Protokoll:
7199

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 199

  • date_rangeDatum: 5. November 1975

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:18 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 199. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 Inhalt: Eintritt des Abg. Schetter in den Deutschen Bundestag 13631 A Amtliche Mitteilung ohne Verlesung . . . 13631 B Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976) Drucksache 7/4100 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1975 bis 1979 — Drucksache 7/4101 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (Haushaltsstrukturgesetz) — Drucksachen 7/4127, 7/4193 — Bericht und Antrag des Haushaltsausschusses — Drucksachen 7/4224, 7/4243 — in Verbindung mit Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer- und Gewerbesteuergesetzes (Steueränderungsgesetz 1975) — Drucksache 7/3667 — Strauß CDU/CSU 13631 D Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller SPD 13648 D Hoppe FDP 13656 D Leicht CDU/CSU 13660 D Dr. Apel, Bundesminister BMF 13688 B Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU 13693 B Dr. von Bülow SPD 13700 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 13706 B Moersch, Staatsminister AA 13714 B Dr. Müller-Hermann CDU/CSU 13717 C Dr. Ehrenberg SPD 13723 A Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . 13727 B Dr. Sprung CDU/CSU 13729 C Blank SPD 13731 D Wohlrabe CDU/CSU 13732 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 Fragestunde — Drucksache 7/4242 vom 31. 10. 1975 — Fristverlängerung für Beitragsnachentrichtung der Selbständigen zur Rentenversicherung sowie Mittel für die Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger MdlAnfr Al 31.10.75 Drs 07/4242 Rollmann CDU/CSU Antw PStSekr Buschfort BMA 13668 D, 13669 A, B, C ZusFr Rollmann CDU/CSU 13669 A ZusFr Freiherr von Fircks CDU/CSU . . 13669 B Gewährung von Vergünstigungen an Zivildienstleistende bei Benutzung öffentlicher Einrichtungen MdlAnfr A2 31.10.75 Drs 07/4242 Gansel SPD Antw PStSekr Buschfort BMA . 13669 C, 13670 A ZusFr Gansel SPD . . . . . . . . 13670 A Kapazitätsberechnung an den Hochschulen MdlAnfr A3 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Schweitzer SPD Antw PStSekr Dr. Glotz BMBW 13670 B, D, 13671 A ZusFr Dr. Schweitzer SPD . . . . 13670 D Ausdruck „Ausland" als Geburtsortangabe in den Zulassungsbescheiden der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) für in Mittel- und Ostdeutschland geborene Studenten MdlAnfr A4 31.10.75 Drs 07/4242 Gerlach (Obernau) CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Glotz BMBW . . 13671 A, B, C ZusFr Gerlach (Obernau) CDU/CSU . . 13671 B, C Benachteiligung der Versicherten der Regierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz durch das neue Tarifsystem der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen MdlAnfr A5 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Jobst CDU/CSU MdlAnfr A6 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Jobst CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi 13671 D, 13672 A, B, C, D, 13673 A ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU . . . . . 13672 A, B, C ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . . 13672 D ZusFr Kiechle CDU/CSU . . . . . . 13673 A Einkommensbelastung der Kraftfahrer durch die Erhöhung der Mineralölsteuer MdlAnfr A8 31.10.75 Drs 07/4242 Milz CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . 13673 A, C, D ZusFr Milz CDU/CSU . . . . . . . 13673 B, C ZusFr Nordlohne CDU/CSU 13673 C Einschränkung der Förderungsmittel für Industrieansiedlung in Ballungsräumen zugunsten schwachstrukturierter Gebiete MdlAnfr A9 31.10.75 Drs 07/4242 Spranger CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . . 13673 D, 13674 A, B, C ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . 13674 A, B ZusFr Spranger CDU/CSU 13674 C Ankauf oder Subventionierung der anwachsenden Kohlenhaldenbestände durch die Bundesregierung zum Zwecke der Bildung einer nationalen Energiereserve zur Überbrückung künftiger Versorgungskrisen MdlAnfr A10 31.10.75 Drs 07/4242 Thürk CDU/CSU MdlAnfr A11 31.10.75 Drs 07/4242 Thürk CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 13674 C, D, 13675 A, B, C ZusFr Thürk CDU/CSU 13675 A, B ZusFr Wolfram (Recklinghausen) SPD . 13675 C Unterdrückung der Veröffentlichung von Testergebnissen der Stiftung Warentest durch die betroffenen Hersteller MdlAnfr Al2 31.10.75 Drs 07/4242 Hansen SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 13675 D, 13676 A, B ZusFr Hansen SPD . . . . . . . . . 13676 A ZusFr Frau Dr. Riedel-Martiny SPD . . . 13676 B Entwicklung des Primärenergie- und Stromverbrauchs in den drei ersten Quartalen 1975 MdlAnfr A13 31.10.75 Drs 07/4242 Kern SPD MdlAnfr A14 31.10.75 Drs 07/4242 Kern SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 13676 C, D, 13677 A ZusFr Wolfram (Recklinghausen) SPD . . 13676 D Förderung der einheimischen Natursteinindustrie im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zur Sicherung der Arbeitsplätze MdlAnfr A15 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . .13677 A, C, D, 13678 A, B, C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 III ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . 13677 C, D ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU 13677 D ZusFr Schwabe SPD 13678 B ZusFr Niegel CDU/CSU 13678 B ZusFr Milz CDU/CSU . . . . . . . 13678 C Koordination der Auslandsaktivitäten der Bundesregierung und Landesregierungen auf wirtschaftlichem Gebiet MdlAnfr A16 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Wernitz SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . 13678 D, 13679 B ZusFr Dr. Wernitz SPD . . . . . . . 13679 B Auslegung der Härteklausel in § 7 des Dritten Verstromungsgesetzes durch das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft sowie Anzahl der gemäß § 7 gestellten Anträge für 1975 MdlAnfr A17 31.10.75 Drs 07/4242 Wolfram (Recklinghausen) SPD MdlAnfr A18 31.10.75 Drs 07/4242 Wolfram (Recklinghausen) SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 13679 B, D, 13680 B, C ZusFr Wolfram (Recklinghausen) SPD . . 13679 C, 13680 B, C Errechnung des Index der Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Produkte in den Monaten Juli und August der Jahre 1975 und 1976 MdlAnfr A21 31.10.75 Drs 07/4242 Peters (Poppenbüll) FDP Antw PStSekr Logemann BML . . . . . 13680 D, 13681 A, B, C ZusFr Peters (Poppenbüll) FDP . . 13681 A, B ZusFr Eigen CDU/CSU . . . . . . . . 13681 B ZusFr Niegel CDU/CSU . . . . . . . 13681 C Beteiligung der Erzeuger beim Abbau und bei der Verwertung von Agrarüberschüssen MdlAnfr A22 31.10.75 Drs 07/4242 Niegel CDU/CSU Antw PStSekr Logemann BML 13681 D, 13682 A, B ZusFr Niegel CDU/CSU 13682 A ZusFr Kiechle CDU/CSU 13682 B EG-Verhandlungen mit Island über Fischereirechte innerhalb der 200-Meilen-Zone unter Berücksichtigung von britischen Interessen MdlAnfr A23 31.10.75 Drs 07/4242 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Logemann BML 13682 C, 13683 A, B ZusFr Eigen CDU/CSU . . . . . . . 13683 A, B Einsatz der Bundesregierung für eine Kostenbeteiligung auch der deutschen Milcherzeuger im EG-Ministerrat MdlAnfr A24 31.10.75 Drs 07/4242 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Logemann BML . . . 13683 C, D, 13684 A, B ZusFr Eigen CDU/CSU 13683 C, D ZusFr Kiechle CDU/CSU 13684 A, B Einfuhrverbot für Singvögel aus Italien zur Bekämpfung des Vogelmords MdlAnfr A25 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Gruhl CDU/CSU MdlAnfr A26 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Gruhl CDU/CSU Antw PStSekr Logemann BML . . . . 13684 C, D, 13685 A, B, C ZusFr Dr. Gruhl CDU/CSU . 13684 D, 13685 A, B Sicherstellung der Trinkwasserversorgung aus dem Rhein MdlAnfr A27 31.10.75 Drs 07/4242 Josten CDU/CSU MdlAnfr A28 31.10.75 Drs 07/4242 Josten CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Schmude BMI . . . 13685 C, D, 13686 B, C, D ZusFr Josten CDU/CSU . . . . . . 13686 B, C ZusFr Dr. Gruhl CDU/CSU 13686 D Ausdehnung der Maßnahmen gegen die Beschäftigung Radikaler im öffentlichen Dienst auf in öffentlichem Auftrag eingesetzte Busfahrer bei privaten Firmen MdlAnfr A32 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Sperling SPD MdlAnfr A33 31.10.75 Drs 07/4242 Dr. Sperling SPD Antw PStSekr Dr. Schmude BMI . 13687 A, C ZusFr Dr. Sperling SPD . . . . . . 13687 B, C ZusFr Hansen SPD . . . . . . . . . 13687 C Konsequenzen aus den Feststellungen des Bundesrechnungshofs über die Zahl der Dienstwagen in den Bundesverwaltungen MdlAnfr A34 31.10.75 Drs 07/4242 Gansel SPD Antw PStSekr Dr. Schmude BMI . . . 13687 D Nächste Sitzung 13737 C IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13739* A Anlage 2 Verletzung des Persönlichkeitsschutzes durch Angabe des Aktenzeichens und der Namen der Prozeßbeteiligten auf Umschlägen von Briefsendungen der Justizbehörden MdlAnfr A2 19.9.75 Drs 07/4038 Brandt (Grolsheim) SPD ErgSchrAntw PStSekr Dr. de With BMJ . . 13739* B Anlage 3 Verlängerung der Gültigkeitsfristen für Jagdscheine MdlAnfr A20 31.10.75 Drs 07/4242 Wawrzik CDU/CSU SchrAntw PStSekr Logemann BML . . . 13739* C Anlage 4 Pressemeldung über die Errichtung von Atomkraftwerken bei Stockstadt und Kahl und einer Wiederaufbereitungsanlage bei Rieneck MdlAnfr A29 31.10.75 Drs 07/4242 Lambinus SPD MdlAnfr A30 31.10.75 Drs 07/4242 Lambinus SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schmude BMI . . . 13739* D Anlage 5 Strahlengefährdung durch einen in Unterfranken gefundenen Metallzylinder mit radioaktivem Material MdlAnfr A31 31.10.75 Drs 07/4242 Schäfer (Appenweier) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schmude BMI . . . 13740 *B Anlage 6 Aushändigung von Durchschriften ausgefüllter amtlicher Formulare an Bürger als Unterlage über die von ihnen eingereichten Angaben MdlAnfr A35 31.10.75 Drs 07/4242 Gerster (Mainz) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Schmude BMI . . . 13740* C Anlage 7 Unterstützung der Empfehlung 768 des Europarats und der „Deklaration über die Folter° des 5. UN-Kongresses über Verbrechensverhütung und Strafvollzug durch die Bundesregierung MdlAnfr A36 31.10.75 Drs 07/4242 Frau von Bothmer SPD MdlAnfr A37 31.10.75 Drs 07/4242 Frau von Bothmer SPD SchrAntw PStSekr Dr. de With BMJ . . . 13740 *D Anlage 8 Verbesserung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen MdlAnfr A38 31.10.75 Drs 07/4242 Horstmeier CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. de With BMJ . . . 13741* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 13631 199. Sitzung Bonn, den 5. November 1975 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 197. Sitzung, Seite 13 533 A, Zeile 10 ist statt „Drucksache 7/4112" zu lesen: „Drucksache 7/4212" Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 7. 11. Dr. Aigner * 7.11. Alber ** 6. 11. Dr. Artzinger * 7. 11. Baier 7. 11. Behrendt * 7. 11. Dr. Böger 5. 11. Prof. Dr. Burgbacher * 7. 11. Dr. Eppler 7. 11. Fellermaier * 7. 11. Frehsee * 7. 11. Frau Funcke 7. 11. Gerlach (Emsland) * 7. 11. Glombig 7. 11. Graaff 12. 12. von Hassel 5. 11. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 11. Kater 7. 11. Kiep 5. 11. Dr. Kiesinger 7.11. Dr. Köhler (Wolfsburg) 7. 11. Lange * 7. 11. Lautenschlager * 7. 11. Memmel * 7. 11. Müller (Mülheim) * 7. 11. Frau Dr. Orth 28. 11. Pieroth 5.11. Rosenthal 5. 11. Dr. Schulz (Berlin) * 7.11. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 11. Dr. Schwörer * 6. 11. Seefeld ` 7. 11. Sieglerschmidt 7.11. Springorum * 7.11. Suck * 7. 11. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 12. 12. Walkhoff * 7.11. Baron von Wrangel 7.11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Brandt (Grolsheim) (SPD) (Drucksache 7/4038 Frage A 2 187. Sitzung, Seite 13182* Anlage 3) : Durch Ihr Schreiben von 30. September 1975 habe ich erstmals von der Praxis eines Gerichts erfahren, eine zuzustellende Postsendung außer mit der An- Anlagen zum Stenographischen Bericht schrift der Person, an die zugestellt werden soll, der Bezeichnung der absendenden Stelle und der Geschäftsnummer auch mit den Namen der Prozeßparteien zu versehen. Die Praxis des Landgerichts Baden-Baden findet keine Rechtfertigung durch § 211 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Ich stimme Ihrer Auffassung zu, daß entsprechende Vermerke auf den Briefumschlägen für die Feststellung der Identität des zuzustellenden Poststücks nicht erforderlich und im Hinblick auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen nicht unbedenklich sind. Die Bundesregierung hält gesetzgeberische Maßnahmen nicht für erforderlich, da das Problem im Wege der Dienstaufsicht durch den Erlaß von Verwaltungsvorschriften der Länderjustizminister geregelt werden kann. Ich habe veranlaßt, daß die Angelegenheit der Landesjustizverwaltung Baden-Württemberg zur Kenntnis gebracht worden ist. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wawrzik (CDU/CSU) (Drucksache 7/4242 Frage A 20) : Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse der Verringerung von Verwaltungskosten die Gültigkeitsfristen von Jagdscheinen von einem Jahr auf drei oder fünf Jahre zu erweitern? Der Begriff „Jahresjagdschein" ist in § 15 des Bundesjagdgesetzes normiert und wird in anderen Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder entsprechend verwendet. Eine Änderung mit dem Ziel, die Gültigkeitsdauer auf drei oder fünf Jahre zu erweitern, könnte nur vom Gesetzgeber getroffen werden. Gegen eine solche Änderung sprechen aber verschiedene Gründe, so daß eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer nicht tunlich erscheint. Anlage 4 Antwort des Pari. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Lambinus (SPD) (Drucksache 7/4242 Fragen A 29 und 30) : Treffen Presseveröffentlichungen über ein Gutachten der Kernforschungsanstalt Jülich zu, nach welchen in Unterfranken in den nächsten Jahren drei neue Atomanlagen, und zwar bei Stockstadt und Kahl je ein Atomkraftwerk und bei Rieneck eine Wiederaufbereitungsanlage errichtet werden sollen? Trifft es zu, daß die für Rieneck geplante Wiedergewinnungsanlage für Reaktorbrennstoff jährlich 1 500 Tonnen Brennstoff durch Umwandlung von Plutonium für Leichtwasserreaktoren produzieren soll und bisher in der Bundesrepublik Deutschland noch keinerlei Erfahrungen mit dem geplanten Typ der Anlage gesammelt werden konnten? 13740* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 Zu Frage A 29: An dem Forschungsvorhaben „Zukünftige radioaktive Umweltbelastung in der Bundesrepublik Deutschland durch Radionuklide aus kerntechnischen Anlagen im Normalbetrieb" sind Institute der Technischen Hochschule Aachen und der Kernforschungsanlage Jülich beteiligt. In dem den Presseveröffentlichungen zugrunde liegenden 1. Bericht über dieses Vorhaben wird abgeschätzt, wie sich bei einer angenommenen raschen Zunahme des Energiebedarfs und des Einsatzes der Kernenergie die radioaktive Umweltbelastung in der Bundesrepublik im Laufe der nächsten 100 Jahre entwickeln würde. Hierbei wurden den Berechnungen unterschiedliche Annahmen über Art, Anzahl und regionale Verteilung von kerntechnischen Anlagen zugrunde gelegt. Die in den einzelnen Fallstudien enthaltenen Standorte sind somit insgesamt rein hypothetisch. Das gilt auch für die in zwei Abbildungen des Berichts eingezeichneten Kernkraftwerke bei Kahl — neben dem dort bestehenden Versuchskraftwerk —, ebenso für die Prozeßwärmeanlage bei Stockstadt und die Wiederaufarbeitungsanlage bei Rieneck. In einer weiteren Abbildung des Berichts sind an den genannten Standorten keine kerntechnischen Anlagen eingezeichnet. Der Bericht enthält somit weder eine Standortplanung noch gar eine Standortfestlegung. Er soll vielmehr die Möglichkeit eröffnen, bereits heute die voraussichtlichen radiologischen Belastungen durch kerntechnische Anlagen bis weit über das Jahr 2000 hinaus abzuschätzen und ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu beurteilen. Zu Frage A 30: Es trifft nicht zu, daß für den Raum Rieneck eine Wiederaufarbeitungsanlage für Kernbrennstoffe geplant ist. Richtig ist lediglich, daß Wissenschaftler in dem Bericht über das soeben genannte Forschungsvorhaben im Rahmen hypothetischer Annahmen in eine Abbildung im Raume Rieneck eine Wiederaufbereitungsanlage eingezeichnet haben. Diese Abbildung bezieht sich etwa auf das Jahr 2070, denn frühestens in diesem Jahr wird die Stromerzeugung in der Bundesrepublik eine Gesamtleistung von 540 Gigawatt erreichen. In einer zweiten Annahme für das Jahr 2070 haben die Wissenschaftler im Raum Rieneck keine Wiederaufbereitungsanlage eingezeichnet. Von einer entsprechenden Planung für den Raum Rieneck kann also nicht die Rede sein. Zu Ihrer Frage nach den bisher gesammelten Erfahrungen weise ich darauf hin, daß eine kleinere Wiederaufarbeitungsanlage bereits seit einigen Jahren beim Kernforschungszentrum Karlsruhe in Betrieb ist. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schäfer (Appenweier) (SPD) (Drucksache 7/4242 Frage A 31) : Treffen Pressemeldungen zu, nach denen in Unterfranken ein mit radioaktivem Material gefüllter Metallzylinder gefunden wurde, und kann die Bundesregierung mitteilen, ob eine Strahlengefährdung vorhanden war? Bei dem angeblich „radioaktiven Material enthaltenden Metallzylinder", der einer Einheit der US-Streitkräfte im Verlauf des Manövers „Reforger VII am 23. Oktober 1975 abhanden gekommen war, handelt es sich um ein Strahlenmeßgerät. Das Gerät wurde wieder aufgefunden und konnte bereits am 24. Oktober 1975 über die Militärpolizei der betroffenen Einheit unversehrt wieder zugestellt werden. Eine Gefährdung der Bevölkerung war durch diesen Verlust zu keiner Zeit gegeben. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerster (Mainz) (CDU/ CSU) (Drucksache 7/4242 Frage A 35) : Trifft es zu, daß die meisten amtlichen Formulare und Fragebogen den Bürgern, die sie auszufüllen haben, ohne Zweitschrift zugesandt oder ausgehändigt werden, so daß die Bürger entweder sich umständlich Abschriften oder Ablichtungen fertigen müssen oder keine Unterlagen über die eingereichten Angaben behalten (z. B. Anträge für Wohngeld, Ausbildungsförderung u. v. a. m.), und ist die Bundesregierung bereit, entsprechend dem bei Steuererklärungen bereits üblichen Verfahren, in allen Fällen, in denen sie für die Regelung des Verwaltungsverfahrens zuständig ist, die grundsätzliche Aushändigung von Durchschriften oder Zweitschriften an die betroffenen Bürger vorzusehen? Der Bundesregierung ist bekannt, daß es — im Gegensatz zu der Praxis z. B. im Besteuerungsverfahren — in verschiedenen Bereichen der Verwaltung bisher nicht üblich ist, dem Bürger amtliche Formulare und Fragebogen in doppelter Ausfertigung zuzusenden oder auszuhändigen. So werden z. B. nach meinen vorläufigen Feststellungen für Anträge auf Wohngeld und auf Ausbildungsförderung dem Bürger keine Zweitausfertigungen überlassen. Die Bundesregierung hält es durchaus für sachgerecht, dem Bürger Doppelstücke von Formularen und Fragebogen in Fällen zur Verfügung zu stellen, in denen ein Interesse an der Zurückbehaltung eines Doppels zu unterstellen ist. Unter Beteiligung der Länder, die die einschlägigen Bundesgesetze auszuführen und in der Regel deren Kosten ganz oder teilweise zu tragen haben, wird die Bundesregierung prüfen, in welchen Sachbereichen die Aushändigung von doppelten Ausfertigungen amtlicher Formulare und Fragebogen vorgesehen werden kann. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündlichen Fragen der Abgeordneten Frau von Bothmer (SPD) (Drucksache 7/4242 Fragen A 36 und 37) : Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Auslieferung oder Ausweisung nach Ländern, in denen die Folter angewandt oder von den Behörden geduldet wird, Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht, und wird sie demgemäß die Empfehlung 768 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im Ministerkomitee unterstützen? Ist die Bundesregierung bereit, die Deklaration über die Folter des 5. UN-Kongresses über Verbrechensverhütung und Straf- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975 13741* vollzug auf der gegenwärtigen UN-Vollversammlung zu unterstützen und gegebenenfalls die rechtlichen Bindungen der darin enthaltenen Prinzipien zu stärken? Zu Frage A 36: Nach Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten darf niemand „der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden". Nach ständiger Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte kann ein Vertragsstaat der Konvention die Bestimmung des Artikels 3 durch die Auslieferung oder Abschiebung einer Person im Einzelfall verletzen, wenn nach den Umständen ernsthafter Anlaß zur Annahme besteht, daß der von der Auslieferung oder Ausweisung Betroffene in dem Staat, an den er ausgeliefert oder in den er abgeschoben werden soll, Maßnahmen erleiden wird, die durch Artikel 3 der Konvention verboten sind. Dieser Auslegung schließt sich die Bundesregierung an. Die Anwendung dieses Grundsatzes kann allerdings im Einzelfall in Konflikt treten zu internationalen Verpflichtungen, die die Vertragsstaaten der Konvention auf Grund multilateraler oder bilateraler Auslieferungsverträge übernommen haben. Schon im Jahre 1969 ist die sich hieraus ergebende Problematik innerhalb des Europarats erörtert worden. Hinzuweisen ist insbesondere auf den seinerzeit im Europäischen Ausschuß für Strafrechtsfragen beim Europarat veranstalteten Meinungsaustausch über die Anwendung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, bei dem folgender Beschluß gefaßt worden ist: „Selbst wenn bei der Unterzeichnung oder Ratifizierung keine diesbezüglichen Vorbehalte gemacht worden sind, sollte die Auslieferung auf Grund des Europäischen Auslieferungsübereinkommens nicht bewilligt werden, wenn — hinsichtlich der Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention — die Gefahr besteht, daß die Auslieferung zu einer Verletzung der Bestimmungen dieser Konvention durch den ersuchenden Staat führt oder, was die anderen Staaten betrifft, daß die Auslieferung nicht den Grundsätzen entspricht, auf denen die Vorschriften des genannten Übereinkommens beruhen." Über den damals gefaßten Beschluß geht die Empfehlung 768 (1975) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 3. Oktober 1975 hinaus, als sie das Ministerkomitee ersucht, den Europäischen Ausschuß für Strafrechtsfragen damit zu beauftragen, bestehende Auslieferungsverträge mit dem Ziel zu überprüfen, eine Auslieferung an solche Staaten zu verhindern, in denen die Folter praktiziert oder durch deren Regierungen geduldet wird. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese und die anderen in der Empfehlung 768 (1975) behandelten Fragen einer sehr sorgfältigen Prüfung bedürfen. Sie wird darum die Empfehlung im Ministerkomitee unterstützen. Zu Frage A 37: Die Praktizierung der Folter ist nach Auffassung der Bundesregierung verabscheuungswürdig und ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte. Der vom 5. Kongreß der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und Behandlung Straffälliger angenommenen Deklaration zur Folter hat daher die deutsche Delegation auf dem Kongreß zugestimmt. Die Bundesregierung wird diese Deklaration auch im Rahmen der Vollversammlung der Vereinten Nationen unterstützen. Sie ist im übrigen der Auffassung, daß das innerstaatliche deutsche Recht den Anforderungen der Deklaration voll entspricht. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Horstmeier (CDU/ CSU) (Drucksache 7/4242 Frage A 38) : Plant die Bundesregierung eine Änderung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, und welche Verbesserungen sind vorgesehen? Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen sowie des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter, durch den die Entschädigungen verbessert werden sollen, ist am 15. Oktober 1975 von der Bundesregierung beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet worden. Der Entwurf ist als Bundesrats-Drucksache 631/75 erschienen, die ich zu Ihrer Unterrichtung beifüge. Die wichtigsten Verbesserungen für Zeugen und Sachverständige bestehen darin, daß der Höchstbetrag der Entschädigung des Zeugen für Verdienstausfall von 8 DM je Stunde auf 15 DM und der Höchstbetrag für die Regelentschädigung des Sachverständigen von 30 DM je Stunde auf 50 DM heraufgesetzt werden soll. Diese Erhöhungen sind mit Rücksicht darauf erforderlich, daß die letzte Erhöhung im Jahre 1969 vorgenommen wurde und die Einkommen inzwischen erheblich gestiegen sind.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Prassler hat am 3. November 1975 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Als sein Nachfolger ist am gleichen Tage der Abgeordnete Schetter in den Deutschen Bundestag eingetreten. Ich begrüße den neuen Kollegen recht herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit in unserem Hause.

