Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Zusatzpunkte:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über das Ergebnis der Verkehrsverhandlungen mit der DDR
a) Zweite und dritte Beratung des von der •Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (Drucksache 8/2285)
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Diederich Abgeordneter Dr. Schäuble
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
Besdilußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (Drucksache 8/2285)
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Diederich Abgeordneter Dr. Schäuble
Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist dies so beschlossen. Ich darf darauf hinweisen, daß unter den Zusatzpunkten auch. die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über das Ergebnis der Verkehrsverhandlungen mit der DDR aufgeführt ist. Dieser Punkt wird heute im Anschluß an die Fragestunde aufgerufen werden.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Breidbach, Dr. Narjes, Schmidhuber, Dr. Köhler , Dr. Dollinger, Dr. Unland, Pieroth, Dr. von Geldern, Kittelmann, Vogt (Dünen), Dr. Biedenkopf, Lampersbach, Lenzer, Dr. Hoffacker, Dr. Hüsch und der Fraktion der CDU/ CSU
Rohstoffpolitik der Bundesregierung — Drucksachen 8/1681, 8/1981 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Redezeit von vier Stunden vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breidbach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorab, gewissermaßen außerhalb der Tagesordnung: Wir freuen uns natürlich, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie, zurückgekehrt von der Walstatt in Mainz, unter uns sind. Wir hatten schon große Sorge, daß der Versuch, sich „zurechtzukompromissen", nicht gereicht hätte, um Ihre Anwesenheit heute bei uns sicherzustellen. Aber Sie können sicher sein, daß wir uns nicht so „zurechtkompromissen" müssen, wie das an den Stellen geschieht, an denen Sie Ihre Positionen im eigenen Lager zu verteidigen haben.
— Sie hätten es doch auch bedauert, wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht hier gewesen wäre. Ihre Sorgen wären dann doch mit Sicherheit größer gewesen als unsereMeine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir einige grundsätzliche Vorbemerkungen zu der Großen Anfrage zur Rohstoffpolitik; Bemerkungen, die vielleicht etwas auf die Perspektiven und auf die Dimensionen des Themas eingehen sollen. Wir meinen, daß die Nachfolger von Malthus im Club of Rome in Fortsetzung einer langen Tradition beängstigende Prophezeiungen zum jeweils bevorstehenden Weltuntergang gemacht und die Zukunft der Menschheit auch pessimistisch beurteilt haben. Die düsteren Zukunftsprognosen begründete auch der Club. of Rome mit einer Überbevölkerung der Welt, mit einer zu erwartenden Nahrungsmittelknappheit, mit lebenszerstörender Umweltverschmutzung und der Erschöpfung der Rohstoffquellen.Die vom Club of Rome aufgezeigte mögliche Selbstvernichtung der Menschen hat politische Ideologen des linken und des rechten Spektrums auf den Plan gerufen, weil diese Ideologen die Chance sahen, mit den Mitteln der Zukunftsangst die Gegenwart, ihre Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialordnung in Frage stellen zu können.
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9080 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
BreidbachDie CDU/CSU, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat sich eine Position der Kapitulation • vor den Zukunftsproblemen nie zu eigen gemacht. Zukunftspessimismus im Hinblick auf die Endlichkeit der Rohstoffversorgung ist auch in der Tat unter Berücksichtigung der Möglichkeiten, unsere Versorgung langfristig sicherzustellen, völlig unangebracht. Wichtig ist, daß Politik und Wirtschaft bereit sind, mit den richtigen Instrumenten die Entscheidungen zu treffen, die künftigen Generationen die gleichen Lebenschancen gewähren, die wir heute für uns beanspruchen. Diese Lebenschancen geben wir allerdings nicht, wenn wir vor dieser Zukunft kapitulieren und unser eigenes Wirtschaftswachstum als Mittel zur Bewältigung von Zukunftsproblemen bewußt zurückschrauben. Wenn Wirtschaftswachstum und Rohstoffverbrauch notwendige Motoren für Innovation und Substitution sind, dann können wir auf beides nicht verzichten. Voraussetzungen für die Zukunftschancen der nachfolgenden Generationen sind nämlich unbestrittenermaßen ein Höchstmaß an Innovation und ein Maximum an Substitution von Rohstoffen.Wir gehen davon aus, daß die Aussprache über die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundstagsfraktion zur Rohstoffpolitik einen Beitrag dazu leistet, die Diskussion über die Verfügbarkeit der Ressourcen zu entemotionalisieren und über die tatsächlichen Probleme aufzuklären. Darum weisen wir nachdrücklich darauf hin, daß die eigentliche Problematik der nationalen Rohstoffvorsorge, daß die eigentliche Problematik der Rohstoffsicherung überhaupt nicht in Problemen der physischen Erschöpfung unserer Rohstoffe liegt. Die für uns entscheidende Schwierigkeit liegt in der Umsetzung von Rohstoffvorkommen in abbauwürdigen Lagerstätten in wirtschaftlich arbeitenden Abbaubetrieben. Hinzu kommt, daß es uns gelingen muß, bereits erschlossene Lagerstätten störungsfrei abzubauen und neue Versorgungskapazitäten rechtzeitig einzurichten.Diese Ziele sind zu erreichen, wenn es möglich ist, die rohstoffbesitzenden Länder davon zu überzeugen, daß sie uns, ja daß sie allen „have-nots" in der Welt und sich selbst nachhaltigen Schaden zufügen, wenn sie die Verfügbarkeit über Rohstoffe mit Hilfe politischer Manipulationen einschränken.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert, daß die Bundesregierung bis zum heutigen Zeitpunkt die prinzipiellen Folgen der politischen Manipulation der Rohstoffmärkte für alle Nichtbesitzer von Rohstoffen unabhängig davon, ob es sich um Entwicklungs- oder Industrieländer handelt, so zurückhaltend dargestellt hat. Wir müssen doch den Entwicklungsländern, die glauben, mit Hilfe der Rohstoffpolitik und neuer Weltwirtschaftsordnung das Wohlstandsgefälle zwischen arm und reich beseitigen zu können, unüberhörbar darlegen, daß wir uns darüber im klaren sind, daß das extreme Gefälle zwischen armen und reichen Ländern eingeebnet werden muß. Aber die Entwicklungsländer müssen wissen, daß es nicht nur Grundsätze von Humanität und christlicher Weltanschauung sind, die uns auffordern, hierzu einen Beitrag zu leisten.Wir wissen sehr genau, daß neben der Solidarität auch das kaufmännische Rechnen klarmacht, daß ein Wachstumspfad zwischen Überfluß und Elend nicht weiter nach oben führt, wenn sich aufgeladener Konfliktstoff in gewaltsamen Aktionen entwickelt., Ich möchte dieses Thema an dieser Stelle nicht weiter auswalzen. Nur stellen wir fest, daß es zu dieser emotionalen Situation bei der Diskussion um die weltweite Rohstoffversorgung gekommen ist, weil sich die Entwicklungsländer nach unserer Auffassung in Größenordnung und in den Mitteln vergriffen haben, als sie glaubten, mit bestimmten Patentrezepten die Probleme lösen zu können, vor denen wir heute stehen.Wir müssen den Entwicklungsländern sagen, daß nicht Dogmen und Ideologien, nationaler Egoismus, falsch verstandene Solidarität und die Sucht, natürliche Gegensätze, unterschiedliche Entwicklungen und Interessenlagen mit diplomatischen Lehrformeln zu verkleistern oder mit Parolen zu versehen, weiterhelfen, sondern harte Fakten für die Möglichkeiten ausschlaggebend sind, die wir, Entwicklungsländer und Industrieländer, gemeinsam haben.Die Beantwortung der Großen Anfrage hat in den Antworten selber, viel mehr jedoch in dem, was von der Bundesregierung nicht gesagt wurde, deutlich gemacht, daß die Bundesregierung im Jahre 1977 einen grundsätzlichen Kurswechsel in ihrer Haltung zu wichtigen Fragen der Rohstoffpolitik vorgenommen hat. Im Gegensatz zu den früher von ihr vertretenen Positionen verfolgt sie nun offensichtlich die Strategie einer Anpassung an opportunistische Positionen im In- und im Ausland, ja an opportunistische Positionen, wie sie auch — und dies müssen wir wissen — in einigen Industrienationen in Mode sind. Diese Tatsache des Kurswechsels ist darauf zurückzuführen, daß es der Bundesregierung offensichtlich nicht gelungen ist, ihr ursprünglich vertretenes Konzept etwa einer Exporterlösstabilisierung der Rohstoffe gegenüber unseren EG-Partnern, den westlichen Industrieländern, aber auch außerhalb der EG in den übrigen Industrieländern überzeugend darzulegen. Dies wirft heute die Frage auf, was die Bundesregierung jetzt eigentlich will, welches neue Konzept sie. bei den zur Zeit laufenden Verhandlungen in Genf verfolgt. Wir fragen die Bundesregierung, welche Kosten denn ihrem noch nicht klar sichtbaren Konzept zugrunde liegen, welche Kosten auf die deutsche Wirtschaft zukommen, wenn sie sich auf die Ratifizierung von Rohstoffabkommen einläßt.Wir werden im weiteren Verlauf der Debatte darlegen, daß der nach unserer Auffassung vollzogene, bisher nicht ausgesprochene Kurswechsel zu neuen Schwierigkeiten in der Rohstoffpolitik führt und nicht als ein Beitrag — insbesondere zur Lösung der nationalen Probleme — der Rohstoffsicherung gewertet werden kann.Zu den Antworten der Bundesregierung zur allgemeinen Rohstoffsicherung und zu den Problemen der Rohstoffbevorratung möchte ich unter Darlegung unserer Position, von der ich annehme, daß sie im ganzen Hause konsensfähig ist, einige Merkpunkte aufzeigen, die andeuten, welche Positionen wir zu berücksichtigen haben, wenn wir unsere nationale
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BreidbachInteressenlage beurteilen. Diese Positionen formuliere ich wie folgt:Erstens. Weil wir keine eigene Rohstoffbasis haben, ist eine Autarkie im Rohstoffbereich unmöglich. Wegen der Exportorientierung unserer Wirtschaft müssen wir alles tun, um eine weltweite Arbeitsteilung auszubauen.Zweitens. Wir sind uns darüber im klaren, daß die zum Teil ausgeprägten internationalen Verflechtungen im Rohstoffbereich eine ausschließlich nationale Rohstoffsicherungsstrategie unmöglich machen.Drittens. Wir sind gegen wirtschaftspolitische Machtpositionen, die mit Hilfe von Rohstoffpolitik betrieben oder aufgebaut werden können.Viertens. Die vielfältigen politischen und ökonomischen Positionen der weltweiten Rohstoffabsprachen, des weltweiten Rohstoffgeschäfts, verpflichten uns, auch die Lage der Entwicklungsländer zu berücksichtigen.Fünftens. Eine nachhaltige realistische Betrachtung aller Möglichkeiten und Gegebenheiten der Rohstoffversorgung muß davon ausgehen, daß es hundertprozentige Sicherheiten und Patentrezepte weder für uns noch für andere gibt, wenn es um die nationale Sicherung unserer Rohstoffzufuhr geht.Wenn wir, von diesen Grundprinzipien ausgehend, die gegenwärtigen und zukünftigen Beschaffungsmöglichkeiten insbesondere mineralischer Rohstoffe analysieren, wird klar, daß eine arglose Betrachtung, wie wir sie zum Teil in der Antwort auf die Große Anfrage niedergelegt gefunden haben, leichtsinnig und auch unverantwortlich ist. Politische Unruhen in Zaire, in Chile, Streiks in Peru, die gegenwärtigen Schwierigkeiten in Persien und die sich zunehmend verschärfende Diskussion um die Entwicklung im südlichen Afrika zeigen überaus deutlich, daß eine Bedienung auf den Tischen der Welt auf der Grundlage funktionierender Rohstoffmärkte in den Bereich der Illusionen gehört.Wir müssen feststellen, daß die wichtigsten Stahlveredler unter den mineralischen Rohstoffen in bezug auf ihre Liefersicherheit in eine akute Gefahrenzone gerückt sind. Dies gibt die Bundesregierung in Beantwortung unserer Anfrage, wenn auch in vorsichtiger, in verschleiernder Form, zu, ja, sie hat sogar die gefährdeten Rohstoffe in eine Rangfolge gebracht. Ernsthafte Konsequenzen aus dieser von ihr in der Antwort angedeuteten Tatsache hat sie jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gezogen, obwohl die Bundesregierung sehr genau weiß — und dies haben Äußerungen der letzten Stunden ergeben, zu denen ich noch einiges sagen werde —, daß die Auswirkungen von Rohstoffengpässen aus diesen Bereichen der Welt zu schwerwiegenden Folgen für unsere Wirtschaft führen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns hat erstaunt, daß die Bundesregierung immer davon spricht oder davon gesprochen hat, daß die bei der Industrie liegenden Vorräte . ausreichen, um die üblichen Beschaffungsrisiken abzudecken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage der Rohstoffsicherung und die Frage der Rohstoffbevorratung ist kein Problem der Absicherung üblicher Beschaffungsrisiken, denn das ist Aufgabe der Unternehmen, sondern dies ist ein Problem des Staates, dies ist ein Problem der Politik. Darum ist die Antwort auf die Große Anfrage zu diesem Punkt irreführend, sie redet an den Tatsachen vorbei.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Chrom, Wolfram, Mangan, Asbest, Kobalt, Niob/Tantal — und noch einige andere Rohstoffe könnten hier angeführt werden — sind in der Tat in einem kritischen Bereich. Wir beziehen etwa 48 % des Rohstoffes Chrom aus Südafrika, wir müssen 80 °/o des Kobalts in Zaire beschaffen. 35 % unseres Kupfers bekommen wir aus drei Anbieterländern, die sich ebenfalls im Bereich politischer Risiken befinden. Wer dieser Tatsache, daß unsere Rohstoffbeschaffung mit einer fast monopalartigen Situation zu rechnen hat, noch eine Betrachtung über mögliche politische Entwicklungen hinzufügt, der kann einfach nicht mehr von „üblichen Beschaffungsrisiken" im Zusammenhang mit der Beschaffung unserer wichtigsten Rohstoffe sprechen.Die Bundesregierung hat wohl in den letzten Wochen gemerkt, daß sie diese in der Großen Anfrage niedergeschriebenen Leerformeln von den üblichen Beschaffungsrisiken nicht mehr aufrechterhalten kann. Darum wundert es eigentlich nicht, daß sie im Vorfeld dieser Debatte in den letzten zwei Tagen, bis in die heutigen Morgenstunden hinein, die Decke etwas gelüftet und auf die tatsächlichen Beschaffungsrisiken hingewiesen hat.Gestern mittag konnten wir- über die Deutsche Presse-Agentur erfahren, daß es einen Bericht des interministeriellen Staatssekretärausschusses für Rohstofffragen gibt, dem eine wissenschaftliche Untersuchung zugrunde liegt. Ich erlaube mir, ohne diese Meldung vollständig wiederzugeben, in Kurzfassung das zu sagen, was wir der Bundesregierung schon vorgehalten haben und war wir heute gesagt hätten, wenn die Bundesregierung diesen Bericht nicht selber veröffentlicht hätte.Tatsache ist, daß ein nur 30prozentiger Lieferausfall bei den wichtigsten Stahlveredlern und beim Rohstoff Asbest unmittelbare Auswirkungen auf 25 bis 30 % der Produktion aller deutschen Produkte hat. Diese Auswirkungen auf die Produktion bedeuten auch 'gleichzeitig, daß bis zu 7 Millionen Arbeitsplätze gefährdet sind, und zwar innerhalb kürzester Zeit; insbesondere angesichts der Tatsache, daß einer der sensibelsten Rohstoffe in diesem Bereich, nämlich Chrom, von den Unternehmern maximal für etwa 60 bis 65 Tage auf Lager gehalten wird. Bei den anderen Stahlveredlern Wolfram, Niob/Tantal — man könnte Edelmetalle wie Platin noch hinzuziehen — liegen die Vorratszahlen viel, viel niedriger.Das Erstaunliche an dem Verfahren, einen Tag vor der Debatte über die Große Anfrage zur Rohstoffpolitik diese Daten bekanntzugeben, liegt darin, daß die Bundesregierung die Zahlen, die ich gerade genannt habe, noch bis vor 24 Stunden für streng
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Breidbachgeheim erklärt hat und daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages überhaupt keine Möglichkeiten hatten, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich die Untersuchungen, die Sie zur Grundlage Ihrer Entscheidungsprozesse gemacht haben, anzusehen. Ich darf Sie fragen: Was ist das eigentlich für ein Umgang mit dem Deutschen Bundestag,
daß Sie Daten zurückhalten, sie für geheim erklären, sie gewissermaßen zum Staatsgeheimnis erheben, um sie dann anschließend über die Presse den Abgeordneten des Deutschen Bundestages mitzuteilen.
Dieser Stil, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist weder liberal noch demokratisch. Sie sollten selber darüber urteilen, ob er nicht unanständig ist. Zumindest aber ist er nicht im Interesse des Parlaments.
Wir wehren uns, weil dies nicht das erste Mal ist, dagegen, daß wir künftig weiter in diesem Stil behandelt werden. Ich meine, es wäre das Interesse des ganzen Hauses — das gilt auch für die Regierungsfraktionen —, mit darauf zu achten, daß eine Bundesregierung nicht aus der Position der Macht, der Arroganz heraus dem Deutschen Bundestag die Informationen vorenthält, die notwendig wären, um wichtige Entscheidungen zu treffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Haltung der Bundesregierung zu den Problemen, die ich gerade im Hinblick auf die Sicherheit bei Stahlveredlern aufgezeigt habe, stellt sich in der Großen Anfrage, wenn man die notwendige Bevorratung nicht bestreitet, so dar, daß sie zunächst einmal warten möchte, bis daß das berühmte Kind in den Brunnen gefallen ist, um im Anschluß daran mit einer Rohstoffbevorratung zu beginnen. Wir fragen die Bundesregierung: Warum zögert sie eigentlich schon seit Jahren, wenn es um die nationale Bevorratung der Rohstoffe geht? Wir fragen Sie, warum Sie dies getan haben, obwohl Sie ja in Wahrheit die Sensibilität dieses Bereichs kennen. Ja, wir' müssen auch fragen, ob Sie nicht bereit waren, Rücksicht auf die Gefährdung von 7 Millionen Arbeitsplätzen zu nehmen. Wir erwarten hier und heute von der Bundesregierung, daß sie den Dunstkreis ihrer bisherigen Position verläßt, soweit es eine solche Position gibt, und unmißverständlich ein Ja zu einer nationalen Bevorratung der Rohstoffe ausspricht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hält es, wenn es um die Form der nationalen Bevorratung von Rohstoffen geht, für wenig sinnvoll, eine Kontroverse darüber herbeizuführen, wie und unter Zuhilfenahme welcher Mittel die finanziellen Probleme der Rohstoffbevorratung geregelt werden können. Uns kommt es darauf an, daß auf der Grundlage möglichst marktwirtschaftlicher Positionen eine Regelung nach folgenden Grundsätzen gefunden wird:Erstens. Eine Bevorratung von Chrom, Mangan, Kobalt, Wolfram, Titan und Molybdän ist vorrangig.Mittelfristig muß auch die Bevorratung von Nickel, Kupfer und Asbest angestrebt werden. Die eingelagerten Reserven sollten eine Reichweite von mindestens zwölf Monaten haben; besonders sensible Rohstoffe im Bereich der Stahlveredler sollten eine Bevorratung für 24 Monate erfahren. Die Bundesregierung ist mittlerweile auch bereit, zu sagen, daß die Kosten für diese Bevorratung von der Regierung bzw. vom Staat aufgebracht werden müßten; wir teilen diese Position.Zweitens. Die erforderliche Lagerhaltung wird durch Verträge zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft oder nachgeordneten Behörden und Unternehmen geregelt. Die Verträge müssen in ihrer Ausgestaltung branchentypische Bedingungen der Unternehmen berücksichtigen.Drittens darf — und dies zu betonen ist wichtig — eine notwendige Auflösung der Reserven im Falle von nicht marktbedingten Lieferengpässen nur gewinn- und verlustneutral vorgenommen werden. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hoffen, daß am Ende dieser Debatte klar wird, daß es in dieser Frage einen Konsens im Deutschen Bundestag und mit der Bundesregierung gibt.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die von der Bundesregierung dargelegten Bemühungen zur Absicherung der vielfältigen Risiken der Unternehmen bei der Erschließung neuer Rohstoffquellen. Sie geht allerdings trotz der positiven Haltung zu diesen Bemühungen davon aus, daß die Bundesregierung ihr Garantieinstrumentarium in der sogenannten Grauzone weiter ausbaut. Ein solches Entgegenkommen der Bundesregierung und des Parlaments, das die Unterstützung der CDU/CSU hat, sollte aber auch ein entsprechendes Echo bei der deutschen Industrie finden, die wir nachhaltig auffordern, ihre Anstrengungen um den weiteren Ausbau der Diversifizierung der Versorgungsquellen und der Beteiligung an Produktionsstätten in den rohstoffbesitzenden Ländern zu verstärken. Die Rohstoffverbraucher müssen aber wissen, daß eine annähernd stromlinienförmige Rohstoffpolitik nur dann möglich ist, wenn sie selber ein geschlossenes, in seinen Elementen aufeinander abgestimmtes Konzept zur Rohstoffbevorratung haben.In diesem Zusammenhang muß, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Investitionen zur Sicherung der deutschen Rohstoffbasis praktisch ausschließlich nur noch in stabilen rohstoffbesitzenden Industrieländern vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere für die Bergbauinvestitionen. Die Darlegung der Bundesregierung zu dieser Frage verniedlichen diesen Tatbestand, über den gesprochen werden muß, weil diese Entwicklung eine direkte Folge instabiler Verhältnisse in vielen Ländern der Dritten Welt und einer ideologisch geführten Diskussion über die sogenannte Neue Weltwirtschaftsordnung ist. Es wird höchste Zeit, daß sich auch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen, die mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung liebäugeln, darüber klar werden, daß sich kein Unternehmen in einem freiheitlichen Staat dazu hergibt, den Sirenengesängen ideologischer Wanderpredi-
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Breidbachger zu folgen und auf der Grundlage unrealistischer Konzepte zu investieren. Die Wahrheit ist, daß im Hinblick auf notwendige Investitionen in der Dritten Welt nichts schädlicher war als durchgeführte und versuchte Nationalisierungen ausländischer Unternehmen. Pressionsversuche auf unternehmerische Entscheidungsspielräume, die qualitative und quantitative Lenkung der Produktion und die Störung oder angedeutete Störung von Marktmechanismen haben ebenfalls einen Einfluß auf diese Investitionsmüdigkeit in dèr Dritten Welt.Wir gehen davon aus, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Bundesregierung in Zukunft in noch größerem Umfange die regionalen und strukturellen Diversifizierungsbemühungen der deutschen Wirtschaft auch durch stärkere finanzielle Absicherung und Unterstützung der Prospektion nach Rohstoffen unterstützt.Entsprechend unseren ordnungspolitischen Prinzipien würden wir gerne auf Forderungen dieser Art verzichten; aber wir sehen uns zu solchen Forderungen gezwungen, weil wir die Dinge sehr realistisch betrachten und wissen, daß es zukünftig immer schwieriger sein wird, die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft ohne Unterstützung des Staates und zwischenstaatlicher Vereinbarungen vorzunehmen, weil die Rohstofflieferanten ihre Politik nicht nach den Gesichtspunkten des Marktes betreiben.Ich darf die Kritik der CDU/CSU-Fraktion an der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage wie folgt zusammenfassen.Erstens. Die Behauptung der Bundesregierung, sie habe ein in sich geschlossenes Konzept zu den nationalen und internationalen Problemen der Rohstoffpolitik, steht im Gegensatz zur teils unvollständigen, verschleiernden und verharmlosenden Beantwortung vieler Fragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die durch die Einbringung der Großen Anfrage ausgelöste und bis in die heutigen Morgenstunden hinein sichtbare hektische Aktivität der Bundesregierung, zu einem solchen Konzept zu finden, ist Beweis für diese Feststellung der CDU/ CSU.
Die Bundesregierung kann die Tatsache, daß sie wichtige interne Initiativen zur Rohstoffpolitik einschließlich breit angelegter Gespräche mit der deutschen Wirtschaft erst unter dem Druck, Herr Kollege Wehner, der Großen Anfrage einleitete, nicht leugnen. Sie hat damit kostbare Zeit vertan, ja, es ist schlimmer: die Bundesregierung hat sogar Beamte nach Genf geschickt, die dort schon zwei Tage verhandeln, ohne selber zu wissen, worüber sie denn aus ihrer Position heraus verhandeln dürfen.
— Herr Wehner, die werden in Ihrem Stil informiert., Zweitens. Der Bundesregierung ist es bis heute nicht gelungen, ein Modell für eine nationale Bevorratung von wichtigen Rohstoffen vorzulegen. Wir erwarten, daß dies heute, und zwar nicht mit Andeutungen, sondern mit der Autorität des Ministers, erfolgt.Drittens. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die nationale und internationale Ideologisierung der Rohstoffpolitik die Investoren von Rohstoffprojekten davon abhält, in Entwicklungsländern zu investieren, obwohl dies aus wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Gründen sinnvoll und nützlich wäre. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie ihre zurückhaltende Position im Hinblick auf die Darlegung dieses Punktes aufgibt und damit auch gegenüber den Ideologen in ihren eigenen Reihen und den Ideologen in den Entwicklungsländern unmißverständlich und deutlich klarmacht, daß man im alten, hergebrachten Stil die Probleme der Rohstoff- und Entwicklungspolitik nicht lösen kann.Viertens. Die Bundesregierung hat bei ihren Bemühungen, im Rahmen des Nord-Süd-Dialogs einen Beitrag zur akzeptablen Rohstoffsicherung zu leisten, ganz offensichtlich Schiffbruch erlitten. Sie wählt nun heute den Weg der Anpassung, sie wählt heute einen bequemen Trend, um aus dieser Zwickmühle herauszukommen.Fünftens. Die nationale Bedeutung des südlichen Afrikas für die Rohstoffversorgung der Bundesrepublik wird zwischenzeitlich von der Bundesregierung erkannt und dargelegt. Aber wir möchten fragen, ob sie dies bis heute versäumt hat, weil eine Darlegung dieser Interessen im Gegensatz zu ihren sonstigen Ambitionen, die sie in Richtung Südafrika im außenpolitischen Bereich entwickelt hat, steht.
Sechstens. Die Chancen, auf der UN-Seerechtskonferenz noch zu einem akzeptablen Ergebnis zu kommen, sind praktisch gleich Null. Die Bundesregierung müßte eigentlich die Lage ebenso einschätzen, wie wir dies tun; sie hat dies bis heute unterlassen.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird nicht weiter zuwarten, bis es zu maßgeblichen Entscheidungsprozessen in der Bundesregierung kommt. Wir haben auch kaum noch bzw. gar keine Zeit mehr, zu warten, bis sich die Koalitionsfraktionen auf ein Sicherungskonzept verständigt haben. Wenn es nicht anders geht, werden wir darum in absehbarer Zeit einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen, um unsere nationalen Interessen in diesen Bereichen abzudecken. . .Wirtschaft und Arbeitnehmer und die Bevölkerung der Länder der Dritten Welt können sich darauf verlassen — die CDU hat das auf ihrem Ludwigshafener Parteitag durch eine Rede ihres Vorsitzenden Dr. Helmut Kohl auch sehr deutlich -gesagt —, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Dimension und die Probleme der Rohstoffpolitik kennt. Sie können sich auch darauf verlassen, daß wir in dieser wichtigen, für uns entscheidenden Frage nicht einen Schlagabtausch um des, Schlagabtausches willen suchen. Wir sind bereit zur Kooperation mit jedermann unter der Voraussetzung, daß Vernunft und nicht Ideologien und Träumereien Grundlage dieser Kooperation sind. Zu einer solchen Kooperation und zu einer solchen sachorien-
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Breidbachtierten Zusammenarbeit erklären wir unsere Bereitschaft. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie diese Bereitschaft positiv auffaßt, die Fragen, die wir gestellt haben, konkreter beantwortet und auf die zusätzlichen Fragen, die ich in Ergänzung gestellt habe, eine deutliche Antwort gibt.Wir sehen die Chance einer Zusammenarbeit; aber nicht um jeden Preis, weil wir uns nicht in denselben Verschleierungsstil hineinbegeben wollen, in dem sich die Rohstoffpolitik der Bundesregierung heute befindet.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten . Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß wir heute in einem ausreichend weiten Zeitrahmen über die Sicherheit der Rohstoffversorgung unserer Wirtschaft und damit über ein Thema debattieren können, das viele Menschen in unserem Lande durchaus und sehr stark bewegt.Auf die Tatsache, daß unser Land auf der einen Seite reich an Wohlstand und an Wohlfahrt, andererseits aber sehr arm an Rohstoffen ist, reagieren die Menschen, wie wir aus unseren Versammlungen ja alle wissen, sehr unterschiedlich. Die einen bringen diese beiden Befunde geistig in der Weise unter einen Hut, daß sie sich der Funktionszusammenhänge und der Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft bewußt werden. Und in der Tat: Von unserer heutigen Diskussion sollte, gelänge sie, der Impuls ausgehen, daß noch mehr Menschen es als des Nachdenkens wert empfinden, wie es denn kommt, daß unsere bei Rohstoffen fast völlig von Einfuhren abhängige Bundesrepublik als eine der stärksten Industrienationen der Welt ihren Bürgerinnen und Bürgern ein so hohes Maß an Wohlstand, an wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit zu bieten vermag.Bei anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern allerdings ist dieses Thema noch immer mit Ängsten besetzt. Herr Breidbach, ich möchte herzlich bitten, derartige Ängste nicht zu nähren mit den berühmten Ausfallzahlen, deren Problematik ja sicher noch Gegenstand weiterer Erörterungen sein wird.
Ängste, die früher ihren Ausdruck z. B. im Schlagwort vom Volk ohne Raum suchten und die heute — zugegebenermaßen in abgeschwächter Weise — zu Aussagen wie etwa der führen, Rohstoffarmut sei gleichbedeutend mit der engen Begrenzung politischer Handlungsfähigkeit oder gar mit politischer Erpreßbarkeit. Dabei ist es ja wohl gerade umgekehrt: Rohstoffabhängigkeit stellt die Politik eines Staates — so dieser Staat eine gute und erfolgreiche Politik macht in ganz besonderer Weise vor die Herausforderung, durch Interessenausgleich eben politisch zu lösen, was man früher nicht selten mit Brachialgewalt, sagen wir imperialistisch, erledigt hat.Die Rohstoffarmut Deutschlands ist in der Vergangenheit immer wieder Anknüpfungspunkt und Einfallstor für allerhand Nationalismen und Irrationalismen gewesen. Den solchen Kollektivneurosen zugrunde liegenden Ängsten begegnen wir, wenn auch in anderer Artikulation, da und dort auch heute noch. Unserer Debatte sollten wir deshalb auch eine aufklärerische Funktion zuerkennen, zumal sich diese Ängste heute auch in das andere Ende des politischen Spektrums hinein auswirken.Wie ist die Lage? Dazu zwei methodische Vorbemerkungen. Erstens. Gegenstand der Großen Anfrage der Opposition und ihrer Beantwortung durch die Bundesregierung sind im wesentlichen die mineralischen Rohstoffe, die regenerativen kommen nur am Rande vor, die fossilen Energierohstoffe bleiben außer Betracht.Zweitens. Die langfristige und die kurzfristige Versorgungssicherheit sind im Grunde zwei völlig unterschiedliche Themen, was nicht ausschließt, daß sie sich verschränken können. Der langfristige Aspekt bezieht sich mehr auf bergwirtschaftliche, der kurzfristige auf politische Versorgungsrisiken. Die langfristige Betrachtung zielt auf die Erschließung von Ressourcen, die kurzfristige auf Bevorratung. Dazwischen sind die Risiken aus der Konzentration des Angebots zu orten.Wie sieht es nun aus? Akute Versorgungsschwierigkeiten gibt es nicht, ganz im Gegenteil ist im Zuge der Weltrezession nicht die Nachfrage, sondern das Angebot da und dort in Schwierigkeiten gekommen. Sprunghafte Preisentwicklungen zeigen die Labilität vieler Rohstoffmärkte an. Sieht man einmal von allen entwicklungspolitischen Implikationen des Themas Erlösstabilisierung oder auch von Rohstoffabkommen ab, was man natürlich im Grunde nicht darf, so läßt sich die Forderung nach größerer Stetigkeit der Preisentwicklung auch mit dem Postulat der für die Verbraucherländer wichtigen Stetigkeit der Produktion begründen. Bekanntlich kann man gerade bergwirtschaftliche Produktionen nicht wie einen Wasserhahn auf- und wieder zudrehen, ohne daß die Kapazitäten dabei Schaden nehmen.Die Feststellung, daß es akute Versorgungsschwierigkeiten nicht gibt, kann freilich nur eine Vorbemerkung zu der eigentlichen Fragestellung nach etwaigen künftigen Versorgungsrisiken sein. Hinsichtlich der langfristigen Perspektive spricht man dabei von der Lebensdauer der Weltrohstoffvorräte, in die man bei dynamischer Betrachtungsweise auch die vermuteten Verbrauchszuwächse einrechnet. Die tatsächliche Verfügbarkeit hängt weiter von den Substitutionsmöglichkeiten und von der Steigerungsfähigkeit der Rückgewinnung, Recycling, ab. Danach gibt es keine Anzeichen einer akuten Gefährdung der physikalischen Verfügbarkeit von Rohstoffen. Bei Zink, Asbest, Flußspat und Silber besteht freilich Anlaß, in zehn bis fünfzehn Jahren potentiellen Vorräten nachzuspüren und schon jetzt die Substitutionsforschung voranzutreiben.Zur Bestimmung des politischen und insgesamt des kurzfristigen Versorgungsrisikos bei mineralischen
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Rapp
Rohstoffen sind Faktoren zu einer Rangfolge zu kombinieren, die auf der einen Seite das politische System und die geopolitische Lage des Erzeugerlandes, auf der anderen Seite den Grad der Konzentration auf wenige Länder, die Möglichkeit der Kartellbildung und die Lagerfähigkeit des betreffenden Rohstoffs berücksichtigen. Dabei ergibt es sich — Herr Breidbach hat das bereits erwähnt —, daß einige der insbesondere für Stahlveredler bedeutsamen Rohstoffe in der Tat nicht risikofrei sind. Das gilt vor allem für Chrom, Mangan, in einem anderen Bereich für Asbest, ferner für Niob, Wolfram, Kobalt und die Platin-Metalle.Ein drittes Risiko wird in den sogenannten Ausfallfolgerechnungen ermittelt, die Antwort auf die Frage geben sollen, wie hoch die Gefahr einer Produktionseinschränkung bei einer bestimmten Verknappung des Angebots zu veranschlagen ist. In derartige Berechnungen kann auch die Preisreagibilität des betreffenden Rohstoffes einbezogen werden. Herr Breidbach, ich bin überzeugt, wenn Sie sich einmal in Ihrem Büro umsehen, werden Sie die Studie des Bundeswirtschaftsministeriums vom Mai 1978 finden, in der sie auf Seite 82 die Zahlen der Ausfallrechnungen lesen können.
Ihre Klage darüber, nicht informiert worden zu sein, geht somit fehl; denn diese Schrift liegt Ihnen seit Mai 1978 vor, und daraus können Sie die Zahlen der Ausfallrechnung ersehen.
Alle diese Risiken, bergwirtschaftliche Verfügbarkeit, politisches Risiko und Ausfallfolgen, haben sich in Listen niedergeschlagen, in denen die einzelnen Rohstoffe in eine Reihenfolge der jeweiligen Risikobehaftung gebracht werden. Auch diese Listen liegen seit langem vor, sie sind nie vertraulich, nie geheim behandelt worden.
— Sondern?
— Herr Breidbach, die Zahlen dieser Studie weichen nicht nennenswert von den Werten ab, die in dieser Broschüre seit langem vorliegen.
Legt man diese Risikotabellen übereinander, so ergibt sich, daß bei einigen Rohstoffen die Risiken kumulieren. Chrom, Asbest, Mangan, Wolfram und Kautschuk sind da wohl vorneweg zu nennen — kein Zufall also, daß Überlegungen, ob der Staat die prinzipiell bei der privaten Wirtschaft verbleibende Verantwortung für eine ausreichende Lagerhaltung flankierend unterstützen soll, gerade umdiese Rohstoffe kreisen. Darauf wird noch zurückzukommen sein.Die Entwicklung langfristiger Perspektiven der Weltrohstoffversorgung ist nun ihrerseits ein riskantes Unterfangen, weil natürlich schon geringfügige Veränderungen in den zugrunde zu legenden Annahmen zu einer außerordentlichen Streubreite der Ergebnisse führen. Von einer starren Koppelung der Faktoren Bevölkerungswachstum, Lebensstandard und Rohstoffbedarf braucht dabei nicht ausgegangen zu werden. Der Zuwachs des Materialverbrauchs wird vielmehr zunehmend geringer werden als der der industriellen Produktion. Die vorliegenden Überschlagsrechnungen zeigen, daß für die einzelnen Rohstoffe mit unterschiedlicher Dringlichkeit die Entwicklung teilweise schon alsbald nach dem Jahre 2000, teilweise später im nächsten Jahrhundert vermehrte Anstrengungen zur Vermeidung von Deckungslücken erzwingen wird.Was nun die Bundesrepublik anlangt, die wirtschaftlich zum großen Teil von der Veredelung und Verarbeitung eingeführter Rohstoffe lebt, so ist sie am Weltrohstoffverbrauch mit etwa 7 % beteiligt. Ihre Einfuhrabhängigkeit ist, wie gesagt, außerordentlich hoch. Bei vielen Rohstoffen ist sie total. Entlastend wirkt, daß der spezifische Rohstoffverbrauch, d. h. der Rohstoffverbrauch je Produkteinheit bei uns, wie in allen entwickelten Industriewirtschaften, abnimmt. Hier schlagen sich Erfolge der auf Einsparung, bessere Nutzung, Recycling, geschlossene Kreisläufe, gerichteten Rohstoffforschung nieder, die die Bundesregierung wirksam fördert.Schon heute sind die Bezugsquellen der deutschen Industrie verhältnismäßig breit gestreut. Dabei nehmen die Bezüge aus Übersee zu, wobei freilich ein sehr großer Teil aus westlichen überseeischen Industrieländern kommt. Die USA, Kanada, Australien werden als Bezugsquellen für uns eher noch wichtiger werden. Nur bei einigen wenigen Rohstoffen, wie z. B. beim Eisenerz, steigen die Bezüge aus Entwicklungsländern stärker an als die aus Industrieländern. Bei einigen Nichteisenmetallen belegt das südliche Afrika einfach deshalb eine Spitzenposition in diesen Risikolisten, weil dort z. B. fast drei Viertel der Weltvorräte an Chrom lagern.Im Verhältnis zu anderen Industrieländern und auch im Verhältnis zu ihrem Rohstoffbedarf ist die deutsche Wirtschaft in einem zu geringen Maße an Bergbauunternehmen in Erzeugerländern beteiligt. Überwiegend werden Rohstoffe auf der Basis mehr oder weniger langfristiger Lieferverträge bezogen. Die Sicherung der Versorgung durch weitere Diversifizierung der Bezüge und durch ein stärkeres direktes Engagement der Unternehmen in den Förderländern ist und bleibt deshalb eine vordringliche rohstoffpolitische Aufgabe. Mein Kollege Dr. Jens wird darauf sowie auf das hierzu zur Verfügung stehende Förderungsinstrumentarium und Förderungsvolumen der Bundesregierung noch eingehen.Was die Bevorratung betrifft, die fraglos nur die Folgen vorübergehender Lieferverzögerungen und Lieferstörungen ausgleichen kann, so hat eine sehr
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aktuelle Untersuchung ergeben — die noch nicht einmal ganz ausgewertet ist —,
daß die Lagerbestände der Wirtschaft an sensiblen Rohstoffen in den letzten Jahren ständig gestiegen und höher sind, als vermutet worden war. Die Wirtschaft hat sich also von sich- aus gerade bei den besonders kritischen Rohstoffen auf Veränderungen des Versorgungsrisikos flexibel eingestellt, und das gehört sich auch so. Die Vorsorge gegen kurzfristige Störungen ist und bleibt primär die Aufgabe der Wirtschaft. Ein versorgungspolitisches öffentliches Interesse kann erst dort beginnen, wo volkswirtschaftliche Erfordernisse das jeweils betriebswirtschaftliche Maß an Vorratshaltung übersteigen.Mit diesen Problemen ist, wie bereits Herr Breidbach ausgeführt hat, zur Zeit auch das Bundeskabinett befaßt, wobei die Frage mit zur Erörterung steht, ob flankierende staatliche Maßnahmen zur Deckung eines über die betriebwirtschaftlichen Erfordernisse hinausgehenden volkswirtschaftlichen Vorratsbedarfs bei einigen wenigen besonders sensiblen Rohstoffen angezeigt und welche Modelle hierfür gegebenenfalls in Betracht zu ziehen sind. Daraus bezieht unsere heutige Rohstoffdebatte ebenso besondere Aktualität wie aus dem weiteren Datum, daß in der kommenden Woche in Genf im Rahmen von UNCTAD IV die Rohstoffverhandlungen wieder aufgenommen werden, die von entscheidender Bedeutung nicht nur für die Rohstoffversorgung der Industrieländer, sondern ebenso für den Interessenausgleich zwischen Nord und Süd sind.Gewisse — wie wir alle meinen — wenig produktive Lösungsvorschläge, die dort im Gespräch waren und vielleicht noch immer sind, sollten uns nicht den Blick vor der Tatsache verstellen — und diesen Aspekt, Herr Breidbach, habe ich in Ihrer ganzen Rede vermissen müssen —, daß die weithin noch aus Kolonialzeiten fortwirkende internationale Arbeitseinteilung auf 'die Dauer keinen Bestand haben kann, eine Arbeitsteilung, wonach den Entwicklungsländern die Rolle von Rohstofflieferanten und von Nachfragern nach Fertigprodukten zugedacht war, während die auf diesen Rohstoffen aufgebaute Wertschöpfung bei den Industriestaaten verblieb.
Nimmt man die notorisch starken Schwankungen der Preise von Rohstoffen hinzu, nimmt man des weiteren die lang anhaltende Veränderung der „terms of trade" zu Lasten der Entwicklungsländer hinzu, nimmt man die vielfach weitgehende Abhängigkeit des Haushalts und der Zahlungsbilanz dieser Staaten von der Rohstoffausfuhr hinzu, dann wird doch wohl niemand in Abrede stellen können, daß es in der Tat einer neuen Weltrohstoffordnung bedarf, die, wie es in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage heißt, den berechtigten Interessen aller am Welthandel Beteiligten Rechnung trägt.
Die bisherige Weltrohstoffordnung hat dies nicht zuwege gebracht, Sie war asymmetrisch, und sie ging zu Lasten der Entwicklungsländer. .Bei den Verhandlungen über das integrierte Rohstoffprogramm, wie der Terminus technicus heißt, geht es den Entwicklungsländern um die Schaffung eines institutionellen Rahmens von der Bedeutung jener Gebilde, wie sie für den Handel mit Fertigprodukten im GATT und für die Währungsprobleme im Internationalen Währungsfonds bereits bestehen. Die Entwicklungsländer messen dem integrierten Rohstoffprogramm die gleiche Bedeutung zu, und dies mit allen emotionalen Besetzungen, die damit verbunden sind.Dies muß man erst einmal sehen und zu würdigen wissen, ehe man sich kritisch zum Gemeinsamen Fonds äußert, so berechtigt solche Kritik im einzelnen sein mag oder früher zu anderen Verhandlungsständen gewesen ist. Der Gemeinsame Fonds hat für die Entwicklungsländer Symbolcharakter. Dies muß damit in Einklang gebracht werden, daß er der Sache nach eine Sparkasse sein sollte.Die Grundlage des Ganzen werden Rohstoffabkommen mit Ausgleichslagern in geeigneten Fällen sein, die der Preisstabilisierung innerhalb von Preisspannen dienen sollen, die eine angemessene interventionsfreie Zone gewährleisten. Noch keines der bisher vorhandenen Rohstoffabkommen hat es vermocht, Preise auf einem über dem langfristigen Trendpreis des Markts liegenden Niveau zu halten. Das UNCTAD-System ist denn auch so, wie es vorgeschlagen ist, gar nicht als ein Preiserhöhungssystem konzipiert, wie dies unter irreführender Zitierung der europäischen Agrarmarktordnung dauernd kolportiert wird. Gleiche Regelungen für die ja nach den verschiedenen Rohstoffen ungleichen Märkte wären gewiß falsch. Das gilt auch für die Finanzierung der einzelnen Abkommen. Das „pooling" der autonomen Einzelabkommen sollte sich auch, wie gesagt, auf eine Clearing- und Sparkassenfunktion beschränken.Auf die internationalen Elemente unserer Rohstoffpolitik wird der Herr Kollege Dr. Holtz nochmals im Zusammenhang eingehen. Ich habe hier nur festzuhalten, daß die Alternative zu UNCTAD IV mit Sicherheit die Selbstorganisation der rohstofferzeugenden Entwicklungsländer und die Kartellierung wichtiger Rohstoffmärkte wäre. Mit einer Strategie des Teilens und des Herrschens ist da nichts mehr zu gewinnen. Manches Mal habe ich den Eindruck, daß die Opposition dies noch zu lernen und zu begreifen hätte.
Auseinanderdividierenwollen in der Seerechtskonferenz und dergleichen Geschichten gibt es. Ich sage Ihnen: Damit werden Sie nichts mehr bewegen.Die im UNCTAD-System natürlich auch angelegten Risiken — was wäre .denn ohne Risiko zu haben? — werden nach meiner Überzeugung allgemein stark überzeichnet. Die wirkliche Gefahr einer fortdauernden Konfrontation in den Rohstoffbeziehungen sehe ich ganz woanders, nämlich im Bereich der Rohstoffinvestitionen und der Bergbauinvestitionen.Die Rechtsunsicherheit in nicht wenigen Entwicklungsländern hat dazu geführt, daß der auf diese Länder entfallende Anteil der Explorations- und Er-
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schließungsinvestitionen der Industrieländer seit Jahren rückläufig ist.
Dabei sind die Entwicklungsländer auf solche Investitionen und auf das mitzuliefernde Know-how dringend angewiesen.
Der Begriff der neuen Weltrohstoffordnung würde nicht einlösen können, was er verspricht, wenn nicht die Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern auf diesem Gebiet im Rahmen dieser Ordnung ein festeres Vertrauensfundament erhielte.
Die neue Ordnung muß somit auf ein doppeltes Ziel gerichtet sein: auf die effiziente Sicherung der Weltrohstoffversorgung ebenso wie auf die Mobilisierung der Rohstoffressourcen der Dritten Welt im Interesse der beschleunigten Entwicklung dieser Länder selber. Elemente dieser Ordnung müssen sein: stabile und für Erzeuger wie Verbraucher angemessene Preise, stetige und wachsende Exporterlöse der Dritten Welt, Rohstoffinvestitionen in Entwicklungsländern und Aufbau daran anschließender weiterverarbeitender Kapazitäten, Offnung der Märkte der Industrieländer für Verarbeitungsprodukte aus Entwicklungsländern, Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bei Exploration und Lagerstättenerschließung, Rechtssicherheit für diese Zusammenarbeit, Versorgungssicherheit für die Rohstoffverbraucherländer.Ein Sondergebiet in diesem Zusammenhang sind die Bemühungen um eine neue Nutzungsordnung für die Rohstoffreserven auf dem Tiefseeboden. Nicht zuletzt wegen des Zusammenhangs zwischen der Seerechtskonferenz und UNCTAD ist es bisher leider nicht gelungen, über ein internationales Meeresbodenregime Einigung zu erzielen. Die Bundesregierung hat ihre Verhandlungsziele, auf die ich jetzt des näheren nicht eingehen kann, präzise dargelegt. Zwischen den Bundestagsfraktionen besteht über diese Ziele - so hoffe ich bis heute — ein hohes Maß an Übereinstimmung.Der Tiefseebergbau eröffnet neuen Technologien und ihrer kommerziellen Verwertung ein weites Feld. Die auf dem Meeresboden liegenden Mineralien werden in wenigen Jahrzehnten zur Bedarfsdeckung beitragen müssen. Die Aufnahme des Tiefseebergbaus setzt jedoch eine rechtliche Ordnung voraus, die für die immensen Investitionen hinreichende Sicherheit bietet.
Etwa erforderlich werdende nationale Übergangsregelungen — das Wort „Übergang" bezieht sich auf unsere Hoffnung, daß es zu einer internationalen Regelung noch kommen möge — werden nur dann nicht zur Konfrontation mit den Entwicklungsländern führen, wenn ihr wesentlicher Inhalt darin besteht, die Weiterentwicklung der Technologien zu sichern, deren es zur Hebung der Schätze des gemeinsamen Erbes der Menschheit bedarf. Überhaupt keines der rohstoffpolitischen Probleme der Zukunft, meine Da-men und Herren, wird in Konfrontation zu lösen sein.Politik zur Sicherung der Rohstoffversorgung unseres Landes — was ist das? Das ist, das meint eine Außen- und eine Weltwirtschaftspolitik, die weltweit auf Frieden, auf Entspannung, auf Interessenausgleich, auf die Verdichtung vielfältiger weltwirtschaftlicher Verflechtung, auf die Bewußtmachung des allgemeinen Aufeinander-angewiesenSeins gerichtet ist und die sich dabei ausschließlich der Methode des kontinuierlichen und auf gegenseitigen Vorteil bedachten Verhandelns bedient, die — anders ausgedrückt — der Versuchung widersteht, aufzutrumpfen, Repressalien anzudrohen, das Spiel von Muskeln vorzutäuschen, die man nicht hat und die, hätte man sie, die Wirkung der berühmten Faust aufs Auge hätten. Feinmechanisches Werkzeug wird da gebraucht. Holz- und Vorschlaghämmer, wie sie unter dem Markenzeichen der Opposition leider da und dort auf dem Markt sind, stifteten da garantiert die allergrößten Schäden.Vertrauen und gegenseitiger Nutzen sind ganz allgemein und im Nord-Süd-Verhältnis im besonderen die Schlüsselbegriffe einer erfolgreichen Rohstoffpolitik. Aus anderem Zusammenhang kennt man den Begriff der vertrauensbildenden Maßnahmen. Man kann ihn getrost auch hier einführen. Der Schuldenerlaß für die ärmsten Entwicklungsländer ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Die Bemühungen der Bundesregierung um einen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen von UNCTAD und GATT sind vertrauensbildende Maßnahmen. Der Erfolg hat der Bundesregierung recht gegeben. Es geht uns gut — damit komme ich auf das zurück, was ich eingangs über die unterschiedlichen Reaktionsweisen unserer Bürgerinnen und Bürger auf die Rohstoffarmut unseres Landes gesagt habe —, obwohl wir ein rohstoffarmes Land sind. Wir haben Grund zu der Hoffnung, daß in Fortsetzung und Weiterentwicklung dieser Rohstoffpolitik die Versorgung unserer Volkswirtschaft mit industriellen und agrarischen Rohstoffen auch künftig sichergestellt werden kann.Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, daß sich im Rohstoffbereich nachvollziehen sollte und auch bereits nachvollzieht, was im Energiebereich längst zu zählbaren Ergebnissen geführt hat: Es entwickelt sich ein neues, auf schonenden Umgang mit den verfügbaren Ressourcen gerichtetes Rohstoffbewußsein. Es ist gut, daß sich dies emotionsfrei und in einer Versorgungslage vollziehen kann, die nicht zu hektischen und krampfhaften Reaktionen Anlaß gibt. Die Politik sollte diesen Prozeß ebenso unterstützen, wie sie das in der Energiepolitik getan hat. Der rechte Gebrauch der Freiheit der heute Lebenden braucht der Solidarität mit den nach uns Kommenden nicht entgegenzustehen. Um Gerechtigkeit geht es bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Genf. Wir wünschen der Bundesregierung dabei eine glückliche Hand.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich hier für die FDP-Fraktion zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU Stellung nehme, möchte ich auf Zusammenhänge eingehen, die selbst einer kritischen Opposition eigentlich standhalten müßten. Mehr noch: In weiten Bereichen gibt es zwischen Opposition und Koalition mehr Gemeinsames als Trennendes, auch wenn die CDU/CSU in ihrer Anfrage den Vorwurf erhoben hat, die Bundesregierung hätte kein in sich geschlossenes rohstoffpolitisches Konzept entwickelt.
— Bei einer etwas objektiveren oder gründlicheren Betrachtung, Herr Kollege Breidbach, wäre der Vorwurf sicher
überflüssig gewesen.Die Opposition hat allerdings recht, wenn sie davon ausgeht, daß die primäre Aufgabe der Rohstoffpolitik der Bundesregierung die Erhaltung funktionsfähiger Rohstoffmärkte und die Versorgung der deutschen Volkswirtschaft mit industriellen und agrarischen Rohstoffen sein müsse. Dies ist eine Selbstverständlichkeit. Das wird auch von der Bundesregierung so praktiziert. Eine wesentliche Aufgabe der Rohstoffpolitik ist es, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden bzw. abzubauen, um bei regionalen Störungen oder Ausfällen von Lieferungen nicht kurzfristig vor schwierigen Versorgungsengpässen zu stehen. Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg.Mit Genugtuung können wir immer wieder zur Kenntnis nehmen, daß die Privatwirtschaft in der Lage ist, die Aufgabe der Rohstoffversorgung marktwirtschaftlich zu lösen, auch wenn sie dadurch gewissen Risiken unterworfen ist. Die Chancen, durch intensive Rohstofforschung zu neuen Technologien zu kommen, sind zu nutzen. Daß der Staat durch flankierende Maßnahmen hilft, das Abhängigkeitsrisiko zu mindern, wird durch das Explorationsprogramm bestätigt.Ein besonderes Problem ist dabei die nationale Vorratshaltung, die für die Unternehmen eine starke Kapitalbindung darstellt. Um Störungen in der Rohstoffversorgung auszuschalten, ist dies jedoch eine Notwendigkeit, und der Staat sollte hier Hilfestellung für eigene Initiativen der Wirtschaft geben.Die Souveränität eines Staates wird sich in Zukunft sicher auch daran messen lassen, in welchem Ausmaß er über Rohstoffe verfügt. Legt man diese Kriterien an die Rohstoffversorgungslage der Bundesrepublik an, wird man unschwer erkennen, daß unsere Souveränität aus eigenen Mitteln in diesem Sinne nur schwer zu wahren ist. Die Bundesrepublik ist daher mehr als viele andere Staaten dieser Welt auf eine kooperative Ausgestaltung der Weltrohstoffbeziehungen, der Wirtschaftsbeziehungen überhaupt, angewiesen.Die Bundesrepublik widmet daher ihr besonderes Augenmerk der internationalen Rohstoffpolitik, ins besondere seit der 7. Sondersitzung der UNO-Vollversammlung im September 1975 und seit der Annahme der Resolution 93 über das integrierte Rohstoffprogramm der UNCTAD in Nairobi vom Mai 1976.Die Bundestagsfraktion der FDP begrüßt die Antwort der Bundesregierung zur Großen Anfrage, daß für die Bundesregierung marktkonforme Lösungen auf dem Rohstoffsektor zur Verbesserung der Marktstrukturen und zur Sicherung der Versorgung der Volkswirtschaft mit Rohstoffen eindeutige Priorität haben. Weiterhin teilen wir die Ansicht der Bundesregierung, daß die Verstetigung des Entwicklungsprozesses der Entwicklungsländer ein weiteres hohes politisches Ziel unseres Landes darstellt, und dies im beiderseitigen Interesse.Es kann in der Bundesrepublik nicht opportun sein, Tendenzen zu unterstützen, die globale dirigistische Maßnahmen fördern, die zum großen Teil leider völlig undifferenziert gerade diejenigen begünstigen, die nicht von Rohstoffeinfuhren abhängen.Gerade jetzt sehen wir mit Aufmerksamkeit und Sorge auf die Weltkonferenz für Handel und Entwicklung in Genf. Hier wird es insbesondere darauf ankommen, die Effektivität einer Weltrohstoffpolitik nicht durch Schaffung einer Weltrohstoffbürokratie zu gefährden. Die Schaffung eines bürokratischen Apparats auf diesem Sektor hat die verhängnisvolle Tendenz, sich nach einer gewissen Zeit zu verselbständigen und größere Kosten zu verschlingen, als einsparen zu helfen. Volkswirtschaftliche Kosten und der Nutzen von Maßnahmen müssen in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen, damit die an den Verhandlungen und Maßnahmen beteiligten Staaten jeder für sich einen erkennbaren Nutzen von gemeinsamen Maßnahmen haben.Die Bedeutung der Rohstoffpolitik im Nord-Süd-Dialog ist von allen Beteiligten anerkannt, auch wenn unterschiedliche Folgerungen aus dieser Tatsache gezogen werden. In diesem Zusammenhang spielt der sogenannte Gemeinsame Fonds eine zentrale Rolle. Während der Gemeinsame Fonds für die Entwicklungsländer d a s zentrale Finanzierungsinstrument für alle bestehenden bzw. noch auszuhandelnden Rohstoffabkommen mit Ausgleichslagern im Rahmen des sogenannten integrierten Rohstoffprogramms darstellt, teilen wir die Meinung der Industrieländer, daß für die einzelnen Rohstoffe jeweils in geeigneten Fällen Abkommen geschlossen werden sollen. Die Meinungen dieser beiden Hauptgruppen im Welthandel als Produzenten und Abnehmer laufen auch da auseinander,. wo es um Fragen der Exporterlösstabilisierung bzw. der Preisstabilisierung geht.Die FDP-Bundestagsfraktion hält einzelne Rohstoffabkommen mit Ausgleichslagern in geeigneten Fällen dann für sinnvoll, wenn sie 1. der Vermeidung deutlicher Preisfluktuationen dienen, 2. einen fairen Wettbewerb gewährleisten, 3. eine sinnvolle Preispolitik bejahen, die ein für die Planung not-
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Angermeyerwendiges langfristiges Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ermöglichen, 4. alle wichtigen Produzenten und Verbraucher umfassen und 5. ein vernünftiges, d. h. wirtschaftlich tragbares KostenNutzen-Verhältnis schaffen können.Was den Gemeinsamen Fonds angeht, so unterstützen wir dieses Instrument als Pooling der in den einzelnen autonomen Rohstoffabkommen für die Ausgleichslagerfinanzierung vorgesehenen Mittel. Ebenso unterstützen wir die Möglichkeit der direkten Kreditaufnahme des Gemeinsamen Fonds am Kapitalmarkt, die durch Warenverpfändung oder Regierungsgarantien der einzelnen Abkommen abgesichert sein kann.Selbstverständlich muß die Relation dieser beiden Momente — des Gemeinsamen Fonds und der Kreditaufnahmemöglichkeit — als Regelfaktor der maximalen finanziellen Erfordernisse der einzelnen Abkommen Gegenstand eines Verhandlungsspielraums sein.Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt die Stimmrechtsregelung zwischen den Verbrauchern und den Lieferanten der Rohstoffe. Wir können nicht die Auffassung teilen, daß ein von den Entwicklungsländern, d. h. der Gruppe der 77 geplanter Gemeinsamer Fonds mit eigenen Finanzierungsmitteln und ausschließlicher Verfügbarkeit darüber in dieser Form eine Lösung sei. Hier bedeutet die Finanzierung nichts anderes, als daß zirka 70 % der Gelder durch die Industrieländer aufzubringen sind. Wenn wir eine marktkonforme, den heutigen Bedürfnissen angepaßte Rohstoffpolitik wollen, muß den Industrieländern ein größerer Mitsprache- und Verhandlungsspielraum eingeräumt sein. Durch die eben erwähnte Stimmrechtsverteilung — ein Land eine Stimme — ist eine Mitsprache der Industrieländer gegenüber der viel größeren Zahl der Entwicklungsländer so gut wie ausgeschlossen. Lösungsmöglichkeiten bezüglich der unterschiedlichen Standpunkte der Industrieländer und der Entwicklungsländer können darin bestehen, daß für einzelne Rohstoffe sinnvolle flexible Regelungen getroffen werden, die den jeweiligen Produkten, ihren Märkten und ihren technischen und ökonomischen Besonderheiten angepaßt sind. Hier ist durch eine noch so kräftige politische Willensbekundung bzw. durch eine supranationale Behörde nicht notwendigerweise eine vernünftige Lösung garantiert.Als weiteres Lösungsmittel bietet sich der Finanzpool im Gemeinsamen Fonds zur Erleichterung der Finanzierung von Ausgleichslagern an. Eine Weltrohstoffbehörde würde durch eine notwendigerweise unbeweglichere Kalkulationsmöglichkeit der wirtschaftlichen Autonomie und der finanziellen Eigenverantwortung der jeweils betroffenen Lieferstaaten und Verbraucherstaaten nicht gerecht werden. Letztlich wäre eine Preisstabilisierung anstelle einer Exporterlösstabilisierung nicht dazu angetan, eine stetige Absatzmöglichkeit für die Rohstoffe seitens der Entwicklungsländer zu schaffen, da dieser Fall nur gewährleistet wäre, wenn die Verbraucherländer der Rohstoffe eine Preisgarantie und eine Abnahmeverpflichtung übernähmen, zu dersich aber eine verantwortungsvoll denkende Regierung keines Staates der Welt bereit finden könnte. Lassen Sie mich diesen Punkt beenden; mein Kollege Vohrer wird darauf noch näher zurückkommen.Die FDP-Bundestagsfraktion hat mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, daß die Große Anfrage 'der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Rohstoffpolitik eine deutliche Frage zum Stellenwert des südlichen Afrika als Rohstofflieferanten für die Bundesrepublik beinhaltet. Gleichzeitig haben wir mit Befriedigung die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage gelesen. Lassen Sie mich aber noch einige Ausführungen dazu machen.Seit das südliche Afrika in den Brennpunkt der internationalen Politik geraten ist, hat es in diesem Hause mehrere Gelegenheiten zu kontroversen Debatten um dieses Thema gegeben. Ich möchte im Hinblick auf die Rohstoffversorgung der Bundesrepublik folgendes feststellen. Sie alle haben den Zahlen der Antwort der. Bundesregierung entnommen, in welcher Höhe das südliche Afrika an der Rohstoffversorgung der Bundesrepublik beteiligt ist. Ich kann und will hier nur einige Zahlen erwähnen. Insgesamt umfassen die Rohstoffimporte der Bundesrepublik aus dem südlichen Afrika 48 Positionen, von denen 23 jeweils mehr als 10 % der Gesamteinfuhren ausmachen und einige sogar einen Bereich von über 80 % für die Bundesrepublik erreichen. In Expertenkreisen ist es völlig unbestritten, daß ein zeitweiliger Ausfall des südlichen Afrika als Lieferant wichtiger Rohstoffe unangenehme, vielleicht sogar bedrohliche Folgen für unsere Rohstoffgesamtversorgung haben könnte. Um so wichtiger ist daher eine behutsame Handhabung dieses Problems. Durch verbale Kraftakte ist eine friedliche Lösung, die im Interesse der Menschen sein muß, nicht zu erreichen. Dies wollen wir doch wohl alle im Interesse der Menschen, ihrer Gleichberechtigung und ihrer Menschenwürde.Ihnen allen ist bekannt, 'daß dieser geographische Bereich nicht nur einer der Hauptlieferanten, sondern auch einer der großen Märkte der Industrie der Bundesrepublik ist. Wir müssen daher alle zusammen darauf hinwirken, daß diese Funktionen von Produzenten und Abnehmern auf beiden Seiten erhalten bleiben, ohne dadurch außenpolitisches Porzellan in anderen Bereichen der Welt zu zerschlagen. Die Bundesregierung hat von wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Republik Südafrika aus wohlerwogenen Gründen Abstand genommen. Wir begrüßen das.
