzubringen. Seit der letzten Wohngeldnovelle im Jahre 1978 sind nämlich die allgemeinen Kosten so stark gestiegen, daß gerade bei den Rentnern eine höhere Anpassung zwingend notwendig gewesen wäre. Aus dem Mietenbericht ist klar und deutlich zu entnehmen, wie sehr sich gerade die Mieten für unsere Rentner entwickelt haben. Trotz unserer wiederholt gegebenen Anregungungen und Empfehlungen hat die Bundesregierung bei den Rentnern gekürzt. Hierzu ist gerade auch von der FDP etwas gesagt worden. Kollege Gattermann hatte vor den Landtagswahlen angekündigt, daß es ihm gelingen werde
— vor der Wahl, wohlgemerkt —, die zusätzlichen Mittel bereitstellen zu lassen.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion hat im Ausschuß der 5. Novelle zur Änderung des Wohngeldgesetzes zugestimmt. Sie wird das auch heute tun,
weil insbesondere für unsere kinderreichen Familien wesentliche Verbesserungen vorgesehen sind
und damit ein langjähriges Ziel unserer Politik verwirklicht wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Frau Präsident, gestatten Sie mir, daß ich, bevor ich zu meinem Debattenbeitrag komme, als Berichterstatter eine Berichtigung vornehme.
Bitte sehr.
Auf Seite 70 der Bundestagsdrucksache 8/4011 steht unten in Absatz 2: „Ist in den Fällen des § 8 Abs. 2 eine Miete oder Belastung von mehr als 1 060 Deutsche Mark zu berücksichtigen ..." Dieser Betrag ist zu berichtigen in „1 160 Deutsche Mark".Ich bin jetzt erst darauf aufmerksam gemacht worden. Da Herr Möller bereits das Wort hatte, konnte ich mich mit ihm nicht mehr abstimmen. Ich gehe aber davon aus, daß wir diese Korrektur als Berichterstatter gemeinsam anbringen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wohngeld als gezielte individuelle Hilfe für Mieter und Wohnungseigentümer, damit sie ihre Wohnkosten aufbringen können, ist bewußt nicht dynamisiert worden, d. h., es findet keine automatische Anpassung je nach der Entwicklung von Einkommen und Mieten statt. Eine solche automatische Anpassung würde gleichzeitig bedeuten, daß wir Strukturen festschrieben und gezielte strukturelle Verbesserungen im Wohngeldsystem selbst schlechter durchsetzen könnten. Wohl aber muß eine wohnungspolitisch bedeutsame Sozialleistung des Staates in regelmäßigen Abständen auf ihre innere Ge-
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Waltematherechtigkeit und ihre tatsächliche Wirksamkeit überprüft werden. Dabei bleibt die Zielsetzung klar: Das Wohnen in ausreichend großen und ausreichend ausgestatteten Wohnungen muß auch denjenigen ermöglicht werden, deren eigenes Einkommen dadurch überfordert wäre. Ihre Belastung durch die Erfordernisse des Wohnens soll einen bestimmten Einkommensanteil nicht übersteigen. Ein Sozialstaat ist verpflichtet, diese Belastungsgrenze festzulegen. Ferner ist verstärkt darauf zu achten, daß nicht unzumutbar enge Wohnverhältnisse bei nicht so Betuchten die Entwicklungschancen von Kindern hemmen.Die vorliegende Novelle zum Wohngeldgesetz war vom Finanzvolumen her auf einen Zuwachs von 600 Millionen DM im Jahre 1982, also dem Jahr der vollen Wirksamkeit, begrenzt. Das heißt konkret, daß Bund und Länder im Jahre 1982 statt 1,6 Milliarden DM 2,2 Milliarden DM als individuelle Wohnkostenzuschüsse an Mieter und Eigentümerhaushalte bereitstellen werden. Nachdem es nicht gelungen ist, einen noch höheren Betrag durch Umschichtungen beim im finanzpolitischen Zusammenhang mit dieser Wohngeldnovelle stehenden Steuerentlastungs- und Familienförderungsgesetz „freizuschaufeln , war abzuwägen, welche Zielsetzungen und welche Verbesserungen mit dem geschilderten Finanzvolumen in erster Linie erreicht werden müssen.Erstens. Es ist ganz unbestritten, daß die Wohngeldtabellen ganz allgemein an die veränderten Einkommen und Wohnkosten von Zeit zu Zeit angeglichen werden müssen. Denn sonst würde der Einkommensanteil, der für Miete oder Abzahlung von Eigentum ausgegeben werden muß, für den auf Wohngeld angewiesenen Haushalt immer höher werden.Zweitens. Es ist aber auch nicht zu bestreiten, daß die Mehr-Kinder-Familie immer noch am unzureichendsten untergebracht ist. Laut Wohngeld- und Mietenbericht 1979 wohnen mehr als ein Fünftel aller Mietzuschußempfänger in Wohnungen, die um mehr als 25 % zu klein sind. Sie können sich ausreichend großen Wohnraum offensichtlich nur dann leisten, wenn das Wohngeld gerade die größeren Familien noch gezielter unterstützt.Drittens. Es ist ein gemeinsames Anliegen des Bundes und der Länder und auch der kommunalen Wohngeldstellen, das Gesetz leichter anwendbar zu machen und den Verwaltungsvollzug zu erleichtern. Sieht man sich diese drei Zielsetzungen an, so war für uns unabdingbar, insbesondere eine familienpolitisch gebotene Besserstellung der Haushalte ab vier Personen und der Alleinerziehenden zu erreichen. So ist es kein Zufall, daß von den 600 Millionen DM Mehrkosten des Jahres 1982 380 Millionen DM für Haushalte mit vier und mehr Personen zur Verfügung gestellt werden. Logischerweise bleiben dann für die übrigen Maßnahmen nur noch 220 Millionen DM übrig, so daß die Anpassung der Wohngeldtabellen für die Ein-, Zwei- und Drei-PersonenHaushalte zwar noch durchgeführt wird, aber nicht allzu üppig ausfallen kann. Wer dies — wie Herr Dr.Möller — kritisiert, muß sagen, woher er die dann zusätzlich benötigten Gelder nehmen will oder ob er — und wo — den größeren Haushalten die Verbesserungen im Wohngeldsystem beschneiden will.Für die SPD-Bundestagsfraktion darf ich feststellen: Das Wohngeld behält für die Wohnungspolitik und für die Weiterentwicklung sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität eine herausragende Bedeutung. In dieser Legislaturperiode haben Sozialdemokraten — im Bündnis mit den Freien Demokraten — dafür gesorgt, daß zwei Novellen mit strukturellen Verbesserungen und Anpassungen verabschiedet werden konnten. Das Wohngeldsystem ist dadurch verbessert worden und gerechter geworden. Wir lassen die Bewohner der Bundesrepublik nicht im Stich, wenn es um ihre berechtigten Ansprüche auf Wohnraum zu zumutbaren Bedingungen geht.Für uns ist besonders bedeutsam, die Wohnsituation größerer Familien zu verbessern. Deshalb sehen wir vor, daß Aufwendungen für Familienmitglieder in Berufsausübung und gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen für Familienangehörige bis zu bestimmten Höchstbeträgen vom Einkommen künftig abgesetzt werden können. Wir sehen weiter vor, daß Alleinerziehende für jedes Kind bis zu 16 Jahren 1 200 DM vom Jahreseinkommen absetzen können. Wir sehen ferner vor, daß das Einkommen von Kindern, die sich in Berufsausbildung oder in Berufsausübung befinden, mit je 2 400 DM pro Jahr nicht mehr zum Familieneinkommen gezählt wird. Wir sehen schließlich vor, daß die Belastungshöchstbeträge für zusätzlichen Wohnraum bei größeren Familien weitaus höher anzusetzen sind, als die Miete oder Belastung für die Mehrfläche ausmachen würde. Damit sollen Familien ermutigt werden, sich ausreichend großen Wohnraum zu leisten.Wir wollen mit dieser Novelle gleichzeitig klarmachen, daß Wohngeld für die dauerhafte Absicherung des Wohnkostenbedarfs zur Verfügung stehen muß. Deshalb begrüßen wir es, daß für Grundwehrdienstleistende künftig ausschließlich das Unterhaltssicherungsgesetz und für reine Studentenhaushalte ausschließlich das Bundesausbildungsförderungsgesetz maßgebend sein werden. Dies trägt sowohl zu größerer Gerechtigkeit als auch zur Verwaltungsvereinfachung bei.Schließlich, meine Damen und Herren: Wir wünschen nicht, daß die besondere Rentenerhöhung des Jahres 1982, die nach dem 21. Rentenanpassungsgesetz zur Abgeltung der Krankenkassenbeiträge der Rentner vorgesehen ist, zur Wohngeldminderung der Rentnerhaushalte führt. Die Bundesregierung wird vielmehr aufgefordert, bei der entsprechenden endgültigen Gesetzgebung im Rentenbereich dafür Sorge zu tragen, daß diese Sonderanhebung der Renten, die ja nicht zu Einkommensverbesserungen der Rentnerhaushalte führen wird, beim Wohngeld unberücksichtigt bleibt.Wir Sozialdemokraten sind überzeugt, daß wir rechtzeitig initiativ geworden sind, um notwendige Schritte in die richtige Richtung gemeinsam mit der FDP vorzubereiten. Wir sind auch stolz darauf, daß wir zum zweitenmal in dieser Legislaturperiode
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Waltematheeine Wohngelderhöhung durchsetzen konnten, die vielleicht nicht alle Wünsche befriedigt, aber insgesamt, besonders für viele Familien mit Kindern, spürbare Hilfe zuteil werden läßt und deutlich macht, daß wir die Pflicht zum sozialen Handeln ernst nehmen.Ich bedanke mich zum Schluß bei den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats und beim Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für die tatkräftige Mithilfe, daß wir das Gesetz auf diese Weise so gut zustande gebracht haben.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Haack.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Möller, ich möchte nur zu Ihren Ausführungen noch eine kurze Bemerkung machen. Es hat sich heute dasselbe wie bei der ersten Lesung am 7. März 1980 abgespielt. Sie versuchten leider wieder, den Eindruck zu erwecken, als ob durch diese Wohngeldnovelle Leistungen für die Rentner gekürzt würden. Das ist natürlich eine völlig unredliche Bemerkung, wie Sie selbst wissen.
Auch die Rentner und die Ein- und Zwei-PersonenHaushalte kommen in die Vergünstigung dieser Novelle.
Nur setzen wir diesmal einen größeren Schwerpunkt bei den Vier- und Mehr-Personen-Haushalten, um auch hier eine kinderfreundliche Wohnungspolitik zu machen, was wir ja wohl alle gemeinsam anstreben.
Zum zweiten muß ich Sie genauso wie in der ersten Lesung darauf hinweisen, daß es unredlich ist, die finanzielle Größenordnung zu kritisieren, die sich immerhin um 600 Millionen DM bei einem Bundesanteil von 300 Millionen DM bewegt, während in dem von der CDU/CSU vorgeschlagenen Steuerpaket keine Mark für Wohngeldverbesserungen enthalten ist. Auch das muß hier nochmals festgestellt werden.
Wir haben hier, sowohl in der Novelle der beiden Koalitionsfraktionen als auch in der Novelle, die die Bundesregierung vorgelegt hat, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt finanziell Machbare vorgeschlagen. Die Familien mit Kindern kommen in den Genuß dieser verbesserten Wohngeldregelung, aber auch die Rentner. Herr Waltemathe hat darauf hingewiesen, daß wir bereits im Jahr 1977 eine Verbesserung des Wohngelds beschlossen haben; in dieser Legislaturperiode also zwei Verbesserungen des Wohngelds im Interesse der Menschen, um die es uns bei
einer verbesserten Wohnungsversorgung geht. Das wollte ich am Schluß dieser Debatte über Wohngeld nochmals sagen.
Ich bitte Sie, den vorliegenden Novellen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Letzte Runde Familienpolitik! Auch dank unseres energischen Engagements für die Belange der Familie hat die Familienförderung in diesem Paket heute eine hohe Priorität.
Die heute von der SPD und der FDP vorgeschlagene verbesserte Familienförderung ist bedauerlicherweise vorwiegend nach steuerlichen Gesichtspunkten konzipiert. Wer die familienpolitischen Diskussionen in den Koalitionsparteien verfolgt hat und deren anders lautende Forderungen mit den heutigen Vorlagen vergleicht, weiß, daß hier der Finanzminister und nicht die Familienministerin den Ton angab.
Es ist auch bedauerlich, daß es zu einem echten Dialog zwischen Regierungsmehrheit und Opposition in den Fachausschüssen nicht gekommen ist. Vermutlich können auch die Familienpolitiker der Koalition mit den heute vorgelegten Lösungen nicht voll zufrieden sein.
Wir vermissen ein durchgehendes Konzept zur Verbesserung des Familienlastenausgleichs. Das Kindergeld wird nicht erhöht. Dafür soll es einen Kindergrundfreibetrag von 1 600 DM geben. Dieser hat zwar die gleichen Wirkungen wie eine entsprechende Kindergelderhöhung; viele Familien sind jedoch von steuerlichen Entlastungen durch den Kindergrundfreibetrag ausgeschlossen. Der ersatzweise vorgesehene Kinderausgleichsbetrag erfaßt nur etwa ein Fünftel der Familien, bei denen sich der Kindergrundfreibetrag nicht auswirkt. Viele Familien werden deshalb leer ausgehen; es sind dies insbesondere sozial schwache Familien.
Die CDU und die CSU wollen vor allen Dingen Entlastungen der Familie durch eine Kindergelderhöhung. Sie wollen damit auch die sehr hohen zusätzlichen Verwaltungskosten, die durch die Einführung des Kindergrundfreibetrages entstehen, vermeiden. Wir beantragen eine Anhebung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind um jeweils 15 DM und für das dritte Kind um 30 DM. Neben der Beibehaltung des Kinderbetreuungsfreibetrages fordern wir einen tariflichen Steuerfreibetrag von 300 DM jährlich je Elternteil und Kind. Die Auswirkungen sind die, daß die Gesamtförderung leicht über den vorgeschlagenen Lösungen der SPD und FDP liegt, daß sie aber alle Kinder trifft und daß nicht die hohen Verwaltungskosten entstehen, wie das auf Grund Ihres Entwurfs der Fall sein wird, meine Damen und Herren von der Koalition.
Burger
Das Schwergewicht liegt bei der Anhebung des Kindergeldes. Die Einführung eines Steuerfreibetrages erscheint uns notwendig. Er wirkt — das dürfen Sie nicht übersehen — bei ständig steigenden Lohnsteuerbelastungen dynamisch. Dies ist ein dynamisches Element, das wir hier einführen. Die Lohnsteuern sind 1978 um 31,1 % und im Jahre 1979 um 36,3 % gestiegen. Die Auswirkung des Steuerfreibetrages ist deshalb sicher von Gewicht. Da Arbeitnehmer in diesem Jahre rund 100 Milliarden DM an Lohnsteuer aufbringen und über die Hälfte der Arbeitnehmer in der Progressionszone besteuert wird, ist diese begrenzte steuerliche Regelung auch sozialpolitisch vertretbar, meine Damen und Herren.
Eine Bevorzugung höherer Einkommen durch diesen Freibetrag ist insgesamt im Familienlastenausgleich auch deshalb nicht gegeben, weil vor allem die Ausbildungsförderung und das Wohngeld neben anderen Förderungsmöglichkeiten nur innerhalb von Einkommensgrenzen an Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich gezahlt werden. Hier ist dieser deutliche Ausgleich. Man sollte nicht von „Rückfahrschein" und „Ideologie" sprechen.
Sie reden sehr deutlich von gleicher Leistung. Karl Marx hat bekanntlich immer wieder darauf hingewiesen, daß sich absolute Gleichheit auf soziologisch unterschiedliche Gruppen sehr oft als soziales Unrecht ausweist.
— Herr Wehner, das ist die echte Liberalität der CDU.
— Herr Wehner, Sie unterschätzen uns wirklich.
Ich möchte Ihnen sagen, daß Karl Marx in der Diagnose sehr Beachtliches gesagt hat; in der Therapie würde ich ihm nicht folgen.
— Er gab mir jedenfalls gute Argumente, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, noch immer erhalten nicht erwerbstätige Mütter kein Familiengeld. Es ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit und eine familienpolitische Notwendigkeit, allen Müttern die gleichen Vergünstigungen zu gewähren, wie sie ab 1. Juli 1979 Mütter in einem Arbeitsverhältnis erhalten.
Wir halten an unserer Auffassung fest, daß Frauen, die im Interesse ihrer Kinder auf eine Erwerbstätigkeit verzichten, nicht benachteiligt werden dürfen.
Wir beantragen, daß ein Elternteil, der während der ersten sechs Lebensmonate seines Kindes in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind für dessen Pflege und Erziehung sorgt und in dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, ein Familiengeld in Höhe von 500 DM monatlich erhält. Dies ist ein Essential, an dem wir festhalten wollen. Davon gehen wir nicht ab, meine Damen und Herren,
denn es muß endlich Schluß sein mit der heute noch bestehenden Diskriminierung der Hausfrauen und selbständig tätigen Mütter.
Es ist unverständlich, wenn die Koalitionsfraktionen heute die Einführung eines Kinderzuschlags von monatlich 300 DM für die ersten sechs Lebensmonate eines Kindes auch dann beschließen, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind, aber gleichzeitig nein zu unserem Antrag auf Einführung eines Familiengeldes für alle Mütter sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Burger, da wir gerade bei dem Thema Gerechtigkeit sind, wo wir für viele etwas tun wollen, frage ich Sie: Würden Sie mit mir bei dem Fall übereinstimmen, der uns vom Petitionsausschuß vorgetragen wurde, daß dann, wenn ein Elternpaar verstorben ist, doch der als Vormund eingesetzte älteste Bruder in den Genuß eines Kindergeldes kommen müßte? Und würden Sie mit mir gemeinsam die Bundesregierung auffordern, in diesem Einzelfall tätig zu werden, statt sich hinter bürokratischen Hemmnissen zu verschanzen, und im nachhinein für künftige Fälle, wenn es nötig ist, eine entsprechende gesetzliche Regelung vorzusehen?
Ja, hier besteht volles Einverständnis.
Diese Fälle sollten wir regeln. Das liegt im Sinne der sozialen Gerechtigkeit. Die Gesetzgebung kann nicht alle Lebensumstände berücksichtigen. Ich sehe auch eine ungleiche Anwendung des Kindergeldgesetzes bei Behinderten, die die Altersgrenze überschritten haben. Auch da gibt es in Einzelfällen Entscheidungen des Arbeitsamts, die nicht verständlich sind. Hier müssen wir auf eine einheitliche Anwendung des Kindergeldgesetzes drängen und die Bundesregierung auffordern, dafür zu sorgen, daß die Arbeitsämter im Einzelfall sogar entgegen der Auffassung der Bundesregierung entscheiden. Ich habe derartige Fälle erlebt.
Meine Damen und Herren, morgen wird die Mehrheit dieses Hauses das Jugendhilferecht verabschieden. Darin ist ein Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz verankert. Hier irritiert mich etwas. Ich bestreite nicht, daß Kinderkrippen in Einzelfällen notwendig sind. Aber man will das Geld für
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Burgerdie außerfamiliäre Betreuung zur Verfügung stellen, während für die Betreuung eines Kindes durch die eigene Mutter die Mittel fehlen.
Im übrigen ist die ganze Geschichte etwas problematisch. Ich lese in dem Buch von Elisabeth Dessai „Auf dem Weg in die kinderlose Gesellschaft" über die Einrichtung von Kinderkrippen folgende Sätze — ich darf sie zitieren —:In der versicherten Gesellschaft haben die Menschen ausschließlich psychologische Beweggründe, sich Kinder zu wünschen. Mühe und Last werden aufgewogen durch Freude und Glück. Dieser rein emotionale Gewinn kann nur eingeholt werden, wenn einem das Kind auch wirklich gehört, wenn es einem nicht entfremdet wird, wenn man es also in den entscheidenden ersten Lebensjahren selbst betreut.Frau Dessai führt weiter aus:Das Krippenkind bleibt eine Last. Es muß morgens in Hetze abgeliefert und abends in Eile abgeholt werden. Gleichzeitig macht es den Eltern nur wenig Freude. Es wird vor allem nässend und schlafend erlebt. Das, was die Krippe leisten sollte, die gleich starke Entlastung der Frau als Voraussetzung für ihre berufliche Chancengleichheit, hat sie nur in sehr begrenztem Ausmaß bewirkt. Die Doppelbelastung der berufstätigen Mutter wurde nicht abgebaut.Meine Damen und Herren, deshalb fordern wir ein Familiengeld für alle Mütter. Nach und nach sollten wir es auf zwei oder drei Jahre ausdehnen. Wir wissen, daß das nur mittelfristig geschehen kann. Wir dürfen nicht vergessen, daß das Kind bei der Mutter die emotionale Zuwendung erhält, die es braucht, um den Schritt ins Leben wagen zu können.Ich komme zum Schluß. Wir bedauern, daß der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Familienförderung keinen echten Dialog ausgelöst hat, sondern jetzt schlicht als erledigt erklärt werden soll. Wir sollten in diesem Hause alle Kräfte sammeln und wenigstens in der nächsten Legislaturperiode intensiv Möglichkeiten erörtern, die Situation der Familien entsprechend den Intentionen dieses Gesetzentwurfs zu verbessern.Meine Damen und Herren, die von der Koalition heute beantragte Form der Verbesserungen der Familienförderung kann unsere Zustimmung leider nicht finden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jaunich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Burger erfordern von mir aus eine kurze direkte Erwiderung, bevor ich mich meinen eigenen Ausführungen zuwenden darf. Herr Kollege Burger, voll zufrieden wird selten ein Parlamentarier sein, der einSachgebiet hier zu vertreten hat. Auch Sie werden höchstwahrscheinlich nicht einmal mit den Forderungen, die Sie aus der Opposition heraus als Fraktion insgesamt stellen, als Familienpolitiker voll zufrieden sein. Es ist also nicht mehr als eine Floskel, wenn Sie das hier eingewandt haben.Wenn Sie allerdings den Eindruck erwecken wollten, es hätte des Anstoßes der CDU/CSU-Fraktion bedurft, um in das steuerpolitische Programm eine familienpolitische Komponente hineinzubringen, muß ich das mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Dazu bedurften wir Ihrer. Anregungen nicht.
Es war für mich auch sehr interessant, daß Sie Ihre für uns abenteuerlichen Vorschläge auf Wiedereinführung von steuerlichen Freibeträgen mit Marx belegen wollen. Das ist eine Zumutung; das ist, meine ich, abenteuerlich.Wenn Sie sagen, daß nach den Vorschlägen, die Sie hier vorgebracht haben, alle Kinder bedacht würden — im Gegensatz zu den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen —, dann muß ich Ihnen sagen, daß dies nicht stimmt. Denn es gibt einen Punkt in beiden Konzepten, wo es noch ein Loch zu füllen gilt. Das ist der Bereich der Sozialhilfe.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist fest entschlossen, im Rahmen der vierten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz hier Vorstellungen zu entwickeln, die auch dem System der Sozialhilfe entsprechen, nämlich einen Mehrbedarfszuschlag für Kindererziehung zu schaffen.
Dies entspricht im übrigen diesem Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die zu dem Ergebnis gekommen ist, weil andere Überlegungen, Teile des Kindergeldes bei der Einkommensanrechnung in der Sozialhilfe freizustellen, mit dem System der Sozialhilfe nicht so gut in Einklang zu bringen sind. Wir sind, wie gesagt, bereit, diese Lücke, die noch nicht von den steuerpolitischen Beschlüssen mit familienpolitischer Komponente, die wir heute fassen wollen, abgedeckt ist, zu schließen. Heute nachmittag im Ausschuß werden wir bereits darüber beraten. Wir werden sehen, welche Haltung die Union hierzu einnimmt.
Zum wiederholten Male ist heute von der Opposition der Eindruck erweckt worden, die Familienpolitik werde durch die sozialliberale Koalition sträflich vernachlässigt, ja, diese mache alles falsch. So ist das auch heute angeklungen. Nach Ihrer Entscheidung, Familienpolitik zu einem Hauptbestandteil des Wahlkampfes zu machen, ist das wohl auch nicht anders zu erwarten gewesen. Nach der Umwidmung der Union zu ,einer Kampforganisation war eigentlich heute mehr zu befürchten, als Sie, Herr Kollege Burger, vorgetragen haben. Das hängt wohl damit zusammen, daß wir Sie als einen sachbezogenen Familienpolitiker schätzen.
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JaunichAber manche Äußerungen, die wir hier in der Vergangenheit und auch heute gehört haben, passen in dieses Konzept.Ich glaube jedoch, die Bürger in unserem Lande sehen das anders. Sie sehen, was realisierbar ist, sie sehen, was getan wurde, und sie sehen auch, was wir zu tun bereit sind. Die Wahlergebnisse der jüngsten Vergangenheit wären für uns Sozialdemokraten wohl nicht in diesem Ausmaß ausgefallen, wenn die Bürger nicht auch auf diesem Feld der Politik unsere Vorstellungen nicht nur kennen, sondern auch würdigen würden.
Denn man kann wohl nicht davon ausgehen, daß die Stimmen, die die Sozialdemokraten bei den letzten Wahlen erhalten haben, wo dieser Bereich in starkem Maße ein Thema war, insbesondere im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf, ausschließlich von ledigen Bürgern gekommen wären. Es müssen ja in starkem Maße Familien gewesen sein.Was machbar ist, wurde von uns getan und wird von uns getan. Was wurde getan? Halten wir uns einmal die Aufwendungen für Kindergeld vor Augen. 1969 betrugen sie rund 9 Milliarden DM. Sie belaufen sich heute auf 17,2 Milliarden DM. Das ist eine enorme Steigerung, die Spiegelbild für die Entwicklung ist, die wir auf diesem Sektor eingeleitet haben. Aber Familienpolitik ist nicht nur Kindergeldpolitik und darf es auch nicht sein. Dazu gehören BAföG, Wohngeld, Wohnungsbau. Da müssen wir die CDU einmal fragen, ob sie sich von den Biedenkopfschen Vorstellungen schon gelöst hat, daß der öffentliche Wohnungsbau zurückgeführt werden könnte.
Ich glaube, die Familien haben einen Anspruch darauf, daß das von Ihnen einmal klargestellt wird, Auch das gehört zur Familienförderung und zur Familienpolitik. Unterhaltsvorschußgesetz, Mutterschaftsgeld, dies sind Beweise unserer Sorge um Familien in der Vergangenheit.Die große Herausforderung unserer Zeit sehen wir allerdings in der Bewältigung des Problems, Familienleben zu ermöglichen, ohne auf Verwirklichung im beruflichen und gesellschaftlichen Leben verzichten zu müssen. Sie haben soeben schon wieder einen anderen Ton in die Debatte gebracht.
Diesen Problemen stellen sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen. Wir scheuen uns nicht, familienpolitische Konzeptionen immer wieder zu überdenken und sie an die jeweils veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Dies haben wir mit unseren familienpolitischen Reformen der letzten Jahre bewiesen.Ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung war die Einführung des Mutterschaftsurlaubs im vergangenen Jahr, den die Mütter, wie sich schon jetzt zeigt, in großem Umfang in Anspruch nehmen und damit zum Ausdruck bringen, daß sie die entlastende Wirkung dieses Urlaubs für die ganze Familie in den ersten sechs Monaten nach der Geburt eines Kindes sehen und würdigen. Die Union versucht, auch diese Hilfe dadurch zu entwerten, daß sie Vergleiche mit den nicht berufstätigen Müttern anstellt und behauptet, daß diejenigen Mütter, die bei der Geburt eines Kindes nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, diskriminiert würden.Dazu ist zunächst einmal festzustellen, daß auch solche Mütter den zusätzlichen viermonatigen Urlaub erhalten, die ihr Arbeitsverhältnis nach Ablauf dieser Zeit nicht fortsetzen. Da mehr als 90 % der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes erwerbstätig sind, gibt es nur wenige Frauen ohne Anspruch auf diesen Mutterschaftsurlaub.Die Diskriminierungsbehauptung stimmt auch im übrigen nicht; denn das Mutterschaftsgeld für Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs hat die Funktion eines Lohnersatzes, ohne den viele Mütter finanziell nicht in der Lage wären, für einen begrenzten Zeitraum auf ihren gesamten Arbeitslohn zu verzichten.Wir haben, wie ich meine, bei den nur beschränkt zur Verfügung stehenden Mitteln den richtigen Weg gewählt. Wir haben einen Einstieg gefunden, und wir haben bei der Verabschiedung des Gesetzes in einer Entschließung unseren Willen kundgetan, hier weiter fortzufahren. Dies ist ausbaufähig. Aber wir halten es in der Tat für falsch, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun.
Das heute hier vorgelegte steuerpolitische Paket ist sozial abgewogen und hat eine starke familienpolitische Komponente. Die Entwürfe der Union sind nicht so zu qualifizieren, und sie sind nicht finanzierbar.
Im Vorblatt Ihres Gesetzentwurfs auf Drucksache 8/3443 heißt es unter „Kosten: „Zur Deckung des Mehrbedarfs für 1980 wird die Fraktion der CDU/ CSU konkrete Kürzungen im Bundeshaushalt 1980 vorschlagen."
Als ich Sie im Ausschuß auf diese von Ihnen selbst angebotene Finanzierungssicherstellung hingewiesen habe, war, wie man in meiner Heimat zu sagen pflegt, „Hängen im Schacht". Da kam überhaupt nichts; im Gegenteil haben Sie gesagt, es sei nicht Ihre Aufgabe, die Deckungsmittel zu benennen. Ich kann das nicht unter den Begriff „seriös" fassen.
Deswegen muß ich sagen, daß Sie wunderbare, schön klingende Dinge in die Diskussion gebracht haben, die draußen bei Leuten, die sich nicht sonderlich intensiv damit beschäftigen mögen, auch als schön empfunden werden; aber seriös ist das Ganze nicht, und deswegen können wir diesen Weg nicht gehen. Wir gehen unseren Weg
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17555
Jaunichund sind bemüht, den Familien die Hilfen angedeihen zu lassen, derer sie bedürfen, wobei das alles in einem finanziellen Konzept abgesichert ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe, die Aussprache. Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen.
Zum Steuerentlastungsgesetz 1981 auf Drucksache 8/4021 rufe ich in der Einzelberatung Art. 1 Nrn. 1 bis 25 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Nrn. 1 bis 25 sind in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 26 in der Ausschußfassung auf. ' Dazu gebe ich Ihnen, Frau Kollegin, nach § 59 der Geschäftsordnung das Wort zur Abstimmung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Abweichung von meiner Fraktion werde ich die vorgesehene Änderung des § 51 a des Einkommensteuergesetzes ablehnen. Die Einführung des Kindergrundfreibetrages, der die Familien monatlich um 30 DM je Kind bei der Lohn- und Einkommensteuer entlastet, würde, wie auch alle übrigen Steuersenkungen, automatisch zugleich die Kirchensteuer senken. Durch die vorgesehene Änderung des § 51 a des Einkommensteuergesetzes wird aber nun bewirkt, daß diese Einkommensteuersenkung bei den Familien mit Kindern nicht auf die Kirchensteuer durchschlägt. Dadurch werden die Familien mit Kindern auf Wunsch der Kirchen durch den staatlichen Gesetzgeber um eine Entlastung bei der Kirchensteuer in Höhe von 280 Millionen DM gebracht. Eine solche Gesetzesänderung kann ich nicht verantworten.
Ich halte es grundsätzlich für verfehlt, daß sich der Bundestag bei seiner Steuergesetzgebung mit dem Beitragsaufkommen der Kirchen zu beschäftigen hat. Entscheidungen hierüber gehören meines Erachtens nicht in die Verantwortung staatlicher Institutionen, sondern sollten ureigenste Aufgabe der Kirchen selber sein.
Denn weder ist es den Kirchen zuzumuten, bei der staatlichen Steuergesetzgebung als Bittsteller an die Abgeordneten mit dem Ziel einer bestimmten Gesetzesänderung zugunsten ihres Beitragsaufkommens heranzutreten, noch ist es andererseits den Abgeordneten zuzumuten, ihre Steuergesetzgebung an dem Beitragsaufkommen der Kirchen auszurichten
Was die vorgesehene Gesetzesänderung konkret angeht, so kann ich es nicht verantworten, einer Regelung zuzustimmen, mit der die Kirchen die Absicht verfolgen, die Auswirkungen des Steuersenkungspakets auf die Kirchensteuer ausschließlich — ich betone das — zu Lasten von Familien mit Kindern zu mildern. Daß ausgerechnet die beiden großen Kirchen, die vom Gesetzgeber immer wieder höhere staatliche Ausgaben für die Kinderfamilie fordern, bei dem gleichen Gesetzgeber eine solche Diskriminierung der Kinderfamilie anmahnen und
durchsetzen, halte ich für höchst widersprüchlich, ja
darf ich offen sagen — für peinlich. Dem entspricht, daß im Hearing des Finanzausschusses die Familienverbände diesem Ansinnen der Kirchen entschieden widersprochen haben.
Ich meine, daß keine Fraktion in diesem Bundestag von ihrem Anspruch her, liberal, sozial oder christlich zu sein, einer solchen kinderfeindlichen Gesetzesänderung zustimmen kann, und bedaure es, daß sich meine Fraktion, entgegen ihrer Programmatik und ihrer ursprünglichen Position in der Frage, der vorgesehenen Änderung anschließen will.
Ich komme zum Schluß. Im „Handelsblatt" vom 23. April 1980 war zu lesen:
Der ... von den Kirchen beschrittene Weg, Auswirkungen eines Steuer- und Kindergeldpaketes auf das Kirchensteueraufkommen durch Verhandlungen mit den politischen Entscheidungsträgern hinter verschlossener Tür ausschließlich zu Lasten von Familien mit Kindern zu mildern, ist ihrer unwürdig.
Ich stimme dem zu und füge hinzu: Dieses ist auch des Parlaments unwürdig.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 1 Nr. 26 in der Ausschußfassung. Wer der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 27 und 28 sowie Art. 2 bis 15, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.Wir haben noch über Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4021 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3901 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist dieses so beschlossen.Ferner ist noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses unter Ziffer 3 auf Drucksache 8/4021 abzustimmen. Es wird empfohlen, die Petitionen für erledigt zu erklären. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dieses so beschlossen.
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17556 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Vizepräsident Frau RengerZur Abstimmung rufe ich Tagesordnungspunkt 1 b auf: Entwurf eines Steuer- und Familienentlastungsgesetzes 1981 — Drucksache 8/3666.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4032, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU abzulehnen. Müssen wir da noch in die Einzelberatung eintreten?
— Wir kommen dann zur Einzelberatung des Gesetzentwurfs, den ich soeben aufgerufen habe. Ich rufe die Art. 1 bis 9 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.Zur Abstimmung rufe ich nun die Tagesordnungspunkte 1 c, Entwurf eines Steuer- und Familienentlastungsgesetzes 1981 — Drucksache 8/3902 —, sowie 1 d, Steuerentlastungsgesetz 1980 — Drucksache 8/3456 —, auf. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4032, die genannten Gesetzentwürfe abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dem ist mit Mehrheit entsprochen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 1 e, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Familienförderung — Drucksache 8/3143 —, und 1 g, Entwurf eines Familiengeldgesetzes — Drucksache 8/3577—, auf. Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit empfiehlt auf Drucksache 8/4008, die vorgenannten Gesetzentwürfe nach Verabschiedung des Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1981 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit ist so beschlossen.Wir stimmen jetzt noch über Tagesordnungspunkt 1 f ab, Entwurf eines Bundesfamiliengeldgesetzes — Drucksache 8/3443. Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit empfiehlt auf Drucksache 8/4008, diesen Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU für erledigt zu erklären. Wird auch hier Einzelberatung gewünscht?
— Ich rufe Art. 1 bis 12 sowie Einleitung und Überschrift dieses Gesetzentwurfs auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt. Nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung entfällt damit die weitere Beratung.Ich rufe zur Abstimmung Tagesordnungspunkt 2 auf: Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes.Ich darf daran erinnern, daß der Berichterstatter, der Abgeordnete Waltemathe, zu Seite 70 des Ausschußberichts Drucksache 8/4011 eine Korrektur mitgeteilt hat, nämlich den Betrag von 1060 auf 1 160 DM zu erhöhen.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entwurf ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen?— Dieses Gesetz ist in dritter Beratung einstimmig angenommen.Wir haben noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4011 unter den Ziffern 2 bis 4, den Wohngeld- und Mietbericht 1979 auf Drucksache 8/3528 zur Kenntnis zu nehmen, die zu den Vorlagen eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären sowie die Annahme einer Entschließung.Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Einstimmig so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 3 der Tagesordnung, Gesetz zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze — Drucksache 8/4007. Ich rufe zur Einzelberatung Art. 1 bis 14, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In dritter Beratung einstimmig angenommen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4007 unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 4 a der Tagesordnung. Gesetz zur Abschaffung der Spielkarten-, Zündwaren- und Essigsäuresteuer — Drucksache 8/3964. Ich rufe Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommenzur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzenzuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Ge-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17557
Vizepräsident Frau Rengergenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über 4 b der Tagesordnung, Gesetz zur Vereinfachung des deutschen Steuerrechts — Drucksachen 8/2726 und 8/3964. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3964 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist entsprechend der Ausschußvorlage abgelehnt.Wir haben noch über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 3 auf Drucksache 8/3964 abzustimmen, die eingegangenen Petitionen zu diesem und dem vorhergehenden Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14.15 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Punkt 5 ist von der Tagesordnung abgesetzt.
Bevor ich den nächsten Punkt aufrufe, habe ich folgende Mitteilung bekanntzugeben. Der Entwurf eines Gesetzes zu dem zweiten AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 31. Oktober 1979 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehendem Abkommen — Drucksache 8/3927 —, der in der 216. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 1980 dem Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen wurde, soll auf Ersuchen des Haushaltsausschusses diesem nunmehr auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.
Außerdem soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes
— Drucksache 8/4020 —
Die Vorlage soll ohne Aussprache an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden.
Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
— Drucksache 8/3172 — a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4087
Berichterstatter: Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4006 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Becker Lutz Schmidt (Kempten)
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Künstlersozialversicherungsgesetz bleibt bis zum Schluß umstritten. Das gilt nicht für das Ziel des Gesetzes; denn alle Parteien sind sich darin einig, daß die soziale Sicherung der selbständigen Künstler und Publizisten verbesserungsbedürftig ist. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten gibt es jedoch über den Weg, wie man eine Verbesserung der sozialen Sicherung erreichen kann.Die Regierungsparteien haben nach der Devise „Mehrheit ist Mehrheit" rigoros ihr Modell der Künstlersozialversicherung durchgesetzt. Die geringfügigen Änderungen, die im Ausschuß an dem Regierungsentwurf noch vorgenommen wurden, waren nicht geeignet, die schwerwiegenden Bedenken der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und auch vieler der vom Gesetz Betroffenen — bis hin in die Reihen der Künstler — auszuräumen.Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes, aber auch in der Anhörung der betroffenen Verbände im vergangenen November und auch noch in den letzten Ausschußsitzungen waren die Vertreter der Koalition der Auffassung, daß mit dem Gesetzentwurf versicherungstechnisches und sozialpolitisches Neuland betreten werde. Diese Meinung und die wiederholte Äußerung des Kollegen Lattmann in der ersten Lesung, daß seine Fraktion für die Regelung von Einzelheiten denkbar offen sei und daß man unsere schon damals vorgetragenen Einwände sehr ernst nehmen und vollkommen vorurteilsfrei beraten wolle, ließen uns hoffen, daß unseren schwerwiegenden Bedenken wenigstens teilweise Rechnung getragen und eine positive Veränderung des Gesetzes erreichbar sein würde.
In dieser Meinung wurden wir noch durch die Aussagen des Kollegen Lattmann unterstützt, daß ein Gesetz zum Vorteil der Künstler nur dann zu schaffen sei, wenn der Konsens der Betroffenen und Beteiligten hergestellt werde.
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17558 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Dr. Becker
Unsere Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Koalitionsparteien waren in der Auffassung unbeweglich. Dies zeigten nicht nur die Beratungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, sondern auch ein interfraktionelles Gespräch kurz vor Abschluß der Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung.Maßgebende Sozialpolitiker, aber auch Fachleute der Renten- und Krankenversicherung haben den Lösungsweg der Bundesregierung mit einer neuen Bürokratie, genannt „Künstlersozialkasse", und mit einer verfassungsrechtlich fragwürdigen Künstlersozialabgabe als wenig praktikabel angesehen und waren überwiegend der Meinung, daß sie den Künstlern nicht die soziale Sicherung bringe, die angestrebt und wünschenswert sei.
Kritisiert wurde insbesondere die Schaffung einer verwaltungsaufwendigen und kostenträchtigen neuen Bürokratie, einer Künstlersozialkasse, und die Künstlersozialabgabe durch Verwerter von Kunst- und Pressewerken. Verfassungsrechtliche Bedenken wurden zu wenig beachtet. Es ist zu bedauern, daß bei der öffentlichen Anhörung kein Verfassungsexperte befragt wurde.Bei der sogenannten Künstlersozialabgabe ist insbesondere die erhebliche Deckungsungleichheit zwischen Finanzierenden auf der einen Seite und Leistungsempfängern auf der anderen Seite bedenklich. Die sogenannten Vermarkter und Verwerter müssen auch für die Leistung derjenigen Künstler und Publizisten die Künstlersozialabgabe leisten, die, etwa wie Beamte, Angestellte oder auch freiwillig Versicherte, nie Leistungen aus der Künstlersozialversicherung erhalten werden. Einzelne Gruppierungen der Verwerter haben glaubhaft vorgetragen, daß nicht einmal 1 % der mit ihnen in Beziehung stehenden Künstler und Publizisten nach dem Gesetz zu versichern sind und trotzdem die Umsätze oder Entgelte der übrigen 99 % in die Abgabepflicht einbezogen werden.Diese Deckungsungleichheiten werden auch nicht durch den im Ausschuß neu eingefügten § 26 Abs. 3 des Gesetzes beseitigt, nach dem der Bundesarbeitsminister für bestimmte Sparten unterschiedliche Vom-Hundert-Sätze der Künstlersozialabgabe festsetzen kann. Die Ungleichheit in der Belastung innerhalb der einzelnen Sparten bleibt nach wie vor bestehen. Die Regelung gilt im übrigen nicht im ersten Jahr, sondern nur eventuell für Folgejahre. Bis zur spartenspezifischen Regelung durch den Bundesarbeitsminister sind dann schon viele Galeristen und andere kunstfördernde Vermarkter pleite — mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Künstler, insbesondere junge Künstler.Die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken bleiben nach wie vor bestehen. Solche Bedenken können nicht durch irgendeine Rechtsverordnung über die Höhe der Künstlersozialabgabe, dazu auch noch in einer Kann-Form, aufgehoben werden.
Sie sind nur durch eine einwandfreie rechtsdogmatische Begründung aufzuklären, bei der eine verfassungsrechtlich einwandfreie Verteilung der Beitragslasten stattfindet.Die ungleichgewichtigen und damit ungerechten Belastungen der verschiedenen Vermarktergruppen durch die Künstlersozialabgabe führen bei einigen Branchen zu einer Gefährdung der kulturellen Institutionen und zur Schmälerung der kulturellen Angebote und damit zu einer Verarmung der kulturellen Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland.Das vorliegende Gesetz wird nach unserer Auffassung letztlich nicht zu einer Vergünstigung, sondern zu einer Benachteiligung der Künstler und Publizisten führen. Die künstlerische Entwicklung, insbesondere die Förderung junger Künstler, wird reduziert. Hinzu kommt — dies war von Anfang an zu erkennen —, daß dieser Gesetzentwurf nur einer bestimmten Gruppe von Künstlern und Publizisten helfen kann, da er nicht alle Möglichkeiten ausnützt, um Künstlern und Publizisten zu einer angemessenen Alterssicherung und Krankenversicherung zu verhelfen. So können die Älteren, die über 50jährigen, zwar zahlende Mitglieder werden, denn von ihren Kunst- und Pressewerken wird ebenfalls Künstlersozialabgabe erhoben. Die Voraussetzungen für die Altersrente können sie aber nicht erfüllen, da eine mindestens 15jährige Beitragsleistung erforderlich ist.
Mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz werden Hoffnungen geweckt, die nicht erfüllt werden. Daß die Leistungen aus der Künstlersozialversicherung nicht allzu üppig sein werden, zumindest aber nicht den Erwartungen der Künstler entsprechen, ging schon aus der Anhörung hervor. So wird derjenige, der 30 Jahre lang immer den Mindestbeitragssatz, zur Zeit monatlich 72 DM, in die Rentenversicherung gezahlt hat, später eine Altersrente von 157 DM im Monat und nach 40jähriger Beitragszahlung von nur 200 DM im Monat erhalten. Sicher ist dies nur ein unterer Grenzfall, aber er macht deutlich, daß ein Mehrfaches der Mindestbeiträge notwendig wird, um mit der Rente auch nur in die Höhe der jetzigen Sozialhilfesätze zu kommen. Auch der Bundeszuschuß hilft hier nicht, da er nach dem Gesetz erst einmal für die Verwaltungskostender KünstlerSozialkasse und zum anderen nur als Vermarkteranteil, als Arbeitgeberanteil für die Selbstvermarkter unter den Künstlern bereitsteht.In der Sachverständigenanhörung hatte ein Vertreter der Gewerkschaft das Beispiel des Vincent van Gogh gebracht, der nichts außer der Unterstützung seines Bruders erhielt. Der Bruder war übrigens im Kunsthandel tätig. Zu van Goghs Lebzeiten wurde nur ein einziges Bild verkauft. Auch Vincent van Gogh wäre mit diesem Künstlersozialversicherungsgesetz angesichts der geringen Umsätze nicht zu helfen gewesen.Einer der wundesten Punkte des Regierungsentwurfs eines Künstlersozialversicherungsgesetzes besteht in der Tatsache, daß für die wirklich bedürftigen Künstler und Publizisten keine echte Verbes-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17559
Dr. Becker
serung der sozialen Situation erreicht wird. Dies gilt z. B. für die alten Künstler, denen es wegen ihres Alters an der ausreichenden Versicherungsfähigkeit nach dem Gesetz mangelt. Die Ausklammerung des Personenkreises alter und bedürftiger Künstler und Publizisten, mit deren sozialer Situation immer wieder argumentiert wird, hält die CDU/CSU für sehr bedenklich.Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß durch das Künstlersozialversicherungsgesetz die vorhandenen gut funktionierenden sozialen Sicherungseinrichtungen, die Versorgungswerke, austrocknen oder zumindest geschädigt werden, weil die gutverdienenden zahlungskräftigen Künstler und Publizisten durch das neue Gesetz in der Künstlersozialversicherung zwangsversichert werden und dann weder auf der Künstler- noch auf der Verwerterseite ohne Not zweimal gezahlt wird. So ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, daß trotz der neu eingebauten, allerdings unvollständigen und eingeengten Ausnahmeregelungen diese Versorgungswerke in ihrem Bestand erheblich gefährdet und in ihrer Aufgabenstellung eingeengt werden.Im Verlaufe der Beratungen wurde der Künstlersozialabgabesatz ohne nähere Begründung von 8 auf 5 % gesenkt. Die Änderung soll die Vermarkter bewegen, das problematische Gesetz zu akzeptieren. Argumentiert wurde mit der Vermeidung von späteren Verrechnungen. Die Senkung um 40 % zeigt, daß das Gesetz ohne genaue Berechnungen des Bedarfs, ja, ohne schlüssige Zahlen über die Anzahl der betroffenen Künstler und Publizisten auf den parlamentarischen Weg geschickt wurde.
Die Zahlen von 1970/71 aus dem Künstlerbericht sind eindeutig veraltet.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in der Einführung der sogenannten Künstlersozialabgabe darüber hinaus eine Änderung des bestehenden Systems der sozialen Sicherung mit lohnorientierten Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Mit der Künstlersozialabgabe wird erstmals eine pauschale Umlage ohne Begrenzung der Beitragsleistung auf seiten der Vertragspartner der Künstler, auf seiten der Vermarkter, dazu noch mit unbestimmter Rechtsnatur — darüber hinaus jetzt auch noch durch Rechtsverordnung spartenmäßig unterschiedlich festsetzbar — eingeführt. Dies ist nach unserer Ansicht der Einstieg in die sogenannte Maschinenabgabe,
die unser bisheriges auf die Arbeits- und Beitragsleistung bezogenes Rentensystem verändern würde. Die sogenannte Maschinensteuer à la Ehrenberg wird bekanntlich nicht nur von der CDU/CSU, sondern auch von der FDP, den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und den Sozialversicherungsinstitutionen abgelehnt.