(Beifall)

Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 22. Oktober 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung (EWG) des Rates zur Aufrechterhaltung der Eilmaßnahmen für die Einfuhr gewisser Textilerzeugnisse mit Ursprung in der Republik Korea (Drucksache 7/4034)
Ich rufe nunmehr die Punkte 2 bis 4 der heutigen Tagesordnung auf:
2. a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976 (Haushaltsgesetz 1976)

— Drucksache 7/4100 —
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1975 bis 1979
— Drucksache 7/4101 —
3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (Haushaltsstrukturgesetz — HStruktG)

— Drucksachen 7/4127, 7/4193 —
Bericht und Antrag des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksachen 7/4224, 7/4243 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Bülow Abgeordneter Schröder (Lüneburg) (Erste Beratung 192. Sitzung)
4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer- und Gewerbesteuergesetzes (Steueränderungsgesetz 1975)

— Drucksache 7/3667 —
Wir haben zu diesen Punkten eine verbundene Debatte. Die Fraktionen haben mir aber mitgeteilt, daß heute schwerpunktmäßig die Punkte 2 a und 2 b behandelt werden sollen; die Abstimmung über das Haushaltsstrukturgesetz werde erst morgen erfolgen.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß mit einer Redezeit von 90 Minuten.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0719900100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Bundesfinanzministers aus Anlaß der Einbringung des Haushalts 1976 und der mehrjährigen Finanzplanung bis 1979 hat mehr verschwiegen als ausgedrückt. Sie hat mehr an Unrichtigkeiten gebracht als an Wahrheiten ausgesprochen. Das ist für denjenigen, der lesen kann und lesen will, der heute mehr oder minder einheitliche Tenor der Würdigung in der Tagespresse und in der wirtschaftlichen Fachpresse.
Es ist hier noch kaum eine Rede von dieser Stelle gehalten worden, schon gar nicht von irgendeinem der ehemaligen Bundesminister der Finanzen — die sich ja bekanntlich auf vier Parteien verteilen, wobei der Verschleiß seit 1969 wesentlich größer war als in den vorangegangenen 20 Jahren —,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

die sich im gleichen Maße durch mangelnde Einsicht, durch Unehrlichkeit und Unsolidität, aber auch durch Unsicherheit und Ratlosigkeit, fast Hilflosigkeit, auszeichnete wie die gestrige Rede des Bundesministers der Finanzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das einzige, was an dieser Rede hervorzuheben wäre, ist nichts Lobenswertes; es sind die schlecht verhüllten Drohungen, daß als Folge der Politik der SPD /FDP-Koalition immer mehr Bürger in naher Zukunft in noch stärkerem Maße zur Kasse gebeten werden und daß bisher gewährte Leistungen, die



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jetzt als „Privilegien", früher als „höhere Lebensqualität" angekündigt wurden, abgebaut werden sollen,

(Wehner [SPD] : Gratifikationen, wissen Sie!)

ohne daß gesagt wird, was geschehen soll. Ich darf hier auf die Ausführungen unter Teilzeichen 17 des gestern verteilten Redemanuskripts hinweisen, die man ja mit dem Delphischen Orakel nur deshalb nicht vergleichen kann, weil das Delphische Orakel in der sprachlichen Formulierung ohne Zweifel gewandter war.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Die Rede enthielt nicht den geringsten Ansatz für ein Konzept, wie wirtschaftlicher Rückgang, Arbeitslosigkeit und Finanzkrise dauerhaft behoben werden sollen. Ich unterstreiche hier das Wort „dauerhaft". Sie verrät die völlige Unkenntnis oder die mangelnde Bereitschaft zur Einsicht der wirklichen Gründe der jetztigen Wirtschaftskrise, der wirklichen Gründe für die Zerrüttung der Staatsfinanzen. Es fehlt völlig an dem Willen und an der Bereitschaft zur Einsicht in die grundlegenden Fehler der Regierungen Brandt und Schmidt. Bezeichnend ist die beharrliche Weigerung, das Grundkonzept zu ändern, nämlich Schluß zu machen mit dem Unfug, die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft bis zur bitteren Neige zu erproben, Schluß zu machen mit dem Unfug, den arbeitenden Menschen durch Steuern und Zwangsabgaben einen immer größer werdenden Teil der privaten Einkommen abzunehmen.
Mit Amtsantritt des Bundeskanzlers Willy Brandt, in dessen Kontinuität sein Nachfolger steht —

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

und zwar nicht wider Willen, sondern auch frei gewählt, mitverschuldet und von Anfang an mit herbeigeführt —, wurde die Solidität in der deutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik aufgegeben.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Dafür wurde eine Sprache der Verheißung eingeführt: „Höhere Lebensqualität", „immer mehr Reformen", „das moderne Deutschland". Zur propagandistischen Abschirmung wurde seinerzeit die Formel von der öffentlichen Armut und dem privaten Reichtum vorgeführt. Das Motto hieß: „Jetzt wird alles besser". Ein sozialdemokratisches Paradies auf Erden mit liberalem Pavillon wurde in Aussicht gestellt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Dafür wurde ein rosiger Zukunftshimmel gemalt, beinahe wie im Barocktheater. Natürlich mußte in Kontrastfarben die düstere Vergangenheit der Regierungen, die von CDU/CSU geführt waren, gebührend unterstrichen werden.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Dazu braucht man nur Kiesinger zu zitieren! — Zurufe von der CDU/CSU: Ist Herr Ehrenberg auch wieder da?)

In unserem Volke wurde eine Inflation der Versprechungen eingeleitet. Mit ihr kam die Inflation der Erwartungen, mit ihr die Inflation der Ansprüche,
die Inflation der Forderungen und dann die Inflation des Geldes.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)

— Die Inflation der Schulden ist eine selbstverständliche Begleiterscheinung — wenn Sie meinen, daß ich das Wort „Inflation" in diesem Zusammenhang noch erwähnen sollte.
Der heutige Bundeskanzler hat die Ursache für das, was die wirklichen Gründe unserer Krise sind, vor wenigen Tagen ja genannt. Er hat nur seine Urheberschaft verschwiegen, wie er es häufig bei solchen Anlässen zu tun pflegt.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Diskret!)

Den Porzellanladen zertrampeln und dann über die Elefanten schimpfen — als ob er nicht der Hauptelefant gewesen wäre!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Helmut Schmidt sagte auf dem DAG-Bundeskongreß in Wiesbaden am 14. Oktober:
Verbraucht und investiert werden können zusammen nur 100 % des Bruttosozialprodukts, und alle Versuche in sämtlichen Staaten der Welt seit Christi Geburt, mehr als 100% des Sozialproduktes zu verteilen, führen alle in die Inflation — in jedem System der Welt.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Späte Erkenntnis!)

Das sind Binsenweisheiten.
Er fügte hinzu:
Ich sehe, daß einige grinsen,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

daß sich der Bundeskanzler erfrecht, solche Binsenweisheiten auszusprechen. Aber es ist ganz gut, sich das in Erinnerung zu rufen, besonders wenn man heute doch schon spürt oder immer noch spürt, wie einige meinen, hoffentlich ginge es nun bald wieder los mit der allgemeinen Inflation der Ansprüche.
Vernichtender kann man den total verfehlten Grundansatz, die total verfehlte Grundkonzeption der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierungen Brandt und Schmidt nicht kennzeichnen als mit dieser Binsenweisheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was — —

(Wehner — Es kommt noch vieles, Herr Wehner. Beruhigen Sie sich! Sie als einer der Hauptschuldigen sollten aber eigentlich nicht so grinsen, wenn ich die Weisheiten Ihres Bundeskanzlers hier verkünde. (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Schönen Dank! Da habe ich Ihnen eine Brücke gebaut!)

Man hat der Öffentlichkeit vom Herbst 1969 an vorgegaukelt — um nicht zu sagen: vorgeschwin-



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Belt, —, man könnte mehr verteilen, als erarbeitet wird. Der Versuch, mehr zu verteilen, als erarbeitet wird, führt immer zur Inflation; denn die Quote der Verteilung, die über den 100 % liegt, ist regelmäßig, zumindest über den Durchschnitt einiger Jahre hinweg, identisch mit der Entwertung des Geldes, mit der Inflationsrate.
Wenn Sie fragen: Was waren denn die Fehler, die gemacht worden sind? Ich will nur zum Teil über die Vergangenheit reden, aber auf das Spiel lassen wir uns auch nicht ein, daß die Vergangenheit mit ihren schwerwiegenden Fehlern und Versäumnissen immer geleugnet werden soll, die Gegenwart als unvermeidliche Tatsache, ja als das Ergebnis des Komplottes finsterer Kräfte des Inlands oder Auslands hingestellt wird, deren schuldloses, harmloses Opfer die Bundesregierung geworden sei, und daß man von da aus jetzt gemeinsam die Verantwortung tragen soll, wenn das Kind ins Wasser gefallen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was hat eigentlich die Regierungen Brandt und Schmidt bewogen, im Jahre 1969/70 den Kampf um die Vollbeschäftigung zu führen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Als ob es damals ein Problem Vollbeschäftigung gegeben hätte!

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Reine Täuschung war das!)

Man hat die Inflation damals geradezu als Mittel der Vollbeschäftigung, als unvermeidliches Übel zur Erhaltung der Vollbeschäftigung gekennzeichnet. Man hat sinngemäß gesagt: Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit.
Nun, Helmut Schmidt sagte am 28. Juli 1972:
Minister haben immer die Aufgabe, die Wahrheit zu sagen und nicht unter dem Deckmantel der Pädagogik Märchen aufzutischen.

(Demonstrativer Beifall und Lachen bei der CDU/CSU)

O wenn doch sein Amtsnachfolger das gelesen und beherzigt hätte! Er hätte dabei nicht zu prüfen brauchen, ob der Lehrer es wirklich selbst so gehalten hat. Er hätte sich nur an den Text halten sollen, den der andere so mannhaft ausgesprochen hat.
Ich weiß, daß es bei einem bestimmten Anlaß gesagt worden ist; aber wenn der Finanzminister vor kurzem sagte:
Ich kämpfe manchmal unfair für den Erhalt der Macht meiner politischen Gruppe, weil ich davon überzeugt bin, daß das für unser Land gut ist. Ich sage nicht immer die Wahrheit.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

dann hat er gestern sicherlich nicht an den Bundeskanzler mit der vorher von mir zitierten Äußerung gedacht, sondern an seine bei einer anderen Gelegenheit erst jüngst aufgestellten Maxime.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es war doch der Bundeskanzler, der damals als Wirtschafts- und Finanzminister sagte:
Wir können uns weder 6 Millionen noch können wir uns 3 Millionen Arbeitslose leisten. Wir wollen auch nicht 600 000, wir wollen auch nicht 500 000 Arbeitslose haben. Auch das können wir uns aus Gerechtigkeitsgründen, aus sozialen und auch auch politischen Gründen nicht leisten.
Dazu Helmut Schmidt,

(Wehner [SPD] : Immer wieder Helmut Schmidt!)

erst im Herbst 1974:
Mein im Mai 1972 geprägtes Wort, wonach 5 % Preissteigerungen schlecht, aber eher zu ertragen sind als 5 % Arbeitslosigkeit, war richtig.
Jetzt hat er ja doch als Folge des einen das andere bekommen, obwohl er von der Alternative sprach, wobei nur entweder eine große Unkenntnis oder eine Irreführung gegeben sein konnte. Er meinte, das sei nicht nur für 1972 richtig, sondern auch für 1975 sei das ein absolut notwendiger Maßstab.
Wir haben am Ende der Talsohle 6 % Inflation — ich werde darauf noch zu sprechen kommen —, und wir haben über das Jahr hinweg rund 5 % Arbeitslosigkeit. Genau das, was er selbst jahrelang als Konkurs einer Politik bezeichnet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir messen diese Regierung nicht an Unmöglichkeiten, die wir ihr zumuten. Wir messen sie an ihren Taten oder noch richtiger: Wir messen sie an den von ihr selbst gesetzten Maßstäben, nur an den von ihr selbst gesetzten Maßstäben.

(Stücklen [CDU/CSU]: Ins Gefängnis wollte er uns setzen!)

Stabilität, so sagte er, sei so ein Modewort. Weiter:
Die Besorgnis um die Stabilität bedrängt mich persönlich nicht so sehr wie andere.
Das sind doch — ich sage es ohne Emotion — bodenloser Leichtsinn, abgrundtiefe Unwahrheiten und üble Verleumdungen, mit denen man operiert hat.
Wenn Sie mich fragen „Warum?" : War es nicht jahrelang das Verleumdungsinstrumentarium namhafter Mitglieder der Bundesregierung und der Politiker der Koalition, die CDU/CSU zu verdächtigen, daß sie mit ihrer Forderung nach Stabilität die Arbeitslosigkeit als gewolltes Ziel herbeiführen wolle?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Hat man nicht sogar im Bremer Wahlkampf — wenn ich das nur als Fußnote sagen darf; Herr Kollege Müller-Hermann, Sie wissen es — —

(Wehner [SPD] : Das kann man sagen!)