Nichtsdestoweniger muß jedoch mit allem Nachdruck darauf hingearbeitet werden — und hier sind alle Seiten des Hauses angesprochen —, durch die Stabilisierung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse auf eine Veränderung zu Gerechtigkeit und Gleichberechtigung hinzuwirken, ohne die eines Tages in einem viel größeren Umfang die Versorgung der Bundesrepublik nicht nur aus dem südlichen, sondern auch aus dem restlichen Afrika ge-
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Angermeyerfährdet sein könnte. Dies würde nicht nur uns, sondern besonders den dort lebenden Menschen schaden.Daß unsere Außenwirtschaftspolitik auch im Interesse der Diversifizierung unserer Rohstoffbezüge auf die Zukunft gerichtet ist, lassen Sie mich am konkreten Beispiel der Problematik des Tiefseebergbaus erläutern: Ihnen allen ist bekannt, daß sich in den Manganknollen der Tiefsee wesentliche Vorkommen an mineralischen Rohstoffen, insbesondere an Mangan, Kobalt, Nickel und Kupfer befinden. Mit diesen noch nicht verplanten Rohstoffen hat sich naturgemäß die Politik zur Sicherung der Rohstoffversorgung der Bundesrepublik zu befassen. Die Erschließung der Rohstoffquellen kann über eine lange Zeit einen wesentlichen Beitrag für die Verstärkung der Rohstoffversorgung der Bundesrepublik Deutschland mit wichtigen mineralischen Rohstoffen erbringen. Gleichzeitig bietet dieser Sektor der internationalen Rohstoffwirtschaft für die damit befaßten deutschen Unternehmen ein wesentliches Feld, sich durch Aufbau und Verwendung von Spitzentechnologie auf dem Weltmarkt einen bedeutenden Platz zu verschaffen. Gerade am Beispiel des Tiefseebergbaus kann man aber auch die Komplexität und Schwierigkeit einer internationalen Rohstoffpolitik besonders deutlich ablesen.Die Bundesrepublik — und diese Haltung hat die FDP-Bundestagsfraktion immer mitgetragen — hat sich von Anfang an zum Grundsatz des gemeinsamen Erbes der Menschheit für den Tiefseeboden und seine Rohstoffe bekannt. Zwar war die Bundesrepublik noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen, als im Jahre 1970 die UN diesen Grundsatz bei Enthaltung — und das scheint mir wichtig zu beachten, meine Damen und Herren — der 14 Ostblockstaaten mit den Stimmen der Industrieländer angenommen hat. Wir sind auch heute ungeteilt der Meinung, daß jede internationale Regelung diesen Grundsatz wird beachten müssen.Es gibt dort allerdings erhebliche Interpretationsunterschiede. Wir teilen den Standpunkt der Bundesregierung, beim Tiefseebergbau davon auszugehen, daß die Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen primär eine unternehmerische Aufgabe ist. Die Risiken dieser Rohstoffversorgung erfordern jedoch ein staatliches Engagement, etwa um die politischen und rechtlichen Voraussetzungen für die unternehmerische Tätigkeit zu schaffen. Die Industrieländer, die mit uns befreundet sind, teilen im grundsätzlichen unsere Ansicht, daß die Ausbeutung der Tiefseemineralien in wesentlichen Bereichen durch Privatunternehmen erfolgen soll. Demgegenüber steht die Auffassung der meisten Entwicklungsländer, sämtliche Rechte am Meeresboden zur Ausbeutung für die Gemeinschaft aller Staaten einer Meeresbodenbehörde zu übertragen. Dabei soll allerdings die Finanzierung der Behörde zum weitaus größten Teil von den Industrieländern getragen werden, ohne daß ein Rückfluß durch eine beträchtliche Beteiligung an der Förderung der Tiefseemineralien gewährleistet ist.Hierbei — und dies gilt auch für einige andere Rohstoffe — muß darauf hingewiesen ' werden, daß einbeträchtlicher Teil der Entwicklungsländer wissentlich oder unwissentlich eine sie . selbst schädigende Rohstoffpolitik betreibt. Ich muß hier deutlich differenzieren zwischen den Staaten der Erde, die Rohstoffproduzenten sind, gleichgültig, ob es Industrieoder Entwicklungsländer sind, und auf der anderen Seite den sogenannten have-nots, d. h. den nicht über Rohstoffe verfügenden Staaten. Zu diesen Staaten gehört, wie wir alle wissen, leider auch die Bundesrepublik.Wenn man jetzt die Lage der Rohstoffproduzenten genau analysiert, findet man, daß, was den Bereich des Meeresbergbaus angeht, auf Grund gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen tatsächlich die Länder im gleichen Lager sind, die sich auf den Seerechtskonferenzen oft heftig befehdet haben. Es sind dies in erster Linie die Landproduzenten von Mineralrohstoffen, beispielsweise Kanada, die UdSSR, die Staaten des südlichen Afrikas und einige lateinamerikanische Länder. Demgegenüber steht die wesentlich schwächere Position aller anderen Staaten, d. h. der überwiegenden Zahl all derer, die auf Importe von Rohstoffen angewiesen sind.Die zweite Gruppe von Staaten, die vorgeben, unterschiedliche Positionen zu haben, in Wirklichkeit aber gemeinsame Interessen verfolgen, sind die sogenannten Langküstenstaaten, die auf Grund der Ausdehnung ihrer Küstengewässer auf eine Wirtschaftszone von 200 Seemeilen bereits etwa 80 % des wirtschaftlich nutzbaren Küstenmeeres der gesamten Welt für sich in Beschlag genommen, Sie können auch sagen: unter sich aufgeteilt haben. Es muß daher fast selbstverständlich anmuten, daß diese Staaten an dem Zustandekommen einer auch für die rohstoffarmen Länder interessanten UN-Seerechtskonferenz nicht so sehr interessiert sein können. Die Aufgabe der Bundesrepublik wird es daher in Zukunft sein müssen, sich viel mehr als bisher mit denen zusammenzusetzen, die das gleiche Los teilen, ungeachtet der Tatsache, ob sie Entwicklungs- oder Industrieländer sind.
Wegen der von mir genannten Schwierigkeiten wird es naturgemäß noch ziemlich lange dauern, bis eine für alle Beteiligten tragbare UN-Konvention zum Seerecht verabschiedet sein wird. Wir und mit uns einige andere dazu technisch in der Lage befindlichen Industrieländer sind daher darauf angewiesen, uns zur Sicherung unserer Rohstoffe, zur Preisstabilisierung der Rohstoffe auf dem Weltmarkt und zur Verfolgung unseres einzigen Kapitals auf diesem Sektor, nämlich unseres geistigen Wissens, die Beherrschung von Spitzentechnologien zur Gewinnung dieser Rohstoffe Gedanken zu machen.Es wird daher notwendig sein, zur gegebenen Zeit in Übereinstimmung mit unseren Partnern eine nationale Interimsgesetzgebung zum Tiefseebergbau zu schaffen, die den Interessen unserer Volkswirtschaft dient. Lassen Sie mich an dieser Stelle unseren Willen sehr deutlich machen, daß der Vorspann „Interimsgesetzgebung" keine Verschönerung eines in Wirklichkeit nicht so gemeinten Zustandes darstellen soll, sondern daß die Bundesrepublik es aus eige-
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Angermeyernem Interesse sehr ernst meint, in dem Moment, in dem eine für sie tragbare Lösung geschaffen ist, ihre nationalen Regelungen in einer internationalen Konvention aufgehen zu lassen. Allerdings muß eine Konvention zum Seerecht für ein internationales Meeresbodenregime im wesentlichen folgende Grundsätze beachten: 1. einen gesicherten Zugang für alle Staaten und deren Angehörige zu den Rohstoffen der Tiefsee; 2. eine wirtschaftlich vernünftige Entwicklung des Tiefseebergbaus, die allen Staaten eine befriedigende Zugangsmöglichkeit zu den Schätzen des gemeinsamen Erbes der Menschheit gewährt, ohne daß der eine nur zahlt und der andere kassiert.Ich habe von unserer Rohstofftechnologie gesprochen. Lassen Sie mich noch auf ein weiteres Feld seiner Anwendung kurz eingehen; denn dieser Punkt wird noch gesondert behandelt werden. Die FDP begrüßt den Entschluß der Bundesregierung, sich für eine Konsultativmitgliedschaft der Bundesrepublik im Antarktis-Vertrag zu bewerben. Die vielfältigen Möglichkeiten der friedlichen Forschung im Gebiet der Antarktis im Zusammenhang mit den anderen Mitgliedern des Antarktis-Vertrages können einen weiteren Beitrag zur Lösung des Rohstoffproblems der Bundesrepublik, wenn auch nicht kurzfristig, erbringen.
— Aber sie kommt. — Das Anstreben der Konsultativmitgliedschaft bedeutet für unser Land eine finanzielle Verpflichtung, aktiv auf dem antarktischen Kontinent zu forschen, gleichzeitig aber auch eine Herausforderung an die deutsche Wissenschaft, sich in Anlehnung an die guten Traditionen der deutschen Polarforschung mit Nachdruck für die Lösung diverser Forschungsthemen in der Antarktis einzusetzen. Hierbei ist nicht nur die Sicherung von Rohstoffen für die Bundesrepublik auf agrarischem und nichtagrarischem Gebiet im Vordergrund, sondern auch die Anwendung und Erprobung neuer Technologien. Hiermit hat die Bundesrepublik ein weiteres Betätigungsfeld in Aussicht genommen, auf dem sie ihren technologisch hohen Stand bewahren kann, um mit diesem unserem Rohstoff weltweit operieren zu können. Es ist zu hoffen, daß die Zusammenarbeit mit den anderen Nationen des Antarktis-Vertrages eine positive Signalwirkung auf die internationale Zusammenarbeit auf dem gesamten Rohstoffsektor haben wird.Die FDP-Bundestagsfraktion ist mit der Antwort der Bundesregierung zur Großen Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion voll einverstanden und begrüßt die Absicht der Bundesregierung, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst, Herr Kollege Breidbach, möchte ich mich — vielleicht nicht ganz zu Recht, aber doch der Form genügend — für Ihre freundlichen Beileidskundgebungen bedanken, obwohl ich eine — wie der Berliner sagt — gewisse Häme wohl nicht überhören konnte.
— Das war nicht der Fall? Sehr gut.
— Herr Breidbach, es ist natürlich ärgerlich, wenn Delegierte, denen man sich zur Wahl stellt, einen nicht wählen. Noch ärgerlicher ist es, wenn man bei der Bundestagswahl durchfällt; das dauert ja auch länger.
Doch zur Debatte, meine Damen und Herren: Ich möchte zunächst einmal sehr begrüßen, daß wir die Gelegenheit haben, uns hier im Deutschen Bundestag, im Parlament über die Fragen der Rohstoffpolitik miteinander zu unterhalten. Ich sage ausdrücklich nicht: „uns auseinanderzusetzen", weil ich schon nach dem bisherigen Verlauf der Debatte den Eindruck habe, daß es hier in den grundlegenden Fragen wahrscheinlich mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze geben dürfte. Das schließt nicht aus, daß in einzelnen Punkten unterschiedliche Ansätze bestehen und unterschiedliche Beurteilungsmöglichkeiten vorhanden sind. Es wird aber auch kaum jemand sagen können, daß er für die Lösung dieser ganz außerordentlich schwierigen Probleme — die im übrigen durch Ereignisse maßgeblich beeinflußt werden können, die keiner von uns zu seiner Disposition hat — ein Patentrezept anbieten könnte. Wir sprechen heute nicht über den Bereich der Energiepolitik und der Energieversorgung; aber auch da geht es natürlich um einen ganz wesentlichen Rohstoff, und dies ist das Gebiet, auf dem die internationale Szene am besten erhellt, wie sehr wir von Entscheidungen und Abläufen abhängig sind oder werden können, auf die wir einen eigenen unmittelbar wirksamen Einfluß nicht haben.Meine Damen und Herren, Rohstoffpolitik ist ganz sicherlich kein isolierter Politikbereich. Die Ziele unserer Rohstoffpolitik sind harmonisch in den Gesamtkomplex der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung eingefügt, und sie stehen insbesondere auch im Einklang mit unserer Entwicklungspolitik und unserer Außenpolitik. Das ist nicht mehr voneinander zu trennen, auch wenn der eine oder der andere das gern anders sähe und wenn es manches leichter machte; es ist aber unrealistisch. Deswegen haben wir die nationalen und die internationalen Elemente unserer Rohstoffpolitik sehr sorgfältig aufeinander abgestimmt. .
— Wir werden auch über das Seerecht noch miteinander zu sprechen haben.In den vergangenen Jahren konnte die Bundesrepublik Deutschland mit allen für unsere Volkswirtschaft notwendigen Rohstoffen reibungslos ver-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffsorgt werden. Daran besteht, so glaube ich, kein Zweifel. Die Gewinnung der Rohstoffe und die Dekkung der Nachfrage der Wirtschaft ist primär Aufgabe der Unternehmen. Die Privatwirtschaft ist mit den Chancen und Risiken der Märkte vertraut; sie kann und muß sich hierauf einstellen. Das hat sie in der Vergangenheit überzeugend bewiesen, und da gibt es, so hoffe ich, auch keine Meinungsverschiedenheiten, wenngleich, Herr Breidbach, mich die auch von Ihnen geäußerten Zweifel an der Wirksamkeit des Marktmechanismus immer wieder ein wenig überraschen. Ich meine, das müßte die Ausgangsposition bleiben, und ich bin sehr mit dem einverstanden, was Herr Rapp gesagt hat: daß insbesondere das Überwinden kurzfristiger Störungen ohne Frage eine Sache der Unternehmen ist und auch eine Sache der Unternehmen bleibt.Vorrangiges Ziel der Rohstoffpolitik der Bundesregierung ist — hier stimmen wir mit der Opposition völlig überein — die Sicherung der Rohstoffversorgung der importabhängigen Bundesrepublik durch eine Minderung des Abhängigkeitsrisikos. Auch hier gibt es deutliche Parallelen zur Energiepolitik. Zu den Kernelementen unserer Rohstoffversorgungspolitik zählen deshalb die regionale Diversifizierung der Rohstoffbezüge auf der Basis funktionsfähiger Rohstoffmärkte, die Intensivierung der Rohstoffforschung sowie eine ausreichende Vorratshaltung. Mit den rohstoffpolitischen Instrumenten, insbesondere dem Explorationsprogramm und dem Gewährleistungsinstrumentarium, werden die Bemühungen der Privatwirtschaft von der Suche nach Rohstoffen bis hin zu ihrem Abbau erfolgreich flankiert. Der interministerielle Staatssekretärsausschuß für Rohstofffragen hat der Diversifizierung der Bezüge Vorrang eingeräumt, sowohl regional wie strukturell, d. h., neben langfristige Lieferverträge und Spotkäufe sollte verstärkt der Eigenbesitz bzw. der Beteiligungsbesitz an Rohstoffquellen treten.Über das Explorationsprogramm erhalten die Unternehmen seit 1971 Zuschüsse zur Erschließung neuer Rohstoffressourcen. Bisher sind mit 175 Millionen DM 168 solcher Vorhaben gefördert worden.Um der Gefahr einer Stagnation der Rohstoffinvestitionen zu begegnen, die international auf Grund der verhaltenen Entwicklung der Weltwirtschaft zu beobachten ist, werden wir die Unternehmen auch beim Einstieg in fortgeschrittene Explorationsprojekte gezielt unterstützen.Die Investitionstätigkeit der internationalen Bergbaugesellschaften, die schwergewichtig zu unserer Versorgung beitragen, wird aber durch das ungünstige Investitionsklima in einzelnen Entwicklungsländern, also durch politische Risiken, gedämpft. Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung dieser Risiken voll bewußt. Ich halte es aber für falsch, einen Rückgang von Bergbauinvestitionen in Entwicklungsländern allein auf eine unzureichende Absicherung politischer Risiken zurückzuführen. Wegen der unsicheren zukünftigen Absatzchancen sind nämlich auch die wirtschaftlichen Risiken für Rohstoffprojekte stark gewachsen. Wünschen der Wirtschaft, im Rahmen der Bundesgarantien für Kapitalanlagen dieRisiken in der sogenannten grauen Zone zwischen politischem und wirtschaftlichem Risiko zu übernehmen, sind wir durch eine erweiterte Definition des politischen Risikos entgegengekommen. Ich muß aber gerade in diesem Zusammenhang deutlich betonen, daß der Staat dem Investor das wirtschaftliche Risiko nicht abnehmen kann und auch nicht abnehmen will.Andererseits sind wir bereit, unser Instrumentarium zur Absicherung des politischen Risikos neuen Gegebenheiten anzupassen. Als im Erdölbereich die sogenannten service contracts an Bedeutung gewannen, haben wir z. B. Garantien für diese neue Kooperationsform entwickelt. Diese Garantien könnten bei Bedarf auch auf entsprechende Rohstoffinvestitionen ausgedehnt werden.Wenn Sie jetzt noch das vorgesehene verstärkte Engagement der Deutschen Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit — DEG — sowie die substantiellen Verbesserungen hinzurechnen, die die Bundesregierung im Rahmen der Novellierung des Entwicklungsländersteuergesetzes, dessen parlamentarische Beratung und Verabschiedung hoffentlich reibungslos verlaufen kann, auch für Rohstoffinvestitionen vorgeschlagen hat, so zeigt dies sehr deutlich, daß die Bundesregierung entschlossen ist, ihren Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten, mit denen sich deutsche Investoren in den Entwicklungsländern konfrontiert sehen.Sie verkennt dabei nicht, daß durch die Entwicklung in einzelnen Rohstofflieferländern politische Risiken in einer Größenordnung auftreten können, die besondere Maßnahmen verlangen könnten. Die Opposition hat deshalb gefordert, die Bundesregierung möge die Bevorratung sensibler Rohstoffe bei den Unternehmen unterstützen. Der Bericht wird in der nächsten Woche — die Indiskretionen der „Welt" sind zeitlich nicht nur der Erörterung der Berichtsvorlage, sondern auch der Beschlußfassung vorausgeeilt — im Kabinett beraten werden. Wir werden in der nächsten Woche ' den Bericht des Staatssekretärsausschusses für Rohstofffragen im Kabinett debattieren und eine genaue Untersuchung zu den Möglichkeiten einer Verbesserung der Vorratshaltung mit staatlicher Flankierung vorlegen, um dann eine endgültige Entscheidung über eventuell notwendig werdende Maßnahmen zu treffen.In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Breidbach, nur der guten Ordnung halber: wir lassen uns, und ich ganz besonders lasse mir ungern einen unanständigen Stil gegenüber dem Parlament vorwerfen, wie Sie es formuliert haben. Es ist noch nicht lange her, daß ich ausschließlich Mitglied dieses Parlaments war. Wir haben im Mai 1978 vom Bundesministerium für Wirtschaft die Studie über mineralische Rohstoffe veröffentlicht und haben dann zwei Berichte angefordert und uns erarbeiten lassen, die wir in der Tat zur Verschlußsache erklärt haben, nämlich eine Darstellung des Ausfallrisikos bei 31 Rohstoffen — das Ergebnis findet sich in dem dem Kabinett vorgelegten Bericht des Staatssekretärsausschusses wieder — und eine Darstellung der Verwendung der Bedeutung ausgewählter
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9093
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffRohstoffe in der deutschen Wirtschaft. Diese Berichte, Herr Breidbach, haben wir Ihnen zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Aber Sie können mit Rücksicht auf die Wettbewerbssituation der Deutschen Unternehmen und mit Rücksicht auf die strategischen Versorgungsrisiken, die hier ausgearbeitet und nachgewiesen werden, nicht erwarten, daß wir das in die Öffentlichkeit geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Bitte sehr.
Herr Bundeswirtschaftsminister, betrachten Sie es als besonders fair, wenn einem Abgeordneten drei Tage vor dieser Debatte ein solcher Bericht im Ministerium zur Einsicht zur Verfügung gestellt und dabei erklärt wird: „Um Himmels willen, das ist eine streng vertrauliche Sache, die nur für Sie persönlich bestimmt ist" und wenn derselbe Abgeordnete die wesentlichen Fakten dieses Berichtes am nächsten Tag in dpa-Meldungen wiederfindet?
Herr Breidbach, daß ein Abegordneter drei Tage vor einer Debatte auf seinen Wunsch mit diesen Unterlagen, die vertraulich und Verschlußsachen sind, vertraut gemacht wird, halte ich durchaus für fair und angemessen. Daß sie in den Zeitungen stehen, halte ich für völlig unangemessen. Aber das ist keine Sache, die die Bundesregierung zu vertreten hat. Indiskretionen gibt es leider immer. Wenn in Bonn drei Personen etwas wissen, muß man davon ausgehen, daß es auch in der Zeitung steht, auch wenn es noch so vertraulich ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zusatzfrage, Herr Bundesminister?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß das keine Indiskretion war, sondern offensichtlich von der Bundesregierung selber an dpa weitergegeben worden ist?
Nein, das ist nicht der Fall, sondern mit dpa, mit den Zeitungen ist darüber erst gesprochen worden, nachdem auf Grund von Indiskretionen eine falsche Darstellung über den Bericht bereits an die Öffentlichkeit gelangt war. Da allerdings haben wir es für notwendig gefunden, es wenigstens richtig darzustellen und nicht die offensichtlich unrichtigen Darstellungen allein in der Welt zu lassen. Das ist der Gang der Dinge, Bonner Insider, zu denen Sieja gehören, wissen das seit langem und brauchen sich darüber auch kaum noch aufzuregen.
— Nein, die ist nicht rührend, sondern unerfreulich. Aber es ist die übliche unerfreuliche Geschichte.Um auf das Thema Vorratshaltung zurückzukommen: Dauer und Umfang einer möglichen Versorgungskrise lassen sich im voraus nicht genau bestimmen. Für die meisten industriellen Rohstoffe haben wir glücklicherweise mehr als nur eine Bezugsquelle. Beim Ausfall eines Lieferanten gibt es also, zumindest langfristig, neue Bezugsquellen. Bei einigen — volkswirtschaftlich besonders wichtigen — Industrierohstoffen ist das jedoch anders. Hier sind die Vorkommen regional derart konzentriert. — z. B. im südlichen Afrika oder in Südostasien —, daß im Krisenfall ein Ausweichen auf andere Lieferanten nicht mehr möglich ist. Selbst bei einem nur teilweisen Ausfall von Lieferungen wären Produktion und Beschäftigung in der Bundesrepublik erheblich berührt.In einem Gespräch mit dem Staatssekretärsausschuß für Rohstofffragen hat die Industrie zu einer möglichen Krise geäußert, daß ein Ausfall z. B. von südafrikanischen Lieferungen nur mit Lägern mit mindestens zwölfmonatiger Reichdauer überbrückt werden kann. In Preisen von 1977 entspricht das für die sensiblen Rohstoffe Chrom, Mangan, Wolfram und Asbest einem Wert von 1 Milliarde DM. Die laufenden jährlichen Zinsen und Lagerkosten beliefen sich etwa auf 10 bis 15 % dieses Wertes.Aufschluß über den Stand der unternehmerischen Vorsorge hat z. B. ein Gespräch des Staatssekretärsausschusses mit der Industrie ergeben. Nach eigenen Angaben der Wirtschaft schwanken die Vorräte je nach Rohstoff zwischen einem und drei Monaten. Grundsätzlich sollte die Wirtschaft auch bei erforderlichen Lagererhöhungen nicht aus ihrer primären Verantwortung für die Rohstoffbevorratung entlassen werden. Ein staatlicher Beitrag sollte nach unserer Auffassung nur flankierenden Charakter haben. Er muß immer so bemessen sein, daß er der Industrie eine ausreichende Anreizwirkung für eigene Initiativen bietet bzw. läßt.Ergänzend zu den auf die Versorgungssicherheit abzielenden Instrumenten der Rohstoffpolitik tritt die auf den Binnenbereich zugeschnittene Förderung der Rohstofforschung. Damit verfolgt die Bundesregierung als längerfristiges Ziel die optimale Nutzung der Rohstoffe. Substitution, Recycling und Materialforschung seien schlagwortartig genannt.Uber den internationalen Aspekt ist heute morgen schon ausführlich gesprochen worden. Erlauben Sie bitte auch mir, daß ich jetzt gewissermaßen deutschen Boden verlasse. Am Anfang will ich zwei Bereiche kurz ansprechen, die auf die fernere Zukunft ausgerichtet sind: Tiefseebergbau und die Erforschung der Antarktis.Die Bundesregierung unterstützt seit Jahren massiv die Entwicklung des Tiefseebergbaus. Die Erschließung der marinen Rohstoffquellen der Tiefsee,
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9094 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffd. h. der sogenannten Manganknollenlagerstätten, kann längerfristig, beginnend etwa im Jahre 2000, einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Erhöhung der Versorgungssichèrheit der Bundesrepublik bei• wichtigen mineralischen Rohstoffen erbringen, insbesondere bei Nickel, Kobalt und dem erwähnten Mangan. Voraussetzung ist u. a., daß die Kosten für den Ausbau der terrestrischen Kapazitäten und die Neuerschließung terrestrischer Lagerstätten so ansteigen, daß der Tiefseebergbau trotz seiner hohen Investitionskosten konkurrrenzfähig arbeiten kann und ,daß die technischen Voraussetzungen zur Erschließung der Meeresrohstoffe geschaffen werden.Deutsche Unternehmen sind in die Gruppe der technologischen Spitzenreiter der Meerestechnik vorgestoßen. Ein internationales Firmenkonsortium mit deutscher Beteiligung hat im Frühjahr dieses Jahres einen Fördertest durchgeführt, bei dem es erstmals in der Geschichte des Tiefseebaus gelang, Manganknollen in 5 000 m Meerestiefe aufzusammeln und kontinuierlich in wirtschaftlich interessanten Mengen zum Förderschiff emporzubringen. Sofern nicht weitere technische, wirtschaftliche und rechtlich-politische Schwierigkeiten hinzutreten, letztere insbesondere im Zusammenhang mit der UN-Seerechtskonferenz, kann mit dem Beginn einer schrittweise in Gang kommenden Manganknollenförderung aus der Tiefsee etwa ab 1985 gerechnet werden. Nach den derzeit möglichen Prognosen ist es wenig wahrscheinlich, daß bis zum Jahre 2000 mehr als zehn Tiefseeprojekte in kommerziellem Maßstab produzieren werden.Im Rahmen der seit 1973 laufenden dritten UN- Seerechtskonferenz vertritt die Bundesregierung den Standpunkt, daß sie nur einem solchen internationalen Meeresbodenregime zustimmen wird, das auch ein Zugangsrecht der Staaten und ihrer Unternehmen zu den Ressourcen des Meeresbodens neben dem einer internationalen Meeresbodenbehörde hinreichend garantiert. Zur Zeit ist bei der Seerechtskonferenz noch keine Einigung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern über ein internationales Meeresbodenregime in Sicht. Die Bundesregierung wird auf der kommenden 8. Session dieser Konferenz erneut für Lösungen eintreten, die auch deutschen Unternehmen einen Anreiz bieten, in die risikoreichen Projekte des Tiefseebergbaus zu investierenHerr Breidbach, Sie haben das Thema der nationalen Gesetzgebung,
der nationalen Interimsgesetzgebung, angesprochen. Dies ist ein Thema, bei dem die Bundesregierung in ständigem Kontakt mit dem interfraktionellen Arbeitskreis gestanden hat und steht. Wir sind für jede sinnvolle und vernünftige Entwicklung offen. Sinnvoll und vernünftig heißt in diesem Zusammenhang aber, wie Sie wissen: in Parallelität und dichter Abstimmung mit unserem wichtigsten Partner auf diesem Gebiet, den Vereinigten Staaten. Ich würde nichts davon halten, wenn wir dies national zu einer Einzelinitiative umgestalteten, sondern. wir sollten das bisher praktizierte interfraktionelle Vorgehen, wenn irgend möglich, weiter durchhalten.
— Herr Kollege Breidbach, natürlich nicht bis zum St.-Nimmerleins-Tag; aber dies hängt nun einmal ganz wesentlich von den Entscheidungen im amerikanischen Kongreß oder in der amerikanischen Regierung ab. Ein Einzelvorgehen hat in diesem Bereich wirtschaftlich, rechtlich und auch politisch einfach keinen Sinn. Dies ist unsere Überzeugung. Wir sind ebenso wie Sie und wie alle an der Seerechtskonferenz beteiligten Industrieländer daran interessiert, daß es nicht nachhaltig zu einem Ergebnis kommt, in dem sich alle Betroffenen gegenseitig so blockieren, daß im Tiefseebergbau überhaupt nichts mehr geschieht: die einen, weil sie Rechte wahrnehmen, die sie aber wirtschaftlich nicht nutzen können, und die anderen, weil sie zwar die wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten, aber nicht den ausreichenden Rechtsschutz angeboten bekommen, um die damit verbundenen großen Investitionen tätigen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es auf diesem Gebiet im Grundsatz zwischen der Bundesregierung und der Opposition Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich kann mir auch schwer vorstellen, daß es beim gegenwärtigen Stand in den Verfahrensfragen tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten geben könnte.
— Das glaube ich nicht.
— Herr Wehner, ich habe heute selbst schon Trost gesammelt. Ich bin gar nicht bereit, heute Trost zu versprühen. Also lassen wir das heute einmal. Außerdem kann man auf diesen Manganknollen noch lange kauen, habe ich so die Befürchtung.
— Nein, ich habe erst einmal mühsam gelernt, was das auf Englisch heißt, damit ich mich darüber unterhalten konnte. Das war mir bisher auch nicht ganz geläufig.Meine Damen und Herren, die Opposition — um ein zweites Thema zu erwähnen; Herr Breidbach hat es eben auch in einem Zwischenruf noch einmal wiederholt — hat der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe sich nicht rechtzeitig um unseren Beitritt zum Antarktis-Vertrag bemüht, und auf die möglicherweise in der Antarktis vorhandenen Rohstoffreserven hingewiesen. Herr Kollege Breidbach, ich will gar nicht darüber streiten, ob .man das ein Jahr oder zwei Jahre früher hätte entscheiden sollen; denn wir müssen uns natürlich vor Illusionen hüten: Allein aus technischen Gründen werden die in der Antarktis lagernden Rohstoffe in diesem
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9095
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffJahrhundert für die Industrieländer nicht mehr nutzbar sein.
— Ob das für die Energie nicht zutrifft, ist auch eine zweifelhafte Frage. Ich will Ihnen aber zugeben, daß das im Ölbereich anders aussehen könnte, wenngleich die Gewinnungsprobleme und die Transportprobleme bisher erst in einem einzigen Falle, von der Hudson-Bai herunter, gelöst worden sind.Die Bundesregierung hat alle notwendigen Schritte eingeleitet, damit wir einen dem Stand der Bundesrepublik entsprechenden Beitrag zur Erforschung der Antarktis leisten können. Das in Kürze vorliegende Antarktis-Programm der Bundesregierung wird Sie davon hoffentlich überzeugen. Ausführlich, so nehme ich an, wird über dieses Problem am heutigen Nachmittag im Zusammenhang mit dem Antrag der Opposition diskutiert werden. Ich beschränke mich deswegen auf diese kurzen Bemerkungen.Seit der 7. Sondersitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 1975 und insbesondere seit der Annahme der Resolution 93 über das integrierte Rohstoffprogramm der UNCTAD in Nairobi im Mai 1976 ist die internationale Rohstoffpolitik ein wichtiger Bestandteil des Nord-Süd-Dialogs. Im Rohstoffbereich haben die Entwicklungsländer als bedeutende Produzenten und die westlichen Industrieländer als wichtige Importeure wesentliche und sich weitgehend ergänzende Interessen — bei richtiger Betrachtung sich weitgehend ergänzende Interessen.Es besteht Einigkeit mit den Entwicklungsländern, daß exzessive Schwankungen auf den Rohstoffmärkten für Produzenten und Konsumenten von Nachteil sein können. Eine Verstetigung der Rohstoffexporterlöse — Erlösstabilisierung, nicht: Preisstabilisierung — ist für eine kontinuierliche Wirtschaftsentwicklung der rohstoffexportierenden Entwicklungsländer von wesentlicher Bedeutung. Die rohstoffpolitischen Ziele der Bundesregierung richten sich deshalb auf die Suche nach marktkonformen Lösungen zur Verbesserung der Struktur der Rohstoffmärkte und zur Verstetigung des Entwicklungsprozesses der Entwicklungsländer.Die Bundesregierung ist aktiv an den Konsultationen und Verhandlungen im UN-Bereich beteiligt, um dort weltweit akzeptable und funktionsfähige Lösungen für die allgemeinen Rohstoffprobleme zu finden. Im Zentrum dieser Beratungen steht, wie Sie wissen, das integrierte Rohstoffprogramm mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog für Einzelrohstoffe und mit der Idee eines Gemeinsamen Fonds.Die Bundesregierung hält einzelne Rohstoffabkommen mit Ausgleichslagern in geeigneten Fällen für sinnvoll, sofern sie der Vermeidung extremer Preisfluktuationen dienen, keine Wettbewerbsnachteile insbesondere für die deutsche Wirtschaft bedeuten, alle wichtigen Produzenten und Konsumenten umfassen und im Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen ausgewogen sind. Daneben können auch Abkommen zur Verbesserung der Markttransparenz durch verstärkten Informationsaustausch und, wo sinnvoll, zur Durchführung anderer Maßnahmen abgeschlossen werden. Eventuelle Preisspannen sind aber entsprechend dem längerfristigen Markttrend festzulegen — Herr Rapp hat vorhin darauf hingewiesen —, und sie sollten möglichst weit sein, um den Marktkräften eine möglichst breite interventionsfreie Zone einzuräumen.Zum Gemeinsamen Fonds hat die Bundesregierung in der letzten Verhandlungsrunde im November 1977 zusammen mit den anderen westlichen Industrieländern und den EG-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Position präsentiert, die auch weiterhin verhandelbar ist. Herr Breidbach, Sie haben das eine Anpassung an opportunistische Positionen genannt. Was heißt das? Und wie ist die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage zu erklären?Sie wissen, daß wir allen Eingriffen in die Marktfunktion auch in diesem internationalen Bereich mit Skepsis, Vorbehalt und Zurückhaltung gegenüberstehen. Sie wissen aber auch, daß wir in diesen Fragen gemeinsam verhandeln: einmal in der Gruppe unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft, für die eine einheitliche Willensbildung von Fall zu Fall und von Problem zu Problem geschaffen werden muß, und zum zweiten in enger Abstimmung mit den Vereinigten Staaten.Nun kann man natürlich sagen, daß der Kompromiß mit unseren Partnern eine Anpassung an opportunistische Positionen sei. Nur, wirklichkeitsnah und realitätsbezogen auf das, was in internationaler Politik zu geschehen hat, durchgesetzt werden kann oder möglich ist, ist eine solche Kennzeichnung nicht.
— Herr Todenhöfer, geschlossen in die falsche Richtung, sagen Sie, sei immer schlecht. Nun, allein stehen bleiben, wenn alle anderen Partner in eine bestimmte Richtung gehen — dies ist die einzige Alternative, die sich uns .bietet —, ist in der allgemeinen politischen Situation der Bundesrepublik Deutschland ganz ohne Frage erst recht schlecht. Vergessen Sie nie, daß diese Probleme in den großen Bereich der Außenpolitik und der internationalen Zusammenarbeit eingebettet sind und davon einfach nicht isoliert und getrennt werden können.
Ich habe — um das ganz klar zu sagen — nichts dagegen, daß die Opposition in dieser Frage eine kritische Sonde anlegt und dann, wenn sie realitätsbezogen bleibt, durch solche kritischen Bemerkungen die Position der Bundesregierung gelegentlich durchaus hilfreich unterstützen kann. Ich habe Zweifel, ob es noch hilfreich ist, wenn man Positionen einnimmt, die realitätsfern sind und mit dem eigentlichen Ablauf der Dinge und den politischen
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9090 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffKräften, mit denen wir konfrontiert sind, sehr wenig oder nichts mehr zu tun haben. Das hilft nicht.
Ich habe gesagt, daß die Position, die wir im November 1977 mit unseren Partnern vereinbart und unseren Verhandlungspartnern — um nicht zu sagen: -gegnern — in der UNCTAD-Runde präsentiert haben, verhandelbar ist. Diese Position sieht im wesentlichen folgende Regelung vor: Art, Umfang, Aufbringung und Aufteilung der Finanzierung von Abkommen sollten in den einzelnen Abkommen selbst geregelt sein, wobei für die Aufbringung der Mittel verschiedene Möglichkeiten wie Haushaltsbeiträge, Ausfuhr- oder Einfuhrabgaben oder Kreditaufnahme am Kapitalmarkt, abgesichert durch Regierungsgarantien oder eingezahltes bzw. abrufbares Kapital, denkbar sind. Ein Gemeinsamer Fonds sollte grundsätzlich als „pooling" der in den autonomen Einzelabkommen für die Ausgleichslagerfinanzierung vorgesehenen Mittel ausgestaltet. werden. Aufgabe des Gemeinsamen Fonds kann es sein, diese Finanzierung zu erleichtern, nicht aber, sie zu übernehmen. Eine direkte Kreditaufnahmemöglichkeit des gemeinsamen Fonds am Kapitalmarkt ist möglich, abgesichert durch Warenverpfändung oder durch Regierungsgarantien der Einzelabkommen etwa in Höhe von 25 % der maximalen finanziellen Erfordernisse der Abkommen. Wir sind bereit, für Buffer-stocks-Abkommen das Prinzip einer gemeinsamen Finanzierung von Ausgleichslagern durch Erzeuger- und Verbraucherländer, d. h. gemeinsame finanzielle Verantwortung aller Beteiligten, anzuerkennen. Wir sind auch bereit, über eine Finanzierungsfunktion des Gemeinsamen Fonds 'für andere Maßnahmen als Ausgleichslagerbei genau umschriebenen Aufgaben — zu verhandeln, wobei Doppelarbeit mit bestehenden internationalen Finanzinstitutionen zu vermeiden ist.Bei den laufenden, am 14. November 1978 in Genf wieder aufgenommenen UNCTAD-Verhandlungen über einen Gemeinsamen Fonds bemüht sich die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den EG-Ländern und anderen westlichen Industrieländern, vor allem den USA, um die Erzielung konstruktiver Ergebnisse. — Ich weiß nicht genau, meine Damen und Herren, worauf die Bemerkung des Kollegen Breidbach zurückzuführen ist, wir hätten über dieses Problem mit Hektik bis in die frühen Morgenstunden des heutigen Tages verhandelt. Wir haben heute morgen in der Tat ab halb acht — ich weiß nicht, ob die Tageszeit halb acht für Sie schon Hektik bedeutet, Herr Breidbach, für mich nicht — über die Frage gesprochen, mit welchen Verhandlungsleitlinien wir unsere Delegation in Genf ausrüsten. Wir haben dies, wie auch in anderen Fällen, Herr Breidbach, bewußt erst jetzt getan, nachdem sie bereits 24 oder 36 Stunden dort ist und uns gestern abend die ersten Berichte gegeben hat, wie die Positionen aussehen.
— Meine Damen und Herren, ich hätte immer gernGesprächspartner, die man so schnell rühren kannwie Sie. — Wir haben also Leitlinien für die Verhandlungsführung verabschiedet, von denen Gebrauch gemacht wird, wenn ausreichende Aussicht auf Einigung mit den Entwicklungsländern besteht bzw. in dem Maße, wie ausreichende Aussicht auf Einigung mit ihnen besteht. Dies betrifft alle wichtigen Detailfragen, z. B. die finanztechnische Ausgestaltung des Fonds und die Stimmrechtsregelung, unter der Voraussetzung eines befriedigenden Gesamtpakets. Nun habe ich eine herzliche Bitte, meine Damen und Herren von der Opposition: daß Sie mich nicht auffordern — ich will ganz leise, quasi in Klammern, sagen, ich täte es auch nicht, aber das sage ich nur so hinterher —, die Einzelheiten der Verhandlungsanweisung hier an diesem Pult jetzt auf den Tisch zu legen. Denn dann ist natürlich die Verhandlungsposition unserer Beamten in Genf ruiniert. Also, dies kann nicht geschehen. Sie werden, wie ich annehme, dafür Verständnis haben.
— Wenn das geschähe, Herr Breidbach, würde ich es bedauern. Das wäre wieder eine rührende Geschichte, aber ich könnte es nicht ändern. Nur, ich jedenfalls werde es nicht tun; denn das gehört sich nicht. Im übrigen verletzte das meine Amtspflichten und das Interesse der Bundesrepublik. —Neben den Bemühungen um preisstabilisierende Maßnahmen im Rahmen des integrierten Rohstoffprogramms der UNCTAD setzt sich die Bundesregierung für die Einführung eines weltweiten Erlösstabilisierungssystems ein. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, meine Damen und Herren, daß sich das Prinzip von Lomé bewährt hat. Zur Zeit wird ein solches System auf deutsche Initiative im Entwicklungsausschuß des IWF und der Weltbank beraten. Eine den Entwicklungsländern zugute kommende Erlösstabilisierung läßt sich über preisstabilisierende Maßnahmen kaum erreichen. Bei angebotsbedingten Preisschwankungen ist sogar eine Destabilisierung der Erlöse nicht auszuschließen.Außerdem sind nach dem derzeitigen Beratungsstand im Rahmen der UNCTAD neben den bestehenden marktregulierenden Abkommen für Zinn, Kaffee, Kakao und Zucker nur wenige neue Abkommen zu erwarten. Ich verhehle im übrigen meine Zweifel nicht, ob es auch bei den wenigen neuen Abkommen gelingen kann und gelingen wird, sie funktionsfähig zu vereinbaren und zu gestalten. Meine persönliche Skepsis gegenüber der Funktionsfähigkeit von Rohstoffabkommen — mit Ausgleichslagetn oder ohne Ausgleichslager — ist unverändert groß. — Herr Narjes, Sie nicken so freundlich; das ist sehr erfreulich. — Aber wir sind endlich so weit gekommen, unsere Partner davon zu überzeugen, daß nun Rohstoff für Rohstoff und commodity agreement für commodity agreement im Detail verhandelt werden muß, um herauszufinden, was denn eigentlich geht und was nicht geht. Die ganze Schwierigkeit dieser Verhandlungen liegt ja nicht zuletzt darin, daß Sie zwar mit vielen einzel-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9097
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffnen Vertretern dieser Länder sehr vernünftige, rationale, sachbezogene, am Problem und an ihrer Interessenlage orientierte Gespräche führen können, daß Sie das aber nicht mehr tun können, wenn diese einzelnen Vertreter, die Sie vorher alle besucht haben, und mit denen Sie sich vorher unterhalten haben, Ihnen gegenüber „gebündelt" an einem Tisch sitzen. Um so wichtiger ist es, die Detaildiskussion zu führen und dabei die Schwierigkeiten plastisch zu machen und sie herauszufinden zu lassen, auch im Bereich der Rohstoffabkommen.So viel, meine Damen und Herren, zu Problemen des Nord-Süd-Dialogs. Sie sind, wie wir gesehen haben, nicht von den übrigen Fragen der Rohstoffpolitik und der Wirtschaftspolitik insgesamt und auch nicht von den Fragen der Außenpolitik zu trennen. Sie verdienen dementsprechend unsere ganze Aufmerksamkeit. Die Bundesregierung handelt nach dieser Maxime. Ich glaube, daß das durch die Antwort auf die Große Anfrage der Opposition gezeigt worden ist. Ich habe mich heute morgen bemüht, durch meinen Beitrag, auch ein wenig durch die Art dieses Beitrages, dazu beizutragen, uns allen klarzumachen, daß es hier urn streng an der Sache orientierte Aufgaben und um deren Lösung geht. Darum bemüht sich die Regierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Opposition hat im April dieses Jahres, also vor sieben Monaten, eine Große Anfrage, über die wir heute diskutieren, eingebracht, um einmal von anderen Politikbereichen — wie etwa der Entwicklungspolitik oder der Mitarbeit in den Vereinten Nationen — getrennt ausschließlich die Rohstoffpolitik auf den Prüfstand dieses Hohen Hauses zu stellen. Die Opposition konnte sich zwar im Laufe der letzten Jahre über eine Reihe von Einzelmaßnahmen der Bundesregierung informieren und sie verfolgen. Sie war aber im April nicht in der Lage, ein geschlossenes Rohstoffkonzept der Bundesregierung zu entdecken und ist auch heute nicht dazu in der Lage.
— Gerade die Tatsache, daß die gestrige Kabinettsvorlage, Herr Kollege Wehner, wiederum nicht entschieden werden konnte, zeigt doch, wie groß selbst heute, nach sieben Monaten, der Entscheidungsbedarf immer noch ist, obwohl wir doch meinen, mit unserer Großen Anfrage einen Anstoß zu einer beschleunigten Gangart gegeben zu haben.
Wenn ich richtig unterrichtet bin, enthält die Vorlage, die nun in der nächsten Woche entschieden werden soll, ihrerseits keine präzisen Entscheidungsvorschläge, sondern nur die Bitte, die wesentlichen Entscheidungen erneut bis zum Jahre 1979 vertagenzu dürfen. Dann wird ein Jahr verstrichen sein, seitdem wir in der Kenntnis der Regelungsbedürftigkeit der Rohstoffsicherung durch unsere Anfrage einen Anstoß zu schärferen und klareren Entscheidungen geben wollten. Wir haben es also mit einem Politikbereich zu tun, der schleppend behandelt worden ist. Das ist um so befremdlicher, als die Bedrohungstatbestände und die lösungsbedürftigen Probleme unverändert andauern und als andere Staaten ganz andere Konsequenzen aus dieser Lage gezogen haben als wir. Ich erinnere an Schweden, an die Schweiz, an die Vereinigten Staaten, um nur einige zu nennen.Die Behauptung eines in sich geschlossenen rohstoffpolitischen Konzepts ist also in dieser Form nicht zutreffend, Dieser Behauptung widerspricht schon die Tatsache, daß die sechs oder sieben beteiligten Ressorts, unverändert in mehr oder minder großen Streitigkeiten befangen, bis heute nicht in der Lage waren, etwas zu konzipieren. Wir haben eine Bundesregierung, die in der Rohstoffpolitik bis an die Grenze der Selbsttäuschung übertreibt und eine Fassade poliert, die in dieser Form gar nicht existiert.
Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, dann war es der Hinweis, daß man erst einmal die ersten Berichte der Delegierten aus Genf über die letzten 36 Stunden abwarten wollte, um zu wissen, was die anderen Partner gewollt haben und um herauszufinden, was man selbst denken darf oder möchte.
Für jeden Wirtschaftspolitiker, der sich am Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft für die nationale Wirtschaftspolitik und ebenso für die Weltwirtschaft orientiert, stellt sich immer wieder die Frage, ob eine besondere Rohstoffpolitik überhaupt nötig ist, und warum man die Versorgung mit mineralischen, agrarischen und energetischen Rohstoffen überhaupt einer besonderen Politik unterwerfen muß. Die Gründe für eine nationale Rohstoffpolitik sind nun leider offenkundig. Wenn wir uns an die Geschichte des Ölboykotts des Jahres 1973 und an die zahllosen Bemühungen erinnern, den „Erfolg" des Ölboykotts mit anderen Produkten zu wiederholen, werden wir nicht mehr die Augen vor der Notwendigkeit verschließen können, daß der Zugang zu den Rohstoffquellen der Welt leider keine wirtschaftliche Selbstverständlichkeit mehr ist, auch nicht für den kaufkräftigsten Nachfrager.
Zu oft haben die rohstoffbesitzenden Entwicklungsländer — aber nicht nur sie, auch Kanada und Australien — ihre Absicht bekundet, diesen Zugang nicht nach Marktgesetzen, sondern auf Grund von politischen Entscheidungen zu gewähren, deren Motive nicht aus dem Bereich von Angebot und Nachfrage kommen. Die Sicherung gegen externe Versorgungsstörungen ist deshalb geboten als eine Sicherung gegen unüberschaubare Risiken in Notfällen.Mit dieser Feststellung muß aber zugleich die Forderung verbunden werden, alles Denkbare zu
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9098 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Dr. Narjesunternehmen, um funktionsfähige Rohstoffmärkte zu erhalten, ja um die Verläßlichkeit der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung so weit wie möglich wieder zu verbessern, so daß die heute empfundenen Sachzwänge zu nationalen Vorsorgemaßnahmen im Laufe der Zeit an Kraft verlieren. Letztlich geht es um das Vertrauen in die Verläßlichkeit der internationalen Arbeitsteilung, oder anders ausgedrückt: um die Notwendigkeit, es zu stärken und wiederherzustellen.Es gibt dabei kein absolut marktkonformes Mittel der Sicherung gegen politisch motivierte externe Versorgungsstörungen, also gegen Versorgungsverweigerungen, mit denen uns fremder politischer Wille aufgezwungen werden soll, mit denen unsere soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Bezug bestimmter Rohstoffe angesichts einer für den anderen erkennbaren Schwierigkeit, uns aus anderen Quellen zu versorgen oder die verweigerten Rohstoffe durch Ersatzmaterial zu ersetzen, als Drohung gegen uns benutzt wird.Außerdem ist es übrigens auch nötig, denkbare Zufuhrunterbrechungen, also Transporthindernisse politischer Art, die nicht unbedingt die Konsequenz eines gegen Deutschland gerichteten politischen Handelns sein müssen, zu bedenken und sich gegen sie abzusichern.Wir verfügen über geringe eigene Rohstoffvorkommen. Wir zählen zu den größten Rohstoffimporteuren der Welt. Das Ausmaß unserer Außenhandelsabhängigkeit bedeutet auch eine hohe Abhängigkeit vom reibungslosen Bezug von Rohstoffen aus allen Teilen der Welt. Ich möchte die Zahlen im einzelnen nicht wiederholen. Was der Ausfall an bestimmten Rohstoffen für unsere Volkswirtschaft bedeutet, ist ebenfalls heute morgen schon angesprochen worden auf Grund der sogenannten 31-Produkte-Studie. Selbst wenn man diese Status-quo-Studie mit einigen Gründen, die vertretbar sind, als Horrorgeschichte abqualifizieren möchte und der Flexibilität des Produktionsprozesses und der Märkte einen höheren Rang zuweist, als es wohl in dieser Studie geschehen zu sein scheint, bleiben immer noch ganz erhebliche soziale und ökonomische Risiken übrig, gegen die wir uns absichern müssen, ob wir es wollen oder nicht. Insoweit habe ich den Eindruck, daß die grundsätzlich abweichende und zögernde Haltung, die die Bundesregierung noch in dem im Juli redigierten Text der Antwort auf die Große Anfrage eingenommen hat, heute von ihr nicht mehr geteilt wird, daß sie im Laufe der letzten vier Monate eine Entwicklung in Richtung auf eine bewußte Vorratspolitik eingenommen hat. Sie ist auf den von uns geforderten Kurs eingeschwenkt. Wenn ich es richtig sehe, geht es nur noch darum, die Modalitäten der Finanzierung und Lagerhaltung im einzelneu abzustimmen. Auch wenn sie reichlich spät kommt: besser jetzt als überhaupt nicht.Welche Sicherungen sind nun nötig? Die in der Anlage 4 genannten Rohstoffe möchte ich nicht wiederholen; sie sind heute morgen zu oft genannt worden. Für sie gibt es nur begrenzte Möglichkeiten der Streuung des Bezugs und nur begrenzte Möglichkeiten, sie durch andere Materien zu ersetzen. Sie sind der Gegenstand unserer unmittelbaren Sorge. Gegen sie gibt es keine andere Sicherung als die der Vorratsbildung. Genau zu diesem Zeitpunkt, da wir feststellen müssen, daß kein Weg an der Vorratshaltung vorbeiführt, stellt sich die Frage: Haben wir eine Versorgungsstrategie? Welches sind die Gesichtspunkte? Was ist gefühlsbetont? Was ist das Ergebnis rationaler Überlegungen? Wenn man diese Debatte und ihre Vorbereitung auf sich wirken läßt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier insgesamt auch in den Instituten noch eine systematische Vertiefung der Arbeit und des Nachdenkens über die Leitlinien und unverzichtbaren Elemente einer nationalen Versorgungsstrategie nötig ist.Einige Hinweise, einige Fragen mögen dies erhärten, Fragen, die als Anregung für die weitere Arbeit gedacht sind. Können wir es uns zum Beispiel leisten, die Menge der Vorräte schematisch nach Kalendermonaten oder gar nach Versorgungstagen zu fixieren? Müssen wir nicht vielmehr entsprechend den wechselnden' Versorgungsrisiken bereit sein, flexibel die Vorratszeiten den jeweiligen Risiken anzupassen? Außerdem stellt sich die Frage: Sind unsere Entscheidungsmechanismen in der Lage, hinreichend schnell solche Anpassungen vorzunehmen? Oder: wieweit fließen — bewußt oder unbewußt — in die Versorgungsüberlegungen Erwägungen von der Art ein, daß alle Rohstoffproduzenten ja irgendwann einmal wieder um ihrer' Deviseneinnahmen willen an den Markt gehen und verweigerte oder unterbrochene Lieferungen wieder aufnehmen müssen, damit sie im Interesse ihrer eigenen Volkswirtschaft und ihrer eigenen Devisenlage wieder handlungsfähig werden?Wer so denkt, muß aber auch berücksichtigen, daß ein Regime, je brutaler und diktatorischer sein Zugriff auf die Wirtschaft ist, auch entsprechend länger seiner Bevölkerung den Verzicht auf den Erlös von Rohstoffexporten und damit auch einen Konsumverzicht zumuten und durchsetzen kann. Infolgedessen kann die Zeit der Verweigerung von Lieferungen sehr viel länger sein, als der eine oder andere zu unterstellen scheint.Ein weiterer Punkt, der unverändert ungeklärt ist: Es wird nur vpn geographischen Zonen ausgegangen, wir müssen wohl aber auch von Koalitionen von Rohstoffproduzenten ausgehen. Wer schließt aus — und kann eine stichhaltige Begründung dafür anführen —, daß nicht beim Rohstoff X die Produzenten verschiedener Erdteile sich zusammentun und in ihrer Gesamtheit, als Kartell oder sonstwie zusammengeschlossen, eine bestimmte politische Richtung mit der Verweigerung von Lieferungen erzwingen wollen? Ist schließlich bei der Beurteilung von Risiken immer bedacht worden, daß ein Regimewechsel sich sehr plötzlich vollziehen kann? Das Iran-Beispiel war jedenfalls, wenn ich es richtig sehe, in keine Ölversorgungsplanung in diesem Tempo und in diesem Umfange einbezogen. Wer schützt uns dagegen, daß ein radikaler Politikwechsel nicht auch in ande-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1938 9099
Dr. Narjesren Staaten für andere Themen so plötzlich eintritt,wie wir es jetzt in den letzten Wochen erlebt haben?Nächste Frage! Gibt es überhaupt so etwas, was die Political Science als ein „Worst Case Scenario" betrachtet, also Überlegungen, die von den denkbar schlechtesten Umständen ausgehen und die die notwendige politische Aktion an den denkbar schlechtesten Umständen ausrichten, um die Versorgung wenigstens in der Richtung denkbar schlechtester Umstände anzulegen und sicherzustellen?Ein weiteres Thema! Ist denn überhaupt bedacht worden, daß es sich in manchen Fällen empfehlen kann, möglichst große Vorratsläger anzulegen, weil schon die Existenz großer Vorratsläger für sich allein einen möglichen Boykotteur davon abschreckt, den Boykott überhaupt zu beginnen, weil er sieht, daß er die Zeit nicht durchhalten kann, in der ihm der Bedrohte seinerseits auf Grund seiner Lagerhaltung widerstehen kann?Ich habe ferner nicht recht erkennen können, daß schon hinreichend bedacht ist, daß die Versorgung nicht nur mit Rohstoffen, sondern auch mit Veredelungsprodukten ein Thema werden kann, über das in absehbarer Zeit nachzudenken notwendig ist, insbesondere dann, wenn die ersten Verarbeitungsstufen mehr oder minder geschlossen in bestimmten Ländergruppen konzentriert sind.Schließlich stellt sich die Frage, ob die Versorgung mit Grundstoffen für solche Materien, die als Ersatz für Rohstoffe in Betracht kommen, systematisch untersucht ist. Auch das ist ein Thema, an das wir denken müssen.Ich habe diese Liste von Fragen zur Untersuchung der Versorgungssicherheit so ausführlich gegeben, weil ich meine, daß hier unser Nachdenken beginnen muß, bevor wir uns über die Technik der Vorratshaltung' im einzelnen und über die Aufgabenverteilung unterhalten.Bei der Frage, wer welche Aufgabe dabei zu erfüllen hat, möchte ich sehr deutlich folgendes sagen. Grundsätzlich ist die Beschaffung von Rohstoffen ausschließlich eine Angelegenheit der Wirtschaft, der einzelnen Unternehmen des Handels und der Produktion. Sie allein disponieren, müssen Preisschwankungen und Produktionsstörungen ertragen, und es obliegt allein ihren kaufmännischen Überlegungen, zu entscheiden, ob und welche Vorräte sie wo und unter welchen Bedingungen halten. Niemand kann und soll ihnen diese Arbeit und diese Zuständigkeit abnehmen.Ich sage dies so deutlich, weil ich hier ein Inter- view des Staatssekretärs Rohwedder vom 4. Oktober vor mir habe, in dem er nach den Rohstoffkonzeptionen der Opposition und ihrem Einklang mit den Vorstellungen der Wirtschaft gefragt wird. Herr Rohwedder — er ist leider nicht hier — hat da unsere Position in einer Form verzerrt, die mich zwingt, dies als eine groteske Mißdarstellung unserer Haltung gerade auch an dieser Stelle zurückzuweisen. Es ist niemals unsere Absicht gewesen, der Wirtschaft ihre Probleme abzunehmen oder sie zu bevormunden oder ihr zu sagen, daß sie ihrerseits mit dem Rohstoffproblem nicht fertig geworden ist. Das darf ich an dieser Stelle einmal zu dem Rohwedder-Interview in aller Deutlichkeit ausführen.Herr Kollege Rapp, es gab dann heute morgen das Wort von den Kollektivneurosen und den Ängsten, gegen die es anzugehen gelte. Gewiß, so etwas gibt es. Sie werden mich immer an Ihrer Seite finden, wenn sie zu bekämpfen sind. Ich meine nur, wir sollten uns nicht der Gefahr aussetzen, die Tatsache, daß es keine aktuelle Versorgungsstörung gibt, als hinreichenden Anlaß dafür zu nehmen, nichts zu tun. Es ist keine Neurose, wenn man am Horizont erkennbaren Gefahren vorbeugen will. Es ist im Gegenteil verdammte Pflicht und Schuldigkeit einer jeden Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß das, was an erkennbaren Risiken vorhanden ist, durch entsprechende Maßnahmen abgewehrt wird, oder Vorkehrungen dagegen zu treffen. Die aktuelle Versorgungslage ist deshalb zwar ein Argument, kann aber unsere Haltung nicht ausschließlich bestimmen. Wir würden uns hier sonst erheblich auseinanderbewegen.In einer marktwirtschaftlichen Ordnung kommen als Instrumente der Rohstoffpolitik nur solche in Betracht, die im Prinzip mit der Ordnung vereinbar sind. In diesem engeren Rahmen stellt sich dann die weitere Frage, welches unter den denkbaren Instrumenten nach welchen Kriterien ausgesucht werden muß, und zwar Kriterien wie Kosten-NutzenÜberlegungen, Haushaltsbelastung, aber auch ein weiteres: die Praktikabilität im Verknappungsfall. Zu diesem Gesichtspunkt habe ich heute morgen zuwenig gehört. Er sollte durchdacht werden. Vielleicht gibt es hier auch einen Nachholbedarf. Daß Streuung der Bezugsquellen, Beteiligungsstrategien und ähnliches, was erwähnt worden ist, zur Sicherung der Versorgung eine Rolle spielen, versteht sich von selbst. Hierüber gibt es nichts Streitiges; ich will dazu nichts sagen.Indessen möchte ich zum Gedanken der nationalen Reserve, wie wir sie schon für Dl haben, etwas nuancierter Stellung nehmen. Wir möchten das Prinzip der nationalen Reserve nicht von vornherein und für alle Produkte und für alle Zeit ausgeschlossen wissen. Wir können uns Fälle vorstellen, in denen sich für einzelne Produkte unter Umständen auch das teure Instrument der nationalen Reserve anbietet, ohne daß wir heute schon in dieser Richtung für das eine oder andere Produkt Anregungen geben oder Vorschläge machen. Wir möchten nur sicherstellen, daß dieses Instrument nicht im Prinzip ausgeschlossen wird. Manches spricht dagegen — der hohe Preis —, einiges könnte unter bestimmten Umständen aber auch dafür sprechen. Schweden, die Schweiz, die Vereinigten Staaten haben in ähnlicher Weise operiert. Das Normale sollte ein Kooperationsmodell sein, etwa die Vertragsvorratshaltung, vielleicht auch die durch steuerliche Anreize begünstigte Vorratshaltung. Die ist jedoch nicht so leicht, wie es zunächst erscheint.Wer steuerliche Maßnahmen will, muß sich darüber klar sein, daß die steuerlichen Anreize, wenn sie wirklich zu einer dauerhaften Vorratsbildung
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9100 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Dr. Narjesführen sollen, so stark bemessen sein müssen, daß sie das Unternehmen, dessen Vorratshaltung man beeinflussen will, selbst dann bestimmen, die Läger nicht aufzulösen, wenn der normale Preismechanismus, die Preisschwankungen es betriebswirtschaftlich nahelegen, die Läger so schnell wie möglich abzustoßen. Da müßten Sie solche Anreize konstruieren, daß auch im Falle extremer Preisschwankungen auf den Märkten die Lagerhaltung fortgesetzt wird. Ist das nicht der Fall, werden Sie unter Umständen gezwungen sein, sehr kurzfristig mit anderen Instrumenten die Versorgung sicherzustellen, und dafür haben Sie im allgemeinen weniger Zeit als notwendig, denn die Vorlaufzeiten zum Aufbau eines alternativen Instrumentariums der Vorratshaltung sind nicht kurz. Deshalb warne ich auch davor, die durchschnittlichen Vorratstage der Industrie überzubewerten. Sie sind immer nur Momentaufnahme. Sie können sich jeden Tag ändern. Auf sie können wir uns im Notfall nicht verlassen. Kollege Rapp, Sie haben ein paar Beispiele genannt. Die Bestände der Stahlindustrie an Kobalt reichen im Durchschnitt der Jahre 1974 bis 1977 62 Tage, im Juli reichten sie nur 40 Tage, ein Drittel weniger. Andere Beispiele ähnlichen` Schwankens sind vorhanden: Titan 81 zu 58 Tage. Die Schwankungen sind so groß, daß wir uns auf sie und auf die Durchschnittswerte nicht verlassen können, wenn wir darauf eine gesicherte Rohstoffversorgung aufbauen wollen. Dies zum Thema der vertraglichen Vorratshaltung.Kommen Sie zu anderen Vorratsinstitutionen, wird das Instrument der Bürgschaften immer nützlich sein. Es ist elastischer, vor allen Dingen, wenn es so gehandhabt wird, daß es auch gegenüber ausländischen Kreditquellen benutzt werden kann.Gegen Vorratshaltung in Deutschland — lassen Sie mich zwei Punkte aufführen, die heute morgen noch nicht gebracht worden sind — gibt es zwei Einwendungen aus der Dritten Welt. Der erste Einwand lautet, wir wollten durch unsere Vorratspolitik die Preisbildung, jedenfalls für die Dauer, in der die Vorräte aufgebaut werden, beeinflussen und dadurch internationale Preisstabilisierungsmechanismen, welche die Dritte Welt anstrebt, unterlaufen. Der zweite Einwand lautet, daß nationale Vorratslager überflüssig seien, weil man ja internationale Vorratslager oder Ausgleichslager anstreben solle, die diese Funktion mit übernehmen könnten.Beiden Einwendungen muß — man kann sagen: leider — entgegengehalten werden, daß es gerade die politischen Aktionen der Dritten Welt gewesen sind, die das Vertrauen, von dem ich eingangs sprach, in die Funktionsfähigkeit der arbeitsteiligen Weltwirtschaft erschüttert haben, und daß es gerade auf Grund dieser politischen Aktionen für uns unabweisbar geworden ist, eigene Vorratspolitik zu betreiben. Dabei denke ich nicht nur an die verschiedenen Maßnahmen, die verschiedenen Aufforderungen, das OPEC-Beispiel zu wiederholen. Ich denke bei den Vorratslägern auch daran, daß das Generalsekretariat der UNCTAD vorschlägt, die Institutionen zur Kontrolle der Lager nach UNO-Regeln zu gestalten, d. h., die Entscheidungen mit der einfachen Mehrheit der formal souveränen und gleichberechtigten teilnehmenden Staaten zu fällen, d. h., die permanente Majorisierung der Industriestaaten auf diese Weise zu organisieren. Da ein politischer Druck bekanntlich auch von Mehrheiten ausgehen kann, ist es schon von dieser Seite her für uns nicht tragbar, die nationale Rohstoffsicherung durch internationale Lager dieser Art zu ersetzen.Es mag aber erwägenswert sein, in Europa eine größere Versorgungssolidarität auf der Basis der Gegenseitigkeit anzustreben, damit wenigstens diejenigen Staaten in Europa, die sich wie wir zu nationalen Vorräten entschließen, in geregelten Beziehungen und zu geregelten Bedingungen untereinander zu einer insgesamt noch größeren kollektiven Versorgungssicherheit kommen. Platz für solche Staaten, die eine eigene Vorratsbildung ablehnen, aber im Notfall die Hilfe der anderen in Anspruch nehmen wollen, wäre allerdings dabei nicht zu lassen. Das wäre ein unfaires Verlangen.Von den deutschen Investitionen im Ausland ist heute morgen mehrfach gesprochen worden. Ich darf noch einen Gesichtspunkt hinzufügen. Unterteilen Sie die deutschen Investitionen im Ausland der letzten Jahre nach Investitionen, die in die Rohstoffversorgung gehen, und Investitionen, die anderen Zwecken dienen, dann ist im Vergleich zu den übrigen Staaten der westlichen Welt der Anteil der Rohstoffversorgung für Deutschland wesentlich kleiner als bei unseren Partnern. Hier spielen Tradition, Kapitalschwäche und viele andere Erscheinungen eine Rolle. Genaue Definitionen und Untersuchungen gibt es meines Wissens noch nicht. Jedenfalls besteht aber die Notwendigkeit, gerade wenn man eine Beteiligungsstrategie fördern will, die eine weltweite Streuung der Versorgung sicherstellt, diesen Rückstand aufzuholen und das Ungleichgewicht in der Verwendung unserer Auslandsinvestitionen möglichst schnell zu korrigieren.Gewiß, der Eigentumsschutz, der Schutz gegen Nationalisierung ohne Entschädigung, ist nicht der einzige Grund, der diese Investitionen bisher nur so spärlich hat fließen lassen, aber wir sollten nicht verkennen, daß dies ein ganz wesentlicher Grund ist, der davon abhält, bei den immer größeren Anlagedimensionen, die heute mit dem Rohstoffabbau unter schwierigen Bedingungen verbunden sind, in der Dritten Welt zu investieren.Heute morgen ist die Frage gestellt worden, warum mit dem Holzhammer gearbeitet werden, warum „divide et impera"-Politik betrieben werde, warum — wenn ich die schwäbischen Beispiele richtig verstanden habe — nicht die feinmechanischen Werkzeuge, sondern die des Grobschmieds genommen werden. Dazu darf ich das eine oder andere feststellen.Erstens, Herr Kollege Rapp, leidet die Diskussion ja weltweit darunter, daß sich die Dritte Welt als politischer Kampfverband darstellt, als ein Verband, der sich selbst, obwohl es in ihm große erkennbare Interessenunterschiede gibt, nicht zugesteht, diese Interessenunterschiede deutlich auf den Tisch zu legen. Das wiederum hat zur Folge, daß sachgerechte Lösungen, rationale Lösungen der Probleme wesentlich erschwert, wenn nicht ausgeschlossen werden.