Um so verwunderlicher ist es, daß die FDP einer solchen Abgabe, die eindeutig Pilotfunktion für den Maschinenbeitrag hat, zustimmt.
Wegen all dieser aufgezeigten Mängel, den Nachteilen und Bedenken hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dem Bestreben, eine für Künstler und Publizisten bestmögliche Lösung zu finden, eine Alternative erarbeitet und sie in detaillierten Änderungsanträgen zu dem Regierungsentwurf in die Beratungen eingebracht.Die Alternative der CDU/CSU, die wir dem Hohen Hause heute erneut zur Abstimmung vorlegen, sieht die Einbeziehung der Künstler in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung in systemkonformer Art vor. Hierbei werden das schwankende Einkommen der Künstler und Publizisten und die durch den versprochenen Bundeszuschuß gegebene Situation berücksichtigt. Bei grundsätzlicher Versicherungspflicht soll eine Befreiungsmöglichkeit bei gleichwertiger Sicherung, gegebenenfalls auch branchenspezifisch möglich sein.Die Alternative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht eine individuelle Beitragszahlung der Künstler und der Vermarkter sowie einen individuellen Zuschuß aus Bundesmitteln vor. Künstler und Publizisten sowie Vermarkter sollen jeweils 50 % der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge auf Entgelte bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze zahlen. Nach den Vorstellungen der CDU/ CSU soll die Anlauf- und Antragsstelle für den Künstler die als Einzugsstelle bisher schon erfahrene und bewährte Krankenkasse sein. Dies hätte den großen Vorteil, daß die Betreuung der Künstler und Publizisten versichertennah erfolgen kann. Bereits jetzt haben die Krankenkassen Erfahrungen mit den schon in der Reichsversicherungsordnung erfaßten Künstlergruppen, den Artisten, Musikerziehern, Bühnenmitgliedern und Musikern.Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung hat der Künstler seine Anmeldung, seine Anträge, seine Einkommensmitteilung zur Beitragsanteilberechnung wie auch seine Befreiungsanträge an die Künstlersozialkasse, im Wahlkreis des Bundesarbeitsministers in Wilhelmshaven gelegen, zu richten. Nicht jeder Künstler ist schreibgewandt, und wegen der Ortsferne könne viele Künstler ihr Anliegen nicht hinreichend vorbringen. Am Schalter seiner Krankenkasse, an seinem Wohnort, wie dies bei unserer Vorlage möglich ist, ist dies leichter zu bewerkstelligen.Nach unseren Vorstellungen sollen vom Bundeszuschuß zunächst die Verwaltungskosten abgezogen werden. Danach soll der Bundeszuschuß auf Renten- und Krankenversicherung aufgeteilt werden, wobei er als jeweiliger Grund- und Mindestbeitragsanteil auf der Versichertenseite dient. Dieser Beitragsanteil soll dem Konto des Künstlers gutgeschrieben werden, wenn der Künstler die gleichen Mindestbeiträge an Renten- und Krankenversicherung zahlt.
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17560 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Dr. Becker
Grundsätzlich gilt, daß der Künstler wie im Regierungsentwurf 50 % des Gesamtbeitrags — vermindert um den Anteil des Bundeszuschusses — leistet. Der sogenannte Vermarkter soll ebenfalls 50 % zu den Beiträgen für den Künstler zahlen, der sich als in der Künstlersozialversicherung Versicherter ausweist. Diese Beiträge werden dann von der Krankenkasse eingezogen. Gegenüber der Regierungsvorlage werden bei dieser Regelung einerseits verfassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt, andererseits wird die Überlastung der Vermarkter vermieden, die ihr künstlerförderndes Wirken beeinträchtigt.Gegen diesen Vorschlag wird vorgebracht, er führe zu Wettbewerbsnachteilen der in der Künstlersozialversicherung versicherten Künstler. Hierzu ist zu sagen, daß nicht allein aus dem eventuellen Fehlverhalten einzelner schon auf ein Fehlverhalten aller geschlossen werden darf. Wie Sie nicht vom Fehlverhalten aller Arbeiter und Angestellten z. B. bei der Lohnfortzahlung ausgehen, meine Damen und Herren von der Koalition, so sollten Sie auch den Verwertern keine grundsätzliche Ausweichreaktion, kein Fehlverhalten unterstellen.Auch die Tatsache, daß einzelne Künstler mit einer Vielzahl von Verwertern in Geschäftsbeziehungen stehen, ist kein Hinderungsgrund für die individuelle Regelung. Wie auch heute schon bei. Mehrfachbeschäftigten üblich, können Überzahlungen der Verwerter am Ende des Jahres nach entsprechender Quotierung zu den anteilsmäßigen Entgelten erstattet werden. Überzahlungen bei Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze sind zu erstatten oder können auf Wunsch gutgeschrieben werden. Bei der Rentenversicherung sollten Vor- und Nachentrichtungsmöglichkeiten in der Beitragsleistung der Künstler und Publizisten gegeben sein.Die Alternative der CDU/CSU vermeidet die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken insbesondere hinsichtlich der Deckungsungleichheit. Dadurch würde die jetzt sicher zu erwartende Verfassungsbeschwerde vermieden. Unsere Alternative ist einfacher, weniger verwaltungsaufwendig und macht eine neue kostspielige Bürokratie überflüssig.
Die Künstler und Publizisten werden in das bewährte soziale Sicherungssystem integriert, das ortsnah den Künstlern und den Publizisten direkt zur Verfügung steht.
Unsere Alternative bringt den Versicherungsträgern gesicherte Beitragseinnahmen sowie bessere und befriedigendere Leistungen für Künstler und Publizisten im Alter und bei Krankheit. Der Bundeszuschuß würde zugunsten der Künstler und Publizisten in wirtschaftlicherer Weise verwendet.Nach Vorlage unserer Alternative zeigte sich im interfraktionellen Gespräch, daß SPD und FDP in keinem Fall über eine individuelle Beitragszahlung der Verwerter reden wollten. So wurde in einem Schnellverfahren nach der Devise „Mehrheit istMehrheit" die Alternative abgelehnt und der Künstlersozialversicherungsgesetzentwurf nach nur geringfügigen Änderungen, die überwiegend die Alibifunktion für den FDP-Partner gegenüber der Wählerschaft darstellen, durchgepaukt.
— Dem stimme ich zu.
Eine Verfassungsbeschwerde ist bei Annahme dieses Gesetzentwurfs vorprogrammiert. Aber Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, nehmen sie offensichtlich in Kauf. Die CDU/ CSU bedauert, daß Sie unsere Alternative nicht aufgegriffen und sie in den bisherigen Beratungen abqualifiziert haben. Die Künstler und Publizisten haben eine sorgfältigere Beratung eines für sie wichtigen Gesetzes verdient.Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben heute noch die Möglichkeit, der besseren Lösung, dem CDU/CSU-Modell, zuzustimmen. Die CDU/CSU ihrerseits lehnt den Regierungsentwurf in der Ausschußfassung ab.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Lutz das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute wird mein Kollege Dieter Lattmann noch über die gesellschaftspolitische Bedeutung des Künstlersozialversicherungsgesetzes reden. Meine Aufgabe ist es, mich mit der Gesetzestechnik und den Ausführungen von Herrn Dr. Becker zu befassen und Ihnen außerdem zu verdeutlichen, warum die Sicherung des Künstlers bei Krankheit und im Alter besonderer Regelungen bedarf und warum, weshalb, wieso wir das Stadium wohlfeiler Lippenbekenntnisse zur Kunst verlassen müssen.
— Nein; aber mit anderen Regelungen, Herr Franke! Das ist doch unser Gesetzesproblem, mit dem wir uns zu befassen haben. Wir müssen solide gesetzliche Regelungen finden, die für den einzelnen Künstler das Risiko von Alter und Krankheit erträglicher gestalten.Wie schwierig dieses Bemühen ist, hat auf unfreiwillige Weise Herr Dr. Becker soeben dem Haus noch einmal vorgeführt. Er hat verdeutlicht, welche ideologischen Barrieren ihm und seinen Freunden eine Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf in seiner vom Ausschuß geänderten Fassung unmöglich machen. Er hat den Gegenentwurf der Union zu begründen versucht, der wirklich auf abenteuerliche Weise unpratikabel, inakzeptabel, ja schlicht unmöglich ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17561
LutzWenn man Ihren 26 Blatt umfassenden Antrag als Maßstab etwa für die Meinung nähme, sie bemühten sich sehr um die Künstler,
würde man sehr in die Irre gehen. Man müßte nämlich lesen, was Sie in Ihrem Antrag niedergelegt haben.
Wenn man das liest, stellt man sehr schnell zweierlei fest.
Erstens wird offenbar, daß die Meinung der Betroffenen, nämlich der selbständigen Künstler und der Publizisten, trotz des Anhörungsverfahrens bei Ihnen ganz offensichtlich keinen spürbaren Widerhall ausgelöst hat. Zweitens wird offenbar, daß Sie um so begieriger alle Gedanken aufgegriffen haben, die von den Verbänden der Kunst vermittelnden und verwertenden Unternehmen an Sie herangetragen worden sind. Sie haben sehr einseitig gewichtet, Herr Dr. Becker. Damit wird auch Ihr gesamter Vorschlag derart schieflastig, daß wir ihn uns nicht zu eigen machen können. Wir werden ihn auch hier im Plenum ablehnen müssen.
Was das Gesetz selbst anlangt, so müssen wir feststellen, daß sich seit 1972 mein Kollege Dieter Lattmann um ein solches Gesetz bemüht hat. Daß wir es heute verabschieden werden, möge er bitte nicht als Abschiedsgeschenk betrachten, aber ganz sicher als Beweis dafür, daß in der Politik und besonders in unserer Spielart des demokratischen Parlamentarismus Dinge zu bewegen sind, aller Skepsis zum Trotz und Jahre dauernd; aber die Dinge sind zu bewegen, und das nicht nur millimeterweise.Trotz der Unterstützung zweier Regierungschefs hat es viele Jahre gedauert, bis wir die Idee heute in die Tat werden umsetzen können. Das ist so erstaunlich nicht, denn mit diesem Gesetzentwurf begeben wir uns auf Neuland. Der Konfektionsanzug unserer normalen sozialpolitischen Regelungen kann dem Völkchen der Künstler und selbständigen Publizisten nicht einfach übergestülpt werden. Wir mußten abseits des Gewohnten Sonderregelungen erarbeiten. Für mich war es erstaunlich und beglückend zugleich, festzustellen, wie kreativ sowohl die beamteten Autoren dieses Gesetzentwurfs als auch meine Kollegen in der Koalition auf diese Herausforderung reagiert haben.Erlauben Sie bitte, daß ich Ihnen das Normale und das Außergewöhnliche an diesem Gesetz in ein paar Beispielen demonstriere.Erstens wollen wir erreichen, daß die selbständigen Künstler und Publizisten in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu Bedingungen versichert werden, die für alle anderen Arbeitnehmer auch gelten. Das ist noch relativ einfach dadurch darzustellen, daß wir sie wie die Arbeitnehmer auch verpflichten, von ihren Honoraren Beitragsanteile an die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung abzuführen. Das wird schon schwieriger, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Künstler und Publizisten a) im Normalfall ein schwankendes Einkommen und b) eine Vielzahl von Auftraggebern — Arbeitgeber, Verwerter oder wie immer Sie das nennen wollen — haben.Unser soziales Beitrags- und Leistungsrecht aber beruht geradezu auf dem Prinzip der kontinuierlichen, stetigen Beitrags- und Leistungsströme und der überschaubaren Arbeitnehmer /Arbeitgeber-Beziehungen. Deshalb waren wir gezwungen, die vorhandenen Außergewöhnlichkeiten durch außergewöhnliche gesetzliche Regelungen in die Normalität unseres sozialen Rechts einzugliedern. Ich glaube, das ist auf erstaunliche und schlüssige Weise mit diesem Gesetzentwurf gelungen.Der Künstler oder Publizist teilt seine Honorare der Künstlersozialkasse mit und erfährt von dieser Einzugsstelle, welche Beiträge zur sozialen Sicherung er zu entrichten hat. Da die normalen Beitragsbemessungsgrenzen dem Auf und Ab im Einkommen der Künstler nicht entsprechen würden, sieht das Gesetz vor, daß in sogenannten „guten Jahren" der Künstler bis zur doppelten Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in Anspruch genommen werden kann und — wenn Sie so wollen — in „mageren Jahren" von diesem Polster etwas abgeschmolzen wird, um ihm eine gleichmäßige Versicherung zu ermöglichen.Die Ideologen in den Reihen der Opposition — das hat Herr Dr. Becker heute erstaunlicherweise gar nicht angeführt — argwöhnen, hier würden die Sozis den ersten Schritt zur generellen Beseitigung von Beitragsbemessungsgrenzen tun. Lassen Sie mich ganz offen sagen: Das ist glatter Unfug. Die Besonderheit verlangt besondere Regelungen. Wir werden uns nicht darauf berufen, wenn wir Sie und unsere Partner in der Koalition bei anderen gesetzlichen Vorhaben etwa dazu zu bewegen trachten, bei der Beitragsbemessungsgrenze etwas beweglicher zu sein. Das ist ein anderes Problem; es hat mit dieser Frage an dieser Stelle nichts zu tun.
Weil der Künstler im Normalfall nicht nur mit einem, sondern mit einer Vielzahl von Auftraggebern, Vermittlern, Verlegern, Galeristen etc. zu tun hat, wird mit diesem Gesetz die Gesamtheit aller Vermarkter — ich gebe zu, das ist ein häßliches Wort, aber es gibt noch kein besseres — als Arbeitgeber der Künstler in Anspruch genommen. Diese arbeitgeberähnlichen Personen — so könnte man sie auch nennen — zahlen aber nicht, wie zu erwarten wäre, die andere Hälfte der Beiträge zur sozialen Sicherung der selbständigen Künstler und Publizisten, sondern nur zwei Drittel des Arbeitgeberanteils; das letzte Drittel zahlt der Bund. Wir tun das nicht, weil wir die kunstvermarktenden und -verwertenden Unternehmen für besonders subventionsbedürftig hielten, sondern weil wir — auch das ist eine Besonderheit — davon ausgehen müssen, daß eine ganze Reihe von Künstlern sozusagen als Selbstvermarkter von Fall zu Fall ohne Einschaltung
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Lutzeines Dritten ihre Werke verkaufen. Der Bund übernimmt in diesem Fall sozusagen die Rolle des nicht vorhandenen Arbeitgebers. Das schmerzt zwar den Finanzminister, aber wir haben ihn von der Notwendigkeit des Bundeszuschusses überzeugen können.Beträchtliches Kopfzerbrechen hat uns die Meßlatte für das Erheben des sogenannten Arbeitgeberanteils der vermarktenden und verwertenden Unternehmen bereitet Im ursprünglichen Gesetzentwurf sind wir, wie es Herr Dr. Becker gesagt hat, von 8 % ausgegangen. Mittlerweile glauben wir — das Anhörungsverfahren hat uns darin bestätigt —, daß ein Abführungssatz von 5 v. H. von allen Honoraren das Richtige wäre; Das gilt für alle Honorare. Darauf müssen wir leider bestehen. Wir wollen keine neuen Wettbewerbsverzerrungen zwischen freischaffenden Künstlern, für die die soziale Sicherung eingeführt werden soll, und Freizeit-Schaffenden, die anderweitig sozial abgesichert sind, postulieren.Im Anhörungsverfahren haben uns — Herr Dr. Becker, das haben Sie verdrängt alle Verbände der Künstler und Publizisten händeringend gebeten, diesen von uns beabsichtigten Weg zu gehen. Um so erstaunlicher und bemerkenswerter finde ich es, daß Sie nach wie vor gegen die Betroffenen eine individualisierte Regelung durchsetzen wollen, die letztlich dazu führt, den selbständigen Künstler und Publizisten, vorausgesetzt, er gehört nicht zu den Trägern der ganz großen Namen, vom Markt zu verdrängen.Nun ist eine Meßlatte von 5 % auf alle Honorare ein möglicherweise zu grobschlächtiges Instrument. Möglicherweise sind andere, branchenspezifischere Bemessungsgrößen sinnvoller. Wir haben das bedacht und unterbreiten mit diesem Gesetz allen Vermarktern das Angebot, durch die Bildung von Ausgleichsvereinigungen andere Erhebungskriterien zu entwickeln und zu praktizieren, die den Bedürfnissen ihrer Branche oder Sparte eher entsprechen. Weiter wollen wir die Bundesregierung verpflichten, durch Rechtsverordnung branchenspezifisch gespaltene Bemessungsgrößen dann festzulegen, wenn ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Beitragsaufbringung einerseits und dem Kreis der Begünstigten andererseits festzustellen ist.Wenn man Ihnen, Herr Kollege Dr. Becker, aufmerksam zugehört hat, dann stößt gerade das auf Ihren zentralen ideologischen Vorbehalt. Die Besonderheit des Einzugs des sogenannten Arbeitgeberbeitrags und die Bemessungskriterien, die wir vorschlagen, haben bei Ihnen den Verdacht ausgelöst, als würden wir bei diesem Gesetz auf kaltem Wege erstmals Ehrenbergs Idee der sogenannten Maschinensteuer in die Tat umsetzen.
Hier wird von uns strategisch nichts langfristig angelegt. Hier suchen wir nach einer Lösung, die für alle Beteiligten akzeptabel wäre. Wir schaffen mit diesem Gesetz keine Berufungsfälle. Wenn Sie das zur Kenntnis nähmen, könnten Sie sich aus Ihrer et-was verklemmten ideologischen Verengung lösen und unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Die Besonderheiten, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, sei es auf Künstler-, sei es auf Vermarkterseite, bedingen auch eine besondere Einzugsstelle; das ist nach unseren Vorstellungen die Künstlersozialkasse. Herr Kollege Dr. Becker hat darzustellen versucht, daß wir damit eine neue Mammutbehörde schaffen wollten, und statt dessen vorgeschlagen, daß die Krankenkassen das Geschäft des Einzugs der Beiträge übernehmen.
Das intensive Beratungsverfahren im Ausschuß, die vielfältigen Gespräche mit allen Beteiligten sind dem Gesetzentwurf zweifellos zugute gekommen. Wir haben Regelungen gefunden, die nicht nur von den Künstlern und Publizisten, sondern auch von ihren Partnern auf der Unternehmerseite akzeptiert werden können und die selbst — das lassen Sie mich ganz freimütig sagen — den prüfenden Blick des Bundesverfassungsgerichts nicht zu scheuen brauchen.
An allen Beteiligten wird es jetzt liegen, daß mit diesem Gesetz das gemeinsame Anliegen eines besseren Schutzes des selbständigen Künstlers und Publizisten vor den Risiken von Krankheit und Alter verwirklicht werden kann. Ich bin ziemlich sicher, daß wir in ein paar Jahren über den Nutzen der heutigen gesetzestechnischen Operation nicht mehr werden streiten müssen, sondern allenfalls darüber, wie wir auf dem heute gelegten Fundament die soziale Sicherung auch für Künstler und Publizisten noch weiter ausbauen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
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Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die soziale Sicherung der Künstler ist aus liberaler Sicht eine kulturstaatliche Notwendigkeit. Unser Grundgesetz schützt die Kunstfreiheit in Art. 5. Wir meinen, daß dieses Grundrecht den Staat verpflichtet, Kunst und Kultur zu fördern. Wir haben uns hierum in der Vergangenheit bemüht. Wir tun es in der Gegenwart, z. B. heute morgen bei der Steuergesetzgebung. Und wir werden dies als eine für uns selbstverständliche Verpflichtung auch in Zukunft tun.Es erübrigt sich, zu betonen, daß durch staatliche Vorschriften die Freiheit des einzelnen Künstlers nicht beschränkt werden darf. Die Gestaltungsfreiheit des Künstlers ist für Liberale das Allerwichtigste. Deswegen hören wir auch nicht sehr gern Formulierungen wie etwa „Quasi-Arbeitnehmer", „Quasi-Arbeitgeber".
Vorschläge, Eingriffe und Regelungen, die die Gestaltungsfreiheit des Künstlers einschränken, werden immer unser klares Nein finden.
Deshalb bejahen wir aber Rahmenbedingungen für den Künstler, die es ihm ermöglichen, in eigener Verantwortung seinen Beitrag zur kulturellen Entwicklung zu leisten. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch und gerade die soziale Sicherung der Künstler, die es heute hier zu diskutieren gilt. Damit das klar ist: wir sagen ja zu diesem Gesetz, weil wir es in der uns vorliegenden Form für richtig und gut halten.
Uns haben viele Wünsche und Vorschläge, auch unseres Koalitionspartners, nicht gepaßt. Deswegen ist so manches geändert worden. Wir haben nicht blockiert, wie boshafterweise behauptet wurde, und wir haben erst recht nicht, Herr Kollege Becker, wie Sie in Ihrer Presseerklärung zu sagen beliebten, „Alibifunktionen" wahrgenommen. Ganz im Gegenteil, wir haben dieses Gesetz so gestaltet, daß es heute — und dies hat mich gefreut — auch die Zustimmung der Kollegen der SPD gefunden hat. Wir haben es liberal geprägt, wie es unsere Verpflichtung ist.
Worum geht es, Herr Kollege Becker? Erstens. Die Künstler, die nicht anderweitig versichert sind, die nicht Beamte, nicht Angestellte sind, sollen in den Genuß des erforderlichen Schutzes bei der Alters- und bei der Krankenversicherung kommen.
Niemand, der schon versichert ist, soll noch einmal versichert werden. Es wird keine eigene Rentenversicherung, kein eigener Sozialversicherungsträger für Künstler begründet, wie draußen gelegentlich behauptet wird.
Zweitens. Die FDP hat besonderen Wert auf den sozialen Schutz und die persönliche Freiheit der selbständigen Künstler und Publizisten gelegt. Die von uns durchgesetzte Wahlfreiheit bei der Krankenversicherung und der Alterssicherung trägt dem Rechnung.Drittens. Soweit die Künstler und Publizisten in die gesetzliche Rentenversicherung und in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden, entsprechen die Finanzierungsregeln der Systematik unseres Sozialversicherungsrechts. Der Versicherte zahlt einen einkommensbezogenen Beitragsanteil, und dieser beträgt wie bei den versicherten Arbeitnehmern 50 % des Gesamtbetrages. Das ist systemgerecht. Die andere Beitragshälfte wird für den Selbstvermarkter aus Bundesmitteln und für die übrigen Künstler und Publizisten von ihren Vermarktern bezahlt.
— Darauf gehe ich gleich noch ein.Viertens. Die Vermarkter werden dafür mit einer Künstlersozialabgabe belastet. Das Gesamtaufkommen aus der Künstlersozialabgabe ist genauso hoch wie das Beitragsaufkommen der Versicherten, die nicht Selbstvermarkter sind. Für die einzelnen Sparten der Vermarkter soll der Erhebungssatz der Künstlersozialabgabe auf Betreiben der FDP entsprechend dem Beitragsaufkommen der Versicherten der jeweiligen Sparte festgelegt werden.Herr Kollege Becker, der individuelle Beitrag, den Sie in diesem Zusammenhang verlangen, ist der Tod des selbständigen Künstlers. Dies bedeutet, daß natürlich ein gewöhnlicher Wettbewerbsvorteil für beamtete und fest angestellte Künstler bestehen würde. Bei dieser spartenspezifischen Regelung, die wir vorgeschlagen haben, erhalten die Vermarkter die Möglichkeit, in eigener Verantwortung Ausgleichsregelungen zu treffen und vorzuschlagen, die dann eine spartengerechte Belastung garantieren. Dadurch kann die Belastung des einzelnen Vermarkters aus der Künstlersozialabgabe genauso festgelegt werden,- als wenn die Vermarkter individuelle Beitragszahlungen zu leisten hätten. Das ist die Realisierung dessen, was Sie, Herr Kollege Becker, einmal gefordert haben.Diese von der FDP durchgesetzten Ergänzungen des Regierungsentwurfs sind systemgerecht und ordnungspolitisch sauber.
Sonst hätten wir dem nicht zugestimmt. Sie sind verwaltungsmäßig praktikabel und vermeiden Wettbewerbsnachteile, wie sie mit einer unmittelbaren individuellen Beitragszahlung durch die Vermarkter zu Lasten der nach diesem Gesetz versicherten Künstler und Publizisten verbunden wären.
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Cronenberg— Warten wir es ab! Dazu komme ich gleich noch.Bei dieser Sach- und Rechtslage besteht für die Kritik der Opposition, die Künstlersozialabgabe programmiere den Einstieg in die Maschinensteuer, nicht der geringste Anlaß. Sie würden diese Kritik auch nicht vorbringen, wenn wir nicht so kurz vor Wahlen stünden.
Auch die FDP hält aus guten Gründen nichts davon, den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung durch eine Maschinenabgabe zu ersetzen. Dies nehmen wir aber nicht zum Vorwand, die notwendige soziale Sicherung der selbständigen Künstler und Publizisten zu blockieren. Wir bedauern diese Konfrontationsstrategie der Opposition. Die politische Verantwortung für ihr Nein muß die Opposition selber tragen.Herr Kollege Becker, Lord Byron hat einmal gesagt: Mißtrauen ist eine schlechte Rüstung, die mehr hindern als schirmen kann. Dies möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit einmal sagen.
Lieber Herr Kollege Becker, tun Sie mir den Gefallen und lesen Sie sich einmal durch, was Ihre Fraktion am 7. April 1976 diesem Hause als Antrag vorgelegt hat! Herr Kollege Köhler, der, wie ich sehe, jetzt nicht mehr da ist, hat das mit unterschrieben. Inhaltlich haben Sie von uns verlangt: grundsätzliche Pflichtversicherung in der gesetzlichen Renten- und der gesetzlichen Krankenversicherung, Teilfinanzierung dieser sozialen Sicherung durch Solidaritätsbeiträge der Vermarkter und Schaffung einer Clearingstelle. Herr Kollege Becker, wir haben genau dies realisiert, und Sie sollten dankbar dafür sein, daß wir den Inhalt Ihres Antrages und Ihrer Forderung in so vernünftiger Weise realisiert haben. Ich bin davon überzeugt, daß Sie dem sogar zustimmen würden, wenn wir nicht so kurz vor den Wahlen stünden.
Lesen Sie sich Ihre eigenen Anträge durch! Das ist das Mindeste, was man verlangen kann. Selbständige Künstler arbeiten mit vielen Vermarktern zusammen. Das ist auch gut so; denn je mehr es sind, desto unabhängiger sind sie. Deshalb ist es nicht sinnvoll, viele Krankenkassen damit zu befassen.
Diese Regelungen führen zu mehr Bürokratie. Die Durchführung dieses Gesetzes sollte man einer solchen Clearingstelle anvertrauen. Das führt nicht zu mehr, sondern eindeutig zu weniger Bürokratie. Der Verzicht auf eine solche Clearingstelle würde nichts helfen, sondern die Dinge ganz sicher verkomplizieren. Wir gründen ein Inkasso-Büro, genannt Künstlersozialkasse, die besser in der Lage ist, die notwendige Verpflichtung der Künstler und die notwendige Verpflichtung der Vermarkter zu ermitteln. Gerade wer eine branchenspezifische Regelung will, muß eine solche Clearingstelle bejahen, oder er ist nicht glaubhaft. Die Kosten werden — das sei am Rande vermerkt —, nicht zuletzt auf unseren Vorschlag, nicht von den Vermarktern, nicht von den Künstlern, sondern aus dem Bundeszuschuß getragen.
Sechstens. Die für Künstler und Publizisten bereits bestehenden Versorgungseinrichtungen werden in die Neuregelung einbezogen.Siebentes. Der allgemeine Erhebungssatz für die Künstlersozialabgabe wird von 8 auf 5 % gesenkt. Dies wird, wie der Kollege Lutz schon sagte, im Laufe der Zeit zu überprüfen sein. Möglicherweise ergeben sich noch weitere Senkungen.
— Melden Sie sich zu Wort, Herr Kollege Franke. Sonst kann ich Sie nicht verstehen.Achtens. Betreffend Entschließungsantrag: Mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz betreten wir Neuland. Das wissen wir.
Die Auswirkungen dieses Gesetzes müssen wir deshalb besonders sorgfältig verfolgen. Der mit dem Entschließungsantrag erbetene Bericht der Bundesregierung soll hierzu beitragen. In diesem Zusammenhang ist für die FDP auch von besonderem Interesse, wie viele Künstler und Publizisten bei der Alterssicherung und bei der Krankenversicherung von der vorgesehenen Wahlfreiheit Gebrauch machen. Wenn diese Wahlfreiheit für die Künstler und Publizisten den Stellenwert hat, den ihr die FDP einräumt, wird der Gesetzgeber daraus weitere Konsequenzen zu ziehen haben.
— Aber, Herr Kollege Franke, mindestens zuhören! Ich habe mich gerade mit der Wahlfreiheit auseinandergesetzt und nicht mit der Maschinensteuer. Herr Kollege Franke, Sie haben vom Kollegen Lutz und von mir eindeutig klargelegt bekommen, daß der Zusammenhang zur Maschinensteuer, den Sie mit Gewalt herstellen wollen, auch bei boshaftester Interpretation nicht gegeben ist.
Kollege Lutz hat hier eben erklärt: kein Berufungstatbestand. Sie sollten, wenn Sie diese Maschinensteuer richtigerweise ablehnen, dies eher zur Veranlassung nehmen, unsere Feststellungen in diesem Zusammenhang freudig zu begrüßen, als die Dinge mit solch kritischen Einwürfen zu vermiesen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich entschließen könnten, im Sinne Ihres eigenen Antrages dieses Gesetz zu begrüßen. Künstler und auch Vermarkter
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Cronenbergwürden Ihnen dies letztendlich danken. Dies ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein gutgemeinter Ratschlag. Ihn zu befolgen bleibt Ihnen überlassen. Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gottfried Benn hat einmal gesagt, das Gegenteil von Kunst sei „gutgemeint".
— Sie verstehen offensichtlich sehr wohl, wie Ihre Reaktion zeigt, den dahinterliegenden Spott. Würde Benn den vorliegenden Gesetzentwurf gekannt haben, hätte er ihn, so bin ich sicher, auch „gutgemeint" genannt; denn der Entwurf läßt sich zunächst in der Tat als „gutgemeint" darlegen. Bei näherer Betrachtung der Folgewirkungen muß man ihn allerdings „bedenklich" nennen. Der Entwurf versucht, auf dem Wege der Regelung der Renten- und Krankenversicherung Ungleiches als Gleiches zu behandeln. Er gelangt so zu verschiedenen Systembrüchen. Er kommt darüber hinaus dazu, Arbeitsverhältnisse zu konstruieren, die nun wahrlich im Bereich künstlerischen Schaffens Fremdkörper sind.Der Entwurf wirft, so meine ich, alle frei künstlerlisch Tätigen in einen Topf: den Stehgeiger, den Bildhauer wie den Schulbuchautor, den Schriftsteller wie, in letzter Konsequenz, den Varietékünstler — auch wenn Sie dies offensichtlich aus Ihrem eigenen Papier noch gar nicht so entnommen haben.Sie alle sind in der Tat insofern gleich, als sie für eine Leistung von jemandem Geld erhalten. Aus diesem Tatbestand konstruiert dieses Gesetz, völlig un-verständlicherweise, ein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis — das nennen Sie zeitweilig ein „arbeitnehmerähnliches Verhältnis" — mit allen sozialpolitischen und sozialrechtlichen Folgen.Ich glaube, es ist nicht falsch, was ein Chefredakteur vor kurzem geschrieben hat: die Sozialisten in der SPD hätten sich hier durchgesetzt; denn ihnen seien die freien Leute in jeder Hinsicht nicht geheuer; deswegen gehe es ihnen auch darum, die soziale Vorsorge der Künstler und der Publizisten staatlicherseits völlig zu reglementieren.
Dieser Versuch der Einengung des freien Entscheidungsraumes des Künstlers und des Publizisten im sozialpolitischen Bereich geschieht nicht zuletzt mit Hilfe der FDP.
— Ich habe es sehr wohl gelesen, und ich habe es hier liegen.
Selbständige Künstler und Publizisten — lassen Sie mich auch dies sagen — haben ihren Beruf freiwillig gewählt. Sie haben sich — wie die Selbständigen in der Wirtschaft auch — bei ihrer Berufswahl zunächst einmal für die Eigenverantwortung entschieden. Damit aber haben sie sich auch entschieden für die Eigenvorsorge und das Eigenrisiko. Sie haben dies getan vor dem Hintergrund der Existenz eines Netzes sozialer Absicherung seitens der Solidargemeinschaft der Bürger dieses Staates.Wenn wir ehrlich sind, müssen wir alle zugeben, daß sich der. freie Künstler und der Publizist selbst in keiner Weise als Arbeitnehmer begreift. Natürlich hat auch der freie, selbständige Künstler und Publizist mancherlei Abhängigkeit — von seinem Verleger, Galeristen oder auch öffentlichen Auftraggeber — zu akzeptieren und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Doch hat er auch dies bei seiner Berufswahl gewußt, und er hat bei seiner Berufswahl sehr wohl auch gewußt, welche Probleme auf Grund seines Berufsweges im Falle der Krankheit und im Alter auf ihn zukommen können.Das Problem der gesicherten Vorsorge ist dem Künstler und dem Publizisten also sehr wohl von Anfang an bewußt. Gerade deswegen haben sich die Künstler und Publizisten ja auch mit allem Nachdruck immer wieder für eine Sicherung allgemeiner Art eingesetzt. Und lassen Sie mich deutlich sagen: Auch wir bekennen uns zur Notwendigkeit der sozialen Sicherung der Künstler und Publizisten in diesem Staat. Nur sind wir der Auffassung — und dies hat der Vorredner meiner Fraktion, Herr Dr. Becker, dargelegt —, daß die Elemente der Wahlfreiheit, der Gestaltungsmöglichkeit im Hinblick auf die individuelle Vorsorge im Bereich der Alters-und Krankenversicherung primär im Mittelpunkt stehen müssen. Wir haben die große Sorge, daß z. B. auch die Versorgungswerke, wenn Ihr Gesetz durch mehrere Jahre hindurch Anwendung gefunden haben wird, langfristig ausgedörrt werden und verschwinden. Zwar haben Sie im vorliegenden Entwurf eine punktuelle Veränderung eingebaut, aber ich bezweifle, daß dies die Überlebensfähigkeit dieser Versorgungswerke langfristig sicherstellen wird.Lassen Sie mich aber noch einen anderen Punkt anführen. Dieses Gesetz gefährdet, so befürchte ich, vor allen Dingen den jungen und noch unbekannten Künstler und Publizisten.
Wir müssen befürchten, daß der Galerist und der Verleger die Werke eines unbekannten Künstlers in immer stärkerem Maße nur in Kommission nehmen, sie aber nicht kaufen wird, und daß die soziale Situation dieses jungen Künstlers dadurch noch schwieriger werden wird, als sie es heute bereits ist. Dies ist doch ganz zweifelsohne nicht geeignet, die Leistungsbereitschaft und die Leistungsfähigkeit der Künstler und damit das künstlerische Schaffen in diesem Staat insgesamt zu verbessern.Ich möchte nur noch ein Wort zur Krankenkassenregelung und zur Künstlersozialkasse sagen. Wir haben die Mehrfachbeschäftigung und die Verrechnung der Beitragsanteile aus Mehrfachbeschäf-
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Wernertigungen bereits in anderen Bereichen. Wieso soll es nicht auch in diesem Bereich hier möglich sein, diese über die jeweilig zuständigen Krankenkassen abzuwickeln? Das Einholen von Informationen und, auf dem umgekehrten Weg, die Vorlegungspflicht des Publizisten und des Künstlers können sich vor Ort für den Künstler viel unmittelbarer und effektiver vollziehen, als das jetzt auf dem Umweg über die neu zu schaffende bürokratische Behörde in Wilhelmshaven möglich ist.Ein allerletztes Wort an die Adresse der FDP. Vorhin wurde hier so gesprochen, als habe die FDP die entscheidenden Sprengminen oder die entscheidenden Bedenken, die immer wieder vorgetragen wurden — interessanterweise auch aus den Reihen der FDP —, entschärft und herausgenommen. Dazu möchte ich sagen: Dieses Gesetz wäre hier heute nicht zur abschließenden Beratung in dieser Form gelangt, wenn die FDP nicht mitgemacht hätte.
Lassen Sie mich ganz deutlich folgendes sagen; es tut mir leid, hier diesen etwas schärferen Anklang hineinbringen zu müssen.
Die Rasenmäher-Ideologie, Herr Wehner, ist hier mit Hilfe der FDP ein weiteres Mal Wirklichkeit geworden.
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Deswegen sind wir der Auffassung, daß wir in den Ausschüssen die besseren Vorschläge vorgelegt haben.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Meine Redezeit ist vorbei, Herr Präsident.
Deswegen bitten wir Sie recht herzlich darum, unseren Anträgen hier heute zuzustimmen.
Wir sind alle der Auffassung gewesen — zumindest im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft —, daß dieses Gesetz schon in den nächsten Monaten und Jahren der reiflichen und gründlichen Überprüfung bedürfen wird.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Einbeziehung der freiberuflichen Künstler und Publizisten in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung mit einer Reihe bei der Einführung üblicher Befreiungsmöglichkeiten wurde vom Bundeskabinett erstmals am 2. Juni 1976 verabschiedet. Dennoch ist er in der 8. Legislaturperiode erst zu Beginn des letzten Arbeitsjahres des Bundestags in verbesserter Form wieder vorgelegt worden.
Der Aufenthalt ergab sich vor allem aus verfassungsrechtlichen Bedenken, die von kulturellen Unternehmern, voran den Buchverlegern, über ein Gutachten erhoben und dann nach Auffassung des Gesetzgebers im Neuentwurf ausreichend berücksichtigt wurden.
Auch in der Einzelberatung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wurden Einzelvorschläge der Unternehmerseite noch so weitgehend aufgegriffen, daß der Gesetzeswortlaut heute eigentlich konsensfähig sein sollte. Wenn das dennoch nicht so ist, liegen gegensätzliche Auffassungen zugrunde, die in der Sozialpolitik nachgerade klassische Interessenunterschiede zwischen Wirtschaftsunternehmen und den von ihnen Abhängigen ausmachen.
— Herr Kollege, dieses ist ja in jeder Weise ein besonders Gesetz. Sie haben — das habe ich in acht Jahren Bundestag noch nie erlebt —, inzwischen angewachsen auf 29 Blatt, Änderungsanträge vorgelegt.
Ich glaube, das Wort „Künstler" war noch nie so oft wie heute in den Unterlagen dieses Plenums zu lesen. Man hat fast den Eindruck, wir müßten die Künstler vor unserem eigenen Gesetz in Schutz nehmen, wenn man Ihnen glauben sollte. In Wahrheit gibt es doch eine ganz klare Arbeitsteilung zwischen Ihnen und uns. Sie haben sich die vielen Anträge der sehr starken Lobby der kulturellen Unternehmer zu eigen gemacht. Sie werden seit einem Jahr in der öffentlichen Debatte gehandelt, und Sie legen sie jetzt erneut auf den Tisch. Das ist nicht von Ihnen erarbeitet, sondern von Zeitungs-, Buchverlegern und anderen. Das wissen wir gemeinsam. Schade um diesen Mißbrauch eines Produkts der holzverarbeitenden Industrie.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler.
Ich bitte um Verständnis, daß ich keine Zwischenfragen zulassen kann, und zwar deswegen, Herr Kollege Köhler: Ich würde ja lieber frei von der Leber weg reden. Ich habe nur eine Viertelstunde Zeit. Inhaltlich ist eine Menge exakt zu sagen. Das bringe ich nur zu Ende, wenn ich mich nicht auf die freie Rede einlasse.
Bei den Künstlern und Publizisten geht es nämlich um Berufsgruppen, denen die Gesellschaft in der Bundesrepublik als Randfiguren des Sozialstaats endlich eine dem allgemeinen Niveau entsprechende soziale Sicherung im Alter und Krankheitsfall schuldet. Daß wir uns gesetzgeberisch so schwer damit getan haben, liegt an der Unvergleichbarkeit
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Lattmannder künstlerischen Arbeit mit den Voraussetzungen der meisten anderen Berufe. So haben sich denn auch nach der ersten Lesung Anfang Oktober 1979 im Plenum und nach der umfangreichen Anhörung, in der die Sprecher der Autoren und Künstler überwiegend die Notwendigkeit dieser Gesetzgebung bestätigten, noch manche Verzögerungsmomente ergeben.Die Wahrheit ist doch, daß sich die Mitglieder des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung anfangs mit der Materie und den Betroffenen wenig auskannten; denn sie haben es in der Regel mit Gesetzgebung für Arbeitnehmer zu tun. Der mitberatende Innenausschuß hat mehr Erfahrung in Beamtenkategorien. Der Wirtschaftsausschuß behandelt die Autoren wie Selbständige, obwohl doch die große Mehrzahl von ihnen ähnlich wie Arbeitnehmer sozial, also wirtschaftlich von kulturellen Abnehmern und Auftraggebern abhängig ist, weswegen nicht zuletzt dieser Bundestag in § 12 a des Tarifvertragsgesetzes den Status der arbeitnehmerähnlichen Personen geschaffen hat.Im ebenfalls mitberatenden Ausschuß für Bildung und Wissenschaft bemühte man sich eingehend, wenn auch gleichermaßen etwas ratlos um Berufsgruppen, deren Tätigkeit inhaltlich größter Unabhängigkeit bedarf, während ihre reale Arbeitswelt in den Produktionsbedingungen immer mehr durch Anonymität gekennzeichnet ist. So stehen z. B. die Schriftsteller im Regelfall längst nicht mehr wie früher Verlegerindividuen gegenüber, sondern Multimediakonzernen, deren Umsatz nach Milliarden zählt — mit allen Eigenschaften einer auf Wachstum angelegten Industrie.Wenn das Gesetz schließlich doch über die Hürden kam, so ist das in erster Linie einer kleinen Gruppe von Parlamentariern und — nicht zu vergessen — Ressortmitarbeitern zu verdanken, die sich hartnäckig darum bemühten. Auch sie wären wohl gescheitert, wenn nicht der Bundeskanzler, dem man gemeinhin anderes eher zutraut, diese Gesetzgebung bis ins einzelne verfolgt und durch sein persönliches Eintreten für die Verwirklichung bekräftigt hätte.
Im Hinblick auf die Diskussion, die auch nach der Verabschiedung unter Begünstigten und Betroffenen weitergehen wird, im Hinblick auf manche bewußte Mißinterpretation will ich eine Reihe von Einwänden aufgreifen, die im Kampf der Interessengruppen so emotional wie mißbräuchlich angestrengt wurden.Erstens. Behauptung: Die Künstler wollten die Sozialversicherung nicht. Gegenargument: Wer dieses Gerücht verbreitet, ignoriert die bis auf den Komponistenverband einmütige Haltung der Berufsorganisationen und Gewerkschaften, die sich alle in wiederholten öffentlichen Erklärungen für das Gesetz ausgesprochen haben. Einzelne Stimmen von Künstlern gegen die Gesetzgebung stammten von solchen, die durch Professuren anderweitig für das Alter gesichert sind. Das entbehrt nicht eines gewissen Zynismus.Zweitens. Behauptung: Die alten Künstler hätten nichts von diesem Gesetz.
Gegenargument: Auch die über 50jährigen, die sich befreien lassen können, haben reale Vorteile erstens durch die Krankenversicherung, zweitens im Notfall durch die Arbeitsunfähigkeitsrente, ferner durch die Hinterbliebenenversorgung und nicht zuletzt dadurch, daß viele von ihnen in jungen Jahren bei der gesetzlichen Rentenversicherung einen Anspruch angespart haben, den sie jetzt wieder aufgreifen können. Die notwendigen 180 Monate für den eigenen Rentenanspruch bekommt mancher auf diese Weise nach Inkrafttreten des Gesetzes
jetzt in weit weniger als 15 Jahren zusammen. Schließlich werden bestehende Sozialwerke durch die Künstlersozialversicherung auf die Dauer freier für Soforthilfen und die Entlastung der sogenannten alten Last, wozu auch die Künstlerhilfe beim Bundespräsidenten beiträgt.Drittens. Behauptung: Die Künstlersozialkasse bedinge einen neuen bürokratischen Dinosaurier.
Tatsache ist, daß z. B. das Autorenversorgungswerk bei der VG Wort für rund 1 000 Begünstigte mit nur eineinhalb Personen arbeitet und im Jahr 1979 bei geringsten Verwaltungskosten 3,3 Millionen DM ausgeschüttet hat. Die Künstlersozialkasse wird sich an solchen Beispielen orientieren müssen.
Viertens. Behauptung: Vorhandene Versorgungswerke würden durch die Künstlersozialversicherung ruiniert. Gegenargument: Für die Sozialkasse der GEMA ist eine besondere Übergangsklausel geschaffen worden. Insgesamt sollen bestehende Einrichtungen durch die neue Regelung nicht ersetzt, sondern ergänzt werden. Vergleich: Zusatzversicherungen für Arbeitnehmer.
Fünftens. Behauptung: Galeristen, Verleger, Phonoindustrielle würden durch die Abgabepflicht nach der Künstlersozialabgabe von 5 % auf das Honorar oder finanziell entsprechende branchenspezifische Vereinbarungen nach dem neuen § 31 a in der internationalen Konkurrenz stark beeinträchtigt. Gegenargument: Wer das behauptet, ignoriert die Beschlüsse der EG und der UNESCO für Künstlersozialgesetzgebungen in anderen Ländern. Er ignoriert erst recht die weit höhere Sozialabgabe z. B. im französischen Kunsthandel.Sechstens. Behauptung: Die Solidargemeinschaft der Versicherten sprenge jeden bisherigen Rah-
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Lattmannmen, sie halte gegebenenfalls einer Verfassungsklage nicht stand. Das haben vor allem die Buchverleger erklärt. Gegenargument: Es gibt eine Reihe anderer Versicherungen, die auf der größtmöglichen Solidargemeinschaft und auch auf der Tatsache beruhen, daß für das Gros der Versicherten der Versicherungsfall nie eintritt. Vor allem sollte es im Gegensatz zum allgemeinen Besitzstands- und Anspruchsdenken als vernünftig gelten, wenn z. B. Autoren, die als Wissenschaftler oder Lehrer durch Pensionen ausreichend gesichert sind, durch die Abgabe der Buchverleger auf der Honorarbasis — und nicht auf Umsatzbasis, wohlgemerkt — zur Versicherung der völlig Ungesicherten beitragen.Natürlich können die Verleger, natürlich können die kulturellen Unternehmer eine Verfassungsklage anstrengen, wie sie es angedroht haben. Aber sie müßten sich dann neben allem Fragwürdigen dieses Vorgehens auch gefallen lassen, daß ihre Autoren feststellen, wie sehr das Verhältnis zwischen Verlegern und Schriftstellern durch das Odium des Interessenkampfes für mehr als eine Generation beeinträchtigt wäre. Und das angesichts der Tatsache, daß kulturelle Unternehmer bei allen anderen Arbeitenden — bei jedem Drucker, Papiermacher, Steinmetz, Lieferanten — selbstverständlich die Anteile der Sozialversicherung in den Kalkulationen berücksichtigen! Das soll ausgerechnet bei Künstlern und Autoren unmöglich sein? Wer so starr auf den eigenen Vorteil bedacht ist, übersieht obendrein, daß die Schriftsteller großzügiger verfahren: Sie bringen jährlich durch die Bibliotheksabgabe ein Millionenaufkommen in das Autorenversorgungswerk der VG Wort ein, beteiligen aber die Journalisten, die keine Einnahmen aus der Buchausleihe aufzuweisen haben, voll daran. Wollte da jeder nur an sich denken, gäbe es nichts als Rangstreit und Trennungen.Siebtens. Behauptet wird von Unternehmerseite ferner, eine individuelle Beteiligung der Verleger an der Versicherung einzelner Autoren sei sachgerechter und freiheitlicher. Dazu ist festzustellen: Wer den Vorteil der Individualität suggeriert, suggeriert dem Betroffenen die bleibende Abhängigkeit; denn was da angeblich den Freien noch freier machen soll, ist in Wahrheit die Minderung seiner Mobilität durch Vereinzelung.
