Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, für den aus dem Vermittlungsausschuß ausscheidenden Abgeordneten Windelen hat die Fraktion der CDU/CSU die Abgeordnete Frau Tübler benannt. — Das Haus ist damit einverstanden; damit ist die Abgeordnete Frau Tübler als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses bestimmt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für heute die Zeitdauer für die jeweilige Aussprache über die Tagesordnungspunkte wie folgt vorgesehen: Bundesnaturschutzgesetzentwurf 1 Stunde, Entwürfe von Arbeitsplatzförderungsgesetzen 3 Stunden, nach der Mittagspause ab 14 Uhr Fragestunde, im Anschluß an die Fragestunde Beamtenversorgungsgesetzentwurf 1 Stunde, Antrag des Haushaltsausschusses betr. Auswirkungen neuer Gesetze auf den Arbeits- und Personalaufwand im öffentlichen Dienst 1 Stunde, Antrag des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen betr. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung 2 Stunden, Gesetzentwurf über den Reiseveranstaltungsvertrag 40 Minuten, Entwurf einer Vereinfachungsnovelle 1 Stunde, Energieeinsparungsgesetzentwurf 30 Minuten, Antrag des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Aktiengesetzes 30 Minuten. Die übrigen Tagesordnungspunkte sind ohne Aussprache und sollen ebenfalls noch heute erledigt werden, falls sie nicht für Freitag vorgesehen sind. — Das Haus ist mit dieser interfraktionellen Vereinbarung einverstanden; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
— Drucksache 7/3879 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5173 — Berichterstatter:Abgeordneter Peters
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen 7/5171, 7/5251 — Berichterstatter:Abgeordneter SussetAbgeordneter Müller (Erste Beratung 184. Sitzung)b) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege— Drucksache 7/886 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/ 5173 —Berichterstatter:Abgeordneter Peters
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen 7/5171, 7/5251 — Berichterstatter:Abgeordneter SussetAbgeordneter Müller (Erste Beratung 57. Sitzung)c) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege— Drucksache 7/324 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5173 —Berichterstatter:Abgeordneter Peters
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17506 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Präsident Frau Rengerbb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen 7/5171, 7/5251 — Berichterstatter:Abgeordneter SussetAbgeordneter Müller (Erste Beratung 23. Sitzung)Wir haben eine verbundene Debatte.Das Wort zur Aussprache in zweiter Beratung wird nicht begehrt. Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe die §§ 1 bis 41 in der Fassung des Ausschußantrages, Einleitung und Überschrift auf. — Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so in zweiter Beratung beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort hat Herr Abgeordneter Susset.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über eine Gesetzesvorlage zum Naturschutz und zur Landschaftspflege, denen zum Schutz unserer Umwelt eine so überragende Bedeutung zukommt, Bericht zu erstatten heißt, von der verantwortungsbewußten Sicherung der zukünftigen Lebensgrundlagen unserer gesamten Bevölkerung sprechen. Noch vor nicht allzu langer Zeit waren Naturschutz und Landschaftspflege in die Bereiche des Ideellen, des Romantischen verbannt, schienen eine Angelegenheit von Vereinen zu sein und fristeten im staatlichen Bereich ein Schattendasein. Es waren unwichtige Begriffe in den Zeiten der Not genauso wie in Zeiten des wirtschaftlichen Wiederaufbaus. Nur wenige erkannten die sich anbahnenden Belastungen der Natur, des Naturhaushalts und der Naturgüter sowie deren Lebensnotwendigkeiten für den Menschen. Die Aufgaben des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind die Daseinsvorsorge und die Zukunftssicherung mit Hilfe der materiellen und immateriellen Naturgüter, die für die Existenz der Menschen unerläßlich notwendig sind.Auch der Staat hat erkannt, daß es sich um eine öffentliche Aufgabe hoher Priorität handelt. Er hat sich in Bund und Ländern dieser Aufgabe gestellt. Schon im Oktober 1973 hatte ich Gelegenheit, als Sprecher meiner Fraktion zur CDU/CSU-Vorlage unter Zustimmung des ganzen Hauses darauf hinzuweisen, daß die Materie, die in dem vorliegenden Antrag angesprochen wird, nämlich der Naturschutz und die Landschaftspflege, das Lebensrecht und den Lebensraum jedes einzelnen Mitbürgers wesentlich und unmittelbar berührt und daß die Fortentwicklung ihrer rechtlichen Grundlagen eine der vordringlichsten Aufgaben dieser Legislaturperiode sei.Als Berichterstatter des federführenden Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kann ich hier heute versichern, daß sich der Ausschuß dieser Aufgabe mit großem Verantwortungsbewußtsein aller seiner Mitglieder unterzogen hat, der Aufgabe nämlich, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen für die Erhaltung einer gesunden Umwelt, für die Herstellung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes des Naturhaushalts, für den Ausgleich zwischen den wachsenden Bedürfnissen der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Anforderungen an Natur und Landschaft einerseits und dem begrenzten Potential der Natur andererseits. Dies geschah aus der Erkenntnis heraus, daß nur eine Landschaft, die sich in biologischem Gleichgewicht befindet, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und damit die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen sichern kann.Für die gesetzgeberischen Maßnahmen ist wichtig, daß es gelingt, einheitliche Wert- und Zielvorstellungen festzulegen, dem Instrumentarium zu ihrer Erreichung einen gewissen Rahmen zu setzen und für die Verwendung der bereitzustellenden Mittel Rangfolgen festzulegen. Man darf jedoch auf dem Gebiete von Naturschutzt und Landschaftspflege nicht alles auf den Staat allein abstellen. Naturschutz und Landschaftspflege sind neben der Tätigkeit des Staates auf die Aktivität verantwortungsbewußter Bürger angewiesen. Um einen erfolgreichen Naturschutz und eine erfolgreiche Landschaftspflege zu entwickeln, ist deshalb ein ständiger Dialog zwischen Staat und Bürgern erforderlich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ausschuß hat sich seine Aufgabe nicht leichtgemacht. Er mußte sich mit den verschiedenen ihm zugeleiteten Vorlagen befassen, die allerdings übereinstimmend von dem Ziel geprägt waren, das zur Zeit im Gebiet der Bundesrepublik geltende Recht gesetzlich fortzuentwickeln und den neuen, erweiterten Anforderungen der Bevölkerung an Natur und Landschaft anzupassen. Es galt, dem Begriff des Naturschutzes einen anderen, modernen Inhalt zu geben. Während das bisherige Naturschutzrecht auf das Bewahren ausgerichtet war, erfordert ein moderner Naturschutz darüber hinaus die Hinwendung zur aktiven Planung und Gestaltung, ausgehend von der freien Natur bis hin zu möglichen Grünordnungen in den Siedlungsräumen. Ich kann dem Hohen Hause für die CDU/CSU mit Befriedigung berichten, daß nicht nur ein einheitlicher Beschluß für den dem Hohen Hause vorliegenden Antrag zustande kam, sondern daß zu den Grunderkenntnissen über Voraussetzungen, Funktionen und Aufgaben eines modernen Naturschutzes in unserer Industriegesellschaft sowohl politisch als auch sachlich eine völlige Übereinstimmung der Meinungen aller Mitglieder unseres Ausschusses am Ende der Beratungen verzeichnet werden konnte.Zu den Einzelheiten des Verfahrens, nach dem der Ausschuß hinsichtlich der Behandlung der verschiedenen Vorlagen in seinen Beratungen vorgegangen ist, bitte ich auf den Ihnen vorliegenden schriftlichen Bericht verweisen zu dürfen. Hervorheben möchte ich daraus jedoch, daß einmal der Ausschuß aus den verschiedenen Vorlagen, die ihm zugeleitet wurden, eine Neufassung des Gesetzentwurfes erarbeitete, sich hierbei im wesentlichen an den Entwurf
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17507
Sussetdes Bundesrates anlehnte, aber auch Elemente der Vorlagen der CDU/CSU-Fraktion und der Vorlage der Bundesregierung in seine Beratungen einfließen ließ und daß zum andern der erarbeitete Gesetzentwurf im Gegensatz zur Vorlage der Bundesregierung von der geltenden Verfassungslage ausgeht, die in Art. 75 Nr. 3 des Grundgesetzes Naturschutz und Landschaftspflege der Rahmenkompetenz des Bundes zuweist.
Dabei bleiben die in Fortentwicklung der Bestimmungen des Reichsnaturschutzgesetzes in neuen Landesgesetzen geschaffenen landesrechtlichen Vorschriften in ihrem Kern im wesentlichen erhalten. Der Entwurf beläßt den Ländern die Möglichkeit, aus ihrer regional unterschiedlichen Situation heraus Lösungen zu suchen, die ihren jeweiligen Gegebenheiten entsprechen. Das ist ein Verfahren, das sicher erfolgreicher auf der Basis eines Rahmengesetzes des Bundes verfolgt werden kann, als es auf der Grundlage eines Gesetzes in Vollkompetenz des Bundes möglich gewesen wäre.
Den Ländern ist es nun aufgegeben, innerhalb von zwei Jahren entsprechende Landesgesetze zu erlassen oder bestehende Regelungen anzupassen. Die unmittelbar geltenden Vorschriften sind einzeln in § 4 der Vorlage aufgeführt. Diese Einzelbestimmungen sind überwiegend Mindestbestimmungen, über die die Länder hinausgehen können.
— Ich weiß nicht, was der Kollege Gallus dagegen einzuwenden hat. Ich habe den Eindruck, daß er als Vertreter der Regierungskoalition einen Gesetzentwurf, der im Einvernehmen mit den Vertretern der Bundesregierung verabschiedet wird, hier am Ende wieder miesmachen will.
Das mit der Gesetzesvorlage weiterhin eingeführte Verursacherprinzip, bedeutet, daß derjenige, der Schäden an Natur oder Landschaft verursacht, dafür auch aufzukommen hat. In Zukunft werden die natürlichen Lebensgrundlagen wie Wasser, Luft, Landschaft nicht mehr als quasi vogelfrei bezeichnet werden können. Der einzelne kann nicht die sich aus seinen Eingriffen in Natur und Landschaft ergebenden Vorteile für sich in Anspruch nehmen, aber den Ausgleich der von ihm verursachten Schäden an Natur und Landschaft auf die Allgemeinheit abwälzen.Lassen Sie mich drei grundsätzliche Schwerpunkte der Vorlage hervorheben.Erstens. Zum Wandel des Begriffs „Naturschutz" ist zu bemerken, daß sich der traditionelle Naturschutz im wesentlichen darauf beschränkte, besonders wertvolle Bestandteile der Natur und der Landschaft zu bewahren. Pflege und Gestaltung der Landschaft in ihrer Gesamtheit dagegen waren dem Reichsnaturschutzgesetz völlig fremd. Für die Zukunft reicht es aber nicht mehr aus, nur bestimmte wertvolle Landschaftsteile vor ihrer Zerstörung zu bewahren. Denn Natur und Landschaft sind die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen. Diese Lebensgüter vor schädlichen Einwirkungen zu schützen und Natur und Landschaft in ihrem Gesamtgefüge zu erhalten und zu gestalten, das sind die Aufgaben eines modernen Naturschutzes. Ihm muß dafür die Möglichkeit eingeräumt werden, bei Notwendigkeit aktiv einzuschreiten.
Aus dem ehemals bewahrenden Naturschutz hat sich auch nach dem Text der Vorlage ein neuer Naturschutzbegriff entwickelt, der nunmehr einen erweiterten, einen aktiven Naturschutz beinhaltet.
Zweitens. Die Bedeutung und die Aufgaben der Landschaftsplanung sind in den Bestimmungen des Zweiten Abschnitts des Entwurfs im einzelnen festgelegt. Während die überörtlichen Erfordernisse und Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege für den Bereich eines Landes in Landschaftsprogrammen und für Teile eines Landes in Landschaftsrahmenplänen dargestellt werden, wobei das Landschaftsprogramm durch großräumige Analysen und Diagnosen konkretisierte Zielvorstellungen enthalten und der Landschaftsrahmenplan das für einzelne Regionen vorgesehene Planungsinstrument darstellen soll, ist der Landschaftsplan gemäß § 6 der Vorlage die Grundlage für die Durchführung einzelner Naturschutz- und Landschaftspflegemaßnahmen insbesondere bei entstandenen oder drohenden Eingriffen in Natur und Landschaft sowie bei anderen Schutz-, Pflege- oder Entwicklungsmaßnahmen aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Im Landschaftsplan sollen die Erfordernisse und die Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege für die Praxis im öffentlichen Bereich dargestellt und begründet werden. Der Landschaftsplan erstreckt sich auch auf Anweisungen über den Zugang zu Küsten und Ufern, zu Teilen der Landschaft von besonderer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit und erfaßt auch begrünte Flächen und deren Bestände sowie die Veränderungen des Landschaftsbildes durch den Städtebau. Die Bestimmungen über die Landschaftsplanung sind die Voraussetzungen für die effektive Verwirklichung der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege, dies auch über den Rahmen der einzelnen Länder hinaus für die Gesamtheit des Bundesgebiets.Drittens. Die Vorschriften über die Eingriffe in Natur und Landschaft in § 8 gehören zu den grundlegenden Bestimmungen des Gesetzes, denen für die zukünftige Gestaltung des Naturschutzes und der hierfür erforderlichen Maßnahmen eine besonders bedeutungsvolle Aufgabe zukommt. § 8 des Entwurfs stellt sicher, daß bei allen Einwirkungen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege umfassend berücksichtigt werden. Den Naturschutzbehörden wird dabei ein stärkeres Mitspracherecht eingeräumt als nach bisherigem Recht. Wenn nun ein solcher Eingriff als gegeben anzusehen ist und für diesen Eingriff dann die Zustimmung
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17508 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Susseteiner Behörde, eine Planfeststellung oder eine sonstige Entscheidung oder Anzeige vorgeschrieben ist, entscheidet die Behörde, inwieweit vermeidbare Beeinträchtigungen zu unterlassen und inwieweit unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch entsprechende Maßnahmen auszugleichen sind.Lassen sich Beeinträchtigungen nicht vermeiden oder nicht in erforderlichem Umfang ausgleichen, so ist der Eingriff zu untersagen, wenn im konkreten Fall die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege allen übrigen Interessen der Allgemeinheit und der Betroffenen im Range vorgehen. Als Eingriff wird nach der Vorlage definiert „die Veränderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit der Natur oder das Landschaftsbild erheblich und nachhaltig beeinträchtigen kann".Die Regelung ist, was die Folge eines Eingriffs angeht, eine Mindestregelung. Die Länder können hierzu aber weitergehende Regelungen treffen. In dem uns vorliegenden Gesetzentwurf wird die Entscheidung über einen Eingriff an die Notwendigkeit einer anderen Entscheidung gebunden. Das heißt, theoretisch unterliegt nicht jeder Eingriff dieser Regelung. Da aber in der Praxis in aller Regel jede Veränderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen von einiger Bedeutung heutzutage irgendwie einer behördlichen Entscheidung oder Anzeigepflicht unterliegt, dürften in diesen Fällen die Bestimmungen des uns vorliegenden Gesetzes zum Zuge kommen.In all diesen Fällen wird ein naturschutz- und landschaftsgerechtes Verhalten durchzusetzen sein. Alle Maßnahmen unterliegen allerdings dem allgemeinen Abwägungsgebot des § 1 Abs. 2 sowie der besonderen Abwägungsregelung des § 8.Eine besondere Bedeutung kommt im Hinblick auf die Existenz und die naturgegebene Tätigkeit der Landwirtschaft dem § 8 Abs. 7 des Gesetzes zu. Es geht dabei um die sogenannte Landwirtschaftsklausel, die zu streichen der Innenausschuß des Bundestages empfohlen hatte. Der federführende Ausschuß schlug demgegenüber die Aufrechterhaltung vor.
Diese Klausel ist nun auch in der Vorlage enthalten. In logischer Konsequenz enthält deshalb § 8 Abs. 7 die Formulierung „Die ordnungsgemäße land-, forst- und fischwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff in Natur und Landschaft anzusehen".
Der Gesetzgeber nimmt damit nicht etwa den Gesamtbereich der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft aus der Eingriffsregelung aus, sondern nur die Bodennutzung. Hierunter fallen die Maßnahmen des ordnungsgemäßen Acker- und Pflanzenbaus, die ordnungsgemäße Wiesen- und Weidennutzung, die ordnungsgemäße Waldwirtschaft und die Fischwirtschaft.Lassen Sie mich noch zu einer weiteren Einzelvorschrift etwas sagen. In § 27 ist das Betreten der Flur in Anlehnung an § 14 des Bundeswaldgesetzes geregelt. In § 14 Abs. 1 des Bundeswaldgesetzes ist das Reiten auf Straßen und Wegen auf eigene Gefahr gestattet. Ich sage dies, weil gestern hier Fernschreiben ankamen, in denen wir gebeten wurden, doch klarzustellen, was wir in diesem Naturschutzgesetz unter „Betreten" verstehen. Das steht also eindeutig in § 14 des Bundeswaldgesetzes, und das gilt auch für § 27 des Entwurfs. Den Ländern bleiben Einzelregelungen vorbehalten.Eine weitere schwierige Frage, die eingehender Beratung bedurfte, war die Frage der Mitwirkung von Verbänden. Die Bestimmung über die Mitwirkung von Verbänden hat ihren Ursprung in der Forderung der Naturschutz- und Umweltschutzverbände, die sogenannte Verbandsklage einzuführen. Die intensiven Beratungen zeigten aber, daß eine solche Regelung erhebliche Schwierigkeiten heraufbeschwören würde.Die Verfechter der Verbandsklage stützen sich bei ihrer Forderung u. a. auf ein Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen auf Bundesebene aus dem Jahre 1974, in dem der Rat die Verbandsklage für Umweltschutzverbände empfiehlt, weil Regierung und Verwaltung sich nicht scheuen dürften, die Gesetzmäßigkeit ihres Verhaltens in Umweltschutzangelegenheiten vor unabhängigen Gerichten vertreten zu müssen.Die Einführung der Verbandsklage wurde schließlich in den Beratungen des Ausschusses einerseits für nicht erforderlich gehalten, andererseits wurden gewisse mit der Verbandsklage verbundene Gefahren gesehen. Mit einer solchen Regelung würde ein Präzedenzfall geschaffen, der auch auf anderen Verwaltungsgebieten und hinsichtlich anderer Verbände zu unabsehbaren Folgen führen würde. Im Ergebnis der Beratungen des Ausschusses ist für die mindestens auf Landesebene anerkannten Naturschutzverbände in bestimmten Fällen ein qualifiziertes Anhörungsrecht festgelegt worden. Bedingung für das Funktionieren dieses Verfahrens ist jedoch, daß auch tatsächlich jedem dieser anerkannten Verbände Gelegenheit zur Äußerung zu einem solchen anhörungswichtigen Vorhaben gegeben wird.Ein weiterer neuralgischer Punkt der Vorlage war die Finanzierungsregelung. Dazu möchte ich auf den schriftlichen Bericht verweisen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die CDU/CSU sind Naturschutz und Landschaftspflege gewichtige Elemente des gesamten Umweltschutzes. Umweltschäden sind von Menschen verursachte Schäden, und Menschen müssen auch die Lösungen zur Beseitigung und Verhinderung dieser Schäden finden.
Es muß für die Zukunft verhindert werden, daß unsere heute lebende Generation um gegenwärtiger Vorteile willen die Lebensgrundlagen künftiger Generationen angreift und vernichtet. Die vor uns liegenden Aufgaben sind vielfältig und umfangreich. Ich hoffe für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß hierzu durch die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs ein entscheidender Beitrag geleistet wird.
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SussetNamens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und als Berichterstatter des Ausschusses bedanke ich mich bei den Vertretern der verschiedenen beteiligten Ministerien, bei den Vertretern der Bundesländer und bei allen, die an der langwierigen Beratung dieses schwierigen Gesetzes mitgewirkt haben.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat es durch ihren entscheidenden Beitrag zur Beratung dieses Gesetzes ermöglicht, daß eine bedeutsame Lücke in der Umweltschutzgesetzgebung geschlossen werden konnte. Wir stimmen diesem Gesetz zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag zieht heute einen Schlußstrich unter das jahrelange Bemühen, das überholte Reichsnaturschutzgesetz von 1935 durch ein Bundesnaturschutzgesetz abzulösen. Namens der SPD-Fraktion möchte ich aus diesem Anlaß folgende Erklärung abgeben.Drei Entwürfe sind es, die uns heute beschäftigen, und zwar — in zeitlicher Reihenfolge — der Oppositionsentwurf, der Regierungsentwurf und der Entwurf des Bundesrates. Die Opposition war mit ihrem Entwurf als erste zur Stelle, aber nur deshalb, weil sie ihn nicht wie die Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zuzuleiten brauchte. Drei den Ausschüssen überwiesene Entwürfe und darüber hinaus durchaus erwägenswerte Gesetzesvorschläge von interessierten Bürgern, Vereinen und Verbänden zwangen die Mitglieder der Ausschüsse zur Abwägung der Interessen, zur Abstimmung der Wünsche und zur Einigung. Dieser Zwang und die allseitige Einsicht, daß im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege ein Minimum an bundesrechtlicher Vereinheitlichung geschaffen werden müsse, führten zu Kompromissen, zu Kompromissen aber, die nur an der Sache orientiert waren. In harter Arbeit wurde eine Lösung gefunden, die politisch vertretbar ist, den Ländern einen Spielraum zur Berücksichtigung ihrer regionalen und rechtlichen Eigenheiten einräumt und starke Impulse setzt, Naturschutz und Landschaftspflege modernen Erfordernissen entsprechend zu betreiben.Das Ergebnis dieses Kompromisses liegt Ihnen heute in Gestalt der Beschlüsse des federführenden Ernährungsausschusses vor. Es ist mir ein besonderes Anliegen, allen Ausschußkollegen sowie den Vertretern der Bundesministerien und der Länder zu danken, die in häufig mühevollen 15 Ausschuß- und 10 Unterausschußsitzungen an diesem Gesetzeswerk mitgewirkt haben.Lassen Sie mich zu dem Gesetz kurz folgendes bemerken. Bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes hatten wir auf diesem Gebiet das Reichsnaturschutzgesetz von 1935, das dann infolge der bloßen Rahmenkompetenz des Bundes nur noch als Landesrecht weitergalt.
Da dieses Gesetz aber den Ländern nicht mehr das nötige Instrumentarium bot, um die Anforderungen der modernen Industriegesellschaft an eine gesunde Umwelt im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege zu steuern, wurde es nach und nach entweder von den Ländern unterschiedlich novelliert oder durch unterschiedliche Landesnaturschutzgesetze ersetzt. Aber diese Rechtsentwicklung wurde in der interessierten Öffentlichkeit als ein Mangel empfunden, so daß immer mehr der Ruf nach einer Rechtsvereinheitlichung durch eine Bundesregelung laut wurde.Vertrauend auf das Drängen interessierter Bürger, der Naturschutzverbände und des Deutschen Bauernverbandes, die für eine Vollkompetenz des Bundes eintraten, legte die Bundesregierung ihren Entwurf auf der Basis der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit vor, zusammen mit dem heute nicht mehr zur Debatte stehenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes. Wie Sie wissen, scheiterte diese Vollkompetenz an den Ländern,
so daß sich den Ausschüssen von vornherein die Aufgabe stellte, einen Entwurf auf der Basis der im Grundgesetz vorgesehenen Rahmenkompetenz des Bundes zu schaffen.Der SPD-Fraktion ging es darum, bestimmte Prinzipien des Naturschutzes und der Landschaftspflege bundeseinheitlich zu verankern. Sie lehnte sich dabei an das Umweltprogramm der Bundesregierung aus dem Jahre 1971 an, das die Eckwerte für die Umweltpolitik festgelegt hatte. In dem darin enthaltenen Aktionsprogramm haben Natur und Landschaft einen besonders hohen Stellenwert, da die Landschaft als natürliche Umwelt die Lebens- und Wirtschaftsgrundlage des Menschen bildet. Dies ist in den vergangenen Jahren immer mehr in das Bewußtsein der Bürger gedrungen. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt heute die Öffentlichkeit, daß die Landschaft und damit der Naturhaushalt durch die zunehmende Industrialisierung und Besiedelung einem tiefgreifenden Wandel unterworfen ist, der zur Gefahr für den Menschen werden kann.Durch die Begleiterscheinungen der Industriegesellschaft, ihre Abwässer, Abgase und Abfälle, wird die Landschaft zunehmend belastet. Für Menschen, Tiere und Pflanzen bringt dies immer mehr nachteilige Folgen mit sich. Durch die Zerschneidung von zusammenhängenden Landschaftsräumen und eine, großflächig gesehen, oft planlos anmutende Besiedelung nehmen Umweltschäden heute auch in den Gebieten zu, die früher kaum belastet waren. In zunehmendem Maße gilt dies auch für den ländlichen Besiedlungsraum. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen und wirtschaftliche Zwänge haben auch in der Landwirtschaft einen weitgehenden Rationalisierungsprozeß in Gang gesetzt, der zu früher nicht gekannten Belastungen des Naturhaushalts führen kann. Die ganz
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Müller
erheblich größer gewordene Mobilität der Bürger hat zu einer intensiven Nutzung von Natur und Landschaft im Bereich der Freizeitgestaltung geführt. Ein Ausgleich der daraus resultierenden Umweltbelastungen wird immer schwieriger.Ziel des Gesetzes ist es daher, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu erhalten oder wiederherzustellen, weiterzuentwickeln und die biologische Vielfalt unserer Pflanzen- und Tierwelt zu sichern, die regenerationsfähigen Güter nachhaltig, die nicht vermehrbaren aber sparsam zu nutzen, die Natur in ihrem derzeitigen Zustand weitgehend zu schonen und, wo Eingriffe in den Naturhaushalt notwendig sind, die schädlichen Folgen möglichst ökologisch gleichwertig auszugleichen. Diese Prinzipien liegen dem Entwurf zugrunde, sind in ihm bundesrechtlich näher ausgestaltet worden.Die Länder sind nun aufgefordert, diese Rahmenregelung des Bundes innerhalb von zwei Jahren landesrechtlich auszufüllen. Dabei sind wir uns alle bewußt, daß es mit dem bloßen Gesetzestransfer in die Länder nicht getan sein darf, sondern daß die Verwaltungen in den Ländern bei der Ausführung der einschlägigen Gesetze dem Naturschutz und der Landschaftspflege den Stellenwert einräumen müssen, der ihnen heute zukommt.Naturschutz und Landschaftspflege gehen nicht nur die Naturschutzbehörden oder gar nur die häufig ehrenamtlich tätigen Naturschutzbeauftragten an. Sie müssen ein ständiges Element der Überlegungen aller Behörden sein, deren Maßnahmen Eingriffe in die Landschaft und in den Naturhaushalt unvermeidlich machen. Ich denke da in erster Linie an die Planungsbehörden, die Flurbereinigungsbehörden, die Gemeinden und ihre vielfältigen Zweckverbände. Eine erschöpfende Aufzählung ist da überhaupt nicht möglich.Einige Punkte möchte ich nun herausgreifen, die mir und meinen Freunden besonders erwähnenswert erscheinen. Da ist zunächst die Landwirtschaftsklausel des § 8 Abs. 7, die in der Öffentlichkeit, aber auch bei den Beratungen im mitberatenden Innenausschuß als angebliches Landwirtschaftsprivileg auf Kritik gestoßen ist. Diese Vorschrift besagt, daß die ordnungsgemäße land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung nicht als Eingriff in Natur und Landschaft anzusehen ist,
also nicht als eine Maßnahme, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen kann. Es gibt keine Freizeichnung der Land- und Forstwirtschaft schlechthin, sondern die Freistellung wird durch zwei Kriterien eingeschränkt. Sie betrifft nur die ordnungsgemäße Wirtschaftsweise und nur die Bodennutzung. Ordnungsgemäß wirtschaftet aber nicht der Landwirt, der seine Tätigkeit ausschließlich an den am Ertrag ausgerichteten betriebswirtschaftlichen Erfordernissen orientiert, sondern nur der, der neben dem Ertrag auch die Anforderungen im Auge behält, die die Rechtsordnung an die land-und forstwirtschaftliche Wirtschaftsweise stellt, etwa im Bereich des Pflanzenschutzes, der Viehseuchenbekämpfung, des Forstrechts und anderes mehr.Darüber hinaus ist auch im Bereich der ordnungsgemäßen Wirtschaftsweise nur die Bodennutzung privilegiert. Daraus ergibt sich, daß bauliche Maßnahmen und solche der Flurbereinigung oder des wasserwirtschaftlichen Kulturbaus, obwohl sie weithin land- und forstwirtschaftliche Maßnahmen sind, von der Landwirtschaftsklausel des § 8 nicht gedeckt sind. Für sie gelten die einschlägigen Gesetze zusammen mit den übrigen Eingriffsregelungen des § 8 des Bundesnaturschutzgesetzes. Darüber hinaus schließt die Landwirtschaftsklausel auch nicht aus, daß die Land- und Forstwirtschaft von dem besonderen Schutzinstrumentarium des Gesetzes betroffen wird, das im Einzelfall etwa die Beseitigung von Bäumen, Tümpeln, Hecken und von ähnlichem verhindert. Hier können durchaus die Instrumente der „geschützten Landschaftsbestandteile" nach § 18, der „Naturdenkmale" nach § 17 und sogar der „Naturschutzgebiete" nach § 13 eingesetzt werden.Wer die Leistungen unserer Land- und Forstwirte für Natur- und Landschaft objektiv würdigt, wird mir darin beipflichten, daß diese Klausel auch sachgerecht ist. Es gibt keinen gleich großen Berufsstand, der schon aus eigenem Interesse so viel für die Erhaltung von Natur und Landschaft und des ökologischen Gleichgewichts getan hat wie die Land- und Forstwirtschaft.
Einen breiten Raum nahm in den Ausschußberatungen, vor allem im Innen- und im Rechtsausschuß, die Frage der Klagemöglichkeit für Naturschutzverbände ein, die in den Entwürfen nicht vorgesehen war. Bei der öffentlichen Anhörung des federführenden Ausschusses war dieses Problem hochgekommen. Auf Grund der ablehnenden Stellungnahmen der Länder hat man sich dann aber auf ein qualifiziertes Anhörungsrecht der Naturschutzverbände auf Landesebene, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, geeinigt.Ein Klagerecht hätte ein Präjudiz für andere Bereiche geschaffen und damit zu einer weiteren Beanspruchung unserer bereits heute mehr als ausgelasteten Gerichte geführt. Denn der Gesetzgeber hätte sich bei Einführung der Verbandsklage im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege zukünftig wohl kaum den Wünschen anderer Bereiche auf ein entsprechendes Instrumentarium entziehen können.Das nunmehr gefundene qualifizierte Anhörungsrecht kommt den Interessen der Naturschutzorganisationen weit entgegen, beugt durch seine Voraussetzungen Mißbräuchen vor und ist rechtspolitisch unbedenklich.Obwohl beim Bundesnaturschutzgesetz die ideelle Zielsetzung einen hohen Stellenwert hat, kommt der Vorschrift über die finanzielle Förderung in § 30 große Bedeutung zu. Diese Vorschrift appelliert zunächst an die Länder und Gemeinden, die Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Gesetzes auch finanziell zu fördern. Gewiß, es ist nur ein Appell; denn eine Rechtspflicht zur Förderung kann im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege bundesrechtlich für Länder und Gemeinden nicht statuiert werden. Trotzdem hoffen wir, daß dieser Appell nicht ungehört bleibt.
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Müller
Ferner wird der Bund durch diese Vorschrift ermächtigt, sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel an der Förderung durch die Länder zu beteiligen, „soweit dies mit Rücksicht auf die gesamtstaatliche oder internationale Verantwortung des Bundes erforderlich ist".Diese Voraussetzungen sind vor allem bei der Errichtung und Unterhaltung von National- und Naturparken gegeben. Nationalparke müssen die international geltenden Voraussetzungen erfüllen. Die in den beiden letzten Jahrzehnten zunächst auf Privatinitiative entstandenen Naturparke in der Bundesrepublik haben diese gesamtstaatliche Bedeutung. Sie finden in dem Gesetz erstmalig ihre rechtliche Verankerung. Sie haben in der breiten Öffentlichkeit lebhafte Zustimmung gefunden und sind heute für die arbeitenden Menschen in Stadt und Land Stätten der naturnahen Erholung und Freizeitgestaltung. Ihrem engagierten Initiator, Alfred Toepfer aus Hamburg, sei bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle für sein Wirken ausdrücklich Dank gesagt.
Das neue Gesetz will die Voraussetzung dafür schaffen, Natur und Landschaft als die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen vor den schädlichen Einwirkungen der fortschreitenden technischen Entwicklung zu schützen. In einer Reihe von Bundesgesetzen, die für Natur und Landschaft bedeutsam sind, ist dies nunmehr ausdrücklich vorgeschrieben; ich verweise auf den achten Abschnitt des Gesetzes.Landschaftsplanung, Raumordnung, Landesplanung und Bauleitplanung werden künftig Naturschutz und Landschaftspflege — mehr noch als bisher — in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Die Erholungsfunktion der Landschaft wird stärker in den Vordergrund gerückt und die Erhaltung von Natur und Landschaft zu einem Anliegen aller Träger öffentlicher Gewalt erhoben. Die besondere Aufgabe der Länder wird sein, die Impulse weiterzugeben, die von diesem Gesetz ausgehen.Wir alle sind uns sicher darüber im klaren, daß das Bundesnaturschutzgesetz — wie viele andere Gesetze — für die einen zuviel und für die anderen zuwenig bringen wird. Es wird sicher auch nicht an kritischen Stimmen fehlen. Ich meine jedoch, daß die von den Ausschüssen gefundene Regelung einen tragbaren Kompromiß darstellt, der im Interesse des hohen Zieles sowohl von der interessierten Öffentlichkeit als auch von den Ländern akzektiert werden sollte.Daher bitte ich Sie namens der SPD-Fraktion, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident, meine Damen und Herren! Das Gemeinschaftswerk des Naturschutzgesetzes steht. Damit ist — so möchte ich sagen — der Kompromiß der Kompromisse fertig. Ich begrüße dies im Namen meiner Fraktion. Es ist schon mehrmals gesagt worden: Es lagen drei Gesetzentwürfe vor. Im Unterausschuß ist es gelungen, den gemeinsamen Willen aller Fraktionen zu artikulieren. Es war freilich nicht möglich, das Grundgesetz zu ändern. Dagegen stand der einheitliche Wille der Länder und der Opposition hier im Hause.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich brauche nicht zu verhehlen, daß ich persönlich über Jahre hinweg anderer Meinung war. Ich habe mich in fünf Reden in diesem Hohen Hause für die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes im gesamten Umweltbereich, insbesondere aber im Bereich des Naturschutzes eingesetzt. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß diese konkurrierende Gesetzgebung nicht gegen den Föderalismus gestanden hätte. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß es höchste Zeit ist, unseren derzeit praktizierten Föderalismus zu überdenken,
um in der Zukunft vielleicht zu anderen Regelungen zu kommen.Wenn man in den letzten Tagen die Beurteilung dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit verfolgt hat, konnte man feststellen, daß die Beurteilung sehr unterschiedlich war. So war in der Presse einerseits zu lesen, dieses Gesetz sei ausgewogen, und ande rerseits zu vernehmen — so stand es in der „Stuttgarter Zeitung" ; besonders Minister Denecke aus Nordrhein-Westfalen hat sich in diesem Sinne geäußert —, dieses Gesetz sei weniger als nichts. Ich sage: Dieses Gesetz ist mehr als nichts.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber doch auf einige gravierende Punkte hinweisen, die insbesondere auf die Tatsache hinzielen, daß wir ja alle auf den guten Willen der Länder angewiesen sind. Man muß feststellen: Es ist nicht gelungen, dem Bund im Bereich des Landschaftsschutzes ein Planungsinstrumentarium an die Hand zu geben, das es — ähnlich wie beim Bundesbaugesetz — ermöglicht hätte, die Dinge in allen Ländern in gleicher Weise zu regeln. Davor darf man die Augen nicht verschließen.Im Zusammenhang mit § 7 muß man bei der Lesung dieses Gesetzes weiter feststellen — Herr Müller hat davon bereits gesprochen —, wie sehr wir auf die Zusammenarbeit der Länder angewiesen sind, daß sie diese Bestimmung nun auch tatsächlich in die Wirklichkeit umsetzen, nämlich unseren Wunsch respektieren, daß die Länder bei der Landschaftsplanung, insbesondere in ihren Grenzbereichen, zusammenwirken. Um dieses Problem wird sich die nächste Bundesregierung kümmern müssen. Sie muß meines Erachtens darauf achten, daß Schutz und Pflege des Lebensraums der Bevölkerung in den Grenzbereichen der Länder auch tatsächlich vernünftig und nicht nach den Sonderinteressen der einzelnen Länder aufgeteilt werden.Ich darf ein Wort zum Betretungsrecht sagen. Dieses Betretungsrecht in § 27 entspricht ja wohl dem
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17512 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
GallusBetretungsrecht des Bundeswaldgesetzes, Herr Kollege Susset — das im übrigen vom Vermittlungsausschuß erarbeitet und dann im Bundesrat gelobt worden ist —, nicht jedoch dem Betretungsrecht, das wir in die ursprüngliche Fassung des Bundeswaldgesetzentwurfs hineingeschrieben haben.
Dieses Betretungsrecht verteidige ich noch heute, und zwar in jeder Beziehung. Und man höre und staune: Nachdem es erst von den Ländern abgelehnt worden ist, ist es z. B. in Baden-Württemberg dann fast wortwörtlich in das entsprechende Waldgesetz übernommen worden. Im Bundesrat ist es mithin nur um Rechthaberei gegangen.Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen noch etwas sagen. Auch was das Reiten im Wald anbetrifft, ist unsere Ansicht voll bestätigt worden. Vor dem Obersten Bayerischen Verfassungsgerichtshof hat ein Reiter recht bekommen, und in dem Urteilsspruch ist fast wörtlich unsere Formulierung des ursprünglichen Entwurfs des Bundeswaldgesetzes wiederzufinden.Da es uns nicht gelungen ist, ein einheitliches Betretungsrecht für Wald und Flur in der Bundesrepublik zu schaffen, sollten wir von dieser Stelle aus an die Länder die Bitte und die Erwartung aussprechen, daß sie nunmehr, nachdem sie das selber in der Hand haben, gemeinsam ein Handbuch zur Betretung von Wald und Flur in der Bundesrepublik Deutschland herausgeben, damit die Wanderer in den Alpen, auf der Alb und in der Eifel auch wissen, wie sie sich zu verhalten haben.
Ich bin der Auffassung, zumindest die Zusammenarbeit in diesem Punkte kann von den Ländern erwartet werden.Ich möchte noch zu einem anderen Punkt einige Worte sagen, nämlich zu § 1 Abs. 3 und zu § 8 Abs. 7, die die ordnungsgemäße Land-, Forst-, Fischerei- und Bodenbewirtschaftung, die nicht als Eingriff in die Landschaft anzusehen sind, betreffen. Ich möchte von dieser Stelle aus eindeutig feststellen, daß das kein Privileg für die Landwirtschaft, sondern die Voraussetzung für die Erhaltung unserer Kulturlandschaft überhaupt ist.
Ich möchte betonen, daß die Ernährung der Menschen nicht gesichert werden kann, wenn die ordnungsgemäße Landbewirtschaftung unter Aufrechterhaltung der Bodenfruchtbarkeit nicht entsprechend gewährleistet wird. Tatsache ist, daß eine ordnungsgemäße Landbewirtschaftung und die Erhaltung der Landschaft durch die Landwirtschaft kein Widerspruch in sich ist, sondern daß das gewissermaßen eine Symbiose darstellt, wobei ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Forstwirtschaft einbeziehe. Die jahrtausendealte Tätigkeit der Bauern hat unsere Umwelt nicht in Gefahr gebracht. Daran sind andere Kräfte schuld, Kräfte, die sich aus der Industrialisierung ergaben — auch in der Landwirtschaft,was die Veredelung anbetrifft —, die es aber nun mit Hilfe von Gesetzen unter Kontrolle zu halten gilt. Dazu wird auch dieses Gesetz seinen Teil beitragen.Die FDP begrüßt das Mitspracherecht der Verbände. Wir sind sogar der Auffassung, daß es sich günstiger auswirken kann als die zunächst angestrebte Verbandsklage, die von manchen Verbänden gewünscht worden ist.In diesem Zusammenhang darf ich aber auch wie Herr Müller ein Wort für die Frauen und Männer in der Bundesrepublik verlieren, die als Naturschützer bei der Unternaturschutzbehörde der Landratsämter den Auftrag haben, hinauszugehen und an Ort und Stelle zu entscheiden, was Rechtens ist und was in bezug auf die Landschaft den Gesetzen, die wir gemacht haben, in Bund und Ländern entspricht. Diese Naturschützer müssen sehr viel hinnehmen;
das wollen wir auch einmal von dieser Stelle aus feststellen. Jeder Betroffene glaubt, daß weiter als notwendig gegangen wird, und das mag auch in diesem oder jenem Fall zutreffen. In Wirklichkeit aber — das möchte ich betonen — sind die Naturschützer aber die Garanten dafür, daß unsere Landschaft auch für kommende Generationen als intakter Lebensbereich funktionieren kann.Das Gesetz eröffnet die Chance, die Landschaft jetzt und in der Zukunft sinnvoll zu nutzen. Damit dies gelinge, ist jeder Bürger aufgerufen, seinen Teil dazu beizutragen. Die FDP stimmt diesem Gesetz zu.
Das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte es gleich am Anfang und unmißverständlich sagen: die Bundesregierung begrüßt und befürwortet den heute zur Entscheidung vorgelegten Gesetzentwurf. Es ist notwendig und wahrscheinlich für lange Zeit die letzte Chance, den Bereich Naturschutz und Landschaftspflege bundesgesetzlich in seinen Grundzügen zu regeln und unserem Lande das erforderliche Maß an Rechtseinheit auf diesem Gebiet zu geben. Es ist unverkennbar, daß die seit 1970, dem Europäischen Naturschutzjahr, erarbeiteten inoffiziellen und offiziellen Entwürfe eines Bundesnaturschutzgesetzes — ich möchte hier ebenso wie auf den Regierungsentwurf auch auf den Entwurf der CDU/CSU-Fraktion besonders hinweisen —
ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Kraft ihrer einheitlichen und überzeugenden Grundhaltung haben sie die seit 1973 in schneller Folge erlassenen sechs Landesnaturschutzgesetze entscheidend beeinflußt. Geht man aber auch nur etwas ins Detail, so sind
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Bundesminister Ertldoch die Zeichen einer sich im vollen Zuge befindlichen Rechtszersplitterung unübersehbar.Angesichts dieser Situation ist der heute zur Abstimmung vorgelegte Rahmengesetzentwurf eine nicht nur brauchbare, sondern gute Lösung. Er geht zurück auf eine einstimmige Initiative des Bundesrates und die Stellungnahme der Bundesregierung dazu. Die heute vorliegende Fassung wurde in sehr mühevollen und sorgfältigen Beratungen der verschiedenen Ausschüsse, besonders in dem dafür eingesetzten Unterausschuß, erarbeitet. Den Kollegen aus allen Fraktionen des Hohen Hauses, die sich hier besonders engagiert haben, und vor allem dem Vorsitzenden des federführenden Ausschusses sowie des Unterausschusses, Herrn Dr. Schmidt , gebührt mein ausdrücklicher Dank.
Ich darf hinzufügen: besonderer Dank kommt nach, wenn auch die Zweite Novelle zum Bundesjagdgesetz noch verabschiedet wird.Ich möchte hier jedoch auch in aller Offenheit erklären, daß ich ein Vollgesetz, wie 1972 und 1973 von der Bundesregierung vorgeschlagen, für die bessere Lösung gehalten hätte. Dabei ging es nicht etwa darum, wie manchmal behauptet wird, an der föderalistischen Struktur unseres Staates Abstriche zu machen. Jedermann weiß, daß ich die Eigenständigkeit und den Gestaltungswillen unserer Länder für einen unverzichtbaren Bestandteil unserer gesamten staatlichen Ordnung halte. Tragendes Motiv war, der rechtlichen Ordnung dieses Gebietes ein Gewicht zu geben, das keinen Zweifel daran läßt, daß dem Schutz, der Pflege und der Entwicklung unserer Natur und Landschaft höchste Priorität zukommt. Naturschutz und Landschaftspflege sind lebenswichtig und nicht etwa ein Luxusartikel der Überflußgesellschaft. Sie müssen ihrer Bedeutung nach — ich verweise nur auf den ersten Absatz des Gesetzes — mindestens gleichen Rang haben wie die Normen der anderen Bereiche des Umweltschutzes. Sie müssen aber auch befähigen, Naturschutz und Landschaftspflege gegen die vielfältigen, oft heute schon übermäßigen und noch weiter steigenden Ansprüche durchzusetzen, die unsere zivilisierte und technische Gesellschaft an Natur und Landschaft stellt. Es muß sogar möglich sein, einer Uberbeanspruchung unserer Naturgüter ein absolutes „Halt" entgegenzusetzen. Ich hoffe sehr, daß auch die hier vorliegende Rahmenregelung die notwendige Durchsetzungskraft haben wird und daß die dazu erlassenen oder anzupassenden Gesetze der Länder den Bürgern unseres Staates das Gefühl vermitteln, daß es sich hier um eine Sache handelt, die von gesamtstaatlicher Bedeutung ist und uns alle in gleicher Weise angeht.Inhaltlich ist der Entwurf eine gute Mischung zwischen Bewährtem und Erprobtem einerseits und modernen Entwicklungen andererseits. Er ist getragen von der grundlegenden und umfassenden Bedeutung, die dieser Bereich für unser aller Leben hat. Das Gesetz erkennt an und stellt klar, daß es heute nicht mehr um Natur- und Landschaftsschwärmerei geht, sondern um die Grundlagen unseres physischen Lebens, ja Überlebens, und unserer Kultur.
Dieser Anspruch und diese Zielsetzung werden in dem ersten Paragraphen umfassend und unmißverständlich definiert. Naturschutz und Landschaftspflege sind nicht nur eine Sache der unbesiedelten Bereiche unseres Landes, sondern ebenso der besiedelten. Ich weise hier nur auf die Grünordnung unserer Städte hin. Es geht auch nicht nur um einen konservierenden Schutz — so wichtig und unverzichtbar er als Grundlage auch ist und bleiben wird —, sondern auch um eine bewußt gestalterische Weiterentwicklung.Ich habe nun nicht die Absicht, die Einzelheiten der Materie zu kommentieren, sondern möchte nur die Punkte aufführen, die mir von besonderer Bedeutung erscheinen.Die Kontinuität zeigt sich besonders beim sogenannten Gebiets- und Objektschutz einerseits und dem Schutz der wildwachsenden Pflanzen und wildlebenden Tiere andererseits. Dies waren bereits die Säulen des klassischen Naturschutzrechts, die schon das Reichsnaturschutzgesetz trugen. Hier galt es lediglich Begriffe klarzustellen und den aufkommenden Wildwuchs zu beschneiden. Der Schutz der Pflanzen- und Tierarten war in den größeren Gesamtzusammenhang zu stellen; auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Biotopschutzes, also des Schutzes der Lebensräume der Pflanzen und Tiere, war hinzuweisen.Das Neue drückt sich vor allem ausin den Bestimmungen über die allgemeine frühzeitige Beteiligung der Naturschutzbehörden bei allen Natur und Landschaft berührenden Planungen und Maßnahmen der öffentlichen Hand;in der Verankerung der Landschaftsplanung auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung und in ihrer Verflechtung sowohl mit der räumlichen Gesamtplanung als auch mit den verschiedenen Fachplanungen;bei der Normierung der Verursacherhaftung in der sogenannten Eingriffsregelung;im Ansprechen von Duldungs- und Pflegepflichten;in den Vorschriften über ein Mindestbetretensrecht der Flur und die Bereitstellung der Grundstücke der öffentlichen Hand für Erholungszwecke;in der Institutionalisierung der rechtzeitigen Mitwirkung der Naturschutzverbände bei den für Natur und Landschaft bedeutsamen Vorhaben;schließlich in der Eröffnung der Möglichkeit, den Ländern unter bestimmten Voraussetzungen Finanzhilfen des Bundes zu gewähren.Ich möchte es bei dieser Aufzählung bewenden lassen. Lediglich drei Fragen will ich herausgreifen, die nach meinem Dafürhalten eines besonderen Wortes bedürfen.
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17514 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Bundesminister ErtlMit der Festlegung der Verursacherhaftung in der Eingriffsregelung wird der entscheidende Schritt zur Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im gesamten öffentlichen und privaten Bereich getan. Sie erfaßt alle Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft, sofern sie nur relevant für Naturschutz und Landschaft sind.Auch die Land- und Forstwirtschaft wird nicht ausgenommen, weder vom Gesetz allgemein noch von der Eingriffsregelung. Andere Behauptungen sind falsch; ich habe den Eindruck: manchmal bewußt falsch.Die vielgenannte und selten korrekt zitierte sogenannte Landwirtschaftsklausel, ich kann sie nur ebenso wie Herr Müller noch einmal zitieren:Die ordnungsgemäße land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff in Natur und Landschaft anzusehen,hat eine andere Bedeutung: Sie legt allein für den Bereich der Eingriffsregelung fest, daß der ordnungsgemäße Acker- und Pflanzenbau, die Wiesen- und Weidennutzung, kurz, die ordnungsgemäße einzelbetriebliche private Bodenbewirtschaftung nicht durch schlichten Verwaltungsakt etwa des Beamten einer Kreisbehörde geregelt, behindert oder verboten werden kann. Sie ist also eine praxisgerechte und, wie ich meine, vernünftige Verwaltungsregelung und nicht etwa die Verkündung eines unrealistischen Anspruchs, landwirtschaftliche Bodennutzung sei immer, überall und unter allen Umständen mit Naturschutz und Landschaftspflege verträglich. „Ordnungsgemäß" heißt nicht nur: langfristig ökonomisch richtig, sondern auch: in Übereinstimmung mit den Gesetzen. Das bedeutet beispielsweise Erhaltung und Förderung der Bodenfruchtbarkeit, Verhinderung von Bodenabtrag durch Wasser und Wind, sachgemäße Anwendung nur zugelassener Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Aus der Beschränkung der Klausel auf die Bodennutzung ergibt sich — und ich darf hier aus dem Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auszugsweise zitieren —,daß Maßnahmen des Bauwesens, der Flurbereinigung und des wasserwirtschaftlichen Kulturbaus von der Landwirtschaftsklausel ... nicht gedeckt werden. Für sie gelten die einschlägigen fachlichen Rechtsvorschriften zusammen mit den Eingriffsregelungen ... Die Landwirtschaftsklausel schließt auch nicht aus, daß Maßnahmen nach dem Vierten Abschnitt— wo der Gebiets- und Objektschutz geregelt wird —getroffen werden, um im Einzelfall etwa die Beseitigung von Einzelbäumen, Tümpeln, Hecken u. ä. zu verhindern ... Der Einsatz dieser besonderen Instrumente des Entwurfs ist unabhängig von der Eingriffsregelung ... und ihrer Landwirtschaftsklausel. Auch hinsichtlich der Genehmigungserfordernisse bei einer Bebauung schafft § 8 Abs. 7— also die Landwirtschaftsklausel — keine Privilegien.Die Landwirtschaftsklausel in der vorgesehenen Form ist leider nötig. Die Diskussionen der letzten Zeit zeigen, daß es tatsächlich Kräfte gibt, die auch noch im Einzelfall in die soeben beschriebene Bodennutzung, also in die tägliche Wirtschaftsweise der Landwirte, z. B. in die Anwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, eingreifen möchten. Dies ist ein Ansinnen, das man keinem anderen Wirtschaftszweig stellt. Diese sachlich nicht gerechtfertigte Beunruhigung der Landwirtschaft muß ebenso vermieden werden wie ein damit verbundener sinnloser Bürokratismus. Die Gefährdungen unserer Lebensgrundlagen kommen wahrlich von anderer Seite als von dem Bauern, der seiner täglichen Arbeit nachgeht.Diese ganze Diskussion veranlaßt mich aber doch noch zu einer grundsätzlichen Feststellung: Naturschutz und Landschaftspflege einerseits und Land-und Forstwirtschaft andererseits sind jeweils im eigenen wohlvorstandenen Interesse aufeinander angewiesen. Das muß der Grundsatz sein. Im einzelnen kann es natürlich durchaus auch einmal zu Gegensätzen kommen. Aber das ist nicht das Entscheidende. Niemand kann erfolgreich Naturschutz gegen Land- und Forstwirte, Jäger und Fischer betreiben. Sie besitzen 85 % der Fläche unseres Landes, haben Rechte daran und müssen das Land zu ihrem Lebensunterhalt nutzen. Andererseits ist aber auch die Land- und Forstwirtschaft auf die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege angewiesen. Ein leistungsfähiger, intakter Naturhaushalt ist die Basis der bäuerlichen Existenz. Bodenfruchtbarkeit und Bodenleben, gesundes Klima, intakter Wasserhaushalt, von der technischen Zivilisation nicht oder wenig beeinträchtigte Landschaft sind auch Voraussetzungen einer leistungsfähigen Land- und Forstwirtschaft. Ein ansprechendes Landschaftsbild ist gerade in den wirtschaftlich wenig begünstigten Gebieten unseres Landes Vorbedingung für die oft unverzichtbaren Nebeneinnahmen aus der Fremdenbeherbergung. Es muß das Ziel aller sein, denen das Wohl des Naturschutzes und der Land- und Forstwirtschaft am Herzen liegt, diese Gleichrichtung wesentlicher Interessen zu betonen und den Beteiligten klarzumachen. „Miteinander" und nicht „Gegeneinander" muß die Parole sein.Ich begrüße auch die für die Verbandsbeteiligung gefundene Lösung nach dem Motto: „Vorbeugen ist besser als Heilen", wobei die Heilungsaussichten stets ungewiß sind. Es ist richtig und notwendig, daß die Verbände ihren Sachverstand rechtzeitig in den Entscheidungsprozeß einbringen können. Gewisse Verwaltungserschwernisse sollte man in Kauf nehmen. Der nachträgliche prozessuale Nachweis etwaigen Rechthabens ist wenig fruchtbar. Das behauptete Vollzugsdefizit wird sich nicht beseitigen lassen, indem man die oft personell und materiell ungenügend ausgestatteten Naturschutzverwaltungen in Prozesse verstrickt.Noch ein letztes Wort zur Finanzierungsregelung. Es geht hier nicht darum, Länder und Gemeinden zu finanziellen Leistungen zu verpflichten, und schon gar nicht darum, die den Ländern obliegende Durchführung von Naturschutz und Landschafts-
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Bundesminister Ertlpflege über Finanzregelungen zu beeinflussen. Es handelt sich um das Angebot von Finanzierungshilfen für die Fälle, in denen man die Finanzierungslast einem Lande nicht zumuten kann. Die Mitwirkung der Bundesrepublik am internationalen Naturschutz sowie der überregionale Charakter mancher notwendiger Naturschutzaktivitäten schaffen Probleme, zu deren Lösung der Bund fairerweise seine Hilfe anbieten muß.
— Das war auch der Grund — ich sage das hier auf Grund Ihres Zwischenrufs —, warum ich die Vollkompetenz wollte. Dann ließe sich das nämlich effektiver gestalten, verehrter Herr Kollege.Ich glaube, daß sich das Hohe Haus dem Urteil des Deutschen Naturschutzringes, ausgesprochen auf dem Deutschen Naturschutztag in Essen vor acht Tagen, anschließen kann: „Ein ausgewogenes Gesetz!" Ich meine, dieses Urteil des Spitzenverbandes des Deutschen Naturschutzes hat Gewicht, und ich schließe mich der Aufforderung des Präsidenten dieses Verbandes, Herrn Professor Dr. Engelhardt, an: „Verabschieden Sie das Gesetz!" Ich bin sicher, daß auch der Bundesrat mit seiner Zustimmung folgen wird. Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses für ihre sehr konstruktive Mitarbeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir haben noch über zwei Ausschußanträge abzustimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5171 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/324 und den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 7/886 für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.
Der Ausschuß beantragt weiter, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Kein Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des Angebots an Ausbildungsplätzen in der Berufsbildung
— Drucksache 7/5236 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung steuerrechtlicher und anderer Fragen der Ausbildungsplatzförderung
— Drucksache 7/5237 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 7/5261 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieser Tagesordnungspunkt noch um einen Punkt 3 d ergänzt werden:
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 7/5280 —.
Die Drucksache liegt noch nicht vor. Sie wird später nachgereicht. Ist das Haus mit der Aussetzung dieser Vorlage einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung der Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und der FDP hat der Herr Abgeordnete Engholm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat, wie Sie alle noch wissen, am 14. Mai dieses Jahres das vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossene Berufsbildungsgesetz abgelehnt. Er hat es abgelehnt, ohne daß er uns rechtzeitig eine realistische und realisierbare Alternative vorgelegt hätte. Die Benachteiligungen, die sich durch diese Ablehnung für zahllose junge Menschen in unserem Lande ergeben können, sind unübersehbar. Durch die Ablehnung dieses Gesetzes wird das Recht auf Ausbildung für viele junge Menschen in Frage gestellt.
Die Erwartungen dieser jungen Menschen auf eine zukunftssichere Existenz werden enttäuscht.
Die Berufsbildung bleibt wieder einmal im Schatten der anderen Bildungsgänge stehen. Unsere Volkswirtschaft, deren weltweiter Rang, wie Sie wissen, sehr wesentlich von der Zahl der qualifizierten Fachkräfte abhängt, nimmt dabei unkalkulierbaren
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17516 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
EngholmSchaden. Ich meine, dieses Handeln der Bundesratsmehrheit ist die Konsequenz einer politischen Anmaßung und Halsstarrigkeit, die nichts anderes im Sinne hat als die bloße Negation der sozialliberalen Regierungspolitik ohne Rücksicht auf die Folgen.
Ich würde das gern mit einigen Zitaten untermauern. Wie sich die Konservativen hier im Haus die Entwicklung vorgestellt haben, geht aus einem Fernschreiben des bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus, Professor Dr. Hans Maier, vom 11. Mai 1976 hervor.
In diesem Telex an die Mitglieder der Führungsmannschaft der Union
— das weiß ich auch nicht; Entschuldigung! —, an die Kultusminister der unionsregierten Länder und— man höre! — die Abgeordneten Dr. Probst und Schedl — nicht etwa an andere Kollegen der Unionsparteien — heißt es unter anderem — ich darf zitieren —:Die Bundesregierung ist gespalten.
In dieser Situation gibt es keinen Grund für die Union, den Weg der kompromißlosen Ablehnung der Regierungsvorlage zu verlassen.
Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Das heißt: Die Frage nach der Kompromißbereitschaft bei der Union richtet sich nicht etwa nach der Sache und der sachlichen Notwendigkeit, sondern nach der Frage: Wie kann man denen wieder einen Knüppel zwischen die Beine werfen? Das ist typisch für den organisierten Konservatismus in der Bundesrepublik.
Ich will noch ein bißchen weiter zitieren, damit die Kollegen von der Union noch ein wenig Gelegenheit zum Klatschen haben:Der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat sollte auf keinen Fall angerufen werden.Das war, wohlgemerkt, bevor der Bundesrat darüber beraten hat! Ich darf weiter zitieren:Die CDU/CSU kann dem Gang der Entwicklunggelassen entgegensehen. SPD und FDP werdenin dieser Frage keine gemeinsame Linie mehr finden. Die Union sollte deshalb politisch und publizistisch die sozialistische Zielsetzung des Regierungsentwurfs weiter verdeutlichen, Verbündete ermuntern und nicht zuletzt die Zerrissenheit der Koalition und das Taktieren der FDP verdeutlichen.
— Klatschen Sie! Klatschen Sie!
Ich darf auch den Rest zitieren.Bei kaum einem anderen Gesetz ist die Union so gut gerüstet wie in der Berufsbildung. Jedes Abgehen vom bisherigen Kurs wird die Position der Regierung stärken und die Union vor der Öffentlichkeit unglaubwürdig werden lassen.
Ich darf nochmals darauf hinweisen: Das war drei Tage, bevor die zweite Kammer hier nebenan mit den Beratungen über dieses Gesetz endgültig begonnen hat.Aus dem Text und dem Adressatenkreis dieses Fernschreibens wird deutlich, erstens, wer in der Union das Sagen hat und das Zepter führt, und zweitens, wie rücksichtslos und wie eiskalt hier die politische Strategie über die Sache triumphiert.
Wenn gleichzeitig Lippenbekenntnisse zum Wohl der jungen Generation und ihrer Zukunft abgelegt werden, dann kann ich nur sagen: Gnade Gott der jungen Generation, die in solche Hände fällt!
Die Koalitionsparteien haben sich im Gegensatz zu den Prophezeiungen, die der bayerische Kultusminister in seinem Fernschreiben gemacht hat, nicht zerstritten, sondern sich kurzfristig — wahrscheinlich zu Ihrer großen Überraschung — zusammengerauft und innerhalb weniger Tage Schlußfolgerungen aus der Situation gezogen.Wir können uns mit der Lage nicht zufriedengeben, weil wir wissen, daß im nächsten Jahr wenigstens 40 000 zusätzliche Ausbildungsplätze vorhanden sein müssen und daß im Jahr 1980 bereits über 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze benötigt werden. Diese Plätze sind — das zeigt der Gang der Entwicklung — nicht von selbst zu bekommen. Wir können das nicht in Kauf nehmen, weil wir damit junge Existenzen aufs Spiel setzen würden. Deshalb haben wir uns in kurzer Zeit bereit gefunden, Ihnen in Form eines Kerngesetzes, eines Ausbildungsplatzförderungsgesetzes, unsere noch in dieser Legislaturperiode realisierbare Antwort auf die Herausforderungen der Ausbildungslandschaft vorzulegen.Die Vorlage dieses Gesetzes ist zugleich eine Antwort auf die zynische Fragestellung „Freiheit oder Sozialismus". Denn frei ist in diesem Land, wer eine
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17517
EngholmChance bekommt, sich per beruflicher Bildung zu entfalten. Das wird von uns gewährleistet.
Ich will einen zweiten Fall darstellen, nämlich einen Mittelbetrieb in der Größenordnung von 50 Beschäftigten. Nehmen wir einen 50-Mann-Betrieb mit etwa 1 Million DM Lohn- und Gehaltssumme, so unterliegen nach Abzug der Freigrenze von 400 000 DM 600 000 DM der Besteuerung durch den Fonds. Das heißt, ein 50-Mann-Unternehmen, das nicht ausbildet, müßte dann 1 500 DM jährlich — das sind 0,15 % seiner Lohn- und Gehaltssumme — abführen. Wenn dieser Betrieb, was die Regel bei den mittleren und kleineren Betrieben ist, auch nur einen Auszubildenden hat, heißt das, daß er nichts zahlen muß. Jeder über einen Ausbildungsplatz hinausgehende Ausbildungsplatz — also zwei, drei oder vier Ausbildungsplätze — führt dazu, daß der 50-Mann-Betrieb bare Mittel je Ausbildungsplatz in einer durchschnittlichen Größenordnung von wenigstens 5 000 DM für seine Ausbildungslasten erhält. Das ist mittelstandsfreundlich.
Diese Beispiele, meine Damen und Herren, gelten für 90 % aller Handwerks- und Handelsbetriebe und gelten nahezu für alle Freiberufler in der Bundesrepublik. Wenn dennoch hartnäckig behauptet wird, diese Umlageregelung sei mittelstandsfeindlich, geht es nicht darum, denen, die von dem Fonds profitieren könnten, etwa reinen Wein einzuschenken, sondern nackt und plump darum, Unsicherheit in gehabter Manier draußen im Lande zu verbreiten.
Ich möchte auch ein drittes Beispiel anführen, damit es keine Mißverständnisse gibt. Ich will das Modell eines existierenden Großbetriebs in der Bundesrepublik ebenfalls mit einigen Zahlen durchrechnen dürfen. Nehmen wir einen Großbetrieb mit 296 000 Beschäftigten und durchschnittlich 11 400 Auszubildenden. Er hat eine Lohn- und Gehaltssumme von — über den Daumen gerechnet — 5 Mil-harden DM im letzten Jahr gehabt. Nach Abzug der Steuerentlastung müßte dieser Großbetrieb etwa 5,2 Millionen DM an den Berufsbildungsfonds zahlen. Besetzt er, wie er das im Durchschnitt der letzten Jahre üblicherweise immer getan hat, jedes Jahr ein Drittel seiner Ausbildungsplätze neu, dann heißt das, daß er im kommenden Jahr 3 800 Ausbildungsplätze wieder besetzen wird. Für diese Wiederbesetzung der 3 800 Plätze erhält er 3 800mal — ich nehme einen Durchschnittswert — 1 500 oder 1 600 DM, also zusammen rund 5,8 Millionen DM. Seine Abführung würde 5,2 Millionen DM betragen, da er aber solide ausbildet und alles wieder besetzt, erhält er 5,8 Millionen DM. Auch bei einem hochqualifiziert ausbildenden Großbetrieb bleibt ein Nettogewinn aus dem Fonds von 600 000 DM. Dabei ist diese Rechnung niedrig angesetzt, weil wir annehmen dürfen, daß der gewerbliche Großbetrieb überwiegend kostenintensive gewerbliche Ausbildungsgänge durchführt und insofern sehr viel mehr Geld aus dem Fonds bekommen kann, als diese Durchschnittswerte es darstellen.
Mit anderen Worten: Wer in unserem Lande in der Vergangenheit ausgebildet und diese Ausbildung17518 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976Engholmnicht dezimiert hat, wird durch diesen Fonds begünstigt werden.Dabei wollen wir nicht verschweigen, daß alle jene Betriebe, die sich in der Vergangenheit sozusagen als Trittbrettfahrer betätigt haben, d. h. nie ausgebildet, aber die ausgebildeten Leute vor den Betriebstoren derer weggekauft haben, die die ganzen Lasten getragen haben, mit diesem Fonds zur Kasse gebeten werden. Das aber scheint mir ein Prinzip der Vernunft und der Gerechtigkeit zu sein.
Ich will nur in Klammern daran erinnern, daß es noch nicht einmal zwei Jahre her ist, daß die CDU dies auch für ein vernünftiges Prinzip gehalten hat. Sie wissen aber, wie schnell Programme bei den Unionsparteien dahinsiechen.Ich komme zu einem zweiten Punkt. Wir werden versuchen, mit der Errichtung eines Bundesinstituts für Berufsbildung auf Bundesebene so etwas wie eine gemeinsame Adresse aller wichtigen an der Berufsbildung beteiligten Gruppen zu schaffen. Dort soll künftig in gemeinsamer Abstimmung koordiniert und sollen gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Wir werden hierzu auch das bislang etwas isoliert und außerhalb der Berufsbildungsentscheidungsstruktur angesiedelte Berufsbildungsforschungsinstitut in Berlin einbeziehen, so daß man sagen kann: Mit gut 300 hochqualifizierten Leuten ist eine Entscheidungssubstanz und Infrastruktur für das Bundesinstitut gegeben, was sich für die Zukunft der beruflichen Entscheidung auf Bundesebene positiv aus wirken wird.Wir werden drittens mit der vorgeschlagenen Berufsbildungsstatistik dafür Sorge tragen, daß zum erstenmal die unüberschaubare Landschaft der beruflichen Bildung in Deutschland etwas transparenter wird, daß denen, die entscheiden müssen, Zahlen, Daten und Fakten für ihre Entscheidungen in größerem Maße zur Verfügung stehen und daß wir in die Lage versetzt werden, jährlich frühzeitig einen Berufsbildungsbericht herauszugeben, der es den Gruppen, die beruflich ausbilden oder daran beteiligt sind, wie auch den jungen Menschen ermöglicht, rechtzeitig zu wissen, wo Chancen und wo Probleme in der Entwicklung der Ausbildungslandschaft auftauchen.Durch ein weiteres, Ihnen vorliegendes Ergänzungsgesetz soll sichergestellt werden, daß die aus der Berufsbildungsumlage zu zahlenden Zuschüsse steuerfrei bleiben. Außerdem wird in diesem Ergänzungsgesetz den Ländern angeboten, sich der Berufsgenossenschaften als qualifizierter Einrichtungen für den Einzug der Umlagemittel zu bedienen.Lassen Sie mich des weiteren einige Fragen aufgreifen, die der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Dr. Stoltenberg am 21. Mai und der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger am 19. Mai öffentlich aufgeworfen haben. Da wird behauptet, durch dieses Gesetz, das wir heute hier vorlegen, werde der Bundesrat umgangen; und es wird weiter festgestellt, die Länder seien nicht verpflichtet, Gesetze durchzuführen, die ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft gesetzt werden.Dazu muß einiges festgestellt werden. Das Grundgesetz unterscheidet bei Bundesgesetzen zwischen Zustimmungs- und Einspruchsgesetzen. Zustimmungsgesetze bedürfen, wie Sie wissen, zwingend der Zustimmung des Bundesrates. Einspruchsgesetze können jedoch, was die Entscheidung des Bundesrates betrifft, durch eine Mehrheitsentscheidung des Bundestages aufgehoben werden.Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz ist so angelegt und konstruiert, daß es sich hierbei um ein Einspruchsgesetz handelt, das der Bundesrat sowohl zustimmend wie ablehnend beraten kann, das im Falle einer Ablehnung automatisch in den Vermittlungsausschuß kommt, das dort drei Durchgänge machen kann, das noch einmal vor die zweite Kammer kommt und das erst dann hier im Hause in abschließender Beratung mit der Mehrheit der Stimmen dennoch angenommen werden kann.Fazit: Wenn die Ministerpräsidenten zweier namhafter Bundesländer behaupten, hier werde der Bundesrat umgangen, dann ist das eine schlichte Infamie. Gesetze, die hier gemacht werden, können nicht ohne den Bundesrat, können nicht unter Umgehung des Bundesrates laufen. Ein Blick in die Verfassung müßte das auch den Herren Stoltenberg und Filbinger deutlich gemacht haben,
es sei denn, daß die ja von Ihrer Seite stammende Tradition, zumeist ohne Grundgesetz unter dem Arm durch die Landschaft zu marschieren, bei den Herren Stoltenberg und Filbinger fortgesetzt wird.
Ich darf noch eine weitere Anmerkung machen. Die Teilung eines Gesetzesvorhabens in ein Zustimmungs- und ein Einspruchsgesetz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig. In seinem Beschluß vom 25. Juni 1974 zum Vierten Rentenversicherungsänderungsgesetz führt das Bundesverfassungsgericht aus — ich darf zitieren —:Der Bundestag ist nicht gehindert, in Ausübung seiner gesetzgeberischen Freiheit ein Gesetzesvorhaben in mehreren Gesetzen zu regeln. Er kann z. B. die materiell-rechtlichen Vorschriften in ein Gesetz aufnehmen, gegen das dem Bundesrat nur Einspruch zusteht, und er kann Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltung in einem anderen, zustimmungsbedürftigen Gesetz beschließen, wie das in der Praxis nicht selten geschieht.Und wenn nun der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, der Kollege Dr. Probst, am 21. Mai gar davon spricht, daß sich die Mehrheit in diesem Hause mit ihren Gesetzen am Grundgesetz vorbeimogeln wolle,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17519
Engholm) dann darf ich noch einmal aus eben demselben Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zitieren, wo es heißt:Nach der Regelung des Grundgesetzes ist der Bundesrat nicht die zweite Kammer eines einheitlichen Gesetzgebungsorgans, die gleichwertig mit der ersten Kammer am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wäre.
— Wenn ich Herrn Professor Carstens richtig verstanden habe, hat er gesagt, das wisse jedes Kind. Da muß ich fragen: Wenn Herr Stoltenberg und Herr Probst das nicht wissen, als was soll ich sie dann qualifizieren? — Ich darf weiter zitieren:Dabei ist wesentlich, daß das Erfordernis der Zustimmung zu einem Gesetz nach dem Grundgesetz die Ausnahme ist.Es gibt eine weitere Behauptung, zu der auch noch einige Worte gesagt werden sollen. Da heißt es, die Länder seien nicht verpflichtet, Gesetze des Bundes durchzuführen.
— Ich habe Ihnen ganz kurz gesagt, wo Sie das nachlesen können. — Ich darf darauf antworten:
In Art. 83 und Art. 84 der Verfassung — Sie wissen das viel besser als ich —
wird festgestellt, daß die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, sofern nichts anderes gesetzlich bestimmt ist. Dieser Grundsatz enthält aber nicht nur eine Berechtigung für die Bundesländer, er enthält auch eine Verpflichtung, daß die Bundesländer Aufgaben verfassungskonform durchführen.
— Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin!Ich bin der Überzeugung, daß die Länder trotz der harten Worte, die einige Herren in der Vergangenheit gebraucht haben, sich dann, wenn dieses Gesetz mit Mehrheit verabschiedet wird, verfassungskonform verhalten und die dort begründeten Aufgaben loyal durchgeführt werden.Meine Damen und Herren, heute haben die Unionsparteien noch einmal die Chance, trotz des bösen Schattens, den ihr Wahlslogan auf die Wähler und die Parteien dieses Landes geworfen hat, zur Sache zurückzukommen und die Interessen der jungen Generation wahrzunehmen, indem sie am vorliegenden Gesetz praktisch mitarbeiten und ihm ihre Zustimmung nicht verweigern. Wir bitten Sie, die letzte Chance in dieser Legislaturperiode zu nutzen.
Meine Damen und Herren, nach der Begründung eröffne ich die Debatte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Probst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es setzt einen immer wieder in Erstaunen, sozialdemokratische Kollegen im Plenum und in den Ausschüssen zu erleben. In der Öffentlichkeit ziehen sie immer ihre Pflichtübungen ab, und das hat der Herr Engholm wohl zur Befriedigung seiner eigenen Partei hier getan.
Es war ein Schwall der Vernebelung, es war eine Irreführung in den Darstellungen, und es war eine Verunglimpfung der Opposition mit sehr wenig Inhalt. Meine Damen und Herren, so ein Mann muß in dieser Partei erfolgreich werden!
Ich möchte nun in einigen wenigen Punkten auf die Ausführungen des Kollegen Engholm eingehen. Es ist nicht wahr — er weiß es —, daß wir keine Alternative aufgezeigt hätten. Es gibt eine in sich geschlossene, bei allen Betroffenen in der Öffentlichkeit hervorragend angekommene, von der Mehrheit der Länder, d. h. der Unionsländer getragene Alternative, die die einzige in der Vergangenheit mögliche Alternative und eine Verbesserung in der beruflichen Bildung gewesen wäre. Wer das nicht glaubt, möge sich das große Anhörungsverfahren des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu Gemüte führen.
Meine Damen und Herren, wie die Koalition die berufliche Bildung beurteilt, ist völlig klar. Sie brauchen nur auf die Regierungsbank zu schauen. Wer sitzt auf der Regierungsbank? — Der Herr Rohde, während sich Herr Minister Friderichs aus naheliegenden Gründen hat entschuldigen lassen. Wir hätten ihn hier gern gefragt, warum er uns das letzte Mal dieses Angebot gemacht hat. Herr Grüner muß den Kopf für sein Scheitern hinhalten.
Der Finanzminister ist nicht da, der Bundeskanzler ist nicht da. Sie reden draußen in schönen Sonntagsreden z. B. davon, daß sie im nächsten Jahr den Numerus clausus abschaffen wollen. Meine Damen und Herren von der Koalition, für wie dumm halten Sie denn eigentlich die deutsche Öffentlichkeit!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?
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17520 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Der kommt später dran.
Herr Engholm hat eines in voller Deutlichkeit gesagt, und das hätte auch ein Unions-Mann sagen können: Freiheit in unserem Lande ist nur denkbar, wenn der einzelne seine Chance hat. In 20 Jahren Unions-Regierung hatten die jungen Menschen in unserem Lande Chancen wie nie zuvor.