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Dr. NarjesIch darf als Beispiel die Antwort auf die von uns gestellte Frage 37 heranziehen. Da haben Sie, wenn ich richtig zähle, zu Recht 42 Entwicklungsstaaten, die als mineralische „have-nots" gelten, und weitere 19, die als agrarische „have-nots" gelten, aufgezählt. Niemand kann doch leugnen, daß die Interessenlage dieser 42 und dieser 19 Staaten völlig anders ist als etwa die Saudi-Arabiens oder ähnlicher Staaten, die auch noch unter der Überschrift „Entwicklungsländer" stehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Ja, bitte.
Herr Kollege Narjes, teilen Sie meine Auffassung, daß diese Kampfverbands-Mentalität aufgelöst werden könnte und nur dann aufgelöst werden kann, wenn wir unsererseitz zu erkennen geben, daß wir selbst die gegenwärtige internationale Arbeitsteilung als asymmetrisch und als ungerecht empfinden?
Herr Kollege Rapp, in Ihrer Frage stecken zwei Behauptungen, die ich in dieser Form nicht akzeptieren kann. Ich akzeptiere, daß die Entwicklungschancen auf der Welt nicht gerecht verteilt sind. Ich akzeptiere aber nicht, daß der Marktmechanismus an sich die Ursache dafür gewesen wäre, daß diese Entwicklungschancen ungerecht verteilt sind. Ursache und Wirkung sehe ich anders als Sie. Deshalb ist auch das Wort von der „Asymmetrie" eher irreführend als geeignet, das Problem zu deuten. Mir scheint, daß die ganze Nord-Süd-Diskussion, die unter der Überschrift „Konfrontation, Respekt vor Symbolen, Emotionen" usw. läuft, nicht dazu angetan ist, sachlich, rational und konstruktiv voranzukommen.Insbesondere sind es, wenn ich das so deutlich sagen darf, zwei oder drei ganz grobe Vereinfachungen, die die Diskussion belasten. Die erste ist die Feststellung, daß Entwicklungsländer Rohstoffproduzenten und Industrieländer Rohstoffverbraucher sind. Das ist schlicht falsch! Aber obwohl dies nun seit Jahr und Tag gesagt wird, hat es sich anscheinend noch nicht einmal bis ins Auswärtige Amt herumgesprochen.
Bestenfalls ein Drittel aller Rohstoffe liegt in Entwicklungsländern, zwei Drittel liegen in Industrieländern in fist und West. Jeder Pfennig Rohstoffverteuerung kommt zu zwei Dritteln den Industrieländern und nur zu einem Drittel den Entwicklungsländern zugute — und bei diesen meistens denen, denen es ohnehin schon besser geht, während die 42 mineralischen und die 19 agrarischen „have-nots" keinen Pfennig davon haben. Sie sind vielmehr die Opfer der höheren Preise, nicht nur direkt, weil siesie bezahlen müssen, sondern auch indirekt, weil höhere Preise bei den Rohstoffen ja auch die Industrieprodukte verteuern, die sie benötigen, so daß wir durch Erhöhungen der Rohstoffpreise praktisch die Ärmsten der Armen erneut zu Transferleistungen zur Kasse bitten, sie zu Lasteseln gerade derjenigen machen, die wir nicht fördern wollen. Das ist das Gegenteil von dem, was die Dritte Welt selbst wollen kann. Es liegt nicht im Interesse der Dritten Welt, einen Weg zu gehen, der die meisten ihrer Länder benachteiligt, ihnen Entwicklungschancen wenn nicht völlig nimmt, so doch erheblich erschwert. Es muß doch vielmehr in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse liegen, ihnen — und zwar unter dem Strich— einen optimalen Ressourcentransfer zu bieten, nicht aber Scheinlösungen, die von politisierten Kampfverbänden kommen.Das andere, was ebenso dazugehört, ist die völlige Verzerrung der kolonialen Vergangenheit. Der Kolonialismus war mehr als eine Rohstoffausbeutung der Dritten Welt. Das hat auch etwas mit Imperialismus zu tun. Wäre das anders, wäre das nur eine Rohstofftransferveranstaltung der Europäer im 19. Jahrhundert gewesen, dann verstehe ich nicht, warum die damals so gewaltig Begünstigten heute unter den Industrieländern mit ihrem Bruttosozialeinkommen gar nicht an der Spitze stehen. Die Skandinavier, die Schweizer, die Osterreicher, sie alle haben ein viel höheres Pro-Kopf-Einkommen als die früheren Kolonialmächte. Und dann verstehe ich das noch weniger, weil die am meisten ausgebeuteten Länder der Dritten Welt im 19. Jahrhundert, nämlich Australien, Kanada und andere, heute mit an der Spitze der Einkommenspyramide in ihren Bereichen stehen. Dies alles sind Ergebnisse, die mit dieser Primitivbehauptung über den Kolonialismus, seine Ursachen und die heutige Lage, nicht vereinbar sind. Ich habe manchmal den Eindruck, daß insbesondere in den Stäben des Auswärtigen Amtes, soweit wir aus Kinkelstudien I, II, aus Nachrichten- und anderen Diensten etwas entnehmen können, die Zusammenhänge noch nicht recht deutlich geworden sind.Ich könnte noch andere Gesichtspunkte zu dem Thema anführen, möchte mich aber auf eine Schlußbemerkung beschränken. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben von der Notwendigkeit von Kompromissen und von dem Zwang gesprochen, zu, wenn ich es richtig verstanden habe, wirklichkeitsbezogenen Abmachungen im Verband mit unseren Freunden am Tisch mit den Entwicklungsländern zu gelangen. Es ist zweifellos richtig, daß Sie diesem Zwang ausgesetzt sind. Nur bitte ich Sie, zwei Dinge zu bedenken.Erstens. Der Kompromiß, den Sie im Kreise der Industrieländer schließen, und danach auch der Kompromiß, den Sie an anderen Verhandlungstischen schließen, wird weitgehend davon bestimmt, von welcher Position aus Sie in die Verhandlungen hineingehen, wie idie Vorbereitung ist und mit welcher langfristigen und überzeugenden Konzeption Sie diese Runden beginnen. Daran fehlt es uns. Das wird Ihnen im Laufe des Vormittags noch erneut gesagt werden müssen.
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9102 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Dr. NarjesDas zweite ist ' der deutliche Verlust und derdeutliche Abbau an Liberalität in der Außenwirtschaftsposition der Bundesrepublik in den letzten zwölf Monaten. Ich erinnere nicht nur an die Wandlungen, die Sie in der Rohstoffpolitik — von Friderichs in Nairobi bis Lambsdorff heute — vollzogen haben — welch ein Weg! —, sondern ich erinnere z. B. auch daran, daß die Bundesregierung beim Internationalen Währungsfonds doch recht plötzlich und ohne zwingende Gründe die zunächst zu Recht ablehnende Position gegen eine sachlich nicht nötige Quotenerhöhung aufgegeben und auch insoweit den Eindruck erweckt hat, daß Sie von der ordnungsbewußten Position abgehen und sich einer weniger orientierten, pragmatischen Position, um mich vorsichtig auszudrücken, .nähern. Wir bedauern dies.Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, daß die Diskussion heute morgen sehr viele Gemeinsamkeiten zeige, so möchte ich demgegenüber doch darauf hinweisen, daß sich in diesen Grundsatzfragen die Kluft eher geweitet als verengt hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jens.
Das Thema Rohstoffpolitik, sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ist natürlich keines, das die Zuhörer von den Bänken reißt, selbst dann nicht, wenn es so dynamisch vorgetragen wird, wie es der Kollege Narjes getan hat. Wichtig ist es aber dennoch, wie mir scheint, was man auch daran sieht, daß wir uns alle sehr sorgfältig vorbereitet haben.Erlauben Sie mir einige Bemerkungen zur Rohstoffvorsorge und Rohstoffpolitik — aus wirtschaftlicher Sicht, versteht sich. Grundsätzlich pflichten wir der Bundesregierung bei, daß eine hinreichende Lagerhaltung von Rohstoffen aller Art Aufgabe der Unternehmen ist, selbst dann, wenn die Rohstoffe aus Gebieten kommen, in denen es politische Risiken gibt. Erst in dem Moment, wo Ausfälle eines Rohstoffes durch politische Veränderungen in einem Land mit erheblichen Gefahren für die Volkswirtschaft in unserem Land verbunden sind, läßt sich in einer marktwirtschaftlichen Ordnung der Bundesregierung eine Mitverantwortung für die Belieferung mit verschiedenen Rohstoffen zuerkennen. So ist es sicherlich auch, Herr Kollege Breidbach, bei Chrom, Mangan, Asbest und einigen anderen Rohstoffen, da die Bundesregierung hier von Lieferungen aus Südafrika zum großen Teil abhängig ist und der Ausfall einer Jahreslieferung zu schwerwiegenden Folgen für die Beschäftigung in unserem Lande führen kann.
Relativierend muß man allerdings hinzufügen: Erstens. Die statistischen Daten über die effektiven Lagerbestände der politisch sensiblen Rohstoffe in der deutschen Wirtschaft sind unzureichend. Ich ermuntere die Bundesregierung, auf diesem Gebiet für weitere quantifizierte Fakten zu sorgen.Zweitens. Die Möglichkeit der Substitution eines Rohstoffes durch einen anderen ist nicht zu unterschätzen. Generelle Aussagen lassen sich hierzu nicht machen; da die Substitutionsmöglichkeit von Produkt zu Produkt unterschiedlich ist. Diese Möglichkeit hängt im übrigen auch entscheidend von den Preisen und Kosten eines Produktes ab. Aber das Substitutionspotential wie auch das Potential der Recyclingmöglichkeit wird im Ernstfall wesentlich größer sein, als gemeinhin angenommen wird.Mit Recht wehren sich die Unternehmen in unserer Ordnung dagegen, etwa die betriebswirtschaftlich notwendige Lagerhaltung dem Staate zu übertragen, was ich ausdrücklich begrüßen möchte.Aber die Gefahren einer politischen Verknappung weniger Rohstoffe sollen keineswegs verkleinert werden. Die Forderungen der Entwicklungsländer nach Rohstoffabkommen und möglichen Kartellen haben ja bereits ihre Schlagzeilen in den Zeitungen gemacht. Die Gefahr von Erzeugerkartellen nach dem Vorbild der OPEC ist meines Erachtens nicht besonders groß, da viele Rohstoffe sowohl in Entwicklungsländern als auch in Industrieländern gefunden werden. Seitens der Bundesrepublik muß man jedoch erkennen, daß zu stark hinausgeschobene Verhandlungen in der UNCTAD über Rohstoffabkommen diese Gefahren keinesfalls verkleinern.
Aus strategischen Gründen brauchen wir uns jedenfalls, so meine ich, keine Reserve zuzulegen; denn im Falle eines Krieges, den wir alle nicht wollen, haben wir sowieso keine Zukunftschancen.Wenn diese Debatte das Problembewußtsein erhöht, hat sie einen wesentlichen Zweck erfüllt. Eine dringende Notwendigkeit, morgen bereits zu handeln, können wir jedenfalls nicht erkennen.
Aber Vorräte für sensible Rohstoffe sind sicherlich eine gewisse Beruhigung. Das gilt sogar für den vielgeschmähten — ich nehme das als Beispiel — Butterberg oder die überfüllten Getreidesilos in Europa, die mir im übrigen lieber sind als die staatliche Verwaltung von Mangelerscheinungen.
Es ist im übrigen schlichtweg falsch, wenn jemand sagt — Herr Narjes hatte das angedeutet —, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet die Hände in den Schoß gelegt hat. • Neben der Substitution von Rohstoffen, über die die Unternehmen nachzudenken haben, sind die Finanzmittel zur Erkundung neuer Lagerstätten überall in der Welt von 9 Millionen DM in 1972 auf 37 Millionen DM in 1977 erhöht worden. Diese Finanzmittel sollen bis 1982 sogar auf 76 Millionen DM ansteigen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe hat im übrigen bisher, so meine ich, hervorragende Arbeit geleistet, und ich stehe nicht an, den Mitarbeitern dieses In-
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Dr. Jensstituts hierfür an dieser Stelle einmal herzlich Dank zu sagen.
Die Erde ist, wie oft irrtümlich angenommen wird, noch lange nicht voll und ganz erkundet. Zweifellos sind die Sucharbeiten immer teurer geworden. Die Ergebnisse der Explorationsförderung unserer Bundesregierung sind, gemessen an dem hohen Risiko und im Vergleich zu anderen Ländern, überdurchschnittlich gut. Obgleich die Gewinnung von Rohstoffen und die Deckung des Bedarfs, wie ich eben schon sagte, in erster Linie eine Aufgabe der Unternehmen ist, hilft die Bundesregierung dennoch wegen des hohen Risikos auch in diesen Fällen durch Übernahme von Gewährleistungen für Kapitalanlagen und Investitionsfinanzierungen. Allein in den Jahren 1973 bis 1977 wurden Gewährleistungen für sieben Projekte in Höhe von 680 Millionen DM übernommen. Hinzu kommt, daß sich die Deutsche Gesellschaft für Entwicklungshilfe, indem sie haftendes Kapital in Form von Beteiligungen an Unternehmen in Entwicklungsländern übernimmt, ebenfalls der Rohstoffinvestition in Entwicklungsländern besonders gewidmet hat. Außerdem gibt es bereits heute steuerliche Hilfen für deutsche Unternehmen, um ein risikohaftes Engagement im Ausland abzuschwächen. Diese Hilfen werden, wie wir gehört haben, im Rahmen einer Novellierung des Entwicklungsländersteuergesetzes noch ausgeweitet.Keiner wird behaupten können, die Bundesregierung habe im Bereich der Rohstoffvorsorge nicht schon seit langem das Problem erkannt und entsprechend gehandelt. Von allen Modellen, die jetzt noch zur Diskussion stehen, scheinen mir vertragliche Bindungen oder steuerliche Hilfen am ehesten geeignet, das Problem weiter zu verringern. Die Idee einer nationalen Bevorratung scheint mir jedenfalls recht antiquiert zu sein. Sie liegt auch nicht im Interesse der deutschen Unternehmen und schon gar nicht im Interesse unserer auf dezentraler Verfügungsgewalt aufbauenden Wirtschaftsordnung. Die staatliche oder vertragliche Lagerhaltung belastet dagegen den Bund mit erheblichen finanziellen Kosten. Steuervergünstigungen müssen dagegen einen sehr hohen Anreiz geben, wenn wirklich eine wirksame Bevorratung erwartet werden soll. Sie haben außerdem den Nachteil, daß die Großunternehmen eventuell stärker als mittlere Betriebe begünstigt werden. Es wird deshalb zu prüfen sein, ob- der gewünschte Effekt einer angemessenen Lagerhaltung für gefährdete Rohstoffe billiger durch steuerliche Hilfen oder durch vertragliche Lagerhaltung zu erreichen sein wird.Sicherlich ist eine erhöhte Bevorratung für die genannten sensiblen Rohstoffe wünschenswert. Aber wir waren immer und bleiben ein Land ohne Rohstoffe und haben dennoch• mit den höchsten Wohlstand in der Welt erreicht. Diese Rohstoffabhängigkeit ist heute, so glaube ich, kein Einfallstor mehr für Nationalismen aller Art, wie es früher der Fall war. Auch die Debatte zeigt offenbar, daß wir dieses heiße Eisen ohne Zorn und Eifer zu diskutieren verstehen. Mir erscheint richtig, daß Rohstoffe langfristig sowieso nicht der entscheidende Faktor sind, der unsere Beschäftigung und unseren Wohlstand in diesem Lande sichert. Selbst die Weiterverarbeitung von Rohstoffen zu Halbfabrikaten wird auf Dauer nicht mehr in diesem Lande vorgenommen werden, wie die Erzeugung von Massenstahl in den Entwicklungsländern heute schon deutlich zeigt. Unsere Chance für die Zukunft liegt in der hochqualifizierten Arbeitskraft und in der Herstellung hochintelligenter Produkte für den Weltmarkt. Dies setzt wie in der Vergangenheit Einfallsreichtum und Anpassungsfähigkeit in den deutschen Unternehmen voraus. Um den Wohlstand in unserem Land zu erhalten, brauchen wir aber dringend die Sicherung eines weltweiten Friedens. Wenn wir das erkennen, so meine ich, haben wir als ein Land ohne Rohstoffe dennoch eine gute Zukunft.
Das Wort hat Graf Huyn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen mid Herren! Ich glaube, wir können die Probleme der Weltrohstoffpolitik und der Weltrohstoffsorgen, die uns alle berühren, nicht im luftleeren Raum ohne die außenpolitischen Grundlagen sehen, die diese betreffen. Der Bundesminister des Auswärtigen hat vor kurzem erklärt, erste Aufgabe unserer Außenpolitik sei es, den Frieden zu sichern, indem wir an der Seite der westlichen Demokratien das Unsere beitragen, um das Kräftegleichgewicht gegenüber dem Osten zu erhalten. Dem kann man nur zustimmen.Aber es geht hier nicht nur um dieses Gleichgewicht in Europa; wir begegnen dieser Herausforderung global. Wir begegnen ihr weltweit, wir begegnen ihr insbesondere in einer Gegend, die heute schon mehrfach genannt wurde und die die Weltrohstoffe - ganz besonders betrifft, nämlich im südlichen Afrika. Es ist nicht der Westen, der hier den Ost-West-Gegensatz hineinträgt. Ich bin überzeugt, niemand von uns will diesen Gegensatz auf diesen Teil der Welt übertragen. Aber wir sehen uns dort einer sowjetischen Herausforderung gegenüber. Seit den Zeiten Lenins bereits ist es erklärtes Ziel der sowjetischen Außenpolitik, durch eine subversive Durchdringung des afrikanischen Kontinents Europa und die Vereinigten Staaten, d. h. die gesamte westliche Welt, wirtschaftlich und politisch in die Knie zu zwingen.Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie die Sowjetunion am Horn von Afrika, in den ehemaligen portugiesischen Überseegebieten — ich nenne nur Angola und Mozambique — oder auch in Libyen Fuß gefaßt hat. Das nächste Ziel ist Rhodesien, Südwestafrika. Das Ziel ist ein „roter Gürtel" quer durch den afrikanischen Kontinent, der sowohl durch die Unterstützung schwarzafrikanischer Terroristen wie durch kubanische und auch Ost-Berliner Söldner hergestellt werden soll.Gerade vor wenigen Wochen hat in Moskau eine Konferenz, geleitet von Profesor Anatoli Gromyko,
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9104 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Graf Huyndem Sohn des Außenministers und Nachfolger Solodownikows als Leiter des sowjetischen Afrika-Instituts, festgestellt, daß der Kampf in Rhodesien und Südwestafrika nicht beendet sei, daß das nächste Ziel Südafrika sei. Es war der rhodesische Terroristenführer Nkomo, der eine Erklärung in diesem Sinne daraufhin abgegeben hat. Ziel ist also das Kap der guten Hoffnung, das damit zum „Kap der roten Hoffnung" wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in letzter Zeit auch Übergriffe aus Botswana gegen Südafrika. Wir haben Unruhen unter den Weißen in Sambia, wo, wie wir wissen, die Hauptkupferlager Afrikas sind. Wir haben bereits zweimal in den letzten beiden Jahren Unruhen in Kolwesi, wo die Kupfer- und Kobaltreserven liegen, gehabt.Es ist auch interessant, zu bemerken, daß die Sowjetunion in den letzten Wochen und Monaten insbesondere in London als Käufer von Kobalt, Molybdän und Tungsten aufgetreten ist.Wir wissen alle, welche ganz besondere Bedeutung die Republik Südafrika für die Unabhängigkeit der Rohstoffversorgung, insbesondere für die Chromversorgung hat. Dazu kommen noch die Chrom- und Asbestvorräte Rhodesiens. Zu dieser Bedeutung kommt noch die strategische Bedeutung der Kap-Route für die Rohstoffversorgung hinzu. Dort kommen 75 % der Erdöl-Lieferungen für Europa aus dem Mittleren Osten vorbei. Wir wissen alle, was dies für uns bedeutet.Es ist auch keine Lösung für die Probleme der Weltrohstoffversorgung, wenn eine Verschiebung der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom südlichen Afrika auf die Sowjetunion erfolgt. Aufgabe der Politik ist es, eine befriedete Situation zu schaffen, unter der die Wirtschaft nicht leiden darf. Deswegen begrüßen wir es, daß sich der Bundesminister für Wirtschaft gegen Sanktionen gegen Südafrika ausgesprochen hat. Ich meine, es ist gut, daß die Bundesregierung gerade in letzter Zeit die unqualifizitierten Vorwürfe der sogenannten Antiapartheid-Bewegung wegen einer angeblichen nuklearen militärischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika zurückgewiesen hat. Ich bitte die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, zu der Frage Stellung zu nehmen, daß bei dieser von ihr bekämpften Antiapartheid-Bewegurig Wehrdienstverweigerer ihren Zivildienst ableisten und damit aus unseren Steuergeldern finanziert werden, zumal diese Organisation auch finanzielle Unterstützung aus Ost-Berlin bekommt.Ich hatte in der vorigen Woche Gelegenheit, mit einem der schwarzafrikanischen Führer, Sithole aus Rhodesien, in Bonn zu sprechen. Er hat bei dieser Gelegenheit erklärt: Der von den kommunistischen Terroristen gegen sein Land entfachte Krieg hat nichts mehr mit einem Unabhängigkeitskampf zu tun, da die Unabhängigkeit des Landes auf dem Weg der internen Lösung auf der Grundlage „Eine Stimme für jedermann" bereits feststeht. Auch die Aufrechterhaltung der von den Vereinten Nationen gegen Rhodesien verhängten Sanktionen entbehrt — so Sithole — jeder Grundlage, da sie gegen die weißeMinderheitsregierung Smith gerichtet ist, die ja nicht mehr besteht. Ich fordere daher im Namen der CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung erneut auf, diese Sanktionen gegen Rhodesien aufzuheben und zu einer friedlichen Lösung der Rhodesien-Frage beizutragen.Ich glaube, es ist mit einer friedlichen Politik nicht vereinbar, wenn die Herren Brandt und Wischnewski in Vancouver erklären, daß Gewalt im südlichen Afrika legitim sei und daß die schwarzafrikanischen Terroristen verstärkt materielle Unterstützung erhalten sollten.Ich habe mehrmals im südlichen Afrika Gelegenheit gehabt, sowohl Terroristen als auch ihre Opfer zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Wer das je gesehen hat, wird nicht mehr so leicht von legitimer Gewalt sprechen, Gewalt, die sich nicht gegen angebliche weiße Unterdrücker, sondern hauptsächlich gegen Frauen und Kinder und Schwarzafrikaner richtet.Ich fordere daher die Bundesregierung auf, sich von solchen Äußerungen zu distanzieren und nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten eine Politik des Friedens und des Interessenausgleichs im südlichen Afrika zu betreiben, die die Grundlage auch jeder vorausschauenden Rohstoffpolitik ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt .
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat zwar in zurückhaltender Tonlage, aber in der Sache unverändert die alten Unterstellungen und Vorurteile wiederholt, die wir von seiten der Unionsparteien hier bereits häufig gehört haben. Sie werden dadurch nicht wahrer. Insbesondere werden sie nicht dadurch wahrer, daß zum Teil entstellte Zitate von Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung wiedergegeben werden, die als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei an dem Kongreß der Sozialistischen Internationale teilgenommen haben. Ich glaube, nachher in der Fragestunde wird noch genügend Gelegenheit sein, das im einzelnen richtigzustellen.Sicher ist — das möchte ich gleich eingangs sagen —, daß das, was dort von Hans-Jürgen Wischnewski und Willy Brandt als führenden Vertretern der Sozialdemokratischen Partei und der Sozialistischen Internationale in Vancouver gesagt worden ist — soweit es die Äußerungen von Hans-Jürgen Wischnewski betrifft, hätten sie das besser wissen können, indem Sie den „Vorwärts" von gestern nachgelesen hätten,
weil sie dort gedruckt wiedergegeben sind —, von der Sozialdemokratischen Partei insgesamt voll mitgetragen werden. Übrigens sind diese Äußerungen, wie sie dort gefallen sind und inzwischen schriftlich wiedergegeben worden sind, nicht neu, weil sie im Kern den Ergebnissen und Vorschlägen einer soge-
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9105
Voigt
nannten fact-finding-commission entsprechen, die im Jahr 1977 nach Südafrika gefahren ist. An ihr hat auch der Kollege Holtz teilgenommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn?
Bitte.
Herr Kollege Voigt, Sie • sind aber bereit, zu bestätigen, daß die Äußerung so, wie ich sie zitiert habe, richtig ist — sie ist mir von der SPD-Pressestelle so übermittelt worden —, nämlich: „Die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika bedürfen nicht nur unserer Solidarität, sondern auch materieller Unterstützung" ?
Selbstverständlich! Dies ist völlig richtig, und dies ist auch Ausdruck unserer Politik, daß sie politisch und humanitär, und das heißt natürlich auch materiell, unterstützt werden müssen.
Ich füge hinzu: Je mehr wir dies tun und je mehr wir die Gespräche mit diesen Befreiungsbewegungen fortsetzen und intensivieren, desto mehr haben wir eine Chance und tragen dazu bei, daß überhaupt noch ein friedlicher Übergang zur Mehrheitsherrschaft im südlichen Afrika möglich ist. Ich frage mich manchmal, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir auch mit der MPLA und der Frelimo früher und intensiver Kontakte aufgenommen und Gespräche geführt hätten. Vielleicht sähe dann manches 'anders aus, als es sich heute dort entwickelt hat.
— Dieser Abschnitt ist richtig zitiert, 'dieser Abschnitt wird auch voll mitgetragen: materielle Unterstützung, d. h. humanitäre und politische Unterstützung, für die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika. Ich glaube, 'daß das gar nicht neu ist. Das ist eine alte Politik !der Sozialistischen Internationale und bekanntlich auch der Sozialdemokratischen Partei.
Vollends bedenklich aber ist es, wenn Sie, wie üblich, diese Befreiungsbewegungen in einen Zusammenhang mit dem Terrorismus stellen. Wenn sich Gruppen der Bevölkerung gegen Rassismus wenden und für die Herstellung von Mehrheitsherrschaft einsetzen, dann steht das 'diametral im Gegensatz zu dem, was deutsche Terroristen vertreten. Insofern, indem Sie diese Argumentation so wiederholen, stimmen Sie in der Gleichsetzung des deutschen Terrorismus mit den Befreiungsbewegungen den deutschen Terroristen in der Analyse zu. In der Analyse stimmen Sie den Terroristen insofern zu, in der Beurteilung, in der Bewertung widersprechen Sie ihnen dann. Aber, wie gesagt, in der Analyse wiederholen und legitimieren Sie geradezu genau das, was deutsche Terroristen hier bei uns an
Gleichsetzung zwischen sich und den Befreiungsbewegungen vertreten.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 4, mitgeboren aus unserer eigenen Tradition der Überwindung des Nationalsozialismus, ein Widerstands-Artikel enthalten ist, der ein internes Widerstandsrecht gegen Gewaltherrschaft mit dem Ziel der Wiederherstellung von Demokratie formuliert.
Dies gibt es entsprechend auch in den Verfassungen anderer Staaten. Den Widerstand mit dem Ziel der Wiederherstellung oder Herstellung von Demokratie mit Terrorismus zur Abschaffung von Demokratie zu vergleichen, halte ich für völlig verfehlt und völlig irregeleitet.
— Herr Huyn, ich darf diesen Gedanken noch eben zu Ende führen. — Ich glaube im übrigen, daß Sie in Ihrer Stellungnahme ein wenig außer acht lassen, daß wir als Deutsche auf Grund unserer spezifischen Tradition und Erfahrungen mit Rassismus — es gab ja einmal eine Periode unserer Geschichte, in der Rassismus offizielle Staatsideologie war — mehr noch als alle anderen Völker und Staaten eine Verpflichtung haben, zur Beseitigung des Rassismus dort aktiv beizutragen und dies auch durch eine politische und moralische Unterstützung derjenigen deutlich zu machen, die sich dagegen wehren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn?
Herr Voigt, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Terrorismus im südlichen Afrika im wesentlichen gegen unschuldige Zivilisten, Frauen und Kinder und hauptsächlich gegen Schwarzafrikaner und außerdem nicht mehr gegen ein weißes Minderheitenregime, sondern gegen eine Übergangsregierung richtet, zu der alle schwarzen afrikanischen Führer eingeladen sind, die bereit sind, einen friedlichen Übergang zu bewerkstelligen?
Ich darf Ihnen versichern — und ich hoffe, daß Sie bereit sind, es zur Kenntnis zu nehmen —, daß wir Sozialdemokraten für einen friedlichen Übergang zur Mehrheitsherrschaft eintreten. Wir meinen aber, uns dafür am besten einsetzen zu können, indem wir mit den Befreiungsbewegungen insgesamt — da gibt es ein breites politisches Spektrum — politische Gespräche führen, mit ihnen politische Kontakte haben
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Voigt
und ihnen auch humanitär und materiell helfen. Ich glaube, daß das nicht in einem Widerspruch steht. Daß das jetzige Übergangsregime in Rhodesien, wie Sie es nennen, keine Dauer haben wird, weil es die wichtigsten politischen Oppositionsgruppen, z. B. die Patriotische Front, nicht einbezieht und unter den Bedingungen auch nicht einbeziehen kann,
ist offensichtlich wohl nicht nur eine Erkenntnis, die die Bundesregierung hat, sondern wohl eine gemeinsame Erkenntnis der westlichen Alliierten, insbesondere auch der Amerikaner.Ich darf im übrigen darauf verweisen, daß eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in den Schlußfolgerungen zur Rohstoffsicherung, wie sie politisch gewährleistet werden kann, bereits 1976 eindeutig darauf hingewiesen hat, daß die Bundesregierung mit allen ihr zu Gebote stehenden diplomatischen, politischen und finanziellen Mitteln — auch und vor allem durch Unterstützung inoffizieller deutscher gesellschaftlicher Gruppen wie Parteien, politischer Stiftungen, Gewerkschaften und Kirchen — auf die weiße Minderheitsregierung mit dem Ziel einwirken sollte, sie zur Veränderung des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systems in der Republik Südafrika zu bewegen, gerade im Interesse einer langfristigen Sicherung unserer Rohstoffinteressen. Wenn Sie — Sie persönlich und die CDU/CSU insgesamt — diesen Aspekt mehr in den Vordergrund Ihrer Betrachtung rückten und nicht versuchten, alles, was sich dort an Opposition tut, als heimliche Handlanger entweder von Terroristen oder von Moskau oder von beiden darzustellen, sondern versuchten, die positiven Komponenten innerhalb dieser Befreiungsbewegungen und in der Opposition insgesamt mehr zu sehen und zu unterstützen, dann wären wir einen ganzen Schritt weiter und dann wären wir auf Grund der Bedeutung, die Sie als Partei dort unten in den politischen Gesprächen haben, wahrscheinlich auch in der praktischen Entwicklung ein Stück weiter, als wir es heute sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte gern Graf Lambsdorff hier einige Komplimente für einige seiner Ausführungen zur Nord-Süd-Politik gemacht. Aber leider bestimmt nicht Graf Lambsdorff die Richtlinien der Nord-Süd-Politik, sondern Herr Genscher. Ich glaube, daß sich Graf Lambsdorff zunehmend die Frage wird stellen müssen, ob er nicht in verstärktem Maße zum liberalen Feigenblatt einer nicht mehr liberalen Partei wird.
— Dann müßte Herr Genscher etwas jünger sein.Meine Damen und Herren, Außenminister Genscher hat am 24. Oktober in einer Rede vor der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen sehr ausführlich zu Nord-Süd-Fragen und zur Rohstoffproblematik Stellung genommen. Die dort gemachten Äußerungen verlangen hier eine Klarstellung, weil sich der Verdacht aufdrängt, daß Genscher mit dieser Rede das Ziel verfolgt, den weiteren Rückzug der Bundesregierung in der ordnungspolitischen Diskussion um die Rohstoffproblematik und die Neue Weltwirtschaftsordnung vorzubereiten. In der Rede Genschers heißt es, es sei eine zentrale Aufgabe der Vereinten Nationen, die Kluft zwischen Nord und Süd „stetig" zu verringern. Die jetzige Weltwirtschaftsordnung habe jedoch eine asymmetrische Austauschstruktur, die .für die Entwicklungsländer schwere Nachteile mit sich bringe. Es sei -daher „verständlich, warum die Entwicklungsländer die bestehende Ordnung der Wirtschaftsbeziehungen zu den Industrieländern als ungerecht ablehnen und eine neue Weltwirtschaftsordnung fordern". Dies sagt nicht etwa der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale, Herr Brandt, sondern der Vorsitzende der Freien Demokraten Deutschlands, Herr Genscher. Zwar legt Genscher wie immer rein formal an anderer Stelle in dieser Rede ein Bekenntnis zu einer marktkonformen Reform der Weltwirtschaftsordnung ab. Die Substanz dessen, was er in der genannten Rede fordert, ist jedoch egalitär und antiliberal.Die Aussagen des deutschen Außenministers können daher in dieser Form nicht stehenbleiben.Das gilt auch für die auf den ersten Blick manchem vielleicht harmlos erscheinende Behauptung Genschers, eine der großen Aufgaben der Vereinten Nationen sei es, die Kluft zwischen Nord und Süd stetig zu verringern.Meine Damen und Herren, damit hier keine Unklarheit entsteht: Auch die CDU/CSU will durch eine Verbesserung der gegenwärtigen internationalen Wirtschaftsstruktur und durch eine Verbesserung unserer Entwicklungspolitik die Entwicklungschancen der Länder der Dritten und Vierten Welt fördern. Nach unserer Auffassung hängen jedoch Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum in erster Linie von den nationalen Voraussetzungen und Anstrengungen der einzelnen Entwicklungsländer ab. Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen können die Chancen für Entwicklung und Wachstum zwar verbessern, aber sie können weder ihr Tempo noch ihre Richtung noch ihr Ziel entscheidend bestimmen.Die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Voraussetzungen sowie auch die unterschiedlichen Wert- und Zielvorstellungen der einzelnen Entwicklungsländer werden immer — ich betone: immer — zu unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Ergebnissen führen. Ein auch nur annähernd gleiches wirtschaftliches und soziales Niveau aller Länder dieser Erde ist deshalb weder ein realistisches noch ein wünschenswertes Ziel.Den Aussagen des Außenministers fehlt darüber hinaus, selbst wenn man sie einmal relativieren
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Dr. Todenhöferwürde, jeder realistische Zeithorizont. Der Entwicklungsunterschied zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern hat sich zum Teil über Jahrhunderte, ja sogar über Jahrtausende herausgebildet. Es ist einfach politisch unsinnig und auch gefährlich, Zielsetzungen zu akzeptieren oder zu formulieren, die im Rahmen außenpolitisch überschaubarer Zeitvorstellungen auch nicht annäherungsweise realisiert werden können.Meine Damen und Herren, auch die Aussage von Außenminister Genscher, daß die jetzige Weltwirtschaftsordnung eine asymmetrische Austauschsstruktur habe und den Entwicklungsländern schwere Nachteile bringe, ist "in dieser undifferenzierten Form und in dem Zusammenhang, in dem sie gemacht wurde, nicht nur unhaltbar, sondern auch gefährlich, weil sie jenen Entwicklungsländern Schützenhilfe leistet, die in der marktwirtschaftlichen Ordnung unserer Welt den Grund allen Übels sehen.
Die Probleme der Entwicklungsländer sind nur in einer freien marktwirtschaftlichen Weltwirtschaftsordnung lösbar.
Es wäre außerordentlich begrüßenswert, wenn der deutsche Außenminister dies endlich einmal unmißverständlich klarstellen würde, anstatt mit zweideutigen Formulierungen — wie in der zitierten Rede — die ordnungspolitischen Interessen unseres Landes immer wieder zu unterlaufen.
Dies gilt auch für den Rohstoffbereich, dessen Probleme sich nicht durch ein dirigistisches Integriertes Rohstoffprogramm und auch nicht durch den geplanten dirigistischen Gemeinsamen Fonds lösen lassen. .Das ist, meine Damen und Herren, im übrigen intern die Meinung der meisten Ministerien dieser Regierung und intern auch die ,Meinung des Auswärtigen Amts. Dort wurde Anfang dieses Jahres eine Studie über die Verhandlungsposition der Bundesregierung zur internationalen Rohstoffproblematik und zum Gemeinsamen Fonds erstellt. Die Aussagen dieser Studie sind aufschlußreich für das merkwürdige und auch im Endergebnis erfolglose Taktieren der Bundesregierung in der Vergangenheit.Die Bundesregierung ging anfangs, auch in diesem Hause, davon aus, daß das Integrierte Rohstoffprogramm wegen gravierender Nachteile überhaupt nicht verhandlungsfähig sei. Dennoch hat sie sich auf Detailverhandlungen eingelassen, angeblich mit dem Ziel, durch diese Detailverhandlungen die Entwicklungsländer von der Unhaltbarkeit ihrer Forderungen überzeugen zu können. Das Ergebnis dieser Strategie kennen wir.Auch den Gemeinsamen Fonds hat die Bundesregierung zunächst kategorisch abgelehnt. Aber dann wurden Verhandlungen über einen Gemeinsamen Fonds unter der Voraussetzung akzeptiert, daß zuerst die Möglichkeit von Einzelrohstoffabkommengeklärt werden müsse, da nur so über das Ob und Wie eines Gemeinsamen Fonds beraten und entschieden werden könne. Dann wurde diese Voraussetzung auch aufgegeben und ein Gemeinsamer Fonds grundsätzlich bejaht. Allerdings sollte dann dieser Fonds wiederum ohne Eigenmittel sein, nur als Clearingstelle und ohne Managementfunktion arbeiten. In der Zwischenzeit hat die Bundesregierung, wie nicht anders zu erwarten war, im Grundsatz auch die Eigenmittel akzeptiert und sich mit dem sogenannten zweiten Fenster, das auf jeden Fall Managementfunktionen mit einschließt, ange. freundet.Auch hinter der Bereitschaft, weitere Einzelrohstoffabkommen in geeigneten Fällen abzuschließen, stand nach Angaben dieser Studie des Auswärtigen Amts die Erwartung, daß es solche Fälle gar nicht geben würde.Mit dieser Verhandlungstaktik hat die Bundesregierung nicht nur ihre Verhandlungspartner, sondern auch die Öffentlichkeit und am Ende sich selber getäuscht. Die Bundesregierung befindet sich seit der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen in der Rohstoffproblematik auf einer ordnungspolitischen Springprozession in den Dirigismus. Die CDU/CSU ist nicht bereit, diesen schrittweisen Rückzug der Bundesregierung aus der freien Weltwirtschaftsordnung mit zu vollziehen und hinzunehmen.
Wir verlangen vielmehr von dieser Regierung, daß sie den planwirtschaftlichen Forderungen der Entwicklungsländer endlich eine überzeugende marktwirtschaftliche Alternative gegenüberstellt und' diese endlich einmal international auch offensiv vertritt. Die Elemente einer solchen Alternative sind von der CDU/CSU bereits mehrfach dargelegt worden. Ich erinnere an unsere Forderung nach einer verstärkten Förderung der Weiterverarbeitung von Rohstoffen in den Entwicklungsländern, an unsere Forderung nach einem weltweiten marktkonformen Exporterlösstabilisierungs-Modell sowie an unsere Forderung nach einer stärkeren Öffnung der Märkte der Entwicklungsländer für die Produkte der Entwicklungsländer. Vielen dieser Forderungen hat die Bundesregierung zwar verbal zugestimmt, die politische Praxis sieht jedoch zum Teil völlig anders aus. Ich erinnere nur an die Äußerungen von Entwicklungsminister Offergeld, der vor kurzem in einer Rede darauf hinwies, daß der Vorschlag für ein Exporterlösstabilisierungs-Modell nicht die Genfer Verhandlungen über den Gemeinsamen Fonds stören dürfe.Völlig unannehmbar ist für uns jedoch die Verhandlungsphilosophie, die der Nord-Süd-Politik des deutschen Außenministers zugrunde liegt und die recht treffend in der genannten Studie des Auswärtigen Amts dargestellt wird. In dieser Studie heißt es, die Industrieländer könnten ohnehin kaum eigene Prioritäten durchsetzen, sondern nur das politische Klima verbessern. Deshalb sei es notwendig und sinnvoll, die ohnehin unausweichlichen Zugeständnisse rechtzeitig, d. h. nicht unter Zwang und nicht erst bei drohender Isolation, zu machen.
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Dr. TodenhöferDer „Erfolg" von Nord-Süd-Konferenzen wird also in erster Linie danach beurteilt, ob diese dem politischen Klima dienen. Wohlklingender kann man die Philosophie des ständigen Umfallens des deutschen Außenministers wohl kaum umschreiben. Außenminister Genscher ist sicher nicht der einzige Politiker, dem die Gabe der Standfestigkeit in Grundsatzfragen nicht gegeben ist, aber er ist wahrscheinlich der erste, der sichergestellt hat, daß eine Strategie des „Umfallens zum falschen Zeitpunkt in die falsche Richtung" auch den erforderlichen theoretischen Unterbau erhalten hat.Diese Konferenzphilosophie Genschers ist nach Auffassung der Opposition kurzsichtig und gefährlich. Lösungen, von denen die Industrieländer heute schon wissen, daß sie den Entwicklungsländern nicht nützen, sondern schaden werden, müssen über kurz oder lang zu neuen, in der Regel verschärften Konflikten mit den Entwicklungsländern führen. Sie führen nicht das Vertrauen herbei, das die SPD heute zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern mehrfach gefordert hat.Die Nord-Süd-Politik Außenminister Genschers ist daher unsolides Krisenmanagement ohne Perspektive. Wer eine solche Politik betreibt, ist nicht geeignet, die Interessen unseres Landes wirksam wahrzunehmen, und auch nicht geeignet, zu tragfähigen Lösungen im Nord-Süd-Konflikt beizutragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Holtz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn mein Herr Vorrredner die Politik der Bundesrepublik bestimmen könnte, hätten wir, glaube ich, schon jetzt große Schwierigkeiten bei der Rohstoffversorgung, und viele Arbeitsplätze wären bedroht.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist ein rohstoffarmes Land, etwa 90 % aller hier verarbeiteten Rohstoffe müssen eingeführt werden. Fast die Hälfte davon kommt aus Ländern der Dritten Welt. Fast alle Entwicklungsländer hängen bei ihren Deviseneinnahmen in hohem Maße von Rohstoffexporten ab. Dabei beklagen die Entwicklungsländer, daß die Preise dafür zu instabil und in der Regel zu niedrig seien.
So hat das Forum Dritte Welt vor einigen Jahren folgende Rechnung aufgestellt: 30 Milliarden Dollar werden in den Entwicklungsländern für die Rohstoffe bezahlt. Der Endverbraucher, also auch bei uns, hat 200 Milliarden US-Dollar zu bezahlen. „Wo bleibt der Rest?" fragt man. Die Relationen stimmen etwa heute noch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, gerne.
Herr Kollege Holtz, würden Sie mir bestätigen, daß nach den Auskünften der Weltbank die jährliche Wertschöpfung für die Entwicklungsländer aus der Öffnung der Märkte der Industrieländer das Sechsfache im Vergleich zur Wertschöpfung aus der Lieferung von Rohstoffen beträgt? Die Relation ist 170 Milliarden Dollar zu 30 Milliarden Dollar.
Das ist richtig, aber die Erlöse aus dem Rohstoffexport bleiben weiterhin wichtig. Im Durchschnitt werden zwei Drittel bis drei Viertel aller Deviseneinnahmen aus dem Rohstoffsektor und dem halbgewerblichen Rahmen erwirtschaftet. Das heißt, für alle Entwicklungsländer sind Rohstoffe von entscheidender Bedeutung.Der Bundeswirtschaftsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß Rohstofffragen heute zu einem wesentlichen Teil die Nord-Süd-Problematik ausmachen. Wir sind anläßlich der Anhörung über Rohstofffragen vor unserem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Über die Bedeutung dieser Fragen sind wir uns einig.Ich will aber eine weitere Zahl anführen. Schätzungen haben ergeben, daß den Entwicklungsländern etwa 50 bis 100 Millionen US-Dollar jährlich auf Grund des so gearteten Wirtschafts-, Handels- und Währungssystems, wie wir es international antreffen, verlorengehen.
Das würde, wenn Sie sagen, wir müßten das Vertrauen in die Verläßlichkeit der internationalen Arbeitsteilung wieder herstellen, bedeuten, daß wir diesen Zustand vielleicht verlängern wollen, daß die Entwicklungsländer also weiter benachteiligt werden.
— Ich freue mich, dies zu hören. Andernfalls würde die Wiederherstellung des Vertrauens bedeuten, daß man vielleicht zu kolonialistischen Strukturen zurückkommen würde.
Ich bin sicher, daß Sie völlig fehlgehen, wenn Sie der Auffassung sind, daß die Entwicklungschancen nicht gerecht verteilt seien und dies nicht von den Marktkräften abhänge. Es gibt Exportkartelle, die viele Produktionsstrukturen in den Ländern der Dritten Welt kaputtmachen. Es gibt in der Europäischen Gemeinschaft merkantilistische Zollstrukturen, die dazu führen, daß um so höhere Zölle verlangt werden, je stärker ein Produkt verarbeitet ist.
Es gibt ungerechte Wirtschafts- und Handelsstrukturen, und die müssen wir ändern.
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Dr. Holtz— Ich möchte jetzt in meiner Zeit bleiben und keine Zwischenfragen mehr zulassen, Herr Kollege.
Deshalb war es richtig, daß der Deutsche Bundestag am 17. Oktober 1977 gefordert hat, eine leistungsfähige, gerechte und soziale Weltwirtschaft aufzubauen. Es war genauso richtig, daß der Bundesaußenminister darauf hingewiesen hat, daß wir eine asymmetrische Austauschstruktur haben. Ich halte es für billig, ja, primitiv, wenn hier versucht wird, einen Keil zwischen Mitglieder der Bundesregierung zu treiben. Das ist ein untauglicher Versuch; er wird nicht gelingen. Wir müssen, wenn davon gesprochen wird, daß es in den Ländern der Dritten Welt „politische Kampfverbände" gäbe, ehrlich zugestehen, daß sich ebenfalls die westlichen Industriestaaten — genauso wie die östlichen Industriestaaten, die sich diesem Bereich nicht entziehen dürfen — abzustimmen, ihre Politik zu harmonisieren, versuchen. Wenn man schon den militärischen Begriff „Kampfverband" benutzt, dann meine ich, daß auf beiden Seiten abgerüstet werden muß. Wir brauchen eine Reform der internationalen Ordnung.Herr Narjes hat von den Primitivbehauptungen über den Kolonialismus gesprochen. Wir alle gehen wohl davon aus, daß es unterschiedlichste Ursachen für das Zurückbleiben der Entwicklungsländer, für die sogenannte Unterentwicklung, gibt. Dafür kann man nicht einen Faktor allein verantwortlich machen. Das ist ein Ursachenknäuel, das sich aus inneren Ursachen, die in den Entwicklungsländern selbst begründet sind, wie auch aus äußeren Ursachen zusammensetzt, die mit dem Welthandel und der Weltwirtschaft zusammenhängen. Herr Narjes sagt, er könne sich nicht erklären, warum die europäischen Länder — wahrscheinlich dachte er besonders an Spanien und Portugal —, die jahrhundertelang Kolonien gehabt haben, die viele Rohstoffe wie Gold und Silber aus den Ländern der Dritten Welt herausgeholt haben, jetzt nicht ein so hohes Pro-Kopf-Einkommen haben und nicht zu den reichsten Ländern Europas gehören. Schon viele andere haben wohl versucht, darauf eine Antwort zu geben.Allzugerne wird doch meist auch von Ihrer Seite Max Weber zitiert. Sicher kann man einen Teil des Nord-Süd-Gefälles in Europa mit dadurch erklären, daß die protestantische Ethik mit dazu beigetragen hat, die kapitalistischen Kräfte besonders im Norden zu entfalten. Genauso gibt es die Theorie von Vertretern der Mittelmeerstaaten selbst, die da sagen: Zwar haben Spanien und Portugal die Länder ausgebeutet. Aber sie waren nicht fähig, mit den Gütern, die in ihre Länder gekommen sind, eine ursprüngliche Akkumulation im Sinne des Kapitalismus zu betreiben, selbst ihre eigenständigen Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. So spricht etwa Fernand Braudel in seinem Buch über Philipp II. davon, daß die Bourgeoisie einen Verrat an sich selbst ausgeübt habe. Wer sich ein bißchen in der spanischen Geschichte auskennt, wird wissen, daß es jahrhundertelang eine Haltung der führendenSchichten war, zu sagen, daß es kein Charakterzug des Noblen, des Edelmannes sei, selbst die Ärmel aufzukrempeln.Ich habe davon gesprochen, daß es ein Ursachenknäuel für Unterentwicklung gibt. Wir sollten dies mit sehen und keinem im Saal irgendwelche Primitivvorstellungen über Kolonialismus vorhalten.Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage deutlich gemacht, wo sie Grundzüge • ihres Programms für den Rohstoffbereich sieht. Da heißt es:Vorrangiges Ziel der Rohstoffpolitik der Bundesregierung ist die Erhaltung funktionsfähiger Rohstoffmärkte.Bei den agrarischen Rohstoffen steht das Versorgungsproblem normalerweise nicht im Vordergrund. Man sollte dies ruhig noch einmal betonen. EG-Marktordnungen können also ihren Sinn haben. Bei den industriellen Rohstoffen bemüht sich die Bundesregierung „um eine Minderung des Abhängigkeitsrisikos". Kernelemente der Rohstoffversorgungspolitik stellen a) die regionale Auffächerung der Bezüge, b) die Intensivierung der gesamten Rohstofforschung sowie c) eine ausreichende Vorratshaltung dar. Dazu sagt die Bundesregierung noch, daß man ebenso versucht, im internationalen Rahmen zu Übereinkommen zu kommen, die auch unsere Rohstoffsicherheit gewährleisten. Wenn Liberia und Brasilien kein Eisenerz mehr an Thyssen liefern, dann können Tausende von Arbeitnehmern nach Hause gehen.Ich halte dies vom Grundsatz her für eine konsistente Rohstoffpolitik der Bundesregierung. Es ist eine alte Masche, wenn die Opposition der Bundesregierung immer dann Konzeptionslosigkeit vorwirft, wenn die Regierung, nicht die Konzeption der Opposition übernimmt.
Was den Rohstoffbereich der Dritten Welt angeht, so sind die Teilnehmer des Bonner Weltwirtschaftsgipfeltreffens übereingekommen, in drei Punkten wichtige Schritte nach vorn zu tun, die wir von der SPD-Fraktion auch unterstützen. Einmal müssen die Verhandlungen über den gemeinsamen Fonds zu einem erfolgreichen Abschluß geführt werden. Ich hatte schon vor Jahren gesagt und auch empfohlen, ein prinzipielles Ja zum integrierten Rohstoffprogramm auszusprechen, um dann in die Einzelberatungen einzutreten. Ich habe mich darüber gefreut, daß der Bundeswirtschaftsminister heute deutlich gesagt hat: Wir beteiligen uns an dem ersten Fenster, d. h. an der Lagerhaltung, bei dem gemeinsamen Fonds. Ich sähe es gern, wenn auch direkte Finanzierungsbeiträge dazu möglich wären.
Darüber hinaus fände ich es gut, wenn man auchbereit wäre, andere Maßnahmen — das sogenanntezweite Fenster — zu unterstützen, wenn genau fest-
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Dr. Holtzgelegt ist, um welche Maßnahmen es sich handelt, etwa im Forschungs- und Entwicklungsbereich oder im Bereich der Auffächerung der Produktion in den Entwicklungsländern. Ich hielte dies für einen wesentlichen Fortschritt.Zweitens hat man auf dem Bonner Gipfel — und dies wurde hier heute nochmals betont — gesagt, man bemühe sich um den Abschluß einzelner Rohstoffabkommen. Heute ist auch jedem Vertreter der Dritten Welt klar, daß die einzelnen Rohstoffe unterschiedlich gesehen werden müssen. Nicht jeder Rohstoff eignet sich zur Lagerhaltung; Bananen und Eisenerz müssen eben unterschiedlich behandelt werden.Drittens will man auch weiterhin für eine Stabilisierung der Exporterlöse eintreten. Wir betonen, daß wir hier die Konvention von Lomé — ein Abkommen zwischen jetzt 54 Ländern aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — für' beispielhaft halten. Für uns ist dieses Abkommen so etwas wie eine Weltwirtschaftsordnung en miniature; dort werden Strukturen aufgezeigt, die man erweitern kann, um zu einer leistungsfähigen, gerechten und sozialen Weltwirtschaft zu kommen.
Ohne soziale Maßnahmen, ohne sozialpolitische Eingriffe werden wir nicht zu gerechteren Strukturen kommen. Es lohnt doch nicht, hier den Hohenpriester der angeblich freien Marktwirtschaft zu spielen, wenn wir wissen, daß wir selbst hier in der Bundesrepublik oder in Europa zu Interventionen bereit sind, um bei uns eben die Interessen der Bevölkerung wahren zu können. So etwas muß man auch auf internationale Maßstäbe übertragen.
Ich meine, daß die Bundesregierung gut beraten wäre, sich nicht von der Opposition bangemachen zu lassen, sondern einen Kompromiß zu suchen, bei dem man von allen Seiten aufeinander zugeht. Das Beharren auf Maximalforderungen sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrieländern gefährdet die Interessen aller Beteiligten. Deshalb sollte die internationale Rohstoffpolitik von der Bundesregierung weiterhin wichtig genommen und so fortgeführt werden, wie dies heute auch vom Bundeswirtschaftsminister hier ausgeführt worden ist.Die Bedeutung Südafrikas, meine Damen und Herren von der Opposition, für die Rohstoffversorgung der Bundesrepublik ist bekannt. Sie wird nicht unterschätzt, allerdings auch nicht überschätzt. Ich hatte bei einigen Beiträgen nicht nur von der Opposition den Eindruck, daß man zum Teil die Bedeutung Südafrikas überschätzt. Ich habe mir deshalb gerade noch einmal die Zahlen dazu — auch was die Absatzmärkte angeht — herausgesucht. Wir führen 1 °/o unseres gesamten Imports aus Südafrika ein. Mehr als die Hälfte der Einfuhren aus Südafrika entfallen auf Rohstoffe undHalbwaren der gewerblichen Wirtschaft. Der Anteil Südafrikas an den gesamten entsprechenden deutschen Einfuhren, an den Rohstoffen also, betrug lediglich 2 °/o.
Was führen wir aus schwarzafrikanischen Staaten ein? Insgesamt 6 °/o der Gesamteinfuhren. Bei den Einfuhren aus Schwarzafrika entfielen 85 % auf Rohstoffe und Halbwaren. Die große Bedeutung der Einfuhr dieser Warenarten für die deutsche Wirtschaft zeigt sich daran, daß knapp 18 % und nicht, wie im Falle Südafrikas, 2 % — aller entsprechenden Einfuhren aus den OAU-Staaten kommen.Es ist wichtig, zu sehen, daß natürlich entscheidende Rohstoffe — etwa solche für die Stahlverarbeitung — aus Südafrika und aus Rhodesien, dem zukünftigen Zimbabwe, kommen.
Aber die meisten Rohstoffe, die aus diesen Ländern bezogen werden, können auch von anderen Ländern bezogen oder zum Teil ersetzt werden.
Wenn man dann darauf hinweist, da käme etwa die Sowjetunion als Lieferland auf uns zu, frage ich Sie: Was haben Sie eigentlich von der ganzen Politik der Verständigung, von der Friedenspolitik mit dem Osten verstanden? Viele von Ihnen laufen zu Mannesmann, zu Otto Wolff und zu Krupp und ermuntern die deutsche Industrie, Geschäfte mit der Sowjetunion zu machen, und hier wird auf einmal eine ' Kalte-Krieger-Mentalität präsentiert. Dies reimt sich nicht zusammen.
Das ist eine hypokritische Position.Im übrigen ist zu erwarten, daß eine demokratische Mehrheitsregierung Interesse daran haben wird, die Produkte des Landes auch der Bundesrepublik zu verkaufen. Ich sage nochmals: demokratische Mehrheitsregierung. Wir Sozialdemokraten treten für diese demokratische Mehrheitsregierung ein und unterstützen Befreiungsbewegungen, die ebenso für die demokratische Mehrheitsregierung eintreten.
Wenn man sich die Geschichte der letzten Jahrzehnte in Südafrika und Rhodesien anschaut, wird man feststellen, daß dies eine Geschichte weißer Borniertheit und weißen Rassismus war und daß jahrzehntelang etwa der ANC in Südafrika dafür gekämpft hat, auf friedlichem Wege eine Änderung zu erreichen. Wie war die Reaktion? Die südafrikanische Regierung hat ihren Staatsterrorismus verstärkt. Deshalb müssen wir darauf achten,. daß wir energisch und glaubwürdig das Apartheids- und Unrechtsregime in Südafrika bekämpfen. Nur so
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Dr. Holtzkönnen wir verhindern, daß dem Kommunismus Vorschub geleistet wird.
— Ich habe dazu im Bundestag Stellung genommen und gesagt, unter welchen Bedingungen — ich habe drei Bedingungen genannt — Widerstand gegen Staatsterrorismus möglich erscheint;
aber wir seien zu weit weg, um von hier aus entscheiden zu können, ob die drei Bedingungen erfüllt sind — so auch nachzulesen im „DeutschlandUnion-Dienst" aus Anlaß der Tatsache, daß ein Kollege versuchte, mich manipulativ zu zitieren und der „Deutschland-Union-Dienst" eine Richtigstellung bringen mußte.
Ich kann nur sagen, daß es falsch ist, südafrikanische Befreiungsbewegungen und deren Anhänger pauschal als Kommunisten und Terroristen zu bezeichnen.
Wir sollten die Chance wahrnehmen, für ein befriedetes Afrika einzutreten, wir sollten die Chance wahrnehmen, unsere Rohstoffversorgung sicher zu gestalten, und wir sollten die Chance wahrnehmen, den Entwicklungsländern einen gerechten und fairen Anteil am Welthandel und an der Weltwirtschaft zu ermöglichen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vohrer.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Vorwürfe der Kollegen Breidbach und Todenhöfer im Hinblick auf die internationale Rohstoffpolitik lassen sich auf einen Nenner bringen, nämlich daß sich die Bundesregierung nicht gegen den Rest der Welt habe durchsetzen können.
Sie nennen dann die aktive Teilnahme der Bundesregierung an dem Rohstoffdialog Opportunismus und Umfallen.
— Na, zumindest bei Ihrem Kollegen Todenhöfer war dieser Trend ganz deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Ich empfinde diese Haltung als anmaßend. Herr Breidbach, Sie haben noch bis Mai 1979, bis zu den UNCTAD-Gesprächen in Manila, Zeit, aus den Erfahrungen, die Sie bei der KSZE in Helsinki sammeln konnten, zu lernen.
Herr Todenhöfer hat dann die Regierung der ordnungspolitischen Springprozession in den Dirigismus bezichtigt. Ich möchte klarstellen, daß die einzigen Rohstoffabkommen, nämlich die im landwirtschaftlichen Bereich, die wirklich teuer sind, die EG-Marktordnung sind. Diese kamen zu einer Zeit zustande, als Sie in der Bundesrepublik die Regierungsverantwortung trugen.
— Wenn Sie fragen, ob wir noch mehr von dieser Art wollen, sage ich ganz klar: nein. Das ist genau der Punkt, über den wir uns hier unterhalten sollten, nämlich wie Rohstoffabkommen funktionieren können, ohne daß wir die Fehler der Brüsseler EG- — Agrarabkommen wiederholen. Das ist das Thema hier.
Kommen Sie zu dem Ergebnis, daß alles in Brüssel falsch ist? Da ist doch die Frage der unbeschränkten Nachschußpflicht.
— Wollen Sie damit andeuten, daß wir uns aus der EG zurückziehen sollen? Das wird doch wohl nicht Ihr Ernst sein.
— Ganz richtig. — Hier geht es doch darum, wie funktionsfähig Rohstoffabkommen ausgestaltet werden können. Nur wenn es keine Wege gibt, daß die Abkommen funktionsfähig gestaltet werden, haben Sie Grund, die Politik der Koalition und der Bundesregierung in dieser Schärfe abzulehnen.
Da kommen wir nun zu einem wichtigen Punkt. Sie wollen nämlich den Eindruck erwecken, als wollten Sie mit Ihren Vorschlägen zur Versorgungssicherheit beitragen. Sie machen sich aber überhaupt keine Gedanken, wie solche internationalen Abkommen ausgestaltet werden müssen, damit sie zur Ver-
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Dr. Vohrersorgungssicherheit beitragen können. Da gibt es Möglichkeiten, die natürlich noch keineswegs abgehakt und unter Dach und Fach sind, um die wir uns aber in den Verhandlungen kümmern müssen.Wir bemühen uns darum, international koordi nieste nationale Lager zu betreiben. Dies wäre ein Weg, der genau Ihrem Ziel der größeren Versorgungssicherheit der Wirtschaft in unserem Lande einen Schritt näherkäme.Es kommt darauf an, wie solche Abkommen ausgestaltet werden können, damit sie auf Markttrends reagieren und damit sie eben nicht in Richtung Dirigismus wirken. Damit taucht die Frage auf: Wie sollen die Margen ausgestaltet werden? Der Bundesminister für Wirtschaft hat ganz klar die Forderung erhoben, daß es nur Preisbänder mit interventionsfreien Zonen sein können und daß die Reaktion auf langfristige Markttrends gesichert sein muß. Auch hier kommt es auf die Details an.Wenn Sie so sehr die ordnungspolitische Seite betonen, kann ich Ihnen eines sagen: Unsere internationale Verhandlungsposition wird oftmals dadurch erschwert, daß uns der Sündenfall EG-Agrarmarktordnung als Abgehen von unseren Ordnungsprinzipien vorgeworfen wird. Deshalb ist es schwierig, bei allen internationalen Gesprächen eine konsequent marktwirtschaftliche Position zu vertreten.. Es wird aber nicht zu weltweiten Kaffeeüberschüssen kommen, nachdem wir in der EG in der Tat die Problematik der Butterberge vor uns haben. Wir verstehen Marktwirtschaft nicht so, daß jegliche Art von Preisschwankung, jegliche Amplitudenhöhe von uns gutgeheißen wird. Hier ist doch die Komplementarität der Interessen zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern gegeben. Es geht darum,, die Preisausschläge weniger erratisch, weniger stark ausschlagend zu gestalten. Wenn die amerikanische Position in den Kautschukverhandlungen auf eine größere Lagerhaltung zielt, zeigt das, daß es den Amerikanern genau um diese Frage geht: solche Abkommen müssen eine ausreichende Lagerhaltung gewährleisten, um bei. Rohstoffknappheit die preisdämpfende Wirkung entfalten zu können.Wir betreiben keinen Buffer-stock-Fetischismus. Wir sind uns völlig im klaren, daß es auf die produktspezifischen Eigenschaften ankommt; mein Kollege Holtz hat darauf hingewiesen. Es besteht eben ein Unterschied zwischen Bananen und Eisenerz. Wir werden uns bemühen, daß nur solche Abkommen geschlossen werden, deren Funktionsfähigkeit auch gesichert ist und an deren Zustandekommen die Beteiligten interessiert sind. Es gibt ja auch auf Erzeugerseite einige Produkte, die sich für ein Abkommen anbieten und wo der Beitritt zu dem Abkommen nicht von Verbraucherseite, sondern von der Erzeugerseite gefährdet ist. Das gilt zumindest für Produkte, die am Weltmarkt kurzfristig gute Preise erzielen können.Aber Sie sollten auch einmal darlegen, welches die Alternative zu dem Nichtzustandekommen des integrierten Rohstoffprogrammes ist. Es besteht nämlich die Gefahr, daß die Entwicklungsländer, wennsie sich organisatorisch zusammenfinden können, Angebotskartelle bilden. Dabei wird nicht jedes so effizient wie die OPEC sein — da machen wir uns überhaupt nichts vor; aber wenn die Situation für die Entwicklungsländer schwierig genug ist, wird die Tendenz zu Angebotskartellen wachsen, und Angebotskartelle werden dann ohne jegliche Verbrauchermitsprache, ohne die Einflußnahme, die wir bei den internationalen Rohstoffabkommen hätten und wie sie jetzt diskutiert werden, auskommen müssen.Die weitere Gefahr, die sie auch ernsthafter diskutieren sollten, besteht darin, daß sich die Dritte Welt zunehmend von den Industrieländern abkoppelt.
Auch dies kann nicht in unserem Interesse sein, wenn wir den Handelsaustausch fördern wollen und wenn wir unsere Produkte gezielt in die Dritte Welt verkaufen wollen. Wenn Sie den Weg der Entwicklungsländer, über Rohstoffabkommen zu Verbesserungen ihrer Situation zu gelangen, ablehnen, sollten Sie auch einige psychologische Überlegungen anstellen. Sie haben sehr viel Verständnis für die Landwirte, die ihr Einkommen über ihre Produkte erwirtschaften wollen und denen Sie in der Agrarpolitik über die Preispolitik den Weg dahin eröffnet haben. Die Landwirte lehnen auch direkte Subventionen und Einkommensübertragungen ab. Ganz ähnlich wirkt der Weg über die Erlösstabilisierung als alleiniger Weg der Einkommenshilfe, den Sie der Dritten Welt anbieten. Er stellt lediglich ein Trostpflaster für Mißerfolge dar.