Je breiter die Verankerung der Künstlersozialabgabe ist, um so unabhängiger ist dem einzelnen Künstler und Publizisten der Ersatz für nicht unmittelbar vorhandene Arbeitgeberanteile zugestanden.Achtens wird eingewendet, dieses Gesetz sei in seinen Auswirkungen nicht überschaubar genug. Wo denn gibt es das, meine Kolleginnen und Kollegen, daß Sozialpolitiker versicherungsgesetzliches Neuland betreten und von vornherein alle Einzelheiten der Praxis berechnen können? Es ist keine Schande, sondern eine realistische Einschätzung, daß die Künstlersozialversicherung erst nach derErprobungsphase genauer zu beurteilen sein wird als nach aller Theorie.
Wer da in einem fort behauptet, er wolle die Sache im Prinzip, aber sie sei noch nicht ausgereift und könne deswegen nicht verabschiedet werden, der verschweigt, daß er seit dem ersten Gesetzentwurf vier Jahre Zeit hatte, präzisere und praktikablere Lösungen vorzuschlagen.
Soweit ich sehe, liefen die Alternativen, die öffentlich gehandelt wurden, in Wahrheit auf die Verhinderung des Gesetzes in dieser Legislaturperiode
und damit möglicherweise auf unabsehbare Zeit hinaus.
Herr Präsident, darf ich eben einmal den Geschäftsführer meiner Fraktion etwas bittend anschauen? Es geht um den Bruchteil von zwei bis drei Minuten, in denen ich meine Rede zu Ende führen kann.Fazit: Vorteile haben durch das Gesetz Tausende von Künstlern und Publizisten, darunter auch diejenigen Freiberufler, die bei der Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung damals davon Gebrauch machten. Vorteile haben diejenigen, die etwa als Artisten oder als Musikpädagogen nach geltendem Recht Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zahlen müssen. Vorteile haben vor allem die jungen Künstler und Autoren, die sich in Zukunft eher Freiberuflichkeit leisten können.Die Künstler erhalten heute, was den Arbeitern im Ansatz vor 100 Jahren gegeben wurde. Die Bundesrepublik, der reiche Wirtschaftsstaat, das kulturelle Entwicklungsland, holt gegenüber einer selten gepriesenen, meist vernachlässigten, oft diffamierten Berufsgruppe auf. Und denken wir auch daran: Nichts war in den Katastrophen des Jahrhunderts, nach Weltkriegen und Inflationen sicherer als die gesetzliche Sozialversicherung. Sie ist das Sicherste, das dieser Staat in einer unsicheren Welt zu leisten in der Lage ist.
Das soll den Künstlern nicht länger vorenthalten bleiben, denn ihre Arbeit bleibt auf alle Zeiten unsicher genug.Herr Kollege Becker, ich möchte abschließend auch auf Ihre Bemerkungen eingehen, die Vermarkter gingen pleite.
„Vermarkter" ist in der Tat ein scheußliches Wort.Meistens treten doch künstlerische Unternehmen,seien es Galeristen oder seien es Buchverleger, so
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Lattmanngern in der Öffentlichkeit als die freundschaftlichen Partner der Künstler und Autoren auf. Jetzt haben sie für die Öffentlichkeit überprüfbar die Gelegenheit, dies zu beweisen, indem sie diesem Gesetz dadurch zur Wirklichkeit verhelfen, daß sie nicht erneut den fragwürdigen Versuch machen, durch Gerichtsanrufung unter Umständen parlamentarische Gesetzgebung zu verzögern.Nun zu Ihnen, Herr Werner, zu Gottfried Benn und zu dem Stichwort „Sozialisten. Diese Gesellschaft der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, diese kapitalistische Gesellschaft leistet sich im bereich der Kunst einen Sozialismus, von dem ich meine, daß Sie ihn alle nicht gegenwärtig haben, wenn ich ihn jetzt anführe. Denn im Gegensatz zu Geldbesitz, im Gegensatz zu Besitz an Grund und Boden wird in dieser Republik, die Gustav Heinemann ein schwieriges Vaterland genannt hat, das Eigentum an Urheberrechten 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers sozialisiert, und zwar mit Ihren Stimmen.
Wenn Sie meinen, Sie sollten gerade bei den Künstlern das Wort „sozialistisch" im Sinne eines Kampfwortes gebrauchten, dann lassen Sie sich sagen: Ihre Fraktion hat die Künstler und Publizisten bisher längst nicht sozial genug behandelt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war wirklich sehr lehrreich, heute hier die beiden Sprecher der Opposition zu hören und die Welten zu entdecken, die zwischen diesen beiden Sprechern standen.
Herr Kollege Becker, Sie haben eingeführt, im Ziel seien wir uns einig, bei den Wegen könne man sich über unterschiedliche Möglichkeiten unterhalten. Der Herr Kollege Werner hat im Grunde gesagt, soziale Sicherung sei für Künstler gar nichts, sie paßten gar nicht zu den Arbeitnehmern. Das war also eine weltweite Bandbreite von wenig sozialer Vorstellung auch gegenüber den Künstlern.
— Natürlich hat er es gesagt. Sie können es ja im Protokoll nachlesen, Herr Hasinger.Ich will den Bogen noch ein bißchen weiter spannen. Vor allem habe ich hier noch einmal die Drucksache 7/4997 vom 7. April 1976. Wissen Sie, was Sie damals wollten? Sie wollten die totale Versicherungspflicht für Künstler.
Das wollten Sie damals, und heute stellen Sie sich so hin! Was ist denn das eigentlich für eine merkwürdige Haltung?Ich glaube, im Rahmen dieser Debatte ist deutlich geworden, daß die Mehrheit dieses Hauses weiß, wie man auf flexible Art und Weise dem Künstler und auch dem Vermarkter gerecht wird — nicht etwa auf die dirigistische Art und Weise, wie Sie das damals wollten, und nicht auf die Weise, wie Sie es heute wollen.Meine Damen und Herren, hier sollte auch einmal festgestellt werden, daß man es sich nicht so einfach machen kann. Sie haben recht, Herr Kollege Becker: Ich habe hier in der ersten Lesung sehr viele Bedenken gegen die damalige Regierungsvorlage angemeldet. Ich hatte auch noch die Regierungsvorlage aus der letzten Legislaturperiode im Kopf. Sie hätten sich doch einmal die Mühe machen sollen — Sie waren bei den Beratungen ja dabei, Herr Kollege Bekker —, an Hand der ersten Vorlage von 1972, der zweiten Vorlage, die wir hier in erster Lesung behandelt haben, und dessen, was im Ausschußbericht steht und woran Sie ja beteiligt waren,
festzustellen, daß man hier Neuland — und dies habe ich bei der ersten Lesung hier gesagt —, nicht einfach nach den Gepflogenheiten des Versicherungsrechts betreten kann. Sie haben selbst die Vielfalt angesprochen. Es galt, so flexibel wie möglich soziale Sicherheit für die Künstler zu schaffen. Dies ist uns gelungen. Mit Ihren Anträgen würde das jedenfalls nicht gelingen.
— Einen kleinen Moment.
— Einen kleinen Moment. Herr Kollege, Sie haben im Rahmen der Beratungen immer von Alternativen gesprochen. Wer hat denn die ersten Alternativen— ich sage das hier sehr offen — für eine beweglichere Lösung, die auch in Ihrer Fraktion und bei den Vermarktern kursiert sind, im Dezember 1979 vorgelegt? Es waren die Freien Demokraten. Sie kennen das Papier ganz genau.
Auf dieser Basis haben die Sozialdemokraten und wir gemeinsam eine vernünftige Lösung gefunden, die heute vorliegt. Sie aber sind im letzten Moment gekommen.
— Herr Kollege Becker, als die Koalitionspartner gemeinsam bereit waren, über bestimmte Dinge interfraktionell zu reden, was war da Ihre einzige Alternative? Sie war: „Die Künstlersozialkasse muß weg; sonst brauchen wir über nichts weiter zu re-
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Schmidt
den. War es so oder war es nicht so im interfraktionellen Gespräch?
— Fragen Sie den Kollegen Hölscher!
— Wir wollten ein interfraktionelles Gespräch führen. Aber Sie waren nicht bereit, über Einzelheiten zu diskutieren.
Doch lassen Sie es damit genug sein. Ich wollte hier nur einmal darstellen,
welche merkwürdigen Sprünge die Opposition hier gemacht hat und wie sie sich jetzt plötzlich in ein besonderes Licht stellt.
Nun lassen Sie mich, damit das nicht im Raum bleibt, gleich etwas zu Ihrem Vorwurf sagen, dies sei die Einführung der Maschinensteuer oder etwas ähnliches.
Von der Sache her hat das der Kollege Cronenberg bereits widerlegt. Ich stelle für die Freien Demokraten zusätzlich fest: Diese Regelung — Sie wissen genauso wie ich, wie schwierig es ist, die verschiedenen Gruppen von Künstlern und von Vermarktern und die branchenspezifischen Dinge zusammenzufassen — war einzig und allein deshalb nötig, um hier einen vernünftigen Weg zu finden. Das ist weder für uns Freie Demokraten noch für sonst jemanden hier in diesem Haus ein Präjudiz für eine Maschinensteuer, die wir Freien Demokraten im übrigen ablehnen.
— Ich habe mich dazu soeben geäußert. Das steht im Protokoll.Ich möchte noch zwei Bemerkungen anschließen, weil ich hier nicht nur resümieren möchte. Ich teile die Auffassung — ich glaube, darüber sind wir uns alle einig —, daß es nicht möglich war, in einer gesetzlichen Regelung jene unterzubringen, die älter als 50 Jahre sind. Das hätte keiner fertiggebracht. Denn das ist nach unserem Versicherungssystem nicht möglich. Darüber müssen wir uns klar sein. Da es gelungen ist, den Beitrag von 8 % auf 5 % zu senken, möchte ich von dieser Stelle die Vermarkter — nehmen wir das böse Wort noch einmal, obwohl es nicht sehr schön klingt — bitten — sie sind übrigens über die Lösung, die wir hier vorgeschlagen haben, gar nicht so unglücklich; wir haben ja auch mit ihnen gesprochen —, ihre Überlegung weiter durchzuhalten und zu sehen, ob sie nicht über eine Stiftung oder über irgendeine Regelung auch jenen Künstlern helfen können, die von diesem Gesetz aus den uns bekannten Gründen einfach nicht erfaßt werden können.
Das möchte ich von dieser Stelle den Vermarktern sagen.Ebenso möchte ich von dieser Stelle zum Abschluß für die Freien Demokraten sagen: Wir wollen — deshalb der Entschließungsantrag und deshalb die Forderung nach dem Bericht — nach fünf Jahren erst einmal sehen, ob auf diesem schwierigen Neuland alles so richtig war. Es ist ein Versuch. Ich glaube, es ist ein geglückter Versuch. Die Betroffenen werden ihre soziale Sicherheit im Rahmen des Möglichen erhalten.Wir Freien Demokraten sind mit dem Ergebnis der Beratungen und dem, was hier vorliegt, sehr zufrieden und stimmen ihm zu.
Ich erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Buschfort das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des Künstlersozialversicherungsgesetzes hat Minister Ehrenberg mit Nachdruck auf die Bedeutung einer sozialen Sicherung für die selbständigen Künstler und Publizisten hingewiesen. Diese Lücke wurde in den vergangenen Jahren mehr und mehr diskutiert und ist inzwischen fast zu einem Ärgernis geworden. Der Beitrag der Künstler zur Entwicklung unseres Gemeinwesens, die Anstöße, die sie geben, ihre Bedeutung für die geistige und kulturelle Entwicklung, ihr Beitrag zur Lebensqualität im weitesten Sinne läßt sich sicherlich nicht in Kategorien volkswirtschaftlicher Rechnung erfassen. Er entzieht sich den geläufigen Denkmustern der Wirtschafts- oder Sozialpolitik.Meine Damen und Herren, die Freiheit des Geistes ist wichtige Voraussetzung unserer Demokratie und unserer Kultur. Aber wir leisten dieser Freiheit einen Bärendienst, wenn wir darunter auch die kollektive Gleichgültigkeit gegenüber dem Lebensschicksal und der sozialen Sicherheit jener kleinen Gruppe verstünden, die den Mut und die Energie hat, die eigene freiberufliche Existenz auf ihr künstlerisches und publizistisches Können zu stützen. Dieses Engagement muß die Gesellschaft honorieren, indem sie den Künstlern jedenfalls für Alter, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit jene Hilfestellungen anbietet, die jeder Arbeitnehmer selbstverständlich in Anspruch nehmen kann und über die nur jene verächtlich als kollektivistisch reden, deren eigenes Alter durch gut dotierte Versorgung geschützt ist.
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Parl. Staatssekretär BuschfortBei allen Fraktionen in diesem Hause besteht wohl Einigkeit über den hohen Stellenwert der sozialen Absicherung selbständiger Künstler und Publizisten Für mich ist dies nicht nur ein selbstverständliches Gebot sozialer Gerechtigkeit, sondern auch ein Beitrag zur Sicherung der künstlerischen Freiheit.Einigkeit besteht in diesem Hause auch darüber, daß die soziale Sicherung der selbständigen Künstler und Publizisten im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung erfolgen soll und daß die Sozialbeiträge einerseits von den Künstlern und Publizisten, andererseits von den mit künstlerischen Erzeugnissen handelnden Unternehmern aufgebracht werden sollen, sowie darüber, daß sich der Bund mit einem angemessenen Zuschuß beteiligt.Bei diesem hohen Maß an grundsätzlicher Einigkeit finde ich die Auffassung der Opposition über die Aufbringungsmethode des Unternehmens — es handelt sich ja um einen Quasi-Arbeitgeberbeitrag — um so betrüblicher. Der von der Opposition bei den Ausschußberatungen vorgelegte Gegenvorschlag, nach dem die für den Versicherten zuständige Krankenkasse den Quasi-Arbeitgeberanteil für jeden einzelnen Versicherten — also individuell — einziehen soll und Überzahlungen, die durch die Beitragsbemessungsgrenze entstehen, am Jahresende erstatten soll, ist nicht durchführbar; würde dies doch bedeuten, daß bei der Vielzahl von Unternehmen, für die ein Versicherter tätig wird, jede einzelne Orts- oder Ersatzkasse bundesweit eine Vielzahl von Unternehmen zum Beitrag veranlagen und • nach Jahresende wieder mit den meisten von ihnen für den Erstattungsvorgang in Kontakt treten müßte. Das ist — abgesehen von dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand — absolut unpraktikabel. Überdies würde eine solche Regelung das sozialpolitische Ziel des Entwurfs in Frage stellen. Werden nur die Honorare der Versicherten mit einem Quasi-Arbeitgeberbeitrag belastet, so könnten die Nichtversicherten ihre Leistungen um eben diesen Arbeitgeberanteil, also um ca. 15 % billiger anbieten.
Bei diesen Nichtversicherten handelt es sich um solche selbständigen Künstler und Publizisten, deren Broterwerb und damit auch soziale Sicherung aus einem ganz anderen Bereich fließt. Diejenigen dagegen, die durch das Gesetz geschützt werden sollen, nämlich die, die als Selbständige von Kunst und Publizistik leben und heute noch ohne sozialen Schutz dastehen, hätten Wettbewerbsnachteile zu befürchten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer dem grundsätzlichen Ziel wirksamer sozialer Absicherung der selbständigen Künstler und Publizisten zustimmt, der muß auch die Konsequenz ziehen, die hierfür unumgängliche Regelungen mitzutragen.
Natürlich ist es aus dem Blickwinkel der Unternehmen, der Verleger, der Galeristen und Theateragenten verständlich, daß sie den Umfang der Abgaben so klein wie möglich halten wollen. Wer das Zieldieses Gesetzentwurfs wirklich ernst nimmt, darf sich nicht zum Büttel solcher einseitigen Interessen machen.Meine Damen und Herren, die von den Regierungsfraktionen vorgeschlagene Pauschalierung des Quasi-Arbeitgeberanteils ist unumgänglich, sowohl für eine praxisgerechte Durchführung bei vertretbarem Verwaltungsaufwand als auch zur Vermeidung neuer Nachteile für die selbständigen Künstler und Publizisten.Bei der Sachverständigenanhörung haben sich alle Vertreter der verschiedenen Künstlerverbände — ich betone: alle — aus den genannten Gründen entschieden gegen den Vorschlag der Opposition ausgesprochen. Die Befürchtungen der Künstler und Publizisten, um derentwillen wir das Gesetz machen, können wir — das meine ich sehr ernst — doch nicht einfach in den Wind schlagen.
— Herr Kollege Dr. Becker, es geht ja nicht um das Fehlverhalten einzelner, sondern darum, tatsächlich die gesamte Gruppe, unabhängig davon, ob jemand einen großen oder einen kleineren Umsatz hat, in die Künstlersozialversicherung einzubeziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich muß man den Mut zu Prioritäten haben. Man kann es nicht immer allen recht mache. Für uns hat bei dieser Regelung die wirksame soziale Sicherung der selbständigen Künstler Priorität. Wir haben uns in diesem Fall für eine, wie ich meine, sachgerechte Problemlösung entschieden. Die Pauschalierung des Arbeitgeberbeitrags zur Künstlersozialversicherung ist hier die sachgerechte Lösung.Im übrigen ist die Berücksichtigung arbeitsmarktpolitischer Erwägungen im Sozialversicherungsrecht keineswegs systemfremd. In dem Bereich, wo in unserem derzeitigen Sozialversicherungssystem Konkurrenz zwischen Versicherten und Nichtversicherten gegeben ist, nämlich zwischen den nicht beitragspflichtigen, abhängig beschäftigten Rentnern und den übrigen beitragspflichtigen abhängig Beschäftigten, ist der Arbeitgeber zur Zahlung des Arbeitgeberbeitrages auch für die nichtversicherten Rentner verpflichtet. Gewiß spielt dieses Konkurrenzproblem bei der Arbeitnehmerschaft quantitativ keine so große Rolle. Dennoch ist diese Regelung vom Gesetzgeber als notwendig erachtet und — lassen Sie mich das noch anfügen — vom Bundesverfassungsgericht aus den gleichen Gründen bestätigt worden.
— Herr Kollege Dr. Becker, das ist doch das gleiche; denn wir haben es auch hier mit einer Gruppe zu tun, für die Leistungen erbracht werden, ohne daß sie sie selber in Anspruch nehmen können.
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Parl. Staatssekretär BuschfortDaher möchte ich Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, eindringlich bitten, dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen und von der Koalition getragenen Finanzierungskonzept zuzustimmen, zumal dieses in den Ausschußberatungen in einigen wesentlichen Punkten noch verbessert worden ist. Danach soll den Verkäufern von Kunst die Möglichkeit eröffnet werden, Ausgleichsvereinigungen zu gründen und untereinander die Abgabelast abweichend vom Gesetz zu verteilen. Ferner soll es ermöglicht werden, daß bei der jährlichen Festsetzung des Vomhundertsatzes der Künstlersozialabgabe der Abgabesatz für einzelne Sparten unterschiedlich festgelegt wird. Durch beide Änderungen wird eine beweglichere Ausgestaltung der Künstlersozialabgabe erreicht, die den Wünschen der Unternehmen entgegenkommt und ihnen jenen größeren Freiraum einräumt, für den sie sich bei der Sachverständigenanhörung eingesetzt haben.Meine Damen und Herren, wer A sagt, muß auch B sagen. Wer die soziale Sicherung der selbständigen Künstler und Publizisten für ein wichtiges Ziel hält, muß auch den Mut haben, einer praktikablen und wirksamen Regelung zuzustimmen. Andernfalls kommt er in die Gefahr, unglaubwürdig zu werden. Diesen Mut wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, bei den folgenden Abstimmungen.Zum Abschluß möchte ich den Ausschußmitgliedern für ihre mühevolle Arbeit danken. Ich bitte alle Abgeordneten dieses Hauses, dazu beizutragen, daß das Künstlersozialversicherungsgesetz in der vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfohlenen Fassung Gesetzeskraft erlangt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung des Entwurfs eines Künstlersozialversicherungsgesetzes, Drucksache 8/4006. Hierzu liegen auf den Drucksachen 8/4046 bis 8/4079 Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Da diese 34 Änderungsanträge auf eine andere Konzeption des Gesetzentwurfs im Ganzen hinauslaufen, ist interfraktionell vereinbart worden, hierüber gemeinsam abzustimmen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Ich rufe deshalb zuerst die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf den Drucksachen 8/4046 bis 8/4079 auf. Wer diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?
— Wer enthält sich der Stimme? — Die Änderungsanträge sind abgelehnt.
Ich rufe jetzt die §§ 1 bis 60, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften, Einleitung und Uberschrift sind angenommen. Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird dazu das Wort gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist beschlossen.
Es ist noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4006 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Entschließung ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/4006 unter Nr. 3, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wer dementsprechend beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Köhler Pfeifer, Kunz (Berlin), Rühe, Broll, Dr. Hornhues, Frau Benedix-Engler, Daweke, Prangenberg, Frau Dr. Wilms, Dr. Sprung, Werner, de Terra, Dr. Hubrig, Picard, Benz, Dr. Stercken, Dr. Kreile, Dr. Kunz (Weiden), Frau Dr. Wisniewski, Würzbach, Dr. Riedl (München), Dr. von Wartenberg, Frau Dr. Wex, Spilker und der Fraktion der CDU/ CSU
Förderung des künstlerischen Nachwuchses
— Drucksache 8/3931 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
Interfraktionell ist eine Aussprache mit je einem Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Als erstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Köhler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lattmann hat eben in der Aussprache zum vorigen Tagesordnungspunkt gesagt, wohl selten habe das Wort „Künstler" so oft auf den Tischen dieses Hauses gelegen wie heute. In der Tat ist dies heute der dritte Tagesordnungspunkt, unter dem wir uns mit Angelegenheiten der Künstler und der Kunstförderung beschäftigen. Ob dies allerdings bedeutet, daß heute ein besonders guter Tag für die Künstler gewesen ist, wird noch abzuwarten sein, vor allem wenn ich daran denke, daß Sie heute mor-
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Dr. Köhler
gen fast alles über das im Gespräch beim früheren Herrn Bundespräsidenten Scheel vor anderthalb Jahren Einmütigkeit bestand, abgelehnt haben.Für uns geht das, was wir in dem zur Rede stehenden Antrag zum Ausdruck bringen wollen, in eine kontinuierliche Bemühung unserer Fraktion ein, die vor acht Jahren begonnen hat, als meine Fraktion einen Antrag auf eine Erhebung über die berufliche und soziale Lage der Künstler stellte. Diese Erhebung wurde 1975 als „Künstlerbericht" dem Hohen Hause vorgelegt, wohlgemerkt damals ohne den von den Wissenschaftlern gleichzeitig erarbeiteten Maßnahmenkatalog und ohne die Empfehlungen der Wissenschaft, wie ihr zu helfen sei.Wir htiben deshalb über die Jahre hin in einer Fülle von Anfragen, Anträgen und parlamentarischen Initiativen anderer Art versucht, die volle Breite des Themas Kunstförderung und künstlerische Arbeitsmöglichkeit und soziale Sicherung immer wieder zur Sprache zu bringen. Wir tun es auch heute wieder mit diesem Antrag.
— Aber lieber Herr Conradi, Sie haben doch wirklich hinreichende Möglichkeiten, sich besser zu informieren, so daß Sie nicht gezwungen sind, solche Fragen hier zu stellen.Unser Ziel bei diesen Initiativen ist es immer wieder, die Frage von Kunst und Künstlern in diesem Staat nicht nur auf die soziale Problematik zu verengen, so wichtig sie uns auch ist.
Vielmehr ist es unser Hauptziel, daß der Künstler in dieser Gesellschaft wirklich zur Wirkung kommt, und deswegen liegt unsere Priorität immer wieder bei der Frage, wie wir Arbeitsmöglichkeiten und Marktzugang verbessern können.
Ich wäre Ihnen, Herr Kollege Lattmann, aufrichtig dankbar, wenn Sie uns nicht wie vorhin, als Sie meine Zwischenfrage nicht zuließen, verdächtigten, daß wir hier dem Kapitalismus frönen. Das sind zwei Seiten einer Angelegenheit. Wenn Ihnen die soziale Frage vorrangig erscheint, so dürfen Sie daraus nicht folgern, daß sie uns belanglos erscheint. Allerdings glauben wir, daß es wichtig ist, daß sich der Künstler selbst verwirklichen kann, daß er an die Menschen kommt, zu denen er sprechen will, und daß er dafür einen ausreichenden Erlös bekommt, damit er selbst entscheidend zur sozialen Sicherung beitragen kann.
So ist die Kausalkette in unseren Augen, und deswegen tun Sie mit Ihren Aussagen nicht nur uns, sondern auch der Privatinitiative für Kunst Ihres Parteifreundes Neuffer Unrecht, an der auch Altbundespräsident Scheel tätig mitwirkt, mit denen wir uns in großer Übereinstimmung fühlen.Nach näherer Prüfung der vorliegenden Tatsachen sind wir zu der Auffassung gekommen, daß auch der Maßnahmenkatalog, den der Bundesminister des Innern am 16. Mai 1979 dem zuständigen Ausschuß vorgelegt hat, gerade die Fragen der Förderung des künstlerischen Nachwuchses nicht in ausreichender Breite und konzeptioneller Geschlossenheit berücksichtigt. Dies war der entscheidende Grund dafür, daß wir diesen Antrag hier mit dem Urteil vorgelegt haben, daß das System öffentlicher Maßnahmen zur Förderung von Kunst und Kultur an dieser Stelle nicht hinlänglich durchdacht und ausgeweitet ist.Unser Antrag ist auch mit einer Sorge verbunden, von der ich hoffe, daß sie Ihr Verständnis findet. Wir beobachten in diesem Lande in den letzten Jahren eine wachsende Aufgeschlossenheit breiter Schichten für Kunst und Kultur, die sich in großen Ausstellungen und bei vielen Festspielen zeigt. Wir haben damit aber nicht die Beweise dafür vor Augen, daß die Akzeptanz für das Schaffen der jetzigen Generation hier und heute gesteigert ist, so daß wir glauben, daß wir, wenn es ein wachsendes Interesse für anerkannte Kunst gibt, ein Zeichen dafür setzen sollten, daß dieses Interesse auf diejenigen ausgeweitet wird, die hier und heute unter uns arbeiten. So sehr wir für die Kunstförderung in weiten Bereichen zu danken haben, so leiten wir gerade daraus weitere Wünsche ab.Wir möchten mit diesem Antrag eine breite Diskussion eröffnen und hoffen, daß Sie darauf eingehen werden. Diese Diskussion muß zu einem guten Teil auch Bestandsaufnahme sein. Wir sind davon überzeugt, daß z. B. auf dem Gebiet der Stipendien eine Menge Gutes geschieht. Wir glauben, daß dieses Instrument im Interesse junger Künstler noch zielgerichteter verwendet werden kann. Wir glauben, daß eine Orientierung auf bestimmte Kunstzentren, die letzten Endes aus dem vorigen Jahrhundert stammt, überprüft werden muß. Deswegen haben wir in unserem Antrag z. B. New York ins Gespräch gebracht. Ich könnte mir nach den zahlreichen befruchtenden Begegnungen zwischen der Kunst Afrikas oder der Kunst Polynesiens und der deutschen Kunst in diesem Jahrhundert übrigens gut vorstellen, daß man auch die Entwicklungsländer, deren Bezeichnung in diesem Zusammenhang besonders fragwürdig ist, mit hineinziehen kann.Wir glauben, daß wir allen Grund dafür haben, gerade die Übergangsphase zwischen der eigentlichen Ausbildung des Künstlers und dem Moment fördernd zu begleiten, wo er in das Bewußtsein einer größeren Öffentlichkeit tritt. Das gilt übrigens in einem sehr starken Maße auch für die Orchestermusiker, die nach der eigentlichen Ausbildung in besonderem Maße Praxis- und Literaturkenntnisse gewinnen müssen, bevor sie für die großen Kulturorchester engagiert werden können. Das gilt aber auch für die jungen Schauspieler, denen es zur Zeit ebenfalls an Bühnen fehlt, wo die Förderung der Anfangsphase ausdrücklich und bewußt übernommen wird.Wir glauben, daß Teilstipendien die Lebenskostenerschwernisse bei Auslandsaufenthalten er-
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Dr. Köhler
leichtern können. Wir glauben, daß darüber hinaus im Bereich der Öffnung der Märkte und des Kunsthandels noch eine Menge gerade im Hinblick auf junge Künstler getan werden kann. Unseres Erachtens fängt das Gespräch über das Stiftungsrecht in diesem Zusammenhang gerade erst an, wobei die Ermutigung das Ziel ist, sich gerade auch im Risiko der Gegenwartskunst als Käufer zu engagieren.Die Unwirtlichkeit unserer Städte, die oft genug beklagt worden ist, ist eine besondere Unwirtlichkeit für private Musikerzieher und für junge Künstler, die nach Ateliers suchen. Ich glaube, wir haben allen Grund, uns ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, wie wir hier helfen können.
Die Fülle unserer übrigen Vorschläge brauche ich nicht im einzelnen zu kommentieren. Wir glauben, daß der Bund als Nachfrager an allererster Stelle gefordert ist, ein Zeichen zu setzen. Daß er im Bereich „Kunst am Bau" gerade den Gesichtspunkt der Förderung der jungen Künstler berücksichtigt, halten wir für dringend wünschenswert. Daß er bei seinen Ankäufen nicht immer den Weg der größten Sicherheit geht, sondern auch hier Mut beweist, glauben wir fördern zu sollen.Broll [CDU/CSU]:
Daß wir im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik der jungen Kunst ebenfalls eine Chance geben sollten, halten wir für eine Ehrenpflicht — freilich eine Sache, die im Zusammenhang einer wohldurchdachten, umfassenden Konzeption geschehen sollte. In der Diskussion dieser Konzeption wünschen wir den Beitrag aller .Interessierten in diesem Hause. Wir bitten, daß dieser Antrag, zu dem Ergänzungen ohne Zweifel möglich sind, in den Ausschußberatungen ernst genommen wird,
damit wir wirklich einen Schritt vorantun und über das gegenwärtig bestehende und in keiner Weise ausreichende Instrumentarium zur Förderung junger Kunst hinauskommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört sicherlich zu den aparten Seltsamkeiten und Erfahrungen des politisch-parlamentarischen Lebens, daß aus nicht näher zu ergründenden, aber doch wohl sicher tiefer liegenden Anlässen Anträge der Opposition in den Bundestag kommen, mit denen man nichts so recht anzufangen weiß.
-- Ich komme darauf noch zurück, Herr Broll. Da ichSie sehr schätze, werden Sie mir das wohl auch nocherklären können. — Das mag wahrscheinlich auchder Grund sein, warum der Ältestenrat in seiner grenzenlosen Weisheit mit Treffsicherheit den Innenausschuß ausgemacht hat und ihm diesen Antrag in der sicherlich nicht ganz verfehlten Hoffnung zugewiesen hat, daß wir schon etwas Vernünftiges daraus machen. So wird das wohl sein. Aber dies so kurz vor Ende der Legislaturperiode — na, bitte schön, wir werden sehen.
Es geht der CDU/CSU um die Förderung des künstlerischen Nachwuchses. Das ist sicherlich ein Thema, das einer sorgfältigen Behandlung auch wert ist.
— Ganz ohne Zweifel, nur in anderer Diktion. Ich bitte Sie, fordern Sie mich jetzt nicht heraus! Während es vorher um „Ratten „Schmeißfliegen" und „Pinscher" gegangen ist, geht es jetzt wohl, wenn ich das richtig verstehe, um „Zwergpinscher", den künstlerischen Nachwuchs.
— Entschuldigen Sie diesen bitteren Anwurf. Sie hätten vor einer Viertelstunde eine hervorragende Gelegenheit gehabt, auch dem künstlerischen Nachwuchs entscheidend zu helfen.
Aber das Gesetz, das wir eben verabschiedet haben, mußte mit den Stimmen der Koalition gegen Ihre Stimmen hier verabschiedet werden.
— Nein, das steckt in diesem Punkt des Antrags nicht. Herr Werner, Sie können aber nicht so fein säuberlich trennen und sagen, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.
Es hat sehr wohl damit zu tun, wie ich denke.Das Gesetz muß also hier gegen Ihre Stimmen angenommen werden. Ich weiß nicht, ob Sie die Widersprüchlichkeit überhaupt noch empfinden - auch gerade bei diesen Zwischenrufen —, aber wenigstens soll Ihnen nicht erspart werden, daß es hier noch einmal gesagt wird.
In dem Antrag steht dann: „Der Bundestag wolle beschließen .. Zunächst wird dann festgestellt — das fiel mir bei der Lektüre dieses Antrags auf —, daß die Leute seit Mitte der 70er Jahre wieder öfter ins Theater und in die Konzerte gingen. Ich finde das sehr erfreulich, nur bedarf das nicht der Beschlußfassung des Bundestages; das geschieht so.Wir finden es auch sehr erfreulich, daß Sie in diesem Text dann sagen, der Deutsche Bundestag begrüße diese Entwicklung — das tut er sicherlich —, „zu der die Kulturpolitik von Ländern und Kommu-
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Brandt
nen wie auch von seiten des Bundes" — so heißt es dann — „Wesentliches beigetragen hat." Das ist sicherlich sachlich richtig, wenn auch grammatikalisch falsch.
— Nein, ich kann es nicht lassen, Herr Daweke; Sie haben recht. — Immerhin, die Anerkennung, daß auch der Bund Wesentliches beigetragen hat, freut uns sehr.Und dann fahren Sie in diesem Präambelstil fort: „In dem Bewußtsein, daß sich die kulturelle Tradition in der Gegenwartskunst fortsetzen muß", müsse das Klima gefördert werden. Auch dagegen ist nichts einzuwenden, wenn das möglich ist.Sie fordern einen Bericht über die Lage des künstlerischen Nachwuchses. Auch dagegen ist nichts einzuwenden; denn dann werden wir erfahren können, was die Länder bisher getan haben. Denn die müssen abgefragt werden. Sich einmal diesen Überblick zu verschaffen ist sicherlich gut. Die Länder haben hier, unterschiedlich zwar, sicherlich eine Menge getan.Lassen Sie mich vielleicht in Klammern dazu sagen: Wenn ich das hier ein bißchen zurückhaltend sage, so hat das damit zu tun, daß man sehr leicht bereit ist, mal wieder einen Bericht anzufordern. Wir haben eh schon einen Haufen Berichte vor uns liegen.
Ich habe allein in meinem Büro einen halben Zentner Berichte liegen, die ich noch nicht lesen konnte, und ich glaube, das geht jedem Kollegen so. Dann bin ich schon eher dafür, daß wir in konkrete Maßnahmen hineingehen, soweit wir sie hier im Bund überhaupt möglich machen können und natürlich soweit sie sinnvoll sind, statt Berichte anzufordern,— was wir nicht ablehnen — die hinterher kaum jemand liest.Sie erwähnen freundlicherweise — Sie, Herr Köhler, haben das auch in Ihren Worten getan — den Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler vom Juni 1976. Dabei übersehen Sie aber, daß dem ja schon etwas gefolgt ist. Es gibt ja nicht nur diesen Bericht von 1976, sondern wir haben mittlerweile, seit Mai 1979, auch eine Ubersicht über die inzwischen getroffenen und zum Teil auch beachtlichen Maßnahmen.
— Tut mir leid, daß ich das dann überhört habe, daß dieser Bericht von 1979 schon eine wesentliche Grundlage ist, auf der man weiter aufzubauen in der Lage ist.
Ich weiß nicht, wie das mit den Einzelmaßnahmen zu beurteilen ist. Darüber werden wir im Ausschuß zu sprechen haben. Nur eines, meine Damen undHerren, ist sicher richtig: daß wir nicht in einem Antrag auf die Bedeutung der Deutschen Nationalstiftung für den künstlerischen Nachwuchs — so steht es ja in diesem Antrag — verweisen und zugleich die Verantwortung dafür tragen können, daß diese Deutsche Nationalstiftung bis heute noch nicht in Gang gesetzt werden konnte, wenn auch mittlerweile mit viel List und vielleicht noch mehr Tücke auf Umwegen wenigstens die Mittel, die in dieser Deutschen Nationalstiftung vorgesehen waren, den Künstlern zur Verfügung gestellt worden sind. Das alles reimt sich nicht zusammen.Zum Schluß möchte ich noch drei kurze Bemerkungen machen. In dem konkreten Katalog, der sich an die Präambel anschließt, reden Sie von Stipendien. Dabei müssen Sie auch einmal daran denken — Sie sagen, der Bund möge mehr Stipendien vergeben —, daß der Bund so gut wie überhaupt keine Stipendien vergibt und sie auch nicht vergeben kann. Er kommt hier in verfassungsrechtliche Schwierigkeiten. Wir haben keine Lust, uns auf der einen Seite mit Anträgen herumzuschlagen, der Bund möge mehr Geld z. B. für Stipendien geben, und auf der anderen Seite wieder den Krach mit den Ländern in Gang zu setzen, die gar nicht wollen, daß der Bund dies tut. Das muß ja wohl auch ein bißchen zusammenpassen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das wirklich entgangen ist.Auch das, was mit der Kunst am Bau zusammenhängt, ist sicherlich weiter erwägenswert. Aber auch dies gibt es zu einem großen Teil schon. Es kann vielleicht hier oder dort noch verbessert werden. Mir ist aufgefallen, daß sich das meiste, was in Ihrem Antrag an konkreten Vorschlägen, Überlegungen und Darlegungen vorhanden ist, auf die bildende Kunst bezieht. Wir haben aber, wenn wir von der Förderung des künstlerischen Nachwuchses sprechen, die Grenzen etwas weiter zu ziehen. Wir werden uns — dessen können Sie versichert sein — diesem Antrag mit all der Aufmerksamkeit widmen, die er verdient.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Anliegen, das dem Antrag der Opposition zugrunde liegt, halten meine Fraktion und ich durchaus für nützlich.
Ich hoffe allerdings nicht — gestatten Sie mir diesen Einschub —, daß dieser Antrag als eine Art Annex oder Ausgleich verstanden wird gegenüber einer von Ihnen nicht gewünschten Künstlersozialhilfe, wie sie vorhin gerade gegen Ihre Stimmen über die Bühne gegangen ist.Ich will durchaus anerkennen: Eine gewisse Marktlücke, wenn man dieses Wort in diesem Zusammenhang gebrauchen kann, in der Kunst- und Künstlerförderung, in der Förderung junger Künstler scheint vorzuliegen. Zwischen dem Aufbau und dem Lernen des jungen Künstlers und dem Zeit-
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17576 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Dr. Wendigraum, in dem er sich als ausgereifter Künstler sozusagen von selber trägt, gibt es einen Zeitraum, in dem der Künstler — das erkenne ich durchaus an — einer stärkeren Beobachtung und möglicherweise auch einer Förderung bedarf.Leider ist — der Kollege Brandt sprach eben davon — eine gesteigerte Aktivität des Bundes in diesen Bereichen nicht immer unumstritten gewesen, und zwar sowohl bei den Ländern nicht als auch bei der Opposition nicht. Ich verstehe Ihren Antrag deswegen auch als einen Appell an die Länder, nicht mit zu engherzigen verfassungsrechtlichen Maßstäben an die Dinge heranzugehen, wenn man sie gemeinsam behandeln will.Wir, die FDP, haben auch in der Vergangenheit immer wieder auf die Notwendigkeit einer verstärkten Kulturförderung durch den Bund hingewiesen. Das stieß bei Ihnen und den Ländern oft auf Unverständnis. Ich erinnere in diesem Zusammenhang, um nur ein Beispiel zu nennen, an die letzte Debatte anläßlich des Antrags auf Entsperrung der für die Deutsche Nationalstiftung vorgesehenen Bundesmittel. Mit Genugtuung können wir an Hand Ihres Antrags zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses feststellen, daß nunmehr auch Sie eine größere Mitverantwortung oder ein größeres Tätigwerden des Bundes in den Bereichen der Kulturpolitik anerkennen. Damit wir uns nicht mißverstehen: Es geht hier nicht um eine Verschiebung verfassungsrechtlicher Kompetenzen, sondern lediglich um eine Verstärkung der Mitverantwortung des Bundes.Auf die einzelnen Punkte Ihres Antrags wird in den Ausschußberatungen noch einzugehen sein; ich will das hier an dieser Stelle auch nicht in einem einzigen Punkt tun.Auch wenn an dieser Stelle häufig gerade auch von Ihnen — oft sogar zu Recht — gegen das sogenannte Berichtsunwesen zu Felde gezogen wird, erscheint mir dennoch eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation des künstlerischen Nachwuchses und der bisherigen Förderungsmaßnahmen durchaus nützlich. Dies sollten wir auch über den Wahltag hinaus nicht aus den Augen verlieren; denn so kurzfristig wird dieser Bericht ja nicht zu erstellen und vor allen Dingen sinnvoll auszuwerten sein, zumal es hier der Beteiligung der Länder bedarf.Lassen Sie mich zum Schluß aber noch einiges Grundsätzliches darstellen. Die Nachwuchsförderung ist wie jede Kunstförderung in unserer Sicht primär zunächst einmal eine private Aufgabe. Ich hätte beinahe gesagt: eine Aufgabe des privaten Mäzenatentums, obwohl es Mäzene in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr gibt. Das Tätigwerden des Staates für Kunst, Künstler, Kultur beginnt, wenn sich Kunst und Kultur nicht mehr selbst tragen bzw. die private Förderung nicht mehr voll zum Zuge kommt. Nur dann sollte der Staat die private Initiative durch steuerliche Maßnahmen oder andere Mittel ersetzen. Aber ich verkenne nicht — ich sagte schon, daß der Mäzen alter Art heute ausgestorben ist, daß es ihn heute nicht mehr gibt —, daß der öffentlichen Hand,
dem Bund, den Ländern und natürlich auch den Gemeinden hierbei heute eine ganz hervorragende Rolle zukommt.Zu einem einzigen Punkt will ich in der Sache selbst Stellung nehmen und meine Meinung äußern: Auch im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik sollte die Förderung jüngerer Künstler einen vielleicht noch breiteren Raum einnehmen, als das bisher der Fall gewesen ist.Seitens der FDP-Fraktion möchte ich noch einmal feststellen, daß wir den Antrag zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses begrüßen. Ich vertraue darauf, daß das nicht wieder Anlaß zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern sein wird. Sie, Herr Kollege Köhler, haben davon gesprochen, daß hier eine breite Diskussion eröffnet werden soll. Mit den Einschränkungen, Überlegungen, die ich vorgebracht habe, möchte ich sagen, daß wir uns einer solchen Diskussion nicht verschließen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags auf Drucksache 8/3931 an den Innenausschuß — federführend — und — jeweils zur Mitberatung — an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes
Beratung des Berichts der Bundesregierung zur Frage einer Anpassung der Einkommensgrenzen bei den Waisenrenten in der Sozialversicherung an volljährige Waisen in AusbildungBeratung des Berichts der Bundesregierung zur Frage der Notwendigkeit einer Anpassung der im Gesetz bestimmten Höhe der Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner an den durchschnittlichen Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17577
Vizepräsident WurbsBeratung des Gutachtens des Sozialbeirats zu den Anpassungen der Renten aus den Gesetzlichen Rentenversicherungen und zu den Vorausberechnungen der Einnahmen, Ausgaben und des Vermögens der gesetzlichen Rentenversicherung bis 1994— Drucksache 8/3845 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung HaushaltsausschußAusschuß für Jugend, Familie und GesundheitWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Bitte sehr, Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Rentenanpassungsbericht ist ein mit einem umfassenden Zahlenwerk ausgedrucktes Dokument der Erfüllung der von der Bundesregierung zu Beginn dieser Legislaturperiode angekündigten Absicht, die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern. Der Rentenanpassungsbericht ist eine realistische Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Zustands der Rentenfinanzen, der Rentenhöhe, einer Vielzahl von Details über die Situation der Rentenversicherung und einer Vorausschätzung der möglichen Entwicklungen auf Grund der Ihnen schon aus früheren Rentenanpassungsberichten bekannten Annahmekombinationen über verschiedene Wachstums- und Beschäftigungsgrößen. Er basiert auf der Grundlage des 21. Rentenanpassungsgesetzes, wo die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Anpassung ab 1. Januar 1982 und ein Beitragssatz von 18,5 % ab 1. Januar 1981 gesetzlich fixiert worden sind.Ich darf aus der Fülle der in diesem Rentenanpassungsbericht vorhandenen Daten einige der wichtigsten herausgreifen. Sie können aus dem Zahlenwerk ersehen, daß 1980 erstmals seit dem Tiefpunkt der Weltrezession die Einnahmen der Rentenversicherung die Ausgaben wieder übersteigen. Die Schwankungsreserve wird Ende 1980 16,9 Milliarden DM betragen. Das ist fast doppelt so hoch, wie die Rentenversicherungsträger selbst noch vor einem Jahr angenommen haben. Auch die liquiden Mittel der Rentenversicherung werden mit mehr als 8 Milliarden DM ungefähr doppelt so hoch sein wie gesetzlich vorgeschrieben.Zweitens ist festzuhalten — schon über den Zeitpunkt, wo der Rentenanpassungsbericht abgefaßt wurde, hinaus —, daß die gegenwärtige Einnahmenentwicklung noch ein wenig günstiger verläuft, als im Rentenanpassungsbericht angenommen wurde, daß also die Schwankungsreserve am Jahresende tatsächlich noch ein wenig über den jetzigen Annahmen liegen dürfte.Hieraus ergibt sich drittens bei realistischen Annahmen über das künftige Wirtschaftswachstum, daß die Schwankungsreserve während des gesamten Vorausrechnungszeitraums deutlich über den gesetzlichen Mindestbetrag von einer Monatszahlung liegen wird. Und das sind keine — ich möchte das ausdrücklich noch einmal feststellen — isolierten Ann.ahmen des Bundesarbeitsministeriums. Alle diese Zahlen sind bis ins letzte Detail mit den Rentenversicherungsträgern abgestimmt. Sie wissen selbst, daß in den Jahresversammlungen der Versicherungsträger die gegenwärtige Liquiditätslage und die zukünftige Finanzlage mit der Bundesregierung übereinstimmend als günstig beurteilt werden.Meine Damen und Herren, zur erfolgreich gelungenen Konsolidierung der Rentenfinanzen haben die günstige Wirtschaftsentwicklung, die ja nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer gut aufeinander abgestimmten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist, und die Konsolidierungsgesetze im 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz in gleicher Weise beigetragen.
— Sie wissen selbst, Herr Franke, daß eine Rentenminderung nicht eingetreten ist.
Es wäre klug, wenn Sie aufhörten, dies zu verbreiten. Sie wissen spätestens seit dem 11. Mai genau, daß die Bürger auf solches Geschwätz nicht hereinfallen. Haben Sie an dieser Dokumentation noch nicht genug?
— Entschuldigen Sie, Kollege Becker. So exakt, wie Sie es eben gesagt haben, drückt sich Herr Franke eben nie aus. Das ist ja gerade das, was Sie so vorteilhaft von ihm unterscheidet.
— Eine Minderung des Zuwachses bestreitet doch niemand. Wir haben in der Tat eine Minderung des Rentenzuwachses auf drei Jahre für richtig gehalten, um Beitragszahler und Rentenempfänger in gleicher Weise ausgewogen zu der notwendigen Konsolidierung beitragen zu lassen.
Allerdings wissen Sie auch, daß diese Minderung des Zuwachses in drei Jahren weniger an Verlust für die Rentner im Zuwachs gebracht hat als die Anpassung von null im Jahre 1958, die Sie alleine zu verantworten haben.
— Meine Herren, lenken Sie bitte nicht davon ab, sondern schauen Sie sich doch ganz nüchtern das Zahlenwerk an! Sie werden in diesem Zahlenwerk finden, daß die einzig wirklich über die Lebenslage der Rentner Auskunft gebende Größe, nämlich der Vergleich des Nettorentenniveaus mit dem Nettoeinkommen eines vergleichbaren Arbeitnehmers,
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17578 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Bundesminister Dr. Ehrenbergfolgendes zeigt: Nach 45 Versicherungsjahren betrug dieses Niveau im Jahre 1957 66,7 %. Es sank unter Ihrer Regierungsführung bis auf 59,1 % im Jahre 1962 ab, hatte 1969 gerade 65,1 %, also noch nicht das Ausgangsniveau des Jahres 1957 erreicht und beträgt heute als Ergebnis unserer Rentenpolitik und keines anderen Bemühens 72,5 %.