In wenigen Jahren SPD-Regierung sind die Chancen vertan. Das ist die Realität.
Die deutsche Öffentlichkeit, Herr Engholm, weiß das.Ich will noch ein Wort dazu sagen, wie die Praktik zu bewerten ist, nunmehr am Bundesrat vorbei ein Berufsbildungsgesetz vorzulegen, also im Grunde den gleichen Wein in den alten Schläuchen, nur ein bißchen mit Wasser verdünnt, wieder aufs Tapet zu bringen. Es steht doch fest, meine Damen und Herren: Berufliche Bildung ist nicht gegen die Beteiligten durchsetzbar. Es sind beteiligt die Handwerksbetriebe, die Industriebetriebe und die freien Berufe. Es sind beteiligt die Kammern, es sind beteiligt die Sozialpartner, es sind beteiligt die Verwaltungen, die Länder und der Bund.
Alle Genannten sind gegen Ihren Vorschlag. Dennoch wollen Sie ihn, einfach deshalb, weil Sie ideologisch anders gepolt sind, durchziehen, damit Sie einen Erfolg aufzuweisen haben. Dies ist ein ganz und gar unverantwortliches Verhalten.
Sie können berufliche Bildung nur in Partnerschaft zur Befriedigung aller regeln.Meine Damen und Herren, 1969 gab es ein Gesetz unter dem seinerzeitigen Arbeitsminister Katzer. Bereits 1970 sprach die SPD von einer Neufassung. 1973 sind die unseligen Markierungspunkte des gescheiterten Herrn von Dohnanyi gekommen. 1975 gab es ein neues Gesetz gegen alle Beteiligten. 1976 gibt es ein Rumpfgesetz. Lesen Sie in der Presse nach, wie Ihr Vorhaben bewertet wird! Lesen Sie die Kommentare! Hören Sie, was die Verbände sagen: der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Deutsche Lehrerverband, der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Soll ich Ihnen kurz Herrn Schnittker zitieren? Gestern sagte er:Die Handwerkskammern appellieren erneut an den Bundestag, sich doch endlich von Ideologien frei zu machen und pragmatisch die Situation ausbildungsplatzsuchender Jugend zu betrachten.Sogar die Berufsgenossenschaften haben größte Zweifel, daß sie das in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehene Finanzierungssystem werden verkraften können. Und jetzt stellen Sie sich auch noch gegen die Länder! Herr Engholm, es ist ja nicht die Frage, ob das verfassungsrechtlich formal legal ist. Bei einer Frage, die schnell gelöst werden will, ist es politischer Unsinn, überhaupt einen Verfassungskonflikt zu riskieren. Das ist Ihre Schuld, die Sie allein zu verantworten haben.
Sie nicht, Herr Engholm; denn Sie sind im Ausschuß ja ein ganz anderer als hier auf dem Podium, wo Sie die Pflichtübungen vor Herbert Wehner zu absolvieren haben. In Ihrer Fraktion hat man die berufliche Bildung offenbar zu einem Wahlkampfthema gemacht. Das ist unverantwortlich.Meine Damen und Herren, noch ein paar Worte zum Grundgesetz. Die Sozialdemokratische Partei tut so, als ob sie in dieser Frage selbstverständlich recht hätte. Wie oft hat sie das Grundgesetz bemüht, und wie oft hat sie vor dem Grundgesetz unrecht gehabt! Ich nenne die Frage der Mitbestimmung an den deutschen Hochschulen. Erinnern Sie sich nicht mehr, daß erst das Verfassungsgericht die Drittelparität abgeschafft hat? Erinnern Sie sich nicht, daß die Juristenausbildung in dem SPD-Land Bremen vom Verfassungsgericht verboten worden ist? Erinnern Sie sich nicht, daß § 218 StGB nach Ihrer Lösung der Verfassung nicht standhielt? Erinnern Sie sich nicht, daß den Grundvertrag mit der DDR das Verfassungsgericht interpretieren mußte? Und erinnern Sie sich nicht, daß in Hessen erst das Verfassungsgericht entscheiden muß, ob jemand, der in einem Gesamtschulsprengel liegt, sein Kind noch auf ein Gymnasium oder eine Realschule schicken darf?Meine Damen und Herren, Sie nehmen die Verfassung in Ihren politischen Vorstellungen doch leicht und oft als etwas Biegsames hin. Aber ganz so einfach ist es nicht.Ich darf Sie noch einmal auf die Widersprüchlichkeit der Sozialdemokratischen Partei in der Frage der beruflichen Bildung hinweisen. Ende der 60er Jahre, als wir Vollbeschäftigung hatten und man glaubte, sich einiges leisten zu können, hieß es doch: Ausbildung ist Ausbeutung. Das sagte man vor allen Dingen in bezug auf mittelständische Betriebe. Man sagte, dort sei Lehrzeit eine Leerzeit, Ausbildung in Klein- und Mittelbetrieben — so das „Panorama" — hindere die Persönlichkeitsreife des Jugendlichen. Es gab eine Welle der Diffamierungen, insbesondere des Mittelstands. Man braucht sich doch nicht zu wundern, wenn der mittelständische Wirtschaftsbereich schließlich resigniert. Im Grunde ist es aber noch gar nicht so weit, daß er schon resigniert hätte.
— Ich komme noch darauf, Herr Kollege Engholm.„Qualität" gab ursprünglich das Ziel für einen Einstieg in die Reform ab. Später sprach man von der Gerechtigkeit und dem Ausgleich zwischen den Betrieben, wobei man Zahlen bemühte, die gar nicht stimmten. Es hieß, 16 % der Betriebe bildeten aus, 84 % dagegen nicht. Mittlerweile wissen wir, daß über 80 % der Arbeitnehmer in den ausbildenden Betrieben beschäftigt sind. Von der Kapazität her scheiden also nur 20 5 aus, was ja im Sinne einer vernünftigen Qualitätsdarstellung in der beruflichen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17521
Dr. ProbstBildung nicht mehr als gerechtfertigt ist. Und dann kam plötzlich der Rückgang des Ausbildungsangebots. Es hieß, die Zahl der Ausbildungsplätze gehe zurück. In Wirklichkeit ist es so gewesen, daß man in einzelnen Bereichen bewußt diesen Rückgang herbeigeführt hat, z. B. im kaufmännischen Bereich durch sehr strenge Ausbildungsordnungen, über die auch noch zu reden sein wird. Hunderttausend mußten ausscheiden. Dies wurde bewußt herbeigeführt. Dann kam das Lamentieren darüber, daß die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgehe. Deshalb brauche man, so wurde gesagt, eine neue gesetzliche Regelung. Schließlich und endlich ist hier die Vernebelung in der Frage der Jugendarbeitslosigkeit zu nennen. Es wurde so getan, als ob Jugendarbeitslosigkeit in unserem Lande hauptsächlich ein Problem der beruflichen Bildung sei. Jugendarbeitslosigkeit ist — wie Arbeitslosigkeit in unserem Lande überhaupt — ein Problem Ihrer Finanz-, Wirtschafts- und Währungspolitik und sonst nichts.
Meine Damen und Herren, die schönste Begründung, die ich gehört habe — ich habe sie aus verschiedenem Munde gehört, zuerst von Staatssekretär Dr. Glotz —, ist, daß das vorgesehene Finanzierungsmodell die Verstaatlichung verhindere, weil die Wirtschaft ja selber zahle. Um zu verhindern, daß die Verstaatlichung voranschreitet, schaffen wir ein Finanzierungssystem — das ist geradezu grotesk. Die Wirtschaft soll zahlen, der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft verteilt das Geld, und damit wird die Verstaatlichung verhindert.Meine Damen und Herren, welches sind denn die eigentlichen Ziele sozialdemokratischer Berufbildungspolitik? Am besten lassen wir die betroffenen Herren selber zu Wort kommen, weil dies ja wohl die beste Darstellung der Ziele sozialdemokratischer Berufsbildung ist. Im Jahre 1973 wurde auf dem Juso-Kongreß in Bad Godesberg wörtlich ausgesagt:Die berufliche Ausbildung in demokratischer, integrierter Gesamtschule unter Aufhebung des dualen Bildungssystems wird gefordert.
Professor Jochimsen hat 1975, ähnlich wie erst vor wenigen Tagen im Jahre 1976, ausgeführt:Die Bundesregierung und die Mehrheit der Länder— er meint die SPD-regierten Länder; diese sind jetzt aber nicht mehr in der Mehrheit; was er sagte, war damals noch richtig —sehen deshalb in der Gesamtschule und einer entsprechend neugestalteten Oberstufe des Bildungswesens mehr denn je den Schlüssel zu einer Bildungsreform.Das Ziel ist also die Integration. Ganz besonders deutlich, weil unerschrocken, hat sich immer Karsten Voigt geäußert. Ich zitiere eine seiner Äußerungen aus dem Jahre 1970:Die Lehrlinge sollen dem Einfluß der Wirtschaft mehr und mehr entzogen werden und in kontrollierbaren pädagogischen Institutionen ausgebildet werden. Deshalb müssen, um das Ausbildungsmonopol der Wirtschaft zu brechen, überbetriebliche Lehrwerkstätten, Modellschulen usw. geschaffen werden. Durch strengste Kontrolle der Betriebe und Entziehung der Ausbildungsbefugnis von ungeeigneten Betrieben soll das Interesse der Wirtschaft an der Ausbildung verringert werden.Meine Damen und Herren, das ist Ihre Zielsetzung.Ich zitiere weiterhin aus einem Beschluß des SPD-Parteivorstandes vom März 1973:
Im Mittelpunkt der Kritik von Wissenschaft, Politik und Praxis an der Berufsausbildung steht das traditionelle duale System.Auf dem Bundeskongreß des DGB im Mai 1975 wurde gesagt:Die Kammern müssen als zuständige Stellen in der Berufsausbildung abgelöst werden.In den Markierungspunkten des Herrn von Dohnanyi
— gestern hätten Sie ihn noch einmal erleben können — aus dem Jahre 1973 heißt es:Wir wollen betriebsersetzende und nicht, wie bisher, betriebsergänzende überbetriebliche Unterweisung.Meine Damen und Herren, es ist doch ganz offensichtlich, was Sie wollen. Sie wollen die Umfunktionierung unseres Bildungswesens. Im Gymnasium und an der Hochschule haben Sie es versucht. Schauen Sie einmal vor die Türen und vergegenwärtigen Sie sich, was diejenigen, die mit ihrer Ausbildung fertig sind, für eine Chance haben. Die berufliche Bildung ist der letzte Punkt Wollen Sie auch hier das gleiche? Sie wollen die Integration, die Loslösung von der Wirtschaft. Dahinter steht die Vorstellung, junge Menschen könne man in ihrer Ausbildung den bösen Kapitalisten nicht überlassen. Sie wollen also eine Umfunktionierung des Systems, die Herauslösung der betrieblichen Ausbildung und ihre Überleitung in eine dritte Säule, in überbetriebliche Werkstätten, selbständige Werkstätten und die Integration in das allgemeinbildende Schulwesen. Herr Rohde hat doch deshalb so sehr das Ziel seiner Finanzierungsregelung verfolgt, weil er den Linken in der eigenen Partei versprochen hat, den Einstieg für die Reform zu schaffen. Hierzu braucht er aus irgendeinem Bereich der Wirtschaft Geld, um die dritte Säule ins Leben rufen zu können, die sich dann in ein allgemeinbilden- des Schulwesen integrieren läßt.
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17522 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Dr. Probst— Herr Kollege Wehner, Sie sollten sich da und dort auch einmal um den Sachzusammenhang der bildungspolitischen Fragen kümmern. Das empfehle ich Ihnen. Das wäre gar nicht so schlecht.
— Herr Rappe kommt auch noch.
Die Gesamtschule ist nach wie vor das oberste Ziel; so hat Herr Jochimsen gesagt. Ziel Ihrer Politik ist, obwohl Sie von der Erhaltung des dualen Systems reden, die Loslösung der betrieblichen Ausbildung von der Wirtschaft und die Schaffung einer dritten Säule.Um dieses Ziel zu verwirklichen, muß man sich Einzelschritte überlegen. Diese bestehen erstens in der Diffamierung der praktischen Ausbildung, zweitens in der Forderung nach einem überbetrieblichen Finanzierungssystem, das Sie ja brauchen, damit Sie Ihr Vorhaben überhaupt finanzieren können. Rohde hat nicht viel geschafft, aber den Einstieg hat er geschafft. Rohde hat deshalb gesiegt, weil er diesen Einstieg wollte. Deshalb ist Friderichs untergegangen, was gleichzeitig das Kräfteverhältnis in der Koalition deutlich macht.
— Herr Kollege Wehner, ich habe wenigstens eine.
Heute stellt sich die Frage: Was ist denn in der beruflichen Bildung für die Auszubildenden letztendlich notwendig? Im Jahre 1975 hatten wir entgegen den Unkenrufen von Herrn Minister Rohde trotz der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, trotz wirtschaftlicher Rezession 15 000 Ausbildungsplätze mehr, d. h., in der Wirtschaft ist der Wille latent vorhanden, die Zahl der Ausbildungsplätze zu steigern, wenn das nur genügend gefördert wird. In der Zukunft haben wir mit geburtenstarken Jahrgängen zu rechnen und einen Rückstau aus den Gymnasien auf Grund einer von Ihnen verursachten und zu verantworteten falschen Bildungspolitik zu erwarten, so daß wir bis in die 80er Jahre hinein 100 000 Ausbildungsplätze mehr brauchen. Und da kommen Sie jetzt mit systemverändernden Reformen und möchten diese Probleme in dieser kurzen Zeit regeln. Sie werden diese Probleme nicht regeln können, sondern Sie werden diese Probleme erneut auf die Spitze treiben und erschweren; denn es liegt ja auf der Hand, daß man mit einer Umwälzung zunächst eigentlich nur Erschwernisse schaffen kann. Wir müssen die Wirtschaft motivieren, mehr auszubilden. Dazu gehört jetzt ein pragmatischer Ansatz, nicht jedoch, daß man die Frage der beruflichen Bildung zu einem Wahlkampfthema hochstilisiert.Wir haben diesen Ansatz geliefert. Wir haben einen Gesetzentwurf wieder vorgelegt. Das ist im wesentlichen der Gesetzentwurf, den wir seinerzeit eingebracht haben und von dem die SPD überhaupt nicht Kenntnis genommen hat, nicht Kenntnis nehmen wollte.
— Herr Rappe, wir sind auch konservativ und meinen damit, daß nicht alles, was alt ist, schon automatisch schlecht ist. Sie dagegen glauben, daß alles, was neu ist, schon automatisch gut ist.Unser Gesetzentwurf hat eine Novellierung des 1969 verabschiedeten Gesetzes zum Ziel. Unsere Verhältnisse heute sind anders als damals. Wir müssen manches aus dem Gesetz von 1969 fortschreiben, vielleicht auch verbessern. Wir haben einen sehr flexiblen Finanzierungsvorschlag eingebracht — eine sogenannte staatliche Förderung —, wobei es uns weitgehend gleichgültig ist, ob so eine Regelung mehr im Sinne von Minister Friderichs, mehr im Sinne des Bundesrates oder mehr im Sinne unserer eigenen Fraktion zustande kommt: eine Finanzhilfe in der Zeit, in der man ohnehin Konjunkturhilfen gewährt.Der Bundeswissenschaftsminister, der Bundeswirtschaftsminister, aber auch der Bundesarbeitsminister sollten sich eigentlich einmal überlegen, ob die Bereitschaft der Betriebe, weiterhin auszubilden, nicht dadurch gesteigert werden könnte, daß man das Vorschriftendickicht anstatt zu vergrößern ausholzt. Ich denke an die Vorschriften von Ausbildungsordnungen. Es gibt Ausbildungsordnungen, in denen schulische Lehrinhalte enthalten sind. Wie soll ein Handwerksmeister Rechtslehre erteilen? Er ist nach manchen Ihrer Ausbildungsordnungen aber verpflichtet, das zu tun. Es ist kein Wunder, daß dieser dann die Lust an der Ausbildung verliert. Das alles liegt nur daran, daß Sie sich nicht mit den Ländern einigen wollen.
Die Ausbildereignungsverordnung hat große Verwirrung und Unlust in den Betrieben geschaffen. Sie sollten einmal eine Fachmännerkommission einsetzen und prüfen lassen, was man hier an unsinnigen und verunsichernden Vorschriften beseitigen kann. Beim Schwerbehindertengesetz fragt es sich, warum Sie die Lehrlinge auf die Quote anrechnen. Das alles erschwert die Ausbildung. Ich möchte bei dieser Aufzählung auch das neue, erst kürzlich vom Bundestag verabschiedete Jugendarbeitsschutzgesetz nicht ausnehmen, das nicht in aller Hinsicht auf die Ziele der Ausbildung abgestimmt war, und man sollte sich nicht scheuen, die Fehler, die gemacht worden sind, rasch und bald zu beseitigen.
Herr Minister Rohde, noch stärker als eine finanzielle Hilfe würde helfen, wenn Sie es fertigbrächten, die Ausbildungsleistung der privaten Wirtschaft, insbesondere der mittelständischen Wirtschaft, in aller Öffentlichkeit kräftig und deutlich zu loben. Von ihr wird eine öffentliche Aufgabe geleistet, die in der Schulbildung der Staat wahrnimmt. Hier kostet es den Staat fast nichts. Dabei darf ich daran erinnern, welche Summen in anderen Bereichen ausgegeben worden sind. Als ich 1969 als Abgeordneter
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17523
Dr. Probstin den Bundestag kam, betrugen die gesamten Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für Bildung etwa 25 Milliarden DM. Inzwischen sind das etwa 60 Milliarden DM. Ich habe manchmal Zweifel, ob diese gewaltige Steigerung der Mittel auch eine zweieinhalbfache Erhöhung der Leistung unseres Bildungssystems erbracht hat. Ich sage das nur zur Warnung, weil manche meinen, Geld bringe automatisch schon den Fortschritt. Ein bißchen psychologische Motivierung, ein bißchen Anerkennung, ein bißchen Lob für die mittelständische Wirtschaft würden mehr als Ihr ganzes Finanzierungssystem erreichen.
Herr Minister, Sie werden dazu jedoch nicht in der Lage sein; denn wenn Sie die mittelständische Wirtschaft loben, dann liegen Sie ideologisch falsch, und das halten Sie in Ihrer Partei nicht aus, weil Sie dann wie alle Ihre Vorgänger abgeschossen werden.
Unser Konzept lautet, einen praktischen Ansatz zum Fördern zu suchen, statt zu reglementieren. Arbeiten Sie mit den Ländern zusammen! Wenden Sie sich der von uns vorgeschlagenen Zentralstelle zu, so daß Bund und Länder ihre bildungspolitischen Vorhaben schon gemeinsam erarbeiten, damit sie sich hinterher nicht in einem endlosen Abstimmungsstreit verfangen! Helfen Sie, damit zusammengearbeitet wird! Richten Sie kein Bundesinstitut in Berlin ein, das die Länder nach unserer Verfassungslage bei der Fortentwicklung unserer beruflichen Bildung de facto ausschaltet! Suchen Sie mit uns gemeinsam Partnerschaft! Fördern Sie, statt, wie Sie das immer so gern tun, zu reglementieren!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich etwas zur Abwesenheit von Minister Friderichs sagen. Wie Ihnen bekannt ist — das hat er auch Ihrer Fraktion mitgeteilt —, tagt zur Zeit die deutsch-polnische Wirtschaftskommission, in der er auf deutscher Seite den Vorsitz hat. Sie haben es leider nicht ermöglicht, Herr Probst, daß durch eine Zwischenfrage zu Ihrem Beitrag darauf hingewiesen wurde. Ich halte dies für typisch für den parlamentarischen Stil, den Sie hier anwenden. Wenn Sie Ihre Ausführungen mit dem Aufruf zu Partnerschaft beenden, dann steht das zu Ihrem vorherigen Verhalten in krassem Widerspruch.
— Mir fällt häufig etwas Gutes ein. —
Herr Probst hat vorhin alle an diesem Berufsbildungsgesetz Beteiligten aufgezählt. Er hat auf alle Wirtschaftsverbände hingewiesen, er hat auf die Verwaltung auf allen Ebenen hingewiesen. Nur eine Gruppe hat er vergessen: das sind die Jugendlichen, für die dieses Gesetz gemacht wird.
Ich frage mich, ob das Zufall war oder ob das nicht symptomatisch für die Behandlung dieses Gesetzes ist. Dieses Gesetz wird für die Jugendlichen, die eine berufliche Bildung erfahren,
gemacht, nicht für die Verwaltung und auch nicht so sehr für irgendwelche Verbände, sondern für die Betroffenen, die mit der Ausbildung zu tun haben, ob sie nun als Ausbilder oder als Auszubildende betroffen sind.
Herr Probst, Sie haben auf die Diffamierung der praktischen Ausbildung hingewiesen. Das ist doch gerade das Problem der Tradition. In der Tradition war es so, daß unser Bildunssystem für eine kleine Oberschicht, für eine etwas größere Mittelschicht und für eine ganz große Unterschicht ausbildete. Die Hauptschule bereitet gewissermaßen auf das sogenannte einfache Leben vor, und die berufliche Bildung, die von der Tradition her kommt, ist eben im wesentlichen allein Ausbildung auf die Verwendbarkeit im Produktionsprozeß. Es ist doch wohl unbestritten — ich meine, da hatten wir einmal Einigkeit erzielt —, daß es um Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung geht. Dann kann man allerdings nicht sagen, daß es sich um Diffamierung handelt. Vielmehr handelt es sich um den allseitigen Wunsch dieses Hauses, die Ausbildung zu verbessern.
Herr Probst, Sie haben die Ausbildungsordnungen angesprochen. Muß man denn immer wieder daran erinnern, daß — was Ihnen natürlich bekannt ist — keine der bisher erlassenen Ausbildungsordnungen gegen den Willen der Wirtschaft erlassen worden ist?
Wenn dann die Opposition und auch einige Wirtschaftsverbände anschließend sagen, diese Ausbildungsordnungen trügen dazu bei, die Schaffung von Ausbildungsplätzen zu verhindern, dann frage ich mich immer: was muß ich eigentlich von Mitbestimmung in den Organisationen halten, wenn man anschließend zu dem, was man selber mit erarbeitet hat, inhaltlich nicht mehr steht und die Verantwortung dann allein auf andere abschieben möchte?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Probst? — Bitte.
Frau Kollegin, wahrscheinlich ist Ihnen wie mir klar, daß die Wirtschaftsverbände das 1970 wegen der anderen wirtschaftspolitischen Landschaft selbstverständlich auch mitgetragen haben; aber meinen Sie nicht, daß es jetzt die Aufgabe der Bundesregierung wäre, die not-Dr. Probstwendigen Korrekturen vorzunehmen? Das ist doch die Aufgabe Ihres Wirtschaftsministers!
Frau Schuchardt ; Herr Probst, auch eine Änderung von Ausbildungsordnungen wird nicht gegen den Willen der Wirtschaft, sondern nur mit dein Willen der Wirtschaft geschehen. Ich halte sehr viel von Änderungen von Ausbildungsordnungen dort, wo es angemessen ist. Ich halte allerdings ganz wenig von Änderungen von Ausbildungsordnungen, die sich gewissermaßen an der konjunkturellen Situation orientieren.
Es kann nicht so sein, daß man den Jahrgängen, die zufällig in einem konjunkturellen Tal ausgebildet werden, faktisch die Berufs- und Lebenschancen gegenüber den anderen Jahrgängen verringert. Das kann doch nun wirklich nicht die Politik eines Bundestages sein, der einheitliche Lebensverhältnisse herstellen will.
Wieder einmal hat Herr Probst den größten Teil seiner Rede nicht etwa dem Gesetz gewidmet, sondern irgendwelchen Äußerungen auf Juso-Kongressen oder wo auch immer. Nebenkriegsschauplätze haben Sie hier aufgebaut. Nur in einer Frage stimme ich Ihnen zu. Sie haben gesagt, Sie hätten — im Gegensatz zu dem, was Herr Engholm behauptet hat — eine Alternative. Aber alle anderen sachlichen Argumente, die er hier vorgetragen hat, haben Sie in keinem Punkte widerlegt. Ich finde, dieses wäre wichtig gewesen, wenn Sie Ihre Politik verteidigen wollen.Zum Jugendarbeitsschutzgesetz und zum Schwerbehindertengesetz noch einmal ein Wort: Herr Probst, es mag sein, daß Sie gerade nicht im Plenum waren, als es verabschiedet wurde. Aber wenn ich mich recht erinnere, ist dieses mit Zustimmung der Opposition geschehen. Das heißt, immer dort, wo man erscheint, kann man seine politische Aussage modifizieren, immer wo es beliebt und je nachdem, über welche Sache man spricht, ist man einmal dafür und einmal dagegen, obwohl es sich immer um die gleiche Frage handelt.Meine Damen und Herren, ich frage mich wirklich, wie man das Verfahren, die Vorgänge um die berufliche Bildung eigentlich den betroffenen Jugendlichen noch klarmachen will. Man kann sie zwar beschreiben; logisch begründen kann man sie allerdings nicht mehr. Am Berufsbildungsgesetz kann man die verheerenden Auswirkungen der Kompetenzverteilung beschreiben, die dem Bund leider nur die Möglichkeit gibt, den betrieblichen Teil der Ausbildung zu regeln, und den Ländern nach wie vor den schulischen Teil überläßt. Dieses gehört aber sachlich unmittelbar zusammen, und bei logischem Vollzug müßte man zunächst das Ziel der Ausbildung deutlich machen, um anschließend sagen zu können, an welchem Lernort der Lernschritt am sinnvollsten angeboten werden kann.
Statt dessen haben wir durch diese Kompetenzverteilung völlig unabhängig vom Berufsfeld drei Tage im wesentlichen im Betrieb, zwei Tage langfristig im wesentlichen in der Schule. Dieses ist sachlich manchmal gar nicht angemessen.
Der zweite Punkt: In dem Moment, wo Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten haben, verbietet sich offenbar im Klima einer Konfrontation ein Kompromiß. Herr Probst, nach dem Motto können wir doch nun wirklich nicht verfahren: Kommt hundertprozentig auf unseren Dampfer, das empfinden wir dann als Kompromiß.
Kompromiß ist immer etwas Zweiseitiges. Wir hätten — das wissen Sie genau, Herr Gölter — sehr gern gehabt, daß im Ausschuß über diese Frage intensiv gesprochen wird. Wir hätten Änderungsanträge von Ihnen entgegennehmen und darüber sachlich diskutieren können und sie möglicherweise übernommen. Das haben wir die ganze Zeit über so gehandhabt; das hätten wir bei der Berufsbildung auch gemacht. Sie aber haben sich von Anfang an der Diskussion verweigert.
Meine Damen und Herren, wir werden versuchen, mit diesem zustimmungsfreien Gesetz auch die organisatorischen Grundsteine zu legen, um Berufsbildung besser zu ordnen. Wir wollen ein Bundesinstitut für Berufsbildung, dem Bürokratisierung unterstellt wurde. Dabei wissen all diejenigen, die sich mit der Sache beschäftigt haben, daß wir damit der Bürokratisierung entgegenwirken. Wir wollen nämlich Zuständigkeiten zusammenfassen, nämlich von Bund-Länder-Kommission, von Kultusministerkonferenz, vom Bundesinstitut für Berufsforschung, vom Bundesausschuß für Berufsbildung, Bundesanstalt für Arbeit, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und schließlich der Fachminister in Bund und Ländern. Wenn dies heute keine Bürokratie ist, dann weiß ich nicht, was es ist. Dieses wollen wir verändern; wir entbürokratisieren eher, als daß wir bürokratisieren.
Dies wissen Sie genau, Herr Probst. Sie sind schließlich Vorsitzender dieses Ausschusses, und ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie immer schlafen, während wir üiber das Thema sprechen.
— Herr Probst weiß ganz genau, wie es heute umdie Zuständigkeiten der Berufsausbildung bestellt ist.
Wenn er dieses Thema einmal sachlich betrachtete, müßte er zugeben, daß dieses Bundesinstitut eben entbürokratisiert.Meine Damen und Herren, was stellt die CDU/ CSU dem entgegen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17525
Frau SchuchardtSie möchte, daß die inhaltliche Abstimmung zwischen betrieblicher Ausbildung und schulischer Ausbildung in einer Zentralstelle vollzogen wird, die sich total der parlamentarischen Kontrolle entzieht. Ich erhebe den Vorwurf noch einmal: Dieser Entwurf ist eher diktiert von der Exekutive und von der Verwaltung, als daß er dem politischen Willen von Parlamentariern entsprechen könnte.Meine Damen und Herren, zur Finanzierung nur einiges wenige. Wir hatten schon häufiger Gelegenheit, darüber zu sprechen.
Sie wissen alle, daß der Bundestag in der letzten Legislaturperiode einstimmig entschieden hat, sich einmal über die Kosten der Finanzierung der beruflichen Bildung zu informieren, und eine unabhängige Sachverständigenkommission, eingesetzt hat. Diese hat uns mitgeteilt, wie teuer die betriebliche Ausbildung sein wird und daß man dafür ein besonderes Finanzierungssystem einführen sollte.Daraufhin hat die CDU auch reagiert. Vor zwei Jahren war sie der Auffassung, man müsse die Berufsbildungsfinanzierung über einen Fonds regeln. Vor einem Jahr war die CDU der Auffassung, man brauche überhaupt keine Finanzierung bei der Berufsbildung. In den letzten Monaten hat sie nun eine Vielzahl von Vorschlägen vorgelegt, wie man Berufsbildung finanzieren müsse, weil sie nun inzwischen wieder eingesehen hat, daß eine Finanzierung wohl doch notwendig sei. Sie hat dabei allerdings den bequemsten Weg eingeschlagen und das Steuersäckel angeboten..Nun hat die CDU heute einen Antrag eingebracht, in dem sie zumindest in den Vorworten drei Finanzierungsmodelle vorschlägt. Nun frage ich Sie: Wie hätten Sie es denn eigentlich gerne? Das würden wir gern einmal erfahren. Sie geben mit dem, was Sie hier eingebracht haben, jedenfalls keine Auskunft darüber. Sie sind sich nur in einem klar, nämlich darüber, daß dies aus Steuermitteln zu tragen ist. Sie haben sogar in zwei Vorschlägen, die aus Ihrem Lager kommen, immer noch nicht erkannt, daß Berufsausbildung sehr unterschiedlich teuer ist, abhängig davon, um welches Berufsfeld es sich handelt. Sie aber wollen einheitlich subventionieren. Das bedeutet, daß alle Ausbildungen, die billiger sind als ihre Subventionsbeträge, angeboten werden und alle diejenigen guten Ausbildungen, die teurer sind, eben nicht angeboten werden. Wenn das kein Eingriff in die Struktur der Wirtschaft ist, dann weiß ich nicht, was ein Eingriff ist.
— Sicher, Sie haben die Anregung von Herrn Friderichs aufgenommen. Aber Sie wissen ganz genau— das hat Herr Friderichs hier deutlich gemacht —, daß dies das letzte Mittel ist, falls die im Berufsbildungsgesetz vorgeschlagene Finanzierungsregelung scheitern sollte.Wir machen heute einen erneuten Anlauf und haben ein zustimmungsfreies Gesetz vorgelegt.Kein Gesetz ist so von Schlagworten und Falschinformationen belastet worden wie dieses.
Zur Bürokratisierung habe ich bereits etwas gesagt.Zum „Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz" nur so viel: Wie will man eigentlich dieses Schlagwort logisch begründen? Hier wird ein Finanzierungssystem vorgeschlagen, das die Ausbildungsbetriebe fördert und die Betriebe, die nicht ausbilden, belastet. Wie wollen Sie eigentlich logisch begründen, daß Ausbildungsbetriebe plötzlich nicht mehr ausbilden, weil sie Geld bekommen? Ich kann dies sachlich wirklich nicht einsehen. Sie begründen dies ja auch nie, sondern Sie zitieren aus Juso-Kongressen, wenn Sie das Wort vom „Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz" begründen wollen. Jedenfalls hat dieses Wort mit dem Inhalt des Gesetzes nichts zu tun.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Frau Kollegin Schuchardt, sehen Sie bei dem von Ihnen vorgeschlagenen und vertretenen Finanzierungsmodell nicht die Gefahr, daß auf Grund der Regelung, die Ausbildungsplätze zu fördern, die zusätzlich zum Durchschnitt der letzten drei Jahre zur Verfügung gestellt werden, eine Reihe von Betrieben dazu verführt werden, zunächst einmal die Ausbildungskapazitäten für etwa zwei Jahre herunterzusetzen und im dritten Jahr wieder zu erhöhen, so daß man dann auf einen niedrigeren Durchschnitt kommt und im Grunde dafür belohnt wird, daß man zunächst reduziert hat? Dies ist doch nichts anderes als eine Verfiihru.ng der Betriebe zu einer Reduzierung und nicht zu einer Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze.
Meine Damen und Herren, man muß wissen, daß der Herr Abgeordnete Klein zu den Verfechtern einer großen Fondslösung gehört. Ich meine, dies sollte man hier zugrunde legen.
Ich gebe Ihnen zu, Herr Klein, daß dieser Vorwurf genauso für die steuerliche Lösung zutrifft.
Es ist ganz genau das gleiche. Wenn Sie mit steuerlichen Mitteln locken, dann müssen diejenigen
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17526 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Frau Schuchardt— das ist ja nicht wahr, Herr Pfeifer —, die in den Genuß dieser steuerlichen Mittel kommen sollen, natürlich zunächst einmal den Notstand herstellen, damit diese Mittel überhaupt verteilt werden.
— Natürlich habe ich das begriffen. Sie werden gleich die Gelegenheit wahrnehmen können, das zu begründen. Jedenfalls können Sie offenbar nur Gebrüll, aber kein sachliches Argument entgegensetzen.Ich komme nun zur Frage der „Mittelstandsfeindlichkeit". Herr Engholm hat sich dazu bereits anhand vieler Zahlen deutlich geäußert. Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern werden überhaupt nicht mit Kosten belastet. Sehr wohl kommen sie aber in den Genuß dieser Mittel, wenn sie ausbilden. Es handelt sich hier also nicht um ein mittelstandsfeindliches, sondern ganz im Gegenteil um ein mittelstandsfreundliches Gesetz.
— Das frage ich mich auch. Wissen Sie, warum? Weil der Präsident des Handwerks Mitglied Ihrer Partei ist!
— Verzeihen Sie! Ich hatte in verschiedenen Podiumsdiskussionen das Vergnügen, mit Herrn Schnitker zu diskutieren. Vor diesen Podiumsdiskussionen haben wir sehr wohl sachlich reden können. Man kann unterschiedlicher Auffassung in der einen oder der anderen Frage sein. Just in dem Moment, als wir vor der Öffentlichkeit miteinander redeten, war von Sachlichkeit überhaupt keine Spur mehr.Hier wird — das muß man doch einfach sehen — ganz entscheidende Wahlunterstützung gegeben. Mit sachlichen Fragen hat das überhaupt nichts mehr zu tun. Denn fast alle Handwerksbetriebe würden unter die Zuwendungsempfänger fallen. Ich frage mich, wie es ein Präsident dieser Betroffenen eigentlich seinen Mitgliedern gegenüber verantworten kann, dies abzulehnen.
Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Ja.
Frau Kollegin Schuchardt, ist Ihnen bekannt, daß es auch im Zentralverband des Deutschen Handwerks einen Vizepräsidenten gibt, der Ihrer Partei, der FDP, angehört und sogar Mitglied dieses Hauses ist?
Das ist mir sehr wohl bekannt, Herr Niegel. Ich weiß bloß nicht, was das mit unserer Frage zu tun hat. Das Entscheidende ist, wie er mir eben gesagt hat, daß er nicht den Eindruck hat, daß er, als er seine Auffassung gestern deutlich machte, besonders sachlich beurteilt worden ist.
Ich finde, wir sollten die Haltung der Verbände in diesem Punkt mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Im Augenblick nicht.
Ich bin ein Freund von Pluralismus. Bei dem Anhörverfahren hatte ich nicht den Eindruck, daß die Wirtschaftsverbände sich in irgendeiner Weise den Pluralismus ihrer Mitglieder vertreten haben. Ich bedaure dies sehr. Ich weiß aus vielen Veranstaltungen, daß gerade das Handwerk sagt: Liebe Leute, ich würde gern weiter ausbilden, wenn ich dafür Kostenentlastungen kriege; für mich ist es außerordentlich deprimierend, auszubilden, und zu erleben, daß die, die ich ausgebildet habe, vom Betrieb um die Ecke abgeworben werden, der nicht ausbildet; ich sehe einfach nicht ein, daß ich für den anderen investieren soll. Das hört man doch häufig. Auch Sie selber waren davon einmal überzeugt, nämlich vor zwei Jahren auf Ihrem Hamburger Parteitag. Sie sollten nicht allzu sehr das vergessen, was Sie selber einmal beschlossen haben.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Ja. Aber es wird sehr schwierig mit der Einhaltung meiner Redezeit, Herr Präsident.
Es wird etwas zugelegt.
Bitte schön, Herr Stücklen.
Frau Kollegin Schuchardt, ist Ihnen bekannt, daß diese Entschließung, die gestern vom Zentralverband des Deutschen Handwerks verabschiedet worden ist, einstimmig verabschiedet worden ist, also nicht nur von dem der CDU zugehörigen Präsidenten Schnitker, sondern vom gesamten Zentralverband des Deutschen Handwerks?
Herr Stücklen, Sie wissen genau, daß in solchen Organisationen die Entscheidung natürlich ganz wesentlich auf der Basis der Informationen gefällt wird, die die Spitze dieser Organisationen gibt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17527
Frau Schuchardt— Ich möchte dafür ein Beispiel bringen, das ich eigentlich übergehen wollte.
Als Bundeskanzler Schmidt wenige Wochen vor dem niedersächsischen Wahlkampf seine Regierungserklärung hier abgab, hat Herr Carstens zu einer guten Zeit, live übertragen — natürlich, das versteht sich von selbst, auf die Wählerschaft in Niedersachsen zugeschnitten —,
die Ausbildereignungsverordnung schlicht falsch interpretiert.
Er hat nämlich gesagt, diese Sozialliberale Koalition wolle mit Hilfe der Ausbildereignungsverordnung den 50jährigen Handwerksmeister zwingen, sich nochmals auf die Schulbank zu setzen, damit er überhaupt weiter ausbilden darf.
Als das Fernsehen längst ausgeschaltet war, haben die Fachleute der CDU/CSU-Fraktion dies allerdings zurechtrücken müssen, weil es nicht stimmte. Es handelt sich aber um einen schriftlich vorbereiteten Vortrag. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich Herr Carstens seine Reden von Leuten vorbereiten läßt, die von der Sache nichts verstehen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht mehr, weil meine Redezeit inzwischen leider abgelaufen ist. Es tut mir leid, Herr Stücklen.
Frau Kollegin, darf ich darauf aufmerksam machen, daß wir im allgemeinen eine Minute je Zwischenfrage zulegen! Drei Minuten werden dazugelegt. Insofern geht es nicht von Ihrer Redezeit ah. Sie lassen aber keine Frage mehr zu.
Man muß hierzu noch einmal sagen, daß die Ausbildereignungsverordnung nichts anderes will, als für Industrie und Handel genau die gleichen Kriterien wie für das Handwerk anzulegen, und daß das Handwerk hier überhaupt nicht betroffen ist, sondern die Chancengleichheit zu den anderen Bereichen hergestellt werden soll. Im übrigen ist diese Ausbildereignungsverordnung ja die Folge des von der Großen Koalition verabschiedeten Berufsbildungsgesetzes. Man sollte hinzufügen: Sie ist mit Zustimmung der Wirtschaft erlassen worden.
Zum Schluß ein paar Worte zu den Kompetenzen. Die Opposition sollte sich nicht wundern, daß die
Mehrheit des Bundestags beabsichtigt, ihre Kompetenzen maximal auszuschöpfen.
Die Opposition hat im Bundestag nicht die Mehrheit.
Es ist nicht zulässig, daß man die Mehrheit im Bundesrat dazu nutzt, um das Wählerverhalten von 1972 sozusagen zu konterkarieren.
Das heißt: Wir werden die Möglichkeiten des Grundgesetzes ausschöpfen.
Wir sind hier von der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts flankiert. Dieses sagt — ich will das wiederholen, weil man das gar nicht häufig genug zitieren kann —:
Der Bundestag ist nicht gehindert, in Ausübung seiner gesetzgeberischen Freiheit ein Gesetzesvorhaben in mehreren Gesetzen zu regeln. Er kann z. B. die materiellrechtlichen Vorschriften in ein Gesetz aufnehmen, gegen das dem Bundesrat nur ein Einspruch zusteht, und kann Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltung in einem anderen, zustimmungsbedürftigen Gesetz beschließen.
So sagt das Bundesverfassungsgericht.
Nichts anderes tun wir. In diesem Zusammenhang uns zu unterstellen, daß wir das Grundgesetz beugen, gehört wohl schon in die Konfrontation und die Diffamierung, die im Wahlkampf ja bereits normal geworden sind.
Nur noch zwei Punkte: Der Bundesrat wird immer mehr zum parteipolitischen Instrument gemacht. Das wird ja auch mit schöner Offenheit zugegeben. Kurt Georg Kiesinger hat 1970 gesagt:
Ich sehe im Bundesrat während dieser Legislaturperiode in der Tat ein wichtiges Instrument für die Opposition.
Und Helmut Kohl hat gesagt:
Die Koordination und Kooperation zwischen Parteizentrale, Bundestagsfraktion und Mehrheit des Bundesrates wird ausgebaut.
Was ist der Bundesrat eigentlich, eine Ländervertretung oder eine Parteienvertretung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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17528 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Frau SchuchardtIn Deutschland bestehen für den Bundesstaat trotz seiner verfassungsmäßigen Sicherung eine Reihe unleugbarer Gefahren. In der Weimarer Zeit haben mitunter politische Parteien das bundesstaatliche Gefüge des Reiches benützt, um von den Landesregierungen und Landtagen aus gegen das Reich und die Reichsorgane parteipolitische Opposition zu machen. Man sprach damals vom Parteien-Bundesstaat und verstand darunter die Ausnutzung des Reichs-Länder-Verhältnisses zu parteipolitischen Zielen. Diese Gefahr muß im Interesse eines gesunden bundesstaatlichen Lebens mit allen möglichen Mitteln vermieden werden. Der Parteien-Bundesstaat führt zur Diskreditierung bundesstaatlicher Einrichtungen und damit zur Krise des Bundesstaatsgedankens.Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.Meine Damen und Herren, die FDP hat in ihrer Wahlplattform noch einmal eine Aussage zur Bundeskompetenz gemacht. Wir sind ganz besonders bestärkt worden durch die Vorgänge um das Berufsbildungsgesetz. Ich meine, die Interessen der Jugendlichen sollten eigentlich nicht an der politischen Konfrontation zweier Häuser scheitern.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr bayerische Staatsminister Professor Dr. Maier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Hohes Haus! Da Bayern bereits zweimal das Glück hatte, in dieser Debatte erwähnt zu werden, gestatten Sie mir bitte einige ganz knappe Bemerkungen in der Beratung dieses Gesetzes.Eine erste Bemerkung zum Verfahren: Die Bundesregierung hat sechs Tage nach der Ablehnung ihrer Gesetzesvorlage im Bundesrat ein neues Gesetz vorgelegt, mit dem sie die Zustimmung des Bundesrates umgehen will. Sie schafft damit die Gefahr neuer Konfrontationen. Ihren Willen zur Zusammenarbeit hätte die Bundesregierung nicht nur bei der Beratung des Gesetzes im Deutschen Bundestag, sondern auch im Bundesrat beweisen können.Man hat vorhin — es war Herr Engholm — die Frage gestellt, warum denn die Bundesratsmehrheit nicht den Vermittlungsausschuß angerufen habe. Ich stelle die Frage: warum hat denn die Bundesregierung nicht den Vermittlungsausschuß angerufen?
Die Bundesregierung wollte doch ihr Gesetz durchbringen
und hätte dann auch den Vermittlungsausschuß anrufen müssen. Es besteht aber kein Gebot politischer Nächstenliebe, daß die, die das Gesetz nicht wollen, nämlich die Mehrheit des Bundesrates, verpflichtet seien, den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Hier wird versucht, unter dem Motto „Haltet den Dieb" den Ländern ein mangelndes Maß an Zusammenarbeit anzulasten. Ich möchte das ganz entschieden zurückweisen.
Eine zweite Bemerkung zur Sache: Mein Kollege Vogel wird noch ausführlicher über die Haltung der Union und der von ihr geführten Länder sprechen. Sachlich bleiben die bisher vorgebrachten Bedenken auch gegenüber dem neuen Rumpfgesetz bestehen.
Nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Sachverständigen aus der Wirtschaft und dem Handwerk ist die Regelung nicht geeignet, ihr Hauptziel zu erreichen, nämlich die Sicherung eines qualitativ und quantitativ ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen.
Da die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die finanziellen Hilfen auf einzelne Ausbildungsberufe, Ausbildungsabschnitte, Ausbildungsjahre und Regionen beschränken kann — sie, kann außerdem die Höhe und die Dauer nach eigenem Ermessen festlegen —, erhält sie damit ein Instrument planwirtschaftlicher Prägung. Es entsteht ein System fremder, staatlicher Eingriffe in unsere Marktwirtschaft.
Die Wirtschaft wird durch die Umlage insgesamt finanziell nicht entlastet, und Betriebe — das ist vom Kollegen Probst schon gesagt worden —, die aus sachlichen Gründen nicht ausbilden können, werden dadurch nicht für eine zusätzliche Ausbildung gewonnen.Was das Bundesinstitut für Berufsbildung angeht, so werden in diesem Gesetzentwurf Exekutivaufgaben der Bundesregierung, Abstimmungsverfahren zwischen Bund und Ländern, Beratungsfunktionen und auch Berufsbildungsforschung vermengt. Der Konflikt ist hier bereits institutionell programmiert.
Die Länder werden durch Beschlüsse und Vorlagen des Bundesinstituts und die damit verbundene Zustimmung der Sozialpartner in den Griff genommen; es wird ein Zwang ausgeübt für Regelungen im Bereich der beruflichen Schulen. Die Länder verlieren damit einen wesentlichen Teil ihrer Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten; denn der verantwortliche Partner, der Bund, kann sich ja hinter den Beschlüssen eines ihm gegenüber weisungsgebundenen Instituts verschanzen. Der Verwaltungsaufwand ist ganz erheblich. Es entsteht eine der parlamentarischen Kontrolle nicht zugängliche Bürokratie in einer Zwischenebene.
Dritte und letzte Bemerkung zu den Ausführungen von Frau Schuchardt: Frau Schuchardt, Sie haben Ihre Ausführungen damit begonnen, daß Sie sagten,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17529
Staatsminister Dr. Maierfrüher habe es Bildung in verschiedenen Stockwerken und Regionen gegeben: für eine Oberschicht Gymnasium, Abitur und Universität, für eine Mittelschicht, sagen wir, die Realschule, für eine breite Unterschicht die Volksschule und die berufliche Schule.Daran ist ein Korn Wahrheit; wir bestreiten das gar nicht.
Auch wir sind mit allen Parteien dieses Hauses der Meinung, daß die Chancen im Bildungswesen gleichmäßiger verteilt werden sollten.Aber gerade die Bildungspolitiker der FDP haben ja das berufliche Bildungswesen bis heute kaum im Blick gehabt, kaum entdeckt.
Sie werden in den bekannten Büchern von Hildegard Hamm-Brücher und Ralf Dahrendorf im Stichwortregister die Worte „berufliche Bildung", „Berufsschulen", „Berufsausbildung" nicht finden.
Ich frage mich auch, warum die sozialliberale Koalilion 1970 bei der Vorlage ihres Bildungsgesamtplans ihre bildungspolitische Hauptforderung darin gesehen hat, 50 % eines Altersjahrgangs zum Abitur II zu führen.
Es zeigt sich doch heute, wo sich die neu Geworbenen, deren Vertrauen man mißbraucht hat, vor den geschlossenen Toren der Hochschulen stauen, daß diese Versprechungen gar nicht erfüllbar waren. Was aber schlimmer ist: Man hat die ganze Bildungspolitik nur gesehen — und das ist die Perspektive der Oberschicht, Frau Schuchardt —
in der Richtung gymnasiale Oberstufe,
Abitur und Studium.
Ich möchte ganz deutlich betonen, daß die Union lange Jahre die einzige Partei war — das gilt auch gegenüber der SPD; auch das Godesberger Programm weiß nur von der Verbreiterung der Abiturientenzahlen zu reden —,
die diesen großen Bereich — es waren 1970 noch fast 70 % unserer .Jugendlichen — gesehen und eigene Programme dafür vorgelegt hat, während die sozialliberale Koalition im Grunde einem überholten theoretischen Bildungsideal aus dem 19. Jahrhundert nachgelaufen ist.
Gestatten Sie eine Zwischentrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön!
Herr Minister, wie können Sie eine solche Aussage angesichts der Tatsache machen, daß Sie bzw. Ihre politischen Freunde gegen ein Berufsbildungsgesetz Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in erheblicher Weise polemisierten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verzeihung, das letzte von diesem Hause beschlossene Berufsbildungsgesetz wurde vom Kollegen Katzer, der hier unter uns sitzt, vorgelegt,
und das erste Landesgesetz über berufliche Bildung wurde 1972 von mir in Bayern vorgelegt.
Nun noch zu Ihnen, Herr Engholm. Sie haben vorhin gesagt: Gnade der Generation, die in solche Hände fällt;
Sie haben damit die Union gemeint. Herr Engholm, auch dieses Wort fällt auf Sie zurück!
Denn in den 20 Jahren, in denen die Union im Bund regiert hat, gab es nie eine nennenswerte Ausbildungsnot, einen Lehrstellenmangel,
und schon gar nie eine ausgeprägte Jugendarbeitslosigkeit.
Die Erscheinungen der Ausbildungsnot und der Jugendarbeitslosigkeit
sind allein entstanden in der Zeit, in der Sie regieren.
Und nun kehren Sie die Dinge doch bitte nicht um und tun Sie nicht so, als ob mit diesem Gesetz neue Ausbildungsplätze aus dem Boden gestampft werden könnten
und die Jugendarbeitslosigkeit zu beseitigen sei. Hier müssen wirtschaftspolitische Maßnahmen Platz greifen. Hier muß das Vertrauen in die Zukunft wiederhergestellt werden,
eine Aufgabe, die gar nicht allein, sondern nur subsidiär von der Bildungspolitik geleistet werden kann.
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17530 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Engholm?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Darf ich Sie nur der historischen Wahrheit wegen darauf hinweisen, Herr Professor Maier, daß sich der von mir zitierte Ausspruch ausschließlich auf Inhalt und Stil Ihres Fernschreibens vor der Bundesratsentscheidung bezog?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Engholm, zu diesem Schreiben stehe ich voll und ganz. Es ist das gute Recht der Opposition, falsche Lösungen zu verhindern, die neue Illusionen schaffen und die Schwierigkeiten in keiner Weise beseitigen, vor denen wir heute stehen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Glotz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Kollege Maier, da hier bereits zum zweiten Mal — Herr Probst hat das schon getan — verglichen wird, was zur Zeit der CDU und was anschließend passiert ist, möchte ich Sie fragen: Wären S i e wenigstens bereit, zuzugeben, daß wir jetzt erstens vor dem Problem stärkerer Jahrgänge stehen und deswegen vorsorgen müssen und daß zweitens die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung zu der Zeit, als die CDU/CSU die Bundesregierung stellte, doppelt so groß war, wie das heute der Fall ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist hier, Herr Kollege Glotz, deutlich zu unterscheiden zwischen den Jungarbeitern, die eine Ausbildung aus freien Stücken nicht wollen — da sind wir wohl einer Meinung, daß man die durch Überzeugung dazu bringen muß, Ausbildungsangebote anzunehmen —, und der faktisch vorhandenen Ausbildungsstellen-not, die nicht nur ein Problem wachsender Jahrgänge ist, sondern auch darauf zurückgeht, daß die Wirtschaft in bezug auf ihre Anstrengungen, neue Ausbildungsplätze zu schaffen, weitgehend verunsichert, ja sogar beschimpft wurde.
Ich will aber diese kurzen Einlassungen nicht ausdehnen. Lassen Sie mich schließen mit der Bemerkung: Wir sind durch die Vorlage dieses Rumpfgesetzes nicht überzeugt, daß der Weg, auf dem Sie die Probleme der Ausbildungsnot und der Jugendarbeitslosigkeit lösen wollen, der richtige ist. Wir halten unsere Kritik aufrecht. Wir bedauern das Verfahren. Wir werden in unserem eigenen Entwurf einen besseren Weg zeigen.
Das Wort hat Herr Landesminister Dr. Vogel .
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein paar Worte zu dem, was Herr Kultusminister Maier uns hier vorgetragen hat. Wenn er uns, den Koalitionsfraktionen, hinsichtlich unseres neuen Ansatzes, bei der Reform des Berufsbildungsrechts doch noch zu einem erfolgreichen Ergebnis zu kommen, den Vorwurf macht, daß dies ein Ansatz sei, der zu neuer Konfrontation mit dem Bundesrat führe, dann muß hier doch wohl deutlich festgestellt werden: Die Bundesregierung hat sich im Bundesrat auf die Tatsache stützen können, daß dieses Parlament mit der Mehrheit seiner gewählten Abgeordneten ein Berufsbildungsgesetz in seiner Gesamtheit beschlossen hat. Der Bundesrat hat aber nicht etwa den einen oder anderen Änderungsvorschlag dazu vorgelegt und beschlossen, sondern dieses Gesetz in seiner Gesamtheit abgelehnt. Das ist doch die Konfrontation, der es mit Entschiedenheit entgegenzutreten gilt.Sie haben, Herr Maier, den Umlagefonds als ein System fremder Eingriffe in die Wirtschaft geschildert, ohne auch nur einen Moment lang zu bedenken, daß das, was aus dem Umlagefonds als Hilfe an die Betriebe gewährt werden soll, um zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, in jedem Einzelfall auf der vorherigen Zusammenarbeit aller Beteiligten beruhen wird. Keine Ausführungsverordnung zum Umlagefonds wird in Kraft treten können, wenn sie nicht im Bundesinstitut für Berufsbildung von den Arbeitgebervertretern, den Arbeitnehmervertretern, von den Ländern und vom Bund erarbeitet worden ist. So sieht es aus. Hier geht es also nicht um ein Eingreifen von einer einzigen Adresse aus.Herr Maier, zu dem Thema Abstimmung zwischen Lehrplänen der Berufsschule einerseits und betrieblichen Inhalten der Ausbildung andererseits haben Sie den Vorwurf gemacht, die Konstruktion, die in dem Gesetzentwurf der Koalition enthalten ist, sei eine bürokratische, teure Angelegenheit, die der parlamentarischen Kontrolle entzogen sei.
Dazu würde ich gern fragen: Wie sieht es denn mit Ihrem Gesetzentwurf in dieser Sache aus? Darin ist doch wieder die Idee enthalten, daß sich Bund und Länder im Wege eines Staatsvertrags miteinander zu verbinden hätten. Meine Frage ist: Wo ist denn dort die parlamentarische Kontrolle: Nirgends! Außerdem besteht für Sie, Herr Maier — Sie haben darin schon Praxis —, die Möglichkeit, das als einzelnes Land zu kündigen. Wir alle stehen dann da, insbesondere die jungen Leute.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17531
WestphalMeine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Kohl hat der Bundesregierung auf dem Wahlparteitag der CDU in Hannover vorgeworfen, es sei ein Skandal — deswegen komme ich darauf —, daß sie nicht genügend zur Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit tue.
— Ja, ich habe Ihnen gern Gelegenheit gegeben zu klatschen. Aber hören Sie bitte das Folgende. Abgesehen von der Tatsache, daß die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit deutlich zurückgehen, stärker als die für ältere Arbeitnehmer, was ja wohl eine Wirkung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zur Herbeiführung des konjunkturellen Aufschwungs ist und als Erfolg angesehen werden muß, ist es wohl notwendig, sich anzusehen, was — —
— Herr Breidbach, ich brauche Ihre Frage gar nicht erst zu hören; ich komme auf das, was Sie fragen wollen.Ich möchte gern vergleichen zwischen dem, was zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit einerseits die Bundesregierung getan hat und tut, und auf der anderen Seite dem, was Herr Kohl in Rheinland-Pfalz, in dem Land, das er regiert, auf diesem Gebiet tut, sowie dem, was vergleichbare andere Länder tun, z. B. das Land, aus dem Sie, Herr Breidbach, und auch ich kommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breidbach?
Ja, vielleicht bestätigt er mich mit seiner Frage.
Herr Kollege Westphal, ich wollte Sie fragen, ob Sie dem Hause bestätigen können, daß die Koalition das Programm der CDU/CSU zur Behebung der Jugendarbeitslosigkeit vom 1. Januar 1975, also als diese Frage akut wurde, abgelehnt hat
und daß die Koalition ein Jahr benötigte, um mit einem ähnlichen Programm, als das Kind schon im Brunnen lag, zu versuchen, die Situation noch zu retten?
Herr Breidbach, ich kann das in gar keiner Weise bestätigen.
— Nein, ich kann es Ihnen nicht bestätigen, einfach aus dem Grunde, weil wir, wenn wir zu dem Zeitpunkt solche Vorschläge, wie Sie sie vorgelegt haben, befolgt hätten, nichts weiter bewirkt hätten als eine Ausbildungsenthaltung der Wirtschaft; sie
hätte so lange gewartet, bis der Staat Geld zur Verfügung gestellt hätte.
Wir haben genau zu dem Zeitpunkt das Programm gemacht, als klar war, welcher Rest junger Menschen eben nicht durch die Wirtschaft in Ausbildungsplätze aufgenommen werden konnte. Darauf war unser Programm abgestellt, dort hatte es seine Wirkung und dort sind Steuermittel richtig und sinnvoll eingesetzt worden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Ich möchte jetzt gern fortfahren, weil ich zu dem Thema, was die Bundesregierung getan hat, eine konkrete Antwort geben will.
Diese Bundesregierung hat mit einem 300-Millionen-DM-Programm reagiert, um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Ich sage das hier immer noch in Erinnerung an das, was Herr Kohl in Hannover als Skandal bezeichnet hat. Das Land, das er selbst regiert, stellt für dieselbe Aufgabe, für die es ja wohl auch Verantwortung hat, ganze 2,4 Millionen DM zur Verfügung. Nun kann man Bund und Land nicht vergleichen.
Aber vergleichen wir das doch einmal mit einem anderen Land, Herr Breidbach, z. B. mit dem, aus dem wir beide kommen! Das Land Nordrhein-Westfalen, das allerdings größer ist als Rheinland-Pfalz, stellte, obwohl es nicht eine so hohe Jugendarbeitslosigkeitsrate hat wie Rheinland-Pfalz,
für denselben Zweck 240 Millionen DM, also eine Riesensumme zur Verfügung, die mit den Bundesmitteln kombiniert wurde. 240 Millionen DM gegenüber 2,4 Millionen DM — das ist ein deutlicher Unterschied.
Lassen Sie mich diese Zahl mit dem vergleichen, was der Bund einbringt. Der für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung stehende Anteil, der aus dem Bundesprogramm in das Land Rheinland-Pfalz fließen wird, ist etwa zehnmal so hoch wie der Betrag, den das Land Rheinland-Pfalz selbst für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen bereit ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Nein.Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn wir die Tatsachen so zurechtrücken, wird deutlich, wo der Skandal eigentlich liegt. Der eigentliche Skandal liegt in der Tatsache, daß die Ministerpräsidenten der von CDU und CSU geführten Länder das von der Mehrheit der gewählten Abgeordneten dieses Hauses beschlossene umfassende Berufsbildungsgesetz scheitern ließen und daß auch Herr Kohl, der Kanzlerkandidat der Union, bei die-
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17532 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Westphalser Ablehnung mitgewirkt hat. Dies ist nun einmal ein Wahlkampfthema.
Dieses Thema ist wichtig für die jungen Menschenund für die Eltern, die uns fragen: Wo sind denndie Ausbildungsplätze für die jungen Menschen?
Dies muß vor aller Öffentlichkeit klargestellt werden.
Dieses Verhalten der Mehrheit im Bundesrat ist es, das uns in die kuriose Situation bringt, heute über dasselbe Thema nochmals beraten zu müssen, über das wir am 9. April 1976 hier Beschluß gefaßt haben, und zwar einerseits über ein Kerngesetz der Koalition, das unter Rückstellung aller Wünsche für die inhaltliche Reform das Instrumentarium durchsetzt, mit dem wir auch gegen den Willen der CDU/ CSU-Länder die dringend erforderlichen zusätzlichen Ausbildungsplätze schaffen können, und andererseits über einen Entwurf der Opposition, dessen Text dieses Parlament — nachdem vorher im Bildungsausschuß darüber beraten wurde — wegen seiner inhaltlichen Unzulänglichkeit und wegen des Mangels einer Finanzierungsregelung vor knapp zwei Monaten schon einmal abgelehnt hat. Jetzt hat die Opposition eine Finanzierungsregelung angefügt. Sie sieht anders aus als das, was in dem Entschließungsentwurf der CDU/CSU vom 9. April vorgesehen war. Sie gleicht auch nicht dem Filbingerschen Wahlballon, den die eigenen politischen Freunde im Bundesrat gleich wieder platzen ließen. Sie entspricht auch nicht den Vorstellungen, die Herr Stoltenberg, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, für die CDU/CSU-geführten Länder am 14. Mai dieses Jahres im Bundesrat darlegte. Ebensowenig gleicht sie dem, was Herr Pirkl dort für Bayern vortrug. Sie gleicht der Finanzierungsregelung, die die Bundesratsmehrheit uns, dem Bundestag vorlegen will.Ich muß dies noch etwas verdeutlichen.
— Darauf komme ich gleich zu sprechen.Herr Stoltenberg hat im Bundesrat die Meinung der Unionsländer begründet, aber inhaltlich nicht etwa das vorgetragen, was der seitens des Bundesrates mit der Mehrheit der von der Union geführten Länder verabschiedete Gesetzentwurf materiell enthält. Er hat also etwas ganz anderes vorgetragen. Das gleiche gilt für Herrn Pirkl. Ich habe in dem Protokoll lange gesucht, um überhaupt jemanden zu finden, der das, was dort beschlossen worden ist und was Sie uns jetzt hier vorgetragen haben, begründet hat. Was hier vorgelegt wurde, sieht aber auch entsprechend aus. Darauf will ich jetzt etwas näher zu sprechen kommen. Die Finanzierungsregelung, die Sie uns in Ihrem Gesetzentwurf, den Sie hier neu eingebracht haben, vorlegen, ist das, womit ich mich hier beschäftigen möchte. Am Anfang will ich sehr deutlich und drastisch dies sagen. Die Finanzierungsregelung, die darauf ausgerichtet ist, denjenigen Betrieben und Unternehmen eine steuerfreie Rücklage zu gewähren, die Ausbildungsplätze neu besetzen oder zusätzlich schaffen, ist unwirksam, weil ihr die Anreizwirkung fehlt. Sie ist ungerecht, weil sie die Klein- und Mittelbetriebe schlechterstellt als die großen Kapitalgesellschaften. Sie ist unsinnig wegen ihrer Gießkannenwirkung und der mit ihr erfolgenden volkswirtschaftlichen Fehllenkung. Sie ist darüber hinaus für den Steuerzahler teuer
und gefährlich für den Bestand und die Weiterentwicklung des dualen Systems, der gleichzeitigen betrieblichen und schulischen Ausbildung; kein Zweifel!Außerdem enthält dieser Oppositionsentwurf natürlich den Trick, das Ganze doch wieder von der Zustimmung der Bundesratsmehrheit abhängig zu machen, deren fatales Verhalten die junge Generation dieses Landes — bis hin zur Jungen Union von Rheinland-Pfalz, kann man ja nur sagen — deutlich kritisiert.Lassen Sie mich meine Kritik begründen. Die Finanzierungsregelung durch eine steuerfreie Rücklage ist deshalb unwirksam, weil die Anreizwirkung zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze minimal ist; denn der Unternehmer, der die Rücklage in Anspruch nimmt, weiß, daß das nur einen Steueraufschub bedeutet. Er muß das Ganze genau dann nachversteuern, wenn der Ausbildungsplatz nicht mehr besetzt wird, wenn er nach Durchlauf der starken Geburtenjahrgänge keinen neuen Lehrling mehr bekommt.Sein eigentlicher Vorteil liegt in dem minimalen Zinsgewinn aus der steuerfreien Rücklage. Den hat Ihnen Herr Bundeswirtschaftsminister Friderichs schon einmal vorgerechnet: Bei bis zu 2 000 DM für einen Bestandsplatz und 40 % Besteuerung entspricht das den Zinsen für 800 DM im Jahr, also bei 10 % Zinsen 80 DM im Jahr.
— Und davon — 80 DM mal 10 — wollen Sie Ausbildungsplätze schaffen? Oder nehmen wir den höheren Fall, Herr Stücklen. Bei 6 000 DM für einen zusätzlichen Platz und 60 % Besteuerung — bei einer Kapitalgesellschaft — sind das die Zinsen für 3 600 DM, also bei 10 % 360 DM im Jahr.Bei dieser tatsächlichen Wirkung Ihrer Rücklage steckt da doch wohl ein Anreiz, neue Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht drin. Das ist doch mehr als fraglich. Man mag nur daran denken, daß die Ausbildungsvergütung heute durchschnittlich 400 DM im Monat beträgt.Wie ist es mit den Ausbildungsplätzen im Anwaltsbüro oder mit denen für Arzthelferinnen in der Praxis des Arztes, bei allen Freiberuflern? Die können doch keine Rücklage bilden. Fehlanzeige im CDU-Entwurf! Das gleiche gilt für die Verbände, für
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17533
Westphaldie Kirchen, für die Gewerkschaften, die ja doch auch Ausbildungsplätze haben und die Zahl auch erhöhen könnten: keine Anreizwirkung, also unwirksam. Unsere Umlagefinanzierung dagegen wirkt echt, wirkt direkt, reizt mit gezielter Subvention, mit Größenordnungen, die hilfreich sind, und klammert in ihrer Förderung auch nicht die Freiberufler und Verbände aus.Zweitens. Die steuerrechtliche Regelung über Rücklagenbildung ist auch nicht etwa mittelstandsfreundlich. Im Gegenteil: Große Kapitalgesellschaften mit hohem Steuersatz 60 % und darüber — können mit dieser für sie größeren Wirkung der Rücklagenbildung einen höheren Zinsgewinn als kleinere und mittlere Betriebe machen, die ihre Gewinne mit 35 % oder 40 % versteuern. Das ist offensichtlich auch Herrn Stoltenberg aufgefallen, der deshalb im Bundesrat für die CDU/CSU-regierten Länder ein Steuerfinanzierungsmodell begründete, das eine Kombination von Rücklage und Zulage enthielt.
Nur, dafür lag kein Gesetzentwurf vor. Er hätte das ja vorschlagen können und beschließen lassen können.
Er hat auch selbst für einen anderen Gesetzentwurf im Bundesrat gestimmt, als er diesen Vorschlag dort vorgetragen hat, nämlich für den, wie ich sage, ungerechten, weil mittelstandsfeindlichen Entwurf, den uns heute die Opposition präsentiert.
Verehrter Herr Kollege, für Sie sind 15 Minuten Redezeit angemeldet worden. Ich habe eine Minute für die Zwischenfrage hinzugerechnet. Ich darf Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Die rote Lampe leuchtet bereits, Herr Kollege.
Ich bitte um Entschuldigung. Ich will gerne dem Wunsch folgen und mich kurz fassen.
Ich habe versucht, deutlich zu machen, daß Ihr Gesetzentwurf im Hinblick auf die steuerfreie Rücklage — auch durch die anderen Wirkungen, die ich vorhin kurz aufgezeigt habe — problematisch ist. Ich muß mich jetzt zeitlich beschränken und kann das nicht in der Weise vortragen, wie ich es gerne getan hätte.
Ich darf wenigstens noch einen weiteren Punkt anführen. Die Unsinnigkeit der steuerfreien Rücklage als Förderungsinstrument liegt auch in ihrer Gießkannenwirkung; dazu muß ein Wort gesagt werden. Der gleiche Rücklagebetrag für Bestandsplätze einerseits und in anderer Größenordnung für zusätzliche Ausbildungsplätze andererseits steht zur Verfügung für teure und weniger teure Ausbildungswege. Nimmt man den Durchschnitt der jährlichen Ausbildungskosten für alle Berufe, so kommt man zu einem Wert von etwa 5 500 DM. Aber das gilt nicht für jeden gleichermaßen, für den Friseur auf der einen Seite oder den Regel- und Meßmechaniker auf der anderen Seite. Die Bandbreite der Kostenunterschiede wird auf 20 000 DM geschätzt. Es gibt Ausbildungen, die schon während der Lehrzeit zum Gewinn des Unternehmens beitragen, es gibt andere, die bis zum Tage der Abschlußprüfung erhebliches Geld kosten. Eine gleiche Rücklageberechnung für alle bedeutet, daß der eine eine Differenzialrente daraus machen kann, während für einen anderen die Rücklage ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Das führt zu einer Fehlentwicklung in falschen Branchen und falschen Regionen.
Ich will noch eine Bemerkung zu den Gesamtkosten machen. Wenn die steuerfreie Rücklage auch beim einzelnen Ausbildungsbetrieb wenig auslöst und der Subventionierungseffekt gering ist, so entstehen für den Steuerzahler doch hohe Kosten. Die Opposition rechnet, ohne die Zahlen im einzelnen nachprüfbar offenzulegen, mit 1,3 Milliarden DM und mit 750 Millionen DM in den folgenden drei oder vier Jahren. Das Geld würde zwar durch Nachversteuerung in späteren Jahren bei der Auflösung der Rücklage wieder hereinkommen, aber wohl um den Preis der Vernichtung der Ausbildungsplätze, die damit gerade geschaffen werden sollten. Dieses Gesetz ist also nicht nur teuer, sondern auch nicht gut. Wenn es gut und teuer wäre, könnte man darüber reden; aber da es nicht gut ist, kann man ihm nicht zustimmen.
Ich meine, wir sollten — wir werden dies tun — bei unserem Gesetzentwurf bleiben, bei dem System der Umlagefinanzierung. Dieses Konzept ist gerechter, es ist vernünftiger, es ist gezielter, es hilft, es schafft tatsächlich zusätzliche Ausbildungsplätze, und genau darauf kommt es an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westphal, lassen Sie mich zunächst noch ein Wort zur Jugendarbeitslosigkeit sagen. Sie wissen so gut wie ich, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Januar 1975 hier ein Dringlichkeitsprogramm zur Minderung der Jugendarbeitslosigkeit und des Ausbildungsplatzmangels vorgelegt hat. Es kann einfach niemand daran vorbei, daß die Koalition dieses Dringlichkeitsprogramm über ein Jahr lang in allen parlamentarischen Beratungen bekämpft hat. Ich möchte hier einfach noch einmal darauf hinweisen, daß der Parlamentarische Staatssekretär Buschfort am 23. April 1975 vor dem Wirtschaftsausschuß erklärt hat, daß konkrete Maßnahmen für die Einrichtung eines Dringlichkeitsprogramms zur Überwindung des Lehrstellenmangels und zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit nicht notwendig seien,
und daß Herr Staatssekretär Buschfort ausdrücklichdarum gebeten hat, von einem Sonderprogramm
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17534 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
PfeiferAbstand zu nehmen. Herr Westphal, das ist der Skandal, den wir meinen, wenn wir von einem Skandal sprechen.
Tatsache ist auch, daß die Bundesregierung sich erst ein Jahr später, nämlich im Januar 1976, bereit erklärt hat, ein solches Dringlichkeitsprogramm vorzulegen. Das war für die jungen Menschen in diesem Land, die Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze wollen, genau ein Jahr zu spät.
Nun möchte ich mich aber der Frage zuwenden, die Herr Westphal zum Schluß aufgeworfen hat, nämlich ob die vorliegenden Gesetzentwürfe tatsächlich etwas dazu beitragen, um das Ausbildungsplatzangebot zu vergrößern. Herr Engholm hat dazu einige Zahlenbeispiele vorgerechnet, die rein theoretisch waren. Ich habe mir einige Zahlenbeispiele von Betrieben, die ausbilden, beschafft. Ich nenne drei Beispiele.Erstens das Beispiel Daimler-Benz. Daimler-Benz bildet derzeit ca. 5 100 Lehrlinge aus. Der dafür vorgesehene Berufsbildungsetat beträgt bei Daimler-Benz 67,5 Millionen DM. Jeder würde doch annehmen, daß ein Gesetzentwurf, der wie der der Koalitionsfraktionen die Überschrift „Ausbildungsförderungsgesetz" hat, es ermöglicht, daß Daimler-Benz für diesen Zweck finanzielle Hilfen erhält. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn der Gesetzentwurf der Koalition Gesetz würde, müßte Daimler-Benz zunächst einmal eine Ausbildungsabgabe von 11 Millionen DM bezahlen. Was Daimler-Benz bekäme, ist völlig offen. Denn die Koalition regelt bezeichnenderweise nur die Ausbildungsabgabe genau, die Förderung nicht. Die wird auf einen späteren Zeitpunkt vertagt.
Was Daimler-Benz bekäme, weiß kein Mensch. Sicher ist nur, daß Daimler-Benz nur etwas bekommt — so steht es jedenfalls in Ihrem § 2 —, wenn zusätzliche Ausbildungsplätze angeboten werden.
— Ja, ich weiß, die Ziffer 3; ich komme noch darauf zurück.Aber jetzt frage ich Sie einmal: wie soll eigentlich ein Betrieb, der sich bereits mit 67,5 Millionen in der Ausbildung engagiert hat, jetzt noch einmal 11 Millionen Ausbildungsabgabe zusätzlich bezahlen und sich außerdem noch in zusätzlichen Arbeitsplätzen engagieren?
Anders gefragt, meine Damen und Herren von der Koalition: wie wollen Sie eigentlich verhindern, daß ein Unternehmen wie Daimler-Benz diese 11 Millionen Ausbildungsabgabe aus dem Berufsbildungsetat herausnimmt und damit eben 1 300 Ausbildungsplätze — so viel entsprechen diesem Betrag — abgebaut werden? Diese abgebauten Ausbildungsplätze wollen Sie mit Ihrem Fonds dann mühsam neu errichten! Was ist denn das für ein Konzept, zunächst ein Gesetz mit der Tendenz zu machen, Ausbildungsplätze abzubauen, um sie hinterher wieder errichten zu können?
Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel. Mit einem Berufsbildungsetat von ca. 156 Millionen DM hat Siemens im Jahre 1975 11 400 Lehrlinge ausgebildet. Träten die von SPD und FDP vorgelegten Gesetzentwürfe in Kraft, müßte Siemens eine Berufsbildungsabgabe von 14 Millionen DM pro Jahr zahlen. Das sind die Kosten für wiederum ca. 1 300 Ausbildungsplätze bei diesem Unternehmen. Auch Siemens würde aus dem Topf, in den es seine Berufsbildungsabgabe zu zahlen hat, kaum etwas erhalten.Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, auch hier muß ich fragen: wie wollen Sie eigentlich verhindern, daß Siemens seine Berufsbildungsabgabe aus dem Berufsbildungsetat des Unternehmens entnimmt und dafür das Ausbildungsplatzangebot eben zunächst einmal um diese 1 300 Ausbildungsplätze verringert? Es wäre doch vernünftiger, durch steuerliche Hilfen dazu beizutragen, daß sich der Berufsbildungsetat bei Daimler-Benz und Siemens erhöht, damit neue Ausbildungsplätze geschaffen werden — genau das, was wir wollen.