— Mit dem Wahlbetrug werden Sie einige Male, aber nicht immer durchkommen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

Auch wenn Sie meinen, gelernt ist gelernt — das hilft nicht immer.
Auch im Bremer Wahlkampf wurde noch ein in meinem Interview mit „Capital" gebrachtes, aber



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dann später als Fehler der Zeitung zurückgezogenes
Zitat verwendet, in dem ich gesagt haben soll, 2 bis
3 °/o Arbeitslosigkeit seien noch Vollbeschäftigung.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Und wie war das damals bei Ihnen mit der Gnade der Angst?)

— In der Gnade der Angst leben Sie heute, und wenn Sie davon Gebrauch machten, würden Sie die Strukturkrise unserer Wirtschaft und unserer Finanzen beseitigen. Das ist die Gnade der Angst.

(Beifall bei der CDU/CSU —Zurufe von der SPD)

Es ist einfach eine Verleumdung, zu behaupten, daß wir eine Rezession gewollt oder jemals die Arbeitslosigkeit als ein Mittel der Disziplinierung der Arbeitnehmer oder als ein Mittel der Konjunkturpolitik eingeplant haben.

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Wer das sagt, ist ein Lügner und Verleumder!

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Soll ich Ihnen das Zitat des Herrn Apel verlesen, in dem er selbst sagt, daß die Arbeitslosigkeit nun einmal leider als Mittel der Stabilitätspolitik nicht ganz zu vermeiden sei?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Wir haben es ihm nicht um die Ohren gehauen, weil wir ihm wenigstens zubilligen wollten, daß er den Ansatz für eine richtige Beurteilung der wahren Ursachen der heutigen Krise hatte. Aber beim Ansatz ist es geblieben.
Der Bundeskanzler sagte am 27. Mai 1974:
Die Regierung der sozialliberalen Koalition ist ein Garant dafür, daß es keine Massenarbeitslosigkeit geben wird. Wir werden immer rechtzeitig dagegenhalten, wie wir es durch unsere konjunkturpolitischen Beschlüsse im Dezember des vorigen und im Februar dieses Jahres bewiesen haben; denn bei uns gibt es keine An-hanger einer gewollten Rezession, wie sie bei der CDU/CSU auch heute schon wieder zu finden sind.

(Beifall bei der SPD — Pfui! bei der CDU/ CSU)

So Helmut Schmidt bei einer Großkundgebung der SPD in Hannover.
Da muß ich fragen: Haben Sie die heutige Rezession gewollt, oder haben Sie sie aus Unfähigkeit ins Land geholt?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das waren doch die Reizworte, mit denen man das gesellschaftspolitische oder allgemeinpolitische Klima in unserem Lande vergiftet hat. Man hat der Opposition vorgeworfen, sie habe die Rezession gewollt, sie plane Arbeitslosigkeit als Mittel der Konjunkturpolitik. Und dann kam selbstverständlich das Wort von der „sozialen Demontage".

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Genau!)

Wir werden uns über dieses Wort noch unterhalten müssen. Das sollte niemand einem anderen vorwerfen.
Aber eines müssen Sie auch als Wahrheit, Sie können auch sagen: als Binsenwahrheit, anerkennen — nicht grinsen bitte, „wenn ich mich erfreche", wenn ich so etwas sage; ich zitiere nur Ihren Mann Nummer Eins, Ihren derzeitigen jedenfalls —:

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Noch!)

Wer eine Rezession herbeiführt, betreibt eine Demontage unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, und wer unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit demontiert, der demontiert auch das Netz der sozialen Sicherung und unsere soziale Leistungsfähigkeit. Das ist der wirkliche Zusammenhang.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Regierung hat doch über Jahre hinweg nichts versäumt, was zum Verlust der Stabilität erforderlich war, d. h. sie hat alles getan, was zum Verlust der Stabilität führen mußte. Sie hat für die Vollbeschäftigung gekämpft, als es das Problem nicht gab. Sie hat zuerst die Inflation geleugnet, dann verharmlost und dann der staunenden Öffentlichkeit als notwendiges Mittel zur Erhaltung der Vollbeschäftigung angepriesen. Sie hat die Mahnungen zur Stabilität als eine Politik der gewollten Arbeitslosigkeit denunziert und diffamiert. Und heute sagt der Bundeskanzler doch, daß genau die Politik, die er selber mitbegründet, mitgetragen, in entscheidenden Stellen mitverantwortet und miterzwungen hat, die Ursache für die Inflation und ihre Folgen sei. Wir wollen doch einmal aus dem gespenstischen Spiel der verwirrenden Begriffe und der phraseologischen Irreführungen wieder zu bestimmten Grundtatsachen zurückkommen.
Die Regierung hat nichts versäumt, was zum Verlust der Stabilität erforderlich war. Dazu gehörte auch die Aufblähung der öffentlichen Haushalte. Sind denn nicht die Finanzminister Möller und Schiller deswegen zurückgetreten? Man hat doch damals versucht, Herrn Möller krank zu schreiben. Es hieß, er sei seinem Amt nicht mehr gewachsen. Ich bin der Überzeugung, daß er damals genauso gesund war wie heute; und beides freut uns.

(Beifall bei der CDU/CSU)

War denn Herr Schiller nicht etwa das Paradepferd der SPD, mit dem sie ein paar Randprozente bei den Wahlen 1969 gewonnen hat? Warum sind denn gerade die beiden gegangen? Nachfolger Helmut Schmidt — Nachfolger Hans Apel! Ich möchte mich hier über die Sinus- oder Kosinustheorie nicht unterhalten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Die Aufblähung der öffentlichen Haushalte ist eine der wesentlichen Ursachen für die Krise unserer Wirtschaft und für die Zerrüttung der Staatsfinanzen,
Damit darf ich hier auch noch etwas Grundsätzliches sagen. Es ist eben nicht alles machbar, wie von seiten der Heilspropheten vom Herbst 1969 an der Öffentlichkeit vorgegaukelt wurde. Die Gren-



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zen des Machbaren hat nicht die böse CDU/CSU zum Nachteil des Volkes gezogen, wie man die Öffentlichkeit aufklären wollte, sondern der Sachzwang. Zahlen kann man nicht kommandieren, wie man mit Mitarbeitern umspringen kann, Herr Bundeskanzler. Zahlen lassen sich nicht kommandieren. Einmal kommt die Stunde der Wahrheit.
Was gestern war, war der Bankrotterklärung erster Teil. Es war die erste Stunde der Wahrheit, aber noch lange nicht die letzte. Die wirkliche Ursache der Zerrüttung der Staatsfinanzen, von der wir im Zusammenhang mit der Haushalts- und Finanzplanung wohl reden dürfen, ist nicht der Rückgang der Auslandsnachfrage, sondern ein falsches Grundkonzept.

(Dr. Ehrenberg [SPD]: Ja!)

— Ja, ich werde Ihnen dafür den Beweis heute nicht schuldig bleiben; verlassen Sie sich darauf!

(Wehner [SPD]: Heute!)

— Ja, heute oder wann auch immer Sie wollen. Das hängt von Ihrer Aufnahmefähigkeit, nicht von meiner Wiedergabefähigkeit ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich haben wir mit dem Bildungs- und dem Sozialstaat gewisse Grenzen überschritten. Wir haben die Grenzen nicht nur erreicht, wir haben sie überschritten.
Wenn jemand sagt, das sei wohl wieder eine Andeutung der sozialen Demontage,

(Zuruf von der SPD: Was denn sonst?)

dann möchte ich auf etwas Interessantes verweisen. Einer der Großverbraucher der Bundesregierung, der Arbeitsminister Walter Arendt, hat sich nämlich ausgerechnet vor Herrenschneidern in Köln das Eingeständnis abgerungen, daß in der Bundesrepublik die Grenze der Belastbarkeit der Einkommen erreicht sei.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Ausgerechnet vor Herrenschneidern! Die erzeugen ja Produkte, die nach Meinung des Herrn Eppler demnächst der Luxussteuer unterliegen sollen. Wesentliches Mittel zur Sanierung der öffentlichen Haushalte: Besteuerung der Maßanzüge!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Arendts Hinweis, daß der in den vergangenen Jahren gewucherte sozialpolitische Wildwuchs notwendigerweise wohl beschnitten werden müsse — so heißt es in einer Meldung —, ist in unserem Lande von einem Spitzenpolitiker mit dieser Deutlichkeit noch nicht ausgesprochen worden.

(Dr. Ehrenberg [SPD) : Das steht wohl im

Bulletin für Herrenschneider?)
Darüber hätte Herr Apel hier reden sollen. Es wäre die Aufgabe des Finanzministers gewesen, über diesen Sektor erschöpfende Auskunft zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was ist denn der gewucherte sozialpolitische Wildwuchs, von dem die Rede ist? Hier ist doch eine
Andeutung, wenigstens eine Anspielung gemacht, I was selbst Herr Arendt zugeben muß. Ich möchte mir über seine Mitwirkung am Zustandekommen des Wildwuchses hier kein Detailurteil erlauben.
Aber die wirkliche Zerrüttung der Staatsfinanzen geht nicht auf den Rückgang der Auslandsnachfrage, sondern auf ein ganz falsches Grundkonzept zurück. Man muß die Staatsausgaben am Möglichen messen und nicht am Utopischen oder am Nirwana der Versprechungen orientieren. Man hat doch die Grenzen der Belastbarkeit erprobt und zum Teil überschritten. Man hat doch die Zumutbarkeit der Abzüge vom Individualeinkommen für immer größere Bevölkerungskreise immer stärker ausgedehnt. Man hat Belastbarkeit und Zumutbarkeit überschätzt und zum Teil überzogen. Dazu — das hat das Übel noch vermehrt — kamen optimistische, ja illusorische Erwartungen über den Wirtschaftsverlauf. Man hat die optimal denkbaren Daten, die nur bei vernünftiger Wirtschafts- und rationaler Finanzpolitik vielleicht hätten erreicht werden können, als sichere Tatsachen zugrunde gelegt und darauf das ganze Gebäude der Versprechungen, der Hirngespinste und der gesamten Zukunftskonstruktionen errichtet, das jetzt von der Bundesregierung lautlos mit den Worten „Wildwuchs muß beschnitten werden!" allmählich wieder demontiert werden muß. Wenn das nicht eine Bankrotterklärung ist, dann weiß ich nicht mehr, was „Bankrott" in der Politik eigentlich heißt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man hat die Finanzierungsspielräume phantastisch überschätzt. Man hat einfach angefangen zu finanzieren. Wollen Sie leugnen, Herr Bundesfinanzminister, daß der soziale Wohnungsbau in diesen Jahren unsolide finanziert worden ist? Wollen Sie leugnen, daß wir heute zur Sanierung des bereits durchgeführten sozialen Wohnungsbaues eine Nachfinanzierung von 6 bis 7 Milliarden DM bräuchten, die wir natürlich nicht haben? Wollen Sie leugnen, daß das Krankenhausfinanzierungsgesetz eines der schlampigsten und liederlichsten Gesetze ist, die jemals von einer Gesetzgebungsmaschine der Bundesregierung ersonnen worden sind?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte Sie auch von einem Aberglauben befreien, der durch häufige Wiederholung nicht um ein Jota richtiger wird, nämlich von der Behauptung, daß ja die Länder — die CDU/CSU-regierten genauso wie die SPD-regierten Länder — durch ihre Ausdehnung der öffentlichen Haushalte die Unvermeidbarkeit bewiesen hätten. Das ist einfach eine Unwahrheit. Das darf ein Bundesfinanzminister nicht sagen; denn 80 % der Haushalte der Länder sind nichts anderes als Funktionen der Bundespolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Die weiteren 20 % sind nichts anderes als die Folgen der vom Bund und seiner Politik erweckten Erwartungen, die man in den Ländern natürlich, um sich nicht unnötige politische Angriffe zuzuziehen, möglichst rechtfertigen wollte. Der Bund ist ,der



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Konzertmeister im Konzert der Finanzen. Wenn der Bund falsch spielt, dann werden die Länder automatisch in die falsche Melodie mit einbezogen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie unrichtig Sie, Herr Apel, die Dinge dargestellt haben, will ich im folgenden beweisen. Es gibt keine Vorschrift im Grundgesetz — das Gegenteil haben Sie gestern behauptet —, die den Ländern ein allgemeines Zustimmungsrecht zu Gesetzen einräumt, die sie belasten. Es stimmt einfach nicht, was Sie gesagt haben. Lediglich bei sogenannten Geldleistungsgesetzen — das sind bisher nicht mehr als zehn in der Geschichte der Bundesrepublik — haben die Länder ein Zustimmungsrecht, wenn sie mit einem Viertel der Kosten oder mehr belastet werden. Es gibt aber zahlreiche Bundesgesetze, die keine Geldleistungsgesetze sind und die sich trotzdem automatisch auf die Haushalte der Länder auf einer Reihe von Gebieten schwerwiegend auswirken. Suchen Sie doch nicht immer das Feigenblatt des Verhaltens der Länder für Ihr eigenes Fehlverhalten!

(Zuruf von der CDU/CSU: Unfähigkeit!)

Sagen Sie doch, daß der Bund die Fehler gemacht hat und daß die Länder und Gemeinden die Opfer dieser Bundespolitik geworden sind, aber nicht umgekehrt!

(Beifall bei der CDU/CSU — Schmidt [Hamburg] [SPD] : Das jüngste Opfer ist Bayern?!)

Die jetzigen riesigen Haushaltsdefizite sind nach den Untersuchungen des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium nur zur Hälfte konjunkturbedingt; zur anderen Hälfte sind sie aber strukturbedingt. So heißt es in diesem Gutachten. Wenn man das in eine für die Allgemeinheit verständlichere Sprache übersetzen soll, dann heißt dies, daß der wirtschaftliche Rückschlag, der ja auch nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen ist, wie eine überirdische Kraft, die auf Erden auf einmal hereingebrochen ist, sondern den diese Bundesregierung entscheidend mitverursacht und mitverschuldet hat, nicht allein schuldig ist, sondern daß die öffentlichen Haushalte auch ohne diesen wirtschaftlichen Rückschlag auf Grund der Gesamtanlage der Bundespolitik eine Aufblähung erlebt hätten, die auch bei gutem Konjunkturverlauf auf die Dauer unerträglich gewesen wäre und zur Zerrüttung der Staatsfinanzen hätte führen müssen.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Richtig!)

Das heißt „konjunkturbedingt" und „strukturbedingt". Wer heute behauptet, auch am strukturellen Defizit sei das Ausland schuld, es sei nur die Folge einer weltweiten Rezession, der macht sich einfach lächerlich; denn schon beim Export fällt ja keine Umsatzsteuer an.
Aber es ist trotzdem interessant, zu sehen, was die Bundesregierung auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates — dieser Wissenschaftliche Beirat hat ihr gehörig die Meinung gesagt — zu antworten wußte. Das ist wirklich ein Beitrag, der von Karl Valentin stammen könnte.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Das Bundesministerium der Finanzen „dankt" zunächst einmal dem finanzwissenschaftlichen Beirat für die Erstellung des Gutachtens. Dann heißt es: Das Bundesministerium der Finanzen „begrüßt" die Aussagen.


(Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Danach:
Die Bundesregierung hat wiederholt darauf hingewiesen, daß im Zusammenhang mit einer Normalisierung der gesamtwirtschaftlichen Lage das strukturelle Finanzierungsdefizit aller öffentlichen Haushalte mit dem Ziel einer deutlichen Begrenzung geprüft werden muß.
Ja, wann fangen Sie denn mit der Prüfung an, und wann wollen Sie mit der Prüfung aufhören, wenn Sie jetzt mitten in diesem Defizit sind? Auch in diesem Punkt sei das Gutachten des Beirates „eindeutig zu begrüßen". Dann heißt es:
Die vom Beirat in diesem Zusammenhang diskutierten Maßnahmen auf der Ausgaben- und Einnahmenseite verdienen Beachtung.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Eine so profunde Stellungnahme habe ich noch selten gelesen. Sie entspricht aber dem tiefschürfenden Erkenntnisgehalt der Rede von gestern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann kommt die Feststellung — 16. August 1975! —:
Das Bundesministerium der Finanzen bekräftigt die von der Bundesregierung wiederholt geäußerte Auffassung, daß angesichts der rezessiven Phase der wirtschaftlichen Entwicklung Steuererhöhungen nicht in Frage kommen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) — 16. August! —

Im übrigen wird die Meinung des Beirats geteilt, daß Maßnahmen auf der Ausgabenseite für die notwendige deutliche Begrenzung des mittelfristigen Finanzierungsdefizits im Prinzip Vorrang genießen sollten.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Radio Eriwan!)

Wir wissen — die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern des Finanzministeriums —, daß der Beirat ursprünglich die Ausgabenseite allein heranziehen wollte, dann aber durch massive Bearbeitung von seiten des Bundesfinanzministeriums zu einer etwas milderen Formulierung veranlaßt worden ist.
Aber am 16. August schreiben Sie: Die rezessive Phase erlaubt keine Steuererhöhung.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das waren die „dummen Witze" !)

Ist denn nicht die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung das gleiche wie eine Steuererhöhung? Hat denn nicht jede Steuererhöhung eine Vorauswirkung, einen Ankündigungseffekt? Wenn Sie heute in unsolider Weise den Gesetzgeber des Jahres 1976 nach den Bundestagswahlen und die von ihm zu bildende Regierung mit



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Steuererhöhungen ab 1. Januar 1977 — Mehrwertsteuer, Branntweinsteuer, Tabaksteuer — schon vorweg belasten, hat diese Erhöhung nicht einen Ankündigungseffekt, der sowohl inflationsfördernd wirkt als sich auch psychologisch negativ auswirkt? Und das wird im selben Monat beschlossen, in dem es so schön heißt:
Das Bundesministerium der Finanzen bekräftigt die von der Bundesregierung wiederholt geäußerte Auffassung, daß angesichts der rezessiven Phase der wirtschaftlichen Entwicklung Steuererhöhungen nicht in Frage kommen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich möchte Ihnen zur Frage, ob die Zerrüttung der Staatsfinanzen strukturell oder konjunkturell bedingt ist, ganz einfach sagen: Die Krise und die Zerrüttung der Staatsfinanzen sind durch den wirtschaftlichen Rückschlag beschleunigt und verstärkt, aber nicht herbeigeführt worden, und der wirtschaftliche Rückschlag ist von der Bundesregierung und ihrer Politik herbeigeführt worden.
Und, was Sie auch nicht leugnen können

(Zurufe von der SPD)

— nun, Sie bestreiten ja wahrscheinlich alles; es ist immer das Recht der Toren gewesen, so etwas zu tun —

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung ist nicht nur nicht das Opfer einer importierten Krise — wobei sie die Schuld an der Krise exportieren will; insoweit ist Helmut Schmidt der größte Exporteur der Welt —,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

sondern das Nachlassen, das Absinken der Inlandsnachfrage seit Mitte 1973 — lange bevor ein Nachlassen der Auslandsnachfrage überhaupt spürbar wurde —, beginnend im Spätsommer 1973, sich verstärkt fortsetzend im Jahre 1974, als wir noch einen Exportüberschuß von 40 Milliarden DM hatten

(Zuruf von der SPD: 56 Milliarden!)

— von 56 Milliarden DM, wenn man die Dienstleistungen nicht einbezieht —, dieses Nachlassen der Inlandsnachfrage vom Sommer 1973 an hat doch wesentlich dazu beigetragen, daß im Ausland ebenfalls die rezessiven Faktoren verschärft worden sind.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Natürlich!)