— Verehrter Herr Becker, die Dynamisierungsformel war in den 50er und 60er Jahren genauso. Daran lag es nicht. Es lag an unserer Politik, daß bei uns ein gutes, und es lag an Ihrer Politik, daß bei Ihnen ein schlechtes Ergebnis zustande kam. Ich glaube, es verdient für die Öffentlichkeit festgehalten zu werden, daß heute ein männlicher Arbeitnehmer, der bei Vollendung des 65. Lebensjahrs nach 40 bis 45 Versicherungsjahren Rente bezieht, in der Rentenversicherung der Arbeiter 1 214 DM, in der Rentenversicherung der Angestellten 1 772 DM und als ehemaliger Bergmann eine Rente von 2 030 DM bezieht. Das ist ein gutes Rentenniveau, das wir allerdings noch für verbesserungsfähig halten. Darum haben wir ohne Abstriche die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Anpassung ab 1982 in das 21. Rentenanpassungsgesetz geschrieben.
Wir müssen zugeben, daß die Frauenrenten dahinter zurückbleiben. Wir haben einen Teil dieser Diskriminierungen mit der Rente nach Mindesteinkommen auffangen können, aber nicht genug. Um so unverständlicher ist für mich die Polemik der CDU/ CSU dagegen, daß wir bei der Rentenreform 1984 die Renten nach Mindesteinkommen zu einem Dauerbestandteil machen wollen, und zwar nicht nur für die Jahre vor 1972. Im übrigen wird in diesem Hause Gelegenheit sein, beim EG-Anpassungsgesetz dafür zu sorgen, daß es in Zukunft Lohndiskriminierungen für Frauen nicht mehr geben wird. Ich hoffe sehr, Sie werden diesem Gesetz zustimmen, wenn es in diesem Hohen Hause vorliegt.Auf dieser Basis gesunder Finanzen, wie sie der Rentenanpassungsbericht ausweist und die dadurch verstärkt wurde, daß wir 1978 die Bundesanstalt für Arbeit für alle Leistungsempfänger beitragspflichtig und damit die Rentenversicherung von den Schwankungen des Arbeitsmarktes in ihren Finanzen unabhängig gemacht haben — ein längst fälliger Schritt zu mehr Stabilität der Rentenversicherung und zu funktionsgerechter Zuordnung der Risiken —,
war es möglich, auch unter den ökonomisch schwierigen Rahmenbedingungen der Rezession die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte stufenweise auf 60 Jahre herabzusetzen und den großen Schritt vorwärts für die beschäftigten Frauen mit dem zusätzlichen Mutterschaftsurlaubsgeld einführen zu können.Wir werden uns auf dieser festen Grundlage an die notwendige Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung 1984 machen. Da gibt es konkrete Programme. Mit dieser Neuordnung 1984 und der sehr wichtigen Regelung der Rentenbiographie der Frauen durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wird auch für die Zukunft der heute so große Abstand zwischen Männer- und Frauenrenten sicher nicht völlig eingeebnet, aber doch erheblich angeglichen werden. Allerdings sind wir unverändert der Meinung, daß in dieser so wichtigen Frage alle Frauengenerationen gleich zu behandeln sind. Eine Bevorzugung der jungen Mütter von übermorgen kann für uns nicht in Frage kommen.
Die von uns vorgesehene Lösung bringt zusätzlich 3,5 Milliarden DM pro Jahr ab 1985, die Sie nicht in diesem Rentenanpassungsbericht finden. Dort werden Sie nur die derzeitigen Auswirkungen für die Frauen finden, die künftige Kostenbelastung aber nicht. Wir sind der Meinung, daß diese gesellschaftliche, familienpolitische Aufgabe von der Gesamtheit der Steuerzahler, nicht allein von den Arbeitnehmern mit ihren Beitägen zu finanzieren ist.
Wir glauben auch, daß wir uns schon deshalb, weil ein Jahr für alle Frauen 3,5 Milliarden DM kostet, nicht daran beteiligen können, fünf Kindererziehungsjahre für die Zukunft zu versprechen, wie Sie das in Ihrem Wahlprogramm tun.
— Ein Versprechen kann es eigentlich nicht sein. Der Zuruf ist völlig berechtigt. Wenn gleichzeitig der Kanzlerkandidat der Union unwiderrufen eine Reduzierung der Staatsquote auf 40 To als innenpolitisches Ziel vorgibt, kann ich mich bei der Einschätzung dieses Vorhabens nur den Worten des rheinland-pfälzischen Finanzministers Gaddum anschließen, der hierzu am 3. Oktober 1979 in der „Welt" geschrieben hat — ich darf das mit Genehmigung des Herr Präsidenten zitieren —:Die Durchsetzung einer Staatsquote von 40 %verlangt nicht nur politischen Mut, sie ist zurZeit ohne den Bruch von Versprechen nichtmöglich.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie vergessen,daß Strauß sparen kann!)Eine Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung, wie sie das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber bis 1984 verlangt, wäre ebenfalls nicht finanzierbar.
— Wenn Sie dagegen polemisieren, so wenden Sie sich bitte an Herrn Finanzminister Gaddum.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17579
Bundesminister Dr. Ehrenberg— Den habe ich zitiert. Ich kann nur voll unterstreichen, was Herr Gaddum schreibt. Auch in zehn Jahren ist das nicht zu finanzieren.
— Ich halte von den Berechnungen des Ihrer Partei angehörenden Herrn Gaddum anscheinend sehr viel mehr als Sie.
— Ich verstehe zwar, daß das so ist, aber es ändert nichts daran, daß — gleich ob Sie von fünf oder zehn Jahren ausgehen — bei einer Reduzierung der Staatsquote auf 40 % nicht eines der Dinge, die Sie den Wählern versprechen, finanzierbar ist. Nicht ein einziges Stück!
Ich wollte die Bürger nur vor der Illusion warnen, damit sie nicht auf Ihre fünf Erziehungsjahre hereinfallen. Die Arbeitnehmer und die Rentner wissen sehr genau, daß sie sowohl bei der Arbeitsmarktpolitik als auch bei der Rentenpolitik der sozialliberalen Koalition gut aufgehoben sind. Sie können aus dem Rentenanpassungsbericht die solide Lage der Rentenfinanzen ersehen. Ich bin ganz sicher, daß sie in diese künftige Politik Vertrauen haben, so wie sie das auch am 11. Mai bewiesen haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller .
Herr Bundesminister, auf einiges, was Sie hier gesagt haben, werde ich im Laufe meiner Ausführungen eingehen.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rentenanpassungsbericht 1980 unterscheidet sich von seinen Vorgängern dadurch, daß er erstmals nicht der Begründung der nächsten Rentenanpassung dient, sondern sich nur der Darlegung längerfristiger, über den Zeitraum von 1980 bis 1994 sich erstreckender finanzieller Perspektiven in der gesetzlichen Rentenversicherung widmet.Die Rentenanpassung für das Jahr 1981 ist wie in den beiden vorausgegangenen Jahren bekanntlich durch das 21. Rentenanpassungsgesetz, das ich als „Rentenversicherungsdemontagegesetz" bezeichnen würde, festgelegt worden:
Im 21. Rentenanpassungsgesetz — dies kann nicht oft genug wiederholt werden —
haben SPD und FDP die Rentenanpassungssätze für das Jahr 1979 willkürlich auf 41/2 % und für die Jahre 1980 und 1981 auf jeweils 4 % festgesetzt.Die CDU/CSU-Fraktion hat der Abkoppelung der Renten und der Rentenanpassung von der . Lohnentwicklung damals heftig widersprochen. Sie tut dies auch heute noch.Die Rentenanpassung nach Kassenlage — möchte ich sagen —, die wir mit der Rentenreform 1957 überwunden zu haben glaubten und für zwei Jahrzehnte beseitigt hatten, ist damit wieder eingeführt worden. Daran ändert auch Ihre ständige Wiederholung, Herr Minister, daß der Besitzstand gewahrt und nur die Anpassung etwas verzögert worden sei, überhaupt nichts.Die 1957 eingeführte lohnbezogene dynamische Rentenformel ist eine versicherungsrechtliche Zusage, wonach die Höhe der an den Bruttolöhnen orientierten Beiträge und die Dauer der Versicherung die Höhe der Renten bestimmen. Zwar bleiben die Beiträge zur Rentenversicherung — wenn man von der von Ihnen erwähnten Erhöhung ab 1. Januar 1981 um 0,5 % absieht — vom 21. Rentenanpassungsgesetz unberührt; sie werden aber nach wie vor seit 1957 entsprechend der Lohnentwicklung dynamisiert. Die im Versicherungsfall dafür gewährte Rente bleibt jedoch auf Grund des 21. Rentenanpassungsgesetzes beispielsweise 1981 und in den folgenden Jahren, auch wenn die allgemeine Bemessungsgrundlage um den Vomhundertsatz erhöht wird — ich zitiere jetzt die Gesetzesformulierung: „um den sich die Summe der durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelte in den drei Kalenderjahren vor dem Kalenderjahr, das 1982 vorausgeht, gegenüber der Summe dieser Durchschnittsentgelte in dem Drei-Jahres-Zeitraum verändert hat, der ein Jahr vorher endet" —, um rund 20 v. H. gegenüber dem alten Recht zurück. Statt 26 361 DM beträgt nämlich dann die allgemeine Bemessungsgrundlage nur noch 22 787 DM. Ich habe diese Zahlen hier extra genannt.
Sie sind nachprüfbar. Sie stimmen. Die letzten sind übrigens aus Ihrem Bericht.
Mit anderen Worten: Die Beiträge werden nach wie vor dynamisiert, die Renten nach Kassenlage manipuliert. Das ist eine Verletzung einer versicherungsrechtlichen Zusage.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie keine anderen Vorschläge zur Konsolidierung der Rentenfinanzen machen konnten, sollten Sie wenigstens so ehrlich sein und dies den versicherten Arbeitnehmern so sagen, wie es ist.Aus der Sicht der Rentner ergeben sich aus dieser Demontagemaßnahme der Koalitionsparteien SPD und FDP erhebliche Einbußen, die ich Ihnen im Verlauf meiner weiteren Ausführungen noch zuverlässig belegen werde.
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17580 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Müller
Festzuhalten ist — dies wird allmählich allen Rentnern und Versicherten deutlich —, daß die Abkoppelung der Rente von der Lohnentwicklung zu erheblichen Verlusten der Rentner in ihrer Kaufkraft geführt hat. Bei Geldentwertungen von 5 bis 6 %, die wir ja im vorigen Jahr und in diesem Jahr zu verzeichnen haben, dient die willkürliche Festsetzung der Rentenanpassungssätze in dem Zeitraum von 1979 bis 1981 nicht einmal dem Ausgleich des Geldwertschwunds. Von einer Teilhabe am Produktivitätszuwachs, wie wir sie in der Rentenreform von 1957 versprochen haben, kann überhaupt keine Rede mehr sein.
Die Rentner haben in diesem Jahr weniger an Zuwachs erhalten als die Sozialfürsorgeempfänger, deren Sozialhilfe ja entsprechend der Geldentwertung angepaßt wird. Sie haben auch noch weniger erhalten als beispielsweise die Pensionäre aus der Beamtenversorgung.Im übrigen stellt auch der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger — und nicht ich — fest, daß das Rentenniveau 1979 zurückgegangen ist. Die Bestandsrenten der jetzigen Rentenversicherung, so der VDR, stiegen im Jahre 1979 gegenüber 1978 mit 4,5 % etwas weniger als die durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelte der beschäftigten Arbeitnehmer, die um 5,5 % zunahmen. Während die beschäftigten Arbeitnehmer durch steuerentlastende Maßnahmen durchschnittlich eine Nettolohnsteigerung von 5,8 % erhielten, erhielten die Rentner nur eine Erhöhung — brutto gleich netto — um 4,5 %.
— Ja, ich komme darauf zurück. — Herr Minister, Sie haben das Jahr 1958 erwähnt. Ich darf Ihnen aus meinem Gedächtnis sagen: Wenn das Rentenniveau 1957 brutto 50 % des Bruttoeinkommens eines vergleichbaren Arbeitnehmers betrug, dann waren es 1958 49 %.Nun werde ich Ihnen noch etwas anderes sagen: Das Brutto-Rentenniveau betrug 1979 in der gleichen Art, nämlich bei der Eckrente, 45,7 % gegenüber 46,1 % im Jahre 1978. Das Rentenniveau wird voraussichtlich noch in diesem Jahr weiter absinken. Der reale Einkommensverlust durch die ausgefallene Anpassung im Jahre 1978, durch das 20. Rentenanpassungsgesetz und die drei willkürlichen Anpassungen in den Jahren 1979 bis 1981 auf Grund des 21. Rentenanpassungsgesetzes ist für die Rentner erheblich; er beträgt mindestens 5 %. 5 % realer Einkommensverlust oder — geben Sie gut acht — dreieinhalb Monatsrenten innerhalb der Zeit von 1978 bis 1981 weniger sind aber, wie sich der Bundesarbeitsminister in einem Interview im Südwestfunk am 16. Mai 1980 ausdrückte, nur eine — ich zitiere wörtlich — „leichte Abweichung von der Bruttolohnentwicklung". Es kommt einer Verhöhnung der Rentner gleich, wenn die verkürzte Rentenanpassung für die Jahre 1979 bis 1981, die gestoppte Rentendynamisierung, als „leichte Abweichung von der Bruttolohnentwicklung bezeichnet wird. MeineDamen und Herren, ein solcher Zynismus ist nicht mehr zu überbieten.
Bundesarbeitsminister Ehrenberg hat aber noch etwas weiteres aus unserer Sicht Ungeheuerliches gesagt, nämlich — ich zitiere —: „Leichte Abweichungen sind mit Zustimmung der großen Zahl der Rentner für die Solidarität der Rentenfinanzen durchgeführt worden." Die Rentner sollten dem Bundesarbeitsminister zur Kenntnis bringen, daß diese seine Auffassung falsch ist und daß sie keineswegs den erheblichen Rentenkürzungen zustimmen.Man braucht sich nicht zu wundern, wenn die Kriegsopferverbände
— ja, Herr Kollege Wehner — und die Rentengemeinschaften — das weiß der Herr Bundesarbeitsminister genausogut wie ich — einen Nachschlag fordern. Adressat für eine solche Forderung sind allein Bundeskanzler Schmidt sowie SPD und FDP, denn sie haben das 21. Rentenanpassungsgesetz mit seinen entscheidenden Demontagen, mit seinen systemverändernden Maßnahmen erfunden und gegen unseren Willen durchgesetzt.
— Nein, mit Ihrer Mehrheit; das machen Sie ja immer so.
— Herr Wehner, Sie bringen mich nicht aus der Fassung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit ein paar Worten auf die Situation der Rentner im Vergleich zur Situation der Arbeitnehmer eingehen. Das ist ja immer Ihre Art.Die Bundesregierung hat im Rahmen des 21. Rentenanpassungsgesetzes an Hand von Vergleichen .der Löhne und Renten den Eindruck erweckt, als würden die Renten stärker steigen als die Löhne der vergleichbaren Erwerbstätigen.
— Das ist ja nicht wahr; ich werde es Ihnen gleich beweisen. — Bei konsequenter Anwendung der Rentenformel, wie sie 1957 von der CDU/CSU in der großen Rentenreform eingeführt wurde, ist dies, wenn man längere Zeiträume überblickt, kaum möglich. Sie kennen alle die Schwankungen der Lohnentwicklung und die mit einer Zeitverzögerung folgenden Schwankungen der Rentenanpassung. Die Aussage, die Renten eilten den Löhnen davon und die Rentner stünden besser da als die aktiv Erwerbstätigen, ist danach erst dann richtig, wenn man, wie es Regierung und Koalition leider tun, für die Gegenüberstellung kürzerer Zeiträume — z. B. 1978 gegenüber 1970 — nimmt.Eine langfristige Betrachtung weist eindeutig nach, daß sich Löhne und Renten fast gleich ent-
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Müller
wickelt haben. Dies läßt sich durch eine DIW-Untersuchung, die vor einigen Jahren angestellt wurde, sowie durch die soeben gefertigte Studie „Reale Löhne und Rentenniveau des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz, vorgelegt von Staatsminister Dr. Gerhard Gölter, belegen. Nach der Studie des Landes Rheinland-Pfalz ist das reale Lohnniveau im Zeitraum von 1957 = 100 % bis 1979 auf 227,1 % gestiegen. Ich will nicht von den Bruttolöhnen sprechen; sie sind auf fast 500 To gestiegen. Das Rentenniveau ist real, also unter Berücksichtigung der Inflationsentwicklung, von 1957 = 100 % auf 227,4 % im Jahre 1979 gestiegen. Es ergibt sich also allenfalls eine geringfügige Differenz hinter dem Komma. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß die Löhne natürlich, wenn ich einmal von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst bei 35 Dienstjahren absehe, insgesamt wesentlich höher sind als die Renten.Von 1958 bis 1975 lag nach der Studie von Dr. Gölter das reale Rentenniveau immer niedriger — insoweit hat der Bundesminister recht — als das reale Lohnniveau, verglichen mit dem Ausgangsjahr 1957. Erst 1976 — Herr Minister, geben Sie acht — überstieg das Rentenniveau erstmalig das Lohnniveau. Inzwischen dürfte aber infolge der willkürlichen Anpassungssätze der geringe Vorsprung des Rentenniveaus sogar wieder verlorengegangen sein. Von einem Überrunden der Lohnentwicklung durch die Rentenentwicklung kann also überhaupt keine Rede sein.Die Bundesregierung sollte ihre Argumentation aufgeben, man könne den Rentnern weitere Rentenkürzungen zumuten.
— Sie wollten die Renten durch Nettoanpassung doch immer noch kürzen.
Die Bundesregierung sollte also ihre Argumentation aufgeben, man könne den Rentnern weitere Rentenkürzungen zumuten, da sie in den Vorjahren im Rentenniveau etwas aufgeholt hätten.Daran ändert weder die selbstsichere Behauptung des Bundeskanzlers — hören Sie gut zu, ich zitiere wörtlich —, daß „die Renten in der Bundesrepublik Deutschland heute den höchsten Stand erreicht haben', noch die schriftliche Antwort des Arbeitsministeriums, die mir der hier anwesende Staatssekretär Buschfort gegeben hat auf eine jüngst von mir gestellte Frage, wonach — ich zitiere — „die Renten heute einen so hohen Stand haben, wie sie ihn in den Jahren 1957 bis 1976 niemals gehabt haben, etwas. Es weiß doch jeder Sachkenner, daß dies kein Verdienst der Bundesregierung oder der Koalition, sondern einfach die rechtliche Folge der mit der Rentenreform 1957 eingeführten dynamischen Rentenformel ist.
Noch einmal: Die Bundesregierung sollte ihre Argumentation aufgeben, den Rentnern könne man weitere Rentenkürzungen zumuten, da sie in den Vorjahren im Rentenniveau etwas aufgeholt hätten.Genauso irreführend, meine Damen und Herren, und unredlich, so möchte ich fast sagen, sind die Vorschriften des Art. 3 des 21. Rentenanpassungsgesetzes über die Krankenversicherung der Rentner. Danach wären ab 1. Januar 1982 die bisher pauschalierten Beiträge für die Krankenversicherung der Rentner anteilig auf die jeweiligen Renten aufzuschlagen, womit sie Bestandteil der Renten werden. Das geschieht, um damit—jetzt hören Sie gut zu—
die Rentenniveau-Sicherheitsklausel, Herr Kollege Wehner, nach § 1272 Abs. 2 RVO bzw. § 49 AVG zu überspielen, ohne daß die Rentner auch nur einen Pfennig mehr erhalten, ja sogar noch weniger erhalten werden als bisher, soweit sie — ich zitiere — „andere den Renten vergleichbare Einnahmen" haben. Doch das ist eben die Irreführung der Rentner. Oder man sagt es Ihnen gar nicht, damit sie nicht auf den Gedanken kommen.Wie aus meinen bisherigen Ausführungen hervorgeht, haben sowohl die Versicherten als auch die Rentner einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der Rentenfinanzen geleistet. In den Jahren von 1978 bis 1981 hat — ich darf das noch an einem Beispiel erläutern — ein Rentner mit einer persönlichen Bemessungsgrundlage von 100 % und 40 Versicherungsjahren einen Verlust von insgesamt 3 896 DM erlitten. Er hat in diesem Jahre eine Rente von rund 1 095 DM. Sein Verlust in den besagten drei Jahren entspricht also einem Verlust von mehr als dreieinhalb Monatsrenten.
— Natürlich setzt sich das fort. Ich habe das ja gesagt. Es setzt sich nach 1981 immer weiter fort; trotz sogenannter bruttolohnbezogener Anpassung setzt sich das fort.Lassen Sie mich nun ein paar Ausführungen über die Vorausschätzungen der Finanzlage der Rentenversicherungsträger in dem vor uns liegenden 15-Jahre-Zeitraum machen. Bekanntlich sind im Rentenanpassungsbericht in den Vorausberechnungen gewisse Annahmekombinationen hinsichtlich der Zuwachsraten der Durchschnittsentgelte und des Beschäftigungsstandes gemacht worden. Bei einer Lohnsteigerung von rund 6 % dürfte sich bei hohem, mittleren und niedrigem Beschäftigungsstand eine Schwankungsreserve ergeben, die über der Mindestschwankungsreserve liegt. Wenn aber die Lohnsteigerung auch nur auf 5 To zurückgeht, ergibt sich schon im Jahre 1982 ein Abbau der Schwankungsreserve, und die Mindestschwankungsreserve wird im ungünstigsten Falle schon 1986 und im günstigsten Falle 1990 unterschritten.Mein Kollege Franke hat eine Presseerklärung zum Rentenanpassungsbericht mit — ich zitiere —
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17582 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Müller
„Kein Anlaß zum Jubeln" überschrieben. Dem kann ich nur zustimmen. Denn angesichts der Unsicherheiten der wirtschaftlichen Entwicklung kann sich die derzeitige günstige Entwicklung der Finanzlage sehr schnell ins Gegenteil verkehren.Im übrigen geht aus dem vorliegenden Bericht hervor, daß 1979
— ja, hören Sie zu! — ohne die Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit für Leistungsempfänger in Höhe von 2,8 Milliarden DM — einmal für 979 Millionen und dann noch einmal für 450 Millionen Beiträge nachentrichtet wurden und für 1980 mit 1,8 Milliarden gerechnet wird. Das wird sich in den nächsten Jahren nicht ohne weiteres wiederholen.Wir sind auch der Auffassung, daß angesichts der jüngsten Entwicklung in diesem und im nächsten Jahr nicht schon die geplante Beitragserhöhung aufgehoben werden sollte, was Sie ja verlangen, und der Gesetzgeber hinsichtlich einer Neueinführung von zusätzlichen Leistungen sich äußerster Abstinenz unterwerfen sollte.Die Bundesbank hat jüngst zur Entwicklung der Rentenfinanzen ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß sich die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven und damit auch die finanziellen Aussichten der Rentenversicherung schnell ändern können. Sie verweist auf die Entwicklung nach dem Rentenreformgesetz des Jahres 1972 und auf die Entwicklung seit 1976. Zwar ist die Konjunkturanfälligkeit der Rentenfinanzen durch die Beitragszahlung für arbeitslose Leistungsempfänger an die Rentenversicherung abgemildert. Trotzdem steht und fällt die Finanzentwicklung der Rentenversicherung mit der konjunkturellen Entwicklung.Der Rentenanpassungsbericht 1980 zeigt, daß die langfristige Konsolidierung der Rentenfinanzen keineswegs schon gesichert ist. Die Vorausschau wird noch düsterer, wenn man die bedenkliche Geburtenentwicklung und die vorn Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auferlegte Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung mit in Betracht zieht. Langfristige Berechnungen der Finanzlage der Rentenversicherungsträger zeigen, daß spätestens 1990, insbesondere infolge der Geburtenentwicklung, der Verschlechterung der Zahlenverhältnisse von Versicherten zu Rentnern, die ohnehin nicht allzu große Schwankungsreserve absinkt und wenige Jahre vor der Jahrtausendwende ein Defizit entsteht.
Zwar haben die langfristigen Vorausschätzungen nur bedingte Aussagekraft,
aber als Indikator für die Entwicklung, falls der Gesetzgeber nicht einschreitet, sind sie unentbehrlich.Eine vorsichtige Beurteilung der Entwicklung, ebenfalls mit dem Tenor „kein Grund zum Jubeln, enthält auch das Gutachten des Sozialbeirates, das dem Rentenanpassungsbericht 1980 beigefügt ist. Der Sozialbeirat spricht von einem vorübergehenden konjunkturellen Effekt, der sich bei Fortschreibung bis zum Ende des Fünfzehnjahreszeitraums auswirke und die Vorausberechnungen etwas zu günstig erscheinen lasse. Der Sozialbeirat spricht sich gegen einen Nachschlag bei der Rentenanpassung und für eine Beitragssatzerhöhung auf 18,5 % im nächsten Jahr aus. Er weist auch auf die Notwendigkeit einer Erhöhung der Bundeszuschüsse hin.Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich seit langem für eine Stärkung des Versicherungsgedankens in der Rentenversicherung und für eine volle Übernahme der versicherungsfremden Leistungen in die Finanzierung durch den Bund ein. Wir stimmen dem Sozialbeirat zu, wenn er darauf hinweist, daß beispielsweise für die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte und für eine Beitragszahlung für Empfänger von Mutterschaftsgeld eine langfristige Finanzierung durch den Bund erforderlich ist.Die Begrenzung der Finanzierung dieser Leistungen durch den Bund bis zum Jahre 1981 hält der Sozialbeirat nicht für begründet. Man kann der Rentenversicherung nicht versicherungsfremde Leistungen aufbürden, sie für eine Übergangszeit durch den Bund finanzieren, um sie dann in den folgenden Jahren von der Versichertengemeinschaft finanzieren zu lassen. Mit solchen Maßnahmen wird der Versicherungscharakter der gesetzlichen Rentenversicherung ausgehöhlt. Das bewährte System der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente ist aber langfristig nur haltbar, wenn in der Rentenversicherung der Versicherungscharakter gestärkt und versicherungsfremde Leistungen vom Bund finanziert werden.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige kurze grundsätzliche Bemerkungen zum Bundeszuschuß machen. Der Anteil der Finanzierung der Renten ist von ursprünglich 30 % auf rund 17 bis 17,5 % gefallen. Auch in Zukunft werden die Rentenausgaben schneller als die allgemeine Bemessungsgrundlage steigen. Deshalb gehören sie eigentlich nicht dorthin, sondern zu den Ausgaben. Mit einem weiteren Absinken des Anteils des Bundes an der Finanzierung der Renten ist deshalb zu rechnen. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Rentenausgaben als Grundlage für die Steigerung der Bundeszuschüsse gewählt würden. Ein weiteres Absinken des Anteils des Bundes an der Finanzierung würde hierdurch verhindert.Der Rentenanpassungsbericht 1980 bietet, obwohl er eine Verbesserung der Finanzlage in den nächsten Jahren anzeigt, keinen Grund, die langfristigen Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung als gelöst anzusehen. Der Rentenanpassungsbericht 1980 ist vielmehr geeignet, die Entwicklung der Rentenfinanzen nüchtern zu betrachten; denn trotz kurzfristiger Situationsverbesserung zeigt er selbst bei Annahme einer günstigen Lohnentwicklung und eines für die Rentenversicherung günstigen Beschäftigungsstandes, daß die Verschiebungen im Altersaufbau der Bevölkerung von Jahr zu Jahr deutli-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17583
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cher werden und wir uns vor einem zweiten „Rentenberg" befinden.Der Rentenanpassungsbericht 1980 zeigt — nicht zuletzt in der Tabelle über die Höhe der Renten —, daß die rentenpolitische Konzeption der CDU/ CSU-Fraktion richtig ist. Ihre Kernpunkte sind: erstens Rückkehr zur bruttolohnbezogenen dynamischen Rente und damit auch zur bruttolohnbezogenen Anpassung, zweitens Stärkung des Versicherungsprinzips durch Verlagerung der Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen auf den Bund, drittens Abbau von versicherungsfremden Leistungen, viertens Erhöhung der Schwankungsreserve auf mindestens drei Monatsausgaben und fünftens, falls nötig, Einführung eines sozial gestaffelten Krankenversicherungsbeitrags der Rentner.Damit komme ich zum Schluß.
Für Willkürmaßnahmen wie beim Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz, für systemverändernde Maßnahmen ist in der Rentenpolitik kein Platz. Renten und Altersruhegeld dürfen nicht in das Belieben einer Regierung und Koalition gestellt werden.
Vertrauen in die gesetzliche Regelungen ist unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren unserer Rechtsordnung und der gesetzlichen Rentenversicherung.
Rentenpolitik muß langfristig orientiert sein und bedarf der Stetigkeit und Verläßlichkeit. Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Ihnen ist es in dieser längeren Rede gelungen, bei mir den Eindruck zuschanden zu machen, Sie seien ein sachlicher und fairer Gesprächspartner. Ich habe versucht, das mitzuschreiben, was Sie in dieser Zeit zusammengetragen haben. Dieses martialische Vokabular von „Demontage" über „Verhöhnung", „Zynismus", „ungeheuerlich" bis „Rentenkürzung" in diesem Zusammenhang zeigt mir, daß Sie die Gespenster-Diskussion heute deshalb führen müssen, weil offensichtlich die Ergebnisse, die wir gestern geschaffen haben und die zu dem Rentenanpassungsbericht geführt haben, der diesem Haus vorliegt, Ihnen mißfallen. Dann — und das fand ich fast perfide — haben Sie von Vertrauen gesprochen, nachdem Sie eine gute halbe Stunde alles getan hatten, genau dieses Vertrauen zu schädigen.
Ich finde es wirklich zynisch — um die Vokabel einmal aufzunehmen —, wenn man hingeht und den älteren Bürgern, die Sorgen um ihre Existenz haben,mit einem Krisengerede Angst machen will. Dies finde ich wirklich zynisch.
Ich verstehe, Sie sind im Vorwahlkampf, und im ICC ist die Parole ausgegeben worden: Es kommt gar nicht auf die Argumente an, feste draufhauen. Das — bestätige ich Ihnen — ist Ihnen gelungen, auch wenn Sie, bei allem Aufwand, keinen Vergleich mit Ihrem Vorbeter aushalten; Sie sind immer noch nur ein kleiner Mini-Strauß.Nun zu dem Thema, das den Bundestag eigentlich beschäftigen sollte, dem Rentenanpassungsbericht: Darüber haben Sie glatt hinweggeredet.
Lassen Sie mich dazu ein paar Bemerkungen machen. Wir haben die Situation, Herr Kollege Franke, daß jeder Rentenanpassungsbericht seinen eigenen Charakter hat. Manchmal hat er auch — und das haben wir gerade in dieser Legislaturperiode erlebt — seine eigene Dramatik.Der Rentenanpassungsbericht 1980 liefert — bei aller Skepsis gegenüber diesem Instrument — auch in der 15jährigen Vorausschau günstige Zahlen für die Rentenfinanzen. Das paßt Ihnen nicht. Das ist Ihr Problem. Ich finde, das ist eine gute Entwicklung, die wir den älteren Bürgern aus diesem Parlament heraus nicht vorenthalten sollten. Deswegen will ich das dick unterstreichen. Die Annahmen des Rentenanpassungsberichts aus dem Vorjahr sind durch die tatsächliche Entwicklung übertroffen worden, die Rentenfinanzen stabilisiert,
Liquiditätsengpässe werden — soweit das an Hand des prognostischen Instrumentariums gesagt werden kann — nicht entstehen, die Schwankungsreserve wird in den nächsten Jahren stets über dem gesetzlichen Mindest-Soll von einer Monatsausgabe liegen, der Saldo von Einnahmen und Ausgaben ist gegenüber den Annahmen des Rentenanpassungsberichts 1979 erheblich verbessert, die Beitragseinnahmen waren 1979 um 1,3 Milliarden DM höher als vorausgeschätzt, die Schwankungsreserve war Ende 1979 um 3 Milliarden DM höher als vorausberechnet. Gleichzeitig sind dabei die Rechnungsgrundlagen aktualisiert worden. Dennoch gibt dieser Rentenanpassungsbericht ein insgesamt zufriedenstellendes Bild. Trotzdem bleibt — ich habe es schon angesprochen — das parlamentarische Ritual dieser Debatte um den Rentenanpassungsbericht.Nun noch ein Wort zu den Debatten von gestern. Eines hat mich besonders betroffen gemacht. Sie haben gesagt, das, was wir gestern gemacht haben, sei die reine Willkür gewesen. — Ich sage, es war verantwortlich. Denn wo waren Sie mit Ihren Vorschlägen, als es darum ging, die Rentenfinanzen wirklich stabil zu halten? Da sind Sie mit einem unechten Krankenkassenbeitrag gekommen, der eine reale Rentenkürzung bedeutet hätte. Und heute kommen Sie her und sagen — ohne daß Sie gestern gesagt
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Egerthätten, wie Sie die Rentenfinanzen stabilisieren wollen —: Ihr bösen Sozialdemokraten, ihr bösen Freien Demokraten, ihr habt die Renten gekürzt.Das ist die zweite Lüge. Die Renten sind nicht gekürzt worden, sondern es hat einen kontinuierlichen, verminderten Zuwachs gegeben. Mit der Vokabel „Kürzung" wird suggeriert, den Rentnern sei etwas weggenommen worden.
Dies stimmt einfach nicht und verträgt sich auch nicht mit dem Begriff der Solidarität zwischen den aktiven Arbeitnehmern und den Rentnern.Denn darum ging es hier: einen Ausgleich zu schaffen. Sie können mir noch so viele Rechnungen vorlegen, Herr Müller, Sie werden mir nicht ausrechnen, daß ein Brutto im Durchschnitt — über welche Zeiträume auch immer — das Netto der Arbeitnehmer, nämlich ihr Lohn minus Steuern, minus Sozialabgaben, nicht übersteigt.
Da können Sie rechnen, soviel Sie wollen; dies ist mit dem kleinen Einmaleins nicht zu machen. Da müssen Sie eine neue Mathematik à la Opposition einführen.
— Wissen Sie, manchmal ärgert man sich über die Unverschämtheiten, die in dieser Debatte hier stattfinden, und dann wird man etwas lauter. So geht es mir heute, Herr Kollege Franke.
Nach den wieder vorgelegten Modellrechnungen für die nächsten 15 Jahre sind die Rentenfinanzen selbst bei niedrigem Beschäftigungsstand und 6 %iger Entgeltsteigerung gesichert. Dies beweist, daß der Generationenvertrag, von dem hier schon die Rede war, tatsächlich stabil gehalten worden ist. Stabil halten heißt nicht, bei den einen einseitig Vorteile entstehen zu lassen zu Lasten der anderen, sondern der Entsolidarisierung zwischen den aktiven Arbeitnehmern, den nicht aktiven Arbeitnehmern, den Rentnern und Sozialhilfeempfängern entgegenzuwirken, eine soziale Balance zu schaffen, die nicht zu Aggressionen der ohnehin Schwachen in dieser Gesellschaft führt.
— Nun kommen wir zu der Geburtenschwäche. Herr Dr. Becker entwickelt sich zum Stichwortgeber. Das ist ganz fürsorglich, und ich bedanke mich dafür. Dieser Geburtenrückgang ist ja nun für alles gut. Einerseits ist er gut, um die ideologische Kampagne zu führen gegen die angeblich systemfeindliche Familienpolitik der Sozialdemokraten. Wenn aber nun andererseits der Rentenanpassungsbericht zur Diskussion steht, ist dieser Geburtenrückganggut dafür, zu sagen: das wird sich in der Rentenbilanz bemerkbar machen.In den 90er Jahren wird in der Rentenbilanz tatsächlich ein Geburtenrückgang bemerkbar sein.
Dies ist eine nüchterne Erkenntnis. Und nun kommen wir zu den Schlußfolgerungen. Ich glaube nicht, daß es uns etwas hilft, wenn wir diese Tatsache, die uns prognostiziert wird, mißbrauchen zu einer ideologisch aufgeladenen bevölkerungspolitischen Diskussion. Davon halte ich überhaupt nichts.
Die zunehmende Last, die wir aus der Tatsache des Anwachsens der Zahl älterer Mitbürger und der Verringerung der Zahl von Kindern haben, kann die Bevölkerungspolitik, die Sie uns andienen, nicht ändern. Denn allein über materielle Anreize
werden wir mit Sicherheit dieses Problem nicht lösen.Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der Statistik machen. Es gibt ja das nette Bonmot von der Lüge, der gemeinen Lüge und der Statistik. Sie bemühen Ihre Hochrechnungen, um uns den Bevölkerungsrückgang anzudienen. Wissen Sie, wir haben 1953 auch einmal eine Prognose gemacht. Damals hat das Statistische Bundesamt die Bevölkerung für das Jahr 1982 in der Bundesrepublik auf rund 50 Millionen Personen geschätzt. Heute wissen wir, daß es im übernächsten Jahr ca. 60 Millionen sein werden. Man hat sich also um stattliche 10 Millionen Menschen geirrt.
Ich will das Statistische Bundesamt damit nicht schelten, sondern nur sagen, daß angesichts eines solchen damaligen Irrtums auch in den Berechnungen für die nächsten Jahre ein Irrtum enthalten sein kann.
Ein Wiederanstieg der Geburtenziffer könnte sich überdies, wenn wir dies einmal unterstellen, sowieso erst nach 25 bis 30 Jahren in größerem Umfang entlastend für die Rentenversicherung auswirken. Außerdem: Geld allein macht offensichtlich in unserer Gesellschaft nicht selig und erzeugt offensichtlich auch nicht mehr Kinder.Sozialdemokratische Familienpolitik setzt da an, wo es darauf ankommt, die soziale Situation für Kinder und kinderreiche Familien zu verbessern. Geburtenprämien scheinen uns da kein geeigneter Weg zu sein.
Sie können uns davon auch nicht überzeugen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17585
EgertLassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Rentenanpassungsgesetz eine Bemerkung zur Beitragssatzentwicklung machen. Wir haben eine öffentliche Diskussion darüber. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung, der 1981— so waren die Beschlüsse — im geltenden Recht von 18 auf 18,5 erhöht werden soll, ist ein politisches Eckdatum. Die Beitragssatzsteigerung war eines von vier Elementen. Das eine Element war die Mr drei Jahre festgeschriebene Rentenanpassung. Das zweite Element war die Heraufsetzung des Beitragssatzes. Das dritte Element war die belastungsneutrale Einführung eines individuell berechneten Krankenversicherungsbeitrags der Rentner. Das vierte Element war die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung ab 1982.
Nun plädieren sowohl Sozialbeirat als auch die schon zitierte Deutsche Bundesbank und die Rentenversicherungsträger unisono dafür, die beschlossenen Rentenanpassungssätze und die beschlossene Beitragserhöhung beizubehalten und durchzuführen. Wir fühlen uns da in einer guten Gemeinschaft, wenn wir Sozialdemokraten sagen: Wir wollen diese vier Elemente erhalten und nicht zuletzt aus Gründen der Ausgewogenheit auch bei der Beitragssatzanhebung bleiben, weil wir dort einen engen Zusammenhang sehen mit der politischen Ankündigung, die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung möglich zu machen. Wir glauben nämlich, daß damit die solide finanzielle Grundlage für die künftige Entwicklung in den Rentenfinanzen gegeben wird.Sie begründete ein Stück weit die Sicherheit der Renten auch gegen die von Herrn Müller genannten neuen konjunkturellen Fährnisse, die sicherlich angesichts der weltpolitisch gespannten Situation bei allem Optimismus nicht ausgeschlossen werden können. Wir haben die Hoffnung, daß bei diesen Imponderabilien dieser Punkt hilft, zusätzliche Sicherheit in der Rentenversicherung zu gewähren.Zur Stabilität der Rentenversicherung — auch davon war die Rede — trägt auch der Bundeshaushalt bei, nicht zuletzt mit der Finanzierung der Auswirkungen der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte und der Beitragszahlung für Empfänger von Mutterschaftsurlaubsgeld.Diese Regelung ist zunächst befristet auf das Jahr 1981. Wie die Finanzierung dieser Regelung auch weiterhin sichergestellt werden kann, muß uns zu Beginn der neuen Legislaturperiode beschäftigen.Der Forderung, die Zahlung der Bundeszuschüsse grundsätzlich an vermeintliche und willkürlich so bezeichnete versicherungsfremde Leistungen der Rentenversicherung zu binden, muß mit aller Entschiedenheit widersprochen werden. Diese Zweckbindung des Bundeszuschusses widerspricht dem Gedanken der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung.
— Die Rentenversicherung, Herr Kollege Müller, ist eine Sozialversicherung. Hier muß sozialer Ausgleich unter ihren Mitgliedern weiterhin weitestgehend möglich sein. Der soziale Ausgleich darf nicht aus der Solidargemeinschaft ausgegrenzt werden. Wer solche Zweckbindung des Bundeszuschusses an angeblich versicherungsfremde Leistungen fordert, rüttelt nicht nur an den Grundfesten der Solidargemeinschaft der Versicherten, sondern er will schlicht und ergreifend Steuergelder, die dieselben pflichtversicherten Arbeitnehmer größtenteils aufbringen. Dafür wollen wir Sozialdemokraten unsere Hand nicht reichen.Es ist von den künftigen Aufgaben der Rentenversicherung und dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts gesprochen worden, bis 1984 in der gesetzlichen Rentenversicherung Mann und Frau gleichzustellen. Diese Reform der Hinterbliebenenversorgung wird insgesamt große politische Anstrengungen erfordern. Kern der jetzt von allen Parteien vorgelegten Vorstellungen ist die 70 %ige Teilhaberente. Nur ihrem Generalsekretär zuliebe spricht das Wahlprogramm der Union weiterhin von „Partnerrente". Der eigentliche Dissens liegt in den sonstigen Regelungen, die getroffen werden sollen. Eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung für fünf Jahre, wie Sie es großmütig vorschlagen, ist sowohl realitätsfern als auch unsolide und nicht finanzierbar.Die Union hütet sich auch zu sagen, wie der wegen seiner übrigens im internationalen Vergleich maßvollen Kreditaufnahme von ihr als Schuldenmacher verbellte Bund dies finanzieren sollte. Wer die Entscheidung darüber ins künftige Jahrtausend verlagern will, der zieht ungedeckte Wechsel auf die Kassen der Rentenversicherung und auf den Bundeshaushalt.Übrigens ist in diesem Konzept der Union für Frauen, die vor 1984 bereits Kinder erzogen haben, keine Gutschrift auf ihre Renten vorgesehen. Die Sozialdemokraten wollen aber auch den Frauen, die 1984 bereits Rente beziehen und die unter schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen auf dem Hintergrund unserer jüngeren Geschichte ihre Kinder in den 40er, 50er und 60er Jahren erzogen haben, ein Jahr Erziehungszeit pro Kind bei der Rente gutschreiben. Dafür konzentrieren Sie sich ausschließlich auf die jüngeren Frauen. Ihnen allein bieten Sie die Aussicht auf 50 DM Rente mehr pro Kind, das nach dem Stichtag 1. Januar 1985 geboren wird.Nun kommt im Wahlprogramm der Union die bruttolohnbezogene Rentenanpassung — auch ein politischer Streitpunkt in der Vergangenheit und offensichtlich auch in der Zukunft — in Zusammenhang mit einem Krankenversicherungsbeitrag der Rentner vor, wie ihn die Union uns schon beim 21. Rentenanpassungsgesetz angedient hat. Der mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz beschlossene und für die Rentner, die eine Rente allein aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, bei der Einführung — und dies ist die politische Absicht der Koalitionsfraktionen — belastungsneutrale, individuell berechnete Krankenversicherungsbeitrag hat in den Vorstellungen der Union nie einen Platz gefunden.
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17586 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
EgertDie für ein Ausführungsgesetz zum individuell berechneten Krankenversicherungsbeitrag notwendigen gesetzgeberischen Arbeiten werden sich dabei sehr schwierig gestalten, weil wir bei der Diskussion in viele Einzelfragen, die damit zusammenhängen und die gelöst werden müssen, geraten werden. Die Union wird sich, wenn dieses Gesetz vorliegt, bekennen müssen.Wir Sozialdemokraten haben in unserem Vorschlag zur zukunftsgerechten Weiterentwicklung der Alterssicherung auch Überlegungen darüber angestellt, ob und wie ein echter Krankenversicherungsbeitrag der Rentner zu gestalten sei. Ein solcher Rentnerkrankenversicherungsbeitrag kommt für uns nur insoweit in Frage, als er finanziell notwendig ist. Wer die bruttolohnbezogenen Rentenanpassungen sichern will, der darf sich nicht darauf verlassen, daß dies allein durch weitere Beitragssatzsteigerungen über die politisch vereinbarten hinaus geschehen kann, mit denen die verfügbaren Nettoeinkommen der Arbeitnehmer zusätzlich gesenkt werden. Dies würde den Generationenvertrag außerordentlich belasten. Für einen solchen Fall — und nur dafür — ist der Krankenversicherungsbeitrag als eine Möglichkeit gedacht, die nach 1985 geprüft werden soll.Ohne finanzielle Notwendigkeit wird es nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten keinen echten Krankenversicherungsbeitrag der Rentner geben, und wenn, dann nur einen mit sozialer Staffelung.Nun zu dem Argument: Wer ist denn mit den Rentnern in Vergangenheit und Zukunft besser umgesprungen? Da werden einem Zahlen um die Ohren geschlagen, und wenn man dahinterguckt, sind wir bei dem Problem der Statistik: Von wann an wird gerechnet?Von 1969 bis 1979 sind die Renten um 133,8 % gestiegen. 1977 ergibt sich im Jahresdurchschnitt, also unter Berücksichtigung des Vorjahresanpassungssatzes von 11 %, der sich bis zum 30. Juni 1977 ausgewirkt hat, und der nachfolgenden Rentenerhöhung von 9,9 % eine Rentensteigerung gegenüber dem Vorjahr von 10,4 %. Ein Vergleich der Renten im Durchschnitt des Jahres 1978, in dem keine Rentenanpassung stattgefunden hat, mit den Renten im Durchschnitt des Vorjahres ergibt, daß die Renten auch in diesem Jahr einen Zuwachs von 4,7 % zu verzeichnen haben. Auch die 4,5 % Rentensteigerung zum 1. Januar 1979 und die 4 % zum 1. Januar 1980 bedeuten eine Erhöhung der Renten. In allen Jahren seit 1969 lag die Rentensteigerung deutlich über der Preissteigerung für die Lebenshaltungskosten. Bei 2,1 % Preissteigerung 1978 ergab sich für die Rentner ein Plus an realem Kaufkraftzuwachs von 2,6 %. 1979 betrug dieser Zuwachs 1,1 %. Im Durchschnitt der ersten vier Monate dieses Jahres liegt die Preissteigerung für Rentnerhaushalte mit 4,8 % deutlich unter den 5,5 % für Arbeitnehmerhaushalte. Erst am Ende dieses Jahres werden wir beurteilen können, wie hoch die Preissteigerungsrate tatsächlich war und in welchem Verhältnis sie zur diesjährigen Rentenanpassung steht.