Ich nenne Ihnen ein drittes Beispiel: einen Kfz-Betrieb im Rheinland mit 282 Beschäftigten und 40 Lehrlingen und mit einer Bruttolohnsumme von ca. 8,5 Millionen DM, einen Mittelbetrieb also. Diesen Betrieb wollen SPD und FDP jetzt noch mit einer Berufsbildungsabgabe von ca. 20 000 DM belasten. Daß dies einen sofortigen Rückgang der Lehrstellen in diesem Betrieb zur Folge haben wird, darüber sind Sie sich doch wohl im klaren.
Auch hier meine ich: besser wäre doch, wenn man diesem Betrieb durch steuerliche Hilfen erlaubte, sich noch mehr in der Ausbildung zu engagieren und zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten.
Die drei Beispiele zeigen: durch die Gesetzentwürfe von SPD und FDP werden viele Betriebe, die bisher trotz Rezession, trotz jahrelanger Verunsicherung durch die Berufsbildungspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung, trotz jahrelanger Diffamierung der betrieblichen Ausbildung als Ausbeutung unverdrossen weiter ausgebildet haben, mit einer Ausbildungsabgabe bestraft. Die Folge davon wird sein, daß Ausbildungsplätze, die wir derzeit noch haben, gefährdet und teilweise sicher auch vernichtet werden.
Die Gesetzentwürfe der Koalition tragen zwar die Überschrift „Ausbildungsplatzförderungsgesetz" ;
die Beispiele zeigen aber, meine Damen und Herren,richtiger wäre eine Überschrift „Gesetz zur Verminderung des Angebots an Ausbildungsplätzen in der
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PfeiferBerufsbildung" oder kurz „Gesetz zur Förderung der Jugendarbeitslosigkeit".
Meine Damen und Herren, die Beispiele sind keine Einzelfälle. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, daß etwa 10 % aller Unternehmen unter die Abgabepflicht fallen. Auf diese Unternehmen verteilen sich allerdings ca. 77 % aller Arbeitnehmer und 80 % der Lohn- und Gehaltssumme. Diese Betriebe sind also diejenigen, die heute schon in erheblichem Umfange ausbilden. Was aber heißt das? Das bedeutet, daß im Falle des Inkrafttretens der Gesetzentwürfe von SPD und FDP ein Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben entgegen dem, was Frau Schuchardt und Herr Engholm hier sagen, überhaupt nicht stattfindet. Ein Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben findet überhaupt nicht statt! Die Umlage wird vielmehr über die Berufsbildungsabgabe in erster Linie von den Betrieben zusätzlich gezahlt, die schon bisher ausgebildet haben.
Das heißt, statt Lastenausgleich zwischen nichtausbildenden und ausbildenden Betrieben erreichen die Gesetzentwürfe der Koalition nichts anderes als eine Lastenkonzentration auf die ausbildenden Betriebe,
und zwar genau auf die Betriebe, von denen dann gleichzeitig noch ein Mehr an Ausbildungsleistung erwartet wird.Nun hat der Bundeswirtschaftsminister im Spätjahr 1974 genau wegen dieser Lastenkonzentration einen Brief an den Minister Rohde geschrieben, in dem es heißt:Angesichts der labilen Situation der Wirtschaft und der Notwendigkeit, das binnenwirtschaftliche Investitionsklima und die Fähigkeit zur strukturellen Umstellung zu verbessern, muß im gegenwärtigen überschaubaren Zeitraum jede weitere Belastung und Verunsicherung der Wirtschaft vermieden werden.
Meine Damen und Herren, dies ist richtig. Meine Frage ist aber: Warum stimmt dann der Bundeswirtschaftsminister jetzt der geschilderten Lastenkonzentration auf die Ausbildungsbetriebe zu?
Warum stimmt die FDP dem zu? Warum verhindert die FDP, wie ich glaube, vielfach wider bessere Einsicht das, was Herr Friderichs hier in der dritten Lesung des Berufsbildungsgesetzes im Bundestag selbst als das richtige Modell angedeutet hat, nämlich nicht Lastenkonzentration, sondern finanzielle Entlastung für ausbildende Betriebe?
Dieses ganze Verhalten der FDP ist doch ein Musterbeispiel dafür, daß in dieser Koalition die FDP letztlich immer selbst dort von der SPD untergebügelt wird, wo ihre Argumente richtig und zutreffend sind.
Von sogenannter eigenständiger liberaler Politik sehe ich bei der FDP in der Berufsbildung jedenfalls seit langem überhaupt nichts mehr.Meine Damen und Herren, FDP und SPD behaupten, mit den aus der Berufsbildungsabgabe zusammenkommenden Finanzmitteln könne die Errichtung zusätzlicher Ausbildungsplätze gefördert werden. Auch dazu zwei Bemerkungen.Erstens. Tatsache ist, daß auch durch diese beabsichtigte vorrangige Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze wiederum die Betriebe bestraft werden, die bisher kontinuierlich ausgebildet haben und die deshalb, zumal wenn sie jetzt zu den eigenen Ausbildungskosten auch noch die Ausbildungsabgabe zahlen sollen, ihre Ausbildungskapazitäten gar nicht erhöhen können. Das aber heißt doch in der Konsequenz, SPD und FDP befürworten ein Finanzierungssystem, in welchem die Betriebe, die bisher ausgebildet haben, künftig eine Ausbildungsabgabe zu zahlen haben, aus welcher die Betriebe etwas erhalten sollen, die bisher noch nicht oder nicht ausreichende Ausbildungskapazitäten angeboten haben. SPD und FDP wollen also ein Finanzierungssystem, in welchem die Betriebe, die bisher ausgebildet haben und deshalb ihr Ausbildungsplatzangebot nicht ausweiten können, sich nun auch noch an der Finanzierung von neuen Ausbildungsplätzen in den Betrieben beteiligen sollen, die sich bisher der Ausbildung verweigert haben oder nicht in ausreichendem Maße ihrer Ausbildungsverpflichtungen nachgekommen sind.
Meine Damen und und Herren, das ist noch nichts anderes als die Fortsetzung der Diskriminierung ausbildender Betriebe, die sich doch seit langem wie ein roter Faden durch die gesamte Berufsbildungspolitik dieser Koalition hindurchzieht.
Dies ist eine Diskriminierung ausbildender Betriebe gegenüber den Betrieben, die bisher nicht ausgebildet haben. Dies wird mit Sicherheit zu einem Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes in den bisher ausbildenden Betrieben führen. Nach meiner Überzeugung wird dieser Rückgang ein Ausmaß erreichen, das durch neue Ausbildungsplätze nicht ausgeglichen werden kann, ganz abgesehen davon, daß es einfach unsinnig ist, ein Finanzierungsmodell zu beschließen, das zunächst einmal eine Tendenz zum Abbau von Ausbildungsplätzen herbeiführt, um dann mühsam die verlorenen Ausbildungsplätze neu einzurichten.
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PfeiferZweitens. Warum wollen SPD und FDP dieses Finanzierungssystem dennoch? Es ist ihnen ja bekannt, daß es diese Auswirkungen hat. Meine Überzeugung ist, der Koalition geht es mit diesem Gesetz überhaupt nicht um einen Lastenausgleich und schon gar nicht um die Schaffung von mehr betrieblichen Ausbildungsplätzen im Interesse der Jugendlichen. Meine Überzeugung ist, der Koalition geht es in Wahrheit um die Institution eines Fonds als Eingriffs- und Steuerungsinstrument in der Hand des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Meine Überzeugung ist, der Koalition geht es in Wahrheit, wie in § 2 Abs. 1 Nr. 3 ihres Gesetzentwurfs ausgeführt ist, um eine Finanzierungsgrundlage für über- und außerbetriebliche Ausbildungsstätten, um damit betriebliche Ausbildung, die durch dieses Gesetz abgebaut wird, allmählich durch über- und außerbetriebliche Ausbildungsstätten ablösen zu können.
Das ist der Grund, warum Herr Rohde und Herr Engholm diese Finanzierungsregelung immer wieder als Einstieg in ein neues Finanzierungssystem oder als Kern der Reform bezeichnen.Daß ich dies nicht allein so sehe, meine Damen und Herren, dafür gebe ich Ihnen wieder einen Beleg aus dem bereits einmal zitierten Brief von Herrn Friderichs, in dem es heißt:Meine Befürchtungen sind nicht dadurch geringer geworden, daß Sie— Sie, Herr Rohde —mehrfach von einer Beschränkung dieses Fonds auf eine Summe von 1 Milliarde DM und von der Notwendigkeit eines Einstiegs in die Finanzierung der beruflichen Bildung gesprochen haben. Meines Erachtens ist die Besorgnis nicht unbegründet, daß damit nur ein Anfang gemacht und das Finanzierungsvolumen im Laufe der Zeit erheblich ausgedehnt wird.
Genau dies ist auch unsere Besorgnis. Je mehr als Folge dieser Gesetze die betrieblichen Ausbildungsplätze zurückgehen und durch über- oder außerbetriebliche Ausbildungsplätze ersetzt werden sollen, desto größer wird das Finanzvolumen der Fonds im Laufe der Zeit werden. Herr Minister Friderichs hat völlig zutreffend wiedergegeben, was kommen wird, wenn diese Gesetze verabschiedet werden. Nur tut er leider das Gegenteil dessen, was er sagt. Viele in diesem Land, vor allem diejenigen, die in der Ausbildung stehen, fragen sich deshalb nicht zu Unrecht, welchen Wert eigentlich ein Minister hat, der in seinen Reden manchmal durchaus eindrucksvoll und zutreffend argumentiert, dann aber letztlich doch immer wieder den Weg mit den Sozialisten marschiert, den er vorher als falsch und bedenklich bezeichnet hat.
Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister hat hier am 9. April 1976 — so hat es jeder verstanden — ein Finanzierungsmodell angekündigt, dem auch wir im Prinzip zustimmen könnten. Herr Kollege Westphal, lesen Sie das Vorblatt zu unserem Gesetzentwurf, dann wissen Sie, daß wir auch das Finanzierungsmodell von Herrn Friderichs hier noch zur Abstimmung stellen werden, damit sich die FDP nicht darum herumdrücken kann, auch in dieser Situation Farbe zu bekennen.
Das Konzept von Herrn Friderichs ist ein realisierbares Konzept. Meine Frage an die FDP ist: Warum realisieren Sie hier nicht ein Stück dessen, was Herr Friderichs als eigenständige liberale Politik bezeichnet hat, obwohl Sie dies könnten? Warum realisieren Sie nicht, was Ihr eigener Minister versprochen hat und was auch Mitglieder Ihrer Fraktion in Aussicht gestellt haben?
Vor mir liegt die „Handwerks- und Gewerbezeitung" vom 6. Mai mit einem Bericht über ein Gespräch, das Herr Mischnick, Frau Funcke, Herr Hoppe, Herr Grüner und andere Mitglieder der FDP mit Herrn Schnitker und Herrn Dr. Kühler geführt haben. Dort heißt es wörtlich:Im Laufe des mehrere Stunden dauernden Gesprächs konnten Handwerkspräsident Schnitker und Generalsekretär Dr. Kübler mit den Gästen ausführlich und im wesentlichen einvernehmlich die aktuellen Fragen der Berufsausbildungsreform und des Jugendarbeitschutzes besprechen.Wer hier liest, die Probleme der Berufsbildungsreform seien Anfang Mai im wesentlichen einvernehmlich mit der FDP besprochen worden, und wer die Position von Herrn Schnitker kennt und weiß, wie sehr positiv sich Herr Schnitker in aller Öffentlichkeit zu dem Modell von Herrn Friderichs bekannt hat, der kommt nicht daran vorbei, daß die FDP noch Anfang Mai gegenüber dem Handwerk etwas ganz anderes in Aussicht stellte als diesen Gesetzentwurf. Es tut mir leid. Für mich steht fest: Die FDP und ihr Minister sind in der Berufsbildungspolitik schlicht und einfach umgefallen.
Sie haben die Solidarität im Regierungsblock dein Weg der Vernunft vorgezogen.
Herr Friderichs hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 23. Mai 1976 zur Position der FDP formuliert:Ich persönlich bin der Meinung, wir sollten unsere Sachposition klar formulieren, dann aberden Versuch machen, diese zusammen mit Hel-
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Pfeifermut Schmidt und dem jetzigen Koalitionspartner durchzusetzen.Dies ist auf die nächste Legislaturperiode gemünzt gewesen. Tatsache ist: Die FDP und Herr Friderichs formulieren zwar ihre Position, verzichten dann aber auf deren Durchsetzung und gehen lieber einen Weg, bei dem sich in der Koalition letztlich der Koalitionspartner, also die SPD, durchsetzt, als daß sie einmal den Weg der Vernunft gehen.Herr Friderichs hat dann in einem Interview mit dem Deutschlandfunk auch begründet, warum er umgefallen ist. Er hat dazu etwas gesagt, was mir kaum glaubhaft ist:Meine Phantasie hat nicht ausgereicht, den Finanzierungsteil des Gesetzes jetzt in zwei Gesetze zerlegt noch einmal in den Gesetzgebungsgang einzubeziehen.
Ich möchte abschließend folgendes sagen. Eine nüchterne Analyse der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe ergibt: Im Augenblick ist den Betrieben am wirkungsvollsten, am unbürokratischsten und am schnellsten dadurch zu helfen, daß man den Weg steuerlicher Entlastungen geht. Der Weg der Koalition ist falsch. Wir werden deshalb in den kommenden Ausschußberatungen mit allem Nachdruck für unseren Gesetzentwurf eintreten, und wir werden ebenso mit allem Nachdruck den Gesetzentwurf der Koalition ablehnen, weil wir nicht haben wollen, daß dem Numerus clausus für Gymnasiasten, Abiturienten und an Stellen für die Absolventen eines akademischen Studiums, diesen Numerus clausus, den diese Regierung politisch zu verantworten hat, nun auch noch ein Numerus clausus in den Ausbildungsplätzen folgt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Bundesminister Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst mit dem rhetorischen Spuk über die Ausbildereignungsverordnung aufräumen, der durch viele Debatten über die Berufsbildung in den letzten Jahren gegeistert ist. Herr Professor Carstens, Sie haben schon vor zweieinhalb Jahren die Handwerksmeister mit dem Hinweis zu verunsichern versucht, sie müßten alle nochmals eine Prüfung machen, um in Zukunft ausbilden zu können.
Das ist Unfug, wie Sie inzwischen selber wissen.
Im übrigen ist die Ausbildereignungsverordnung 1974 in Übereinstimmung mit allen Beteiligten neu gefaßt worden. Sie wird nach diesen anerkannten
Regeln heute angewandt. Die Prüfungen und die Angebote für die Ausbildung der Ausbilder laufen und werden vorn Bundesbildungsministerium finanziell gefördert. Alle Diskussionen mit den Ausbildern zeigen, daß sie darin ein wesentliches Angebot zur Festigung ihrer sozialen Position als Ausbilder in den Betrieben und als Hilfe für ihre täglichen Pflichten in der beruflichen Bildung sehen.
Herr Kollege Carstens und andere, wir sollten diese Propagandaklamotte endlich beiseite legen. Dann werden unter diesem wie unter anderen Gesichtspunkten die Diskussionen über die berufliche Bildung leichter. Wir sollten mehr ausgleichen als aufheizen. Dann würden wir weniger Verunsicherung im Gesamtbereich der Berufsbildungsdiskussion in unserem Land erfahren.
Der zweite Punkt sind die überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Hier ist der Eindruck erweckt worden, als handle es sich beim Bau überbetrieblicher Ausbildungsstätten um einen besonders „infamen Anschlag" auf das System der beruflichen Bildung. Herr Probst hat das angedeutet, und auch bei Herrn Pfeifer klang das durch.
Wie ist die tatsächliche Lage? Von den rund 1,4 Millionen Jugendlichen, die heute beruflich ausgebildet werden, befinden sich 700 000 in Kleinbetrieben mit bis zu 50 Beschäftigten in der Ausbildung, davon wiederum 400 000 in Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten. Die Handwerksmeister, die Inhaber dieser Kleinbetriebe, sagen mir, daß sie vielfach nicht in der Lage sind, alle Ausbildungsinhalte allein erbringen zu können. Das hängt auch mit der starken Spezialisierung zusammen, zu der viele Kleinbetriebe unter dem Wettbewerbsdruck des Marktes gezwungen worden sind.
Praktisch sieht das so aus, daß sich eine Reihe von Bau- und Möbeltischlereien der sechziger Jahre heute beispielsweise auf den Bau von Fenstern, Türen und ähnlichem spezialisiert haben.
Nun wollen diese Betriebe die Ausbildung nicht aufgeben, und ich füge hinzu: wir wollen sie auch nicht aus der Ausbildung verlieren, weil allemal in den wirtschaftlich schwachen Regionen Kleinbetriebe vielfach das einzige praxisbezogene Ausbildungsangebot darstellen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst?
Herr Kollege Probst, ich überlasse Ihnen gern gleich das Wort, aber ich möchte zuerst gern diesen Gedankengang zu Ende führen. — Nun ist doch die praktische Frage: Wie hilft man diesen von mir genannten Betrieben, die Ausbildungsanforde-
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Bundesminister Rohderungen zu erfüllen und für die Zukunft ausbildungsfähig zu bleiben?
— Genau, Herr Kollege Stücklen. Darum verstehe ich nicht die immer düsterer werdenden Andeutungen. Wir geben ergänzende finanzielle Hilfen für den Bau überbetrieblicher Ausbildungsstätten.
In einem Jahr, meine Damen und Herren, habe ich mehr für den Bau überbetrieblicher Ausbildungsstätten zur Verfügung gestellt — mit Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bundestages —, als in all den Jahren ausgegeben wurde, als die CDU/ CSU an der Regierung war.
Das ist der Tatbestand. Allein in den letzten eineinhalb Jahren haben wir 200 Millionen DM für den Bau neuer Stätten bewilligt. Weitere 450 Millionen DM wollen wir mittelfristig dafür ausgeben. Das bedeutet, daß wir am Ende dieses Jahrzehnts als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung in Klein-und Mittelbetrieben eine tragfähige, die Ausbildungsqualität stabilisierende Infrastruktur an überbetrieblichen Ausbildungsstätten haben werden — ein großer Fortschritt gegenüber den sechziger Jahren, vor allem auch für die breiten Landgebiete.Nun die Frage: Wem helfen wir eigentlich mit diesen Mitteln? Hier ist der Eindruck erweckt worden, als handele es sich dabei um Staatsinstitutionen, mit denen man die betriebliche Ausbildung aushöhlen wolle. Das ist völlig falsch. Wir arbeiten mit den Handwerkskammern, den Industrie- und Handelskammern,
auch mit gemeinschaftlichen Trägern von Kammern, Gewerkschaften und Städten zusammen, um die überbetrieblichen Ausbildungsstätten in einer auch für die Zukunft sicheren Trägerschaft zu etablieren. Es vergeht jetzt kaum eine Woche, in der in diesem Staate nicht entweder ein Grundstein gelegt wird, eine Bewilligung ausgesprochen wird oder eine Einweihung für eine überbetriebliche Ausbildungsstätte stattfindet. Legen Sie Ihre Propagandaklamotte endlich einmal zur Seite und erkennen Sie an, daß die Bundesregierung mit diesem 650-Millionen-Programm eine große Hilfe für die Stabilisierung der Ausbildung in den Klein- und Mittelbetrieben leistet,
vor allem auch in den wirtschaftlich schwachen Regionen!Wie wäre es denn, wenn wir heute nicht — um hier mein Heimatland Niedersachsen anzusprechen — in Lüneburg, in Osnabrück, in Hildesheim, in Hannover, in Brake, in Aurich und an anderen Stellen jene Stätten hätten, die im Grunde genommen für die Klein- und Mittelbetriebe dieselbe Funktion erfüllen, die für die Großbetriebe die Lehrwerkstätten wahrnehmen?Dritter Punkt: Leistungen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und zur Beschleunigung des konjunkturellen Abbaus von Jugendarbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, aus welchen Mitteln hat eigentlich die Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1975 die wachsende Zahl der berufsvorbereitenden Lehrgänge und der anderen Hilfsmaßnahmen für arbeitslose Jugendliche finanziert? Doch wohl weithin aus den 6 bis 7 Milliarden DM, die die Bundesregierung der Bundesanstalt im vergangenen Jahr überwiesen hat.
Hinzu kommt das Sonderprogramm, das wir beschlossen haben. Und mit den Mobilitätszulagen nach den Konjunkturprogrammen sind doch auch Ausbildungszwecke gefördert worden! Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat mir vor einigen Tagen versichert, daß sich der Abbau von Jugendarbeitslosigkeit noch schneller vollzieht als der Abbau der allgemeinen Arbeitslosigkeit. Auch darin wird neben konjunkturellen Faktoren doch wohl die Wirksamkeit dieser Mittel deutlich.Vierter Punkt: Finanzierung der beruflichen Bildung. Herr Pfeifer, in der letzten Debatte über eben diesen Punkt, bei der zweiten und dritten Lesung des Berufsbildungsgesetzes, haben Sie das Pferd völlig anders aufgezäumt, als das heute der Fall war. Damals haben Sie unter dem Beifall Ihrer Fraktion gesagt: Dieses Finanzierungsinstrument wirkt so, daß die kleinen Handwerksbetriebe die Finanzierung der Berufsausbildung in den Großbetrieben vornehmen müssen.
Nun haben Sie inzwischen einsehen müssen, daß das Unfug ist. Denn die Freistellung in Höhe von 400 000 DM der Lohn- und Gehaltssumme bedeutet, daß rund 90 % — Herr Engholm hat das deutlich gemacht — der Handwerksbetriebe überhaupt nicht zur Berufsbildungsabgabe herangezogen werden, auf der anderen Seite aber sehr wohl Leistungen erhalten, wenn sie intensiv ausbilden. Das aber ist anerkannterweise in vielen Handwerksbetrieben der Fall.
Gestatten Sie jetzt eine
Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeifer?
Herr Minister Rohde, um darzustellen, daß zwischen meiner Argumentation heute
und der Argumentation bei der dritten Lesung des
Berufsbildungsgesetzes kein Widerspruch besteht,
möchte ich Sie fragen, wie Sie zu folgendem Zitat
stehen, das vom Bundeswirtschaftsminister stammt: Die offenbar vorgesehene Orientierung an der Lohn- und Gehaltssumme ist, wie Sie sicher wissen für die ohnedies durch Sozialabgaben stark belasteten lohnintensiven Betriebe eine zusätzliche Belastung. Da Klein- und Mittelbetriebe häufig lohnintensiver sind als Großbetriebe, würde dies tendenziell darauf hinauslaufen, daß die Großen von den Kleinen subventioniert werden.
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Pfeifer
Genau das ist meine Argumentation in der dritten Lesung gewesen.
Ehe Sie klatschen, Herr Carstens, sollten Sie sich anhören, was ich dazu zu sagen habe.
Der erste Punkt: Das Finanzierungssystem unseres Gesetzentwurfs ist in Zusammenarbeit von Wirtschafts- und Bildungsministerium ausgearbeitet worden.
Zweite Bemerkung: Bei dieser gemeinsamen Ausarbeitung hat die Frage eine Rolle gespielt, wie verhindert werden kann, daß die kleinen Betriebe durch eine solche Abgabe überproportional — nach den möglichen Wirkungen, wie Sie sie hier geschildert haben — belastet würden. Das war der Grund dafür, daß die Freistellung bis zu einer Lohn- und Gehaltssumme von 400 000 DM für alle Betriebe vorgenommen wurde. Rechnet man diese Summe in die Zahl der Beschäftigten um, bedeutet dies, das Betriebe bis zu 20 Beschäftigten in aller Regel von der Zahlung der Berufsausbildungsabgabe freigestellt sind. Das heißt, genau die Wirkung, die Sie befürchtet haben, tritt infolge dieser Befreiung überhaupt nicht ein.
— Nein, das ist keine schwache, das ist eine durchgreifende Begründung! Wenn der Effekt dieses Gesetzes ist, Herr Carstens, daß, rund gerechnet, 90 O o der Handwerksbetriebe nicht zur Berufsausbildungsabgabe herangezogen werden, ist das kein schwacher, sondern ein starker Effekt.
Nun aber zu einem anderen Punkt.
Gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stücklen?
Nein. Wissen Sie, ich will Ihnen einmal sagen: Diese Debatten hätten ja von den Abgeordneten Ihrer Fraktion auch im zuständigen bildungspolitischen Ausschuß geführt werden können, als wir dort die Finanzierung im einzelnen beraten haben.
— Das ist nicht wahr!Ich möchte jetzt fortfahren, Herr Kollege Stücklen.
— Ja, aus Ihrer Sicht, aus meiner nicht. — Jetzt möchte ich zu dem Einwand von Herrn Pfeifer kommen, der heute im Gegensatz zu seiner Argumentation in der dritten Lesung vor einigen Wochen völlig umgekehrt ausfällt, daß nämlich die Großbetriebe — —
— Nun lassen Sie mich doch einmal reden! Wir unterbrechen Sie doch auch nicht dauernd.
Der Herr Kollege Pfeifer meinte heute also, daß nämlich umgekehrt in erster Linie die Großbetriebe von dieser Berufsausbildungsabgabe betroffen würden. Sie haben dazu drei Beispiele genannt. Für ein Beispiel habe ich die Rechnung hier vorliegen; es ist genau jene Rechnung, die der Kollege Engholm in seiner Anfangsbegründung beispielhaft für einen Großbetrieb aufgemacht hat. Es ist dies die Rechnung der Firma Siemens, bei der — wir werden Ihnen das im Ausschuß an Hand der einzelnen Abrechnungszahlen noch deutlicher machen können als hier — unter dem Strich herauskommt, daß es für einen so ausbildungsintensiven Großbetrieb keine Belastung geben wird.Allerdings muß ich hier freimütig hinzufügen, daß die Ausbildungsintensität in den einzelnen Betrieben außerordentlich unterschiedlich ist. Siemens kann hier nicht als ein generelles Beispiel für Ausbildungsbetriebe im industriellen Bereich genommen werden. Der Umfang der betrieblichen Nachwuchsausbildung schwankt zwischen den einzelnen Industriezweigen beträchtlich. Besonders krasse Unterschiede bestehen im Bereich der gewerblichen Ausbildung. Hier reicht die Spanne der Ausbildungsintensität von rund 1 990 Auszubildenden pro 10 000 Facharbeiter in der elektrotechnischen Industrie— wozu also auch Siemens gehört — bis hin zu 50 Auszubildenden pro 10 000 Facharbeiter — also nicht Ungelernte — beispielsweise in der tabakverarbeitenden Industrie, aber auch in anderen industriellen Bereichen.In den meisten Industriezweigen wurde seit 1962 die Ausbildungsintensität sowohl für Facharbeitertätigkeiten als auch für Angestelltentätigkeiten reduziert. Nun hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, dessen Untersuchungen ich diese Zahlen entnehme, auch die Frage untersucht, in welchen Wirtschaftsbereichen am intensivsten ausgebildet wird. Im Handwerk wird fast die Hälfte aller männlichen Erwerbspersonen ausgebildet — 48 % —; aber nur 19 % aller Männer mit abgeschlossener Berufsausbildung werden im Handwerk beschäftigt. Die Industrie und die Dienstleistungsbereiche bilden dagegen auffallend weniger Fachkräfte aus, als sie beschäftigen. 45 % der ausgebildeten männlichen Erwerbspersonen werden in der Industrie beschäftigt. Der Anteil der Industrie an den Ausbildungsverhältnissen beläuft sich dagegen nur auf 30 %.Auch diese nüchternen Zahlen zeigen Ihnen die innere Logik unseres Finanzierungssystems, das die Mittel dort hinlenken soll, wo sich Ausbildungsintensität und -kapazität konzentrieren. Es soll ein System auf den Weg gebracht werden, das, um dieses Wort noch einmal aufzugreifen, die „Trittbrettfahrer", die seit Jahren keine oder nur ganz wenige
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Bundesminister RohdeMittel für die berufliche Bildung ausgeben, zu demGesamtsystem der beruflichen Bildung heranzieht.Dies ist auch keine reine Erfindung der Koalition. Meine Damen und Herren, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und auch sein Kultusminister haben sich seinerzeit wörtlich dafür ausgesprochen, daß eine Reform der beruflichen Bildung auch ein neues Finanzierungssystem verlange. In seiner Regierungserklärung fügte der rheinland-pfälzische Regierungschef hinzu: In letzter Zeit häufen sich die Klagen qualifizierter Ausbildungsbetriebe über die Abwerbung ausgebildeter Nachwuchskräfte durch Konkurrenzunternehmen; dieses Problem wird sich mit steigenden Kosten der Ausbildung noch verschärfen. — Ich stimme ihm völlig zu. Wir haben uns von dieser Einsicht nicht distanziert, von der ganz offensichtlich auch die Politik des rheinland-pfälzischen Regierungschefs vor einigen Jahren getragen worden ist. Darüber hinaus haben wir Ihren Parteitagsentschließungen und Fachkongressen eine Reihe anderer Inhalte — zur Kontrolle der Ausbildung, zur Ausbildungsqualität — entnommen und sie inhaltlich, gedanklich in unser Konzept für die Reform der beruflichen Bildung mit eingefügt. Was allerdings von manchen nicht vorhergesehen wurde, war dies: daß Sie sich von Ihrer eigenen Grundkonzeption der Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung und der ausgleichenden Finanzierung zur besseren Sicherung des Ausbildungsplätzeangebots entfernen würden.Meine Damen und Herren, Sie haben dann noch verlangt, daß wir uns als Koalition dieser Kapitulation anschließen sollten. Sie haben doch von uns in den Ausschußberatungen und im Bundesrat niemals den Kompromiß, Sie haben dauernd nur die Kapitulation gefordert: alles sollte aufgegeben werden,
selbst das, was Sie vor Jahren noch als Inhalteder Berufsbildungspolitik für richtig gehalten haben.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeifer?
Nein, Herr Kollege Pfeifer, ich will jetzt zum Ende kommen.
Sie können sich hier noch einmal zu Wort melden, wenn Sie das für notwendig halten.Soweit es die Finanzierung angeht, tragen wir mit unserem Vorschlag dem Charakter des dualen Systems Rechnung. Denn die Hunderttausende von Jugendlichen, die in den nächsten Jahren mehr Ausbildungsplätze als in der Vergangenheit erwarten und nach mehr Ausbildungsplätzen fragen, stehen ja nicht nur vor den Türen der Betriebe, sie stehen auch vor den Türen der Berufsschule. Wie war denn die Debatte vor zweieinhalb Jahren, als auch die Wirtschaft sagte, das schwächste Glied der Berufsbildung sei die Berufsschule und hier müsse mehr investiert werden? Mehr als zehntausend Lehrer, Berufsschullehrer, fehlten, das Berufsgrundbildungsjahr komme nicht richtig voran, so die Klage vom Handwerk und vorn Industrie- und Hand elstag.Was geschieht nun aber, wenn durch Ihren Vorschlag Steuerausfälle in Milliardenhöhe, und zwar zugunsten eines Gießkannenprinzips, mit gar nicht ersichtlichen Wirkungen herbeigeführt würden? Die Steuerrückstellung für bestehende Ausbildungsplätze, Herr Kollege Pfeifer, würde für bestehende Plätze in ihrer Auswirkung 5,80 DM pro Monat betragen? Was würde denn, wenn Milliarden DM Steuerausfälle einträten, Herr Kollege Pfeifer,
— Nun lassen Sie mich einmal ausreden. — Dann fragt sich doch, wie denn eigentlich die Leistungen für die —
— Nein, Herr Kollege Pfeifer, Sie können hier nicht jeden Satz dreimal durch Zwischenfragen unterbrechen wollen. Nun lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen.Ich will hier noch einmal sagen: Wenn durch Ihre Vorschläge Steuerausfälle in Milliardenhöhe mit völlig ungewissen, ja, sachlich nicht erkennbaren Wirkungen eintreten, wie wollen Sie dann die Mittel aufbringen, die in den nächsten Jahren für den Ausbau der Berufsschulen, für die Verwirklichung des Stufenplans der Bund-Länder-Kommission für das berufliche Schulwesen erforderlich sind? Den Schwerpunkt bildet nach meiner Meinung dabei der Ausbau des Berufsgrundbildungsjahres, und zwar sowohl in schulischer Form als, wie ich hinzufügen würde, auch in Zusammenarbeit zwischen Schule und Betrieb. Ich halte das Berufsgrundbildungsjahr für ein realistisches Etappenziel. Wenn es durch gemeinsame Anstrengung von Staat und Wirtschaft verwirklicht würde, bedeutete dies, daß kein Jugendlicher im Alter zwischen 15 und 16 Jahren mehr ohne berufliche Grundbildung bliebe, so daß er schon gar nicht in diesem Alter arbeitslos werden könnte. Das ist ein großes Ziel.Deshalb, meine Damen und Herren, machen wir unser Finanzierungsangebot auch gegenüber dem Bundesrat. Soweit es das Angebot von Ausbildungsplätzen in der Wirtschaft angeht, soll nach unserem Konzept eine ausgleichende Finanzierung vorgenommen werden. Gleichzeitig sollen, meine Herren vom Bundesrat, durch eine gemeinschaftliche Anstrengung von Ländern und Bund mehr Mittel für den Ausbau von Berufsbildungszentren, Vollzeitschulen, überbetrieblichen Ausbildungsstätten und ähnlichem zur Verfügung gestellt werden.Daß der Bund damit Ernst macht, sehen Sie an dem Etat dieses Jahres. Dort werden mittelfristig
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Bundesminister Rohdeausgewiesen: für überbetriebliche Ausbildungsstätten 450 Millionen DM und zusätzliche Mittel für die Verwirklichung des Stufenplans der beruflichen Bildung in Höhe von 400 Millionen DM. Auf diesen beiden Gleisen zu fahren, nämlich die Wirtschaft im Rahmen ihrer Verantwortung für das Ausbildungsplatzangebot verstärkte Anstrengungen machen zu lassen und gleichzeitig den Staat zu verstärkten Anstrengungen zum Ausbau des beruflichen Schulwesens aufzufordern, ist eine sinnvolle und für die Zukunft ertragreiche Politik.Eine letzte Bemerkung zu Herrn Kollegen Maier, der hier seinen Diskussionsbeitrag abgegeben hat und sich dann wieder aus der Debatte des Bundestages entfernt hat.
— Ja, sicher ist das so. Ich hätte diese Bemerkung ohne die Erfahrungen in den letzten Jahren nicht gemacht.
Herr Bundesminister, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß sich Herr Staatsminister Maier bei mir entschuldigt hat, da er ab halb eins an einer Konferenz der Ministerpräsidenten teilzunehmen hat.
Gut, ich nehme diese Entschuldigung hin. Das ändert aber nichts an der Sache, um die es sich hier dreht.
Herr Kollege Maier hat der Koalition vorgeworfen, sie habe für die Organisation der beruflichen Bildung einen Vorschlag gemacht, der diese Institution der politischen und parlamentarischen Kontrolle entziehe. Damit stellt er den Sachverhalt völlig auf den Kopf. Der Tatbestand ist, daß durch Gesetz ein Bundesinstitut für berufliche Bildung begründet werden soll, das seiner Rechtskonstruktion und seiner Aufgabengestaltung nach natürlicherweise der parlamentarischen Kontrolle und Einwirkung unterliegt. Daran ist kein Zweifel.
Auf der anderen Seite geht der Vorschlag der CDU/CSU dahin, eine solche zentrale Stelle nicht durch Gesetz, sondern durch Verwaltungsvereinbarung von Bund und Ländern zu schaffen, also in jenem diffusen Zwischenstock zwischen Bund und Ländern anzusiedeln, in dem sich heute schon eine Reihe von Bildungsinstitutionen befinden, beispielsweise die Numerus-clausus-Stelle für die Hochschulzulassung. Die Erfahrung, die wir mit dieser Numerus-clausus-Reglementierung für die Hochschulzulassung gewonnen haben, können wir nicht auf die berufliche Bildung übertragen.
Hinzu kommt, daß ein Verwaltungsabkommen von jedem Partner jederzeit kündbar ist und damit auf unsicherem Boden steht. Was Verwaltungsabkommen bedeuten können, haben wir bei der unabhängigen Bildungsberatung gesehen. Zehn Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzler haben gemeinsam ein Abkommen über Bildungsberatung unterschrieben. Bayern hat sich verweigert. Folglich ist das Gesamtsystem nicht in der Lage zu handeln. Wenn wir dieses Prinzip, faktisch das Prinzip des „Sicherheitsrates der Vereinten Nationen",
auf immer weitere Bereiche der Bildungspolitik — vom Numerus clausus bis hin zur Berufsbildung — übertragen, muß man sich die Frage vorlegen, wie es dann um die Handlungsfähigkeit der Bildungspolitik bestellt sein wird.
— Ich komme zum Schluß.
In dieser Grauzone sind die Bürokratien zu Hause. Nach dem Konzept der Opposition sollen die Inhalte der betrieblichen Ausbildung weithin den Kultusbürokratien der Länder überantwortet werden. In dieser Grauzone ist mehr Bürokratie, mehr Reglementierung als dynamische Bildungspolitik zu Hause. Deshalb können wir diesem Konzept nicht zustimmen.
Die von uns nach dem Nein des Bundesrates für diese Legislaturperiode vorgelegten Regelungen beinhalten Kern- und Schwerpunkte der Berufsbildungspolitik. Die Finanzierung ist einer der Schwerpunkte. Ich will aber nicht verhehlen, daß ich auch von der besseren und engeren Zusammenarbeit der die berufliche Bildung tragenden Kräfte, wie sie durch das Bundesinstitut erreicht werden soll — die Fülle der Bürokratien und Gremien soll endlich einmal unter einer Adresse zusammengefaßt werden —, auch einen Abbau jener Konfrontation erwarte, die seit vielen Jahren den Ausbau der Berufsbildung zu einem gleichwertigen und in gleicher Weise respektierten Bestandteil des Bildungssystems behinderte. Dies muß in dieser Legislaturperiode erreicht werden, damit wir unter verbesserten Bedingungen die Probleme lösen können, die sich angesichts der geburtenstarken Jahrgänge sowie der Entwicklung des Bildungs- und Beschäftigungssystems ergeben.
Das Wort hat Herr Landesminister Dr. Vogel, Rheinland-Pfalz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Regelung, daß die Mitglieder des Bundesrates das Recht haben, hier vor diesem Hohen Hause zu sprechen, bei einem Thema sinnvolle Berechtigung zukommt, dann sicher bei dem Thema der Beruflichen Bildung, bei dem die beiden Häuser wie kaum in einem anderen Falle aufeinander angewiesen sind.
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Staatsminister Dr. VogelI Nur wenn wir aufeinander hören und uns um ein Einvernehmen in der Sache bemühen, können wir, wie ich glaube, das anstehende Problem tatsächlich gemeinsam lösen. Ich möchte mir deswegen erlauben, die Tendenzen zur Bundesratsbeschimpfung, die hier vorhin in einigen Ausführungen deutlich wurden, zu überhören
und dies zu sagen: Das Recht des Bundesrates zur Mitwirkung an der Gesetzgebung und die Funktion des Bundesrates als Bundesorgan werden durch solche Töne, wie sie in Ihrem Beitrag, Frau Schuchardt, anklangen, auch dann nicht berührt, wenn Positionen, die nicht die Ihren sind, dort in den letzten Jahren an Zahl und Ausdrucksfähigkeit zugenommen haben.
Ich bedanke mich dafür, hier zu diesem Thema sprechen zu dürfen, um so mehr, als der Bundesrat die Vorlage, die Sie vor ein paar Wochen hier verabschiedet haben, abgelehnt hat, weil er glaubte, daß dieses Gesetz zur Erreichung der gesetzten Ziele nicht hilfreich sei.Ich möchte die Ziele noch einmal nennen. Unsere Ziele sind, erstens die Ausbildungsplätze, soweit sie vorhanden sind, zu sichern, denn sie sind durch politische Aussagen der letzten Jahre gefährdet,
und zweitens neue Ausbildungsplätze hinzuzugewinnen. Wenn es mit dem eben genannten Ziel vereinbar ist, ist es ein weiteres Ziel, die Ausbildungsplätze natürlich auch zu verbessern.Alle, die etwas von der Sache verstehen, haben uns dringend aufgefordert, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu verweigern, wenn wir die erwähnten Ziele verfolgen wollten; denn alle Sachverständigen und vor allem die Betroffenen sind zur Überzeugung gekommen, daß dieses Gesetz die Zahl der Ausbildungsplätze nicht vermehrt, sondern vermindert, und daß es falsche ordnungspolitische Vorstellungen enthält.
Frau Kollegin Schuchardt, das ist die Meinung der Sachverständigen, das ist die Meinung der Ausbilder, aber das ist — so ist in jeder Diskussion mit Schülern zu hören — auch die Meinung der künftigen Lehrlinge, die nicht glauben, daß ihre Umbenennung in „Auszubildende" schon eine Reform sei und eine Vermehrung der Ausbildungsplätze bedeute.
Wir haben dieses Gesetz im Bundesrat gestoppt, weil es sich in seiner Zielsetzung selbst im Wege steht; nicht, weil wir eine Reform verhindern wollen, sondern weil wir die Reform auch in der Zukunft möglich machen wollen.
— Das Thema Arbeitslosigkeit können wir nachher gerne behandeln, Herr Kollege. Nur ist die Schule nicht dazu da, die Arbeitslosgkeit zu bemänteln, die es gegenwärtig gibt. Die kann nur durch wirtschaftspolitische Initiativen beseitigt werden.
Gestatten Sie, Herr Staatsminister, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Immer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Minister Dr. Vogel, wie begründen Sie denn, daß die Jugendarbeitslosigkeit in Rheinland-Pfalz weit höher ist als im Bundesdurchschnitt? Ist das die Verunsicherungskampagne der Landesregierung von Rheinland-Pfalz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Immer, ich wollte auf das Thema Rheinland-Pfalz gleich noch zu sprechen kommen, da Herr Westphal es ja auch angesprochen hat. Gestatten Sie, daß ich dann auf Ihre Frage antworte.Der Standpunkt des Bundesrates zu diesem Berufsbildungsgesetz ist vor einem Jahr klar dargelegt worden. Herr Kollege Rohde, der heute die Abwesenheit von Herrn Maier nach zweieinhalb Stunden zu beklagen scheint, hat es nicht einmal für wert befunden, im Bundesrat anwesend zu sein, als wir die Debatte über unseren Standpunkt führten.
Herr Kollege Rohde, Sie sind dann in diesem Hause erschienen und haben das, was wir dargelegt haben, als — so wörtlich im Bundestagsprotokoll — Episode dargestellt. Verübeln Sie mir nicht die Frage: Will der, der die Mehrheitsverhältnisse in Deutschland kennt und die sachkundige Einlassung der Betroffenen als Episode bezeichnet, wirklich den Ausgleich oder hat er die jetzt entstandene Situation nicht systematisch vorprogrammiert?
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Beim ersten Durchgang des Gesetzentwurfes der Bundesregierung im Bundesrat waren Sie im Bundesrat anwesend.
Als der Gesetzentwurf des Bundesrates behandelt wurde, fanden Sie diese Anwesenheit für nicht angebracht. Ich kritisiere das nicht, nur möchte ich bitten, dann auch nicht Herrn Maier zu kritisieren, wenn er sich nach zweieinhalb Stunden Anwesenheit heute früh in eine andere Sitzung begibt.
Wie ernst es allen Beteiligten in der Frage der beruflichen Bildung ist — ich glaube, das kann man doch sehr sachlich feststellen , zeigt ja wohl, daß nun Koalition und Opposition mit ihren beiden
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17543
Staatsminister Dr. VogelGesetzentwürfen in den letzten Tagen noch einmal die Initiative ergriffen haben. Dabei möchte ich zunächst einmal als bemerkenswert festhalten, daß im Koalitionsentwurf ganz wesentliche ordnungspolitische Teile des früheren Gesetzentwurfes gestrichen worden sind. Hierin sehe ich einen Erfolg des Bundesrates.
In der neuen Vorlage ist nicht mehr vorhanden die unangebrachte Verschärfung und Zersplitterung der beruflichen Erstausbildung, gestrichen worden ist die beabsichtigte Auflösung durch Zersplitterung der beruflichen Erstausbildung; gestrichen worden sind die Verselbständigungstendenzen der überbetrieblichen Ausbildung,
und es ist die ungerechtfertigte Aushöhlung der Selbstverwaltung im neuen Gesetzentwurf nicht mehr aufgenommen.Dafür wird jetzt allerdings versucht, durch das sogenannte „Rumpfgesetz", das manche auch „Schrumpfgesetz" nennen, den Bundesrat zu umgehen. Das heißt, nachdem wir bisher zu beklagen hatten, daß zuwenig Partnerschaft mit Handwerk, Handel, Wirtschaft und Jugendlichen gesucht wird, wird nun die Partnerschaft zwischen Bund und Ländern in dieser neuen Vorlage aufgekündigt. Ich will die Rechtsfrage, ob das geht, hier nicht untersuchen. Eine Reihe von Paragraphen riechen uns sehr stark nach Zustimmungsbedürftigkeit; aber das soll von den Juristen geprüft werden. Bedenklicher als diese Frage, ja, meines Erachtens sogar gefährlich, ist die Tatsache, daß versucht wird, die Partnerschaft, die die Voraussetzung für berufliche Bildung ist, jetzt aufzuheben.
Es ist schlichtweg inkorrekt, wenn man den Partner, der die bei weitem größte Last in den Haushalten für diesen Bereich zu tragen hat, der ein Dutzendfaches an Ausgaben für den Bereich aufzuwenden hat, in dieser Weise zu umgehen versucht.
Diese Umgehung wird vor allem dort problematisch, wo das Umlageverfahren und die Steuerbefreiung auseinandergenommen werden in zwei Gesetze. Frau Kollegin Schuchardt, nach Ihrem Beitrag ist es besonders sinnvoll, die Vertreter der Handwerkskammer zu zitieren, die gestern — es war vorhin schon davon die Rede — den Bundestag aufgefordert haben, sich endlich von Ideologien frei zu machen und pragmatisch die Situation der auszubildenden Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen. Ich erlaube mir dennoch, die Aussage der Vollversammlung des Handwerks zu zitieren, weil mein Pluralismusverständnis ein wenig anders als das Ihre ist
und weil ich nicht dazu übergehen möchte, die Aussage großer gesellschaftlicher Gruppen nach demParteibuch ihres Vorsitzenden zu werten; denn das wäre für die Zukunft sehr schlecht.
Nun komme ich zum Thema der Finanzierung. Ich glaube, in der Gesetzesinitiative der Opposition wird an keinem Punkt die Bereitschaft, eine einvernehmliche Lösung zu finden, deutlicher demonstriert als im Finanzteil dieser Vorlage. Frau Kollegin Schuchardt hat vorhin gefragt: Wie hätten Sie es denn gern? Wir hätten es gern so, wie Herr Kollege Friderichs und Herr Kollege Gaddum es in der Debatte vorgeschlagen haben, und wenn Herr Kollege Friderichs das verwirklichen darf, werden wir es auch so bekommen.
Ich glaube, bei der Finanzierungsfrage kann man wirklich zu Recht sagen: wenn man die Finanzierungsregelung will, besteht kein unüberwindliches Hemmnis, diese Finanzierungsregelung spätestens im Vermittlungsausschuß auch zu finden,
zumal es einfach eine Milchmädchenrechnung ist, in einem Fall den Staat zu belasten und im anderen nicht. Jeder weiß — Herr Friderichs hat es hier selbst gesagt —, die finanzielle Leistung aus dem Haushalt ist bei dem Vorschlag des Ministers Rohde kaum anders als bei uns und dem Vorschlag des Ministers Friderichs. Für uns kommt es aber nicht in Frage, jetzt und heute ein Umlageverfahren zu akzeptieren, das dann noch zusätzlich weitere Ausbildungsplätze gefährdet.
Lassen Sie mich folgendes noch einmal mit allem Nachdruck sagen, weil das in dieser Sache eine so große Rolle gespielt hat. Es wird immer behauptet, es bildeten nur 16 % aller Betriebe aus. Das ist deswegen eine schiefe Behauptung, weil in diesen 16 °/o aller Betriebe 80 % aller Arbeitnehmer arbeiten
und weil man wissen muß, Herr Staatssekretär, wenn nur 10 5 aller Unternehmen nach Ihren Angaben unter die Abgabepflicht fallen sollen, daß in diesen 10 % der Unternehmen 77 % aller Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dieses Umlageverfahren führt zu einer Lastenkonzentration und nicht, wie immer angegeben wird, zu einer Lastenverteilung.Der größte Industriezweig überhaupt, die Metallindustrie, bei der etwa 40 % der Betriebe ausbilden, bildet 130 000 Lehrlinge aus. Wenn wir das Rohdesche Verfahren beschlössen, würden — nach Expertenmeinung — von dem Gesamtaufkommen der Umlage 98,1 5 von bereits ausbildenden Betrieben und nur 1,9 % von nicht ausbildenden Betrieben aufgebracht.
Das heißt, die Ausbildungsbetriebe der Metallindustrie, die jetzt ausbilden, müßten Ausbildungsplätzezurücknehmen, wenn Sie die Aussicht haben wollen,
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17544 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Staatsminister Dr. Vogelirgendwann in den Genuß der Umlage zu kommen. Dem kann man nicht zustimmen.
Herr Landesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Glotz?
Herr Minister Vogel, würden Sie mir darin zustimmen, daß der Begriff Ausbildungsbetrieb, wie er sowohl in der Statistik als auch jetzt in Ihrer Rede gebraucht wird, überaus doppeldeutig ist, weil es Betriebe gibt, die proportional zur Zahl ihrer Arbeitnehmer ausreichend ausbilden, aber auch Betriebe gibt, die drei Gärtnerlehrlinge ausbilden, daß aber gleichwohl beide als Ausbildungsbetriebe in der Statistik erscheinen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich stimme Ihnen zu, daß es sich hier um eine schwierige Materie handelt. Aber obwohl es schwierig ist, ist es Ihnen und mir einsichtig zu machen, daß man jetzt kein System erfinden darf, womit man einen Anreiz schafft, die Zahl der Ausbildungsplätze zunächst zurückzunehmen, weil ein Betrieb nur dann etwas bekäme, wenn er deren Zahl heute senkte und sie morgen wieder erhöhte.
Das ist übrigens auch der entscheidende Grund gewesen, warum der Herr Abgeordnete Westphal bei der Zwischenfrage des Herrn Kollegen Breidbach vorhin so rasch ausgewichen ist. Es muß doch hier noch einmal festgehalten werden, daß die ersten Vorschläge, etwas zur Verbesserung dieser Situation zu tun, aus der — ich nehme das ja gar nicht für irgendeine Gruppe oder Partei in Anspruch —unmittelbaren Erfahrung der Länder stammten, weil man dort die Schwierigkeiten natürlich besonders verspürte.
Damit bin ich bei dem Zahlenvergleich vom Herrn Kollegen Westphal zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Es wird ja inzwischen bei einigen Sprechern hier zur Sitte, möglichst häufig solche Beispiele aus der Lebenssituation des Landes Rheinland-Pfalz zu zitieren, die möglichst wenige im Saal im Augenblick kontrollieren können.
Ich möchte deswegen sagen, Herr Kollege Westphal, die beiden Zahlen, die Sie angegeben haben, stimmen schon. Nur betreffen sie für das Land Nordrhein-Westfalen die Gesamtsumme der Aufwendungen aus allen Etats und für das Land Rheinland-Pfalz das Sonderprogramm des Sozialministers von vor ein paar Monaten.
Sie müssen bitte dann außer dem Vergleich der Größe den haben Sie gebracht, Sie haben gesagt, daß Nordrhein-Westfalen größer ist als Rheinland-Pfalz — auch die einander entsprechenden Summen zusammennehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
Herr Minister Vogel, würden Sie mir zugestehen, daß selbst, wenn Sie für die Laufzeit des nordrhein-westfälischen Programms zu den 240 Millionen Mark Ihre 2,4 Millionen für nächstes Jahr und die Summe für übernächstes Jahr zusammenrechnen und noch ein Jahr dazulegen, Sie immer noch nicht auf eine vergleichbare Größe kommen? Denn dann sind Sie knapp bei 10 Millionen im Vergleich zu 240 Millionen, die das Land Nordrhein-Westfalen für drei Jahre zur Verfügung stellt. Ihre Überlegung hilft Ihnen nicht raus aus der Ecke: Ihr Land tut nicht genügend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Westphal, es war zwar jetzt keine Frage mehr zu erkennen, aber ganz offensichtlich die Bereitschaft, Ihre vorhin gemachte Aussage ein wenig zu korrigieren. Dafür danke ich Ihnen.
Die Bemerkung allerdings, Herr Kollege Westphal, muß ich doch noch machen. Es wird nicht nur in diesem Fall, sondern bis hin zur letzten Zwerg-schule vor zwölf Jahren jetzt versucht, Rheinland-Pfalz ins Gerede zu bringen. Wir sehen das sehr gern. Wir möchten nur eines anmerken: Rheinland-Pfalz hat es in der Geschichte der letzten 150 Jahre schwerer gehabt
als andere Teile der Bundesrepublik.
Rheinland-Pfalz hat sich in den letzten 30 Jahren weiter nach vorne gearbeitet als manche andere Länder der Bundesrepublik.
Die Bevölkerung dieses Landes hat es nicht verdient, ständig von denen, die das Land kaum kennen, kritisiert zu werden,
auch dann nicht, wenn sich dieses Land in diesen 30 Jahren von Wahlgang zu Wahlgang zunehmend für eine Partei bekannt hat, die Ihren Vorstellungen ferne steht. Die Bevölkerung hat dies nicht verdient.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Immer?
Herr Dr. Vogel, geben Sie mir recht, daß keiner in diesem Hohen Hause die Bevölkerung von Rheinland-Pfalz kritisiert hat, daß aber kritisiert worden ist, daß die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz — 150 Jahre gibt es das Land Rheinland-Pfalz übrigens noch nicht — insbesondere unter Leitung des Ministerpräsidenten Altmeier mit der Devise, das „Land
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Immer
der Reben und Wälder" zu erhalten, eben nicht genügend getan haben, um die Entwicklung dieses Landes so zu forcieren, wie es nötig gewesen wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Immer, darf ich zunächst bitten, auch noch Herrn Ministerpräsidenten Boden anzuführen, der von 1946 bis 1947 regierte. Er darf in dieser Statistik nicht fehlen.
Ich möchte Ihnen nur, weil Sie aus diesem Lande kommen, sagen: Wer meint, er kritisiere die Regierung, der nehme bitte zur Kenntnis, daß sich diese Regierung in den letzten 30 Jahren zunehmender Zustimmung der Bevölkerung dieses Landes erfreut.
Wer im übrigen dieser Regierung helfen will, Herr Kollege Immer, der mache möglichst häufig solche Ausführungen wie Sie oder wie der Herr Bundeskanzler über die Größe von Schulen. Er muß nämlich zur Kenntnis nehmen, daß inzwischen zu große Schulen viel mehr Kritik finden als kleine Schulen.
Ich darf nach dieser Zwischenfrage auf das Berufsbildungsgesetz zurückkommen und sagen:
— Nein, so unfair möchte ich nicht sein, Herr Kollege,
obwohl Herr Glotz natürlich das Stichwort gegeben hat, weil er immer meint, ganz Rheinland-Pfalz sei einmal bayerisch gewesen. Die Geographielehrer sind inzwischen besser geworden, Herr Glotz.
Wir werden in der Beratung dieser wichtigen Sache, um die es uns hier — und das möchte ich gern noch einmal betonen — gemeinsam in beiden Häusern geht, unter fast unerträglichen Zeitdruck gesetzt. Es ist für die Sache nicht gut, daß wir jetzt, nachdem man ein Jahr lang nicht auf die Einlassungen des Bundesrates hören wollte, in wenigen Wochen beraten müssen. Ich möchte aber gleichwohl für uns die Bereitschaft unterstreichen, die vorliegenden Gesetzentwürfe zügig zu beraten, und anbieten, daß wir auch auf der Seite des Bundesrates eine solche zügige Beratung ermöglichen, damit die Sache vorankommt, wobei allerdings von uns aus zu sagen ist: Wenn die beiden von der Koalition eingebrachten Gesetzentwürfe hier eine Mehrheit finden, werden sie, so wie sie jetzt formuliert sind, im Bundesrat notwendigerweise zur Anrufung des Vermittlungsausschusses führen, und zwar aus drei Gründen, erstens weil die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit schon aus prinzipiellen Überlegungen geklärt werden muß, zweitens wegen der Finanzierungsregelung und drittens wegen zweier noch verbliebener falscher ordnungspolitischer Vorstellungen, insonderheit wegen der Position des Bundesinstituts.
Wenn ich dies abschließend sage, dürfen Sie bitte eines nicht übersehen: Wir sprechen nicht zum erstenmal miteinander über Bildungspolitik. In den letzten Jahren haben falsche Gesetze im Hochschul- und im Schulbereich so viel Schaden angerichtet, daß wir jetzt nicht bereit sind, auch noch im Bereich der beruflichen Bildung Mitverantwortung für einen falschen Weg anzubieten.
Im Interesse einer einvernehmlichen Lösung dieser Frage, um der Zukunft der Jugendlichen willen — wir sollten uns, meine Damen und Herren, diesen guten Willen doch nicht gegenseitig bestreiten — bitte ich Sie, daß die Beratungen in diesem Sinne im Bundestag und unsererseits auch im Bundesrat fortgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte zur Geschäftslage auf folgendes verweisen. Es liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Es ist Einvernehmen hergestellt worden, daß auf beide Herren je acht Minuten Redezeit entfallen. Wir sind also mit diesem Tagesordnungspunkt zwischen 13.20 und 13.25 Uhr fertig und haben damit fast genau die Zeit von drei Stunden eingehalten, die wir uns setzten. Die Mittagszeit wird entsprechend verkürzt, so daß wir um 14 Uhr mit der Fragestunde beginnen.
Das Wort hat nun der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der doch sehr herabsetzenden Angriffe, die insbesondere Herr Kollege Pfeifer gegen den Bundeswirtschaftsminister gerichtet hat, und der intellektuellen Unredlichkeit, mit der der Sachverhalt hier dargestellt wurde — ich komme darauf zurück —, möchte ich noch einmal betonen, was ja dem Hause bekannt ist, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister durch eine Tagung der deutsch-polnischen Wirtschaftskommission unter Beteiligung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Olszowski verhindert ist, heute hier zu sein. Er hat ja, wie Sie wissen, gestern schon diese wichtige Wirtschaftsdelegation versetzen müssen, weil er angesichts der Debatte über Nairobi hier im Plenum anwesend sein mußte. Ich wäre dankbar, wenn das zur Kenntnis genommen würde. Es ist ja auch der CDU/CSU-Fraktion mitgeteilt worden.
Lassen Sie mich auf den entscheidenden Punkt zu sprechen kommen, nämlich auf die Rede, die Herr Friderichs bei der dritten Lesung des Berufsbildungsgesetzes hier gehalten hat und bei der er zum Ausdruck gebracht hat, daß für uns, für die Bundesregierung, aber auch für die FDP-Fraktion und für ihn persönlich im Vordergrund stehe, eine Lösung zu finden, die für zusätzliche Ausbildungs-
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Parl. Staatssekretär Grünerplätze in Frage kommt. Ich greife hier durchaus das auf, was Herr Minister Vogel gesagt hat, daß es nämlich um diese Lösung geht und daß alle Polemik beiseite zu lassen ist.Nun hat sich tatsächlich — allerdings ganz anders, als Sie das darstellen, Herr Pfeifer — ergeben, daß unsere Finanzierungslösung auch ohne Zustimmung des Bundesrates möglich ist. Ich sage „unsere", weil Sie ja sehr genau wissen, daß diese Lösung zur Finanzierung im Wege einer Umlage gerade mit großem Nachdruck von Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs verfochten und in langen Gesprächen auch durchgesetzt worden ist. Der entscheidende Punkt ist doch, daß wir immer auf dem Standpunkt gestanden haben, eine Umlagefinanzierung sei als Hilfe zur Selbsthilfe der Wirtschaft besser als eine steuerliche Regelung, die wir als eine Gefahr des Einstiegs des Staates in die berufliche Bildung nicht billigen können.
Sie haben über anderthalb Jahre hinweg Ihren Einfluß bei der Wirtschaft dazu benutzt, jede Art der Finanzierungsregelung zu verteufeln und abzulehnen. Sie sind erst jetzt — Gott sei Dank, sage ich —, und zwar nicht etwa die Bundestagsfraktion, nicht etwa Sie, Herr Pfeifer oder Herr Gölter, sondern der Bundesrat, im Grundsatz auf die Linie der Regierung eingeschwenkt, indem Sie anerkennen, daß in der jetzigen Situation wirkungsvolle Finanzierungshilfen für die Betriebe gegeben werden müssen, wenn wir erreichen wollen, mit dem Schülerberg fertig zu werden und nicht einen Ausbildungsplatzmangel zu haben. Darin sehe ich das Entscheidende, daß wir in dieser Frage durch das Einlenken des Bundesrats auf unsere Grundvorstellungen einander nähergekommen sind und daß diese Lösung nicht in der parteipolitischen Konfrontation ersticken darf. Das wird ja auch dadurch deutlich, daß die Fraktionen von FDP und SPD nur die Finanzierungsregelung heute hier neu vorgelegt haben.Es ist deshalb zutreffend, wenn gleichzeitig von Herrn Minister Vogel festgestellt wird, daß eine ganze Reihe wichtiger anderer Streitpunkte damit nicht mehr zur Diskussion stehen. Das bedeutet zugleich, daß sich die Möglichkeiten der Verständigung vergrößert haben, wenn Sie bereit sind, Ihrerseits den Schritt zu tun, der dazu notwendig ist, nämlich auf die Finanzierungsregelung der Regierung einzugehen, die Sie selber im Prinzip in vielen Ihrer Verlautbarungen — Hamburger Parteitag, Äußerungen von Ministerpräsident Kohl, Äußerungen von Herrn Kollegen Gölter — für die richtige gehalten haben. Ich habe hier eine ganze Reihe von Zitaten. Immer und immer wieder hat die CDU/CSU durch maßgebliche Sprecher eine Umlagefinanzierung für richtig gehalten.Lassen Sie mich deutlich sagen, Herr Kollege Pfeifer, was der Wirtschaftsminister zu diesem Thema erklärt hat, als seine Finanzierungsregelung erneut im Bundestag eingebracht wurde. Wörtlich sagte er in dem von Ihnen zitierten Interview:Wir haben im Wirtschaftsministerium die jetztwieder aufgenommene Regelung erdacht undin das Regierungskonzept eingebracht. Wir sind immer dafür gewesen, an Stelle staatlicher Finanzierung die notwendigen Mittel von der Wirtschaft selbst aufbringen zu lassen. Denn je mehr der Staat finanziert, desto mehr redet er den Betrieben auch drein — und davon halte ich nicht viel. Erst als feststand, daß die Unionsländer unseren Entwurf auf jeden Fall ablehnen würden, habe ich im Interesse der Jugendlichen ein Ersatzmodell erörtert.
Eine vom Staat gewährte Zulage hätte aber stets nur die zweitbeste Lösung sein können. Allerdings— und nun kommt der vorhin zitierte Satz —hat meine Phantasie nicht ausgereicht, um mir vorzustellen, daß unsere ursprüngliche Absicht auch ohne Zustimmung des Bundesrats ermöglicht werden könnte.Genau das ist der Sachverhalt. Genau das schafft eine veränderte Situation, gibt aber auch Ihnen von der Opposition die Möglichkeit, nun die ausgestreckte Hand zu ergreifen,
weil, Herr Kollege Pfeifer, eine Umlagefinanzierung übriggeblieben ist, die auch die CDU für richtig gehalten hat und die gleichzeitig all jenen Bedenken der Wirtschaft Rechnung trägt, die diese gegen Ihre programmatischen Grundsätze vorbringen muß. Denn die CDU-Umlagevorstellungen sind Dauerregelungen über eine Neuverteilung der gesamten Ausbildungslasten, während die von der sozialliberalen Koalition vorgelegte Regelung eine Hilfe zur Selbsthilfe auf Zeit ist, und zwar nur für so lange, wie ein Mangel an Ausbildungsplätzen besteht.Es ist keine Frage, daß es Meinungsverschiedenheiten gegeben hat und noch gibt, ob man, wie die CDU es auf ihrem Hamburger Parteitag programmatisch gefordert hat, eine Dauerumverteilung zu Lasten der nicht ausbildenden Betriebe und zugunsten der ausbildenden Betriebe machen sollte. Die Koalition jedenfalls hat in diesem Regierungsentwurf diesen Weg nicht gewählt, sondern sich bewußt darauf beschränkt, lediglich für eine bestimmte Zeit, nämlich für die Zeit des erkennbaren Mangels an Ausbildungsplätzen, ein Umlage-Finanzierungssystem zu wählen, das auch im Volumen begrenzt ist, weil es nicht auf Umverteilung, sondern auf zusätzliche Ausbildungsplätze konzentriert ist.Das sollte in der Debatte nicht verdunkelt werden, und das sollte es Ihnen erleichtern, im Sinn auch der Grundtendenz der Äußerungen von Minister Vogel die Möglichkeiten zu ergreifen, die sich hier abzeichnen.Ich teile die Meinung des Herrn Kollegen Probst, daß in diesem Bereich mit der Psychologie sehr viel getan und auch viel falsch gemacht worden ist. Aber gerade Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben Ihren Einfluß bei der Wirtschaft und das Vertrauen, das Sie bei der Wirtschaft genießen, dadurch mißbraucht, daß Sie unsere Vorschläge verteufelt
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17547
Parl. Staatssekretär Grünerund gleichzeitig der Wirtschaft verschwiegen haben, wie Ihre eigenen programmatischen Vorstellungen eigentlich aussehen — trotz Ihres Hamburger Parteitags, trotz Äußerungen von Ministerpräsident Kohl und trotz Äußerungen auch von Minister Vogel, der noch in diesem Frühjahr betont hat, man wolle diese Grundvorstellungen verwirklichen, wenn es der Wirtschaft nur wieder etwas besser gehe.
Wir haben allen Anlaß, im Sinn der sachlichen Zusammenarbeit den Versuch zu machen, hier nun zu einer Lösung zu kommen, die sicherstellt, daß wir sehr rasch über ein Finanzierungsinstrument verfügen. Daß es wünschenswert ist, daß wir das mit den Ländern machen, ist von uns nie bestritten worden.
Aber da eine Fülle von zwischen Koalition und Opposition umstrittenen Regelungen wegen des Widerstands des Bundesrats weggefallen sind, meine ich, daß hier die Möglichkeit gegeben ist, einen gemeinsamen Weg zu gehen, zumal Herr Minister Maier eben nicht recht hat, wenn er diesem Finanzierungssystem marktwirtschaftsfeindliche Tendenzen unterstellt.Vielmehr ist es eine Maßnahme der Globalsteuerung. Alle Betriebe können von den gebotenen Möglichkeiten Gebrauch machen, aber keiner wird dazu gezwungen.
Der unternehmerische Handlungsspielraum wird nicht eingeschränkt. Das ist das Entscheidende. Marktwirtschaftliche Bedenken anzumelden empfehle ich allerdings Herrn Minister Maier gegen-über den Vorschlägen der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe in der Bundestagsfraktion, die strikte Bedarfslenkung verlangt hat. Das war in einer Entschließung vom 8. August 1975.
Das ist nicht unser Weg. Unser Weg ist der Weg der Marktwirtschaft und der Freiheit. Unsere Finanzierungsregelung ist marktkonform. Dafür bürgt auch der Name von Minister Friderichs,
der diese Regelung im Zusammenwirken mit Minister Rohde erarbeitet hat.
Das Wort hat Herr Senator Apel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gebeten worden, mich sehr kurz zu fassen. Ich will das auch tun, obgleich die Ausführungen meiner Kollegen Maier und Vogel mir natürlich Anlaß gäben, in gleicher Länge auf die Dinge einzugehen. Ich beschränke mich auf vier Punkte.Ich begrüße die Initiative der Koalitionsfraktionen für die gesetzliche Regelung, die noch möglich ist, nicht weil wir glauben, dies sei das Beste, Größte und Schönste, was zur Regelung und Neuordnung des Berufsbildungsrechts geschehen könnte, sondern weil klar zu sehen ist, daß es das einzige ist, was noch geschehen kann nach dem kompromißlosen Nein der CDU im Bundesrat.
Zweitens. Die CDU/CSU-regierten Länder sind wegen ihres kompromißlosen Neins im Bundesrat heftiger Kritik ausgesetzt.
Ich kritisiere sie heftig — Sie sind dabei, mir von meiner kurzen Zeit etwas zu stehlen, Herr Kolle-ge —,
nicht deshalb — das ist die einzige Rückzugsbasis, die nach der Haltung der CDU im Bundesrat bleibt —, weil sie aus Rechtsgründen dort nicht hätten nein sagen dürfen, wie das jetzt von zwei Vorrednern hier gesagt wurde, sondern weil es politisch — rechtlich war das ja in Ordnung — unverantwortlich war, kompromißlos nein zu sagen und mit keinem Sachantrag, mit keinem Änderungsantrag zu kommen, der auch nur signalisiert hätte, daß hier ein Kompromiß angestrebt werden sollte.
Das ist die Wahrheit.Nun, da vom Bundestag her — rechtlich genauso zulässig — ein Weg gesucht wird, zu retten, was zu retten ist, entdecken Herr Probst und Herr Maier die politische Verantwortlichkeit und beschwören, man dürfe das doch gar nicht an den Ländern vorbei tun. Dies hätte man — das sage ich als Mitglied des Bundesrats, das an den Diskussionen teilgenommen hat — früher wissen müssen und können. Man war auch deutlich gewarnt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage — Herr Maier hat sie aufgeworfen —, warum denn die Bundesregierung nicht den Vermittlungsausschuß angerufen habe. Nun, meine Damen und Herren, darauf gibt es zwei ganz einfache Antworten: erstens weil es üblich ist, daß derjenige, der an einem Gesetzentwurf etwas geändert haben möchte, unter Darlegung der Gründe — daran hat es doch gefehlt — die Anrufung vornimmt; zweitens deshalb, weil Herr Stoltenberg, mein Kollege Vogel und der Vertreter Bayerns klargemacht haben, daß es hier
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17548 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Senator Apelnichts zu vermitteln gab, daß es eben kompromißlos nein hieß. Das ist doch Ihre Position.
Es ist hier in Anspruch genommen worden — ich muß das sagen, auch wenn Herr Professor Carstens nicht mehr da ist — die Legende, um es freundlich auszudrücken, bezüglich der Ausbildereignungsverordnung und der Verunsicherung des Handwerks. Wir sind heute Zeugen eines zweiten Versuchs der Legendenbildung bezüglich der Vorrechnung der Finanzierung geworden.Da wird von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Opposition, diskutiert, als ob es nur die Nr. 1 des in Frage kommenden Paragraphen gäbe, nicht aber die Nr. 2. Im Klartext: Daß diejenigen, die Ausbildungsverhältnisse neu begründen, d. h. Ausbildungsverträge im Förderungsjahr abschließen, gefördert werden, schleifen Sie schlicht unter. Das war mindestens ein Irrtum; ich vermute bei Ihrer übrigen Sachkenntnis Schlimmeres, Herr Probst. Jeder Vertrag, der mit einem neuen Lehrling abgeschlossen wird, ist ein neu begründeter Vertrag. Wenn Sie das stört, lassen Sie es per Änderungsantrag klarstellen.Drittens. Mitbestimmung, Mitwirkung. — Gegeneine Mitwirkung — und dies sage ich auch aus Erfahrung in anderen Bereichen —, die nicht wenigstens dem Grunde nach gesetzlich verankert ist, habe ich tiefes Mißtrauen. Eine Mitwirkung, die jederzeit von einem einzigen Vertragspartner kündbar ist, istfür meine Begriffe unannehmbar. Deshalb halte ich es hier mit der Lösung der Koalitionsinitiative.Letzer Sachpunkt: Die Abstimmung zwischen Rahmenlehrplänen und Ausbildungsordnungen ist vielleicht das dringlichste Problem, das uns zur Lösung aufgegeben ist. Jedermann weiß, daß die Qualität der Ausbildung vor Ort ganz entscheidend von dieser Frage abhängt. Obwohl das so ist und obwohl hier eine praktikable Lösung angeboten wird, reden wir über Zuständigkeiten, die für den Unbefangenen nur den Charakter von Quengeleien haben können, die vielleicht einige Staatskanzlisten befriedigen mögen, aber nicht einen einzigen Ausbildungsplatz mehr schaffen und nicht ein einziges Jota zur Verbesserung der Qualität der Berufsausbildung für die Jugendlichen beitragen. Dies kann nicht so laufen. Das ist ein weiterer Grund, zu der Koalitionsinitiative ja zu sagen.Damit bin ich schon beim Schluß. Der CDU-Vorschlag scheint mir nicht annehmbar zu sein, nicht aus Eigensinn, sondern im Interesse der Jugendlichen. Die Koalition sagt selbst — die Sprecher haben es soeben deutlich gemacht —: Was hier vorgelegt wird, nimmt nicht das Prädikat „sehr gut" in Anspruch. Das kann es nicht; es ist das einzige, was bleibt nach dem Nein der CDU im Bundesrat, die einzige Möglichkeit, für die Jugendlichen noch etwas zu erreichen. Es ist — so würde ich abschließend urteilen — bei dieser Sachlage das Maximum des Erreichbaren, aber auch das, was unter allen Umständen erreicht werden muß.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache in der ersten Lesung.
Wir haben abzustimmen über die Punkte 3 a, 3 b und 3 c sowie über die heute morgen zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzte Initiative des Bundesrates unter Punkt 3 d. Für diesen Punkt 3 d wird der gleiche Überweisungsvorschlag gemacht wie für Punkt 3 c. Wer der Überweisung der vier Punkte zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung bis zur Fragestunde um 14 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/5263 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich rufe Frage 55 des Abgeordneten Jäger auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um zu erreichen, daß die Regierung der DDR ihre unter Verletzung der innerdeutschen 'Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag verfügte Ausweisung des „Spiegel"-Korrespondenten Mettke aus Ost-Berlin endlich rückgängig macht, und wann ist gegebenenfalls mit einem Erfolg solcher Bemühungen zu rechnen?
Frau Staatssekretärin Schlei steht zur Verfügung. Bitte sehr.
Herr Kollege Jäger, der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin, Staatssekretär Gaus, hat wiederholt bei den zuständigen Stellen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR gegen die am 16. Dezember 1975 erfolgte Behandlung und Ausweisung des „Spiegel"-Korrespondenten Jörg Mettke protestiert. Die Bundesregierung hat hierüber in verschiedenen Fragestunden des Deutschen Bundestages berichtet, so am 15. Januar 1976, am 13. Februar, am 16. März 1976 und zuletzt am 1. April 1976.Die DDR hat sich bisher nicht bereit gefunden, ihre Haltung in dieser Angelegenheit zu ändern. Es ist lediglich festzustellen, daß die DDR ihre Praxis gegenüber unseren Journalisten seither wesentlich verbessert hat.Anläßlich dieser Frage, die Sie stellen, Herr Abgeordneter, wiederholt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Ausweisung des „Spiegel"-Korrespondenten Jörg Mettke mit den zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eingegangenen Verpflichtungen nicht vereinbar ist. Es muß festgestellt werden, daß ein Journalist für Dinge zur Verantwortung gezogen wurde, die er nicht zu verantworten hatte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17549
Parl. Staatssekretär Frau SchleiDie Bundesregierung besteht weiterhin darauf, daß die DDR einen Weg sucht, um die Schatten zu beseitigen, die dieses Vorkommnis auf die innerdeutschen Beziehungen geworfen hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatssekretärin, welche Wege hat die Bundesregierung bereits eingeschlagen oder wird sie noch einschlagen, um neben den Protesten, die sicher richtig und notwendig waren, andere Mittel anzuwenden, um die DDR zu veranlassen, endlich ihre Vertragspflicht zu erfüllen?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, außer den Demarchen und ständigen Erinnerungen an den Standpunkt, den wir haben, auf allen Arbeitsebenen werden wir weiterhin unsere Position beständig vertreten. Wir haben keine andere Möglichkeit als die der Überzeugung.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatssekretäin, gestatten Sie anläßlich dieser Ihrer Antwort die Frage: welchen Sinn haben denn Vereinbarungen mit der DDR, wenn es für die Bundesrepublik Deutschland keine anderen Möglichkeiten gibt, diese Vereinbarungen im Verhältnis zur DDR auch durchzusetzen, als die, die Sie genannt haben?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie kennen selber die Möglichkeiten der Durchsetzung. Wenn es andere gäbe als die, die wir nutzen, würden Sie sicherlich Ihre Kraft, die Kraft Ihrer Persönlichkeit, die Kraft Ihrer Fraktion zusätzlich einsetzen, wenn Sie einen Erfolg sehen könnten.