Der Rückgang der Binnenkaufkraft und der Binnennachfrage hat auch dazu geführt, daß wir Krise exportiert haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Man kann doch nicht immer behaupten, wir mit unserem großen Anteil an der weltwirtschaftlichen Verflechtung, auf die man sich immer als Alibi beruft, seien unschuldig, wenn bei den anderen krisenhafte Erscheinungen eintreten. Wer die Stärke der deutschen Stellung im internationalen Geflecht der Weltwirtschaft, im Geflecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herausstellt, kann doch nicht leugnen, daß eine falsche Konjunkturpolitik in der

( sondern auch ihre Handelspartner trifft. Auch das ist eine Binsenweisheit. (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner Wenigstens eine neue Masche! — Weiterer Zuruf von der SPD: Glauben Sie das eigentlich selbst?)

— Ja, ich glaube es selbst, weil ich denken kann, und das unterscheidet uns beide.

(Beifall bei der CDU/CSU — Weitere Zurufe von der SPD)

Die Regierung begann mit der Inflationsbekämpfung zu spät und einseitig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schuldenmacher!)

Sie hat nämlich die Inflationsbekämpfung beim Kampf gegen die privaten Investitionen angesetzt. Den Verbrauch brauchte sie nicht mehr zu drosseln, weil die in der Zwischenzeit gestiegenen Verbraucherpreise automatisch zu einem Rückgang des privaten Verbrauchs geführt haben. Aber der Staatsverbrauch ist trotz angeblicher Inflationsbekämpfung munter weiter gestiegen,

(Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es!)

und damit ist ein wesentlicher Inflationsmotor in voller Wirkung erhalten worden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Jetzt sagen Sie ja nicht, wir die Opposition, hätten nicht gemahnt, hätten nicht gewarnt und hätten keine Alternativen angeboten. Und damit will ich die zweite große Lüge — die Lebenslüge, von der anscheinend viele ihre geistige Existenz bestreiten wollen — hier einmal sehr deutlich auf den Tisch legen.
Schon im Jahre 1970 haben wir bei den Konjunkturdebatten — im Frühsommer und Sommer jenes Jahres — damit begonnen, zu mahnen und zu warnen. Wir haben gesagt: Das führt zur Inflation; Inflation führt zur Rezession. Erinnern Sie sich noch an die Debatte vom 19. Juni 1970? Da habe ich wörtlich diesen Satz ausgesprochen: Ihre Politik führt in die Inflation, und aus der Inflation wird die Rezession. Da sollten Sie sich der Zurufe schämen, die man damals — genauso, wie es heute wieder ist — gemacht hat!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Haben Sie denn nicht auch damals vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 1970 diesen Wählerbetrug gemacht?

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Wie 1975!)

Haben nicht wir als Opposition unsere Aufgabe, die Regierung verantwortungsbewußt auf die Finger zu schauen, so wahrgenommen, daß wir fast Regierungsfunktion übernommen haben, als wir den von der Regierung versprochenen Steuersenkungen für den 1. Januar 1970 und dann für den Juli 1970 widersprochen haben und deshalb bei den Wählern denunziert, diffamiert und verleumdet worden sind? Hat man nicht wenige Tage vor diesen drei Landtagswahlen — Nordrhein-Westfalen, Saarland, Nie-



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dersachsen — im Finanzausschuß die Steuersenkung ab 1. Juli 1970 beschlossen?

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das war in der ersten Junihälfte. In der Woche nach diesen Wahlen hat die Bundesregierung — damals Herr Schiller — beantragt, die Steuersenkungen auf unbestimmte Zeit zurückzuziehen, weil sie mit der Konjunkturlage nicht vereinbar seien und inflationfördernd wirken würden. Stimmt denn das nicht, ist denn das nicht hier erfolgt? Darf denn Wort nicht mehr Wort und Wahrheit nicht mehr Wahrheit sein?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben immer die Bedeutung der privaten und öffentlichen Investitionen unterschätzt. Das notwendige Minimalwachstum der privaten und öffentlichen Investitionen sind 5 % real; ohne 5% reales Wachstum im Durchschnitt der Jahre bleibt das Netz der sozialen Sicherung nicht erhalten, ist der gesetzlich beschlossene Leistungsstand nicht unbeschränkt aufrechtzuerhalten. Das kann man nur unter Ausbeutung der letzten Reserven eine begrenzte Zeit machen. Wir werfen Ihnen ja vor, daß Sie inflationsbedingte Steuereinnahmen für ihre Ausgabenpolitik verwendet haben, statt sie stillzulegen. Wir werfen Ihnen ja vor, daß Sie die Reserven des Staates für Ihre inflationäre und expansive Haushaltspolitik ausgeplündert haben, daß Sie die Reserven der Wirtschaft durch eine überzogene Abgabenbelastung — Steuern und andere Zwangsabgaben — bis an die Neige erprobt haben und daß jetzt, wo wir diese Reserven bräuchten, sie nicht mehr so zur Verfügung stehen, wie sie im Jahre 1969 zur Verfügung gestanden haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bedeutung der privaten und öffentlichen Investitionen wurde entweder nicht erkannt oder aus parteipolitischer und ideologischer Verklemmung mißachtet. Steigende Belastung der Wirtschaft durch Lohnkosten — Lohnnebenkosten haben zum Teil einen Anteil von 60 bis 70 % der Lohnkosten erreicht —, Steuern, andere Zwangsabgaben lähmen doch die Investitionsfähigkeit, und drohende klassenkämpferische Ankündigungen haben zusätzlich die Investitionsbereitschaft psychologisch aufs schwerste in Mitleidenschaft gezogen.

(Haehser [SPD] : Nicht einmal Herr Kohl hört Ihnen zu! — Heiterkeit bei der SPD)

— Ich frage mich nur, ob Ihre Dreistigkeit oder Ihre Ahnungslosigkeit größer ist. Da stehen Sie wahrscheinlich in einem hoffnungslosen Wettlauf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben mit Ihrer Politik diese Zustände herbeigeführt,

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: So ist es!)

und deshalb steht Ihnen das Lachen darüber sehr schlecht an.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Humor ist, wenn man trotzdem lacht!)

— Das stimmt, Herr Wehner. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Sie sind viel zu intelligent, um nicht zu wissen,

(Wehner [SPD] : Daß das von Busch ist!) daß ich in vollem Umfange recht habe.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer heute noch behauptet, auch am strukturellen Defizit sei das Ausland schuld, es sei nur eine Folge einer weltweiten Rezession, der macht sich einfach lächerlich, und Sie haben das gestern getan, Herr Bundesfinanzminister Apel. Dafür sollte man eigentlich den Münchhausen-Orden schaffen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Haben Sie sich deswegen die Haare schneiden lassen? — Heiterkeit bei der SPD)

In den vergangenen Jahren hat man ohne Rücksicht auf die Kosten immer neue Verpflichtungen produziert, ohne auf die Finanzierungsmöglichkeiten nach dem Finanzplan zu schauen. Die Einheit zwischen Finanzplanung und Sachplanung ist bereits im Herbst 1969 aufgegeben und bis heute nicht mehr hergestellt worden.

(Zuruf von der SPD: Aber Sie haben sie in der Tasche!)

Am folgenschwersten war dies, als die Regierung die von ihr vorgeschlagene sogenannte Steuerreform überhaupt nicht in ihrem Finanzplan absicherte. Man hält doch diese Tatsache nicht für möglich!

(Wehner [SPD] : Nein!)

Erst nach der Verabschiedung im Parlament wurden die Auswirkungen im Finanzplan 1974/78 registriert. Aber der Finanzplan 1973/77 wurde im Kabinett 14 Tage vorher verabschiedet, bevor man die Ausfälle der Steuerreform, die nicht mehr neutral sein konnte, sondern eine Minderung der Steuerlast ergeben mußte, im Kabinett beschlossen hat. Man hat 14 Tage vorher einfach diesen Ausfall, der jetzt angeblich 14 Milliarden DM beträgt, überhaupt nicht in die Finanzplanung eingesetzt. Und hinter dieser Politik soll ein planender Wille, eine rationale Überlegung, eine vernunftorientierte Gesamtkonzeption stehen? Das ist doch das institutionalisierte Tohuwabohu, das wir hier vorfinden, und nichts anderes!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der heutige Bundeskanzler hat als Finanzminister sogar völlig am Parlament vorbei in einer Nacht- und Nebelaktion 1973/74

(Wehner [SPD]: 1962 war das!)

eigenmächtig in einem krassen Verstoß gegen die Verfassung über und außerplanmäßige Ausgaben von über 4 Milliarden DM bewilligt. Es ist der Ausdruck des schlechten Gewissens, daß die Bundesregierung heute versucht, durch eine Reihe von Verfahrensanträgen das Urteil des Verfassungsgerichts, das wir in diesem Zusammenhang angerufen haben, bis nach den nächsten Bundestagswahlen hinauszuschieben.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)




Strauß
Wer die prozessuale Lage kennt, der weiß doch Bescheid.

(Zuruf des Abg. Wehner)

Mit vollem Recht hat der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums den Grund für die schwere Finanzkrise in der „übermäßigen Ausweitung der Staatsfinanzen", in „unwirtschaftlichen Programmen" und in der „häufigen Nichtbeachtung der gebotenen Sparsamkeit" gesehen. Der eigene wissenschaftliche Beirat wirft der Bundesregierung den permanenten Verstoß gegen das ökonomische Prinzip vor. So sind Sie mit den Steuergeldern umgegangen, die Ihnen anvertraut worden sind!

(Beifall bei der CDU/CSU)

So ist auch der Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt von Jahr zu Jahr stärker gestiegen: von 37 % im Jahre 1969 auf jetzt 47 °/o. Wenn Herr Apel gestern meinte, weil das Sozialprodukt nicht wachse, die Ausgaben der öffentlichen Kassen aber natürlich gleich blieben oder wachsen würden, sei dieser Anteil überdurchschnittlich hoch,

(Zuruf von der SPD)

darf ich Ihnen sagen, daß auch ohne diesen Abschwung der Konjunktur die Staatsquote im Jahre 1974 auf 43 % angestiegen war. Aber gerade aus der Tatsache, daß er zugibt, das Sozialprodukt wachse nicht mehr, es schrumpfe im Jahre 1975, die öffentlichen Ausgaben stiegen, geht doch hervor, daß dieser Sektor auf die Dauer nicht ungeschoren bleiben kann, weil es die Leistungsfähigkeit unseres Staates einfach nicht mehr erträgt. Wer ist denn daran schuld? Diejenigen, die vor einer solchen Politik gewarnt haben, oder die, die sich mit Halleluja in sie hineingestürzt haben?

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD])

Herr Bundeswirtschaftsminister Friderichs hat sich vor den Steuerberatern mit Recht gegen eine Politik des Stop-and-go, einmal stoppen und einmal Gas geben, gewandt. Was war es denn anderes als Stop-and-go, wenn die Bundesregierung im Mai 1973 eine Strafsteuer für Investitionen in Höhe von 11 % eingeführt hat

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und im Dezember 1974 eine Investitionszulage von 7,5 0/o? Dies geschah innerhalb von 18 Monaten.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Rein in die Kartoffeln und raus!)

Wir haben damals gewarnt, Konjunkturdämpfung ausschließlich auf dem Rücken der Investitionen vorzunehmen, Die Entschließung der CDU/CSU kann ja nicht weggetäuscht werden.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Auch die Zustimmung nicht!)

— Auch die Zustimmung nicht. Über dieses Problem, Zustimmung oder Nein der Opposition, werde ich am Schluß noch einiges sagen.

(Wehner [SPD] : Sehr gut! — Weitere Zurufe von der SPD)

Sie können nicht bestreiten, daß Sie uns dauernd in die Zwangslage bringen, entweder aus höherer Einsicht nein sagen zu müssen — dann werfen Sie uns in demagogischer Weise im Lande Sabotage an Ihrer Wirtschaftspolitik vor —

(Wehner [SPD] : Sie Armer! — Weitere Zurufe von der SPD)

oder aber trotz schwerster Bedenken ja zu sagen; und dann werfen Sie uns später das Ja vor, als seien wir Komplizen dieser Politik geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Lambsdorff, wir haben doch damals auf den Zusammenhang hingewiesen, der zwischen kontinuierlicher Investitionstätigkeit, Erhaltung eines normalen Wachstums realer Art und Vollbeschäftigung besteht, und wir haben damals gesagt, wenn die Investitionen allein als Mittel der Konjunkturdämpfung herangezogen werden, muß sich das gesamtwirtschaftlich durch Wachstumsverluste und höhere Arbeitslosigkeit auswirken.

(Zuruf von der SPD: Was kommt denn jetzt?)

Helmut Schmidt hat mit großem Propagandaaufwand versucht, sich in der öffentlichen Meinung von den Fehlern seines Amtsvorgängers Willy Brandt reinzuwaschen. Es ist aber leider nicht wahr, daß die Ara Brandt zu Ende ist. Sie erzeugt immer weiter Böses. Herr Schmidt ist nicht ihr Liquidator, als der er sich gern außerhalb der Reihen der Genossen feiern läßt, sondern Helmut Schmidt hat diese Entwicklung mitverschuldet. Er täuscht die Öffentlichkeit auch heute noch über ihre Folgen hinweg. Er kann und will sich auch gar nicht mehr von diesen Folgen befreien. Hier handelt es sich um einen ausgesprochenen Fall von Doppelstrategie. Willy Brandt wird von neuem zur Führungsfigur aufgebaut. Die Disziplin gegenüber Schmidt reicht aus wahlpolitischen Gründen jedenfalls bis zum Wahltag 1976. Helmut Schmidt, Ihr Kanzler, hat auch die Erlaubnis, mit kräftigen Tiefschlägen gegen die eigene Partei verstörte Wähler zu erhalten oder abgesprungene Wähler für die SPD wiederzugewinnen. Was hat er denn im Münchner Presseklub über seine eigene Partei erzählt?

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Das gebe ich auch aus Gründen der Nächstenliebe nicht wieder.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Alles ist abgestimmt auf den Tellerrand der nächsten Bundestagswahl. Bis dahin soll Helmut Schmidt als der kühne Macher

(Zuruf von der CDU/CSU: Schuldenmacher!)

und Pragmatiker die völlige Pleite verschleiern, kann aber schon jetzt die eigene Ankündigung, die er vor einem Jahr in der Regierungserklärung abgegeben hat, es werde keine Erhöhung der Mehrwertsteuer und keine Einschränkung gesetzlich zugesagter Leistungen geben, nicht einmal mehr einhalten.

(Wehner [SPD]: Zitat Ende!)

13640 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975
Strauß
Es war derselbe Kanzler Helmut Schmidt das
muß ich leider einmal sagen, damit hier in diesem Hause und hoffentlich auch in weiten Kreisen der Offentlichkeit Klarheit geschaffen wird —, der am 14. August 1972 sagte:
Die Sozialdemokratie hat niemals das von Erhard verbreitete Schlagwort von der sozialen Marktwirtschaft zu ihrem eigenen gemacht.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Es war derselbe Helmut Schmidt, der — es war 1971 — sagte :
Die Gesellschaft in der Bundesrepublik ist gewiß durch Klassen und Klassengegensätze geprägt. Sie muß verändert werden. Was mich angeht, kann von einem Verzicht auf den Versuch, die Gesellschaft und den Staat und seine Institutionen zu verändern, überhaupt keine Rede sein.
Auf dem Parteitag im April 1973 in Hannover:
Was den Begriff der Strategie angeht, nehmt euch ein Beispiel an Herbert Wehner. Der redet zwar nicht von Strategie, aber er hat eine.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

Wenn wir Politik machen würden mit Begriffen und Inhalten, die im öffentlichen Bewußtsein nicht oder noch nicht aufgenommen werden können, die ihm allzu weit voraus wären, so liefen wir Gefahr, nicht verstanden zu werden.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Immer noch richtig!)

Und das ist es, was ich hier auch anprangere —das ist unser gutes Recht —: daß Sie den Begriff einer „Neuen Wahrheit" eingeführt haben, die Wahrheit, wie sie uns Herr Bahr seinerzeit hier erläutert hat:

(Zurufe von der CDU/CSU)

Unterschied zwischen dem, was man sagen darf, weil die Öffentlichkeit schon gebührend darauf vorbereitet ist, und dem, was man leugnen muß, weil es noch keine Mehrheit dafür gibt, was man aber bereits als „Neue Wahrheit" im Herzen trägt.

(Wehner [SPD] : Da sind Sie anders, Sie sagen immer die Wahrheit!)

Und so muß ich leider auch dem Bundeskanzler Helmut Schmidt vorwerfen, daß seine heutigen Bekenntnisse zum Privateigentum an Produktionsmitteln, seine Bekenntnisse zu der Notwendigkeit höherer Erträge, sein Appell, den Gewinn nicht mehr als Profit zu denunzieren, unter Sachzwang und nicht aus innerer Einstellung oder Überzeugung heraus zustande gekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719900200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff? — Herr Kollege Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0719900300
Danke, nein. —

(Zuruf von der SPD: Er traut sich nicht!) Es war ebenfalls Helmut Schmidt, ,der auf dem gleichen Parteitag sagte:

Wenn fast die Hälfte des Bruttosozialprodukts durch die Hände des Staates gehen wird, wenn dann hinzukommt, daß die öffentliche Lenkung der privaten Investitionsentscheidungen unter sektoralen, branchenmäßigen und regionalen Gesichtspunkten ausgebaut wird, wenn radikale Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltschädigung vorgeschrieben werden, wenn paritätische Mitbestimmung zur Einschränkung wirtschaftlicher Macht auf alle Bereiche der Industrie ausgedehnt wird, dann würde, zusammengenommen, eine weitreichend qualitative Veränderung unseres Wirtschaftsorganismus stattfinden.

(Wehner [SPD] : Was würden Sie machen, wenn Sie keine Zitate hätten?)

Herbert Wehner hat gestern
— und zwar auf diesem Parteitag —
mit Recht frei nach Marx gesagt, es komme darauf an, die Gesellschaft zu verändern, nicht bloß sie zu interpretieren. Ich halte das für ganz richtig.

(Wehner [SPD] : Ja!)

Hier begegnen uns zwei Ausgaben, ,die zufällig den gleichen Vornamen und Namen haben, und wir wollen wissen: was ist denn nun der wirkliche Helmut Schmidt? Denn die Vertrauenswürdigkeit des Kanzlers ist nicht seine Privatsache oder Spielwiese seiner Partei.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Das ist eine Angelegenheit, die für unsere Gesellschaft

(Wehner [SPD] : Wer ist denn Ihre Gesellschaft? Wienerwald?)

und unsere Wirtschaft, wenn wieder Vertrauen einkehren soll, von entscheidender Bedeutung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU) Sie wissen doch selbst


(Wehner [SPD] : Natürlich! Heiterkeit bei der SPD)

— Sie wissen natürlich alles, Herr Wehner, und besser —, wie die Verhältnisse 1969 und 1975 waren.

(Wehner [SPD] : Sogar 1971!)

In sechs Jahren ist doch alles total verändert worden. Hatten wir denn nicht im Herbst 1969 100 000 Arbeitslose und keine Kurzarbeiter?

(Wehner [SPD] : Ist das Ihr Verdienst!)

Haben wir nicht heute 1 Million Arbeitslose und 650 000 Kurzarbeiter?