— Herr Breidbach, Sie reden hier von der weißen Salbe. Sie sollten mit Ihrer Meinung einmal zu den internationalen Konferenzen kommen, um zu hören, wie dort Ihre politische „Alternative" beurteilt wird.
Wir werden die Rohstoffabkommen so ausgestalten, daß marktwirtschaftliche Einflüsse nicht zum Erliegen kommen. Wir werden dazu beitragen, daß die erheblichen Preisschwankungen reduziert werden, um die wirtschaftliche Entwicklung der Dritten Welt planbarer und für längere Zeit überschaubarer zu machen, und damit einen Beitrag zum Wachstum der dortigen Volkswirtschaften leisten.Von Ihnen kommt immer wieder der Vorwurf, daß die Rohstoffabkommen in ihrer Verteilungswirkung gar nicht den Entwicklungsländern helfen würden. Aber es war sehr verdienstvoll, daß die Weltbank noch einmal darauf hingewiesen hat, daß die Rohstoffe am Export der Entwicklungsländer einen ungeheuer großen Anteil haben. Bei den ärmsten Entwicklungsländern entfallen 94 % der Exporterlöse auf den Rohstoffexport; bei den Entwicklungsländern mit mittlerem Einkommen liegt der Anteil bei 82 %.
Dr. VohrerIn den Industrieländern liegt dieser Anteil dagegen bei 24 0/0, und die Bedeutung dieses Anteils ist längst nicht so groß wie in den Entwicklungsländern. Daß sich die Gewinnsituation einiger rohstoffproduzierender Industrieländer verbessert, sei hier ganz offen zugegeben. Deshalb wird es wesentlich darauf ankommen, die Abkommen so zu gestalten, daß ein einseitiger Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft vermieden wird.Ich möchte noch einen ökologischen Aspekt anfügen, der sich aus möglicherweise höheren Rohstoffpreisen ableitet. Wenn Sie sich zur Marktwirtschaft bekennen, sind Sie sich auch bewußt, daß lediglich steigende Preise Impulse für eine sparsame Verwendung von begrenzten Rohstoffen geben. Ich bin der Ansicht, daß nur wenig schwankende Preise— möglicherweise sind sie höher als zum jetzigen Zeitpunkt —, wenn es gelingt, den Markt durch Rohstoffabkommen entsprechend zu organisieren, mehr Planungssicherheit in den Bereichen zur Folge haben werden, wo Recycling bislang nicht zustande kam, weil die Preisschwankungen bei den Rohstoffen hier nicht ausreichende Planungssicherheit gewährten.
Höhere Preise werden auch einen größeren Anreiz zur Einführung neuer Technologien bringen und auch zu im Hinblick auf den Umweltschutz erwünschten Substitutionen. Wenn die nicht regenerierbaren Rohstoffe teurer werden, werden wir einige regenerierbare Rohstoffe an ihrer Stelle einsetzen können.
— Wenn Sie sagen, der Preis sei kein Kriterium, dann sollten Sie einmal mit den Leuten sprechen, die diese Rohstoffe verwenden. Aber Sie werden feststellen, daß der Weg der direkten Subventionen— das ist doch Ihre Alternative — im Falle einer Mißernte von den Entwicklungsländern keineswegs als d i e Lösung angesehen wird und in der Bundesrepublik auch nicht die gewünschten Impulse auslöst.
Ich hoffe, daß der von dieser Bundesregierung eingeschlagene rohstoffpolitische Weg, der in stärkerem Maße von den außenpolitischen Zusammenhängen geprägt wird, als Sie dies hier zugeben wollen, in steigendem Maße auch Ihr Verständnis finden wird. Ich würde mich darüber freuen.Die FDP-Bundestagsfraktion hält diesen Weg für richtig und wird alles tun, damit diese Politik in stärkerem Maße international akzeptiert wird und vielleicht die gemeinsame Linie der Nord-Süd-Gespräche werden kann.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Staatsminister von Dohnanyi. — Herr Staatsminister, ich wäre dankbar,
wenn Sie sich kurzfassen könnten, damit nach Ihnen noch zwei Redner in der Debatte mit Kurzbeiträgen sprechen können.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen und Fragen von Graf Huyn und Herrn Todenhöfer veranlassen mich, dazu einige Worte zu sagen.Auf das, was zu den Äußerungen des Abgeordneten Brandt und des Staatsministers Wischnewski gefragt worden ist, kann in der Fragestunde geantwortet werden.Graf Huyn — ich sehe ihn gar nicht — hat gefragt, ob wir die strategische Bedeutung des südlichen Afrika nicht erkannt hätten. Natürlich ist sie erkannt. Aber nur, wenn die Konflikte, die dort aufbrechen, gelöst werden können, wird unsere Versorgung mit Rohstoffen aus diesem Gebiet gesichert werden können. Die Konflikte entstehen aus dem Problem der Apartheid und aus dem Problem der Nichtgleichberechtigung der Schwarzen in diesen Teilen Afrikas. Wir können die interne Lösung für Rhodesien ebensowenig für ausreichend halten, wie dies unsere Bündnispartner, die Vereinigten Staaten z. B., tun können. Wir können deswegen natürlich auch nicht die Sanktionen der Vereinten Nationen gegenüber Rhodesien unterlaufen. Wenn wir das täten, würden wir uns in eine vollständige Isolierung begeben, wie Sie wohl wissen. Ich möchte nur fragen, was das nach Ihrer Einschätzung für den Handel mit Schwarz-Afrika bedeuten würde. Vielleicht ist Ihnen nicht klar, daß unser Handel mit Nigeria z. B. heute größer ist als der mit der Republik Südafrika. Wer hier leichtfertig ein Ausbrechen der Bundesrepublik Deutschland aus den Sanktionen, die die Vereinten Nationen verhängt haben, anrät,- der gefährdet die Sicherheit unseres Landes.
Ich füge hinzu, daß die leichtfertigen Bemerkungen über die Rolle Angolas und Mozambiques bei der Opposition vielleicht auch noch einmal überdacht werden sollten. Vielleicht könnten Sie sich einmal erkundigen, welche Rolle diese Länder bei unseren Bemühungen gespielt haben, trotz der harten Haltung Südafrikas eine friedliche Lösung für Namibia offenzuhalten.Herr Todenhöfer, zu Ihren Bemerkungen: Die Haltung des Auswärtigen Amtes zur Frage der Marktwirtschaft in der Weltwirtschaft ist eindeutig. Der Bundesminister hat das immer wieder unterstrichen. Wenn Sie nun auf eine interne Studie des Hauses abheben
— ich komme gleich auf die Rede, Herr Todenhöfer — und dabei auch noch den Versuch machen, interne Entscheidungsalternativen, die bestehen, einseitig zu zitieren, dann muß ich Ihnen sagen — Graf Lambsdorff hat das ja vorhin schon getan —: Diese Haltung ist für die Verhandlungsposition, die die Bundesregierung einzunehmen hat, unverantwortlich. Wie können Sie denn hier den Versuch ma-
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Staatsminister Dr. von Dohnanyi,chen, unsere Verhandlungsposition vorzeitig festzulegen und uns Schwierigkeiten zu machen, statt uns zu helfen?
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler ?
Ja, sicher.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Einlassung so verstehen, daß Sie sich nunmehr, nachdem Sie es geraume Zeit nach den Zeitungsmeldungen nicht getan haben, von dieser Studie in aller Form distanzieren?
Herr Kollege, es gibt eine Vielzahl von Studien, die Entscheidungsvorbereitungen darstellen. Ich habe mich nicht distanziert. Denn man kann sich nicht von einem Papier distanzieren, das sachliche Alternativen aufzeigt. Aber ich finde es falsch, wenn man dazu übergeht, interne Entscheidungsvorbereitungen an die große Glocke zu hängen, um uns damit Schwierigkeiten in den Verhandlungen zu machen. Und das ist das, was Sie tun.
Was Sie zum Gemeinsamen Fonds gesagt haben, Herr Kollege Todenhöfer, glauben Sie ja doch wohl selbst nicht. Der Europäische Rat, die Vereinigten Staaten, wir alle haben zugestanden, daß wir in die Richtung des Gemeinsamen Fonds gehen sollten, allerdings in einer besonderen Gestalt. Nun hat ja die Opposition eine besondere Geschichte, eine Politik zu betreiben, die uns in die totale Isolierung bringen würde. Sie wollten nicht, daß wir den Nichtverbreitungsvertrag unterschreiben, Sie wollten nicht, daß wir in die Vereinten Nationen eintreten; Sie wollten keine Entspannungspolitik.
Wenn wir Ihrer Politik folgten, würden wir jetzt auch in der Politik gegenüber Afrika in dieselbe Isolierung geraten. Das müssen wir doch mal klar festhalten.
Wenn Sie sich grundsätzlich gegen Rohstoffabkommen wenden, Herr Kollege Todenhöfer, erinnere ich daran: Das Kaffee-Abkommen stammt aus dem Jahr 1962. Vielleicht sollte die Opposition mal bedenken, wer damals hier Regierungschef und Wirtschaftsminister war.
Dann haben Sie angebliche Alternativen gegenüber der Haltung des Auswärtigen Amtes und derBundesregierung für die CDU dargelegt. Sie haben sich auf die Exporterlösstabilisierung bezogen.
— Herr Kollege Todenhöfer, Sie wissen doch genau, daß das System Stabex in erster Linie von der Bundesregierung in Lomé eingebracht worden ist, und Sie wissen doch auch, daß wir jeden Versuch machen, dieses System zu erweitern. Aber Sie wissen auch, welchen Schwierigkeiten wir dabei gegenüberstehen.Dann haben Sie von offenen Märkten gesprochen. Nun, die Märkte für die verarbeiteten Produkte der Entwicklungsländer waren in der Bundesrepublik nie so gut wie in diesen Jahren. Das ist, wie Sie wissen, übrigens auch ein Teil unserer Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Und Sie wissen auch, Herr Todenhöfer, wie sich diese Bundesregierung in der Europäischen Gemeinschaft für ein Offenhalten der Märkte der Gemeinschaft für die Produkte der Entwicklungsländer einsetzt. Also was soll diese Bemerkung?Der dritte Punkt: Weiterverarbeitung. Sicherlich! Aber ich kann nur sagen: Wir müssen, wenn wir diesen Weg gehen, immer wieder auch die Schwierigkeiten auf den Arbeitsmärkten sehen. Auch jene, die dann aus Ihren Reihen zu den entsprechenden Stellen der Regierung kommen und sagen: Das bitte nicht! Lassen Sie mich zum Schluß eine persönliche Bemerkung machen. Ihre Art, den Bundesminister des Auswärtigen hier zu charakterisieren, war durchaus unpassend. Sie haben sehr einseitig zitiert.
Ich will, Herr Kollege Todenhöfer, aus der Rede, auf die Sie Bezug genommen haben, zitieren, was Genscher wirklich gesagt hat. Hier heißt es — ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin —:Ich betone nochmals: Im Nord-Süd-Dialog geht es für uns um eine Reform — eine marktkonforme Reform — der Weltwirtschaft. Ziel dieser Reform ist, die weltwirtschaftlichen Bedingungen für eine Beschleunigung der Entwicklung zu verbessern und die Entwicklungsländer nicht nur formell gleichberechtigt, sondern mehr und mehr auch mit materieller Chancengleichheit in die Weltwirtschaft zu integrieren.Dies ist die Zielsetzung — und nicht das, was Sie daraus zu machen versuchen.
— Herr Todenhöfer, der Bundesminister genießt gerade in seiner Nord-Süd-Politik und in seiner Konzeption der Afrikapolitik weltweit Respekt, übrigens auch, und zwar in erheblichem Umfang, bei unseren westlichen Bündnispartnern. Ich kann nur sagen: Dies ist die Einschätzung, die die Regierung draußen genießt. Vielleicht hören Sie sich einmal bei Ihren eigenen Parteifreunden in den christdemokratischen Parteien in Europa um, was
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Staatsminister Dr. .von Dohnanyidie befürchten: Sollte eines Tages die Politik, die Sie hier erneut skizziert haben, zur offiziellen Politik der Bundesrepublik Deutschland werden, dann wären wir in der totalen Isolierung und dann würde Europa in der Tat seine Sicherheit gefährdet sehen müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Beiträge von Herrn Holtz und Herrn Vohrer ansieht — auf den Beitrag von Herrn Dohnanyi möchte ich nicht näher eingehen,'
weil er mit seiner Polemik, jedenfalls in der Endphase, für sich selbst spricht —, dann stellt man fest, daß z. B. Herr Holtz in seinen Ausführungen über Südafrika vergessen hat, daß es im wesentlichen um das südliche Afrika geht. Er hat Birnen, Äpfel und Heringe miteinander verglichen. Herr Vohrer, Sie tun teilweise so, als funktionierten bereits die Abkommen, die noch nicht einmal abgeschlossen sind. Sie können auf Grund der bisherigen Erfahrungen sicher sein — man muß den Eindruck haben, daß Sie laufend auf internationalen Konferenzen tätig sind —, daß wohl auch in Zukunft wenig Chancen bestehen, daß Rohstoffabkommen funktionieren werden.Ich möchte mich in den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, kurz mit der Seerechtskonferenz und mit dem Vorfeld der Seerechtskonferenz beschäftigen, nachdem sie hier mehrfach angesprochen worden ist.Meine Damen und Herren, leider hat die Bundesregierung am Beispiel der Rohstoffe in der Tiefsee gezeigt, wie man die deutschen Interessen sträflich vernachlässigen kann. Es ist sehr bedauerlich, festzustellen, daß die seit Jahren negative Entwicklung auf der Seerechtskonferenz mit der Knebelung unserer Belange durch zahlreiche Entwicklungsländer von der Bundesregierung im Prinzip ignoriert worden ist, obwohl die CDU/CSU-Fraktion auf dieses Problem seit Jahren immer wieder hingewiesen hat. Anstatt die Warnungen zu beachten und parlamentarisch gegebene Anregungen aufzugreifen, verkroch sich die Bundesregierung; sie ist bis heute handlungsunfähig geblieben.Folgende Fakten sind gegeben: Erstens. Die Seerechtskonferenz bietet in der Frage des Tiefseebergbaus kaum noch eine Chance, daß eine den deutschen Interessen erforderliche Regelung verabschiedet wird. Zweitens. Der einzige Ausweg zum Schutz deutscher Interessen scheint in der Verabschiedung eines Interimsgesetzes durch den Deutschen Bundestag zu liegen, das den Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerecht wird, ein Angebot an andere Länder — unter Einbeziehung der Entwicklungsländer — zur Mitarbeit beinhaltet und den Übergangscharakter eindeutig festlegt.Über die Einzelheiten sind sich die Fraktionen im Prinzip einiger, als es zum Teil zum Ausdruck kommt, wie auch die Beiträge von Herrn Angermeyer und zum Teil von Herrn Rapp gezeigt haben. Nur, Herr Minister Lambsdorff, interfraktionelle Zusammenarbeit allein kann und soil. eine notwendige Entscheidung der Bundesregierung nicht ersetzen. Anstatt daß die Bundesregierung die offene Bereitschaft des Parlaments ausnutzt, um sich auf der Seerechtskonferenz einen neuen Handlungsspielraum zu verschaffen, übt sie sich auch nach der letzten Sitzung in New York weiterhin in der Kunst des Abwartens. Darüber hinaus besteht in den einzelnen Ministerien über das weitere Vorgehen im Tiefseebergbau völlige Uneinigkeit. Damit sind nicht Sie getroffen, Herr Graf Lambsdorff. Erkundigen Sie sich einmal im Auswärtigen Amt, erkundigen Sie sich bei Herrn Offergeld und im Verkehrsministerium, wie unterschiedlich die Vorstellungen im Hinblick auf ein deutsches Vorgehen im Tiefseebergbau sind. Der Bundesregierung ist der Vorwurf zu machen, daß sie das Vorfeld der Seerechtskonferenz jahrelang völlig vernachlässigt hat,
während die Entwicklungsländer diese Konferenz von vornherein als die wichtigste Konferenz der UN-Geschichte bezeichnet haben und das ideologische Ziel, eine Änderung der Weltwirtschaftsordnung herbeizuführen, gerade über die Seerechtskonferenz erreichen möchten.Die verschiedenen Interessenlagen der Industriestaaten hätten eine sehr starke Koordinierung vorausgesetzt. Herr Holtz, mit dem, was Sie soeben gesagt haben, stehen Sie im völligen Widerspruch zu all dem, was die Bundesregierung auf der Seerechtskonferenz durch ihre Delegation gutzumachen versucht. Das zeigt, wie uneinig Sie sich in dieser Frage im Prinzip sind. Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, worum es geht.
— Ja, aber welche? — Egoistische Interessen der Langküstenländer und der rohstoffreichen Länder waren auf der Seerechtskonferenz bisher nicht in Einklang zu bringen. Die Habenichtse, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, stehen im Abseits.Wie sieht die Praxis aus? Die USA werden jahrelang allein im Regen stehengelassen. Jetzt, wo die USA tätig werden, erhebt sich ein Geschrei, daß -sie zu protektionistisch tätig würden. Die USA haben erfahren, wie sich die Bundesrepublik verhält: wie ein erfahrener Drückeberger. Hannemann, geh du voran; ich hol' derweil die Verpflegung. Und wenn das mit der Verpflegung zu lange dauert, schimpft man anschließend, daß man sich auf die USA erwartungsgemäß nicht verlassen könne, obwohl man im Vorfeld der einzelnen Konferenzen die Schimpfkanonade ausschließlich auf die USA lenken ließ.Es ist nicht nur so, daß die Folgen auf der Seerechtskonferenz deshalb unausweichlich sind, .weil die Bundesregierung es vernachlässigt hat, tätig zu werden und im Vorfeld der Konferenz eine EG-
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KittelmannKoordinierung zu vereinbaren. Sie hat es vernachlässigt, vernünftig mit den Industriestaaten zu sprechen. Sie hat es vernachlässigt, im Vorfeld mit den Entwicklungsländern in Einzelgesprächen zu verhandeln. Sie hat es immer einer gut arbeitenden Delegation überlassen, auf der Konferenz bei 150 Nationen zu Wort zu kommen, und hat viele Chancen und Möglichkeiten nicht genutztNachdem bereits die 200-Seemeilen-Wirtschaftszone auf der Seerechtskonferenz nicht mehr in Frage gestellt worden ist und da heute eine defensive Haltung beim Problem des continental shelf eingenommen wird, erscheint es immer bedrohlicher, daß die Bundesregierung aus Fehleinschätzung der Konsequenzen unter Vernachlässigung deutscher Interessen handlungsunfähig bleibt. Das kann und darf nicht hingenommen werden. Eine unübersehbar große Anzahl von Arbeitsplätzen kann bei einer Nichtbeteiligung am Tiefseebergbau in Gefahr geraten. Die deutsche Industrie braucht jetzt einen Schutz der zu tätigenden Investitionen. Was jetzt unterbleibt, ist nicht mehr nachholbar.Die Bundesregierung kann nicht länger zögern, eine Interessenabwägung vorzunehmen. Jedem ein gefälliges Gesicht zu zeigen, kann für die Zukunft heißen, unsere Position als Industriestaat zu verfehlen. Das Beispiel Tiefseebergbau zeigt mit erschrekkender Deutlichkeit: Die diplomatischen Fähigkeiten dieser Bundesregierung sind noch viel schlechter, als wir ohnehin vermuten.
Herzlichen Dank für die Einhaltung der Zeit. — Bitte schön, Herr Abgeordneter Stockleben.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Wort zum Kollegen Kittelmann. Ich bitte die Opposition, endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Bundesregierung ein Meeresforschungsprogramm mit einer Summe von über einer Milliarde DM in drei Jahren vorgelegt hat und daß sie von daher sehr gut darauf vorbereitet ist, im Rahmen der Meerestechnik und Meeresforschung national wie international tätig zu werden. Ich glaube, die Zahlen sprechen für sich.
Nun ist Rohstoffpolitik genauso wie Energiepolitik auch ein Teilstück der Forschungspolitik. Wir Sind stolz darauf, daß diese Bundesregierung recht- zeitig und sehr schnell ein Forschungsprogramm mit einem Finanzvolumen von 250 Millionen DM bis zum Jahre 1979 vorgelegt hat. Wir versprechen uns hiervon sehr positive Ansätze, zumal wenn es darum geht, der heimischen Industrie, insbesondere der deutschen Stahlindustrie, zu helfen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Land, das etwa 10 % der Weltförderung an mineralischen Rohstoffen verbraucht, aber selbst nur 1 %dieser Rohstoffe zu fördern in der Lage ist. Somit müssen wir dafür Sorge tragen, daß ein Großteil der Rohstoffe, die wir heute noch importieren, durch Recycling wieder bei uns aufgearbeitet werden kann. Dieses
Forschungsprogramm der Bundesregierung hat dazu geführt, daß insbesondere dort, wo die privatwirtschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, diese eine Stabilisierung bzw. einen Push erfahren haben. Die privatwirtschaftlichen Kräfte sind durch staatliche Finanzmaßnahmen angereizt worden, sich stärker an dem Bereich der Rohstofforschung zu beteiligen.
Die Beschaffung von Rohstoffen in der Welt wird immer schwieriger. Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, daß im Bereich der Stahlindustrie ein Forschungsprogramm aufgelegt wurde. Es soll u. a. dazu führen, daß auch heimische Erze mit einem geringeren Fe-Gehalt weiter verarbeitet werden können, nachdem wir sehr wohl wissen, daß die Stahlindustrie nicht ausreichend zu bedienen ist; denn etwa eine halbe Milliarde t metallische Erze werden auf dem Weltmarkt gehandelt. Dies kann die Bundesrepublik Deutschland nicht substituieren.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da mir nur fünf Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, möchte ich abschließend sagen: Das vom Bundesminister für Forschung und Technologie gemeinsam mit dem Bundesminister für Wirtschaft vorgelegte Rohstoffprogramm wird sicherlich seinen Beitrag leisten.
— Entschuldigen Sie, mehr als 1 Milliarde DM für den Bereich Meeresforschung und Meerestechnologie, mehr als 250 Millionen DM für die Rohstofforschung insgesamt, ist denn dies nichts?
Dazu wären Sie mit Ihrer Forschungspolitik nicht in der Lage gewesen, da Sie immer nur der indirekten Forschungsförderung den Vorrang geben.
Herzlichen Dank, Herr Kollege; so kann ich die Aussprache pünktlich um 13 Uhr schließen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14. Uhr. Wir fahren dann mit der Fragestunde fort.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll der Punkt 5 der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.Wir treten in die Fragestunde— Drucksache 8/2273 —ein.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
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Vizepräsident Stücklenauf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Wrede zur Verfügung.Frage 61, Abgeordneter Hoffie. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Diese Frage und desgleichen die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Hoffie werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Frage 63, Herr Abgeordneter Dr. Friedmann:Treffen die in der Presse wiedergegebenen Äußerungen des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, Gescheidle, zu, wonach die Fernmeldegebühren bis 1985 über das bereits jetzt verordnungsmäßig festgelegte Maß hinaus gesenkt werden sollen?Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Kollege, der Bundespostminister beabsichtigt, die Fernmeldegebühren in den kommenden Jahren über das bereits jetzt verordnungsmäßig festgelegte Maß hinaus zu senken.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Überzeugung, daß es nicht nur ordnungspolitisch, sondern auch rechtlich äußerst bedenklich ist, wenn die Bundesregierung der Bundespost über 6 2/3 %ige Abgabe hinaus Gewinne abverlangt, um damit die eigenen Schulden zu konsolidieren?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf darauf verweisen, daß die Post über lange Jahre hinweg an den Bundeshaushalt nichts abgeführt hat, so daß es hier darum geht, langfristig einen Ausgleich herzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. Friedmann Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf hinweisen, daß es eine Sache ist, als Eigentümer des Sondervermögens Bundespost das Eigenkapital in Ordnung zu bringen, und eine andere Sache, einen Gewinn zu erzielen?
Wrede, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundespost ist darauf angewiesen, Gewinn zu erzielen, wenn sie die Fernmeldeanlagen auch in die Zukunft hinein ausbauen will. Ich darf auf einige Dinge verweisen, sowohl auf beschlossene Gebührensenkungsmaßnahmen als auch auf technische Neuerungen, die insbesondere den Fernmeldekunden zugute kommen. Ich meine die Einführung der Nahbereiche, und ich meine darüber hinaus das, was an technischen Neuerungen in den nächsten Jahren zu erwarten ist. All dies verpflichtet die Post, Gewinne zu machen, um diese Investitionen zu finanzieren.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 64 des Abgeordneten Kirschner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sowohl für den einfachen Postdienst, den mittleren Fernmeldedienst als auch in anderen Bereichen des mittleren nichttechnischen Dienstes im Geltungsbereich des Bundespostministers eine Neuordnung der Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz vorzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die zwei Fragen des Kollegen Kirschner im Zusammenhang behandele?
Einverstanden.
Dann rufe ich auch Frage 65 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Wenn ja, wann ist mit einer solchen Neuordnung zu rechnen, und um wie viele Auszubildende handelt es sich hierbei?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, für den einfachen Postdienst hat die Deutsche Bundespost eine Neuordnung der Berufsausbildung auf der Basis des Berufsbildungsgesetzes erarbeitet. Für die Laufbahnen des mittleren nichttechnischen Dienstes — zu denen auch der mittlere Fernmeldedienst gehört —, die ausschließlich Beamtentätigkeiten umfassen, läßt die gegenwärtige Rechtslage nicht zu, die Ausbildung auf der Basis des Berufsbildungsgesetzes durchzuführen. Jedoch wird zur Zeit im Bundespostministerium geprüft, ob und wie die gegenwärtige Ausbildung im mittleren nichttechnischen Dienst verbessert werden kann. Die Entwürfe der neuen Ausbildungsordnung für den einfachen Postdienst und des Rahmenlehrplanes für den Berufsschulunterricht liegen dem Koordinierungsausschuß „Ausbildungsordnungen — Rahmenlehrpläne des Bundes und der Länder" zur endgültigen Beratung und Beschlußfassung auf seiner Sitzung am 24. November 1978 vor. Bei positivem Ausgang wird anschließend sofort das Erlaßverfahren eingeleitet. Die neue Ausbildungsordnung wird voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 1979 bekanntgegeben werden. Die Neuregelung kann dann bereits auch auf den Schulentlaßjahrgang 1979 angewendet werden. Von der neuen Ausbildungsordnung sind jährlich etwa 4 000 neu einzustellende Auszubildende betroffen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegt es nicht im grundsätzlichen Bestreben, die Berufsausbildung auf eine möglichst breite Basis zu stellen — dazu bietet doch wohl das Berufsbildungsgesetz die beste Möglichkeit —, und sind Sie nicht auch der Auffassung, daß man das auch in den Bereichen, die Sie angesprochen haben, versuchen sollte?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die geltende Rechtslage es nicht zuläßt, auch in den Bereichen nach dem Berufsbildungsgesetz auszubilden, wo die Auszubildenden für die Beamtenlaufbahn ausgebildet werden.
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Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Deutsche Postgewerkschaft hat dazu eine konträre Auffassung. Können Sie mir dazu sagen, wie sich dies mit Ihrer Auffassung deckt?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das kann ich aus dem Stand nicht sagen, auch weil mir die Formulierungen der von Ihnen zitierten Einschätzung der Deutschen Postgewerkschaft im Moment nicht zur Hand sind. Ich bitte Sie darum, sich da mit einer schriftlichen Antwort zu begnügen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatssekretär Bölling zur Verfügung.
Frage 73, Abgeordneter Dr. Friedmann:
Ist die Bundesregierung bereit, gemeinsam mit dem Bundesverfassungsgericht eine Dokumentation des Verfahrens und der Materialien zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Mai 1977 zu den Grenzen des Notbewilligungsrechts bei der Zulassung von über- und außerplanmäßigen Ausgaben zu veröffentlichen und damit such in diesem Fall dem im Vorwort zur Dokumentation über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 wiedergegebenen Grundsatz Rechnung zu tragen, zu bedeutsamen Urteilen des höchsten deutschen Gerichts derartige Publikationen vorzulegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, eine Dokumentation zum Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Grenzen des Notbewilligungsrechts vorzulegen. Sie hat auch in ihrem Vorwort zur Dokumentation über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen in Bund und Ländern keinen Grundsatz aufgestellt, Publikationen zu bedeutsamen Urteilen des höchsten deutschen Gerichts vorzulegen, sondern lediglich festgestellt: „Wie bei anderen bedeutenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hielten Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht es für gerechtfertigt, auch zu diesem wichtigen Urteil eine Dokumentation vorzulegen."
Ich darf meiner Antwort ergänzend hinzufügen, Herr Abgeordneter, daß es nur drei solche Dokumentationen gegeben hat, nämlich eine Dokumentation zum Verfahren gegen die KPD vor dem Bundesverfassungsgericht 1955, dann, wie Ihnen erinnerlich, die Dokumentation zum Grundlagenvertrag 1975 und dann eben die Dokumentation, die ich in meiner Antwort schon erwähnte, zur Öffentlichkeitsarbeit.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort schließen, daß es sich nach der Meinung der Bundesregierung hier um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts handelt, bei dem es sich nicht um ein bedeutendes Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht und ein wichtiges Urteil im Sinne der in der Einführung der Dokumentation zum Urteil vom 2. März 1977 herausgestellten Grundsätze handelt, obwohl das Urteil vom 25. Mai 1977 nach den Erklärungen der Bundesregierung eine langjährige Staatspraxis auf dem Sektor des parlamentarischen Haushaltsbewilligungsrechts geändert
hat?
Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, es steht mir nicht an, in irgendeiner Weise die Bedeutsamkeit dieses oder eines anderen Urteils zu kommentieren. Wir haben uns in der Vergangenheit nach dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit gerichtet. Durch die Erwähnung der drei anderen Dokumentationen habe ich deutlich machen wollen, daß nicht ein jedes Urteil vom Bundespresse-
und -informationsamt in einer solchen umfänglichen Dokumentation vorgelegt worden ist. So ist z. B. seinerzeit auch das sogenannte Fernsehurteil von der Bundesregierung, die damals durch Ihre Partei geführt wurde, nicht dokumentiert worden. Das haben damals die Fernsehanstalten übernommen. Mit Hinblick auf Ihren medienpolitischen Kongreß wäre es sicher ganz interessant gewesen, da noch einmal hineinzusehen.
Im übrigen ist die Bedeutung des Urteils, Herr Abgeordneter, auf das Ihre Frage abstellt, damals von der Bundesregierung sogleich anerkannt worden. Es sind Konsequenzen für die Haushaltsordnung gezogen worden. Der Bundeskanzler hat damals in der Bundespressekonferenz dazu ausführlich Rede und Antwort gegeben. Das Bundespresseamt hat seinerzeit eine Zehn-Punkte-Dokumentation vorgelegt. Die Bundesregierung hat sich also diesem Urteil gestellt, hat die Argumente beantwortet. Das Urteil hatte die Publizität, die jeder, der sich mit ihm kritisch beschäftigte, für angemessen hält. Darüber hinaus war kein informatorisches Bedürfnis festzustellen.
Weitere Zusatzfrage; bitte.
Herr Staatssekretär, liegt der Grund dafür, daß zwar zum Urteil vom 2. März 1977 eine Dokumentation vorgelegt, zum Urteil vom 25. Mai die Vorlage einer solchen Dokumentation aber abgelehnt wird, etwa in der Tatsache, daß die in diesem Urteil vom 25. Mai 1977 festgestellten Verfassungsverstöße in erster Linie vom früheren Finanzminister und heutigen Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich zu verantworten sind?Boiling, Staatssekretär: Nein, Herr Abgeordneter, das ist eine ganz und gar abwegige Vermutung. Der Bundeskanzler — ich erwähnte es eben schon — hat sich ja in Person vor der gesamten Bonner Presse den kritischen Fragen — auch solchen, wie Sie sie eben formuliert haben — gestellt. Das Urteil — auch das habe ich eben sagen können — ist damals mit allen Argumenten dafür und dawider diskutiert worden. Es ist damals in zahlreichen deutschen Zeitungen auch ausdrücklich hervorgehoben worden, daß
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Staatssekretär Bollingin dem Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht von keiner Seite der Vorwurf erhoben worden ist, die bewilligten Gelder seien für irgendwie zu mißbilligende Zwecke ausgegeben worden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, sind die von Ihnen genannten Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Mißbrauch von Steuergeldern für Wahlpropaganda betrifft, darin 2u sehen, daß seit diesem Urteil Jahr für Jahr die Mittel für Inlandspropaganda weiterhin steigen? Haben Sie diese Konsequenzen gemeint, als Sie von den Konsequenzen aus diesem Urteil sprachen?
Boiling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Gerster, ich bin über Ihre Frage schon deshalb erstaunt, weil Sie von Ihrem Fraktionskollegen Wohlrabe eingeladen worden waren, an Vorgesprächen über den Haushalt des Bundespresseamtes teilzunehmen, und weil Sie, so meine ich, genau wissen sollten, daß wir die vergleichsweise geringfügige Erhöhung unseres Etats mit sachlichen Informationsbedürfnissen begründen konnten.
Im Haushaltsausschuß habe ich auch von Ihrer Seite nicht vorgehalten bekommen, daß diese Erhöhung von der Sache her nicht gerechtfertigt sei. Wir haben die informationspolitischen Aufgaben, die wir im künftigen Jahr zu erfüllen vorhaben, Ihnen dokumentiert. Ich meine, daß sich diese Steigerung in einem sehr vernünftigen, von der Sache her durchaus zu rechtfertigenden Rahmen hält.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Wird in den Veröffentlichungen für das Ausland, die die Bundesregierung über Fakten der Bundesrepublik Deutschland erstellen läßt, auch über die Opposition in einem Umfang berichtet, der dem Anteil der Bürger entspricht, die sie unterstützen?
Boiling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Kunz, die Beantwortung Ihrer Frage erfordert eine generelle Vorbemerkung über den Inhalt unserer Informationsarbeit für das Ausland.
Gegenstand der politischen Öffentlichkeitsarbeit Ausland ist, wie Sie wissen, die Vermittlung von Informationen -über die deutsche Politik sowie die allgemeine Deutschland-Information, mit der über die Bundesrepublik und alle ihre Lebensbereiche berichtet wird. Im Bereich der politischen Informationsarbeit im engeren Sinne kommt der Standpunkt der Opposition in einem ihrem Gewicht entsprechenden Umfang zur Darstellung. Einseitige Darstellungen, Herr Abgeordneter, meiden wir im Interesse der Ausgewogenheit.
Das gilt nicht für den schmalen Bereich — der Quantität nach — von regierungsamtlichen Dokumentationen, wie sie etwa in den' „Bulletins" zu finden sind. Hier wird über die Regierungspolitik berichtet, ohne daß der Standpunkt der Opposition zu der gleichen Frage jedesmal vermittelt wird. Ich möchte allerdings einfügen, daß wir in vielen Nummern des „Bulletins" — ich habe einige davon als Exempel mitgebracht — Reden z. B. Ihres Fraktionsvorsitzenden oder des Herrn Bundestagspräsidenten und anderer Mitglieder Ihrer Fraktion z. B. zu nationalen Gedenktagen und aus anderen Anlässen in extenso gedruckt haben.
Im Bereich der allgemeinen Deutschland-Information, die vom Volumen her, wie Ihnen sicherlich bekannt sein wird, einen unvergleichlich größeren Raum einnimmt, werden überwiegend sogenannte Basisinformationen über die Bundesrepublik für den durchschnittlich informierten ausländischen Leser vermittelt. In diesem Bereich meiden wir grundsätzlich kontroverse politische Darstellungen. Die Informationsarbeit für das Ausland ist bisher stets von den Regierungs- und den Oppositionsparteien gemeinsam getragen worden und war in der Vergangenheit meiner Erinnerung nach kaum je strittig.
Eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, in welcher Auflage und in wie vielen Sprachen diese allgemeine Informationsschrift „Fakten über Deutschland" von Ihrem Amt herausgebracht worden ist?
Boiling, Staatssekretär: Da müßte ich Sie bitten, etwas Geduld zu haben; ich habe die Zahlen nicht im Kopf.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für mit den Grundsätzen eines fairen und sauberen Journalismus vereinbar, wenn beispielsweise in dieser Veröffentlichung — und ich halte sie für typisch — die Opposition praktisch verschwiegen und sogar das Parlament nachrangig behandelt wird, während die Bundesregierung in dominierender Art dargestellt ist?Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie müßten mir — darum möchte ich Sie bitten — das dann einmal dokumentieren. Sie formulieren diesen kritischen Einwand sehr generell. Da wir eine ganze Menge Broschüren haben, müßte ich mir ansehen, ob das wirklich nicht in einer angemessenen Größenordnung geschehen ist. Ich bin für jede kritische Bemerkung, die sachlich belegbar ist, durchaus offen.
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9120 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die deutschen touristischen Unternehmen davon in Kenntnis zu setzen, daß entsprechend einer deutsch-polnischen Absprache niemand veranlaßt oder gezwungen werden kann, seinen Geburtsort entsprechend einem Geburtsdatum bis zum 8. Mai 1945 in polnischer Bezeichnung anzugeben, und daß es sich, falls anderes verlangt wird, um eine „Urkundenfälschung" handelt?
Dr. von 'Dohnanyi, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Dr. Hupka, der Bundesregierung sind Fälle bekannt, in denen die polnische Botschaft Visumanträge wegen deutscher Ortsbezeichnungen bei Geburtsdaten, die vor dem 8. Mai 1945 liegen, zurückgewiesen hat. Es gibt aber nur eine Paßabsprache, keine Absprache für Antragsformulare bei Visen. Die Bundesregierung steht im übrigen im Gespräch mit der polnischen Regierung über Ortsbezeichnungen. Das Ergebnis dieser Gespräche liegt noch nicht vor.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben eben, wenn ich Sie recht verstanden habe, gesagt, es gebe nur eine Paßabsprache. Aber die Eintragung von Visa betrifft doch wohl die Pässe.
Dr von Dohnanyi, Staatsminister: Es geht ja, Herr Kollege Hupka, um die Antragsformulare für die Visen, und insofern ist Ihre Frage so, wie Sie sie gestellt haben, eben mit Nein zu beantworten, weil sich die Absprache, auf die Sie Bezug nehmen, ausschließlich auf Pässe bezieht. Aber ich unterstreiche noch einmal: Wir sind in dieser Frage — da nehme ich auch auf die Fragestunde vom 11. Mai dieses Jahres Bezug — im Gespräch mit der polnischen Regierung.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Um noch einmal auf meine Frage, die ich schriftlich eingereicht habe, zurückzukommen: Wäre die Bundesregierung aber bereit, diesen Sachverhalt auch den Reiseunternehmen mitzuteilen, da dort bei der Beratung der Touristen, die sich für eine Reise etwa nach Schlesien oder Ostpreußen anmelden, recht große Unsicherheit vorhanden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich' glaube wirklich, daß es auch hier zweckmäßiger erscheint, wenn wir zunächst das Ergebnis der Gespräche, die gegenwärtig geführt werden, abwarten. Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir die Frage noch einmal durchdenken und Ihnen entsprechend Auskunft geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wieviel polnische Wochen haben 1978 unter Vermittlung und mit Unterstützung des Auswärtigen Amts in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden und sind noch vorbereitet, und wie verhält es sich umgekehrt mit deutschen Wochen in der Volksrepublik Polen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden 1978 fünf polnische Wochen bzw. polnische Tage in der Bundesrepublik Deutschland veranstaltet, und zwar in Ingelheim, Augsburg, München, Pinneberg und Herne. Polnische Wochen in der Bundesrepublik Deutschland wurden 1978 vom Auswärtigen Amt allerdings weder vermittelt noch unterstützt.
In der Volksrepublik Polen wird das Auswärtige Amt in Zusammenarbeit mit der polnischen Regie- rung vom 19. bis zum 29. Januar 1979 Theater- und Filmtage in Warschau veranstalten. Vom 5. bis zum 15. Mai 1978 haben in Gdingen Kieler Tage stattgefunden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Dr. Hupka ': Ist Ihre Antwort dahin auszulegen, daß im Jahre 1978 deutsche Wochen in der Volksrepublik Polen, die den polnischen Wochen hier vergleichbar wären, nicht stattgefunden haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, das ist richtig.
Worauf führt es die Bundesregierung zurück, daß hier weit mehr polnische .Wochen stattfinden als deutsche Wochen in Polen,
selbst nach dem, was nach Ihrer Antwort auch für 1979 geplant ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, die Tatbestände sind ja bekannt. Es ist, wie Sie wissen, nicht einfach, im Kulturaustausch auf der anderen Seite alles das durchzusetzen, was wir für richtig halten. Wir sind bemüht, die Zahl der deutschen Wochen oder deutschen Tage in Polen zu vermehren. So wie die Dinge jetzt aussehen, wird das 1979 — auch durch die Theater- und Filmtage — wesentlich besser sein. Ich könnte Ihnen hier eine Liste der Ereignisse geben, die in Warschau stattfinden sollen. Wir können, glaube ich, sagen, daß damit ein guter Anfang gemacht ist.
Keine weiteren Zusatzfragen?Ich rufe die Frage 77 des Abgeordneten Gerster auf:Trifft es zu, daß bei der organisatorischen Zusammenfassung der amerikanischen Armeenachschubdepots Kaiserslautern und Germersheim rund 1 000 Arbeitsplätze — ausschließlich von deut-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9121
Vizepräsident Stücklenschen Arbeitnehmer besetzt — eingespart werden sollen und daß in mehreren Fällen deutschen US-Beschäftigten aus Rationierungsgründen bereits gekündigt wurde und daß wenig später auf den eingesparten Stellen dann neue amerikanische Arbeitskräfte eingesetzt wurden, und wenn ja, wie vereinbart sich die Erklärung der Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher in der Fragestunde vom 27. September 1978, daß die Arbeitsplätze der bei den• US-Streitkräften beschäftigten deutschen Staatsangehörigen gesichert sind, damit?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesreregierung ist bekannt, daß das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte eine Umstrukturierung in den amerikanischen Armeedepots Kaiserslautern und Germersheim beabsichtigt. Die Auswirkungen der Umorganisation auf die Belegschaft sollen nicht vor Herbst 1979 spürbar werden. Nach Darstellung der amerikanischen Seite verfolgt diese das Ziel, Nachschubstruktur und Organisation der amerikanischen Streitkräfte in Europa zu verbessern, indem Armeedepots zusammengelegt und Versorgungsfunktionen anderweitig vergeben werden.Über die. Umgruppierung von Stellen ist bisher noch nicht endgültig entschieden. Die Stellenverminderungen, die sich aus dieser Umstrukturierung ergeben könnten, sollen jedoch minimal sein, da die meisten betroffenen Arbeitnehmer anderweitig untergebracht werden können und im übrigen Personalfragen durch Einstellungssperren und normale Abgänge gelöst werden sollen.Der Bundesregierung wurde bisher mitgeteilt, daß durch diese Maßnahmen deutsche Arbeitnehmer zugunsten von amerikanischen Arbeitskräften nicht verdrängt werden sollen. Die zuständigen amerikanischen Stellen haben der Bundesregierung mehrfach versichert, daß in diesem Zusammenhang deutsche Arbeitnehmer keinesfalls zugunsten von amerikanischen Arbeitskräften entlassen werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, treffen die Feststellungen, die in dieser Frage enthalten sind, daß 1 000 deutsche Arbeitskräfte entlassen werden sollen, nun zu, oder treffen sie nicht zu?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach den mir vorliegenden Informationen treffen diese so nicht zu.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, was heißt „treffen so nicht zu"?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich darf noch einmal auf meine Antwort zurückkommen, Herr Kollege. Die Amerikaner haben gesagt, daß die Größenordnung von 1 000 Beschäftigten hier in keiner Weise zur Diskussion steht. Ich wiederhole auch .den Satz: Die Stellenverminderungen, die sich aus dieser Umstrukturierung ergeben könnten, sollen minimal sein, da die meisten betroffenen Arbeitnehmer anderweitig untergebracht werden können. Ich beziehe mich dann auf die Feststellung der entsprechenden amerikanischen Gesprächspartner, daß
kein Austausch zugunsten amerikanischer Angehöriger durchgeführt werden soll.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Todenhöfer.
Herr Staatsminister, was will die Bundesregierung angesichts der schwierigen Situation beispielsweise in Kaiserslautern unternehmen, um sicherzustellen, ,daß die dort dringend benötigten Arbeitsplätze, so wie Sie es hier geäußert haben, tatsächlich nicht verlorengehen?
Dr. von 'Dohnanyi, Staatsminister: Wir sind in enger Verhandlung mit den zuständigen Stellen der Vereinigten Staaten. Ich selbst habe vor wenigen Tagen den Botschafter der Vereinigten Staaten in dieser Angelegenheit zu einem längeren Gespräch bei mir gehabt. Ich gehe davon aus, daß wir die hierfür notwendigen Zusagen von seiten der Vereinigten Staaten bekommen werden.
Zusatzfrage, Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß trotz Ihrer Feststellung bei den amerikanischen Streitkräften eine wachsende Zahl von 'US-Zivilangestellten zu verzeichnen ist, während die Zahl der deutschen Zivilangestellten laufend zurückgeht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es geht hier um eine sehr komplexe Frage. Komplex insofern, als es bestimmte Stellenbeschreibungen gibt, die sich möglicherweise im Laufe der Entwicklung verändern; und insofern, als aus diesem Grunde auch von seiten der Vereinigten Staaten einzelne Arbeitsplätze im Zuge von Umstrukturierungen eine andere Bewertung usw. erhalten. Über diese Fragen habe ich mit den zuständigen amerikanischen Stellen Gespräche aufgenommen. Ich gehe davon aus, daß wir — in sicherlich sehr schwierigen Verhandlungen — die Zahl der deutschen Beschäftigten bei den Streitkräften der Vereinigten Staaten sichern können.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Becker.
Herr Staatsminister, können wir davon ausgehen, daß die Gesprächsergebnisse und Niederschriften über ein Gespräch zwischen den betroffenen Personalräten der ÖTV und Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion, die Ihnen zugänglich gemacht worden sind, bei diesem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter eine Rolle spielen werden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Becker, ich habe mit den Personalräten und mit den Gewerkschaften sicherlich drei oder vier Gespräche geführt. Ich habe dem amerikanischen Botschafter in diesen Tagen eine zusammenfassende Darstellung
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9122 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Staatsminister Dr. von Dohnanyider Beschwernisse überreicht, die von den Personalräten, von den Gewerkschaften, von den Beschäftigten vorgebracht werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatsminister, werden Sie bei Ihren eigenen Gesprächen mit der amerikanischen Seite auch darauf hinweisen, daß die ÖTV mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dieser Frage intensive Gespräche geführt hat und daß gerade die zuständigen Wahlkreisabgeordneten des Landes Rheinland-Pfalz seit langem auf eine Klärung des angesprochenen Komplexes drängen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, mir ist bekannt, daß sich insbesondere der Kollege Müller-Emmert seit langem in dieser Frage bemüht. Aber ich bin gerne bereit, auch noch einmal auf die Bemühungen hinzuweisen, die bei Ihnen sichtbar geworden sind, insbesondere auf die Frage von Herrn Gerster.
Keine weitere Zusatzfrage: — Dann rufe ich die Frage 78 des Abgeordneten Gerster auf:
Sieht die Bundesregierung in der Übernahme deutscher Beschäftigter bei Stationierungsstreitkräften in den deutschen öffentlichen Dienst einen gangbaren Weg, um deren Arbeitsplätze zu sichern, oder was gedenkt die Bundesregierung ansonsten zu tun, um eine Einhaltung der bisherigen Zusagen der amerikanischen Streitkräfte sicherzustellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Arbeitgeber der deutschen Beschäftigten bei den amerikanischen Streitkräften sind die Stationierungsstreitkräfte und ist nicht die Bundesrepublik Deutschland.
Die Bundesregierung hat 1971 eine soziale Sicherung für deutsche Beschäftigte tariflich verankert. Sofern es trotz des geschilderten Sachverhalts — also der Beantwortung der vorangegangenen Frage — zu Entlassungen kommen sollte, könnten die hiervon betroffenen Arbeitnehmer, sofern sie die persönlichen Voraussetzungen erfüllen, Leistungen nach dem von der Bundesregierung geschlossenen Tarifvertrag soziale Sicherung vom Jahr 1971 erhalten.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wie vereinbart sich Ihre heutige Erklärung, Sie wollten in Gesprächen sicherstellen, daß niemand entlassen werde — auf der anderen Seite haben Sie aber die Möglichkeit eingeräumt, daß deutsche Arbeitnehmer entlassen werden —, mit der sehr klaren, unzweideutigen und apodiktischen Feststellung Ihrer Frau Kollegin in der Fragestunde vom 27. September 1978, die Arbeitsplätze der deutschen Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften seien gesichert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gerster, Arbeitsplätze sichern bedeutet niemals, daß jeder Strukturwandel aufgehalten werden kann. Natürlich gibt es Veränderungen. Wenn eine solche Veränderung einen einzelnen Arbeitnehmer trifft, so findet seit 1971 — vielleicht sagt Ihnen das Datum etwas — auf die Beschäftigten bei den amerikanischen Streitkräften auf jeden Fall das Schutzabkommen Anwendung.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.Gerster (CDU/CSU) : Herr Staatsminister, würden Sie bitte erklären, ob Sie damit rechnen, daß deutsche Arbeitnehmer entlassen werden, oder nicht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gerster, wir sind in Gesprächen und in Verhandlungen hierüber mit den zuständigen Stellen der Vereinigten Staaten. Ich gehe ganz selbstverständlich davon aus, daß wir bei diesen Verhandlungen unser Ziel durchsetzen können, die Arbeitsplätze zu sichern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz .
Herr Staatsminister, haben Sie bei Ihrem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter über die Frage gesprochen bzw. sind Sie bereit, nachträglich die Frage klären zu lassen, ob es sich bei den in zunehmendem Maße eingestellten amerikanischen Zivilangestellten bei den US-Streitkräften um Angehörige von US-Soldaten handelt, die in der Bundesrepublik stationiert sind, oder ob sie zu diesem Zweck aus den Vereinigten Staaten oder von sonstwo in die Bundesrepublik gebracht werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, selbstverständlich haben wir über diese Frage gesprochen. Das ist das Einmaleins der Problemstellung.
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, sind Sie — bei voller Würdigung der Einsätze des Kollege Müller-Emmert in dieser Frage — bereit, auch die Namen und die Eingaben der übrigen rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten zur Kenntnis zu nehmen und dies gegenüber der Öffentlichkeit in Rheinland-Pfalz besonders hervorzuheben?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, wir sind für jede Unterstützung dankbar, und ich bin insbesondere dafür dankbar, daß Sie den Namen von Herrn Müller-Emmert soeben noch einmal unterstrichen haben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9123
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer.
Herr Staatsminister, stimmen Sie der Feststellung der ÖTV zu, daß im Raum Rheinland-Pfalz in nächster Zukunft 700 zum Teil körperlich behinderte Angestellte bei den Stationierungskräften wahrscheinlich ihren Arbeitsplatz verlieren werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Todenhöfer, ich könnte dem schon deswegen nicht zustimmen, weil unsere Aufgabe darin besteht, die Arbeitsplätze zu sichern. Mit diesem Ziel verhandeln wir.
Keine weitere Zusatzfrage.
Da der Herr Abgeordnete Ey nicht im Saal ist, wird seine Frage 79 schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Geht die Bundesregierung davon aus, daß es Staaten gibt, denen gegenüber eine Politik im Sinne der Äußerung gerechtfertigt ist, wonach zur Bekämpfung von Regimen, die durch Gewalt aufrechterhalten werden, manchmal die Anwendung von Gewalt erforderlich ist, und, wenn ja, um welche Staaten handelt es sich?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich bin insofern in einer Schwierigkeit, als ich in meiner Antwort auf die Frage 80 einen Verweis auf die Antwort auf die Frage 79 habe. Ich werde versuchen, das zusammenzufügen.
Herr Staatsminister, wenn das zur Verständlichkeit erforderlich ist, können Sie selbstverständlich einen entsprechenden Vorspann bringen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Soweit es sich um die Anwendung von Gewalt von Staaten gegen Staaten handelt, Herr Kollege Jäger, gibt es das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen. Für die Bundesrepublik Deutschland ist das Widerstandsrecht in Art. 20 Abs. .4 des Grundgesetzes geregelt. Diese Bestimmung gibt einem allgemeinen Rechtsgedanken Ausdruck, über dessen Anwendung im Einzelfall die Bundesregierung selbstverständlich kein Urteil abgeben kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie damit bislang noch nicht auf meine Frage eingegangen sind, frage ich — wie in meiner schriftlichen Frage —, ob es Staaten gibt, bei denen die Bundesregierung die Möglichkeit sieht, daß die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt sein könne, wenn dort Regierungen bestehen, die nicht auf demokratischer Grundlage errichtet sind, sondern sich mit Gewalt an der Macht halten.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich will versuchen, meine Antwort zu verdeutlichen. Zunächst hält sich die Bundesregierung an die Charta der Vereinten Nationen und an die Politik des Gewaltverzichts, und zweitens gibt es einen allgemeinen Rechtsgedanken des Widerstandes, der in unserer Verfassung verankert ist. Aber es kann nicht Sache der Bundesregierung sein, die einzelnen Fälle hier zu konkretisieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, schließt die Bundesregierung aus, daß ihre Politik jemals darauf gerichtet sein könnte, Gewalt, welcher Art auch immer, in solchen Ländern zu unterstützen, deren Regierungen sich selber nur mit Gewalt an der Macht halten können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Unsere Politik ist immer auf den friedlichen Wandel ausgerichtet, und dies gilt ohne Einschränkung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster .
Herr Staatsminister, da Sie zu den Verhältnissen in anderen Ländern hier nicht Stellung nehmen wollen, frage ich Sie, ob Sie Gewalt als Mittel der Politik, auf unsere Verhältnisse bezogen, generell und absolut ablehnen oder ob Sie diese nur relativ ablehnen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gerster, solange die Verfassungsverhältnisse in der Bundesrepublik so wie jetzt sind, ist dies abzulehnen. Allerdings postuliert Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes ein Widerstandsrecht für den Fall, daß die Verfassungsverhältnisse durch verfassungswidrige Maßnahmen geändert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.
Herr Staatsminister, bedeutet Ihr Hinweis auf das Widerstandsrecht als ein innerstaatliches Widerstandsrecht, daß Sie auswärtigen Staaten das Recht zubilligen, selbst zu entscheiden, wann nach ihrer Meinung ein Widerstand gegen den Staat berechtigt ist und wann daraufhin auch von außen in diesen Staat eingegriffen werden darf?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben eben selber den Problembereich der zwischenstaatlichen Beziehungen, der durch Art. 52 der Charta der Vereinten Nationen abgedeckt ist, unterschieden. Hier folgen wir uneingeschränkt dem Gewaltverzicht.Was nun die innerstaatlichen Verhältnisse angeht, so habe ich einen allgemeinen Rechtsgedanken dargestellt. Es kann selbstverständlich nicht ausschließlich die Entscheidung eines Staates in seinem eigenen Bereich sein, ob dieser Rechtsgedanke Anwendung finden kann oder nicht. Dann könnte ja die Feststellung eines Staates, daß bei ihm der Rechts-
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9124 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Staatsminister Dr. von DohnanyiBedanke des Widerstands nicht gelten kann, dazu führen, daß dieses Widerstandsrecht entfallen würde. Dies aber erscheint mir nach logischen Gesichtspunkten nicht möglich.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.
Herr Staatsminister, würden Sie nicht trotz Ihrer Zurückhaltung, Einzelfälle von. innerstaatlichem Widerstandsrecht aufzuführen, für die Bundesregierung den Fragestellern der Union einmal darlegen, warum z. B. die Männer des 20. Juli, zu denen ja auch Ihr Vater gehört hat, berechtigt waren, gegenüber. dem Verbrecherregime des NS Gegengewalt zu üben, warum sie dafür moralisch legitimiert waren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin sicher, daß eine Fraktion, in der ein Sohn des Grafen Stauffenberg sitzt, in dieser Frage eigentlich keiner Belehrung bedarf. Aber — —
— Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben geklatscht, bevor ich mein „aber" fortführen konnte. — Aber es ist natürlich bedauerlich, daß in Ihrer Fraktion, in der diese Erfahrung und Kenntnis doch vorhanden ist, offenbar Unterschiede gemacht werden, die, so scheint mir, ganz wesentlich darauf zurückzuführen sind, aus welchen politischen Überzeugungen heraus das Widerstandsrecht in Anspruch genommen wird oder gar welcher Hautfarbe jemand ist, der das Widerstandsrecht in Anspruch nimmt.
Auf diese, so meine ich, gefährliche Differenzierung weist die Frage von Herrn Ehmke hin.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Meinung des Herrn Bundesministers Offergeld, daß wir es hinzunehmen haben, wenn sich souveräne Länder dazu entschließen, den bewaffneten Kampf zu unterstützen, damit die Mehrheit zu ihrem Recht kommt?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hoffacker, Ihre Frage veranlaßt mich, an dieser Stelle etwas grundsätzlicher auszuholen. Ich hoffe, daß es mir der Herr Präsident genehmigen wird. Gerade aus christlichen Gesichtspunkten heraus scheint es mir wesentlich zu sein, auf einige wichtige Äußerungen der Kirchen zu verweisen, die hier eine große Rolle spielen.Ich möchte zunächst mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der Enzyklika populorum progressio Papst Pauls VI. zitieren. Hier heißt es unter Ziffer 30:Es gibt ganz sicher Situationen, deren Ungerechtigkeit zum Himmel schreit. Wenn ganze Völker, die am Mangel des Notwendigsten leiden,unter fremder Herrschaft gehindert werden, irgend etwas aus eigener Initiative zu unternehmen, zu höherer Bildung aufzusteigen, am sozialen und politischen Leben teilzunehmen, dann ist die Versuchung groß, solches gegen die menschliche Würde verstoßende Unrecht mit Gewalt zu beseitigen.Dann fährt Papst Paul VI. in Ziffer 31 fort:Trotzdem: Jede Revolution, ausgenommen im Fall der eindeutigen und lange dauernden Gewaltherrschaft, die die Grundrechte der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl des Landes ernsten Schaden zufügt,— dies also ausgenommen —zeugt neues Unrecht, bringt neue Störung des Gleichgewichts mit sich, ruft neue Zerrüttung hervor.Ich kann hieraus nur schließen, daß für Papst Paul VI. nach dieser Enzyklika bestimmte Bedingungen möglich, denkbar gewesen sind, unter denen Gewaltanwendung unvermeidlich ist.Ich darf ferner, Herr Präsident, auf den Bericht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, des Landesbischofs Dr. Helmut Class, hinweisen, der — veröffentlicht mit Datum vom 5. November 1978 auf der 7. Tagung der 5. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Bethel im Zusammenhang zu folgenden Feststellungen kommt. Zunächst, so scheint mir, wird von denjenigen, die hier die Gewaltfrage so einseitig beantworten, übersehen, daß sich auch die Kirche intensiv, kritisch und streitig mit dieser Frage auseinandergesetzt hat.
Hier heißt es — ich zitiere —:Schwierige theologische und ethische Fragen sind aufgebrochen. Die Gewaltfrage ist geradezu zum Paradigma der Theologie des politischen Handelns der Kirche geworden.An anderer Stelle heißt es fortfahrend:Die Kirche weiß: was der Mensch Gott wert ist, kann es nie rechtfertigen, wenn menschliches Leben durch strukturelle oder revolutionäre Gewalt unterdrückt, gequält und ausgelöscht wird.Aber Bischof Class fährt fort — ich zitiere wieder —:Jedes gesellschaftliche System, das seine Bürger in einem Zustand von Ungerechtigkeit, Unfreiheit und Ausbeutung festhält, provoziert auf die Dauer den Willen zu Widerstand und Befreiung. Das hat auch die Geschichte und Nachgeschichte des westlichen Kolonialismus deutlich gemacht. Die nationalen Befreiungsbewegungen nach 1945 haben in Afrika alle in der Illegalität angefangen. Sie sind angetreten mit der Absicht, die bestehende Fremdbestimmung zu beenden. Viele haben ihr Ziel erreicht und dann die Regierungsgewalt in einem unabhängigen Staat übernommen, ohne daß es in den notwendigen Auseinandersetzungen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9125
Staatsminister Dr. von Dohnanyi— in den notwendigen Auseinandersetzungen! —umfassend zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekommen ist.Bischof Class fährt fort:Jede revolutionäre Gewalt ist ambivalent. Auch sie kann entarten und damit die Freiheit zerstören. An anderer Stelle heißt es:Aus der Tatsache, daß Gewalt angewendet wird, folgt nicht, daß Gegengewalt rechtmäßig ist. Es kann aber daraus auch nicht gefolgert werden, die Haltung absoluter Gewaltlosigkeit sei die christliche Antwort schlechthin. Wer als Versöhnter lebt, bekommt keinen Urlaub vom Tun des Gerechten.Zum Schluß — wenn ich dieses Zitat noch anfügen darf — bezieht sich der Ratspräsident auf den Ökumenischen Rat von Addis Abeba aus dem Jahr 1971. Dort heißt es:Wir stellen fest, daß wir nicht richten wollen, die sich zur Gewaltanwendung als letztem Ausweg gezwungen sehen, um den Weg in eine neue, gerechtere Gesellschaftsordnung zu öffnen.Ich wollte damit, Herr Präsident, beschreiben, daß die umstrittene Frage, unter welchen Umständen Gewalt möglicherweise unausweichlich ist, nach der Auffassung beider Kirchen eine Frage ist, die nur vom eigenen Gewissen und nur in der Situation selbst entschieden werden kann. Deswegen können Sie von der Bundesregierung nicht erwarten, daß sie zu Einzelfällen Stellung nimmt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, indem ich Ihre Unterstellung zurückweise, daß bei uns möglicherweise rassistische Vorstellungen herrschen, und daran erinnere, daß wir hier auf die Universalität des Gewaltverzichtprinzips hinweisen, möchte ich Sie fragen: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es angesichts der. gewaltsamen Teilung des deutschen Volkes durch die unmenschlichste Grenze der Erde und der auch nach Auffassung des Bundeskanzlers Schmidt — ich erinnere an seine Äußerungen beim Carter-Besuch — menschenrechtswidrigen Zustände in der DDR verantwortlichen Politikern der Bundesrepublik Deutschland gut anstehen würde, in der Frage der Gewaltanwendung gegen ungerechte und menschenrechtswidrige Herrschaft ganz besonders zurückhaltend zu sein, weil sonst die Ungerechtigkeit und Menschenrechtswidrigkeit, die dem deutschen Volk angetan werden, in Vergessenheit geraten könnten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, ich kann mir nicht vorstellen, daß dies in
Vergessenheit gerät — gerade in diesen Tagen, wo deutlich wird, daß die Politik der Bundesregierung, die auf den friedlichen Wandel der Verhältnisse und auf die Auflockerung der Beziehungen ausgerichtet ist, neue Erfolge zeigt.
Ich möchte hinzufügen, Herr Kollege, daß dann, wenn ein Einzelfall zur Diskussion steht, auch in diesen Fällen über den Einzelfall zu reden sein wird. Aber Sie können von mir hier keine generelle Feststellung erwarten.
Eine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Schulte .
Herr Staatsminister, die dieser Frage und den nachfolgenden Fragen zugrunde liegenden Gedanken betreffen ausschließlich die Gewalt. Sind sie nicht mit mir der Auffassung, daß für uns hier in der Bundesrepublik die zentrale Frage lauten muß, wie wir diesen Menschen, insbesondere im südlichen Afrika, deren Menschenrechte nicht anerkannt werden, die keine demokratischen Rechte haben und die zum Teil bittere Not leiden, am besten helfen können und mit welchen Mitteln wir über diesen Weg dort unten zum Erfolge kommen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist richtig, Herr Kollege. Die Zitate, die die Opposition veranlaßt haben, diesen Teil der Fragestunde so intensiv zu bestreiten, nämlich die Zitate aus Reden des Abgeordneten Willy Brandt und des Kollegen Wischnewski, waren inhaltlich auf diese Art der Hilfe ausgerichtet.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatsminister, habe ich Sie bei Ihrer einleitenden Antwort zu dieser Frage richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, die Bundesregierung halte sich „zunächst" an die Charta der Vereinten Nationen, und darf ich fragen, wann sich die Bundesregierung nicht an die Charta der Vereinten Nationen halten wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben mich sicherlich mißverstanden. Denn was ich sagen wollte, ist ja selbstverständlich. Ich wollte sagen: Es gibt zwei Aspekte; es gibt für die zwischenstaatlichen Beziehungen „zunächst" — das heißt, dies habe ich zunächst behandelt — die Charta der Vereinten Nationen, und es gibt dann für ,die innerstaatlichen Fragen einen allgemeinen Rechtsgedanken, den ich unter Bezugnahme auf Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes charakterisiert habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer.
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9126 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß das von Ihnen angesprochene Widerstandsrecht auch das Recht gibt, Gewalt gegen unschuldige Zivilpersonen anzuwenden, und wenn Sie nicht dieser Auffassung sind: Mit welchem Recht fordern Sie dann eine Unterstützung beispielsweise der Patriotischen Front oder der SWAPO, die nachweisbar Gewalt gegen unschuldige Zivilpersonen anwendet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Todenhöfer, selbstverständlich kann Gewalt gegen Unschuldige nie gutgeheißen werden, auch nicht die gegen Zivilpersonen.
Das ist doch selbstverständlich. Aber es ist leider so, daß Gewaltakte, die auf Grund der Apartheid im südlichen Afrika von beiden Seiten ausgelöst werden, an der Zivilbevölkerung nicht schadlos vorübergehen. Das ist ein weiterer Grund, warum die Bundesregierung so intensiv auf den friedlichen Wandel im südlichen Afrika drängt.