— Nein, aber Sie sind Parlamentarier mit großer Durchschlagskraft, wie ich annehme.
Ich denke, wir haben — wenn auch nicht für den speziellen Fall Jörg Mettke — doch inzwischen durch unsere ständigen Vorstellungen für unsere Journalisten das erreicht, was sich viele von ihnen als selbstverständlich vorgestellt hatten. Ich möchte in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Jäger, noch einmal sagen, daß z. B. Reisekorrespondenten, deren Anträge schon abgelehnt worden waren, nun neuerlich für ihre Anträge Genehmigungen erhalten haben und daß uns Ablehnungen anderer Vorhaben von Reisekorrespondenten nicht mehr bekanntgeworden sind. Die Arbeitsbedingungen für ständige Korrespondenten, die sich in Ost-Berlin niedergelassen haben, wurden insofern verbessert, als deren Angehörige nun mit Ausweisen ausgestattet wurden, durch die die Bewegungsmöglichkeiten innerhalb Berlins erleichtert werden. Ferner wurden zahlreiche journalistische Vorhaben der ständigen Korrespondenten, die schon vor langem beantragt worden waren, nun endlich genehmigt. Weiter deutet die Berichterstattung, die unseren ständigen Korrespondenten — ich denke hier vornehmlich an die Fernsehanstalten — vorn IX. Parteitag der SED ermöglicht wurde, an, daß die DDR zu einer Praxis überzugehen wünscht, die den Verpflichtungen aus dem Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten vom 8. November 1972 entspricht. Es ist also anzuerkennen, daß Staatssekretär Gaus und seine Mitarbeiter — wenn auch nicht in der Angelegenheit Mettke, so doch für die anderen .Journalisten die Dinge erheblich weiterentwickelt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatssekretärin, da Sie die gegenwärtige Praxis der DDR-Behörden so freundlich und lobend erwähnt haben, möchte ich Sie fragen: Besteht nach dem gegenwärtigen Wissensstand der Bundesregierung überhaupt eine Chance dafür, daß die Ausweisung des „Spiegel"-Korrespondenten jemals rückgängig gemacht wird?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zunächst möchte ich sagen: Ich habe hier Feststellungen getroffen und keine freundlichen Dinge gesagt. — Nach dem jetzigen Erwartungsstand kann ich nicht sagen, ob die Möglichkeit besteht, daß Herr Mettke dort wieder arbeiten kann. Es ist im Augenblick nicht absehbar.
Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin, und komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Hansen auf:
Aus welchen Gründen weigert sich die Bundesregierung, mit der amerikanischen Regierung weiter wegen der Übergabe des Document Centers Berlin zu verhandeln?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter, schon in der Fragestunde vom 7. April dieses Jahres hat mein Kollege Wischnewski hier auf die Möglichkeit weiterer Gespräche hingewiesen. Insofern ist die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommende Unterstellung unrichtig. Die Bundesregierung wird vielmehr in Kürze der amerikanischen Regierung die Fortsetzung der Gespräche wegen der Übergabe des Document Center Berlin vorschlagen. Auch die Bundesregierung ist an einer zügigen und abschließenden Regelung dieser Frage interessiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
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17550 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Herr Staatsminister, da der damalige Bundesaußenminister Scheel, Staatssekretär Frank und Sie mir in Schreiben und in den Fragestunden des Deutschen Bundestages in den vergangenen Jahren mehrfach erklärt haben, daß es hinsichtlich der Übergabe des Document Center in deutsche Hände nur noch technische Schwierigkeiten gebe, möchte ich Sie fragen, ob es unter diesem Vorzeichen nicht gerechtfertigt war, die Bundesregierung in den letzten Monaten mehrfach zu fragen, wann sie denn endlich wieder in Verhandlungen mit der USA-Regierung eintreten werde, zumal diese seit Jahren immer bereit war, das Document Center zurückzugeben.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe auch nichts Gegenteiliges gesagt.
Ich habe nicht gesagt, das sei ungerechtfertigt gewesen.
— Sie haben in Ihrer Frage formuliert, wir würden uns weigern. Davon kann gar keine Rede sein. Die Gespräche beginnt man dann, wenn sie als einigermaßen aussichtsreich eingeschätzt werden können. Wenn sie von vornherein als aussichtslos gelten, weil die Standpunkte unterschiedlich sind, braucht man keine Zeit dafür zu verschwenden. Dies gilt prinzipiell und kann in jedem Einzelfalle berücksichtigt werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, können Sie verstehen, daß durch Ihre Weigerung in der Vergangenheit, die Bedingungen zu nennen, die die USA-Regierung an die Übergabe des Document Center geknüpft hat, in der interessierten Öffentlichkeit der Eindruck entstehen kann, durch die Verzögerung der Übergabe oder Übernahme sollten gewisse Persönlichkeiten im politischen Leben der Bundesrepublik
davor bewahrt werden,
peinliche Enthüllungen zu erfahren?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, haben wir dieses Thema vor fünfeinhalb Jahren behandelt. Ich kann mich auf die Antwort, die ich Ihnen damals gegeben habe, beziehen. Sie war sicherlich richtig und ist auch heute noch richtig.
Herr Abgeordneter, Sie können die Antworten der Bundesregierung an anderer Stelle kommentieren, aber nicht hier in diesem Saale, jedenfalls nicht bei dieser Gelegenheit.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Hösl auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Schwencke auf. — Der Fragesteller ist ebenfalls nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Trifft die Behauptung des ungarischen Ministerpräsidenten zu, gegenwärtig fänden Gespräche zwischen Bonn und Budapest auf Expertenebene Ober die „berechtigten Wiedergutmachungsforderungen" seines Landes statt, und welche Gespräche und Kontakte hat es in dieser Frage mit welchem Ergebnis bisher gegeben?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Expertengespräche zwischen der Bundesregierung und der ungarischen Regierung über ungarische Wiedergutmachungsforderungen haben nicht stattgefunden und finden auch nicht statt. Die Bundesregierung hat der ungarischen Regierung gegenüber niemals einen Zweifel daran gelassen, daß sie sich in Anbetracht der internationalen Rechtslage auf derartige Gespräche nicht einlassen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, haben Sie eine Vorstellung darüber, woher der ungarische Ministerpräsident dann seine Äußerung über derzeit stattfindende Gespräche nehmen konnte?
Moersch, Staatsminister: Nein, Herr Abgeordneter, die habe ich nicht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung in irgendeiner Weise veranlaßt, dem Ursprung für diese Behauptung des ungarischen Ministerpräsidenten nachzugehen und zu erforschen, wie er zu einer solchen Äußerung, die nach Ihren Worten den Tatsachen widerspricht, kommen konnte?
Moersch, Staatsminister: Unsere Recherchen haben ergeben, daß es sich anscheinend um ein Mißverständnis handelt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17551
Weiß die ungarische Regierung, Herr Staatsminister, Bescheid, daß sich die Bundesregierung falls derartige Wünsche an uns herangetragen würden, außerstande sähe, Wiedergutmachungsleistungen zu erbringen?
Moersch, Staatsminister: Ja.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, können sich die Mißverständnisse etwa auf die Verhandlungen über ein Rechtshilfeabkommen beziehen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe überhaupt keinen Anhaltspunkt für eine solche Vermutung. Ich habe nur gelesen, daß auf einer Pressekonferenz eine entsprechende Äußerung gefallen sei. Ich weiß nicht, in welcher Sprache die Pressekonferenz abgehalten wurde. Es ist möglich, daß die Übersetzung zu Mißverständnissen geführt hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.
Herr Staatsminister, muß nicht der Eindruck entstehen, daß die Opposition aus innenpolitischen Gründen ständig Gerüchte aufgreift, nachdem die Bundesregierung hier zum x-tenmal die Erklärung abgegeben hat, daß sie nicht an Wiedergutmachung denkt?
Für Zwischenrufe ist die Fragestunde eigentlich nicht vorgesehen.
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, für Eindrücke, die die Opposition verbreitet, ist die Bundesregierung nicht verantwortlich.
Das ist ganz sicher richtig.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Zoglmann auf:
Treffen Meldungen zu, daß mehrere hundert in der Sowjetunion lebende Deutsche die Bundesregierung dringend um Vermittlung bei ihren Bemühungen gebeten haben, in den freien Teil Deutschlands ausreisen zu können, und ist die Bundesregierung bereit, diese Bemühungen unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zu unterstützen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Es trifft zu, daß der Bundesregierung vor kurzem eine derartige Petition mit entsprechenden Namenslisten zugegangen ist.
Die Unterlagen wurden dem Deutschen Roten Kreuz,
das für die zentrale Erfassung und Bearbeitung der
einzelnen Ausreisewünsche zuständig ist, zugeleitet.
Die Bundesregierung unterstützt, wie hier wiederholt dargelegt worden ist, das Anliegen der ausreisewilligen Deutschen in der Sowjetunion im Rahmen der Familienzusammenführung. Sie hat dieses Thema bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf hoher Ebene mit der sowjetischen Seite aufgenommen. Sie hat sich ferner auf der KSZE für Erleichterungen und Verbesserungen auf diesem Gebiet eingesetzt. Diese Bemühungen waren erfolgreich. Die Zahl der Aussiedler aus der Sowjetunion ist in den vergangenen Jahren beträchtlich gestiegen und hat vor allem in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres einen neuen Höchststand erreicht. Die Bundesregierung wird ihre Bestrebungen, weitere Fortschritte zu erreichen, fortsetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die Antragsteller ihre sowjetischen Pässe bei den zuständigen sowjetischen Dienststellen zurückgegeben haben und sich nunmehr als Staatenlose an die Bundesregierung gewandt haben? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Personen nunmehr als Staatenlose aus Rußland herauszuführen und sie in den deutschen Staatsverband zu übernehmen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich muß auf die Rechtslage verweisen. Herr Kollege von Fircks hat in diesem Zusammenhang zwei Fragen gestellt. Ich bitte, auf die Beantwortung der zweiten Frage zu warten. Dort wird dies eingehend erklärt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Staatsminister, Sie haben soeben gesagt, daß sich die Zahl der aus der Sowjetunion ausgereisten Deutschstämmigen in der letzten Zeit wesentlich erhöht hat. Würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, dem Bundestag konkrete Zahlen zu nennen und nicht in der Manier, wie wir das aus der östlichen Sphäre kennen, nur mit Prozentzahlen ganz allgemeiner Art im Parlament vorzutragen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, jede konkrete Frage verdient eine konkrete Antwort. Sie haben soeben erst konkret gefragt, nicht in der schriftlichen Frage. Die Zahl beträgt von Januar bis Mai 3 489. Sie betrug im letzten Jahr 6 500, im vorletzten Jahr etwa 6 000.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
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17552 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bei ihren Gesprächen über die Antragsteller in der Sowjetunion auch darauf aufmerksam gemacht, daß es in den Beschlüssen von Helsinki im dritten Korb — ich glaube, es steht im Abschnitt 1 b — eine Bestimmung gibt, die besagt, daß solche Angehörigen eines jeden Unterzeichnerstaats, die einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt haben, dem aber noch nicht entsprochen worden ist, wenigstens die Gelegenheit haben sollen, in der Zwischenzeit ihre Angehörigen durch Reisen zu besuchen? Hat die Sowjetunion darauf reagiert?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich bei ihren Gesprächen selbstverständlich auf den vollständigen Text der KSZE-Schlußakte bezogen. Sie werden sicher erkennen — Sie sind, wenn ich es recht weiß, von Haus aus Jurist —, daß die Rechtsstandpunkte über die Aktivlegitimation hier unterschiedlich sind.
Die Fragen 61 und 62 der Abgeordneten Baier und Dr. Zimmermann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Treffen Zeitungsmeldungen zu, daß die Bundesregierung eine Namensliste von 583 in der Sowjetunion lebenden RußlandDeutschen mit der dringlichen Bitte bekommen hat, bei der Regierung der UdSSR zum Zweck der Erteilung der wiederholt verweigerten Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland vermittelnd einzuwirken, und wenn ja, wird die Bundesregierung dieser Bitte der Petenten entsprechen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich verweise auf die Antwort, die ich eben auf die Frage 60 des Abgeordneten Zoglmann gegeben habe. Diese Frage war mit der Ihrigen inhaltsgleich.
Herr Präsident, vielleicht darf ich dann jetzt die Frage 64 beantworten.
Gut. Ich rufe jetzt auch die Frage 64 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Sieht die Bundesregierung in der Erklärung der 583 Rußland-Deutschen, sie betrachteten sich nicht mehr als sowjetische Staatsbürger, eine Legitimation für eine Vermittlung in Moskau, besonders da sich unter den Petenten ja Personen befinden könnten, die während des Krieges als Ukraine-Deutsche oder Umsiedler in das Wartheland die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben?
Dem Fragesteller ist es dann überlassen, vier Zusatzfragen zu stellen.
Moersch, Staatsminister: Bei den hier betroffenen Personen, Herr Abgeordneter, handelt es sich mit Sicherheit um solche, die von der Sowjetunion als eigene Staatsangehörige in Anspruch genommen werden. Dies muß auch dann unterstellt werden, wenn es zuträfe, daß sie die sowjetischen Inlandspässe wie soeben berichtet, an die Milizbehörden zurückgegeben haben. Das kommt ja auch in dem Petitionsschreiben zum Ausdruck. Denn nach dem in der UdSSR geltenden Staatsangehörigkeitsrecht tritt durch einen solchen Akt kein Verlust der Staatsbürgerschaft ein. Hierfür wäre vielmehr die Entscheidung des Präsidiums des Obersten Sowjet in jedem Einzelfall erforderlich.
Nach den geltenden Regeln des Völkerrechts ist die Bundesregierung somit nicht legitimiert, die Interessen dieses Personenkreises gegenüber der UdSSR aktiv wahrzunehmen. Diese Rechtslage würde sich auch dann nicht ändern, wenn unter den Betroffenen auch solche Personen wären, die während des Krieges auf dem Verwaltungsweg in das damalige Deutsche Reich eingebürgert worden sind; denn nach völkerrechtlichen Grundsätzen kann ein Staat seinen Staatsangehörigen keinen diplomatischen oder konsularischen Schutz gegenüber einem Staat gewähren, dem der Beteiligte gleichfalls angehört.
Die Sowjetunion hat es ferper stets abgelehnt, diese Einbürgerung ihrer Staatsangehörigen als rechtswirksam anzuerkennen. Ich verweise hier auf die Denkschrift der damaligen Bundesregierung zum Abkommen über allgemeine Fragen des Handels und der Seeschiffahrt und zu dem Konsularvertrag vom 8. April 1958 — die Denkschrift ist ein lesenswertes Dokument —, insbesondere auf die Erläuterungen zur Repatriierungsfrage, die seinerzeit ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen war. Diese Ausführungen sind hier bereits des öfteren zur Sprache gekommen. Ich darf sie als bekannt voraussetzen, bin aber gerne bereit, sie noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen.
Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks zur ersten Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, zunächst darf ich zu meiner Frage 63 bzw. zu der von Ihnen beantworteten Frage des Kollegen Zoglmann folgende Zusatzfrage stellen: Sind Sie nicht der Auffassung, daß die Bundesregierung ganz unabhängig vom geltenden Recht bemüht sein sollte, mit der UdSSR Verhandlungen und Gespräche mit dem Ziel aufzunehmen, daß über den Rahmen der Familienzusammenführung hinaus auch diejenigen Deutschstämmigen die Möglichkeit zur Ausreise bekommen, die unter den dortigen Verhältnissen nicht mehr zu leben wünschen, sondern hierherkommen möchten? Haben Gespräche mit den, wie Sie selbst sagten, einigen Tausend, die in der letzten Zeit — zum Teil aus den Weiten Sibiriens — gekommen sind, Sie nicht zu der Überzeugung gebracht, daß wir uns hier bemühen müßten?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, zunächst darf ich sagen, daß es politisch nicht sinnvoll ist und im Interesse keines Landes liegt, das geltende Recht zu übergehen. Davor warne ich dringend.Etwas ganz anderes ist das Bemühen der Bundesregierung, durch die Verbesserung der Beziehungen mit der Sowjetunion — das ist uns in den letzten Jahren erfreulicherweise gelungen — Fälle positiv zu entscheiden, die ganz offensichtlich nahezu 15 Jahre lang als nicht mehr lösbar gegolten haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17553
Staatsminister MoerschDies ist der Bundesregierung ebenfalls gelungen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um genau definierte Fälle handelt, die etwa in der Vereinbarung von 1958 unter der damaligen Bundesregierung Adenauer enthalten waren, oder nicht. Wäre es anders, dann wäre die Zahl der Umsiedler nicht so groß, wie sie heute ist. Denn ganz sicher sind dabei auch Fälle, die nicht zu dem engen Kreis, auf den sich die damalige Wohlwollenserklärung bezog, gehört haben.Sie können sicher alle dazu beitragen, daß sich die Situation für die Betroffenen insgesamt verbessert, wenn Sie das Bemühen der Bundesregierung unterstützen, die Beziehungen zu den östlichen Staaten überhaupt zu verbessern. Jede Verbesserung dieser Beziehungen hilft den Betroffenen. Jede Einfrierung dieser Beziehungen war, wie wir in den sechziger Jahren gesehen haben, gegen die Interessen der Betroffenen gerichtet.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß niemand Sie hier aufgefordert hat, etwas zu tun, was gegen das Recht ist, sondern daß ich danach gefragt habe, ob die Bundesregierung dazu bereit ist, mit der Sowjetunion Gespräche darüber aufzunehmen, ob nicht eine neue Bereitschaft erwirkt werden kann, Menschen, die dort leben, aber hier leben möchten, die Möglichkeit zu geben, hierherzukommen. Es geht also nicht darum, etwas zu tun, was gegen das Recht ist.
Moersch, Staatsminister: Wenn ich Sie mißverstanden haben sollte, bitte ich um Entschuldigung. Das Mißverständnis beruhte nämlich darauf, daß die Bundesregierung nicht nur bereit ist, solche Gespräche zu führen, sondern das sie seit 1969, seit sie im Amt ist, solche Gespräche geführt hat
und daß sie dies dem Deutschen Bundestag oft dargestellt hat. Eines der wichtigsten Gespräche fand auf dem Petersberg anläßlich des Besuches des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, Breschnew, statt. Ich glaubte eigentlich, das sei bekannt und brauchte von mir nicht noch einmal unterstrichen zu werden.
Eine dritte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatsminister, Sie haben hier auf die Frage 64 abgehoben und dargelegt, daß die Sowjetunion nicht bereit ist, anzuerkennen, daß diejenigen Deutschen, die während des zweiten Weltkrieges im Verwaltungswege die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben — das sind ja nicht nur diejenigen, die in das damals von Deutschland in Anspruch genommene Hoheitsgebiet zurückgeführt wurden, sondern auch all diejenigen, die in dem sogenannten Reichskommissariat Ukraine lebten —, auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Sieht sich die Bundesregierung vor die Situation gestellt, nur den Standpunkt der Sowjetunion zu respektieren, oder ist sie bereit, auch den Standpunkt zu respektieren, daß auch diesem Personenkreis — ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Schreiben des Innenministeriums vom 25. März 1976 an die Innenminister und -senatoren der Länder — die deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen sei?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist ein bißchen schwer, in einer kurzen Antwort all die Probleme aufzureihen, die in diesem Zusammenhang ganz offensichtlich bestehen und die zu den jeweiligen Unklarheiten führen. Die Bundesregierung hat hier eben dargestellt, welchen Rechtsstandpunkt die sowjetische Seite vertritt. Die Bundesregierung hat damit selbstverständlich nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht ihre Auffassung von Staatsangehörigkeit vertritt.
Die unterschiedlichen Meinungen darüber sind bereits in der 3. Wahlperiode von der damaligen Bundesregierung in der Denkschrift dargestellt worden. Ich brauche aus dieser Denkschrift nicht zu zitieren, da sich die Situation nicht geändert hat.Sie haben vorhin nicht nur nach der Personengruppe gefragt, bei der nach unserer Auffassung eine Doppelstaatsangehörigkeit besteht.
— Diese Frage habe ich vorhin ja schon beantwortet: Unsere Legitimierung, für diese Gruppe zu sprechen, wird von der sowjetischen Seite bestritten, weil sie diesen Personenkreis als sowjetische Staatsbürger in Anspruch nimmt.Ich möchte hier noch einmal auf die Denkschrift verweisen. Im Blick auf die Gruppe der Administrativumsiedler hat die damalige Bundesregierung Adenauer gesagt: Für die Gruppe der Administrativumsiedler ließ sich keine Vereinbarung erreichen. Die Sowjetregierung — so sagte die Regierung Adenauer — lehnte es auf das entschiedenste ab, die während des Krieges vollzogene Einbürgerung sowjetischer Staatsangehöriger deutscher Volkszugehörigkeit als rechtswirksam anzuerkennen, und sieht darüber hinaus in der nach ihrer Auffassung eigenmächtigen Übersiedlung dieser Personen nach Deutschland eine strafbare Handlung im Sinne der sowjetischen Gesetzgebung. Dies hat die Regierung Adenauer dem Deutschen Bundestag in der Denkschrift damals als sowjetischen Standpunkt mitgeteilt.Die deutsche Seite hat damals auf die entgegenstehende deutsche Rechtsauffassung und auf den menschlichen Aspekt des Problems eindringlich, jedoch ohne Erfolg hingewiesen. Sie hat sich dann weiter bemüht, zu einer Teilregelung unter dem Gesichtspunkt der Familienzusammenführung zu gelan-
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17554 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Staatsminister Moerschgen. Diese ist als Prinzip von beiden Seiten in Repatriierungsvereinbarungen ausdrücklich anerkannt worden.Nichts anderes tut auch diese Bundesregierung — nur mit dem Unterschied, daß in den letzten Jahren solche Fälle gelöst werden konnten, nachdem es zehn Jahre lang keine Möglichkeit mehr zu geben schien, solche Fälle zu lösen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, da Sie vorher bestritten haben, daß die Bundesregierung eine Legitimation zur Intervention habe, Sie jetzt aber vorgelesen haben, daß die Regierung Adenauer diese Legitimation bereits in den Anlagen zum Repatriierungsabkommen festgehalten hat, frage ich Sie: Ist nicht schon in den Repatriierungsvereinbarungen von 1958 zwar keine Vereinbarung, aber eine Wohlwollensverpflichtung der Sowjetunion bezüglich der Administrativumsiedler enthalten — Sie haben ja nicht das Ganze verlesen —, und haben Sie diese Legitimation nicht auch als Mitunterzeichner nach 1 b des dritten Korbes der Schlußakte der KSZE aus menschenrechtlichen Gründen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Ihre Frage ist geeignet, jetzt alles vollends durcheinanderzubringen.
Es geht um folgendes. Die Bundesregierung hat bestritten — nichts anderes habe ich gesagt; ich bitte, das einmal nachzulesen —, daß sie für Menschen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, eine Legitimation besitzt. Das ist die große Mehrheit der Deutschsprechenden in der Sowjetunion. Das ist ja wohl allgemein bekannt. Bei der letzten Volkszählung haben sich immerhin 1,8 Millionen als Deutschsprechende ausgewiesen. Davon sind einige Zehntausend solche, die auf Grund von Verträgen mit der Sowjetunion zwischen 1939 und 1941 in das damalige Reichsgebiet umgesiedelt worden sind. Eine zweite Kategorie umfaßt diejenigen, die durch Besetzung sowjetischer Gebiete durch die deutsche Wehrmacht nach Deutschland gekommen oder in die deutsche Wehrmacht eingezogen worden sind, weil sie zum deutschen Volkstum gezählt worden sind. Diejenigen, die zu dieser Kategorie gehören — das habe ich soeben gesagt —, nimmt die Sowjetunion selbstverständlich als sowjetische Staatsbürger in Anspruch, auch wenn sie damals im Kriegszustand die deutsche Staatsangehörigkeit vom Deutschen Reich manchmal verliehen, manchmal aufgenötigt bekommen haben; denn es ist nicht nur so, daß das in jedem Fall der Wunsch der Betroffenen gewesen wäre. Hier sind also die rechtlichen Probleme gegeben, die ich soeben dargestellt habe.
Bei der dritten Kategorie, nach der der Herr von Fircks ebenfalls, und zwar zuerst, gefragt hatte, nämlich nach den Deutschen, d. h. den Deutsch-sprechenden, die aber mit dem Deutschen Reich und mit unserer Staatsangehörigkeit rechtlich nichts zu tun haben, habe ich darauf hingewiesen, daß ihre Ausreise im Ermessen des Heimatstaates steht. Die KSZE-Schlußakte enthält Aussagen darüber, wie solche Probleme gehandhabt werden; sie stehen aber auch unter dem Vorbehalt innerstaatlicher Gesetzgebung. Das wollte ich noch einmal deutlich gemacht haben.
Es lohnt sich im übrigen, die gesamte Denkschrift der Bundesregierung von 1958 zu lesen. Daraus geht hervor, daß die politischen Beziehungen damals eben so waren, daß die Chancen zur Lösung dieser Probleme von der damaligen Bundesregierung gering eingeschätzt worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung anläßlich dieses neuesten Falles von über 500 verzweifelten Deutschen in der Sowjetunion die sowjetische Regierung darauf hinweisen, daß sie nunmehr nach dem Inkrafttreten des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte gemäß Art. 12 die Verpflichtung hat, auch eigene Staatsbürger, die sie nach ihrem Recht als ihre Staatsangehörigen betrachtet, ausreisen zu lassen, wenn sie das wünschen — auch in die Bundesrepublik Deutschland —, und stimmen Sie mir zu, daß die Bundesregierung als ein Vertragspartner dieses internationalen Paktes insofern auch eine Aktivlegitimation besitzt, um das gegenüber der Sowjetunion geltend zu machen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat es nicht nötig, im Futurum zu sprechen, wie Sie das eben in Ihrer Frage getan haben. Die Bundesregierung hat in Helsinki, hat bei der Vorbereitung von Helsinki und hat zu jeder Gelegenheit betont, daß unsere Vorstellung von Freizügigkeit die ist, daß jeder seinen Wohnsitz dort nehmen kann, wo er das möchte. Diesen Standpunkt hat sie immer und überall vertreten, und sie wird das auch in Zukunft tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß der Fall, über den in der Frage berichtet worden ist, im Widerspruch zu Korb 3 der Schlußakte von Helsinki steht, worin ausdrücklich jede Erleichterung der Familienzusammenführung erklärt worden ist, und legitimiert das nicht die Bundesregierung, unter Bezug auf diesen Korb 3 für die Menschen tätig zu werden, die eine Familienzusammenführung anstreben?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17555
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Fälle der Familienzusammenführung hat die Bundesregierung aufgenommen, hat das Deutsche Rote Kreuz aufgenommen, und Fälle der Familienzusammenführung sind von Januar bis April dieses Jahres in einem wesentlich höheren Maße positiv gelöst worden, als das jemals vorher geschah. Diese Fakten sollten Sie doch wirklich einmal zur Kenntnis nehmen.
Wir kommen nunmehr zur Frage 65 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Ist die Bundesregierung bereit, in Verhandlungen mit der polnischen Regierung dafür einzutreten, daß die Aussiedlungswilligen, die wegen ihres Aussiedlungsantrages ihren Arbeitsplatz verloren haben oder schlechter eingestuft worden sind, Wiedergutmachung dadurch erfahren, daß sie entweder in die alte Position zurückkehren oder wieder einen Arbeitsplatz erhalten?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Ich nehme Bezug auf die Äußerung des Bundesminister des Auswärtigen vor dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten des Bundesrates am 10. März 1976. In dieser Sitzung hatte der Bundesminister des Auswärtigen dargelegt, daß die polnische Regierung gegenüber der deutschen Regierung im Rahmen der Gespräche, die er im Oktober 1975 in Warschau geführt hat, erklärt hat, daß Benachteiligungen von Ausreisebewerbern, die in den vergangenen Jahren aufgetreten sind, durch entsprechende Anweisungen ausgeschlossen sind. Zugleich hat sie die Bundesregierung um Unterrichtung gebeten, wenn diesen Anweisungen zuwiderlaufende Tatbestände bekanntwerden sollten. Bisher konnte festgestellt werden, daß die Benachteiligungen abgenommen haben und die Ausreisewilligen im allgemeinen korrekt behandelt werden. Soweit der Regierung jedoch Fälle der Diskriminierung von Ausreisewilligen bekanntwerden, wird sie mit der polnischen Regierung wie bisher Kontakt aufnehmen. Sie wird sich in erster Linie vor allem aber darum bemühen, daß die Betroffenen ihrem Wunsch entsprechend ausreisen können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben offenbar die Frage nicht genau gelesen. Es handelt sich nicht um Schikanen gegenüber Ausreisewilligen seit dem 9. Oktober 1975, sondern es handelt sich um Schikanen, deren Opfer diejenigen geworden sind, die in den Jahren 1971 bis 1975 den Antrag gestellt haben und die dadurch arbeitslos oder schlechter eingestuft wurden. Gibt es eine Absicht der Bundesregierung, hierüber in Gesprächen mit der polnischen Regierung einzutreten? Damals hatte uns die Bundesregierung berichtet, daß 5 000 Personen ihren Arbeitsplatz verloren haben und 15 000 Personen schlechter eingestuft worden sind.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie haben offensichtlich die Antwort nicht richtig gehört. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß wir diese Gespräche geführt haben und weiter führen werden, und zwar auch gerade auf die Fälle bezogen, die Sie genannt haben.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Haben Sie eine Gewißheit darüber, daß die Mehrzahl derer, die bis zum 9. Oktober 1975 wegen eines Antrags ihren Arbeitsplatz verloren haben, heute wieder ihren Arbeitsplatz zurückerhalten haben und daß diejenigen, die schlechter eingestuft worden sind, an die alte Arbeitsstelle zurückkehren konnten?
Moersch, Staatsminister: Mir sind solche Fälle bekannt; aber ich habe keine Gewißheit, daß das alle betrifft. Wir haben hier ausdrücklich erklärt — ich kann das nur wiederholen —, daß alle Fälle, die uns konkret bekanntgeworden sind, von uns aufgenommen worden sind und auch künftig aufgenommen werden. Mehr können wir nicht tun.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister Moersch, da der Herr Bundeskanzler vor wenigen Tagen in Friedland erklärt hat, es gebe zur Zeit keine Schikanen gegenüber den deutschen Volksgruppen in den Oder-Neiße-Gebieten, darf ich Sie fragen, ob die deutsche Botschaft diesen 15 000 Fällen jeweils nachgeht, um zu erreichen, daß die Betroffenen erstens wieder in die Firmen aufgenommen und zweitens wieder in die alten Lohngruppen eingestuft werden.
Moersch, Staatsminister: Jeder Einzelfall, der uns bekannt wurde, ist aufgenommen worden, und das wird auch künftig geschehen.
— Es sind eine Reihe von Fällen bereinigt worden. Herr Abgeordneter, ich kann meine Antwort nur wiederholen; aber ich habe den Eindruck, es scheint sehr schwer zu sein zuzuhören.
Zu Zwischenfragen muß man sich ordnungsgemäß melden.Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Grimming auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß die drei Berlin anfliegenden alliierten Luftfahrtgesellschaften seit Monaten einen sich ständig verschärfenden Kampfwettbewerb im Bereich des Char-
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17556 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Vizepräsident Dr. Jaegerter- und Lufttouristikverkehrs miteinander und gegenüber anderen Anbietern führen, der im Augenblick in zunehmendem Maße zu Lasten der unbeteiligten und im Grunde einflußlosen Berliner Flugtouristen geht, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, sich hier schützend vor die Betroffenen zu stellen?Bitte sehr, Herr Staatsminister.Moersch, Staatsminister: Für die Überwachung des Flugverkehrs von und nach Berlin sind die drei Westmächte zuständig. Diese haben nach Informationen, welche der Bundesregierung vorliegen, in jüngster Zeit Schritte unternommen, um sicherzustellen, daß die Charterflugbestimmungen eingehalten werden. So wurden z. B. kurzfristig sogar Charterflüge untersagt, weil die genehmigten Mindestpreise nicht eingehalten worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, dieser Sachverhalt, den Sie hier schildern, ist bekannt und hat dazu geführt, daß ich diese Frage stelle.
— Ich habe nicht nur gefragt, ob das bekannt ist, sondern auch welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, sich schützend vor die Betroffenen zu stellen; denn der Burger, der im Reisebüro eine Reise bucht, ist selten in der Lage zu übersehen, ob die Charterflugbestimmungen eingehalten worden sind. Da wir über die Rechtslage nicht im Streit sind, frage ich Sie, Herr Staatsminister: gibt es Möglichkeiten, sehen Sie Chancen, beispielsweise im Wege einer diplomatischen Initiative dazu beizutragen, daß die Wildwestmethoden, die dort eingerissen sind, zum Schutze der Kunden beseitigt werden?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat — sie ist auch willens, das künftig zu tun — mit den drei Westmächten in diesem Sinne gesprochen, um die Kunden vor solchen Überraschungen zu schützen.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Zoglmann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Veröffentlichung einstimmiger Ergebenheitsadressen der Deutschen in Rumänien an den rumänischen KP-Chef dazu dient, die Deutschen in Rumänien von der Beantragung der Ausreisegenehmigung abzuschrecken, und was unternimmt die Bundesregierung, um den Deutschen in Rumänien eine freie Entscheidung zu ermöglichen, ob sie im Land bleiben oder in den freien Teil Deutschlands übersiedeln wollen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, zum ersten Teil Ihrer Frage ist zu sagen, daß die zuständigen rumänischen Stellen seit Mitte des vergangenen Jahres offenbar bestrebt sind, eine Auswanderungsbewegung größeren Ausmaßes von Angehörigen der in Rumänien lebenden nationalen Minderheiten zu vermeiden. In diesem Zusammenhang treten in letzter Zeit vor allem die sogenannten Räte der Werktätigen dieser Minderheiten in ihren Publikationsorganen an die Öffentlichkeit, um mit
Ergebenheitsadressen und mit Appellen an die Angehörigen der Minderheiten den vorhandenen Ausreisewillen zu schwächen. Diese Maßnahmen in Verbindung mit der restriktiven Haltung der rumänischen Behörden bei der Behandlung der Ausreiseanträge betreffen auch die ausreisewilligen Deutschen in Rumänien. Ich verweise dazu auf die Beantwortung der parlamentarischen Aufgaben der Abgeordneten Hupka und Hösl vom 5. und 6. Mai dieses Jahres.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist festzustellen, daß sich die Bundesregierung über die Problematik der rumänischen Haltung ebenso im klaren ist wie über die Schwierigkeiten, die sie für eine große Anzahl ausreisewilliger deutscher Volkszugehöriger verursacht. Sie steht daher mit der rumänischen Regierung in ständigem Kontakt, um diese zu einer Aufgabe ihrer restriktiven Haltung zu veranlassen. Die Bundesregierung wirkt unter Hinweis auf die Beschlüsse von Helsinki darauf hin, daß die rumänische Seite ihre Zusage einhält, die Familienzusammenführung unter humanitären Gesichtspunkten stetig weiterzuführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Staatsminister, nachdem Sie soeben erklärt haben, die Bundesregierung stehe in einem ständigen Kontakt mit der rumänischen Staatsregierung und sie versuche, sie zu einer liberaleren Haltung zu veranlassen, darf ich Sie fragen: Halten Sie eine freie Entscheidung über einen Ausreiseantrag eines Deutschen in Rumänien überhaupt für möglich, wenn der rumänische Staatspräsident vor wenigen Tagen erklärt hat, bei der Familienzusammenführung handele es sich um einen Unfug, und jeder Deutsche, der einen Antrag auf Ausreise stelle, sei ein Verräter am rumänischen Staat?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Äußerungen, die Sie zitieren, sind mir in dieser Form, wie Sie sie eben zitiert haben, nicht bekannt. Ich bin nicht in der Lage, sie in vollem Wortlaut hier wiederzugeben. Die Unterlage, die mir vorliegt, sagt ein positives Wort zum Prinzip der Familienzusammenführung, aber ein negatives Wort zum allgemeinen Auswanderungswillen. Es müßte aber erst einmal der Wortlaut im einzelnen geprüft werden, den offensichtlich niemand zur Hand hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Staatsminister, würden Sie angesichts der Tatsache, daß Ihnen diese so bedeutsame Aussage des rumänischen Staatschefs, die vorgestern über sämtliche deutsche Rundfunkstationen ging, nicht bekannt ist, sich von der deutschen Vertretung in Rumänien den Wortlaut dieser Erklärung geben lassen? Und würden Sie mir weiter die Frage beantworten, wie Sie die vorhin zitierte Aussage des rumänischen Staatschefs, die
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17557
ZoglmannInanspruchnahme der Menschenrechte sei ein Unfug und ein Verrat am rumänischen Staat, mit dem Abkommen von Helsinki vereinbaren, das neben anderen kommunistischen Ländern auch die Rumänen unterzeichnet haben?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich muß zunächst einmal die Behauptung zurückweisen, ich hätte diese Unterlage nicht zur Hand. Ich habe Ihnen nur gesagt, daß die Berichte darüber, die Sie ganz offensichtlich zitieren, nicht den Wortlaut widergeben. Denn mir liegt ein Bericht unserer Botschaft vor, der etwas anders lautet, allerdings nicht den vollen Wortlaut übermittelt, den wir noch nicht beschaffen konnten. Dafür gibt es objektive Gründe; sonst hätten Sie ihn ja möglicherweise. Deswegen will ich erstmal im Wortlaut prüfen, was gesagt wurde. Ich kann hier nur aus dem Telegramm unserer Botschaft zitieren, das ich für zuverlässig halte, im Gegensatz zu Rundfunknachrichten, die notgedrungen kurz sein müssen. Ich muß den Wortlaut so verstehen, daß hier ein Unterschied bezüglich der Frage der Familienzusammenführung und der Frage der allgemeinen Auswanderung gemacht wird. Wir haben — das habe ich ja eben gesagt — nicht auf Abkommen, sondern auf das Schlußdokument von Helsinki hingewiesen.Aber die Rede des rumänischen Staatschefs Ceausescu nimmt im wesentlichen, wenn ich die mir vorliegende Wiedergabe richtig deute, etwa auf folgendes Bezug: Da wird z. B. gesagt, man dürfe solche Heiraten nur gestatten, wenn im Ausland entsprechende Lebensbedingungen, gesicherter Arbeitsplatz, freie Entwicklung der Persönlichkeit garantiert seien. Die Eltern und die ganzen Familien hätten dabei mitzureden. Wenn diese der Heirat zustimmten, müßten sich auch die rumänischen Behörden danach richten. Das ist auch ein Hinweis aus dieser Rede. Sie haben also vielfältige Möglichkeiten, diese Rede auszudeuten, ehe Sie den Wortlaut besitzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Staatsminister, würden Sie die zweifelsfrei schroffe Ablehnung des Gedankens der Familienzusammenführung durch den rumänischen Staatschef zum Anlaß nehmen, auf diplomatischem Wege in Bukarest darauf hinzuweisen, daß diese Äußerung wenig dazu angetan ist, die deutsch-rumänischen Beziehungen zu verbessern, und daß sie außerdem nicht dazu geeignet ist, die Glaubwürdigkeit des Geistes von Helsinki zu erhöhen.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich möchte mit meiner Antwort nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob die Bundesregierung das bisher nicht getan hätte. Sie hat dies auf hoher und höchster Ebene getan und wird es selbstverständlich auch an Hand solcher Erläuterungen und Erklärungen weiterhin fortsetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung sich in der Lage und ist sie bereit, in Ihre soeben geschilderten Bemühungen mit Rumänien Verlobte deutscher Staatsangehöriger, die rumänischer Volkszugehörigkeit sind, mit einzubeziehen?
Moersch, Staatsminister: Das tut die Bundesregierung und hat sie auch in der Vergangenheit getan. Mit unterschiedlicher zeitlicher Abfolge sind solche Genehmigungen erteilt worden. Ich habe soeben den Passus über die Familien vorgelesen. Er bezog sich selbstverständlich nicht nur auf deutschstämmige Familien, wenn ich das recht lese, sondern ganz allgemein auf eine Art Familienratsentscheidung für Heiratserlaubnis.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, läßt die restriktive und neuerdings außerordentlich harte Haltung der rumänischen Regierung in der Übersiedlungsfrage darauf schließen, daß auch Rumänien das Beispiel anderer Ostblockstaaten aufgreift und Menschlichkeit nur noch gegen Geld gewähren wird?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, ob eine spekulative Frage dieser Art irgend jemand nützen könnte, gerade wenn sie in diesem Hause behandelt wird.
Ich möchte ganz allgemein sagen — das scheint in Vergessenheit geraten zu sein —, daß einige Jahre lang, ohne daß das Thema in der Fragestunde aufkam, eine bessere Praxis herrschte. Ich habe damals Kollegen gebeten, ihre Wißbegierde im Plenum zurückzustellen, um nicht bestimmte Möglichkeiten zu verschütten, die es sonst gibt. Wenn dieser Rat nicht befolgt wird, muß ich Sie alle in diesem Zusammenhang an Ihre Verantwortung mahnen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie sich den Zusammenhang, daß jetzt weniger Aussiedler aus Rumänien kommen — wie Sie sagen, seit Mitte vorigen Jahres —, nachdem der Bundesaußenminister im Dezember vorigen Jahres in Rumänien war und nach seiner Rückkehr berichtet hatte, sein Besuch sei ein voller Erfolg gewesen und er habe auch über die anstehenden Probleme der Familienzusammenführung gesprochen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe keine Zahlen genannt, und ich habe hier auch keine Deutungen zu geben, sondern ich habe Feststellungen getroffen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Friedrich.
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17558 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Herr Staatsminister, darf ich bei dem beharrlichen Engagement der Opposition in dieser Frage an Sie die Frage richten, ob der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, das Mitglied des Bundesrates, Herr Kohl, vor seiner gegenwärtigen Reise nach Belgrad und Bukarest eine Unterredung mit dem Herrn Außenminister oder mit Ihnen hatte, um die Position der Bundesregierung in dieser Frage nachdrücklich unterstützen zu können.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich muß die Frage prüfen. Mich jedenfalls hat niemand auf diese Frage angesprochen. Ich kann aber nicht ausschließen, daß Herr Kohl mit Herrn Genscher darüber ein Gespräch hatte oder sich vom Auswärtigen Amt entsprechend unterrichten ließ. Ich nehme es als selbstverständlich an, daß Herr Kohl bei seinem Besuch die humanitären Fragen anschneidet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, Sie beziehen sich in Ihren Antworten dauernd auf ein ganz neues Telegramm der Botschaft, das angeblich besagen soll, daß im wesentlichen die Ausreise und nicht die Familienzusammenführung gemeint sei. Wären Sie so freundlich und würden die entscheidenden Sätze, die das beweisen, daß es sich im wesentlichen nicht um Familienzusammenführung handelt, vorlesen.
Moersch, Staatsminister: Ich habe vorhin den einen Satz vorgelesen, wo gesagt wird, die rumänischen Behörden müßten sich nach dem Wunsch der Familien richten. Der andere Satz, aus dem auf die wirtschaftliche Seite geschlossen wird, lautet:
Auswanderungswünsche der Deutschen in Rumänien seien ausgelöst durch wirtschaftliche Verlockungen, da man sie als billige und qualifizierte Arbeitskräfte anwerben wolle. Das habe nichts mehr mit Familienzusammenführung zu tun, man wolle diese Menschen entwurzeln. Dies sei eine inhumane Art der Familientrennung. Jeder Rumäne, Ungar, Deutsche, Jude oder Serbe habe hier seinen Platz.
Ich komme zur Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer:
Welche Auswirkungen verspricht sich die Bundesregierung von dem in Kürze zu unterzeichnenden deutsch-polnischen Kulturabkommen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Das vorgesehene Kulturabkommen soll den Kulturaustausch formalisieren und zusammen mit einem im Anschluß daran noch abzuschließenden Tätigkeitsprogramm für eine größere Ausgewogenheit des Kulturaustausches sorgen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte!
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß schon in den letzten Jahren ohne Vorhandensein eines Kulturabkommens zwischen den beiden Staaten die polnischen Behörden eine überaus flexible und im Vergleich etwa zur DDR sehr erfreuliche Haltung an den Tag gelegt haben hinsichtlich der verschiedenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit z. B. zwischen Instituten der Hochschulen oder künstlerischen Vereinigungen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, soweit Ihre Frage Tatsachen enthält, sind sie unbestreitbar.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie hier ganz global etwas über die Entwicklung des bisherigen Austausches im wissenschaftlich-kulturellen Bereich sagen?
Moersch, Staatsminister: Ich glaube, ich habe das schon einmal getan. Ich habe die Unterlagen im Moment nicht zur Hand, bin aber gerne bereit, Sie auf Wunsch im einzelnen zu unterrichten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, würden Sie es für eine sehr flexible Haltung der polnischen Regierung halten — ich beziehe mich auf die Beantwortung einer Frage von mir durch die Bundesregierung —, wenn in den letzten fünf Jahren zwar 21 polnische Kulturwochen in der Bundesrepublik haben stattfinden können, aber nur 3 deutsche Kulturwochen in der Volksrepublik Polen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube mich zu erinnern, daß für die letzte Fragestunde in einer Zusatzantwort auch eine entsprechende Antwort vorgesehen war. Ich weiß im Augenblick nicht, ob Sie die Zusatzfrage stellen konnten, bin aber gerne bereit, die Antwort nachzuliefern. Allerdings habe ich sie jetzt nicht bei den Unterlagen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister, werden analog zu den hier bestehenden und teilweise auch von Warschau offiziell finanzierten polnischen Verbänden und Vereinigungen, die bisher insbesondere Veranstaltungen getragen und auch gefördert haben, wie z. B. den „Bund der Poku", „Zgoda" oder die „Deutsch-Polnische Gesellschaft", im Rahmen dieses Kulturabkommens auch deutsche Verbände gegründet werden können, und zwar mit einem Status wie die Gruppierungen, die nach 1921 in dem abgetretenen Ostoberschlesien mit Zentrale in Kattowitz bestanden haben?
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17559
Moersch, Staatsminister: Ich habe jetzt den Text des Abkommensentwurfs nicht zur Hand. Ich sehe nicht, was hier restriktiv wirken könnte. Die Frage der Finanzierung ist eine Frage der Haushaltsentscheidung auf unserer Seite.
— Das mag sein. Dann bitte ich, sie noch einmal, vielleicht schriftlich, zu stellen. Dann kann ich die Sache nachprüfen.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten für die wissenschaftlich-kulturelle Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland 1976/1977?
Bitte, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Auf Grund des großen Interesses beider Seiten wird sich die Zusammenarbeit auf den Gebieten Wissenschaft und Technik und im Bereich der Hochschulen weiterhin positiv entwickeln. Die Bundesregierung beurteilt daher die Aussichten für die wissenschaftlich-kulturelle Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China als günstig.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schweitzer.
Herr Staatsminister, ist in nächster Zeit mit irgendeinem förmlichen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China in diesem Sachbereich zu rechnen?
Moersch, Staatsminister: Sie wissen, daß da Überlegungen im Gange sind. Zunächst haben wir jetzt eine Praxis entwickelt. Wieweit diese formalisiert wird, kann ich im Augenblick nicht abschätzen, da ja eine ganze Reihe von Überlegungen mit anderen Ressorts anzustellen sind. Ich will auch ganz offen gestehen, daß Abkommen im Bereich der Kultur in ihrem mühsamen prozeduralen Ablauf in der Bundesrepublik Deutschland Vertragspartnern im Ausland nicht immer leicht verständlich zu machen sind, da sie auf dem Konsensus-Prinzip von elf Ländern beruhen, der Bund aber die auswärtige Vertretung innehat. Sie haben selbst gehört, daß es in den letzten Tagen hier wieder Schwierigkeiten gab, als eine „Fußballmannschaft" der Bundesrepublik Deutschland im Ausland auftreten wollte.
Keine Zusatzfrage. Dann komme ich zur Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja:
Wird die Bundesregierung lediglich „erwarten", daß die Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten am deutsch-polnischen Kulturaustausch teilnehmen können, oder wird sie dies im Sinne ihrer grundgesetzlichen Pflicht zum aktiven Schutz für die Grundrechte Deutscher im Sinne der Menschenrechtspakte und der feierlichen Erklärungen von Helsinki im Kulturabkommen mit Polen auch eindeutig sicherstellen?
Moersch, Staatsminister: In der Antwort, die ich in der letzten Fragestunde gegeben habe, habe ich ausgeführt, daß bei einem Kulturabkommen jede Seite davon ausgeht, daß einzelne Gruppen vom Kulturaustausch nicht ausgeschlossen werden. Die Artikel des Kulturabkommens tragen dieser Auffassung Rechnung. Eine über das Vertragsrecht hinausgehende Sicherstellung der Teilnahme von Deutschen in Polen am Kulturaustausch hält die Bundesregierung in einem Kulturabkommen nicht für erreichbar. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß Kulturabkommen nicht der Regelung von Minderheitenfragen dienen. Im übrigen haben auch hochrangige polnische Gesprächspartner wiederholt versichert, daß in Polen zurückbleibende Deutsche selbstverständlich gleichberechtigt mit den anderen Bewohnern Polens am Kulturaustausch teilnehmen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, darf die Bundesregierung in solchen Rahmenvereinbarungen an der von ihr unterzeichneten und sich auch auf die Deutschen beziehenden feierlichen politischen Erklärung der Schlußakte von Helsinki achtlos vorbeigehen, wonach nationalen Gruppen ihr Beitrag für die Kulturbeziehungen zwischen den Staaten und ihre kulturelle Entfaltung sicherzustellen sind, oder muß sie dies nicht vielmehr durch bilaterale Abkommen rechtlich absichern?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es gibt keinen Anlaß zu der Behauptung, daß die Bundesregierung achtlos an irgendeiner solchen Bestimmung vorbeigegangen sei.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Wird dann also der Bundesaußenminister die Zusage, die er dem Bundesrat, dem Bundestag und der Öffentlichkeit gegeben hat, die muttersprachlichen Rechte der Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten bald zu sichern, nunmehr zur Normalisierung der Beziehungen einhalten können oder wird er an dieser Pflicht zum aktiven Schutz der Grundrechte Deutscher beim Kulturabkommen abermals scheitern?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat selbstverständlich die Absicht, diese Zusage zu verwirklichen. Sie ist dazu nicht nur bereit, sondern sie spricht ja auch mit ihren polnischen Gesprächspartnern darüber. Ich möchte hier auf das Bulletin der Bundesregierung vom 11. März dieses Jahres verweisen, wo dies im einzelnen ausgeführt ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
17560 Deutscher Bundestag — 7, Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Herr Staatsminister Moersch, hat die Bundesregierung die polnische Regierung einmal daraufhin angesprochen, daß diese den im Wilna-Gebiet wohnenden russischen Bevölkerungsgruppen eigenständiges Kulturleben, d. h. Minderheitenrechte gestattet, während sie demgegenüber in unserem Falle der angestammten Bevölkerung in Oberschlesien z. B. Minderheitenrechte in einem Kulturabkommen verweigert?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, kein Aspekt dieser Probleme ist in den Gesprächen ausgeklammert worden. Aber ich darf Sie daran erinnern — und das wissen Sie von Ihren Besuchen in Polen sicher ganz genau —,
daß der polnische Standpunkt sehr differenziert ist — nicht zuletzt auf Grund von „Volksgruppenerfahrungen", die man 1939 gemacht hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatsminister, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Sie mit Bezug auf die Sowjetunion am 13. Februar 1976 unserem Kollegen Rollmann gegenüber erklärt haben, daß sich die Teilnehmer der KSZE feierlich verpflichtet haben, Minderheiten ihren Beitrag zur kulturellen Zusammenarbeit der Staaten erleichtern, darf ich Sie fragen, wie ich Ihre eben gegebene Antwort verstehen soll, daß Sie es für sinnlos oder erfolglos halten, mit den Polen diese Probleme zu erörtern, und daß Sie der Meinung sind, daß man das nicht in Kulturabkommen hineinnehmen kann.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie haben mich falsch zitiert. Ich habe gesagt, daß wir mit der polnischen Seite über diese Frage im Gespräch sind. Ich habe ebenso gesagt, daß sich das Kulturabkommen nach Auffassung der Bundesregierung nicht eignet, um Minderheitenregelungen zu treffen. Das ist ein Unterschied. Es war eine Frage nach dem Kulturabkommen und nicht nach Minderheitenrechten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Nachdem Sie, Herr Staatsminister, soeben in der Antwort auf die Frage meines Kollegen Sauer sich auf die bitteren Erfahrungen Polens mit der deutschen Volksgruppe bezogen haben, sind Sie bereit, hier zu sagen, daß es bittere Erfahrungen der deutschen Volksgruppe, der Ukrainer und der Weißrussen mit dem polnischen Nationalsozialismus zwischen den Kriegen gegeben hat?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn ich etwas nicht gesagt habe, bedeutet das ja nicht, daß ich anderer Meinung bin als die, die Sie möglicherweise vertreten. Ich bin nach einem spezifischen Problem gefragt worden. Ich habe geantwortet — und das wiederhole ich —, daß die polnische Seite einen Unterschied macht auf Grund der von ihr uns gegenüber ins Feld geführten historischen Erfahrungen mit einer Volkstumspolitik des Deutschen Reichs, dessen Reichskanzler Hitler geheißen hat — um das im Klartext zu sagen.
Wir kommen zur Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
In welcher Weise soll nach Meinung der Bundesregierung sich die gleichwertige Teilnahme der Deutschen in den Oder-Neiße-
Gebieten am deutschpolnischen Kulturaustausch im Einklang mit den Grund- und Menschenrechten gestalten, wenn ihnen dabei der Gebrauch der deutschen Muttersprache und der kulturellen Grundrechte als Deutsche nicht gesichert wäre ?
Moersch, Staatsminister: Die Teilnahme der in Polen zurückbleibenden Deutschen am Kulturaustausch wird sich nach Auffassung der Bundesregierung im selben Rahmen vollziehen wie die Teilnahme der anderen Bewohner Polens. Den Deutschen stehen alle Veranstaltungen und Maßnahmen im Rahmen des deutsch-polnischen Kulturabkommens in gleicher Weise offen wie den Polen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ich vermisse in Ihrer Antwort, welche konkreten Vorstellungen die Bundesregierung für die gleichwertige Teilnahme der Deutschen in den Oder-Neiße-
Gebieten am deutsch-polnischen Kulturaustausch auf Grund der Erklärungen von Helsinki hat, wenn sie nicht einmal ihre deutsche Muttersprache in der Öffentlichkeit benutzen dürfen.
Herr Abgeordneter, Sie haben eine indikative Form gewählt. Sie müssen eine Frage stellen!
Ich möchte also fragen: Können Sie mir das beantworten?
Moersch, Staatsminister: Das kann ich beantworten, freilich ohne garantieren zu können, daß Sie mit der Antwort zufrieden sind. Ich habe vorhin schon ausgeführt, daß in dem Abkommen keine Diskriminierung der Deutschen enthalten ist und daß hier eine Gleichbehandlung aller vorgesehen ist. Diese Meinung der Bundesregierung stützt sich konkret auf den Verhandlungsablauf, so daß die Unterstellung, die in Ihrer Frage liegt, falsch ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist es nicht auch für die Bundesregierung einfach makaber, daß trotz behaupteter Normalisierung und trotz Kulturabkommen und trotz der Verhandlungen der Minister Rohde und Genscher der einen Million Deutscher in den Oder-Neiße-Gebieten der Gebrauch der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17561
Dr. Czajadeutschen Muttersprache in der Öffentlichkeit und der kulturellen Grundrechte im Zusammenhang mit kulturellem Austausch verboten bleiben wird?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung bedauert, daß hier die Verwendung der deutschen Sprache nicht in der Weise möglich ist, wie wir es alle wünschen. Aber die Bundesregierung weiß auch, daß es ein schwieriger Weg ist, überhaupt zu einem Kulturabkommen zu kommen. Ich frage mich, weshalb in Frageform Angriffe ausgerechnet von einer Seite kommen, die sich jahrelang überhaupt nicht um die Entwicklung dieser Beziehungen und damit auch nicht um die Möglichkeiten für die deutsche Sprache in Polen bemüht hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister Moersch, hat Ihnen bei den Beratungen des Kulturabkommens die polnische Regierung eine Erklärung dafür geben können, daß in Polen dankenswerterweise rund 620 000 junge polnische Bürger die deutsche Sprache als Fremdsprache erlernen können, nur leider nicht in den Woiwodschaften, die in den Oder-Neiße-Gebieten liegen, daß also die Kinder deutscher Eltern ausgeschlossen bleiben, die gern die deutsche Muttersprache erlernen möchten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, seit sieben Jahren steht fest — und für Leute, die länger in der Politik sind, ist das schon länger bekannt —, daß die polnische Seite, und zwar nicht nur die jetzige Regierung, sondern z. B. auch die katholische Kirche in Polen, auf dem Standpunkt stand, daß die Benutzung der deutschen Sprache sozusagen ein Element eines politischen Eingriffs in die polnische Staatssouveränität sei.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, da ich davon ausgehen darf, daß bei diesem Kulturabkommen auch die Frage des Kulturaustauschs, wie sie im dritten Korb der KSZE niedergelegt ist, Berücksichtigung gefunden hat, frage ich Sie: Welche neuen Bereiche und Formen der kulturellen Zusammenarbeit, wie sie in diesem Beschluß von Helsinki erwähnt sind, hat die Bundesregierung vorgesehen, um durch dergestalt phantasievoll mit neuen Akzenten versehene kulturelle Möglichkeiten gerade auch für die Deutschen drüben den Zugang zu diesen Möglichkeiten zu verbessern?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit der Konferenz der Kultusminister, d. h. den elf Landesregierungen, alle Maßnahmen vorgesehen, die zur Verbesserung der Beziehungen dienlich sein können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß der Gebrauch der deutschen Muttersprache ein entscheidender Punkt innerhalb der Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland ist und daß es deshalb wohl angebracht gewesen wäre, gerade in bezug auf den Gebrauch der Muttersprache bei Verhandlungen über ein deutsch-polnisches Kulturabkommen immer wieder auf Verbesserungen zu drängen und dieses Abkommen zurückzustellen, bis man diese Frage gelöst hat, oder ist es richtig, daß wir uns hier dem polnischen Standpunkt angepaßt haben, jetzt nicht mehr davon zu reden, sondern diese Frage für ein deutsch-polnisches Kulturabkommen auszuschließen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich bitte, hier verschiedene Aspekte nicht durcheinander zu bringen. Man kann natürlich die schwierigste Frage an den Anfang von Verhandlungen stellen, um dann festzustellen, daß man kein Abkommen erreicht. Man kann aber auch versuchen, die Beziehungen so zu entwickeln, daß ein Vertrauensverhältnis entsteht, in dem auch schwierige Fragen eines Tages gelöst werden können. Diese Bundesregierung hat sich für diesen pragmatischen Weg entschieden. Andere haben sich früher anders entschieden. Der Erfolg spricht für diese Bundesregierung.
Die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Rainer wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Treffen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung Pressemeldungen zu, nach denen das ZDF unter starkem Druck offizieller sowjetischer Stellen die Sendung eines bereits angekündigten Interviews mit dem ehemaligen tschechischen General Sejna zurückgestellt hat, in dem die Rolle des KGB-Spitzenagenten Udalzow beleuchtet wird, und was wird die Bundesregierung bejahendenfalls unternehmen, um sicherzustellen, daß die Informationsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland nicht durch derartige Praktiken totalitärer Staaten unter Verletzung der Vereinbarungen in der Schlußakte von Helsinki eingeschränkt wird?Bitte sehr, Herr Staatsminister.Moersch, Staatsminister: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, wonach das ZDF im Sommer 1975 unter starkem Druck offizieller sowjetischer Stellen die Sendung eines geplanten Interviews zurückgestellt hat. Das ZDF ist in einer solchen Angelegenheit nicht an die Bundesregierung herangetreten.Die Bundesregierung wurde jedoch im Juli 1975 über Schwierigkeiten unterrichtet, mit denen sich
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17562 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Staatsminister Moerschder ZDF-Korrespondent in Moskau bei der Ausübung seiner Arbeit konfrontiert sah. Sie hat sich daraufhin auf diplomatischem Wege nachdrücklich für eine Behebung dieser Schwierigkeiten und die Wiederherstellung ausreichender Arbeitsmöglichkeiten für den Korrespondenten eingesetzt. Der Bundesregierung ist bekannt, daß das sowjetische Staatskomitee für Rundfunk und Fernsehen in diesem Zusammenhang dem ZDF gegenüber die Zusicherung gegeben hat, dessen Korrespondenten bei der Durchführung seiner Arbeit die notwendige Hilfe und Unterstützung zu gewähren.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung dann auch nicht bekannt, daß das ZDF tatsächlich eine bereits angekündigte Sendung, wie jeder Fernseher feststellen konnte, zurückgestellt hat, und zwar nachdem die sowjetische Regierung dem Korrespondenten dann plötzlich wieder die vollen Arbeitsmöglichkeiten gewährt hat?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ZDF hat die Bundesregierung auf dem dafür vorgesehenen Wege nicht über solche Zusammenhänge unterrichtet. Den Mitgliedern der Bundesregierung — nicht der Bundesregierung als solcher — ist selbstverständlich das bekannt, was sie in der Zeitung gelesen haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, legt es die Schlußfolgerung aus diesen den Mitgliedern der Bundesregierung — wie Sie sich ausdrückten — bekannten Zusammenhängen nicht nahe, zu sehen, daß die sowjetische Regierung ganz offensichtlich unter Beeinträchtigung der Informationsfreiheit hier in der Bundesrepublik Deutschland politische Pressionen ausgeübt hat?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich fürchte, Sie haben schon mit Ihrer ersten Frage die verschiedenen Verantwortungsbereiche ein bißchen vermischt. Die Bundesregierung ist dort tätig geworden und wird dort tätig, wo sie um die Vertretung von Interessen deutscher Bürger oder deutscher öffentlich-rechtlicher Körperschaften gebeten wird. Die Bundesregierung kann aber nicht von sich aus tätig werden, wenn sie nicht von Angehörigen unseres Landes oder von öffentlich-rechtlichen Körperschaften um eine solche Tätigkeit gebeten wird. Sie wissen, daß dabei u. a. im Hintergrund — jedenfalls habe ich das den Zeitungen entnommen; das ist mir nicht amtlich berichtet worden die Frage eines Abkommens über Zusammenarbeit zwischen zwei Organisationen gestanden hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, ob der Fragesteller ein Mitglied des Verwaltungsrates des ZDF, z. B. den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, der ja auch Mitglied der CDU sein soll, gefragt hat, ob er in dieser Frage beim ZDF tätig geworden ist?
Moersch, Staatsminister: Mir ist dieser Zusammenhang natürlich ebensowenig bekannt. Ich kann nur feststellen, daß der Vorsitzende des Verwaltungsrats ebensowenig wie der Intendant in der Weise an die Bundesregierung herangetreten ist, wie das offensichtlich in der Frage unterstellt worden war.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister, haben Sie bei der Beantwortung der ersten Frage des Kollegen Jäger mit Absicht betont, daß keine Repressalien von offizieller Seite erfolgt seien?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe meine Antworten nicht zu kommentieren. Ich überlege mir den Text, der schriftlich vorbereitet ist, immer ganz genau.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist also die Pressemeldung, auf die sich die Frage des Kollegen Jäger ausdrücklich bezieht, unrichtig?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe keine Pressemeldungen recherchiert.
— Trotzdem ist es nicht meine Aufgabe, Pressemeldungen zu recherchieren. Ich habe festgestellt, wer an die Bundesregierung herangetreten war und was die Bundesregierung unternommen hat. Alles übrige müßten Sie das ZDF fragen; das ist der richtige Adressat für solche Fragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Staatsminister, wenn auch das ZDF, wie Sie ausführten, nicht beschwerdeführend an die Bundesregierung herangetreten ist, so möchte ich Sie angesichts der politischen Relevanz dieser Sache doch fragen, ob sich die Bundesregierung bei der Vorbereitung Ihrer heutigen Antwort an den Bundestag ihrerseits beim ZDF erkundigt hat.
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17563
Moersch, Staatsminister: Dazu bestand nach der Sachlage keine Veranlassung.
Wir hatten ja den Vorgang, den ich genannt habe, daß wir die sowjetische Seite gebeten hatten, die Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen. Das ist geschehen, und wir hatten gar keine weitere Veranlassung, etwas zu tun. Die eingereichte Frage hat gar keine Neuigkeit gebracht, sondern ist als Frage jetzt einem Mitglied des Bundestages aufgefallen.
Noch eine Zusatzfrage? — Nein. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort steht zur Verfügung.
Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Pensky auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 besondere Härten dadurch entstehen, daß Betroffene, die im Nahverkehrsbereich Fernlinien benutzen müssen, weil entsprechende innerstädtische Linien nicht angeboten werden können, nicht in den Genuß einer Fahrpreisermäßigung kommen, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, durch gesetzliche Änderung eine Erleichterung auch für den Personenkreis zu schaffen, dem innerstädtische Linien nicht angeboten werden können?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Pensky, nach dem von Ihnen genannten Gesetz werden bestimmte Gruppen Schwerbehinderter im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Es ist bekannt, daß auf Grund der geltenden Rechtslage Härten dadurch entstehen, daß in ländlichen Gebieten Omnibuslinien verkehren, auf die der Nahverkehrsbegriff im Sinne des Gesetzes nicht zutrifft. Dies gilt auch für den innerstädtischen Verkehr, wenn dieser im Zuge von Fernomnibuslinien bedient wird.
Deshalb hat die Bundesregierung im November 1974 den Entwurf eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet. Danach sollte der Nahverkehrsbegriff so erweitert werden, daß praktisch alle Omnibuslinien in die Regelung einbezogen sind.
Der Bundesrat hat in seiner ersten Beratung das sozialpolitische Anliegen dieses Gesetzentwurfes zwar grundsätzlich anerkannt, diesen aber im Hinblick auf die zu erwartenden Mehraufwendungen zu Lasten der öffentlichen Haushalte abgelehnt. Die Bundesregierung kam nach eingehender Prüfung der Sachlage zu dem Ergebnis, daß eine Änderung der ablehnenden Haltung des Bundesrates im zweiten Durchgang nicht zu erwarten ist. Sie sah und sieht sich deshalb nicht in der Lage, den Gesetzentwurf gleichwohl dem Deutschen Bundestag zur weiteren parlamentarischen Behandlung zuzuleiten.
Eine Zusatzfrage? -
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sind Sie — was ich in Anbetracht Ihrer Antwort annehme — mit mir der Meinung, daß der jetzige Zustand unbefriedigend ist und dringend einer Regelung bedarf, und sieht die Bundesregierung, nachdem sie zunächst einmal vergeblich einen Vorstoß unternommen hat, überhaupt eine Möglichkeit, in absehbarer Zeit in diesem Punkte etwas zu ändern, um den betroffenen Beschädigten helfen zu können?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Zum ersten Teil Ihrer Frage sind wir der Auffassung, daß die derzeitige Regelung ungerecht ist, weil es Regionen gibt, in denen keine Schwierigkeiten bestehen, aber auch andere, in denen wir mehrere Systeme haben und in denen die Schwerbehinderten benachteiligt sind.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage will ich sagen, daß wir die Hoffnung haben, daß auch die Vertreter des Bundesrates einsehen, daß dieses Unrecht beseitigt werden muß.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pensky.
Herr Staatssekretär, kann ich daraus schließen, daß sich die Bundesregierung mit der bisher eingenommenen Haltung des Bundesrates auf Dauer nicht zufriedengeben und irgendwann einen erneuten Vorstoß unternehmen wird?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Davon dürfen Sie ausgehen. Denn wir haben erklärt, daß wir eine Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten im betrieblichen und außerbetrieblichen Bereich wollen. Wenn wir dieses Ziel weiter verfolgen, muß auch diese Frage geregelt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, daß sich die Bundesregierung noch einmal bemühen werde, beim Bundesrat vorstellig zu werden. Wann ist damit zu rechnen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich habe nicht gesagt, daß sich die Bundesregierung noch einmal in dieser Richtung bemühen wird. Ich habe gesagt, die Bundesregierung hat sich bemüht. Der Bundesrat hat dieses Anliegen, diesen Vorschlag von uns nicht aufgenommen. Die Bundesregierung beabsichtigt zur Zeit nicht, den Gesetzentwurf weiterzuleiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, da der Bundesrat, wie Sie ausführten, seine Bedenken aus Haushalts- bzw. Finanzierungsgründen geäußert hat und Sie ja nicht erwarten, daß diese Bedenken in den nächsten Monaten gegenstandslos werden,
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17564 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Kiechlemöchte ich Sie fragen: Könnte die Bundesregierung nicht insofern Hilfestellung leisten, als sie ihren großzügig ausgestatteten Propagandahaushalt etwas einschränkt und dafür die Schwerbeschädigten im Nahverkehrsbereich kostenlos fahren läßt?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir könnten uns vielleicht irgendwo treffen. Zu bedenken wäre dann allerdings, daß auch die Pressehaushalte in den Ländern verringert würden.
Keine Zusatzfrage? — Dann komme ich jetzt zur Frage 47 des Abgeordneten Löher. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 48 des Abgeordneten Löher. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 49 des Abgeordneten Flämig wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann komme ich zur Frage 50 des Abgeordneten Dr. Franz. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Sieht die Bundesregierung — notfalls durch eine entsprechende gesetzgeberische Initiative — eine Möglichkeit, daß Behinderte, die nach dem neuen Schwerbehindertenrecht einer AOK beitreten wollen, den Antrag auf Feststellung beim Versorgungsamt gestellt haben, aber durch noch nicht geprüfte und eingesandte Unterlagen den Behindertenausweis nach dem 30. Juni erst erhalten, trotz der Verspätung die Mitgliedschaft in der AOK erwerben können?
Bitte sehr.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter haben Schwerbehinderte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 v. H. das Recht erhalten, der gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten. Dieses Beitrittsrecht ist nicht befristet. Es wird auch über den 1. Juli 1976 hinaus bestehenbleiben. Die Krankenkassen können aber von diesem Zeitpunkt an den Beitritt von einer in der Satzung festgelegten Altersgrenze abhängig machen. Die am 30. Juni 1976 ablaufende Jahresfrist hat demnach für jüngere Schwerbehinderte keine Bedeutung. Es können aber ältere Personen betroffen sein. Die Altersgrenzen sind bei den einzelnen Krankenkassen unterschiedlich festgesetzt. Es gibt auch Krankenkassen, die keine Altersgrenze vorgesehen haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, das, was Sie oben darlegten, ist richtig und bekannt. Aber es liegen den Versorgungsämtern eine ganze Menge Anträge von Behinderten vor, die 65 Jahre alt sind — und um diesen Personenkreis handelt es sich in meiner Frage hauptsächlich —, die nicht die Möglichkeit erhalten, noch einer AOK beizutreten. Denn der bürokratische Weg, ein derartiges Papier von der Versorgungsanstalt zu erhalten, ist mit umfassenden Nachweisen und Schwierigkeiten verbunden.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, wenn Sie erlauben, würde ich jetzt doch lieber zunächst einmal auch die Frage 52 beantworten,
weil sich dann möglicherweise die Antwort auf Ihre jetzt gemachten Anmerkungen erübrigt.
Ich rufe also auch die Frage 52 des Abgeordneten Stahl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch Erlaß dem Personenkreis, der vor dem 1. Juli 1976 einen Antrag auf Feststellung als Schwerbehinderter beim Versorgungsamt gestellt hat, bei dein aber das Amt die Entscheidung aus zeitlichen und Prüfungsgründen noch nicht fällen konnte, den Beitritt für über 65jährige trotz der abgelaufenen Jahresfrist nach dem Gesetz zu einer AOK zu ermöglichen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Nach Auffassung der Bundesregierung können Schwerbehinderte, die vor dem 1. Juli 1976 einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beim Versorgungsamt gestellt haben, vor dem 1. Juli den Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung erklären, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz eines amtlichen Schwerbehindertenausweises oder einer vergleichbaren Bescheinigung über die Schwerbehinderteneigenschaft sind. Eine solche Erklärung dürfte wirksam sein, weil diese Bescheinigungen die Schwerbehinderteneigenschaft nicht begründen, sondern nur zum Nachweis der Schwerbehinderung im Sinne des § i des Schwerbehindertengesetzes dienen. Hat der Beitrittsberechtigte die Beitrittserklärung vor dem 1. Juli 1976 abgegeben und ist er vor diesem Zeitpunkt schwerbehindert im Sinne des § 1 des Schwerbehindertengesetzes, so ist der Beitritt nach Auffassung der Bundesregierung auch dann wirksam, wenn der Antragsteller von einer inzwischen gültigen Altersgrenze betroffen wäre.
Anträge von Personen, die unter eine festgesetzte Altersgrenze fallen, können nicht mehr berücksichtigt werden, wenn diese Anträge erst nach dem 1. Juli 1976 gestellt werden. Den älteren Personen ist mit der Jahresfrist eine angemessene Zeit zur Entscheidung eingeräumt worden. Die Bevölkerung ist auch wiederholt über das Beitrittsrecht unterrichtet worden. Ich bin bereit, diese Informationen erneut weiterzugeben, damit die Betroffenen ihre Chance rechtzeitig wahrnehmen können.
Eine zweite Zusatzfrage.
Vielleicht darf ich hier die Meinung einer Ortskrankenkasse sowie des Verbandes einmal zitieren:Wir vertreten in Übereinstimmung mit allen übrigen Landesverbänden der Ortskrankenkassen die Auffassung, daß ein rechtswirksamer Beitritt nach § 176 c RVO aus Gründen der Rechtssicherheit erst von dem Zeitpunkt an vollzogen werden kann, an dem der Nachweis
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Stahl
bei der Kasse vorgelegt wird. Das bedeutet, daß ein eventuell vorher gestellter Antrag für sich alleine nicht ausreicht.Dies, Herr Staatssekretär, bezieht sich im besonderen natürlich auf den Personenkreis, der 65 Jahre alt ist.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ich habe gerade deutlich zu machen versucht, daß dies nicht die Auffassung des Bundesarbeitsministeriums ist. Sie haben ja auch zum Ausdruck gebracht, daß dies die Auffassung einer einzelnen AOK sein soll.
Dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sehen Sie, daß dies den Krankenkassen dargelegt wird? Ist dies durch einen Runderlaß möglich, damit eine Klarstellung zugunsten der betroffenen Antragsteller für die Feststellung des Behindertenstatus stattfindet?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sicherlich ist diese Frage nicht mit einem Erlaß zu regeln. Aber ich werden veranlassen, daß unsere Rechtsauffassung in geeigneter Form den zuständigen Stellen mitgeteilt wird.