(Zurufe von der CDU/CSU: Bankrotteure!)

Hatten wir nicht im Jahre 1969 einen Kassenbestand im Herbst und einen Jahresüberschuß von 1,2 Milliarden DM — trotz der erhöhten Ausgaben?

(Wehner [SPD]: Wie war denn das 1966, als die SPD eingreifen mußte? — Weitere Zurufe von der SPD)




Strauß
— Nein, ich rede von 1969. — Und haben wir nicht heute statt 1,2 Milliarden DM Überschuß in der Kasse eine Schuldenaufnahme von 40 Milliarden DM? Sie operieren mit der Ihnen wohlbekannten Tatsache, daß sich ein großer Teil der Menschen bei uns überhaupt keine zulängliche Vorstellung mehr von 40 Milliarden machen kann.

(Sehr richtig! bei der CDU)

Sie operieren damit, daß man die gigantische Größenordnung, die die Verschuldung nunmehr ausmacht, überhaupt nicht mehr richtig in das eigene Verständnis einfügen kann. Davon leben Sie doch!

(Wehner [SPD] : Beinahe genial, Herr Strauß!)

Es ist doch nicht Schwarzmalerei der Opposition, sondern regierungsamtliche Zielprojektion — Ihre Zielprojektion ist es, Herr Wehner —, daß wir für eine lange Zeit eine Arbeitslosigkeit in einer Größenordnung haben, die der Bundeskanzler selber in der Vergangenheit als „schwere Fehlentwicklung" und als „unerträglich" bezeichnet hat.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : So ist es!)

Es ist geradezu empörend und eine Verhöhnung der Betroffenen, mit welcher Nonchalance die Regierung diesen sozialen Mißstand als Folge ihrer Politik nun auch noch als „hohen Stand der Beschäftigung" — so Herr Friderichs vor kurzem — oder als „nachhaltige Reduzierung der Arbeitslosigkeit" — so einer seiner Abteilungsleiter — bezeichnet. Natürlich ist „arbeitslos" heute nicht mehr identisch mit „arbeitslos" in der Zeit der Weimarer Republik. Aus welchen Gründen das so ist, wissen wir, nicht zuletzt wegen der Politik, die Reserven in Wirtschaft und Staat angesammelt hat, die es uns heute erlauben, Arbeitslose nicht als Ausgestoßene der Gesellschaft zu behandeln, sondern sie menschen- und kulturwürdig wenigstens über ein Jahr hinweg — wenigstens über ein Jahr hinweg! — zu versorgen.
Das führt aber nicht an der Tatsache vorbei — darüber haben Sie gestern nichts gesagt, Herr Apel —, daß 1 Million Arbeitslose 9 Milliarden DM Unterstützungszahlungen bedeuten. 1 Million Arbeitslose würden, in Arbeit gesetzt, 15 Milliarden DM Sozialprodukt erzeugen. 1 Million arbeitsloser oder arbeitender Menschen heißt ein Plus oder Minus von über 6 Milliarden Steuern und Abgaben. Warum haben wir denn heute diesen ungeheuren Mangel an Mitteln für öffentliche Investitionen? Fragen Sie doch unsere Bürgermeister, unsere Landräte; fragen Sie Ihre eigenen Kommunalpolitiker! Warum drückt uns heute überall der Schuh? Warum haben wir die schweren Auseinandersetzungen in den Ländern zwischen Finanzminister, Kultusminister, Sozialminister usw? Warum denn? Weil Sie mit Ihrer Politik der Arbeitslosigkeit diese Mittel verschleudert und verschwendet haben, die wir heute bräuchten.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

Die Preise stiegen im Jahre 1969 um 1,9 %. Das war der Durchschnitt der 20 Jahre zwischen 1949 und 1969. Sie reden heute von Aufschwung, und wir alle hoffen, daß er kommt.

(Wehner [SPD] : Hoffen Sie? — Weiterer Zuruf)

— Ach, die Zahlen der „Bild-Zeitung" von heute sind doch seit 14 Tagen auf allen Tischen.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Sie glauben doch sonst, was da steht!)

Sie sollten der „Bild-Zeitung" eher glauben, wenn
sie von der Verschwendung Ihrer Minister schreibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht ja nicht um die konjunkturelle Erholung, sondern es geht um die Beseitigung der strukturellen Krise unserer Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen. Daß wieder eine Erholung kommt, war ja nicht auszuschließen.

(Lachen bei der SPD)

Das war nie auszuschließen; aber daß diese Erholung nicht ein reiner Strohfeuereffekt wird, darum geht es uns!

(Erneutes Lachen bei der SPD)

Habe ich nicht hier gesagt, daß Ihre Investitionszulage zu viele Milliarden viel zu spät für viel zu wenige war? War es nicht ein reiner Strohfeuereffekt, hinausgeworfenes Geld, das in der Hauptsache den Großen zugute kam,

(Beifall bei der CDU/CSU)

die ohnehin investiert hätten, während die mittlere und kleine Wirtschaft so gut wie nichts davon hatte? Sie haben die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht in der Wirtschaft, nicht unsere Politik!

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Dr. Ehrenberg [SPD] : Wo waren Ihre Vorschläge?)

Wir haben heute einen Bodensatz von Inflationsrate mit einer unteren Grenze von 6 %. Wenn der Aufschwung kommt, dann wird man wie bei jedem Aufschwung wieder die Kosten auf die Preise abwälzen können, was sich dann zugunsten der Erträge, aber zu Lasten der Verbraucher auswirken wird. Dann werden wir erleben, daß die Inflationsrate, die der Aufschwung dann mit sich bringen wird, auf dem Sockel von 6 % aufgebaut wird. Und wenn Sie schon von 1966/67 reden, dann wissen Sie auch, daß wir 1966/67 eine Inflationsrate von null hatten und daß wir, aufbauend auf dieser Null-Rate,

(Wehner [SPD]: Die Erhard-Rate: null!)

bei 2 % den Höhepunkt des Aufschwunges erreicht hatten. Heute sind Sie in der Tiefe der Talsohle bei 6 %,

(Wehner [SPD] : Auf der „Brand-Sohle" !)

und mit dem Aufschwung werden Sie auch wieder
die Inflation kriegen. Also Inflation nicht als Mittel



Strauß
der Vollbeschäftigung, sondern als Folgewirkung des Aufschwungs. In diesen Zielkonflikt haben doch Sie Wirtschaft und Staat hineingebracht, nicht wir.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Er muß doch bald zur Schlußapotheose kommen!)

— Oh, Herr Wehner, nur keine Sorge. Sie haben verdient, noch mehr zu hören.

(Zurufe von der SPD)

Dazu muß ja auch die Höhe der Staatsverschuldung berücksichtigt werden, die gestern so verharmlost worden ist: Da kommt der Teil weg, für den die Regierung nichts kann. — Als ob dieser Teil sich nicht auch auswirken würde! Erstens kann die Regierung etwas dafür,

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Ist alles vom Himmel gefallen!)

und zweitens wirkt sich die Staatsverschuldung aus, gleichgültig wer daran schuld und dafür verantwortlich ist. Sie müssen doch einmal die Tatsache werten, daß in 20 Jahren — von 1949 bis 1969 — die Nettoverschuldung um 14,5 Milliarden DM gestiegen ist, im Durchschnitt der Jahre also um 750 Millionen DM. Aber jetzt, in einem einzigen Jahr, steigt die Staatsverschuldung um 40 Milliarden DM und nächstes Jahr wiederum um 40 Milliarden DM.
Herr Apel sprach gestern vom Kapitalmarkt. Der Kapitalmarkt ist doch total zerrüttet.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Wie bitte?)

— Natürlich bringen Sie heute Ihre Kreditwünsche unter, weil die Wirtschaft noch nicht eine größere Kreditnachfrage erhebt, weil sie nicht bereit oder in der Lage ist zu investieren. Aber es ist doch kein Zweifel, daß heute niemand mehr bereit ist, längerfristige Papiere zu kaufen. Sie haben doch lange Zeit mit einjährigen Papieren finanziert. Zweijährige Papiere werden von Ihnen jetzt als ein großer Erfolg betrachtet. Herr Poullain hat doch auf die Frage, ob er Schuldverschreibungen des Bundes kaufen würde, gesagt: „Nein, die taugen nicht viel." So wird doch von diesen Leuten der Wert Ihrer Finanzpolitik beurteilt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD)

Natürlich — das klang gestern, wenn auch verhalten, wieder durch — suchte die Regierung immer wieder neue Schuldige. Einmal waren es die CDU/CSU und die von ihr übernommene „Erblast", Herr Kollege Möller,

(Zustimmung bei der SPD)

dann waren es natürlich die Unternehmer -- Gelber Punkt --, dann die Amerikaner mit dem VietnamKrieg, dann waren es die Ölscheichs, und jetzt ist es das ganze Ausland, d. h., die ganze Welt hat sich verschworen gegen die Bundesregierung!

(Zuruf von der SPD: Ziemlich niveaulos!)

Am 17. September sagte Helmut Schmidt vor dem Bundestag:
Wenn im Jahre 1975 auch unser Sozialprodukt zum erstenmal seit langer, langer Zeit sinkt, so liegt das ausschließlich an der importierten Rezession. — Die öffentlichen Finanzen werden also, ausgehend von der Weltrezession, von beiden Seiten strapaziert:

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Können Sie das bestreiten?)

Sinkende Steuereinnahmen, zusätzlich notwendig werdende Ausgaben.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Was ist daran falsch?)

— Das will ich Ihnen jetzt ganz genau sagen: Wir hatten im Jahre 1974 einen Exportüberschuß von rund 56 Milliarden DM.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Das sollten die sich mal merken!)

Schon der Zustand der Jahre 1968/69 mit dem damaligen Exportüberschuß, wo jeder sechste Arbeitsplatz in der Bundesrepublik vom Export abhängig war, wurde von Ihrem ersten Bundeskanzler, Willy Brandt, als Schaden an der deutschen Wirtschaft, als Unterversorgung des Inlandes und als eine gefährliche Aufblähung der Abhängigkeit vom Export bezeichnet.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Er ist ein großes Genie gewesen! — Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU]: Regierungserklärung 1969!)

Heute hängt jeder vierte Arbeitsplatz am Export. Und wenn nun das Ausland den Zustand, daß wir pro Jahr für 56 Milliarden DM mehr an unsere Partner verkaufen als von ihnen kaufen, nicht mehr hinnimmt, dann erklären Sie, das Ausland sei daran schuld. Was hätte Willy Brandt, was hätte die Regierung Brandt und später auch Schmidt gesagt, wenn wir im Jahre 1968/69 Exportüberschüsse in dieser Höhe zur Stützung der Konjunktur gebraucht hätten? Sie messen doch mit falschen Maßstäben. Sie spielen hier doch mit gezinkten Karten. Das stimmt doch einfach nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719900400
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0719900500
Bitte, nein.

(Zurufe von der SPD)

Wer konnte denn annehmen, daß wir auf die Dauer unsere Zahlungsbilanzüberschüsse durch Zahlungsbilanzdefizite unserer Handelspartner erzielen könnten? Wer konnte annehmen, daß dieser anomale Exportüberschuß, der nach den von der Bundesregierung Brandt /Schmidt gesetzten Maßstäben als gefährlich, als schädlich bezeichnet worden ist, nicht nur erhalten, sondern noch gesteigert werden würde? Jetzt nenne ich Ihnen die konkrete Zahl. Nach den letzten Gutachten der Sachverständigen wird der Exportüberschuß der Bundesrepublik im Jahre 1975 um 5,4 Milliarden DM geringer sein, als er es im Jahre 1974 war. Die 40 Milliarden DM sind



Strauß
doch eine reine Phantasierechnung. Sie sind doch nur zur Irreführung der Öffentlichkeit bestimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)

Wer konnte denn glauben, daß wir im Jahre 1975 noch für 35 Milliarden DM mehr exportieren würden, als wir im Jahre 1974 exportiert haben? Hier hat man ein Zukunftsziel aufgezeigt, das in jeder Hinsicht falsch, phantastisch, spekulativ und überzogen war. Man mißt jetzt das Zurückbleiben hinter diesem Zukunftsziel als einen Einbruch auf dem Gebiet der Auslandsnachfrage.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Die Pappkameraden!)

Herr Kollege Wehner, Sie oder einer Ihrer Mitredner haben uns damals vorgeworfen, wir hätten uns im Jahre 1967 nur mit dem Export über Wasser gehalten. Wissen Sie, daß der Exportüberschuß im ganzen Jahr 1967 so groß war wie im ersten Halbjahr 1975?

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP] : Darauf kommt es doch gar nicht an! — Zurufe von der SPD)

Damals haben Sie uns vorgeworfen, wir hätten unsere Konjunktur nur durch den Export stabilisiert. Heute haben Sie immer noch einen doppelten Exportüberschuß gegenüber dem Jahre 1967 zu verzeichnen. Sie schieben aber der Auslandsnachfrage die Schuld für Ihr eigenes Versagen zu und stellen damit der Öffentlichkeit wiederum einen falschen Sündenbock vor.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, welches sind denn die Gründe für den Rückgang der Inlandsnachfrage? Haben wir denn nicht recht gehabt, als wir im Herbst 1973 steuerliche Entlastungen ab 1. Januar 1974 vorgeschlagen haben? Wäre damit nicht der Finanzierungsspielraum der öffentlichen Hände, der immer schwerer unter Kontrolle zu bringen ist, rechtzeitig beschnitten worden? Wäre damit nicht rechtzeitig, also ab 1. Januar 1974, die private Nachfrage belebt worden? Heute weiß man doch, daß sich der Einbruch der Nachfrage im Inlandsbereich bereits ab Herbst 1973 /Anfang 1974 bemerkbar gemacht hat. Hätte man damals nicht eine Kostenminderung erreichen können, die auch zu günstigeren Tarifabschlüssen hätte führen können? Was haben Sie damals über unseren Gesetzentwurf gesagt? „Inflationsförderungsgesetz" haben Sie den Entwurf genannt. Sie haben unsere Alternativen diffamiert und denunziert. Sie haben uns in der Öffentlichkeit verächtlich zu machen versucht. Sie haben gesagt; zuerst hätten wir die Arbeitslosigkeit gewollt, dann hätten wir die Inflation gefördert und dann wieder soziale Demontage betrieben. Das kennzeichnet doch Ihre Unfähigkeit, Ihre eigenen Sünden zu erkennen, und die Absicht, sich immer falsche Sündenböcke zu suchen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo liegen denn die Gründe für den Einbruch? Die Lohnkosten je Produkteinheit sind in den Jahren 1970 bis 1974 um 8,4 % jährlich gestiegen. Von 1964 bis 1969 betrug die Steigerung 2,2 % im Jahr. Die bereinigte Lohnquote ist im Jahre 1974 auf 65 % angestiegen — ein Niveau, das bisher nicht erreicht wurde. Eine Quotenverschiebung von einem Punkt bedeutet bei einem Volkseinkommen von 766 Milliarden DM — wie im Jahre 1974 — schon eine Umverteilung von 7,6 Milliarden DM. Die Staatsquote, der Anteil der öffentlichen Ausgaben am Sozialprodukt, ist im Jahre 1974 auf 43 % angestiegen. Die Zwangsabgabenquote hat sich von 1970 bis 1974 von 35 % auf über 39 % erhöht. Helmut Schmidt gehörte nicht — wie Karl Schiller und Klaus Dieter Arndt — zu den Warnern, als auf dem Außerordentlichen Parteitag der SPD im November 1971 beschlossen wurde, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu erproben, wie es Herr Steffen vorschlug. Er legte noch im Jahre 1973 als Langzeitkommissar ein Programm vor, das eine Erhöhung der Staatsquote von 37 % im Jahre 1971 auf 46 % im Jahre 1985 vorsah. Das ist die einzige „Reform", die erreicht worden ist, und zwar zehn Jahre früher, bereits im Jahre 1975.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Helmut Schmidt hat sich leider nicht von dieser schäbigen Aktion „Gelber Punkt" distanziert, mit der damals eine klassenkämpferische Hetze betrieben worden ist. Er trägt auch die Verantwortung für die 11%ige Strafsteuer für Investitionen. Es ist nicht höheres Fatum, es ist nicht das Wirken höherer Gewalten, es sind die Fehler der Bundesregierung, die eine nicht an der Erfahrung orientierte Finanzpolitik, eine nicht an der Wirklichkeit orientierte Wirtschaftspolitik betrieben hat, sondern die alle Erfahrungen und alle Wirklichkeitslehren in den Wind geschlagen hat

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

und damit den heutigen Zustand hauptsächlich, ursächlich an erster Stelle, herbeigeführt hat. Es war eben nicht das Ausland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung spricht vom Sparen. Ja, ist es denn Sparen, wenn die Propagandamittel im Bundespresse- und Informationsamt 1976 um 22 % aufgestockt werden? Ist es nicht ein Hohn, wenn als Begründung zu lesen ist, man brauche diese Gelder, um die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren, besonders bei der Darstellung wirtschaftlicher und sozialpolitischer Entwicklung in der Bundesrepublik?

(Lachen bei der CDU/CSU)

Die Mittel brauchen Sie doch, um der Öffentlichkeit die Wirklichkeit vorzuenthalten, und nicht, um die wirklichen Zusammenhänge darzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sogar der Außenminister erhält jetzt einen Titel von 1,9 Millionen DM für die Propaganda seiner Außenpolitik im Inland. Früher war es die Aufgabe der Außenminister, gute Außenpolitik, aber nicht Propaganda im Inland zu betreiben. Anscheinend ist die Außenpolitik so notleidend geworden, daß



Strauß
für sie im Inland jetzt Propaganda gemacht werden muß, weil sie nicht mehr für sich selbst spricht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Verzicht auf Personal? — Hat denn nicht der Bundeskanzler in diesem Haushalt wieder acht zusätzliche Beamte beantragt, und wird er sie durch Ihre Mehrheit nicht bekommen? Hat nicht der Bundesfinanzminister wieder allein 15 höhere Beamte beantragt?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich möchte einmal wissen, wie viele Umbauten, Einbauten

(Lenders [SPD] : Ausbauten!)

und Ausstattungen auf Grund der persönlichen Wünsche der Würdenträger neuer Art in den Bundesministerien vorgenommen worden sind. Wie steht es denn mit dem Luxus mit den Dienstfahrzeugen? Wie steht es denn mit dem Mißbrauch der Bundeswehrflugzeuge?

(Lachen bei der SPD Wehner [SPD] : Der Airbusse! — Dr. Ehrenberg [SPD]: Womit fährt denn Strauß? — Weitere Zurufe von der SPD)

Wie steht es denn mit der Aufblähung der Führungsstäbe? Wie steht es mit den damit verbundenen Kosten für personelle und technische Ausrüstung?

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Fahren Sie Volkswagen?)

— Je lauter Sie mich unterbrechen, desto schlechter
ist Ihr Gewissen. Das ist ein sicheres Kennzeichen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Sie sind nicht mit der gebotenen Sparsamkeit mit den Mitteln umgegangen. Ist es denn nicht ein Mißbrauch von Steuergeldern, wenn der Herr Bundesfinanzminister eine Art Betriebsausflug nach Japan macht und dabei Familie und Journalisten im Flugzeug mitnimmt? Ist es denn nicht ein Mißbrauch von Steuergeldern,

(Zurufe von der SPD: Ja, ja!)

wenn ein Staatssekretär, und zwar der im Verteidigungsministerium, mit kleinstem Kreise mit einer Boeing 707 nach Korea fliegt? Ist es denn nicht ein Mißbrauch von Steuergeldern, wenn ein Staatssekretär des Bundes, nämlich Herr Birckholtz, nach der Pensionierung einen Beratervertrag bekommt und zusätzlich zur Pension das Honorar erhält? Das ist doch alles geschehen. Wir kennen doch nur die Spitze des Eisberges. Wieviel davon bleibt unbemerkt? Darüber wird auch in diesem Haushalt noch geredet werden müssen.
Sie mögen sagen, das seien kleine Beträge. Nein, die Treue zum Geld des Steuerzahlers fängt bei den kleinen Beträgen an!