Lassen Sie mich hinsichtlich Ihrer Frage ein Zitat eines Sachkenners, gerade dieses Bereiches, anführen. Der ehemalige rhodesische Ministerpräsident Garfield Todd — ein liberaler Politiker, wie Sie wissen —, der sich in diesen Tagen zu Gesprächen mit Regierung und Kirchenvertretern in den USA aufhielt und anschließend Großbritannien besuchte, erklärte in einem Telefongespräch mit dem Evangelischen Pressedienst vom 8. November 1978, den ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren darf — man braucht ja nur in die aktuelle Kirchenpresse zu schauen, um die richtigen Positionen zu finden, Herr Kollege —,
viele Kirchen würden den notleidenden Menschen innerhalb Rhodesiens über Wohlfahrtsorganisationen helfen. Er fügt hinzu, es sei hinsichtlich der Notwendigkeit der Hilfe unbestritten, daß die Patriotische Front für Tausende von Flüchtlingen in Mozambique, Sambia und Botsuana zu sorgen habe, die Rhodesien wegen der „unerträglichen Situation" verlassen hätten. Es ist also kein Zweifel, Herr Kollege Todenhöfer, daß die Patriotische Front auch eine solche Aufgabe erfüllt. Die Zitate, auf die Sie hier Bezug nahmen, unterstreichen ausdrücklich die Unterstützung im humanitären Bereich.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß das Recht auf Widerstand gegen totalitäre Unterdrückung — unabhängig von der Hautfarbe des Unterdrückenden und des
Widerständlers — mit gleichem Maß gemessen werden muß, ganz gleich, ob dies, wie vorhin erwähnt, ein nationalsozialistisches oder ein kommunistisches Unrechtsregime ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß es eine Differenzierung in der Grundsatzfrage nicht geben kann, daß es aber darauf ankommt, im Einzelfall zu entscheiden. Ich frage mich, warum Sie mir erneut eine Frage stellen, die ich bereits beantwortet habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, sind Sie auch der Auffassung, daß die Bundesrepublik angesichts der noch nicht so lange vergangenen Geschichte, in der ein großer Teil des deutschen Volkes gerade in bezug auf Rassismus große Schuld auf sich geladen hat, im Kampf gegen Rassismus an vorderster Stelle stehen und nicht, wie der Kollege Mertes sagt, sich darin vornehm zurückhalten sollte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Antwort ist uneingeschränkt ja.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Köhler.
Herr Staatsminister, ich beziehe mich auf Ihre umfangreiche Antwort mit den längeren Zitaten. Darf ich daraus schließen, daß sich die Bundesregierung die Meinung der Kirchen in diesen Fragen zu eigen macht und sie zu ihrer politischen Leitlinie erhebt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Köhler, ich habe deutlich gesagt, warum ich das zitiere. Ich habe es zitiert, um klarzumachen, daß die Frage eine differenzierte und komplexe Frage ' ist, die im Einzelfall entschieden werden muß. Ich habe in Beantwortung der Frage, die an mich gerichtet war, ob ich grundsätzlich der Auffassung sei, daß niemals die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt sein könnte, sowohl Papst Paul VI. als auch Landebischof Class zitiert, die beide für diese Frage eine differenzierende und auf den Einzelfall ausgerichtete Antwort geben. Dieses Ihnen deutlich zu machen habe ich versucht. Ich bin sicher, daß das den Rollegen auch verständlich geworden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Corterier.
Herr Staatsminister, da sich der Kollege Todenhöfer eben gegen Gewalt gewandt hat, die gegen Frauen und Kinder gerichtet ist, möchte ich Sie fragen: Ist es angesichts solcher
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Dr. CorterierÄußerungen verständlich, daß immer wieder Politiker der Opposition, wie z. B. Franz Josef Strauß, die „Unita"-Bewegung in Angola öffentlich unterstützen, die gerade wieder in den letzten Tagen Anschläge verübt hat, bei denen viele Unschuldige gestorben sind?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich sagte, Herr Kollege Corterier, daß im südlichen Afrika, verursacht durch die Apartheid-Politik der Republik Südafrika und des Smith-Regimes, eine Lage entstanden ist, die zunehmend zur Anwendung von Gewalt führt. Es ist dann sehr schwer zu beurteilen, wer was wann wo getan hat. Wir verurteilen selbstverständlich auch Anschläge, wie sie von der „Unita" berichtet worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Friedmann;
Herr Staatsminister, nachdem Sie wiederholt auf die Haltung beider Kirchen hingewiesen haben, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, in Zukunft generell die Haltung der Kirchen vor allem bei ihren gesellschaftspolitischen Vorhaben, wie etwa bei der Neuordnung des elterlichen Sorgerechts, verstärkt zu berücksichtigen oder etwa — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Friedmann, diese Frage gehört nicht in Zusammenhang mit der gestellten Frage.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich bedaure, daß Sie mir die Chance der Beantwortung nicht gegeben haben.
Herr Staatsminister, der erste Teil der Frage war durchaus noch im Bereich Ihrer Zuständigkeit. Damit ist auch die Möglichkeit zu antworten gegeben.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich bedanke mich, Herr Präsident. — Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß, wenn wir die Zielsetzungen der Kirchen im sozialen Bereich, im Bereich der Entspannung und im Bereich der Rassenpolitik zu den Grundlagen der Politik dieses Hauses machten, die Opposition ihre Position grundsätzlich verändern müßte, um mit den christlichen Kirchen übereinzustimmen.
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9128 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.
Herr Staatsminister, würden Sie mir recht geben, daß, wenn man so weit geht, die Zusammenarbeit mit solchen Völkern, Organisationen oder Staaten aufzugeben, solange dort bei Gewalttaten Unschuldige — Frauen und Kinder — verletzt werden, wir etwa dahin kämen, jegliche Kooperation z. B. in Südafrika aufzugeben, weil dort ein Großteil der Bürger weder Bürgerrechte noch politische Rechte hat, weil willkürliche Festnahme und Mord auf der Tagesordnung stehen; und das kann ja wohl nicht gemeint sein bei der Frage unseres Kollegen Gerster?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, wenn Sie unterstreichen wollen, daß die Anwendung der Apartheid in der Republik Südafrika eine Form von Gewalt ist, die an unschuldigen Frauen und Kindern ausgeübt wird, dann unterstreiche ich dies ebenfalls. Daß wir dennoch mit der Republik Südafrika nicht nur diplomatische Beziehungen, sondern auch wirtschaftliche Beziehungen haben, geschieht, um den Wandel auf friedlichem Wege zu unterstützen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Petersen.
Herr Staatsminister, ich möchte auf das zurückkommen, was Sie. in bezug auf die SWAPO gesagt haben. Glauben Sie nicht, daß es klug wäre, wenn die Bundesregierung sich bei ihrer Unterstützung der SWAPO etwas zurückhielte, und zwar angesichts der Tatsache, daß Sam Nujoma, der Vorsitzende der SWAPO, selber vor gar nicht langer Zeit in New York erklärt hat, daß es ihm nicht um Mehrheitsherrschaft oder um Demokratie, sondern schlicht um Macht gehe?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Sie wissen, Herr Kollege, daß das zitierte Interview von dieser Stelle
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Staatsminister Dr. von Dohnanyiaus schon einmal korrigiert worden ist; ich kann Ihnen die Stelle nachweisen. Der Bundesminister hat längere Gespräche geführt, in denen sich eine solche Absicht und Zielsetzung nicht hat erkennen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gruhl.
Herr Staatsminister, auf welche Gründe stützt sich Ihre Vermutung, daß einmal eine mit Ihrer Hilfe zur Regierung kommende SWAPO nicht eine Gewaltherrschaft der Mehrheit gegen die Minderheit begründen wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist die Hoffnung, die wir haben müssen. Ich gebe zu, daß durch die Politik der Republik Südafrika in Namibia inzwischen eine solche Verbitterung unter den Schwarzen, insbesondere auch im Bereich der SWAPO, eingetreten ist, daß eine Prognose nicht mit Sicherheit getroffen werden kann. Aber unsere Hoffnung muß bleiben, friedlichen Wandel durch schwarze Mehrheitsrechte zu bewirken.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.
Wenn Sie, Herr Staatsminister, das Wort Nujomas nicht gelten lassen wollen, warum lassen Sie dann nicht das von der Außenwie von der Innen-SWAPO gemeinsam beschlossene Aktionsprogramm dieser Bewegung gelten, in dem die Gewaltanwendung, die Revolution und die Durchsetzung eines sozialistischen Staates gefordert werden — ohne jene demokratischen Rechte, wie wir sie begreifen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hoffe, ich muß nicht noch einmal auf das Zitat Papst Pauls VI. zurückkommen, das ich vorhin zitiert habe.
Das Problem besteht doch gerade darin, daß in Namibia auf Grund einer unrechtmäßigen Herrschaft der Republik Südafrika eine Lage entstanden ist, die nach Auffassung der SWAPO und anderer schwarzafrikanischer Gruppen die Gewalt als Alternative nicht mehr ausschließen läßt. Unter diesen Bedingungen ist auch die Bestätigung der SWAPO durch die Vereinten Nationen zu sehen. Die Bundesregierung pflegt die Beziehungen zur SWAPO wie zu anderen Gruppen in diesem Bereich mit dem Ziel, durch ihre Gespräche und durch Einfluß auf diese Gruppen den friedlichen Wandel zu ermöglichen. Aber die Tür zum friedlichen Wandel muß von Südafrika aufgemacht werden. Die Republik Südafrika allein hat den Schlüssel in der Hand.
Die letzten zwei Zusatzfragen. Zunächst Herr Abgeordneter Holtz.
Herr Staatsminister, ist es christlich, humanitäre Hilfe an Befreiungsbewegungen zu verweigern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich stehe hierfür die Bundesregierung und habe nicht die Möglichkeit, ein Urteil über christlich oder unchristlich abzugeben. Ich persönlich, wenn Sie mich fragen, würde annehmen, es gebiete die christliche Nächstenliebe, auch auf diesem Wege zu helfen.
Vizepräsident Stücklen: Abgeordneter Glos.
Herr Staatsminister, können Sie ausschließen, daß die von Ihnen vorhin angesprochene Erbitterung unter der Bevölkerung Namibias nicht auch auf die Terrorakte der SWAPO gegenüber Frauen und Kindern zurückzuführen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich sprach gerade von der Verbitterung derjenigen, die zu unserem Bedauern die Alternative der Gewalt in ihre Politik einbezogen haben. Um deren Verbitterung geht es. Es gilt, die Ursachen für diese Verbitterung festzustellen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch Fragen, die den gleichen Komplex berühren, so daß Zusatzfragen grundsätzlich auch dort noch unterzubringen sind.
Ich rufe Frage 82 des Abgeordneten Mertes auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, den bisher von allen Staatsorganen vertretenen Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland abzuändern, wonach Gewaltverzichts- und Gewaltverbotsgrundsatz der Charta der Vereinten Nationen nur eine Ausnahme kennt, nämlich das Recht jedes Staats auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung (Artikel 52 der VN-Charta) ?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, von ihrer bisherigen Haltung zu der umfassenden Geltung des in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Gewaltverzichts- und Gewaltverbotsgrundsatzes abzugehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß sich ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, der aus guten Gründen gerade auch in bezug auf die gravierenden Ungerechtigkeiten und die strukturelle Gewaltanwendung mitten in Deutschland, also gegen die eigene Nation, dem Grundsatz des Verzichtes auf die Androhung und Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele eine universale politische Bedeutung beimißt, in besonderer Weise für
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Dr. Mertes
eine gewaltlose Politik gegen gegenteilige Auffassungen einsetzt?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, Sie wiederholen, was ich sagte: Die Bundesregierung setzt sich für gewaltlose Lösungen ein. Allerdings möchte ich hinzufügen, daß wir gerade, weil wir selbst Erfahrung mit Unrecht haben, auch für das Unrecht in anderen Teilen der Welt empfindlich sein müssen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß angesichts dessen, was Sie eben dem Kollegen Mertes geantwortet haben, Äußerungen wie die des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Willy Brandt, auf dem Sozialistenkongreß in Vancouver, wo er sich im Sinne der Anwendung von Gewalt in bestimmten Fällen, wo sich Regime nur noch mit Gewalt an der Macht halten, geäußert hat, geeignet sind, die Politik der Bundesregierung in einem merkwürdigen Zwielicht erscheinen zu lassen und ihre klare und bisher von niemand bezweifelte politische Richtung als Politik der Gewaltlosigkeit international in Frage zu stellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich bedaure, daß Sie offenbar immer wieder aus unkorrekten Pressemitteilungen zitieren, anstatt auf die Originale zurückzugehen. Ich will Ihnen die Originaläußerung vorlesen. Sie lautet:
Regime, die sich selbst nur durch brutale Gewalt aufrechterhalten, dürfen sich über aktiven Widerstand nicht beklagen.
Es ist also auf das Widerstandsrecht Bezug genommen worden. Dann heißt es:
Gegengewalt kann manchmal notwendig sein.
Dies ist eine Definition des Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes. Ich sehe nicht, Herr Kollege Jäger, wie man sich so weit vom Grundgesetz entfernen kann, wie Ihre Äußerung dies eben deutlich macht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
— Ist es nicht.
Herr Abgeordneter Mertes, Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, indem ich zunächst einmal Ihre Unterstellung, daß es hier grundgesetzwidrige Kollegen gebe, zurückweise,
möchte ich Sie nach Ihren Hinweisen auf die besonderen Erfahrungen des deutschen Volkes mit Gewaltherrschaft — ich nehme an, bis heute — fragen, wie die Bundesregierung diese besondere Sensibilität des deutschen Volkes bei den Vereinten Nationen in bezug auf die heutige Gewaltherrschaft in einem Teil Deutschlands aktualisieren und politisch umsetzen will.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, die Bundesregierung geht ja weit über das hinaus, was sich im Rahmen der Vereinten Nationen bewirken läßt. Sie wissen, daß die Bundesregierung zur Linderung der Probleme in Deutschland eine Politik eingeleitet hat, die sowohl im humanitären als auch im politischen Bereich nachweisbar Erleichterungen geschaffen hat. Wir gehen also weit über das hinaus, was uns die Teilnahme an den Vereinten Nationen, von denen Sie uns — nicht Sie persönlich vielleicht, aber Ihre Fraktion — ausschließen wollten, möglich machen würde.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer.
Herr Staatsminister, es ist immer von der Tagung der Sozialistischen Internationale in Vancouver die Rede. Könnten Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die in der Sozialistischen Internationale vereinten Parteien mit ihrer Unterstützung der Friedens- und Reformpolitik überall in der Welt zur Abschaffung von Gewalt und dazu, sie überflüssig zu machen, mehr beigetragen haben als jene Kräfte, die überall in der Welt reaktionäre Politik unterstützen und sich dann anschließend scheinheilig über die Gewalt empören, die durch diese reaktionäre Politik hervorgerufen wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Ehmke, es ist ganz sicherlich so, daß Reformpolitik der einzige Weg ist, um Gewaltanwendungen einzugrenzen oder gar zu beseitigen. Ich unterstreiche, daß sich die Sozialistische Internationale nach dem Eindruck der Bundesregierung um diese Reformpolitik in der Welt bemüht.Was übrigens die Anwendung von Gewalt angeht, so heißt es, wenn ich es richtig sehe, in der Resolution der Sozialistischen Internationale wie folgt:
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Staatsminister Dr. von DohnanyiViele Länder müssen sich gegenwärtig mit der Bedrohung durch den-Terrorismus auseinandersetzen. Diese Bedrohung kommt von extremistischen Gruppen, die die Unterstützung oder Billigung ihrer Ansichten durch Gewalttaten, oft wahllos in ihrer Grausamkeit, erreichen wollen, die gleichermaßen moralisch nicht zu verteidigen und politisch wertlos sind. Der Terrorismus kann nicht gerechtfertigt werden.Dies ist, wenn ich es richtig weiß, Herr Kollege Ehmke, eine einstimmig angenommene Resolution der Sozialistischen Internationale.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Huyn.
Herr Staatsminister, erlauben Sie mir festzustellen —
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir festzustellen und zu fragen, daß Sie hier nicht nur gegenüber dem Kollegen Jäger in einer schwer zu beschreibenden Weise Feststellungen getroffen haben, sondern daß Sie außerdem
bei der Beantwortung dieser Frage von einem falschen Zitat ausgegangen sind. Nach dem mir vorliegenden Protokoll, das mir von der SPD-Pressestelle übermittelt worden ist, hat Herr Staatsminister Wischnewski in Vancouver erklärt, die Befreiungsbewegungen im südlichén Afrika bedürften —Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen — auch materieller Unterstützung.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Graf Huyn, zunächst möchte ich mein Bedauern ausdrücken, wenn sich der Kollege Jäger durch meine' Bemerkung vorhin persönlich getroffen fühlt.
— Ich bedaure das ausdrücklich; denn ich wollte damit sagen, Herr Reddemann, daß eine Distanzierung von einem Grundrecht, das wir selber haben, für Regionen in anderen Ländern der Welt nicht möglich ist. Wenn ich dem Herrn Kollegen Jäger durch meine Bemerkung Unrecht getan habe, bedaure ich dies ausdrücklich.
— Frau Kollegin, wenn ich ein Bedauern ausdrücke und auch sage, daß ich mich vielleicht geirrt habe, ist das nicht billig, sondern gehört eher zum guten Stil.
Ich habe die Frage jetzt nicht mehr genau im Kopf, Graf Huyn. Aber wenn ich mich richtig erinnere, wurde ich vorhin nach dem Abgeordneten Brandt und seiner Äußerung gefragt.
Ich wurde nicht nach Wischnewski gefragt. Ich hätte sonst beide zitiert. Aber ich bin gerne bereit, jetzt auch Wischnewski zu zitieren, allerdings, Herr Kollege, nicht mit „Punkt, Punkt, Punkt", sondern den ganzen Satz.
Der ganze Satz, der mir hier vorliegt, lautet wie folgt:
Die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika bedürfen nicht nur unserer Solidarität, sondern auch unserer politischen und humanitären, d. h. auch materiellen Unterstützung.
Ich muß ausdrücklich unterstreichen, daß wir die humanitäre Unterstützung der Befreiungsbewegungen nicht ausschließen können, schon deswegen nicht, Graf Huyn, weil der frühere Premierminister Todd in diesen Tagen im Evangelischen Pressedienst wieder bestätigt hat, daß diese Organisationen erhebliche humanitäre Leistungen erbringen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung mit der gesamten Welt einer Meinung — ich betone: mit der gesamten Welt außer der Republik Südafrika und offensichtlich der CDU/ CSU —, daß der Kampf gegen den Kolonialismus in Zimbabwe und Namibia ein legitimer Kampf ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, daran 'besteht gar kein Zweifel: Wir setzen uns mit aller Kraft für die friedliche Lösung des Namibia-Problems ein. Ich mußte hier heute morgen den Außenminister, weil er selber nicht anwesend sein konnte, gegenüber — so schien es mir - sehr fahrlässigen Bemerkungen von seiten der Opposition hinsichtlich des Einsatzes des Bundesministers für 'eine Politik der Lösung der Probleme Südafrikas im Interesse auch der Bundesrepublik Deutschland in Schutz nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung gewillt, die von Ihnen zitierte Gegengewalt außer mit humanitärer Hilfe auch mit finanziellen Mitteln für andere Zwecke, z. B. für Ausbildungslager, zu unterstützen?
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9132 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich darf noch einmal auf den Zusammenhang des Zitats aufmerksam machen. Das Zitat bezieht sich auf den aktiven Widerstand in der Republik Südafrika.
Wenn ein solcher aktiver Widerstand geleistet wird und wir z. B. Mittel für die Kirchen in Südafrika geben, die ihrerseits denjenigen, die dort verfolgt werden, den Widerstandskämpfern, beispielsweise Rechtshilfe gewähren, hätten wir natürlich nichts dagegen, wenn die Kirchen in Südafrika diese Mittel weitergäben, um den Widerstandskämpfern in Fragen der Rechtshilfe zur Seite zu stehen.
— Herr Kollege, ich mußte doch darauf aufmerksam machen, daß Sie einen anderen Zusammenhang hergestellt haben.
Selbstverständlich finanzieren wir keine Ausbildungslager
für Organisationen, die das Ziel zwischenstaatlicher Gewalt verfolgen. Das habe ich vorhin ja ausdrücklich gesagt, und deswegen verstand ich den Zusammenhang, den Sie hergestellt haben, nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster .
Herr Staatsminister, empfinden Sie es nicht als peinlich und bedrückend, daß Sie wie Herr Staatsminister Wischnewski wie auch andere Vertreter dieser Bundesregierung ständig über Land ziehen und Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in Südafrika erklären, es aber merkwürdigerweise immer versäumen, einmal Solidarität mit den Frauen und Männern und Kindern zu bezeugen, die von diesen Befreiungsbewegungen ermordet werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gerster, ich muß das ganz scharf zurückweisen. Die Bundesregierung setzt sich selbstverständlich nicht nur für Gewaltlosigkeit ein, sondern hat auch tiefes Mitleid und ist betroffen von dem Unheil, das im südlichen Afrika über Zivilpersonen kommt. Ich unterstreiche nur: Die Ursachen dieses Unheils liegen in der weißen Apartheid, sie kommen aus der Republik Südafrika und aus Rhodesien.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Köhler.
Herr Staatsminister, angesichts der Bedeutung, die in der Unterhaltung der letzten Minuten der Begriff der humanitären Hilfe spielt, frage ich Sie: Wären Sie bereit, mir hier präzise zu sagen, was nach Auffassung der Bundesregierung humanitäre Hilfé ist und was nicht mehr?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, lassen Sie mich den zweiten Teil der Frage aufnehmen und die Antwort damit erleichtern: Humanitäre Hilfe kann natürlich nicht eine unmittelbare Unterstützung von Gewaltanwendung sein. Infolgedessen haben wir dies nie, an keiner Stelle getan, und wir haben auch Unterstellungen, wir würden das tun, widerlegen können.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung derjenigen Staaten und politischen Bewegungen, die das Recht auf Widerstand gegen ungeredite Staatsgewalt dahin gehend auslegen, daß es den Kampf der sogenannten Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt einschließlich der Anwendung von bewaffneter Gewalt gegen ungerechte Staatsgewalt legitimiert bzw. daß es nicht nur den Kampf der sogenannten Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, sondern auch den Kampf potentieller Befreiungsbewegungen im sowjetischen Machtbereich, einschließlich der Anwendung von Gewalt gegen ungerechte Staatsgewalt, legitimiert (Volksrepublik China u. a.) ?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung, die sich zu einem uneingeschränkten Gewaltverzicht bekennt, teilt diese Auffassung nicht. Auf den zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich antworten: Ich verweise erneut darauf, daß für die Bundesrepublik Deutschland das Widerstandsrecht in Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes geregelt ist. Diese Bestimmung gibt einem allgemeinen Rechtsgedanken Ausdruck, über dessen Anwendung im- Einzelfall die Bundesregierung, wie ich schon wiederholt gesagt habe, keine Auskunft geben kann.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, könnten Sie dem Hohen Hause, insbesondere der Frau Kollegin Erler, noch einmal erläutern, warum die Bundesrepublik Deutschland und die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in den Vereinten Nationen ausdrücklich die Verwerflichkeit einer doppelten und selektiven Moral in allen diesen Fragen dargelegt haben?
Dr. von 'Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist ja schon nach der Antwort auf Ihre Frage ganz klar, daß wir das Prinzip des Gewaltverzichts uneingeschränkt für richtig halten und daß wir davon ausgehen, daß im Einzelfall das Widerstandsrecht, das bei uns gilt, wohl auch in anderen Ländern Geltung haben kann. Das ist, glaube ich, der Kollegin Erler auch klar gewesen, bevor Sie diese Frage an mich gerichtet haben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9133
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie vereinbaren Sie eigentlich Ihre Verweigerung der Konkretisierung Ihrer Aussagen mit der Tatsache, daß Sie dann aber in bestimmten, selektiven Fällen doch konkret werden und damit selbst die doppelte Moral betreiben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist nicht richtig. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir das Widerstandsrecht aus dem Grundgesetz für uns ableiten. Ich verweise noch einmal darauf: Wir gehen davon aus, daß hier ein allgemeiner Rechtsgedanke zur Anwendung kommt und daß dieser auch in anderen Ländern Geltung haben kann und nach unserer Überzeugung haben sollte, und wir können dort nur über den Einzelfall entscheiden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, da der Kollege Mertes auf die Kongruenz der Grundsätze sowohl gegenüber den Ländern der Dritten Welt als auch gegenüber den Ländern des sowjetischen Machtbereichs hingewiesen hat, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung — im Hinblick auf Ihre vorangegangene Antwort — z. B. auch humanitäre Hilfe für die Opfer des polnischen Arbeiteraufstandes in Radum und Ursus geleistet hat.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, Sie wissen, daß wir in unseren Beziehungen zur Volksrepublik Polen immer wieder deutlich gemacht haben, was wir dort von der Verwirklichung gewisser Menschenrechte halten. Auch der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in der Volksrepublik Polen, ebenso wie übrigens der Außenminister, auf diese Zusammenhänge hingewiesen. Insofern machen wir keine selektive Politik. Wir können aber nur im Einzelfall entscheiden.
Keine weiteren Zusatzfragen? —
Ich rufe die Frage 84 des Abgeordneten Bühler auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es mit Artikel 2 Ziff. 3 und 4 der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar ist, die gewaltsame Bekämpfung auch solcher Regierungen in Betracht zu ziehen, die sich selbst mit gewaltsamen Mitteln an der Madit halten, und was wird die Bundesregierung bejahendenfalls unternehmen, um dies der deutschen Öffentlichkeit angesichts in jüngster Zelt geäußerter Auffassungen zu verdeutlichen, wonach manchmal die Anwendung von Gewalt zur Bekämpfung von Regimen erforderlich sei, die durch Gewalt aufrechterhalten werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen Staaten ist mit
der Friedenspolitik und der Politik des Gewaltverzichts der Bundesregierung nicht vereinbar. Allerdings muß ich darauf hinweisen, daß Art. 2 Ziffern 3 und 4 der Charta der Vereinten Nationen ausschließlich das Gewaltverbot im Verhältnis von Staaten untereinander, nicht im Verhältnis von Bürger und Staat behandelt.
Keine Zusatzfrage? — Auch keine weiteren Zusatzfragen? —
Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Bühler auf:
Trifft es zu, daß Staatsminister Wischnewski bei der Tagung der Sozialistischen Internationale in Vancouver zu verstärkter Unterstützung von sogenannten afrikanischen Befreiungsorganisationen, darunter der offene Gewalt befürwortenden SWAPO, aufgefordert hat, und teilt die Bundesregierung diese Auffassung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Bühler, der Kollege Wischnewski hat auf der Tagung der Sozialistischen Internationale in Vancouver, an der er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Beziehungen des Parteivorstandes der SPD und als Mitglied des SPD-Parteivorstandes teilgenommen hat, nach meinen Informationen — ich habe das bereits zitiert — folgendes gesagt:
Die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika bedürfen nicht nur unserer Solidarität, sondern auch unserer politischen und humanitären, das heißt auch materiellen Unterstützung.
Die Bundesregierung hat es sich an sich zur Regel gemacht, zu Äußerungen von Mitgliedern dieses Hohen Hauses nicht Stellung zu nehmen, wenn diese nicht als Mitglieder der Regierung, sondern in anderen Eigenschaften in anderen Ländern Äußerungen von sich geben. Die Bundesregierung hat jedoch immer wieder unterstrichen, daß humanitäre Hilfeleistung an Befreiungsbewegungen einer Politik des friedlichen Wandels nicht entgegensteht. Die Fragestunde hat das ja hier eben noch einmal deutlich gemacht. Im übrigen verweise ich bezüglich der grundsätzlichen Haltung der Bundesregierung auf meine hier bereits gemachten Ausführungen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung keinen Gegensatz darin, daß Mitglieder der Bundesregierung bei allen möglichen Gelegenheiten das Wort von der Friedenspolitik in den Mund nehmen und andererseits die gleichen Mitglieder dieser Bundesregierung zur Unterstützung von Organisationen auffordern, die, wie wir festgestellt haben, nachweislich mit undemokratischer Zielsetzung und unfriedlichen Mitteln arbeiten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich will es noch einmal erläutern. Nach den mir vorliegenden Zitaten sowohl des Abgeordneten Wischnewski als auch des Abgeordneten Brandt ist in keinem der Fälle die Frage des Gewaltverzichts auch
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Staatsminister Dr. von Dohnanyinur angeschnitten. Der Kollege Wischnewski hat eben in seinen Äußerungen ganz deutlich gemacht, daß es um die politische und humanitäre, d. h. auch materielle, Unterstützung geht. Für die Bundesregierung ist das durchaus mit unserer Politik vereinbar.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie sprachen vorhin davon, daß die Bundesregierung den friedlichen Wandel im südlichen Afrika befürwortet. Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß die CDU/CSU dieselbe Zielsetzung vertritt, aber einen Widerspruch darin sieht, durch Unterstützung von Organisationen, die nachweisbar nicht dieselbe Zielsetzung haben, den friedlichen Wandel herbeiführen zu wollen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin ganz sicher, daß es in diesem. Hause niemanden gibt, der nicht den Frieden will, und niemanden, der nicht den friedlichen Wandel im südlichen Afrika will. Aber in der Politik geht es ja um die Frage, ob die angewandten Mittel zu dem erwarteten Erfolg führen können. In der Entspannungspolitik scheint mir die Position der Opposition in der Frage der Friedenssicherung nicht erfolgreich sein zu können, und auch die Politik, die die Opposition in der Frage des südlichen Afrika in diesem Hause vertritt, scheint mir auf Dauer einen friedlichen Wandel in Afrika nicht sicherstellen zu können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Sieht die Bundesregierung in den Äußerungen von Staatsminister Wischnewski, die von der Opposition beanstandet werden, übereinstimmende Momente mit Aussagen kirchlicher Vertreter aus Südafrika?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatsminister, halten Sie es theoretisch für möglich, daß die Bundesregierung eine. Gruppe politisch, humanitär und materiell unterstützt, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Unrechtsregime in der Sowjetunion zu beseitigen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe gerade auf eine ähnliche Frage des Kollegen Mertes geantwortet. Die Bundesregierung kann keine hypothetischen Fragen beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, befürchten Sie nicht, daß die Politik der Bundesregierung, die auf eine Unterstützung von Befreiungsbewegungen aller Art gerichtet ist — Sie haben das vorhin skizziert —, dazu führen muß, daß auch in anderen Teilen der Welt — vor allen Dingen in solchen Teilen der Welt, die uns viel näher liegen als Südafrika - Befreiungsorganisationen zu der Auffassung gelangen, man habe erst dann die Chance auf eine Hilfe durch die Bundesregierung, wenn man möglichst gewalttätig und rabiat statt mit friedlichen Mitteln zu Werke gehe?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich habe diese Befürchtungen nicht. Wie wir in einigen Teilen Afrikas gesehen haben, wäre ein rechtzeitiger Kontakt mit Befreiungsbewegungen, die später durchaus in unserem Sinne eine friedenssichernde Politik betrieben haben, vielleicht besser gewesen. Ich erinnere nur an den Fall des früheren Mau-Mau-Führers und vor wenigen Monaten verstorbenen Präsidenten von Kenia, Kenyatta.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Holtz.
Herr Staatsminister, in den Fragen im Zusammenhang mit den Äußerungen von Herrn Wischnewski findet sich auch die ungeheuerliche Formulierung „kriegswillige Staaten". Meinen Sie nicht, daß das eine sehr starke Diffamierung von Staaten darstellt, zu denen die Bundesrepublik Deutschland in freundschaftlichen Beziehungen steht, und wie gedenken Sie, möglichen außenpolitischen Schaden abzuwenden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich glaube, der außenpolitische Schaden ist dadurch abgewehrt, Herr Kollege Holtz, daß diese Länder, ihre Regierungschefs und Regierungen, wissen, daß das nicht die Auffassung der Bundesregierung ist. In der Tat muß ich Ihre Auffassung teilen, daß sich einige dieser Länder gerade in den letzten Monaten an vorderster Front um friedliche Lösungen bemüht haben. Wir hatten die volle Unterstützung der afrikanischen Staaten für die westliche Namibia-Initiative. Ich bedaure nur, daß das den Fragestellern der Opposition offenbar nicht bekannt gewesen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.
Herr Staatsminister, würden Sie angesichts der moralischen Kategorien, die Sie durch kirchliche Zitate wiederholt eingeführt haben, auch die moralische Erwägung gelten lassen
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Amrehnund für durchschlagend halten, daß bei anscheinend gerechter Gewaltanwendung am Ende doch wenigstens die Hoffnung stehen muß, daß es zu besseren Verhältnissen als bisher kommt, daß es insbesondere demokratischer wird, als es bisher ist, und fühlen Sie sich in dieser moralischen Kategorie nicht durch die Erfahrungen widerlegt, die wir in einer ganzen Reihe von Ländern im südlichen Afrika gemacht haben?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Amrehn, die Demokratie ist nie wirklich sicher, und wir brauchen uns nicht bis nach Afrika bewegen, um zu wissen, daß es wichtige europäische Staaten waren, die noch vor wenigen Jahren von Diktaturen beherrscht wurden. Wir können niemals sagen, daß eine solche Veränderung nicht auch in einem afrikanischen Staat eintreten kann. Aber ich möchte es schärfstens zurückweisen, daß etwa alle von der weißen Vorherrschaft befreiten afrikanischen Staaten zu Diktaturen geworden seien. In vielen dieser Staaten wird der Versuch einer demokratischen und gerechteren Gesellschaft gemacht mit all den Schwierigkeiten, die Entwicklungsländer, wie Sie wissen, beim Aufbau der Demokratie haben.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becher.
Herr Staatsminister, unter Bezugnahme auf das vorhin von Ihnen zitierte Prinzip der Entspannungspolitik frage ich: Wie will die Bundesregierung der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, daß sie sich einerseits gegenüber den Staaten, mit denen wir die Ostverträge unter dem Gesichtspunkt des Gewaltverzichts geschlossen haben, zum Gewaltverzicht bekennt, obwohl dort vielleicht noch viel schrecklichere Unterdrückungsmaßnahmen als in Südafrika stattfinden, daß ,sie sich andererseits aber gegenüber den Entwicklungen in Südafrika unter Bezugnahme auf das Widerstandsrecht zumindest andeutungsweise zur Unterstützung von Gewaltmaßnahmen, ich will nicht sagen: bekennt, aber diese toleriert, was aus den Erklärungen des Herrn Ministers Wischnewski deutlich ersichtlich wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich bedauere — wenn mir die Bemerkung erlaubt wird daß am Ende einer so langen Fragestunde immer noch nicht klargeworden ist, was ich gesagt habe.
Ich habe einmal gesagt, daß sich die Bundesregierung uneingeschränkt zum Gewaltverzicht bekennt. Ich habe hinzugefügt, -daß die Bundesregierung auf Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes hinweist und hier- in einen allgemeinen Rechtsgedanken erkennt, den wir auch den Bürgern anderer Staaten nicht absprechen dürfen. Insofern ist die Position der Bundesregierung durchaus konsistent, und es gibt in der
Position der Bundesregierung keinerlei Widersprüche, Herr Kollege Becher.
Ich teile noch mit, daß die Frage 67 des Abgeordneten Wuwer, die Frage 68 des Abgeordneten Henke, die Frage 69 des Abgeordneten Krockert und die Frage 100 des Abgeordneten Dr. Hüsch von den Fragestellern zurückgezogen worden sind. Die übrigen, nicht mehr behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ein letztes Wort zu dieser Fragestunde für die. Regierungsbank und die Bänke der Abgeordneten: Die Tugend der Duldsamkeit sollte auf beiden Seiten geübt werden. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über das Ergebnis der Verkehrsverhandlungen mit der DDR
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Jahren waren die Bemühungen um eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten zeitweise mühsam, und es mußten auch Rückschläge hingenommen werden. Unbestreitbaren Fortschritten auf der einen Seite, wie z. B. beim Reiseverkehr mit der DDR, bei der Familienzusammenführung, im Post- und Telefonverkehr, in der Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, der Rekonstruktion der Autobahn Berlin-Helmstedt, standen Schwierigkeiten und Stagnation auf anderen Gebieten gegenüber. Um so bedeutsamer ist die Tatsache, daß heute in Ost-Berlin eine Reihe wichtiger Vereinbarungen unterzeichnet wird, die in erster Linie für Berlin von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, die in erster Linie die Verkehrsverbindungen nach Berlin betreffen. Außerdem kommt voraussichtlich noch in diesem Monat oder Anfang Dezember das wichtige Regierungsprotokoll über dié Arbeit der Grenzkommission zum Abschluß. Beiden Vorgängen mißt die Bundesregierung eine so erhebliche politische Bedeutung bei, daß sie das Plenum des Deutschen Bundestages unterrichtet. Worum geht es im einzelnen?Erstens. In den nächsten vier Jahren wird eine druchgehende Autobahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg geschaffen. Die Bundesrepublik wird sich an den Baukosten der DDR für diese Transitautobahn mit 1200 Millionen DM, verteilt auf vier Jahre, beteiligen. Für die neue Autobahn, die an die Stelle der bisherigen Transitstrecke tritt, wird in vollem Umfang die Privilegierung des Transitabkommens, die auf dem Viermächteabkommen beruht, gelten. In Berlin und Schleswig-Holstein werden für die neue Transitautobahn zusätzli-
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Bundesminister Frankeche Übergänge eingerichtet. Die bisherigen Übergänge Horst und Staaken bleiben für den Reiseverkehr, d. h. also für den grenznahen Verkehr, für den Wechselreiseverkehr und für den Transitverkehr in Drittländer, geöffnet. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn der Übergang Staaken über 1984 hinaus auch auf Dauer für den Transitverkehr offengehalten würde. Die Bundesregierung hat die Absicht, diesen Punkt in die für 1980 vorgesehenen Verhandlungen erneut aufzunehmen.Zweitens. Damit der Binnenschiffsverkehr nach Berlin in dem bisherigen Umfang aufrechterhalten werden kann, wird die DDR an den Transitwasserstraßen nach Berlin und am Schiffshebewerk Rothensee dringend notwendige Reparaturarbeiten durchführen. Wir werden uns an diesen Kosten in den nächsten drei Jahren mit 120 Millionen DM beteiligen.Drittens. Zur Verbesserung des Schiffsverkehrs in Berlin wird der Teltow-Kanal für 70 Millionen DM instandgesetzt und für den durchgehenden Schiffsverkehr wieder geöffnet. Auf diesen Verkehr werden die Bestimmungen des Transitabkommens analog Anwendung finden, so daß für die im Transitverkehr fahrenden Schiffe auf dem Teltow-Kanal die gleichen Rechte gewährleistet sind wie auf den eigentlichen Transitstrecken.Viertens. Für 1980 sind Verhandlungen über weitere Verkehrsverbesserungen vorgesehen, an denen sich die Bundesregierung bis zu einer Höhe von 500 Millionen DM beteiligen wird. Gegenstand dieser Verhandlungen wird z. B. der Ausbau des Übergangs Wartha-Herleshausen sein. Weitere Verbesserungen sollten dabei natürlich auch wiederum vorrangig dem Ziel dienen, den Zugang von und nach Berlin den erforderlichen Entwicklungen anzupassen und zu verbessern.Fünftens. Im Interesse einer reibungslosen Entwicklung des Berlin-Verkehrs wird die Transitpauschale ab 1980 für zehn Jahre auf jährlich 525 Millionen DM festgelegt. Maßgebend hierfür sind gewesen das zu erwartende steigende Verkehrsaufkommen, die Berücksichtigung der Entwicklung des Geldwertes und als Faktor der Stabilität mit besonderer Gewichtigkeit die Langfristigkeit der Festlegung für die gesamten 80er Jahre.Sechstens. Zur Beseitigung bestehender Schwierigkeiten im nichtkommerziellen Zahlungsverkehr wird die DDR in den nächsten vier Jahren insgesamt 200 Millionen DM für den Transfer von Guthaben unserer Bürger aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stellen.Der finanzielle Aufwand, den diese sechs Vereinbarungen mit sich bringen, ist erheblich. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß sich die Beträge auf mehrere Jahre verteilen. Aber dafür werden von der DDR spezifizierte Sachleistungen erbracht, die in unserem Interesse liegen.Manche sind offenbar der Meinung, wir hätten diese Projekte billiger bauen können. Das mag stimmen. Aber wir bauen diese Projekte nicht. Und ein echter Vergleich von Kosten hier und Kostendrüben ist nicht möglich. Vor allem können wir die Tatsache nicht außer acht lassen, daß die Nordautobahn durch das Gebiet der DDR führt und daher von ihr zu bauen ist.Darum ist es eine gründliche Verkennung der Situation, wenn behauptet wird, die Bundesregierung bezahle für die Autobahn und die anderen Projekte einen unvertretbar hohen Preis. Tatsache ist, daß die Bundesregierung vor der Wahl stand, ob sie eine Autobahn Berlin—Hamburg will, die zu dem jetzt vereinbarten Preis zu haben ist, oder ob sie wegen des Preises besser darauf verzichten wollte. Das war die Frage, vor der wir standen.Wir haben den Verhandlungsspielraum ausgeschöpft und uns dann nach sorgfältiger Prüfung dafür entschieden, das Angebot der DDR zu akzeptieren und damit die Chance zu nutzen, den Verkehr zwischen Berlin und Norddeutschland erheblich schneller und bequemer zu machen.
Wir haben diese Chance genutzt. Niemand kann sagen, ob sie sich in der nahen oder der ferneren Zukunft noch einmal stellt.Finanziell erheblich ins Gewicht fällt ferner die Erhöhung der Transitpauschale. Wie Sie wissen, beträgt diese Pauschale seit 1975 400 Millionen DM jährlich. Wir haben uns gefragt, ob eine Erhöhung zu rechtfertigen ist, und sind zu dem folgenden Ergebnis gekommen: Mit der Transitpauschale werden Benutzungsgebühren abgegolten, die, wie anderswo, bedauerlicherweise nicht gleich bleiben, sondern eine steigende Tendenz haben. Erhöhungen sind nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch in Berücksichtigung des Problems der Geldentwertung und des steigenden Verkehrsaufkommens. Dafür ist es uns gelungen, die Pauschale langfristig auf zehn Jahre festzulegen. Damit werden wir in der leidigen Frage der Transitgebühren für eine lange Periode Ruhe haben und uns nicht immer wieder Nachforderungen ausgesetzt sehen. Das aber bedeutet Stabilität. Eine solche Stabilität in unseren Beziehungen zur DDR in Fragen, die Berlin betreffen, ist für die Entwicklung der Stadt von ganz entscheidender Bedeutung.
Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Verkehrsprojekte ist außerdem ein Weg gefunden worden, Probleme, die beim Transfer von DDR-Guthaben für Rentner und Bedürftige aufgetreten sind, zu lösen. Es wird wieder Leute geben, die das als Rinnsal bezeichnen. Das kennen wir ja aus den Debatten der zurückliegenden Jahre. Aber die vielen Rentner, Sozialhilfeempfänger, Waisen und anderen sozial Schwachen, denen diese 200 Millionen DM zugute kommen, werden ganz gewiß anders darüber denken.
Natürlich besitzt die Bundesregierung genug Phantasie, um sich für die Lösung der humanitären Probleme zwischen uns und der DDR großzügigere Regelungen vorstellen zu können. Es ist leicht, das Machbare durch das Wünschbare abzuwerten. Aber
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Bundesminister Frankees ist in der Deutschlandpolitik sehr schwer, das Machbare überhaupt erst zu ermöglichen.Die Bundesregierung hofft auf Grund der ersten, teilweise durchaus sachlichen Stellungnahmen zu den Vereinbarungen, daß die Diskussion sachlich bleiben wird. Eine faire Diskussion in der Deutschlandpolitik ist den Menschen in Deutschland, insbesondere in Berlin, nur von Nutzen.
Die Bundesregierung verkennt nicht, daß viele, die in der Deutschlandpolitik engagiert sind, die menschlichen Erleichterungen der letzten Jahre durchaus positiv würdigen. In vielen tausend Einzelfällen konnte geholfen werden. Dies wird in Zukunft auch für den nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr gelten. Ich halte deshalb die Zusage der DDR für ein sehr befriedigendes Teilergebnis dieser Verhandlungen. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß damit im Bereich des nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehrs noch längst nicht alle Probleme geregelt sind.Ich habe bereits erwähnt, daß die Vereinbarungen in erster Linie der Verbesserung der Zugangswege nach Berlin dienen. Mit dem Viermächteabkommen und dem Transitabkommen wurden die rechtlichen Grundlagen für einen ungehinderten, reibungslosen und vereinfachten Transitverkehr geschaffen. Der Erfolg dieser Abkommen ist evident. So betrug die Zahl der Transitreisenden 1977 18 Millionen Verkehrsteilnehmer gegenüber nur 7 Millionen im Jahr 1970.Jeder, der die Transitstrecken nutzt, weiß, daß ein Teil der Strecken in keinem guten Zustand ist. Darum haben wir bereits 1975 die Grunderneuerung der Autobahn Berlin — Helmstedt vereinbart. Ungenügend war dagegen die Transitstraße F 5 Berlin — Hamburg mit zahlreichen Ortsdurchfahrten und stellenweise erheblicher Unfallgefahr. An Stelle dieser Transitstrecke wird jetzt die Nordautobahn gebaut, wodurch sich die Fahrzeit zwischen Berlin und Hamburg einschließlich Grenzabfertigung von bisher viereinhalb auf knapp drei Stunden verkürzen wird. Die Strecke über Wittstock/ Zarrentin entspricht ziemlich genau den Planungen, die bereits in der Vorkriegszeit entwickelt worden waren. Die DDR hatte diese Streckenführung von vornherein vorgesehen. Sie kommt in vielen Beziehungen auch uns entgegen.Den berechtigten Anliegen des Landes Niedersachsen werden wir dadurch Rechnung tragen, daß nach 1980 über eine Straßenverbindung zwischen der neuen Autobahn und dem Raum Lüchow-Dannenberg mit der DDR verhandelt wird. Ein wichtiger Punkt wird hierbei natürlich die Sicherung des Transitregimes sein müssen.Ein Wort zum Teltow-Kanal. Seit Kriegsende war der Kanal für den Verkehr vom Westen her geschlossen. Dadurch entstanden für die Schiffahrt zeitraubende, schwierige und teure Umwege bei der Zufahrt zu 'den wichtigen, im Süden Berlins gelegenen Häfen. Wegen der komplizierten Rechtsfragen war es aber in der Vergangenheit weder den Drei Mächten im Rahmen der Verhandlungen über das Viermächteabkommen noch der Bundesregierung möglich gewesen, zu einer praktischen Regelung zu kommen. Dies vorausgesetzt, halte ich die jetzige Regelung für geradezu optimal.Es liegt mir daran, hier ganz generell festzustellen, daß die Abstimmung mit den Drei Mächten, ,die die oberste Verantwortung in Berlin tragen, während der gesamten Dauer der Verhandlungen besonders eng und vertrauensvoll war. Ich habe keinen Zweifel daran, daß diese enge Koordinierung mit den Schutzmächten der Qualität des Verhandlungsergebnisses sehr förderlich gewesen ist. Ich möchte an dieser Stelle den Regierungen der Drei Mächte für ihr Verständnis und ihre Unterstützung unserer Bemühungen ausdrücklich danken.
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Zahlreiche praktische Verbesserungen, die die Grenzkommission bewirken konnte, mögen, oberflächlich betrachtet, eine rein lokale Bedeutung haben. Die Menschen, die in diesen Gegenden an der Grenze zur DDR wohnen, wissen aber sehr genau, was sie hierdurch haben. Ich warne vor einer Geringschätzung dieser Ergebnisse.
Die Sperranlagen der DDR an ihrer Grenze durchlässiger oder weniger schrecklich zu machen ist eine Aufgabe, die die Grenzkommission überfordert hätte und die sie auch nicht lösen konnte. Dazu hatte sie keinen Auftrag, und dazu wäre sie auch nicht in der Lage gewesen. Die Grenzkommission hat aber im kleinen wirksam dazu beitragen können, für die Menschen im Grenzgebiet die Folgen der Teilung Deutschlands erträglicher zu machen.Natürlich wissen wir, daß durch die genannten Vereinbarungen Gegensätze in den politischen Grundfragen nicht aufgehoben oder gemildert werden. Auch in Zukunft werden uns Rückschläge und Konfrontationen nicht erspart bleiben. Dennoch hegen in der praktischen Zusammenarbeit Ansätze zu einer nachbarschaftlichen Partnerschaft zwischen den beiden deutschen Staaten, die wir im Interesse der Menschen auf beiden Seiten, aber auch im Interesse der Stabilität und Sicherheit in Europa entwickeln müssen.Die Bedeutung der neuen Vereinbarungen beschränkt sich nicht auf das bilaterale Verhältnis. Ohne Fortschritte in der Normalisierung zwischen den beiden deutschen Staaten kann es letztlich keine dauerhafte Entspannung in Europa geben. Beide Staaten haben durch ihre politisch-geographische Lage wie auch durch ihre Stellung als entwickelte Industriestaaten in ihren jeweiligen Wirtschaftsgemeinschaften eine besondere Verantwortung für Frieden, Stabilität und Wohlstand in Europa. Ich bin davon überzeugt, daß mit den heute unterzeichneten Vereinbarungen ein gutes Beispiel für Möglichkeiten und Chancen der Entspannungspolitik gesetzt wird.
Ich eröffne die Aussprache zur Regierungserklärung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt bei den neuen Verkehrsvereinbarungen die Tatsache, daß es gelungen ist, den Bau einer Autobahnverbindung von Berlin nach Hamburg zu vereinbaren. Dies entspricht im übrigen auch einer seit langem vorgebrachten Forderung der CDU/CSU nach einer besseren Anbindung Berlins an den nordwestdeutschen Raum. Eine derartige Autobahn, die den Weg zwischen Berlin und Nordwestdeutschland zeitlich ver-kürzt, liegt im Interesse Berlins, der Berliner Wirtschaft, der Berliner Bevölkerung — aber auch naürlich im Interesse der DDR; denn die Wirtschaft der DDR hat .ein erhebliches Interesse, einen entsprechenden raschen Zugang zu dem Hafen Hamburg zu erhalten. Es ist also keineswegs so, daß die Interessensituation hier einseitig zu unseren Gunsten gestaltet ist. Ebenso begrüßen wir die Instandsetzung und Offnung des Teltow-Kanals, der ebenso erhebliche Verbesserungen für die Binnenschiffahrt in Berlin mit sich bringt, und wir begrüßen auch die Reparaturen der Schäden an den Transitwasserstraßen.Sie gestatten aber einige kritische Anmerkungen zur Seite der Kosten. Insgesamt beinhalten diese Vereinbarungen einen Preis von 7 Milliarden DM, der in zehn Jahren von der Bundesrepublik Deutschland aufzubringen ist. Wir bezahlen für den Bau der Autobahn von Wittstock/Dosse bis zur innerdeutschen Grenzlinie 1;2 Milliarden DM. Die Bundesregierung muß sich von der Opposition fragen lassen, ob dieser Betrag angemessen ist. Danach zu fragen, ist die Pflicht der Opposition. Nach der Meinung von Experten übersteigen diese Kosten die vergleichbaren Kosten, die für einen entsprechenden Autobahnabschnitt in der Bundesrepublik Deutschland aufgebracht werden müßten.
Es ist nicht hinzunehmen, Herr Minister, daß Sie hier sagen, es gebe hier keinen Kostenvergleich. Jeder Anruf beim Bundesverkehrsministerium würde wahrscheinlich in fünf Minuten nach deren Richtlinien und Zahlen einen solchen Kostenvergleich zulassen. Es spricht aus dieser Argumentation der Bundesregierung das Bewußtsein, daß es sich hier um überhöhte Kosten handelt, und zwar auch dann, wenn von den 1,2 Milliarden DM jene 100 Millionen DM abgezogen werden, die vertraglich vereinbart von der DDR für den Ankauf von Baumaschinen und Ausrüstungen in der Bundesrepublik Deutschland aufgewendet werden. Wir hätten uns in diesem Zusammenhang eine etwas stärkere Beteiligung der deutschen Bauwirtschaft und Industrie gewünscht, wenn wir die Sache ohnehin bezahlen.
Es zeigt sich hier: Die Bundesregierung betreibt die übliche Politik der offenen Brieftasche, und zwar der offenen Brieftasche der deutschen Steuerzahler, von denen diese Dinge bezahlt werden.
Meine Damen und Herren, diese Zahlen an der Forderung der DDR in Höhe von 2 Milliarden DM zu messen und dann die 1,2 Milliarden DM als Erfolg herauszustellen, ist eigentlich eine Argumentation nur für naive Gemüter; denn diese Forderung von 2 Milliarden DM haben die Unterhändler der DDR mit Sicherheit doch nicht ernst genommen. Hier nimmt sie auch niemand ernst. Es war eine Forderung, die ein Verhandlungsangebot darstellt. Jedenfalls ist sie völlig ungeeignet für eine Argumentation in diesem Hause.Die Transitgebühren sind um über 30 % auf jetzt 525 Millionen DM pro Jahr drastisch erhöht wor-
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Dr. Abeleinden. Im Zusammenhang mit dem Transitabkommen wurde seinerzeit die Pauschale auf 235 Millionen DM festgelegt, dann 1975 auf über 400 Millionen DM. Jetzt sind wir bei 525 Millionen DM pro Jahr gelandet, ohne daß zusätzliche Verkehrsverbindungen geschaffen wurden und ohne daß die Qualität der Verkehrswege verbessert wurde. Das heißt, wir zahlen 5,25 Milliarden DM allein an Transitgebühren in den nächsten zehn Jahren.Sie sagen, das sei gut, weil dadurch eine konfliktfreie Regelung erreicht worden sei. Hier zeigt sich wieder typisch das Grundprinzip Ihrer Politik: Die DDR erzeugt Konflikte und Störungen — vertragswidrig —, dann bezahlen Sie, und dann haben Sie einen weiteren Erfolg. Das ist dann der zweite Erfolg. Zuerst haben Sie die Vereinbarung, die wird gestört, dann bezahlen Sie dafür, und dann haben Sie die Störung zumindest temporär weg. Aber niemand glaubt doch, daß es sich hier um einen Durchbruch oder einen wirklichen Erfolg handelt.Wir begrüßen ohne Zweifel die Einrichtung der Transitwege und den Verkehr auf ihnen. Aber nach dem ursprüglichen Transitabkommen von 1971 bezog sieh die Transitpauschale unter anderem auf die Stärke des Verkehrs. Abgegolten wurden dadurch Straßenbenutzungsgebühren, Steuerausgleichsabgaben und ähnliches. Von dieser eigentlichen Grundlage der Transitgebühren ist man jetzt völlig abgegangen. Sie begründen zwar, ohne daß es noch im Abkommen steht, diese drastische Erhöhung damit, daß damit zu rechnen sei, daß in Zukunft der Verkehr wachse. Dann bringen sie die üblichen Zahlen, die Ihnen gerade ins Konzept passen.Aber von Januar bis September 1978 hat doch der Berlin-Verkehr im Vergleich zum Vorjahr um etwa 10 % abgenommen. Wie begründen Sie denn Ihre Erwartungen jetzt für eine 30%ige Erhöhung der Transitgebühren mit einem entsprechend verstärkten Verkehrsaufkommen? Das müßten Sie zuerst einmal dartun. Wir würden eine solche Verstärkung des Verkehrs ja begrüßen. Leider deutet nichts darauf hin.Das einzige, was in diesem Zusammenhang Ihrer Argumentation plausibel ist, ist der Hinweis auf die Geldentwertung. Hier wird es sich um eine self-fulfilling-prophecy handeln: Sie werden schon dafür sorgen, daß diese Argumente, diese Vorhersage durch Ihre Wirtschaftspolitik zutrifft. Jedenfalls: Eine Ermunterung auf wirtschaftspolitischem Gebiet ist dieses Argument sicher nicht.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, Sie hätten auf Dauer, auf zehn Jahre Ruhe im Transitverkehr. Vielleicht haben Sie die, vielleicht haben Sie die aber auch nicht.Im übrigen: Wieso ist eigentlich diese Höhe durch die besonders lange Laufzeit gerechtfertigt? Mir würde eher das umgekehrte Argument einleuchten: Wenn Sie einem Partner für eine so lange Zeit einen derartigen Geldbetrag in Aussicht stellen,dann, meine ich, wäre damit eher ein Abschlag als ein Aufschlag gerechtfertigt.
— Sie reden von „normalem Geschäftsleben". Aber die normalen Geschäftsusancen gelten für diese Bundesregierung mit Sicherheit nicht.
Wir hätten gewünscht, daß die Bundesregierung etwas energischer um die Aufrechterhaltung der Fernverkehrsstraße F 5 gerungen hätte, d. h., daß der bisherigen Transitstrecke Lauenburg-HorstStaaken-Berlin, die jetzt für den Transitverkehr geschlossen wurde. Das gefällt uns wenig, auch wenn diese Strecke für den Transit in Drittländer und den grenznahen Verkehr zugelassen bleibt.Gemäß einer Forderung der CDU/CSU — hier möchte ich auf ein wichtiges Detail kommen — hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Trassenfrage und nach der Entscheidung für die Nordtrasse in den Verhandlungen erreicht, daß über die Anbindung des Landkreises Lüchow-Dannenberg an die neue Transitstrecke ab 1980 verhandelt werde. Es heißt in den Verkehrsvereinbarungen:Bereits während der Verhandlungen hat die DDR ihre Bereitschaft erklärt, 1980 Verhandlungen über den Bau eines Abzweigs von der neuen Autobahn in südlicher Richtung zur Grenze DDR/Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Was uns stutzig macht, ist hier die Formulierung „südliche Richtung". Vom Kreis Lüchow-Dannenberg aus gesehen, liegt Berlin mehr in südostwärtiger Richtung. Wenn also eine Verbindung in NordSüd-Richtung hergestellt werden soll, so bedeutet das offenbar, daß diè Verbindung vom Landkreis Lüchow-Dannenberg an den . Autobahnabschnitt Wittstock-Dosse-Zarrentin erfolgt. Damit ist die Absicht der Anbindung des Kreises Lüchow-Dannenberg an den Berlin-Verkehr aber in der gewünschten Absicht jedenfalls nicht .erreicht. Im Gegenteil. Erstens würde die Neuanbindung für die Bewohner des Landkreises und für die erholungssuchenden Berliner einen erheblichen Umweg bedeuten. Aber darüber hinaus würde zusätzlich der Bau einer Elbbrücke erforderlich werden, die dann ebenfalls natürlich — von wem denn sonst? — von der Bundesrepublik Deutschland zu finanzieren wäre. Damit wäre der Sinn unserer Forderung nicht erfüllt.Ich möchte wenigstens die Frage stellen, wie diese Dinge in der Vorstellung der Bundesregierung aussehen. Denn Sie, Herr Minister, haben irgendwelche Vorstellungen dazu vorher nicht entwickelt.Wir fordern nachdrücklich, daß sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit der DDR für eine kurze und schnelle Verbindung zwischen Berlin und dem Landkreis Lüchow-Dannenberg einsetzt. Der Bau einer Elbbrücke im Bereich zwischen Schnackenburg und Lauenburg würde darüber hinaus eine ganze Reihe von sehr gravierenden Fragen
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Dr. Abeleinaufwerfen. Ich erinnere nur an die offene Frage der Grenzziehung auf dem Elbabschnitt, die wahrscheinlich dann in einer neuen Form aktuell würde.Wir hatten im übrigen auch gefordert, daß bereits jetzt eine Einigung mit der DDR über die Fertigstellung der Autobahn Eisenach-Hersfeld herbeigeführt werden könnte. Diese ist leider nicht erfolgt.Darüber hinaus macht uns das Versprechen der Bundesregierung stutzig, für weitere kontinuierliche Verbesserungen des Berlin-Verkehrs sowie den verkehrsgerechten Ausbau des Grenzübergangs Wartha-Herleshausen bis zu 500 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Wir wissen noch gar nicht, wofür im einzelnen das zur Verfügung gestellt wird. Wir haben einige grobe Andeutungen gehört. Wofür das Geld im einzelnen gezahlt werden soll, hat die Bundesregierung noch gar nicht bekanntgegeben. Vielleicht weiß sie es noch gar nicht. Aber sie weiß natürlich, welchen Betrag sie dafür zu zahlen gedenkt.Auch hier einige Anmerkungen. Das Fehlen des kurzen Stückes Autobahn, das in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen soll, zwischen Obersuhl und Eisenach, kann doch unmöglich 500 Millionen DM kosten, wenn schon die annähernd zehnmal so lange Autobahn von Wittstock bis zur Zonengrenze südlich Ratzeburg selbst nach den überhöhten Berechnungen, wie wir meinen, der DDR — „nur" 1,2 Milliarden DM kostet. Hier verlangen wir von der Bundesregierung noch eine konkrete Auskunft, die heute mit Sicherheit nicht gegeben wurde.
— Lieber, Herr Wehner, Ihre Zwischenrufe sind ja hinreichend bekannt, und Sie bestärken uns ja eigentlich nur
— Sie bestärken uns nur, aber im übrigen auch die Zuhörer; infolgedessen bin ich immer dankbar, wenn Sie sich zu Wort melden — in unserem Urteil über die Grundzüge Ihrer Politik.
— Ich bin bei der Sache. Wenn Sie „zur Sache" rufen, müssen Sie das immer Ihrem Fraktionsvorsitzenden sagen.
Ich habe dadurch die Gelegenheit gefunden, mich an einen Punkt zu erinnern, der hier sicher eine Rolle spielt. Wenn schon jetzt eine derart horrende Summe an Transitgebühren gezahlt wird, erhebt sich das alte Problem: Wo haben Sie denn die Verwendungsnachweise? Ursprünglich haben Sie in Ihrer Argumentation hier in diesem Hause gesagt, es sei Ihnen in . den Verhandlungen nicht gelungen — —
— Mit Ihnen ist es sicher arm.
— Wer hier eine Type ist, Herr Wehner, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten.
Wer d i e Type dieses Hauses ist, das ist weit über dieses Haus hinaus bekannt.Aber nochmals zu Ihnen, Herr Wehner. Ursprünglich lautete das Argument der Bundesregierung, es sei in den Verhandlungen nicht gelungen, einen Verwendungsnachweis dafür zu erhalten. Jetzt reden Sie davon, daß Sie ja doch nicht der Bundesrechnunghof der DDR seien. Das zeigt aber doch, daß Sie offensichtlich überhaupt keine Kontrolle über die Gelder haben, die Sie der DDR bezahlen. Sie haben überhaupt keine Vorstellungen, was damit gemacht wird. Mit Sicherheit geht ein großer Teil dieser Beträge zurück in die Bundesrepublik Deutschland für Verwendungszwecke, die zumindest der offiziellen Motivation Ihrer Deutschlandpolitik in keiner Weise entsprechen dürften.
Meine Damen und Herren, ich stelle deswegen die weitere Frage an die Bundesregierung: Was wird denn mit diesem Geld getan? Haben Sie wenigstens einige Anhaltspunkte, wie diese Summen verwandt werden? Das wird man doch noch fragen dürfen, auch wenn das dem Herrn Wehner nicht gefällt, der die Opposition am liebsten überhaupt aus diesem Hause verschwinden ließe, so scheint mir. Jedenfalls ist die entsprechende Auffassung vom Funktionieren eines demokratischen Regierungssystems bei Ihnen sehr häufig zu vermissen.
— Man kann sich über das Ausmaß des Patriotismus streiten, aber Ihnen stehe ich auf diesem Gebiet mit Sicherheit nicht nach.Im Rahmen der zurückliegenden Verhandlungen, die zu den heutigen Verkehrsvereinbarungen führten, hat die Bundesregierung auch über die Wiederingangsetzung des seit Anfang 1976 gescheiterten Transferabkommens mit der DDR verhandelt: wieder ein Erfolg, ein typischer Erfolg. Zuerst haben Sie ein Transferabkommen geschlossen; Das hat nicht funktioniert, es ist völlig aufgelaufen. Jetzt bringen Sie es teilweise wieder in Gang, und schon melden Sie wieder einen Erfolg Ihrer Deutschlandpolitik.
Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen im übrigen genau vorhergesagt — dazu gehörte wenig Phantasie — —
— Lieber Herr Staatsminister, wenn Sie sagen, ich hätte noch keine Mark gebracht: Woher ist denn das Geld, das Sie hier bringen? Ihr Geld ist es nicht.
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Dr. AbeleinI Wenn das nur Ihr Geld wäre, würde ich mich hier keine Minute lang über dieses Thema aufhalten. Was mich bei dieser Sache bedrückt, ist aber die leichtfertige Art, mit der Sie mit dem Geld der anderen Leute, der Steuerzahler, die es hart genug erarbeiten, umgehen.
— Lieber Herr Wehner, ich weiß nicht, wem ichden Vorzug gebe, Ihnen oder dem Herrn Glistrup,
was jedenfalls das Ausmaß an Demagogie anlangt, so möchte ich meinen, übertreffen Sie den Herrn Glistrup um ein Vielfaches.
Meine
Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn wir uns auf das Thema konzentrieren würden.
Ich nehme an, das ist eine Zwischenbemerkung, die dem Herrn Kollegen Wehner gilt.
In diesem Falle wie immer allen.
Meine Damen und Herren, ich werde mit sachlichen Erörterungen fortfahren, die der Kollege Wehner offensichtlich nicht zu ästimieren in der Lage ist.
Daß dieses Transferabkommen nicht funktionieren konnte, war eigentlich jedem einsichtig, offensichtlich nur nicht der Bundesregierung. Durch die Koppelung der Zahlungen in beiden Richtungen, welche die DDR durchgesetzt hat, war von vornherein klar, daß es nicht funktionieren kann, weil doch kein vernünftiger Mensch ohne Not, wenn er D-Mark in der Bundesrepublik Deutschland hat, sie sich in die DDR als DM-Ost überweisen läßt.