Keine Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß für die Anrechnung von Ersatzzeiten nach Artikel 2 § 9 a Abs. 2 AnVNG eine selbständige Erwerbstätigkeit von wenigstens fünf Jahren auch im „Ausland" ausreicht, wie dies im Urteil des Sozialgerichts Berlin, AZ: S 17 An 1966/74, festgestellt wurde, und wenn ja, wird die Bundesregierung diese Auffassung dem zuständigen Versicherungsträger gegenüber zur Geltung bringen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Auslegung der von Ihnen genannten Gesetzesvorschrift war Gegenstand des von Ihnen zitierten Urteils des Sozialgerichts Berlin. Gegen dieses Urteil hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Die Bundesregierung möchte daher von einer Stellungnahme zu den von Ihnen aufgeworfenen Rechtsfragen absehen, um nicht in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. Sie hält es für selbstverständlich, daß nach rechtskräftiger Entscheidung in der Sache die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte das Urteil korrekt ausführen wird.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung nicht entsprechend eingewirkt, daß eine solche Berufung nicht eingelegt wurde?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung und insbesondere nicht des Bundesarbeitsministeriums, den autonomen Selbstverwaltungsgremien zu sagen, ob sie klagen sollen oder nicht.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die nächste Frage könnte mit einbezogen werden.
Herr Staatssekretär, ich schlage vor, daß Sie zunächst die Frage 54 beantworten.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe beide Fragen im Zusammenhang beantwortet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Entschuldigung; dies hatten Sie allerdings vorher nicht angekündigt, Herr Staatssekretär. Dies wäre eigentlich notwendig gewesen.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Entschuldigung.
Dann gilt auch die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye als aufgerufen:
Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß es nicht gerechtfertigt ist, im Rahmen des Artikels 2 § 9 a AnVNG eine Ersatzzeitanrechnung abzulehnen, wenn der Nachversicherer, kurz bevor eine fünfjährige selbständige Tätigkeit erreicht werden konnte, aus rassischen Gründen Deutschland verlassen mußte und daher eine selbständige Tätigkeit nur im Ausland fortführen konnte, und wenn ja, wird sie auch dieser Auffassung Geltung verschaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, halten Sie es z. B. nicht unter allgemeinen systematischen Gesichtspunkten des Notstandsrechts für geboten, daß dann, wenn eine solche Notlage eintritt, die der Staat selber herbeigeführt hat, der Staat nachher auch die Folgen dieses Verhaltens gegen sich gelten lassen muß, daß das also ein übergeordneter Gesichtspunkt ist, den die Regierung durchhalten sollte?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, ob ich diese Frage — im Hinblick auf das schwebende Verfahren — juristisch in Ihrem Sinne beantworten kann. Aus der Sicht des Bundesarbeitsministeriums meine ich aber allgemein: Wir waren immer bereit, bei allen Gesetzen und bei Einzelanliegen Veränderungen vorzunehmen, wenn sich dies als notwendig erwies. Aber schon einwirken zu wollen, bevor wir überhaupt eine Rechtsprechung zur Sache haben, halte ich nicht für angemessen. Vielmehr glaube ich, daß es richtig ist, hier zunächst einmal die Rechtsprechung abzuwarten, um dann festzustellen, ob überhaupt Veränderungen notwendig sind.
Eine dritte Zusatzfrage, bitte sehr.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht auch, daß in diesen Fällen die politische und die juristische Wertung kaum auseinanderzuhalten sind?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, aus Erfahrung weiß ich, daß wir es in der Rentengesetzgebung und auch in der Rechtsprechung mit außerordentlich vielen unterschiedlichen Sachverhalten zu tun haben. Wenn Sie einmal die gesamten Kriegswirren betrachten und bedenken, was im Zusammenhang mit der Auswanderung, den Rückführungen und den Vertreibungen geschehen ist, dann werden Sie feststellen, daß es nicht möglich ist, auf jedes einzelne Anliegen entsprechend frühzeitig zu reagieren. Oft werden auch wir erst durch einen solchen uns bekannt werdenden Fall auf einen Problembereich aufmerksam.
Ich möchte noch einmal sagen, daß es nach meiner Auffassung angemessen wäre, wenn wir jetzt zunächst einmal die Rechtsprechung abwarten.
Die letzte Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wäre es nicht doch richtiger, diese Gelegenheit wahrzunehmen, um die politischen und die rechtlichen Wertungen ein wenig systematisch in Einklang zu bringen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben uns in der Vergangenheit immer wieder bemüht, hier einen Zusammenhang herzustellen. Aber die Vielfältigkeit der Lebenssachverhalte macht uns das schwer. Deshalb bitte ich um Ihr Verständnis.
Keine weitere Zusatzfrage aus der Mitte des Hauses. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herold zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Straßmeir auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß die DDR die Transit-Autobahn Berlin- Helmstedt lediglich mit einer neuen Oberdecke versieht, obwohl die Bundesregierung Deutschland erhebliche Mittel für die Grunderneuerung dieser Autobahnstrecke bereitgestellt hat?
Herr Kollege Straßmeir, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Bei der Grunderneuerung der Transitautobahn Berlin–Helmstedt werden sowohl das sogenannte Tiefeinbau- als auch das sogenannte Hocheinbauverfahren angewendet. Bei dem letztgenannten Verfahren wird die neue Oberbaukonstruktion schichtweise auf die alte Fahrbahndecke aufgebracht, die somit als Trägerschicht weiter Verwendung findet.
Dieses auch in der Bundesrepublik Deutschland übliche und bewährte Verfahren liegt den Vereinbarungen mit der DDR und auch der Kostenermittlung zugrunde.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß der Bereitstellung von 260 Millionen DM für die Erneuerung der Transitstrecke Berechnungen zugrunde liegen, die auf den Ausbau nach dem vergleichbaren Standard unserer Autobahn mit starker Frequenz auch im Schwerlastverkehr abstellen, und hat die DDR den Ausbau dieser Art akzeptiert?
Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, ich kann Ihnen nur sagen, daß die entsprechenden Leistungsverzeichnisse mit den Vertretern des Bundesverkehrsministeriums abgesprochen und daß dagegen keine Bedenken erhoben worden sind.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Straßmeir.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nicht als eine direkte Beantwortung ansehen. Aber, Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Zweifel, daß die DDR sowohl zeitlich als auch technisch in der Lage ist, die Autobahn in der beschriebenen Weise so auszubauen, daß nicht alsbald nach der Erneuerung weitere Reparaturen erforderlich werden?
Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, auf diese hypothetische Frage brauche ich wohl keine Antwort zu geben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatssekretär Herold, welche Arbeiten werden zur Zeit konkret bei den Elbbrücken in der Magdeburger Gegend vorgenommen? Sind das reine Renovierungsmaßnahmen, oder sind das bereits Arbeiten auf Grund des Abkommens?
Herold, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, mir diese konkreten Fragen in der nächsten Fragestunde zu stellen. Ich werde die Erkundigungen einziehen, die notwendig sind, um Ihnen eine sach- und fachgerechte Antwort zu geben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung vor der Mittelgewährung an die DDR Zusicherungen über die Qualität des Ausbaus im Detail geben lassen?Herold, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin auf die Frage des Kollegen Straßmeier bereits gesagt, daß die Leistungsverzeichnisse, also die Ausführung der Bauvorhaben, mit den Fachleuten der Bundesministerien abgesprochen sind und daß dabei keinerlei Mißverständnisse aufgetreten sind.
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Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die DDR zur Einhaltung der getroffenen Vereinbarung zu veranlassen?
Herold, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits in der Antwort auf die vorhergehende Frage angedeutet, daß wir es nicht für notwendig halten, im Augenblick weitere Schritte bei der DDR-Regierung zu unternehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, welche Gewähr hat die Bundesregierung, daß die DDR die zweckgebundenen Mittel in vollem Umfang und in der vereinbarten Weise einsetzt, und wie ist diese gegebenenfalls fixiert?
Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, ich möchte Sie bitten, mir zu erlauben, diese Frage in einem persönlichen Gespräch zu beantworten. Ich möchte die Einzelheiten nicht hier in aller Öffentlichkeit dartun. Es könnte sonst Mißverständnisse geben.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten der Kontrolle hat die Bundesregierung, um sich von der sachgerechten Verwendung der Mittel oder auch von der sachgerechten Bauausführung zu überzeugen?
Herold, Parl. Staatssekretär: Auch hierzu gilt meine soeben geäußerte Bitte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Staatssekretär Herold, werden eigentlich Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland an diesen Maßnahmen beteiligt?
Herold, Parl. Staatssekretär: Das war von vornherein vorgesehen.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die im Bericht der „Quick" vom 22. April 1976 geschilderten physischen und psychischen Folterungen des deutschen Staatsbürgers Christian Schmidt in Gefängnissen des SED-Regimes in ungeheuerlichem Widerspruch zu den Verpflichtungen stehen, die das SED-Regime bei seinem Eintritt in die UNO und im Rahmen der KSZE-Dokumente eingegangen ist, und wird die Bundesregierung diesen Fall vor die UNO bringen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die Bundesregierung ist auf die allgemeinen Aspekte Ihrer
Frage, nämlich die Bedingungen, unter denen poliische Häftlinge in Strafanstalten der DDR festgehalten werden, im Deutschen Bundestag schon mehrfach eingegangen. Ich verweise hierzu auf meine Antwort vom 12. März 1975 auf eine Anfrage von Ihnen, ausgewiesen im Protokoll über die 154. Sitzung des Deutschen Bundestages, Anlage 2, sowie auf meine Antwort vom 12. März 1976 auf eine Anfrage des Kollegen Hans Roser, die im Protokoll über die 228. Sitzung des Deutschen Bundestages in Anlage 85 abgedruckt ist. Ich wiederhole mich daher, wenn ich erkläre: Trotz des Berichts in der Illustrierten „Quick" steht nach unseren Erkenntnissen nach wie vor fest, daß systematische Mißhandlungen von Häftlingen in der DDR nicht stattfinden. Daß Mißhandlungen in Einzelfällen vorgekommen sind, ist bekannt. Dies habe ich hier bereits verurteilt.
Herr Christian Schmidt ist während seiner Haft zweimal von einem Mitglied unserer Ständigen Vertretung besucht worden. Zwar schien er unter den Haftbedingungen, insbesondere was Verpflegung und die Eintönigkeit der Arbeit anbetrifft, zu leiden; von besonderen Vorkommnissen wie etwa Folterungen berichtete er jedoch weder damals noch später.
Herr Kollege, die Bundesregierung wird den Fall Schmidt nicht vor die UNO bringen. Unsere Argumente hierfür habe ich bereits in den vergangenen Fragestunden dargelegt.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie unsystematische Folterungen des Herrn Schmidt offenbar zugestanden haben, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung sich zwischenzeitlich mit Herrn Schmidt in Verbindung gesetzt hat, um die Fakten eindeutig festzuschreiben?
Herold, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier nichts zuzugeben gehabt, sondern ich habe — das möchte ich feststellen — die notwendige Erklärung der Bundesregierung wiederholt. Es wäre wohl zweckmäßig, wenn Herr Schmidt sich selbst mit dem zuständigen Ministerium in Verbindung setzte.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Herr Staatssekretär, fürchtet die Bundesregierung eigentlich nicht, daß sie sich bei Hinnahme solcher Foltermethoden, wie sie offensichtlich doch vorgelegen haben, mit ihrer Entspannungspolitik auch moralisch ins Abseits stellt?Herold, Parl. Staatssekretär: Ins Abseits stellen wir uns durchaus nicht. Heute ist es schließlich anders als früher, als Menschen, die in der DDR verhaftet worden waren, nicht besucht werden und wir uns nicht um sie kümmern konnten. Wir haben mit unserer Politik also viel erreicht, nämlich im Einzelfall Linderung zu schaffen. Daß in Einzelfällen Mißhandlungen vorgekommen sind, ist nicht zu bestreiten. Ich habe dies auch nicht verschwiegen, sondern es im Auftrag der Bundesregierung verurteilt.
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17568 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, wie ist Ihre Antwort mit der Feststellung, die Herr Bundesminister Franke im innerdeutschen Ausschuß getroffen hat, in Einklang zu bringen, wonach es in einzelnen Zuchthäusern der DDR sogenannte Tigerkäfige, d. h. Gefangenenräume gibt, die so eng sind, daß sich der Gefangene dort nur mit Mühe — wenn überhaupt — bewegen kann, und diese nach wie vor benutzt werden? Das heißt doch, daß dort Menschen offensichtlich systematisch unter unmenschlichen Bedingungen in den Zuchthäusern behandelt werden.
Herold, Parl. Staatssekretär: Ich möchte Ihnen grundsätzlich sagen: Zuchthäuser sind immer unmenschlich, inhuman. Sie unterscheiden sich auf der ganzen Welt nicht. Ich bedaure jeden Menschen, der in ein Zuchthaus kommt, ganz gleich aus welchen Gründen.
Ich möchte aber feststellen, daß keinerlei Differenz zwischen der Aussage meines Ministers im Ausschuß und dem besteht, was ich gesagt habe.
Keine Zusatzfrage mehr? — Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir stehen am Ende der Fragestunde; etwas vorzeitig, aber wir sind schon, wie ich höre, für den nächsten Punkt verhandlungsfähig.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern
— Drucksachen 7/2505, aus 7/498 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/5201 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl
bb) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/5165 — Berichterstatter:
Abgeordneter Berger
Abgeordneter Spillecke Abgeordneter Dr. Wendig
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften
— aus Drucksache 7/498 —
Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/5165 — Berichterstatter:
Abgeordneter Berger
Abgeordneter Spillecke Abgeordneter Dr. Wendig
Ich danke den Berichterstattern — für den Haushaltsausschuß dem Abgeordneten Dr. Riedl , für den Innenausschuß den Abgeordneten Berger, Spillecke und Dr. Wendig — für ihren Bericht und erteile dem Abgeordneten Berger als Berichterstatter das Wort zu einer Ergänzung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 99 des Entwurfs, der Änderungen des Soldatenversorgungsgesetzes enthält, haben sich einige redaktionelle Änderungen als notwendig erwiesen. Es handelt sich um Verweisungsfehler ohne materielle Bedeutung. Ich bitte Sie daher, damit einverstanden zu sein, daß ich diese Korrekturen zu Protokoll gebe. *) Es handelt sich um Berichtigungen der Nrn. 13, 19, 23 und 29 in § 99.
Ich danke Ihnen, Herr Berichterstatter.
Wir kommen damit zur allgemeinen Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Spillecke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD gebe ich zu dem vorliegenden Entwurf eines Beamtenversorgungsgesetzes folgende Erklärung ab. Das neue Beamtenversorgungsgesetz soll das Recht der Beamtenversorgung in Bund und Ländern vereinheitlichen. Mit diesem Gesetz macht der Bund von der ihm im Jahre 1971 übertragenen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Besoldungs- und Versorgungsrechts Gebrauch. Nachdem im Frühjahr vorigen Jahres durch das Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern ein für Bund und Länder einheitliches Besoldungsrecht geschaffen worden ist, ist es nur konsequent, wenn nunmehr auf dem Gebiet der Versorgung ein entsprechender Schritt getan wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Bund nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seine Gesetzgebungskompetenz in angemessener Frist in Anspruch nehmen muß, um zu verhindern, daß die Länder die Freiheit haben, eigene Regelungen zu verabschieden, und sich dadurch die bestehenden Unterschiede noch vergrößern.Der vorliegende Entwurf hat etwas im Schatten anderer Gesetzgebungsvorhaben gestanden. Ich erinnere an den dienstrechtlichen Teil des Familienlastenausgleichs und das bereits genannte Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern. Im Herbst vorigen Jahres kam dann noch das Haushaltsstrukturgesetz hinzu, das vordringlich verabschiedet werden mußte. Mit dem Haushaltsstrukturgesetz sind auch die finanziellen Schwierigkeiten ange-*) Anlage 2
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Spilleckesprochen, die diesem Entwurf im Wege gestanden haben und die Ausführung der ursprünglich vorgesehenen Maßnahmen teilweise verhinderten.Der Innenausschuß hat sich veranlaßt gesehen, sowohl den in der gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung und der Regierungen der Länder vom 19. Dezember 1974 über eine gemeinsame stabilitätskonforme Steuerung der Personalkosten im öffentlichen Dienst zum Entwurf des Beamtenversorgungsgesetzes gemachten Einsparungsvorschlägen als auch den von der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Haushaltsstrukturgesetz gemachten Empfehlungen vom 10. September 1975 zu folgen. Der Ausschuß hat demgemäß eine Reihe von Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage beschlossen, die zwar im Ergebnis zu einer starken Verringerung der durch das Beamtenversorgungsgesetz verursachten zusätzlichen Ausgaben geführt haben, aber auch zur Folge hatten, daß gewisse Änderungen der bestehenden Rechtslage, die der Ausschuß an und für sich durchaus für wünschenswert hält, bei dieser Gelegenheit nicht vorgenommen werden konnten. Das gilt z. B. für die Versorgung der sogenannten nachgeheirateten Witwen, die entgegen dem ursprünglichen Plan wegen der erheblichen Kosten nicht verbessert werden konnte.Der Empfehlung der Bundesregierung vom 10. September 1975 folgend, hat der Ausschuß statt des ersatzlosen Wegfalls der zehnjährigen Wartezeit beim Bund — bei den Ländern ist für den Bezug einer Pension keine Wartezeit vorgeschrieben — nunmehr allgemein die Einführung einer fünfjährigen Wartezeit beschlossen. Die Einführung einer solchen Wartezeit ist auch von der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts empfohlen worden, die dabei u. a. die im Rentenrecht bestehende Wartezeit für den Bezug einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Auge hatte. Für die Beamten aus dem Bereich der Länder, für die bisher keine Wartezeit bestanden hat, hat der Ausschuß eine Übergangsregelung beschlossen.Der vorliegende Entwurf, der weitgehend an dem geltenden Versorgungsrecht des Bundes orientiert ist, hat gelegentlich günstigeres Mehrheitsrecht der Länder übernommen, Minderheitsrecht der Länder jedoch nur, wo dies sachdienlich erschien.In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß der Innenausschuß es für richtig gehalten hat, die in dem Entwurf vorgesehenen Regelungen für in den einstweiligen Ruhestand versetzte Beamte zu übernehmen, die günstiger als das insoweit derzeit geltende Bundesrecht sind.Es handelt sich hierbei einmal um die Erhöhung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit durch Anrechnung von im einstweiligen Ruhestand zurückgelegten Zeiten bis zu fünf Jahren. Nach dem Grundgedanken entsprechender Länderregelungen wollte der Ausschuß hier die Tatsache berücksichtigen, daß der im einstweiligen Ruhestand befindliche Beamte verpflichtet ist, einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis im Dienstbereich seines früheren Dienstherrn Folge zu leisten.Zum zweiten ist hier die Verbesserung der Versorgung bei Versetzung in den einstweiligen Ruhestand auf 75 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der erlangten Besoldungsgruppe während der ersten fünf Jahre zu nennen. Diese Regelung, die im Einklang mit § 70 Abs. 2 des Beamtenrechtsrahmengesetzes in der Mehrzahl der Länder bereits gilt, berücksichtigt die Tatsache, daß nicht nur politische Beamte von der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand betroffen sein können, sondern auch Beamte, die bei Gebietsreformen und sonstiger Auflösung oder Umbildung von Behörden entbehrlich werden, und es für solche Beamte eine große Härte darstellen würde, wenn sie plötzlich eine starke Absenkung ihrer Bezüge ohne die Möglichkeit bekämen, sich in einer Übergangszeit auf den veränderten Status einzustellen.Insofern, verehrter Herr Kollege Berger, möchte ich nach dieser detaillierten Begründung zu dem von mir vorgetragenen Gegenstand auch etwas zu dem Antrag der CDU/CSU in Drucksache 7/5287 sagen. Die Kosten des Vorschlags der Koalitionsfraktionen, die auch im Bericht des Innenausschusses an das Plenum angesprochen werden, sind von geringer Bedeutung. Die Kosten, die aus dem § 7 resultieren, belaufen sich in Bund, Ländern und Gemeinden insgesamt auf 220 000 DM, und die aus § 14 resultierenden Kosten machen ganze 110 000 DM aus. Die Koalitionsfraktionen waren der Auffassung, daß man hier ebenfalls zu einer Vereinheitlichung kommen sollte. Wenn dieses Gesetz dem Prinzip der Vereinheitlichung dienen soll, dann, so meinten wir, darf der Bereich der politischen Beamten nicht ausgeschlossen bleiben. Um später auf eine Begründung der ablehnenden Haltung der Koalitionsfraktionen gegenüber Ihrem Antrag verzichten zu können, darf ich schon in diesem Zusammenhang sagen: die Koalitionsfraktionen werden Ihren Antrag aus den von mir dargelegten Gründen ablehnen.Während der Beratungen ist an den Ausschuß das Problem der Aufwendungen von Versorgungsempfängern in Altersheimen herangetragen worden. Mit diesem Problem hat sich der Ausschuß eingehend beschäftigt. Wegen der Vielschichtigkeit des Problems hat der Ausschuß jedoch keine gesetzliche Regelung beschlossen, sondern die Bundesregierung ersucht, gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche dienstrechtlichen Möglichkeiten bestehen, über die geltenden Regelungen hinaus Versorgungsempfängern zu helfen, die in ein Altersheim aufgenommen werden müssen und deren Versorgungsbezüge zur Bestreitung der Kosten nicht ausreichen. Dabei sollen auch die Auswirkungen auf andere Personenkreise und Rechtsgebiete untersucht werden.Bei der Beratung des Beamtenversorgungsgesetzes hat sich auch die Frage gestellt, ob man den dienstrechtlichen Teil des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung — im Hinblick auf die Nachversicherung von unversorgt ausgeschiedenen Beamten, Richtern und Berufssoldaten bei einer Zusatzversorgungseinrichtung in das Beamtenversorgungsge-
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17570 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Spilleckesetz einarbeiten sollte. Wie aus dem Bericht des für das Betriebsrentengesetz federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 22. November 1974 hervorgeht — hier ist die Bundestagsdrucksache 7/2843, Seite 6 zu vergleichen —, sollten diese Vorschriften in einen das Dienstrecht des öffentlichen Dienstes betreffenden Gesetzentwurf übernommen werden. Der Innenausschuß hat jedoch beschlossen, diese Übernahme für das vorliegende Gesetz noch nicht vorzuschlagen.Dem Ausschuß hat bei seinen Beratungen auch das vom Bundesminister des Innern angeforderte Gutachten der Treuarbeit AG über einen Vergleich des beamtenrechtlichen Versorgungssystems mit den Versorgungssystemen für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst und in der privaten Wirtschaft vorgelegen. Der Ausschuß war der Meinung, daß die in diesem Gutachten angesprochenen Probleme nicht im Beamtenversorgungsgesetz geregelt werden können, sondern einer besonderen Prüfung im Rahmen von späteren Maßnahmen zur Reform des öffentlichen Dienstrechts bedürfen, zumal hier Probleme der Krankenversorgung und der Besteuerung von Versorgungsbezügen eine besondere Rolle spielen.Mit Rücksicht auf den allgemeinen Wunsch der Länder nach einer gewissen Anlaufzeit hat der Ausschuß das Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes nicht auf den von der Bundesregierung empfohlenen Zeitpunkt, nämlich den 1. Juli 1976, sondern auf den 1. Oktober 1976 festgelegt. Damit soll den Versorgungsverwaltungen insbesondere im Länderbereich eine gewisse Zeitspanne gegeben werden, innerhalb derer sie sich mit dem für sie neuen Recht vertraut machen können.Zusammenfassend möchte ich sagen, daß der Ihnen vorliegende Entwurf dem Verfassungsauftrag des Art. 74 a des Grundgesetzes in der zur Zeit möglichen Weise nachkommt. Meine Fraktion wird dem Entwurf daher zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU mißt der angemessenen Versorgung ehemaliger Beamter, Richter und Soldaten eine ganz wesentliche Bedeutung bei. Ich habe namens meiner Fraktion schon bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs darauf hinweisen können, daß die Versorgung der aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Beamten, Richter und Soldaten und ihrer Hinterbliebenen zur erdienten Gegenleistung für ein Berufsleben im Staatsdienst gehört, auf die dem Grunde und der angemessenen Höhe nach ein verfassungsrechtlicher Anspruch entsteht. Dem modernen Rechts- und Verwaltungsstaat, der mit der Loyalität seiner Richter, seiner Beamten und seiner Soldaten steht und fällt, muß umgekehrt auch die loyale Erfüllung des Anspruchs auf die erdiente Gegenleistung, also auf die Versorgung, selbstverständlich sein. Geradedie pensionierten Staatsdiener, die ihre Leistung an dem Staat schon voll erbracht haben, und ihre Hinterbliebenen sind auf diese Loyalität des Staates in besonderem Maße angewiesen. In einer Krisenzeit der öffentlichen Finanzen, wie wir sie nach sieben Regierungsjahren der derzeitigen Regierungskoalition heute erleben, gehört es ferner zu den unverzichtbaren Grundsätzen, daß die Lasten auf alle Betroffenen gleichmäßig verteilt werden — unter Einschluß von politischen Lieblingskindern; ich werde auf diesen Punkt noch zurückkommen.In dem Gesetzentwurf, so wie er jetzt vor uns liegt, möchte ich politisch drei Komplexe unterscheiden:Erstens. Die formelle Vereinheitlichung einer umfangreichen und komplizierten Gesetzesmaterie, die schon bisher der Sache nach im Bund und in den elf Ländern in vielen Punkten gleich geregelt war, die aber formell über das Bundesbeamtengesetz, das Beamtenrechtsrahmengesetz des Bundes und elf Landesbeamtengesetze verstreut war. Von den 88 Druckseiten des Gesetzentwurfs entfallen sicherlich 70 bis 80 Seiten auf diese formelle Vereinheitlichung. Das bedeutet keine sachliche Fortentwicklung, aber eine gesetzestechnische Vereinfachung, an der meine Fraktion im Innenausschuß und in seinem Unterausschuß Beamtenversorgungsrecht, dem vorzusitzen ich die Ehre hatte, engagiert mitgearbeitet hat. Meine Fraktion ist bereit, diesen Komplex innerhalb des Gesetzentwurfs voll und ganz mitzutragen.Als zweiten Komplex, der vielleicht fünf bis zehn Seiten innerhalb des Gesetzentwurfs ausmacht, sehe ich die sachliche Vereinheitlichung von Punkten, die bisher im Bundesdienst und in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt waren. Hier hat sich die öffentliche Finanzkrise dahin ausgewirkt, daß für 99 % aller Versorgungsempfänger der Versuch einer Vereinheitlichung nach oben, also mit der Tendenz zur jeweils günstigsten der bisherigen Einzelregelungen, von vornherein aussichtslos war. Die Vereinheitlichung war im allgemeinen bestenfalls in der Mitte möglich, so daß sich im Bund und in den einzelnen Ländern teils Verbesserungen und teils Verschlechterungen ergaben, die sich gegenseitig zumindest die Waage halten. Manchmal werden aber auch die Verbesserungen durch Verschlechterungen erheblich überkompensiert. So wurde z. B. die von Herrn Kollegen Spillecke eben schon angesprochene zehnjährige Wartezeit vor Erwerb eines Versorgungsanspruchs, die allein im Bund galt, zwar für den Bund auf fünf Jahre herabgesetzt; dafür mußte sie aber als fünfjährige Wartezeit für alle elf Länder neu eingeführt werden. Mit Mühe und Not ist es uns bei den Ausschußberatungen gelungen, wenigstens den Rechtsstand für Beamte, die unter den bisherigen Landesgesetzen in das Beamtenverhältnis eingetreten sind, zu wahren. Die CDU/CSU war und ist dazu der Ansicht, daß der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes auch im öffentlichen Dienstrecht erheblich mehr Beachtung verdient, als es Regierung und Koalition hier zunächst praktizieren wollten und in anderen Fällen schon praktiziert haben.
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BergerDie Mindestzeit in Beförderungsämtern, von der früher im Bund und in einer Minderheit der Länder die versorgungsrechtliche Berücksichtigung von Beförderungen abhängig war, wurde reaktiviert und auf alle Länder ausgedehnt sowie gleichzeitig noch auf zwei Jahre verdoppelt. Die empfindliche Verschlechterung durch das Haushaltsstrukturgesetz wurde damit auf Dauer einheitlich festgeschrieben.Verbesserungen des Versorgungsrechts, wie sie in den 50er und 60er Jahren in vielen Punkten Schritt für Schritt möglich gewesen sind, mußten nahezu völlig unterbleiben. Dabei wäre eine Fortentwicklung im positiven Sinne heute nötiger denn je, allein schon um der wachsenden Belastung durch Kaufkraftschwund, Entwertung der Spargelder, Steuerprogression und steigende Krankheits- und Krankenversicherungskosten zu begegnen. Es war nicht möglich, wie seit langem vorgesehen und von der Regierung ursprünglich für dieses Gesetz angekündigt, den sogenannten nachgeheirateten Witwen das volle Witwengeld zu gewähren.Es war nicht möglich, wie von der Regierung ursprünglich angekündigt, den Ausgleich für die frühere Altersgrenze der Soldaten und Polizeibeamten an die Geldentwertung anzupassen. Im Gegenteil bleibt es sogar bei der Kürzung, die im Haushaltsstrukturgesetz erfolgt ist und die in sehr bedenklicher Weise in den Rechtsstand vieler schon im Dienst befindlicher Beamten und Soldaten eingegriffen hatte.Es war nicht möglich, das Problem der außerordentlich gestiegenen Belastungen bei Unterbringung in einem Alten- oder Altenpflegeheim in diesem Gesetz zu lösen.Es scheiterte sogar die Regelung der Nachversicherung in der Zusatzversorgungsanstalt des Bundes und der Länder beim Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis, also die Mitnahme der vollen erdienten Versorgungsanwartschaft beim Ausscheiden — eine Frage, die für den Bereich der privaten Unternehmungen längst gelöst ist. Leider ist dies keineswegs der einzige Fall, wo die Koalition bei der Belastung von privaten Unternehmen und öffentlicher Hand unterschiedliche Maßstäbe anlegt, wo sie glaubt, die öffentliche Hand von Lasten verschonen zu müssen, die vorher der privaten Wirtschaft mit großer Selbstverständlichkeit aufgebürdet wurden. Hier bestätigt sich nachträglich, wie falsch es war, bei der Einführung des Betriebsrentengesetzes den privaten und den öffentlichen Bereich zu trennen, anstatt die zusammengehörende Problematik politisch als ein zusammengehörendes Paket zu behandeln und beides gleichzeitig zu regeln.Nicht möglich war schließlich jegliches Eingehen auf das Gutachten der Treuarbeit zur Beamtenversorgung, das in gravierenden Punkten eine Fehlentwicklung zu Lasten der Versorgung der Beamten, Richter und Soldaten belegt hat. Auf den Ergebnissen dieses Gutachtens hätte das politische Schwergewicht liegen müssen, wenn das Gesetz nicht nur Vereinheitlichung, sondern auch inhaltliche Fortentwicklung zum Gegenstand hätte haben sollen.Ich sage allerdings ganz offen, daß zur Zeit auch die Opposition nicht in der Lage ist, hierzu konkrete Verbesserungen zu beantragen, weil wir das Geld, das die Koalition verwirtschaftet hat, nicht im Handumdrehen wieder herbeischaffen können.
Trotzdem wird an dieser Stelle am allerdeutlichsten, daß das Gesetz dort, wo sachliche Fortentwicklungen anzusprechen wären, nichts aufweist als eine große weiße Fläche.Meine Damen und Herren, ich habe bewußt diese Bilanz der Fehlanzeigen und mein Bedauern darüber so eingehend dargestellt, damit der Kontrast zum dritten Komplex um so deutlicher wird. Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, eingeräumt, daß wir die von Ihnen gründlichst ausgeleerten öffentlichen Kassen nicht im Handumdrehen füllen können und deshalb die Konsequenzen zur Zeit hinnehmen müssen. Dies setzt aber voraus, daß allen gleich geschieht. Und damit komme ich zum dritten Komplex.Eine massive Vereinheitlichung nach oben mit durchschlagenden finanziellen Verbesserungen findet sich allein bei der Regelung des einstweiligen Ruhestandes für politische Beamte. Weit entfernt von dem finanziellen Rigorismus, der die übrigen 99 % des Gesetzentwurfs beherrscht
ich greife das gern auf und unterstreiche das: der die übrigen 99,5 % des Gesetzentwurfs beherrscht —, soll hier, nur an dieser Stelle, der Gesetzgeber das ganze Füllhorn seiner Großzügigkeit ausschütten. Die Vereinheitlichung folgt buchstäblich dem Rosinenprinzip. Das heißt, aus den sehr unterschiedlichen Regelungen des Bundes und der elf Länder werden jeweils die günstigsten Einzelelemente herausgenommen und zu einer Sammlung von Wohltaten kombiniert, die in dieser Großzügigkeit bisher kaum irgendwo gegolten hat. Es handelt sich um zwei Einzelpunkte:Erstens geht es um eine verbesserte Ruhegehaltsregelung für die ersten fünf Jahre des einstweiligen Ruhestandes. Ich räume gerne ein, daß sich eine gewisse Mindestregelung hierfür in allen Gesetzen bereits befand und daß das einen guten Grund hat. Ein Beamter, der gegen seinen Willen und unter Durchbrechung des Lebenszeitprinzips plötzlich in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird, darf nicht von heute auf morgen den größeren Teil seines Einkommens verlieren. Das Bundesbeamtengesetz und ein Teil der Landesbeamtengesetze sahen deshalb für die ersten fünf Jahre einen Mindestsatz von 50 % als Ruhegehalt vor, andere Landesbeamtengesetze staffelten je nach Dienstzeit zwischen 50 % und 75 °/o, und ein Teil der Länder gewährte auch bei sehr kurzen Dienstzeiten stets den Höchstsatz von 75 %. Diese Höchstregelung soll nun für alle Länder und den Bund übernommen werden, d. h. im Bund ergibt sich für politische Beamte, die
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Bergernach dem 1. Oktober 1976, also dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes,
in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden sollten, eine Verbesserung von mindestens 50 % auf 75 % der ruhegehaltsfähigen Bezüge, also glatt um die Hälfte.Zweitens geht es um die Berechnung des Ruhegehaltes nach Ablauf der ersten fünf Jahre im einstweiligen Ruhestand. Eine Minderheit von Ländern kannte die Regelung, daß während der ersten fünf Jahre des einstweiligen Ruhestandes die ruhegehaltsfähige Dienstzeit weiterläuft, so daß für die anschließende Zeit, in der an sich das normale erdiente Ruhegehalt gezahlt wird, dieses Ruhegehalt sich um fünf anrechenbare Dienstjahre erhöht, d. h. in vielen Fällen um 10 % der aktiven Dienstbezüge. Bei einer nicht allzu langen Dienstzeit des betroffenen Beamten erhöht sich damit der Ruhegehaltssatz von 35 % auf 45 % der aktiven Dienstbezüge, also fast um ein Drittel des bisher vorgesehenen Ruhegehaltes. Auch hier ist der Bund wieder unter denen, denen die Verbesserung voll zugute kommt.Meine Damen und Herren, derart massive Verbesserungen zugunsten der politischen Beamten in einem Gesetz, das für die übrigen 99 % aller Versorgungsempfänger geradezu mit dem Rotstift geschrieben ist, sind schlechterdings unerträglich. Sie verletzen in elementarer Weise unsere Forderung, daß die Lasten, die wir der Politik der letzten Jahre zu verdanken haben, auf alle Schultern gleichmäßig verteilt werden müssen. Sie fügen sich darüber hinaus ein in einen schleichenden Prozeß der Abwertung der großen Masse der Fachbeamten und der Aufwertung einer neuen fragwürdigen Eliteschicht von parteipolitisch gebundenen und parteipolitisch geförderten Beamten. Wir sehen und beklagen diese Erscheinung in der Personalpolitik des Bundes, wo sich die parteipolitische Besetzung von Spitzenpositionen in erschreckendem Maße ausgebreitet hat mit der Folge, daß die Fachleute weiterhin die Arbeit tun müssen, aber nicht entsprechend besoldet werden. Die parteipolitisch nicht geförderten Fachleute müssen erleben, daß sie auf immer breiterer Front von einer fachlich wenig erfahrenen, aber eindeutig parteiorientierten jungen Garde überholt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sehen wir sozusagen die versorgungsrechtliche Verlängerung dieser Tendenz vor uns. Wo für die große Masse der Fachbeamten und ihrer Witwen Sparsamkeit und Kostenneutralität oberstes Gesetz waren, soll für politische Beamte keine Vergünstigung zu teuer sein.Meine Fraktion lehnt diese Umkehrung der richtigen Verhältnisse mit der größten Entschiedenheit ab und bittet Sie, dem entsprechenden Änderungsantrag zuzustimmen.
Herr Präsident, darf ich zugleich noch zu Nr. I2 des Ausschußantrags sprechen? — Meine Fraktion ist gegen die vom Ausschuß vorgeschlagene teilweise Ablehnung des Gesetzentwurfs Drucksache 7/498. Es geht darum, daß vor allem Beamte des mittleren und des gehobenen Dienstes, die schon vor Vollendung ihres 27. Lebensjahres ihre Probezeit abgeleistet haben und endgültig mit verantwortlichen Aufgaben betraut werden, auch vor dem 27. Lebensjahr zu Beamten auf Lebenszeit berufen werden können. Zunächst soll die Grenze auf das 25. Lebensjahr gesenkt werden.Daß der Vorschlag sachlich vernünftig ist und dem Gang der Entwicklung entspricht, ist unbestritten. Wenn ihn die Ausschußmehrheit trotzdem mehrmals mit allen Zeichen der Verlegenheit — so kann man wohl sagen — verschleppt hat und ihn jetzt ablehnt, dann allein aus optischen Gründen: weil das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes naturgemäß die beamtenrechtliche Lebenszeitregelung nicht hat und wohl auch nicht haben kann, weil man aber diesen sachlich bedingten Unterschied möglichst nicht erwähnen möchte. In der Konsequenz führt das zur gegenseitigen Blockade von Beamtenrecht und Tarifrecht. Wir lehnen diese Denkweise ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt es vor allem, daß es gelungen ist, entsprechend dem Verfassungsauftrag in Art. 74 a GG und den wiederholt hervorgehobenen Zielvorstellungen hierzu ein für alle Beamten einheitliches Versorgungsrecht noch in dieser Legislaturperiode zu schaffen.Als im Jahre 1971 in einer der bedeutsamsten Änderungen des Grundgesetzes dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf den Gebieten der Beamtenbesoldung und -versorgung durch Einfügung des Art. 74 a zugestanden wurde, war die seit langem notwendige Basis gefunden, der in unvertretbarem Maße auseinanderlaufenden Entwicklung in diesen Bereichen Einhalt zu gebieten. Für Bund und Länder, im Verhältnis der Länder zueinander, aber auch im wohlverstandenen Interesse der Bediensteten waren die mannigfachen Unterschiede und Abweichungen gleichermaßen unbefriedigend und bedurften einer bundeseinheitlichen Steuerung. Diese erfolgte für den Besoldungssektor durch das am 1. Juli des vergangenen Jahres in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern, und sie wird fortgesetzt und zu einem grundlegenden Abschluß gebracht durch das hier heute zur Verabschiedung anstehende Beamtenversorgungsgesetz. Damit ist zugleich ein wichtiger weiterer Schritt auf dem Wege der Neugestaltung des öffentlichen Dienstrechts vollzogen.
Das Gesetz dient im wesentlichen der Rechtsbereinigung und der Rechtsvereinheitlichung, aber auch nur im wesentlichen, Herr Kollege Berger. Immerhin wurde — das ist richtig — schon seit Ein-
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Dr. Wendigbringung des Gesetzes im Januar 1975 deutlich, daß der in der gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung und der Regierungen der Länder vom 19. Dezember 1974, also in dem bekannten Moratorium, zum Ausdruck gebrachte Zwang zum Sparen kostenwirksame Verbesserungen grundsätzlich und damit auch auf dem Gebiet des Beamtenversorgungsrechts, jedenfalls in einem größeren Umfang, nicht zuließ. Weitere Einschränkungen kostenwirksamer Maßnahmen brachte das Sparprogramm der Bundesregierung vom 10. September 1975. Dennoch haben wir nicht nur Vereinheitlichung, dennoch ist eine Reihe von Verbesserungen möglich gewesen, die für den Bund — lassen Sie mich die Zahl nennen — einschließlich Bundesbahn und Bundespost sowie für die Länder einen Kostenaufwand von insgesamt 8,59 Millionen DM erfordern. Es ist also nicht richtig, Herr Berger, wenn man schlicht sagt, das ganze Gesetz sei nur Vereinheitlichung.Zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion in der Drucksache 7/5287 möchte ich mich auf die Begründung des Kollegen Spillecke beziehen und nur noch einmal unterstreichend beifügen, daß auch in der Gesamtkonzeption dieses Gesetzes — ich komme gleich noch auf ein paar Einzelheiten — das, was hier hinsichtlich der politischen Beamten enthalten ist, durchaus von der Sache her geboten und tragbar ist. Politisch gesehen, meine Damen und Herren, ist es beinahe ein bißchen Schau, wenn Sie jetzt nur vortragen, daß eine ganz besondere Klasse oder eine ganz besondere Gruppe hier bevorzugt werden sollte. Wie sieht es denn mit den politischen Beamten generell aus? Wie sieht es denn in Bund und Ländern aus? Tun Sie doch bitte nicht so, als wenn hier plötzlich für eine bestimmte Gruppe neues Recht geschaffen werden sollte. Das ist doch einfach nicht wahr.
Ich möchte aber aus den Verbesserungen, die für alle enthalten sind, ein paar nennen. Das ist die Verbesserung der Anrechnung von Zeiten als ruhe-gehaltsfähige Dienstzeit für alle. Das ist die Gewährung von Sterbegeld nach dem Tode der Witwe oder der geschiedenen Ehefrau eines Beamten an waisengeldberechtigte Kinder. Das ist der Wegfall der Ruhensregelung bei Nichtdeutschen, bei Wohnsitz oder dauerndem Aufenthalt im Ausland. Das ist die Erweiterung der dienstunfallgeschützten Tatbestände. Meine Damen und Herren, das kann man doch nicht einfach hinwegreden. In das Gesetz eingearbeitet sind die mit Inkrafttreten des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechtes zum 1. Juli 1977 notwendig werdenden beamtenversorgungsrechtlichen Folgeänderungen. Diesen hat das Parlament jedenfalls inhaltlich bereits mit dem Gesetz zur Änderung beamtenversorgungsrechtlicher Vorschriften durch Einfügung neuer Bestimmungen in das Bundesbeamtengesetz zugestimmt. Danach hat der Beamte oder Ruhestandsbeamte eine entsprechende Kürzung seiner Versorgungsbezüge hinzunehmen, wenn zugunsten seines geschiedenen Ehegatten eine Versorgungsanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Vorschriften des neuen Eherechts begründet wird. Ich will hier auf nähere Einzelheiten der Kürze halber nicht eingehen.Meine Damen und Herren, damit sind natürlich freilich nicht alle Wünsche und Vorstellungen, die auch für uns Gewicht haben könnten, erfüllt. Ich denke hier ebenfalls insbesondere an die Versorgung der sogenannten nachgeheirateten Witwe, die im Gegensatz zur vollen Witwenversorgung auf die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags angewiesen bleibt, auf den anderweitige Einkünfte in angemessenem Umfang anzurechnen sind. Ferner sind hier diejenigen Waisen zu nennen, die erst nach dem Eintritt des Beamten in den Ruhestand und Vollendung des 65. Lebensjahres adoptiert werden, und anderes mehr.Meine Damen und Herren, so mag das Gesetz im Einzelfall zwar nicht allen Problemen in erstrebenswerter Weise entsprechen. Insgesamt stellt es aber im Rahmen des finanziell Machbaren und in seiner Ausgewogenheit die bestmögliche Erfüllung des Verfassungsauftrages dar, dem wir uns hier zu stellen haben. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei wird daher der Vorlage zustimmen.
Das Wort hat der Bundesminister Maihofer.
Frau Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann mir nach den Ausführungen der Sprecher der beiden Koalitionsfraktionen ein Eingehen auf die mit meiner Auffassung inhaltlich übereinstimmenden Erläuterungen der Grundgedanken dieses Gesetzentwurfs versagen und will nur auf die mich überraschenden Bemerkungen des Sprechers der Opposition, des Herrn Kollegen Berger, eingehen.Herr Berger, Sie wissen doch so gut wie wir, daß die Absichten des Gesetzgebers, die 1974 hier noch gemeinsame waren, nicht etwa von seiten der Regierungsfraktionen, auch nicht allein des Bundes, sondern nach gemeinsamem Beschluß von Bund und Ländern — also einschließlich der CDU/CSU-regierten Länder — so zurückgenommen worden sind, daß es den seinerzeit zur Steuerung der Personalkosten gefaßten Beschlüssen entsprach.
Deshalb kann ich den Anschein, den Sie hier erwecken wollen, daß die Regierung von ihren eigenen früheren Absichten zurücktritt, nur als irreführend bezeichnen. In der föderativen Solidarität mit den Ländern sind wir mit Ihnen gemeinsam gezwungen, ein sparsameres Versorgungsgesetz zu verabschieden, als dies ursprünglich beabsichtigt war.Zum zweiten kann ich wirklich nur mein Erstaunen, ja sogar Befremden darüber ausdrücken, daß Sie behaupten — und das heute öffentlich erklären, wie ich eben lesen mußte —, die „Regierung habe in dem Gesetzentwurf massive Verbesserungen für politische Beamte hineingeschmuggelt" . So steht es heute in einer Ihrer Presseverlautbarungen.
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17574 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferDazu sage ich Ihnen knapp und klar: Einen solchen schlicht wahrheitswidrigen Vorwurf weise ich entschieden zurück. Die Wahrheit ist genau entgegengesetzt.Erstens. Diese Vorschriften waren schon — und zwar so — Bestandteil des 1974 eingebrachten Gesetzentwurfs auf der Drucksache 7/2505, der — und das sollten Sie wohl zur Kenntnis nehmen — in einer Bund-Länder-Kommission, der auch Vertreter der von der Opposition regierten CSU- und CDU-Länder angehörten, so und nicht anders vorbereitet worden ist.
Zweitens gleich zu diesem Argument: Diese Vorschrift wurde vom Bundesrat — und dabei ist es geblieben — im ersten Durchgang nicht nur ohne jegliche Einschränkung gebilligt, sondern noch ausdrücklich durch eigene textliche Änderungen ausgebaut.Im übrigen — das wissen Sie ganz genau — ist diese unsere Regelung jetzt nicht etwa weitergehend, sondern zurückhaltender als die Regelung, wie sie in dem sonst mit Personalkosten so sparsamen Baden-Württemberg heute geltendes Recht ist. Wenn Sie hier heute also den Anschein erwecken wollen, als ob nun plötzlich die politischen Beamten privilegiert würden, dann müssen Sie mit Ihrer Kritik schon bei den Ländern anfangen — ich könnte Ihnen noch einige mehr aufzählen —, die diese Regelungen seit Jahr und Tag haben. Wir haben uns im Gegenteil auf einer mittleren Linie zwischen Bund und Ländern zusammengefunden, und das ist nicht mehr als recht und billig.Ich möchte Ihnen weiter sagen, daß Ihr Antrag schon deshalb völlig undurchführbar ist, weil Sie ihn — ich kann das nur als Redaktionsversehen ansehen — ausschließlich auf die Beamten bezogen haben. Sie müßten — wenn schon denn schon — ihn genauso auch auf die Soldaten bezogen haben; denn Sie werden doch nicht ernstlich wollen, daß wir die Ihrem Antrag entsprechende Regelung bei den Beamten einführen, die für die Soldaten aber unverändert belassen.Ich kann diesen Ihren Antrag — bitte, ich habe dafür Verständnis — nur als durch die Umstände der Zeit motiviert ansehen; denn wenn Sie sich diese Gesichtspunkte hier deutlich machen, dann müssen Sie erkennen, daß Sie damit doch nicht ernstlich gegen die Gesetzesvorlage opponieren können.Diesen Punkt ausgenommen, Herr Berger — und das sage ich auch ausdrücklich in Ihre Richtung; und dazu habe ich allen Anlaß —, möchte ich mich für die sonst äußerst sachliche und äußerst fruchtbare Mitarbeit der Opposition bei der Entstehung dieses Gesetzentwurfs bedanken, Nur kann ich gar nicht verstehen, wie man nun nachträglich an einem solchen Punkte plötzlich einen Streitfall aufwirft, wo es in der Sache überhaupt nichts zu streiten gibt.
Meine Damen und Herren, ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. Dabei bitte ich zu beachten, daß der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Berger, auf redaktionelle Änderungen hingewiesen hat. Ich frage das Haus, ob ich sie vorlesen muß — es sind drei Seiten —, oder ob wir diese redaktionellen Änderungen als in die Beratungen eingeschlossen betrachten wollen? — Ich sehe, wir können in der zuletzt genannten Weise verfahren.Es liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/5287 zu §§ 7, 14 und zur Einfügung eines § 85 a vor.Wer den §§ 1 bis 6 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen zum Änderungsantrag zu § 7. Wer zustimmen möchte, gebe bitte das Handzeichen.
— Ja, zunächst zu § 7.
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen dann zur Abstimmung über § 7 in der Ausschußvorlage. Wer zustimmen möchte, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe §§ 8 bis 13 auf. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Zu § 14 liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vor. Wer zustimmen möchte, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über § 14 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen möchte, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Wir stimmen über §§ 15 bis 85 ab. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zum Änderungsantrag auf Einfügung eines § 85 a. Wer zustimmen möchte, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt. § 85 a ist damit nicht aufgenommen.Wir stimmen ab über §§ 86 bis 106, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17575
Vizepräsident Frau FunckeMeine Damen und Herren, wir kommen zurdritten Beratung.Dazu liegt auf Umdruck 7/5292 ein Änderungsantrag vor.Das Wort hat Herr Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ihr Einverständnis, die drei Einzelpunkte des Änderungsantrags gemeinsam behandeln zu dürfen. Ich möchte aber vorher bemerken, daß der Herr Bundesinnenminister sich wirklich nicht überrascht zeigen kann, da die gleiche Haltung, die die CDU/CSU heute im Plenum zu den Verbesserungen für politische Beamte einnimmt, von den Mitgliedern der CDU/CSU im Innenausschuß ebenfalls in vollem Umfang nachdrücklich vertreten wurde, so daß Sie, Herr Bundesinnenminister, genau wußten, wie die CDU/CSU über diese Verbesserungen denkt.
Die unglaubliche Diskrepanz zwischen der Behandlung der großen Masse der Fachbeamten und ihrer Hinterbliebenen einerseits und den Vergünstigungen für politische Beamte andererseits zwingt meine Fraktion zu diesem erneuten, etwas ungewöhnlichen Änderungsantrag in der dritten Lesung. Wenn der Entwurf in der Fassung Gesetz wird, die Sie soeben in der zweiten Lesung beschlossen haben, bedeutet das: keine Konsequenzen aus den gravierenden Ergebnissen des Treuarbeit-Gutachtens, keine Angleichung an das Betriebsrentengesetz, keine Gleichstellung der nachgeheirateten Witwen, insgesamt Streichung aller ursprünglich vorgesehenen Verbesserungen, aber auf der anderen Seite für einen Staatssekretär des Bundes, der vielleicht ohne viel Verwaltungserfahrung und ohne viele Dienstjahre kraft Parteibuches in seine Stellung gelangt ist und nach dem 1. Oktober 1976 in den einstweiligen Ruhestand geschickt wird, in den ersten fünf Jahren Monat für Monat eine Verbesserung um 2 500 DM und für den Rest seines Lebens eine Verbesserung bis zu 1 000 DM im Monat.
Ich will hier nicht glossieren, welch geringe Zuversicht bezüglich der Entwicklung nach dem 1. Oktober sich daraus ablesen läßt. Ich muß vielmehr in allem Ernst sagen, daß die Ungleichbehandlung, die hiermit zum Ausdruck kommt, und die Fortsetzung der Abwertung des Fachbeamten eine Ungeheuerlichkeit sind, der meine Fraktion nicht zustimmen wird.
Durch die Wiederholung unseres Änderungsantrags bieten wir nochmals unsere Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ohne diese Giftzähne an. Sollten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, auf der Beibehaltung dieser Giftzähne bestehen, müßten wir den Gesetzentwurf in dritter Lesung ablehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spillecke.
Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich muß dem Kollegen Berger bescheinigen — ich tue es gern, weil ich ihn sehr schätze —, daß er mit seinen Freunden nicht nur in der Sitzung des Innenausschusses, als wir den Beamtenversorgungsgesetzentwurf berieten, zu dem relevanten Thema, das in Ihrem Antrag zur dritten Lesung von Ihnen noch einmal angesprochen worden ist, Stellung genommen hat, wenn auch in gemäßigterer, zurückhaltenderer, sachlicherer Art und Weise. Da war es ja, weil Fachausschüsse nicht öffentlich tagen, ohnehin auch sachbezogener. Hier sind wir in der Öffentlichkeit, und da muß man ein bißchen mehr auf die Pauke hauen.Verehrter Kollege Berger, durch Ihre Begründung ist der Antrag der Opposition auf dem grünen Umdruck für uns in gar keiner Weise überzeugender geworden. Wenn man die Augen geschlossen und Ihren Ausführungen gelauscht hätte, verehrter Kollege, hätte man fast auf die schizophrene Idee kommen können, als gäbe es in der Bundesrepublik auf der Ebene des Bundes, der elf Bundesländer, bei den Gemeinden und öffentlich-rechtlichen Körperschaften nur sozialdemokratische und freidemokratische Wahlbeamte. Wir würden uns freuen, wenn es so wäre.
- Das will ich Ihnen sagen: Auf Bundesebene gibtes noch viel zu viele Schwarze mit dem Parteibuch der CDU/CSU.
— Ja, verehrter Kollege, das zeichnet Freie Demokraten und Sozialdemokraten aus: Wir denken eben nicht nur an die hochqualifizierten Wahlbeamten, die uns nahestehen.
Wir üben Solidarität auch im Hinblick auf die schwarzen Wahlbeamten aus,
nicht nur in bezug auf unsere.Mir soll einmal jemand klarmachen, warum beispielsweise ein Wahlbeamter in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg besser gestellt werden soll als etwa einer in Nordrhein-Westfalen? Herr Kollege Berger und meine Damen und Herren, ich habe am Beginn meiner Ausführungen gesagt: Wenn man vereinheitlicht, dann darf man einen ganz gewichtigen Bereich, auch wenn er relativ wenige betrifft, nicht außen vor lassen.
Glauben Sie nicht, Herr Kollege Berger und mei, ne Damen und Herren von der Opposition, unsere
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17576 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
SpilleckeMotivation sei eine gewisse Furcht vor dem Ergebnis des 3. Oktober gewesen! Nein, wir stehen zu dieser Regelung, damit einige Wahlbeamte, die zur CDU bzw. CSU gehören, ihren Ruhestand besser überleben können.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU Drucksache 7/5292. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir haben nun noch über die Anträge des Ausschusses abzustimmen. Wer dem Antrag unter I 2, den Gesetzentwurf — Drucksache 7/498 — abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wer dem Antrag des Ausschusses unter I 3, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wer dem Antrag des Ausschusses unter II zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Schröder (Lüneburg), Leicht, Dr. Althammer, Vogel (Ennepetal), Berger, Dr. Miltner, Lampersbach und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Auswirkungen neuer Gesetze auf den Arbeits- und Personalaufwand im öffentlichen Dienst
— Drucksache 7/2599, 7/5182 —
Berichterstatter: Abgeordneter Walther
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
In der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Schröder das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgangspunkt unseres Antrages ist die hoffentlich gemeinsame Sorge aller Fraktionen dieses Hauses über die Entwicklung des Personalbestandes und der Personalkosten im öffentlichen Dienst. Von 1961 bis 1973 ist die Anzahl der Beschäftigten im gesamten öffentlichen Dienst von 2,6 Millionen auf 3,5 Millionen angestiegen. In diesem Zeitraum hatten wir allein bei der Bundesverwaltung einen Anstieg um 38 %. Bei den Länderverwaltungen betrug der Anstieg 51 °/o, bei den Gemeinden 44 %. Entsprechend sind die öffentlichen Personalkosten weit überproportional angestiegen: in dem zwölfjährigen Untersuchungszeitraum von 1961 bis 1973 allein in der unmittelbaren Verwaltung des Bundes, der Länder und der Gemeinden von 25 Milliarden DM auf 94 Milliarden DM, d. h. von 26 5 auf 34 5 der Haushaltsvolumina oder von 32 5 auf 42 5 des gesamten Steueraufkommens. Der Anstieg von 1961 bis 1969 von 25 auf 53 Milliarden DM entsprach einer jährlichen Durchschnittssteigerung um 10 5, der Anstieg von 1969 bis Ende 1973 von 53 auf 94 Milliarden DM sogar einer jährlichen Durchschnittssteigerung um 15 %.Diese Entwicklung hat maßgeblich dazu beigetragen, den finanziellen Bewegungsspielraum der Haushalte Schritt für Schritt besorgniserregend einzuengen. Die Ursache für diese Entwicklung liegt bis zu einem gewissen Grade ganz sicher in der Tatsache begründet, daß zusätzliche Aufgaben auf die verschiedenen Ebenen der staatlichen Bereiche zugekommen sind. Sie liegt sicher auch in der Tatsache begründet, daß — wie die „Frankfurter Allgemeine" es einmal ausgedrückt hat — sozialdemokratische Herrschaft immer Ämterherrschaft bedeutet und mit einem rasanten Anwachsen des öffentlichen Personalbestandes verbunden ist.
Meine Damen und Herren, die entscheidende Ursache liegt aber ganz sicher darin, daß in den letzten Jahren ein in der Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland nie dagewesener Anstieg der Zahl der Gesetzgebungsvorhaben zu verzeichnen war. Von 1949 bis Ende 1975 sind in diesem Hause 4 734 Gesetzentwürfe behandelt und knapp 3 000 Gesetze -- es sind genau 2 987 — verabschiedet worden. Allein in dieser Legilaturperiode hat der Deutsche Bundestag 686 Gesetzentwürfe behandelt und bis zum heutigen Tage 454 Gesetze verabschiedet. Ich glaube, daß aus diesen Zahlen deutlich wird, daß der entscheidende Grund für die Aufblähung der öffentlichen Verwaltung, für den enormen Anstieg der Personalkosten nicht etwa bei den betroffenen Beamten, Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst selbst zu suchen ist, die man dafür häufig ungerechtfertigterweise in die Verantwortung nimmt, sondern der eigentlich Verantwortliche sind wir selber, die Parlamente im Bund und in den Ländern.
Unser Antrag versucht, hier an der entscheidenden Stelle, wie mir scheint, anzusetzen, nämlich uns selber dazu zu zwingen, zu überlegen, ob es in allen
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Schröder
Fällen immer und unbedingt notwendig ist, ein Gesetz zu beschließen. Dieser Antrag der CDU/CSU-Fraktion wird in der Eindämmung der Personalentwicklung und der Personalkosten sicher keine Wunder bewirken, Herr Kollege Schäfer. Aber er soll zumindest eines erreichen, und deshalb verstehe ich Ihren Widerstand dagegen nicht: uns selber, die wir die Gesetze machen, zur Besinnung bringen, ob es auch immer und in jedem Falle notwendig ist, ein bestimmtes Gesetz zu beschließen.Aus diesem Grunde — das muß ich leider sagen — kann ich die Einwände, die in den Beratungen des Innenausschusses und des Haushaltsausschusses gegen diesen Antrag der Opposition vorgebracht worden sind, auch nur als fadenscheinig bezeichnen; denn der Einwand, daß dieser Antrag in dieser Form nicht beschlossen werden könne, — —
— Dieser Antrag ist sehr konkret, Herr Kollege Schäfer. Er sieht nämlich beispielsweise in seinem Kernpunkt vor, daß die Regierung und auch das Parlament selber, soweit aus ihm eigene Gesetzesinitiativen kommen, konkret angeben sollen, in welchem Ausmaß eine Personalvermehrung in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes mit der Verwirklichung eines Gesetzes verbunden ist. Daß das angeblich nicht feststellbar und nicht berechenbar sei, wie es in einer Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums zu diesem Antrag heißt, die uns im Haushaltsausschuß vorgelegt worden ist, stimmt doch gar nicht. Ich habe mir einmal eine ganze Reihe von Gesetzen vorlegen lassen, die wir in den letzten beiden Jahren im Hohen Hause verabschiedet haben, bei denen die Bundesregierung, jedenfalls wenn es um zusätzliche Stellenanforderungen ging, immer in der Lage war, konkret anzugeben, wie viele zusätzliche Personalstellen dafür erforderlich waren.
— Aber, lieber Herr Kollege Schäfer, dann lassen Sie uns doch wenigstens einmal in bezug auf die Bundesverwaltung einen Anfang machen. Wir haben bei den Beratungen im Haushaltsausschuß angeboten, in diesem Sinne einen Kompromiß zu machen, daß wir das, was wir für den gesamten Bereich der Verwaltung vorhaben, zunächst auf die Bundesverwaltung konzentrieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, die Verfassung schreibt vor, daß die Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden d. h., die Verwaltungskosten entstehen bei den Ländern und den Gemeinden. Darüber sind wir uns doch wohl einig? Die Frage, über die man sich erst einmal Gedanken machen muß, ist daher: Wie kann man diese Kosten greifen, wie kann man sie darstellen?
Lieber Herr Kollege Schäfer, ich kann diesen Einwand nicht teilen. Ich muß Ihnen in diesem Zusammenhang sagen, wie ich selber und einige Freunde von mir überhaupt auf diesen Antrag gekommen sind. Ich bin auf diesen Antrag gekommen, weil ich von der Kreisverwaltung meines Landkreises ganz konkret darauf hingewiesen worden bin — mit Zahlen belegt, mit Personalkosten und Personalstellen —, in welcher Weise sich beispielsweise in den letzten Jahren die Durchführung von Bundesgesetzen in den Verwaltungen der Landkreise und der Gemeinden ausgewirkt hat. Mir kann also keiner weismachen, daß man nicht genau darüber unterrichtet ist, in welchem Ausmaß — in welchem Ausmaß heißt: verbunden mit zusätzlichen Stellen — —
— Aber, Herr Kollege Schäfer, als Innenexperte wissen Sie doch, daß Gesetze vorbereitet, abgesprochen, auch durchdacht werden — so hoch ist jedenfalls mein Zutrauen zur Bundesverwaltung immer gewesen —, daß man im Vorwege überlegt, in welcher Weise sich die Verwirklichung eines Gesetzes in den Verwaltungen der Länder und der Gemeinden auswirkt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Bitte schön.
Herr Kollege Schröder, wären Sie bereit, den Herrn Kollegen Schäfer darauf hinzuweisen, daß man sich spätestens bei der Aufstellung der kommunalen Haushaltspläne in Zahlen und Stellen aufgeschlüsselte Vorstellungen über die Mehrkosten machen muß?
Herr Kollege Lenz, mir ist bekannt, daß beim Landkreistag und bei anderen kommunalen Spitzenorganisationen sehr wohl ein konkreter Überblick vorhanden ist, in welcher Weise sich in den zurückliegenden Jahren die Ausführungen der Bundesgesetze und der Landesgesetze in den Verwaltungen der Landkreise, der Städte und Gemeinden ausgewirkt hat. Aus diesem Grund halte ich das Argument, wie gesagt, nicht für stichhaltig. Selbst wenn es im Einzelfall nicht möglich sein sollte, auf Heller und Pfennig, auf eine Stelle hinter dem Komma, genau anzugeben, in welcher Weise sich ein Gesetz auswirkt, so verstehe ich nicht, warum wir nicht wenigstens im Prinzip, als Tendenzentscheidung, hier vom Bundes-
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Schröder
tag einmal ein Zeichen setzen wollen, daß wir uns selber zwingen wollen, in dieser Hinsicht in Zukunft etwas behutsamer vorzugehen.
Dieser Antrag soll nichts anderes als die Aufforderung an die Bundesregierung beinhalten, diesbezüglich in Zukunft etwas strengere Maßstäbe anzulegen und dem Hause hier etwas strengere Überlegungen vorzutragen.
Ich darf zusammenfassen: dieser Antrag läuft letztlich als erster Ansatz, wenn Sie so wollen, um — ich wiederhole das hier noch einmal, um es deutlich zu machen — in der Öffentlichkeit zum Ausdruck zu bringen, daß nicht die Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst die Hauptschuldigen für die Ausweitung der öffentlichen Verwaltung, für die Aufblähung und demgemäß für die Ausweitung der Personalkosten sind, sondern daß wir, die Gesetzgeber, die Verantwortung dafür tragen und daß deshalb wir als Gesetzgeber die Verpflichtung haben, als erste dort anzusetzen, wo die Ursachen für diese Entwicklung sind.Meine Fraktion beabsichtigt mit dieser Initiative die Verfolgung von vier Zielen: 1. eine Begrenzung und Vereinfachung der öffentlichen Aufgaben, 2. eine Begrenzung des Personalbestandes, 3. eine Überprüfung bestehender Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes — auch soweit sie von Länder- und Gemeindebehörden ausgeführt werden — nach einem strengen Maßstab auf entbehrliche oder einschränkbare Aufgaben sowie auf Vereinfachungsmöglichkeiten und 4. für die Zukunft eine Eindämmung der Gesetzgebungs- und Verordnungsflut.Aus diesen Gründen bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Ich wiederhole noch einmal: Wir wissen, daß dieser Antrag allein das Problem nicht bewältigt; aber wir sind davon überzeugt, daß dieser Antrag der erste Schritt in die richtige Richtung ist, weil er bei den Ursachen ansetzt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, ich möchte Sie zunächst darauf aufmerksam machen, daß am 28. Oktober 1955 Ihr damaliger Fraktionskollege Dr. Bergmeyer einen ähnlichen Antrag gestellt hat, bei dem er in der Begründung sagte:Bei dem Antrag, den ich heute zu vertreten habe, geht es um die ernste Sorge, die wir alle haben, nämlich um die weitere Aufgaben- und Ausgabenentwicklung im Bund, in den Ländern und Gemeinden. Wir können dieser katastrophalen Entwicklung, diesem luxuriösen Verwaltungsaufbau als verantwortliche Parlamentarier — denn wir sind verantwortlich — nicht länger mehr schweigend zusehen.
— Ja, das war ein sehr weitsichtiger Mann. Allerdings hat mein Fraktionskollege Herr Dr. Menzel in der damaligen Auseinandersetzung dazu gesagt:Zunächst müssen wir allerdings die leidige Frage der Zuständigkeit prüfen. Natürlich gäbe es ein reiches Betätigungsfeld auch dann, wenn wir uns auf die Verwaltung des Bundes beschränken müßten und würden. Denn der Bund beschäftigt immerhin zur Zeit — ohne die Betriebsverwaltungen von Post und Eisenbahn — rund 108 000 Personen.Bei diesen 108 000 Personen möchte ich deswegen einen Augenblick bleiben, weil Sie der Koalition vorwerfen, daß sie eine unnötige Verwaltungsaufblähung betreibt. Nun will ich Ihnen an dieser Stelle sagen: 1955 gab es beim Bund 108 000 Beschäftigte, im Jahre 1969 280 000 Beschäftigte und im Jahre 1974 296 000 Beschäftigte. Wenn von Aufblähung gesprochen wird, dann doch wohl ganz bestimmt nicht in der Zeit, in der wir regiert haben.
— Nein, die können Sie doch alle selber nachlesen, Herr Dr. Lenz, die stehen doch in jeder amtlichen Statistik.
— Ja, natürlich. So argumentieren wir ja auch, daß es im Jahre 1969 ein völlig unzulänglich ausgestattetes Bundeskriminalamt gab, und so argumentieren wir, daß es keine Ständige Vertretung in der DDR gab, und dergleichen.
Sie versuchen uns etwas anzuhängen, was Sie selber in Ihrer Regierungszeit hier in diesem Lande verschuldet haben.
Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es jetzt überhaupt konkrete Ansätze und Vorschläge, den Arbeits- und Personalaufwand im öffentlichen Dienst bei der Verabschiedung neuer Gesetze vorauszuberechnen. Der Bundesminister des Innern hat in enger Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Verwaltungswissenschaft in Speyer erste methodische Ansätze entwickelt, um finanzielle Personalbelastungen neuer Gesetze zu ermitteln. Alle bisherigen Versuche, auch die von mir vorhin gekennzeichneten im Jahre 1955, auch
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Becker
alle Versuche anderer Fraktionen, nämlich der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion, auf diesem Gebiet mit den Bemühungen voranzukommen, sind bislang gescheitert. Das jetzt erarbeitete Konzept wird mit den Bundesländern zur Zeit besprochen. Schon bald soll es an einem bestimmten Fall erprobt werden. Das ist doch auch im Haushaltsausschuß mitgeteilt worden. Wir haben im Innenausschuß zusätzlich die Anregung gegeben, daß überall da, wo es mit einer einfachen Kostenschätzung möglich ist, die Bundesregierung schon jetzt die Kosten angibt. Insofern sind wir in der Sache doch gar nicht auseinander. Nur war die Schwierigkeit nach dem Bericht des Bundesinnenministeriums die, daß die Länder erklärt haben, wenn sie eine solche Vorausschätzung der Personalkosten und des Arbeitsaufwandes entsprechend Ihrem Antrag und der Einzelpunkte Ihres Antrages machen müßten, dann müßten sie zunächst einige tausend Leute neu einstellen, um diese Methode zu erproben. Daß wir da nicht mitmachen wollten, ich glaube, das versteht sich von selbst.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf die Steigerungsraten eingehen, die auch Herr Kollege Schröder angesprochen hat. Von 1961 bis 1973 war die Personalzunahme bei den Schulen 46,3 %, bei den Hochschulen 239,9 5, bei der Verteidigung 64,8 %, in Krankenhäusern und Heilstätten 83,4 5, bei der Polizei 26,6 5. Wenn Sie — nicht Sie heute, sondern in anderen Reden, die hier gehalten werden — diese Argumentation angreifen, dann zielen diese Angriffe ja wohl in eine völlig falsche Richtung.Um in der Sache, die wir heute zu behandeln haben, einige konkrete Punkte festzuhalten, möchte ich abschließend folgendes sagen. Die SPD/FDP-Regierungen seit 1969 haben die Personalzuwachsraten in den Bundesverwaltungen auf das unbedingt Notwendige beschränkt. Sie haben nachweisbar — an Zahlen nachweisbar — besser gewirtschaftet als alle Regierungen in der Bundesrepublik vorher.
Zweitens. Eine wesentliche Personalvermehrung beim Bund hat es nur im Bereich der Sicherheit gegeben.
Drittens. Die SPD/FDP-Koalition wird ihre Reformpolitik fortsetzen und, wenn erforderlich, für jeden Reformschritt natürlich auch das notwendige Personal bereitstellen.
Wenn man an die Aussagen des Herrn Kollegen Dregger zum öffentlichen Dienst denkt:Lassen Sie mich bitte abschließend zum Bereich der öffentlichen Verwaltung folgendes sagen. Die Vermehrung der Zahl der Staatsdiener zu beenden und ihre Leistung zu steigern, ist die wichtigste Aufgabe der nächsten Legislaturperiode.
— wenn man daran denkt, dann müßten Sie nämlich erklären, wo und an welcher Stelle Sie weniger Personal einsetzen wollen: für die Sicherheit, für die Schulen, für die Krankenhäuser, für die Heilstätten oder für die Verteidigung.
— Das gefällt Ihnen nicht, Herr Dr. Miltner. Was soll das denn? Tatsachen können Sie nicht vertragen. Sie müssen Polemik treiben, etwas anderes geht bei Ihnen nicht!
Diese Regierung hat alle organisatorischen und personalwirtschaftlichen Voraussetzungen für möglichst sparsamen Personaleinsatz in den Bundesverwaltungen getroffen. Wir hoffen auf eine gleiche Entwicklung in den Ländern und Gemeinden. Die SPD-Bundestagsfraktion weist die unrichtigen Darstellungen, die unberechtigte Kritik und die Polemik aus den Reihen der CDU/CSU auf diesem Sektor zurück und stellt sich ausdrücklich schützend vor die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Meine Damen und Herren, wir sind in dem Anliegen, das Sie, Herr Schröder, hier vertreten haben, einer Meinung. Wir wollen versuchen, hierbei den bestmöglichen Weg zu finden. Dafür sind alle notwendigen Schritte eingeleitet. Aber Ihrem Antrag können wir so, wie er jetzt vorliegt, nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, es kann gar keinen Zweifel geben, daß die steigenden Personalausgaben, die Sie hier zitiert haben, nicht Ihre Sorge allein, sondern unsere gemeinsame Sorge sind. Nach den Erörterungen im Innenausschuß und im Haushaltsausschuß finde ich auch den vordergründigen Streit, der sich hier in dieser Debatte entwickelt hat, eigentlich überflüssig, denn auch im Anliegen sind wir uns einig. Wir sind uns nicht einig in der Begründung — darauf komme ich gleich noch —, und wir sind uns nicht einig in der Methode.Herr Kollege Schröder, in der Begründung kann man es sich nicht so einfach machen und sagen, die Personalkosten sind von ... bis ... um soundsoviel gestiegen, um dabei einmal zu verleugnen, daß die Zuwachsrate in den letzten Jahren in den Ländern,
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Kirstinsbesondere auch in CDU-regierten Ländern, und in den Gemeinden weit über der des Bundes gelegen hat. Wir müssen ja wohl gemeinsam für alle drei Ebenen feststellen, daß der entscheidende Grund, die entscheidende Ursache für die Steigerung der Personalkosten in den letzten Jahren nicht in der Personalvermehrung gelegen hat, sondern in der linearen und strukturellen permanenten Besoldungserhöhung, die Sie genauso betrieben haben wie wir. Daran sind wir alle gemeinsam beteiligt, da kann sich niemand herausschmuggeln.
Im Gegenteil, als wir vor fünf Jahren das 1. Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz machten, haben Sie dafür gesorgt, weil wir Ihre Stimmen zur Verfassungsänderung brauchten, daß es noch viel teurer wurde, als vielleicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Das muß man Ihnen gelegentlich einmal in Erinnerung rufen.Ich wiederhole: Der entscheidende Grund für das Anwachsen der Personalkosten, das wir gemeinsam beklagen, liegt in der Entwicklung der Besoldung. Das muß man einmal ganz nüchtern feststellen. Das stimmt, Herr Kollege Berger.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sind Ihnen denn all die Untersuchungen unbekannt geblieben, die ergeben haben, daß die Personalkostenexplosion, von der Sie sprechen, nicht darauf zurückzuführen ist, daß der einzelne mehr bekommen hat, sondern daß die Zahl der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst so sehr gestiegen ist?
Herr Berger, das trifft eben gerade auf die letzten Jahre, und soweit es den Bund betrifft, nicht zu. Hier ist dies allein der Grund. Das müßten Sie doch auch wissen, Herr Berger. Herr Schröder weiß es genau; er ist im Haushaltsausschuß. Viele Jahre hintereinander haben wir sogenannte personelle Überrollungshaushalte von der Bundesregierung vorgelegt bekommen, d. h. keine neuen Stellen, keine Stellenhebungen. Wir haben dann nur in dem nach § 16 des Haushaltsgesetzes vorgeschriebenen Verfahren in Sonderfällen — Sicherheitsfragen, Kartellamt —, wenn hier Gesetze beschlossen worden sind, in ganz bescheidenem Rahmen neue Stellen bewilligt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung in den letzten Jahren immer noch vorgeschlagen, nicht nur keine neuen Stellen zu schaffen, sondern den Bestand um 1 000 Stellen zu verringern. Wir waren damit nicht zufrieden. Wir haben für 1976 noch in mühseliger Kleinarbeit 1559
Stellen hinzugenommen. Ich will das nicht wiederholen. Sie haben sich auf Ihren globalen Antrag beschränkt, mit dem man nichts anfangen konnte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ist Ihnen denn nicht wenigstens bekannt, daß Bundesinnenminister Maihofer auch aus Anlaß des 5. Besoldungserhöhungsgesetzes im Bundesrat darauf hingewiesen hat, daß die Besoldungsentwicklung in den letzten zwölf Jahren nicht stärker angestiegen ist als die allgemeine Einkommensentwicklung, im Gegenteil, die Besoldungsentwicklung der Beamten im Durchschnitt unter der der Arbeiter im öffentlichen Dienst gelegen hat? Dies sind Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers Maihofer im Bundesrat aus Anlaß des 5. Besoldungserhöhungsgesetzes. Ich frage Sie, ob Ihnen diese nicht bekannt sind.