— Bevor Sie sich zu sehr freuen, will ich Ihnen sagen, diese Beispiele sollen erläutern und nichts rechtfertigen. Die Rentenanpassungen sind niemals an Preissteigerungen orientiert worden. Die Rentensteigerungen sollen die Teilhabe der Rentner am wirtschaftlichen Wachstum gewährleisten. Eine Orientierung an der Preissteigerungsrate hätte 1975 nicht zur bruttolohnbezogenen Rentensteigerung von 11,1 %, sondern nur zu Rentenanpassungen von 6,6 % geführt. 1976 wären dabei nicht 11 % Rentenerhöhung, sondern nur 5 % herausgekommen.Wer heute die Preissteigerung zum Maßstab der Rentenerhöhung machen will, muß solches Argument auch gegen sich verwenden lassen. Er erweist den Rentnern einen Bärendienst und muß sich fragen lassen, ob seine Bekenntnisse
zur Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung nicht nur Lippenbekenntnisse sind.Das Rentenniveau ist eine ausdeutbare rechnerische Größe. Wie ausdeutbar, beweist die Studie des Sozialministers Gölter aus Rheinland-Pfalz. Als Basisjahr für die Berechnung nimmt die Studie das Kalenderjahr 1957. Damals sind die Renten auf einen Schlag stark angehoben worden. Deshalb hat die damatige absolute Unionsmehrheit die Anpassung 1958 auch ausfallen lassen. Geht man daher nicht von 1957, sondern von 1958 als Basis der Entwicklung des Rentenniveaus aus, so ergibt sich eine wesentlich geringere Differenz zwischen dem realen Lohnniveau, Herr Kollege Müller, und dem realen Rentenniveau, als sie die Gölter-Studie ausweist.Berücksichtigt man darüber hinaus, daß die Renten jeweils den Lohnsteigerungen eines zurückliegenden Dreijahreszeitraums folgen, dann fällt der Vergleich Rentenniveausteigerung zu Lohnniveausteigerung nochmals erheblich zugunsten der Renten im gesamten Betrachtungszeitraum aus. Die Rentner haben also keinen Verlust, sondern einen Zuwachs ihres realen Rentenniveaus zu verzeichnen.Richtig ist übrigens, das Kindergeld dem Realeinkommen der Arbeitnehmer hinzuzurechnen. Es muß aber auch dem Realeinkommen der Rentner zum Beispiel der Heizölkostenzuschuß hinzugefechnet werden, der auf Initiative der Sozialdemokraten ausdrücklich so gestaltet worden ist, daß er insbesondere auch Rentnerhaushalten zugute kommt.1982 wird, wie gesetzlich festgeschrieben, zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung zurückgekehrt. Diese Rückkehr erfolgt auf der Grundlage gesicherter Rentenfinanzen. Sie ist notwendig, um ein ausreichendes Rentenniveau zu sichern. Die gesetzliche Rentenversicherung darf nicht aus der Aufgabe entlassen werden, Sicherung des Lebensstandards im Alter zu bieten.Unter dem Etikett „Selbstvorsorge oder Eigenvorsorge" wollen auch Teile der Union die gesetzliche Rentenversicherung auf eine bloße Grundsicherung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980 17587
Egertreduzieren. Dies geht an den Interessen der Arbeitnehmer und der Rentner vorbei
und bedeutet eine Gefährdung des sozialen Friedens. Die gesetzliche Rentenversicherung, Herr Kollege Franke, muß imstande sein, bruttolohnbezogene Rentenanpassungen zu gewährleisten und im Sinne dès Auftrags des Bundesverfassungsgerichts für 1984 zugleich reformfähig zu sein. Für diese Aufgaben sind die Grundlagen im geltenden Recht des 20. und 21. Rentenanpassungsgesetzes geschaffen worden.
Der Rentenanpassungsbericht 1980 — Herr Kollege Müller, da mögen Sie noch soviel schreien — weist aus, daß nach den heutigen Annahmen auch die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind, diese Aufgaben zu erfüllen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl ich nur eine beschränkte Redezeit habe, möchte ich doch eine persönliche Bemerkung vorschalten. Mein lieber Johannes Müller, wenn mir auch vieles an deiner Rede nicht gefallen hat und manche Ausdrücke — ich darf mal so sagen — zwar deinem Temperament, aber nicht immer der Sache entsprechen, möchte ich dir doch hier von dieser Stelle — denn es war deine letzte Rede in diesem Hause, wenn ich das richtig sehe — für die 19jährige Zusammenarbeit an guten und bösen Tagen, in harten Auseinandersetzungen und gemeinsamen Überlegungen danken. Ich glaube, ich darf das für viele Kollegen in diesem Hause tun, die in diesem Zusammenhang gearbeitet haben.
Ich darf einen zweiten Satz anfügen; ich bitte hierfür um Verständnis. Ich wollte das gleiche vorhin bei meinem Wahlkreiskollegen Lattmann tun. Es war auch seine letzte Rede. Ich möchte ihm ebenfalls für die Zukunft alles Gute wünschen und ihm für die Zusammenarbeit danken.
Nun aber, meine Damen und Herren, zum Rentenanpassungsbericht. Nachdem ich meine beiden Vorredner hier angehört habe, möchte ich beinahe in Abwandlung eines Verses aus dem „Faust" sagen: Der Zahlen sind genug gewechselt; nun wollen wir über Vertrauen reden. Man kann mit Zahlenstatistiken sehr vieles negativ und man kann sehr vieles positiv entwickeln. Heute geht es aber doch wohl darum — dies darf ich für die Freien Demokraten sagen —, anhand des vorliegenden Rentenanpassungsberichts zunächst einmal festzustellen, daß es gelungen ist, die schwierige Situation von 1976 zu meistern. Das war schmerzhaft; dies gebe ich gerne zu. Das 20. und das 21. Rentenanpassungsgesetz waren für keinen, der sie mitbeschließen mußte, eine freudige Sache. Aber sie waren nicht nur im Interesse der mittel- und langfristigen Konsolidierung der Rentenversicherung für die Rentner, sondern auch im Interesse der Beitragszahler notwendig. Sie waren deswegen erforderlich, weil man manche Dinge — vielleicht zu spät — auf sich hat zukommen sehen.Der heutige Bericht legt nun dar, daß es mit dieser einmaligen Maßnahme gelungen ist, die mittelfristige Finanzierung zu sichern und sicherzustellen, daß für die nächsten Jahre, bis 1983/84, die Rücklagen sogar noch über dem Soll liegen, das zur Zeit gesetzlich verlangt wird. Ich glaube, es ist für die Öffentlichkeit, für Rentner und Beitragszahler, wichtiger, das hier einmal festzustellen, als so oder so herum zu rechnen, wo sich vielleicht etwas nicht so schön entwickelt haben könnte.
Wir haben oft Rentendebatten geführt und haben uns oft über die Zukunft der Rentenversicherung unterhalten. Wir mußten immer zwischen mittel- und langfristiger Entwicklung unterscheiden. Mittelfristig können wir eine positive Situation feststellen. Es besteht eine gute Grundlage für die Arbeit der nächsten Jahre in diesem Bereich.Es ist aber vielleicht auch richtig, festzustellen, daß dazu das 20. und das 21. Rentenanpassungsgesetz notwendig waren. Zum zweiten war es aber auch die weiterhin sehr gute Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung, die eben noch etwas höhere Lohnzuwachsraten gebracht hat, so daß sich die Kassen etwas stärker gefüllt haben, als wir es vor drei, vier Jahren vorhersehen konnten.
— Herr Kollege Franke, ist es dann auch inflationsbedingt, daß es gleichzeitig möglich war, 600 000 meist nicht leicht vermittelbaren Arbeitskräften Arbeitsplätze zu verschaffen, die als Beitragszahler natürlich ins Gewicht fielen?
Das war auch ein Stück Leistung dieser Bundesregierung.
— Insgesamt 550 000! Ich habe die letzten Jahre zusammengezählt. — Auch das sind Dinge, die hier stabilisierend gewirkt haben. Darüber können wir uns freuen, und das stellen wir Freien Demokraten mit Befriedigung fest.Wir stellen daher die Frage, ob die Ausgangsbasis für die im 21. Rentenanpassungsgesetz bereits für 1981 vorgesehene Beitragsanhebung im Augenblick noch gegeben ist. Wir stellen die Frage und bitten zu prüfen, ob nicht der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beitragserhöhung um ein halbes Prozent, die das Gesetz vorsieht, durch Verordnung hinaus-
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17588 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Schmidt
geschoben werden sollte, eben weil sich die Grundlagen geändert haben. Denn wir beobachten nicht nur die mittelfristige, sondern auch die langfristige Situation auf Grund dieses Rentenanpassungsberichts.Lieber Johannes Müller, hier hast du dich selber ein bißchen widersprochen. Zum Schluß hast du nämlich gesagt, die Situation sei so instabil, daß man die Beiträge möglicherweise sogar noch stärker erhöhen müsse. Dies wollen wir nicht.
Ich habe das jedenfalls so gehört. Vielleicht bist du aber nur einmal vom Redetext abgewichen, indem Du gesagt hast: „Man muß wohl demnächst die Beiträge erhöhen.' — Heinz Franke lacht; er hat es auch gehört.
— Schon gut! Wir wollen aber eben möglichst ohne stärkere Beitragsbelastungen dieses Problem auch langfristig lösen. Deshalb unsere Frage, ob dieses halbe Prozent nicht für die Aufgaben, die wir 1984/85 zu lösen haben, aufgehoben werden sollte.Und hier, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir — das gebe ich Ihnen zu — in einer etwas besseren Lage. Wir haben seit einem Jahr eine klare Programmaussage, wie wir uns das für die Zukunft aus unserer Sicht vorstellen, was wir vorschlagen. Die beiden anderen Fraktionen dieses Hauses haben noch Parteitage und haben die Beratungen zu diesen Problemen noch nicht abgeschlossen. Hier sind wir also etwas besser daran, und insoweit können wir schon etwas konkretere Vorschläge machen.Wir sehen langfristig — dies wird ja aus dem Gutachten des Sozialbeirats und dem Rentenbericht auch deutlich — nicht etwa die sofortige Konsolidierung, die auch gar nicht möglich ist, weil die Generationenprobleme und all die Fragen, die wir oft genug miteinander diskutiert haben, sich mittel- und langfristig weiter auswirken, selbst wenn sich die Konjunktur bessern sollte. Wir bleiben bei unserer Vorstellung, daß 1984/85 die Renten und die verfügbaren Einkommen jährlich in gleichem Maße steigen sollten. Wir halten dies für einen besseren Weg als ein wie auch immer gearteter Krankenversicherungsbeitragsabzug, der nivellierende Tendenzen in unser System bringen würde.
Wir sehen als wichtigste Aufgabe die Teilhaberente. Hier begrüßen wir es, daß sich inzwischen eigentlich alle Mitglieder dieses Hauses oder mindestens alle Fraktionen dieses Hauses in der Parteidiskussion auf ein Modell zu bewegen, das in unserem Programm steht. Es ist eine feine Sache, wenn man als Angehöriger der kleinsten der drei Fraktionen dieses Hauses sagen kann, daß hier eine gute Lösung auf uns zukommt, die von uns angeregt worden ist und die wir gemeinsam tragen können.
Dies bedeutet aber, daß die Rentenversicherung etwas teurer wird. Deshalb — ich kopple noch einmal zurück — meine Bitte, zu prüfen, ob wir das halbe Prozent von 1981 nicht bis 1984/85 aufheben können, bis wir wissen, ob und inwieweit wir dies für die Teilhaberente brauchen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte schön, Herr Kollege Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, ich darf unterstellen, daß Sie die Übersichten in dem Bericht der Bundesregierung in Drucksache 8/3845 auch gelesen haben. Dazu gehört auch die Ubersicht B 1. Hier darf ich die Frage stellen, ob Ihnen in Erinnerung ist, daß auch bei der günstigeren Anlage- und Annahmekombination schon um 1985, 1986 und 1988 die Schwankungsreserve unter eine Monatsrücklage absinkt. Ich frage Sie, ob Ihnen das bekannt ist und ob Sie daraus nicht den Schluß ziehen, daß man dann eventuell doch nicht auf die Beitragserhöhung verzichten kann, die wir im übrigen nicht zu verantworten haben.
Herr Kollege Franke, mir sind diese Zahlen natürlich bekannt. Ich hatte bewußt auch 1984 als das Datum genannt, wo dieses halbe Prozent notwendig wäre. Ich habe aus einer gewissen Erfahrung in diesem Hause eine Sorge: Wenn zu lange — 15 Jahre — Überschüsse im Rententopf kumulieren, kommen auf dem Papier Summen heraus, die möglicherweise — und davor warnen wir — wünschenswerte, aber zur Zeit nicht mögliche neue Leistungen provozieren können. Davor warnen wir.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?
Bitte.
Herr Kollege Schmidt, können Sie bestätigen, daß die Vorstellungen, die von seiten der CDU kommen und die in einem Langzeitprogramm niedergelegt sind, das der Kollege Blüm mit dem Generalsekretär der CDU Geißler vorgelegt hat, gegenüber unseren Vorstellungen immerhin Mehrkosten von 30,1 Milliarden DM gegenüber 10 Milliarden DM nach den von Ihnen vorgetragenen und von der FDP entwickelten Vorstellungen für die Rentenversicherung erbringen würden?
Das kann ich bestätigen, Herr Kollege Jung. Ich weiß bloß immer nicht genau, wo ich nachlesen oder nachhören soll: bei den markigen Worten, es müsse bei der Bruttolohnbezogenheit bei allen bleiben, oder bei den heimlichen Nivellierungstendenzen eines Krankenversicherungsbeitrags, bei den Sparsamkeitsappellen der Haushaltsexperten oder bei den fünf Erziehungsjahren und anderen Ausgaben, die die Sozialromantiker in der CDU/CSU beschließen. Ich weiß nie genau, wo da nun die Linie durchgeht. Deshalb warte ich immer noch auf den Parteitag und das Pro-
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gramm. Danach kann man das vielleicht besser beurteilen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Herrn Abgeordneten Müller?
Bitte.
Herr Kollege, darf ich Sie bitten, mir zu bestätigen, daß die 220 Milliarden, die 1972 genannt worden sind, aus dem Arbeitsministerium kamen — die mußten es ja besser wissen als wir —, und darf ich Sie daran erinnern, daß ich in meinen Ausführungen gerade darauf Bezug genommen habe — auch auf 1976 —, und verstehen Sie, daß uns das für die Zukunft etwas Vorsicht üben läßt?
Herr Kollege Müller, Sie haben recht. Die Berechnungen kamen aus dem Arbeitsministerium.
Aber darf ich Sie daran erinnern, daß es erst 160 waren, daß dann vorsichtshalber seitens Herrn Katzer 220 Milliarden daraus wurden und daß dann noch das halbe Jahr kam, das wir eigentlich gar nicht wollten?
Bitte, das war alles — —
— Lieber Johannes, ich muß hier, auch im Interesse der weiteren Tagesordnung —
Ich bitte Sie, den Redner zu Wort kommen zu lassen.
Gerade aus den Erfahrungen von 1972 habe ich vorhin gesagt,
ich möchte keine neuen Leistungsversprechungen, ehe wir nicht 1984, 1985 wissen, was die Teilhaberente und die Erziehungsjahre — wobei wir an eines denken: durch Erstattung, nicht aus Beiträgen; das ist ganz klar — kosten. Deshalb habe ich Sorge, daß, wenn das halbe Prozent zu schnell in der Kasse ist und sich zu sehr kumuliert, weil es im Moment nicht gebraucht wird, manches Wünschenswerte plötzlich zur Diskussion stehen könnte.Lassen Sie mich noch ein Wort zum Krankenversicherungsbeitrag für Rentner nach unserer Vorstellung sagen. Ich meine den individuellen Beitrag, nicht den Abzugsbeitrag, der im Grunde genommen eine Rentenkürzung ist.
— Sie können es nennen, wie Sie wollen. Es ist erstens ein Programmbeschluß der FDP und zweitens Bestandteil des 21. Rentenanpassungsgesetzes
und damit ein Bestandteil dieser Koalition. Drittens gehe ich davon aus, daß dieser Rentenversicherungsbeitrag Gesetz wird und daß die Durchführung möglich sein wird. Wir werden uns darum bemühen. Daß das zeitraubend ist und vielleicht stufenweise gehen muß, wird sich zeigen. Auf die Details will ich jetzt nicht eingehen. Das können wir gern einmal in einem Privatissimum machen.Ich gehe jedenfalls wohl richtig in der Annahme, daß das, was wir hier als Krankenversicherungsbeitrag der Rentner vorgeschlagen haben, gerechter als alles ist, was hier an anderen Vorschlägen im Raum steht. Für den Rentner selbst gibt es keine Mehrbelastung. Er wird endlich aus dieser manchmal negativen Beurteilung durch die Krankenkassen herausgenommen, weil er nämlich echtes Mitglied mit eigenem Beitrag und nicht immer der Sündenbock dafür ist, daß die Kosten steigen — obwohl er früher mal ein geringeres Risiko war und heute ein stärkeres ist. Der, der dank eines Beschlusses der Großen Koalition davon profitiert hat, obwohl er neben einer kleinen Rente eine große Pension hatte, wird nun zur Solidarität herangezogen. Auch das ist wohl richtig.
Insoweit ist es eine gerechte Lösung und hat mit den Dingen, die — nicht bei uns — für 1985 im Gespräch sind, nichts zu tun.Lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Ich sehe, die Zeit geht zu Ende. Ich habe eingangs gesagt — darauf komme ich jetzt zurück —, wir sollten uns nicht zuviel über Zahlen austauschen. Die sind in den Protokollen und bei den Beratungen wichtig. Aber der Rentner oder Beitragszahler kann sich keine sehr großen Vorstellungen machen, wenn hier mit Prozenten und allem möglichen gearbeitet wird.Wir sollten hier feststellen — und das tue ich für die Freien Demokraten —: Der Rentenbericht 1980 ist eine gute Basis für die mittelfristige Finanzierung der Renten. Die Rentner brauchen keine Sorge zu haben, daß sich hier Schwierigkeiten ergeben.
Die Beitragszahler brauchen keine Sorge zu haben, mehr zahlen zu müssen. Das halbe Prozent ist Gesetz. Wir können es verschieben. Das möchte ich. Das werden wir sehen.Wir wissen — und darauf sollten wir uns nach der Bundestagswahl im nächsten Bundestag konzentrieren —, daß wir 1984 eine große Aufgabe vor uns haben werden, bei der wir das Vertrauen aller brauchen, weil dann manches angepackt werden muß und weil man dann nicht einfach mit Tabus und Ideologien arbeiten kann, sondern mit handfesten Fakten umgehen muß, die uns allen vorliegen. Nur
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so werden wir das Vertrauen der Rentner und der Beitragszahler erhalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Berichte auf Drucksache 8/3845 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuches — Verwaltungsverfahren —— Drucksache 8/2034 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4088 —
Berichterstatter: Abgeordneter Prinz zu
Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4022 —
Berichterstatter: Abgeordneter Gansel
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der Beratungen der Vorschriften über Nahtlosigkeit in Art. 2 hat der Ausschuß der Kollegin Steinhauer zugesagt, bei der Vorschrift zu § 1241 d der Reichsversicherungsordnung eine Protokollnotiz von ihr in die Begründung aufzunehmen. Dies ist nicht wortwörtlich geschehen. Ich bitte deshalb, in der Drucksache 8/4022 auf Seite 93, zweite Spalte, den zweiten Absatz zu streichen und dafür einzusetzen:
Die Umdeutung des Rehabilitationsantrages in einen Rentenantrag für den Fall, daß bei Abschluß einer Rehabilitationsmaßnahme Berufs- und Erwerbsunfähigkeit vorliegen, soll im Interesse des Versicherten eine mögliche zeitliche Leistungslücke schließen. Der Ausschuß geht bei der Regelung der Nahtlosigkeit in § 1241 d RVO daher davon aus, daß hierdurch die Dispositionsbefugnis des Versicherten über die Rentenantragstellung nicht eingeschränkt wird. Der Versicherte kann deshalb spätestens bis zur Bewilligung einer Rente der Umdeutung des
Rehabilitationsantrages in einen Rentenantrag widersprechen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wird weiter zur Berichterstattung das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß für die Redner 15 Minuten Redezeit angemeldet worden sind. Ich darf Sie angesichts der noch abzuwickelnden Tagesordnung bitten, sich an diese Redezeitbegrenzung zu halten. Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohlmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag wird heute einen Gesetzentwurf verabschieden, bei dem sich unter dem farblosen Etikett einer Neuordnung des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens eine Fülle von heterogenen sozialrechtlichen Vorschriften verbirgt. Am Ende einer nahezu zweijährigen Beratung der Regierungsvorlage, die sich zunächst einmal im wesentlichen auf das im Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches zu regelnde Verwaltungsverfahren beschränkt hatte, sind später mit der umfassenden Neuregelung des Sozialgeheimnisses und des Datenschutzes im Sozialrecht einerseits und der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung zwei Bereiche hinzugefügt worden, die in ihrem sozialpolitischen Rang und in ihren mittelfristigen Wirkungen die ursprüngliche Regierungsvorlage weit in den Schatten stellen.Meine Damen und Herren, ich will mich zunächst der Kodifizierung des in den §§ 1 bis 64 des Zehnten Buches geregelten sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens widmen.Wie aus der Begründung zum Regierungsentwurf hervorgeht, war die Vermehrung der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit im Interesse des Bürgers das Hauptmotiv für diese Initiative. In diesen Zielen ist sich die CDU/CSU mit der Bundesregierung und den Koalitionsparteien völlig einig. Über den Weg der Verwirklichung dieses Ziels gibt es verschiedene Meinungen, die nicht verschwiegen werden sollten.Während des Gesetzgebungsverfahrens sind von seiten des Bundesrates und auch von Vertretern meiner Fraktion in den mitberatenden Ausschüssen, dem Innen- und dem Rechtsausschuß, grundsätzliche Bedenken gegen das Gesamtkonzept der Regierungsvorlage geltend gemacht worden. Die vorgetragene Kritik läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß man auf eine umfassende und besondere Kodifikation des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens hätte verzichten und sich bei grundsätzlicher Geltung der Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes auf wenige, zwingend erforderliche Sonderregelungen im Sozialgesetzbuch hätte beschränken sollen.Unter formaljuristischen und gesetzestechnischen Aspekten haben diese kritischen Einwände,
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Pohlmannwie sie besonders in der Stellungnahme des Bundesrats schlüssig vorgetragen worden sind, ein großes Gewicht. Bei einem sozialrechtlichen Gesetz wiegt aber nach meiner Auffassung besonders schwer auch das Argument einer optimalen Transparenz und einer erleichterten Anwendung aller Vorschriften durch sämtliche Benutzer des Gesetzes, seien es nun Bürger oder Amtswalter, Juristen oder Nichtjuristen.Nach einer sorgfältigen Prüfung aller, gegen das Konzept der Bundesregierung vorgetragenen Argumente haben die Sozialpolitiker unserer Fraktion diese Bedenken zurückgestellt und das positive Argument des erleichterten Zugangs zu einer alle Regelungen in einem Buch zusammenfassenden Kodifikation als schwerwiegender angesehen.Ich möchte aber auch nicht verhehlen, daß das gesamte Paket, welches uns hier vorgelegt worden ist, mit heißer Nadel genäht worden ist. Eine sorgfältige und intensivere Beratung hätte mit Sicherheit zu besseren Ergebnissen geführt. Es besteht kein Zweifel, daß wir viele Monate relativen Leerlaufs hatten, wenn man berücksichtigt, daß die wichtige Sachverständigenanhörung schon im März 1979 stattgefunden hatte, danach lange Zeit nichts geschah und dann auf einmal eine hektische Betriebsamkeit einsetzte. Uns wurden immer wieder neue Änderungsanträge vorgelegt. Ich meine, das ist ein schlechtes Beispiel. Wir sollten uns nicht den Vorwurf gefallen lassen, daß wir hier schlechte Gesetze machen.Meine Damen und Herren, unabhängig von dieser Grundsatzproblematik soll nicht verkannt werden, daß es auch in diesem Teil Verbesserungen gegeben hat, insbesondere was die Stärkung des Vertrauensschutzes des durch einen fehlerhaften Verwaltungsakt begünstigten Bürgers angeht. Diesen Verbesserungen geben wir vorbehaltlos unsere Zustimmung.Ein differenzierendes Urteil ist allerdings angebracht, wo die von der Koalition eingebrachten Änderungsanträge zu Art. 2, namentlich zum Datenschutz im Sozialrecht und zur Verbesserung der Nahtlosigkeit zwischen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung, zu bewerten sind. Ich will hier nicht den falschen Eindruck erwecken, daß im Grundsätzlichen Gegensätze bestehen. Solche existieren zwischen CDU und Koalition in diesem Punkt nicht.Deswegen möchte ich hier für die CDU/CSU ausdrücklich festhalten: Das Grundkonzept eines umfassenden Schutzes des Sozialgeheimnisses, d. h. die Normierung dieses Prinzips in der Generalklausel des § 35 des I. Buches des Sozialgesetzbuchs und die erschöpfende enumerative Aufzählung von Ausnahmetatbeständen einer zulässigen Offenbarung personenbezogener Daten, wird von uns in vollem Umfang bejaht. In der Praxis gab es nach dem jetzt geltenden Recht Unsicherheiten. Wir sind der Auffassung, daß der Bürger ein Recht darauf hat, daß seine persönlichen Daten geschützt werden. Er muß auch wissen, welche Ausnahmetatbestände es von diesem Schutz gibt. Unsere beiden Grundforderungen, die wir gestellt haben, sind damit im wesentlichen erfüllt.Es ist auch, insgesamt gesehen, gelungen, den Interessen der Sozialleistungsträger an der ungehinderten Erfüllung ihrer Aufgaben zum Wohle des Bürgers weitestgehend Rechnung zu tragen.Die CDU/CSU hatte einen relativ umfassenden Katalog von Änderungsanträgen zum Komplex des Datenschutzes im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eingebracht, der — mit einer Ausnahme — von der Koalitionsmehrheit leider abgelehnt worden ist. Bei dieser einen Ausnahme hatte ein Kollege der SPD einmal den Mut, aus der Fraktionsdisziplin auszuscheren und den besseren Einsichten der Opposition zu folgen.Kernelement dieser Änderungsanträge war die dem gegenwärtig immer noch gefährdeten Zustand der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland angemessene Fassung der in § 69 geregelten Offenbarungsbefugnis zum Schutz der inneren und äußeren Sicherheit. Es kann doch niemand leugnen, daß von den zahlreichen immer noch in Freiheit befindlichen Gewalttätern nach wie vor eine erhebliche Gefährdung ausgeht. Die leidvollen Erfahrungen auch der jüngsten Vergangenheit, wo Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Polizeibeamte und völlig unbeteiligte Bürger Opfer terroristischer Gewalttäter geworden sind, sollten uns eine Lehre sein. Nach unserer Auffassung ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherheitspolitisch nicht zu rechtfertigen, den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Sozialdaten zukünftig stärkeren Einschränkungen zu unterwerfen. Nach Auffassung der CDU/CSU muß es im Interesse einer wirkungsvollen Bekämpfung des Terrorismus weiterhin möglich bleiben, daß die Sicherheitsbehörden im Rahmen der bewährten, d. h. in zahlreichen Fällen erfolgreichen Rasterfahndungen Sozialdaten von den Sozialleistungsträgern abrufen.
Angesichts des überragenden Ranges der hier zu schützenden Rechtsgüter, nämlich des Lebens und der Gesundheit von Menschen, muß wegen der Güterabwägung ausnahmsweise das individuelle Interesse des Bürgers an der erschwerten Offenbarung seiner personenbezogenen Daten gegenüber dem öffentlichen Interesse der Sicherheitsbehörden an einer wirkungsvollen Bekämpfung von Schwerstkriminalität, d. h. an einer erfolgreichen Fahndung nach terroristischen Gewalttätern zurücktreten.
Deswegen möchte ich Sie dringend auffordern, unserem Änderungsantrag, den wir jetzt nochmals in der zweiten Lesung auf Drucksache 8/4041 in diesem Hause eingebracht haben, im Interesse der gefährdeten Menschen in unserem Lande ihre Zustimmung zu geben.Auch zur konkreten Ausgestaltung der Nahtlosigkeitsregelung seien namens der CDU/CSU einige kritische Anmerkungen erlaubt. Wir begrüßen grundsätzlich das in den Änderungsanträgen der
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17592 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
PohlmannKoalition zur Nahtlosigkeitsregelung zum Ausdruck kommende Anliegen, den Übergang von einem sozialen Leistungssystem zum anderen zu verbessern und negative Kompetenzkonflikte der verschiedenen Träger untereinander zum Nachteil des Leistungsempfängers künftig zu vermeiden. Wir begrüßen auch die Regelung, die einen Wechsel des Leistungsträgers während einer Lohnfortzahlungszeit ausschließt. Das wird von uns mitgetragen.Die Grenze unserer Zustimmungsbereitschaft wird jedoch dort erreicht, wo eine konkrete Leistung des Arbeitsförderungsgesetzes in eklatanter Weise ihres Charakters als einer Lohnersatzleistung verlustig geht. Solche Systemveränderungen müssen zu einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen geradezu einladen. Ich meine konkret die Bemessung der Nahtlosigkeitsleistung im Falle einer Minderung der Leistungsfähigkeit gemäß § 105 a des Arbeitsförderungsgesetzes nach einem fingierten uneingeschränkten Leistungsvermögen von im Regelfall 40 Wochenarbeitsstunden. Bei allen Leistungsempfängern, deren eingeschränktes Leistungsvermögen sich am Rande der Berufsunfähigkeit bewegt, wird eine solche Regelung, wie von SPD und FDP durchgesetzt, dazu führen, daß die Nahtlosigkeitsleistung in aller Regel deutlich über der zu erwartenden Rente und auch über dem vor Eintritt der Arbeitslosigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt liegt. Eine so bemessene Nahtlosigkeitsleistung fördert zwangsläufig bei den derart Begünstigten die Tendenz, den Bezug der Leistungen so lange wie möglich zu Lasten der Solidargemeinschaft auszudehnen.Wir haben im Ausschuß einen Änderungsantrag zu § 112 Abs. 8 AFG gestellt, wonach in den Fällen des § 105 a AFG 30 Arbeitsstunden zugrunde zu legen sind. Wir wollten damit sicherstellen, daß immer noch ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme oder zur Teilnahme an einer Maßnahme der Rehabilitation fortbesteht und zwischen einzelnen Leistungen im System der sozialen Sicherheit keine außergewöhnlichen Disharmonien auftreten. Die Grenze von 30 Arbeitsstunden hätte im übrigen eine ausreichende finanzielle Sicherung für die Übergangszeit gewährleistet. Wir bedauern, daß dieser Antrag abgelehnt wurde.Dasselbe gilt für unseren Antrag zur Änderung des Beitragseinzugsverfahren, den wir hier in dieser zweiten Lesung auf Drucksache 8/4043 erneut einbringen. Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß die Zeit für eine Änderung des Beitragseinzugsverfahrens nach jahrelanger Diskussion in Fachkreisen reif ist. Unser Antrag hat zum Inhalt, daß in Zukunft auch Ersatzkassen den Gesamtsozialversicherungsbeitrag einziehen können.
Die Neuregelung sieht vor, daß die Ersatzkassen für ihre wegen Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht der Krankenversicherungspflicht unterliegenden Mitglieder Beiträge zur Angestelltenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit einziehen können. Zur Zeit ist die Einziehung der sogenannten Fremdbeiträge nur denRVO-Kassen, nicht jedoch den Ersatzkassen möglich. Sie können nur die Krankenkassenbeiträge einziehen. Der Antrag sieht vor, daß die Ersatzkassen ermächtigt werden, für den oben genannten Personenkreis auch die Fremdbeiträge einzuziehen und an den zuständigen Versicherungsträger abzuführen.Die Änderung des Beitragseinzugsverfahrens erscheint der CDU/CSU auch unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes notwendig,
weil heute unnötigerweise zum Zweck des Einzugs von Fremdbeiträgen mehrere Stellen Daten erfassen und speichern müssen. Die Änderung dürfte auch zur Einsparung von Verwaltungskosten führen und die Abführung der Beiträge zügiger und fristgerechter machen. Aufwendige Einzelmahn- und -beitreibungsverfahren würden überflüssig. Wir bitten — hierbei schaue ich insbesondere in Richtung der Freien Demokraten —, diesem Antrag Ihre Zustimmung nicht zu versagen.Lassen Sie mich noch eine Schlußbemerkung machen, da für die dritte Lesung keine neue Rederunde angesetzt wird. Die CDU/CSU hat sorgfältig geprüft, inwieweit die Ablehnung dieser von ihr als politisch bedeutsam eingestuften Änderungsanträge im Ausschuß und wahrscheinlich auch hier in der zweiten Lesung — davon kann man ausgehen —, ihre Gesamtwürdigung des Gesetzentwurfs negativ beeinflußt. Die CDU/CSU bedauert die Ablehnung ihrer überzeugend begründeten Verbesserungsvorschläge. Die Qualität des gesamten Gesetzentwurfs hat dadurch nicht unerheblich gelitten. In Kenntnis und Würdigung der Licht- und Schattenseiten der heute abschließend zu berátenden Vorlage überwiegen per Saldo dennoch die positiven Seiten. Daher wird die CDU/CSU dem Gesetzentwurf insgesamt die Zustimmung nicht versagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei den Journalisten entschuldigen, die der Parlamentsdebatte vielleicht noch folgen. Unsere Pressestelle hat irrtümlich eine Handreichung von mir zur erleichterten Berichterstattung als Zusammenfassung einer Rede herausgegeben. Ich werde diesen Irrtum nun nicht fortsetzen und die Presseerklärung hier nicht als Rede vorlesen. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, daß zwischen dem, was ich jetzt sage, und dem, was verteilt worden ist, Abweichungen bestehen.Wer jetzt das sechste Mal zu einem Teilstück des Sozialgesetzbuchs einige bedeutungsvolle Worte sagen soll, kommt sich fast wie weiland der Verkehrsminister Seebohm vor, von dem bekannt ist, daß er die Fertigstellung eines jeden Autobahnkilometers zu einer Weihestunde gestaltete.
Dennoch ist die abschließende Beratung des Verwaltungsverfahrensgesetzes zum Sozialgesetz-
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Ganselbuch von einer besonderen Bedeutung; denn dieser dritte Schritt auf dem Wege zu einem umfassenden Sozialgesetzbuch macht das Projekt eines Sozialgesetzbuches selbst irreversibel.Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, auch in schwierigen Zeiten auf dem von Walter Arendt eingeschlagenen Weg zu einem bürgernahen und arbeitnehmerfreundlichen Sozialrecht weiter voranzukommen. Das Sozialgesetzbuch, die Verrechtlichung sozialer Leistungsansprüche, macht deutlich, daß der Aufbau des sozialen Rechtsstaats nicht zum Stillstand gekommen ist und daß sein Ausbau uns weiter Aufgaben stellt.Meine Damen und Herren, wir alle haben im Bundestag beim Sozialgesetzbuch das gemeinsame Ziel, das in zahllose Einzelvorschriften zersplitterte Sozialrecht — Experten schätzen die Zahl der wichtigsten Gesetze und Verordnungen auf über 400 — zusammenzufassen und zu harmonisieren und nach Möglichkeit auch Streichungen vorzunehmen. Durch das Verwaltungsverfahrensgesetz werden über 100 andere Vorschriften in über 30 verschiedenen Gesetzen geändert. 200 Vorschriften in über 30 Gesetzen werden gestrichen. Durch die drei Teilstücke des Sozialgesetzbuches, die jetzt praktisch fertig sind, werden insgesamt über 300 Vorschriften geändert und über 450 in den verschiedensten Gesetzen gestrichen. Dies macht deutlich, daß das Sozialgesetzbuch selbst auch ein erheblicher Beitrag zur Entbürokratisierung ist.Es geht aber nicht nur darum, zu ändern und zu streichen, sondern es geht in einigen Fällen auch darum, Lücken zu füllen. Das Verwaltungsverfahren für das Sozialrecht schafft erstmalig in der deutschen Sozialgeschichte ein umfassendes Verfahrensrecht für alle Sozialleistungsansprüche. Es orientiert sich an dem für die allgemeine Verwaltung geltenden Verwaltungsverfahrensgesetz, enthält aber zahlreiche Sonderregelungen, die vor allen Dingen zum Ziel haben, die Stellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung zusätzlich zu stärken; denn der Sozialbürger ist oft in einer besonders schwachen Situation, wenn er existenziell auf Sozialleistungen angewiesen ist.Ich begrüße es, daß die CDU/CSU in ihrer Mehrheit der Auffassung des Bundesrates nicht gefolgt ist, nur diese Sonderregelung als ein sogenanntes Rumpfgesetz zu beschließen; denn das Sozialgesetzbuch soll im Interesse des Bürgers; der einen leichteren Zugang zu den Sozialleistungen erhalten soll, und der Verwaltung, die das Recht soll leichter anwenden können, in sich verständlich und schlüssig sein.Es geht dabei aber auch darum, die Arbeit von Lehre und Forschung zu verbessern, von der wiederum auch wir profitieren.Anläßlich einer einmal sehr umstrittenen Kodifikation in der deutschen Rechtsgeschichte hat der große Rechtsgelehrte Thibaut 1814 zu diesem Problem gesagt:welcher unendliche Gewinn für die wahre, höhere Bildung der Diener des Rechts, der Lehrerund Lernenden! Bisher war es unmöglich, daßirgend Jemand, und wäre er auch der fleißigste Theoretiker gewesen, das ganze Recht übersehen, und mit Geist gründlich durchdringen konnte. Jeder hatte höchstens nur seine starken Seiten; an tausend Orten Nacht und Finsterniß! Von den unschätzbaren Vortheilen des Uebersehens der Wechselwirkung aller einzelnen Glieder der Rechtswissenschaft ist uns nichts zu Theil geworden.Wir wollen dem in der ähnlichen Situation des heutigen deutschen Sozialrechts abhelfen.Dabei sehen wir ein, daß ohne die Mitwirkung von Lehre und Forschung, Rechtsprechung und Rechtsanwendung unsere Gesetzgebung nicht perfekt sein kann. Wir müssen deshalb Bereitschaft und notfalls auch Mut haben zur weiteren Novellierung dessen, von dem mancher schon meinte, daß es fertig sei.Meine Damen und Herren, wir haben im Ausschuß zur Regierungsvorlage eine ganze Reihe von Verbesserungen getan. Da ich als Berichterstatter den Ausschußbericht geschrieben habe, erübrigt es sich, dies hier noch einmal vorzutragen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es wohl not tut, schon jetzt an den Bundesrat zu appellieren, das, was wir in zweijähriger Arbeit zustande gebracht haben — meist gemeinsam —, nicht zurückzudrehen im Sinne der Erleichterung der Verwaltungsarbeit. Das Sozialgesetzbuch soll ja vor allen Dingen für den Bürger da sein und nicht zuerst zur Erleichterung der Verwaltungsarbeit.Wir haben in einem Artikelgesetz eine ganze Reihe wichtiger Einzelvorschriften eingefügt, u. a. über die Nahtlosigkeit zwischen Leistungen der Arbeitslosenversicherung, der Krankenversicherung und der Rentenversicherung. Die CDU/CSU hat in diesem Zusammenhang Anträge gestellt, die im wesentlichen auf die Stellung der Ersatzkassen abzielen. Das sind die Drucksachen 8/4042 bis 8/4045. In Anbetracht der beabsichtigten Einbeziehung der Krankenversicherung in das Sozialgesetzbuch sehen wir keinen Anlaß, jetzt durch Beschlüsse Präjudizierungen zu treffen. Wir werden diese Anträge ablehnen.Wir haben im Ausschuß vor allen Dingen auch eine umfassende Neuregelung des Datenschutzes vorgenommen. Diese Aufgabe haben wir uns nicht gesucht. Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Sozialleistungsträgern ausdrücklich meine Anerkennung dafür sagen, daß sie in der Vergangenheit versucht haben, die Sozialdaten sorgfältig zu schützen und geheimzuhalten. Aber es hat zahlreiche Auskunftsersuchen gegeben, ohne Rechtsgrundlage, insbesondere von Nachrichtendiensten und Polizei. Es hat widersprüchliche Entscheidungen von Staatsanwaltschaften und Gerichten gegeben. Es hat Novellierungsversuche des Bundesrates und der Bundesregierung gegeben. Deshalb haben wir uns an die Arbeit machen müssen. Wir haben uns auch dabei an einen Grundsatz von Thibaut gehalten, den ich noch einmal zitieren darf:Männer, welche der Gesetzgebung, und insbesondere der allgemeinen, abstracten Gesetbung gewachsen sind, gibt es sehr wenige, selbst
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Ganselim gelehrten Stande. Dieß darf auch nicht befremden, und ist kein Vorwurf, welcher irgend eine Bitterkeit mit sich führt. Denn eine gute Gesetzgebung ist das schwerste unter allen Geschäften. Es gehört dazu ein reiner, großer, männlicher, edler Sinn; eine unbedingte Festigkeit, damit man sich nicht durch falsches Erbarmen und kleinliche Nebenrücksichten überraschen lasse, und eine unendliche Umsicht und Mannigfaltigkeit der Kenntnisse. Wo solche Bedingungen gefordert werden, da darf ein Einzelner, da dürfen Wenige Einzelne sich nicht anmaßen, daß sie die Weisheit für alle Anderen besitzen, sondern die Kräfte vieler der Ersten müssen vereinigt werden, damit durch eine große Wechselwirkung etwas Gediegenes und Geründetes vollbracht werde.So haben wir uns also an die Arbeit gemacht und haben unsere Entwürfe abgestimmt in der Ad-hocGruppe der SPD-Fraktion, im Arbeitskreis Sozialwesen, im Arbeitskreis Recht, im Arbeitskreis Inneres, mit der Kommission unseres Parteivorstandes, mit den Ministerien der Verteidigung, des Inneren, der Justiz, mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung natürlich vor allen Dingen, auch mit dem Bundeskanzleramt, unserem Fraktionsvorstand, unserer Fraktion, sehr intensiv natürlich mit dem Koalitionspartner, mit den Datenschutzbeauftragten und mit der CDU/CSU. Wir haben ein Anhörverfahren gemacht und zahlreiche Einzelgespräche mit Verbänden geführt. Das Problem für den „Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung" war dabei, daß man immer, wenn eine Vorschrift geändert wurde, eigentlich noch einmal von vorne anfangen mußte. Das hat zwei Jahre gedauert.Im Datenschutz war ein besonderes Problem, daß alle für Datenschutz sind; nur bei sich selbst halten sie Vorschriften für überflüssig, weil sie meinen, sie gingen ohnehin sorgfältig mit Daten um. Deshalb ist jeder dafür: Datenschutz ja, aber möglichst so, daß ich alle Daten kriege, aber keine herausgebe.Wir haben uns in unserer Arbeit leiten lassen von dem Beschluß des Ausschusses in der 8. Wahlperiode, daß „die im Sozialbereich insgesamt anfallenden Daten die Person und Lebensverhältnisse des Betroffenen so vollständig erfassen können, daß eine Verwertung dieser Daten für andere Zwecke eng begrenzt werden muß. Niemand soll dadurch, daß er in der Sozialversicherung versichert oder auf Sozialleistung angewiesen ist, mehr als andere Bürger staatlichem Einblick oder Zugriff ausgesetzt sein". Dieser Grundsatzentscheidung haben wir Rechnung getragen.Deshalb können wir auch den Antrag der CDU/ CSU, bei den Daten für die Nachrichtendienste die Einzelfallregelung zu streichen, in keiner Weise annehmen.
Das Ergebnis, wenn wir diese Bahn einschlagen, wenn wir einen Bandabgleich ermöglichen, wenn wir es nicht auf den Einzelfall abstellen, wäre nicht nur ein Routineabfragen bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst oder etwa am Beginn des Wehrdienstes oder des Zivildienstes und manches andere, sondern am Ende des Weges stünde der computerüberwachte Bürger. Wir gäben im Kampf gegen die Feinde der Freiheit unsere Freiheit selbst auf.
Deshalb muß man rechtzeitig stoppen. Wir sind stolz darauf, diese exakten Stoppsignale im Datenschutz jetzt ze haben. Ich gebe zu: Sie sind nicht ohne Risiko.