Dafür werden 200 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Wir begrüßen das sehr, weil zweifellos keine begüterten Leute, bei uns großenteils sehr kleine Leute, die das Geld dringend brauchen, in den Genuß dieses Geldes kommen. Aber das ist doch das Geld, das wir der DDR-Regierung jetzt geben. Die DDR-Regierung gibt doch unser Geld, das Sie gerade jetzt für die DDR angekündigt haben, teilweise wieder zurück. Es ist doch unser Geld. Aber es ist auch das Geld der Leute. Das ist doch kein Geschenk. Hier wird den Leuten doch nur gegeben, was ihnen widerrechtlich jahrelang vorenthalten wird.
Wo liegt denn hier ein Erfolg?
Im übrigen meine ich, es wäre angebracht gewesen, gerade im Zusammenhang mit diesen Bezahlungen den Kreis der Anspruchsberechtigten, der Betroffenen und der Geschädigten bei den Verhandlungen über das Transferabkommen erneut zu überprüfen und durchzusetzen, daß dieser Kreis wenigstens teilweise erweitert wird.
Meine Damen und Herren, Sie sagen natürlich — das kritisiere ich nicht einmal aus Ihrer Sicht —, das sei ein neuer Erfolg Ihrer Deutschlandpolitik. Von Ihrer „neuen" Deutschlandpolitik reden Sie nicht mehr, zu Recht nicht mehr. Sie ist nicht mehr neu, sie ist alt. Es ist allmählich ein alter durchlöcherter Hut in diesen zehn Jahren geworden.
— Oh nein, wir ästimieren diese Ergebnisse sehr wohl. Aber ich stelle -den Gesamtzusammenhang noch her. Wir sind sehr für die Verkehrsanbindung für Berlin.
Wir sind nur nicht dafür, uns von der anderen Seite ausnehmen zu lassen. Dadurch unterscheiden wir uns von Ihnen.
Wir hätten gern — darauf hat der Kollege von Weizsäcker hingewiesen —, daß auch bei den Transferzahlungen ein Teil dieses Geldes in die Hände der Bevölkerung kommt. Wir wollen nicht nur die Dispositionsbefugnis des Staates dort stärken, diesem von seiner Bevölkerung ungeliebten Staat aus seiner Misere heraushelfen. Wir wollen den Menschen dort drüben helfen.
Das sollte eigentlich das entscheidende Anliegen sein.
Einer der kritischen Punkte in diesem Zusammenhang ist, daß Sie die Gelegenheit eines Geschäfts mit einem derartigen finanziellen Ausmaß nicht dazu benutzt haben, auch die humanitären Anliegen in dieses Paket hineinzubringen.
Sie hätten doch in diesem Zusammenhang Fragen aufstellen müssen wie: erweiterte Westreisen für DDR-Bürger, die seit langem angekündigte Herabsetzung der Altersgrenze, von der z. B. doch Sie, Herr Wehner, ständig orakeln. Wann kommt sie denn? Weitere Punkte sind bessere Voraussetzungen für Begegnungen, Familienzusammenführung, die Praxis an der Grenze, Zusammenführung von Verlobten. Auch Sie werden trotz des leichtfertigen Umgangs mit dem Geld nicht in der Lage sein, jedes Jahr für eine solche Periode 7 Milliarden DM in
Dr. Abelein
I Aussicht zu stellen. Sie hätten doch wenigstens bei dieser Gelegenheit, die auch für Sie eine einmalige Gelegenheit ist, die Möglichkeiten nutzen müssen, die noch offenen humanitären Fragen zu lösen.
Auch die Folgeverträge zum Grundlagenvertrag sind doch eine klägliche Bilanz, auch wenn wir die einzelnen Schritte, was ich deutlich gesagt habe, begrüßen,
Meine Damen und Herren: Erfolge? Neue Deutschlandpolitik? Ich glaube, daß, auch wenn wir die Ergebnisse der Verbesserungen für Berlin begrüßen,
diese Verhandlungen symptomatisch für die deutschlandpolitische Situation sind, die durch Stagnation, durch Windstille gekennzeichnet ist.
Vom Gegeneinander zum Nebeneinander und zum Miteinander? Keine Spur davon! Wandel? Noch nicht einmal durch eine noch so weitgehende Annäherung, wie sie von Ihnen versucht wurde. Es fehlen Ihnen in der Zwischenzeit sogar die Formeln.
Die Visionäre sind ohnehin abgetreten.
Die DDR hat sich uns in keiner Weise angenähert. Alles, was zur Lösung der deutschen Frage, zu einer Normalisierung in Aussicht gestellt wurde, ist nicht eingetreten. Auch die Anerkennung, der Zugang zur internationalen Bühne, hat die DDR in keiner Weise normaler, entgegenkommender, selbstbewußter, großzügiger gemacht. Das war doch Ihre Theorie. Damals hatten Sie wenigstens noch eine Theorie, eine Konzeption, wenn auch eine falsche; aber jetzt haben Sie gar nichts mehr.
Meine Damen und Herren, die alten politischen Positionen haben Sie ohne nennenswerte Gegenleistung weggegeben. Und was erreichen wir jetzt?
— Da bin ich aber sehr mit Ihnen einverstanden, Herr Wehner. Ich bin auch darüber bestürzt, was eine so große Partei wie die SPD zu bieten vermag, wenn ich an Ihren Fraktionsvorsitzenden denke.
Das, was jetzt noch erreicht wird — wobei wir gern
im Rahmen des Möglichen mitmachen —, wird Stück
für Stück, Pfund für Pfund zu überhöhten Preisen
gekauft. Das ist die aktuelle Realität der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung.
Das Wort
hat die Frau Abgeordnete Schlei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, Herrn Kollegen Weizsäcker wird es nicht recht sein, wenn die eben gehaltene Rede mit der Bemerkung über den „alten Hut" im Berliner Wahlkampf verteilt wird.
Herr von Weizsäcker ist nicht anwesend, um sich dafür schämen zu müssen.Ich bedaure auch Herrn Kohl, der es schwer hat, die unterschiedlichen Aussagen der Oppositionsmitglieder
zu diesem Problem zusammenzuführen und auf einen Nenner zu bringen.
Es gab andere, bessere Aussagen zu dieser in einem Vertragspaket vorgelegten Politik. Aber Herrn Kohl interessiert das Thema auch so wenig, daß er bei dieser wichtigen deutschlandpolitischen Debatte nicht anwesend ist.
— Ich spreche vom Fraktionsvorsitzenden und kann Ihnen sagen: Die anderen Fraktionsvorsitzenden, die der sozialliberalen Koalition, befinden sich im Plenum des Deutschen Bundestages,
wie es diesem Parlament in unserem geteilten Deutschland zusteht.
— Sie können so laut dazwischenrufen, wie Sie wollen; mich stören Sie nur, Sie selber aber dezimieren sich persönlich.
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erkläre ich, daß wir das Ergebnis der Verhandlungen mit der DDR über Verkehrsfragen und zum nichtkommerziellen Zahlungsverkehr sehr begrüßen.
Hier ist ein sehr wichtiger Beitrag zur Regelung der Fragen geleistet worden, die wir im Interesse der Menschen in beiden deutschen Staaten lösen wollen und lösen müssen. Die getroffenen Verein-
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Frau Schleibarungen tragen vor allem zur Stärkung der Lebenskraft Berlins bei. Dies ist ein Erfolg der Politik der sozialliberalen Bundesregierung, die hier mit Geduld, Besonnenheit und durchaus energisch verhandelt hat und die heute ein Ergebnis vorlegen kann, das es verdient, mit unserer vollen Zustimmung gewürdigt zu werden,
ein Ergebnis, das Sie, solange Sie regiert haben, auch nicht in einem nur schwachen Abglanz jemals vorgelegt haben.
Wenn Politik die Kunst ist, das Mögliche zum richtigen Zeitpunkt zu tun, dann sind die vorliegenden Vereinbarungen ein Beispiel dafür. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, dies zu gestalten, und wir haben es durchgesetzt. Wir danken also und anerkennen die Verhandlungsführung und das nun Erreichte. Ich bin ganz sicher — und dies sage ich besonders gern als Berlinerin —, daß die Bevölkerung Berlins den Wert dieser Vereinbarungen voll zu würdigen, richtig einzuordnen
und bald zum eigenen Vorteil zu nutzen weiß.Ich will aber auch sagen, daß wir die in diesen Vereinbarungen zum Ausdruck kommende Bereitschaft der DDR zur Zusammenarbeit anerkennen. Ich möchte dies betonen, weil es sich um eine Konzeption einer langfristigen Zusammenarbeit handelt.Im Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972 sind beide Seiten übereingekommen — ich zitiere, Herr Präsident —, „zum Wohle der Menschen in den beiden deutschen Staaten die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen". Zum Wohle der Menschen Was hier in langfristig angelegter Zusammenarbeit erreicht worden ist, das ist zum Wohle der Menschen geschehen.Langfristig angelegte Zusammenarbeit auf den verschiedensten Gebieten verlangt nicht die Identität der Interessen. Wesentlicher ist, daß, wie ge- rade auch bei den abgelaufenen Verhandlungen deutlich und sichtbar wurde, beide Seiten den Willen zur Herstellung eines Gleichgewichts der Interessen aufbringen. Beide deutschen Staaten haben in Mitteleuropa eine besondere Verantwortung, zur friedlichen Entwicklung der Beziehungen der Nationen beizutragen. Sie haben ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit dazu mit diesen jetzt vorliegenden Vereinbarungen unter Beweis gestellt. Wir erwarten, daß der Dialog die Lösung praktisch zu regelnder Fragen weiter fördern wird. Wir sollten von uns aus nichts tun, was den dazu notwendigen zähen, geduldigen und an der Sache orientierten Verhandlungen im Wege stehen könnte.Ich finde es in diesem Zusammenhang ganz unangemessen, wenn in der öffentlichen Auseinandersetzung über die Vereinbarungen der Eindruck erweckt werden soll, als gehe es wieder einmal nur ums Bezahlen. Dies würde weder Resonanz noch Verständnis bei unseren Bürgern finden und schon gar nicht bei unseren Freunden in der Welt. Wir lassen uns diese Vereinbarungen auch überhaupt nicht dadurch abqualifizieren und in ihrem politischen Wert herabmindern, daß allein die Summe der Leistungen und der Preis zum Maßstab Ider Bewertung des Erreichten gemacht werden. Wer nämlich allein — hier wurde ja die Expertenfrage aufgeworfen — von Kosten, von Beton und Asphalt oder von Lohnkosten spricht und dies aufrechnen will, der verkennt doch vollkommen die hohe politische und menschliche Bedeutung der erzielten Vereinbarungen.
Er verkennt auch die Verhandlungslage. Landstraßen nach Berlin können nur über das Territorium der DDR gebaut werden. Es gibt keine Möglichkeit, diese mit Hilfe noch so weit entlegener und guter Freunde herzustellen. Nur die DDR kann uns diese Möglichkeit bieten.Er verkennt also nicht nur die Verhandlungslage, die ja nicht allein von der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden kann; er verwischt auch die Dimensionen und die notwendigerweise aufzubringende Mühsal, die erkannt und angenommen werden muß, um den Scherbenhaufen zusammenzufegen und zusammenzukitten, den Deutsche unter Hitler angerichtet haben. Wer den Zusammenhang wegwischt, begreift die Schwierigkeit und die Mühsal des Weges nicht.Die mit der DDR getroffenen Vereinbarungen sind eine Zukunftsinvestition für das Zusammenleben der Deutschen.
Diese Vereinbarungen bestehen aus sechs Elementen, von denen jedes einzelne direkt erfahrbare Verbesserungen und Erleichterungen für die Bürger in unserem geteilten Land enthält.Dem Bau der Autobahn Berlin–Hamburg wende ich mich als dem ersten Punkt zu. Das ist technisch ge- sehen natürlich ein Stück Straße. Aber es ist auch ein Stück des Weges beim Zueinanderkommen der Deutschen.Zu den Baumaßnahmen auf den für den Transitverkehr genutzten Binnenwasserstraßen der DDR: Das ist technisch gesehen die Beseitigung von Schäden am Mittellandkanal, am Elbe-Havel-Kanal, am Schiffshebewerk Rothensee. Aber es ist auch ein Stück Erleichterung für den gesamten Verkehr, für den Güteraustausch, und eine Hilfe für die Berliner Wirtschaft.Zur Öffnung des Teltowkanals für den zivilen Binnenschiffahrtsverkehr: Das ist technisch gesehen eine Reihe von Baumaßnahmen, für die 70 Millionen DM aufzubringen sind. Aber es ist auch ein beträchtliches Stück praktische Erleichtung für die Binnenschiffer und ein klarer wirtschaftlicher Vorteil. Jährlich laufen etwa 3 000 Schiffe Stationen des Teltowkanals an. Die Öffnung bringt enorme Vorteile, nämlich die Verkürzung der Fahrstrecke und die
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9144 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Frau SchleiVerkürzung der Zeiten für Hin- und Rückfahrt um zwei bis drei Tage, d. h. nach heutigem Sprachgebrauch 16 bis 24 Mann/Stunden. Das bedeutet geringere Transportkosten, das bedeutet auch Erhöhung der Attraktivität für Industrieanlagen im Süden Berlins und somit neue Möglichkeiten zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze für die Menschen in Berlin.Zu den zukünftigen Verkehrsverbesserungen: Beide Seiten haben ihre Bereitschaft erklärt und sich gegenseitig versichert, 1980 Verhandlungen über weitere Verkehrsverbesserungen aufzunehmen. Diese 'Zusage unterstreicht sowohl die langfristige Perspektive der Vereinbarungen als auch den Willen beider Seiten, auf dem Wege friedlicher Zusammenarbeit fortzuschreiten. Ich meine, daß auch das nicht nur für Berlin und die beiden deutschen Staaten von Bedeutung ist. Es ist gleichermachen ein Stabilisierungsbeitrag zur Entspannungspolitik in Europa.
Selbstverständlich ist für uns klar, daß bei den Verhandlungen über. den vorgesehenen Anschluß nach Niedersachsen im Jahre 1980 mit dem Ziel verhandelt wird, auch diese Strecke in die Transitregelung einzubeziehen. Wer ' glaubt, daß jetzt schon über solche Punkte gesprochen werden kann, verkennt die Situation, verbreitet Skepsis, obwohl es die Aufgabe der Politiker wäre, Hoffnung zu verbreiten.Zur neuen Transitpauschale: Die Festlegung über die Transitpauschale bedeutet, daß über den Zehnjahreszeitraum von 1980 bis 1989 insgesamt 525 Millionen DM pro Jahr zu zahlen sind. Sie bedeutet aber auch, daß auf diese Weise Millionen von Menschen den Zugang nach Berlin praktisch erleichtert bekommen und daß dem einzelnen, der die Wege benutzt, finanzielle Lasten genommen werden. Solche Erleichterungen wurden im Jahre 1977 18 Millionen Transitreisenden zuteil. Der Anteil der Transitreisenden stieg im Monat August dieses Jahres wiederum um 5,9 0/o und wir sind der Meinung, daß er weiter steigen wird. Sie sind so skeptisch und meinen, daß dies nicht „drin" sei. Ich vertraue den Deutschen, die unsere Politik der Bindungen begriffen haben und die daraus für sich die Verpflichtung ableiten, selber diese Bindungen und Verbindungen zu nutzen. Es kommt hinzu, daß sich auch die DDR uns gegenüber in langfristiger Weise verpflichtet. Wer in diesem Zusammenhang die zu zahlende Summe krtisiert, muß ehrlicherweise sagen, daß er an weitere Entwicklungen nicht glaubt. Wir gehen von einer positiven Entwicklung aus.Ich komme zum letzten Punkt, zum nichtkommerziellen Zahlungsverkehr. Dies ist doch nicht nur eine rein technische Erhöhung der Transfermasse, sondern auch eine Verbesserung für viele Bürger. Es sind die am wenigsten besitzenden Bürger in unserem Teil Deutschlands, die davon Gebrauch machen wollen. Es handelt sich vorwiegend um Rentner, und ich bin sehr dankbar, daß die Möglichkeit besteht, wenn die Summe nicht voll ausgeschöpft wird, auch andere Personengruppen einzubeziehen.Wir dürfen den Wert dieser Vereinbarungen vor unseren Bürgern nicht zu kleinlich darstellen.
Wir müssen darstellen, welche große politische Bedeutung diese Ergebnises für die Stärkung der Lebenskraft Berlins haben.
Wir müssen klar erkennen, daß dies — und das ist doch ein Fortschritt — auf dem Wege von Vereinbarungen mit der DDR geschehen ist. Wir sehen darin ein hoffnungsvolles Zeichen für den Prozeß der Zusammenarbeit in Europa, wie er in der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa angelegt ist und wie er unter Einbeziehung Berlins erfolgreich fortgesetzt werden kann. Ohne die Entspannungspolitik der Bundesregierung wären diese konkreten Verbesserungen nicht möglich gewesen.Ich muß — um noch einmal eine andere Dimension anzusprechen — in diesem Zusammenhang ein Wort Herbert Wehners zur Regierungserklärung vorn 12. Mai 1977 zitieren, wenn Sie gestatten, Herr Präsident:Was Berlin braucht, ist Solidarität, und Solidarität ist etwas anderes als ein Wettbewerb wer am langfristigsten und am schrillsten über Berlin spricht. Solidarität mit Berlin bedeutet, sich der besonderen Lage, der Lebensnotwendigkeit und der Umstände der Berliner stets bewußt zu sein und sich zu bemühen, ihrer bewußt zu bleiben und nicht durch Gestikulation, sondern durch die stetige, aufmerksame Förderung der Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Stadt beizustehen.Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Dietrich Stobbe, der Senat von Berlin und selbstverständlich vor allem die Berliner Bevölkerung wissen dieses zähe und geduldige Ringen um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Stadt zu schätzen, der Berliner Bürgermeister, weil er ohne diese Solidarität sein schwieriges Amt überhaupt nicht ausüben könnte, die Berliner Bevölkerung, weil sie dadurch spürt, daß wir einen Weg gehen, der es beiden deutschen Staaten möglich macht, aufeinander zuzugehen und so miteinander umzugehen, daß kein Risiko zu Lasten der Berliner entsteht.Ich könnte Ihnen aus der Erklärung der Bundesregierung vom 12. April 1967 viele Punkte vorlesen, die unter Herrn Kanzler Kiesinger zusammengestellt wurden, Punkte, die man nicht an den Fingern der Hände abzählen kann, aufgelistet als Maßnahmenkatalog. Aber wir haben das damals nur Aufgeschriebene durchgesetzt.
Diese vielen wichtigen Forderungen aus jenem Maßnahmenkatalog, von denen Sie in Ihrer langen Regierungszeit .nicht einen einzigen Punkt durchgesetzt haben,
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Frau Schleihaben wir durchgesetzt. Forderungen und Maßnahmenkataloge aufzustellen ist ganz leicht; das hat Herr Abelein heute auf neue Weise getan. In vielen Punkten sind wir uns beim Aufschreiben einig. Aber sie dann durchzusetzen ist eine unvergleichlich schwierige Arbeit. Wir leisten sie.
Die sozialliberale Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben praktische Erleichterungen im Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten und für Berlin erreicht. Auch auf der Seite der DDR ist der Wille erkennbar geworden, Kontinuität und Stabilität in das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland zu bringen. Nur so wird es auch möglich sein, die Beziehungen der beiden deutschen Staaten krisensicherer zu machen.Wir haben es nicht bei Worten belassen. Wir haben die aus dem Grundlagenvertrag abzuleitenden Verpflichtungen eingehalten und handeln gemäß diesen Verpflichtungen.Stets hat die Bundesregierung dabei die stärkere Unterstützung der Koalitionsfraktionen erhalten. Wir sind auch bereit, die erforderlichen Mittel zur Verwirklichung dieser Vereinbarung im Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Das ist nämlich ein wichtiger Schritt, der noch folgen muß. Wir sind dazu bereit, weil wir unsere wirtschaftliche Stärke und unsere politischen Anstrengungen gern für Berlin, gezielt und hilfreich für die Menschen im geteilten Deutschland einsetzen wollen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das eindrucksvolle Verhandlungsergebnis ist ein wichtiger Aktivposten in unserer Deutschlandpolitik. Im Zentrum der Vereinbarungen stehen die Verbesserungen der Verkehrswege von und nach Berlin. Das festigt die Position der Stadt und stärkt ihre Entwicklungsmöglichkeiten.
Demgegenüber müssen wir in einem zufällig gerade heute vorliegenden Entschließungsantrag derCDU/CSU lesen, daß der Zustand der innerdeutschen Beziehungen ganz und gar unbefriedigend ist.
Allzu flink fällt in dem Entschließungsantrag das Wort „Sackgasse". Was, meine Damen und Herren von der Opposition, zeigt die Realitätsferne der Deutschlandpolitik der CDU/CSU schonungsloser auf, so frage ich mich, als diese heute erneut offenkundig werdende Kluft zwischen der tatsächlichen Entwicklung und der bis zum Überdruß aufgestellten Behauptung, alles sei schlecht, alles sei so ganz hoffnungslos!
Die Opposition wird von der Wirklichkeit glattüberholt. Ich sage voraus: Solange sie ihre Klischeesweiter so liebevoll pflegen wird wie bisher, wird ihr dies immer wieder passieren.
Mit dem Blick zurück im Zorn läßt sich kein Bezug zur Realität finden.Was das von der Bundesregierung vorgetragene Verhandlungsergebnis angeht, so wissen ganz gewiß nicht nur die Berliner, die die Situation ihrer Stadt tagtäglich mit einem latenten Gefühl der Isolation erleben, was dieser Abschluß an praktischer und psychologischer Bedeutung wirklich in sich birgt.
Sie — und nicht nur sie — wissen deshalb das Ergebnis zu schätzen.Die Chancen für die Zukunft Berlins und die Erhaltung und Stärkung der wirtschaftlichen Lebenskraft hängen nun einmal von dem freien Zugang und damit von der Güte und Sicherheit der Verkehrswege ab.Die Bemühungen um die Verbesserung der Verkehrswege aller Verkehrsträger haben deshalb, wie wir wissen, in der Vergangenheit stets einen besonderen Rang gehabt. Was jetzt mit diesem Ergebnis für den Zugang auf der Straße und auf dem Wasser erreicht worden ist, kann deshalb niemand herunterspielen. Durch den Bau einer leistungsfähigen Nordautobahn treffen wir rechtzeitig Vorsorge dafür, daß der weiter wachsende Reiseverkehr ungehindert fließen kann. Das ist eine Politik für die Menschen, eine Politik im Dienst des Zusammenhalts der Nation.Die Öffnung des Teltow-Kanals — hier gehen wir offen und ehrlich miteinander um —, ein Zugeständnis, das noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar schien, wird jetzt vor allem der Wirtschaft Berlins nützen.Die Nordautobahn und der Teltow-Kanal werden unter Transitregie gestellt. Abstriche an der Verantwortlichkeit der Alliierten wird es entgegen vielfach geäußerter Besorgnis nicht geben.Mit der Einigung über die Transitpauschale sind die Differenzen zwischen den beiden deutschen Staaten in dieser Frage langfristig ausgeräumt. Das macht den Gesamtkomplex der Beziehungen, wie wir glauben, krisenfester.Die Bereitschaft der DDR, bis 1980 zusätzlich 200 Millionen DM für den Guthabentransfer zur Verfügung zu stellen, wird endlich allen Transferberechtigten den Zugriff auf ihre Konten ermöglichen. Viel Leid, Kummer und Ärger, die sich hier im Wartezimmer angestaut hatten, können damit abgebaut werden. Das ist ein wirklich positives Ergebnis. Aber ich sage: Auch damit sind nicht alle Forderungen erfüllt und nicht alle Ungerechtigkeiten aus der Welt.Unsere finanziellen Gegenleistungen sind enorm. Sie belasten den Haushalt im nächsten Jahr und in den kommenden Jahren außerordentlich. Dies kann die Lobpreisung sehr wohl dämpfen.
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9146 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
HoppeUnd doch will ich mich nicht mit der Redewendung begnügen: Was gut ist, ist auch teuer. Die Berliner werden jedenfalls dankbar zur Kenntnis nehmen, mit welch großer finanzieller Anstrengung eine Politik betrieben wird, die in erster Linie ihren Interessen dient.
Den hohen Preis, der hier gezahlt wird, empfinden die Berliner gewiß als Ausdruck einer politischen Solidarität mit einer isolierten Region. Wir sollten das hier nicht zerreden.
Mit diesen Vertragsvereinbarungen müssen aber nicht nur von uns finanzielle Leistungen erbracht werden. Vielmehr wird auch die DDR mehr und mehr in die Pflicht genommen. Jeder neue Abschluß bringt uns damit auf dem Wege des friedlichen Ausgleichs voran und mindert die Gefahr eines Rückfalls in die Zeiten der Feindseligkeit und der bedingungslosen Konfrontation.
Die FDP legt dabei großes Gewicht auf die verbindliche Erklärung, daß die Verhandlungen 1980 weitergeführt werden. Es darf in der Deutschlandpolitik keinen Stillstand mehr geben.
Wer ein Resümee ziehen will, darf nicht übersehen, daß Berlin und die Verbesserung seiner Lage ganz offensichtlich zum zentralen Punkt der Vere inbarungen geworden sind. Ein, wie mir scheint, unerhört großer Erfolg. Es liegt nämlich noch gar nicht so lange zurück, daß Berlin eine gern benutzte Schraube im Konfliktmechanismus war, an der oft und gern gedreht wurde. Daß zur Entlastung der Situation so viel in einer gemeinsamen Vereinbarung untergebracht werden konnte, zeugt auch von einem Sinneswandel in der Führung der DDR. Dies scheint mir ein bedeutungsvolles Ereignis zu sein, das durch diesen Vorgang erkennbar wird. Daß die DDR-Führung diesen Schritt tim konnte und sich nicht durch Rücksichtnahme auf Interessen des kommunistischen Blocks daran gehindert sah, macht darüber hinaus deutlich, in welchem Maße sich die politischen Verhältnisse in Europa geändert haben. Die konsequent auf Konfliktabbau gerichtete Politik der Bundesregierung hat sich dabei ausgezahlt. Die Handlungsfreiheit für diese Politik des Ausgleichs und der Friedenssicherung haben wir uns durch die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und durch das unsere Freiheit sichernde Verteidigungsbündnis der NATO schaffen können.Das vorliegende gute Ergebnis steht am Ende der von der Opposition 'so beschriebenen und behaupteten „Sackgasse". Ich kann der Opposition deshalb nur raten: Legen Sie endlich Ihre Scheuklappen ab! Die Ansätze zu einer am Grundlagenvertrag orientierten Deutschlandpolitik bleiben bei Ihnen bislang immer wieder im Unverbindlichen stecken. Einmalim Jahr, am 17. Juni, machen Sie eine Ausnahme von Ihrer pessimistischen Weltbetrachtung und lassen dann über das Kuratorium Unteilbares Deutschland moderatere Töne hören. Dort darf dann Ihr offizieller Vertreter im Kreis der anderen Parteien das sagen, was manche in Ihren Reihen heimlich denken. Es ist erst fünf Monate her, daß der Kollege Gradl die von allen Parteien gebilligte Erklärung zum 17. Juni an dieser Stelle vorgetragen hat. Es lohnt sich, sie noch einmal nachzulesen. Ich möchte daraus nur einen Satz zitieren:Es gibt kein gesamtdeutsches Patentrezept, sondern nur mühsame politische Arbeit auf einem ungewiß langen Wege.Das sollte eigentlich jeder unterschreiben können. Weil das so ist, sollte die Opposition damit aufhören, die Summierung des beträchtlichen Fortschritts immer wieder mieszumachen, ja die Fortschritte zu karikieren, wie das in dem heute vorliegenden Entschließungsantrag wieder geschehen ist. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, dazu genügt keine Kurskorrektur. Sie müssen endlich entrümpeln. Tun Sie es nicht, werden Sie auf Ihren alten Ladenhütern sitzenbleiben. Eine Bereicherung für die Politik können Sie damit nicht schaffen, und ein Gewinn für Berlin wird es auch nicht sein.
Es genügt eben nicht, die verlorengegangene Einheit zu beklagen. Die uns durch die Teilung gestellten Probleme müssen durch konkretes Handeln gemeistert werden. Das verlangt Kreativität, Einsatzfreude und Tatkraft. Das verlangt Sinn für das politisch Mögliche, aber auch die Bereitschaft zum Kompromiß.Ich bin mir dabei durchaus bewußt, und ich sage es nicht zum erstenmal: Die politischen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten werden sich unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen in absehbarer Zeit nicht grundlegend verändern, nicht grundlegend verändern lassen. Durch die gegensätzlichen Positionen in der Frage der Einheit der Nation und auch durch den tiefgreifenden Dissens in der Menschenrechtsfrage müssen wir weiter auf Konfliktsituationen eingestellt bleiben. Das haben die Freien Demokraten immer wieder betont. Aber es hat sich dennoch gezeigt, daß in geduldigen Verhandlungen weitreichende Verbesserungen in praktischen Fragen möglich sind. Diesen Weg müssen wir beharrlich weitergehen.Jedoch trotz aller Fortschritte bei der Regelung technischer Fragen bleibt für die Qualität des Zusammenlebens der Menschen in den beiden deutschen Staaten die Lösung humanitärer Fragen das entscheidende Kriterium. Hier ist, was die Senkung des Reisealters angeht, Herr Honecker noch immer im Wort. Im Interesse der Menschen bleibt zu hoffen, daß wir ihn an die Erfüllung seines Versprechens nicht mehr allzu oft erinnern müssen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache zu der Erklä-
Deutscher Bundestag — 8: Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9147
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
rung der ' Bundesregierung über das Ergebnis der Verkehrsverhandlungen mit der DDR beendet.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lenz , Schulte (Schwäbisch Gmünd), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Eyrich, Sick, Vogel (Ennepetal) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
— Drucksache 8/744 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/2266 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dürr
Abgeordneter Dr. Lenz
Es ist interfraktionell eine Aussprache mit Kurzbeiträgen vereinbart worden. Ich frage zunächst, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Wir treten in die allgemeine Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Zum zweitenmal berät der Deutsche Bundestag in zweiter Lesung die vorliegende Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Der vom Rechtsausschuß in Übereinstimmung mit dem Verkehrsausschuß vorgelegte Bericht beabsichtigt, dem Bundestag ein aktives Mitspracherecht in Fragen zu geben, die alle Verkehrsteilnehmer betreffen. Schon als der Gesetzentwurf zum erstenmal hier in der vergangenen Wahlperiode beraten wurde, waren sich Verkehrsausschuß, Rechtsausschuß und das ganze Haus in allen drei Fraktionen darüber einig, daß das geltende Recht nicht mehr zeitgemäß sei, weil es eine solche Mitwirkung ausschließt. Heiß diskutierte Themen wie Sonntagsfahrverbot, Geschwindigkeitsregelungen auf den Autobahnen und der Flensburger Punktekatalog berühren direkt die Interessen von Millionen Autofahrern. Solche Regelungen können nicht einfach mehr durch ein Dekret des zuständigen Ministers mit dem Segen des Bundesrates erlassen werden, sondern sie müssen vom Bundestag, von diesem Hause, behandelt werden, wenn sie von politischer Bedeutung sind.Früher stand der Deutsche Bundestag mit seiner Auffassung allein. Die Unterstützung von Wissenschaft und Öffentlichkeit fehlte. Inzwischen hat Generalbundesanwalt Kurt Rebmann auf den bedauerlichen Mangel an demokratisch-parlamentarischen Verfahrensgarantien hingewiesen, der bei dieser Form der Rechtsetzung unvermeidlich ist. Rebmann weist zunächst darauf hin, daß bei der Terrorismusgesetzgebung, deren Auswirkungen, wie er sagt, den Lebensbereich des einzelnen weitgehend unberührtlassen, Ministerialvorlagen, Ausschußberatungen und Parlamentsdebatten zu vielfältigen juristischen Erörterungen Anlaß gegeben haben. Er fährt dann fort:Liegt dagegen die Entscheidung über eine nahezu jedermann betreffende Verordnung, beispielsweise über eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung oder die Pflicht zum Gurteanlegen, in der Hand eines Ministeriums oder der Regierung, so kann es für den ablehnenden Betroffenen eigentlich nur noch darum gehen, eine praktisch vor dem Erlaß stehende Bestimmung noch rechtzeitig, möglichst mit Hilfe eines Interessenverbands, zu Fall zu bringen.
Rebmann ist nun nicht nur Generalbundesanwalt, sondern auch ausgewiesener Wissenschaftler und Präsident der Deutschen Akademie für Verkehrswissenschaft. Er sieht ebenso wie ich in der Vertretung von Bürgerinteressen durch Verbände kein Negativum; im Gegenteil, das ist ein Kennzeichen unserer demokratischen Ordnung.Aber, meine Damen und Herren, ich meine, es ist ein Negativum, wenn das Parlament aus dieser Vertretung von Bürgerinteressen ausgeschlossen ist oder gar in die Rolle eines Interessenverbands gedrängt wird, der untertänigst beim zuständigen Ministerium oder beim Bundesrat darum bitten muß, eine beabsichtigte Maßnahme zu unterlassen. Das ist eine Position, die des Deutschen Bundestags nicht würdig ist,
Ebenso wie der Generalbundesanwalt möchte jetzt auch der Allgemeine Deutsche Automobilclub, der ADAC, ein aktives Mitspracherecht des Parlaments an Entwicklungen erreichen, die alle Kraftfahrer betreffen. Er unterstützt deshalb den von den zuständigen Ausschüssen des Bundestags gebilligten Gesetzentwurf.Früher .wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf erhoben. Inzwischen sind sie durch ein Gutachten 'ausgeräumt, das der Bundesminister der Justiz dem Rechtsausschuß erstattet hat. Ich möchte dem Bundesminister der Justiz namens des Rechtsausschusses, aber auch namens der Antragsteller für dieses Gutachten danken.
Im übrigen ist die Mitwirkung des Bundestags an Verordnungen laufende Praxis dieses Hauses und keineswegs etwas Neues. Allein in der vergangenen Sitzungswoche standen vier Drucksachen auf der Tagesordnung des Bundestags, die die Mitwirkung des Bundestags an Rechtsverordnungen betrafen. Es handelte sich ich sage das nur der guten Ordnung halber, damit Sie es nachkontrollieren können — um ,die Drucksachen 8/2204, 8/2205, 8/2212 und 8/2213. Das ist also ein laufendes Geschäft in diesem Hause.Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen dargestellt, daß Maßnahmen von einschneidender Bedeutung nicht durch die Exe-
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Dr. Lenz
kutive allein erlassen werden dürfen, sondern der Mitwirkung der Volksvertretung bedürfen. Dies folge, so meint das Bundesverfassungsgericht, aus dem Demokratiegebot des Grundgesetzes.Nun kann kein Zweifel daran bestehen, daß Maßnahmen auf dem Gebiet des Verkehrsrechts für Millionen von Mitbürgern einschneidend sein können. Ich meine deshalb: wir sollten nicht warten, bis uns das Bundesverfassungsgericht oder ein anderes Gericht mahnt, im Bereich des Verkehrsrechts unsere Pflicht zu tun, so wie dies bereits auf dem Gebiet des Strafvollzugs und im Bereich der Schule geschehen ist.Namens der beteiligten Ausschüsse, aber auch namens der Antragsteller bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mahne.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da Herr Professor Schäfer im Vermittlungsausschuß ist, möchte ich eine ganz kurze Stellungnahme für die SPD-Fraktion abgeben.
Wir sehen durchaus die Notwendigkeit, das Recht des Parlaments insoweit zu verstärken, daß wir die Möglichkeit schaffen, diese Rechtsverordnungen im
) Verkehrsbereich auch im parlamentarischen Bereich wieder stärker zu diskutieren, und uns hier ein Mitspracherecht sichern. Denn gerade im Verkehrsrecht — das wurde schon vorgetragen — haben wir es mit einschneidenden Maßnahmen für die betroffene Bevölkerung zu tun. Wir werden draußen im Lande natürlich immer gefragt, was getan worden ist. Wir stehen dafür dem Bürger gegenüber in der Verantwortung. Aus dieser Verantwortung dem Bürger gegenüber möchten wir deshalb hier auch entsprechend mitwirken. Deshalb stimmt die SPD-Bundestagsfraktion dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zu.
Aber wir sollten uns doch einmal überlegen, ob wir nicht langfristig zu einer Änderung des § 6 des Straßenverkehrsgesetzes kommen müssen, um das Verordnungsrecht der Regierung generell einzuschränken. Ich glaube, es ist einfach notwendig, auch aus dem Selbstverständnis des Parlaments heraus, hier das Parlament noch stärker in die Verantwortung zu bekommen, indem wir das Verordnungsrecht der Regierung in entsprechender Weise einschränken. Dies ist nicht eine Frage der Verkehrspolitiker, sondern, ich glaube, in erster Linie der Rechtspolitiker. Wir bitten als Fraktion die Rechtspolitiker, entsprechende Initiativen mittelfristig zu entwickeln.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in der zweiten Beratung einstimmig gebilligt.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — War das eine Gegenstimme? — Jawohl, eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? — Damit ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
- von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Antarktis-Vertrag vom 1. Dezember 1959
— Drucksache 8/1824 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/2292 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 8/2252 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktis-Vertrag
— Drucksachen 8/1427, 8/2253 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schmitt-Vockenhausen
dazu
Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/2292
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann
Ich frage, ob jemand von den Herren Berichterstattern eine Ergänzung der vorgelegten Berichte wünscht.. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann danke ich den Herren Berichterstattern.
Wir treten in die allgemeine Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema „Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktis-Ver-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9149
Dr. von Gelderntrag" findet heute die dritte Debatte innerhalb eines Dreivierteljahres statt. Dabei ist bemerkenswert, daß erstens einmal mehr die CDU/CSU es war, die dieses wichtige Thema durch ihren Antrag im Februar diese Jahres in die parlamentarische Beratung eingeführt hat. Wie im Bereich der Seerechtskonferenz, von der heute vormittag schon ausgiebig die Rede war, insbesondere des künftigen Meeresbergbaus, und in den anderen Bereichen politischer Zukunftsplanung zeigt sich hier, daß die Aufgabe des gesamten Parlaments, an der Planung teilzunehmen und die Bundesregierung in diesem Berreich zu kontrollieren und auch anzuregen, lediglich von der Opposition entschlossen wahrgenommen wird:
Zweitens ist bemerkenswert, daß die Redner aller Fraktionen und der Bundesregierung in allen Aussprachen zu diesem Thema jedesmal von neuem die Vorzüge des Antarktis-Vertrages gerühmt haben, nämlich das Verbot jeglicher militärischer Nutzung, das Verbot von Kernwaffen, das Verbot, nuklearen Abfall in der Antarktis zu lagern, die völlige Forschungsfreiheit der beteiligten Staaten, ihre gegenseitige Zugangs- und Bewegungsfreiheit, das Inspektionssystem, das tatsächlich weltweit beispiellos ist, das Konsultationsprinzip der Partnerstaaten, die weit entwickelte wissenschaftliche Zusammenarheit zum Zwecke friedlicher Nutzung usw. Dies alles ist richtig und kennzeichnet auch den Vertrag. Es bietet sich an, diese Vorzüge zu preisen, aber es braucht nicht wiederholt zu werden,
was an dieser Stelle zum Schönen und Guten des Vertrages schon treffend gesagt worden ist.
Es gibt auch die andere Seite der Medaille, hier wie überall. Der Antarktis-Vertrag ist diskriminierend. Es gibt erstens Vollmitglieder, die alle Rechte in der Antarktis für sich beanspruchen und sich in sehr exklusiven, zum Teil bis heute geheimgehaltenen Konsultativtreffen über die Entwicklung des sechsten Kontinents unterhalten. Die anfangs zwölf, heute dreizehn Konsultativpartner gehen mit ihrem Herrschaftswissen über die Antarktis sehr vorsichtig um. Es gibt zweitens einfache, sogenannte Nichtkonsultativmitglieder — Anwärter, kann man auch sagen —, zu denen wir neben sechs weiteren Staaten nun wohl erst einmal gehören werden. Es gibt schließlich die Nichtmitglieder des Paktes, und das, meine Damen und Herren, ist der Rest der Welt.Unter den Vollmitgliedern wiederum gibt es solche, die in der Antarktis territoriale Ansprüche gegen die anderen Partner für sich erheben. Diese sind lediglich für einige Jahre eingefroren. Es gibt andere, die eine gemeinsame Nutzung der Antarktis durch die Partnerstaaten wollen. Letztere wiederum sind zu unterscheiden in Staaten, die sich, sobald technisch und wirtschaftlich möglich, dem Abbau der Rohstoffe widmen wollen, und in andere, die ein Moratorium propagieren, das sie mit ökologischen Gesichtspunkten begründen, welches aber ganz offenbar in erster Linie durch technisches Unvermögen motiviert ist. Hier zeigt sich übrigens eine Parallele zum Verhalten derselben Staaten gegenüber dem Tiefseebergbau bei der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen.Schließlich gibt es Antarktispartner, die diesen Kontinent exklusiv verwalten wollen, und solche, die ihn internationalisieren, möglicherweise einer UNO-Behörde unterstellen wollen. Auch hierzu gibt es Bekenntnisse — wohl Lippenbekenntnisse — der Sowjetunion, die weiß, wessen Sympathien sie damit anspricht.Die Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen — dieser wiederholte Vergleich ist beim Thema Antarktis unvermeidlich — hat dieses Thema auch nicht vergessen und die Antarktis in das sogenannte gemeinsame Erbe der Menscheit gedanklich einbezogen. Besonders forsch gehen dabei solche Länder vor, die bei der Errichtung der 200-SeemeilenWirtschaftszone um ihre Küsten erst einmal selbst gut abgeschnitten haben und die heute nach dem Prinzip verfahren: Was meins ist, ist meins, und was deins ist, ist unseres. Die Bundesrepublik Deutschland hat damit ja schon ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht.Nachdem nun im September/Oktober 1977 in London durch die Antarktispaktstaaten beschlossen wurde, im Frühjahr dieses Jahres in Canberra mit der Erarbeitung eines Abkommens über die lebenden Ressourcen für die Antarktis zu beginnen und es bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen, hat die Bundesregierung unter Hinweis auf unser kostspieliges Krill-Erforschungsprogramm um Teilnahme nachgesucht und wurde von den Staatens des Paktes kaltlächelnd abgewiesen. Nachdem ebenfalls in London beschlossen worden ist, in den kommenden zwei Jahren ein Abkommen über die Nutzung der mineralischen antarktischen Rohstoffe und der Energieträger abzuschließen, an dem wiederum Außenseiter nicht beteiligt werden sollen, ist es für unsere Bemühungen allerhöchste Zeit geworden, wenn wir überhaupt noch, um dieses Bild zu gebrauchen, einen Fuß zwischen diese Eisschranktür bekommen wollen, um an den Schätzen im Innern des Kühlschranks eines Tages teilhaben zu können.Diese Entwicklung schildere ich nicht, um die Qualität des Antarktis-Vertrages herabzusetzen, sondern um sie von einer anderen Seite zu beleuchten und damit eigentlich nur noch stärker herauszustellen. Es bringt uns nämlich überhaupt nicht weiter, wenn wir in dieser Frage die sehr nüchternen Fakten nicht sehen und etwa ängstlich vermeiden, den rohstoffpolitischen Aspekt anzusprechen, wie verschiedene Redner der Koalition, die nebulös von reiner Grundlagenforschung reden, und auch der Forschungsminister in seinen Veröffentlichungen, den ich fragen muß, wie er eigentlich mit dem hehren Forschungsziel der Erhaltung des antarktischen Ökosystems ein Forschungsprogramm vor dem Steuerzahler oder auch nur vor dem Finanzminister rechtfertigen will, das einen Aufwand von einigen hundert Millionen D-Mark schon in wenigen Jahren erforderlich machen wird.Der Vorgänger des gegenwärtigen Forschungsministers, Herr Matthöfer, hat da in seinem Brief9150 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag,, den 16. November 1978Dr. von Geldernan den Bundeskanzler vom 30. Januar dieses Jahres eine viel deutlichere Sprache gesprochen, aus dem ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren möchte:Das Rohstoffpotential der Antarktis kann für die Bundesrepublik Deutschland unter zwei Zielsetzungen von großer Bedeutung werden. Seine Erforschung, Erschließung und Nutzung könnte zur langfristigen Sicherung der deutschen Rohstoffversorgung beitragen und erfordert neue hochwertige Technologien, deren Entwicklung mit deutscher Beteiligung oder in eigener Regie erfolgen könnte. Dadurch würde ein Beitrag zur langfristigen Sicherung und Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geleistet.Soweit der heutige Finanzminister. In nichtöffentlicher Aussage jedenfalls hat er die notwendige klare Sprache gesprochen. Wir dürfen uns gegenseitig nichts vormachen. Die Tabuisierung unserer wirtschaftlichen Interessen nützt niemandem, ist nicht ehrlich und geht an der in den Protokollen und Beschlüssen des Antarktis-Klubs längst erfolgten Hin-, Wendung zu den harten Fakten nur vorbei.Auch die im Vergleich zu manchen Äußerungen aus der SPD-Fraktion, die in der Erschließung der Antarktis wie im Meeresbergbau Neokolonialismus wittern, noch harmlos freundliche Überlegung unseres FDP-Kollegen Schäfer aus der ersten Lesung, wir sollten eine Beteiligung der Dritten Welt am Geschehen in der Antarktis auf unser Programm schreiben, ist auf absehbare Zeit realitätsfern. Wir müssen erst einmal selbst den Einstieg finden — dabei sind wir nun endlich — und können den Signatarstaaten von 1959 nicht gleich mit Weltbeglückungsplänen für andere kommen, bevor wir selbst voll akzeptiert sind. Übrigens sind auch Entwicklungsländer aus Lateinamerika schon dabei. Es wird sich auch auf lange Zeit nicht ermöglichen lassen, Staaten zur Teilnahme an dem technisch und finanziell schwierigen und aufwendigen Antarktis-Programm aufzufordern, denen dafür jegliche Voraussetzung mangelt. Die auch von uns erwünschte Teilhabe aller an den Schätzen der Antarktis stellt sich doch erst, wenn diese gehoben werden. Dazu sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich, die auch uns nicht ganz leicht werden, wenn wir in den nächsten zehn Jahren möglicherweise tatsächlich damit beginnen können, die Energie- und. dann in weiteren zehn Jahren die Mineralrohstoffe allmählich zu erschließen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zu unserer Eintrittskarte für den Klub sagen, zum Forschungsbereich selbst: Es besteht Einigkeit darüber, daß die Intensivierung der deutschen Antarktis-Forschung ein eigenes zentrales Antarktis-Forschungsinstitut in der Bundesrepublik Deutschland erfordert. Ebenso besteht aber auch darüber Einigkeit, daß es nicht bei der bloßen Einrichtung eines solchen Instituts bleiben darf, daß vielmehr auch eine verstärkte Förderung derjenigen Institutionen geboten ist, die bereits heute in den einschlägigen Wissenschaftsgebieten tätig sind und mit einem künftigen zentralen Antarktis-Forschungsinstitut kooperieren sollen. Dieses Institut muß nach Auffassung der Experten einen Kristallisationskern der zur Zeit zersplitterten deutschen Antarktis-Forschung darstellen, ohne zugleich einen Monopolanspruch für die Forschung zu erheben. Das Institut muß als internationale Adresse der deutschen Antarktis-Forschung höchsten wissenschaftlichen Anforderungen genügen und stark interdisziplinär orientiert sein. Das Institut muß schließlich die wichtigen Probleme der Logistik für die ganzjährige deutsche Antarktis-Station lösen; daher bietet sich ein küstennaher Standort an.Ich bitte die Bundesregierung um entschlossenes, schnelles und klares Handeln. Die vor uns liegenden Aufgaben verlangen einen großen Einsatz. Wenn wir diesen leisten können, wird das nicht nur zu unserem nationalen Nutzen sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmitt-Vockenhausen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der gesamten Welt hat deutlich gemacht, daß Bodenschätze und Fischfang im jetzigen Umfang für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft und damit auch für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft nicht genügen. Die Auseinandersetzung um die Nutzung der lebenden und der mineralischen Ressourcen in den Weltmeeren und der möglicherweise riesigen Vorkommen, die sich unter den Eisdecken der Antarktis befinden, hat nicht nur die Phantasie der Forscher beflügelt, sondern auch die Nationalökonomen und nunmehr die Politiker auf den Plan gerufen. Und, meine Damen und Herren, es ist natürlich ein Genuß, festzustellen, daß die CDU/CSU sofort sagt: Ohne uns wäre das Ganze nicht gegangen. Aber, Herr von Geldern, wie schön wäre es doch gewesen, wenn Sie in den zehn Jahren, in denen Sie nach 1959, seit Existenz des Vertrages also, den Forschungsminister gestellt haben, auch in der Sache etwas getan hätten! Es ist ja so gewesen, daß überhaupt erst diese Bundesregierung die Dinge in Gang gebracht hat.
Sie als Opposition sind in der angenehmen Lage, mit einem mehrzeiligen Entschließungsantrag eine Initiative ergreifen zu können, aber die eigentlichen Vorarbeiten wurden natürlich in sehr langer Zeit von der Bundesregierung geleistet, und im Grunde sind Sie ja mit diesen Arbeiten auch sehr einverstanden.
— Herr Kollege Franke, es kommt doch wohl nichtdarauf an, woher man kommt; auch Binnenländerdürfen sich doch mit solchen Fragen beschäftigen.
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Dr. Schmitt-VockenhausenEs ist dies kein spezielles Privileg der Herrschaften von der Küste, wenn ich das einmal so formulieren darf; denn sonst hätte ja Herr Stoltenberg in den vier Jahren, in denen er Forschungsminister war, dieses Problem aufgreifen können. Darauf könnten Sie heute stolz sein, so aber müssen Sie betreten schweigen, wenn Sie an diese Jahre zurückdenken.
Wir sind nun dabei, in den Kreis der zwölf Länder einzutreten — —
— Aber bitte, Herr Kollege! Allerdings haben wir Kurzbeiträge; daher bitte eine kurze Frage.
Darf ich Sie kurz fragen, ob Ihnen eigentlich bekannt ist, daß eine der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im Antarktis-Pakt die UNO-Mitgliedschaft ist, die wir doch erst seit 1973 besitzen?
Herr Kollege, das weiß ich, aber in der Frage der Forschungsvorhaben hätten wir in all den Jahren schon eine Reihe von Vorbereitungen treffen können. — Wir sind jedenfalls erst jetzt dabei, in den Kreis der Länder einzutreten, die den Antarktis-Vertrag in Washington unterzeichnet haben oder später auf Grund ihres bewiesenen Interesses in der Antarktis hinzugekommen sind.Aber wenn ich Ihnen noch etwas zur UNO- Mitgliedschaft sagen darf: Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wären wir doch auch heute noch nicht Mitglied; auch da haben Sie ja noch lange auf der Leitung gesessen, wenn ich das einmal so sagen darf.
Dabei haben sich deutsche Wissenschaftler schon sehr früh für die Antarktis interessiert. Das beginnt bereits mit der Grönland-Expedition von 1873, die Palmer-Land und neue Inselgruppen entdecken konnte, und endet zunächst einmal 1938/39 mit der deutschen arktischen Expedition, die die verschiedensten Gebiete zum Gegenstand ihrer Forschungen machte. Der Zweite Weltkrieg unterbrach diese langdauernde und regelmäßige Forschungstätigkeit.Erst 1975/76 gab es wieder eine Unternehmung; sie galt der Erforschung des Krills. 1977/78 schloß sich zu diesem Gegenstand eine zweite AntarktisExpedition an, und ich sehe immer noch, mit welchem Genuß der Minister Matthöfer den Krill dem deutschen Volk in der Hoffnung vorgestellt hat, daß er uns allen später einmal gut schmeckt, obwohl ich natürlich lieber bei fleischlichen Genüssen bleibe.
Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges und die schwierigen Probleme, die sich für die Bundesrepublik in der Nachkriegszeit immer wieder ergeben haben, waren wohl der Grund dafür, daß die Chancen der Sonderbestimmungen, die sich aus dem Antarktis-Vertrag ergeben, damals nicht sofort genutzt wurden und nicht die Aufnahme auf Grund erheblicher wissenschaftlicher Forschungsarbeiten beantragt wurde. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß die Bundesregierung diese Aufgabe nunmehr — seit 1976 — mit Tatkraft aufgegriffen hat.Die Gesamtsituation der Antarktis ist durch diesen Vertrag vom 1. Dezember 1959 nicht voll geregelt. Er hat aber in entscheidender Weise zur Entspannung in einem großen Gebiet beigetragen, in dem sich die Interessen im Hinblick auf Rohstoffe, Forschung und militärische Sicherheit kreuzen. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß mit dem Beitrittsverfahren nunmehr auch die völkerrechtlichen Voraussetzungen für unsere Aufnahme zu dem Vertrag von 1959 und damit zur internationalen Zusammenarbeit geschaffen werden.Ein wesentlicher Aspekt dabei war die Schaffung einer entmilitarisierten und kernwaffenfreien Zone erheblichen Ausmaßes, das erste internationale Abkommen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses Abkommen funktioniert. Da sich die Bundesregierung zu einem umfassenden Verbot von Kernwaffenbesitz bekannt hat, begrüßte sie eine solche Vereinbarung. Je stärker die wissenschaftliche Forschung in der Antarktis vorangetrieben wird, um so klarer ist es, daß diese wichtigen Grundlagen des Vertrages eingehalten werden, und um so sicherer wird das Fundament, Herr Kollege, auf dem wir arbeiten.Der Vertrag hat für bestimmte Mächte eine besondere Stellung vorgesehen, und zwar für die ursprünglichen Unterzeichnerstaaten sowohl als auch für die Staaten, die erhebliche wissenschaftliche Arbeiten vorweisen können. Es liegt daher nahe, daß die Bundesrepublik, die diesen Anspruch durch ihre Forschungsvorhaben erfüllt, den Rang eines Konsultativmitgliedes erwirbt, der die Bundesrepublik in die Lage versetzt, diesen Vertrag aktiv mit zu gestalten.Das Bundesministerium für Forschung und Technologie hat die Aufgabe übernommen, im Rahmen seines Programms „Antarktisforschung" und im Zusammenhang mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesministerium für Landwirt- , schaft und Forsten die antarktisbezogenen Forschungsbeiträge zu erarbeiten, die das Interesse der Bundesrepublik an der Antarktis nach Art. IX des Vertragswerkes bekunden. Hauptpunkte dieses Programms sind die Schaffung eines Polarforschungsinstituts, dem eine Koordinierungsfunktion für deutsche Antarktisaktivitäten im weitesten Sinne zukommt. Der Standort für dieses Institut, für das man im Augenblick mit 15 Stellen für Wissenschaftler 30 weiteren Stellen für Technik und Verwaltung sowie schließlich 30 Stellen für Zeitverträge zur Disposition rechnet, soll aus naheliegenden Gründen in Norddeutschland bestimmt werden. Dem entspricht in der Antarktis selbst eine Basis-
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Dr. Schmitt-Vockenhausenstation mit den entsprechenden technischen Einrichtungen einschließlich einer Start- und Landebahn für Versorgungsflugzeuge. Auch hier ist die Standortfrage noch nicht geklärt und muß noch entschieden werden. Was die personelle Besetzung angeht, so wird man auch hier mit etwa 30 Wissenschaftlern im Sommerbetrieb und etwa 6 im Winterbetrieb rechnen können. Meine Damen und Herren, das ist sicher eine reizvolle und interessante Aufgabe für unsere Forscher, die hier eine Chance in einem interessanten Bereich finden.Zur Verbindung dieser beiden Einrichtungen auf dem Gebiet der Forschung und der Versorgung stellt sich die Notwendigkeit eines Polarforschungsschiffes. Die Vorarbeiten laufen auch hier. Aber, meine Damen und Herren, umsonst gibt es natürlich nichts. Das kostet viel Geld, und es macht ein erhebliches finanzielles Engagement erforderlich. Ich bin aber sicher, diese Aufwendungen, die die Bundesregierung für die nächsten Jahre eingeplant hat, werden sich insgesamt für uns und für unsere Volkswirtschaft lohnen.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktionstimmt dem vorgelegten Vertrag und auch der Entschließung in der Erwartung zu, daß wir in den nächsten Jahren ein entscheidendes Stück auf diesem Gebiet weiterkommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Zeit der Unterzeichnung des Antarktis-Vertrages 1959 standen zwei Aspekte im Vordergrund: vor dem Hintergrund des Kalten Krieges die Bestrebungen zur ausschließlich friedlichen Nutzung der Antarktis und als Folge des Internationalen Geophysikalischen Jahres die Bemühungen um Wahrung der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung.Lassen Sie mich grundsätzlich bemerken, daß sich der Antarktis-Vertrag nicht originär mit der Ausbeutung lebender oder mineralischer Ressourcen befaßt. Die wissenschaftlichen Aspekte der Antarktisforschung lassen sich jedoch kaum von wirtschaftlichen und bis zu einem gewissen Grade auch nicht von militärischen Gesichtspunkten trennen.Ziel des Vertrages ist die Erhaltung der Unversehrtheit des Gebietes südlich des 60. Breitengrades. Für die Bundesrepublik Deutschland liegt das Hauptgewicht auf dem Gebiete der Forschung.Zunächst aber zum Abrüstungsaspekt: Er stand am Anfang unserer Überlegungen. Der AntarktisVertrag entspricht in seiner rüstungskontrollpolitischen Zielsetzung voll und ganz unserer Politik der Entspannung, der Friedenssicherung und Rüstungskontrolle. Das wurde bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs hier im Hause von allen drei Fraktionen einhellig anerkannt. Dieser Antarktis-Vertrag ist der erste Nichtrüstungsvertrag nach dem Zweiten Weltkrieg, er ist die erste Vereinbarung einer kernwaffenfreien Zone, eines regionalen Kernwaffenversuchsverbotes sowie einer umfassenden Verifikationsregelung, die auch auf anderen Gebieten als vertrauensbildende Maßnahme vorbildlich sein bzw. werden könnte. Um aktiv an dieser Regelung teilnehmen zu können, müßten wir jedoch noch als Vertragspartner zusätzlich die Qualifikation zur Teilnahme an den Konsultativtreffen nach Art. IX Abs. 2 erlangen.Die Signatarstaaten des Antarktis-Vertrages und Polen haben sich, wie Sie wissen, als sogenannte Konsultativstaaten eine Reihe von Sonderrechten vorbehalten, u. a. die Beschlußfassung über Vertragsimplementierungen und Änderungen, die Veranstaltung von Konsultationstagungen, die Ausarbeitung von Nutzungsregimen, die Inspektionsrechte. Laut Art. IX des Vertrages ist Voraussetzung für die Aufnahme von Vertragsparteien in den engeren Kreis von Konsultativstaaten die Ausführung erheblicher wissenschaftlicher Forschungsarbeiten in der Antarktis. Anläßlich der Aufnahme Polens ist • das näher definiert worden als die Errichtung einer festen Forschungsstation.Auf Grund von Sondierungen in den Hauptstädten den Konsultativstaaten erwarten wir, daß ein Antrag auf Aufnahme positiv aufgenommen wird. Aber überwiegend hat sich dabei herausgestellt, daß das, was wir bisher in diesem Bereiche getan haben, daß insbesondere die beiden Krillexpeditionen noch nicht ausreichen als erhebliche wissenschaftliche Tätigkeit im Bereich der Antarktis.
Wir begrüßen es deshalb außerordentlich, daß sich das Auswärtige Amt und der Bundesminister für Forschung und Technologie gemeinsam dafür eingesetzt haben, im Rahmen eines Forschungsprogrammes die Errichtung eines Polarforschungsinstituts in der Bundesrepublik Deutschland, die Errichtung einer Basisstation vor Ort sowie den Bau eines eisgehenden Forschungsschiffes zu realisieren.Die Errichtung der Station soll im antarktischen Sommer 1979/80 erfolgen, so daß mit der Erlangung des Konsultativstatus nach Abschluß des hierfür vorgesehenen Notifizierungsverfahrens noch im Jahre 1980, so hoffen wir, gerechnet werden kann. _Was das zu errichtende Polarforschungsinstitut angeht, so wissen wir natürlich alle — um den regio• nalen Aspekt anzusprechen — um die konkurrierenden Bestrebungen der Küstenstädte Hamburg, Bremen und Kiel. Wir meinen, daß auch die Bemühungen der westfälischen Stadt Münster in die Überlegungen einbezogen werden sollten, da dort bereits nennenswerte Forschungskapazitäten für diesen Bereich vorhanden sind.Noch einige kurze Aspekte außenpolitischer Art im Zusammenhang mit dem Erwerb des Konsultativstatus: Die deutsche Forschungsstation wird voraussichtlich auf dem Filchner Eisschelf errichtet werden. Hier überschneiden sich Territorialansprüche Argentiniens, Chiles und des Vereinigten Königreichs. Grundsätzlich dazu: Der Antarktis-Vertrag klammert Gebietsansprüche aus. Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung ist gesichert. Die Errichtung einer Forschungsstation auf beanspruchtem
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GattermannGebiet bedarf daher keiner Genehmigung durch die betroffenen Staaten. Dem steht eine rechtzeitige Unterrichtung nicht im Wege, die so erfolgen muß, daß in der Frage von Ansprüchen auf Gebietshoheit präjudizierende Stellungnahmen vermieden werden.Der Konsultativstatus erlaubt es, auch an der Neuordnung der Rechtsverhältnisse in der Antarktis teilzunehmen. Im Vordergrund steht bisher die Schutzkonvention für lebende marine Ressourcen. Seit 1977 laufen Verhandlungen, die wohl so weit fortgeschritten sind, daß mit der Verabschiedung von Verhandlungsergebnissen auf der Bevollmächtigtenkonferenz Anfang 1979 in Canberra gerechnet werden kann. Nach Abschluß einer Konvention über den Schutz lebender Ressourcen wird eine Schutzkonvention für mineralische Ressourcen in den Vordergrund des Interesses der Konsultativstaaten rükken. Wir halten es für richtig, daß sich bis zum Inkrafttreten einer solchen Konvention die Vertragsstaaten verpflichtet haben, auf einen Abbau von Bodenschätzen zu verzichten. Bei Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktisvertrag muß sie auch diese Verpflichtungen mit übernehmen. In Vorbereitung des 10. Konsultativtreffens Ende 1979 in Washington werden dann Experten der Konsultativstaaten die schwierigen rechtlichen und technischen Probleme einer Nutzung der mineralischen Ressourcen — das ist wichtig — unter Erhaltung des antarktischen Ökosystems andiskutieren.Unser Beitritt zum Antarktis-Vertrag und unsere Aufnahme in die Konsultativrunde der Vertragspartner geben der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, unsere in der wissenschaftlichen Welt anerkannte Rolle in der Arktisforschung wieder aufzunehmen und über die internationale Zusammenarbeit in der Antarktis und über ihre friedliche Nutzung mit zu entscheiden. Die FDP-Fraktion stimmt deshalb dem vorliegenden Gesetzentwurf und den vorliegenden Entschließungen zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Antarktis-Vertrag vom 1. Dezember 1959. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktis-Vertrag, Drucksache 8/2253. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1427 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Punkt 5 der Tagesordnung ist abgesetzt. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Verkehrsbeziehungen mit den RGW-Ländern — Drucksachen 8/1292, 8/1906 —
Berichterstatter: Abgeordneter Curdt
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sick.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause wieder einmal ein Thema, das sich scheinbar als ein Spezialthema darbietet, das eigentlich nur wenige angeht, das aber in Wirklichkeit ein Thema von umfassender politischer Bedeutung ist. Wenn auf diesem Gebiet der Verkehrsbeziehungen mit den RGW-Ländern nicht sehr bald etwas Spürbares geschieht, dann erleiden wir im nationalen Rahmen Schäden an unserer Verkehrswirtschaft, die nicht mehr zu reparieren sein werden und die vor allen Dingen Folgen haben werden, die weit in andere Bereiche hineingehen. Ich will nur am Rande erwähnen, daß gerade die deutsche Verkehrswirtschaft ausgesprochen mittelständisch strukturiert ist und daher auch ihre Leistungsfähigkeit hat.Um was geht es? Es geht darum, daß wir als Opposition den Eindruck haben, daß die Bundesregierung, der Herr Bundesverkehrsminister, die Dirnensionen, um die es hier in Wirklichkeit geht, nicht erkannt hat.