Herr Kollege Berger, ich habe im allgemeinen keine Zeit, auch noch Bundesratsverhandlungen zu verfolgen. Aber soweit Sie den Kollegen Maihofer richtig zitiert haben, besteht ja überhaupt kein Widerspruch zwischen dem, was er dort gesagt hat, und dem, was ich hier sage. Ich habe das ja auch in keiner Silbe kritisiert. Wir sind immer dafür eingetreten, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in vergleichbarer Form beteiligt werden. Sie wissen alle, daß es mit dem Besoldungsrückstand in dem Gutachten nicht funktioniert hat. Ich habe das ja nicht kritisiert und ich hätte es auch gar nicht gesagt, wenn nicht Herr Schröder diese etwas merkwürdige und falsche Begründung für seinen Antrag hier geliefert hätte. Es ist eben falsch, um nicht zu sagen: unwahr, zu sagen, die Steigerung der Personalkosten sei nur auf die Ausweitung des Personals zurückzuführen. Soweit es auf Personalausweitung zurückzuführen ist, geht es im wesentlichen um die Länder und Gemeinden. Das wissen Sie genauso. Nun kommt Ihr Ansatzpunkt, Herr Schröder. Wir wissen alle, daß sich manches, was wir hier an Gesetzen beschließen, in mehr Kosten und Stellen in den Ländern und Gemeinden auswirkt. Wir wissen ja auch, daß die Länder zunehmend darum bemüht sind, diese Kosten auf Mark und Pfennig genau bei den innerhalb gewisser Zeiträume fälligen Verhandlungen über die Aufteilung des Steuerkuchens wiederzubekommen. Insofern ist dies ja auch alles nichts Neues, Herr Kollege Schröder.Ich muß dem Herrn Kollegen Becker zustimmen. Ziffer 1 a Ihres Antrags dokumentiert ja genau den Perfektionismus, den Sie im allgemeinen der Verwaltung vorwerfen. Ich möchte nicht wissen, was ein solcher Antrag, wie Sie ihn hier vorgelegt haben, erst an Geld kostet, wenn man ihn immer exakt durchführt. Dies scheint mir nicht die richtige Methode zu sein.
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KirstIch habe schon im Haushaltsausschuß gesagt — Herr Kollege Schröder, ich möchte es hier wiederholen —, daß die Ziffer 2 Ihres Antrags eine einzige Zumutung ist, indem Sie der Bundesregierung dann die Pflicht auferlegen, für Gesetzesinitiativen des Bundesrats oder aus der Mitte des Bundestags — seien Sie das oder seien wir das — die Nachweispflicht zu erfüllen. So kann man das nicht machen. Wenn wir das wollen, dann muß jeder, der Gesetzesinitiativen ergreift, insbesondere auch der Bundesrat, der ja genauso wie die Bundesregierung einen Apparat hat, selbst die nötigen Angaben machen.Meine Damen und Herren, ich meine, diese Debatte, so überflüssig sie sein mag, könnte schließlich dazu beitragen, im Nachklang zur Haushaltsdebatte sozusagen das Kostenbewußtsein des Parlaments, um das wir Haushaltspolitiker uns immer gemeinsam bemühen, zu stärken. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wir haben in den letzten Monaten nach dem Haushaltsstrukturgesetz immerhin insofern Erfolg gehabt, als wir eine ganze Reihe von Gesetzen, die wir trotz der finanziellen Schwierigkeiten verabschiedet haben bzw. noch zur Verabschiedung bringen werden, kostengünstiger gestaltet haben oder hoffen kostengünstiger gestaltet zu haben. Es ist natürlich so, daß die, die es angeht, jetzt im Moment nicht da sind. Das betrifft alle drei Fraktionen. Ich meine, das Kostenbewußtsein muß in erster Linie nicht bei den Haushaltspolitikern entwickelt werden — da ist es vorhanden —, sondern bei den Ressortpolitikern. Hier sollten wir uns, glaube ich, gemeinsam — jeder in seiner Fraktion — darum bemühen.Ich meine, der Ausschuß hat einen für den gegenwärtigen Zeitpunkt praktikablen Vorschlag gemacht. Dem sollten wir hier heute folgen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Maihofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den schönen Zielen, die uns Herr Kollege Schröder hier noch einmal vor Augen gestellt hat, werden wir uns alle, so glaube ich, rundum in diesem Hause bekennen, auch wir auf der Bank der Regierung. Aber damit ist es ja nicht getan; denn — das ist die erste Bemerkung, die ich machen will — weder im Inland noch im Ausland gibt es bisher ein gesichertes Verfahren, um diese exakten Daten, die Sie in Ihrem Antrag zugrunde legen, überhaupt zu ermitteln. Wenn es aber bisher überhaupt irgendwo eine rechtliche Verpflichtung gibt, so zu verfahren, wie Sie das nach den bisher vorhandenen, nicht analytischen, sondern summarischen Verfahren, nämlich einer Kostenschätzung nicht nur der Sachkosten vorsahen, sondern auch der Personalkosten, dann nach § 37 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Bundesministerien Teil II. Danach verfahren wir seit Jahr und Tag, anders als Sie hier im Haus und anders als im Haus des Bundesrats.
Es ist in der Tat richtig, daß erstmals diese Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer eine groß angelegte Untersuchung zur Ausarbeitung analytischer Verfahren für diese vorherige Kostenermittlung in Gang gebracht hat. Es ist ja, Herr Kollege Schröder und auch Herr Kollege Lenz, kein Problem, nachträglich die Kosten zu ermitteln, die ein Gesetz im Personalsektor erfordert hat, sondern das Problem ist, sie vorher zu ermitteln. Dazu sind — das darf ich hier nachtragen — gegenwärtig nicht nur theoretische Modelle in der Diskussion, sondern es läuft eine praktische Erprobung beim Schwerbehindertengesetz in vier Ländern und im Bund, um die Methode so zu präzisieren, daß wir in Zukunft für alle solche Gesetzgebungsvorhaben wirklich verläßliche analytische Hochrechnungen und nicht nur summarische Schätzungen vorlegen können.
In einem letzten Punkt stimme ich dem Kollegen Kirst zu. Es kann doch nicht im Ernst Ihre Absicht sein, einen Antrag zu stellen, mit dem Sie ausdrücklich den auffordern, der bisher schon das allermeiste für die Kostenschätzung, auch der Personalkosten bei jedem Gesetzesentwurf, getan hat. Wenn überhaupt, dann sollten Sie, finde ich, vielmehr freundlichst nicht nur in diesem Haus, sondern auch im Bundesrat einen Antrag stellen, daß alle, die die Gesetzesinitiative ergreifen können, also Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat — wir sind ja nicht die einzigen —, sobald die neuen Verfahrensweisen für analytische Kostenberechnungen vorliegen — was schon Ende dieses Jahres der Fall sein wird — diese für alle Gesetzentwürfe anstellen. Deshalb sollte man diesen Antrag zu gegebener Zeit auf gesicherter Grundlage wiederholen, aber nicht nur für die Bundesregierung, sondern für alle.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, den Antrag auf Drucksache 7/2599 für erledigt zu erklären.Wer diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen? Das ist mit Mehrheit so beschlossen.Es ist interfraktionell vereinbart, nunmehr den Punkt 9 aufzurufen: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren . Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Entschuldigung, meine Damen und Herren! Ich höre gerade, hier ist eine frühere Meldung offensichtlich nicht ganz präzis. Wir müssen doch noch etwas warten.Deshalb rufe ich jetzt den Punkt 6 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
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Vizepräsident Frau Funckebetr. Menschenrechtsbericht der BundesregierungDrucksachen 7/4616, 7/5150 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Arndt Abgeordneter Jäger (Wangen)Wünscht einer der Berichterstatter das Wort?
Bitte schön, Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Ihnen vorliegenden schriftlichen Bericht des Ausschusses einige ergänzende mündliche Anmerkungen machen.
Zunächst ein Wort zur Vorgeschichte des Antrags, das zum Verständnis der Zusammenhänge wichtig ist. Die Geschichte der Menschenrechtsberichte über die Gewährung oder Verweigerung und Unterdrükkung der den Menschen kraft vorstaatlichen und internationalen Rechts zustehenden persönlichen Rechte im geteilten Deutschland ist bereits zehn Jahre alt.
Im Jahre 1966 ließ die damalige Bundesregierung unter Ludwig Erhard durch ihren Gesamtdeutschen Minister, Erich Mende, den Vereinten Nationen eine „Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte in der Sowjetisch Besetzten Zone" überreichen. Sie erreichte weltweites Aufsehen und machte die Weltöffentlichkeit erstmals nach dem Mauerbau von 1961 auf die teilweise brutale Unterdrückung der Menschenrechte in Mitteldeutschland aufmerksam.
Versuche, diese Dokumentation fortzuschreiben, gab es dann im März 1968, in dem von der UNO ausgerufenen Jahr der Menschenrechte, aus den Reihen des Deutschen Bundestages. Karl Mommer, der damalige stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, forderte ein Memorandum der Menschenrechte in Deutschland, und zwar, wie er ausdrücklich betonte — ich darf zitieren —:
nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in beiden Teilen Deutschlands.
Die damalige Bundesregierung begrüßte die Anregung Mommers sehr, und der damalige Außenminister Brandt erklärte im Juni 1968 -- ich zitiere :
Ein Memorandum über die Wahrung der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, das auch die menschenrechtliche Lage im anderen Teil Deutschlands schildert, ist in Arbeit.
Und er fügte hinzu:
Es wird in einer Weise zusammengestellt, daß es die Form eines Weißbuchs erhalten und mit fremdsprachigen Ausgaben, insbesondere einer französischen und einer englischen Fassung, weite internationale Verbreitung finden kann.
Die Dokumentation wurde jedoch im Jahre 1968 nicht mehr fertiggestellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die einzelnen Stellungnahmen der beteiligten Ressorts liegen nunmehr vollständig vor und werden gegenwärtig in einem ersten Gesamtentwurf zusammengefaßt.
Auf erneute Vorstöße im Frühjahr 1970 erklärte dann der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Dahrendorf:
Ob es zu einer Zeit, in der es unmittelbare Kontakte zwischen den in der Hauptsache betroffenen amtlichen Stellen gibt, zweckmäßig wäre, generlle Erklärungen abzugeben, bedarf genauere Erwägung der Vor- und Nachteile.
Das Memorandum über die menschenrechtliche Lage in Deutschland war nach Form und Darstellung für das Menschenrechtsjahr der Vereinten Nationen 1968 bestimmt. Durch den Ablauf des Menschenrechtsjahrs vor Fertigstellung der Arbeiten kam es nicht mehr zum Abschluß dieser für die Vereinten Nationen bestimmten Veröffentlichung der damaligen Bundesregierung der Großen Koalition.
An diese Vorgeschichte knüpft der Antrag der CDU/CSU-Fraktion an, in dessen Begründung gesagt wird:
Der vorgeschlagene Menschenrechtsbericht bietet der Bundesregierung Gelegenheit, die den Vereinten Nationen am 16. September 1966 zugeleitete Dokumentation über die Verletzung der Menschenrechte in der Sowjetisch Besetzten Zone fortzuschreiben und auf den heutigen Stand zu bringen.
Gleichwohl lag in den Ausschußberatungen das Schwergewicht der Begründung der Antragsteller nicht auf diesem Hinweis. Ihr Begehren, jährlich im Rahmen des Berichts der Bundesregierung zur Lage der Nation einen Menschenrechts-Bericht zu erstatten, wurde mit den beiden folgenden Hauptargumenten untermauert:
Erstens. Die Gewährung oder Nichtgewährung der Menschenrechte an die Deutschen in der DDR und in den übrigen kommunistisch beherrschten Teilen Deutschlands ist ein Kernbestandteil der Lage der deutschen Nation. Dies ist nicht nur so, weil an der Spitze aller Menschenrechte das Recht der Völker auf Selbstbestimmung steht als ein zentrales politisches Recht, das einem Teil der deutschen Nation seit nunmehr 30 Jahren vorenthalten wird. Vielmehr kommt hinzu, daß das Schicksal jedes einzelnen Deutschen unter kommunistischer Herrschaft — eine Frage, der alle Fraktionen dieses Hauses Priorität in ihrem politischen Handeln beimessen — entscheidend mit der Frage der Anerken-
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Jäger
nung und Achtung seiner Grund- und Menschenrechte durch die Staatsgewalt zusammenhängt, der er unterworfen ist. Ein Bericht zur Lage der Nation, der über diese Probleme nicht umfassend informiert, muß deshalb nach Auffassung der Antragsteller ein Torso bleiben.
Zweitens. Anfang dieses Jahres sind die Internationalen Pakte der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Kraft getreten. Sie sind auch von der DDR und der Sowjetunion ratifiziert worden. Sie verpflichten jeden Unterzeichnerstaat, den in ihren Texten im einzelnen aufgeführten Menschenrechten innerstaatliche Wirksamkeit und Beachtung zu verschaffen. In der DDR sind jedoch nach Auffassung der Antragsteller keinerlei Anzeichen dafür festzustellen, daß sich die DDR an diese vertragliche Verpflichtung hält. Dabei
so sagten die Antragsteller — sei diese vertragliche Verpflichtung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland noch dadurch erheblich verstärkt, daß sich die DDR in Art. 2 des Grundlagenvertrages zur Achtung der Menschenrechte bekannt habe. Die Antragsteller wiesen deshalb darauf hin, daß die Bundesregierung nunmehr über eine sehr starke Rechtsposition gegenüber der DDR verfüge, um die Beachtung der Menschenrechte durchzusetzen.
Auch die politische Position der Bundesregierung ist dadurch verstärkt worden, daß sich die DDR, Polen und die UdSSR in der Schlußakte von Helsinki verpflichtet haben, die Menschenrechte zu achten.
Hinzu kommt, daß die KSZE-Schlußerklärung ausdrücklich den westlichen, den freiheitlichen Menschenrechtsbegriff zugrunde legt, wenn es dort heißt — ich darf zitieren —:
Rechte und Freiheiten, die sich alle aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind.
Daraus kann entnommen werden, daß hier — übrigens genauso wie in den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen — ein Menschenrechtsbegriff postuliert wird, der den betroffenen Regierungen der DDR, aber auch etwa Polens und der UdSSR die Einrede verwehrt, man könne diese Menschenrechte auch in ihrem kollektivistischen Sinne interpretieren und könne daher den Menschen, die sich gegen die Staatsräson auf diese Grundrechte berufen, diese Grundrechte auch vorenthalten.
Diese neuen rechtlichen und politischen Positionen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der DDR erfordern nach Auffassung der Antragsteller eine umfassende und eingehende Bilanz der Behandlung der Menschenrechte in allen Teilen Deutschlands, die Ausgangspunkt neuer politischer Anstrengungen sein kann.
Soweit die beiden entscheidenden Gründe der antragstellenden Fraktion, die im schriftlichen Bericht nur sehr knapp angesprochen werden konnten.
Dem Haupteinwand der Koalitionsmehrheit im Ausschuß, mit lauten Attacken erreiche man bei kommunistischen Verhandlungspartnern nichts, sondern störe man nur die stillen Verhandlungen über die Lösung von Einzelfällen, hielten die Vertreter der antragstellenden Fraktion entgegen, daß ein sachlicher, eingehender Bericht über die Verwirklichung oder Verletzung der Menschenrechte im Rahmen des Berichts zur Lage der Nation doch etwas anderes sei als eine lautstarke Demonstration des Protests. Wenn man es nicht mehr wagen könne, einen solchen Bericht zu geben, ohne Gespräche oder Verhandlungen zu beeinträchtigen, dann werde es bald überhaupt keinen Bericht zur Lage der Nation mehr geben können,
da die DDR ja bereits Anstoß daran nehme, daß noch von einer gemeinsamen deutschen Nation gesprochen werde.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch ein Wort zu den Argumenten der Vertreter der Koalitionsmehrheit sagen, die Mitglieder des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag hätten sich einstimmig — —
Herr Kollege, Sie sind Berichterstatter. Ich glaube nicht, daß Sie da auf Argumente eingehen sollten; Sie sollten Bericht erstatten.
Frau Präsidentin, ich teile diese Auffassung. Ich bin eben dabei, die Argumente der Vertreter der Minderheit im Ausschuß darzulegen,
die dort vorgetragen worden sind und die in diesem Umfang — wie er notwendig ist — im schriftlichen Bericht nicht Ausdruck finden konnten.
Meine Damen und Herren, dem Einwand, der Rechtsausschuß habe diesem Koalitionsantrag einstimmig seine Zustimmung gegeben, wurde im Ausschuß entgegengehalten, daß die Vertreter der Opposition im Rechtsausschuß ausdrücklich erklärt haben, sie hätten es als ihre Aufgabe betrachtet, sich nur um die reinen Rechtsfragen in diesem Antrag zu kümmern, und sie hätten nicht über die politischen, insbesondere über die deutschlandpolitischen Aspekte dieses Problems zu entscheiden gehabt, so daß die Zustimmung der Mitglieder des Rechtsausschusses, die allein unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit und Rechtmäßigkeit abgegeben worden sei, nicht zu der Behaup-
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Jäger
tung herangezogen werden könne, es gebe hier ein gespaltenes Votum der antragstellenden Fraktion.Trotzdem haben sich die Vertreter der CDU/CSU im Ausschuß um einen Kompromiß bemüht. Wie Sie aus dem schriftlichen Bericht ersehen können, haben sie beantragt, aus der Empfehlung des Herrn Mitberichterstatters, wie sie dann im Beschluß der Mehrheit des Ausschusses ihren Niederschlag gefunden hat, die nach Auffassung der Opposition reiner Propaganda dienenden Floskeln herauszustreichen und eine Ziffer 4 anzuhängen, in der gefordert wird, dem Bundestag über die Maßnahmen nach den Ziffern 1 bis 3 im Rahmen des Berichts zur Lage der Nation zu berichten.Auch dieser Vermittlungsantrag der Vertreter der Minderheit im Ausschuß wurde — ebenso wie der ursprüngliche Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/4616 mit der Mehrheit von 10 zu 9 Stimmen abgelehnt.Damit wurde den Vertretern der antragstellenden Fraktion deutlich, daß die Koalitionsvertreter den Menschenrechtsbericht im Rahmen des Berichts zur Lage der Nation in der Substanz nicht wollen. Die Vertreter der Opposition im Ausschuß sahen sich deshalb nicht mehr in der Lage, dem von der Mehrheit befürworteten Antrag zuzustimmen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegenstand dieser Debatte sind die Menschenrechte. Wir schaffen hier die rechtlichen Voraussetzungen dafür, wenn wir von Menschenrechten sprechen, das Stolzeste auszusprechen, was Menschen aussprechen können, wenn sie sich auf dieser Erde bewegen, nämlich erhobenen Hauptes sagen zu können: „Ich bin ein Mensch".Der hier spricht, weiß, wovon er redet. Herr Kollege Dregger hielt es neulich für richtig, seine Motivation für das Eintreten in die Politik mit dem Satz zu bezeichnen, seine Kinder sollten keine sozialistischen Staatssklaven werden. Was immer er mit dieser Zusammenfügung solcher sich diametral widersprechender Begriffe wie „Sozialismus" und „Sklaven" auszusagen versucht hat, mag er mit sich selber abmachen.
Ich weiß zwar nicht, was das im einzelnen sein könnte. Für mich ist das so etwas wie ein „schwarzer Schimmel".Als Sohn eines sogenannten Wehruntüchtigen und späteren politischen Häftlings selbst 12 Jahre lang doch rechtloser als andere Mitbürger während der Zeit meines durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geknebelten Vaterlands, habe ich schon in der Schule lernen müssen, was der Verlust von Menschenrechten bedeutet. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, was es für einen beschränkt Wehrwürdigen bedeutete, an der gleichen Kanone stehen zu sollen, in der Unterkunft aber nicht am gleichen Tisch sitzen und essen zu dürfen wie die anderen, in einer Zeit, als der Vater sich im Konzentrationslager befand, die Schwester zum Schanzen im Osten verschleppt war und sich die Mutter auf der Flucht aus Schlesien befand. Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich von dieser Stelle aus von Menschenrechten spreche.Für uns, die wir in einem freien Land leben, ist damit zugleich die besondere Verpflichtung gegeben, mit erhöhter Sensibilität dafür zu sorgen, daß Menschenrechtsverletzungen, wo immer sie sich ereignen, bekämpft werden und daß den Bedrängten geholfen wird.
Dies gilt insbesondere auch für Menschenrechtsverletzungen im anderen Teil Deutschlands. Wir Sozialdemokraten werden uns hierbei unserer Tradition entsprechend von niemandem übertreffen lassen. Die Vereinigung Sozialdemokratischer ehemaliger Häftlinge des Zuchthauses Bautzen hat das vor wenigen Tagen der CDU gegenüber mit der gebührenden Deutlichkeit gesagt, als sie sich zu dem Wahlkampfslogan dieser Partei in der Öffentlichkeit geäußert hat.Gerade auch im innerdeutschen Bereich hat die sozialliberale Koalition durch praktische Politik unter Beweis gestellt, wie ernst sie diese Verantwortung auf dem Gebiete der Menschenrechte nimmt.
Allein im letzten Jahr sind 5 500 Fälle getrennter Familien durch die Politik dieser Bundesregierung zusammengeführt worden. 200 Kinder, die von ihren Eltern getrennt in der DDR lebten, sind ihren im Westen lebenden Eltern zugeführt worden. 1 200 Häftlinge sind aus den Zuchthäusern und Haftanstalten der DDR durch die intensiven Verhandlungen dieser Bundesregierung befreit und in den Westen gebracht worden. Das hat diese Bundesregierung mit Geduld, Zähigkeit und Diskretion erreicht. Das weiß auch die CDU/CSU. Und dennoch hat sie im Januar dieses Jahres jenen Antrag eingebracht, der den Ausgangspunkt für diese Debatte darstellte.
— Obwohl sie dieses alles weiß. Sie hat im Rahmen des Berichts zur Lage der Nation den Antrag eingebracht, einen Bericht über die Verwirklichung und Verletzung der Menschenrechte in Deutschland zu erstatten. Sie hat dies getan, obwohl erstens — —
— Das muß an Ihrem Verständnis liegen und nicht an meiner Logik.
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Dr. Arndt
Die CDU/CSU hat diesen Antrag eingebracht, obwohl. Bundeskanzler Helmut Schmidt wenige Tage vor der Einbringung dieses Antrages sich besonders ausführlich mit der Lage der Menschenrechte im geteilten Deutschland in seinem Bericht zur Lage der Nation auseinandergesetzt hat, so daß eigentlich von daher keinerlei Veranlassung bestanden hätte, noch einmal mit einem solchen Antrag nachzufassen. Sie hat dies auch getan, obwohl sie weiß, wie wenig für die Menschen und ihre Rechte in der DDR gewonnen ist, wenn wir im sicheren Westen mit dem begründeten Zorn des Gerechten öffentlich und laut protestieren. Natürlich, auch öffentlicher und lauter Protest kann im einzelnen konkreten Fall einmal ein Mittel zum Schutz von Menschenrechten sein. Niemand bestreitet das. Welches Mittel aber in einer bestimmten politischen Situation eingesetzt werden muß, kann nicht abstrakt und auf Jahre hinaus vorherbestimmt werden.
Die Bundesregierung muß flexibel sein können, um wirklich den bedrängten Menschen helfen zu können.
Darum war und ist die ursprüngliche Fassung des CDU/CSU-Antrages auch kein geeignetes Mittel zur Wahrung der Menschenrechte in ganz Deutschland. Eher behinderte dieser Antrag durch den starren Auftrag diese Wahrung, weil er der Regierung einen Teil ihrer Flexibilität nähme, würde er angenommen.
— Herr Kollege Marx, Sie wissen, daß sich andere Berichte mit Dingen befassen, die wir in diesem Lande beeinflussen können. Aber Sie wissen genau, welche Möglichkeiten wir gegenüber drüben haben. Es geht doch darum, wirklich effektiv etwas für die Menschen zu schaffen und nicht einen Bericht auf den Tisch des Hauses zu legen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Nein. — Aber es kam leider noch schlimmer während der Beratungen. Die Ausschußberatungen haben wieder einmal bewiesen, wie wenig es zumindest einem Teil der Antragsteller wirklich um die Wahrung der Menschenrechte ging. Wegen der Mängel des Antrages — —
— Sie haben nachher Gelegenheit, als Redner dasalles zu begründen, wenn Sie dieser Meinung nichtsind. Aber Sie sollten nicht versuchen, durch Lautstärke meinen Vortrag unmöglich zu machen.
Wegen der Mängel des Antrages haben wir nämlich im mitberatenden Rechtsausschuß nach langen, intensiven Beratungen einen Kompromiß gefunden, den wir einstimmig beschlossen haben, nachdem der nicht gerade als besonders koalitionsfreundlich bekannte Abgeordnete, der Kollege Dr. Wittmann , ausdrücklich die Zustimmung der CDU/ CSU hierzu erklärt hatte.
Herr Berichterstatter Jäger, Sie wollen doch nicht annehmen und behaupten, die Mitglieder des Rechtsausschusses seien auf die Prüfung der verfassungsrechtlichen Fragen beschränkt, sie seien sozusagen eine Art politisch kastrierter Mitglieder dieses Hauses. Dies werden Sie alle zurückweisen. Selbstverständlich sind wir genauso politische Abgeordnete im Rechtsausschuß wie in jedem anderen, den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen eingeschlossen.
— Sie hätten zuhören sollen, was Herr Jäger hier gesagt hat, dann würden Sie nicht so einen Zwischenruf machen.
Grundlage des von mir im Rechtsausschuß vorgeschlagenen Kompromisses war — dieses kommt noch hinzu — eine von dem Berliner CDU-Abgeordneten Dr. Gradl ursprünglich stammende Formulierung, die der Bundestag 1974 bereits einmal einstimmig verabschiedet hatte. Es ist die Fassung, die Ihnen jetzt als Antrag des federführenden Ausschusses zur Abstimmung vorliegt. Sie ist konkreter. Sie gewährt der Bundesregierung den nötigen Spielraum, um sich wirklich für die Menschenrechte einzusetzen. Sie sollte eigentlich von allen Fraktionen akzeptiert werden können.Aber einmal mehr demonstrierte dann im federführenden Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen eine Gruppe von Abgeordneten der CDU/CSU, daß sie den Kompromiß mit der Koalition verachtet. Sie demonstrierte zugleich die innere Zerrissenheit der CDU/CSU in dieser wichtigen Frage und legte offen,
daß es in der CDU/CSU Abgeordnete gibt, denen es selbst dann, wenn sie von Menschenrechten reden und schreiben, in Wirklichkeit gar nicht um dieses Thema geht,
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17586 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Dr. Arndt
das am wirkungsvollsten nur von allen Demokraten gemeinsam bewältigt werden kann.
Es geht dieser Teilgruppe — das ist der Eindruck, den wir alle haben gewinnen müssen — —
— Das ist die Koalition, für die ich hier spreche! Es geht dieser Teilgruppe der Opposition vielmehr darum, die Menschenrechte zu einem Schlaginstrument im politischen Kampf gegen diese Bundesregierung zu degradieren.
Man will diese Regierung madig machen.
Diese Methode reiht sich konsequent ein in Debattenbeiträge — —
— Herr Reddemann! Sie können hier reden. Es ist aber in diesem Parlament nicht erträglich, wenn Sie von hier aus immer versuchen, durch Lautstärke den Redner daran zu hindern — das haben wir auch nicht getan —, seine Argumente vorzubringen.
Diese Methode reiht sich konsequent ein
in Debattenbeiträge in diesem Hause, bei denen man den Eindruck gewinnen mußte, dort auf der Regierungsbank säßen etwa die Herren Honecker, Stoph und Hoffmann, die die politische Verantwortung für Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl tragen, und nicht etwa freiheitlich-demokratische Politiker wie Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Hans-Jochen Vogel und Werner Maihofer, um nur einige zu nennen,
die das alles weder zu verantworten noch zu verteidigen haben. Wer so redet wie jene Gruppe von CDU/CSU-Politikern, der sollte das Wort „Menschenrechte" in diesem Zusammenhang lieber schamhaft meiden.
Ich appelliere daher an alle Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, denen es ernst ist mit der Wahrung der Menschenrechte, heute dem Text zuzustimmen, den wir gemeinsam — Sozialdemokraten, Christliche Demokraten und Freie Demokraten —
im Rechtsausschuß erarbeitet haben, dessen geistiger Vater der Berliner CDU-Abgeordnete und ehemalige Minister für gesamtdeutsche Fragen, also ein besonders kompetenter Mann, Dr. Gradl, ist. So kann den Menschenrechten im geteilten Deutschland besser gedient werden und dem traurigen Beitrag einiger Minderheitsmitglieder im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen wirkungsvoll entgegengetreten werden.Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie: Stimmen Sie dem Antrag in der Fassung der Drucksache 7/5150 zu!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Abelein.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will auf die zahlreichen sachlichen Unrichtigkeiten in der Rede des Herrn Arndt im Laufe meiner Ausführungen eingehen. Unter anderem war falsch, daß unser Kollege Gradl Ihren Antrag mit kreiert habe.
Wir sind Ihnen in einem Kompromißvorschlag sehr weit entgegengekommen; Herr Gradl wird nachher die Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Wer in diesem Hause Kompromisse verachtet, sind doch Sie.
Sie, Herr Arndt, haben ja gar nicht die Möglichkeit, hier einen Kompromiß zu schließen, denn derjenige, der den Ton angibt, sitzt neben Ihnen, und er hat in diesem Haus doch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er uns nicht braucht. Eine deutlichere Absage an das Mittel des Kompromisses in der Politik gibt es doch gar nicht.
— Sie müßten die Ausführungen von vorher und die Ratschläge, andere nicht zu stören, an Ihre eigene Adresse und speziell an die Adresse Ihres Fraktionsvorsitzenden richten. Bei Ihnen selbst sind sie nämlich sehr viel mehr angebracht als bei Rednern von uns.Dem einzelnen Menschen eigene Rechte einzuräumen, die der Verfügungsgewalt des Staates entzogen sind, ist ein altes Ziel der Menschheit. Dieses
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17587
Dr. AbeleinZiel basiert auf den langen Erfahrungen mit Unterdrückung, Knechtung, Folterung, Freiheitsberaubung in allen Zonen und in allen geschichtlichen Epochen bis zur Gegenwart. Die Menschenrechte sind von der Sehnsucht aller Entrechteten und Unterdrückten auf dieser Welt getragen. Dem Menschen soll eine eigene, vom Staat unabhängige Rechtsposition eingeräumt werden. Diesem Ziel setzen sich in den totalitären Staaten laufend große Hindernisse von den verschiedenen Seiten entgegen. Die Problematik, mit der wir uns beschäftigen, liegt darin begründet, daß einer der totalitären Staaten heute auf deutschem Boden der Realisierung der Menschenrechte entgegensteht.Wir haben heute Rechtsinstrumente, die über die bloße Selbstverpflichtung der Staaten hinausgehen. Die Satzung der Vereinten Nationen stellt einen wichtigen Schritt in Richtung auf die Realisierung der Menschenrechte dar, weil sie die Mitglieder auf die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle Menschen verpflichtete. Die Menschenrechte wurden dann durch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen, weiter konkretisiert. Dort finden sich im einzelnen Bestimmungen über das Verbot der Diskriminierung nach Rasse, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, über das Verbot der Sklaverei, des Sklavenhandels, über das Verbot der Folter, über den Schutz vor Verhaftung und Ausweisung, über den Rechtsschutz, über die Gewissens- und Religionsfreiheit, über die Meinungs- und Informationsfreiheit, über das Recht auf Leben und Freiheit, das Recht auf Freizügigkeit und das Auswanderungsrecht. Alle diese Fragen spielen in der deutschen Politik eine zentrale Rolle.Diese Erklärung war deswegen so wichtig, weil sie die Frage, ob und inwieweit ein Staat seinen Bürgern Menschenrechte einräumt, nicht mehr ausschließlich als Frage einer innerstaatlichen Ordnung anerkennt. Darauf ziehen Sie sich immer zurück; heute haben Sie es wieder getan, Herr Arndt. Sie sagen immer, man könne nichts gegen Maßnahmen der innerstaatlichen Ordnung in einem anderen Staat tun.
— Doch, Sie haben auch heute wieder der Diskretion und dem Schweigen das Wort geredet.
Dem Schweigen das Wort reden, ist ein Widerspruch, den Sie hier laufend praktizieren.Die Satzung der Vereinten Nationen hat die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten zu einem gemeinsamen Ziel der Völkerrechtsgemeinschaft — auch der Bundesrepublik — erklärt. Die Menschenrechte wurden durch zwei bedeutende Pakte der UNO aus dem Jahre 1966 weiterentwikkelt, nämlich durch das sogenannte Abkommen über bürgerliche und politische Rechte und das Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Bundesrepublik Deutschland hat beide Abkommen unterzeichnet. Diese Abkommen sind in der Zwischenzeit in Kraft getreten. Beide deutscheStaaten sind ihnen beigetreten, wobei ich nicht anstehe, es als einen besonderen Akt kommunistischsozialistischer Heuchelei zu bezeichnen, unter gleichzeitiger kontinuierlicher Verletzung der Menschenrechte einen Pakt über die Garantie der Menschenrechte zu unterzeichnen.
Diese Abkommen beinhalten die wesentlichen Grundsätze der Menschenrechtserklärung von 1948 in vertraglicher, also für die Mitglieder verbindlicher Form. Wenn man darüber bei der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen noch Zweifel gehabt haben sollte, so sind diese nunmehr beseitigt. Auch die DDR hat im übrigen den rechtsverbindlichen Charakter anerkannt, indem sie — fast wörtlich — ausführt, daß die Konventionen konkrete Verpflichtungen der Vertragsstaaten untereinander und gegenüber ihren Staatsbürgern zur Gewährleistung politischer und sozialer Rechte enthielten, d. h., es gibt Verpflichtungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur Einhaltung der Menschenrechte.
Es ist eine Pflicht der Bundesregierung, ihren Vertragspartner DDR in diesem Fall nachdrücklich an die Einhaltung der Menschenrechte zu erinnern. Wir machen Ihnen den Vorwurf, daß Sie das bisher nicht genügend getan haben.
Ich möchte nur einige der von den beiden Staaten in Deutschland vereinbarten Menschenrechte nennen und sie auf ihre Realisierung in Deutschland untersuchen. Daß Sie einen Beitrag zur Familienzusammenführung geleistet, die Zahl der Telefongespräche erhöht und den Verkehr auf den Transitwegen gefördert haben, ist von uns nicht bestritten worden. Hier liegen Vorteile einer Deutschlandpolitik, die im übrigen auch vorher vorhanden waren, auch wenn sie in keinerlei Verhältnis zu dem stehen, was Sie dafür an Leistungen politischer und finanzieller Art erbracht haben.
Wie steht es mit dem Recht auf Freizügigkeit? Die Freizügigkeit in Deutschland zu realisieren war mit das erklärte Ziel der sogenannten neuen Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung. In der Zwischenzeit hat die DDR das perfekteste System der Welt zur Verhinderung der Freizügigkeit in Deutschland errichtet. Einige hundert Kilometer doppelter Stacheldrahtzaun, 16 Millionen Minen — nach dem Bericht dieser Bundesregierung, d. h. eine Mine pro Einwohner in der DDR —, Schießbefehl für Grenztruppen und ein immer lückenloser werdendes Netz von automatischen Mordanlagen kennzeichnen einen dauernden Zustand der Menschenrechtsverletzung im geteilten Deutschland. Wir können uns mit dieser Art „Endlösung der Abgrenzung" nicht abfinden.
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17588 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Dr. Abelein— Sie haben das nicht gebaut; das haben wir nie behauptet. Wir haben nicht behauptet, die Mitglieder dieser Bundesregierung hätten die Mauer gebaut. Was wir Ihnen vorwerfen, ist, daß Sie den Schleier der Diskretion — um Ihre Formulierung zu gebrauchen — über diesen menschenrechtswidrigen Zustand ausbreiten möchten. Das scheint uns ein ungeeignetes Mittel der Politik zu sein.
Entlang der innerdeutschen Grenzlinie werden Menschen, die ihre Freiheit suchen, die von Ihrem Menschenrecht auf Freizügigkeit Gebrauch machen wollen, ununterbrochen getötet oder verletzt.
Das passiert fast jeden Tag, wie der Leiter der Zentralen Erfassungsstelle der Länderjustizverwaltungen in Salzgitter feststellt; denn was wir wissen, betrifft nur einen Bruchteil der Zwischenfälle. Die zunehmende Zahl der politischen Häftlinge, insgesamt mehrere Tausend, hätten Sie auch anführen müssen. Sie haben es getan, aber das war keine Demonstration für die Realisierung der Menschenrechte, sondern gegen die Menschenrechte. Unter diesen Häftlingen befinden sich einige Hundert Einwohner der Bundesrepublik Deutschland. Wenigstens um sie müßte sich die Bundesregierung sehr viel nachdrücklicher kümmern.
All das stellt einen schweren Verstoß gegen das Menschenrecht dar, wonach niemand auf Grund seiner politischen oder sonstiger Überzeugungen benachteiligt werden darf.Zwangsadoptionen von Kindern solcher Eltern, die sich durch Flucht, Fluchtversuche oder Beihilfe zur Flucht mißliebig gemacht haben, entsprechen keineswegs dem Art. 23 des Menschenrechtspaktes der UNO. Der Druck auf die Religionsgemeinschaften entspricht nicht dem Menschenrecht auf Gewissens-und Religionsfreiheit. Von dem Recht auf ungehinderte Meinungsfreiheit, sowohl im Hinblick auf die Äußerung als auch auf die Information, und der Praxis in der DDR wagt man kaum noch etwas zu sagen; sonst würde man von dieser Bundesregierung und Ihnen als Utopist gescholten. Dennoch handelt es sich hier um ein Menschenrecht, das durch die Journalistenverordnung der DDR, durch die sie die Abmachungen mit der Bundesregierung ausgehöhlt hat, durch Ausweisung von Korrespondenten, durch verhinderte Berichterstattung wie zuletzt auf der Leipziger Messe, durch die Verhinderung des Austausches von Druckschriften sicher nicht gefördert wird.Die Menschenrechtsartikel über das Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels betreffen, wie man meinen sollte, irgendwelche archaische Staaten in fernen Kontinenten, doch das ist keineswegs so. Sie sind gerade für uns von einer unerhörten Aktualität.
Herr Arndt, hierzu hätte ich an Ihrer Stelle die Sache mit den 1 200 Häftlingen lieber nicht gesagt; dann hätte auch ich nichts dazu gesagt. Das ist nicht Ihre Erfindung, und es ist zweifellos kein Beweis für die Einhaltung der Menschenrechte; denn was hier betrieben wird, ist Menschenkauf,
und das steht in unmittelbarer Nähe zur Sklaverei. Ich kenne die Schwierigkeiten für die menschlichen Schicksale, die daraus resultieren; aber Sie können das doch nicht als einen Beweis für die menschenrechtsfreundliche Politik Ihrer Bundesregierung anführen.
Sie müßten etwas dagegen unternehmen, daß es nicht mehr zu Menschenkauf in dieser Weise kommt. Das ist ein deutlicher Beweis für die menschenrechtswidrige Situation, die Sie durch Ihre neue Politik nicht gemildert, sondern eher verschärft haben.
— Ich warte schon lange darauf, daß auch Sie sich zu Wort melden, Herr Wehner; denn Sie fühlen sich getroffen, Sie haben auch Ursache dazu.
Die Erziehung zum nationalen Haß ist ein Grundsatz der Erziehung in der DDR, und das widerspricht ebenfalls einer Reihe von Artikeln in der Menschenrechtskonvention. So kann ich z. B. wörtlich zitieren: „Zur Anerziehung des Hasses auf den Feind gehört auch die Entlarvung der westdeutschen Revanchisten."
Diese Dinge sagen mehr über den tatsächlichen Zustand der innerdeutschen Beziehungen als die verbalen Beteuerungen dieser Bundesregierung.Was können wir für die Realisierung der Menschenrechte in Deutschland tun? Herr Arndt, es ist sicher falsch: Diskretion zu üben und dazu zu schweigen. Ich habe nicht gesagt, daß diese Bundesregierung die Menschenrechte verletzt; aber ich behaupte, wer zu Menschenrechtsverletzungen schweigt, der tritt den Menschenrechtsverletzungen nicht entgegen, sondern insgeheim, wenn auch vielleicht nicht gewollt, fördert er sie noch.
Es ist Aufgabe dieser Bundesregierung, die in den Menschenrechtskonventionen niedergelegten Verpflichtungen geltend zu machen, ihre Verletzung anzuprangern, und dafür gibt es eine ganze Skala von Möglichkeiten.Die Empörung der öffentlichen Meinung auf internationaler Ebene hat z. B. im Zusammenhang mit
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17589
Dr. Abeleinden Zwangsadoptionen dazu geführt, daß die DDR einen Rückzieher gemacht hat.
Das zeigt, daß die Bundesregierung die öffentliche Meinung, auch die internationale öffentliche Meinung, sehr viel stärker gegen die dauernde Verletzung der Menschenrechte in Deutschland mobilieren muß,
und das geschieht nicht durch Diskretion.
Zu diesem Zweck haben wir von der Bundesregierung gefordert, als Minimum wenigstens im Rahmen ihres jährlich zu erstattenden Berichts, zur Lage der Nation auch einen Bericht über die Verwirklichung und Verletzung der Menschenrechte im geteilten Deutschland vorzulegen, und das haben Sie nicht getan; Sie haben es abgelehnt.
Ihr Antrag gibt den Sachverhalt nicht richtig wieder. Er verhüllt ihn, weil die Bundesregierung in der Vergangenheit gerade nicht alle bestehenden Möglichkeiten für die Einhaltung der Menschenrechte genutzt hat, weil sie sich nicht unbeirrt für die Freizügigkeit von Menschen und Meinungen eingesetzt hat, wenn man daraunter mehr als gelegentliche verbale Beteuerungen oder Routineproteste versteht. Wozu sind wir denn in der UNO, wenn Sie die Möglichkeiten dieser Pakte und der Kommission für die Menschenrechte nicht nutzen? Ich sehe den Sinn einer Mitgliedschaft in der UNO nicht ausschließlich darin, nur jährlich hohe Millionenbeträge als Beitrag für diese Organisation zu zahlen.
Lassen Sie mich mit den Ausführungen eines Ihrer Kollegen, den ich hier als vorbildlich betrachte — vielleicht versöhnt Sie das —, zum Ende kommen. Für die SPD-Fraktion sprach der Kollege Mommer am 29. März 1968 im Bundestag folgende Sätze. Er forderte wörtlich,daß wir ein Memorandum über die Menschenrechte in Deutschland an die Vereinten Nationen schicken, ... Memorandum über die Menschenrechte in Deutschland, nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in beiden Teilen Deutschlands.
Es wäre eine großartige Gelegenheit, eine vergleichende Studie über die theoretischen und praktischen Menschenrechte, über das auf dem Papier stehende und das einklagbare und eingeklagte Menschenrecht, zu machen und sie den Vereinten Nationen zuzuleiten ...
Ich würde empfehlen, dieses Memorandum in Millionenauflage zu drucken und auch in unserem Lande zu verbreiten, vor allem an unseren Universitäten. Das, nicht mehr, eher noch etwas weniger, um Ihnen entgegenzukommen, wollten wir als ersten Schritt für die Realisierung der Menschenrechte und für eine deutlichere Haltung der Bundesregierung mit unserem Antrag erreichen.Deswegen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen und den Ihren zurückzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bürger dieses Landes werden es kaum begreifen, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages aufeinander eindreschen, weil die Kommunisten in der DDR die Menschenrechte verletzen. Es ist vielleicht auch kein Zeichen kluger Politik, daß ausgerechnet die Frage von Menschenrechtsverletzungen durch die DDR hier kontrovers zwischen den Fraktionen behandelt wird.
Für dieses und für diese wenig erfreuliche Situation will ich die Opposition gar nicht allein verantwortlich machen. Aber niemand kann übersehen — insbesondere auch nach dem letzten Diskussionsbeitrag —, daß der Opposition doch offensichtlich an Auseinandersetzung gelegen ist. Die Rede des Kollegen Abelein hat deutlich gemacht, daß es der Opposition darum geht — immer wieder darum geht —, den Vorwurf zu konstruieren, die Bundesregierung würde das inhumane System der DDR und die menschenverachtenden Maßnahmen nicht beim Namen nennen, sondern würde die DDR über Gebühr schonen.
Die Opposition will der Öffentlichkeit immer wieder weismachen, daß Entspannungspolitik gleichbedeutend mit Anpassung und Nachgiebigkeit gegenüber den Kommunisten sei.
Eine solche Form der Auseinandersetzung mag in ein taktisches Konzept der Opposition passen.
Es geht dabei aber immer mehr um Stimmungsmache und Augenblickserfolge in der Tagespolitik als um eine auf lange Sicht angelegte Deutschlandpolitik.
Nicht die Bewahrung der Einheit der Nation steht im Mittelpunkt eines solchen Konzepts; vielmehr scheint darin alles auf den Wahltag ausgerichtet zu sein.
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17590 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
HoppeWenn diese Holzhackerei fortgesetzt wird, zerstören wir auch den letzten Rest an Gemeinsamkeit.
Unser parlamentarisches System lebt aber von der Übereinstimmung in den Grundfragen unserer staatlichen Ordnung. Andernfalls wird die Kritik nicht zum Salz, sondern zum Gift der Demokratie.Den Kommunisten in der DDR sollten wir es so einfach nicht machen. Die Opposition muß sich fragen, ob sie wirklich gut daran tut, ersatzweise immer wieder die Bundesregierung zum Gegenstand ihrer Kritik zu machen. Sie verhindern dadurch, meine Damen und Herren von der Opposition, daß sich die Demokratie in gemeinsamer Frontstellung mit den Kommunisten und ihren Praktiken auseinandersetzen.
Wir fechten hier doch einen Scheinkonflikt aus. In Wirklichkeit trennt uns in den Fragen der Menschenrechte nichts, aber auch gar nichts.Wir sind uns auch darin einig, daß wir zu den menschenrechtswidrigen Praktiken der DDR nicht schweigen dürfen. Die Weltöffentlichkeit muß vornehmlich von uns darauf aufmerksam gemacht werden, daß und in welchem Umfang von der DDR allgemein anerkannte elementare Menschenrechte verweigert werden. Dafür tragen wir eine besondere Verpflichtung, und dazu bekennen wir uns.
Im Bundestag, vor den Vereinten Nationen und an jeder anderen geeigneten Stelle müssen wir immer wieder auf die Lage im geteilten Deutschland hinweisen. Überall dort, wo es tatsächlich angebracht ist, müssen wir uns von gravierenden Fällen von Menschenrechtsverletzungen distanzieren und sie zur Sprache bringen, anklagen und anprangern.
Oberstes Ziel muß aber in jedem Augenblick sein, die Lage der betroffenen Menschen in der DDR und in den anderen kommunistischen Ländern zu verbessern. Deshalb ist immer darauf Bedacht zu nehmen, daß durch unsere Aktionen bisher Erreichtes nicht in Frage gestellt wird und daß nicht gerade denen Nachteile erwachsen, für die wir uns um menschliche Erleichterungen bemühen.
Die Meinungsverschiedenheit zwischen Koalition und Opposition verengt sich denn auch auf eine Verfahrensfrage. Uns geht es darum, den politischen Handlungsspielraum der Regierung nicht unnötig einzuengen. Wie dagegen aus dem Antrag der Opposition erkennbar, soll die Bundesregierung regelmäßig im Jahresbericht zur Lage der Nation unterrichten. Ein solcher Antrag scheint uns zu eng und zu weit zugleich zu sein. Die Behandlung von Menschenrechtsverletzungen darf nicht zu einem jährlichen Ritual werden, und sie darf schon gar nicht an einen bestimmten Bericht gekoppelt sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kliesing?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege, ist nicht gerade der Verzicht auf einen Menschenrechtsbericht im Rahmen des Berichts zur Lage der Nation ein Beweis für eine bereits eingetretene Verengung des politischen Spielraums dieser Regierung?
Verehrter Herr Kollege, es geht hier nicht um einen Verzicht, sondern es geht um die feste Bindung, immer dort und nur dort und immer an diesem Platz und immer zu dieser Zeit darüber zu berichten, zu sprechen und zu referieren.
Auf diesen Punkt komme ich in meinem Beitrag gleich noch zurück.
Dem Bericht zur Lage der Nation selbst haben wir das Schablonenhafte nämlich gerade genommen. Wir wollten seine Aktualität dadurch erhöhen, daß wir jeweils die besonders aussagekräftigen und die besonders aktuellen Themen in seinen Mittelpunkt gestellt haben. Was dort nach übereinstimmender Auffassung aller Fraktionen dieses Hauses als politisch zweckmäßig angesehen wird, kann hier ja dann wohl nicht verkehrt sein. Wann und wo immer es angezeigt, notwendig und erfolgversprechend ist, muß und wird die Bundesregierung handeln. Dies noch einmal zu bestätigen und für die Zukunft fortwirken zu lassen, ist der Sinn des abändernden Antrages der Koalitionsfraktionen.
Die Bundesregierung hat deshalb nach unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen ganz selbstverständlich das Forum der Vereinten Nationen genutzt, um gerade von dieser Ebene aus die Sinne der Weltöffentlichkeit für Menschenrechtsverletzungen zu schärfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Bitte, Herr Jäger.
Herr Kollege Hoppe, können Sie sich denn, wenn Sie hier von einem Schematismus reden, der dem Antrag der Opposition zugrunde läge, einen Bericht der Bundesregierung zur Lage unserer deutschen Nation vorstellen, der einen Sinn haben soll, in dem nicht auch dem deutschen Volk darüber berichtet wird, wie es um die Achtung und Wahrung des Wichtigsten, was dem einzelnen Menschen gegeben werden kann, nämlich seiner Menschenrechte, steht?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17591
Verehrter Herr Kollege Jäger, jede Frage unterliegt der Gefahr einer schematischen Behandlung und damit ihrer Abnutzung, auch das wichtige und das allerwichtigste Thema. Darum setzen wir uns hier im Augenblick auseinander, wie man in dieser elementaren Frage unserer Nation optimal handelt. Hier suchen wir miteinander nach der besten Lösung. Das sollten wir uns gegenseitig auch nicht absprechen wollen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist, wie mir scheint, stets bemüht, daß wirksame Maßnahmen zur Gewährleistung der Menschenrechte getroffen werden, die zu den Grundwerten unserer eigenen gesellschaftlichen und politischen Ordnung gehören. Die Bundesregierung hat nie Zweifel daran gelassen, daß es ihr vor allem auch um den Menschenrechtsschutz in ganz Europa und besonders im geteilten Deutschland geht. Der Bundesaußenminister hat auf der 30. Generalversammlung dazu folgendes ausgeführt:
Wir müssen weiterschreiten von der Proklamation der Menschenrechte zu ihrer weltweiten Durchsetzung. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, daß sie überall in der Praxis verwirklicht werden. Die Bundesregierung wird alle Vorschläge unterstützen, die Vereinten Nationen bei der Durchsetzung der Menschenrechte handlungsfähiger zu machen. Die Menschenrechte müssen überall gelten, in allen Kontinenten. Als Europäer füge ich hinzu, sie müssen auch gelten in allen Teilen Europas.
Wir alle sollten uns aber auch der begrenzten Möglichkeiten, vor den Vereinten Nationen zu handeln, zu argumentieren und dort zu Entscheidungen zu gelangen, bewußt sein. Die Vereinten Nationen haben zwar wichtige Grundlagen geschaffen, insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die beiden Menschenrechtspakte von 1966. Aber Erklärungen und selbst Kodifizierungen schützen den einzelnen dort noch nicht vor staatlicher Willkür, wo die Gewährung der Menschenrechte als rein innerstaatliche Angelegenheit betrachtet wird. Was fehlt, ist ein weltweit wirksames System zur objektiven Prüfung von Menschenrechtsverletzungen. Über erste Ansätze hierzu ist die Weltorganisation bisher leider nicht hinausgekommen; und selbst diese bescheidenen Ansätze haben ihre Bewährungsprobe in der politischen Wirklichkeit bislang nicht bestanden. Die Mehrheit verschanzt sich im Augenblick immer noch hinter dem Souveränitätsprinzip und dem Grundsatz der Nichteinmischung. Ohne Fortschritte bei der Schaffung eines allgemein verbindlichen Prüfungssystems für Menschenrechtsverletzungen werden wir deshalb die Beratung der Lage im geteilten Deutschland in den Gremien der Vereinten Nationen nicht durchsetzen können. Wir können die Lage in der DDR, an der Mauer zwar in den geeigneten Fällen in den Vereinten Nationen zur Sprache bringen. Aber wir können bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen keine Prüfung oder gar Verurteilung der menschenrechtswidrigen DDR-Praktiken durch die Gremien der Vereinten Nationen erzwingen. Auch das gehört zur Wahrheit und zur Wirklichkeit.
Was in Reden von Oppositionspolitikern für den Hausgebrauch gut klingt und den Eindruck von Entschlossenheit und Konsequenz vermitteln soll, entblättert sich deshalb vor diesem Hintergrund doch letztlich als bloßes Renommiergehabe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte sehr.
Herr Kollege Hoppe, es geht in den Vereinten Nationen nicht darum, Verurteilungen durchzusetzen oder zu erzwingen, sondern zäh gegen einen Strom einseitiger Interpretation der Menschenrechte im Nord-Süd-
Konflikt das sehr weit zurückgegangene Bewußtsein für die Menschenrechtsmißachtung in Deutschland und in Europa zu schärfen. Teilen Sie diese unsere Meinung?
Herr Kollege Mertes, genau dazu habe ich mich eben bekannt, und genau dazu habe ich erfreulicherweise die Rede des Bundesaußenministers zitieren dürfen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß nicht nur die Bundesregierung, sondern wir alle jeden Platz und jede Gelegenheit benutzen sollten, den Sinn dafür zu schärfen und das Bewußtsein dafür zu bilden.
Wir stehen nämlich alle gemeinsam vor der mühsamen Aufgabe, Erleichterungen für die Menschen im anderen Teil Deutschlands und in anderen kommunistischen Ländern zu erstreiten. Großsprecherei wird dies nicht bewirken.
Noch so lautstark trompetete Anklagen gegen die DDR und ihr System werden die Mauer nicht zum Einsturz bringen.
Wer trotz Mauer und Abgrenzungspolitik den Menschen in dem anderen deutschen Staat wirklich helfen will, muß sich anderer Mittel und anderer Methoden bedienen. Dabei haben wir die Menschen in der DDR nicht aus unserer Betreuung entlassen, und wir werden uns nicht aus unserer Verpflichtung für die Einheit der Nation davonschleichen. Wir versuchen vielmehr, Schritt um Schritt auf diesem Weg voranzukommen, und beschränken uns dabei nicht auf leere, wenn auch noch so starke Proteste.Auch die Opposition sollte endlich aktive Deutschlandpolitik treiben und sich nicht länger in der Protesthaltung gefallen. Mit Klagen und An-
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Hoppeklagen sowie einer Politik der blutenden Wunde sind weder die Mauer noch der Schießbefehl verhindert worden.Leider — Herr Kollege Abelein, nun muß ich es sagen, weil Sie wieder dieses schreckliche Bild hier gezeichnet haben , leider gehört auch das Töten an der Grenze zur bedrückenden deutschen Vergangenheit und Gegenwart. Die brutale deutschdeutsche Grenze mit ihrem menschenfeindlichen Charakter besteht leider noch immer. Leider konnte sie bisher durch die Ostpolitik und den Grundlagenvertrag noch nicht beseitigt werden. Aber geschaffen worden ist sie dadurch gewiß nicht. Das sollte sich die Opposition bei ihrer Kritik und bei der von ihr gewählten Form der Attacken gegen die Regierung immer wieder vor Augen halten.In anderen Bereichen dagegen konnten in den innerdeutschen Beziehungen deutliche Fortschritte erzielt werden. Im Reise-, Besuchs- und Fernsprechverkehr sind gravierende Verbesserungen zu verzeichnen. Niemand sollte dies leugnen, und wer es dennoch tut, ist ein schlimmer Ignorant. Wie anders soll man einen Verleger bezeichnen, der sich bei der Begrüßung einer Landtagsfraktion zu der Feststellung versteigt, die Berliner seien in diesem Augenblick ganz alleingelassen, und die Ostverträge hätten Berlin fast nur Nachteile gebracht. Was für ein Realitätsverlust spricht aus dieser Formulierung!
Daraus wird dann allerdings auch vieles begreiflich. Wir aber sollten uns den Blick für die Realitäten bewahren.Von einer Opposition, die unsere Deutschlandpolitik nicht mitverantworten will, kann ich nicht Zustimmung dazu verlangen; ich kann aber erwarten, daß das Geleistete ebenso objektiv bewertet wird, wie dies der Landesvorsitzende der Berliner CDU unlängst in dem Fernsehbeitrag „Fünf Jahre nach Abschluß des Viermächteabkommens" fairerweise getan hat. Wenn wir auch hier im Deutschen Bundestag mehr das Gemeinsame als das Trennende betonen, muß es möglich sein, trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen bei der Formulierung der vorliegenden Anträge zu einer geschlossenen Demonstration unseres politischen Willens und Wollens zu kommen.Ich möchte diesen Appell an das Haus nicht zuletzt im Hinblick auf die sich zum 23. Male jährenden Ereignisse des 17. Juni richten. Die Repräsentanten der politischen Parteien werden sich im Präsidium des Kuratoriums Unteilbares Deutschland aus diesem Anlaß wieder zusammenfinden, um ihre gemeinsame nationale Verantwortung zu bekunden und zu versichern, daß es für uns in der praktischen Politik darum gehen wird, die Folgen der Teilung zu mildern, Verbindungen wachzuhalten, neue zu knüpfen und unbeirrt für das Ziel der freien und friedlichen Zusammenführung der getrennten Teile Deutschlands zu arbeiten. Wenn diese Bekenntnisse glaubhaft sein sollen, wenn die Aktionen des Kuratoriums nicht ungehört verhallen sollen, dann muß dieser Bundestag in den Grundfragen derDeutschlandpolitik endlich auch wieder Gemeinsamkeit zeigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Geßner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß die Regierungskoalition und die sie tragenden Parteien stets für die Verwirklichung und den Schutz der Menschenrechte eingetreten sind. Davon zeugt die Politik, die wir treiben. Davon zeugen auch die zahlreichen Bekundungen hier im Hause und die Diskussionen in den entsprechenden Ausschüssen. Wenn der Kollege Abelein trotzdem den Eindruck zu erwecken versucht, als werde darüber nicht gesprochen, als sei das für die Regierung sozusagen kein Thema, dann komme ich zu dem Schluß, daß hier offensichtlich nicht nur ein politisches Problem vorzuliegen scheint, sondern, da es um lesen und zuhören geht, wohl auch ein medizinisches Problem. Es tut mir außerordentlich leid, diese Bemerkung machen zu müssen, aber ich verstehe Ihre Ignoranz nicht, die Ignoranz, die Sie deswegen üben, weil sie Ihnen taktisch in den Kram paßt.110 Jahre währender Kampf der Sozialdemokratie für die soziale Gerechtigkeit war immer gleichzeitig auch ein Kampf für Verwirklichung und Schutz der Menschenrechte.
Ich bestätige, was mein Kollege soeben gesagt hat: Wir bleiben bei dieser Tradition und lassen uns von niemandem übertreffen. Sozialdemokraten hielten im Kampf für Menschenrechte bereits ihre Knochen hin, als noch mancher Urahn des heutigen Konservatismus für die Aufrechterhaltung des Dreiklassenwahlrechts focht. Wir haben daher Belehrungen von Ihnen nicht nötig — dies um so weniger, als die Opposition im Ausschuß den Eindruck erweckt hat, als gehe es hier bei diesem Antrag gar nicht um die Menschenrechte selbst. Vielmehr wurde deutlich, daß die Absicht dahinter stand, eine Diskussion über Menschenrechte als Vorwand für eine wahltaktische Auseinandersetzung mit der Koalition zu mißbrauchen. Ich denke, dazu sollte das Thema eigentlich zu schade sein.
Dabei wäre gerade angesichts der großen Problematik, vor der wir stehen, die Einigkeit aller Demokraten in diesem Lande ein großes Gebot.Die Opposition versucht, den Eindruck zu erwecken, die Regierung wolle im Grunde gar nicht über dieses Thema berichten.
Sie will Mißtrauen bei der Bevölkerung säen, sie will uns in die Nähe einer Kumpanei mit den Kommunisten rücken. Dies ist unverschämt und unsinnig zugleich und beweist, wie schaurig die politische,
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Dr. Geßnergeistige und moralische Verfassung dieser Opposition ist.
Es ist kein Zweifel, daß auch in Zukunft das Thema „Menschenrechte" für uns eine zentrale Bedeutung haben wird. Daran ist nicht zu rütteln. Wir werden dabei den Zeitpunkt so wählen, daß dem Anliegen, um das es geht, in bestmöglicher Weise entsprochen werden kann.
Deshalb wäre es nicht vertretbar, wenn die Diskussion darüber in ein zeitlich starres Schema gepreßt werden würde.
Und vor diesem Hintergrund wird meiner tiefen Überzeugung nach deutlich, daß der Antrag der Opposition weder vernünftig noch seriös ist.Daß die Opposition eine Politik der Augenwischerei treibt, erhellt auch folgender Tatbestand. Im Ausschuß wurden Änderungswünsche in sehr detaillierter und konkreter Weise unter Bezugnahme auf einen Antrag vorgetragen, der seinerzeit sehr wesentlich vom Kollegen Gradl mitformuliert worden war, und wir glaubten, daß dies von der Opposition hätte akzeptiert werden können, nachdem sie ja früher auch bereit war, es zu akzeptieren. Dies paßte Ihnen wieder nicht ins Konzept.
— Nun hören Sie doch einmal gut zu! Dies paßte Ihnen nicht ins Konzept, und deswegen kamen Sie auf die verworrene Idee,
den Vorschlag der Koalition durch Streichungen so zu verändern, daß daraus eine Selbstanklage der Regierungskoalition geworden wäre. Und da die Opposition genau wußte, daß dies unzumutbar war, wird offenkundig, daß es ihr nicht um die Sache der Menschenrechte, sondern um den Konflikt mit der Regierung ging.
Im übrigen bleibt der Oppositionsvorschlag in seinem Kern weit hinter den Änderungsvorschlägen der Koalition zurück. Während die Opposition lediglich verlangt, im Rahmen eines Berichtes zur Lage der Nation einen Bericht über die Verwirklichung und Verletzung der Menschenrechte vorzulegen, haben die Koalitionsparteien detaillierte Forderungen einzufügen verlangt. Kein Wort der Opposition in diesem Antrag über Anstrengungen zur Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen — im Gegensatz zu unseren detaillierten Vorschlägen!Trotzdem erleben wir heute den Versuch der Ablehnung. Die CDU/CSU weicht auch hier, wenn es konkret wird, wie immer aus. Sie sollte uns endlich einmal sagen, welche konkreten Schritte unternommen werden sollten, um den Menschenrechten mehr Geltung zu verschaffen. Das, Herr Kollege Abelein, ist eigentlich das gewesen, was ich von Ihnen erwartet hätte. Statt dessen stellen Sie sich hier her und deklamieren!Auch in der Deutschlandpolitik — so stellt es sich uns dar — steht die Opposition mit leeren Händen dar. Die sozialliberale Koalition hat mit ihrer Politik der Entkrampfung — das sage ich Ihnen — mehr für die Menschenrechte geleistet als diejenigen, denen nichts anderes einfiel, als verbale Proteste auszustreuen.
— Das wollen Sie nur nicht hören! Ja, ich weiß, Herr Kollege Mertes, Sie wollen nicht hören, was Ihnen nicht paßt.
Aber Sie müssen uns gestatten, daß wir das sagen, was die Wahrheit ist.
Wir gehen Schritt für Schritt vor, und wir wissen —denn wir sind keine Illusionisten —: Dies ist gewiß ein schwieriger Prozeß, und Rückschläge wird es immer wieder geben. Das ist doch bei der Problematik, um die es hier geht, selbstverständlich.Aber unter dem Strich gesehen steht außer Zweifel, daß diese Politik erfolgreich ist.
Und ich füge hinzu: Ohne unsere Politik der Entspannung auf Gegenseitigkeit wäre es noch schlimmer um die Menschenrechte bestellt, als dies ohnehin schon der Fall ist. Der kalte Krieg, den Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, letztlich wollen, hat der Verwirklichung der Menschenrechte nicht gedient, sondern eher geschadet,
und zwar deswegen, wie mir scheint, weil der kalte Krieg denjenigen in die Hände arbeitet, die eines Feindbildes bedürfen, um unsere Forderungen nach Verwirklichung und Schutz der Menschenrechte als kapitalistische oder imperialistische Machenschaften abzutun; das ist natürlich die Interessenlage der anderen Seite. Und so leid es mir tut, dies sagen zu müssen: Wenn auch aus unterschiedlichen Motiven,
— hören Sie gut zu; Sie werden das gleich hören —
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17594 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Dr. Geßnerso besteht hier doch eine unheilige Allianz zwischen der CDU/CSU einerseits und den kalten Kriegern innerhalb der SED andererseits.
— Natürlich, so ist das! Da sind Sie sprachlos; das glaube ich wohl.Ich komme daher zu der Schlußfolgerung: Wenn es überhaupt eine Chance gibt, in den östlichen Staaten den Spielraum zugunsten der Menschenrechte zu erweitern, dann nur durch die Fortführung der erfolgreichen Entkrampfungspolitik der sozialliberalen Koalition.
Wir machen uns dabei, wie gesagt, keine Illusionen. Unsere Bemühungen, hier den Menschenrechten eine Gasse zu schlagen,
werden nicht dazu führen, daß die kommunistischen Staaten ihr Staats- und Gesellschaftssystem in eine Demokratie umwandeln werden. Dennoch können wir — das sage ich Ihnen, Herr Kollege Marx, auf Ihren Zwischenruf — etwas für die betreffenden Menschen tun.
Wenn unsere Politik dazu führte, mehr Verwandtenbesuche in der DDR zu ermöglichen, dann wurde die Freiheit, einander zu sehen, wesentlich vergrößert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Aber gern.
Herr Kollege Geßner, wie erklären Sie sich die großen Lobsprüche der SED für die Ostverträge der Regierung Brandt/Scheel?
Einmal kann ich — im Gegensatz zu Ihnen — so große Lobsprüche gar nicht entdecken, und zweitens glaube ich, daß es innerhalb des Ostblocks gewisse Interessenprioritäten gibt und daß dabei die Sowjetunion eine ganz große Rolle spielt.
Wir können dennoch, so habe ich gesagt, etwas für die betroffenen Menschen tun. Wenn es möglich war, zu erreichen, daß Deutsche im arbeitsfähigen Alter aus familiären Gründen nunmehr aus der DDR in die Bundesrepublik einreisen dürfen — und die Zahlen steigen —, dann wird die Freiheit der familiären Begegnung erweitert. Wenn die West-Berliner als Folge des von uns begrüßten Viermächteabkommens nunmehr wieder in den Ostteil der Stadt können, dann bedeutet dies mehr Bewegungsfreiheit innerhalb der Stadt. Das sind Erfolge, die nicht bestreitbar sind, und sie dienen auch der Ausfüllung von Menschenrechten.Das sind drei Beispiele von vielen, die zeigen, daß auch unsere Deutschlandpolitik im Dienst der Freiheit und damit auch im Dienst der Menschenrechte steht.Im kommenden Jahr wird, wie ich glaube, die Bundesregierung Gelegenheit haben, vor einem internationalen Forum über die Situation der Menschenrechte im geteilten Deutschland zu berichten.
Ich meine die Nachfolgekonferenz der KSZE in Helsinki. Ich bin sicher, die Bundesregierung wird diese Gelegenheit im Stil angemessen und inhaltlich optimal nutzen.
Diese Bestandsaufnahme, so scheint mir, könnte von großem Wert sein. Ich verbinde damit die Hoffnung, daß sie gleichzeitig eine Chance beinhaltet; denn in der Schlußakte der KSZE kristallisiert sich auch der Wille der demokratischen Staaten, den Menschenrechten neue Chancen zu eröffnen. Wenn östliche Unterzeichnerstaaten versuchen, durch vielleicht absonderliche Interpretationen dieses Prinzip zu umgehen, so befinden sie sich im Widerspruch zum größten Teil der Konferenzteilnehmer. Das ist keine gute Position.Aber ich muß in diesem Zusammenhang die Opposition fragen: Wo bleibt eigentlich der Wille der Opposition zum friedlichen Kampf für die Verwirklichung der Menschenrechte, wenn sie trotz alledem und entgegen der Auffassung aller maßgeblichen demokratischen Kräfte in Europa die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit als Erfolg der kommunistischen Regierungen hinstellt, wo wir doch gleichzeitig in der Debatte vorhin gehört haben, daß es nunmehr darauf ankomme, sich auf die Abmachungen der Schlußakte zu berufen?
Sie dürfen sich daher nicht wundern, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn in aller Welt der Eindruck entsteht, daß die Opposition an praktischen Fortschritten gar nicht interessiert ist.
Viele Menschen berufen sich heute schon auf das Prinzip 7 in der Schlußakte der KSZE.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17595
Dr. Geßner— Lachen Sie ruhig ein bißchen; Sie haben das auch nötig.
Der Anspruch der Menschen, die sich darauf berufen, wird durch diese Möglichkeit auf Berufung moralisch und politisch gestärkt. Gewiß, so sage ich, ist deswegen die KSZE ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, der allerdings nicht möglich gewesen wäre, wenn wir dem Rat der Opposition auf Ablehnung der Helsinki-Konferenz gefolgt wären. Eine internationale Isolierung der Bundesrepublik wäre die Folge gewesen, wo doch gerade unser Staat wegen der besonderen Situation in Deutschland auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen ist.Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, gewinnt der Wahlkampfslogan der Opposition, wie mir scheint, eine besonders negative Bedeutung.
Es hat den Interessen der Bundesrepublik bestimmt nicht gedient, die gesamte internationale sozialdemokratische Bewegung zu diffamieren und zu verdächtigen. Die Opposition verdächtigt nicht nur die sozialdemokratischen und demokratisch-sozialistischen Parteien in Europa, nicht nur viele Millionen von Menschen in den westlichen Demokratien, sondern auch sieben sozialdemokratisch geführte Regierungen in Europa, nämlich in Schweden, in Dänemark, in Norwegen, in Holland, in Malta, in Osterreich, in Großbritannien und sicherlich bald auch in Portugal. Das sind alles Staaten, deren Unterstützung auf dieser von mir eben zitierten internationalen Konferenz für uns sehr wesentlich sein wird.Ich habe keinen Zweifel, daß die Resonanz dieses Slogans auch im Ausland so negativ sein wird, wie dies in der Bundesrepublik bereits der Fall ist. Ich denke nur daran, daß 52 % der Menschen heute diesen Slogan ablehnen.
Ich habe eben davon gesprochen, daß auf der Konferenz in Belgrad alle Demokratien im Sinne der Menschenrechte an einem Strang ziehen müßten. Indem Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die große europäische Bewegung des demokratischen Sozialismus beleidigen, versuchen Sie gleichzeitig, das mächtige Lager aller Demokraten in Europa zu spalten.
Mithin entlarven sich CDU und CSU als Parteien, die denen Vorschub leisten, die sie dem Vernehmen nach bekämpfen wollen. Ich stelle daher fest: Die Politik der Opposition beinhaltet eine prinzipielle Gefahr von internationalem Ausmaß. Wie ist es eigentlich mit dem Willen zur Unterstützung aller Anstrengungen um die Verwirklichung von Menschenrechten bestellt, wenn Sie sieben Teilnehmerstaaten der KSZE, die sozialdemokratisch geführt werden, durch Ihren wahrheitswidrigen Slogan derUnzuverlässigkeit in puncto Demokratie bezichtigen?
Ich sage noch einmal: Indem CDU und CSU auch im internationalen Maßstab das Lager der Demokraten spalten wollen, machen sie sich in gefährlicher Weise zum Helfershelfer der falschen Sache. Ich fordere die Opposition daher auf, die Bundesregierung bei ihren mühseligen und anstrengenden Bemühungen für mehr und bessere Rechte für die Menschen im geteilten Deutschland zu unterstützen
und endlich damit aufzuhören, ihr in den Rücken zu fallen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.
Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen! Mir ist die Ehre eines Kronzeugen widerfahren. Ich bin mehrfach zitiert worden. In dem Bericht zum Antrag des Ausschusses heißt es, daß die Empfehlung, welche die Mehrheit des Ausschusses gegeben hat, auf einen von mir früher vorgelegten Vorschlag zurückgehe, der zu der Entschließung geführt habe, die der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 20. Juni — ich habe hier ein korrigiertes Exemplar, welches auf das Datum vom 19. Juni 1974 verweist — auf einstimmige Empfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen angenommen habe.
Ich habe mir daraufhin — sorgfältig, wie ich nun einmal bin — heute das Protokoll vom 19. Juni verschafft. Da habe ich zwar eine Debatte, eine ziemlich heftige Debatte gefunden, aber ich habe keine einstimmig angenommene Entschließung gefunden. Es ist im Gegenteil genauso wie heute zugegangen, und am Ende wurde eine Entschließung Ihrer Mehrheit akzeptiert. Dies nur zur Klarstellung.
Ich wäre natürlich neugierig, zu erfahren, wo ich nun eigentlich der Urheber war. Das ist reine Neugier, Herr Kollege Arndt, weiter gar nichts. Denn in der Sache habe ich gegen die drei Punkte, die da formuliert worden sind, gar nichts einzuwenden. Auch meine Fraktion hat dagegen, wie sie bewiesen hat und wie ich Ihnen gleich noch einmal zeigen werde, nichts einzuwenden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Arndt?
Herr Kollege Gradl, bestätigt Ihre Erinnerung nicht, daß Sie im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen diesen Formulierungsvorschlag gemacht haben, der dann dort und später im Plenum Gegenstand der Beschlußfassung gewesen ist?
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Nein.
— Dann hätten Sie darauf verweisen müssen, und dann hätte ich da nachgegraben. Das ist jedenfalls nicht das, was im Plenum angenommen worden ist. Sie schreiben hier in Ihrem Bericht: vom Bundestag einstimmig verabschiedet.Aber ich wiederhole, ich habe in der Sache nichts gegen die drei Punkte, die Sie da aufgeschrieben haben, auch meine Fraktion nicht. Wir hatten nur ganz bescheiden gemeint: Wenn wir schon eine Entschließung gemeinsam annehmen sollen, wozu wir ja bereit waren, dann wollen wir damit nicht die Selbstlobe verbunden sehen, die in den Text dieser drei Punkte eingeführt waren. Dafür werden Sie sicherlich Verständnis haben.Wir haben genau das nicht gemacht, was uns vorgeworfen worden ist: wir hätten in diesem Fall einen Kompromiß verachtet, wie einer von Ihnen hier gesagt hat.