Aber wir haben diese Regelung mit den politisch Verantwortlichen der Nachrichtendienste abgesprochen. Ich sehe auch in keiner Weise ein, warum wir diesen mehr geben sollten, als sie nach den gründlichen Gesprächen mit uns haben wollten. Ich bedanke mich auch bei den Verantwortlichen für die faire Zusammenarbeit, die dazu beigetragen hat, ausreichende Regelungen zu schaffen, die die Grauzone beseitigt haben.Im übrigen haben wir gut zusammengearbeitet, Kollege Pohlmann, ich möchte mich dafür bedanken.Ich möchte an dieser Stelle auch einen besonderen Dank sagen an die Mitarbeiter des Arbeitsministeriums. Weil es diesmal alles besonders langwierig und mühsam gewesen ist, darf ich die Herren einmal namentlich nennen: Herrn Pappai, Herrn André, Herrn Neumann-Duesberg, Herrn Walloth und Herrn Vöcking. Ich danke dem Datenschutzbeauftragten, Herrn Bull, und seinem Vertreter, Herrn Wiese. Ich danke den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats, die diesmal besonders viel Arbeit hatten. Ich danke den Kollegen der CDU/CSU noch einmal, in der Hoffnung, daß sie dazu beitragen werden, daß der Bundesrat dieses Gesetz nicht verunstalten wird.Herr Präsident, ich möchte für das Sozialgesetzbuch noch einmal Thibaut, den großen Rechtswissenschaftler, zitieren, der sagte:Sehen wir nun ferner auf das Glück der Bürger, so kann es gar keinen Zweifel leiden, daß ein solches einfaches Gesetzbuch für ganz Deutschland die schönste Gabe des Himmels genannt zu werden verdiente. Schon die bloße Einheit wäre unschätzbar. Wenn auch eine politische Trennung stattfinden muß und soll, so sind doch die Deutschen hoch dabei interessiert, daß ein brüderlicher gleicher Sinn sie ewig verbinde.In diesem Sinne hoffe ich weiter auf die notwendige Zusammenarbeit beim Sozialgesetzbuch.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Wie konnte der Kollege Gansel in seinem Rücken den Präsidentenwechsel übersehen! Meine Damen und Herren! Auf den ersten Blick ist schwer zu erkennen, welche wichtige Neuregelung dieser Ge-
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Hölschersetzentwurf eigentlich enthält; denn es handelt sich ja nicht allein um einen weiteren Schritt, das gesamte Sozialrecht in einem Gesetzbuch zusammenzufassen. Art. II betrifft aus recht aktuellen Anlässen auch die Verbesserung der nahtlosen Verbindung von Leistungen der verschiedenen Sozialversicherungsträger. Vor allem aber sieht der Gesetzentwurf eine funktionsgerechte bereichsspezifische Regelung des Datenschutzes im Sozialbereich vor. Der Regierungsentwurf enthielt diese Regelungen nicht. Ich denke, es ist auch einmal gut für uns als Parlamentarier in unserem eigenen Selbstverständnis, daß wir diesen Bereich aus eigener Initiative in die Regierungsvorlage mit hineingebracht haben.Ich möchte mit den Verwaltungsverfahrensvorschriften beginnen. Die Erkenntnis, daß das geltende Sozialrecht unübersichtlich und schon für den Fachmann oft schwer verständlich ist, wird von allen geteilt. Das Sozialrecht besteht aus einer Fülle von Gesetzen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Rechtstechnik, die bisher nicht aufeinander abgestimmt werden konnten. Zu den Aufgaben eines freiheitlichen Sozialstaates gehört es aber, die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten und Hürden abzubauen.Der zentrale Punkt unserer Bemühungen war deshalb, das gesamte Sozialrecht in einem Gesetzbuch zusammenzufassen und damit auch gerade für den Bürger überschaubarer und verständlicher zu machen. Dies war ja nicht der erste Schritt. Wir haben vor der Kodifizierung der Verwaltungsverfahren ja schon einiges geregelt. Wir haben den Allgemeinen Teil im Jahre 1976 geregelt, und wir haben den Teil Gemeinsame Vorschriften 1977 verabschiedet.Die jetzt erreichte Regelung der Verwaltungsverfahrensvorschriften bereinigt das geltende Verfahrensrecht, modernisiert es, vereinfacht es und macht es soweit wie möglich einheitlich. Das ist für uns deshalb wichtig, weil wir mit dieser Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung zu einem besseren Rechtsverständnis des Bürgers beitragen. Wir verstärken letzten Endes die Rechtsstellung des Bürgers und machen unser Rechtssystem damit im Grunde genommen auch sicherer.In dem dem Gesetzentwurf angehängten Art. II wird vor allem die Nahtlosigkeit zwischen den Leistungen der Sozialversicherungsträger geregelt. In Zukunft wird es also hoffentlich nicht mehr vorkommen, daß z. B. ein Arbeitsloser einige Zeit kein Geld bekommt, weil er durch den Rost der Zuständigkeiten bzw. nicht zu klärenden Zuständigkeiten fällt. Arbeitslose werden in Zukunft bei Krankheit grundsätzlich sechs Wochen lang Arbeitslosengeld erhalten, ohne daß diese Zeit auf den Bezug angerechnet wird. Das scheint mir eine besonders wichtige Regelung zu sein.Ein anderer Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist der, daß Frauen vom 20. Lebensjahr an an Krebsvorsorgeuntersuchungen mit Mitteln der Krankenversicherung teilnehmen können. Damit wird nicht nur den Parteitagsbeschlüssen meiner eigenen Partei nachgekommen, sondern wir haben hier auch nach neuesten medizinischen Erkenntnissen gehandelt und ärztlichen Forderungen Rechnung getragen.Meine beiden Vorredner sind auf die anderen Regelungen im Zusammenhang mit Art. II — Nahtlosigkeit — eingegangen. Ich will mir deshalb aus Zeitgründen weitere Ausführungen ersparen.Aber ein besonders herausragender Teil des Sozialgesetzbuches sind eben die neuen Vorschriften über das Sozialgeheimnis. Gerade im Sozialbereich muß der Schutz des Bürgers vor einem Datenmißbrauch sichergestellt werden. Wo werden eigentlich sonst so viele persönliche, sensible Daten gesammelt, wo eigentlich, wenn nicht gerade im Bereich der Sozialleistungsträger, bei den Rentenversicherungen, bei den Krankenversicherungen, bei der Arbeitsverwaltung? In der Zeit vor der Einführung der Datenspeicherung war ein bereichsspezifischer Datenschutz kaum erforderlich, weil die Notwendigkeit des Aktenwälzens einen Mißbrauch einfach schon ausschloß, ihm jedenfalls natürliche Schranken setzte. Die moderne EDV hat aber nicht nur positive Folgen — eine bessere Dienstleistung —, sondern sie ermöglicht auch den bewußten oder unbewußten Mißbrauch mit persönlichen Daten schon allein auf Grund der modernen Technologie.Wir haben als Liberale deshalb schon bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs im September 1978 gefordert, die Vorlage durch schärfere Datenschutzregelungen für den Sozialleistungsbereich zu ergänzen. Dabei ging es im wesentlichen um einen Datenschutz auf zwei Ebenen: einmal auf der Ebene des internen Datenaustauschs zwischen den Sozialleistungsträgern und zum anderen um eine gesetzliche Regelung der Amtshilfe, also der Weitergabe personenbezogener Daten, die bei den Sozialleistungsträgern gespeichert sind, an staatliche Behörden.Sowohl beim internen Datenaustausch als auch bei der Amtshilfe halten wir die Weitergabe von Sozialdaten dann für unproblematisch, wenn der Betroffene selbst eingewilligt hat. Aber auch beim internen Datenaustausch, also bei der Weitergabe von Daten zwischen Betriebskrankenkasse und Rentenversicherung, Arbeitsverwaltung, kann nicht allein, wie der eine oder andere Sozialversicherungsträger meint, die Tatsache, daß er zu einem Sozialverband gehört, ausreichen, um x-beliebig Daten fließen zu lassen. Nein, wir haben in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich gesagt, auch im internen Datenaustausch dürften Daten nur weitergegeben werden, wenn dies im Rahmen der Erfüllung einer gesetzlichen. Aufgabe nach diesem Sozialgesetzbuch erfolge.Auch bei der Offenbarung im Rahmen der Amtshilfe haben wir festgelegt, daß sich Amtshilfe ihrem Wesen nach nur auf den Einzelfall beziehen darf und den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muß. Bei der allgemeinen Amtshilfe erstreckt sich die Offenbarung im auf den Einzelfall abgestellten Rahmen auf einige weniger empfindliche Sozialdaten, z. B. die jetzige Anschrift, den jetzigen Arbeitgeber. Dennoch kann auch hier schon ein Bruch des Sozialgeheimnisses vorliegen, nämlich dann, wenn die Anschrift zur Zeit eine psychia-
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Hölschertrische Landesanstalt ist. In solchen Fällen muß der persönliche Schutz Vorrang haben.Ich möchte auch auf eine Vorschrift hinweisen, wonach Daten im Wege der Amtshilfe nur übermittelt werden dürfen, wenn dies auf andere Weise nicht zu erreichen ist. Wir wollen nicht — ich möchte ein Beispiel nennen —, daß die Rentenversicherungen Ersatzeinwohnermeldeämter werden, nur weil die Einwohnermeldeämter nicht in der Lage sind, ihre Dateien so schnell auf dem laufenden zu halten. Dies kann nicht Aufgabe von Sozialversicherungsträgern sein. Der Versicherte gibt seine Daten zum Zwecke der sozialen Sicherung, aber nicht zu anderen Zwecken.Bei der Offenbarung für den Schutz der inneren und äußeren Sicherheit — hierzu hat Herr Kollege Gansel einiges Wichtige gesagt —, also beim präventiven Schutz im öffentlichen Interesse z. B. durch Nachrichtendienste und Verfassungsschutzämter, mußten wir einerseits bei der Katalogisierung der zu offenbarenden Daten etwas weiter gehen, beispielsweise auch den früheren Arbeitgeber und die frühere Anschrift nennbar machen. Wir haben aber andererseits ausdrücklich festgelegt, daß nur die Sozialdaten eines einzelnen Betroffenen offenbart werden dürfen. Unzulässig ist daher nach unserer Meinung, nach unseren Beschlüssen ganz bewußt ein Bandabgleich, also eine Rasterfahndung über einen größeren Personenkreis. Ich finde es, Herr Kollege Pohlmann, angesichts der wirklich erfolgreichen Zusammenarbeit beim Zustandekommen des Gesetzes, die Sie begrüßt haben, höchst bedauerlich, daß die Opposition ausgerechnet in diesem Punkt mit einem Antrag kommt, der die Rasterfahndung ermöglicht, also die persönlichsten Daten einer beliebigen Zahl von Menschen unter den Zugriff von Nachrichtendiensten stellt, ohne daß dies auf die Vorbeugung terroristischer Straftaten eingeschränkt würde. Darüber könnte man ja noch reden, obwohl ich persönlich Bedenken hätte und dem auch nicht zustimmen würde. Es ist aber nicht richtig zu sagen, dies solle der Abwendung von Gefahren durch terroristische Straftäter dienen. Dann hätten Sie Ihren Antrag anders formulieren müssen. In der letzten Konsequenz bedeutet dies — die Sache wird noch problematischer, weil Sie die Polizeidienststellen hineinbringen — die Schaffung der Möglichkeit, daß die Dateien der Sozialversicherungsträger auch für die letzten kleinen Polizeidienststellen geöffnet werden müssen. Ich weiß nicht, ob Sie diese Konsequenz tatsächlich so gesehen haben. Nach Ihrem Antrag muß man sie aber ziehen. Sie werden sicher Verständnis dafür haben, daß wir einer solchen Regelung auf keinen Fall zustimmen können.
— Herr Kollege Franke, wir sind uns doch hoffentlich darüber einig, daß nicht der Polizist aus dem Streifenwagen heraus über seinen kleinen Minicomputer bei der BfA anfragen kann, was mit diesem Mann in den letzten 20 Jahren los war. Das wäre jedoch die Konsequenz Ihres Antrags. Herr Kollege Pohlmann hat einen Antrag eingebracht, indem es sinngemäß heißt, daß das Landesrecht bestimmte Polizeibehörden bestimmen kann, die bei präventiven Maßnahmen auch Zugriff auf die Speicherung, auf die Dateien der Sozialversicherungsträger bekommen sollen. Wir halten es für höchst problematisch und — lassen Sie mich das politisch anfügen — für höchst seltsam, wie die Opposition hier mit dem Schutz der Privatsphäre umgeht, wenn man sich andererseits die Erklärung des ehrenwerten Kollegen Zink nach der Anhörung vergegenwärtigt, als er ausdrücklich sagte — ich darf das zitieren —:Angesichts der schwerwiegenden Gefahren des Mißbrauchs personenbezogener Daten durch die neuen, jeden Tag wachsenden Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung wird die CDU/CSU als Anwalt einer freiheitlichen Rechts- und Sozialordnung scharf darüber wachen, daß insbesondere Personen und Institutionen außerhalb der Sozialleistungsträger mit personenbezogenen Daten keinen Mißbrauch treiben können.Das haben Sie am 15. März 1979 gesagt. Ihr Antrag zu § 69 bewirkt aber genau das Gegenteil.
Deshalb sind das für uns Lippenbekenntnisse. Im praktischen Handeln tun Sie dann genau das andere.
Gerade weil der Datenfluß zwischen Sozialversicherungsträgern und Diensten so problematisch ist, gerade weil hier die Gefahr der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Lasten des Schutzes der Privatsphäre so groß ist, hielten wir es auch für erforderlich, daß die politische Verantwortung für die Datenübermittlung klar zum Ausdruck kommt. Wir haben daher, wie Sie wissen, eine Unterrichtungspflicht der obersten Landes- oder Bundesbehörde eingebaut, so daß der zuständige Minister regelmäßig feststellen kann, auch an Hand der Zahl der Nachfragen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.Soweit wir auf diesem Gebiet noch keine Erfahrungen haben, sind wir natürlich für aus den Erfahrungen zu ziehende Konsequenzen offen. Wir werden also nach einer geraumen Zeit die Auswirkungen dieses Gesetzes noch einmal prüfen müssen und hier und da möglicherweise zu Korrekturen kommen. Wir verkennen ja gar nicht, daß eine hochmoderne Verwaltung auch im Interesse der Versicherten leistungsfähig sein muß. Grundlage hierfür ist aber u. a. eine funktionsgerechte Datenverarbeitung und deren Nutzung. Gleichgewichtig ist aber — für uns jedenfalls — auch der Grundsatz: Jeder Bürger hat Anspruch darauf, daß seine Geheimnisse — nirgendwo werden so viel „Geheimnisse" gespeichert wie gerade im Sozialbereich —, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse sowie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von den Leistungsträgern gewahrt und
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Hölschernicht unbefugt offenbart werden. Das sind wir in einem freien Staat jedem Bürger schuldig.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der Ihnen zur Verabschiedung vorliegt, ist von großer praktischer Bedeutung. Er vereinigt die Regelung von grundsätzlichen Fragen mit der Lösung von aktuellen und dringenden sozialpolitischen Problemen. Er ist in ganz besonderem Maße das Ergebnis fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung während der fast zweijährigen intensiven Beratungen in den Ausschüssen. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes wird ein weiterer Schritt zur Schaffung des Sozialgesetzbuches getan. Langfristige Gesetzgebungsvorhaben kosten Kraft und Ausdauer. Ein stetiger Fortschritt ist aber, wie wir es heute abend wieder erleben, doch möglich. Es liegt im Interesse der Bürger, das Sozialrecht durch Neuordnung übersichtlicher zu machen. Immerhin werden Kernelemente unseres Sozialrechts im nächsten Jahr 100 Jahre alt.Schritt für Schritt wurde seitdem das soziale Netz erweitert, dem Wandel der Verhältnisse ständig angepaßt, seine Maschen wurden immer enger geknüpft. Doch der Wandel der Zeit hat die Konturen des Musters verwischt. Manchmal laufen die Fäden eng zusammen, und nur der Fachmann kann die Verknüpfung verfolgen. Das kann bei einem so langen Wirken an diesem schwierigen Gewebe nicht überraschen. Es gilt, Ordnung in das Netz hineinzubringen, ohne die Fäden zu beschädigen. Darin liegt die besondere Schwierigkeit, aber auch die besondere Bedeutung der Arbeiten am Sozialgesetzbuch. Gegenstand des vorliegenden Entwurfs ist das Verwaltungsverfahren im Bereich der Sozialleistungsträger. Es ist uneinheitlich und in verschiedenen Gesetzen ohne die notwendige Koordinierung geregelt. Der Entwurf schafft hier Abhilfe, indem er in 66 Paragraphen das Verwaltungsverfahren für den gesamten Sozialleistungsbereich zusammenfassend normiert. Die entsprechenden Vorschriften in den Einzelgesetzen werden aufgehoben.Schwerpunkte der gesetzlichen Regelungen sind der Widerruf und die Rücknahme von Verwaltungsakten: Der Entwurf schlägt vor, daß belastende rechtswidrige Bescheide für die Vergangenheit und die Zukunft aufzuheben sind. Begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte sollten dagegen in der Regel unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für die Vergangenheit aufrechterhalten bleiben. So werden Rückzahlungen einmal empfangener Leistungen mit alle den damit verbundenen Härten vermieden. Rückzahlungen soll es nur noch geben, wenn der Empfänger die Überzahlungen durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit selbst verschuldet hat. Wird ein Fehler bei einem begünstigenden Verwaltungsakt erst nach zwei Jahren bemerkt, dann kann er nach dem Entwurf in der Regel auch für die Zukunft nicht mehr zurückgenommen werden. Diese Vorschriften schaffen einen Ausgleich zwischen dem Schutz des Vertrauens des Bürgers in das Handeln der Leistungsträger und der Notwendigkeit, das Verwaltungshandeln mit dem geltenden materiellen Recht in Einklang zu bringen. Sie entsprechen der sozialen Verantwortung der Solidargemeinschaft gegenüber den einzelnen Leistungsempfängern.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einige weitere Beispiele nennen.Hat ein Berechtigter einen Antrag auf eine Sozialleistung gestellt und wird dieser abgewiesen und hat er in der Hoffnung auf einen positiven Bescheid versäumt, einen Antrag auf eine andere Leistung, die ihm zusteht, zu stellen, so soll der Berechtigte mit Wirkung für die Vergangenheit den zweiten Antrag stellen können.Der Entwurf sieht ferner vor, daß die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen muß, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Der Adressat einer Ermessensentscheidung soll in jedem Fall darüber informiert werden, welche Gründe für die Entscheidung maßgebend gewesen sind.Der Entwurf nimmt ferner die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf, wonach es nicht möglich ist, die unterlassene Anhörung eines Beteiligten im Prozeß selbst nachzuholen. Dies geschah mit Rücksicht auf das die Verwaltung verpflichtende Rechtsstaatsprinzip; denn das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren muß gegeben werden, wenn in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen werden soll.Der Entwurf leistet weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung bürokratischer Auswüchse. In Art. 2 wurden 210 Vorschriften ganz oder teilweise gestrichen, weil sie durch den vorliegenden Entwurf überflüssig werden. Das Dickicht der Sozialrechtsvorschriften wurde so auf einem wichtigen Gebiet beseitigt. Der Bürger findet jetzt die Vorschriften über das Verwaltungsverfahren an einer Stelle übersichtlich und einheitlich und kann sich dort orientieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Öffentlichkeit und in der Verwaltungspraxis hat der Datenschutz zunehmende Aufmerksamkeit gewonnen. Die Bundesregierung mißt dem Datenschutz einen hohen Stellenwert bei, wie die Initiative zur Schaffung des Bundesdatenschutzgesetzes zeigt. Bei seiner Verabschiedung wurde unterstrichen, daß Ergänzungen in besonderen Bereichen notwendig seien. Für die Sozialdaten wird eine solche bereichsbezogene Regelung im Zweiten Kapitel des vorliegenden Entwurfs geschaffen. Dieses Kapitel beruht auf einer Initiative der Koalitionsfraktionen. Der Datenschutz soll auf alle Daten, die bei den Sozialleistungsträgern gespeichert sind, erstreckt werden. Die Grundnorm für den Sozialdatenschutz — § 35 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches — wurde neu gefaßt. Im Zweiten Kapitel des Zehnten Buches wird genau und konkret geregelt, in welchen
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Parl. Staatssekretär BuschfortFällen Sozialdaten von einem Träger an einen anderen, an Gerichte, an Behörden außerhalb des Sozialleistungsbereichs oder im Falle der Unterhaltsverletzung auch an Privatpersonen gegeben werden dürfen. Eine Vorschrift für den besonderen Schutz medizinischer und anderer sensibler Daten schränkt deren Weitergabe ganz erheblich ein.Bei der Ausarbeitung der Vorschriften galt es, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Versicherten und Leistungsempfänger an der Geheimhaltung ihrer persönlichen Daten einerseits und der Notwendigkeit einer störungsfreien Zusammenarbeit zwischen den Leistungsträgern untereinander und mit anderen Stellen andererseits zu finden. Eine Blockierung notwendiger Daten könnte das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialverwaltung und damit die Leistungserbringung empfindlich stö- ren. Maßstab für die Freigabe von Sozialdaten ist stets die Unverzichtbarkeit der Daten für den Empfänger zur Erfüllung seiner Aufgaben.Generalklauseln sind dabei weitgehend vermieden worden. Der Entwurf stellt soweit wie möglich konkrete Abwägungen an, die den Bürgern und den Verwaltungen sagen, wann eine Mitteilung von Sozialdaten zulässig ist und in welchen Fällen die Schranken des Sozialdatenschutzes bestehen. Die Vorschriften des Zweiten Kapitels bauen also den Rechtsschutz für die Sozialdaten weiter aus und beschränken den Datenfluß im Sozialleistungsbereich auf das funktional Notwendige. — Natürlich werden die Diskussionen um den Schutz der Sozialdaten mit diesem Gesetz nicht beendet sein; wir werden diese Diskussionen weiterhin aufmerksam, kritisch und lernbereit verfolgen.Meine Damen und Herren, auch eine Reihe von dringenden sozialpolitischen Problemen ist im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf gelöst worden. Dies gilt vor allem für die Herstellung der Nahtlosigkeit zwischen den Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und denen nach der Reichsversicherungsordnung. Die Bundesanstalt für Arbeit und der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger haben im Februar mit Unterstützung der Bundesregierung ein Abkommen geschlossen, das Doppeluntersuchungen — und ich will hinzufügen: das Hin- und Herschieben von Arbeitnehmern — vermeiden soll. Jetzt gilt es, diese Vereinbarung durch die Arbeitsverwaltung und die Versicherungsträger mit Leben zu erfüllen.Der vorliegende Gesetzentwurf schafft darüber hinaus Regelungen zur Beseitigung bisher bestehender Schwierigkeiten. Arbeitslose, die leistungsgemindert sind und keine Vollzeitbeschäftigung ausüben können, erhalten jetzt Leistungen auf der Grundlage der Arbeitszeit, die für das letzte Beschäftigungsverhältnis maßgebend war. Die Leistungsminderung während der Arbeitslosigkeit wird bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes also nicht mehr zugrunde gelegt. Die für das Arbeitslosengeld getroffenen Regelungen sollen künftig auch für die Arbeitslosenhilfe gelten.Die Bezieher von Arbeitslosengeld und anderen Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz erhalten bisher im Krankheitsfalle Krankengeld von ihrer Krankenkasse. Die entsprechenden Leistungen des Arbeitsamtes werden für diese Zeit eingestellt. Dieser Wechsel des Trägers führte vor allem bei kurzfristigen Erkrankungen sowohl für den Empfänger der Leistungen als auch für die Träger zu Schwierigkeiten. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, daß auch im Krankheitsfall die Leistungen vom Arbeitsamt fortgezahlt werden sollen, und zwar grundsätzlich bis zu sechs Wochen. In dieser Zeit soll der Anspruch auf Kranken- oder Übergangsgeld ruhen.Diese Vorschriften zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsträgern werden viele soziale Härten mildern und in zahlreichen Fällen die Situation der betroffenen Menschen erheblich verbessern. Gleichzeitig werden in demselben Gesetzentwurf durch die schon erwähnten Bereinigungen von Vorschriften überflüssige bürokratische Zöpfe abgeschnitten.Im Bereich der Krankenversicherung wurde die Altersgrenze für Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs bei Frauen von 30 auf 20 Jahre herabgesetzt. Das entspricht einer von verschiedenen Seiten bereits seit längerem erhobenen Forderung. Wissenschaftliche Untersuchungen haben nämlich ergeben, daß die Zahl der bei Frauen unter dreißig Jahren beobachteten Krebserkrankungen höher ist, als bisher vermutet wurde.Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf verwirklicht zwei wichtige Ziele: mehr Übersichtlichkeit im Verwaltungsverfahrensrecht und wesentliche Verbesserungen im Netz der sozialen Sicherheit. Ein weiterer Schritt zur Verwirklichung des Sozialgesetzbuches ist in Vorbereitung: Der Gesetzentwurf über die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihrer Beziehungen zu Dritten ist nach mehrjährigen Vorarbeiten so weit ausgearbeitet, daß er in Kürze dem Kabinett zugeleitet werden kann. Er wird das dritte Kapitel des Zehnten Buches bilden. Mit seiner Verabschiedung ist der Rahmen des Sozialgesetzbuches fertiggestellt, nämlich das Erste und Zehnte Buch und die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung. In diesen Rahmen kann das materielle Sozialrecht eingeordnet werden.Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, auch in Zukunft die Arbeiten am Sozialgesetzbuch mit so viel Anteilnahme zu fördern, wie Sie es bei dem vorliegenden Entwurf getan haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. I §§ 1 bis 68 in der Ausschußfassung auf. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen. Ich rufe Art. I § 69 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4041 ein Änderungsantrag der Fraktion der
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Vizepräsident Frau RengerCDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer Art. I § 69 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 69 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. I §§ 70 bis 82 und Art. II §§ 1 und 2 Nr. 1 bis 10 d in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4042 unter Buchstabe a auf. Es wird beantragt, in Art. II O 2 nach der Nr. 10 d die Nr. 10 e bis 10 g einzufügen. Wer dem Änderungsantrag der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. II § 2 Nr. 11 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Das ist so angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4042 unter Buchstabe b auf. Es wird beantragt, in Art. II § 2 nach der Nr. 11 eine Nr. 11 a einzufügen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. II § 2 Nr. 13 sowie §§ 3 und 4 Nr. 1 bis 6 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses ist angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4043 auf. Es wird beantragt, in Art. II § 4 nach Nr. 6 die neuen Nr. 6 a bis 6 f einzufügen und die bisherigen Nr. 6 a bis 6 d danach anzufügen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. II § 4 Nr. 6 a bis 6 d und die Nr. 7 bis15 a in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? - Das ist so angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4044 auf. Es wird beantragt, in Art. II § 4 nach Nr. 15 eine Nr. 15 a einzufügen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe!— Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. II § 4 Nr. 15 b, 16 und 17 sowie § 5 und § 6 Nr. 1 bis 3 a in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/4045 auf. Darin wird beantragt, in Art. II § 6 nach Nr. 3 a eine Nr. 3 a 1 einzufügen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! = Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. II § 6 Nr. 3 b und 4, die §§ 7 bis 35 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Beratung einstimmig angenommen.Wir haben noch über weitere Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4022 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Unter Ziffer 3 empfiehlt der Ausschuß, die eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes— Drucksache 8/3664 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4089 —Berichterstatter:Abgeordneter Hauser
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache 8/4029 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerstl Löher
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 3
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17600 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Vizepräsident Frau Rengersowie Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird hier das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes— Drucksache 8/3750 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4097 —Berichterstatter:Abgeordneter Hauser
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache 8/4030 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerstl de Terra
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Auch in der Aussprache wird das Wort nicht begehrt.Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. i bis 10 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Auch hier wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist in dritter Beratung einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen— Drucksache 8/1812 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/3554 —Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordenter Dr. Hammans.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen wurde in dieser Legislaturperiode erstmals am 19. Oktober 1978 im Deutschen Bundestag beraten. Dieser Gesetzentwurf unterschied sich nur unwesentlich von demjenigen, der am 1. Juli 1976 in der 256. Sitzung, also am Ende der vorigen Legislaturperiode, mit den Stimmen der Koalitionsparteien gegen die der Opposition angenommen wurde, dem aber die Zustimmung des Bundesrates schließlich versagt blieb.In der nichtöffentlichen Anhörung zu diesem Gesetzentwurf in der 44. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit am 12. Februar 1979 haben Hochschullehrer als berufene Sachverständige, Vertreter der betroffenen Verbände, Institutionen und Interessengruppen sowie Auskunftspersonen im Rahmen ihrer Zuständigkeit Stellung genommen bzw. Fragen beantwortet. Die Aussagen dieser Anhörung haben in entscheidendem Maße zur Meinungsbildung beigetragen.Bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs gingen die Auffassungen der Fraktionen noch weit auseinander. Während die Regierungskoalition den Gesetzentwurf — wenn auch teilweise mit Einschränkungen - begrüßte, wurden von mir für die CDU/CSU-Fraktion grundsätzliche und sachliche Bedenken vorgetragen. Im Verlauf der Beratungen ist es gelungen, die unterschiedlichen Ausgangspunkte und auseinanderstrebenden Auffassungen in eine Form zu bringen, die die Belange der von diesem Gesetz Betroffenen weitgehend berücksichtigt, ohne die Zielsetzung in ihren Grundelementen zu verlassen.Allen Beteiligten ist klargeworden, daß die diffizile Materie der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung keine Experimente verträgt und daß weitreichende Neuordnungen, wie sie der Gesetzentwurf für das Apothekenwesen beinhaltete, im Grundsätzlichen jedenfalls nicht ohne zwingende Notwendigkeit und gegen den Willen und zum Schaden der Betroffenen zustande kommen sollen.
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Dr. HammansEine Ausnahme hiervon gilt nur für die sogenannten Versandapotheken, die in Zukunft im Interesse der Arzneimittelsicherheit mit finanziellen Einbußen zu rechnen haben. Dies wird sich - ich werde später darauf noch zurückkommen — zugunsten der jeweiligen regionalen öffentlichen Apotheken auswirken.Durch die in diesem Gesetzentwurf verankerte räumliche Begrenzung des Versorgungsbereiches wird die Belieferung mit Arzneimitteln über große Entfernungen, wie dies durch die sogenannten „Krankenhäuser versorgenden Apotheken' in zunehmendem Maße erfolgte, unterbunden.In der ersten Lesung habe ich Bedenken hinsichtlich der regionalen Begrenzung des Versorgungsumfanges einer Apotheke oder Krankenhausapotheke geäußert, die Krankenhäuser ohne eigene Vollapotheke mit Arzneimitteln versorgt Ich habe auf die Gefahren bei unmittelbarer Belieferung von Stationen im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit aufmerksam gemacht und die Forderung auf Einrichtung eines zentralen Arzneimittellagers mit Fachpersonal im Sinne der Apothekenbetriebsordnung erhoben, ja sogar vorgeschlagen, einen Apotheker als Fachberater einzustellen. Die bei der Anhörung durch den Leiter einer Krankenhausapotheke vorgeführten Bilder haben in erschreckendem Maße veranschaulicht, wie es um die Aufbewahrung von Arzneimitteln auf Stationen aussieht, wenn diese nicht der laufenden Kontrolle durch die versorgende Apotheke unterliegen.Nach dem derzeitigen Wortlaut des Gesetzentwurfs haben Krankenhausapotheken und öffentliche Apotheken gleichermaßen schriftliche Verträge mit den zu versorgenden Krankenhäusern zu schließen, die zur Rechtswirksamkeit der Genehmigung der zuständigen Behörde bedürfen. Vertragsinhalt ist, daß das betreffende Krankenhaus nicht nur zu „beliefern", sondern zu „versorgen" ist. Dies schließt die Verpflichtung ein, daß Arzneimittel in der benötigten Menge und in einwandfreiem Zustand an Teileinheiten abgegeben werden, in denen diese eigenverantwortlich von der zu versorgenden Apotheke regelmäßig auf ihre Beschaffenheit und ordnungsgemäße Aufbewahrung überwacht und überprüft werden. Hierbei ist auch die laufende Beratung der Ärzte und des Hilfspersonals eingeschlossen.Bei den Ausschußberatungen wurde bezweifelt, daß bei Belieferung mit Arzneimitteln auf große Entfernung alle unter dem Begriff „Versorgung" zu verstehenden Aufgaben eigenverantwortlich durch die versorgende Apotheke vorschriftsmäßig wahrgenommen werden können. Deshalb hat der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit die regionale Begrenzung des Arzneimittel-Versorgungsbereiches für Krankenanstalten ohne eigene Vollapotheke beschlossen. Damit wurden meine ursprünglichen Zweifel am Sinn und an der Notwendigkeit der in § 14 Abs. 5 geregelten regionalen Begrenzung des Versorgungsumfanges entkräftet.Was jedoch meine Ausführungen in der ersten Lesung zu der von der Bundesregierung mit der Erweiterung des Versorgungsauftrages der Krankenhausapotheken erwarteten Kostensenkung betrifft, so stehe ich nach wie vor zu meiner damaligen Aussage, daß sie einen Mehraufwand an Betriebsräumen, Fachpersonal und Kosten für eine erweiterte Lagerhaltung zur Folge haben wird, wenn sie weitere Krankenhäuser beliefern wollen. Aus diesem Grunde ist auch nicht zu erwarten, daß sich nach Verabschiedung des Gesetzes viele Krankenhäuser um eine Ausweitung ihres Versorgungsbereiches bemühen werden. Dies hat auch die Arbeitsgemeinschaft der Krankenhausapotheker bei ihrer Hauptversammlung in Fulda 1979 erklärt. Die Ausweitung des Wirkungskreises von Krankenhausapotheken darf nicht dazu führen, daß diese in weit größerem Umfang als bisher fremde Krankenhäuser versorgen. Vielmehr gehen wir davon aus, daß die Versorgung eines Krankenhauses, das keine eigene Apotheke besitzt, in erster Linie Aufgabe der öffentlichen Apotheke ist.Sollte sich jedoch als Folge dieses Gesetzes entgegen meinen bereits vorgetragenen Erwartungen eine Entwicklung im Sinne einer mit hohen Investitions- und Personalkosten verbundenen Ausweitung des Versorgungsauftrags von Krankenhausapotheken um jeden Preis, d. h. ohne Rücksicht auf damit verbundene Investitions- und Personalkosten, abzeichnen, dann müssen wir uns erneut mit diesem Gesetz beschäftigen.Die öffentliche Apotheke wird von der Erweiterung des Versorgungsauftrages mit allen gesetzlichen Auflagen und dargestellten Konsequenzen weniger negativ betroffen werden, als dies durch die Belieferung von Krankenhäusern durch eine relativ kleine, aber vom Umsatz her gesehen finanziell potente Gruppe von Versandapotheken erfolgt ist und weiterhin erfolgen würde.Nach Inkrafttreten dieses Gesetzes werden viele öffentliche Apotheken in die Lage versetzt werden, nach Erfüllung der gesetzlich geregelten Erfordernisse die Krankenhäuser und Einrichtungen gemäß § 14 Abs. 6 mit Arzneimitteln zu versorgen, aus denen sie durch erhebliche Preisunterbietungen seitens der Versandapotheken verdrängt worden sind.Besonders wichtig erscheint mir an dieser Stelle der Hinweis, daß Kur- und Spezialeinrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 6 keine Anstaltsapotheke errichten können.Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, daß Krankenhäusern hinsichtlich •der Arzneimittelversorgung nur solche Einrichtungen gleichgestellt sind, die im Hinblick auf die Arzneimittelversorgung ihrer Patienten vergleichbare Strukturen wie Krankenhäuser aufweisen. Zugleich wird klargestellt, daß die Belieferung von Einzelrezepten auch in Zukunft ausschließlich in die Kompetenz der öffentlichen Apotheke fällt. Krankenhausapotheken sind darauf beschränkt, Krankenhäuser zu versorgen, und nicht dazu bestimmt, im Hinblick auf den einzelnen Patienten mit öffentlichen Apotheken in Konkurrenz zu treten.Was den umstrittenen Praxisbedarf betrifft, so ist er nun als Arzneimittel klar definiert, das unmittel-Dr. Hammansbar in der Praxis am Patienten zur Anwendung kommt.Zugleich wurde die Ermächtigung zum Erlaß einer Apothekenbetriebsordnung neugefaßt. Damit soll dem Bundesminister als Verordnungsgeber Gelegenheit gegeben werden, die konkreten Strukturen sowohl der öffentlichen Apotheke als auch der Krankenhausapotheke dem Versorgungsauftrag mit allen Konsequenzen besser anzupassen, als es bislang möglich war. Der Erlaß einer einheitlichen Apothekenbetriebsordnung gewährleistet zugleich hinreichend, soweit dies sachlich erforderlich ist, für öffentliche Apotheken und Krankenhausapotheken unterschiedliche Regelungen und Anforderungen niederzulegen. Ausdrücklich möchte ich aber an dieser Stelle davor warnen, daß z. B. durch übertriebene räumliche Forderungen in der Apothekenbetriebsordnung die Belieferung eines Krankenhauses durch eine öffentliche Apotheke unmöglich gemacht wird.Der Gesetzentwurf hält unverändert an der Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers aus dem Jahre 1960 fest, daß die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, soweit sie nicht für Krankenhauspatienten durch Krankenhausapotheken wahrgenommen wird, durch privatwirtschaftlich betriebene Apotheken erfolgt, die im ausschließlichen Eigenturn des Apothekers stehen, der sie innehat. Zugleich verbietet das Gesetz, daß ein Apotheker mehrere Apotheken besitzt oder betreibt.In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß dieser Grundsatz auch bei Beachtung der geltenden Vorschriften im wirtschaftlichen Ergebnis ausgehöhlt wurde. Die vom Apothekengesetz bisher nicht ausgeschlossene Möglichkeit, sich im Wege von Umsatzmieten, stillen Gesellschaften und ähnlichen Vereinbarungen an einer Apotheke wirtschaftlich zu beteiligen, so daß die Inhaber vielfach nur noch als Strohmänner die Apotheke leiten, wurde in einigen Fällen praktiziert. Hinzu kam, daß die Behörden keine rechtliche Möglichkeit sahen, das Vorliegen solcher Verträge und ihren Inhalt zu prüfen und gegebenfalls aufsichtliche Maßnahmen einzuleiten. Alle Fraktionen haben es für erforderlich gehalten, das Gesetz um entsprechende Verbote zu ergänzen, damit sich Apothekeninhaber künftig nicht an weiteren Betrieben beteiligen. Das gilt auch für andere Berufsgruppen und Branchen. Für Vertragsverhältnisse, die nach bislang geltendem Recht wirksam zustande gekommen sind, wurden großzügige Übergangsfristen vorgesehen.Es wird entscheidend darauf ankommen, daß die Landesbehörden die ihnen in verstärktem Maße eingeräumten Kompetenzen wahrnehmen und Mißbräuchen auf diesem Gebiet intensiv und nachhaltig begegnen. Die Lex Hamburg wurde mit einbezogen.Kollege Jaunich hat in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes die Frage aufgeworfen, ob nicht in Anlehnung an die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes in das Gesetz eine Vorschrift aufgenommen werden sollte, wonach zur selbstverantwortlichen Leitung einer Apotheke, auch einer Krankenhausapotheke, eine mindestens zweijährige Tätigkeit nach der Approbation zu erbringen sei. Der Ausschuß ist übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, daß die Ausbildungszeit für Apotheker kaum Zeit läßt für eine Vermittlung von Wissen und Erfahrungen, die erforderlich sind, um einen Apo- thekenbetrieb nicht nur unter fachlich-pharmazeutischen, sondern auch unter wirtschaftlich-unternehmerischen Gesichtspunkten verantwortlich leiten zu können. Es handelt sich hierbei um Kenntnisse, die aus gutem Grund nicht umfassend im Rahmen der Apothekerausbildung vermittelt werden, weil sie auch nicht für alle Berufsrichtungen, die dem Apotheker nach der Approbation offenstehen, in Betracht kommen.Parallele Überlegungen gibt es interessanterweise auch bei den Medizinern, die eine praktische Tätigkeit nach der Approbation vor einer Niederlassung als Arzt fordern.Leider wird diese Regelung durch den vorliegenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen wieder entfallen. Ich appelliere aber schon jetzt an den 9. Deutschen Bundestag, die zweijährige praktische pharmazeutische Tätigkeit vor Eröffnung einer Apotheke oder vor der Übernahme der Leitung einer Krankenhausapotheke neu zu überdenken und, wenn möglich, rechtlich zu verankern. So verstehe ich auch den letzten Satz in der Drucksache 8/4112, die Ihnen vorliegt, der lautet:Mit vorliegendem Änderungsantrag soll die Diskussion hierüber nicht beendet sein.Meine Damen und Herren, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß anfangs der Beratungen kontroverse Auffassungen zwischen den Koalitionsfraktionen einerseits und der CDU/CSU-Fraktion andererseits bestanden. Ich freue mich, für die CDU/CSU- Fraktion hier feststellen zu können, daß es im Laufe der Diskussion gelungen ist, zu gemeinsamen Auffassungen zu kommen.Schon in der letzten Legislaturperiode gab es harte Diskussionen über die Frage, ob dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedürfe. In der nun vorliegenden Fassung wird dies eindeutig bejaht. Wir erwarten nun auch seine, die Zustimmung des Bundesrates.Lassen Sie mich schließen: Ausdrücklich erkläre ich für die CDU/CSU, daß mit dieser Novellierung die äußerste Grenze des ordnungspolitisch Erträglichen erreicht ist. Der Damm, der uns von einer systemwidrigen Veränderung trennt, ist nur noch hauchdünn. Die vom Gesetz Betroffenen und der Verordnungsgeber sollten diese Gefahr in der Alltagspraxis im Auge behalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem der Theaterdonner, der hier bei der ersten Lesung aufgeführt worden ist, verrauscht ist, haben wir die Beratungen dieses Gesetzentwurfes in Ruhe und Sachlichkeit, so wie das in unserem Ausschuß üblich ist, zu Ende ge-
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Jaunichführt. Auch die Äußerungen, die der Kollege Hammans hier eben getan hat, zeichnen sich durch Ruhe und Ausgewogenheit aus. Es ist wohltuend, diesen Unterschied zwischen dem zu spüren, was hier in der ersten Lesung ausgeführt wurde, und dem, was heute von der Union dazu gesagt wurde. Ich tue Ihnen den Tort nicht an, Sie hier aus Ihren Reden in der ersten Lesung zu zitieren; weder Sie noch Frau Schleicher.