Insbesondere von der Sowjetunion wird eine mit äußerster Präzision gesteuerte Strategie verfolgt, deren Ausmaß wir mit wenigen Worten schildern können: Haus-Haus-Verkehr von Wladiwostok bis Amsterdam, vom Pazifik bis zum Atlantik mit einem vollen Übergreifen auf das gesamte westeuropäische Gebiet. Herr Bundesverkehrsminister, Sie sollten sich einmal die erkennbare Entwicklung ansehen, z. B. die transsibirische Containerlinie, die inzwischen bereits 12 % des bisher in der Ostasienfahrt auf den Linienverkehr entfallenden Transports auf sich gezogen hat, so daß das zusammen mit der Odessa-Linie heute schon fast 16 % und beim Japan-Verkehr sogar 20 % sind. Weiter sollten Sie sich die Baikal-Amur-Marginale ansehen, die zum Teil vierspurig ausgebaut wird und beachten, welche Verlagerungen der Transportströme dies mit sich bringen wird. Das ist Bestandteil einer Logistik, die von der Sowjetunion über eigene Firmen ausgebaut wird. Hier ist ein klares Konzept zu erkennen, das wir bei der Bundesregierung vermissen. Das Konzept der Sowjetunion heißt: Monopol, mindestens
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SickMehrheit. Es gibt unter den Verkehrsunternehmen, an denen die Sowjetunion beteiligt ist, nicht ein einziges, bei dem sie nicht mindestens die Mehrheit hat.Hier, Herr Bundesverkehrsminister, muß ich auch ein bißchen zur Auflockerung sagen. Sie stehen da mit einem verkehrspolitischen Bauchladen: Hier mal ein bißchen Straßenverkehrsverhandlung, da mal ein bißchen Luftverkehrsverhandlung, da mal ein bißchen Ladungslenkung. Etwas, worauf Sie in Ihrem Hause stolz sind, ist die Ladungslenkung im Ostseeverkehr. Sie gilt aber nur bei Stückgut, und bei näherem Betrachten stellt man fest, daß es genau 5 O/o sind. Alles andere, so sagen die Russen, sei kein Stückgut, das fahren sie selber. Das führt zu einer Verkehrspolitik, meine Damen und Herren, die eine tiefgreifende Wirkung auf unsere gesamte Wirtschaft haben wird, weil wir dann als exportorientierte Nation total abhängig werden. Das können wir uns nicht leisten.Ich will hier gern auch ein mahnendes Wort an unsere eigenen Verlader, an die deutsche Wirtschaft, richten. Man sollte auch hier darauf achten, daß Verkehr mehr als nur ein Dienstleistungsfaktor ist. Es fragt sich, ob es auf lange Sicht immer klug ist, temporäre Tarifvorteile im eigenen Interesse auszunutzen. Das will ich der deutschen Wirtschaft von dieser Stelle aus einmal gesagt haben; sie möge das bitte aufnehmen.Herr Bundesverkehrsminister, wir wissen, daß Sie die bisherigen Verhandlungen gut haben führen lassen. Daran ist nichts auszusetzen. Aber das, was Sie tun, ist ein Herumlaborieren an den Symptomen. Sie haben keine klare Diagnose und kennen deswegen auch nicht die Therapie.Es stellen sich Fragen der Gegenseitigkeit, Fragen des Ausgleichs. Sie sagen, Sie wollten verhandeln, Sie wollten etwas versuchen, Sie hätten Aussicht. Aber es passiert nichts.Herr Verkehrsminister, wir haben an Sie eine klare Bitte. Sie sind Vorsitzender des Rates der Europäischen Verkehrsminister. Ich hoffe, Sie werden diese Probleme auch auf der Konferenz am 23. November besprechen. Bitte tragen Sie auch dies dort mit dem gebotenen Ernst vor; denn ich meine, daß wir dieser Konzeption der Sowjetunion wirksam und auf Dauer nur mit einer auf den ganzen EG-Raum abgestimmten Haltung begegnen können.
Lassen Sie mich, bevor ich zum Schluß komme, allen Kollegen in diesem Hause noch etwas anderes sagen. Ich weiß, hier wird man sagen: Es ist erledigt. Sie werden das mit Ihrer Mehrheit auch so beschließen. Aber, meine Damen und Herren, betrachten wir einmal etwas anderes. Ich sagte, es handelt sich nicht nur um Verkehrspolitik. Es bleibt dabei, daß wir mit den Methoden Ihrer Ostpolitik nicht einverstanden sind. Aber mit den erklärten Zielen, Frieden zu bewahren und Entspannung zu bewirken, stimmen wir voll überein. Wenn wir gemeinsam dieser Auffassung sind und dann erkennen müssen, daß sich hier Störfelder entwickeln, dieein solches Gewicht erlangen können, daß politische Schieflagen herbeigeführt werden, die keiner gewollt hat, dann sollten wir dies über den Bereich der Nur-Verkehrspolitik hinaus sehr wohl beachten und uns gemeinsam Mühe geben, solche Schieflagen zu beseitigen und vernünftige Verhältnisse herbeizuführen.Zum Schluß wende ich mich hier für die Opposition auch an die Sowjetunion. Wir müssen, wenn wir dieses übergeordnete politische Ziel erreichen wollen, miteinander vernünftig sein. Auch die Sowjetunion sollte erkennen, daß ihr Vorteil, ihr wohlverstandenes Interesse auf Dauer darin liegen muß, hier zu vernünftigen, ausgewogenen Verhältnissen zu kommen, so wie es auch die KSZE gesagt hat.
Wenn wir es so sehen, meine Damen und Herren, dann ist hier nichts erledigt.Ich weiß, Sie werden abstimmen und sagen: Erledigt; es läuft alles bestens. Das können Sie tun. Eines können Sie nicht tun: uns daran hindern, unsere Pflicht zu tun, d. h. diese nicht befriedigenden Verhältnisse immer wieder mit dem notwendigen Ernst und dem notwendigen Nachdruck hier vorzutragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Curdt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Ausweitung des Osthandels haben sich in den letzten Jahren allerlei Probleme eingestellt. Wir wissen das. Die deutsche Verkehrswirtschaft ist davon in besonderem Maß betroffen.Der vorliegende Antrag der CDU/CSU, der uns ja im vorigen Dezember schon einmal und inzwischen auch im Ausschuß beschäftigt hat, enthält drei wesentliche Forderungen: 1. die Definition des Begriffs der angemessenen Teilnahme deutscher Verkehrsunternehmen am Ost/West-Warenverkehr, 2. die Aufstellung eines Kodex über die Niederlassungsfreiheit und gegen deren mißbräuchliche Ausnutzung, 3. den Abschluß von Vereinbarungen mit RGW-Ländern über eine ausgewogene Beteiligung deutscher Verkehrsunternehmen am Ost/WestWarenverkehr.Wie in anderen Fällen möchte ich mir natürlich auch in diesem Fall die Frage erlauben, ob die Bemühungen, die von der Bundesregierung eingeleitet wurden — wir konnten das bei der Einbringung des Antrags der Opposition ja schon erkennen —, nicht schon bei der Antragstellung erkennbar gewesen sind. Denn inzwischen müssen wir feststellen, daß die Bundesregierung sich schon seit längerer Zeit bemüht, die beim Osthandel aufgetretenen Schwierigkeiten auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Nachdem das Bundeskabinett im September 1977 entsprechende Beschlüsse gefaßt hatte, wurde der Standort der Bundesregierung beim Besuch des Bundesverkehrsministers im Oktober 1977 der Regierung der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9155
CurdtUdSSR sehr deutlich gemacht. Die dabei vereinbarten Expertengespräche über den Straßengüterverkehr und die Seeschiffahrt haben im Januar 1978 in Bonn stattfinden können. Im Mai 1978 folgten in Moskau Kooperationsgespräche zwischen deutschen Verbänden und der staatlichen sowjetischen Transportorganisation.Die Ergebnisse dieser Gespräche und die daraus folgenden Vereinbarungen sind von der Bundesregierung im Verkehrsausschuß ausführlich dargestellt worden. Als Resümee ergab sich dabei:1. Eine „angemessene" oder, wie gefordert, „ausgewogene" Beteiligung am Verkehr zwischen den RGW-Ländern und der Bundesrepublik Deutschland kann weder bezüglich der einzelnen Länder noch im Hinblick auf einzelne Verkehrsträger schematisch betrachtet werden. Im Einzelfall müssen jedenfalls die handels- und die verkehrspolitischen Interessen nicht unbedingt übereinstimmen. Das ist ein Ergebnis unserer gemeinsamen Feststellungen.2. Die Aufstellung eines Kodex mit dem Ziel, eine mißbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit in der Bundesrepublik durch RGW-Staaten zu verhindern, stößt auf Schwierigkeiten. Wenn beispielsweise Transportfirmen mit RGW-Kapitalbeteiligung die deutschen Gesetze — ich nenne hier etwa das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Kartellgesetz — nicht verletzen, ist eine staatliche Beschränkung gar nicht möglich. Dies ginge allenfalls, wenn die Beteiligung von RGW-Kapital an deutschen Firmen verboten oder beschränkt würde; dies müßte dann allerdings zwangsläufig auch alle anderen Bereiche außerhalb des Verkehrssektors erfassen.3. Bilaterale Regelungen mit RGW-Staaten über eine ausgewogene Beteiligung deutscher Verkehrsunternehmen berühren zwangsläufig das Problem der Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft. Diese Frage ist daher nur im Zusammenwirken aller EG-Staaten zu lösen.Nachdem ich Ihnen dies vorgetragen habe, möchte ich Ihnen etwas über die konkreten Ergebnisse der bisherigen Bemühungen berichten.Für den Straßengüterverkehr wird, wie wir wissen, ein Kraftfahrzeugsteuerbefreiungs-Abkommen beiderseits angestrebt. Die sowjetische Straßenbenutzungsgebühr für deutsche Lkw ist bis zum Abschluß eines Abkommens um 75 % herabgesetzt worden, und es wird Erleichterungen bei der Einfahrt von deutschen Lkw in die UdSSR geben. Außerdem sind konkrete Vorschläge zur Verbesserung der gegenseitigen Leistung technischer Hilfe für Kraftfahrzeuge auf dem jeweils fremden Territorium zur Zeit in der Überprüfung. Nach den bisherigen Erfahrungen dürfen wir sicherlich auch hier mit einem positiven Ergebnis rechnen.Die Expertengespräche — ich glaube, meine Damen und Herren, das ist das Wichtigste, worauf es ankommt, abseits aller politischen Prämissen — sowohl auf der Ebene der Unternehmer als auch der der Transportorganisationen und der Regierung sollen noch in diesem Jahre fortgesetzt werden.Bei der Seeschiffahrt akzeptierte die UdSSR im bilateralen Verkehr den Grundsatz der gleichberechtigten Beteiligung der beiderseitigen Reedereien. Schwierigkeiten — das wissen wir — gibt es im Cross-Trade-Verkehr, also im Verkehr mit Drittländern. Wer wollte dies verschweigen? Aber auch hier sind wir ja nicht allein diejenigen, die Forderungen aufstellen oder Vertragsvorschläge einbringen können.Ein bestehender deutschsowjetischer Gemeinschaftsdienst soll erweitert werden. Dies. mag zwar noch nicht sehr viel sein, aber es nötigt mich in diesem Zusammenhang doch, dem Bundesverkehrsminister, da er von Ihnen, Herr Kollege Sick — nach meiner Auffassung zu Unrecht — so hingestellt wurde, als habe er einiges von dem nicht getan, was man von ihm billigerweise hätte erwarten müssen, von hier aus den Dank jedenfalls unserer Fraktion dafür auszudrücken,
daß er einen Großteil von Bemühungen, die notwendig sind, bisher schon unternommen hat.Meine Damen und Herren, die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung sollten auch künftig durch die Zuarbeit und Verhandlungsbeteiligung der deutschen Transportverkehrsverbände begleitet werden. Die von den deutschen Transportunternehmen gesammelten Erfahrungen sind dort zu konkreten Vorschlägen weiterentwickelt und der Bundesregierung zugeleitet worden. Sie finden auch in der SPD-Bundestagsfraktion die erforderliche Aufmerksamkeit.Zum CDU/CSU-Antrag, über den heute hier zu entscheiden ist, muß angesichts der Bemühungen der Bundesregierung festgestellt werden, daß er nichts enthält, was über die in den laufenden Verhandlungen abgesteckten Positionen hinausgeht. Es ist daher einsehbar, daß die Vertreter der Koalitionsfraktionen im Verkehrsausschuß diesem Antrag, der gewissermaßen offene Türen einrennt, nicht zustimmen konnten. Es ist aus meiner Sicht zu bedauern, daß sich die Opposition nicht bereit fand, ihren Antrag zurückzuziehen. Da hilft, lieber Herr Kollege Sick, auch nicht die Bemerkung über die gewissermaßen schöne Welt, die Sie hier gemacht haben, in der man doch alles einvernehmlich regeln könne. Alle Erwartungen auf eine baldige und dazu noch optimale Lösung in diesem Bereich müssen wohl von allen, die daran interessiert sind, auf ein realistisches Maß beschränkt werden.Zu den Verträgen mit RGW-Staaten: Ich wiederhole dazu meine Ansicht, daß letztlich nur die UdSSR als Schrittmacher dafür dienen kann. Was die, wie von Ihnen gefordert, „ausgewogene" Beteiligung angeht: Wie steht es denn mit dem Osthandel überhaupt? Wie ist es mit einem ausgewogenen Verhältnis hinsichtlich des Gütertransportgewerbes und der Zahlungsbilanz? Die CDU/CSU-Kollegen unseres Ausschusses mögen sich doch bitte einmal — das wäre mein Vorschlag — mit ihren wirtschaftspolitisch versierten Fachkollegen über dieses Problem unterhalten. Ich glaube, auch dort würden Sie zu
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9156 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Curdtanderen — vielleicht ganz anderen — Einsichten kommen.Weiter: Wie halten wir alle es — ich wende mich auch hier besonders an die Kollegen der CDU/CSU- Opposition — mit der konsequenten Anwendung der Berlin-Klausel in allen Verkehrsverträgen — und nicht nur in Verkehrsverträgen? Wer hier Neuerungen will, muß daran denken — der heutige Tag war ja im Grunde genommen doch ein schöner Beweis dafür, daß wir in diesem Bereich handlungsfähig sind —, daß wir Berlin dabei nicht ausklammern dürfen.Letzlich, meine Damen und Herren, meine Feststellung: Erst nach Ausschöpfen aller Verhandlungsmöglichkeiten, wobei ich die Einbeziehung der Vertreter unserer Verkehrsverbände nochmals ausdrücklich begrüße, kann das erfolgen, was seitens der Bundesregierung bereits angekündigt worden ist: von deutscher Seite aus eingeleitete Maßnahmen, die dem Schutz des deutschen Straßengüter- und Schiffsgüterverkehrs dienen mögen. Aus vorgenannten Gründen wird die SPD-Bundestagsfraktion dem CDU/CSU-Antrag heute nicht zustimmen.
Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können feststellen, daß sich in der Sache alle Fraktionen einig sind.
Worum geht es? Es geht darum, im bilateralen Verkehr mit den RGW-Ländern eine ausgewogene Beteiligung der deutschen Verkehrsunternehmen zu erreichen und darüber hinaus in der Seeschiffahrt ein weiteres unkontrolliertes Vordringen der staatlichen COMECON-Flotten im Cross Trade von und zu den deutschen Seehäfen zu verhindern. Es gibt auch kaum Meinungsverschiedenheiten darüber, daß das keine leichte Aufgabe ist — eine Aufgabe, vor der übrigens nicht nur die Bundesrepublik steht, sondern auch eine ganze Reihe von weiteren westlichen Ländern. Dabei sind durchaus unterschiedliche Interessen abzuwägen.Im bilateralen Verkehr muß auf den Warenaustausch Rücksicht genommen werden; denn wenn kein Warenaustausch stattfindet, dann gibt es natürlich auch nichts zu befördern. Eine paritätische Beteiligung auf der Basis Null würde den deutschen Verkehrsunternehmen wenig nützen.Im Cross Trade ist das anders. Hier geht es nicht um den Warenverkehr zwischen der Bundesrepublik und den RGW-Staaten, sondern um den Warenverkehr zwischen der Bundesrepublik und Drittländern. Das Interesse der RGW-Staaten, durch Beteiligung an diesem Verkehr Devisen zu verdienen, ist zwar begreiflich; aber zwischen diesem Interesse und unserem Warenaustausch mit dem Osten besteht allenfalls ein mittelbarer Zusammenhang.Andererseits gibt es nicht nur die deutschen Seehäfen. Ein nationaler Alleingang im Sinne einer Beschränkung der Ladungsaufnahme durch Schiffe aus dem COMECON-Bereich könnte unerwünschte Nebenfolgen für die deutschen Seehäfen, für die deutschen Reeder und natürlich auch für die deutschen Exporteure haben. Das wissen auch alle Beteiligten. Wer sich nicht mit den manchmal etwas lautstarken Verbandserklärungen begnügt und mit den Betroffenen einmal selbst spricht, also mit den Reedern, mit den Verladern oder den Vertretern der Seehäfen, der stellt sehr schnell fest, daß von niemandem etwas vorgetragen wird, was als Forderung nach einseitigen Maßnahmen der Bundesregierung verstanden werden könnte.Im Gegenteil. Für uns, die wir nach wie vor auf Europa setzen, ist es sehr erfreulich, daß ausgerechnet in Fragen der Seeschiffahrt, für die der EWG-Vertrag noch gar keine gemeinsame Verkehrspolitik vorsieht, Lösungen von Brüssel erwartet werden. Wir meinen, die Bundesregierung war gut beraten, als sie am 26. April dieses Jahres die Einführung einer Meldepflicht für die Linienschiffahrt von und nach deutschen Häfen beschloß und die Einführung einer Genehmigungspflicht noch zurückstellte. Mit dem Beschluß über die Meldepflicht wurde nicht nur eine wichtige Grundlage für eventuelle spätere Entscheidungen geschaffen, sondern zugleich der Anstoß für eine rasche Behandlung dieses Problems in Brüssel gegeben. Bereits am 19. September dieses Jahres hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften ja eine Entscheidung über die Einführung eines europäischen Meldesystems getroffen, und in der nächsten Verkehrsratssitzung in . der kommenden Woche soll diese Entscheidung noch präzisiert werden. Ich bin ganz sicher, daß Herr Minister Gscheidle als Ratspräsident alles daran setzen wird, Herr Kollege Sick, daß die Verhandlungen gerade in diesem Punkt erfolgreich abgeschlossen werden. Die verschiedenen Besprechungen mit der Sowjetunion haben sich besonders im Bereich des Straßengüterverkehrs als nützlich erwiesen. Die in der Sowjetunion zu zahlende Straßenbenutzungsgebühr wurde drastisch gesenkt, die Einfahrt deutscher Lkw in die UdSSR wurde erleichtert, wie hier schon gesagt wurde, und die sowjetische Seite ist grundsätzlich zur Bereitstellung von Rückladungen bereit.Es stimmt daher einfach nicht, was am 15. Dezember 1977, also fast vor einem Jahr, der Kollege Sick unter dem Beifall seiner Fraktion hier im Plenum des Deutschen Bundestages verkündete, nämlich daß, wie er sagte, „an den Verkehrsbeziehungen zwischen Sowjet-Rußland und der Bundesrepublik Deutschland deutsche Verkehrsunternehmer nur mit 1,5 0/o des Volumens beteiligt" seien.
Herr Sick, diese Feststellung in dieser Allgemeinheit ist schief, weil tatsächlich nur im bilateralen Straßengüterverkehr mit der UdSSR ein deutscher Anteil von 1,6 % besteht. Tatsache ist aber auch, daß im deutschsowjetischen Linienstückgutverkehr, also auf dem Gebiet des Seeverkehrs, heute bereits
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9157
Hoffiebeinahe schon eine Parität erreicht worden ist. Es ist Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, auch bekannt, daß seitens der Bundesregierung ähnliche Regelungen auch im Containerverkehr und bei bestimmten Massengutverkehren angestrebt werden.Weil die Opposition die schematische Aussage einer diesem Sachverhalt adäquaten und differenzierenden Betrachtungsweise vorzieht, würdigt sie auch nicht den Umstand, daß im Straßengüterverkehr mit Polen und der CSSR beispielsweise Beteiligungen erreicht werden konnten, die sicherlich das Prädikat „angemessen" verdienen. Auch das gehört zur Dimension, von der Sie, Herr Kollege Sick, sprachen. Ich meine, es wäre fair und honorig gewesen, wenn Sie ebenfalls auf die bestehenden Vereinbarungen mit den RGW-Ländern zu sprechen gekommen wären.Meine Damen und Herren, wenn es auch bezüglich des bilateralen Seeverkehrs mit der Sowjetunion substantielle Vorteile gab, so ist und bleibt dennoch die Situation im Cross Trade freilich durchaus auch für uns unbefriedigend. Hier sind Erfolge eben noch nicht greifbar. Da stagnieren die Liniendienste der Sowjetunion, was die Ladungsaufnahme in deutschen Seehäfen betrifft, seit etwa einem halben Jahr, also im zeitlichen Zusammenhang mit dem ersten Expertengespräch vom Februar dieses Jahres. Man weiß aber nicht so genau, ob das nun eine Folge weiser Selbstbeschränkung ist oder, wie manche Reeder ja meinen, die Folge des allgemeinen Ratenverfalls und der dadurch verminderten Attraktivität von Außenseiterdiensten. Hier muß die weitere Entwicklung sicher abgewartet werden, zumal Anfang Oktober ein weiteres Expertengespräch stattgefunden hat, in dem der deutsche Standpunkt noch einmal ganz klar und deutlich dargelegt worden ist.Alles in allem geschieht also, was geschehen kann. Inwiefern die Bundesregierung etwas versäumt hätte, ist tatsächlich nicht ersichtlich, und deswegen hat es wenig Sinn, der Bundesregierung gerade in dieser Frage Vorwürfe zu machen. Auch ein an sich durchaus sachlich formulierter Antrag beinhaltet ja den Vorwurf, daß nichts oder wenig geschehen sei. Abgesehen davon ist das, was die Opposition vorschlägt, zu vage, als daß man den Eindruck gewinnen könnte, auf diesem Wege sei mehr zu erreichen, als bisher schon erreicht wurde.Sicher kann man auch immer etwas verbessern, und wir sind auch gerne bereit, über konkrete Verbesserungsvorschläge mit uns reden zu lassen. Es gibt allerdings auch eine Form der „Präzisierung von Standpunkten", die unter Umständen der anderen Seite mehr nützt als der eigenen. „Bis hierher und nicht weiter" heißt eben auch: Bis hierher ist alles in Ordnung. Gerade deshalb möchten wir Freien Demokraten auch vor dem von Ihnen in Ihrem Antrag gemachten Vorschlag für einen Verhaltenskodex warnen, da er eher ein Rohrkrepierer denn eine taugliche Waffe zu sein scheint. Wir kommen beispielsweise mit unseren Grundsätzen der Niederlassungsfreiheit und unseres freiheitlichen Wirtschaftssystems ganz allgemein in Konflikt,provozieren nicht abschätzbares Retorsionsmaßnahmen und können bei einseitigen Barrieren eine Auswanderung in benachbarte Gebiete nicht verhindern, so daß zu unserem Schaden alles beim alten bliebe.Meine Damen und Herren, ein politisches Streben nach ausgewogener Beteiligung deutscher Verkehrsunternehmer im Sinne der KSZE-Schlußakte setzt eine praktische Handlungsbereitschaft und Handlungsfähigkeit voraus, die sich den wirtschaftlichen Realitäten zweier unterschiedlicher Wirtschaftssysteme anzupassen versteht. Anstelle von wenig effektiver Larmoyance scheint es mir wesentlich zweckdienlicher zu sein, zu untersuchen, ob nicht das vom niederländischen Straßengüterverkehrsgewerbe in Form der Gemeinschaftsfirma NESOTRA geschaffene System ein kluges und sinnvolles Zusammenspiel von Wirtschaftspartnern unterschiedlicher Systeme darstellt.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat im Rahmen der Ost-West-Verkehrsbeziehungen bisher ein ausbaufähiges Ergebnis erreicht. Wir Freien Demokraten unterstützen die Bundesregierung in ihrer Bemühung, eine ausgewogene Beteiligung am Verkehr mit den COMECON-Ländern durch Regierungsverträge oder durch Absprachen in gemischten Wirtschaftskommissionen oder durch multilaterale Abkommen zu erreichen. Wir sehen aber nicht, inwiefern die von der Opposition vorgeschlagene Entschließung die Position der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen mit den RGW-Staaten oder in Brüssel verbessern könnte. Deshalb bitten wir Sie, diesem Antrag nicht zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1906, den Antrag Drucksache 8/1292 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt, 7 auf :Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu demDritten Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 8 des Personenbeförderungsgesetzes— Drucksachen 8/803, 8/1731 —Berichterstatter : Abgeordneter Dr. WaffenschmidtWünscht der Berichterstatter das Wort? — Nein. Ich danke dem Berichterstatter.Ich eröffne die Aussprache — eine Kurzaussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Hoffmann.
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9158 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Dritte Bericht der Bundesregierung zu § 8 des Personenbeförderungsgesetzes ist in einem Punkt im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern von besonderer politischer Brisanz. Die Bundesregierung stellt nämlich in diesem Dritten Bericht fest, daß die Entwicklung der freiwilligen Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr, verglichen mit den Zeiträumen von 1969 bis 1973, sich wesentlich verlangsamt hat.
Diese erstmals recht kritische Beurteilung der freiwilligen Zusammenarbeit im öffentlichen Personennahverkehr durch die Bundesregierung stellt die Verkehrspolitik vor die Frage, ob dieser Weg der freiwilligen Zusammenarbeit in Zukunft wesentlich eingeschränkt oder gar aufgegeben werden sollte.Die CDU/CSU hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß für sie die freiwillige Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs der einzig gangbare Weg ist,
der einzig gangbare Weg deshalb, weil er der wirtschaftlichste ist und weil er die besten Ergebnisse gewährleistet. Die Verlangsamung der freiwilligen Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr ist sicherlich vor allem darauf zurückzuführen, daß nach langjähriger Erfahrung auf diesem Gebiet eine gewisse Konsolidierung eingetreten ist.Sie, Herr Bundesverkehrsminister, haben dagegen bereits im Jahre 1977 einige Vorschläge für eine Neuordnung des organisatorischen Rahmens für den öffentlichen Personennahverkehr veröffentlicht. Diese Vorschläge ließen ernsthafte Zweifel daran aufkommen, ob die Bundesregierung weiterhin an der Grundlage der freiwilligen Zusammenarbeit festhalten wollte. Damit war der Rahmen der politischen Diskussion des Dritten Berichts der Bundesregierung zu § 8 des Personenbeförderungsgesetzes vorgegeben.Wir, die CDU/CSU, können heute mit Befriedigung feststellen, daß ein umfassendes Hearing zu dieser Problematik im federführenden Verkehrsausschuß des Bundestages unseren Kurs in dieser Frage voll und ganz bestätigt hat.
Die Neuordnungsvorschläge des Bundesverkehrsministers dagegen wurden von allen Experten recht kritisch beurteilt, weil sie im wesentlichen zu mehr Verwaltungsaufwand und Bürokratie, aber nicht unbedingt zu mehr Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Nahverkehr führen. Außerdem wurde von den Experten deutlich gemacht, daß die Organisation und die Zusammenarbeit im öffentlichen Personennahverkehr nicht losgelöst von den unterschiedlichen regionalen Angebots- und Nachfragestrukturen "im öffentlichen Nahverkehr gesehen werden kann, also nicht ohne Rücksicht auf Unterschiede im Ballungsraum, im Ballungsrand und im ländlichen Raum. Überdies gibt es Regionen mit vorwiegend öffentlichen Verkehrsbetrieben, während in anderen Regionen der Nahverkehr von privaten Unternehmen durchgeführt wird. Dies alles erfordert nach übereinstimmender Auffassung der Experten regional differenzierte Lösungen, kurz: einen maßgeschneiderten Anzug für jede Region.
Außerdem muß die Größe der Nahverkehrsregion überschaubar bleiben.
Um all dies zu sichern, bleibt die freiwillige Zusammenarbeit der Nahverkehrsunternehmen das Richtige und ökonomisch Vernünftige. Diesem Ergebnis stimmt meine Fraktion voll zu.Die CDU/CSU begrüßt es ausdrücklich, daß dem Deutschen Bundestag heute in dieser Frage eine Beschlußempfehlung vorliegt, die mit Zustimmung aller Fraktionen zustande gekommen ist und die diese Politik des öffentlichen Nahverkehrs für die nächsten Jahre festschreibt. Die Organisation einer freiwilligen Zusammenarbeit im öffentlichen Nahverkehr ist sicherlich in vielen Fällen eine recht unbequeme Angelegenheit, unbequemer als bürokratische Anordnungen. Dies ist aber nach unserer Auffassung der wirtschaftlichste und damit richtige Weg, ein Weg im Interesse des Verkehrsnutzers, weil er auch der billigere ist und ein besseres Leistungsangebot gewährleistet.Meine Damen und Herren, es wird notwendig sein, in Zukunft die verschiedenen Formen des öffentlichen Personennahverkehrs, also den allgemeinen Linienverkehr, die Sonderformen des Linienverkehrs und den freigestellten Schülerverkehr, durchlässiger zu machen, um auch damit das Nahverkehrsangebot zu verbessern. Dies ist ein Anliegen, das ebenfalls dankenswerterweise in die Beschlußempfehlung aufgenommen werden konnte.Wenn sich schließlich die Bundesregierung darüber beklagt, daß sich das Tempo der freiwilligen Zusammenarbeit verlangsamt habe, dann liegt dies nicht zuletzt auch daran, daß der Bundesverkehrsminister mit der Neuordnung der bundeseigenen Busdienste von Bahn und Post überhaupt nicht zu Rande kommt. Dies unterstreicht nach Auffassung meiner Fraktion die Bedeutung des dritten Punktes der Beschlußempfehlung, nämlich bald zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen, um damit .ein Hindernis auf dem Weg der freiwilligen Zusammenarbeit zu beseitigen.Eine letzte Bemerkung. Für die CDU/CSU ist die vorliegende Beschlußempfehlung zum dritten Bericht zu § 8 des Personenbeförderungsgesetzes eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß auch weiterhin private Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs mit vollem Unternehmerrisiko als Leistungsträger des öffentlichen Personennahverkehrs tätig sein können und sein werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9159
Das Wort hat der Abgeordnete Batz.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schwer hat er es nicht, weil er vor einem sachverständigen Publikum, wie er es voraussetzen kann, zum drittenmal zu diesem Problem Stellung zu nehmen hat.
Liebe Frau Kollegin Hoffmann, ich bewundere Sie, daß es Ihnen gelungen ist, in einer relativ kurzen Zeit das zu sagen, was wir alle als Verkehrspolitiker zu diesem § 8 denken. Ich bewundere Sie auch deswegen, weil es Ihnen gelungen ist, nichts darüber zu sagen, was wir uns eigentlich vorstellen, wenn es darum geht, als Verkehrspolitiker die Frage der Linienkonzessionen, der Gebietskonzessionen und ähnliche Dinge zu diskutieren.
Natürlich, darauf habe ich gewartet.
Wir sollten uns nicht nur hier, sondern auch im Ausschuß endlich einmal ganz konkret darüber unterhalten, wie wir uns verhalten wollen, wenn es in Zukunft darum geht, den Regionalgesellschaften andere Organisationsträger gegenüberzustellen. Andere Organisationen, z. B. die zuständigen Gewerkschaften, sagen uns immer wieder, der Bund, der Bundestag solle auch einmal ein Konzept mit öffentlich-rechtlichen Organisationsformen aufstellen.
Ich habe festgestellt, daß auch die Interessenvertreter in dem Hearing nicht in der Lage waren, die unterschiedliche Interessenlage klarzumachen. Wir sollten uns zumindest darüber freuen, daß die Interessenlage bei den Verkehrsträgern und den übrigen Gesellschaften, die in dieser Situation versuchen wollen, dem Parlament gewisse Interessen klarzumachen, so unterschiedlich war.
Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Wenn es uns nicht gelingt, Sonderformen des Linienverkehrs, z. B. den freigestellten Schülerverkehr, durchlässiger zu machen, wenn es uns nicht gelingt, die Ergebnisse der Regionalgesellschaften auch mit dem Problem der Teilzeitbeschäftigung in Einklang zu bringen, werden wir eine Lösung in bezug auf § 8 immer wieder von einem Jahr auf das andere hinausschieben. Ich habe nicht die Absicht, sehr deutlich darüber zu reden; ich wollte es aber zumindest angesprochen wissen.
Es gibt sehr viele unter uns, die in der letzten Zeit irgendwo unterwegs waren. Bei einem Vergleich der wirtschaftlichen Situation von Regionalgesellschaften mit der der bisherigen Gesellschaften stellt man fest, daß der Unterschied in der Wirtschaftlichkeit u. a. darin begründet ist, daß die einen das sogenannte privatwirtschaftliche Prinzip anwenden. Zum Beispiel haben Bundeswehrsoldaten zu ganz bestimmten Zeiten, von früh 6.30 Uhr bis
8 Uhr und dann am Nachmittag wieder, oder Berufsschullehrer oder Lehrer den 'Berufsschulbus gefahren. Zumindest für ganz bestimmte Zeiten wurden Leute angeheuert.
— Als Fahrer natürlich. Wenn die als Passagiere mitgefahren wären, hätte ich gar nichts dagegen. Aber wir müssen uns doch darüber unterhalten
worin der Unterschied liegt und wie es kommt, daß die Regionalgesellschaften gegenüber den öffentlich-rechtlichen Gesellschaften einen Vorteil haben. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, müssen wir doch sagen, daß hier etwas nicht stimmen kann. Wenn z. B. Leute, die bei der Bundeswehr beschäftigt sind, oder Leute, die im öffentlichen Dienst als Lehrer beschäftigt sind, den Bus fahren, wirkt sich dies natürlich auf die Kalkulation aus.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jobst?
Bitte, Herr Kollege Jobst.
Herr Kollege Batz, würden Sie mir nicht darin zustimmen, daß Sie mit dem, was Sie zum Schluß ausgeführt haben, doch etwas dick auftragen?
Ob ich dick auftrage oder nicht, ist eine andere Frage, lieber Herr Kollege Dr. Jobst. Wir alle, Sie von der CDU/CSU und wir von der SPD, bemühen uns seit dem Dritten Bericht — wir können den Vierten genau voraussehen —, eine vernünftige Relation zu finden. Wir finden immer wieder neue Verhältnisse vor.Sie machen sich das aus der Oppositionsrolle heraus natürlich sehr leicht. Wir müssen jetzt versuchen, aus den gegenwärtigen Verhältnissen Konsequenzen zu ziehen und der Regierung endlich einmal den Standpunkt des Parlaments klarzumachen, wenn es um die Fragen geht: Was wollen wir denn überhaupt? Wollen wir die öffentlich-rechtlichen Konzessionen? Wollen wir die Regionalgesellschaften? Wollen wir die Gebietskonzessionen? Oder wollen wir die Linienkonzessionen? Wenn das geklärt ist, muß man doch auch einmal darüber reden, wie es mit der wirtschaftlichen Situation ausschaut.Ich hätte es sehr gern gehabt, wenn der Verkehrsminister uns einmal klarzumachen versucht hätte, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt, diese Unstimmigkeiten so auszuräumen, daß wir endlich einmal wissen, wie die Kalkulationen der Regionalgesellschaften gegenüber denen der bisherigen Gesellschaften aussehen. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß man an das denken muß, was wir im letzten Jahr zusammen besprochen haben. Damals war der Kollege Sick der Vertreter der Opposition; nun war es die scharmante Kollegin Hoffmann. Ich habe den genauen Wortlaut der beiden Reden dabei und muß sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, hier stimmt einfach etwas nicht ganz. Ich wäre sehr daran interessiert, daß wir uns einmal
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9160 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Batzdarüber unterhalten, ob hier nicht — so die Meinung meiner Fraktion — auch die Problematik der öffentlich-rechtlichen Organisationsform eine gewisse Rolle spielt. Ich persönlich möchte nicht — und ich weiß gar nicht, ob ich da voll die Meinung meiner Fraktion vertréte; das sage ich hier in aller Offenheit —, daß Regionalgesellschaften auf privatrechtlicher Basis auf Bundesebene voll durchschlagen können, bevor wir auch ein öffentlich-rechtliches Modell einmal durchgespielt haben.
— Nein, so lange möchte ich gar nicht warten, Herr Kollege Dr. Schulte. Wir alle im Ausschuß wissen, daß wir die Bundesregierung beauftragt haben, im Frühjahr des nächsten Jahres ganz klar zu sagen, was mit den öffentlich-rechtlichen Gesellschaften und den Regionalgesellschaften überhaupt möglich und machbar ist. Ich möchte das nicht in die nächste Legislaturperiode verschoben sehen.Ich möchte aber auch nicht, daß die sehr interessanten Ausführungen der zuständigen Gewerkschaften, also derjenigen, die die Arbeitnehmerinteressen auf diesem Gebiet vertreten, ganz an die Seite gedrängt werden. Meine Fraktion möchte im Endeffekt keine Lösung durchgesetzt wissen, die nicht auch mit den zuständigen Gewerkschaften abgestimmt ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der § 8 wird uns wahrscheinlich in einem Jahr wieder beschäftigen, vielleicht nicht in der Art, wie es von der Frau Kollegin Hoffmann gesagt worden ist, sondern so, wie ich es hier anzudeuten versucht habe. Meine Fraktion ist der Meinung, daß die Bundesregierung durchaus recht hat, wenn sie dieses Thema' zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterverfolgt: Für die SPD-Fraktion meine ich allerdings, daß durchaus auch alle anderen Formen, die es möglich machen, z. B. über Gebietsgenehmigungen, Regionalkörperschaften und ähnliches nachzudenken, geeignet sind, diskutiert zu werden, weil man in dieser Situation immer die Auffassung vertreten kann und, muß, daß die Entwicklung nicht aufgehalten werden kann, weil auf der einen Seite „freie Fahrt dem freien Bürger" gilt und auf der anderen Seite die Forderung, daß alles regionalgesellschaftlich durchgesetzt werden kann, den Vorrang haben soll.In diesem Sinne begrüßen wir den Dritten Bericht . der Bundesregierung zu § 8 und nehmen ihn zur Kenntnis. Mit Interesse sehen wir natürlich dem Vierten Bericht entgegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich meine, es muß hier noch einmal deutlich daran erinnert werden, daß der Entwurf einer zweiten Novelle zum Personenbeförderungsgesetz Bestandteil 'des verkehrspolitischen Programms der Bundesregierung für die Jahre 1968 bis 1972 war. Er sah nach den Vorstellungen, Frau Hoffmann, des damaligen CDU-Innenministers Lücke, der ja bekanntlich auch für die Fragen der Raumordnung in der Bundesregierung verantwortlich zeichnete, ursprünglich vor, daß die Gebietsgenehmigung anstelle von Linienkonzessionen eingeführt werden sollte. Angesichts dieser in die Erinnerung gerufenen Tatsache von einer deutlichen Bestätigung der angeblich schon immer vertretenen verkehrspolitischen Linie in dieser Frage zu sprechen, ist allerdings halbwegs abenteuerlich. Dies alles fiel noch in die Zeit der Großen Koalition. Aber trotz des tatkräftigen Einsatzes von Minister Lücke kam es eben nicht so weit. Der Deutsche , Bundestag beschloß nämlich damals, darauf zu verzichten. Sie wissen, daß die FDP von Anfang an die Lücke-Vorstellung heftig bekämpfte; denn sie hätte am Ende die Ausschaltung der mittelständischen Betriebe aus dem öffentlichen Personennnahverkehr bedeutet, wie Sie, Herr Kollege Jobst, in dem Hearing bei der Diskussion dieser Frage noch einmal von allen Sachverständigen gehört haben.
An die Stelle der Gebietsgenehmigung trat § 8 des Personenbeförderungsgesetzes mit den Auflagen an die Genehmigungsbehörden des Bundes und der Länder, auf einen Ausgleich der Verkehrsinteressen und auf eine freiwillige Zusammenarbeit hinzuwirken.
Herr Abgeordneter, wollen Sie die Zwischenfrage gestatten? Das geht aber nur im Rahmen der zehn Minuten.
Ich möchte die Frage dann nicht zulassen.Die Bundesregierung wurde beauftragt, über die Erfahrungen im Zusammenhang mit § 8 des Personenbeförderungsgesetzes zu berichten. Der eine oder andere wird sich an die zum Teil lebhaften Auseinandersetzungen zwischen den Verkehrsträgern bei den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages erinnern. Sie belegten, daß nicht zuletzt im Interesse des Verkehrsnutzers ein Ausgleich dringend notwendig war.In den letzten Monaten haben wir uns mit dem Dritten Bericht der Bundesregierung befaßt und am 15. Februar die Verkehrsträger und die Verbände gehört. Zwar gibt es auch heute noch, wie ich meine, unterschiedliche Ansichten; aber die Standpunkte scheinen ja wohl nicht mehr ganz so unversöhnlich zu sein wie in den Jahren 1968 und 1969.
Ich glaube, daß die Erfahrungen mit einer immer ausgedehnteren Zusammenarbeit in verschiedenen Formen zu einer ausgewogeneren Betrachtungsweise geführt haben. Schon dies ist sicher als ein Erfolg zu bezeichnen.Die drei Berichte der Bundesregierung bestätigen insgesamt, daß es richtig war, diesen Weg einzuschlagen. Die Freien Demokraten haben auch im letz-
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Hoffieten Hearing die ausdrückliche Bestätigung dafür erfahren, daß damals wie heute ihr erklärter Widerstand gegen eine Umwandlung von. Linienkonzessionen in Gebietsgenehmigungen berechtigt ist. Es hat sich auch gezeigt, daß Verbünde eine sehr anspruchsvolle Form der Zusammenarbeit sind. Deshalb entstanden sie ja auch nur in den wichtigsten und größten Verdichtungsräumen. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr ist, wie Sie wissen, erst kürzlich gegründet worden. In den meisten Fällen genügen Verkehrs- und Tarifgemeinschaften, die von vornherein auf überschaubare Räume ausgerichtet sind.Meine Damen und Herren, die FDP hat das Heil noch nie in großflächigen Verbünden gesehen. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren mit starkem Akzent auf der Fläche die Neuorganisation des ÖPNV in den Vordergrund gerückt. Ich halte das für richtig; denn die öffentliche Verkehrsbedienung in der Fläche ist zum überwiegenden Teil eben von der Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsträgern abhängig, häufig genug ein organisatorisches Problem. Folgerichtig wurde an zwei Stellen angesetzt: erstens im eigenen, also im Bundesbereich bei den Busdiensten von Bahn und Post und zweitens im übrigen bei der Entwicklung neuer Organisationsmodelle.Die Zusammenführung von Bahnbusverkehr und Postreisedienst tritt jetzt in ein entscheidendes Stadium. Ich hoffe, daß im Verlauf des zusätzlichen Versuchsjahres über den begrenzten Tellerrand von Mitgliederzahlen und -beiträgen hinweggesehen wird, damit nach über zehn Jahren die Busdienste des Bundes endlich unter einer Farbe fahren können. Der Bund wird sonst in seinem darüber hinausgehenden Bemühen um effizientere Organisationsformen des öffentlichen Personennahverkehrs unglaubwürdig.An dieser Stelle muß auch einmal gefragt werden, ob es nicht den wohlverstandenen Interessen gerade der Arbeitnehmerschaft entspricht, hier eine wirtschaftlich vernünftigere und sinnvollere Lösung zu verwirklichen, um langfristig sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Die FDP würde es begrüßen, wenn in diesem Punkt seitens der betroffenen Gewerkschaften noch nicht das letzte Wort gesprochen wäre.Gerade in den ländlichen Gebieten besteht häufig ein gilt ausgebauter Schülerverkehr. Demgegenüber ist der öffentliche Linienverkehr zum Teil stark eingeschränkt. Diese Diskrepanz wird vor allem von der Auslastung und der Wirtschaftlichkeit geprägt. Die wahren Gründe liegen sicher tiefer. Ich will nur einige Stichworte nennen: Zentralisierung des Bildungswesens, Kommunal- und Gebietsreform, steigender Kraftfahrzeugbestand und bisher zunehmende Schülerzahlen bei hohem Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen. ,Hierdurch wächst die Gefahr, daß auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesene Bevölkerungsschichten zu kurz kommen und daß angesichts wieder abnehmender Schülerzahlen falsche Angebotsstrukturen entstehen. Das heißt, es ist zu prüfen, wie die Gewichte verschoben werden können.Ich möchte nur auf das hessische Beispiel verweisen. Dort wird im freigestellten Schülerverkehr derZugang auch für andere Bevölkerungskreise geöffnet. Die FDP unterstützt diese notwendige Durchlässigkeit.Zum Abschluß möchte ich mich noch an die Adresse der Deutschen Bundesbahn wenden. Auf einem größeren Teil des Streckennetzes sollSchienenpersonenverkehr auf den Bus verlagert werden. Sicherlich wird viel davon abhängen, ob die Bundesbahn ihre viel zitierten und auch kritisierten Vorrechte weise gebraucht. Die Bundesbahn sollte nur dann auf ihre Vorrechte pochen, wenn das wegen wirtschaftlicher Vorteile oder des Netzzusammenhangs unbedingt notwendig ist. Es wäre sicherlich nicht im Sinne einer ausgewogenen Verkehrspolitik, wenn die Bundesbahn gleichsam einem Fetischismus erliegend — unbedingt und auf jeden Fall mit eigenen Bussen den Schienenersatzverkehr betreiben wollte und damit die Ansätze zu übergreifender Zusammenarbeit zerstört würden. Deshalb möchte ich namens der FDP-Fraktion an die Deutsche Bundesbahn appellieren, Ersatzverkehr auch anderen zu überlassen, gerade dann, wenn Kapazitäten parallel verlaufender Dienste nicht ausgelastet sind. Ein Horten von Konzessionen, die nicht positiv zum Wirtschaftsergebnis der Deutschen Bundesbahn beitragen, ist unseres Erachtens völlig sinnlos.Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt, wie in der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses ausgedrückt, alle Möglichkeiten, die zu mehr freiwilliger Zusammenarbeit der verschiedenen regionalen Verkehrsträger in überschaubaren Organisationen führen. Namens der FDP-Fraktion bitte ich Sie, den Bericht der Bundesregierung zustimmend zur Kenntnis zu nehmen.
Weitere. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1731 unter Nr. 1, von dem Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/803 Kenntnis zu nehmen, und unter Nr.2 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/ CSUVerbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer— Drucksachen 8/1269, 8/1732 — Berichterstatter: Abgeordneter HoffieInterfraktionell ist eine Aussprache mit Kurzbeitragen vereinbart. — Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort.
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9162 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Vizepräsident Frau RengerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Straßmeir.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion begrüße ich es, daß unser Antrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer heute vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden kann. Ich verbinde damit die Hoffnung, daß mit diesem Antrag vom Parlament ein entscheidender Schritt getan wird, um der erschreckenden Unfallbilanz bei den Benutzern von Motorrädern und anderen Zweirädern entgegenzuwirken. Lassen Sie mich Ihnen noch einmal die Dimensionen sagen: Auf unseren Straßen fahren 400 000 schwere Motorräder, 200 000 Kleinkrafträder, 1,5 Millionen Mofas und eine halbe Million Mopeds. 85 000 Unfälle sind jährlich zu beklagen, 2 000 davon mit tödlichem Ausgang, und das sind meist junge Menschen.Verkehrssicherheitspolitik entzieht sich weitgehend dem Streit der Parteien. Wir haben diesen Antrag im Verkehrsausschuß in der Tat sachlich und intensiv beraten; er wird nunmehr von allen Fraktionen des Hauses getragen. Bei der ersten Beratung des Antrags im Plenum haben die Kollegen Peiter und Hoffie gemeint, die Opposition verlange nur, was von der Bundesregierung ohnehin schon lange in Angriff genommen wurde.
— Nicht zu früh, Herr Kollege Topmann; denn das war ungefähr heute vor einem Jahr, und durchgreifende Ergebnisse liegen noch immer nicht vor. Unser Antrag, dem Sie zustimmen werden, hat seine Aktualität behalten.Der Bundestag legt nach der vorliegenden Beschlußempfehlung nunmehr in einem Maßnahmenkatalog fest, wo die Bundesregierung ihre Schwerpunkte bei der Bekämpfung der Unfälle von Motorradfahrern setzen soll. Die CDU/CSU erwartet, daß die Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Bundesländern jetzt auch alsbald zu Ergebnissen kommt. Wir sind der Meinung, daß insbesondere die freiwillige Nachschulung, besonders jugendlicher Motorradfahrer, konsequent voranzutreiben ist, daß die Schutzkleidung für motorisierte Zweiradfahrer zu verbessern ist und daß schließlich auch Sicherheitsstandards für den Bau besonders verkehrs- und unfallsicherer Motorräder vorzusehen sind. Dies sind für uns die Schwerpunkte der verkehrssicherheitspolitischen Arbeit in den nächsten Jahren in diesem speziellen Bereich.Was die Neuregelung der Führerscheine für motorisierte Zweiräder . anbetrifft, so haben die zuständigen Bund-Länder-Gremien in Teilbereichen brauchbare Arbeit geleistet. Danach soll jeder, der ein Motorrad fahren will — auch wenn es nur ein Kleinkraftrad ist — in Zukunft die Voraussetzungen des Führerscheins der Klasse I erfüllen. Bei dem hohen Unfallrisiko, das das Motorrad heute darstellt, halten wir das in der Tendenz für richtig und sinnvoll. Wer in der Zukunft zwischen 16 und 18 Jahren den Führerschein der Klasse I erwerben will, bekommt einen Beschränkungsvermerk dahin gehend, daß ervorerst nur ein Kleinkraftrad fahren soll; späternach Ablegung einer praktischen Prüfung wird dieser Beschränkungsvermerk gelöscht. Auch dies isteine sinnvolle Lösung.Nicht einsichtig, meine Damen und Herren, ist für uns zunächst einmal die Absicht, eine erneute theoretische Prüfung anzuordnen, wenn der Beschränkungsvermerk nicht innerhalb von fünf Jahren nach Ablegung einer praktischen Prüfung gelöscht wird. Wir vermögen nicht einzusehen, wo hier der verkehrssicherheitspolitische Effekt sein soll. Dies gilt um so mehr, als nach dem derzeitigen Stand der Dinge — und das ist, wie ich meine, unbefriedigend — mit dem 18. Lebensjahr der "Führerschein der Klasse I auch weiterhin ohne jede Beschränkung hinsichtlich der Schwere des Motorrads erworben werden kann. Das heißt, ohne vorherige Praxis auf leichterem Gerät kann jeder jedes Motorrad fahren. Ich glaube, dies stellt ein Verkehrssicherheitsrisiko dar. Die Statistiken über die Unfälle beweisen dies eindeutig.In diesem Punkt ist eine Forderung des CDU/ CSU-Antrags, nämlich Fahrpraxis, Geschwindigkeit und Schwere des Fahrzeugs in einen engen Zusammenhang zu bringen, nur für die 16- bis 18jährigen erfüllt, nicht aber für diejenigen, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres den Führerschein der Klasse I erwerben und ohne jede Fahrpraxis auch die schwersten Motorräder mit den höchsten Geschwindigkeiten sogleich fahren dürfen. Über dieses Thema werden wir mit Ihnen weiterhin reden.Eine andere Absicht bei der Neuregelung des Führerscheins für Motorräder scheint uns demgegenüber wieder durchaus sinnvoll zu sein. Es ist die Einführung des sogenannten Leichtmotorrades mit bauartbedingten Höchstgeschwindigkeiten. Wir würden Ihnen und auch der Bundesregierung nur empfehlen, dann doch wenigstens gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, indem man bei der Entwicklung dieses Leichtmotorrads sogleich auch -die von uns gewünschten Sicherheitsstandards verbindlich vorschreibt.Für die CDU/CSU bringe ich die Erwartung zum Ausdruck, daß unter Einbeziehung der von mir angesprochenen offenen Fragen zum Führerschein eine Lösung gefunden wird, die ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand und ohne zusätzliche Reglementierung des Bürgers angewandt werden kann.Bei der zukünftigen Behandlung von Mopeds, Mokicks und Mofas 25 muß ebenfalls der Sicherheitsaspekt im Vordergrund stehen und Entscheidungsgrundlage sein. Die Tatsache, daß es hier in den Bund-Länder-Gremien nach wie vor erhebliche Differenzen gibt, macht nach unserer Auffassung deutlich, wie schwierig hier die Grenze zu finden ist, wo ein realer Sicherheitseffekt im Verhältnis zu zusätzlichen Reglementierungen steht, die kaum einen zusätzlichen Grad an Verkehrssicherheit bewirken.Nach unserer Meinung kommt es gerade in diesem Bereich entscheidend darauf an, wie die Qualität des Verkehrsunterrichts in den Schulen ist. Je
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Straßmeirbesser die Qualität des Verkehrsunterrichts in den Schulen ist, mit desto geringerer Wahrscheinlichkeit wird es notwendig sein, beispielsweise eine Prüfungsbescheinigung für das Führen eines Mofas 25 zu diskutieren. Dieser Zusammenhang sollte jedenfalls bei allen Überlegungen nicht aus dem Auge gelassen werden.Wenn es darüber hinaus gelingt, meine Damen und Herren, mit der Neuregelung des Führerscheinwesens für motorisierte Zweiräder auch die im CDU/ CSU-Antrag geforderte freiwillige Nachschulung zügig und konsequent voranzutreiben, dann sind entscheidende Voraussetzungen gegeben, die Unfallbilanz für motorisierte Zweiradfahrer dauerhaft und spürbar zu verbessern.Verkehrssicherheitspolitik darf niemals statisch gesehen werden. Verkehrssicherheitsmaßnahmen müssen nach unserer Vorstellung einer dauernden Wirksamkeitskontrolle unterzogen werden. So ist auch dieser Antrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für Motorradfahrer lediglich das Ergebins unseres heutigen Erkenntnisstandes.
Wir wollen, daß die politischen Konsequenzen aus diesem Erkenntnisstand möglichst zügig realisiert werden. Wir sind aber bereit, gleichzeitig immer neue Entwicklungen und neue Faktoren in die Überlegungen einzubeziehen.Wir hoffen, daß Sie diesem Antrag nunmehr Ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Einleitung zu Ihren Ausführungen, verehrter Herr Kollege Straßmeir, richtig im Gedächtnis habe, hatte ich den Eindruck, als seien die Bundesregierung und wir erst durch Ihren Antrag auf die Problematik aufmerksam geworden. Dies ist ja wohl nicht der Fall.
Sie haben zwar einige Zahlen genannt. Aber lassen Sie mich ergänzend sagen, was hinter diesen Zahlen steht. 20 % aller Unfalltoten sind Zweiradfahrer. Im Jahr 1977 verunglückten 2 152 motorisierte Zweiradfahrer tödlich. Das bedeutet: Im Jahr 1977 entfielen auf 1 000 Motorräder 65 Unfälle mit Personenschaden. Wir und die Bundesregierung sind der Auffassung, daß dieser blutigen Realität auf unseren Straßen ein Ende gemacht werden soll.Aber die Frage ist: Wie? Sie können nicht alles verordnen, und Sie wissen genau wie wir, daß dies alles nur 'in schwierigen Verhandlungen mit den Ländern möglich ist.Was kann getan werden? Was haben wir getan? Was wollen wir tun? Das instabile Gleichgewichtder Zweiräder erfordert fahrerisches Geschick. Das bedeutet: Eine gründliche Fahrschulausbildung, die eine gezielte Gefahrenlehre einschließt, ist unentbehrlich. Die Unfallzahlen zeigen das, besonders die Unfallbeteiligung der Kleinkrafträder, die ja heute noch jederzeit mit einem Führerschein der Klasse IV,, für dessen Erwerb nur eine theoretische, aber keine praktische Prüfung erforderlich ist, gefahren werden können.Wir haben uns daher in den Beratungen des Ausschusses mit Nachdruck dafür eingesetzt, die Anforderungen für den Erwerb der Führerscheine der Klassen I, IV und V zu verschärfen. Die Ausbildungsanforderungen müssen in einem engen Zusammenhang zur Geschwindigkeit und Schwere der Zweiräder gesehen werden. Die Sozialdemokratische Fraktion begrüßt daher ausdrücklich die Absicht des Verkehrsministers, das Fahrerlaubnisrecht für motorisierte Zweiräder zu reformieren.Kernpunkt ist dabei die Verschärfung des Fahrerlaubnisrechts für Kleinkrafträder mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 40 km/h.Dieses Kleinkraftrad soll künftig durch das sogenannte „Leichtkraftrad" abgelöst werden. Dieses Fahrzeug soll und wird gleichzeitig verkehrssicherer und umweltfreundlicher werden. Als technische Begrenzungskriterien sind ein Hubraum von 50 ccm bis 80 ccm sowie eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h vorgesehen. Für das Führen dieser Leichtkrafträder wird der Führerschein der Klasse I mit den schärferen Anforderungen an Ausbildung und Prüfung — d. h. theoretische und praktische Prüfung — erforderlich sein.Auch dieser Führerschein soll bereits mit 16 Jahren erworben werden können. Die Fahrerlaubnis der Klasse I bleibt in diesem Fall jedoch auf Leichtkrafträder beschränkt. Diese Fahrerlaubnis kann nach Erreichen des 18. Lebensjahrs auf Krafträder über 80 ccm Hubraum und mehr als 80 km/h erweitert werden. Es ist innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren möglich, daß der Inhaber der Fahrerlaubnis Klasse I für Leichtkrafträder eine weitere, auf den fahrpraktischen Teil beschränkte Prüfung mit Fahrzeugen dieser Größenordnung ablegt.Für Moped und Mokick sieht der Entwurf, wie bisher, nur eine theoretische Prüfung vor, die jedoch um Fragen zur Gefahrenlehre erweitert werden soll. Zahlreiche Bundesländer sind abweichend hiervon der Auffassung, eine praktische Prüfung und Fahrschulausbildung seien auch für Mopeds und Mokicks zwingend vorzuschreiben. Ich sehe dabei jedoch die Gefahr, daß bei einer Angleichung der Prüfungsanforderungen für Mopeds an die für Leichtkrafträder viele Jugendliche zum schnellen Motorrad abgedrängt werden.
Dies muß man bei einer solchen Diskussion sehen.Auch beim Mofa 25 sollte es wegen seiner Fahrradähnlichkeit bei der bisherigen Lösung bleiben, d. h., es wird keine Prüfung verlangt. Um so wichtiger ist eine Verbesserung der Schulverkehrserzie-
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Schmidt
hung, wodurch ja auch die große Zahl radfahrender Jugendlicher erfaßt werden soll und wird.Die Sozialdemokratische Fraktion geht davon aus, daß die Bundesregierung noch in diesem Jahr dem Bundesrat den entsprechenden Verordnungsentwurf zur Reform des ,Fahrerlaubnisrechts zuleitet und daß im Jahr 1979 die notwendigen Änderungen des Fahrerlaubnisrechts in Kraft treten.Nun noch eine kurze Bemerkung zum Schutzhelm. Das Tragen des Schutzhelms 'hat angesichts der hohen Zahl tödlicher Unfälle eine besondere Bedeutung. Der Bundesverkehrsminister und mit finanzieller Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums der Deutsche Verkehrsbeirat und seine Mitglieder, hier besonders der ADAC und die Deutsche Verkehrswacht, werben sowohl in Fernsehsendungen als auch bei Mofa- und Moped-Turnieren mit Plakaten für Schutzbekleidung in Ergänzung zum Schutzhelm.
Lassen Sie mich zu diesem Thema, sozusagen in Parenthese, einfügen, daß die neue Verordnung des Bundesministers für Verkehr, nach der die Mopedfahrer Sturzhelme tragen müssen, auch das Echo auf die alarmierenden Berichte der deutschen Chirurgie ist, insbesondere auf die Hinweise der Durchgangsärzte der Berufsgenossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar ist der Sturzhelm nicht der Weisheit letzter Schluß, weil, wie die Fachleute sagen, die Knautschzone von der Kopfregion in die Halsregion verlegt wird
— ja, das ist so, Herr Hoffie —, aber er bietet nach übereinstimmender Meinung erheblich mehr Sicherheit bei den leichten Unfällen. In einer Studie der Universität Heidelberg wurde an 467 behandelten Patienten ermittelt, daß die Gruppe der 16- bis 13jährigen auf den deutschen Straßen am unfallgefährdetsten ist.