— Nein, auch meine Fraktion nicht. Ich gebe zu, daß ich an dem Antrag, den wir nachher als Kompromißantrag vorgelegt haben, mitgewirkt habe, daß ich mich mit dafür eingesetzt habe. Aber dieser Antrag ist dann von dem Kollegen Jäger für meine Fraktion im Ausschuß eingebracht worden. Da ist keiner von uns als Solist aufgetreten, sondern wir haben es gemeinsam so zu erreichen versucht.Damit man genau sieht, worauf sich die Auseinandersetzung reduziert, damit allerdings auch deutlich wird, wie kleinlich man auf Ihrer Seite bei der Behandlung unseres Wunsches gewesen ist, lese ich jetzt den Antrag genauso vor, wie ihn der Kollege Jäger in der Ausschußsitzung eingebracht hat. Er lautet:Die Bundesregierung wird aufgefordert,1. alle bestehenden Möglichkeiten zu nutzen, auf die Einhaltung der Menschenrechte hinzuwirken; dies dient den Interessen aller Menschen, besonders derer in allen Teilen Deutschlands,2. in konsequentem Bemühen um Frieden und Versöhnung ihre Politik auch gegen die Gewalt an den Grenzen zwischen allen Teilen Deutschlands zu richten mit dem Ziel, diese bedrückenden Verhältnisse zu überwinden,3. sich unbeirrt für die Freizügigkeit von Menschen und Meinungen einzusetzen und diese Bemühungen für die Bürger in allen Teilen Deutschlands nutzbar zu machen.Das ist der Text, der jetzt auch hier vorliegt, nur vom Selbstlob befreit. Wir waren bereit, dies zu akzeptieren. Ich hätte auch gar keinen Grund gesehen, warum wir das nicht tun sollten.Aber dann haben wir eine Nr. 4 hinzugefügt, die lautete:4. dem Bundestag im Bericht zur Lage der Nation darüber zu berichten.Dies war der Punkt, um den es geht. Dies ist der Kern des Meinungsgegensatzes, in dem wir damals im Ausschuß waren und in dem wir hier auch heute stehen. Das ist eben die Aufforderung an die Bundesregierung, im Bericht zur Lage der Nation über Verwirklichung oder Nichtverwirklichung der Menschenrechte zu berichten. Dabei hatten wir natürlich in unserer Vorstellung, daß insbesondere auch über die Situation an der blutigen Grenze über Freizügigkeit und all diese Dinge berichtet wird.Das war das, was wir wollten. Aber Sie haben diesen bescheidenen, fast möchte ich sagen, selbstverständlichen und, wie ich auch meine, hilfreichen Zusatz abgelehnt. Dies möchte ich doch deutlich machen — nur deshalb habe ich mich gemeldet —, nicht weil ich hoffe, Sie noch überzeugen zu können, sondern damit klar wird, was in Wahrheit zwischen uns an Meinungsgegensatz vorhanden ist.Einer von Ihnen — ich glaube es war Kollege Hoppe — hat gesagt, das sei eine Verfahrensfrage. Herr Kollege Hoppe, es ist richtig; das ist eine Verfahrensfrage. Aber wenn man ihr auf den Grund geht — und dies hat meine Fraktion getan —, ist es eine Verfahrensfrage von außerordentlicher politischer Bedeutung. Deswegen sind wir in diesem Punkt so hartnäckig, und dies will ich jetzt erläutern.Ich war bestrebt, Ihre Gründe zu verstehen, die Sie zuerst in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses, dann in der Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses vorgebracht haben. Obwohl ich mich immer bemühe, nicht voreingenommen zu sein, bin ich leider von Ihren Argumenten nicht überzeugt worden. Es ist doch so: Sie machen bei Ihrer Ablehnung unseres Antrags Gesichtspunkte der Opportunität, also der politischen Zweckmäßigkeit geltend. Wenn ich Sie richtig verstanden habe — und ich glaube, ich habe Sie richtig verstanden —, dann glaubt man auf Ihrer Seite, daß eine Praktizierung der Menschenrechte durch die DDR — darum geht's ja —, die unserer gemeinsamen Vorstellung näher käme, durch ein unmittelbares Verhandeln ohne öffentliche Belastung des SED-Prestiges eher erreicht werden kann
als durch öffentliche Kennzeichnung der Wirklichkeit.
— Sie können sich ja nachher nochmal äußern.Nun gebe ich gern zu — das habe ich auch im Ausschuß gesagt —, daß man den Opportunitätsgesichtspunkt nicht außer acht lassen darf. Das ist unser aller Meinung; anderes wäre nicht seriös. Es wäre mit Sicherheit nicht klug, den Ton oder die Lautstärke und die Intensität zu wählen, die in den harten Phasen des kalten Krieges unvermeidlich waren. Aber wir denken bei unserem Antrag gar nicht an Propagandawalzen, und das haben wir Ihnen auch immer gesagt. Wir wollen also nicht, daß in dem betreffenden Kapitel über die Menschen-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17597
Dr. Gradlrechte in einem Bericht zur Lage der Nation sozusagen ein Dokument des kalten Krieges erstellt wird. Was wir wollen, ist, daß in dem Bericht nüchtern die Fakten dargestellt werden.
Nun soll niemand kommen und uns vorhalten, wir verstünden nicht, daß eine Bundesregierung die Möglichkeit haben muß, sich flexibel zu verhalten. Natürlich verstehen wir das. Auch wir haben ja mal die Regierung gestellt. Nehmen Sie einmal an, es träte folgender Fall ein: Die Bundesregierung steht in Verhandlungen mit den Verantwortlichen der DDR und hat den Eindruck, daß eine Chance besteht, in der Frage der Praktizierung der Menschenrechte auf der anderen Seite ein Stück weiterzukommen. Glauben Sie, wir würden nicht zugänglich sein, wenn jemand aus einer von Ihnen gestellten Regierung zu uns käme — vielleicht in den Ausschuß oder zu den Fraktionsvorsitzenden — und sagte: „Die Situation ist so und so; deswegen haben wir die Absicht, diesmal dieses Thema im Bericht zur Lage der Nation mit gedämpftem Klang zu behandeln." Glauben Sie etwa, wir wären so töricht, nicht auf eine solche Anrede einzugehen? Diese Flexibilität — wenn sie uns einigermaßen überzeugend begreiflich gemacht wird — hat eine Bundesregierung von unserer Seite aus immer, wenn sie in einer solchen Situation ist.
Ich gebe auch zu, verehrte Kollegen, wenn man die Fakten darstellt, dann sind sie für das Ansehen der DDR keineswegs erfreulich. Aber diese Prestigebelastung ist doch in Wahrheit nicht die Folge unserer Feststellung, sondern die Folge der Fakten, die die Führung der DDR geschaffen hat, die die DDR zu verantworten hat und an denen sie trotz aller inzwischen eingegangenen Verpflichtungen in bezug auf die Menschenrechte unverändert festhält.
Es bestehen nun einmal diese tiefen und die Menschlichkeit verletzenden Widersprüche zwischen den anerkannten Menschenrechten und dem, was seitens der DDR tatsächlich geschieht, beispielsweise an Beschränkungen der Freizügigkeit oder durch brutale Machtanwendung an der Mauer.Auf diese Fakten und Widersprüche offen hinzuweisen — das ist der Beweggrund unseres Antrages — und dadurch einen moralisch-politischen Druck auszuüben, ist doch fast die einzige Möglichkeit, die wir haben, unmittelbar unserem widerspenstigen Gesprächs- und vielleicht Verhandlungspartner auf der anderen Seite mit Nachdruck gegenüberzutreten. Diese Möglichkeit zu nutzen, ist — gerade wenn man nur auf eine friedliche Verbesserung der Situation aus ist — politische Pflicht.
Wir haben überdies das Recht dazu. Ich verweise auf den Artikel 2 des Grundvertrages. Er ist ja schon in früheren Debatten mehrfach diskutiert worden. Auch ich habe hier im Zusammenhang mit früheren Diskussionen über den jeweiligen Bericht zur Lage der Nation darauf hingewiesen. In diesem Artikel 2 des Grundvertrages hat sich die DDR uns gegenüber — genauso wie wir übrigens umgekehrt auch ihr gegenüber — auf die Wahrung der Menschenrechte ausdrücklich, wörtlich, verpflichtet. Dies kann doch nicht nur Deklamation oder Deklaration sein. Das ist präzises Vertragsrecht, auf das wir uns berufen und von dem wir Gebrauch machen.Wenn dieser Artikel des Grundvertrages einen realen Sinn haben soll, dann doch den, daß sich die Vertragspartner gegenseitig darauf prüfen und auf die Verwirklichung hinwirken dürfen; ich möchte hinzufügen: sogar müssen!
Dazu gehört das unprovokative, aber deutliche Kennzeichnen der Wirklichkeit. Ich wiederhole: Wenn etwas daran Provokation ist oder nach Provokation aussieht, dann ist es nicht die offene Darstellung der Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit selbst, für die nicht wir verantwortlich sind, etwa die Todesmaschinerie auf der DDR-Seite der innerdeutschen Wirklichkeit. Diese Auseinandersetzung kann man nicht nur im Verhandlungsraum, in einer Art Camera caritatis, führen.
Die muß man öffentlich durch Verdeutlichung der Wirklichkeit austragen.Wir befinden uns mit unserer Ansicht, daß dies öffentlich verdeutlicht werden müßte, in Übereinstimmung mit einer Regierung, mit der sich unsere sozialdemokratischen Kollegen hier im Bundestag und die Führung der Sozialdemokratischen Partei besonders verbunden fühlen. Ich meine die Regierung des schwedischen Ministerpräsidenten Palme. In einer außenpolitischen Regierungserklärung im schwedischen Reichstag am 31. März dieses Jahres, also ziemlich taufrisch, bezeichnete der schwedische Außenminister Andersen es als einen Erfolg — ich zitiere wörtlich —, „daß der Respekt vor den Menschenrechten als eine Norm für zwischenstaatliche Verbindungen gleichgestellt mit den übrigen Normen in das Schlußdokument von Helsinki aufgenommen worden ist".Dann hat er in dieser Regierungserklärung folgendes gesagt. Sie können es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom folgenden Tage, vom 1. April, nachlesen. Ich habe hier das Original dieses Berichtes. Offensichtlich aus der Überlegung, daß, so wie die Dinge liegen, verbale Fixierung der Menschenrechte nicht genügt, hat er hinzugefügt:Schweden betrachtet die Anprangerung von Unterdrückung und Unfreiheit als eine Methode des Schutzes der Entspannungspolitik.
Sehen Sie, dies ist die Haltung der schwedischen Regierung, ausgedrückt durch die Worte des Außenministers, der sicher nicht unnötig Konfrontationen sucht, wenn er eine Woche später zu einem offiziellen Besuch nach Moskau fährt, wie in diesem Fall geschehen. Was er sagt, ist genau das, was auch wir meinen und mit unserem Antrag erreichen wollen.
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17598 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Dr. GradlHerr Kollege Geßner, vielleicht überlegen Sie nun doch noch einmal, ob Sie unseren Antrag als unseriös bezeichnen können.Ich darf mit einer kurzen Zusammenfassung schließen. Wie wir in den Ausschußsitzungen gesehen haben, ist die Thematik vielschichtig, aber, wenn man auf die Wirklichkeit der sogenannten Abgrenzung sieht, auch mit einer unerhörten Tragik belastet. Ich finde, gerade wegen der tragischen Substanz der Thematik dürfen wir uns nicht zu taktischer Zaghaftigkeit verleiten lassen. Unsere Ansprüche auf Menschlichkeit für alle Deutschen in allen Teilen Deutschlands sind, an der nationalen und menschlichen Not der Spaltung insgesamt gemessen, doch bescheiden. Die Erfahrung zeigt, daß totalitäre Systeme gegen öffentliche Anklagen und öffentliche Darstellungen ihres Verhaltens empfindlich sind. Auch dies ist der Grund, weshalb wir diese Wirklichkeit, die wir in unserem Lande so beklagen, durch öffentliche Darstellung verdeutlichen müssen.Verehrte Kollegen, wir nehmen hin und ertragen die offenen Aktivitäten der Staatspartei der DDR in der Bundesrepublik, z. B. die Auftritte der SED auf den Parteitagen der DKP oder die Finanzierung dieser gegen die grundgesetzliche Ordnung wirkenden Partei durch die DDR. Das ertragen wir. Also können wir doch wohl auch unsererseits der DDR die öffentliche Geltendmachung und Verdeutlichung unserer vom Grundvertrag — und nicht nur von ihm — legitimierten Ansprüche zumuten. Im übrigen stelle ich die alte Frage: Wer würde sich eigentlich der verweigerten Menschenrechte annehmen, wenn wir das nicht tun? Wenn wir uns ihrer aber annehmen wollen — das wollen Sie genauso wie wir; wir bestreiten Ihnen das gar nicht —, dann müssen wir auch offen über die Gegebenheiten sprechen, um so öffentlich einen gewaltlosen Druck auszuüben.Dies sind unsere Beweggründe, und aus diesen Gründen — fast wagt man es nach dem, was man vorher gehört hat, nicht mehr zu sagen — möchten wir Sie bitten, Ihren Standpunkt noch einmal zu überdenken und zu überlegen, ob Sie unserem Antrag nicht doch zustimmen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen hier eine Debatte um die Wahrung und Achtung der Menschenrechte. Dieser Gegenstand verbietet es eigentlich, ihn im Wahlkampf und mit den im Wahlkampf üblichen Zwecken und Methoden zu behandeln.
Denn das Thema „Menschenrechte im geteilten Deutschland von 1976" verlangt Besonnenheit und Differenzierung, weil konkrete und bewiesene Möglichkeiten zur Besserung und Abhilfe intakt gehalten werden müssen. Wir wären verantwortungslos undhandelten gegen unsere Pflicht, wenn wir auf die heute gegebene Situation und ihre Möglichkeiten nicht Rücksicht nähmen, wenn wir nicht auf die vielfältigen politischen und humanitären Einwirkungsmöglichkeiten Rücksicht nähmen, die uns eine behutsame Politik des Interessenausgleichs in den letzten Jahren verschafft hat.Die Bundesregierung nutzt alle bestehenden Möglichkeiten, buchstäblich alle, die auch nur den geringsten Erfolg versprechen, auf die Einhaltung der Menschenrechte hinzuwirken. Daß wir damit Tausenden von Menschen helfen können — im Gegensatz zu früher —, ist doch nicht von der Hand zu weisen. Denken Sie nur an die 5 000 Menschen aus der DDR, Männer, Frauen und Kinder, die letztes Jahr mit ihren Familienangehörigen in der Bundesrepublik zusammengeführt werden konnten. Das ist das Elffache gegenüber 1970. Hier ist doch ein Fortschritt erkennbar, den wir nicht einfach in den Wind schlagen dürfen.Wir müssen auch sehen, daß die DDR begonnen hat, aus den Verträgen ihre Konsequenzen zu ziehen und die Normalisierung durch größere Aufgeschlossenheit in humanitären Fragen zu fördern.
— Ich habe hier nicht das Absolute zum Ausdruck gebracht. Ich versuche doch darzutun, wie sich eine Veränderung durch unsere Politik unter dem Begriff „Menschenrechte" ergeben hat. Das muß man komplex sehen.Ich weiß, daß das noch nicht genügt. Wir haben ja auch nicht gesagt, daß damit alles getan ist. Wir haben nur damit angefangen. Wir sagen es immer wieder: wir sind frei von der Illusion, es bedürfe nur des dauernden Forderns, um Ergebnisse zu erwirken. Wir tun unser Möglichstes. Ich habe versucht, das auch zu belegen. Im übrigen ist das tausendfältig kontrollierbar, bestätigt, und selbst Sie werden das nicht in Abrede stellen können.Zum Thema Gewalt an den Grenzen zwischen den beiden Staaten in Deutschland: Die Bundesregierung kann ebensowenig wie ihre Vorgängerinnen die DDR daran hindern, die Grenzbefestigungen auszubauen. Das hat niemand fertiggebracht. Im Gegenteil, sie sind gewachsen. Ich denke, auch darüber sind wir uns einig, daß das unerträglich ist. Aber das ist eine Sache, die wir so nicht ändern können. Auch die Vorgängerinnen der Bundesregierung haben die DDR nicht daran hindern können, Grenzbefestigungen auszubauen, die das Fluchtrisiko erhöhen. Aber diese Bundesregierung kann — und sie hat das auch getan — in Verhandlungen mit der DDR erreichen, daß die Grenze ohne Gefahr für Leib und Leben für mehr Menschen durchlässiger wird.
Diese Bundesregierung der sozialliberalen Koalition hat gezeigt, daß das möglich ist. Die Aufwärtsentwicklung des Reiseverkehrs ist offensichtlich.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17599
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, vermögen Sie nicht festzustellen, daß es doch einen Unterschied macht, ob die DDR gerade nach ihren eigenen Aussagen früher in einem noch vertraglosen Zustand mit der Bundesrepublik Deutschland diese Grenzbefestigungen ausbaut oder ob sie es nach einem Grundvertrag tut, in dem sie sich der Bundesrepublik Deutschland gegenüber verpflichtet hat, ihre Beziehungen und ihre Verhältnisse auch an den Grenzen zu normalisieren? Liegt denn hier nicht ein ganz eklatanter Mißerfolg dieses Vertrages vor, wenn sich trotzdem die DDR nicht an diese vertragliche Abmachung hält?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Jäger, ich habe eben darzutun versucht, daß niemand die DDR daran hindern kann, ihre Grenze zu befestigen, wie sie es für richtig hält.
Aber lassen Sie mich dazu weiter folgendes ausführen. Unsere Politik hat dazu geführt, daß diese Grenze trotz ihrer Grausamkeit, die wir ja auch nicht in Abrede stellen oder in Zweifel ziehen, durchlässiger geworden ist. Es ist eine unmittelbare Folge des Grundlagenvertrages, auf den Sie sich eben berufen, daß vier neue Grenzübergänge geschaffen wurden, die benutzt werden können, ohne daß für Leib und Leben Gefahr besteht. Es ist doch wohl nicht von der Hand zu weisen, daß die 6,5 Millionen Bundesbürger, die die Möglichkeit zu Tagesaufenthalten im grenznahen Bereich der DDR hatten, auch dafür sprechen, daß diese Grenze trotz ihrer Unmenschlichkeit und ihrer Perfektion immer weitere Öffnungen zugelassen hat und daß diese Durchgänge auch benutzt werden. Die Sperrzone in diesem Bereich wurde zwar nicht aufgehoben, aber sie wurde beachtlich reduziert bis auf einige Punkte, die aus Gründen, die in der DDR liegen und für die sicherlich auch bei uns mancher Verständnis haben würde, wenn Bezug genommen wird auf militärisches Interesse — ob wir das wollen oder nicht, das ist ein Argument; wo es richtig ist, wenden wir das auch an —, gesperrt sind. Im übrigen ist aber auf der anderen Seite eine beachtliche Öffnung für Hunderttausende — ja sogar für Millionen — DDR-Bürger erfolgt, die bis dato im Grenzsperrbereich wohnten, der nicht betreten werden konnte, nicht einmal von DDR-Bewohnern.
Das alles bedeutet doch, wenn wir die Lage insgesamt überblicken: die technische Perfektion der Grenzanlagen ist in der Praxis nicht gleichbedeutend mit einer weiteren Verminderung der zwischenmenschlichen Kontakte und Verbindungen. Vielmehr war und ist das Gegenteil der Fall. Die bis 1969 zunehmende Negativtendenz zu immer weiterer Abschnürung der Verbindungen wurde nach 1970 nicht nur gestoppt, sondern auch deutlich in die positive Richtung umgekehrt.
Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin an die Auffassung halten, die in Punkt 3 der Ausschußfassung niedergelegt ist, sie wird sich weiterhin für die Freizügigkeit von Menschen und Meinungen einsetzen und die Bemühungen für die Bürger in allen Teilen Deutschlands nutzbar machen.
Meine Damen und Herren, der Sache, um die es hier geht, wäre ein guter Dienst erwiesen, wenn der Bundestag in seiner Gesamtheit diesen Antrag beschlösse; denn wenn es so ist, wie Herr Kollege Gradl sagt, bestehen in der Sache überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Nur eine Ziffer 4 sei in der Ausschußberatung umstritten gewesen. Es wurde klar zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen. Der Herr Kollege Hoppe hat davon gesprochen, daß es eine Einengung des Themas sei, wenn wir das auf diesen Tag legten und wenn es eine Routineberichterstattung würde. Der eigentlich politische Zweck wäre dann nicht erreichbar. Im übrigen ist es immer Sache der Bundesregierung gewesen, aus der jeweiligen aktuellen Situation heraus den Bericht zur Lage der Nation zu erstatten. Sie werden doch wohl nicht in Zweifel ziehen können, daß diesem Thema gerade beim letzten Bericht zur Lage der Nation entsprochen worden ist, wo es mit einer Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht wurde, die eigentlich für Sie Anlaß sein sollte, zu erkennen, daß in der Sache Gemeinsamkeit besteht. Nur, wann wir davon Gebrauch machen wollen, das muß doch den politisch Handelnden überlassen werden. Damit wird der Sache kein Abbruch getan.
Ich bitte Sie herzlich, diesem Antrag so zuzustimmen, wie er vorliegt. Er wird der Sache gerecht, und wir können einen weiteren Schritt versuchen, im Rahmen der Möglichkeiten etwas zu erwirken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.
Herr Kollege, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß nach der interfraktionellen Vereinbarung noch etwa 10 Minuten zur Verfügung stehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß einiges zur Klarstellung unserer Position sagen. Herr Bundesminister, zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, daß ich selbst zum dritten- oder viertenmal hier stehe, Sie mit Erfolgsbilanzen kommen und ich sage: Wir erkennen ja an, daß z. B. im Reiseverkehr etwas bewegt worden ist. Ich meine, wir sollten diesen Dialog, den wir miteinander führen, nicht auf die Dauer fortsetzen. Es ist doch eine ganz andere Frage, die sich stellt, nämlich die Frage: Stehen die Leistungen, die erbracht werden, in einer
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17600 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Baron von Wrangel) richtigen Relation zu dem, was Sie hier an Erfolgen anführen?
Zweitens. Herr Bundesminister, ich sage dies jetzt auch, weil der Herr Kollege Geßner einiges erklärte, was wir unter gar keinen Umständen im Raum stehen lassen können. Das, was wir als so schlimm empfinden, ist doch, daß die DDR der Anführer jener linksfaschistischen Regime ist und sich im Grunde genommen einer flexiblen Unmenschlichkeit bedient.
Herr Kollege Geßner, Sie reden hier über eine CDU/ CSU-Parole. Ich bin der Meinung, in diesem Augenblick wäre es für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nützlicher, sich mit Mitterrand als mit der CDU/CSU auseinanderzusetzen.
Denn hier werden doch die Dinge, Herr Schweitzer, in schlimmster Weise auf den Kopf gestellt.
— Sie haben doch davon gesprochen.
— Ich rate Ihnen doch nur, Herr Geßner, sich doch mit den Sozialisten im befreundeten Ausland auseinanderzusetzen.
— Herr Matthiesen in Schleswig-Holstein z. B. hat es nicht getan.
Wenn Sie es tun, um so besser.
Aber wodurch entsteht denn — darauf wollte ich kommen — jenes verzerrte, schizophrene Deutschlandbild? Es entsteht doch, weil die Öffentlichkeit nicht genügend über die menschenwidrigen Verhältnisse im geteilten Deutschland informiert worden ist.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was Herr Kollege Hoppe hier gesagt hat. Ich glaube, der Herr Bundesminister Franke ist darauf eingegangen. Hier ist die Rede von dem Problem der Flexibilität der Bundesregierung gewesen. Herr Kollege Hoppe, wir alle wissen doch, daß jede Regierung über eine breite Skala von Maßnahmen verfügen muß. Zu dieser Skala gehört natürlich auch der Protest in internationalen Foren. Nun haben Sie gesagt, der Herr Bundesaußenminister habe diese Rede gehalten. Es wird Ihnen ja gut in Erinnerung sein, daß wir die Rede des Bundesaußenministers damals begrüßt haben.
Aber, meine Damen und Herren, es kann doch nicht bei einer Rede bleiben, sondern hier muß doch in zäher Arbeit vor den Kommissionen die Frage der Menschenrechte vertreten und behandelt und die DDR auf die Anklagebank gesetzt werden.
Dann verstehe ich eines überhaupt nicht. Wenn Sie alle miteinander sagen, die Bundesregierung werde ja bereits im nächsten Jahr — dann allerdings werden wir die Bundesregierung stellen; das ist aber im Moment gleichgültig — die Frage der Menschenrechte auf der KSZE diskutieren, dann frage ich mich, warum Sie dann nicht bereit sind, diesem Hohen Haus jährlich einen Bericht zu erstatten.
Hier ist doch überhaupt keine Logik zu erkennen.
Ich möchte Ihnen doch noch eine Sache ins Gedächtnis zurückrufen, die ich selber und vielleicht auch Sie als bedrückend empfinden. Man hört manchmal, die Vereinten Nationen wären ja gar nicht bereit, solchen Anträgen der Bundesrepublik Deutschland stattzugeben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß schon eine Diskussion, für sich allein genommen, der deutschen Sache dienen würde.
Hier ist die Rede von Routine und davon, uns ginge es gar nicht um die Menschenrechte, und manche Unterstellung mehr ist zu hören. Ich glaube, es gehört doch zu unserer selbstverständlichen demokratischen, nationalen und moralischen Vertretungspflicht, in dieser Sache aktiv tätig zu werden.
So gesehen empfinde ich es als peinlich, daß in den letzten anderthalb Jahren Engländer und Amerikaner vor dem Forum der Vereinten Nationen die deutsche Frage zur Sprache gebracht haben und daß es nicht die Bundesrepublik selber gewesen ist.Eine letzte Bemerkung. Wir alle wissen, wie empfindlich die DDR im internationalen Bereich ist. Sie möchte der bessere, der friedliebendere Staat sein. Ist es da angesichts der permanenten Vertragsbrüche, mit denen wir hier leben müssen, nicht allerhöchste Zeit, den Unterzeichnerstaaten der KSZE in Form einer Note einmal mitzuteilen, wie es um die Menschenrechte in Deutschland steht?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17601
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Unter Litera B liegt ein Antrag des Ausschusses vor. Sie sind einverstanden, daß wir über die Ziffern 1 bis 3 gemeinsam abstimmen.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen worden.
Ich rufe nunmehr den Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag
— Drucksache 7/5141 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ich frage, ob von der Regierung das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Das ist nicht — —
— Wo ist der Herr Staatssekretär? — Herr Staatssekretär, soeben erst habe ich Ihre Wortmeldung erhalten. Ich nehme sie noch an. Sie haben das Wort. Aber die Teilnahme an der Sitzung ist ein wichtiger Teil Ihrer Aufgabe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht. Mir war zugegangen, daß die Tagesordnung anders verlaufen sollte. Deshalb saß ich im Moment nicht auf der Regierungsbank.Das Reisen ist in unserer Zeit zu einem volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Faktor von hervorragender Bedeutung geworden. Die Zahl der Reisen, die Mitbürger in ihrer Urlaubszeit unternommen haben, hat die Grenze von 30 Millionen jährlich längst überschritten. 1975 wurden allein 7 Millionen dieser Reisen bei inländischen Reiseveranstaltern gebucht. Insbesondere für unzählige wirtschaftlich und sozial weniger gut gestellte Menschen in unserer Gesellschaft bedeutet diese positive Entwicklung des Pauschaltourismus Gewinn an Lebensfreude und Stärkung ihrer Arbeitskraft.Diese eindrucksvolle Bilanz kann allerdings nicht an den Schattenseiten vorbeigehen, die das Verhältnis zwischen Reiseveranstaltern und ihren Kunden immer noch allzu oft belasten. Jeder von uns kennt die alljährlich sich wiederholenden Klagen von Reisenden: Überbuchte Hotels am Reiseziel, schlechte hygienische Verhältnisse, Lärm, mangelhafte Verpflegung, Nichteinhaltung versprochener Sonderleistungen, übermäßige Wartezeiten bei Flugbeförderung, überhöhte Rücktrittspauschalen und was der Beschwerden mehr sind. Der vor kurzem in München gegründete Touristen-Schutzverband beziffert laut Presseberichten — ich darf auf die „Frankfurter Neue Presse" vom 30. Januar 1976 verweisen — die durch Meinungsumfragen ermittelte Zahl unzufriedener Urlauber auf 25 %. Die Genauigkeit dieser Zahl mag dahinstehen; jedenfalls verbergen sich dahinter viel Enttäuschung und Ärger über Minderung der notwendigen Erholung, über nutzlos vertanen Urlaub oder auch über die finanziellen Nachteile, die mit einer in ihrem Erlebnis- oder Erholungswert beeinträchtigten oder gar fehlgeschlagenen Urlaubsreise verbunden sind. Auch diese Tatsachen und Erfahrungen müssen mitgewogen werden, wenn man unter volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Vorzeichen die Bilanz des modernen Pauschaltourismus zieht.Für diese negativen Erscheinungen gibt es mancherlei Gründe. Ein Grund ist sicher dieser: Das geltende Recht hat mit der stürmischen Aufwärtsentwicklung in der Reisebranche nicht im entferntesten Schritt gehalten. Wohl sind die Gerichte, allen voran der Bundesgerichtshof, seit langem in anerkennenswerter Weise darum bemüht, die zahlreichen rechtlichen Probleme des Reisevertrages zu meistern. Die dazu aus dem BGB herangezogenen Vorschriften des Werkvertragsrechts entsprechen jedoch weithin eher den Gegebenheiten eines von Handwerkern und Kleingewerbetreibenden geprägten Wirtschaftsgeschehens als den modernen Bedingungen einer auf standardisierte Massengeschäfte spezialisierten Touristikbranche in der Industriegesellschaft. Deshalb liegt es nahe, daß die Reiseveranstalter dem Mangel eines auf ihre besonderen Bedürfnisse zugeschnittenen Reisevertragsrechts mit selbstgeschaffenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu begegnen versuchen, denen sich der Reisende wohl oder übel zu unterwerfen hat. Diese Bedingungen berücksichtigen in der Regel vornehmlich die Interessen der Reiseveranstalter selbst. Die berechtigten Belange der Reisenden kommen dabei oft zu kurz.Allerdings haben die Gerichte immer wieder grob unbilligen Klauseln in den Reisebedingungen die rechtliche Anerkennung versagt. Nur beispielhaft erwähne ich die sogenannte Vermittlerklausel, mit deren Hilfe sich die Reiseveranstalter als bloße Vermittler der Reiseleistungen darzustellen suchten, um nicht für die von ihnen versprochenen Leistungen z. B. der Fluggesellschaft oder des Hotels einstehen zu müssen.Die Fülle der Rechtsprechung zum Reiserecht ist selbst für den Experten, geschweige denn für den Durchschnittsreisenden kaum noch zu durchschauen. Hinzu kommt, daß manche Reiseveranstalter sie in der Praxis nicht beachten.Die jahrelangen zähen Bemühungen des Bundesministeriums der Justiz, die Reiseveranstalter zu einer freiwilligen Verbesserung ihrer Reisebedingungen zu veranlassen, haben nur teilweise, keines-
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withwegs jedoch den gewünschten Erfolg gehabt. Deshalb ist jetzt der Gesetzgeber aufgerufen, inhaltlich ausgewogene und für jedermann verständliche Regeln für das Recht des Reiseveranstaltungsvertrages aufzustellen. Diesem Ziel dient der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf.Der vorliegende Gesetzentwurf regelt verbindlich die Rechte und Pflichten der Reiseveranstalter und der Reisenden unter sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen. Der Entwurf legt besonderen Wert auf den Schutz des Reisenden, ohne den Touristikunternehmen den notwendigen unternehmerischen Spielraum für die Gestaltung ihrer Angebote, die Durchführung der Reiseleistungen und die vertretbare Begrenzung ihrer Haftungsrisiken zu nehmen. Nur kurz möchte ich die wesentlichen Punkte der vorgeschlagenen Neuregelungen ansprechen:Erstens. Der Reiseveranstalter wird verpflichtet, die Gesamtheit der Reiseleistungen in eigener Verantwortung zu erbringen.Zweitens. Der Veranstalter hat die Reise sorgfältig vorzubereiten, sich insbesondere zuverlässiger Leistungsträger zu bedienen und dem Reisenden die notwendigen Auskünfte zu geben.Drittens. Die vom Reisenden bei Rücktritt von der Reise zu entrichtende Entschädigungspauschale wird auf einen angemessenen Betrag begrenzt.Viertens. Nachträgliche Änderungen der Reiseleistungen und des vereinbarten Preises werden auf das unerläßliche Maß beschränkt. Bei Unzumutbarkeit der Änderung kann der Reisende vom Vertrag zurücktreten.Fünftens. Bei mangelhaften Reiseleistungen kann der Reisende Abhilfe, gegebenenfalls Preisminderung und bei besonders schweren Mängeln Rückgängigmachung des Reiseveranstaltungsvertrages verlangen.Sechstens. Bei schuldhafter Verletzung seiner Pflichten hat der Reiseveranstalter dem Reisenden den daraus entstandenen Schaden und gegebenenfalls auch eine angemessene Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubstage zu leisten. In begrenztem Rahmen hat er auch für das Verschulden der Leistungsträger einzustehen, deren er sich zur Erfüllung seiner vertraglichen Verbindlichkeiten bedient.Siebentens. Wird der Vertrag während der Reise aufgehoben, bleibt der Reiseveranstalter zur Rückführung des Reisenden verpflichtet, wenn der Vertrag die Rückbeförderung mitumfaßte.Achtens. Die Schutzvorschriften des neuen Gesetzes können von den Reiseveranstaltern durch das Kleingedruckte nicht mehr zum Nachteil des Reisenden geändert werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein kurzes Wort zu dem gelegentlichen Einwand, der gegenwärtig zur abschließenden Beratung in den Ausschüssen anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen — gestern im Rechtsausschuß endgültig verabschiedet — mache eine besondere gesetzliche Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages entbehrlich: Das trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Das AGB-Gesetz soll verhindern, daß geltendes Recht zum Nachteil des Kunden einseitig abbedungen und damit der vom Gesetzgeber angestrebte angemessene Ausgleich der gegenseitigen Interessen beeinträchtigt wird. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll darüber hinaus der bisher nicht geregelte Reiseveranstaltungsvertrag erst als besonderer gesetzlicher Vertragstypus, der die wesentlichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner festlegt, geschaffen werden.Nach dem AGB-Gesetz bildet der Gesetzentwurf zur Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages einen weiteren wichtigen Markstein auf dem Wege, die materielle Vertragsgerechtigkeit als eigentliche Funktion der Vertragsfreiheit in einem für die Bürger unseres Landes wichtigen Bereich wiederherzustellen. Wer die Funktion des Privatrechts schützen will, muß für Waffengleichheit sorgen. Ich bin zuversichtlich, daß sich dieses Hohe Haus bei der Behandlung des Gesetzentwurfes diesem Anliegen nicht verschließen wird.
Meine Damen und Herren, damit ist die Vorlage der Bundesregierung begründet. Wir treten in die Aussprache in erster Beratung ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hier vorgelegte Gesetzentwurf soll das Recht der Reiseveranstaltung insbesondere im Blick auf die Pauschalreisen regeln. Das ist grundsätzlich ein guter Vorsatz; die Rechtsfragen in diesem Bereich des alltäglichen Geschäftslebens müssen zweifellos einer Regelung zugeführt werden. Das leitende Prinzip sollte dabei sein, einen sinnvollen Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten.Der Tourismus ist heute für den einzelnen ein wichtiges, ja manchmal zentrales Element seiner Lebensgestaltung geworden; er gehört zum Alltag. Die Urlaubsreise ist für viele Menschen ein fast selbstverständlicher Vollzug dieses Alltags; sie gehört dazu. Und wir wollen nicht vergessen, daß sie gerade in der Nachkriegszeit ein gutes Stück zu der Öffnung nach draußen, zu der Öffnung zu anderen Völkern beigetragen hat, zu jener Öffnung, die innerhalb Europas, aber auch darüber hinaus so sehr zur Verbesserung unserer Situation nach dem zweiten Weltkrieg beigetragen hat. Sie hat das Verständnis für andere Völker drinnen und draußen weitaus verbessert. Die Urlaubsreise gehört zum Recht auf Erholung und auf Freizeit, und unter dem Gesichtspunkt des Massentourismus ist es sicher berechtigt und richtig, die korrekte geschäftliche Abwicklung rechtlich zuverlässig zu regeln.Ich möchte aber grundsätzlich einmal festhalten: Unzählige Deutsche haben in den letzten 25 Jahren als Reisende durchaus positive Erfahrungen mit all jenen gemacht, die heute in diesem Bereich als
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17603
Dr. GraßVermittler oder Veranstalter von Reisen tätig sind. Ohne daß sehr viele als Reisende draußen korrekt bedient worden wären, hätte sich dieser Massentourismus nicht entwickelt.
Sicherlich hat aber auch eine Reihe von ganz verschiedenartigen Vorfällen, über die schon gesprochen worden ist, und die in der Presse vielfach veröffentlicht worden ist, schon seit längerer Zeit Veranlassung gegeben, die rechtlichen Grundlagen für das Geschäft mit Reiseveranstaltungen zu überprüfen und zu regeln.Ich will hier nur zusätzlich darauf hinweisen, daß unter den Reiseveranstaltern selbst in der vergangenen Zeit, aber auch gegenwärtig Bemühungen im Gange waren bzw. sind, Reisende durch solidarische Maßnahmen vor Schädigungen zu bewahren. Infolgedessen gilt mit Sicherheit, daß die Reiseveranstalter an einer solchen Fixierung der Rechtsgrundlagen ein ebenso großes Interesse haben, wie es der Verbraucher haben muß. Ich will aber nicht verschweigen, daß der vorgelegte Gesetzentwurf eine Reihe von rechtlichen Problemen aufwirft und keineswegs so ohne weiteres als ausgereift zu bezeichnen ist.Wir sollten von dem Grundsatz ausgehen, daß auch für die Reiseveranstaltungen neben dem Bürgerlichen Recht das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen so weit wie möglich zugrunde gelegt werden sollte. Die Beratungen zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind in diesen Tagen in diesem Hause abgeschlossen worden. Es besteht also kein Grund, dies als noch fehlende Grundlage anzunehmen. Es ist eine Abstimmung dieses Gesetzentwurfes mit dem Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen notwendig. Man sollte sich aus systematischen Gründen nicht nur dazu entschließen, dieses Recht so wenig perfektionistisch wie möglich zu gestalten, sondern man sollte sich auch daran orientieren, in einem solchen Gesetz vorrangig jene Probleme zu lösen — im Interesse des Verbrauchers —, die das geltende Recht ungelöst lassen muß oder ungelöst läßt. Es ist systematisch durchaus bedenklich, wenn man vom Bürgerlichen Recht wie von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus grundsätzliche Rechtsgrundlagen legt und anschließend dazu übergeht, in einer Reihe von Einzelfällen Teilbereiche wieder durch Sondergesetze zu regeln. Das ist meiner Meinung nach systematisch in keiner Weise berechtigt.
Wir müssen darauf sehen, daß der Verbraucherschutz in diesem Bereich auch eine Grenze haben wird, und zwar eine ganz praktische Grenze. Der Verbraucherschutz, wie er in einem solchen Gesetz verwirklicht werden kann und verwirklicht werden muß, sollte nicht dazu führen, daß für den Reiseveranstalter oder für den Vermittler von Reisen so erhöhte Risiken in seinem Geschäft entstehen, daß er sie in Form von ganz erheblichen Preiserhöhungen an den Kunden weitergibt.
Damit ist dem Verbraucher mit Sicherheit nicht gedient. Er hat dann zwar einen hervorragenden Haftungsschutz, aber er hat dafür möglicherweise sehr viel mehr zu bezahlen als bisher.
Sicherlich muß man davon ausgehen, daß der Verbraucher für einen korrekten Schutz und für die korrekte Abwicklung seiner Reisen, für die Sicherung der Qualität der Reisen bereit ist, unter Umständen auch mehr zu bezahlen. Aber es darf sicherlich nicht so sein — und da muß man sehr genau sehen, daß man die Grenze korrekt bestimmt —, daß die gerade von der Regierung anvisierten Pauschalreisen daurch unattraktiv, weil für die Masse der Verbraucher wirtschaftlich uninteressant werden.
Zum Schluß will ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen: Es ist ja aus der Presse bekanntgeworden, daß in den Erwartungen der Koalition die Urlauber in den nächsten Monaten eine beträchtliche Rolle spielen. Die Erwartungen, die man mit dem Verhalten der Urlauber verbindet, wenn sie von diesem Gesetz lesen, liegen offen da. Bei der Art und Weise, wie dieses Gesetz ganz kurz vor Toresschluß in den Bundestag gebracht wird, wird wohl kaum jemand ernsthaft damit rechnen, daß noch eine sinnvolle Beratung in dieser kurzen Zeit möglich sein wird. Das Gesetz soll also eine Art Reklamefunktion
im Hinblick auf den 3. Oktober erfüllen.
Das ist sicherlich eine billige Reklame. Ich würde sogar sagen: billig im doppelten Sinne des Wortes. Auf jeden Fall ist diese Art Wahlreklame billiger als die Anzeigenkosten in den deutschen Zeitungen, für die die Bundesregierung in den letzten Wochen mehrere hunderttausend Mark ausgegeben hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist keine Wahlreklame. Es entspricht einem langjährigen dringenden Bedürfnis.
Es dient dem Interesse vieler Millionen von Urlaubern. Mit diesem Entwurf, wenn er Gesetz wird, sollen alle Burger, die Pauschalreisen buchen, vor Übervorteilung geschützt und vor Schaden bewahrt werden. Dieses Gesetz soll ein Stück Verbraucherschutz werden. Es soll dem Verbraucherschutz auf dem Teilgebiet der Pauschal- und Ferienreisen zu einer neuen Qualität verhelfen.
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17604 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Dr. SchöfbergerDieses Gesetz trägt einem gesellschaftlichen Wandel Rechnung. Vor 60 Jahren war das Wort „Urlaub" im allgemeinen Sprachgebrauch breiter Bevölkerungsschichten überhaupt unbekannt; denn bis zur gesetzlichen Regelung des Mindesturlaubs für Arbeitnehmer im Jahre 1919 waren Urlaub und das Reisen in ferne Länder nur ein Privileg für wenige. Die breite Masse hatte daran keinen Anteil. Ihr Urlaubsland war bestenfalls der Schrebergarten.
Reisen in ferne Länder und in andere Kontinente konnte nur unternehmen, wer Geld, Zeit und Sprachkenntnisse hatte.Seit 1949 ist auf diesem Gebiet ein grundlegender Wandel eingetreten. Mehr Freizeit, höheres Einkommen breiter Schichten, auch die entwickelte Verkehrstechnik sorgen heute dafür, daß Urlaubsströme wie Völkerwanderungen über den Kontinent ziehen. 1975 haben 56 0/o aller erwachsenen Bundesbürger eine Ferienreise unternommen, 7 Millionen davon eine Pauschalreise. Wir wären die letzten, die über den Massentourismus verächtlich sprechen; denn dieser Massentourismus und die dazu erbrachte Leistung des Reisegewerbes verschaffen Millionen von Urlaubern eine schnelle und bequeme Beförderung und oft einen erholsamen und erlebnisreichen, auch preisgünstigen Urlaub.Dieser Tourismus ist zu einem wirtschaftlichen, sozialen, aber auch kulturellen und politischen Faktor geworden. Unsere Absicht ist es nicht, diesen Tourismus gesetzgeberisch zu behindern oder das Reisegewerbe zu erschweren. Wir haben eine andere Absicht: Wir wollen neue Rechtsregeln für den Tourismus schaffen, weil die Rechtsentwicklung mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht Schritt halten konnte.Es ist ja auch kein Wunder, daß das BGB des Jahres 1900 für Reisegeschäfte und Tourismus weder Rechtsregeln noch Vertragstypen vorgesehen hat. Über Jahrzehnte behalf man sich, zunächst mit dem Kaufrecht, dann mit dem Werkvertragsrecht, dann mit dem Maklerrecht. Oft haben sich die Reiseunternehmer hinter dem Maklerrecht verschanzt und verborgen und das gesamte Risiko dem Ferienreisenden aufgelastet. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zwar vor einigen Jahren etwas verbessert, indem sie den Vermittlungsvertrag durch den richtigen Reisevertrag ersetzt hat, aber die Reiseunternehmer sind immer noch höchst erfinderisch und versuchen, die Haftung und das Risiko für Leistungsstörungen auf die Ferienreisenden abzuwälzen.Auf diese Weise ist neben dem BGB, ohne Willen des Gesetzgebers, so etwas wie ein autonomes Privatrecht in Form der Allgemeinen Reisebedingungen entstanden. Diese Allgemeinen Reisebedingungen werden wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, über die wir nächste Woche sprechen, von den wirtschaftlichen Interessen der Reiseunternehmen diktiert.Damit soll nicht behauptet werden, jede Urlaubsreise sei ein Reinfall, oder Reiseunternehmer wollten Urlauber schlechthin übervorteilen und schädigen. Es wird nicht verkannt, daß es viele seriöse Reiseunternehmen gibt, die eine ordentliche, verbraucherfreundliche und auch preisgünstige Dienstleistung für die Bürger im Rahmen des Massentourismus erbringen. Es wird auch nicht verkannt, daß es gerade in der Reisebranche sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen gibt, die einem harten Wettbewerb ausgesetzt sind und die unter der scharfen Konzentration gerade in dieser Branche leiden.Unsere Absicht ist es beileibe nicht, den Wettbewerb gesetzgeberisch zu behindern oder gar die Konzentration auch noch indirekt zu fördern. Das Reisevertragsrecht ist aber auch dringend notwendig. Reiseverträge werden in aller Regel auf weite Distanz erfüllt. Der Reiseunternehmer muß sich zur Erfüllung zahlreicher fremder Leistungsträger in anderen Ländern als Erfüllungsgehilfen bedienen. Selbst bei sorgfältigsten Reiseunternehmungen gibt es wenig Möglichkeiten des Einflusses auf Auswahl und Kontrolle der fremden Leistungsträger. Demgemäß sind der Reisevertrag und seine Erfüllung besonders störanfällig. Es kommt bei den Rechtsregeln darauf an, wem die Störungen auferlegt werden, wer für Minderleistung oder Schlechtleistung einzustehen hat.In der Praxis ist es vielfach so — und Hunderttausende von Urlaubern haben darüber schon geklagt —: Urlaubsreife Bürger sehen sich mit ihren Familien die farbenprächtigen Reiseprospekte an. Die Prospektehrlichkeit läßt oft zu wünschen übrig. Hier werden den Menschen „Landschaften von atemberaubender Schönheit", „paradiesische Strände", „traumschloßartige Luxushotels" und „lukullische Gelage" in fremden Ländern vorgeführt. Die Preise scheinen zunächst vernünftig zu sein. Von Nebenkosten ist oft nicht die Rede. Die Familie wählt aus, sie spart, sie bucht, sie freut sich monatelang auf Erholung, Abwechslung und Abenteuer in den sogenannten „schönsten Wochen des Jahres".
Und dann kommt das Abenteuer, häufig allerdings anders, als es in den Prospekten verheißen wird, die Verspätung der Verkehrsmittel, Transferschwierigkeiten! Erwartungsvoll betritt man noch die Hotelhalle. Statt des Zimmers mit Meeresblick im ersten Stock gibt es nur noch das Zimmer zur Straße im fünften Stock. Das pulsierende internationale Leben des Ortszentrums spielt sich meist nur nachts und anscheinend besonders vor dem Fenster der Urlaubssuchenden ab. Reiseleiter können kaum helfen, weil sie die deutsche Sprache nur mühsam beherrschen. Der gesuchte Trost am Strand findet oft nicht statt. Man muß erst eine belebte Uferstraße überqueren. Die gute Laune stellt sich nicht ein, weil der Unrat und die Kläranlage am Strand atemberaubender sind als die versprochene Farbenpracht. Das Quietschen des Baggers am Nachbargrundstück, begleitet von Preßlufthämmern, stört den Nachmittagsschlaf; dort wird bereits wieder der nächste Urlaubssilo gebaut.
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Dr. SchöfbergerEin Ausweichquartier ist selten vorhanden, weil die ganze Region hoffnungslos ausgebucht ist.Oft hilft nur der Rückflug mit der nächsten Linienmaschine, aber der kostet oft fast so viel wie die ganze Urlaubsreise.
- Nein, das ist die Praxis. Wer dies nicht kennt, beweist damit nur, daß er vielleicht Exklusivreisen macht, aber noch nicht erlebt hat, was Millionen von Pauschalreisenden erleben.Wissen Sie, ich bin Advokat in München und habe mit solchen Fällen zu tun. Ich vertrete oft Bürger — nicht Reiseunternehmer —, die um ihre wertvollste Erholungszeit buchstäblich geprellt werden.Dann gibt es die höflichen Antwortschreiben, die die Bürger von den Reiseveranstaltern bekommen. Darin heißt es z. B.: „Wir haben die Buchung korrekt weitergeleitet. Wir sind ja nur Vermittler. Der Hotelier ist für seine Sorgfalt bekannt. Das fröhliche Nachtleben war im Prospekt angekündigt. Für Lärmbelästigungen haften wir ebensowenig wie für die Strandzustände; diese liegen im Verantwortungsbereich der Kommune des Urlaubsorts. Im übrigen gelten die allgemeinen Reisebedingungen. Eine Haftung können wir nicht anerkennen. Bei der nächsten Reise werden wir Ihnen aber gern einen Nachlaß gewähren. Hochachtungsvoll Ihr Reiseunternehmen."Wir sind der Meinung, daß es hier bei vielen hunderttausend Bürgern schutzwürdige Interessen gibt. Wir wollen sie mit diesem Gesetz über den Reiseveranstaltungsvertrag schützen. Wir wollen nicht mehr zulassen, daß die Risiken eines solchen Vertrages nahezu allein von den Urlaubern getragen werden müssen. Unsere Absicht ist, ein Reisevertragsrecht zu schaffen, mehr Sicherheit für Verbraucher zu bieten, die Risikosphären neu abzugrenzen, einen Interessenausgleich herzustellen und Leistungsstörungen und Schadenersatzverpflichtungen zu regeln und festzusetzen.Seriöse Reiseunternehmen werden sich sehr schnell mit den neuen Rechtsregeln anfreunden. Sie haben auch jetzt schon keine ernsthaften grundsätzlichen Vorbehalte angemeldet. Es wäre auch denkbar, daß man nicht unbedingt eine gesetzliche Regelung bräuchte. Unter dem Eindruck des Gesetzgebungsverfahrens kündigt sich jetzt schon eine private unternehmerische Regelung an. Es wäre denkbar, daß der deutsche Reiseunternehmerverband selbst ein verbraucherfreundliches kartellaufsichtlich genehmigungsfähiges Konditionenkartell anbietet. Wir müssen im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens abwarten, ob dies eintritt. Tritt dies aber nicht ein, so müssen wir unserer Meinung nach auf der qualifizierten Grundlage des Regierungsentwurfs ein neues Reisevertragsrecht schaffen.Wir teilen die Ansicht des Bundesrates nicht, daß dieses Gesetz zu einer Rechtszersplitterung außerhalb des BGB führen könnte.
Der Entwurf fügt sich in das System und in die Dogmatik des allgemeinen Teils des Schuldrechts im BGB ein. Er schafft nur dort neues Recht, wo es im Interesse vieler Millionen Urlaubsreisender zwingend geboten ist.Die sozialdemokratische Fraktion wird sich dafür einsetzen, daß dieses gute Vorhaben alsbald Gesetz wird.
Das Wort
hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Schöfberger hat zum Schluß gezeigt, daß es auch anders geht. Gerade das Reisen regt — wenn man auch nur daran denkt — ganz ungewöhnlich an. Wir haben das bei der dramatischen Schilderung des Kollegen Schöfberger bemerkt.
Ich will hoffen, daß es sich hier nicht um einen standeswidrigen Versuch der Werbung um Praxis gehandelt hat.
Es ist ja nicht zu verkennen, daß bei allen Beanstandungen gerade bei einem Gegenstand, der mit so viel Phantasie, mit so viel Vorfreude angegangen wird, ein starkes subjektives Element eine Rolle spielt. Der von Ihnen zitierte Straßenlärm mag für den einen tatsächlich unterhaltsam und anregend sein; für den anderen ist er vielleicht wirklich ein Gram und Graus. Ob wir dies mit einer noch so perfekten und ausführlichen Regelung unter Kontrolle bekommen können, erscheint mir zumindest zweifelhaft.Im übrigen finde ich, Herr Schöfberger: daß Sie Ihrem lyrischen Hang und der bayerischen Freude an der malerischen Darstellung so weit nachgegeben haben, hat einen besonderen Nachteil für die Koalition, nämlich den, daß dadurch unter Umständen einige Menschen in diesem Lande vom Reisen abgehalten werden. Ich halte gerade auf diesem Gebiet sehr viel mehr von der empirischen als der sogenannten akademischen Methode. Ich halte viel davon, daß möglichst viele Bürger unseres Landes durch einen Vergleich bei einem Aufenthalt in anderen Ländern davon überzeugt werden, was an dem Gerede der Opposition wahr ist, daß es in diesem Lande so furchtbar unwirtlich wäre, daß man am liebsten auswandern sollte, wenn die Regierung weiter im Amt bleibe. Dies wollen wir doch weiterhin im Vergleichswege durch unsere Bürger überprüfen lassen, damit hier im Hause die Rederei in diesem Sinne aufhört.
Deshalb, so meine ich, sollte man auch unterstreistreichen, was alle Vorredner bereits gesagt haben, daß nämlich offensichtlich die ganz überwältigende Zahl der Reisen — wie auch immer sie im einzelnen.
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17606 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Kleinertdurchgeführt werden — zu befriedigenden Ergebnissen für die Teilnehmer führt und die Rechtsstreitigkeiten vergleichsweise selten sind. Weil ich über Rechtstatsachenforschung in diesem Bereich noch nichts gehört habe, mache ich mich nicht stark dafür, zu beurteilen, welcher prozentuale Anteil der Rechtsstreitigkeiten auf die wenigen sehr bedauerlichen Fälle entfällt, in denen ein Reisender tatsächlich geschädigt worden ist, und welcher prozentuale Anteil auf das entfällt, was man als Querulantentum zu bezeichnen pflegt. Ich fürchte, daß das Verhältnis ziemlich ausgeglichen und die gesamte Prozentzahl so energischer Anstrengungen, wie sie mit diesem Gesetzentwurf beabsichtigt werden, vielleicht doch nicht ganz würdig ist.Dabei verkenne ich nicht, daß die Vorlage der Bundesregierung sehr verdienstvoll ist; auch das ist gerade von Herrn Schöfberger angesprochen worden. Natürlich hat es in den Bedingungen hier und da gewisse Ecken gegeben, die in Einzelfällen zu Ärgernissen geführt haben. Das Hauptproblem liegt ganz zweifellos darin, daß häufig ein Inländer den Vertrag als Vermittler gestaltet hat und daß der normale Reisende hinterher desjenigen, dessen Leistung im Ausland vermittelt worden ist, nicht mehr habhaft werden kann, während sich der inländische Veranstalter dadurch freigezeichnet hat, daß er sich eben nur als Vermittler bezeichnet hat. Das scheint mir das typische und das Kernproblem des ganzen Vorganges zu sein.Wenn wir dahin kommen — deshalb begrüße ich diesen Gesetzentwurf so sehr —, daß das Kernproblem unter dem Eindruck einer vielleicht in manchen Einzelheiten zu perfektionistischen Regelung durch Einlenken der Reiseveranstalter — die in diesen Tagen wie ich hörte, beim Bundeskartellamt ein Konditionenkartell etwa dieses Inhalts angemeldet haben — beseitigt wird, wären wir alle zusammen in der glücklichen Lage, ernsthaft überlegen zu können, ob wir nicht den gesehenen Bedenken besser Rechnung tragen, indem wir nicht dadurch zu Rechtstreitigkeiten ermutigen, daß wir dafür reichlich Anhaltspunkte liefern, sondern indem wir auf die, wie alle gesagt haben, wenigen etwa vorhandenen schwarzen Schafe unter den Veranstaltern weiterhin einen sanften Druck ausüben und damit ermöglichen, daß unsere Bürger wirklich zufriedenstellende Reisen angeboten, vermittelt und vertraglich zugesichert bekommen. Das wäre für uns Liberale jedenfalls die mit Abstand sympathischste Lösung. Deshalb betrachten wir diesen Gesetzentwurf zunächst einmal als ein Mittel, in dieser Richtung einen gewissen Druck auszuüben.Ich sage das besonders deshalb so deutlich, weil ich den Ausführungen des Herrn Kollegen Graß beim besten Willen nicht entnehmen konnte, wie seine Fraktion bei Feststellung der Tatsache, daß wir dringend ein Gesetz brauchen, und bei der Fülle von Bedenken, die er dann gegen diesen Gesetzentwurf vorgetragen hat, dieses Gesetz schließlich gestalten will. Wir betrachten diesen Gesetzentwurf als eine dankbar aufgenommene Leistung der Bundesregierung, um auf diesem Gebiet zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen, was nicht unbedingt durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfs geschehen muß.
Meine Damen und Herren, bei der oft beklagten Perfektionierung der Gesetzgebung ist das heute abend ein hoffnungsvoller Ausblick.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — zu überweisen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Raumordnungsgesetzes— Drucksache 7/5108 —Bericht und Antrag des Ausschusses fürRaumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 7/5239Berichterstatter:Abgeordneter Immer
Eine Ergänzung des schriftlichen Berichtes wird nicht gewünscht? — Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Wir treten in die zweite Lesung ein. Das Wort wird nicht begehrt? — Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmige Beschlußfassung.Wir treten in diedritte Beratungein.Das Wort wird nicht begehrt? — Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmige Beschlußfassung.Ich rufe nunmehr Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren
— Drucksache 7/2729 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5255 — Berichterstatter: Abgeordneter Simon
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17607
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenb) Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/5250 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Hauser Abgeordneter Dr. Emmerlich
Eine Ergänzung der schriftlich vorgelegten Berichte wird nicht erbeten.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe gleichzeitig den Änderungsantrag auf der Drucksache 7/5279 der Abgeordnete Dr. Emmerlich, Dr. Hauser und Kleinert auf. Ich nehme an, Herr Kollege Dr. Hauser, daß Sie im Einverständnis mit dem Herrn Kollegen Emmerlich zunächst das Wort ergreifen. Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit den beiden Kollegen, die als Antragsteller mit unterzeichnet haben, darf ich kurz diesen Änderungsantrag begründen. Wir waren alle drei in einer gesonderten Arbeitsgruppe zusammen, haben die vorliegende Novelle für die Beratungen des Rechtsausschusses in sehr eingehenden Diskussionen vorbereitet und haben deswegen auch gemeinsam diesen zwingend notwendigen Änderungsantrag, Herr Präsident, hier eingebracht.
Wie gesagt, die Änderung ist zwingend geworden, weil sich hier eine Überschneidung ergibt mit dein Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts, das jüngst mit dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses verabschiedet wurde und mit verfahrensrechtlichen Bestimmungen ebenfalls in die Zivilprozeßordnung eingreift. Nach dem Willen des Hohen Hauses soll das neue Eherecht am 1. Juli des nächsten Jahres in Kraft treten, während die vorliegende Novelle auf dringenden Wunsch besonders unserer Länder bereits am 1. Januar 1977 in Kraft treten soll. Die Differenz zwischen den beiden Terminen des Inkrafttretens erfordert diese Übergangsbestimmungen — und zwar lediglich für ein halbes Jahr —, die mit dem vorliegenden Änderungsantrag zusammengefaßt sind. Mehr ist in diesem Änderungsantrag nicht enthalten. Dies zur sachlichen Erörterung.
Lassen Sie mich aber bitte ein kritisches Wort anfügen. Daß dieser Antrag überhaupt notwendig wurde, ist nur ein weiteres eklatantes Beispiel, Herr Staatssekretär, für die unverständliche Hektik, mit der in den letzten Jahren unentwegt die Gesetzesmaschinerie in Bewegung gehalten wurde, ohne die dringend notwendige Koordination bei den einzelnen Gesetzesvorhaben einer Regierung in der Hand zu haben. Hier nach dem Rechten zu sehen wäre in der Tat die Aufgabe Ihres Hauses, Herr Staatssekretär.
Sie wissen, daß gerade der Zivilprozeßordnung eine
besondere Ordnungsfunktion zukommt, die wahre
Rechtslage festzustellen, den Rechtsfrieden an Stelle der Rechtsunsicherheit zu schaffen, Rechtsordnung und Sicherheit an die Stelle der Ungewißheit zu setzen, Verfahrensvorschriften also, die eine ganz besondere Stabilisierungsaufgabe haben. Statt dessen erzeugen schon die so vielen Einzeländerungen der Zivilprozeßordnung, die allein während der letzten Legislaturperiode wenigstens alle halben Jahre aufeinander gefolgt sind, nur Rechtsunsicherheit, weil niemand am Ende mehr weiß, was gilt. Unsere Justiz und unsere Verwaltung müssen, Herr Staatssekretär, bald Beamte anstellen, denen keine andere Aufgabe zufällt, als ständig nur die Gesetzessammlungen auf den neuesten Stand zu bringen, um wenigstens die im jeweiligen Augenblick geltenden Gesetze und Verordnungen auch tatsächlich ihren Entscheidungen zugrunde legen zu können, ganz zu schweigen vom Bürger draußen im Lande, der überhaupt nicht mehr übersehen kann, was im einzelnen gilt. Wir hörten ja vorhin, welcher Regen an Gesetzen allein in dieser Legislaturperiode auf uns heruntergekommen ist, wie Herr Kollege Schröder dargelegt hat. Dieser Gesetzes- und Verordnungsflut gilt es Einhalt zu gebieten und das ständige Experimentieren mit Gesetzen und Verordnungen endlich in ihre Grenzen zu weisen. Dies, Herr Staatssekretär, wird die Aufgabe des Hohen Hauses in der kommenden Legislaturperiode sein müssen, damit der Gesetzgeber in der Zukunft ein besseres Bild abgibt als in all den letzten Jahren.
Damit ist der Antrag auf der Drucksache 7/5279 begründet. Ich schlage vor, daß ich jetzt die Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12 aufrufe und gleichzeitig den Änderungsantrag, worüber wir geschlossen abstimmen können. — Ich sehe und höre keine Bedenken. Wer dem Änderungsantrag in der zweiten Beratung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig gebilligt.
Wer den Art. 1 bis 12 in der nunmehr geänderten Fassung der zweiten Beratung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig gebilligt.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte um das Handzeichen, wer zustimmen will. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig gebilligt.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Vereinfachungsnovelle handelt es sich um die vom Umfang und vom Inhalt her wohl bedeutendste Änderung der Zivilprozeßordnung seit der Emminger-Verordnung. Das Ziel dieser Reform ist mit der Bezeichnung des Gesetzes als eine Novelle zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren zutreffend, aber doch nicht vollständig gekennzeichnet. Es handelt sich um Verbesserungen der ZPO auf brei-
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Dr. Emmerlichter Front, die sich auf Grund der Entwicklung, die der Zivilprozeß genommen hat, und auf Grund einer breiten Diskussion in Wissenschaft und Praxis als notwendig herausgestellt haben.Einer der Schwerpunkte ist die Konzentration des Verfahrens auf einen Haupttermin. In diesem soll nicht nur der Sach- und Streitstand mit den Parteien erschöpfend erörtert, sondern auch die Beweisaufnahme durchgeführt werden, so daß im Anschluß daran eine Endentscheidung möglich ist. Das hat mehrere Vorteile. Wir kommen dadurch zu einer Herabsetzung der Zahl der Gerichtstermine. Damit verringert sich der Arbeits- und Zeitaufwand für die Gerichte, die Parteien und die Anwälte. Das wiederum hat eine Verkürzung der Prozeßdauer zur Folge. Eine solche Verkürzung der Prozeßdauer ist erforderlich, um die Funktionsfähigkeit der Justiz zu sichern, denn obergäriges, zu spätes Recht ist meist nicht viel mehr wert als Unrecht und kann niemals ein Qualitätssiegel beanspruchen. Die Konzentration auf einen Haupttermin wirkt der Zurückdrängung und Aushöhlung des Grundsatzes der Mündlichkeit des Verfahrens entgegen und hat deshalb zur Folge, daß der Verfahrensablauf, aber auch der Prozeß der Entscheidungsfindung für die Rechtsuchenden durchsichtiger wird und besser als bisher wenn schon nicht mitvollzogen, so doch nachvollzogen werden kann. Die Parteien werden dadurch auch eher den Eindruck gewinnen, daß ein faires Verfahren durchgeführt und eine gerechte, jedenfalls um Gerechtigkeit bemühte Entscheidung gefällt worden ist. Die Rechtsuchenden werden sich infolgedessen öfter mit der erstinstanzlichen Entscheidung abfinden und nicht mehr im bisherigen Umfang glauben, ihr Recht beim Berufungs- und schließlich beim Revisionsgericht suchen zu müssen. Das stärkt das Vertrauen der Bürger in die Justiz und verbessert ihr Verhältnis zum Staat.Die Konzentration auf einen Haupttermin und infolgedessen auch auf die erste Instanz, also ein Verfahren optimaler Rationalisierung, ist nicht ohne eine sorgfältige Vorbereitung dieses Haupttermins durch das Gericht und durch die Parteien möglich. Für diese sorgfältige Vorbereitung sorgt zukünftig das Vorverfahren, das entweder schriftlich durchgeführt wird oder in einem ersten frühen Termin. Im Vorverfahren gibt das Gericht den Parteien Hinweise für ein sachgerechtes Vorbringen. Kommen die Parteien diesen Auflagen innerhalb der ihnen gesetzten Fristen nicht nach, so ist es gerechtfertigt, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen, es sei denn, daß die Verspätung unverschuldet ist oder keine Verzögerung des Rechtsstreits zur Folge hat. Von diesem Grundsatz sind die neuen Präklusionsvorschriften bestimmt wie auch die Regelungen für das Novenrecht. Diese Vorschriften werden durch den neuen § 278 Abs. 3 abgestützt. Damit wird das fair trial zusätzlich gesichert. Danach darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Damit sollen sogenannte Überraschungsurteile ausgeschlossen werden, also solche Urteile, deren Grundlagen in der Verhandlung und Beweisaufnahme keine Rolle gespielt haben und die im Rechtsstreit von niemandem, weder von den Parteien noch vom Gericht, angesprochen worden sind. Derartige Urteile verletzen nicht nur den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der Fairneß, sie verlagern den Streit der Parteien auch in die Rechtsmittelinstanz.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauser ?
Ja.
Herr Kollege Emmerlich, können Sie mir bestätigen, daß erst gestern eine Entscheidung bekannt wurde, wonach sogar das Bundesverfassungsgericht mit, wie es in der „Süddeutschen Zeitung" heißt, ungewohnt deutlichen Worten einen Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren samt zwei Instanzenentscheidungen mit dem deutlichen Hinweis aus den Angeln gehoben hat, daß hier die Aufklärungspflicht schon des Rechtspflegers in jenem Zuschlagverfahren nicht eingehalten worden sei, wie sie nach dem Sinn und Gehalt unseres Grundgesetzes notwendig ist, und erscheint es Ihnen nicht gerade sehr naheliegend, diese Frage, die Sie eben ansprechen, im Zusammenhang mit diesem Urteil des Bund esverfassungsgerichts zu sehen?
Herr Kollege Hauser, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie auf die gestern in der „Süddeutschen Zeitung" bekannt gewordene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinweisen. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, daß unsere Gerichte und nicht nur die erstinstanzlichen Gerichte gelegentlich etwas Mühe haben, den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in dem Sinne, wie es die Väter des Grundgesetzes wollten, zu praktizieren. Diese Entscheidung und auch die Entscheidung in der Monatsschrift für Deutsches Recht, auf die wir im Bericht hingewiesen haben, macht aber auch deutlich, daß ein Einwand gegen den § 278 Abs. 3 unzutreffend ist, nämlich der, daß eine solche Regelung an sich selbstverständlich und damit überflüssig sei.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß durch derartige Überraschungsurteile nicht nur der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der Fairneß verletzt wird, sondern durch solche Urteile wird der Streit der Parteien in die Rechtsmittelinstanz verlagert und den Gerichten und Parteien eine zusätzliche, aber unnötige Arbeitsbelastung aufgebürdet. Last not least erwecken solche Überraschungsurteile bei den Rechtsuchenden den Eindruck, von den Gerichten, wenn nicht geprellt, so doch überfahren worden zu sein. Die Parteimaxime wird durch diese Regelung des § 278 Abs. 3 keineswegs aufgegeben. Es ist auch nicht zutreffend, daß die Gerichte fortan vor der Entscheidung jede Überlegung offenbaren müssen, mit der sie ihre Entscheidung begründen wollen, oder daß auf jede Rechtsnorm hingewiesen werden muß, die angewendet wird. Solche Gesichts-
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Dr. Emmerlichpunkte, die von auch nur einer Partei vorgebracht oder erörtert worden sind, scheiden von vornherein aus, aber auch solche, die die tragenden Grundlagen der Entscheidung nicht berühren. Von den die Entscheidung tragenden Gesichtspunkten sind nur solche zu erörtern, die die Parteien für das Gericht erkennbar übersehen und für unerheblich gehalten haben. Somit ist nicht ernsthaft zu besorgen, daß die Gerichte gezwungen werden, eine schlampige Prozeßführung auszubügeln oder daß das notwendige Rechtsgespräch zwischen dem Gericht und den Parteien ins Uferlose ausgedehnt und jede, auch die kleinste und feinste Verästelung des Streitstoffs und der Entscheidungsgründe dabei erfaßt werden muß.Gestatten Sie mir, meine sehr geehrten Damen und Herren, noch einige Bemerkungen zum Mahnverfahren. Seine Reform ist schon wegen des starken Anstiegs dieser Verfahren unabweislich, wenn sein Charakter als Schnellverfahren erhalten bleiben soll. Wir müssen deshalb die Voraussetzung für den Einsatz automatischer Datenverarbeitungsanlagen schaffen. Das geht nicht ohne eine tiefgreifende Umgestaltung dieser Verfahrensart. Wir haben dafür gesorgt, daß der erforderliche Schutz des Schuldners in diesem notwendigerweise summarischen Verfahren — beim Übergang zur Datenverarbeitung wird der summarische Charakter noch verstärkt nicht vernachlässigt, sondern in dem gebotenen Umfang verstärkt wird. So braucht in Änderung des Regierungsentwurfs für den Widerspruch gegen den Mahnbescheid kein Formular verwandt zu werden. Erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist ist der Antrag auf Erlaß des Vollstreckungsbefehls zulässig. Mit dem Antrag auf Erlaß des Vollstreckungsbefehls ist die Erklärung zu verbinden, ob und welche Zahlungen auf den Mahnbescheid geleistet worden sind. Es wird also verhindert, daß sich eine Unredlichkeit oder eine Nachlässigkeit des Antragstellers wegen der Automatik des Verfahrens zum Nachteil des Antraggegners auswirken kann. Die Widerspruchsfrist gegen den Mahnbescheid ist auf zwei Wochen verlängert worden.Wegen weiterer Verbesserungen des Rechtsschutzes für den Bürger, z. B. beim Versäumnisurteil, bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit, wegen der Erleichterung für die Gerichte bei der Urteilsabfassung und der Urteilszustellung möchte ich auf den Bericht des Rechtsausschusses verweisen.Der Abschluß der Beratung dieses umfangreichen Gesetzes sowie die ca. 120 Änderungen des Regierungsentwurfs, von denen wir hoffen, daß sie Verbesserungen darstellen, sind erleichtert, vielleicht sogar ermöglicht worden
— ich hoffe, daß es Verbesserungen sind —
durch die Bildung der Arbeitsgruppe, von der HerrKollege Hauser schon sprach und die aus den beiden Berichterstattern und dem Herrn Kollegen Kleinert bestand. Herr Kollege Hauser hatte in dieser Arbeitsgruppe den Vorsitz übernommen. Er hat nicht nur die technischen Voraussetzungen für die Tätigkeit der Arbeitsgruppe sichergestellt, sondern auch für eine sachbezogene Beratung gesorgt.
Dafür danke ich ihm sehr herzlich. Das tue ich um so lieber, als Herr Kollege Hauser auf eigenen Wunsch nicht erneut zum Bundestag kandidiert und seinen großen Verdiensten um die Rechtspolitik mit der Verabschiedung dieser Reform ein besonderer Schlußpunkt hinzugefügt wird.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, darf ich zusammenfassen: Das Instrumentarium der Gerichte zur Sicherung eines fairen, durchsichtigen und schnellen Verfahrens wird durch dieses Gesetz verbessert. Wir erwarten, daß die Gerichte und auch die Rechtsanwälte die damit gegebene Chance zur Verbesserung des Rechtsschutzes der Bürger nutzen. Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Über die Möglichkeiten einer Beschleunigung und Vereinfachung des Gerichtsverfahrens sind längst der Worte genug gewechselt. Der Gesetzgeber muß jetzt handeln. Die vorliegende Novelle ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Einzelheiten noch überdacht werden müssen.So faßte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" den Auftrag an das Hohe Haus zusammen, als der Gesetzentwurf im Dezember 1974 eingebracht war. Der Auftrag ist ausgeführt. Das Ergebnis liegt Ihnen vor.Was in unseren Tagen oft beklagt wird: daß viele Rechtsstreite zu lange dauern, das Prozessieren zu viel Geduld erfordert, die Gerichte von zu vielen Prozessen überschwemmt werden, ist nicht erst eine Sorge von heute. Schon vor der Jahrhundertwende wurden Attacken geritten gegen das „Schreckgespenst Prozeßverschleppung" und die „Verlotterung des Prozesses", wie es damals hieß. Ja, sogar die Verfahrensgesetze wurden hierfür verantwortlich gemacht. So der streitbare Wiener Rechtslehrer Anton Menger, als er in seiner kritischen Schrift „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen" vor 80 Jahren schrieb, die Prozeßordnung gleiche einem verdorbenem Uhrwerk, welches fortwährend gestoßen und geschüttelt werden müsse, um wieder für kurze Zeit in Gang zu kommen.So suchte jede Generation, nicht erst die unsrige, nach Wegen, wie man einen zügigen Prozeßverlauf erreichen könnte. Interessant ist, dabei festzustellen, wie die eine Gruppe das Hohelied der Münd-
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Dr. Hauser
lichkeit pries, während die nächste von der Schriftlichkeit im Prozeß das Allheilmittel erhoffte. Für uns heute stehen statt dieser überholten Merkposten die Begriffe der Amts- und der Parteimaxime und der Dispositions- und der Untersuchungsgrundsätze im Vordergrund, die in etwa inhaltlich die früheren Begriffe präzisieren.Gewarnt wurde aber damals bereits, daß die Beschleunigung des Prozesses nicht ein Selbstzweck werden dürfe, der Gerichtshof nicht zur Rennbahn werden dürfe wie es in der bilderreichen Sprache jener Tage hieß —, auf der die Gerechtigkeit auf Kurierpferden durchreitet und nur den an ihr teilnehmen läßt, der die flüchtige Gottheit zufällig bei den Flügeln faßt.Nein, es galt stets — diese Aufgabe ist uns heute nicht weniger gestellt — um des Rechtsfriedens willen in unserem Staat der Gefahr zu begegnen, daß das Ziel der Verfahrensbeschleunigung die Suche nach der richtigen Entscheidung überlagert. Denn richtig bleibt, Herr Emmerlich, was auch einmal gesagt wurde: Ein mehrere Jahre dauernder Prozeß braucht noch nicht verschleppt zu sein; ein halbjähriger kann es aber bereits sein.Dieser kleine Exkurs in die Historie zeigt nur, daß schon frühere Generationen vor genau den gleichen Problemen standen wie wir heute, immer wieder mit dem gleichen Ernst sie zu lösen versuchten und doch kein absolutes Rezept dafür fanden. Liegt doch eine entscheidende Ursache für diese so beklagten Prozeßmängel nicht im Verfahrensrecht, wie es in der nun hundertjährigen Zivilprozeßordnung verzeichnet ist, sondern vielmehr im Verfahrensgang, wie er sich in unserem Alltag abwickelt. Hier die notwendigen Maßstäbe zu setzen, die richtigen Leitlinien zu finden und bekannte Mängel möglichst auszuräumen, war die Aufgabe, die dem Hohen Haus, unserer Arbeitsgruppe und dem Rechtsausschuß insgesamt gestellt war. Ich bin der Überzeugung, mit den Ihnen, meine Damen und Herren, nun vorliegenden Vorschlägen des Rechtsausschusses wurde ein Schritt in die richtige Richtung gemacht, um das Wort der FAZ nochmals aufzugreifen.Was mit dieser Novelle angestrebt wird, ist zunächst — Sie haben ja schon darauf hingewiesen, Herr Kollege Emmerlich —, das verpönte „Prozessieren auf Raten", bei dem fünf und mehr Gerichtstermine in derselben Sache keine Seltenheit sind und lediglich Schriftsätze ausgetauscht werden, bei dem sich also Richter und Anwälte immer wieder erneut mit dem gleichen Prozeßstoff zu befassen haben, auszuschalten, das Verfahren also wirklich zu straffen und zu konzentrieren. So hat die Novelle das Ziel, wie es in § 272 Abs. 1 der Vorlage ausdrücklich normiert wurde, in einem umfassend vorbereiteten Termin zur mündlichen Verhandlung, in einem Haupttermin, einen Rechtsstreit abzuschließen.Zwei unterschiedliche Wege sind hierfür vorgesehen: die Anberaumung eines frühen ersten Termins zur mündlichen Verhandlung oder aber die Anordnung eines sogenannten schriftlichen Vorverfahrens. Beide Verfahrensgestaltungen stehen miteinander nicht in einem unvereinbaren Gegensatz. Auch der frühe erste Termin widerstreitet nicht dem Gesetzesauftrag, die mündliche Verhandlung umfassend vorzubereiten. Denn einmal lassen sich damit die einfach gelagerten Sachen durch Versäumnis-und Anerkenntnisurteil, durch Verzicht oder Vergleich ausscheiden. Aber auch die nicht echt streitigen Prozesse lassen sich mit diesem ersten frühen Termin erledigen, wenn der Beklagte, ausdrücklich dazu aufgefordert, keine Erklärung über seine Verteidigungsabsicht abgibt oder die Klageerwiderungsfrist verstreichen läßt und damit sein Desinteresse an dem Prozeß dokumentiert. Zum anderen läßt sich bei einem solchen frühen Termin unter Mitwirkung des Gerichts der Prozeßstoff entsprechend sichten und eingrenzen. So soll eine Konzentration des Prozeßstoffes schon im Stadium der Vorbereitung, also frühzeitig, bewirkt werden.Noch ein zweites, ganz entscheidendes Ziel wird mit dieser Novelle angesteuert: den Prozeß für alle Beteiligten durchsichtiger zu machen. Im üblichen Zivilkammerverfahren bisheriger Schule war es gang und gäbe, daß die Anwälte in den Gerichtsterminen allein auftraten und auf ihre gewechselten Schriftsätze Bezug nahmen, daß die Parteien, Kläger und Beklagter, nie bei einem Termin waren und den Ausgang des Prozesses nur vom Anwalt erfuhren. Wer dann gewonnen hat, fragt nicht nach den Gründen, und wer verliert, versteht nicht warum.