— Mich können Sie hier Wort für Wort zitieren. Dagegen hätte ich überhaupt nichts. — Aber mit „Theaterdonner ist das, was Sie damals ausgeführt haben, sicherlich zutreffend umschrieben. Nun, dies ist vorbei, und ich kann meine Ausführungen relativ kurz fassen, da Sie, Herr Dr. Hammans, den Inhalt dessen, was nunmehr nach unseren Vorstellungen in das Bundesgesetzblatt hineinkommen soll, recht zutreffend beschrieben haben.Lassen Sie mich aber sagen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der nunmehr zur Verabschiedung ansteht, begrüßt. Die Gesetzesänderung verfolgt vorrangig zwei Ziele, nämlich erstens eine bessere Arzneimittelversorgung für Krankenhäuser und zweitens eine höhere Arzneimittelsicherheit. Beide Ziele, die aus gesundheitspolitischer Sicht begrüßenswert sind, werden erreicht, ohne daß dadurch Kostensteigerungen eintreten. Im Gegenteil, die Realisierung dieses Entwurfs kann zu einer Senkung der Kosten für Arzneimittel bei den Krankenhäusern führen. Dies möchte ich ausdrücklich festhalten.Das heute gültige Apothekengesetz aus dem Jahre 1960, welches wir nunmehr ändern, läßt nur zu, daß eine Krankenhausapotheke die Krankenhäuser desselben Trägers innerhalb eines abgegrenzten Bereichs mit Arzneimitteln beliefert. Diese Einschränkung soll nunmehr wegfallen. Die Krankenhausapotheken sollen in gewissem Umfang auch Krankenhäuser anderer Träger mit Arzneimitteln versorgen dürfen. Hiermit wird den Krankenhäusern die Möglichkeit eröffnet, ihre Arzneimittelversorgung wahlweise durch eine Krankenhausapotheke oder eine öffentliche Apotheke sicherstellen zu lassen.Im Rahmen der Beratungen zu diesem Gesetz hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion an dem Ziel, die Arzneimittelsicherheit im Krankenhaus zu verbessern, unverbrüchlich festgehalten, auch wenn und nachdem die Arbeitsgemeinschaft Krankenhäuser versorgender Apotheken lautstark Protest geäußert hat, weil sie, nicht zu Unrecht, Umsatzeinbußen erwartet. Aber das durchgängige Prinzip dieser Modelle war ja: weg von einer reinen Belieferung mit Arzneimitteln für Krankenhäuser hin zu einer Versorgung. Diese neue Funktions- und Aufgabenstellung macht es natürlich nötig, daß wir nicht zulassen, daß Arzneimittel nur angeliefert werden — möglicherweise quer durch die Bundesrepublik hindurch —, sondern daß derjenige der ein Krankenhaus mit Arzneimitteln beliefert, auch zuständig und verantwortlich dafür ist, daß diese Arzneimittel in gutem, unbeschädigtem Zustand bis an den Patienten gelangen. Das ist eine Veränderung des Auftrags von reiner Belieferung hin zu einer entsprechenden Versorgung.Die von mir soeben schon genannte Arbeitsgemeinschaft hat Kosten nicht gescheut, sich zu Wort zu melden. Das ist völlig legitim. Nur, uns als Gesetzgeber kann das nicht berühren. Wir wissen, daß es sich um eine kleine Zahl von Unternehmen handelt, die man als „Apotheken" in dem Sinne ja wohl kaum noch bezeichnen kann; denn das sind in der Tat Unternehmen, die Riesenumsätze haben. Daß die daran interessiert waren und sind, daß alles so bleibt, wie es war, ist verständlich, kann aber unsere Zustimmung nicht finden. Die Argumentation, die von dieser Vereinigung in die Öffentlichkeit gesetzt worden ist, ist nicht zutreffend. Die ganzen Kostenschätzungen, die da errechnet worden sind, entbehren jeglicher Grundlage. Denn niemand von uns zwingt irgendein Krankenhaus, eine eigene Krankenhausapotheke zu eröffnen. Wenn also diese Versandunternehmen nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß zum Zuge kommen können, weil wir deren regionalen Bereich eingrenzen, dann wird an ihre Stelle eine Vielzahl von bodenständigen Apotheken treten, die die Versorgungsfunktion übernehmen werden und auch übernehmen können, weil die Ortsnähe garantiert, daß der pflegliche Umgang mit Arzneimitteln sichergestellt ist. Die Arzneimittelsicherheit wird also durch diese Maßnahme, aber auch durch den Wegfall der Dispensieranstalten und durch Übernahme dieser Bestimmungen für den Bereich der Bundeswehr insgesamt erhöht. Wir begrüßen das.Um sicherzustellen, daß auch künftig Apotheken nur von fachlich qualifizierten und unabhängigen Apothekern geleitet werden, ist es erforderlich, Fehlentwicklungen im Apothekenwesen zu korrigieren. Weil sich durch gesellschafts-, miet- und darlehensrechtliche Absprachen Außenstehende in einem nicht zu vertretenden Umfang Beteiligungen am Umsatz oder Gewinn von Apotheken und teilweise sogar Einfluß auf die Betriebsführung verschafft haben, müssen nach unseren Vorstellungen die stille Gesellschaft oder ähnliche Beteiligungen verboten werden.Mit der Verabschiedung dieses Entwurfs und damit der Erweiterung der Ermächtigung der Bundesregierung für den Erlaß der Apothekenbetriebsordnung wird es möglich sein, die von der Weltgesundheitsorganisation aufgestellten Grundsätze für die Herstellung von Arzneimitteln auch für die Krankenhausapotheken in die Praxis umzusetzen.Der Herr Kollege Hammans hat eben sein Bedauern darüber ausgedrückt, daß wir das, was der Ausschuß auf Grund meiner Anregung in der ersten Lesung hinsichtlich der Zweijahresfrist beschlossen hat, mit unserem Änderungsantrag wieder zurücknehmen wollen. Sie haben völlig recht, wenn Sie dazu auf den letzten Satz der Begründung verweisen, daß die Diskussion darüber aus unserer Sicht nicht beendet ist. Aber richtig ist, daß es eine Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken gegeben hat,
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Jaunichdie nach unserer Beschlußfassung im Ausschuß aufgetreten sind. Diese Bestimmung war ja nicht Inhalt der Regierungsvorlage. Insofern ist es verständlich, daß Bedenken erst später geltend gemacht werden.Wir wollten nicht dieses Risiko eingehen, hier eine Bestimmung zu verabschieden, von der man hinterher durch Gerichtsbeschluß feststellt, sie sei mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen.Darüber hinaus gibt und gab es aber auch Einwände der Bildungspolitiker, die z. B. darauf hinausliefen, daß sie sagten: Gibt es eine Gewähr dafür, daß wir für die zweijährige Beschäftigung in einer Apotheke auch entsprechende Plätze zur Verfügung haben, oder gibt es hier einen neuen Numerus clausus?All dies sind Probleme, die wir in unseren Beratungen nicht so erörtern konnten, weil sie nachträglich aufgetreten sind. Deswegen legen die Koalitionsfraktionen hiermit diesen Änderungsantrag vor, dies zunächst wieder herauszuoperieren. Aber wir betonen: Die Diskussion darüber ist nicht beendet.Herr Dr. Hammans, eines ist Ihnen entgangen: daß es neben dem roten auch noch einen grünen Zettel mit dem Entwurf einer Entschließung — Drucksache 8/4113 — gibt. In dieser Entschließung fordern die Koalitonsfraktionen die Bundesregierung auf, in der 9. Legislaturperiode zu überprüfen, ob die praktische Ausbildung auf Grund der Approbationsordnung für Apotheker nach Inhalt und Umfang ausreichend ist, um auch bereits nach Approbationserteilung eine öffentliche Apotheke selbständig leiten zu können, und gegebenenfalls den gesetzgebenden Körperschaften einen den Mangel beseitigenden Entwurf einer Änderung der Bundesapothekerordnung vorzulegen. Wir werden es also nicht wieder im Apothekengesetz machen; dorthin gehörte es systematisch ohnehin nicht. Wir werden uns also in der 9. Legislaturperiode mit der Bundesapothekerordnung zu beschäftigen haben, und zwar auch noch aus einem anderen Grund. Dieses Thema berührt uns ohnehin.Sobald das Ergebnis dieses Auftrags, den wir der Bundesregierung hiermit übermitteln, vorliegt, werden wir die geeigneten gesetzgeberischen Schritte auf diesem Wege einleiten.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir haben lange Beratungen geführt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Apothekerschaft kann mit den Ergebnissen dessen, was wir hier erarbeitet haben, leben und zufrieden sein. Die Interessen der Krankenhäuser sind in gebührender Weise berücksichtigt.Kurzum: Wir begrüßen es, daß wir heute zu einer Verabschiedung kommen können. Wir erwarten, daß auch der Bundesrat diesem Gesetzentwurf seine Zustimmung gibt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die schicksalsträchtige Zahl 1812, die bei der ersten Lesung eine gewisse Rolle gespielt hat, ist nicht schicksalsträchtig im Sinne der untergehenden Marseillaise bei Tschaikowskys Ouvertüre „1812" geworden, sondern die Zahl hat sich insofern wesentlich verbessert, als wir heute übereinstimmend dieses Gesetz verabschieden können.Ich habe bei der ersten Beratung des Entwurfs im Oktober 1978 an dieser Stelle auf die ordnungspolitische Bedeutung der vorliegenden Novelle hingewiesen; ich wiederhole es. Es geht letztlich um Erhaltung und Ausbau eines freiheitlichen Systems der Arzneimittelversorgung unserer Bevölkerung. Es geht um eine neue Abgrenzung der Versorgung mit Medikamenten durch die öffentlichen Apotheken und durch die Krankenhäuser. Es geht somit auch um Weichenstellungen zugunsten oder zu Lasten freiberuflicher Tätigkeit des Apothekers und um das Ausmaß, in dem die Institution Krankenhaus Aufgaben der Arzneimittelversorgung neben den öffentlichen Apotheken übernehmen soll.Wir wollen ja an dem Grundsatz, daß die Arzneimittelversorgung im ambulanten Bereich über die Apotheken zu erfolgen hat, nicht rütteln. Nur soweit Krankenhäuser für ihre Aufgaben der stationären und teilstationären Behandlung Arzneimittel benötigen, erscheint die Einschaltung der Krankenhäuser in die Arzneimittelversorgung erforderlich und gerechtfertigt.Zur Verwirklichung dieser Grundsätze konnten wir bei den Ausschußberatungen erfreuliche Verbesserungen der Regierungsvorlage erzielen. Ich nenne: In dem besonders umstrittenen § 14 des Entwurfs ist nun ausdrücklich vorgeschrieben, daß außer den im Krankenhaus Beschäftigten nur Personen versorgt werden dürfen, die in das Krankenhaus stationär oder teilstationär aufgenommen worden sind. Aus derselben Vorschrift haben wir konsequenterweise die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit gestrichen, im Krankenhaus Arzneimittel auch an ambulante Patienten abzugeben; jener Punkt, an dem die Novelle vor vier Jahren letztendlich im Vermittlungsausschuß gescheitert ist.Schließlich wurden die Pflegeheime wieder gestrichen, die Krankenhäusern gleichgestellt sein sollten. Bei den im Gesetz belassenen Kur- und Spezialeinrichtungen haben wir ausgeschlossen, daß diese selbst eine Apotheke betreiben können. Sie dürfen zwar von einem Krankenhaus beliefert werden, aber nicht selbst an andere liefern. Auf diese Weise, glauben wir, vermieden zu haben, den Krankenhäusern und den ihnen gleichgestellten Einrichtungen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu Lasten der öffentlichen Apotheken zu verschaffen. Das wäre im Interesse einer flächendeckenden, bürgernahen und reichhaltigen Arzneimittelversorgung durch ein Netz von Apotheken nicht zu verantworten gewesen.Aber wir müssen die Entwicklung sorgsam beachten. Sollten die Krankenhäuser das Belieferungsrecht übergebührlich und stark wettbewerbsverzerrend ausüben, wäre das jetzt zuzugestehende Belie-
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Spitzmüllerferungsrecht zu überprüfen und notfalls zu ändern.Mit den eingangs genannten Grundsätzen war es übrigens aber auch nicht vereinbar, was in der Freien und Hansestadt Hamburg seit langem gegen das geltende Apothekengesetz praktiziert wird, nämlich die Belieferung der Senatsverwaltung mit Arzneimitteln zur Versorgung von Polizei-, Feuerwehr- und sonstigen Beamten im Rahmen der freien Heilfürsorge. Statt den jahrelangen Gesetzesverstoß durch 'einen § 30 a, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, zu sanktionieren, haben wir den Hamburgern nur noch gestattet, ihre Praxis bis Ende 1984 weiterzuführen und sich bis dahin auf eine Versorgung durch öffentliche Apotheken umzustellen. Wir Freien Demokraten freuen uns sehr, daß uns diese Flurbereinigung gelungen ist und die einzige staatliche Arzneimittelversorgungsstelle in der Bundesrepublik geschlossen werden muß.Wer den Grundsatz verficht, daß die ambulante Arzneimittelversorgung durch die niedergelassenen Apotheker geregelt werden soll, muß sich auch für die persönliche Verantwortlichkeit und fachliche Qualifikation des Apothekenleiters einsetzen. Diesem Bestreben sollten zwei Regelungen dienen, von denen wir aber am Ende der Gesetzesberatungen nur die eine verwirklichen können.Künftig, nach einer Übergangsfrist bis 1985, sollen sogenannte Stille Gesellschaften und andere verdeckte Gewinnbeteiligungen im Apothekenrecht verboten sein. Damit soll vermieden werden, daß sich außenstehende zahlungskräftige Personen einen unkontrollierbaren, fachlich nicht qualifizierten Einfluß auf den Betrieb einer Apotheke verschaffen. Der Grundsatz des fachlich und persönlich für seine Apotheke verantwortlichen Apothekers soll damit wieder voll in Geltung gesetzt werden.Die zweite der genannten Regelungen galt der praktischen Qualifizierung des jungen Apothekers, der die Absicht hat, sich durch Eröffnung einer eigenen Apotheke selbständig zu machen. Hier hatten wir es im Ausschuß nach reiflicher Überlegung und Anregung des Kollegen Jaunich für erforderlich gehalten, eine zweijährige Vollzeitbeschäftigung in einer Apotheke vorzuschalten. Zwar will und soll die Approbationsordnung für Apotheker eine möglichst praktische Ausbildung in Pharmazie erreichen; allerdings wissen wir, daß diese Absicht der Ausbildungsordnung in ihrer Durchführung nur recht unvollkommen verwirklicht wird. Auch das bei den Prüfungen zum Teil praktizierte Multiplechoice-Verfahren läßt gerade bezüglich des Praxisbezugs der Prüflinge einiges zu wünschen übrig. Das in Anschluß an das Studium abzuleistende praktische Jahr andererseits dient seiner Bestimmung nach nur der praktischen Vertiefung, Erweiterung und Anwendung der erworbenen pharmazeutischen Kenntnisse. Die organisatorischen, betrieblichen und diesbezüglich praktischen Erfahrungen eines Apothekenleiters können dagegen weder im Studium noch im praktischen Jahr vermittelt werden. Dieser praktischen Lücke sollte die im Ausschuß beschlossene Vorschrift abhelfen.Die spät, aber dann um so heftiger angelaufene Kampagne von seiten der Betroffenen und Interessierten gegen das Zwei-Jahres-Erfordernis hätte unsere Fraktion nicht umstimmen können, denn mit einer verschwindend geringen Gegenmeinung waren wir uns hier einig. Anders war es in den Reihen des Koalitionspartners, wo sich juristische wie bildungspolitische Bedenken immer breiter machten, was den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens lähmte. Schließlich sahen wir uns — sozusagen fünf Minuten vor zwölf auf der Uhr der ablaufenden Wahlperiode — in der Situation, lieber auf die zwei Jahre zu verzichten und damit ein Scheitern des von der Apothekerschaft dringend gewünschten Gesetzes zu vermeiden. Man mache bitte die FDP, die diese zusätzliche Qualifikation weiterhin für sinnvoll hält, nicht für die Streichung verantwortlich oder gar allein verantwortlich! Wir Freien Demokraten hätten die Einführung einer zusätzlichen Praxisqualifikation vor der Niederlassung auch deshalb sehr begrüßt, weil wir in absehbarer Zeit vor der Entscheidung stehen, eine gleiche Qualifikation für die ärztliche Niederlassung einzuführen. Ich betone, daß die hier mit unserer Unterschrift zu erfolgende Streichung für uns kein Präjudiz gegen eine Zweijahresregelung der Ärzte sein kann. Im Gegenteil! Wir hoffen, daß auf die Entschließung des Bundestags hin von der Bundesregierung die zur Zeit noch bestehenden vor allem juristischen Bedenken ausgeräumt werden können. Und so werden wir hoffentlich später die Frage für die Apothekerniederlassung wieder aufgreifen können.Meine Damen und Herren, wir begrüßen auch sehr, daß es im Ausschuß gelungen ist, die hart umstrittene Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der Novelle politisch zu entscheiden, und zwar im Sinne einer Bejahung der Zustimmungsbedürftigkeit. Damit wurden auch viele Streitmöglichkeiten mit dem Bundesrat aus dem Wege geräumt. Wir freuen uns weiter, daß es gelungen ist, zu praxisnäheren Übergangsfristen zu kommen. Die Übergangsfristen dauern nach Art. 1 a nicht bis zum 30.6. 1980, sondern bis zum 31. 12. 1982.Die Freien Demokraten werden dem Gesetzentwurf in der durch den Änderungsantrag abgeänderten Fassung des Ausschusses zustimmen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Zander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen liegt uns nunmehr zur zweiten und dritten Lesung vor. Der Entwurf war — das wurde schon gesagt — bereits in der 7. Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet worden, scheiterte seinerzeit allerdings am Bundesrat.Von der Bundesregierung ist der damalige Gesetzentwurf ohne wesentliche materielle Änderungen in der 8. Legislaturperiode wieder eingebracht worden. Dem Gesetzentwurf sind dann u. a. auf An-
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Parl. Staatssekretär Zanderregung des Bundesrates noch Vorschriften über das Verbot der Stillen Gesellschaft und vergleichbarer Vereinbarungen angefügt worden. Der Grund dafür ist — auch das wurde hier schon im einzelnen dargelegt —, daß diese Gesellschaftsformen von Außenstehenden in steigendem Umfange benutzt worden sind, um die Zielsetzung des Apothekengesetzes zu umgehen.Der neu eingebrachte Gesetzentwurf hat in den Beratungen des federführenden Ausschusses eine nicht unwesentliche Änderung seiner Zielrichtung erfahren. Hatte der in der 7. Legislaturperiode entstandene Entwurf noch zum Ziel, durch Förderung der Krankenhausapotheken eine Konkurrenz zu den öffentlichen Apotheken aufzubauen, um der Kostenlast im Gesundheitswesen entgegenzuwirken, so ist dieser Gesichtspunkt im Laufe der Beratungen zugunsten der Aufrechterhaltung der bestehenden Wettbewerbslage der öffentlichen Apotheken einerseits und der Krankenhausapotheken andererseits immer mehr zurückgetreten.Der Ihnen nunmehr vorliegende Gesetzentwurf wird nicht zuletzt deshalb heute auch von der Mehrzahl der öffentlichen Apotheken und von den Berufsvertretungen der Apotheker mitgetragen. Unzufrieden mit dem Gesetzentwurf sind lediglich die Versandapotheker, die bisher Krankenhäuser im ganzen Bundesgebiet mit Arzneimitteln beliefern konnten. Im Interesse der Verbesserung der Arzneimittelversorgung in Krankenhäusern und im Interesse der Arzneimittelsicherheit soll es aber in Zukunft z. B. nicht mehr möglich sein, daß ein Apotheker in Konstanz ein Krankenhaus in Flensburg mit Arzneimitteln beliefert. Krankenhäuser sollen vielmehr nur noch innerhalb eines bestimmten regionalen Bereichs mit Arzneimitteln versorgt werden dürfen, um eine schnelle Zustellung der Arzneimittel zu gewährleisten und die Arzneimittelvorräte in den Krankenhäusern durch den beliefernden Apotheker kontrollieren lassen zu können. Bei den Versandapotheken kann das Gesetz deshalb zu Umsatzeinbußen führen. Sie haben aus diesem Grunde auch in Zeitungsanzeigen, Zuschriften und Flugblättern gegen die Verabschiedung des Gesetzes Stellung genommen und dabei den falschen Eindruck zu erwecken versucht, als stünde die gesamte Apothekerschaft hinter ihnen.In diesen Stellungnahmen gegen die Verabschiedung des Gesetzes ist auch die unzutreffende Behauptung aufgestellt worden, das Gesetz werde Kosten in Milliardenhöhe vor allem für die Träger der Krankenhäuser verursachen. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, als würden alle Krankenhäuser verpflichtet, selbst Krankenhausapotheken einzurichten. Dies stimmt jedoch nicht. Vielmehr bleibt es den Krankenhäusern selbst überlassen, ob sie eine Krankenhausapotheke betreiben oder sich durch öffentliche Apotheken oder Krankenhausapotheken mit Arzneimitteln versorgen lassen wollen. Die wirtschaftlichen Überlegungen, die Herr Kollege Hammans hier schon dargelegt hat, werden diese Entscheidung sicherlich mit beeinflussen.Die Bundesregierung begrüßt es, daß nun auch der Konflikt um die Einführung einer zweijährigen unselbständigen Tätigkeit nach der Approbation als Apotheker beendet werden konnte und damit der Weg für die Verabschiedung dieses Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode frei wurde. Es soll uns, wie in dem Bericht schon ausgeführt worden ist, eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung der Krankenhäuser ohne eigene Krankenhausapotheken bringen. Ein weiteres gesundheitspolitisches Ziel der Novelle ist es, die Arzneimittelsicherheit im Sinne der Reform des Arzneimittelrechts auch im Bereich der Apotheken und Krankenhausapotheken zu erhöhen. Außerdem ist es Ziel des Gesetzentwurfs, durch das oben bereits erwähnte Verbot der Stillen Gesellschaft und vergleichbarer Vereinbarungen mit dem Apothekenrecht den gesundheitspolitischen Erfordernissen gegenüber der wirtschaftlichen Betätigung Vorrang einzuräumen und damit die Zielsetzung des Apothekenrechts zu gewährleisten. Die Novelle setzt damit bewußt eine Reihe neuer Akzente im Apothekenwesen und damit in der Gesundheitspolitik. Die Bundesregierung erhofft und erbittet dazu Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 a auf. Hierzu liegen auf Drucksache 8/4112 unter Nr. 1 und 2 Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Die Anträge sind angenommen.Wer Art. 1 Nr. 1 a in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist so beschlossen.Ich rufe Art. I Nr. 1 b, 1 c und 2 bis 10 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Art. 1 a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4112 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Es handelt sich um eine Folgeänderung auf Grund der vorhin beschlossenen Änderung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist so beschlossen.Wer Art. 1 a in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Dies ist so beschlossen.Ich rufe die Artikel i b, 2 und 4 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist in der zweiten Beratung so angenommen.Wir treten in diedritte Beratung
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Vizepräsident Frau Rengerein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3554 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/4113 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Kostenvorschriften des Atomgesetzes— Drucksache 8/3195 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3980 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Laufs Schäfer
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hält die Anpassung der atomrechtlichen Kostenregelungen an die veränderten Umstände der Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für notwendig. Es ist unsere Forderung, daß die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung ausreichend mit Personal und Sachmitteln ausgestattet sind. Die Verwaltungskosten müssen nach dem Verursacherprinzip durch kostendekkende Gebühren vom Antragsteller und Betreiber kerntechnischer Anlagen getragen werden. Dies bejahen wir ausdrücklich. Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssen, damit die staatlichen Aufwendungen für die Beseitigung radioaktiver Abfälle dem Verursacher auferlegt werden können. Wir wissen, daß die hier betroffene Industrie ein vitales Interesse an diesen Rechtsgrundlagen hat und eine Verabschiedung dieser Novelle wünscht. Wir halten schließlich den Ansatz der vorliegenden Novellierung des Atomgesetzes grundsätzlich für zweckmäßig, die Bundesregierung — mit Zustimmung des Bundesrates — zum Erlaß von Kostenverordnungen zu ermächtigen, mit denen sie der Entwicklung im kerntechnischen Bereich jeweils gerecht werden kann. Es besteht zwar Einvernehmen in diesen Grundsätzen, die atomrechtliche Umsetzung jedoch ist ungenügend und unannehmbar.Was uns heute zur Entscheidung vorliegt, ist ein so schlechtes Stück Gesetzgebung, daß wir unsere Zustimmung im ganzen versagen müssen. Es ist eine Zumutung, wenn dem Parlament eine umfassende Verordnungsermächtigung abverlangt wird, die an die Stelle bisher im Gegensatz materiell geregelter Gebühren und gebührenpflichtiger Tatbestände treten soll, ohne daß die Bundesregierung bei den Beratungen im Innenausschuß in der Lage ist, einen Entwurf der angestrebten Kostenverordnung vorzulegen, und ohne daß sie imstande ist, dem Innenausschuß zu erläutern, wie der erforderliche Verwaltungsaufwand ermittelt und welcher Katalog staatlicher Aufsichtsmaßnahmen der Gebührenpflicht unterworden werden soll. Der Innenausschuß hat dazu festgestellt: Wegen der sachlichen Besonderheiten dieser Verordnungsermächtigung, namentlich im Hinblick auf die eindeutige Auslegung in einzelnen Punkten, sieht er — der Ausschuß — es jedoch ausnahmsweise als erforderlich an, daß der Referentenentwurf einer Kostenverordnung seitens der Bundesregierung noch vor der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes vorgelegt wird.Dies ist innerhalb einer auch nur zur knappen Prüfung nötigen Frist nicht geschehen. Der in letzter Minute auf unseren Schreibtisch geflatterte Entwurf erscheint auf den ersten Blick unvollständig, in vielem unklar und so nicht vollziehbar. Die Bundesregierung selbst bemerkt dazu, daß dieser Entwurf noch einer sorgfältigen verfassungsrechtlichen Prüfung sowie der Erörterung mit den Ländern und den beteiligten Kreisen bedarf, ehe er dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung vorgelegt werden kann. Wir bedauern sehr, daß die Koalition auf unseren Vorschlag einer kurzfristigen Vertagung der zweiten und dritten Lesung der Kostennovelle bis zur weiteren Klärung nicht eingegangen ist.Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Formeln, die Inhalt, Zweck und Ausmaß der zu erlassenden Verordnung bestimmen, bedürfen dringend der Konkretisierung, die über die wichtigsten, im Innenausschuß übereinstimmend getroffenen Interpretationen der Rahmenbestimmungen hinausgeht. Die nachgereichten Erläuterungen des Bundesministers für Forschung und Technologie, z. B. zur anlagenbezogenen Forschung und Entwicklung, deren Aufwand durch Beiträge gedeckt werden soll, sind nicht ausreichend. Es ist ein trauriges Kapitel der gegenwärtigen Forschungspolitik, daß Gruppen von Kernenergiegegnern hochdotierte Forschungsaufträge aus öffentlichen Mitteln erteilt werden, obwohl deren bisherige Arbeiten von Verwaltungsgerichten, Universitätsinstituten und anerkannten Forschungseinrichtungen als fachlich unhaltbar und wissenschaftlich unqualifiziert beurteilt worden sind. Es ist zu befürchten, daß über den gebührenpflichtigen Tatbestand der ökologischen, klimatischen und anderen umweltspezifischen Forschungen bei der Standortsuche und -erkundung eine Tür
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17608 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Dr. Laufsgeöffnet werden kann, durch die wissenschaftlich unqualifizierte Kernenergiekritiker auf Kosten der Antragsteller als Gutachter Eingang zu den Genehmigungsverfahren finden.Unannehmbar erscheint uns insbesondere die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem Vorschußzahlungen zur Finanzierung des Endlagers für radioaktive Abfälle zu zahlen sind. Die Koaltion besteht darauf, daß Entsorgungsbeiträge schon bei der Stellung des Antrags auf Errichtung eines Kernkraftwerks eingefordert werden können. Die Bundesregierung soll dies von Fall zu Fall entscheiden können. Wie hätte sie sich wohl im Fall der Anträge nach § 7 des Atomgesetzes verhalten, die schon seit 1974 bei der nordrhein-westfälischen Genehmigungsbehörde ohne Aussicht auf Entscheidung liegen? Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Antragstellung und Pflicht zur Ablieferung radiaktiver Abfälle ist nicht zu erkennen. Der vorgeschlagene Zeitpunkt der Begründung einer Vorausleistungspflicht widerspricht eindeutig dem Verursacherprinzip. In welchen Fällen eigentlich will die Bundesregierung Vorauszahlungen noch vor Erteilung der ersten Teilerrichtungsgenehmigung für einen geplanten Kernkraftwerksneubau von Antragstellern eintreiben? Ist sie sich im klaren darüber, daß sie dadurch Zwänge schafft, die sich sachfremd auf spätere Entscheidungen auswirken müssen? Wie soll man den betroffenen Bürgern, die in Anhörungen ihre Einwände vorbringen, verständlich machen, daß die Entscheidung über die Genehmigung des beantragten Bauvorhabens noch offen ist, wenn die Bundesregierung schon im Vorgriff auf den späteren Betrieb Kostenerstattungen für die Entsorgungsvorsorge erhalten und verwendet hat? Wir sehen voraus, daß die Genehmigungsverfahren unerträglich belastet werden, wenn die Bundesregierung von dieser Bestimmung Gebrauch macht. Der Protest der Betroffenen und der Bürgerinitiativen wird ihr gewiß sein.Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, wir hatten gehofft, mit Ihnen eine einvernehmliche Lösung bei der notwendigen Anpassung der atomrechtlichen Kostenvorschriften an die veränderten Erfordernisse erzielen zu können. Wir waren in den Ausschußberatungen weitgehend kompromißbereit. Wir haben feststellen müssen, daß auf Ihrer Seite die Bereitschaft zu gemeinsamer Suche nach sachgerechten Formeln fehlt.Wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf einer Kostennovelle ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und der FDP begrüßen den Gesetzentwurf. Wir halten ihn in der Sache für entscheidungsreif. Wir können auch in der Rede, besser gesagt: in der Ausrede des Kollegen Laufs kein stichhaltiges Argument erkennen, das uns von der notwendigen Verabschiedung einer solchen Kostennovelle abhalten kann.
Worum geht es in der Sache, Herr Kollege Laufs? In der Sache geht es darum, daß endlich die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß jene, die für den Anfall von radioaktiven Abfällen verantwortlich sind, die Kosten für die Beseitigung und die Lagerung radioaktiver Abfälle zu tragen haben.
Das ist eine strikt marktwirtschaftliche Regelung. Wenn Sie ihr nicht zustimmen können, muß ich Ihnen sagen, daß Sie es ähnlich machen wie beim Abwasserabgabegesetz: Sie tragen das Verursacherprinzip so hoch, daß Sie es in der Praxis leicht unterlaufen können.
— Sagen Sie doch bitte, was Sie wollen!Ich will auf zwei Ihrer Argumente eingehen.
Mit einer Ausnahme waren wir bei den Einzelabstimmungen im Innenausschuß in der Sache einig. Diese eine Ausnahme war, daß wir der Auffassung waren — der wir, SPD und FDP, heute noch sind —, daß bereits bei der Stellung des Antrags zur Genehmigung einer kerntechnischen Anlage die Genehmigungsbehörde eine Vorauszahlung fordern kann, und zwar dann, wenn es notwendig ist, um den erforderlichen Bau einer entsprechenden Endlagerungsanlage mitfinanzieren zu können.
Es ist eine Kann-Bestimmung.Zweitens. Das Atomgesetz gewährt nach der ersten Teilerrichtungsgenehmigung keinen rechtlichen Anspruch auf die tatsächliche Erteilung einer Betriebsgenehmigung. Das ist die Rechtslage, die wir alle gewollt haben. Nach dem Gesetz besteht die Möglichkeit, daß die geleisteten Vorauszahlungen verzinslich zurückgezahlt werden können, falls es nicht zu einer Erteilung der Betriebsgenehmigung kommt. Das heißt: Für den Antragsteller ist überhaupt kein Risiko finanzieller Art damit verbunden.
— Das war der einzige Punkt, der umstritten war. Sie sagten: nach der ersten Teilerrichtungsgenehmigung, und wir sagen: schon vorher muß bei einer Anzahl von Genehmigungsanträgen die Möglichkeit eingeräumt werden, Vorauszahlungen zu erheben.
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Schäfer
Zum zweiten haben Sie sich in beredten Worten darüber beschwert, daß die Rechtsverordnung nicht rechtzeitig zugegangen sei.
Tatsache ist, daß wir uns grundlegend darüber einig waren, daß die Ausgestaltung des Rechtsgrundsatzes per Rechtsverordnung zu erfolgen habe. Das ist flexibler, praxisnah und läßt auch — eher als im Gesetzgebungsverfahren — eine Änderung zu. Dar- über bestand Konsens. Sie sagten, Sie wollten die Rechtsverordnung vorher noch einmal im Ausschuß vorgelegt bekommen.
Dazu nur zwei Bemerkungen, Herr Kollege Laufs.Der ursprüngliche Entwurf der Rechtsverordnung stammt vom Februar 1979. Dieser Entwurf ist Ihnen und uns bekannt. Es gab eine Änderung, die drei Seiten lang war. Diese Änderung ist uns am 7. Mai zugegangen. SPD- und FDP-Fraktion sahen sich in der Lage, das zwischenzeitlich zu beurteilen.
Es besteht für uns kein Grund, das Gesetz nicht zu verabschieden.Neben der Einführung des Verursacherprinzips für die Lagerung und Beseitigung radioaktiver Abfälle, das nach unserer Meinung der Elektrizitätswirtschaft auferlegt werden muß, ist ein weiteres Kernstück in diesem Gesetzentwurf eingeführt worden, das auch für andere Gesetzgebungsbereiche vorbildlich sein kann. Worum geht es, meine Damen und Herren? Ohne staatliche Forschungsgelder, die in großem Umfang gewährt werden, sowohl im Bereich der Grundlagenforschung als auch im Bereich projektbezogener Forschungsförderung, wäre die kommerzielle Nutzung der Kernspaltungstechnologie in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich. Wir — Sozialdemokraten und Freie Demokraten — halten es für notwendig, daß zumindest die anlagenbezogenen Forschungsgelder vom Betreiber wieder einbehalten werden können, wenn sie kommerziell genutzt werden. Es kann nicht sein, daß der Steuerzahler, daß der Staat hier Vorleistungen auf dem Gebiet der Forschung erbringt und daß dann kommerzielle Nutzer davon profitieren.
Allein für den Bereich der anlagenbezogenen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wie Standortsuche für die mögliche Endlagerung radioaktiver Abfälle haben wir, um ein paar Zahlen zu nennen, in vier, fünf Jahren etwa 70 Millionen DM aufgewendet. 70 Millionen DM, das ist immerhin ein nicht unerheblicher Beitrag. Dazu gehören u. a. Vorstudien der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zur Planung, Errichtung und Betrieb eines Endlagers für radioaktive Abfälle; dazu gehören Salzstockuntersuchungen, Bohrungen der PTB in Gorleben, dazu gehören hydrogeologische Untersuchen in Gorleben, die ebenfalls die Physikalisch-Technische Bundesanstalt durchführt. Die Latte dieser staatlichen anlagenbezogenen Forschungsprogramme ließe sich fortsetzen. Uns liegt daran,_ daß möglichst bald die Rechtsgrundlage dafür geschaffen wird, daß dies auch dem Benutzer des eines Endlagers für radioaktive Abfälle auferlegt werden kann.Herr Kollege Laufs, Sie sehen es mir nach, daß wir uns des Eindrucks nicht erwehren können, daß Sie mit vorgeschobenen Gründen die Verabschiedung der wichtigen überfälligen Kostennovelle noch in dieser Legislaturperiode verhindern wollten. Es bleibt dabei, daß die Bundesregierung, der wir für die Vorarbeit danken, und wir, die Fraktionen der SPD und FDP, die Novelle für entscheidungsreif und in der Sache für notwendig halten.Noch ein Wort an die Bundesregierung: Wir erwarten, daß die Bundesregierung in allen Bereichen, in denen dieser Gesetzentwurf die Ermächtigung zu Rechtsverordnungen einräumt, von dieser Ermächtigungsmöglichkeit auch Gebrauch machen wird. Wir gehen davon aus, daß im Abstimmungsverfahren mit den Bundesländern dieses Gesetz bald nicht nur rechtliche, sondern über die Rechtsverordnungen auch tatsächliche Wirklichkeit wird.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist in der zweiten Beratung so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung.Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/9980 unter Ziffer 2, die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 bis 20 auf:14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 17. April 1979 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 22. April 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern— Drucksache 8/3960 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß Haushaltsausschuß
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17610 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
Vizepräsident Frau Renger15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1980
— Drucksache 8/3988 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß i 96 GO16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzprotokoll vom 13. März 1980 zum Abkommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete-- Drucksache 8/3994 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:FinanzausschußHaushaltsausschuß gemäß i 96 GO17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Zusatzprotokoll vom 13. März 1980 zum Abkommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete
— Drucksache 8/3995 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:FinanzausschußHaushaltsausschuß gemäß i 96 GO18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. April 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland über Soziale Sicherheit— Drucksache 8/3992 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß i 96 GO19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. April 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland über Leistungen für Arbeitslose— Drucksache 8/3993 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen— Drucksache 8/3987 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenEs handelt sich um von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe zur ersten Beratung. Das Wort wird nicht gewünschtDer Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/3960, 8/3988, 8/3994, 8/3995, 8/3992, 8/3993 und 8/3987 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 21:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Friedmann, Niegel, Dr. Sprung, Dr. Stavenhagen, Damm, Biehle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSUBessere Bedingungen für den CB-Funk— Drucksachen 8/2727, 8/3868 — Berichterstatter: Abgeordneter HoffieDer Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dollinger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 2. April 1979 hat die CDU/CSU-Fraktion den Antrag „Bessere Bedingungen für den CB-Funk" im Bundestag eingebracht Er wurde seinerzeit — abgesehen von der Polemik der Herren Wuttke und Hoffie — von allen Fraktionen als notwendig erachtet und- für richtig befunden. Zwischenzeitlich hat man sich auch in diesem Hohen Hause kundig gemacht Die FDP- Fraktion führte im Dezember ein Hearing durch, und bei diesen Diskussionen wurde weitgehende Zustimmung zu dem sichtbar, was wir vorgeschlagen haben.Nun liegt der Beschluß des Ausschusses vor, und ich darf dazu folgendes feststellen.Sie hatten am 19. September 1979 unseren Antrag mit der Begründung auf Eis gelegt, daß die Funkverwaltungskonferenz in Genf vom November vorigen Jahres neue Möglichkeiten in anderen Frequenzbereichen für den CB-Funk eröffnen würde. Deshalb wurde gewartet. Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Noch am 5. Dezember 1979 — also nach Abschluß der Genfer Konferenz — erklärte das Bundespostministerium in einer Pressemitteilung unter anderem:
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Dr. DollingerWichtig ist jedoch, daß im 900-MHz-Bereich .. . neue Möglichkeiten für den CB-Funk eröffnet wurden, die kurzfristig genützt werden sollen.Bereits 14 Tage später mußte der Funkreferent des Bundespostministeriums auf einem ersten Treffen mit CB-Funkgeräteherstellern feststellen: CB-Geräte für den 900-MHz-Bereich sind technisch noch nicht entwickelt und werden voraussichtlich sehr teuer, etwa 2 000 DM. In diesem Bereich werden selbst bei relativ hoher Ausgangsleistung — fünf bis zehn Watt — je nach topographischen Verhältnissen die Abschattungen große Schwierigkeiten bringen. Schließlich können die Geräte unter größten Anstrengungen der Industrie frühestens in etwa zwei Jahren nach Bekanntgabe der Ausführungsbestimmungen, die erst auf der nächsten Funkverwaltungskonferenz im Jahre 1982 festgelegt werden, auf den Markt gebracht werden.Es gibt für die Herren der Regierungskoalition dann, wenn sie ihre Beteuerungen aus der Sitzung vom 17. Mai 1979 aufrechterhalten wollen, also keine andere Möglichkeit, als nun besseren Bedingungen für den CB-Funk zuzustimmen.Den plötzlichen Vorschlag des Bundespostministers bei der Behandlung unseres Antrages im Verkehrsausschuß des Bundestages am 19. März 1980, 10 weitere Kanäle im 27-MHz-Bereich zur Verfügung zu stellen, können wir leider nur als ein erstes Schrittchen — nicht als einen Schritt — in die richtige Richtung bezeichnen. Es ist nichts Halbes und ist nichts Ganzes und ist ein Nachhinken gegenüber unseren Nachbarländern. Ich weise darauf hin, daß beispielsweise Belgien und Osterreich 22 Kanäle sowohl in Frequenz- als auch in Amplituden-Modulation und SSB erlauben.Meine Damen und Herren, mit der Zulassung nur von Frequenzmodulation mit 0,5 W Ausgangsleistung kürzen Sie die Reichweiten der CB-Funker auf ca. ein Drittel des bisherigen Standes. Sie geben und nehmen hier also zugleich, und das ist ja eigentlich das System der Postpolitik von SPD und FDP in den letzten Jahren gewesen. Wenn Sie den CB-Funk nur für Frequenzmodulation erlauben wollen, so wäre, soll es nicht zu einer Verschlechterung der Bedingungen für den CB-Funk kommen, die logische und notwendige Folge, die Ausgangsleistung zumindest von 0,5 auf 2 W zu erhöhen.Völlig unverständlich ist auch die Tatsache, daß die zusätzlichen 10 Kanäle nicht für Feststationen erlaubt werden sollen. Wie sollen denn, wenn nicht über Feststationen, Meldungen z. B. über Unfälle von Mobilgeräten weitergeleitet werden? Hierfür gibt es meines Erachtens keine sachliche Begründung, es sei denn, man wollte auf diese Weise die Feststationen, die überdies noch eine Monatsgebühr von 15 DM zu zahlen haben, systematisch ausschalten. Hierauf zielt auch die Ablehnung unserer Forderung nach Zulassung des Verkehrs zwischen Feststationen ab.Herr Hoffie hat in der Sitzung am 17. Mai 1979 hier im Bundestag zur Grundgebühr von 15 DM für Feststationen u. a. gesagt:Sicher läßt sich sagen, daß die Gebühr angesichts des Genehmigungsaufwandes nicht gerechtfertigt ist.Deshalb hatten wir uns erhofft, daß wir hier wenigstens von seiten der FDP Unterstützung bekommen würden. Es sieht aber so aus, als hätten wir uns getäuscht.Wenn man nun die Gebühren mit den hohen Aufwendungen für die Beseitigung von Störquellen begründen will, haben wir berechtigten Zweifel daran, daß dies einen Betrag von ca. 20 bis 30 Millionen DM ausmachen würde.Unverständlich ist für mich ferner, warum Sie Richtantennen nicht zulassen wollen. Auch hier operieren Sie wieder mit dem Argument der Zunahme von Beeinträchtigungen. Dies trifft nicht zu, und das wissen Sie auch genau Richtantennen bündeln die Ausstrahlung in einem kleinen sogenannten Richtsektor und bewirken dafür eine bedeutend geringere Ausstrahlung im übrigen Feld. Unser Vorschlag würde also für den CB-Funkverkehr eine bedeutende Entlastung des Funkspektrums bringen. Wenn Sie also für Entstörung sind, müssen Sie konsequenterweise Richtantennen erlauben.Die Empfehlung eines Notruf-Abwicklungskanals, wofür der Kanal 9 in Frage käme, hatte die Bundespost bisher in erster Linie wegen des Mangels an Kanälen abgelehnt. Jetzt, wo es 10 weitere Kanäle geben soll, sagen Sie nur noch, es gäbe keine praktische Möglichkeit, diesen Kanal tatsächlich freizuhalten. Von uns ist hier nicht an eine Verordnung gedacht, sondern vielmehr an eine Empfehlung, und es muß dann der Disziplin der CB-Funker überlassen bleiben, diese Empfehlung zu respektieren.In diesem Zusammenhang möchte ich auch unsere Bitte an die Post wiederholen, eine Aufklärungsschrift über den CB-Funk herauszugeben.Ich fasse zusammen. Erstens. Die Aufstockung der Zahl der CB-Kanäle von 10 auf 22 ist ein erstes Schrittchen in die richtige Richtung.Zweitens. Wenn man einer Kriminalisierung des CB-Funks nicht weiteren Auftrieb geben will, muß auch die Zahl der Kanäle für Feststationen auf 22 erhöht und muß der Verkehr zwischen Feststationen erlaubt werden. Gleichzeitig sind die Gebühren auf das Kostenniveau zu senken.Drittens. Eine Begrenzung des CB-Funks auf Frequenzmodulation erfordert wegen der sich daraus ergebenden Reduzierung der Reichweiten auf ca. ein Drittel der bisher bei Amplitudenmodulation erreichten eine Aufstockung der Ausgangsleistung auf mindestens 2 W.Viertens. Richtantennen verringern die Beeinträchtigung im CB-Funkverkehr und sollten daher erlaubt werden.Fünftens. Für die Ablehnung einer Empfehlung für einen Notruf-Abwicklungskanal gibt es keinen Grund. Eine solche Empfehlung sollte daher ausgesprochen werden. Ebenso wünschen wir die Herausgabe einer Aufklärungsschrift über den CB-Funk — das habe ich schon gesagt — sowie die Aufnahme
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Dr. Dollingervon Verhandlungen mit den Verbänden der CB- Funker. Denn die Probleme des CB-Funks können und dürfen nicht länger lediglich zwischen der Administration, den Geräteherstellern und den Politikern erörtert werden. Hier müssen der Wunsch der interessierten Bürger und ebenso das Fachwissen der CB-Funker unbedingt zur Geltung kommen.Sechstens. Die Zulassung von zehn weiteren Kanälen im 27-MHz-Bereich spätestens ab 1. Januar 1981 erfordert u. a. eine sofortige Bekanntgabe der in Frage kommenden Kanalziffern sowie Angaben darüber, bis zu welchem Zeitpunkt die bisherigen AM-Geräte zugelassen sind und für welchen Zeitraum die künftigen 22-Kanal-Geräte eine Betriebserlaubnis erhalten sollen.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, unsere Auffassung noch einmal darzustellen und zu erläutern, was wir unter „besseren Bedingungen für den CB-Funk" verstehen. Das, was hier beschlossen worden ist, ist nach unseren Vorstellungen ein Torso und völlig unzureichend. Das ist nicht die Lösung, die wir gewünscht haben.Die CDU/CSU lehnt daher den Beschluß des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen aus den dargelegten Gründen ab. Wir werden dieses Thema weiter auf der Tagesordnung halten, um dafür zu sorgen, daß endlich für die CB-Funker die gleichen Bedingungen geschaffen werden, die in anderen Ländern zum Teil schon vorhanden sind und die auch eine Notwendigkeit darstellen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wuttke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab darf ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß Herr Dr. Dollinger seit langem wieder einmal einen seiner vielen Anträge selbst vertritt.
Wir müssen heute einen Antrag ablehnen, der bessere Bedingungen für den CB-Funk schaffen will. Damit es keine Mißverständnisse gibt: Über die Absicht, Verbesserungen für die CB-Funker zu bewirken, besteht zwischen allen Fraktionen dieses Hauses Übereinstimmung. Es kommt hinzu, daß inzwischen von der Bundesregierung Möglichkeiten für konkrete Verbesserungen aufgezeigt und Maßnahmen eingeleitet wurden. Deswegen stelle ich fest, daß es ausschließlich an den Einzelformulierungen des Antrags und an der mangelnden Flexibilität der Opposition liegt, wenn wir heute hier kontrovers abstimmen müssen.
Die Opposition hält entweder aus parteitaktischer Unbeweglichkeit oder weil sie nicht bereit und in der Lage ist, technische Argumente zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen, an dem Rankenwerk ihres ursprünglichen Antrags fest. Von diesem Vorwurf möchte ich übrigens die Oppositionskollegen im Verkehrsausschuß ausdrücklich ausnehmen. Sie haben sich redlich bemüht, das beste aus einem, wie ich schon bei der ersten Lesung dargestellt habe, nicht vertretbaren Antrag zu machen. Sie hatten aber offenbar nicht den erforderlichen Spielraum.
Die Opposition hat sich von Anfang an bemüht, sich mit einem Thema hochzuspielen, das unter sachlichen Gesichtspunkten eigentlich nicht kontrovers diskutiert werden kann. Das zeigte sich in den Ausschußberatungen immer wieder. Bei der Beratung im September 1979 hatte die Bundesregierung vorgetragen, daß es, um die Möglichkeiten zur Verbesserung des CB-Funks sicher beurteilen zu können, zweckmäßig ist, die Ergebnisse der weltweiten Funkverwaltungskonferenz in Genf abzuwarten, die kurz vor Weihnachten 1979 zu Ende gehen sollte. Damals hat die Opposition völlig grundlos und offenbar nur aus Lust an der politischen Kontroverse der Bundesregierung unterstellt, sie spiele nur auf Zeitgewinn und beabsichtige nicht, wirklich etwas für die CB-Funker zu tun.
Die Wirklichkeit, meine ich, sah dann anders aus. Die weltweite Funkverwaltungskonferenz hat u. a. als Ergebnis die Zuweisung eines Frequenzbandes im 900-MHz-Bereich für die beweglichen Funkdienste gebracht. Durch Bereitstellung einer angemessenen Zahl von Kanälen dieses Bereichs und Festlegung einer geeigneten Sendeleistung sowie von technischen und betrieblichen Bedingungen sind erhebliche Verbesserungen für den CB-Funk möglich. Dieses Ergebnis wurde durch maßgebliche Initiative der Bundesregierung und der deutschen Delegation in Genf erreicht, der hierfür ausdrücklich gedankt sei.
Ausgehend von dem Genfer Ergebnis setzte die Deutsche Bundespost durch Gespräche mit Herstellern und Verhandlungen mit Fernmeldeverwaltungen ihre Initiativen fort, um nach Abstimmung mit den gegenwärtigen Benutzern alsbald nach Inkrafttreten der Genfer Beschlüsse, also am 1. Januar 1982, CB-Funkanlagen im Bereich von 900 MHz zulassen zu können. Gleichzeitig zeigte sich jedoch auch, daß die Voraussetzungen für die Überführung des CB-Funks in den 900-MHz-Bereich nicht so schnell geschaffen werden können, wie dies einigen optimistischen Geräteherstellern ursprünglich vorschwebte.
Dadurch ergab sich die Notwendigkeit einer Zwischenlösung. Für eine begrenzte Zeit sollen im 27MHz-Bereich, wo der CB-Funk gegenwärtig angesiedelt ist, 10 zusätzliche Kanäle zu den vorhandenen 12 Kanälen — in Form neuer 22-Kanal-Geräte mit ausschließlicher Frequenzmodulation — für den beweglichen Funkverkehr zugelassen werden. Für den Verkehr von und zu beweglichen Funkstellen sollen, ebenfalls zeitlich begrenzt, CB-Feststationen mit automatischer Kennungsgabe als neue 12-Kanalgeräte ausschließlich mit Frequenzmodulation zugelassen werden.
Angesichts dieser von der Bundesregierung vorgeschlagenen Zwischenlösung war dann von der Opposition zu hören, daß man diese zusätzlichen Kanäle längst hätte freigeben können. Das ging eben nicht. Die Bundesregierung hat im Ausschuß ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Zwischenlösung nicht völlig unproblematisch ist. Die Problematik besteht u. a. darin, daß die künftig für
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den CB-Funk freigebenen Kanäle bisher exklusiv für die Betreiber der sogenannten K-Geräte zur Verfügung standen, die sie nun künftig mit den OB-Funkern teilen müssen. Deswegen mußte man mit der Freigabe der zusätzlichen Kanäle so lange warten, bis die Notwendigkeit des Zwischenschritts unter Abwägung der Interessen des CB-Funks und der der Betreiber von K-Geräten unabweisbar feststand.
Trotz der Übereinstimmung in der Frage zusätzlicher Kanäle bleibt der Oppositionsantrag als ganzer unannehmbar. Er macht sich Forderungen zur technischen Ausgestaltung des CB-Funks zu eigen, die dessen Charakter völlig verändern würden. Ich verzichte darauf, meine Kritik aus der ersten Lesung, die unverändert gültig ist, oder die technischen Details aus der Ausschußberatung zu wiederholen und beschränke mich auf die politischen Aspekte.
Der CB-Funk ist weder als kommerzieller Funkdienst noch als Funkverkehr für den Weitverkehr konzipiert. Bei allen Bemühungen, bessere Bedingungen für den CB-Funk zu schaffen, müssen die speziellen Gesetzmäßigkeiten der Funktechnik, daß Frequenzen ein sehr beschränktes und nicht vermehrbares Gut sind, daß sich Geräte wechselseitig stören können und daß die Belange vieler Funkdienste aufeinander abgestimmt werden müssen, sehr genau im Auge behalten werden.
Beim CB-Funk muß man insbesondere an die zahlreichen Rundfunkhörer, Fernsehzuschauer und die Benutzer von Geräten der Unterhaltungselektronik denken, wenn man die Bedingungen verändern will. Diese Interessen werden von der Opposition in ihrem Antrag völlig vernachlässigt, obwohl ihr die vielen Klagen z. B. über gestörten Rundfunkempfang durchaus geläufig sein müßten. Das ist eine Politik, die weder mit politischer Plausibilität noch mit Logik etwas zu tun hat.
Ich stelle deshalb ausdrücklich fest, daß der private CB-Funk auch künftig als beweglicher Funkdienst auf den Nahbereich beschränkt bleiben muß, da Frequenzen Mangelware sind und es auch bleiben werden. Wer Funkweitverkehr will, muß sich des Amateurfunks bedienen, der auf Grund internationaler Vereinbarungen in zahlreichen Frequenzbändern abgewickelt werden kann.
Ich fasse zusammen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt, daß es der Bundesregierung gelungen ist, im Rahmen ihrer Bemühungen auf der Funkverwaltungskonferenz in Genf für den CB-Funk erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten zu erreichen. Sie fordert die Bundesregierung auf, alle technischen und verwaltungsmäßigen Vorbereitungen zu treffen, damit nach Inkrafttreten der Beschlüsse dieser Konferenz am 1. Januar 1982 alsbald CB-Funk-Anlagen im Bereich von 900 MHz zugelassen werden können. Da die Überführung des CB-Funks in diesen neuen Bereich erst in einigen Jahren zu verwirklichen ist, wird die Bundesregierung aufgefordert, mit Blick auf ihren als Ausschußdrucksache vorliegenden schriftlichen Bericht für eine begrenzte Zeit 10 zusätzliche Kanäle für den CB-Funk im 27-MHz-Bereich entsprechend einer Empfehlung der Europäischen Fernmeldeverwaltung zuzulassen, die ausschließlich mittels Frequenzmodulation genutzt werden sollen, um Beeinträchtigungen der Belange von Rundfunk- und Fernsehteilnehmern, sowie Benutzern sonstiger elektronischer Geräte zu vermeiden.