— Nein, nach der Studie die Gruppe der 16- bis 13jährigen. — Ohne jetzt auf die medizinischen Probleme eingehen zu wollen, muß man sagen, daß das Tragen von Schutzhelmen die sogenannte Impressionsfraktur bei Mopedfahrern fast auf Null herabgedrückt hat; sie kommt kaum noch vor. Der Ausschuß hat daher in seiner Beschlußempfehlung vom 19. April gefordert, die seit 1976 für Motorradfahrer geltende Verpflichtung zum Tragen eines Schutzhelmes auch auf Mopedfahrer auszudehnen. Wir begrüßen ausdrücklich, daß diese Verpflichtung nun seit Juli besteht.Ein anderes Problem: Durch Design und Farbgebung hat der Schutzhelm bei Motorradfahrern inzwischen ein sportliches Image erhalten. Er ist gerade bei diesen Fahrern zu einem Statussymbol geworden. 80 % der jungen Motorradfahrer tragen einen Schutzhelm. Allerdings haben wir festgestellt und feststellen müssen, daß die Zahl bei den Mopedfahrern ungefähr bei nur 50 % liegt. Der Ausschuß hat daher empfohlen, bei Mißachtung der Schutzhelmtragepflicht ein Verwarnungsgeld zu erheben. Es ist zu hoffen, daß sich die Konferenz der Innenminister am 24. November 1978 der einmütigen Auffassung dieses Hohen Hauses anschließt und der Erhebung eines Verwarnungsgeldes bei Mißachtung der Schutzhelmtragepflicht zustimmt.Es wird sich nach Ablauf eines Jahres zeigen, ob wir den Schutzhelm auf Grund medizinischer Erkenntnisse auch für Mofafahrer einführen müssen. Denn dann liegt uns der offizielle Bericht über die Unfallhöhe bei Mopedfahrern vor. Dabei bin ich sicher, daß wir, wenn sich der Trend bestätigen sollte, der sich bei Mopedfahrern klar abzeichnet, in einem Jahr das Tragen von Schutzhelmen auch für die Mofafahrer einführen müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Schluß noch kurz auf die Sicherheitsstandards eingehen, die auch der Kollege Straßmeir hier angesprochen hat. Unsere besondere Beachtung sollte der Vergrößerung der Signalwirkung des Motorrads gelten, weil es nur eine kleine Silhouette und damit im Ernstfall eine ganz kleine Alarmfläche hat. Dabei sind folgende Vorschläge, die wir dazu haben, zu überdenken: Einschalten des Lichtes auch bei Tage. Helm und Kleidung sollten eine Alarmfarbe haben. Am Zweirad selbst sollten zusätzliche Farbkleckse angebracht werden, damit der Fahrer auch nachts und in der Dämmerung an Straßenkreuzungen gesehen werden kann. Es sollten seine Reifenfelgen 'mit Reflexfolien ausgerüstet sein. Da die Lederbekleidung des jugendlichen Motorradfahrers sehr oft verkannt wird, darf ich mir hier die Bemerkung erlauben, daß die Mediziner darauf hinweisen, daß das Tragen dieser Kleidung zu fordern sei, weil sie eine wesentliche Schutzwirkung beim Schlittern über die Straßenoberfläche habe.Abschließend einige Bemerkungen zu Sicherheitsstandards: Hier sollten insbesondere mit der Zweiradindustrie Verhandlungen geführt werden, die Verbesserungen zur Folge haben müßten. Das betrifft folgende Bereiche: Bremslicht, seitliche Erkennbarkeit, Fahrtrichtungsanzeiger, Anordnung der Bedienungselemente und Einführung einer Hupe.Dabei soll noch insbesondere ein Randproblem erörtert werden. Dies ist die diebstahlsichere Befestigung des Schutzhelms am Mofa. Dies ist zwar eine für uns untergeordnete Frage, aber sie spielt für die Jugendlichen eine sehr große Rolle; diese lassen, wenn sie in die Stadt fahren, den 'Helm zu Hause, weil sie ihn nicht ins Kino oder anderswohin mitnehmen können. 'Abschließend stelle ich fest-: Die Entscheidung des Ministers ist richtig; sie wird von allen Verkehrspolitikern unterstützt. Wir erwarten den Bericht über die Einbeziehung der Mofa-25-Fahrer in die Schutzhelmtragepflicht. Ich' bin sicher, daß wir dann gemeinsam zum Wohle unserer jungen Mitbürger auch für diesen Bereich den Schutz einführen werden, um die jetzt noch täglich vorkommenden Verletzungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß, es ist Ihr Trauma, hier hintereinander dreimal zu stehen, aber das passiert vielleicht eines Tages, wenn, wie wir hoffen, Ihre Fraktion etwas kleiner wird, als sie jetzt ist. Dann könnte dies durchaus möglich sein.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können feststellen, der Deutsche Bundestag leistet heute ganz zweifellos einen wichtigen und auch einen notwendigen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer. Das erfüllt uns Freie Demokraten natürlich um so mehr mit Genugtuung, als wir bekanntlich ja seit langem immer wieder auf die erschreckende Unfallbilanz bei diesem Kreis der Verkehrsteilnehmer hingewiesen und auch wirksame Maßnahmen zur Abhilfe vorgeschlagen und gefordert haben. Es ist ein Faktum, daß wir am Anfang zusammen mit Verkehrs- und Unfallmedizinern ganz einsame Mahner hinsichtlich eines verbesserten Schutzes der motorisierten Zweiradfahrer waren und daß unsere Bemühungen auf ablehnende Skepsis sowie wenig rational begründeten Widerstand — auch des Bundesverkehrsministeriums — gestoßen sind.Die alarmierende Entwicklung der einschlägigen Unfallbilanz für das Jahr 1976, als nämlich die Zahl der getöteten Autofahrer gegenüber dem Vorjahr um 3,8 °/o zurückging und die Zahl der Schwerverletzten stagnierte, während nahezu 20 °/o mehr Moped- und Mofafahrer ums Leben kamen und die Zahl der schwerverletzten Motorradfahrer um knapp 18 % nach oben schnellte, hat sich in Einzelbereichen im Jahr 1977 zwar nicht fortgesetzt. Dennoch sind die vorläufigen Unfallzahlen des letzten Jahres immerhin noch schlimm genug; denn bei einem Anstieg des Bestandes an Mopeds, Mofas und Mokicks von knapp 3,4 % erhöhte sich die Zahl der Getöteten um mehr als 4,6 % und die Zahl der Verletzten um mehr als 14 % gegenüber dem Vorjahr. Nur etwas günstiger im Vergleich zum Vorjahr stellen sich die Zahlen für die Krafträder und Motorroller dar; denn bei einem Anstieg des Fahrzeugbestandes von annähernd 17,5 °/o verringerte sich die Zahl der Getöteten um 3,6 °/o, die der Verletzten stieg um nur. 1,8 %. Nach heutigen Schätzungen wird ein Mofafahrer jeweils bei gleicher Fahrleistung vierzehn- mal, ein Mopedfahrer dreizehnmal und ein Kraftradfahrer dreiundvierzigmal häufiger in einen Unfall mit schwerer Verletzungsfolge verwickelt als ein Autofahrer. Wie hoch das Risiko der Zweiradfahrer ist, zeigt sich auch daran, daß von 1 000 Kleinkraftradfahrern mindestens 300 pro Jahr einen Unfall erleiden, bei den Fahrern schwerer Motorräder über, 500 ccm haben sogar 400 von 1 000, also nahezu jeder zweite, einen Unfall.Trotz der etwas erfreulicheren Unfallzahl bei Krafträdern und Motorrollern wäre angesichts des Anstiegs der Unfälle insgesamt ein weiteres untätiges Zuwarten nicht nur unverständlich gewesen, sondern hätte die Verkehrssicherheitspolitik insgesamt, meine Damen und Herren, in die Nähe der Konzeptionslosigkeit und der Unglaubwürdigkeit rücken müssen. Deshalb hat die FDP den Antrag der CDU/CSU-Fraktion als eine hilfreiche Unterstützung ihres eigenen Anliegens begrüßt, wiewohl der Antrag im wesentlichen fast identisch nur das nachvollzogen hat, was vorher, wenn auch reichlich spät, wie ich zugeben muß, aber immerhin, die Saarbrücker Verkehrsministerkonferenz vom November 1977 nach intensiver Vorarbeit auf der Referentenebene auf den Weg gebracht hat.An dieser Stelle sei auch vermerkt, daß auf Grund des Bundesratsvorstoßes meines Parteifreundes, des hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik, Heinz-Herbert Karry, vor kurzem bereits ein zentraler Punkt des vorliegenden Antrags, nämlich die Einführung der Schutzhelmtragepflicht für alle motorisierten Zweiradfahrer außer Mofa-25-Fahrern, in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen worden ist und mittlerweile Rechtskraft erlangt hat.Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion konnte auf Grund der FDP-Vorschläge bei den Ausschußberatungen nicht nur ergänzt, sondern auch substantiell verbessert werden. So sollen nach dem Willen der breiten Mehrheit des Verkehrsausschusses die Motorrad- und Mopedfahrer, die während der Fahrt keinen Schutzhelm tragen, künftig ein Verwarnungsgeld zahlen, weil anders den Schutzhelmmuffeln nicht beizukommen ist, besonders auch denen, die als Motorradbräute oder Knattermax-Kopiloten den Kopf in den Wind strecken, der dann weder geschützt ist noch vorher zum Denken gebraucht wurde.Gewisse Schutzvorkehrungen zugunsten der Mofafahrer sollen eingeleitet werden; die Unfallentwicklung bei Mofafahrern soll sorgfältig verfolgt werden, um später an Hand eines von der Bundesregierung zu erstellenden Berichts zu entscheiden, inwieweit es sinnvoll ist, diesen Kreis der Verkehrsteilnehmer rechtlich mit den Motorrad- und Mopedfahrern gleichzusetzen.Leider ließ sich die weitgehende Vorstellung, die wir im Verkehrsausschuß hatten, auch die Mofafahrer schon jetzt in die Schutzhelmtragepflicht einzubeziehen, nicht durchsetzen. Wir bedauern dies, weil bei 65 °/o aller Moped- und Mofa-Unfällen die Fahrer und Beifahrer Kopfverletzungen erleiden und nach Auffassung der Experten durch den Schutzhelm die Verletzungsgefahr um mehr als die Hälfte vermindert werden kann. Auch neueste Analysen des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität Münster unterstreichen, daß bei Zweiradunfällen Kopfverletzungen an erster Stelle stehen und Unterschiede zwischen dem Kollektiv der Mofafahrer und dem der Kraftradfahrer nicht signifikant sind.Aus den wenigen Unfällen von Mofafahrern, die mit Helm verunglückten, wurde erkennbar, daß Kopfverletzungen auffallend seltener und in weni-
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Hoffieger starkem Maße vorkamen als im Kollektiv der Fahrer,. die keinen Helm getragen haben. Internationale Untersuchungen zu diesem Problem zeigen überdies, daß auch bei Aufprallgeschwindigkeiten von 20 bis 30 Stundenkilometern, also den Geschwindigkeitsbereichen der Mofa-25-Fahrer, schwerste Schädelfrakturen und Gehirnverletzungen am ungeschützten Kopf entstehen können. .Auch nach den vorliegenden Kosten-Nutzen-Rechnungen wäre die Einführung der Schutzhelmtragepflicht für Mofafahrer eindeutig positiv zu beurteilen. Wegen der Inkonsequenz ist es für uns deshalb nicht recht nachvollziehbar, warum sich die anderen Fraktionen nicht dazu bereitfinden konnten, die Helmtragepflicht auch für Mofafahrer gesetzlich schon jetzt zu verankern. Meine Damen und Herren, die FDP wird diesen Aspekt weiter mit großer Wachsamkeit verfolgen -und, falls erforderlich, wieder initiativ werden.Insgesamt müssen Kleinkrafträder, müssen Mopeds, Mokicks und Mofas in Zukunft von der Polizei auch stärker daraufhin kontrolliert werden, ob sie frisiert sind oder nicht; denn durch das Tunen werden nicht nur die wohlerwogenen Zugangsbeschränkungen für die verschiedenen Fahrzeugklassen unterlaufen, sondern insgesamt größere Gefährdungspotentiale geschaffen: Die traurige Unfallbilanz bei motorisierten Zweiradfahrern resultiert letztlich aber auch daraus, daß zu viele zu früh, zu schnelle Fahrzeuge fahren.In diesem Zusammenhang würdigen wir Freien Demokraten zwar die Selbstbeschränkungserklärung der Motorradindustrie, die Leistung der zulassungspflichtigen Motorräder in Zukunft nicht die 100-PSMarke überschreiten zu lassen und gewisse, häufig scharf kritisierte Sumpfblüten der Verkaufswerbung zu vermeiden. Gleichwohl haben wir unsere berechtigten Zweifel, daß diese freiwillige Plafondierung ausreichend ist. Wir Freien Demokraten werden die Motorradentwicklung sehr sorgfältig weiter beobachten und werden uns nicht scheuen, gegebenenfalls per Gesetz die Leistung von Motorrädern auf noch geringere PS-Zahlen zu begrenzen, das Gewicht der Maschinen zu limitieren und auch an Altersstufen und nachgewiesene Fahrpraxis geknüpfte Verkaufsverbote für bestimmte Maschinenklassen zu erlassen, damit die Maschinen wirklich besser beherrschbar werden. Das Risiko, das Piloten auf zwei Rädern allein schon wegen der brisanten Eigenheiten ihrer Fahrzeuge tragen müssen, hoffen wir dadurch generell vermindern zu können, daß die Ausbildung in Theorie und Praxis qualitativ verbessert und der Zugang zu den sogenannten „Heißen Öfen" erschwert wird.Unabhängig von der sich immer mehr verjüngenden Altersstruktur der Mofafahrer muß auch darauf hingewiesen werden, daß durch mangelnde Fahrpraxis die Unfallgefahr abrupt steigt. Es ist beklemmend, zu sehen, wie gerade an Wochenenden die Unfallhäufigkeit steil ansteigt, weil an diesen Tagen die Sonntagsfahrer sich und ihr Gerät überfordern. Die Verkehrspolitiker, die Medien, aber auch die Zweiradindustrie und die von ihr veranlaßte Werbung sind daher auch aufgefordert, gerade auf diemotorisierten Zweiradfahrer eindringlich einzuwirken, mit Vernunft und zurückhaltend zu fahren und nicht in ihrem Fahrzeug eines der letzten, aber falschen Mittel zu sehen, sich den Traum von Freiheit und Abenteuer zu erfüllen, sowie bewußte oder unbewußte psychologische Bedürfnisse zu befriedigen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1732 die Annahme des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/1269 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 9 und 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP
Bericht zur Lage der Nation
— Drucksachen 8/1586, 8/2141 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Jäger
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Entschließungantrag der Fraktion der CDU/CSU Bericht zur Lage der Nation
— Drucksachen 8/1603, 8/2142 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Kreutzmann
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Aussprache zu verbinden mit je einem kurzen Beitrag für jede Fraktion.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrages ist die Situation der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR weder normal noch gutnachbarlich, wie es in Art. 1 dieses Vertrages vorgesehen war. Die Berichte zur Lage der Nation und die darüber geführten Aussprachen haben zu Anträgen geführt, die diesem Umstand Rechnung tragen, aber in ihrer Zielsetzung und in ihrem Inhalt kontrovers sind. Die Situation an der innerdeutschen Grenze, die nach wie vor das schrecklichste und für uns bedrückendste Beispiel der völ-
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Jäger
lig unnormalen Lage in Deutschland ist, legt dafürZeugnis ab, wie die Lage in unserem Vaterland ist.Als der frühere Bundeskanzler Brandt in Erfurt war und damals die ersten Grundkonzeptionen seiner späteren Politik darstellte, sagte er — ich darf mit Erlaubnis der Herr Präsidenten zitieren:In meiner Vorstellung muß eine wirkliche Normalisierung zur Überwindung innerdeutscher Grenzverhaue und Mauern beitragen.Wir stellen heute fest, daß die innerdeutschen Grenzverhaue und Mauern nicht niedriger und durchlässiger, sondern höher, undurchlässiger und unmenschlicher geworden sind. Darin zeigt sich, daß nicht der Erfolg, sondern der Mißerfolg dieser Bestrebungen das herausragende Kennzeichen der deutschen Situation im Jahre 1978 ist.Meine Damen und Herren, statt guter Nachbarschaft haben wir Militarisierung an den Schulen und in der Jugend der DDR und Haßerziehung, statt Achtung der Menschenrechte eine drakonische Strafjustiz. Statt Zeitungsaustausch und mehr Freiheit der Information für die Menschen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs haben wir Ausweisungen von Journalisten und Schließung von Büros' deutscher Zeitungen. Alles dies zeigt uns, daß die Lage der deutschen Nation heute eine nicht weniger schreckliche ist als damals, als mit großen Hoffnungen vieler Deutscher — weit über die die gegenwärtige Regierung tragenden Parteien hinaus — die sogenannte neue Ostpolitik eingeleitet wurde, die an diesem Tage wieder einmal — das muß ich mit allem Nachdruck sagen — als in ihrer grundlegenden Zielsetzung gescheitert anzusehen ist.Wie ist die Reaktion der Bundesregierung und der sie tragenden politischen Kräfte? Die Reaktion auf diese Situation ist Verniedlichung, ist Herunterspielen, ist Beschwichtigung, als laute das erste Gebot des deutschlandpolitischen Dekalogs: Du sollst Breschnew und Honecker nicht ärgern!
Daß dies das praktische Handeln der Koalition und der Regierung bestimmt, zeigt sich daran, daß sie im Gegensatz zur Unterstützung — wir haben das heute mittag in diesem Hause debattiert — von sogenannten Befreiungsorganisationen im südlichen Afrika das Manifest der Opposition innerhalb der SED, einer Organisation, die versucht hat, sich in der Weltöffentlichkeit und in der deutschen Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, in einer Weise heruntergespielt hat, daß sich daran erkennen läßt, daß Verniedlichen und Herunterspielen das oberste Gebot sind.Meine Damen und Herren, damit Sie sehen, wie Ihnen das gedankt wird, möchte ich ebenfalls mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der Ostberliner Wochenzeitung „Horizont" zitieren, wo es heißt:Die herrschenden Kreise der BRD— das sind doch wohl Sie, meine Damen und Herren der Koalition —klammern sich hier trotz des Grundlagenvertrages an Fiktionen. Sie wollen nicht wahrhaben, daß sich in der DDR eine sozialistische Nation entwickelt hat, und verbinden ihre Position mit Kampagnen zur Verteufelung der DDR, in modifizierter Form zwar, aber doch noch ganz in Geist und Form des Kalten Krieges.Das, meine Damen und Herren, geht an Sie und nicht an uns. Sie, die Sie herunterspielen, Verniedlichungs- und Verharmlosungspolitik betreiben, bekommen so auch noch die schallende Ohrfeige der SED und der Machthaber drüben für diese Ihre Haltung.
— Herr Kollege Wehner, die SED braucht keinen Kollegen der CDU/CSU,
wenn sie Ihnen notfalls die verdiente Ohrfeige ge ben möchte.
Wie kommt es, daß die Bundesregierung so reagiert? Die Frage stellen, heißt, sie folgendermaßen beantworten: Diese Bundesregierung hat aufgehört, ihre eigene Vertragspolitik ernst zu nehmen.
Was bedeutet denn Vertragspolitik? Der Erfolg eines Vertrages besteht darin, daß der Verrtagspartner im Zuge des Gebens und Nehmens Verpflichtungen übernimmt, auf deren Erfüllung wir nach Treu und Glauben rechnen können und dürfen. Wenn aber nun die Bundesregierung nicht auf der Erfüllung solcher Verträge besteht, dann handelt sie doch damit nicht nur pflichtwidrig gegenüber den Interessen des Staates, den sie vertritt, nicht nur pflichtwidrig gegenüber den Interessen von Millionen Deutschen, um die es hier geht, sondern sie handelt doch, wenn sie nicht auf Erfüllung besteht, obwohl diese vom Vertragspartner freiwillig übernommen und versprochen worden ist, als ob ihre eigenen Verträge ein Fetzen Papier seien, der zu nichts anderem als zur Propaganda und nachher für den Papierkorb bestimmt ist.Diese Behandlung führt dann schließlich auch dazu, daß Sie von Ihrem eigenen Vertragspartner drüben nicht mehr ernstgenommen werden, sondern daß Sie nachträglich — und das hat gerade dieser Tag heute gezeigt — Fehler und Versäumnisse mit hohen Millionenbeträgen aus der Tasche des deutschen Steuerzahlers nachbessern müssen. Das ist doch die Folge Ihres Handelns, meine Damen und Herren!Wir haben hier zwei Anträge. Der Antrag der Koalitionsfraktionen, der Ihnen vorliegt, bedarf von meiner Seite keines näheren Kommentars. Er ist ein Weihrauch- und Jubelantrag, der der Bundesregierung die notwendige Reverenz erweisen und sie in ihrem für unser Volk erkennbar verfehlten Kurs
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Jäger
bekräftigen nud bestärken soll. Es lohnt sich nicht, darüber weitere Worte zu verlieren. Was Sie darin sagen, glaubt Ihnen in Deutschland ohnedies keiner mehr.
Lassen Sie mich zu unserem Antrag kommen. Wir haben versucht, in unserem Antrag in der gebotenen Kürze aufzuzeigen, wie eine vernünftige Vertragspolitik auszusehen hätte. Wir fordern, die innerdeutschen Beziehungen als einheitliches Ganzes zu behandeln und der DDR unmißverständlich deutlich zu machen, daß Beeinträchtigungen auf Teilgebieten generelle Folgen haben. Wir verlangen eindeutige Texte. Wir verlangen die Absicherung von Zusagen durch Klauseln, die es der Bundesregierung möglich machen, Gegenzusagen dann ebenfalls vernünftig zu reduzieren. Wir verlangen, daß die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile an die Erfüllung humanitärer Verpflichtungen gebunden wird.Das sind die Merkmale einer realistischen Alternative, die — das wissen wir — von dieser Bundesregierung nicht übernommen wird. Aber wir haben die Hoffnung, daß die Mißerfolge, die Sie tagtäglich — Gott sei es geklagt — zum Nachteil vieler Millionen Deutscher immer wieder einstecken müssen, die wir immer wieder konstatieren müssen, Sie allmählich eines Tages doch zu der Einsicht bringen werden, daß eine entscheidende Kurskorrektur notwendig ist.Wir haben mit unserem Antrag das törichte Gerede Widerlegt, das durch ständige Wiederholung auch nicht besser wird, zur Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung gebe es keine klare Alternative. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu
und unterstützen Sie damit die Alternative der Union! Es ist die Alternative des Realismus, der internationalen Glaubwürdigkeit, und die Alternative der konkreten Unterstützung der Menschenrechte von Millionen Deutschen.
Das Wort
hat der Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, es gehören schon starke Nerven dazu, an einem Tag wie dem heutigen nach der Vorlage dieses Verhandlungspaketes von einem Mißerfolg zu sprechen und eine Alternative zu dieser Politik zu fordern.
Aber wir sind das ja von den Unionsparteien gewöhnt. Sie sprechen immer viel von Gemeinsamkeit. Sie sprechen davon, daß eine gemeinsame Strategie von Regierungsparteien und Opposition in der Deutschlandpolitik entwickelt werden müßte. Manchmal glühen die Augen, wenn sie erzählen, wie phantastisch das in England alles läuft. Aber wie dieWirklichkeit aussieht, beweisen diese beiden Anträge.Wir haben einen Antrag vorgelegt, der eine realistische Bestandsaufnahme der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition darstellt. Sogar Herr Jäger als Berichterstatter hat in diesem Antrag einige durchaus beachtenswerte und bemerkenswerte Punkte festgestellt. Er hat sie allerdings hier zu erwähnen vergessen.Die Antwort war dann diese Alternative der Union. Bei dieser Alternative fehlt keine der Klischeebehauptungen, die wir immer wieder von neuem aufgewärmt bekommen. Da wird die unwahre Behauptung verbreitet, die Verhältnisse an der Demarkationslinie — wir sollten uns eigentlich langsam daran gewöhnen, dieses Wort nicht mehr zu verwenden — hätten sich nicht verbessert, sondern vielmehr verschlechtert. Da denkt man mit keinem Gedanken daran, was die Verhandlungen der Grenzkommission gerade zur Entspannung dieser Situation erreicht haben. Da wird kein Gedankensplitter darauf verwendet, daß die Schießereien an der Grenze erheblich nachgelassen haben. Da wird von einer ständig verschärften Politik der Schikanen gesprochen, von einer Enttäuschung unter der DDR-Bevölkerung über die mit dem Grundlagenvertrag eingeleitete Politik; das wissen Sie alles besser als alle anderen.Dies alles, obwohl wir feststellen konnten, daß die zeitweise unleugbar bestehenden Schikanen ab- gebaut wurden und in den jüngsten Verhandlungen, wie wir ja heute gehört haben, erhebliche Ansätze für neue, bessere Bedingungen entstanden sind.Ihr besonderes Augenmerk — das hat ja Herr Jäger auch wieder erwähnt — gilt der Forderung nach einer Politik ausgewogener Leistungen und Gegenleistungen. Ich muß Sie immer wieder einmal daran erinnern: Als Sie damals in der Verantwortung waren, haben Sie sich diesen Grundsatz nicht zu eigen gemacht.
Es wäre für einen Historiker einmal eine dankbare Aufgabe, festzustellen, wie viele Millionen Steuergelder in der Zeit Ihrer Regierung à fonds perdu im Rahmen der Hallstein-Doktrin verschleudert wurden,
um anerkennungswillige Länder zu beeinflussen, die Anerkennung der DDR nicht auszusprechen. Damals habe ich nicht — wie hier heute — den Schrei nach der Vorlage von Verwendungsnachweisen gehört.Aber das war ja nicht nur im Rahmen der Hallstein-Doktrin der Fall. Um einen Erfolg in innerdeutschen Fragen zu erreichen, haben Sie seinerzeit über den Bau der Autobahnbrücke über die Saale bei Hirschberg verhandelt, und als diese Brücke dann gebaut war und der Preis von 5,5 Millionen feststand, haben Sie diesen Preis auf Heller und Pfennig ganz allein bezahlt, ohne dabei auch nur eine Beteiligung der DDR zu verlangen.
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Dr. KreutzmannUnd damals war Jubel in diesem Hause! Auch wir waren nicht gegen diese Maßnahme, weil wir geglaubt haben, sie bedeute endlich einen Schritt in die richtige Richtung, einen Schritt zur Verbesserung der Verkehrsbedingungen.Wir haben mit unserer Politik immerhin erreicht, daß Straßen für den Transitverkehr geöffnet wurden, daß Pauschalabgeltungen zugunsten der Reisenden erreicht werden konnten. Wir haben durchsetzen können, daß neue Grenzübergänge geöffnet wurden. Und da sagen Sie: Das war alles nichts, das hat gar nichts zu sagen, wir stagnieren und treten immer auf derselben Stelle. Sie haben alles immer so kommentiert, als würden wir uns von der anderen Seite ausnutzen lassen, als wären wir tumbe Toren, die den gerissenen Geschäftemachern der DDR auf den Leim gingen.
Nicht, daß wir leichtfertig mit dem Geld des Steuerzahlers umgingen — wir fühlen uns ihm gegenüber nicht weniger zur Sparsamkeit verpflichtet als Sie —, aber wir meinen, daß diese Dinge nicht losgelöst von den politischen Zielen, die wir damit verfolgen, gesehen werden dürfen. Das Ziel unserer Politik aber ist es, so viel an Gemeinsamkeit der Deutschen, an Begegnungsmöglichkeiten der Deutschen zu erhalten, wie überhaupt möglich ist.Sie werden sagen, das wollten Sie auch. Aber was sollen dann, wenn das so ist, ständig diese beckmesserischen Aufrechnungen, die Sie veranstalten?
Warum erwecken Sie den Anschein, als würden hier für vollkommen unnötige Zwecke Milliarden verjubelt, Milliarden für Regelungen, die man auch ohne diese Milliarden oder zumindest wesentlich billiger haben könnte?Um nur ein Beispiel zu nennen: Wieviel Tinte haben Sie verspritzt, um uns vorzurechnen, wie sehr wir die Reparatur der Autobahn Helmstedt/Berlin überbezahlt hätten! Aber kein Redner von Ihnen hat einmal darauf hingewiesen, wie die Relation bei den Benutzern dieser Autobahn aussieht, wie stark der Anteil der Bundesbürger auf dieser Autobahn und wie stark der Anteil ist, den die DDR-Bürger haben. Dieselben Leute, die sich hier so furchtbar aufregen, zahlen Millionen an Autobahngebühren, wenn sie nach Italien oder sonstwohin in Urlaub fahren. Da macht es ihnen gar nichts aus.
Es ist aber ein Skandal, wenn das von seiten des anderen deutschen Staates verlangt wird.Wenn ich dies feststelle, rede ich damit keinesfalls einer Politik das Wort, die sich auf der Nase herumtanzen läßt. Wo wirkliche Mißstände sind, müssen sie angepackt und beseitigt werden. Die Bundesregierung hat das in nicht wenigen Fällen getan. Sie hat mit ihren Beschwerden und Interventionen auch Erfolg gehabt. Ich darf nur an die Übergriffe auf den Transitwegen erinnern.Es ist selbstverständlich Ihre Recht, das Recht der Opposition, und, wenn Sie so wollen, auch Ihre Pflicht, auf Übergriffe hinzuweisen. Nur, was die Gemeinsamkeit mit Ihnen unmöglich macht, ist die Tatsache, daß Sie sich bei allen Verhandlungsergebnissen — und das sind, wie wir feststellen wollen, stolze Verhandlungsergebnisse — immer nur die negativen Seiten herauspicken, die Erfolge, die erreicht wurden, herunterspielen und so tun, als wäre die ganze Deutschlandpolitik dieser Regierung ein einziger Mißerfolg.Die Opposition ist sicherlich nicht zum Bejubeln der Regierung da. Wenn sie sich aber als konstruktive Opposition empfindet, dann darf sie gerade in dieser Frage, die so entscheidend das Schicksal unseres Landes bestimmt, mit ihren Stellungnahmen und Erklärungen nicht den Anschein erwecken, als ob sie im Grunde genommen Gespräche, Verhandlungen und Regelungen mit dem anderen deutschen Staat für baren Unsinn ansieht, weil wir dabei entweder übers Ohr gehauen werden oder das dortige Regime stabilisieren. Dann muß sie auch bereit sein, positive Entwicklungen, wie sie der Antrag der Koalitionsparteien aufzeigt und wie sie das Ergebnis dieser Verhandlungen kennzeichnen, anzuerkennen und damit jene Kräfte auf der anderen Seite zu stärken, die ehrlich die Entspannung wollen. Dies ist das Ziel der Regierungskoalition, das gerade durch den heutigen Tag eindrucksvoll bestätigt wurde.Gemeinsamkeiten in der Deutschlandpolitik können nur erreicht werden, wenn Sie nicht meinen, im Besitze der alleinigen und allein seligmachenden Wahrheit und Heilslehre zu sein. Das aber ist der Geist, der aus Ihrem Antrag spricht, der Geist einer Selbstgerechtigkeit, die durch nichts gerechtfertigt ist. Wir empfehlen daher dem Hohen Hause, Ihren Antrag abzulehnen und den Antrag der Koalitionsparteien anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Entschließungsantrag der Opposition habe ich mich heute hier geäußert, als in diesem Hause über praktische Politik für die Nation geredet wurde. Der Antrag macht leider deutlich, daß die Opposition auch heute noch hartnäckig die Politik der Verständigung in Deutschland zwischen den beiden deutschen Staaten ablehnt.
Herr Kollege Jäger hat hier ein schlimmes, enttäuschendes Kontrastprogramm moderiert.
Der Entschließungsantrag muß daher der Ablehnung verfallen.Den vorgelegten Alternativantrag der Koalition gilt es deshalb in die politische Wirklichkeit durch eine positive Entscheidung des Plenums umzusetzen, weil er die Sorgen, die Nöte, die Aufgaben und die Anstrengungen, die es bei der Erfüllung dieser Auf-
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Hoppegaben noch zu bewältigen gibt, nüchtern und realistisch beschreibt. Dieser Politik fühlen wir uns verpflichtet; sie werden wir fortsetzen.
Meine
Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über den Antrag auf der Drucksache 8/2141 ab:
Der Bundestag wolle beschließen:
Dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP — Drucksache 8/1586 — wird zugestimmt.
Wer zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung auf der Drucksache 8/2142:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 8/1603 — wird abgelehnt.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Damit ist der Antrag der CDU/CSU abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
— Drucksache 8/1679 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/2293 — Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2285 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Diedrich Abgeordneter Dr. Schäuble
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
—Drucksache 8/238 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2285 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Diedrich Abgeordneter Dr. Schäuble
Ich frage, ob einer der Berichterstatter das Wort zur Ergänzung der vorgelegten Berichte wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt es, daß die Novelle zum Kraftfahrzeugsteuergesetz endlich verabschiedet werden kann. Das Gesetz bringt wichtige Verbesserungen.Behinderte werden in Zukunft grundsätzlich ohne Prüfung ihrer wirtschaftlichen Lage ,von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Kriegs- und Zivilbeschädigte werden dabei endlich gleich behandelt.
Durch die Neuordnung der Anhängerbesteuerung erfolgt der längst fällige Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten unserer im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr eingesetzten Fahrzeuge.In der DDR zugelassene Nutzfahrzeuge werden in Zukunft wie alle anderen Wettbewerber im Transportgewerbe besteuert, so daß auch der Weg offen ist, um mit der DDR zu einem gegenseitigen Verzicht auf die Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer bzw. Straßenbenutzungsgebühren zu gelangen.Die Einführung der tageweisen Erstattung der Kraftfahrzeugsteuer bei der Beendigung der Steuerpflicht schafft ein Mehr an Steuergerechtigkeit. Die Verbesserungen bei der Erstattung • der Steuer im Huckepackverkehr werden ein verkehrspolitisch richtigen Beitrag leisten, um die Bundesbahn im kombinierten Verkehr besser ins Geschäft zu bringen.Die CDU/CSU hätte über die vorliegenden Verbesserungen hinaus gerne auch eine Regelung in das Gesetz eingefügt, um die Pannenhilfsfahrzeuge der Automobilklubs, die unentgeltlich allen Kraftfahrzeugfahrern Hilfe leisten, ebenso wie andere Rettungsfahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer zu befreien. Leider hat die Koalitionsmehrheit diesen unseren Antrag ebenso abgelehnt wie den, daß von der Kraftfahrzeugsteuer befreite landwirtschaftliche Fahrzeuge ihre Befreiung nicht deshalb verlieren sollen, weil sie vielleicht nur ein einziges Mal im Auftrag einer Gemeinde zum Schneeräumen oder zum Streuen eingesetzt werden.Das Gesetz bringt mit der Einführung der obligatorischen Jahresbesteuerung eine wichtige Entlastung für die Steuerverwaltung, insbesondere für die Finanzkassen. Da 60 % der Kraftfahrzeugsteuerpflichtigen heute ihre Steuer viertel- oder halbjährlich bezahlen, wird diese Umstellung zu einer wesentlichen Verminderung der Buchungsfälle und damit auch der Mahnungen und Vollstreckungen führen. Die hohen Verwaltungskosten der Kraftfahrzeugsteuer werden auf diese Weise wesentlich gesenkt.Wir haben im Ausschuß gemeinsam viel Sorgfalt darauf verwendet, daß die betroffenen Kraftfahrzeugsteuerpflichtigen von dieser Neuregelung nicht überrascht werden. Eine nicht erwartete Zahlungs-
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Dr. Schäubleaufforderung für die ganze Jahressteuer könnte in manchen Fällen zu erheblichen sozialen Belastungen führen. Wir legen deshalb einen gemeinsamen Entschließungsantrag vor, mit dem die Lander gebeten werden, für eine rechtzeitige Information der betroffenen Steuerpflichtigen Sorge zu tragen. Damit dafür ausreichend Zeit gegeben ist, haben wir die Spanne zwischen Verabschiedung des Gesetzes und erstmaliger Aufforderung zur Jahreszahlung um zwei weitere Monate verlängert.Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt insbesondere, daß unser Antrag, das Gesetz ohne die im Regierungsentwurf vorgesschlagene Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer für Personenkraftwagen um über 4 O/o zu verabschieden, nun endlich die Zustimmung der Koalitionsfraktionen gefunden hat.
Ich habe schon am 20. April 1978 in der ersten Lesung erklären können, daß die Begründung der Bundesregierung für diese geplante Steuererhöhung, die ja darin bestand, daß die Kraftfahrzeugsteuer mit den allgemeinen Preissteigerungen Schritt halten müsse
und daß durch den Übergang zur jährlichen Zahlung der Zuschlag für viertel- und halbjährliche Zahlungen entfalle — dieser Zuschlag ist ja eigentlich ein Zinsausgleich —, für die CDU/CSU nicht zureichend ist.
— Die durch die Umstellung auf die Jahreszahlung sich ergebende Ersparnis an Verwaltungskosten, Herr Kollege Diederich, muß nach unserer inzwischen gemeinsamen Auffassung an den Steuerzahler zurückgegeben werden. SPD und FDP sind diesem unserem Antrag zunächst mit dem Argument entgegengetreten, das Aufkommen der Kraftfahrzeugsteuer stehe den Bundesländern zu, und die Konferenz der Landesfinanzminister habe die Steuererhöhung vorgeschlagen. Infolgedessen habe der Bundestag diese Steuererhöhung gleichsam nur zu ratifizieren. Wir haben dem erwidert, daß unsere Verantwortung als Gesetzgeber für Steuererhöhungen nicht davon abhängen kann, wem )das Steueraufkommen zusteht. Wir haben außerdem erklärt, daß Steuererhöhungen auch dadurch nicht besser werden, daß Finanzminister sie mit angeregt haben, .die der CDU/CSU angehören.Die Fraktion der CDU/CSU ist bei der heutigen Überforderung der Steuerzahler ein grundsätzlicher Gegner weiterer Steuererhöhungen.
Jedermann weiß, daß in diesen Stunden in diesem Gebäude über ganz andere Summen verhandelt wird. Gleichwohl wären durch die von der Bundesregierung vorgeschlagene Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer die Halter von Personenkraftwagen jährlich um 180 Millionen DM zusätzlich belastet worden, und das ist schließlich auch kein Pappenstiel. Die CDU/CSU-Fraktion ist jedenfalls stolz darauf,daß wir mit unserer festen Haltung diese Steuererhöhung verhindern konnten.
Dieses Gesetz ist nicht die grundlegende Reform der Kraftfahrzeugsteuer, die dringend notwendig ist und allseits gefordert wird. Ich ahne schon, daß die Sprecher der Koalitionsfraktionen jetzt anschließend wieder bewegend über ihre Reformvorstellungen fabulieren werden,
um damit zu enden, Herr Diederich — aber ich will Ihnen nichts vorwegnehmen —, daß man für diese Reform noch etwas mehr Zeit brauche. Aber die Reform der Kraftfahrzeugsteuer ist längst keine Frage der erforderlichen Beratungszeit mehr, sondern sie ist nur noch eine Frage des politischen Wollens.
— Herr Kollege Hoffie, Sie sind ja für solche Reden berühmt; aber die „Mainzelmännchen" haben uns in den letzten Tagen viel Freude gemacht.Der Bundesfinanzminister redet ebenso wie der Koalitionspartner seit Monaten von der Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Vorlagen dafür sehen wir nicht, und sechs Monate haben Sie sogar diesen Entwurf im Finanzausschuß auf Eis gelegt. Eine Alternative haben Sie bis heute nicht. Sie können auf die Dauer nicht das Regieren durch ebenso schöne wie unverbindliche Absichtserklärungenersetzen.
Die CDU/CSU hat schon Anfang der siebziger Jahre konkrete Vorschläge für ein einfaches Plakettenverfahren vorgelegt.
Sie sind uns bis heute eine verbindliche Stellungnahme schuldig. — Aber, Herr Hoffie, da Sie heute schon so oft geredet haben, kommt das vielleicht heute abend noch. — Aber es kommt noch schlimmer: Sie haben die Reform der Kraftfahrzeugsteuer schon 1973 wesentlich erschwert, als Sie damals zu rein fiskalischen Zwecken die Mineralölsteuer um 5 Pfennig je Liter erhöht haben.
Ich habe noch die Rede unseres Kollegen Häfele im Ohr, wie er von dieser Stelle aus davor gewarnt hat, durch die isolierte Erhöhung der Mineralölsteuer den Spielraum für eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer zu beschneiden. Sie haben in der Tat durch Ihre Steuererhöhungen die Finanzierungsmasse, die wir zu einer wirklichen Reform der Kraftfahrzeugsteuer brauchen, beschnitten. Wir haben, wie so oft, mit unseren Warnungen recht behalten, und Sie haben, wie so oft, nicht auf unsere Warnungen gehört.Diese Erfahrungen mit Ihrer Erhöhung der Mineralölsteuer aus dem Jahre 1963 sind ein klassisches Lehrstück dafür, wie Sie durch ständige Steuererhöhungen grundlegende Steuervereinfachungen in den zurückliegenden Jahren immer mehr erschwert ha-
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Dr. Schäubleben. Die CDU/CSU ist auch heute zu einer grundlegenden Reform der Kraftfahrzeugsteuer bereit. Wir sind offen, über alle Ihre Vorschläge konstruktiv zu beraten. Dagegen lehnen wir Ihre Politik der Ankündigungen, der keine Taten folgen, ab. Deshalb appellieren wir an Sie: Reden Sie erst dann wieder über die Reform der Kraftfahrzeugsteuer, wenn Sie uns eine verbindliche Vorlage auf den Tisch dieses Hohen Hauses legen. Mit leeren Versprechungen und enttäuschten Erwartungen fördern• Sie am Ende nur den Verdruß unserer Bürger.Die CDU/CSU stimmt dem Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz in der vorliegenden Fassung zu. Sie fordert darüber hinaus die Bundesregierung auf, eine baldige Vorlage zu einer wirklichen Reform der Kraftfahrzeugsteuer im Bundestag einzubringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Diederich .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderung des Gesetzes, die hier vorliegt, nimmt sich natürlich gegen die großen Wortblasen, die wir in der Diskussion haben, relativ bescheiden aus. Aber es ist doch immerhin ein konkretes Ergebnis und nicht eine programmatische Aussage, Herr Schäuble. Ich muß sagen, der erste Teil Ihrer Rede, in dem Sie die wichtigen Ergebnisse der Regierungsvorlage erfreulicherweise akzeptieren, unterscheidet sich leider vom zweiten Teil Ihrer Rede, in dem Sie mit Allgemeinheiten aufwarten.
Meine Damen und Herren, wir haben einen bescheidenen Gesetzentwurf. Sie haben das Wesentliche dargestellt, Herr Kollege Schäuble. Ich kann mich daher kurz fassen und auf vier Punkte beschränken, die wir für wesentlich halten.
1. Zuerst nenne ich die Umstellung auf die obligatorische Jahreszahlung bei Pkw und kleineren Nutzfahrzeugen. Dies bringt spürbare Verwaltungsvereinfachungen. Beamte können anders eingesetzt werden. Immerhin macht die Ersparnis ein Fünftel der Verwaltungskosten aus, die nach allgemeiner Übereinstimmung bei dieser Steuer zu groß sind.
2. Die Freistellung der Körperbehinderten, d. h. die Gleichstellung der Körperbehinderten mit den Kriegs- und Zivilbeschädigten, ist durchaus ein wichtiger sozialer Schritt. Zuschriften und besorgte Kornmentare zeigen, daß die Betroffenen schon viel zu lange auf diesen angekündigten Schritt gewartet haben.
3. Die Freistellung überzähliger Anhänger ist wettbewerbspolitisch bedeutsam, weil sie eine Anpassung an die Besteuerungspraxis in den Nachbarländern darstellt. Auch hier hat sich die Güterkraftverkehrswirtschaft besorgt gemeldet; denn die Gefahr der Abwanderung von Gewerbebetrieben ins Ausland hat sehr konkrete Formen angenommen.
4. Die Möglichkeit, Kraftfahrzeuge aus der DDR zu besteuern, bietet die Chance, mit der DDR über den Fortfall der Besteuerung westdeutscher Lastkraftwagen in der DDR auf Gegenseitigkeitsbasis zu sprechen.
Wir hätten uns das allerdings auch ganz anders vorstellen können. Eine wirkliche und große Reform der Kraftfahrzeugsteuer steht aus. Ich glaube, Herr Schäuble, da. sind wir uns einig. Lassen Sie mich deshalb, da Sie ja auch Ihre Lösung vorgestellt haben, zu unseren Vorstellungen kommen.
Es besteht ein allgemeines Interesse, die Erhebung der Steuer einfach zu gestalten. Die Sozialdemokraten haben aber immer wieder klargemacht, daß ihnen gleichermaßen an einem gerechten Steuersystem gelegen ist. Schließlich wollen wir, daß ein neues Steuersystem im Bereich der Kraftfahrzeugbesteuerung umweltfreundlich und konstruktionsneutral ist.
Wir haben dazu, unsere Vorschläge auf dem Steuerparteitag 1971 gemacht. Aber die dort vorgeschlagene Besteuerung nach Kilowatt — sie lief auf eine Plakettensteuer hinaus — ist dann in den Verhandlungen von den Bundesländern nicht akzeptiert worden. Es waren die Länder, die sich 1976 für die Beibehaltung des derzeitigen Kraftfahrzeugsteuersystems entschieden haben. Damals — nicht heute — ist die Reform praktisch gescheitert. Alles, was nach heute kommt, ist praktisch ein Neuanfang der Diskussion. Ich glaube, da sind wir gar nicht so uneinig.
Herr Schäuble, die Opposition hätte es ja wohl auch in der Hand gehabt, die ihr nahestehende Mehrheit im Bundesrat in die entsprechende Richteng zu beeinflussen. Die Verzögerung fand nicht in den sechs Monaten jetzt, sondern damals statt.
Meine Damen und Herren, heute wird sehr viel von dem Wegfall der Kraftfahrzeugsteuer bei einer entsprechenden Anhebung der Mineralölsteuer geredet. Auch die Kollegen von der FDP haben dies in unserem Ausschuß erneut angesprochen. Nur sollten wir uns darüber im klaren sein, daß die Schwierigkeiten, die da auftreten, doch politischer Natur und nicht so schnell auszuräumen sind, wie Sie meinen, Herr Schäuble. Denn die Umstellung auf die Mineralölsteuer bei Wegfall der Kraftfahrzeugsteuer hieße ja: Fortfall einer Steuer, die nach Art. 106 GG den Ländern zusteht. Diese Steuer ist dort ja ausdrücklich als Landessteuer erklärt worden. Dann müßte der Bund mit den Ländern über die Aufteilung des Mineralölsteueraufkomméns auf Bund und Länder verhandeln. Sie wissen, daß Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern immer ihre Zeit brauchen und immer ihre Probleme haben. Probleme sind ja auch darin zu sehen, daß Ihre Parteifreunde im Bundesrat offensichtlich anders handeln, als Sie hier auf dem Katheder geredet haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden da nicht sehr schnell zu einer Lösung kommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9173
Dr. Diederich
Herr Schäuble, die Alternative wäre sicher die sogenannte Plakettensteuer gewesen. Sie wäre eine erhebliche Vereinfachung. Aber es waren ja eben die Länder — ich betone das noch einmal —, die gemeint haben, es sei etwa Polizeibeamten nicht zuzumuten, zu prüfen, ob für das Kraftfahrzeug die richtige, zur Zeit gültige Plakette gekauft wurde. Ich betone das nur, weil es nicht die Koalition gewesen ist, die hier die Bremser gestellt hat, sondern daß die woanders zu suchen sind.
Wir bedauern, daß es zu dieser grundsätzlichen Reform — sei es Umstellung auf Mineralölsteuer, sei es Umstellung auf Plakettensteuer — nicht gekommen ist. Wir haben dies immer gewünscht. Ich meine, es bleibt uns heute nichts anderes übrig, als den vorliegenden Gesetzentwurf zu verabschieden und in Geduld gemeinsam einen neuen Anlauf zu nehmen.Ich darf vielleicht kurz einschieben, daß uns die Kraftfahrzeugsteuer seit über 70 Jahren beschäftigt hat. Ich habe in den Protokollen des Reichstags eine Formel gefunden, nach der das erste Kraftfahrzeugsteuergesetz die Steuerbemessung vornahm. Ich hoffe nur, daß die Lösung, die wir gemeinsam anstreben, nicht so kompliziert wird. Da heißt es nämlich: ,,Bei der Angabe der Steuerleistung ist die Nutzleistung des Fahrzeugs maßgebend. Die Berechnung erfolgt bei Viertakt-Verbrennungsmaschinen normaler Bauart nach der Formel N = 0,3 X i X d2 X s" usw. Dann wird definiert, was da kommt.
Unsere Formeltarife, wir wir sie in der Einkommensteuer so kompliziert und unverständlich haben,sind also keine neue Erfindung, sondern etwas Altes.
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Schäuble zulassen?
Bitte, Herr Kollege Schäuble.
Herr Diederich, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß die SPD-Fraktion bereit ist, mit uns gemeinsam einen Gesetzentwurf einzubringen, der eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer durch die Einführung eines Plakettenverfahrens mit zwei Klassen vorsieht?
Ich habe ausdrücklich gesagt: Wir möchten erst hören, Was die Interessenverbände in der Anhörung beim Bundesminister der Finanzen zu sagen haben. Wir werden dann zu prüfen haben, zu welcher der Lösungen oder welchem der Modelle wir kommen. Das können wir sicher gemeinsam tun. Aber das können wir nur gemeinsam mit den Ländern tun, und ich lege Wert darauf, daß wir das gemeinsam mit den Ländern tun. Vielleicht finden wir sogar eine Kompromißformel, Herr Schäuble. Ich nehme Ihre Worte als ein
Angebot zur Kooperation. Nach den Ausführungen zum vorherigen Tagesordnungspunkt ist es ja immerhin erfreulich, daß wir hier eine so kooperationsbereite Opposition haben.
Die Maßnahmen, die wir mit diesem Gesetz ergreifen wollen, sind dringlich. Sie werden von uns allen als notwendig anerkannt. Wir sollten sie daher heute zügig verabschieden.
Die Länder haben allerdings eine geringfügige Steuererhöhung gewünscht, um die Kosten für die aufgezählten Maßnahmen auf die Kraftfahrzeugsteuerzahler aufzuteilen. Wir waren dazu bereit. Das möchte ich betonen.
Das Pingpongspiel, das Sie hier betreiben wollen, ist freilich nicht erträglich. Wenn wir gemeinsam dem Begehren der Länder gefolgt wären, hätten wir das Gesetz schon längst. So, Herr Schäuble, waren wir gezwungen, noch einmal nachzudenken. Wir gehen davon aus, daß die Länder die geschätzten Steuerausfälle von ca. 40 Millionen DM ohne großes Jammern tragen. Wir hoffen, daß Sie mitwirken, daß das so geschieht. Wir gehen davon aus, daß dafür nicht der Bund zur Kasse gebeten wird. Auch das ist eine Überlegung, die wir anzustellen haben. Im übrigen haben wir die Entscheidung, die Steuer nicht zu erhöhen, im Ausschuß gemeinsam gefällt.
Wir sind dafür eingetreten, daß den Steuerzahlern, die sich jetzt auf Jahreszahlung umstellen müssen, dies rechtzeitig bekanntgemacht wird. Ihnen liegt eine Entschließung vor, der wir zuzustimmen bitten. Wir sind der Meinung, daß die Bundesländer die Pflicht haben
— ich komme zum Schluß —, die Steuerzahler intensiv und gründlich darauf vorzubereiten, daß hier eine Umstellung vorgenommen wird, damit sich jeder rechtzeitig darauf einrichten kann.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion stimmt dem Gesetz und der Entschließung in der vorliegenden Fassung zu.
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Dreyer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus der Sicht der Opposition und insbesondere aus der Sicht eines Verkehrspolitikers der Opposition wäre es verlokkend, das von den Koalitionsfraktionen praktizierte Verfahren bei der parlamentarischen Behandlung der Kraftfahrzeugsteuernovelle doch noch einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen. Was hat es bei diesem an sich sehr einfachen, überschaubaren und in seinen Auswirkungen insgesamt recht positiven Gesetzentwurf auf seiten der Koalition doch für Verrenkungen gegeben! Wie das Kaninchen auf die Schlange, so hat die Koalition auf uns, auf die Opposition geschaut, unfähig, mit ihrer Mehrheit zu handeln. Ja, sogar der Bundesrat mußte als Alibi für das unverständliche Zaudern und Zögern herhalten,
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Dreyermit dem man die längst fällige Entscheidung wochenlang verschoben hat.Nun aber ist die Lähmung der Koalition erfreulicherweise endlich gewichen,
und sie hat sich den Standpunkt der CDU/CSU zu eigen gemacht. Das hätte man allerdings auch früher haben können. Ich darf daran erinnern, daß die hier zur Diskussion stehende Regelung bereits 1973 in dem Gesetzentwurf zur Kraftfahrzeugsteuerreform enthalten war und von der CDU/CSU voll unterstützt wurde. Als dieses Vorhaben aber wegen unterschiedlicher Auffassungen in der SPD scheiterte, unternahm die CDU/CSU 1975 einen neuen Anlauf, und zwar mit einem Artikel-Gesetz im Zusammenhang mit der damaligen Novelle zum Güterkraftverkehrsgesetz. Aber ein Machtwort des Herrn Bundeskanzlers setzte dem ein Ende.Wenn wir dies alles nüchtern betrachten, dann sollte man sich darüber im klaren sein, daß wir das heutige Gesetz schon seit 1973, spätestens aber seit 1975 hätten praktizieren können. Aber manchmal brauchen gute Erkenntnisse etwas längere Zeit, bis sie sich durchsetzen, insbesondere bei der Koalition, wie es hier mit diesem Gesetz bewiesen wurde.
Ich möchte einmal die positiven Aspekte der Kraftfahrzeugsteuernovelle herausstellen. Dazu gehören in erster Linie — neben den sozialpolitisch notwendigen Steuerbefreiungen zugunsten der Behinderten — die nun mögliche Verwaltungsvereinfachung bei der Steuererhebung und die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr.
Seit langem von uns gefordert und nun endlich errecht sind die Maßnahmen, die zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und zur Stützung der Position des deutschen Güterkraftverkehrs im internationalen Wettbewerb führen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Steuerbefreiung für Zweitanhänger und Zweitsattelauflieger durch die Einführung eines Anhängerzuschlages. Weiter ist hier die tageweise Steuererstattung bei Abmeldung und Stillegung der Fahrzeuge zu nennen, eine Regelung, die, wie ich meine, insbesondere für den Güternahverkehr Bedeutung hat. Zu nennen sind hier aber auch die Erleichterungen im kombinierten Verkehr, die darüber hinaus noch einen beträchtlichen, von uns gewünschten verkehrspolitischen Effekt haben. Schließlich sind hier auch noch die vorgesehenen Maßnahmen zur Besteuerung ausländischer Lkw in der Bundesrepublik, einschließlich der DDR-Lkw, sowie die Ermächtigungsgrundlage zu nennen, die bekanntlich in § 17 geschaffen wurde. Diese Ermächtigungsgrundlage schafft die Voraussetzung für eine wettbewerbsneutrale Besteuerung ausländischer Lkw in der Bundesrepublik. Wenn damit auch bei weitem nochkeine Harmonisierung der Besteuerung von Nutzfahrzeugen in der EG oder im übrigen Europa erreicht wurde, so handelt es sich hierbei doch — das muß man feststellen — um einen Schritt in die richtige Richtung, nämlich um einen Schritt zur Herstellung von mehr Chancengleichheit im internationalen Wettbewerb für unsere deutsche Transportwirtschaft. Der Marktanteil des deutschen Güterkraftverkehrs am grenzüberschreitenden Verkehr ist aus einer Vielzahl von Gründen, aber nicht zuletzt auch wegen der hohen Besteuerung der Lkw in unserem Lande seit Jahren rückläufig. Die mit diesem Gesetz vorgesehenen Regelungen könnten zu einer Besserung der Situation führen und das Getümmel ausländischer Brummer auf unseren Straßen abbauen. Die Möglichkeit, durch den jetzt vorgesehenen Anhängerzuschlag überzählige Anhänger und Sattelauflieger von der Steuer zu befreien, so daß immer nur das jeweils im Verkehr befindliche Fahrzeug besteuert wird, eröffnet darüber hinaus die Einführung moderner Verkehrstechniken. Dies wird letztlich auch unserer Wirtschaft in Form einer qualitativen Verbesserung des Verkehrsangebotes zugute kommen. Unsere Partnerländer in der EG haben diese Besteuerungsmethode schon lange eingeführt. Insofern haben wir hier eine längst fällige Anpassung vollzogen.Mit dieser Vorlage wird auch unserer hier zur Beratung anstehenden Initiative zur Heranziehung der DDR-Lkw zur Kraftfahrzeugsteuer im Bundesgebiet entsprochen. Wir möchten in Zukunft verhindern, daß die DDR mehr oder weniger willkürlich an der Steuerschraube für die Fahrzeuge aus der Bundesrepublik auf dem DDR-Territorium dreht. Aber ich möchte betonen, daß auch wir uns mit Priorität für den Abschluß eines Doppelbesteuerungsabkommens einsetzen.Die Steuererleichterungen auf dem Lkw-Sektor, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, kommen ausschließlich der mittelständischen Wirtschaft zugute. Dies ist ein besonders erfreulicher Aspekt. Auch dort nämlich, wo auf Grund der Regelungen mit einer verbesserten Auftragslage in der Anhängerindustrie zu rechnen ist, profitieren wiederum die mittelständischen Betriebe der Kraftfahrzeughersteller und des Kraftfahrzeughandwerks. Dieser Effekt ist wirtschaftspolitisch gesehen erwünscht. Durch die beschäftigungspolitischen Impulse werden die Ausfälle, die bei der Kfz-Steuer zu erwarten sind, durch das Mehraufkommen bei anderen Steuerarten sicherlich ausgeglichen werden. Ich verkenne dabei nicht, meine Damen und Herren, daß hiervon verschiedene Kassen der öffentlichen Hände berührt werden. Die zu erwartende Rückgewinnung grenzüberschreitender Verkehre dürfte allerdings auch. den Kfz-Steuerausfall zu einem bestimmten Teil wieder kompensieren.Im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens hat die CDU/CSU entschieden den Standpunkt eingenommen — das haben wir auch immer wieder draußen betont —, daß wir gegen eine Politik sind, wie sie die Koalition hier betreiben wollte, nämlich mit der einen Hand bei der sogenannten Steuerreform Steuererleichterungen zu versprechén und mit der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9175
Dreyeranderen Hand bei der Kfz-Steuer für Pkw durch Steuererhöhungen dies wieder wegzunehmen. Ich kann hier mit Befriedigung feststellen, daß wir unsere Linie durchgehalten und durchgesetzt haben, die Koalition leider Monate gebraucht hat, um zu der nötigen Einsicht zu kommen.
Das Wort hat Frau Kollegin Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung die sogenannte kleine Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Sie wissen, daß wir uns unter der großen Reform etwas anderes vorstellen. Trotzdem begrüßen wir die jetzt vorliegende Reform als einen ersten Schritt in die richtige Richtung, Herr Dr. Schäuble. Da es sich hier um eines der wenigen Gesetze handelt, die nach meiner Erinnerung im Rahmen des Steuerbereichs einvernehmlich hier verabschiedet werden, sollten nicht noch besondere Klimmzüge veranstaltet werden, um die Kleinigkeiten, die an Gegensätzlichkeiten noch vorhanden sind, in den Vordergrund zu stellen.
— Richtig.Die Erleichterungen, die in diesem Gesetz vorgesehen sind, sind schon mehrfach genannt worden. Ich möchte sie deswegen nur kurz erwähnen.Erstens werden in diesem Gesetz die Zivilgeschädigten bei der Steuerbefreiung den Kriegsbeschädigten gleichgestellt. Die vorgeschlagene Neuregelung sieht für alle Behinderten auf Antrag volle Steuerbefreiung für einen Pkw vor, wenn der Behinderte in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Dies wird bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 80 % vermutet.Zweitens. Hier ist schon hingewiesen worden auf die spürbaren Steuererleichterungen für den Güterfernverkehr und den Güternahverkehr, insbesondere dadurch, daß die Kraftfahrzeuganhänger nicht mehr doppelt und dreifach besteuert werden, sondern nur noch insoweit, als sie hinter einem Schleppfahrzeug hängen. Dies wird durch eine doppelte Regelung herbeigeführt, einmal dadurch, daß der Fahrzeughalter beantragen kann, daß für einen bestimmten Anhänger die Steuer nicht erhoben wird, weil dieser ausschließlich hinter Kraftfahrzeugen geschleppt wird, die einen Anhängerzuschlag zahlen. Das kann zum anderen dadurch erreicht werden, daß derselbe oder auch ein anderer Fahrzeughalter beantragen kann, daß für ein bestimmtes Fahrzeug eine um einen Anhängerzuschlag erhöhte Steuer erhoben wird.Verkehrspolitisch motiviert ist auch eine andere Regelung dieses Gesetzes, nämlich daß denjenigen Transportunternehmen weitere steuerliche Erleichterungen gewährt werden, die den sogenannten Huckepack-Verkehr durchführen, d. h. ihre Wagenauf Wagen der Bundesbahn rollen lassen. Ihnen wird eine günstigere Rabattstaffelung eingeräumt. Wir versprechen uns davon, daß dieser HuckepackVerkehr in Zukunft mehr als bisher gerade auch von mittelständischen Unternehmern praktiziert wird.Drittens. DDR-Fahrzeuge werden bei vorübergehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland der Besteuerung unterworfen, sofern nicht durch gegenseitige Abkommen auf die Besteuerung verzichtet wird.Herr Dreyer, ich darf Sie auf den Lapsus aufmerksam machen, daß wir das nicht, wie Sie gesagt haben, „für ausländische Fahrzeuge inklusive DDR" tun, sondern für DDR-Fahrzeuge. Ich schlage Ihnen vor, dies im Protokoll zu verändern, weil Sie sonst Ärger mit Herrn Jäger bekommen, der eben sehr markige Worte für dieses Thema gebraucht hat.Viertens. In diesem Gesetz ist die Umstellung auf die Jahressteuer vorgesehen, und zwar bis zu einem Betrag — das halte ich für wichtig, weil uns auch Leute ansprechen, die sehr hohe Kraftfahrzeugsteuerzahlungen vornehmen müssen — von 1 000 DM. obligatorisch. Für Steuerleistungen, die darüber hinausgehen, kann die Steuerzahlung halbiert werden. Für Steuerzahlungen, die über 2 000 DM hinausgehen, kann sie wie bisher im Vierteljahresrhythmus gezahlt werden. Es- wurde schon darauf hingewiesen, daß wir im Ausschuß längere Zeit darüber nachgedacht haben, ob dies nicht zu besonderen Erschwernissen und Belastungen bei unteren Einkommensgruppen führt. Die Beträge sind gerade in diesen Einkommensgruppen nicht ganz so hoch wegen des Typs des Automobils. Ich darf z. B. daran erinnern, daß die Jahressteuer für ein Automobil mit 1200 Kubikzentimeter Hubraum 172,80 DM ausmacht, für ein Fahrzeug mit 1 500 Kubikzentimetern 216 DM. Dies ist in der Regel erträglich. Trotzdem waren wir gemeinsam der Ansicht, wir müßten in einer Entschließung die obersten Finanzbehörden der Länder auffordern, die Kraftfahrzeughalter, die nach diesem Gesetz die Kraftfahrzeugsteuer künftig jährlich in einem Betrag zu entrichten haben, frühzeitig in geeigneter Weise von der Umstellung auf die Jahreszahlung zu unterrichten. Die Bundesregierung wird von uns gemeinsam ersucht, hierauf hinzuwirken.Erwähnt werden sollte als fünfte wichtige Neuerung die tagesweise Erstattung von zuviel gezahlter Kraftfahrzeugsteuer bei der Abmeldung des Pkw, während bisher bei einer solchen Abmeldung nur eine monatsweise Erstattung — zu Lasten des Steuerzahlers — üblich war.Ich darf hier noch einen Punkt erwähnen, weil er später draußen möglicherweise eine Rolle spielt und dort ein falscher Eindruck entstehen könnte. Die CDU/CSU hatte beantragt, die Pannenhilfsfahrzeuge der Automobilclubs von der Kraftfahrzeugsteuer freizustellen. Wir von der Koalition waren im Ausschuß der Meinung, daß wir dem nicht folgen könnten, weil dies zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten bei konkurrierenden gewerblichen Unternehmen führen würde. Es tauchte die Frage auf:
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9176 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978
Frau Matthäus-MaierWann sind solche Unternehmen steuerfrei? Ist auf die Unentgeltlichkeit abzustellen? Ist auf die Gemeinnützigkeit des Trägers des Hilfsdienstes abzustellen? Alle diese Dinge sind unserer Ansicht nach nur sehr schlecht abzugrenzen und werden zu Berufungen führen.Ich darf darauf hinweisen, daß im Verkehrsausschuß eine entsprechende Anregung des Bundesrats diskutiert worden ist und daß dort der Vorsitzende, der bekanntlich der CDU/CSU angehört, sich gegen eine Freistellung der Pannenhilfsfahrzeuge der Automobilclubs ausgesprochen hat. Auf Grund dieser Äußerung des Vorsitzenden ist von seiten des Verkehrsausschusses die Anregung des Bundesrates nicht aufgegriffen worden.
— Unsere Entscheidung ist dadurch selbstverständlich nicht beeinflußt worden, Herr Dr. Schäuble. Aber es muß ja nach den Erfahrungen, die wir haben, damit gerechnet werden, daß Sie sich auf .einmal in München hinstellen und sagen, Sie seien schon immer für die Freistellung der ADAC-Fahrzeuge gewesen. Es könnte dann leicht vergessen werden, wie die Sachlage tatsächlich war.Sie wissen — das möchte ich hier noch kurz ansprechen —, daß sich die FDP — das ist hier mehrfach angesprochen worden — unter einer großen Reform der Kraftfahrzeugsteuer etwas anderes vorstellt.
— Wir haben uns da klar entschieden, im Unterschied zu der SPD, wie es Herr Kollege Professor Diederich hier völlig korrekt dargestellt hat. — Wir 'sind nämlich der Meinung, daß die Kraftfahrzeugsteuer abgeschafft bzw. auf die Mineralölsteuer umgelegt werden sollte, gegebenenfalls unter Einführung einer einmaligen Zulassungssteuer. Die Hauptvorzüge dieser Regelung scheinen uns folgende zu sein.Erstens ist eine Verwaltungsvereinfachung möglich. Sie wissen, daß Finanzbeamte etwa in einer Größenordnung von 3 000 bis 4 000 durch eine solche Lösung eingespart werden könnten, die an anderer Stelle rationeller eingesetzt werden könnten.Zweitens: Die Treibstoffbesteuerung hat eine erhebliche energieeinsparende Wirkung. Ich dokumentiere das z. B. damit, daß in der FDP der Beschluß zur Umlegung der Kfz-$teuer auf die Mineralölsteuer nicht etwa in einem Steuerprogramm beschlossen worden ist, sondern auf dem Parteitag in Kiel im Rahmen eines Energieeinsparungsprogramms. Wir meinen, wer mehr Auto fährt, soll auch entsprechend mehr zahlen, eine Steuer also nach dem Verursachungsprinzip.
— Ich komme gleich darauf. Die Hauptgegenargumente kenne ich natürlich auch, Herr Kühbacher. —Wir meinen, daß durch eine solche entsprechende Anhebung der Mineralölsteuer Anreize zu einem kosten- und damit energieeinsparenden Fahren geschaffen werden und damit auch Anreize für die Industrie zur Konstruktion von Automobilen mit geringerem Treibstoffverbrauch als bisher.Drittens. Eine solche Umlegung wäre sicher umweltfreundlicher. Denn gegenüber der heutigen Hubraumsteuer, die durch den Bezug auf den Hubraum zu einer hohen Verdichtung der Motoren führt und damit umweltfeindlich ist, würde die Umstellung auf die Mineralölsteuer konstruktionsneutral sein.Viertens. Ein gerade bei der Bevölkerung nicht unerheblicher Vorzug würde darin bestehen, daß insbesondere in den Reisemonaten die Hunderttausende durch die Bundesrepublik Deutschland fahrenden ausländischen Kraftfahrzeuge auf diese Weise zur Mitfinanzierung der deutschen Straßen beitragen würden.Uns sind selbstverständlich die Gegenargumente bekannt. Sie bestehen einmal darin, daß der ruhende Verkehr durch eine solche Umlegung zweifellos entlastet würde. Wir meinen aber, daß dieses Argument an der Sache vorbeigeht. Denn nach unserer Meinung sollte nicht das Haben eines Pkws besteuert werden, sondern das Fahren mit einem Pkw. Die Kraftfahrzeugsteuer setzt also am falschen Ende an. Außerdem kann das Problem des ruhenden Verkehrs nun wirklich nicht mit 170, 180 oder 220 Mark Kfz-Steuer gelöst werden, sondern nur durch ein öffentliches Nahverkehrssystem, insbesondere für die Innenstädte, park-and-ride-Systeme, Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und andere Dinge. Die Kraftfahrzeugsteuer scheint uns für diesen Zweck nicht geeignet zu sein.
Frau Kollegin, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Sie haben noch 20 Sekunden. Die Frage ist in diesem Rahmen nicht mehr unterzubringen.
Dann darf ich abschließend darauf hinweisen, daß man diesem Problem unter Umständen dadurch beikommen könnte, daß man eben nicht die völlige Umlegung auf die Mineralölsteuer vorsieht, sondern gleichzeitig eine einmalige Zulassungsgebühr vorsieht. Dies hätte auch den Vorteil, daß man dann, wenn man es will — wir sind da noch nicht entschieden —, bestimmte Fahrzeuge dadurch entlasten könnte, daß sie z. B. von einer solchen Zulassungsgebühr befreit werden.Das Problem der Pendler ist uns bekannt. Aber wir weisen darauf hin, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer um etwa 12 his 14 Pf bis zu einer Kilometer-Fahrleistung von etwa 15 000 im Jahr trotzdem nicht zu einer Mehrbelastung führen würde, sondern zu einer Entlastung.Das letzte Problem, Herr Professor Diederich, das Sie angesprochen haben, nämlich das Problem des
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. November 1978 9177
Frau Matthäus-MaierFinanzausgleichs zwischen Bund und Ländern, ist, glaube ich, zwar wichtig, aber kein Bürger in der Bundesrepublik Deutschland würde es verstehen, daß an einer solchen Frage, die uns im Parlament in der Tat beschäftigen muß — aber draußen würde man kein Verständnis dafür haben — eine solche wichtige Reform scheitert.Es gibt noch andere Probleme, die nämlich der steuerbefreiten Gruppen wie z. B. der Behinderten. Wir hoffen, daß uns darüber das Hearing Aufschluß gibt, das der Bundesfinanzminister dankenswerterweise für die nächste Woche angesetzt hat. Wir hoffen also, daß in dieser Sache bald etwas geschieht. Bis dahin schließen wir uns der vorgesehenen heutigen Verabschiedung der sogenannten kleinen Reform an.
Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Matthäus hat hier eine Behauptung aufgestellt, die nicht zutrifft. Ich habe mich im Verkehrsausschuß nicht gegen eine Freistellung der Pannenhilfe ausgesprochen. Der Kollege Straßmeir hatte das Thema in der allgemeinen Aussprache angesprochen. Bei der Beratung im Verkehrsausschuß, dessen Vorsitz ich zu führen hatte, habe ich auf die Stellungnahme der Bundesregierung verwiesen und die Frage gestellt, ob ein Kollege diesen Antrag aufgreifen und ihn offiziell in die Beratung einführen wolle. Das war nicht der Fall. Ich hatte den Eindruck, daß in allen Fraktionen die Auffassung vertreten wurde, es handle sich hier um eine Entscheidung, die im Finanzausschuß und nicht im mitberatenden Verkehrsausschuß zu treffen sei. Das wollte ich richtigstellen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir treten in die Abstimmung 'in zweiter Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 3 a, 4, 5, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen als nächstes über den Entschließungsantrag auf Drucksache 8/2291 ab, der bereits in der Debatte begründet worden ist. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/238 — Buchstabe b) unseres Zusatztagesordnungspunktes 2 — sowie die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß ich über beide Empfehlungen gemeinsam abstimmen lasse. — Wer den Empfehlungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung für Freitag, den 17. November 1978, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.