Diese Lücke gilt es zu schließen.
Sicherlich, die nun geforderte gründlichere schriftliche Vorbereitung eines entscheidenden Haupttermins, der möglichst den Prozeß abschließen soll, er fordert zwangsläufig eine bessere mündliche Erörterung, zudem grundsätzlich in Anwesenheit beider Parteien. Diese Konzentration auf eine einzige mündliche Verhandlung verlangt auch vom Gericht, seine Rechtsauffassung offen darzulegen,
zumindest, wie Professor Hinz einmal sagte, um der günstigeren Vergleichschancen willen, weshalb nun der neue § 279 dem Gericht die Auflage gibt, in jeder Lage des Verfahrens darauf Bedacht zu nehmen. Insoweit ist sicherlich der Weg zu einer intensiveren Darstellung des Streitstoffes als bisher eröffnet.Und doch ist keine Partei dagegen gefeit, daß das ergehende Urteil plötzlich auf rechtlichen oder tatsächlichen Elementen aufbaut, die nie erörtert oder für völlig unerheblich erachtet wurden. Daß dieser Hinweis nicht zu fern liegt, zeigt die erst jüngst veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, weil eine entscheidungserhebliche Frage in der mündlichen Verhandlung unerörtert geblieben ist. Wenn, wie hier geschehen, eines unserer Obergerichte schlankweg über den fundamentalen Grundsatz des rechtlichen Gehörs hinweggeht, obwohl gerade diese Frage im Zusammenhang mit dem Stuttgarter Modell in der juristischen Literatur nicht mehr aus der Diskussion gekommen war, zeigt dies deutlich, wie wenig der schon im Jahre 1915 vom Reichsgericht aufgestellte, von dem großen Prozeß-
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Dr. Hauser
rechtler Rosenberg herausgehobene und noch immer gültige Leitsatz in unseren Gerichten wirklich Beachtung gefunden hat. Einer, der es aus einer langjährigen richterlichen Erfahrung wissen muß, der Senatspräsident Bender, der Vater des Stuttgarter Verfahrens, nannte bei unserer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses Überraschungsurteile den Krebsschaden unserer Justiz, der nur durch eine entscheidend verstärkte — und zwar institutionalisierte — richterliche Aufklärungspflicht vermieden werden könne, und er fordert ein striktes Verbot, Urteile auf Gesichtspunkte zu stützen, die weder die Parteien noch das Gericht angesprochen haben. Und was im Strafprozeß längst gesetzliche Verpflichtung ist, sollte auch im Zivilprozeß nicht mehr länger nur als Leitsatz gelten, sondern gesetzlich verbindlich sein.Längst auch haben gewichtige Stimmen im Rechtsbereich in Anbetracht des Prozeßgrundrechts des Art. 103 des Grundgesetzes, daß vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, die Forderung nach einer ausdrücklichen gesetzlichen Verankerung dieses Mitwirkungsrechts der Parteien am Gerichtsverfahren — ein Wort, das Adolf Arndt schon Ende der 50er Jahre ausgesprochen hat — erhoben, woraus die Pflicht zum Rechtsgespräch im Prozeß abgeleitet wird.
Sie stellten diese Forderung, weil die allgemeine Aufklärungspflicht, wie sie die Zivilprozeßordnung bis dahin vom Richter fordert, nicht überall so gesehen wurde, daß dieser Justizgewährungsanspruch eine umfassende Besprechung des Streitstoffes erfordert und Überraschungsurteile ausschließt.Wo angesichts von General- und Billigkeitsklauseln die Parteien oft nicht wissen, auf welche Tatsachen es dem Gericht ankommt,
wo sich die richterliche Rechtsbildung immer mehr an Grundsätzen und immer weniger an Normen orientiert, muß diese Erörterung zwischen Gericht und Parteien nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Seite mit einschließen. Mit anderen Worten: insgesamt muß die mündliche Verhandlung wieder in den Mittelpunkt des Prozesses gerückt, zum Kern des Verfahrens gemacht werden, und es muß dabei der maßgebliche Prozeßstoff auch erschöpfend zur Sprache gekommen sein.Deshalb die Bestimmung, die Sie vorhin nannten, in § 278 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung, daß eben Überraschungsurteile ausgeschlossen sind. Und was bisher in der ZPO als nobile officium für den Richter gegolten hat, wird damit, Herr Emmerlich, nunmehr zu einer verbindlichen Bestimmung abgerundet.
Es ist deshalb verwunderlich, ja unverständlich, wenn der Deutsche Richterbund in seiner jüngsten Information hiergegen den Stachel stellt und erklärt, diese Vorschrift müsse verhindert werden, und dies, obwohl immer zahlreichere Gerichte, die das „Stuttgarter Modell" anwenden, längst genauso praktizieren, und zwar mit vollem Erfolg.
Trifft auf die Initiatoren dieser Erklärung jene etwas bissige Frage von Jürgen Baumann und Gerhard Fezer in ihrer Schrift „Beschleunigung des Zivilprozesses" zu, die da lautet: Sollte hier — bei diesen Initiatoren, so füge ich ein — ein gewisser Hochmut oder ein falsch verstandenes Autoritätsdenken walten, etwa in dem Sinne, es würde sich ja nicht lohnen, darüber — ich setze ergänzend hinzu: mit den Parteien — überhaupt noch nachträglich zu reden?
Baumann und Fezer setzen hinzu: Es lohnt. Und Sie haben recht. Wenn nämlich so das Schwergewicht des Prozesses in die erste Instanz verlagert wird, sinkt unweigerlich die Zahl der Berufungen. Senatspräsident Bender stellte für die Kammer des Landgerichts Stuttgart, die er ehedem leitete, 25 % weniger Berufungen, gemessen am Bundesdurchschnitt, fest. Selbst wenn dann gelegentlich ein zusätzlicher Termin erforderlich wird, weil dem Richter erst nachträglich — trotz der besonderen Prozeßförderungspflicht der Parteien, trotz einer umfassenden Vorbereitung des Termins und einer persönlichen Anhörung der Parteien, trotz eines eingehenden Rechtsgesprächs mit den Beteiligten — eine neue Urteilsgrundlage in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht erkennbar wurde, dann ist die Verzögerung durch einen nochmaligen Termin immer noch das geringere Übel im Vergleich zu dem Berufungsverfahren, das mit Sicherheit auf ein Überraschungsurteil folgt.Wenn das Gericht nunmehr den Prozeßparteien noch einmal besonders Gelegenheit zur Außerung zu geben hat, weil das Urteil auf bisher noch nicht erörterte Gesichtspunkte gestützt werden soll, so handelt es sich auch nicht um eine Verstärkung — Sie sprachen schon davon — der Untersuchungsoder Amtsmaxime, wie, sehr oberflächlich, in einer hingeworfenen Glosse in der gleichen Richterzeitung vom Mai zu lesen ist. In Wirklichkeit verstärkt diese neue Vorschrift nur die Partei- und Verhandlungsmaxime,
verbleibt doch die Entscheidung über den vorzutragenden Prozeßstoff unverkürzt in den Händen der Prozeßparteien! Ihnen werden aber, vor allem den anwaltlichen nicht vertretenen Parteien, nur die Augen darüber geöffnet, was sie noch vortragen können, ohne sie aber hierzu zu zwingen. Das bereits in den 50er Jahren von Adolf Arndt immer wieder geforderte Rechtsgespräch zwischen Gericht und Parteien wird auf diese Weise gefördert und dient nur dazu, schon in der ersten Instanz die richtige Entscheidung zu finden.
Noch ein Wort zu der völlig aus der Luft gegriffenen, zudem unrichtigen Behauptung im gleichen Beitrag der Richterzeitung, daß diese neue Vorschrift von einer Standesorganisation der Anwälte stamme. Herr Emmerlich, Sie werden mir es bestätigen, ich kann nur sagen: Der Rechtsausschuß des Deutschen
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Dr. Hauser
Bundestages ist und bleibt eine Institution, die sehr wohl eigene Gedanken zu entwickeln und auch zu formulieren pflegt.
Kennt der Schreiber dieser ohne die geringste Berechtigung in die Welt gesetzten Behauptung denn nicht die ganze Literatur, die sich mit der Frage der Wiederbelebung des dialektischen Prinzips im Zivilprozeß befaßt? Kennt er nicht bei den als unerläßliche Voraussetzung der Verfahrenskonzentration geforderten strengen Präklusionsvorschriften das große Risiko für die Parteien, auf einmal alle irgendwie erheblichen Tatsachen vortragen und damit den Prozeßstoff auch auf ganz unwesentliche Sachverhalte ausweiten zu müssen, um später nicht mit einem ergänzenden Vortrag abgewiesen zu werden, was dann nur auf Kosten der Richtigkeit der Entscheidung gehen kann? Galt es nicht zu verhüten, daß die längst tot geglaubte Eventualmaxime fröhliche Urstände feiert, wie dies Professor Stein in seinem Grundriß des Zivilprozeß- und Konkursrechtes bereits 1921 prophezeit hat? Hier mußte einfach ein Regulativ geschaffen werden aus der Erkenntnis heraus: Wenn schon der Richter vor oder gar im Haupttermin erhebliche Punkte nicht gesehen und angesprochen hat, wie kann man das dann von den Parteien verlangen?
Mit diesen Hinweisen sind die wichtigsten Fragen angesprochen, die zu lösen waren. Sollte doch mitdieser Vereinfachungsnovelle eine Rationalisierung des Verfahrens erreicht werden, durch Vereinfachung, Beschleunigung und Konzentration, um so die Gerichte zu entlasten. Im einzelnen verweise ich auf den Bericht zu der Vorlage.Wir versuchten, gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf hier ein in sich geschlossenes Ganzes zustande zu bringen. Dabei ging der Rechtsausschuß von den Erkenntnissen aus, die im „Bericht der Kommission zur Vorbereitung der Zivilgerichtsbarkeit" schon 1961 skizziert waren. Dort hieß es:Die Kommission hat die Grenzen nicht übersehen, die gesetzgeberischen Maßnahmen gezogen sind. Mit allzu strengen gesetzlichen Regelungen wird nichts zu gewinnen sein. Sie können der Mannigfaltigkeit der Tatbestände nicht gerecht werden, bilden eine über das unvermeidliche Maß hinausgehende Gefahr für die Gerechtigkeit und vermögen sich in der Praxis nicht durchzusetzen.Zum Schluß verbleibt mir nur, beiden Herren aus unserer Arbeitsgruppe zu danken, Ihnen, lieber Herr Emmerlich, und Ihnen, lieber Herr Kleinert. Ein ganz besonderer Dank gebührt darüber hinaus Ihnen, Frau Sedemund-Treiber, und Ihren Kollegen des Justizministeriums sowie den Mitarbeitern des Rechtsausschusses, die wirklich keine Mühe gescheut haben, diese Vorlage mit uns gemeinsam heute zum Abschluß zu bringen.Die CDU-Fraktion stimmt der Verabschiedung der Novelle ohne Vorbehalt zu, in der Erwartung, daß die so oft beklagten Mängel im Gerichtsverfahren damit in etwa behoben werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den wie immer sehr zutreffenden Darstellungen des wesentlichen Inhalts des Gesetzes und danach der beeindruckenden Würdigung dieses Gesetzes von der höheren Warte aus, die aus den Gründen, die Sie bereits gehört haben, sehr wohl am Platze ist, möchte ich mich darauf beschränken, insbesondere Ihnen, Herr Hauser, noch einmal sehr herzlich für Ihre Leistung an diesem Gesetz und für den Geist, in dem Sie nicht nur an diesem Gesetz, sondern überhaupt an unserer Rechtspolitik gearbeitet haben, im Anschluß an das, was Herr Emmerlich schon gesagt hat, auch im Namen der Freien Demokraten zu danken, so wie ich mich dem bereits ausgesprochenen Dank an alle anderen Beteiligten hier ebenfalls sehr herzlich anschließe.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. de With vom Bundesministerium der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vereinfachungsnovelle ist ein wesentlicher Teil des Gesetzgebungsprogramms der Bundesregierung, mit dem — uni das noch einmal zusammengefaßt zu sagen — der Rechtsschutz des Bürgers verbessert werden soll.Gegründet auf Vorarbeiten einer Fachkommission des Bundesministeriums der Justiz war bereits in der vergangenen Legislaturperiode ein Gesetzentwurf mit ähnlicher Zielsetzung, die sogenannte Beschleunigungsnovelle, erstellt und eingebracht worden. Nachdem dieses Vorhaben wegen der vorzeitigen Beendigung der 6. Legislaturperiode nicht abgeschlossen werden konnte, hat die Bundesregierung die hier in Rede stehende Vereinfachungsnovelle vorgelegt. Sie bringt die Schwerpunkte der früheren Beschleunigungsnovelle in nochmals überarbeiteter und verbesserter Form. Insbesondere wurde die fachliche Diskussion um die Beschleunigungsnovelle ausgewertet und für das neue Vorhaben nutzbar gemacht. Auch die Ergebnisse einer umfangreichen Rechtstatsachenforschung konnten berücksichtigt werden, die im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführt und inzwischen abgeschlossen worden war. Schließlich lagen Ergebnisse zu weiteren Fragen der Prozeßreform vor, mit denen das Vorhaben um wesentliche zusätzliche Punkte ergänzt werden konnte. Das gilt vor allem für den Bereich des Mahnverfahrens, für dessen beabsichtigte Automation die Vorarbeiten inzwischen abgeschlossen werden konnten.
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Parl. Staatssekretär Dr. de WithDieses Vorhaben hier ist deswegen — Sie gestatten, Herr Hauser, wenn ich dies ein klein wenig in Erwiderung auf Ihre Eingangsworte zum Änderungsantrag sage — keineswegs überhastet vorbereitet, ebensowenig wie letztlich die Eherechtsreform, die ja in die letzte Legislaturperiode reicht, überhastet vorbereitet war. Wenn es hier einen Änderungsantrag gab, dann letztlich nur deswegen, weil Rücksicht genommen werden mußte auf das Ergebnis des Vermittlungsausschusses mit dem Kompromiß zwischen allen hier im Bundestag vertretenen Parteien zur Eherechtsreform, im Interesse, so meine ich, aller betroffenen rechtsuchenden Bürger in diesem Lande.Anlaß und Ziel der vorgesehenen Maßnahmen sind Ihnen bekannt und auch bereits im einzelnen dargelegt worden. Ich kann mich daher darauf beschränken, schwerpunktmäßig zusammenzufassen, worum es geht und was erreicht werden soll.Durch den ständig wachsenden Geschäftsanfall, mit dem die personelle Besetzung der Gerichte nicht Schritt halten konnte, wird die Funktionsfähigkeit der Justiz in Frage gestellt: Die vielfach zu lange Dauer der Verfahren beeinträchtigt die Rechtsschutzfunktion des Prozesses und das Vertrauen in die Rechtspflege. Abhilfe kann nur im Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern geschaffen werden. Den Ländern fällt die Aufgabe zu, die organisatorischen, persönlichen und sachlichen Voraussetzungen zu gewährleisten. Der Bundesgesetzgeber kann die Voraussetzungen für ein einfacheres, rationelleres und damit zugleich zügigeres Verfahren schaffen, das ohne Einbuße an Qualität Leerlauf vermeidet. Darauf ist die Vereinfachungsnovelle zugeschnitten.Im Erkenntnisverfahren soll sowohl eine Konzentration des Verfahrens innerhalb der Instanz erreicht als auch der auf mehrere Rechtszüge angelegte Prozeß in seiner Gesamtheit erfaßt werden. Die Maßnahmen zur Konzentration des Verfahrens innerhalb der Instanz sind bereits im einzelnen dargelegt worden. Auf einen allgemeinen Gesichtspunkt möchte ich jedoch noch hinweisen. Die angestrebte Straffung des Verfahrens bedeutet keine Beschleunigung um jeden Preis, sondern Konzentration auf das Wesentliche und Entscheidende. Dabei soll zugleich der Rechtsschutz in der Weise verbessert werden, daß er für den rechtsuchenden Bürger verständlicher und überzeugender wird.Wesentlich ist auch die Bedeutung der vorgesehenen Maßnahmen für den Prozeß in seiner Gesamtheit. Das Verhältnis zwischen der ersten Instanz und dem Berufungsverfahren als dem folgenden Rechtszug soll dadurch ausgewogener gemacht werden, daß bereits die erste Instanz voll ausgeschöpft wird. In der heutigen Praxis ist dies keineswegs immer gewährleistet. Nur so vermag die erste Instanz ihre bedeutsame Funktion innerhalb des Prozesses tatsächlich zu erfüllen. Im übrigen können auf diese Weise im Interesse sowohl der Parteien als auch der belasteten Justiz Rechtsmittelverfahren vermieden werden, die sich bei einer erschöpfenden Prozeßführung bereits in erster Instanz erübrigt hätten. Dies gilt im übrigen über den Zivilprozeß hinaus und allgemein: je stärker die erste Instanz angelegt ist — natürlich nicht nur vom Verfahrensrecht, sondern vor allem von den Personen her —, desto effizienter ist die Justiz insgesamt.Die vorgesehenen Maßnahmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenden sich an den Richter und die Parteien gleichermaßen. Auch darin liegt ein wesentlicher Aspekt des neuen Verfahrens. Der Richter soll das Verfahren noch gründlicher vorbereiten und noch überlegter führen können als bisher. Dazu gehört, daß er die Parteien auf Gesichtspunkte hinweist, die sie erkennbar übersehen haben, damit „Überraschungsurteile" vermieden werden. Ich bin in diesem Zusammenhang Herrn Hauser sehr dankbar, daß er hierauf noch einmal mit Nachdruck hingewiesen hat. Ich würde es begrüßen, wenn aus diesem Gesichtspunkt vom Bundesrat her eine Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht erfolgt.Den Parteien wird eine verstärkte, aber auch konkretisierte Prozeßförderungspflicht auferlegt. Daß bei einer Verletzung dieser Pflicht teilweise strengere Sanktionen als bisher vorgesehen sind, ist sachlich geboten. Unter den gegebenen Verhältnissen ist eine verzögerliche oder nachlässige Prozeßführung keine Angelegenheit mehr, die nur die Parteien des jeweiligen Prozesses betrifft. Über die Gesamtbelastung der Justiz wirkt sie sich vielmehr auf alle Bürger aus, die auf die Entscheidung ihres Streitfalles warten. Ihr muß daher im Interesse der Gesamtheit der Rechtsuchenden begegnet werden.Zu den Änderungen des Mahnverfahrens als weiterem Schwerpunkt der Novelle kann ich mich auf wenige Worte beschränken. Durch eine hier mögliche Schematisierung des Verfahrens kann eine ganz entscheidende Rationalisierung erreicht werden. Den Interessen des Schuldners ist dabei durch Maßnahmen Rechnung getragen worden, die verhindern, daß Rechtsunkundige und Geschäftsungewandte Nachteile erleiden. Soweit die Grundlagen für eine Automation des Mahnverfahrens geschaffen werden, wird dieser Bereich den Forderungen unserer Zeit auch in technischer Hinsicht angepaßt.Im Rechtsausschuß hat die Novelle in ihrer Gesamtkonzeption Zustimmung gefunden. Die Vorschläge der Regierungsvorlage wurden in der Sache weitgehend gebilligt. Ich werte dies auch als Ergebnis einer guten Vorbereitung des Gesetzgebungsvorhabens. Änderungen und Ergänzungen der Regierungsvorlage durch den Rechtsausschuß haben durchweg Akzente gesetzt, die geeignet sind, die vorgeschlagenen Maßnahmen abzurunden und ihnen zusätzliche Durchschlagskraft zu geben. Sie finden daher die Zustimmung der Bundesregierung und werden von ihr begrüßt.Insgesamt sind damit die Voraussetzungen für eine erhebliche Verbesserung des Rechtsschutzes innerhalb des Zivilprozesses geschaffen. Das Verfahren soll — wie ich dargelegt habe — nicht nur einfacher und zügiger werden, sondern darüber hinaus an Qualität gewinnen und für den Rechtsuchenden selbst verständlicher und überzeugender sein. Von daher gesehen ist die Vereinfachungsnovelle
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withdem Vergleich mit ihren historischen Vorläufern, den Reformvorhaben der 20er Jahre, gewachsen, worauf Herr Emmerlich dankenswerterweise bereits hingewiesen hat. Vor allem die Novelle aus dem Jahre 1924 hatte ähnliche Schwerpunkte wie die Vereinfachungsnovelle. Inzwischen gewonnene Erfahrungen haben es ermöglicht, die früheren, mehr punktuell angelegten Maßnahmen durch eine umfassendere Konzeption zu ersetzen, die das Verfahren in seiner Gesamtheit umschließt. Ich selbst sehe darin eine entscheidende Verbesserung.Die Bundesregierung hatte sich für diese Legislaturperiode im Bereich des Zivilprozesses zum Ziel gesetzt, den Anspruch des Bürgers auf ein schnelles und gutes Verfahren durch Schaffung der hierfür erforderlichen prozessualen Voraussetzungen zu gewährleisten. Einige Maßnahmen sind bereits vorausgegangen. Ich erinnere an das am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls, mit dem Teile der Vereinfachungsnovelle vorab verabschiedet worden sind, ferner an die Revisionsnovelle, die im September des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Mit der Vereinfachungsnovelle soll nun das letzte, ein ganz wesentliches Teilstück dieses Reformprogrammes Gesetz werden. Ich bitte dieses Hohe Haus im Interesse des rechtsuchenden Bürgers um seine Zustimmung zu dem Gesetzgebungsvorhaben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Dank gebührt an dieser Stelle allen, die an dem Vorhaben mitgewirkt haben und noch mitwirken werden, vor allem aber der besonderen Arbeitsgruppe, die aus den Kollegen Emmerlich, Hauser und Kleinert bestand. Lassen Sie mich meinen Dank und zugleich den Dank des Bundesministers der Justiz und aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Hauses gegenüber dem Kollegen Hauser aussprechen.
Er hat im Interesse des Rechts in fairer Zusammenarbeit oder konstruktiver Opposition stets für manche Verbesserung gesorgt. Ich glaube, wir alle können sagen, daß er stets ein sehr, sehr angenehmer Kollege war, und zwar nicht nur wegen seiner Originalität, sondern ganz sicher auch deshalb, weil er auf vieles hinwies, was unter Umständen sonst vergessen worden wäre.Lassen Sie mich zum Schluß diesen Dank mit der Hoffnung verbinden, daß die Praxis die ihr gegebene Chance nutzt, mit einem besseren Verfahren im Interesse aller Beteiligten zu besseren Ergebnissen zu kommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz .
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Abschluß dieser Debatte möchte ich nur noch ein Wort des Dankes an die Arbeitsgruppe sagen, die dieses Gesetz vorbereitet hat. Auch der Rechtsausschuß hätte ohne die fachkundige Vorbereitung der Arbeitsgruppe, die aus den Kollegen Emmerlich, Kleinert und Dr. Hauser bestand, diese Arbeit nicht leisten können, es sei denn in vielen ganztägigen Sitzungen, in denen dann notwendigerweise nicht über andere Projekte hätte beraten werden können. Das Vertrauen, das die Kollegen des Rechtsausschusses in die Arbeitsgruppe gesetzt haben, hat sich in der nahezu unveränderten Annahme ihrer Vorschläge im Rechtsausschuß niedergeschlagen.
Die Arbeit, die hier geleistet worden ist, steht sicherlich nicht im Lichte der Schlagzeilen. Aber wenn diese Arbeit in einem Parlament nicht mehr geleistet wird oder nicht mehr geleistet werden kann, ist Gesetzgebung durch ein Parlament unmöglich geworden. Dann müssen wir das praktisch der Regierung überlassen. Die drei Kollegen verdienen also den besonderen Dank und die Anerkennung des Hauses für die Arbeit, die sie geleistet haben.
Mein spezieller Dank gilt — wie der meiner Vorredner — meinem Kollegen und Freund Dr. Hugo Hauser, der heute zum letztenmal am Rednerpult des Deutschen Bundestages steht. Er hat seine Erfahrungen als Richter und als Aufsichtsratsvorsitzender einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft in den Dienst der Gesetzgebung gestellt. Er hat uns nicht nur auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts, wo Sie heute während seiner Rede seine große Meisterschaft bewundern konnten, sondern auch auf dem Gebiet des Miet- und Wohnungsrechtes seine großen Sachkenntnisse zur Verfügung gestellt. Die Gesetzgebung der 16 Jahre, die er dem Hause angehört hat, weist die Merkmale seiner Tätigkeit auf. Wenn er uns jetzt verläßt, glaube ich, kann er es guten Gewissens tun. Er kann sagen, er hat in diesem Hause für das deutsche Volk seine Pflicht getan.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, die zum Gesetzentwurf eingangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann ist noch der Antrag des Ausschusses unter B 3 zu behandeln. Dazu hat das Wort Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dazu eine ganz kurze Erklärung. Wie aus dem Ausschußantrag Seite 22 der Drucksache 7/5250 — hervorgeht, soll die Bundesregierung drei Jahre nach Einführung der Datenverarbeitung beim Mahnverfahren darüber berichten, ob gegebenenfalls ein besonderer strafrechtlicher Schutz des Schuldners vor unredlichen Mahngesuchen erforderlich ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17615
Dr. Hauser
Hierzu folgendes: Bis jetzt hat der Rechtspfleger bei jedem einzelnen Zahlungsbefehlsantrag dessen Statthaftigkeit, Zulässigkeit und Begründetheit zu überprüfen und diese Überprüfung dann mit seiner Unterschrift zu bestätigen. Bei künftiger maschineller Bearbeitung der Mahngesuche übernimmt diese Überprüfung die EDV-Anlage. Statt der Unterschrift genügt dann auch systemgerecht ein Faksimilestempel. Der Rechtspfleger greift nur noch ein, wenn die Anlage bei nicht programmierbaren Angaben den Antrag beanstandet. Bei einer solch rein maschinellen Erledigung, also einer Formalisierung des Mahnverfahrens ändert sich die Tätigkeit des Rechtspflegers entscheidend, so daß er sich künftig auch keine Vorstellungen mehr über den Inhalt der einzelnen Mahnanträge machen kann. Insoweit kann er auch durch unredliche Mahngesuche über den Inhalt kaum mehr getäuscht werden oder einem Irrtum erliegen, so daß die Kausalität eines etwaigen Irrtums für die Vermögensbeschädigung fehlen würde. Mit anderen Worten: Der Tatbestand eines Prozeßbetrugs im Mahnverfahren wäre schwerlich nachweisbar, selbst wenn weiterhin die statuierte Wahrheitspflicht der Parteien im Vordergrund steht und zudem im neuen Gesetz zur Vermeidung kriminogener Situationen vorgesehen ist, daß der Antragsteller in seinem gesondert zu stellenden Antrag auf Erlaß eines Vollstreckungsbescheides jeweils anzugeben hat, ob innerhalb der Widerspruchsfrist auf den Mahnbescheid Zahlungen geleistet worden sind.Auf einen strafrechtlichen Schutz vor solch unredlichen rechtsmißbräuchlichen Mahnanträgen kann aber nicht verzichtet werden. Sollte sich hier durch die Umstellung des Mahnverfahrens auf automatische Datenverarbeitungsanlagen eine Lücke im strafrechtlichen Vermögensschutz auftun und dadurch eine nicht mehr ahndbare außerordentliche Mißbrauchsgefahr ergeben, so müßte der Gesetzgeber einen gesonderten Straftatbestand schaffen. Um hier ein klares Bild zu bekommen, bedarf es des Auftrags an die Bundesregierung, gerade diese Entwicklung besonders zu verfolgen.
Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Punkt 3 des Ausschußantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; es ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden
— Drucksache 7/4575 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/5240 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Waigel
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/5209 —Berichterstatter: Abgeordneter Russe
Ich danke dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Waigel für den Haushaltsausschuß und Herrn Abgeordneten Russe für den Wirtschaftsausschuß, für ihre Berichte.
Ich rufe in zweiter Beratung die Paragraphen 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Namens und im Auftrag der CDU/CSU-Fraktion darf ich, wie im Ältestenrat abgesprochen, folgende Erklärung abgeben.Wir werden diesem Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden, also dem Energieeinsparungsgesetz, zustimmen. Es entspricht den Grundannahmen und den Grundforderungen einer Energiepolitik, die nach unseren Vorstellungen für diesen Sachzusammenhang folgende Kriterien zu beachten hat: 1. Die Abhängigkeit unseres Industrielandes vom Ölimport ist nahezu unverändert hoch. 2. Die gegenwärtige Situation, besonders bei Erdöl, Erdölprodukten und auch bei Erdgas ist besorgniserregend. 3. Auf dem Welterdölmarkt hat ein unwiderruflicher Souveränitätswechsel stattgefunden. 4. Für unser Land besteht die um nichts verminderte Notwendigkeit, alles zu unternehmen, was die Abhängigkeit von Energieimporten verringern kann.Wir wissen: ein sehr beachtlicher, weithin unterschätzter Teil unseres Energiebedarfs stellt sich als Bedarf an Wärmeenergie dar. Allein rund 40 % entfallen auf die Raumheizung; ein weiterer erheblicher Prozentsatz von rund 36 % entfällt auf die Brauchwasserbereitung der privaten Haushalte sowie derjenigen von Gewerbe und Industrie. Hier liegt der Ansatzpunkt zur Energieeinsparung. In der Tat ist die Notwendigkeit groß, Energieeinsparungen vorzunehmen, wo dies nur irgendwie geht.Aber die Anreize für Bauherren und Hauseigentümer, den heute bereits erreichten Stand der Technik für die Verringerung des Energieaufwandes in Gebäuden einzusetzen, sind sicherlich zu indirekt, als daß diese Möglichkeit der Einsparung von Energie allein den Marktkräften überlassen bleiben könnte. Dies betrifft das Anwendungsgebiet und den Grundgedanken des Gesetzes, das heute hier zur Verabschiedung ansteht.
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17616 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
RusseOhne verkennen zu wollen, daß hinsichtlich eines erhöhten Wärmeschutzes in Gebäuden sowie erhöhter Anforderungen an heizungs- und lüftungstechnische Anlagen und deren Wartung umfangreiche Voruntersuchungen vonnöten waren, meinen wir allerdings, die Bundesregierung hätte diesen Gesetzentwurf angesichts der vorhandenen Notwendigkeiten schon zu einem früheren Zeitpunkt vorlegen sollen. Das wäre nach unserer Auffassung auch von der Sache her durchaus möglich gewesen. Vorbilder gibt es dazu in unseren westlichen Nachbarländern zur Genüge; ich nenne z. B. nur die Schweiz. Die hohe Importabhängigkeit unseres Landes bei Energierohstoffen bei noch steigendem Energiebedarf ist zu bedeutsam, als daß wir der Bundesregierung diese Kritik ersparen könnten. Hier wie bei anderen ungelösten Problemen unserer Energiewirtschaft zählt ohne Zweifel jedes Jahr.Was die im Gesetz vorgesehenen Verordnungsermächtigungen betrifft, so müssen wir heute bei der Verabschiedung noch einmal wiederholen, daß wir den Ermächtigungsrahmen für Verordnungen sowohl nach § 2 als auch hinsichtlich der Ausnahmeregelung nach § 4 für zu weit gespannt halten und daß wir hier eine andere Gestaltung für zweckmäßiger gehalten hätten. Unsere bleibenden Bedenken im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf sind prinzipieller Art.Die Bundesregierung hofft, mit den hier eingeleiteten Maßnahmen bis zum Jahre 1985 eine Energieeinsparung von 160 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten erzielen zu können. Wir begrüßen dieses Ziel. Wir sind sogar versucht, Ihnen — wenigstens bis zum 3. Oktober dieses Jahres — eine rundheraus glückliche Hand zu wünschen. Aber die Fachleute sagen ganz unmißverständlich, daß dies bis 1985 nicht realisierbar ist. Bitte, bedenken Sie — bedenken wir alle —, dies ist fast die doppelte Jahresproduktion unseres Steinkohlenbergbaus. Wenn Sie uns dies bis zum Jahre 2000 in Aussicht stellten, könnten wir Ihren Hoffnungen leichter beitreten.Zwar verstehen wir Ihr Motiv für diesen Zahlenoptimismus — Sie legten und legen ihn oft genug in diesem Hohen Hause an den Tag —, das ich zusammenfassend mit der Feststellung kommentiere: Sie wollen Ihre Abstinenz in anderen energiepolitischen Bereichen hinter schönen Hoffnungen verstecken und so die Energiebilanz einigermaßen ins Lot bringen. Wir fürchten nur, wir stehen gerade in bezug auf rationellen Umgang mit Energie auch mit der Verabschiedung dieses Gesetzes erst am Anfang eines langen Weges.Ich möchte es wiederholen: für einen bei Energierohstoffen in so hohem Maße importabhängigen Industriestaat wie die Bundesrepublik besteht die um nichts verminderte Notwendigkeit, die Energiewirtschaft entschlossen auf neue Grundlagen zu stellen. Wollen wir größere Versorgungssicherheit bei den Primärenergien, können wir das nur über ein modernes Sekundärenergiesystem erreichen. Hier liegen meines Erachtens die entscheidenden Ansätze für energietechnische Maßnahmen zur Verbesserung unserer Versorgung, insbesondere im Hinblick auf rationelleren Energieverbrauch.Auf diese unausweichliche Notwendigkeit hat im übrigen auch vor wenigen Wochen der Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur, Dr. Ulf Lantzke, in einem in Zürich gehaltenen Vortrag nachdrücklich hingewiesen. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten daraus folgendes zitieren:Wir müssen unsere Energieverbrauchsgewohnheiten überdenken, und zwar nicht nur im Sinne kurzfristiger Spareffekte, sondern vor allem im Hinblick auf eine langfristig sehr viel rationellere Verbrauchsstruktur, als wir sie heute haben.Energie mag sich in den 60er Jahren zu einem Faktor entwickelt haben, der sowohl für das private Budget wie in der Kalkulation großer Industrieunternehmen keine entscheidende Rolle spielte. Als Folge davon hatten wir uns sehr daran gewöhnt, vergleichsweise großzügig im Verbrauch mit Energie umzugehen.Herr Lantzke fährt fort:Hier muß ein bewußter Prozeß der Veränderung einsetzen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, eines Tages erneut mit Erschütterungen konfrontiert zu sein, die nicht nur in unser Wirtschaftssystem, sondern darüber hinaus tief in die Sozialstruktur eingreifen können.Die Energiepolitik eignet sich nun einmal von der Sache her nicht für eine Politik des reinen Laissez-faire!Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben sich in der Vergangenheit nach unserer Auffassung — wir dürfen dies noch einmal ohne jede Polemik feststellen — so abstinent verhalten, daß die hauptsächlichen und zeitlich vordringlichen Möglichkeiten zum rationellen Umgang mit der Energie sowohl auf dem Gebiete der Energieumwandlung als auch auf dem Gebiet des Energieverbrauchs nicht hinreichend genug Gegenstand unseres politischen Handelns geworden sind.
Hätte die Bundesregierung insbesondere nach dem Ölschock im Herbst 1973 ein dem erforderlichen Strukturwandel der Energiewirtschaft wirklich Rechnung tragendes Energiekonzept vorgelegt, dann hätten die inzwischen vergangenen Jahre auch in bezug auf Maßnahmen zum rationellen Umgang mit der Energie höhere politische Effizienz erreichen können.Da aber auch das, was Sie spät tun, besser ist, als wenn Sie gar nichts täten, stimmen wir — mit den vorgetragenen Bedenken — dem Gesetz zu. Man soll jedem, der sich müht, eine Chance geben. Wir wollen sie Ihnen nicht verbauen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17617
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl es die Bedeutung des Themas „Energieeinsparung" gebieten würde, ausführlich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen — immerhin haben die volkswirtschaftlichen Auswirkungen in den nächsten zehn Jahren einen Umfang von Milliarden DM —, will ich es Ihnen, den wenigen Anwesenden in diesem Hause ersparen, den vollen Wortlaut meines Manuskriptes vorzutragen. Ich will nur wenige Bemerkungen machen.Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Kollege Russe. Es ist immer wieder bewundernswert, woher Sie den Mut nehmen, ausgerechnet dieser Bundesregierung vorzuwerfen, daß sie energiepolitisch nicht handelt oder zu spät gehandelt hätte. Zwanzig Jahre haben Sie nichts getan. Es bedurfte der sozialliberalen Regierung, um ein erstes Energieprogramm vorzulegen. Sie haben unsere heimische Energie in den Keller gewirtschaftet. Sie haben Chaos an der Ruhr hinterlassen. Und Sie stellen sich hierher und werfen dieser Bundesregierung vor, sie hätte energiepolitisch nicht gehandelt!
Herr Russe, so was können Sie wirklich nur vor leerem Hause erzählen. Draußen im Lande nimmt es Ihnen ja ohnehin niemand ab.Das von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz ist Teil des umfangreichen Energieprogramms der Bundesregierung und der Ersten Fortschreibung. In der Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai 1975 auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur rationellen und sparsamen Energieverwendung hat die Bundesregierung ein umfassendes und in sich geschlossenes Konzept der rationellen und sparsamen Energieverwendung vorgelegt.Herr Kollege Russe, Sie hätten von 1949 an bis 1966 die Möglichkeit gehabt, der Energieeinsparung die Bedeutung beizumessen, die wir ihr heute beimessen.
Es wäre in dieser Zeit sicherlich weniger Energie verschwendet worden.Mit dem heute vorliegenden und zu verabschiedenden Gesetz wird ein weiterer und wichtiger Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen und privaten Energieeinsparung geleistet. Eine Energieeinsparung ist vor allem mittel- und langfristig wichtig, um eine langfristig gesicherte Energieversorgung zu angemessenen Preisen zu gewährleisten.Die SPD-Fraktion begrüßt besonders, daß mit dem Gesetz vor allem Mineralöl eingespart wird. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Verringerung unserer Importabhängigkeit geleistet.
Bauherren und Mieter bitte ich um Verständnis, daß wir mit dem Gesetz neue Auflagen verbindlich vorschreiben, die sich zunächst — ich betone: zunächst — und vorübergehend kostensteigernd auswirken. Sie werden nach Schätzungen in einer Größenordnung von 2 bis 4 % liegen. Im § 5 haben wir deshalb in einer Wirtschaftlichkeitsklausel festgelegt, daß die Anforderungen zur Einsparung von Energie nach dem Stand der Technik erfüllbar und wirtschaftlich vertretbar sein müssen. Diese bindende Klausel stellt sicher, daß der zusätzliche Investitionsaufwand durch Senkung der Energie- und Betriebskosten ausgeglichen und darüber hinaus die Betriebskosten gesenkt werden können. Hausbesitzer und vor allem die Mieter werden also mittel- und langfristig finanzielle Vorteile aus den im Gesetz vorgeschriebenen Maßnahmen haben.
Die SPD-Fraktion hat verständlicherweise vor allem die Anmerkungen des Städtetages geprüft. Unseres Erachtens ist ausreichend sichergestellt, daß die Baugenehmigungsverfahren nicht nennenswert verlängert und der Verwaltungsaufwand nicht ungebührlich erhöht wird.Die Dauer von Baubewilligungsverfahren ist bereits heute ein Kapitel für sich. Als Kommunalpolitiker wünschte ich mir oft ein schnelleres und zügigeres Verfahren. Aber bereits jetzt müssen im Baugenehmigungsverfahren Wärmeschutzanforderungen beachtet werden. Wir führen also nichts Neues ein, sondern die neuen Bestimmungen lassen sich nahtlos in das bisherige Verwaltungsverfahren einfügen.Natürlich muß die Durchführung des neuen Gesetzes überwacht werden. Allerdings gehen wir zunächst davon aus, daß Bauherren im wohlverstandenen Eigeninteresse freiwillig die neuen gesetzlichen Auflagen erfüllen. Die Überwachung konnte deshalb auf ein Minimum beschränkt werden, und auch der Verwaltungsaufwand bleibt relativ gering.Die SPD-Fraktion ist überzeugt, daß die Bundesregierung von ihren im Gesetz festgelegten Ermächtigungen vernünftigen Gebrauch machen wird. Ein Mißbrauch der Ermächtigungen durch übertrieben hohe Anforderungen ist ja auch durch den genannten § 5 ausgeschlossen.
Die Änderungswünsche des Bundesrates sind weitgehend berücksichtigt. Wir erwarten deshalb vom Bundesrat, daß er das Gesetz sehr bald verabschiedet, damit die Bundesregierung es in Kürze durch den Erlaß von Rechtsverordnungen in die Tat umsetzen kann.Die Bundesregierung bitten wir, im nationalen wie im internationalen Raum weitere Voraussetzungen für eine sparsamere und rationellere Energieverwendung zu schaffen. Durch eine qualifizierte und intensive Öffentlichkeitsarbeit ist ein Energiebewußtsein anzustreben, in dem Energieeinsparung und nicht Energieverschwendung oder leichtfertiger Umgang mit Energie im Vordergrund steht. Ich stimme Professor Carl Friedrich von Weizsäcker voll zu, wenn er fordert, den gedankenlosen Umgang mit Energie durch einen intelligenten Umgang zu ersetzen. Wir sind es nämlich uns und den zukünftigen Generationen schuldig, mit den knappen Ressourcen sparsam umzugehen.
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17618 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Wolfram
Trotz einer rationelleren Energienutzung wird auch in unserem Lande der Energiebedarf und -verbrauch weiter ansteigen. Wir müssen deshalb einerseits Energie einsparen und andererseits unsere Energieproduktion weiter ausbauen und den Grad unserer Importabhängigkeit verringern.Die SPD-Fraktion ist Bundeskanzler Helmut Schmidt für seine klaren Ausführungen jüngst noch auf dem Bergbaukongreß in Düsseldorf, speziell auch zur Rolle der heimischen Kohle, dankbar.
Es ist die sozialliberale Koalition, die für eine konsequente Energiepolitik in unserem Lande und für die Sicherung der zukünftigen Energieversorgung sorgt. Sie von der CDU/CSU haben 20 Jahre lang die Möglichkeit gehabt und diese wie viele andere Chancen verspielt.
— Jetzt werden Sie wieder einmal nervös! Jetzt wird's wieder einmal lustig!
— Das heute zu verabschiedende Gesetz ist Teil einer planmäßigen und systematischen Energiepolitik, Herr Dr. Narjes! Wir danken den Ministern Friderichs und Ravens und ihren Ministerien für die Vorlage des Energieeinsparungsgesetzes. Das, was sich als Ergebnis dieses Gesetzes zeigen wird, ist volkswirtschaftlich sinnvoll und nötig und entspricht unseren energiepolitischen Zielvorstellungen, denen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sich ja auch anschließen müssen.
Die SPD-Fraktion wird dem Energieeinsparungsgesetz ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion möchte ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Einsparung von Energie in Gebäuden — in Kurzform ,,Energieeinsparungsgesetz" — einige Anmerkungen machen.Das vorliegende Gesetz ist eine praktische Folgerung aus dem energiepolitischen Nachhilfeunterricht, den in der Ölkrise die OPEC-Staaten Ende 1973 den Industriestaaten sehr nachdrücklich gegeben haben,
ein Nachhilfeunterricht, den wir sehr ernst nehmen sollten, der allerdings in der breiteren Öffentlichkeit nach aufgehobenem Sonntagsfahrverbot sich in seiner Wirkung leider rasch verflüchtigt hat. Wir haben alle Veranlassung, mit Rohstoffen und besonders mit einem Schlüsselrohstoff wie Energie äußerst pfleglich umzugehen,
weil sie auf dem Globus nicht unbegrenzt vorhanden sind und wohl auch von einem hohen Preisniveau mit eher steigender Tendenz für die Zukunft auszugehen. ist.Das vorliegende Gesetz sieht die verbindliche Einführung eines erhöhten Wärmeschutzes hauptsächlich in Neubauten sowie verbindliche Anforderungen an heizungs- und lüftungstechnische Anlagen und ihre Wartung auch in bestehenden Gebäuden vor. Diese Absicht der Energieeinsparung und rationellen Energieverwendung, wie sie in diesem Gesetz zum Ausdruck kommt, liegt genau auf der energiepolitischen Linie, wie sie auch bereits durch die Große Anfrage der Regierungskoalition zur rationellen Energieverwendung deutlich wurde. Waren wir es bisher gewohnt, in der Energiepolitik jeden Bedarf durch entsprechende Steigerung des Angebots zu befriedigen, so kommt durch dieses Gesetz der umgekehrte Ansatz zum Ausdruck, nämlich durch rationelle Verwendung von Energie — hier im Heizungsbereich —, das heißt, durch Substitution von Energie durch praktische, technische Intelligenz, durch überlegten Einsatz den Bedarf zu verringern, ohne das Wohlstandsniveau absenken zu müssen.Die FDP-Fraktion unterstützt die Zielsetzung der rationellen Energieverwendung generell und hier besonders im Hausbereich, weil dort etwa 30 bis 40 °/o des Energieverbrauchs liegen und Sparmöglichkeiten bis 30 % von Experten für möglich gehalten werden. Wir wünschten aber, daß durch diesen Gesetzgebungsanstoß bei Bauherren, Mietern, Architekten, Wissenschaftlern, Handwerkern und allen sonst Beteiligten dieser Bereich der Energieeinsparung noch stärker beackert wird, und wünschen auch, daß mit diesem Gesetz das Interesse stärker darauf gelenkt werden möge, auch in den beiden anderen großen Energieverwendungsbereichen: der Kraftstoffverwendung und der Stromerzeugung, eine konzentrierte wissenschaftlich-technische Aktion zum Auffinden weiterer Möglichkeiten des Sparens und rationeller Verwendung vorgenommen wird. Die FDP-Fraktion sieht darin eine äußerst sinnvolle Aufgabe und ermutigt die Bundesregierung, ihre Bemühungen auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und in der Forschung zu verstärken.Die FDP begrüßt dieses mit elf Paragraphen kurze Gesetz, obwohl durch die lobenswerte Informationspolitik der Bundesregierung zur rationellen und sparsamen Energieverwendung als auch durch Marktkräfte bereits einige Entwicklungen zur rationelleren Energieverwendung eingeleitet worden sind, die allerdings nach unserer Meinung zur Ausschöpfung aller Sparmöglichkeiten im Hausbereich nicht voll ausreichen und darum der Unterstützung durch ein solches Gesetz bedürfen.Wir begrüßen die ausdrücklich verankerte Absicht, daß die aufgestellten Anforderungen so gestaltet sein müssen, daß sie durch Einsparung wirklich erwirtschaftet werden können. Diese General-
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Zywietzlinie halten wir für äußerst wichtig, damit sich nichtFormalismus und Bürokratie entwickeln, deren Aufwand den entsprechenden Nutzen aufheben könnte.Wir meinen darum, daß die Kontrolle mehr bei der Errichtung energiesparender Anlagen der Haustechnik zu sehen ist und nicht zu sehr in einer überzogenen Betriebskontrolle dieser Anlagen. Bei einmal installierten Anlagen gehen wir davon aus, daß der Bürger ein Eigeninteresse an einem energiesparenden Betrieb ohnehin hat.Ein Prüfpunkt der FDP-Fraktion für dieses Gesetz war die Forderung, die ohnehin schon häufig sehr komplizierten und zeitaufwendigen Baugenehmigungs-, Abnahme- und Kontrollverfahren nicht ungebührlich zu belasten. Wir begrüßen, daß hier nichts generell Neues eingeführt wird, sondern mit bestehenden Einrichtungen und bestehenden Instrumenten verschärften Normen zur Anwendung verholfen werden soll. Praktische Unzulänglichkeiten im baulichen Papierkrieg sind ohne Zweifel ein gutes Betätigungsfeld für bürgernahe Politik, das aber wohl auch oder vielleicht sogar insbesondere in anderen Parlamenten zu erörtern wäre.Wir begrüßen die erhoffte Tendenzwirkung dieses Gesetzes, daß in Zukunft bei Kauf oder Miete von Wohnungen nicht nur die Bau- bzw. Kaltmietkosten im Betrachtungswinkel stehen, sondern auch die Betriebskosten in die jeweiligen wirtschaftlichen Kalkulationen und Vergleiche eingehen sollen. Eine solche Entwicklung zu mehr Betriebskostenrechnungen findet unsere ausdrückliche Unterstützung, weil sie der Tendenz entgegenwirkt, die Investitionskosten ohne Rücksicht auf die Höhe von Betriebskosten bei Käufern oder Mietern von Wohnraum zu minimieren.Die FDP-Fraktion begrüßt dieses kurze und flexible Gesetz, das zu einer Energieeinsparung im Hausbereich zusätzlich zu den durch die Marktmechanismen gegebenen Steuerwirkungen führt, weil dies ein sinnvoller Weg zur erforderlichen Minderung der Importabhängigkeit der Bundesrepublik ist, zugleich unsere Zahlungsbilanz entlastet, die Umweltbelastung mindert, letztlich im längerfristigen Vorteil sowohl von Bauherren wie Mietern liegt und dabei in der Verknüpfung von Zielen und Mitteln jeweils ökonomische Augenmaß zwingend vorschreibt.Ein wesentlicher Teil des nun in die Praxis umzusetzenden Gesetzes wird in Verordnungen geregelt, die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden. Nach den Zusagen der Bundesregierung bei den Ausschußberatungen sind wir sicher, daß diese Detailregelungen ganz im Sinn dieses flexiblen Gesetzes ausfallen werden und der Wirtschaftsausschuß von den Rechtsverordnungen frühzeitig unterrichtet wird. Damit sind vereinzelt geäußerte Befürchtungen über die Einengung gestalterischer Freiheit unseres Erachtens nicht berechtigt.Ich möchte die Bundesregierung auffordern, nach Vorliegen der Rechtsverordnung die Ziele des Gesetzes auch der breiteren Öffentlichkeit in geeigneter Weise bekanntzumachen.Die FDP stimmt diesem Gesetz mit einem neuen energiepolitischen Ansatz zu und hofft, daß die Gedanken der sparsamen und rationellen Energieverwendung freiwillig, aus Einsicht, auch in anderen Bereichen Nachahmung finden mögen.
Das Wort hat der Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Haack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einsparung von Energie in Gebäuden ist ein Eckpfeiler der Politik der Bundesregierung auf dem Gebiet der rationellen Energieverwendung.Die Notwendigkeit und Dringlichkeit des vernünftigen Umgangs mit Energie ist mit der Ölkrise des Winters 1973/74 und verstärkt durch die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung mehr und mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen. Man kann fast feststellen, daß sich bereits ein neues Energiebewußtsein ausgebreitet hat. Dieses Bewußtsein hat im Zusammenwirken mit dem Ansteigen der Energiepreise und den gezielten Maßnahmen der Bundesregierung zur rationellen Energienutzung eine Wende im Energieverbrauch herbeigeführt. Während bis 1973 die Faustregel galt, daß der Energieverbrauch in demselben Maße ansteigt wie das Bruttoinlandsprodukt, wird schon jetzt deutlich, daß unsere Volkswirtschaft in Zukunft ein gesundes Wachstum mit einem beachtlich geringeren Energieeinsatz pro Einheit des Sozialprodukts erzielen wird.Die soeben schon erwähnte Entschließung dieses Hauses zur rationellen Energieverwendung und zur friedlichen Nutzung der Kernenergie weist mit Recht auf diesen Tatbestand hin. Die Bundesregierung hat ihn bei der Fortschreibung des Energieprogramms berücksichtigt und wird ihn bei zukünftigen Prognosen des Energieverbrauchs verstärkt in Rechnung stellen.Das Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden bleibt nicht ohne Einfluß auf den allgemeinen Hochbau und den Wohnungsbau in der Bundesrepublik; es wird Bauträger, Vermieter und Mieter berühren.Die bisherigen Beratungen mit den Verbänden der Wirtschaft und mit Fachkreisen haben eine breite Unterstützung gebracht. Schon heute läßt sich erkennen, daß der Gesetzentwurf zu wichtigen Innovationen in der Bauwirtschaft, aber auch in der Heizungs- und Klimabranche führen wird. Das Bewußtsein für eine sparsamere Energieanwendung, insbesondere bei der Beheizung von Gebäuden, ist seit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs in Fachkreisen, aber auch in der Bevölkerung wesentlich geschärft worden.Maßnahmen zur Energieeinsparung werden sich natürlich auf die Baukosten auswirken und auch zu geringfügig erhöhten Neubaumieten führen. Für die Bundesregierung war es daher wichtig, daß die
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Pari. Staatssekretär Dr. HaackWirtschaftlichkeit der Maßnahmen sichergestellt ist, d. h., daß die zusätzlichen Aufwendungen durch entsprechende Energieeinsparungen voll erwirtschaftet werden. Es ist daher in der Regel mit einer Senkung der Wohnkosten insgesamt zu rechnen. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, daß die Energiepreise auch künftig weiter steigen werden, wird sich dieser Vorteil für den einzelnen Bauherrn oder Mieter im Laufe der Zeit vergrößern.Obwohl nur das wirtschaftlich Sinnvolle gefordert werden soll, konnte auf eine gesetzliche Regelung nicht verzichtet werden. Bauherren sparen nur zu oft am falschen Ende und versuchen, allein die Baukosten um jeden Preis niedrig zu halten. Sie nehmen dafür dann erheblich höhere Energieaufwendungen hin. Im Mietwohnungsbau ist darüber hinaus der Bauträger nicht identisch mit dem Wohnungs- oder Gebäudemieter, so daß bei der Errichtung der Gebäude keine gleiche Interessenlage gegeben ist. Bauherren haben hier nur beschränkte wirtschaftliche Anreize, energiesparend zu bauen. Auch im nachhinein besteht für Mieter in der Regel nicht die Möglichkeit, ihre Heizkosten durch Investitionen zu senken.Die bisherigen Beratungen — das ist hier mit Recht schon erwähnt worden — waren teilweise von der Sorge bestimmt, daß die erhöhten Anforderungen für einen energiesparenden Wärmeschutz das Baugenehmigungsverfahren nach Umfang und Zeit beträchtlich erschweren könnten. Ich halte diese Sorge für nicht begründet; denn durch das Gesetz werden keine neuen Voraussetzungen für die Prüfung des baulichen Wärmeschutzes geschaffen. Auch sollten die erhöhten Anforderungen für einen energiesparenden Wärmeschutz nach Methode und technischen Einzelregelungen nahtlos an das bisherige System der Anforderungen im Wärmeschutz angepaßt werden.Für Befürchtungen der Länder und der Kommunen besteht also kein Anlaß. Die Länder werden bei den künftigen Beratungen der Rechtsverordnungen im Bundesrat besonders diesen Aspekt einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Die Bundesregierung begrüßt hier die Mitwirkung der Länder, denn wir alle wollen weitere Verzögerungen beim Baugenehmigungsverfahren vermeiden.Der Gesetzentwurf ermöglicht für alle weiteren Überwachungsaufgaben liberale Lösungen, die eine Entlastung oder sogar eine völlige Freistellung der Behörden bringen. Gedacht ist an einen Ausbau der Überwachungsfunktionen durch die Schornsteinfegermeister, aber auch durch andere Institutionen, oder an die Vorlage von Testaten durch Wartungsfirmen und dergleichen. Das heißt also, der Verwaltungsaufwand bleibt minimal; die gute Idee des Energieeinsparens wird dem Bürger nicht durch eine Vielzahl lästiger Kontrollen verleidet.Der federführende Wirtschaftsausschuß hat erste Entwürfe der beabsichtigten Verordnungen — denn das Gesetz ist ja im wesentlichen nur die Rechtsgrundlage für Verordnungen der Bundesregierung — erhalten und hat sich davon überzeugen können, daß die Bundesregierung von den mit diesem Gesetzentwurf erbetenen Ermächtigungen einen vernünftigen Gebrauch machen wird.Das Gesetz enthält übrigens die entscheidende Bremse: Die Bundesregierung kann in den Rechtsverordnungen nur solche Anforderungen stellen, deren Kosten sich durch Energieeinsparungen erwirtschaften lassen. Dieses Prinzip der wirtschaftlichen Vernunft, das den gesamten Gesetzentwurf durchzieht und in § 5 besonders verankert ist, gibt Ihnen die beste Gewähr dafür, daß die Bundesregierung keine übertriebenen Anforderungen stellen kann. Nicht zuletzt auf diese Selbstbeschränkung ist es auch zurückzuführen, daß der Gesetzentwurf und die ersten Entwürfe der Rechtsverordnungen bei den beteiligten Verbänden breite Unterstützung gefunden haben.Den Änderungswünschen des Bundesrates hat die Bundesregierung weitgehend zustimmen können. Auch mit den Änderungen, die der Wirtschaftsausschuß beschlossen hat, ist die Bundesregierung einverstanden.Meine Damen und Herren, noch eine letzte Bemerkung: Das Gesetz bezieht sich primär auf Neubauten. Hinsichtlich des Althausbestandes werden sich die Anforderungen im wesentlichen auf den energiesparenden Betrieb von Heizungs-, Warmwasser- und raumlufttechnischen Anlagen beschränken. Hier sind beträchtliche Energieeinsparungen zu erwarten. Die Überlegungen zu einem verbesserten baulichen Wärmeschutz im Althausbestand haben bisher noch nicht zu einem immer befriedigenden Ergebnis geführt. Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, daß die hiermit verbundenen Kosten unverhältnismäßig hoch sein können. Der von der Bundesregierung im letzten Jahr durchgeführte Wettbewerb „Therma" war ein erster Versuch, kostengünstige Lösungen zu finden. Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen um eine gezielte wärmeschutztechnische Sanierung und generell um die Energieeinsparung im Althausbestand fortsetzen.Ich meine, daß dieses Gesetz über seinen eigenen Anwendungsbereich hinaus beträchtliche Breitenwirkung haben und eine weitere Entwicklung und auch Innovation energiesparender Bauarten und heizungstechnischer Anlagen mit geringerem Energieverbrauch begünstigen wird. Wir glauben, daß dieses Gesetz wesentlich mithelfen wird, die energiepolitischen Zielsetzungen der Bundesregieurng zu verwirklichen. Wir begrüßen die Ergebnisse der Beratungen in den zuständigen Fachausschüssen und bitten Sie um ein zustimmendes Votum heute bei der zweiten und der dritten Beratung.
Die zweite Beratung hat bereits stattgefunden, Herr Staatssekretär.Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Stimmenthal-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17621
Vizepräsident Dr. Jaegertungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Der Ausschuß schlägt Ihnen außerdem vor, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundes-Apothekerordnung— Drucksache 7/2994 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 7/5190 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Neumeister
Ich danke der Berichterstatterin, der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister, für ihren Bericht und rufe in zweiter Beratung die §§ 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich komme zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Damit können wir zur Schlußabstimmung schreiten. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Auch hier schlägt Ihnen der Ausschuß vor, die zu dem Entwurf eingegangenen Eingaben für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1976— Drucksache 7/5028 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/5281 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Waigelb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/5229 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schachtschabel
Ich danke den Berichterstattern, dem Abgeordneten Dr. Waigel für den Haushaltsausschuß, dem Abgeordneten Dr. Schachtschabel für den Wirtschaftsausschuß, für ihre Berichte und rufe in zweiter Beratung die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich kann die Abstimmung in zweiter Beratung also mit der Schlußabstimmung verbinden.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes— Drucksache 7/4919 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/5271 —Berichterstatter:Abgeordneter Schröder
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Schröder , für seinen Bericht. Zur Ergänzung des Berichts hat der Herr Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige ganz wenige kurze Bemerkungen als Ergänzung zum schriftlichen Bericht, der Ihnen als Bundestagsdrucksache 7/5271 vorliegt.Das Viehseuchengesetz hat in einem Punkt über den durch das Gesetz betroffenen Personenkreis von Tierhaltern, Landwirten und Veterinären hinaus öffentliches Interesse gefunden. Es handelt sich dabei um den § 24 Abs. 2, der die Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Übertragung hochkontagiöser Seuchen durch bestimmte wildlebende Tierarten regeln soll. Es hat dazu einige Stellungnahmen gegeben, die sich sehr engagiert vor allem gegen die Tötung von Füchsen durch Begasung ausgesprochen haben.Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat diese Einwendungen sehr ernst genommen und auf diesem Grunde eine Anhörung durchgeführt, in der sowohl der Deutsche Bauernverband, der Deutsche Jagdschutzverband und auch der Deutsche Tierschutzbund ihre Auffassungen zu dieser Frage dargelegt haben. Das weitgehend übereinstimmende Ergebnis dieser Anhörung wie auch der folgenden Beratung durch den Ausschuß war die Feststellung, daß die Tollwut in steigendem Maße eine erhebliche Gefahr für Mensch und Tier darstellt und daß insbesondere der Fuchs Träger des Tollwutgeschehens ist.
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17622 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976
Schröder
Es bestand deshalb Einmütigkeit darüber, daß in bestimmten Fällen auch bei wildlebenden Tierarten Bekämpfungsmaßnahmen angeordnet werden müssen, wenn es sich — wie z. B. beim Fuchs — um Träger hochkontagiöser Seuchen handelt. Dabei kann, wenn alle anderen Bekämpfungsmaßnahmen nicht ausreichen, bedauerlicherweise auch die Bega-sung als letztes Mittel zur Verminderung einer seuchentragenden Tierpopulation nicht ausgeschlossen werden. Einmütigkeit herrschte aber auch in der Frage, daß bei der Durchführung solcher Maßnahmen die möglicherweise betroffenen Tierarten nicht der Gefahr der Ausrottung ausgesetzt sein dürfen. Die Bundesregierung vertrat bei den Beratungen die Auffassung, daß die vorliegende Formulierung des § 24 Abs. 2 Satz 2 dieser Forderung des Ausschusses gerecht wird.Um eventuell denkbaren Zweifeln — und sie sind schon aufgetreten — über die richtige Auslegung dieses Satzes von vornherein zu begegnen, soll noch einmal die Meinung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten festgehalten werden: Die Ermächtigung im neuen Abs. 2 des § 24 gestattet, Bekämpfungsmaßnahmen zu erlassen, die gegebenenfalls auch gegen nichtkranke oder verdächtige Tiere einer oder mehrerer von einer hochkontagiösen Seuche betroffenen Tierarten gerichtet sind. Derartige Maßnahmen müssen aber so begrenzt werden, daß keine der betroffenen Tierarten in Gefahr gerät, ausgerottet zu werden. In besonderer Weise gilt dies für Tiere anderer Tierarten, die mittelbar durch die Maßnahmen betroffen sein können. Sie sollten durch die Maßnahmen nicht mehr als unvermeidbar in ihrem Bestand beeinträchtigt werden. Die Bundesregierung wird ersucht, diesen Standpunkt des Ausschusses in den zu erlassenden Durchführungsvorschriften besonders zum Ausdruck zu bringen.
Ich danke für die Ergänzung.Ich rufe in zweiter Beratung die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vorn 31. Oktober 1975 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Volksrepublik China über den Seeverkehr— Drucksache 7/5060 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/5241 —Berichterstatter: Abgeordneter Ewen
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Ewen, für seinen Bericht.Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich verbinde die Abstimmung in zweiter Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, auf Drucksache 7/5241 hat Ihnen der Ausschuß einen zweiten Antrag vorgelegt. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr die Punkte 15 bis 20 der Tagesordnung auf:15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 über die Angabe von Familiennamen und Vornamen in den Personenstandsbüchern— Drucksache 7/5203 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Umweltstatistiken— Drucksache 7/5212 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit— Drucksache 7/5210 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 27. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über die Regelung
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Vizepräsident Dr. Jaegerder mit dem deutsch-italienischen Abkommen vom 26. Februar 1941 zusammenhängenden Fragen— Drucksache 7/5211 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Oktober 1969 zur Erhaltung der lebenden Schätze des Südostatlantiks, zu dem Protokoll vom 21. Januar 1972 zur Änderung des Übereinkommens vom 20. Dezember 1962 über den Schutz des Lachsbestandes in der Ostsee, zur Konvention vom 13. September 1973 über die Fischerei und den Schutz der lebenden Ressourcen in der Ostsee und den Belten sowie zur Änderung des Seefischerei-Vertragsgesetzes 1971 — Seefischerei-Vertragsgesetz 1976 —— Drucksache 7/5213 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über forstliches Saat- und Pflanzgut— Drucksache 7/5262 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
RechtsausschußDas Wort wird nicht gewünscht. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:Beratung des Ersten Berichts und des Antrags des Rechtsausschusses zu dem von den Abgeordneten Breidbach, Dr. Blüm, van Delden, Vogt, Dr. Schulze-Vorberg, Kroll-Schlüter, Link, Pfeffermann und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes— Drucksachen 7/874 , 7/5162 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. SchöfbergerAbgeordneter Erhard
Ich danke den Berichterstattern, dem Abgeordneten Dr. Schöfberger und Erhard , für ihren Bericht. Eine Ergänzung wird nicht verlangt. Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete van Delden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf, der natürlich eine lebhafte Diskussion hervorgerufen hat.
Es ist ganz gut, wenn Sie sich das anhören, denn die Kritik richtete sich nämlich auch gegen Ihre Seite.
Diese Diskussion war auch beabsichtigt, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Aufsichtsratstantiemen— das ist ja der einzige Punkt, an dem wir vom Gesetzgeber aus ansetzen können —, sondern er hat eine Diskussion auch über Vergütungen für Verwaltungsräte, Beiratsvergütungen, Beraterverträge usw. entfacht.Dabei hat sich herausgestellt, daß sich die Aufsichtsratsvergütungen gegenüber den anderen genannten Vergütungen noch durchaus im Rahmen hielten; denn diese betragen im Schnitt etwa 16 000 DM pro Person. Wenn ich daran denke, welcher Wildwuchs auf anderen Gebieten zu verzeichnen ist — beim Fernsehen, beim Rundfunk, ja sogar bei Verwaltungsräten in bundeseigenen Unternehmen, die nicht immer mit Gewinn abschließen —,
so glaube ich, daß es ganz gut war, daß mit diesem Gesetzentwurf, der auch nicht das Non plus ultra darstellen sollte, diese Diskussion in Gang gebracht worden ist.Was mich, der ich als sogenannter Kapitalist natürlich besonders in die Schußlinie meiner Standesgenossen geriet, am meisten verwundert hat, war, daß die Kritik von der linken Seite des Hauses und von den Gewerkschaften noch weitaus größer war, so daß ich vermuten muß, daß die Großverdiener mehr auf der linken Seite des Hauses sitzen als in der Mitte.
Anders kann ich es mir nicht erklären, daß bei der Kumulation von Aufsichtsratsmandaten, die man auch auf Ihrer Seite des Hauses findet, diese Kritik eingesetzt hat.Den Kritikern, die gesagt haben, man dürfe das Prinzip eines leistungsgerechten Entgelts nicht durchbrechen, sei der Hinweis gegeben, daß sich ja auch die Entgelte freier Berufe, wie etwa der Notare, nach Gebührenordnungen richten. Ich frage mich manchmal, wie man von einem leistungsgerechten Entgelt sprechen kann, wenn bei einem relativ großen Aufwand, der für eine geringfügige Sache getrieben werden muß, nur eine geringe Gebühr berechnet wird und andererseits bei einem geringen Aufwand für ein großes Objekt eine große Summe als Honorar gezahlt wird.In der Diskussion und der ganzen Kritik gibt es einen weiteren Bruch. Beamte, die von den Ministerien in Aufsichtsräte entsandt werden, müssen ja den Teil der Vergütung, der einen gewissen Höchstbetrag — welcher von Jahr zu Jahr von der Regierung festgesetzt wird — überschreitet, an die Bundeskasse abgeben. Ich frage mich, weshalb man hier das Leistungsprinzip durchbricht. Damit will ich nicht sagen, daß mehr Beamte in Aufsichtsräte ensandt werden sollten. Aber wenn man schon von leistungsgerechtem Entgelt spricht, dann muß man auch hier gerecht bleiben. Die Kritiker sagen, daß die Beamten solche Aufgaben während der
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van DeldenDienstzeit wahrnähmen. Nun, ich frage, ob es die Aufgabe eines Bankiers ist, sich mehr der Arbeit in Aufsichtsräten als der Vorstandstätigkeit in seinem Bankinstitut zu widmen. Man kann an diese Dinge also nicht mit zweierlei Maßstäben herangehen.
— Ob ich ein Sozialist bin? Wollen Sie mich aufnehmen, oder was ist der Grund Ihrer Frage?Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung machen und dabei an eine Kritik anknüpfen, die von den eigenen Standesgenossen des Kritikers als überzogen bezeichnet wurde. Ein Bankier verglich nämlich seine Aufsichtsratstantieme aus einem Unternehmen mit dem Einkommen eines Bundestagsabgeordneten. Daß das ganz gewaltig überzogen war und die Kritiker aus seinen eigenen Reihen auf den Plan rief, bringt mich dazu, diesen Kritikern insgesamt zu sagen, daß sie, wenn die Diätenreform zur Debatte steht, die gleichen Maßstäbe anlegen mögen. Sie müssen nämlich das leistungsgerechte Entgelt für einen Abgeordneten ebenso in den Vordergrund stellen und dürfen nicht umgekehrt damit argumentieren, dies sei das Geld der Steuerzahler usw. Kurzum, auch ich bin dafür, daß bei der Diätenreform eine vernünftige Regelung gefunden wird, die den Abgeordneten nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt, ganz gleich, von wem.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anliegen der Antragsteller ist berechtigt. Die Fraktion der SPD stimmt diesem Wunsch zu. Die Fraktion der SPD hat dieses Anliegen auch schon in der 5. Legislaturperiode vertreten. Ihren jetzigen Gesetzesantrag haben Sie von unserem damaligen Antrag übernommen.
Allerdings ist die von Ihnen jetzt gewählte Formulierung nicht mehr verabschiedungsreif; denn Sie können nicht die Frage im Aktienrecht allein regeln. Sie muß zumindest auch im GmbH-Recht mitgeregelt werden.
Der zweite Einwand ist, daß starre Höchstbeträge nicht zweckmäßig sind. Festbeträge sind für die einen Aufsichtsräte vielleicht zu niedrig, für andere zu hoch. Zum anderen müßten wir § 113 des Aktiengesetzes zwecks Anpassung an die Preisentwicklung immer wieder ändern.
Deswegen waren alle Fraktionen im Rechtsausschuß der Auffassung, daß wir die Vorlage der Unternehmensrechtskommission beim Bundesjustizminister überweisen und darauf drängen sollten, daß es möglichst bald zu einer entsprechenden Regierungsvorlage kommt.
Herr Kollege van Delden, ich hoffe, daß Sie in Ihrer Fraktion die offenkundigen Schwierigkeiten, die Sie bisher bei der Zustimmung zu Ihrem Vorhaben hatten, bewältigen können.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5162. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 58 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/5215 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Beratung der Ubersicht 18 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 7/5181 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 24 bis 28 der Tagesordnung auf:24. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierungbetr. Haushaltsführung 1974;hier: überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 11 11 Tit. 681 01 — Arbeitslosenhilfe — und Tit. 681 03 — Arbeitslosengeld und Berufsfürsorge für Heimkehrer —— Drucksachen 7/2596, 7/5231 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampe25. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierungbetr. überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 60 02 Tit. 686 02 — Humanitäre Hilfsmaßnahnahmen für die Länder des ehemaligen Indochina -- Drucksachen 7/3607, 7/5232 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juni 1976 17625
Vizepräsident Dr. Jaeger26. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierungbetr. Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 23 02 Tit. 686 24
— Drucksachen 7/2851, 7/5233 —Berichterstatter: Abgeordneter EstersAbgeordneter Hoppe27. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierungbetr. außerplanmäßige Ausgabe bei Kap. 08 06 apl. Tit. 831 09
— Drucksachen 7/2492, 7/5234 — Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker28. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierungbetr. Haushaltsführung 1974 — Epl. 14 hier: überplanmäßige Ausgaben beiKap. 14 14 Tit. 513 02 — Fernmeldegebühren und Kosten für FernmeldeanlagenKap. 14 14 Tit. 513 03 — Miete für die Benutzung von FernmeldeleitungenKap. 14 17 Tit. 522 01 — Betriebsstoff für die Bundeswehr— Drucksachen 7/2841, 7/5235 — Berichterstatter: Abgeordneter Haase
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist auch nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Widerspruch erfolgt nicht.Wir kommen dann zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/5231, 7/5232, 7/5233, 7/5234 und 7/5235. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Dann sind die Anträge mit Mehrheit angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 29 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineVerordnung des Rates betreffend den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Koera über den Handel mit TextilerzeugnissenVerordnung des Rates betreffend den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Singapur über den Handel mit TextilerzeugnissenVerordnung des Rates betreffend den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Macao über den Handel mit Textilerzeugnissen— Drucksachen 7/4854, 7/4855, 7/4830, 7/5230 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. SchachtschabelWünscht der Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5230. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen. Es ist mit Mehrheit so beschlossen.Wir stehen damit am Ende der heutigen Sitzung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Juni 1976, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.