Um in Zusammenhang mit dem erforderlichen Widerruf von Genehmigungen für K-Geräte, die vor der Einführung der jetzigen Regelungen für den CB- Funk erteilt wurden, Härten zu vermeiden, wird die Bundesregierung zusätzlich aufgefordert, die Widerrufsfrist soweit wie vertretbar zu verlängern und die monatliche Genehmigungsgebühr für K-Geräte wegfallen zu lassen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Hoffie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal nachhaltig begrüßen, daß sich der Deutsche Bundestag und vor allem der zuständige Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — eigentlich zum erstenmal — sehr gründlich mit der Situation des CB-Funks befaßt haben. Die Beratungen haben nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion folgendes deutlich gemacht.Erstens. Der CB-Funk erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit in der Bevölkerung. Das ist ja u. a. daran zu erkennen, daß sich die Anzahl der CB-Funker auf inzwischen weit über 2 Millionen Teilnehmer erhöht hat. Dabei hat die Nachfrage nach Handgeräten, Mobilstationen, aber auch nach Feststationen gleichermaßen zugenommen. Dies zeigt daß der CB-Funk ein sehr attraktives und vielseitiges Mittel ist, um persönliche und private Kommunikationsbedürfnisse zu befriedigen.Zweitens. Die starke Nachfrage und die intensive Nutzung von CB-Funkgeräten hat im Laufe der beiden letzten Jahre zu einer sehr starken Überlastung der von der Deutschen Bundespost im Jahre 1975 zur Verfügung gestellten 12 Frequenzen im 27MHz-Bereich geführt. Daraus ergab sich für die FDP die Forderung, das Frequenzspektrum für den CB-Funk entsprechend der CEPT-Empfehlung aus dem Jahre 1974 zu erweitern und bei dieser Gelegenheit die wichtigsten technischen und betrieblichen Probleme, die sich seit der Zulassung des CB-Funks herausgestellt hatten, soweit wie nur irgend möglich jetzt zu lösen.Drittens. Weil außer Zweifel steht, daß das 11-m-Band angesichts der in diesem Bereich gleichzeitig zugelassenen Hochfrequenzgeräte kein idealer Frequenzbereich für den CB-Funk ist, war die FDP trotz der Dringlichkeit der Entscheidung damit einverstanden, daß zunächst das Ergebnis der Funkverwaltungkonferenz, die Ende letzten Jahres stattfand, abgewartet wurde.Viertens. Daß es richtig war, die Resultate der Konferenz abzuwarten, zeigt sich, nachdem wir nunmehr wissen, daß auch der 900-MHz-Bereich für den CB-Funk international genutzt werden kann. Da dies angesichts ungelöster technischer und betrieb-
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Hoffielicher Probleme aber nur auf längerer Sicht möglich sein wird, hat sich die FDP innerhalb der Koalition, wie Sie wissen, mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß eine Sofortlösung im 27-MHz-Bereich zustandekommt. Nur auf diese Weise kann nach unserer Überzeugung verhindert werden, daß die CB-Funker immer mehr auf Geräte ausweichen, die in der Bundesrepublik nicht zugelassen sind. Nur so kann auch dafür gesorgt werden, daß die Verunsicherung der Industrie und des Handels überwunden wird.Fünftens. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die Deutsche Bundespost unserer Auffassung gefolgt ist und sich bereit erklärt hat, im 11-m-Band zehn zusätzliche Kanäle zur Verfügung zu stellen. Dies ist natürlich ein Schritt in die richtige Richtung. Er ist geeignet, die Überbelegung der Funkkanäle zu überwinden und damit das vordringlichste Problem zu lösen. Die FDP ist auch damit einverstanden, daß für die neue Gerätegeneration auf den vorgesehenen insgesamt 22 Kanälen die Frequenzmodulation vorgeschrieben wird, weil dadurch Störungen auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik ausgeschaltet werden.Sechstens. Ich habe an anderer Stelle gesagt: Die Entscheidung der Bundespost ist in der Tat ein großer Schritt in die richtige Richtung. Dieses sollte auch von der Opposition anerkannt werden. Damit sage ich zugleich, daß natürlich weitere Verbesserungen wünschenswert und auch notwendig bleiben. Vorrangig ist im Moment, daß die Deutsche Bundespost ihre Absichtserklärung ohne Verzug in die Tat umsetzt und damit für alle Beteiligten klare Perspektiven herstellt.Kollege Dollinger hat gesagt, wir hätten in der Frage der Gebühren erklärt, wir würden uns für eine Absenkung einsetzen. Es ist schwierig, dieses so ungeschützt aufrechtzuerhalten, nachdem im Ausschuß sehr plausibel erklärt worden ist, daß wegen des großen Aufwands, der aus durch Störungen hervorgerufenen notwendigen Arbeiten resultiert, eigentlich eine Gebührenerhöhung notwendig wäre. Aber ich meine, daß sich zeigen wird, nachdem wir die Frequenzmodulation haben werden, ob eine solche Gebührenabsenkung, für die wir nach wie vor eintreten, durchgesetzt werden kann und dieses seitens der Post nicht mehr in Frage gestellt werden muß.Nachdem mittlerweile nach Abschluß der Funkverwaltungskonferenz ein halbes Jahr vergangen ist, erwartet die Bundestagsfraktion der FDP zum einen, daß die Deutsche Bundespost umgehend verbindlich erklärt, daß die zehn zusätzlichen Kanäle ab 1. Januar 1981 zur Verfügung stehen. Die Deutsche Bundespost würde, wie wir meinen, ihrer Verantwortung sicher nicht gerecht, wenn sie einer klaren Terminzusage ausweichen und damit die ohnehin bestehende Planungsunsicherheit vergrößern würde.Zum anderen: Die Deutsche Bundespost sollte ihre Absicht, CB-Feststationen mit automatischem Kennungsgeber auszustatten, noch einmal überprüfen, wie wir meinen. Der Bundestagsausschuß für Verkehr hat ja einer solchen Regelung nicht ausdrücklich zugestimmt.Die FDP befürchtet, daß die obligatorische Einführung eines automatischen Kennungsgebers die Einhaltung des Termins 1. Januar 1981 als Zeitpunkt für die Inkraftsetzung des Gesamtpakets der Neuregelungen gefährden könnte und außerdem zu einer erheblichen Verteuerung der Geräte — bis zu 100 bei einfachen Geräten, wie wir uns haben sagen lassen — führen kann.Schwerwiegender wäre aber noch, wenn ein obligatorischer automatischer Kennungsgeber die Wiedereinführung des Einzelgenehmigungsverfahrens — quasi durch die Hintertür — und dazu beträchtlichen Verwaltungsaufwand zur Folge hätte; denn es war ja geradezu das zentrale Element der Einführung des CB-Funks im Jahre 1975, das Einzelgenehmigungsverfahren aufzugeben. Nur diese Entscheidung hat die eindrucksvolle Entwicklung des CB-Funks überhaupt ermöglicht. Eine Abkehr von dieser Grundentscheidung wird unsere Zustimmung nicht finden können.Die Beschränkung der neuen Generation der CB-Feststationen auf 12 Kanäle ist angesichts der Tatsache, daß insgesamt 22 Kanäle zur Verfügung stehen werden, nach wie vor weniger verständlich. Da es das Hauptziel der Erweiterung des Frequenzspektrums ist, die gegenwärtige Überbelegung der Kanäle abzubauen, kann es nicht folgerichtig sein, durch administrative Rahmenbedingungen eine Konzentration des Verkehrsaufkommens auf bestimmten Kanälen hervorzurufen. Wir möchten daher darum bitten, diese Absicht im Hinblick auf die Einführung der Neuregelung noch einmal zu überprüfen.Zusammenfassend, meine Damen und Herren, möchte ich unterstreichen, daß das Konzept der Deutschen Bundespost als vernünftige Übergangslösung unsere Zustimmung findet. Die FDP stimmt deshalb der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3868, den Antrag auf Drucksache 8/2727 abzulehnen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußfassung ist entsprechend den Empfehlungen des Ausschusses erfolgt.Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Böhm (Melsungen), Graf Huyn, Dr. Marx, Petersen, Straßmeir, Dr. Mertes (Gerolstein), Amrehn, Jäger (Wangen), Baron von Wrangel, Frau Tübler, Metz, Dr. Narjes, Lintner, Sauer (Salzgitter), Schröder (Lüneburg), Schmöle und der Fraktion der CDU/CSUKampfgruppen der DDR— Drucksache 8/2918, 8/3522 —Berichterstatter: Abgeordneter Pawelczyk
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Vizepräsident LeberZwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, daß die Diskussion in Form von Kurzbeiträgen geführt wird.Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bedauert die Entscheidung der SPD /FDP-Mehrheiten im Auswärtigen Ausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen für Verteidigung und innerdeutsche Beziehungen, mit der unser Antrag abgelehnt worden ist, der zum Ziel hatte, die militärische Bedeutung der Kampfgruppen in der DDR bei den MBFR-Verhandlungen auf seiten der NATO erneut anzusprechen und in Wien auf Konsequenzen daraus für die westliche Verhandlungsposition hinzuwirken.Während der Beratungen in den Ausschüssen ist bedauerlicherweise keine Änderung der militärpolitischen Einschätzung des Kampfwertes der Kampfgruppen und ihrer strategischen Bedeutung durch SPD und FDP erfolgt, obwohl Kampfwert und strategische Bedeutung dieser Bürgerkriegsarmee der SED im letzten Jahrzehnt hinsichtlich Ausrüstung, Ausbildung und operativer Einsatzfähigkeit nachweislich eine neue Qualität gewonnen haben. SPD und FDP betreiben also unverändert eine gefährliche Verharmlosung der militärischen Bedeutung der Kampfgruppen und der von ihnen ausgehenden Bedrohung. Sie haben den Bürgern ein Jahrzehnt vorgegaukelt, durch ihre Politik sei der Frieden sicherer geworden, und entschließen sich jetzt offenbar lieber zu einer gefährlichen Verharmlosung nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, als den Bürgern reinen Wein über die reale militärische Gefahr einzuschenken.Wenn die Abgeordneten der Koalition, wie aus dem Ausschußbericht hervorgeht, erklären, daß der Kampfwert der Kampfgruppen — ich zitiere — „insgesamt als gering zu veranschlagen sei und ihnen insbesondere keine offensive Bedeutung zukomme", dann steht das im Gegensatz zu den Tatsachen und zu dem, was führende Funktionäre des SED-Regimes selbst über ihre Kampfgruppen sagen und von uns ernst genommen werden sollte. Während von seiten der Bundesregierung erklärt wird, „Gliederung, Ausbildung, Ausrüstung und Unterstellung befähigen die Kampfgruppen nicht zu einem taktisch-operativen Zusammenwirken mit den offensiven Kräften der Nationalen Volksarmee auf dem Gefechtsfeld, schreibt DDR-Generalmajor Leube — ich kann Ihnen dieses längere Zitat leider nicht ersparen —:Ausgehend von den Erfordernissen ... war es notwendig geworden, die Kampfgruppen so zu entwickeln, daß sie vollständig in das System der Landesverteidigung der DDR integriert sind. Das erforderte vor allem ... klare Festlegungen für das Zusammenwirken der Kampf-gruppen mit den anderen bewaffneten Kräften der DDR ... Der Dienst in den Kampfgruppen ist durch einheitliche, verbindliche Dienstvorschriften und andere Weisungen geregelt. ... Die neuen Ausbildungsprogramme ... tragen dazu bei, daß die Kampfgruppen erforderlichenfalls den Kampf mit einem modern ausgerüsteten und gut ausgebildeten Gegner zum Schutz unserer sozialistischen Errungenschaften und des Lebens unserer Bürger führen können. Je nach dem festgelegten Hauptzweck ihres Einsatzes sind die Kampfgruppeneinheiten für operative Aufgaben bzw. für die Sicherung ausgewählter Objekte ... vorbereitet. ... In den Kampfgruppen gelten die gleiche Kommandosprache, die gleichen Prinzipien und Grundsätze für die Organisation und Führung der Kräfte bei taktischen Handlungen wie bei anderen bewaffneten Organen ... Gut entwickelt hat sich auch die Zusammenarbeit mit den anderen bewaffneten Kräften, so mit der Nationalen Volksarmee und den Grenztruppen der DDR. Sie tragen dazu bei, daß sich das internationale Kräfteverhältnis weiter zu unseren Gunsten verändert.Soweit das Zitat.Ich könnte Ihnen, meine Damen und Herren, zahllose Zitate führender Politiker und Militärs der DDR vortragen, in denen sie vom hohen militärischen und strategischen Wert der Kampfgruppen sprechen. Was ist eigentlich näherliegend, als diese 400 000 bis 500 000 Mann starke Zweitarmee der DDR auch als das zu werten, als das die DDR sie selber sehen will, nämlich als einsatzstarker zuverlässiger Waffengefährte der Sowjetarmee und der Nationalen Volksarmee und somit als unverzichtbarer Bestandteil der sogenannten sozialistischen Landesverteidigung?Wenn die Bundesregierung angesichts dieser Tatsache davon spricht, die Kampfgruppen würden deshalb nicht in die Truppenreduzierungsverhandlungen einbezogen, weil dort — ich zitiere — „nur Soldaten, also militärisches Personal des aktiven Dienstes, mitgezählt würden und eine Ausdehnung des Verhandlungsgegenstandes eine — ich zitiere wiederum — „unnötige und unerwünschte Komplikation der Verhandlungen mit sich bringe", gleicht das einer Groteske, die einmal schlimme Folgen für Frieden und Freiheit in Deutschland mit sich bringen kann.Wenn der Verteidigungsausschuß mit SPD /FDPMehrheit beschlossen hat, die Kampfgruppen seien wegen ihrer Unvergleichbarkeit mit westlichen Streitkräften gegenwärtig nicht MBFR-fähig, dann steckt darin ein unglaublicher Zynismus. Der Osten kann also beliebig viele Kampfkräfte aufbauen, er muß nur aufpassen, daß es Vergleichbares im Westen nicht gibt. Dann entzieht sich — so die Logik von SPD und FDP — diese Militärmacht wegen Unvergleichbarkeit jeglichen Abrüstungs- oder Rüstungskontrollgesprächen. Das ist eine Logik, der niemand folgen kann und darf, der Frieden und Sicherheit ernst nehmen und kommunistischen
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BöhmTarnungen und Verschleierungen nicht Tür und Tor öffnen will.Wenn Sie schon die Augen vor der Selbstdarstellung der DDR verschließen, die Darstellungen angesehener ausländischer Militärinstitute übergehen und die Mahnungen der Opposition in diesem Hause nicht hören wollen, so nehmen sie doch, meine Damen und Herren von SPD und FDP, wenigstens zur Kenntnis, was von der Bundesregierung offiziell und offiziös über die Kampfgruppen gesagt wird. So heißt es unter anderem in dem DDR-Handbuch des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen:Der Wert der Kampfgruppen besteht für die Militärpolitik der DDR unter anderem auch darin, daß die Kampfgruppen als Miliztruppe im Falle einer westöstlichen Vereinbarung über die Reduzierung der Stärke der regulären Streitkräfte nicht betroffen wären.Und:Zu Einsatzaufgaben der Kampfgruppen zählen ... Sicherung der Operationsfreiheit der Streitkräfte; Bekämpfung von aus der Luft abgesetzten feindlichen Einheiten; direkte taktische Unterstützung der Streitkräfte.In der Schrift „NVA in Stichworten', von der Bundesregierung finanziert und der Bundeswehr zur Verfügung gestellt, heißt es:In Spannungszeiten und im Kriege sind die Kampfgruppen ein Kampfinstrument, das sowohl nach militärischen Regeln als auch mit unkonventionellen Methoden des Guerillakrieges kämpfen kann. Hier liegt der besondere Wert der Kampfgruppen.Meine Damen und Herren, wenn auch die zahlenmäßige Stärke der Kampfgruppen zwischen 400000 und 500 000 Mann eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland darstellt, so geht es nicht allein darum, bei MBFR eine einfache Addition zu vollziehen. Unser Ziel muß vielmehr sein, Möglichkeiten im militärischen und subversiven Bereich zu erkennen und aufzuzeigen, die uns bedrohen könnten.Wenn Armeegeneral Mielke, der Chef des Staatssicherheitsdienstes, der die Genossen der Kampfgruppen noch vor denen der anderen bewaffneten Organe nennt, darauf hinweist, daß die Kampfgruppen „die ruhmreiche Tradition der bewaffneten proletarischen Hundertschaften der 20er Jahre dieses Jahrhunderts" fortsetzen, dann wird klar, was gemeint ist. Wenn Sie diese Äußerung im Zusammenhang mit den Aussagen über die Fähigkeit der Kampfgruppen zum Guerillakampf und den Äußerungen des Generalmajors Leube über die operative Einsatzfähigkeit der Kampfgruppen sehen, werden die oft verkündeten Änderungen in der Militärdoktrin und der Truppenführung des Ostblocks deutlich.So erhebt sich die Frage, ob angesichts dieser Tatsachen der Westen nicht auf der Basis eines Kriegsbildes agiert und verhandelt, das für die sozialistischen Staaten schon seit einiger Zeit seine Gültigkeit verloren hat. MBFR und SALT erscheinen dann als Verhandlungen um reguläre militärische Streitmacht, die jedoch als Absicherung und Bedrohung nur noch Kulisse für eine andere militärische Zielsetzung ist, nämlich einer bilateralen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung als rein deutsche Angelegenheit unterhalb der Schwelle des Art. 5 des NATO-Vertrages. So sieht auch DDR-Außenminister Fischer in der Zeitung „Volksarmee" NVA und Kampfgruppen als strategische Einheit. Er nennt beide Organisationen gleichwertig nebeneinander, wenn er sagt:Gewissenhafte Ausbildung wie ständige Übungen der Angehörigen der Nationalen Volksarmee und der Mitglieder der Kampfgruppen haben in diesem Zusammenhang eminentes Gewicht.Meine Damen und Herren, wenn Sie unseren Antrag angesichts dieser Tatsachen ablehnen — und Sie scheinen dazu entschlossen —, dann handeln Sie leichtsinnig, leichtfertig und gefährden Frieden und Feiheit.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Möhring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des Antrags der Opposition ist die Einführung der „Kampfgruppen der DDR" in die MBFR- Verhandlungen. Der federführende Auswärtige Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse Verteidigung und innerdeutsche Beziehungen haben jeweils mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen die Ablehnung dieses Antrages empfohlen.
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— Auf 100 000 kommt es Ihnen wahrscheinlich nicht an. Wir sollten hier korrekt bleiben. Ich versuche, Punkt für Punkt korrekte Angaben zu machen, damit man das einmal nachlesen kann. Ich bin Ihnen dankbar für jede zusätzliche Information. Wir haben hier gar nichts zu verkleistern.
Wir verwahren uns dagegen, daß das in den Bereich der Polemik gezogen wird.
7. Die „Kämpfer", wie sie sich nennen, sind nur bis zur Bataillonsebene innerhalb der Betriebe gegliedert. Sie kennen keine Großverbände. Sie unterstehen den örtlichen SED-Leitungen. Oberste Führung ist das Ministerium des Innern.8. Die Ausbildung bezieht sich allein auf Objektsicherung der Betriebe und Institutionen und auf begrenzte Verteidigung im- Umfeld dieser Objekte.9. Die Bewaffnung beschränkt sich auf leichte und schwere Infanteriewaffen. Diese sind — streng bewacht — in Depots der Volkspolizei eingelagert. Die Kampfgruppen besitzen keine Kampfpanzer. Sie werden jedoch zum Zwecke der Panzerabwehr an Panzern ausgebildet.10. Ein Einsatz mit älteren deponierten Panzermodellen ist nicht denkbar, weil jüngere Wehrpflichtige ständig an modernsten Panzertypen ausgebildet werden und den Bezug zu älteren Modellen bald verlieren, die sie dann nicht beherrschen.11. Keine einzige Publikation oder Fachzeitschrift der DDR hat bisher zweifelsfrei bewiesen, daß Kampfgruppen mit schweren Artilleriewaffen oder Kampfpanzern ausgerüstet sind. Nach den gegenwärtigen Ausrüstungsprioritäten der DDR, nämlichNVA, Grenztruppen, Volkspolizei und ganz zum Schluß erst Kampfgruppen, ist dies auch undenkbar.12. Kampfgruppen haben keinerlei militärische Bedeutung im Sinne taktischer Angriffsoperationen im Zusammenwirken mit den strategischen Angriffsstaffeln des Warschauer Paktes. Sie können allerdings in der Gesamtverteidigung der DDR bedingt entlastend wirken.13. Unter militärischen Fachleuten ist unbestritten, daß Verbände der Kampfgruppen in Großverbände der Warschauer Pakt-Staffeln einsatz- und führungsmäßig überhaupt nicht eingeführt werden können, um die von der Opposition immer wieder behauptete zusätzliche Angriffskapazität herzustellen.14. Allerdings müssen die Kampfgruppen als Teil einer politischen Strategie gewertet werden, möglichst große Teile der Bevölkerung zu militarisieren und sie in ein gesamtgesellschaftliches BefehlGehorsam-Verhältnis mit einzubinden. Das beginnt bei Kindergärten und reicht über Junge Pioniere und schulischen Wehrkundeunterricht bis hin zur vormilitärischen Ausbildung in der FDJ, in der Gesellschaft für Sport und Technik und anderen Einrichtungen.15. Aber auch für die originären Aufgaben des Objektschutzes und die Entlastung regulärer Truppen durch Sicherungsaufgaben sind die Kampfgruppen in einem Kriegsfall nur bedingt heranziehbar, weil sie dann für verstärkte Produktion von Rüstungsgütern verpflichtet sind. Niemand kann an zwei Orten gleichzeitig sein. Sie können auch nicht durch Frauen ersetzt werden. Diese sind bereits im Frieden „gleichberechtigt" arbeitsverplant.16. Die Kämpfer müssen jährlich 140 Ausbildungsstunden absolvieren. Damit ist jedes zweite Wochenende verplant. Die Ausbildung erfolgt außerhalb der Arbeitszeit. Wegen dieser Doppelbelastung am Arbeitsplatz und in den Kampfgruppen wächst das Desinteresse bei Arbeitern im fortgeschrittenen Alter. Der Kampfwert ist nicht sehr hoch.17. Die Gesamtstärke der Kampfgruppen verändert sich kaum. Denn wegen der Verpflichtungszeit, die vom 25. bis zum 60. Lebensjahr reicht, gibt es keine Reservisten. Sie produzieren allenfalls Pensionäre.Meine Abschlußbewertung: Wegen ihres Charakters als einer reinen Parteiarmee gelten die Kampfgruppen als irreguläre Kombattanten im Sinne des Art. 3 der Haager Landkriegsordnung. Sie werden daher von den MBFR-Vereinbarungen über Zählkriterien nicht erfaßt. Sie sind damit unter den gegenwärtigen Voraussetzungen — auch wegen ihrer Unvergleichbarkeit mit westlichen Streitkräften — nicht MBFR-fähig.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt daher den Antrag aus solchen übergeordneten politischen Gründen ab. Sie lehnt ihn auch deshalb ab, damit die MBFR-Verhandlungen über Zählkrite-
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Möhringrien durch Ihre Einwirkung nicht wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als der Kollege Böhm eingangs sein Bedauern äußerte und auch davon sprach, daß man dem Bürger reinen Wein einschenken sollte, war ich versucht, zu fragen, ob er sich nicht im Tagesordnungspunkt geirrt habe. Denn der fränkische Bocksbeutel ist Beratungsgegenstand erst des nächsten Tagesordnungspunktes.
Herr Kollege Böhm, ich bedaure, daß an Ihrer Stelle nicht ein Verteidigungspolitiker der Union gesprochen hat. Auch haben Sie hier offenbar im falschen Saal gesprochen. Denn ich sehe hier — außer Herrn Kollegen Biehle — niemanden, der aus den Reihen der Union zu diesem Thema sachkundig sprechen könnte.
Die CDU/CSU hat die Bundesregierung in ihrem Antrag dazu aufgefordert, die militärische Bedeutung der Betriebskampfgruppen der DDR im Hinblick auf MBFR — ich möchte meinen Ausführungen im wesentlichen darauf konzentrieren — in der NATO erneut anzusprechen und auf zweckdienliche Konsequenzen für die westliche Verhandlungsposition in Wien hinzuwirken. Was bedeutet das? Das bedeutet doch, daß man sie auch in die soeben vom Kollegen Möhring genannten Zählkriterien einbeziehen soll. Dieser Antrag wurde unter Berücksichtigung der Ablehnungsempfehlung durch die mitberatenden Ausschüsse für Verteidigung und für innerdeutsche Beziehungen auch vom federführenden Auswärtigen Ausschuß abgelehnt. Ich betone, daß dies sehr wohl überlegt war. Ich werde das im einzelnen noch begründen. Die Gründe, die zur Ablehnung des Antrags geführt haben, wurden ja auch schon im Laufe der Beratung am 28. Juni 1979 — unter anderem von mir — von dieser Stelle aus genannt. Es genügt daher, daß ich diese Gründe noch einmal kurz aufzähle.
Erstens. Ost und West haben sich auf bestimmte Zählkriterien für die Wiener MBFR-Verhandlungen geeinigt. Es sollen nur solche Soldaten einbezogen werden, die Uniformen der Land- oder Luftstreitkräfte tragen und die ständig ausschließlich militärischen Dienst versehen. Herr Kollege Möhring hat hierauf bereits verwiesen.
Zweitens. Eine Reduzierung nach diesen Kriterien auf die vom Westen gewünschte beiderseitige kollektive Gesamthöchststärke von 750 000 Soldaten würde immerhin einen guten Schritt auf größere Ausgeglichenheit der konventionellen Kräfteverhältnisse in Mitteleuropa und damit eine erhebliche Anhebung der atomaren Schwelle bedeuten. Das wäre für unser Volk von vitaler Bedeutung. Das ist viel wichtiger als das, was Sie hier erwähnten, nämlich die Frage der Einbeziehung hier einzuführen. Das gilt um so mehr, als ja nicht nur über Personalverringerungen, sondern auch über die Reduzierung bestimmter Waffen, ja sogar über Vorschläge zum
Abzug sowjetischer Panzergroßverbände verhandelt wird.
Weil ein von Ausgewogenheit gekennzeichneter Erfolg dieser Verhandlungen für uns von existentieller Bedeutung ist, sollten wir alles mit unserer Sicherheit Vereinbarende unternehmen, um die Wiener Gespräche voranzubringen und sie nicht zu stören, wie es zweifellos durch Ihren Antrag geschehen würde.
Die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition hat daher Ende 1979 eine weitere Initiative ins Bündnis eingebracht, die inzwischen auch als Angebot an die Staaten des Warschauer Pakts auf den Tisch gelegt wurde.
Herr Kollege Jung, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Jawohl, ich erlaube sie, Herr Präsident.
Verehrter Herr Kollege, Sie sprachen soeben davon, daß die Gefahr des Störens der Einigung über die Zählkriterien eintreten könnte, wenn die Frage der Kampfgruppen eingebracht würde. Sind Sie nicht mit mir der Meinung — wir waren ja beide zusammen bei Tarassow in Wien gewesen —, daß über sieben Jahre hinweg die Einigung über die Datenfrage und in bezug auf die Zählkriterien ohne Einfluß der Belange der DDR-Kampfgruppen verschleppt und bis heute verzögert wurde und daß dies bisher — —
Herr Kollege Biehle, Sie dürfen Ihre Frage nicht in einen Diskussionsbeitrag ummünzen. Entschuldigen Sie!
Herr Kollege Biehle, natürlich bedaure ich wie Sie, daß diese Verzögerung in den MBFR-Verhandlungen aus vielerlei Gründen, u. a. natürlich wegen der Datendiskussion, eingetreten ist. Aber Sie werden mir doch einräumen, daß dieser Antrag exakt diese Störung oder das, was wir beide gemeinsam beklagen, um weitere sieben Jahre fortsetzen würde. Das ist doch der Punkt, weswegen ich sage: Hier soll man die Einigung, die erfolgt ist, nicht durch einen Antrag stören, der zweifellos dazu führen würde, daß u. a. eine ganze Reihe von Zivilbediensteten auf der westlichen Seite in die Zählkriterien einbezogen würde. Wie ständen wir dann da! Das ist der Grund, weswegen ich sagte: Ich bedaure eigentlich, daß nicht einer der verteidigungspolitischen Sprecher der Union zu dieser Frage Stellung genommen hat.Die Initiative, von der ich soeben sprach, ist leider bisher ohne konstruktive Antwort des Ostens geblieben. Sie zielt darauf ab, daß es in der ersten Reduzierungsphase zunächst zum Abzug ausschließlich amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte auf der Grundlage vereinbarter sowjetischer und amerikanischer Daten kommt. Diese Einigung will die Schwierigkeit der sogenannten Datendiskussion, über die wir ja soeben debattierten, und damit
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Jungein Haupthindernis für Fortschritte in der MBFR abbauen. Das zeugt von verantwortungsbewußter Behandlung dieses Problems, das für die Sicherheit unseres Landes von großer Bedeutung ist. Gerade in der derzeit krisenhaften Lage kommt es darauf an, alles zu unternehmen, um den Dialog, auch den rüstungskontrollpolitischen Dialog, aufrechtzuerhalten und allen erschwerenden Ballast aus dem Weg zu räumen. Die Forderung an das Bündnis nach Einbeziehung der Kampfgruppen in die MBFR-Verhandlungen — dies wäre eine der möglichen Konsequenzen, die aus Ihrem Antrag gezogen werden könnten — würde aber — das habe ich soeben schon gesagt — neue Widrigkeiten auf dem Weg zu einer Übereinkunft zwischen NATO und Warschauer Pakt auftürmen. Man kann nicht mitten in laufenden Verhandlungen die Zählkriterien ändern wollen. Man kann dies auch deshalb nicht tun, weil sonst möglicherweise auch die mehr als 170 000 zivilen Kräfte der Bundeswehr, die Zivilbediensteten bei den amerikanischen Streitkräften und andere einbezogen werden müßten. Was dies bedeutet, können Sie sich selbst ausmalen.Ich betone hier noch einmal: Ihr Antrag ist nicht geeignet, die Position des Westens bei diesen Verhandlungen zu stärken. Er ist nicht geeignet, die MBFR-Verhandlungen voranzutreiben, sondern er ist ausschließlich dazu geeignet, die Position des Westens zu schwächen und diese Verhandlungen im Augenblick zu stören. All das ist Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, von mir und anderen Kollegen der sozialliberalen Koalition von dieser Stelle aus schon einmal entgegengehalten worden.Welche anderen Folgerungen könnten aus Ihrem Antrag gezogen werden? Ist es etwa eine Mahnung, an dem Prinzip der Parität und der Kollektivität festzuhalten? Dieser Mahnung bedarf die Bundesregierung nicht. Die Zuständigkeit für MBFR ist bei Außenminister Genscher in besten Händen. Er wird sich nicht auf Abenteuer einlassen, die unsere militärische Sicherheit und damit die politische Stabilität in Mitteleuropa gefährden würden. Das ist uns ja auch oft genug von Ihnen bestätigt worden. — Ich sehe jetzt den Herrn Kollegen Mertes nicht; er würde sicher zustimmen. — Bleibt also, daß Sie uns möglicherweise mahnen wollen, daß die Kampfgruppen der DDR als ein Instrument nicht in Vergessenheit geraten dürfen, das die regulären Streitkräfte immerhin von Aufgaben der Sicherung, des Objektschutzes, einschließlich der Sicherung der Verbindungswege entlasten und damit zur Stärkung des Potentials der Warschauer-Pakt-Staaten mittelbar beitragen kann. Aber auch diese Erinnerung ist nicht notwendig, Herr Kollege Böhm, denn gerade diese Feststellung stammt ja von der Bundesregierung selbst. Sie wurde in der soeben von mir zitierten Form als Antwort auf Ihre Kleine Anfrage vom 23. August 1978 getroffen und von Ihnen zur Begründung Ihres Antrags benutzt.Lassen Sie mich zusammenfassen. Ihr Antrag ist für MBFR nicht hilfreich, er ist im Gegenteil außerordentlich störend und schädlich. Er soll die Bundesregierung an Tatsachen erinnern, an die sie nicht erinnert zu werden braucht. Er ist also, wenn man von übergeordneten Gesichtspunkten unserer Sicherheit ausgeht, zumindest sinnlos.Allerdings mögen Sie einen parteipolitischen Zweck damit verfolgen, indem Sie in der Bevölkerung Angst hinsichtlich der Frage zu erzeugen versuchen, ob denn die Rüstungskontrollverhandlungen beim Bündnis in den richtigen Händen liegen und ob die Bundesregierung im Bündnis ausreichend darüber wacht, daß das Prinzip der unverminderten Sicherheit auch eingehalten wird. Aber diese Rechnung wird und kann nicht aufgehen, Herr Kollege Böhm. Auch wenn die Bevölkerung keine Detailkenntnisse über rüstungskontrollpolitische Probleme besitzt; sie hat doch ein gutes Gespür dafür, was seriöse Politik ist. Dieser Antrag fällt nicht in die Kategorie der seriösen Politik, denn wie alle Politik unseriös ist, die mit der Angst Geschäfte zum eigenen Vorteil zu machen versucht, ist auch dieser Antrag in diese Kategorie einzuordnen.Ich empfehle und beantrage daher für meine Fraktion, den Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/3522, den Antrag auf Drucksache 8/3918 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Es ist entsprechend der Empfehlung des Ausschusses beschlossen.
Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Glos, Dr. Bötsch, Biehle, Gerlach , Lintner, Frau Schleicher, Ziegler, Dr. Zimmermann, Röhner, Dr. Miltner, Dr. Friedmann, Bühler (Bruchsal), Niegel, Graf Huyn, Kiechle, Spranger, Hartmann, Regenspurger, Voigt (Sonthofen), Dr. Waigel, Frau Männle, Rainer, Dr. Warnke, Dr. Fuchs, Dr. Riedl (München), Bahner, Straßmeir, Haberl, Dr. Schneider, Dr. Rose, Frau Krone-Appuhn, Dr. Jobst und Genossen zum Schutz des fränkischen Bocksbeutels
— Drucksache 8/3935 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Interfraktionell ist für jede Fraktion ein Kurzbeitrag vereinbart worden. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Das Wort hat der Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, daß es um diese Zeit vergnüglicher wäre, einen Bocksbeutel zu trinken, als über den Rechtsschutz desselben zu diskutieren.
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17620 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 218. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Mai 1980
GlosIch bedanke mich, daß Sie dennoch dageblieben sind, um etwas über dieses Problem der fränkischen Weinwirtschaft zu erfahren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, normalerweise ist die Beschäftigung mit dem Bocksbeutel, besser gesagt: mit dessen Originalinhalt, dem Frankenwein, eine vergnügliche, erbauliche und, wenn man diesen Wein in Maßen genießt, auch eine gesundheitsfördernde Angelegenheit. Muß man sich jedoch jetzt — wie heute abend — mit dem Rechtsschutz dieser Flaschenform befassen, dann wird es schon schwieriger, und der Wein schmeckt gar nach Essig, wenn man an die bisherigen Leistungen der Bundesregierung auf diesem Gebiet denkt.
Der Bocksbeutel ist ein durch Jahrhunderte bewahrtes, liebenswertes Merkmal Frankens. Er ist für Franken so typisch wie die schöne Landschaft um Main und Steigerwald, die bekannte fränkische Gastlichkeit oder die herrlichen Kirchen und Schlösser berühmter fränkischer Baumeister wie Balthasar Neumann.Noch typischer, weil für Kenner unverwechselbar und unerreicht, ist allerdings der Inhalt des Bocksbeutels, der in Franken und in einigen besonders bezeichneten Anbaugemeinden Badens gewachsene Wein. Nicht umsonst schrieb schon Goethe 1806 an seine Frau:Sende mir noch einige Würzburger; — sprich: Frankenwein —denn kein anderer Wein will mir schmecken. Und ich bin verdrießlich, wenn mir mein gewohnter Lieblingstrank abgeht.Ist es verwunderlich, daß sich bei der traditionell gepflegten hohen Qualität des fränkischen Weins ande re Weinverkäufer aufdrängen und anhängen wollen, um daraus ungerechtfertigt Kapital zu schlagen? Die Masse der Weinverbraucher, nicht der exzellente Weinkenner — der weiß dies natürlich —, verbindet in ihrer Vorstellung Frankenwein und Bocksbeutelflasche untrennbar miteinander. Deswegen versuchen auch ausländische Weinanbieter, besonders ein großer portugiesischer Konzernbetrieb, das gute Image der fränkischen Bocksbeutelflasche für sich zu nutzen, und werfen große Mengen qualitativ minderwertigen Wein, das heißt Wein, der nicht den hohen Ansprüchen unserer Qualitätsweinverordnung entspricht, in Bocksbeutelflaschen auf den deutschen Markt. Nicht nur für die fränkische Weinwirtschaft ist dies ein untragbarer Zustand, ich meine, es ist fast eine Beleidigung Frankens.
Deswegen dringt die fränkische Weinwirtschaft und mit ihr die fränkische Bevölkerung auf eine gemeinschaftsrechtliche Regelung des Schutzes des Bocksbeutels innerhalb der EG. Diese Flaschenform garantiert traditionell die Spezialität und die Originalität des zu 85 % in kostenaufwendigen Hang- und Steillagen gewonnenen Frankenweins. Sie garantiert auch die wirtschaftliche Existenz von zirka 5 500 fränkischen Winzern und ihren Familien undden dazugehörigen Beschäftigten in den Vermarktungseinrichtungen, die in Franken in einer gesund gemischten Struktur bestehend, aus Winzergenossenschaften, Selbstvermarktern und Weinhandel, vorhanden sind.Aber nicht nur die Weinwirtschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders auch der Verbraucher hat ein Recht auf Schutz.
Eine Bocksbeutelflasche, gefüllt mit anderem Wein als Frankenwein, ist für mich nun einmal eine Mogelpackung. Es ist mir unverständlich, daß der Verbraucher vor dieser Mogelpackung noch nicht geschützt ist.
Seit vielen Jahren laufen Bemühungen der bayerischen Staatsregierung und auch fränkischer Bundestagsabgeordneter beider Seiten dieses Hauses, eine Verbesserung des Rechtsschutzes des Bocksbeutels zu erreichen. Meine Akten allein zu diesem Thema füllen bereits drei Ordner. Aber bisher kann man leider nur resignierend feststellen: Außer Spesen nichts gewesen. Trotz aller Initiativen kann die Bundesregierung, die allein für eine Regelung innerhalb der EG zuständig ist, bisher kein wirksames Ergebnis vorlegen.An öffentlichkeitswirksamen Beteuerungen hat es nie gefehlt. Die Bundesregierung und vor allen Dingen die Abgeordneten der Koalitionsparteien haben immer wieder — vor allem vor Wahlen — gesagt, sie hätten dieses Problem im Griff und würden es in Ordnung bringen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bötsch?
Ja, wenn sie kurz ist.
Herr Kollege Glos, würden Sie in Ihre Beurteilung des Sachverhalts, wie Sie ihn gerade dargestellt haben, insbesondere auch Wahlanzeigen, Annoncen und Prospekte von der letzten Bundestagswahl einschließen, in denen beide Abgeordnete der Wahlkreise Würzburg und Schweinfurt von der SPD den Wählern damals gesagt haben, der Schutz des fränkischen Bocksbeutel sei bereits erreicht?
Ich habe dies damals mit großer Freude zur Kenntnis genommen, weil ich diese Sache weniger unter wahltaktischen Gesichtspunkten betrachtet habe, sondern weil ich gemeint habe, jetzt wird endlich etwas für die fränkische Weinwirtschaft getan.Selbstverständlich waren diese Beteuerungen, so wie Kollege Bötsch gesagt hat, immer wieder dann stark, wenn Weinproben stattgefunden haben, wenn man bei fränkischen Winzergenossenschaften eingeladen war oder wenn auch hier in Bonn Frankenwein ausgeschenkt worden ist.Es ist verständlich, daß der fränkische Weinbauverband seit Jahren auf eine befriedigende Lösung
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Glosdieses Problems drängt, nicht erst jetzt vor der Bundestagswahl. Aber solche Zeitpunkte vor Wahlen sind in unserer Demokratie auch dazu da, daß Probleme, die lange anstehen, endlich einer Lösung zugeführt werden.Wir als fränkische Abgeordnete freuen uns, wenn wir in dieser Frage Verbündete erhalten. Wir sind auch nicht futterneidisch, wenn andere die Publizität, die der Bocksbeutel nun einmal hat, für sich ausnutzen. So habe ich jetzt mit Freude in einer großen fränkischen Zeitung gelesen, daß der Bremer Bürgermeister Koschnick gesagt haben soll, der „Bocksbeutel gehöre den fränkischen Winzern. Diese fränkische Zeitung glaubt, daß dies einen ganz besonderen Wert habe, weil dieser Bremer Bürgermeister es gesagt hat und weil jetzt auch von dieser Seite Unterstützung kommt. Wir sind jedenfalls sehr gespannt, wie es weitergeht.
— Das ist leider wahr.Weil Politiker, die Franken besuchen, immer wieder betonen, daß sie dieses Problem endlich lösen wollen — jüngst war wieder eine Delegation von SPD-Abgeordneten dort —, und weil wir doch hier gern einmal die Nagelprobe machen und ein Exempel statuieren möchten, haben wir diesen Antrag hier im Bundestag eingereicht. Es ist für uns als Parlamentarier sozusagen das letzte Mittel, ein Problem voranzutreiben.Ich bedanke mich bei der Fraktionsführung der CDU/CSU, daß sie Verständnis gehabt hat, dieses Thema auch heute hier zu diskutieren. Ich bedanke mich bei allen Kollegen, die diesen Antrag mit unterschrieben haben.
In diesem Antrag, der Ihnen vorliegt, wird die Bundesregierung — wenn Sie jetzt zustimmen, vom ganzen deutschen Parlament — aufgefordert, endlich Regelungen auf der Grundlage der sogenannten „Würzburger Vereinbarung vom 3. September 1976" zu treffen und dabei auch die jetzt laufenden Verhandlungen über den Beitritt Portugals zur EG zu nutzen.Wenn man diese letzte Frist verstreichen läßt, ist der Zug für die ' Frankenweinfreunde möglicherweise abgefahren, und der Bocksbeutel hat seine Rolle als typisches Merkmal für höchste Qualität endgültig verloren. Wir alle, meine Damen und Herren, nicht nur die Winzer, sind dann ein Stück ärmer geworden. Wenn es uns nicht gelingt, diese typisch fränkische Bocksbeutelflasche zu schützen, dann nähren wir möglicherweise ein Vorurteil, das nun einmal in der Bevölkerung ein bißchen vorhanden ist. Man behauptet nämlich, in Bonn säßen sowieso zu viele Flaschen. Dies. möchten wir vermeiden. Ich bin überzeugt, auch Sie möchten dies vermeiden. Deswegen und auch aus Liebe zum Frankenland, bitte ich Sie, unserem vorliegenden Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, der nächste Redner stammt nicht aus dem unmittelbaren Anbaugebiet fränkischer Weine, aber er gehört zu den großen Verehrern des Bocksbeutels, glaube ich. Das Wort hat Herr Abgeordneter Neumann .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier ein Norddeutscher, der zudem ganz gern ab und zu ein Glas Bier trinkt, zu dem Antrag spricht, so können Sie daraus entnehmen, daß wir erkennen, daß dieser Antrag dem Schutz der weintrinkenden Verbraucher und natürlich der fränkischen Weinwirtschaft dient und daß wir mit allem Ernst dieses Anliegen unterstützen, das Sie hier vorgetragen haben. Ich werde mir deshalb, auch auf Bitten der Wahlkreisabgeordneten, verkneifen, diese oder jene humoristische Bemerkung zu machen, die bei dem Thema auf den ersten Blick wohl möglich wäre.Ich sehe, Sie haben dort sogar eine Flasche liegen, Herr Kollege Glos. Vielleicht halten Sie sie einmal hoch, damit die Kollegen, die keinen Bocksbeutel kennen, wissen, um was es hier geht.Ich weiß; Herr Dr. Ritz, wir Norddeutschen können viel leichter Osnabrücker Maibock als Bocksbeutel aussprechen. Sie sehen daran, daß ich mich bemüht habe, auch dies hinzukriegen.Der Schutz der Bocksbeutelflasche für Qualitätsweine aus bestimmten Anbaugebieten in Franken und in Baden, die traditionell in diese Flaschenform abgefüllt werden, ist im Inland schon durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. März 1971 gewährleistet. Darin ist bestätigt worden, daß mit dieser Flaschenform ein mittelbarer Herkunftshinweis entwickelt worden ist, mit dem die Weintrinker eine allgemeine Wertschätzung verbinden. Zunehmend ist jedoch, wie in der Begründung des Antrags zu Recht festgestellt ist, auf dem Inlandmarkt ein Angebot aus Drittländern in ähnlichen Flaschen zu bemerken, die zu einer Täuschung der Verbraucher und damit letztlich auch zu einer Schädigung der Weinwirtschaft führt.Das ist im übrigen von der Bundesregierung frühzeitig erkannt worden, und sie hat sich, ohne daß es dieses Antrags bedurft hätte, sehr früh bei den Beratungen über ein gemeinschaftliches Weinbezeichnungsrecht dafür eingesetzt, daß der Schutz der Bocksbeutelflasche zu einem mittelbaren Herkunftshinweis für fränkische und badische Weine festgeschrieben wird. So hat die Bundesregierung, übrigens gegen den Widerstand von Delegationen anderer Länder, durchgesetzt, daß in die Weinbezeichnungsverordnung des Rates 1974 eine entsprechende Ermächtigung aufgenommen worden ist und in dem Entwurf der Durchführungsverordnung der Kommission eine Schutzvorschrift für die Bocksbeutelflaschen vorgesehen ist. Da diese Schutzvorschrift einerseits verbesserungsbedürftig war, andererseits jedoch wegen dringender Verabschiedung der Verordnung nicht mehr ausreichend beraten werden konnte, hatte die Bundesregierung die Streichung im Verordnungsentwurf beantragt. Da in erster Linie, wie wir schon gehört haben, portugiesische Weine auf den Markt drängen und die portu-
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Neumann
giesische Seite in bilateralen Verhandlungen seine Zusage erteilt hatte, zuzugestehen, daß innerstaatliche Regelungen getroffen werden, haben sich die Verhandlungen bis 1979 hinausgezögert.Bei einer Besprechung, die auch Sie erwähnt haben, im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist Einvernehmen darüber erzielt worden, daß nunmehr bei Fortführung bilateraler Verhandlungen mit Portugal die Aufnahme einer in dieser Sitzung abgestimmten Schutzvorschrift, die unter allen Beteiligten einhellig abgestimmt wurde, in die Durchführungsverordnung der Kommission beantragt wird.Allerdings wird es sich nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 1979 wohl kaum durchsetzen lassen, daß der Besitzstand hinsichtlich der von den fränkischen Weinbauern benutzten grünen Flaschen in der Weise gewährleistet wird, daß die Portugiesen oder andere Länder entsprechende ungetönte weiße Flaschen auf den Markt bringen. Letztlich muß diese Frage auch noch in den Ausschußberatungen unter Beteiligung der Juristen eingehend geklärt werden. Hier muß von uns endgültig entschieden werden, welchen Antrag wir stellen werden.Der Antrag der Kollegen der CDU/CSU ist also insofern hilfreich, als er auch den gemeinsamen Willen von uns allen und die Bemühungen der Bundesregierung unterstützt.Wenn alles dies nicht hilft, so wird möglicherweise diese Frage bei den Verhandlungen über den Beitritt Portugals zur EG berücksichtigt werden. Ich will nur nicht hoffen, daß Portugal nun wegen der Bocksbeutelflaschen nicht der EG beitritt. Das wollen wir sicherlich alle nicht.In den weiteren Beratungen des Ausschusses soll deutlich gemacht werden, wie groß das Interesse von uns allen, den Beteiligten, den betroffenen Wirtschaftskreisen sowie den Abgeordneten hier und denen des Europäischen Parlaments, ist, auf hoher Ebene der EG-Kommission in einem Gespräch nochmals die große wirtschaftliche und politische Bedeutung deutlich zu machen, die wir dieser Frage beimessen.Wir bitten daher, den Antrag dem zuständigen Ausschuß zu überweisen und damit mitzuhelfen, daß dem deutschen Bocksbeutel, den Anbaugebieten in Franken und Baden und dem Verbraucher gedient wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag zum Schutz des fränkischen Bocksbeutels rennt man bei uns offene Türen ein. Herr Kollege Glos, Sie hätten für uns alle sprechen können; aber leider können Sie sich selbst bei diesem Thema einiger polemischer Schlenker nicht enthalten.
Die Bundesregierung braucht nicht erst aufgefordert zu werden, entsprechende Maßnahmen zu unternehmen; denn alles läuft, wie bekannt sein dürfte, seit Jahren.
Wer die Schwierigkeiten bei diesen Verhandlungen kennt, der weiß, daß dieser Antrag dennoch wichtig ist, weil er geeignet ist, die Verhandlungsposition der Bundesregierung zu stärken, weil die Forderung nach dem Schutz des Bocksbeutels durch ein Votum des Parlaments ein stärkeres Gewicht bekommt.
Ich möchte Sie daran erinnern, daß die EG-Kommission bereits 1975/76 Vorschläge unterbreitet hatte, die aber von der fränkischen Weinwirtschaft als unzureichend abgelehnt wurden. Die fränkische Weinwirtschaft war der Auffassung, daß der Bocksbeutel auf dem Rechtsweg besser geschützt werden könne. Der Bundesgerichtshof hat aber 1979 — leider — entschieden, daß die portugiesische Flasche keine Bocksbeutelflasche herkömmlicher Art sei und ferner auch eine Irreführung wegen des deutlich erkennbaren Hinweises auf Portugal in der Etikettierung nicht vorliege.
Die bisherigen Bemühungen, über die portugiesische Botschaft, den portugiesischen Minister und andere, eine entsprechende Regelung mit Portugal zu vereinbaren, sind bisher erfolglos geblieben. Die von portugiesischer Seite vorgeschlagenen Entwürfe befriedigen uns aus den im vorgenannten Antrag genannten Gründen nicht.
Deshalb fand am 25. April 1980 im federführenden Ministerium eine Besprechung mit allen an der Angelegenheit interessierten Kreisen statt. Es bestand Einvernehmen, wie folgt vorzugehen: Anstreben einer Regelung zum Schutz des Bocksbeutels im EG-
Bezeichungsrecht; Fortsetzung der bilateralen Verhandlungen mit Portugal; Versuch, das Problem in Beitrittsverhandlungen mit Portugal einzubeziehen; Unterrichtung der deutschen Abgeordneten des Europaparlaments, um auf dieser Ebene Initiativen aufzunehmen. Gleichzeitig wurde ein Vorschlag für die Regelung im EG-Recht erarbeitet, der der EG-Kommission zugeleitet werden soll. Der Entwurf sieht vor, daß die Verwendung der Bockbeutelflasche grundsätzlich den Qualitätsweinen aus Franken und einigen badischen Gemeinden vorbehalten bleiben soll. Abweichend davon soll die Flasche aber auch, sofern dies im Herkunftsraum für den Wein herkömmlich und üblich ist, verwendet werden dürfen für Qualitätsweine, die eindeutig definiert sind, Roséweine gehobener Qualität aus Portugal, wenn sie in ungetönten Flaschen abgefüllt sind, die Gleichwertigkeit der Produktionsbedingungen mit denen eines Qualitätsweines anerkannt ist, die Benutzung der Flaschen im Herkunftsraum traditionell üblich ist und die portugiesischen Erzeuger auf Grund des langjährigen Gebrauchs im Gebiet der Gemeinschaft ein schützenswertes Interesse an der Weiterbenutzung haben.
Dies ist die Meinung der betroffenen Winzer genauso wie die der Bundesregierung und auch meiner Fraktion. Es zeigt sich also, daß in dieser Angele-
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genheit eine große Übereinstimmung zwischen den Fraktionen vorliegt. Gerade deshalb ist die vorliegende Entschließung geeignet, die Bundesregierung in ihren Bemühungen zu unterstützen. Eine weitere Wiederholung der Argumente meiner Vorredner erübrigt sich. Ich kann mich diesen Argumenten anschließen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags auf Drucksache 8/3935 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Finanzpolitische Bestandsaufnahme
— Drucksache 8/3978 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort dazu nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 25 auf:
Beratung der Sammelübersicht 69 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/4018 —
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/4018, die in der Sammelübersicht 69 enthaltenen Anträge anzunehmen, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über die tierzüchterischen Normen für Zuchtschweine
— Drucksachen 8/3670, Nr. 15, 8/3998 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder
Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 9/3998 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand? — Das ist nicht der Fall. Der Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich danke Ihnen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.