(Beifall und Zurufe von der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich möchte mir die zahlreichen Beiträge, die man unter dem Gesamtbegriff Irreführung der Wähler anführen müßte, ersparen. Aber wenn z. B. Helmut Schmidt

(Wehner [SPD] : Noch einmal!)

im Mai 1974 sagte, 70 % der Menschen empfänden ihre Situation als gut oder sogar sehr gut, aber wesentlich weniger würden die wirtschaftliche Lage so positiv beurteilen, und dann hinzufügt, das sei die Angstlücke, die von der CDU/CSU und von dem ihr hörigen Teil der Presse geschaffen worden sei, dann muß ich sagen: Es gibt keine Angstlücke, es gibt einen Schwund am Bruttonationalvertrauen in unserem Land, verursacht durch die Regierungen Brandt und Schmidt.

(Beifall bei der CDU/CSU —Gansel [SPD] : „Bruttonationalvertrauen" ist das Nationalvertrauen, bevor man Strauß abgezogen hat! — Dr. von Bülow [SPD] : Wie sieht denn dann das Nettonationalvertrauen aus?)

Im Dezember 1974 sagte Helmut Schmidt: „Noch nicht im Frühjahr, wohl aber im Frühsommer werden wir über den Berg sein. Wir werden stabilitätsbewußt bleiben wie bisher." Und auch das sagte Helmut Schmidt. „Auch die Bürger müssen wissen: Dieser Aufschwung kommt. Er braucht Zeit." Er braucht Zeit, das ist ganz klar. „Noch nicht im Frühjahr, aber im Frühsommer werden wir über den Berg sein."
Am 31. Dezember 1974 sagte er: „Wer die Tatsachen kennt, weiß: Für Pessimismus oder Resignation besteht in unserem Lande kein Grund." Oder: „Nehmen Sie die Investitionszulage, die am 30. Juni ausläuft. Es wird einen erheblichen Stoß in den Auftragsbüchern auslösen."

(Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

Oder: „Ich würde mit Ihnen eine Wette eingegehen, daß in Annäherung an den 30. Juni die Pferde so gewaltig saufen, daß der Finanzminister Angst kriegen wird wegen seiner Steuereinnahmen in den nachfolgenden Jahren."

(Zurufe von der CDU/CSU)

Dann kommt die Anzeige in der „Frankfurter Rundschau" : Nicht beirren lassen, der Aufschwung kommt!". Februar 1975 — da geht es immer näher an den Wahltermin in Nordrhein-Westfalen heran —: Frage: „Eine Million Arbeitslose als Dauerzustand?". Helmut Schmidt: „Nein. Wenn es so wäre, müßte ich mir ganz große Sorgen machen. Ich mache mir große Sorgen um die Beschäftigungslage, aber es wird nicht bei dieser Million bleiben."
Ebenfalls am 13./14. April: „Ich rechne für meine Person damit, daß die Arbeitslosigkeit im Schnitt des Jahres zurückgeht, mindestens auf dreineinhalb Prozent, wenn nicht sogar weiter."
Am 3. Mai — jetzt kommen wir ganz nahe an die Wahlen heran — Helmut Schmidt nochmals: „Ich fasse zusammen: Der Tiefstpunkt der Konjunktur ist durchschritten. Von nun an geht es in der Bundesrepublik aufwärts. Ich bleibe bei meiner Frühsommerprognose."



Strauß
Am 11. Mai: „Die finanzwirtschaftliche Situation des Jahres 1975 macht mir überhaupt keine Sorgen, wenn ich das in einem Satz zusammenfassen darf."
Ist denn das nicht Irreführung der Wähler, bodenloser Leichtsinn und Täuschung oder Selbsttäuschung über die wirkliche Lage und über die ihr zugrunde liegenden Ursachen?

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

Als ich Anfang April dieses Jahres von der Notwendigkeit baldiger Steuererhöhungen sprach, hat der Herr Bundesfinanzminister geantwortet: „Im Bundesfinanzministerium existieren keinerlei Pläne zu Steuererhöhungen. Anderslautende Behauptungen sind reine Spekulation und entbehren jeder Grundlage. Aus diesem Grunde sind alle Spekulationen über Steuererhöhungen fehl am Platze und sinnlos."
Helmut Schmidt im April 1975: „Wir sind über den Berg weg." Und so geht es laufend hindurch.

(Wehner [SPD] : Immer weiter!)

— Der Stoff ist so reichlich, daß selbst meine reichlich bemessene Redezeit

(Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

nicht ausreicht, um diesem Parlament und der Öffentlichkeit zu zeigen, wie sehr Sie die Bürger unseres Landes notorisch, systematisch irregeführt haben!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Wir schenken Ihnen 15 Minuten!)

— Oh, nein, ich habe noch 15 Minuten.

(Schmidt [Hamburg] [SPD] : Wir beantragen eine weitere halbe Stunde für Sie! Wehner [SPD]: Redezeitverlängerung!)

— Sie bräuchten es, ja.
Zu dem vorliegenden Haushaltsplan und zu dem vorliegenden Finanzplan werden weitere Redner meiner Fraktion im Detail Stellung nehmen.

(Wehner [SPD]: Fortsetzung folgt!)

— Ja, Fortsetzung folgt. Die Abrechnung wird auch geschehen müssen, und zwar nicht nur hier, sondern auch in der Öffentlichkeit, damit das deutsche Volk einmal erfährt, wie es regiert worden ist!

(Beifall bei der CDU/CSU — Wohlrabe [CDU/CSU]: So ist es! — Wehner [SPD]: Sie sind APO! APO!)

— Ach, Sie meinen wohl, daß Versammlungen, die der Abgeordnete hält, nunmehr schon als „APO-Methoden" zu bezeichnen seien? Sie standen doch der APO früher näher, doch wir nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Sie werden schwächer! Das Alter macht sich bemerkbar!)

Der vorliegende Haushaltsplan und der vorliegende Finanzplan enthalten erstens eine Reihe von Zahlenangaben, die einer näheren Nachprüfung kaum oder nicht standhalten.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

Die Ansätze, die Sie zum Beispiel für die Erhöhung der Personalkosten drinhaben, die Ansätze, die Sie drinhaben für die Europäische Gemeinschaft, die Ansätze, die Sie drinhaben für die Bundesbahn — all diese Dinge

(Wehner [SPD] : Stehen in Ihrer Kladde!)

werden ja — wie in früheren Jahren auch — erst nachher beurteilt werden können. Sie gehen aber immer von optimalen Annahmen aus, weil Sie Haushaltskosmetik und nicht Haushaltspolitik treiben.

(Zuruf des Abg. Gansel [SPD])

Aber was viel schlimmer ist, das sind die irrealen Annahmen über den zukünftigen Wirtschaftsverlauf. Sie haben Annahmen über den zukünftigen Wirtschaftsverlauf zugrunde gelegt, darauf Ihre Rechnung der staatlichen Einnahmen und möglichen Ausgaben geplant und haben hier ein Luftschloß errichtet. Wie glauben Sie denn zu 5 % Wachstum zu kommen! Wie glauben Sie denn zu 8 % Erhöhung der Investitionsquote zu kommen! Dann müßte ja Anfang nächsten Jahres in unserem Land geradezu eine Investitionsrevolution ausbrechen. Sie haben doch nachhaltig alles verhindert und wollen auch heute noch nicht, daß die Maßnahmen ergriffen werden, die die Investitionsfähigkeit und -bereitschaft unserer Wirtschaft beleben könnten. Sie wollen das ja auch heute noch nicht.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Welche Maßnahmen? Nun kommen Sie doch endlich dazu! — Weitere Zurufe der SPD: Alternativen!)

— Welche Maßnahmen? Ja, haben Sie denn zuviele Reisen für das Parlament gemacht, daß Sie unsere Steuerpläne, die wir im November /Dezember 1974 vorgelegt haben, die wir jetzt wieder vorlegen — —

(Wehner [SPD] : Wieder vorlegen!)

Das ist doch die Methode, mit der Sie der Öffentlichkeit weismachen wollen, wir hätten keine Alternativen.

(Wehner [SPD] : Die alten Pläne legen Sie wieder vor! — Weitere Zurufe von der SPD)

Habe ich nicht im Herbst letzten Jahres,

(Wehner [SPD] :... , nächsten Jahres ziehen Sie Bilanz!)

habe ich nicht im Herbst letzten Jahres

(Wehner [SPD] : Im Herbst nächsten Jahres!)

— letzten Jahres — in der Presse — —

(Anhaltende Zurufe von der SPD — Gegenrufe von der CDU/CSU — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Bankrotteure sind das!)




Strauß
— Das, Herr Wehner, mag in einem volksdemokratischen Parlament möglich sein, aber nicht in einem freien Parlament. Bei uns nicht!

(Anhaltender, stürmischer Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Sie Armer! Sie Leidender! Sie Märtyrer! — Weitere Zurufe von der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719900600
Herr Abgeordneter, Sie haben ja nicht den Deutschen Bundestag gemeint, nicht wahr?

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

— Meine Damen und Herren, ich habe den Herrn Redner etwas gefragt, weil ich hier nur ein einziges Wort verstanden habe.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0719900700
Bis jetzt gehörte es noch zu den Selbstverständlichkeiten eines frei gewählten demokratischen Parlaments, daß ein Sprecher der Opposition, auch wenn er pflichtgemäß harte Kritik geübt hat, dies ungehindert und ohne akustischen Terror tun konnte.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich darf da anknüpfen, wo ich aufgehört habe. Habe ich denn nicht im Dezember letzten Jahres hier, als wir über die Investitionszulage diskutierten, dieses Mittel als ungeeignet und als Geldverschwendung bezeichnet? Ich habe das damals im einzelnen begründet. Habe ich nicht damals im Auftrag meiner Fraktion gesagt, wir brauchten eine Steigerung der Ertragsfähigkeit unserer Wirtschaft? Dazu gehört der Abbau der Substanzbesteuerung, d. h. die Rückgängigmachung der Erhöhung vermögensabhängiger und ertragsunabhängiger Steuern. Habe ich nicht damals von der Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten gesprochen?

(Wehner [SPD] : Sie haben aber nicht zugestimmt!)

Habe ich nicht damals von der Anpassung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz gesprochen? Habe ich nicht damals davon gesprochen, daß die Gewerbesteuer reformiert werden muß,

(Wehner [SPD] : Wer hat sie denn reformiert?)

weil es bei der Veränderung der Finanzstruktur der kleineren und mittleren Unternehmungen heute Anachronismus ist, langfristige Schulden als Gewerbekapital und die Zinsen darauf als Erträge zu besteuern, statt diese als Betriebsausgaben absetzen zu können?
Das sind doch die Vorschläge, die in unserer Wirtschaft psychologisch wieder Vertrauen und materiell wieder die Substanz geschaffen hätten, um die Investitionen und das Aufkommen der Bereitschaft dazu zu erleichtern und zu beschleunigen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Reden Sie doch nicht davon! Haben wir denn jetzt nicht wieder einige Maßnahmen dieser Art vorgeschlagen, die einfach durchgeführt werden müssen, damit die unerträglich hohe Kostenbelastung in Verbindung mit einer vernunftorientierten Lohnpolitik wiederum zu Ertragsfähigkeit und zu ihrer Verbesserung führt, damit das Ziel, Herr Bundeskanzler Schmidt, erreicht wird, das Sie zwar immer verbal proklamieren, für das Sie selbst aber nichts tun, nämlich gerade der kleinen und mittleren Wirtschaft zu helfen, wieder Erträge zu erwirtschaften, damit sie investieren kann? Die Wirtschaft besteht nicht nur aus den Großkonzernen. Sie besteht aus den Tausenden kleinerer und mittlerer Betriebe, ohne die eine gesunde Struktur unserer Wirtschaft nicht möglich wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie bringen den Aufschwung immer nur mit der Nachfrage in Verbindung. Das ist doch ein Irrtum. Der Umsatz allein macht es doch nicht. Wohl erbringt eine höhere Nachfrage eine höhere Kapazitätsauslastung. Das führt aber noch lange nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit, weil technische und personelle Reserven heute noch ausreichen, um eine um 5 % höhere Kapazitätsauslastung ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt auch tatsächlich unterzubringen. Aber was heute bei uns erschreckend ist, ist das Verhältnis von Ertrag und Umsatz. Das Verhältnis von Ertrag und Umsatz ist auf 1,8 Umsatzprozente gesunken. Darin liegen doch die Gründe für die mangelnde Investitionsfähigkeit und für die mangelnde Investitionsbereitschaft. Das müssen Sie ändern. Warum ändern Sie es nicht! Weil Sie nicht über die ideologischen Hürden Ihrer Parteifreunde hinwegspringen können, Herr Bundeskanzler. Das ist doch der eigentliche Grund.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Sie fragen uns immer: „Wo wollen Sie denn einsparen?" Herr Bundeskanzler Schmidt, Sie haben selbst gesagt, eine bis eineinhalb Milliarden DM seien in dem Haushalt ohne weiteres noch drin. Das hätten Sie schon vorher im Kabinett bereinigen können. Es gibt sicherlich eine Reihe von kleinen Positionen. Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist" gibt das ohne Zweifel eine Fülle von Einsparungsmöglichkeiten. Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, daß der Anzug der Forderungen viel zu groß geworden ist. Das Entscheidende ist, daß die Grenzen des Machbaren überschritten worden sind. Das Entscheidende ist, daß wir die Grenzen des Sozial- und Bildungsstaates erreicht und teilweise überschritten haben. Auch Herr Arendt hat das doch zugegeben, daß man heute die Finanzierungskraft des Staates nicht mehr nach dem Wünschenswerten, sondern nach dem Möglichen orientieren muß. Weil Sie die Grenzen des Möglichen falsch gezogen haben, haben Sie die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft vermindert, ihre Belastungsfähigkeit in manchen Bereichen über die Grenzen erprobt und die Zumutbarkeit der Abzüge vom privaten Einkommen erheblich überzogen. Hier muß ein Wandel im Grundsätzlichen erfolgen.
Was geschieht, wenn wir Sparvorschläge machen, die darauf hinauslaufen? Dann haben wir zwei Gewißheiten: erstens die, daß Sie es nicht tun, und zweitens, daß Sie jeden Vorschlag sofort zu einer



Strauß
demagogischen, diffamierenden Hetze draußen bei den betroffenen Bevölkerungskreisen gegen uns verwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei diesem Spiel machen wir nicht mit. Sie sind doch an der Regierung. Sie haben doch die Verantwortung.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Und die große Klappe!)

Wir sind doch bereit, mit Ihnen gemeinsam Verantwortung zu tragen.

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Wir sind auch bereit — das werden Sie beim Artikelgesetz merken —, für Opfer einzutreten

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

— hören Sie sich das genau an —, wenn Sie vorangehen und wenn die Opfer sinnvoll sind. Wir sind aber nicht bereit, dem Volke Opfer zuzumuten, von denen wir nur erwarten, daß sie der Lügenpolitik der Bundesregierung wieder über ein Jahr hinweg krumme Beine verleihen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Haben Sie gesagt: „Lügenpolitik" ? Sie Konstrukteur! Sie Wahrheitsfanatiker! Sie Mönch! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist kein parlamentarischer Ausdruck!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie auch noch darüber unterrichten, daß ich Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs zu seinem Austritt aus der Bundesregierung meinen Glückwunsch aussprechen möchte;

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

denn er hat auf dem Steuerberaterkongreß vor wenigen Tagen eine Rede gehalten, die nur von jemandem gehalten werden kann, der mit dieser Bundesregierung möglichst nichts gemeinsam haben will.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Das, was Sie seinerzeit vor dem Bundesvorstand der FDP ausgedrückt haben, Herr Friderichs — das haben wir sehr anerkannt —, und was Sie beim Steuerberaterkongreß gesagt haben, sind doch genau unsere Überlegungen, deretwegen wir in diesem Hause und in der Öffentlichkeit von seiten Ihres Koalitionspartners aufs heftigste angegriffen worden sind.

(Wehner [SPD] : Damit kommen Sie zu spät, Herr Strauß I)

Ich wundere mich manchmal, wenn die FDP sagt: Das machen wir nicht mit, jenes machen wir nicht mit, bei der Mitbestimmung wird es so bestimmt nicht gehen. Ja, wer hat denn alle diese Gesetze im Kabinett beschlossen?

(Stücklen [CDU/CSU] : So ist es!)

Uns ist doch gesagt worden, sie seien einstimmig beschlossen worden. Ist denn das Ganze ein theatrum absurdum zur Täuschung der Öffentlichkeit, wenn Sie jetzt wieder in ein hartes Ringen um die
Mitbestimmung eintreten und den Regierung sentwurf für nicht akzeptabel halten?

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Schaum ist das!)

Waren denn die FDP-Minister im Urlaub, geistig
abwesend, oder haben sie geschlafen, als der Entwurf verabschiedet wurde?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben auf dem Kongreß der Steuerberater gesagt, Herr Friderichs:
Die Mehrbelastungen bei vermögensabhängigen Steuern setzen bei den betroffenen Unternehmen in einer Wirtschaftsphase ein, die von schrumpfenden oder sogar ausbleibenden Gewinnen gekennzeichnet ist. Ich möchte diese letztgenannte Tatsache, das Zusammentreffen von erhöhter steuerlicher Vermögensbelastung und Ertragskompression,
— Ertragsrückgang heißt das auf deutsch —

(Wehner [SPD]: Ja, ja!)

als das in wirtschaftspolitischer Sicht besonders problematische Faktum bezeichnen. Die Gefahren einer Substanzbesteuerung aus der Neugestaltung der Vermögensbesteuerung haben sich daher 1975 nicht nur theoretisch vergrößert. Die Substanzbesteuerung dürfte vielmehr in nicht wenigen Fällen Wirklichkeit werden, vor allem wenn man auch noch die allerdings abzugsfähige Grundsteuer, Gewerbesteuer, Kapitalsteuer, Lohnsummensteuer usw. einbezieht.

(Wehner [SPD] : Und so weiter!)

Es gibt keine beschäftigungsfeindlichere Steuer als die Lohnsummensteuer.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Deshalb erhebt sich die Frage, ob die aus dem Blick auf die vorhergegangenen Wachstumsphasen entwickelte Einschätzung über die Zumutbarkeit einer graduell stärkeren ertragsunabhängigen Belastung der größeren Unternehmen aufrechterhalten bleiben kann.
Dann sagen Sie aber abschließend, Entscheidungen seien nicht möglich, weil das Parlament nicht bereit sei, Entscheidungen, die es vorher getroffen habe, kurzfristig zu revidieren.
Herr Friderichs, ich mache Ihnen ein Angebot: Wenn Sie mit uns zusammen den Unfug der Substanzbesteuerung beseitigen wollen, sind wir sofort dazu bereit.

(Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Heute! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Es ist auch ein Stück Öffentlichkeitstäuschung, (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Täuschung!)

daß man im Kabinett und am Koalitionstisch allen
Entscheidungen zugestimmt hat, die zur Lähmung
unserer Wirtschaft, zum Rückgang der Ertragskraft,

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Steuererhöhungen!)




Strauß
zum Schwinden der Investitionsbereitschaft geführt haben, und in der Öffentlichkeit wohlformulierte, wohlklingende und tief eindrucksvolle Reden hält, in denen man sich von genau dem distanziert, was man gemeinsam mit dem Koalitionspartner beschlossen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es! Das ist die FDP!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719900800
Herr Abgeordneter Strauß, Ihre Fraktion hat noch eine Verlängerung erbeten. Brauchen sie noch länger?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0719900900
Ich bin gleich fertig. Präsident Frau Renger: Ja, gut.

(Wehner [SPD] : Eine halbe Stunde geben wir noch! — Zuruf von der SPD: Zugabe!)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0719901000
Habe ich denn nicht in jener Nacht, Herr Bundeskanzler, als wir um den Steuerkompromiß gerungen haben, am Ende gesagt: Springen Sie noch über diesen Schatten, nehmen Sie die Erhöhung der ertragsunabhängigen Steuern in der nächsten Bundestagssitzung noch zurück, wir sind bereit dazu? Habe ich das nicht in jener Nacht gesagt?

(Wehner [SPD] : In der Nacht!)

Habe ich nicht wörtlich gesagt: „Diese Steueränderungen sind Gift in der gegenwärtigen Wirtschaftslage", um meinen Satz wörtlich zu zitieren? Sie sind klug genug, um zu wissen, daß ich recht habe. Aber Sie sind auch vorsichtig genug, es nicht zu tun, weil der dünne Schirm, der um Sie herum noch gebreitet ist, dann nicht mehr halten würde. Das sind doch die Gründe, warum Sie es nicht tun.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD])

Ich möchte mich dem Herrn Bundesminister der Finanzen anschließen,

(Wehner [SPD] : Sehr gut!)

der am 25. August dieses Jahres im „Spiegel" gesagt hat: „So mancher wird die ganze Dramatik der Lage noch erkennen müssen." Das glaube ich Ihnen wirklich, Herr Bundesfinanzminister, und dieser Prozeß bleibt hoffentlich auch Ihnen nicht erspart.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler meinte einmal in einer forschen Rede vor Naturwissenschaftlern, vor Forschern, daß die Wissenschaftler oft größere Einsichten hätten, als ihr Wirkungskreis sei, daß umgekehrt aber die Politiker oft einen größeren Wirkungskreis als Einsichten hätten.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr, ja! — Heiterkeit)

— Sehr wahr, Herr Wehner, das stimmt.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ist richtig!) Denn wenn Ihr Wirkungskreis so klein wäre wie

Ihre Einsicht, dann würde es bei Ihnen kaum zur
Opposition reichen, geschweige denn, zur Regierung.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

Aber er fügte dann ehrlicherweise hinzu: Wenn ich vor einem Journalistenkongreß sprechen würde, würde ich sagen, daß zwischen Journalisten und Politikern ein großer Unterschied nicht besteht; im Gegenteil, sie sind durch eine grundlegende Gemeinsamkeit ausgezeichnet: Beide behandeln heute Dinge, die sie morgen verstehen werden.

(Lachen bei der CDU/CSU)

So wörtlich Helmut Schmidt; Wiedergabe nach der „Frankfurter Rundschau".
Nach der Rede des Herrn Bundesfinanzministers habe ich allerdings Zweifel daran, daß dieser Ihr wichtigster Mitarbeiter mit diesem Stichwort wirklich auch getroffen wird, denn er hat gestern über Dinge geredet, von denen man angesichts eben dieser gestrigen Rede und Ihrer heutigen Reaktion nicht einmal annehmen kann, daß er sie morgen verstehen wird, und das ist noch schlimmer.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Das war schwach! — Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Bundeskanzler, Sie haben einmal erklärt: Ich habe mein Leben lang ungern gepfuscht und habe mich deshalb von gewissen Entscheidungen absentiert. Heute als Kanzler kann ich mich nicht mehr absentieren. — Das heißt, Sie pfuschen als Kanzler,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

und das ist leider das Fazit, das man aus der Betrachtung des Haushaltsplans 1976 und der mehrjährigen Finanzplanung bis 1979 ziehen muß.

(Wehner [SPD] : Ein Glück, daß Sie nicht Kanzler werden! — Zustimmung bei der SPD)

Sie müssen das Grundkonzept ändern, sonst kommen dieser Staat, seine Wirtschaft, seine Finanzen und seine Gesellschaft nicht mehr in Ordnung. Sie haben gestern bewiesen, daß Sie erstens unfähig sind, es zu tun, und zweitens auch nicht den guten Willen haben, sich diese Fähigkeit aneignen zu wollen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU — Zuruf des Abg. Wehner [SPD])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719901100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0719901200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Strauß hat schon gestern in einer Mitteilung der Fraktion der CDU/CSU zur Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers wie folgt Stellung genommen:
Im Deutschen Bundestag ist noch kaum eine Rede gehalten worden, die sich im gleichen Maße einerseits durch mangelnde Einsicht, Unehrlichkeit und Unsolidität, zugleich aber durch



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Unsicherheit, Ratlosigkeit, fast Hilflosigkeit
auszeichnete.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das gilt für die Rede des Finanzministers von gestern!)

— Wer sich jetzt durch Beifall dieser Äußerung angeschlossen hat, beweist mangelnde Objektivität

(Zustimmung bei der SPD) und mangelnde Sachkenntnis.


(Beifall bei der SPD und der FDP — Wehner [SPD] : Vor allem das!)

Denn, meine Damen und Herren, wenn Sie diese Rede unvoreingenommen prüfen, um festzustellen, wie der Bundesfinanzminister die finanzwirtschaftliche Situation beurteilt und welche Vorschläge er macht, um wieder zu einer festeren Ausgangsbasis unserer Haushaltspolitik zu kommen, müssen Sie einsehen, daß es hier im Deutschen Bundestag selten eine so klare, überzeugende Rede eines Bundesfinanzministers gegeben hat wie die gestern von Herrn Bundesfinanzminister Apel gehaltene.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich bin davon überzeugt, daß jeder, der sich die Mühe macht, diese Rede sorgfältig und ohne Vorurteil zu studieren, sich diesem Urteil anschließen muß. Es ist traurig, daß Herr Kollege Strauß auch heute hier im Parlament ungefähr dasselbe gesagt hat wie in der gestrigen Mitteilung.

(Wehner [SPD]: Leider wahr!)

Harte Kritik kann jede Regierung und jede Koalition vertragen und hinnehmen, aber zwischen harter Kritik und bewußten Diffamierungen ist ein gewaltiger Unterschied.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben nun ganz vergeblich darauf gewortet zu erfahren, wie das Grundkonzept der CDU/CSU aussieht.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Herr Strauß hat angekündigt, er werde nun einmal das Grundkonzept der CDU/CSU-Fraktion darstellen; aber infolge seiner Schimpfereien hat er das ganz vergessen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

Da kann ich mich nur an den letzten Abschnitt der gestrigen Miteilung der CDU/CSU im Pressedienst halten. Da heißt es:
Bezeichnend ist die beharrliche Weigerung,
— damit sind wir gemeint —
das Grundkonzept zu ändern,
— und nun kommt die Erklärung: —
das heißt Schluß zu machen, die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft bis zur bitteren Neige zu erproben und den arbeitenden Menschen durch Steuern und Zwangsabgaben einen immer größeren Teil der privaten Einkommen abzunehmen.

(Lemmrich [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Wenn das, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, Ihr Grundkonzept ist, dann kann ich Sie nur bedauern,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

weil Sie einfach die ökonomischen Daten, die heute unser Handeln bestimmen, völlig außer acht lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist doch einfach nicht zu verstehen, daß eine Opposition, die ernst genommen werden will, solche Behauptungen aufstellt und meint, das wäre nun ein neues Grundkonzept und damit könnten wir uns retten.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der SPD: So bescheiden sind die geworden!)

Auch Ihre größte Phantasie wird nicht ausreichen, um das, was Sie in diesen Sätzen festgehalten haben, nun in die Praxis umzusetzen.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Strauß, daß Sie die Regierung an den von ihr selbst gesetzten Maßstäben messen wollten. Das haben Sie leider nicht getan. Sie haben den größten Teil Ihrer Rede geschimpft, Behauptungen aneinandergereiht, aber Sie haben sich nicht an Maßstäbe, die diese Regierung der sozialliberalen Koalition seit Jahren gesetzt hat, gehalten.
Leider lesen Sie auch nicht das Bulletin. Ich weiß, daß es Ihnen unangenehm ist, daß ein solches Bulletin regelmäßig von dieser Bundesregierung herausgegeben wird; aber es gehört einfach zu Ihrer politischen Bildung, sich mit diesem Bulletin zu beschäftigen.

(Beifall bei der SPD)

Dazu kann ich Ihnen, meine Damen und Herren, die Sonderausgabe vom 27. Januar 1975 empfehlen. Da ist eine Zwischenbilanz der Regierungsarbeit der sozialliberalen Koalition in der 7. Legislaturperiode aufgezeigt. Die Seiten 76 bis 80 umfassen alle Maßnahmen, die wir auf dem Gebiete der Konjunkturpolitik im Laufe der angegebenen Zeitspanne ergriffen haben. Wenn Sie diese lesen und dann immer noch nicht kapieren, welche Substanz in diesen Vorschlägen und Gesetzen gesteckt hat und daß wir uns den jeweiligen konjunkturpolitischen Situationen angepaßt haben, dann muß ich Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie nicht berechtigt sind, in einer solchen Form, wie das heute geschehen ist, Kritik gegen den Bundesfinanzminister, Kritik gegen die Bundesregierung und Kritik gegen die Koalitionsparteien vorzubringen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Halten Sie es denn wirklich für richtig und mit der parlamentarischen Würde in einem demokratischen Staat vereinbar, einer von Ihnen sicherlich nicht geliebten Regierung — das verstehe ich —„Lügenpolitik" vorzuwerfen?

(Sehr wahr! bei der SPD)




Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Das war früher in der Demokratie kein parlamentarischer Stil.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich würde Ihnen bei Ihrer Rede — wenn man sie einmal nachliest, wird man sehr schnell erkennen, wie wenig Substanz darin steckt —

(Beifall bei der SPD und der FDP))

nicht die Gnade der Angst empfehlen, sondern die Gnade der Wahrheit.

(Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — Seiters [CDU/CSU] : Sagen Sie doch mal was zu Apel!)

Für mein Verständnis der Zusammenhänge der Rezession in der ganzen westlichen Welt — und von ähnlichen Erscheinungen ist auch die östliche Welt nicht verschont geblieben — ist es einfach unerhört, wenn Herr Strauß hier sagt, daß die Regierung die Rezession durch Unfähigkeit ins Land geholt hätte. Ich muß sagen, das kann Herr Strauß nicht behaupten und beweisen, denn zu der Behauptung gehört auch der Beweis. Er muß doch die Zusammenhänge der Konjunkturdaten und der weltwirtschaftlichen Entwicklung kennen und muß doch wissen, daß ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das an der Spitze der Industrienationen steht, einfach ohne Export und Import nicht leben kann. Deswegen muß diese Verflechtung mit der übrigen Weltwirtschaft auch Konsequenzen für die Aufrechterhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben.
Sie haben dann auch das Kapitel der Steuererhöhungen, das in diesem Konsolidierungsprogramm angesprochen worden ist, abqualifiziert. Da zeigt sich wieder einmal, wie uneinig die CDU/CSU ist, denn ich habe hier gerade eine Meldung mit folgendem Satz erhalten, der in diesem Zusammenhang von Interesse ist:
Für eine „saftige" Erhöhung der Tabak- und Branntweinsteuer hat sich der rheinland-pfälzische Sozialminister Heinrich Geißler ausgesprochen.

(Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

Nun, Herr Strauß, machen Sie sich einmal auf den Weg und fahren Sie nach Mainz,

(Wehner [SPD]: „Lassen Sie den kommen", heißt das!)

und versuchen Sie einmal, bei Herrn Geißler zu
erfahren, warum er eine solche Forderung aufstellt.
Ich habe in einer Fernsehdiskussion mit einem Ihrer prominenten Politiker hinterher erfahren, daß man durchaus darüber reden könne, die Erhöhung der Tabak- und Branntweinsteuer nicht erst am 1. Januar 1977 einzuführen, sondern schon ein halbes Jahr vorher. Das steht auch im Widerspruch zu den Erklärungen, die Herr Strauß soeben abgegeben hat.
Wenn er in diesem Zusammenhang von Ankündigungseffekten spricht, so kann ich nur darüber lächeln: ein Ankündigungseffekt bei der Erhöhung der Tabak- und Branntweinsteuer.

(Stücklen [CDU/CSU]: Der Effekt war der, daß ich ab 1. November aufgehört habe zu rauchen!)

— Das ist doch ganz gut für Sie.

(Zuruf von der SPD: Das tut Ihnen doch gut!)

Das empfiehlt Ihnen Frau Focke schon lange.

(Heiterkeit und Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Strauß hat auch davon gesprochen, daß wir in den letzten Jahren die Haushalte aufgebläht hätten. Den Grundstein zu zwangsläufigen Ausweitungen der Haushaltspolitik hat Herr Strauß gelegt. Als Bundesfinanzminister hat er am 17. Oktober 1969 eine Pressekonferenz abgehalten und Übersichten über Risiken gegenüber der alten Finanzplanung für das Rechnungsjahr 1970 zur Verfügung gestellt. Und da ist hinsichtlich der Ausgabenseite davon gesprochen worden, daß auf den Haushalt 1970 hohe Beträge zukommen, z. B. durch Änderungen der Kriegsopferversorgung, durch Änderungen beim Kindergeld, durch die Vermögensbildung, durch das Bildungswesen, durch die Landwirtschaft, durch die noch ausstehenden Verhandlungen über Lohn- und Gehaltserhöhungen des öffentlichen Dienstes

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!) und so weiter und so fort.


(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Die Regierung der sozialliberalen Koalition hat sich nun nicht mit solchen Merkposten begnügt, sondern hat die zurückgelassenen Aufgaben zu lösen versucht, und zwar deswegen zu lösen versucht, weil sie zurückgelassen wurden. Nehmen wir nur die beiden großen Posten Kriegsopferversorgung und öffentlicher Dienst, dann wissen Sie, daß dafür Milliarden zur Verfügung gestellt werden mußten.
Wenn man Herrn Strauß, meine Damen und Herren, hier so agieren sieht, dann müßte man meinen, das ist ein Finanzpolitiker von hohem Grad,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist er wirklich!)

der eine Fraktion vertritt, die sich in der Vergangenheit auf dem Gebiete der Finanzwirtschaft so hervorragend benommen hat,

(Eigen [CDU/CSU] : Warum sind Sie denn als Minister zurückgetreten?)

daß sie dieser Koalition wirklich als Beispiel vorgeführt werden könnte.
Aber ich will einmal nur an zwei Beispiele erinnern, um Ihnen zu sagen, daß der, der im Glashaus sitzt, keine Ursache hat, mit Steinen zu werfen.

(Wehner [SPD] : Oder mit Knödeln! — Heiterkeit und Beifall bei der SPD)




Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
— Na, Herr Kollege Wehner, das würde ich gar nicht so tragisch nehmen, wenn wir von Herrn Strauß plötzlich Knödel statt Steine vorgesetzt bekämen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Am 28. Oktober 1966 hat der Bundesrat auf Antrag aller Länder und einstimmig den Haushaltsentwurf der damaligen Bundesregierung zurückgewiesen. Das ist, wie Sie mir zugeben müssen, ein in unserer Geschichte einmaliger Vorgang. In der einstimmig angenommenen Entschließung des Bundesrates heißt es wörtlich — und nun hören Sie sich einmal an, wie der Bundesrat, wie alle Länder, denn diese Entscheidung ist einstimmig erfolgt, die Solidität Ihrer Haushaltsgestaltung beurteilt haben —:
In dem vorliegenden Entwurf des Bundeshaushalts 1967 entsprechen die veranschlagten Einnahmen und Ausgaben nicht den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Es besteht vielmehr eine Deckungslücke von mehr als 4 Milliarden DM. Der Ausgleich einer Deckungslücke dieses Ausmaßes erfordert eine grundlegende Überarbeitung des Bundeshaushalts. Der vorgelegte Haushaltsentwurf entspricht nur sehr unvollkommen den zur Zeit absehbaren konjunkturellen Erfordernissen.

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Die Lösung dieser Probleme ist nur auf der Basis einer mehrjährigen Finanzplanung möglich und kann für den Bereich des Bundes nur von der Bundesregierung selbst erarbeitet werden.
So hat Ihnen der Bundesrat den Entwurf dieses Bundeshaushalts 1967 zurückgegeben mit dem Hinweis, die Schulaufgaben noch einmal zu machen, und zwar richtig — unter Berücksichtigung der Empfehlungen, die der Bundesrat gegeben hat.
Man könnte darüber noch einiges mehr sagen. Man könnte noch einmal an die Bildung der Großen Koalition erinnern, aus welchen Gründen sie nötig war. Wer heute vormittag in der Art, wie ich das soeben gekennzeichnet habe, aufgetreten ist, um der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien massivste, nicht zu beweisende Vorwürfe zu machen, der sollte sich an seine eigene Vergangenheit erinnern und wissen, daß Ende 1966 ein völliger finanzwirtschaftlicher Zusammenbruch erfolgt war —

(Wehner [SPD]: Sehr wahr! — Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

mit einer Abwahl Ihres Kanzlers, mit der Bestimmung des neuen Kanzlerkandidaten Kurt Georg Kiesinger und Ihren verzweifelten Versuchen, die SPD für eine Beteiligung an einer Regierung der Großen Koalition zu gewinnen. Die SPD hat diesem Ihren Wunsch, der der Angst um Existenzberechtigung entsprang,

(Zuruf von der SPD: Wessen Existenzberechtigung?)

aus staatspolitischer Verantwortung nachgegeben —

(Beifall bei der SPD)

trotz aller Diffamierungen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht zu fassen!)

die wir bis dahin im Parlament und außerhalb des Parlaments von Ihrer Seite entgegennehmen mußten.

(Wehner [SPD] : Und danach wieder! — Seiters [CDU/CSU] : Geschichtsklitterung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir haben das Wohl des Volkes, das Gemeinwohl für wichtiger gehalten und gewußt, was Sie selbst auch wußten, daß Sie allein nämlich nicht in der Lage waren, diese finanzwirtschaftliche Krise zu lösen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719901300
Herr Dr. Möller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Althammer?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0719901400
Herr Kollege Möller, wenn Sie die Verhältnisse von 1966 bei einem Finanzierungsdefizit von 3 Milliarden DM als völligen finanziellen Zusammenbruch bezeichnen, möchte ich Sie fragen, wie Sie die gegenwärtige Situation mit einem Finanzierungsdefizit von 40 Milliarden DM bezeichnen.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0719901500
Es handelt sich nicht einfach um einen Betrag, was das Finanzierungsdefizit angeht, zumal wir heute ganz andere Größenordnungen haben als 1966.

(Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] : Das ist richtig! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Herr Althammer, Sie hatten doch 1966 weniger in Ihrem Portemonnaie als heute, wobei ich nicht annehme, daß sich Ihre Berufsverhältnisse so wesentlich geändert haben, daß das der Grund wäre. Aber schauen Sie sich an, was Herr Bundeskanzler Kiesinger damals in seiner Regierungserklärung gesagt hat. Ich habe diese Regierungserklärung immer bei mir, weil sie gute Dienste leistet. Er hat gesagt, daß das Haushaltssicherungsgesetz, das Sie damals nach den Wahlen schon im Dezember 1965 — also kurz nach den Wahlen — herausgebracht haben, um die vorher verteilten Wahlgeschenke wieder einzukassieren, „nur eine Krücke gewesen sei, die nur über die Schwierigkeiten eines einzigen Jahres hinweghalf. Das ist die Wahrheit die wir uns eingestehen müssen und die wir unserem Volke nicht vorenthalten dürfen". Herr Kiesinger fuhr fort: „Wäre von vornherein das getan worden, was nunmehr wir tun müssen, wären nicht jene Erwartung und Gewöhnung entstanden, die heute enttäuscht werden müssen." Das alles, Herr Kollege Althammer, müssen Sie sich sehr gründlich überlegen, wenn Sie solche Fragen stellen. Aber wenn Sie solche Fragen stellen, müssen Sie zunächst diese Feststellungen eines beachtlichen Politikers



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
aus Ihren Reihen würdigen. Sie kommen dann zu einem anderen Schluß hinsichtlich unseres Konsolidierungsprogramms; denn wir tun gerade das, was Herr Kiesinger in seiner Regierungserklärung bei den vorangegangenen Regierungen vermißt hat. Wir ziehen haushaltswirtschaftlich früh genug die notwendigen Konsequenzen,

(Stücklen [CDU/CSU] : Sie allein, Herr Möller!)

und zwar mit dem Nachtrag für das Jahr 1975, mit dem Artikelgesetz und für den Haushalt 1976, darüber hinaus mit dem Vorschlag, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte zu erhöhen. Wir könnten ja sagen: Die Wahlen finden im Oktober 1976 statt; die Mehrwertsteuererhöhung, die wir vorschlagen, soll ab 1. Januar 1977 in Kraft treten; soll man sich doch später Sorgen darüber machen, ob sie eingeführt werden kann oder nicht und mit wie vielen Punkten! Unsere finanzwirtschaftliche Verantwortung geht so weit, daß sie nicht mit dem Ende der Legislaturperiode ausläuft. Wir müssen unsere finanzwirtschaftliche Verantwortung über diese Legislaturperiode hinaus auch für die 8. Legislaturperiode einsetzen. Wir müssen doch im Wahlkampf 1976 Auskunft auf die Frage geben: wie denkt ihr euch die Schließung noch vorhandener Lücken bei der Neugestaltung des Haushalts 1977?

(Beifall bei der SPD)

Da nun ernsthaft von niemandem bestritten werden kann, daß es wieder eine Regierung unter dem Bundeskanzler Helmut Schmidt geben wird, ist es doch nur folgerichtig, daß wir früh genug die Karten auf den Tisch legen und ähnlich verfahren, wie das in Österreich geschehen ist. Dort wird ab 1. Januar 1976 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 % vorgenommen. Dieser Beschluß ist von der österreichischen Regierung lange vor dem Wahltag gefaßt worden. Alle Wähler in Österreich haben das gewußt, und diese Regierung hat wieder die Mehrheit im Parlament erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich darf unabhängig von den Ausführungen des Kollegen Strauß noch einmal daran erinnern, daß die CDU/CSU-Fraktion nun seit den September-Wahlen 1969 auf der Oppositionsbank sitzt und ihre Lehrzeit damals begonnen hat. Wenn man die Beispiele ihrer Lehrlingsarbeit prüfen muß, kann man nur sagen: Es wird recht lange dauern, bis Sie sich von den Oppositionsbänken entfernen können.

(Beifall bei der SPD — Dr. Ehrenberg [SPD] : Da stößt der Bildungsstaat tatsächlich an seine Grenzen!)

Ich kann Ihre Schmerzen sehr gut verstehen — nach einer so langen Zeit der Regierung in Bonn. Aber wir haben nun einmal in unserer parlamentarischpolitischen Geschichte einen neuen Zeitabschnitt begonnen, und seit er da ist,

(Stücklen [CDU/CSU] : Geht es abwärts!)

versucht der Finanz- und Wirtschaftsexperte der
CDU/CSU, der Kollege Strauß, in beachtlicher Regelmäßigkeit, den Staatsruin, das Finanzchaos, die galoppierende Inflation, den Offenbarungseid und vieles andere aus dem Gruselrepertoire konzeptloser Oppositionsstrategen zu beschwören. Die nicht von Verantwortung zeugenden Kampagnen zur Verunsicherung der Bevölkerung, die immer wieder in Szene gesetzten Manöver zur Verschleierung der realen Tatbestände, die vordergründige Strategie zur Verunglimpfung des politischen Gegners, wie wir sie heute wieder erlebt haben — des Gegners, der sich nun in den Positionen der Bundesregierung befindet —, alle Bemühungen, durch politische Schönheitschirurgie ein staatsmännisches Gesicht vorzutäuschen, sind stets gescheitert und scheitern auch in diesen Tagen.

(Beifall bei der SPD)

Alle von Herrn Kollegen Strauß mit, wie ich zugebe, großem rhetorischem Aufwand und akustisch verständlich vorgebrachten Diagnosen und Prognosen haben am Ende immer — ohne Ausnahme — eine außerordentlich hohe Fehlerquote und Fehleinschätzungen bewiesen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Leicht [CDU/CSU]: Das ist ja nicht wahr!)

Die Schminke, die bei jedem bekanntlich nur eine Weile hält, schwindet immer; damit sollte sich endlich auch Herr Strauß abfinden.

(Beifall bei der SPD)

Er hat am 24. Oktober dieses Jahres im „Münchner Merkur" ausgeführt, daß er den Sozialstaat bejahe. Angesichts dessen, wie er seine Ausführungen dann fortgesetzt hat, kann ich diese Aussage aber nur als sophistische Dialektik bezeichnen. Herr Strauß hat nämlich im „Münchner Merkur" vom 24. Oktober weiter erklärt:
Ich sage nur, daß der Sozialstaat seine Grenzen erreicht, zum Teil überschritten hat. Deshalb ist es heute nicht mehr möglich, politische Probleme oder gesellschaftliche Konflikte durch materielle Zuwendungen, durch Gratifikationen und Bonifikationen zu lösen.

(Wehner [SPD] : Hört! Hört! — Leicht [CDU/ CSU] : Na und?)

So stellt sich der kleine Moritz unseren Weg zum sozialen Rechtsstaat vor.

(Beifall bei der SPD)

Schon in meiner Rede am 17. September hier im Hohen Hause habe ich auf ähnliche, mir völlig unverständliche Ansichten des Herrn Kollegen Strauß hingewiesen. Er war damals nicht anwesend. Damals hat er der Volksrepublik China gerade seinen zweiten Besuch in diesem Jahr abgestattet, und zwar sicher aus guten Gründen, die nicht nur mit dem Verkauf des Airbus zu tun haben,

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

sondern sicher auch damit, seinen persönlichen Erfahrungsschatz über marxistische Gesellschaftsordnungen in einem sozialistischen Land zu erweitern



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
— und natürlich in einem Land, das im Gegensatz zur Sowjetunion steht.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich habe dagegen nichts einzuwenden, Herr Leicht. Den Wahlkampf von 1969 haben Sie doch wahrscheinlich noch in Erinnerung; er liegt noch nicht so weit zurück. Damals haben wir die Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock, gegenüber der Sowjetunion vertreten. Die Reaktion in Ihrem Lager, z. B. bei Herrn Kiesinger — damals noch im Amt —, waren Warnungen, einen solchen Weg, wie ihn die SPD und die FDP eingeschlagen haben, mitzugehen. Herr Kiesinger hat in allen seinen Reden hinzugefügt: Ich sage nur noch: China, China, China.

(Zustimmung bei der SPD)

Jetzt kann ich doch wirklich sagen: Welche Wandlung durch Gottes Fügung!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit unserem gut ausgebauten System der sozialen Sicherung von materiellen Zuwendungen Gratifikationen und Bonifikationen zu sprechen, ist ein erschreckendes Beispiel für fehlende Standfestigkeit der CSU in einer Situation, in der es — wie in anderen Ländern der westlichen Welt — Schwierigkeiten bei der Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gibt. Sie haben gemerkt, daß ich die CDU hier fairerweise nicht eingeschlossen habe, weil ich meine, daß es sich nur um ein Erbgut der CSU handelt. Ich möchte nicht hoffen, daß die CDU auch auf diesem Gebiet den Weisungen des Vorsitzenden der CSU folgt.
Es ist eine völlige Fehleinschätzung unserer heutigen wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, wenn der inneren und äußeren Stabilität der Bundesrepublik Deutschland unter den gegenwärtig ungünstigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein so geringer Stellenwert eingeräumt wird. Dabei sollten eigentlich die Werturteile der mit uns befreundeten Länder der westlichen Welt über unsere Bemühungen, die Störungsfaktoren eines geordneten Wirtschaftsablaufs auszuschalten, selbst die Opposition zu einer gewissen Einkehr bei der eigenen Urteilsbildung veranlassen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich hinsichtlich Ihrer Behauptungen über die Kosten dieses sozial ausgerichteten Staates noch ein ganz klares Wort hinzufügen. Ich meine, wenn wir uns die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Ländern der westlichen Welt ansehen, muß doch für jeden, auch in der CDU/CSU, bemerkenswert sein, wie geordnet und sauber in dieser schwierigen Lage bei uns in der Bundesrepublik noch alles vor sich geht.

(Beifall bei der SPD)

Auch in unserer Bundesrepublik sind die Menschen nicht anders als in Frankreich, England, Amerika oder wo Sie wollen. Aber der Ausbau unseres gesellschafts- und sozialpolitischen Systems, das nicht erst mit der sozialliberalen Koalition begonnen hat, sondern zum Teil gemeinsam errichtet worden ist, ergibt die Basis, auf der sich unsere Bevölkerung gesichert bewegen kann.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn in einem solchen Zustand der Ruhe die arbeitenden Menschen und die, die das Schicksal der Arbeitslosigkeit oder der Kurzarbeit noch tragen müssen, so reagieren, wie Wilson sicherlich möchte, daß die englische Bevölkerung reagiert, und Giscard d'Estaing möchte, daß die französische Bevölkerung reagiert — von der italienischen ganz zu schweigen , dann müssen Sie sich darüber klar sein, daß Sie für einen solchen Zustand der sozialen Gerechtigkeit und der persönlichen Freiheit auch einen materiellen Preis zahlen müssen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn Sie unsere innere Stabilität in Vergleich setzen zu diesem Preis, den wir aufwenden müssen, um diese innere Stabilität zu sichern, dann meine ich, kann es doch keinem ehrlichen Demokraten, ob Sozialdemokraten oder Christdemokraten, schwerfallen, sich für die Fortsetzung dieses Weges gerade dann zu entscheiden, wenn Schwierigkeiten eintreten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn diese Schwierigkeiten eintreten, sind wir alle zusammen aufgerufen, diesen Staat mit seinem sozialen Ausbau zu verteidigen und den Menschen den Glauben an die innere Sicherheit dieses Staates im sozialen Sinne um Gottes Willen nicht zu nehmen.
Die Voraussetzungen für die uns zuteil werdende internationale Anerkennung und die Stabilität unserer politischen Verhältnisse trotz relativ hoher Arbeitslosigkeit sind ich sagte es schon — nicht erst in den Jahren der sozialliberalen Koalition geschaffen, aber doch in diesen Jahren entscheidend ausgestaltet worden. Wir sind doch wesentlich vorwärtsgekommen. Denken Sie nur an die Kriegsopferversorgung. Es hat sich damals in dem Fahrplan von Herrn Strauß um die normale Erhöhung der Kriegsopferrenten gehandelt. Aber wir haben ab 1. Januar 1970 die Dynamisierung auch der Kriegsopferrenten durchgeführt und damit erreicht, daß wir nicht jedes Jahr erleben mußten, daß die Kriegsopfer auf die Straße gingen, um für eine Erhöhung ihrer Renten zu plädieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir haben auf diesem Wege und mit solchen Mitteln vieles erreicht, und die fruchtbaren Ergebnisse, meine ich, zeigen sich gerade dann, wenn erhebliche konjunkturelle und wirtschaftliche Schwierigkeiten auftreten.
Wenn Sie, meine Damen und Herren der CDU, wieder mit Herrn Strauß und der CSU zusammenkommen, empfehlen Sie doch bitte, daß sich die Opposition auf eine andere, auf eine konstruktive Strategie einigt und sich endgültig von der Sonthofener Strategie entfernt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)




Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Meine Damen und Herren, es ließen sich eine ganze Anzahl von Beispielen aufführen, die Ihnen zeigen, was wir in der Vergangenheit gerade auf sozialem und gesellschaftspolitischem Gebiete an Taten, an Ergebnissen, an Handlungen aufzuweisen haben. Im Laufe der Debatte werden sachverständige Kollegen meiner Fraktion hierauf noch im einzelnen eingehen.
Wenn man sich nun alles ansieht, was da eine Rolle spielt von der Kriegsopferversorgung bis zur Dynamisierung der Altershilfe für Landwirte und anderes —, dann sind das für Herrn Kollegen Strauß, aber hoffentlich nicht für seine Fraktion, Gratifikationen und Bonifikationen. Unsere Opposition respektiert insoweit diese sozialen Errungenschaften nicht,

(Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] : Das ist doch Unsinn!)

um die wir von unseren ausländischen Partnern beneidet werden. Diese Gesetze, die das sozialpolitische Fundament bilden, sind auch der Garant unserer inneren Stabilität.
Für uns Sozialdemokraten bleiben diese Leistungen gesellschaftspolitische Grundfragen, die im Interesse der breiten Schichten unseres Volkes gelöst werden mußten.

(Beifall bei der SDP und der FDP)

Es handelt sich nicht um eine „Last der Wohltaten", wie man diese Maßnahmen in einer Studie des Planungsstabes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom Februar 1975 abqualifiziert hat.

(Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

Die Oppositionspolitiker, so z. B. Herr Kollege Strauß, sprechen von der ungeheuren Ausweitung des Staatsanteils, der in dieser Situation zu beklagen sei. Dieser Anstieg ergibt sich aus zwei Faktoren, von denen man einmal sprechen muß, um zu der sachlichen Beurteilung zu kommen, die gerade in diesem Falle erforderlich ist.
Einerseits muß sich bei einem normalen Niveau der Staatsausgaben die sogenannte Staatsquote automatisch erhöhen, wenn sich das Wachstum der Bezugsgröße, also des Sozialprodukts, verlangsamt, und zum anderen ist und bleibt es Pflicht des demokratischen Staates, in der Rezession gegenzusteuern, durch zusätzliche Ausgaben Investitionen zu finanzieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Daß sich antizyklische Politik in einem rein rechnerischen Anstieg der Staatsquote niederschlägt, ist nichts anderes als der zahlenmäßige Ausdruck dieser notwendigen Steuerung, aber keine „Ungeheuerlichkeit", von der Herr Strauß spricht.

(Wehner [SPD]: Sehr wahr!)

Genauso steht es mit der Schuldenpolitk, die Herr Strauß angesprochen hat. Die Schuldenpolitik ist keine Zerrüttung der Staatsfinanzen, wie er behauptet.

(Stücklen [CDU/CSU]: Das Zeichen von Solidität!)

Sie hat auch kein unerträgliches Ausmaß angenommen, wenn man den Schuldenstand an dem vergleichbarer Länder der westlichen Welt mißt. Die Höhe der Schuldenaufnahme ist auch nicht abenteuerlich oder, wie man sagt, „geradezu phantastisch" geworden. Auch das schreibt Herr Strauß im „Münchener Merkur" vom 24. Oktober 1975. Aber, meine Damen und Herren, wir waren uns doch mindestens für das Jahr 1975 darüber im klaren, daß wir nur über Schuldenaufnahme die notwendigen Anreize konjunktureller Art geben konnten, die eine verantwortungsbewußte Regierung und ein verantwortungsbewußtes Parlament bei den sich wechselnden Konjunktursituationen einzuleiten hatten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nun sind wir der Meinung, daß wir im Jahre 1976 nicht mehr dieselben Beträge zur Verfügung stellen können, sondern allmählich wieder in einen normalen Schuldenstand einpendeln müssen. Wir machen dazu entsprechende Vorschläge. Aber die Opposition sagt dazu nein. Sie sind sich doch darüber klar, wie wenig Mittel es gibt, einen Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Zu den Mitteln gehören Steuern, Schulden, Veränderungen auf der Einnahme- und der Ausgabeseite.
Aber Ihre Alternative zu dem Konzept der Regierung besteht in den Vorschlägen, die Herr Strauß heute wiederholt hat: Steuererleichterungen zu schaffen.

(Stücklen [CDU/CSU] : Er will die Wirtschaft investitionsfähig machen! -KrollSchlüter [CDU/CSU]: Das sagt auch Ihr Koalitionspartner!)

— Das ist, Herr Kollege Stücklen, doch nicht die Aufgabe dieser Monate.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Die Aufgabe dieser Monate ist, für mehr Nachfrage zu sorgen und, wenn möglich, einiges zu tun was die Regierung vorbildlich macht —, um unseren Export wieder besser in Gang zu bringen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie, die Sie ja ein besonderes Verhältnis zu den Ostblockstaaten haben, müssen sich einmal die Exportquote in der Entwicklung von 1969 bis 1974 ansehen. 1969 lag sie bei etwa 5 Milliarden DM, 1974 bei etwa 18 Milliarden DM. Mit Ihrer Politik gegenüber den Ostblockländern, mit Ihrem Widerstand gegen Entspannung hätten Sie diese Exportquoten sicherlich nicht vorzuweisen.

(Beifall bei der SPD und der FDP Zurufe von der CDU/CSU)

Darüber sollten Sie ruhig einmal nachdenken.
Sie treten so stark für bestimmte Kreise der Wirtschaft ein, die doch ein Finanzierungselement für Sie sind. Aber Sie müssen dann auch zur Kenntnis nehmen, daß diese Kreise über unsere Politik gegenüber den Ostblockstaaten und auch gegenüber China anders denken, als es diese Kreise politisch werten und beurteilen. Denn sie machen sehr gern Reisen mit, die der Bundeskanzler oder der Bundes-

Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
wirtschaftsminister im Osten ausführen. Es ist immer ein Kreis von Unternehmern dabei. Mir kommt es manchmal so vor, als wenn unsere Regierungsmitglieder von Aasgeiern umschwärmt würden.

(Unruhe bei der CDU/CSU — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sehr schön!)

Aber, meine Damen und Herren, wer den grundsätzlichen und politischen Widerstand gegen die Entspannungspolitik der Bundesregierung und dieser Koalition dauernd schürt

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Wollen Sie die Unternehmer als Aasgeier bezeichnen? Unglaublich!)

und den harten Widerstand immer wieder proklamiert, der muß daraus auch politische Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/ CSU] : Ist Herr Mommsen ein Aasgeier? Das ist typisch!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719901600
Herr Abgeordneter Dr. Möller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht? — Bitte!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719901700
Herr Kollege Möller, würden Sie unseren deutschen Bürgern auch sagen, daß der Osthandel nur deshalb so stark zugenommen hat, weil dieses Parlament bereit war, diese Dinge in x-Milliarden-Höhe praktisch zu garantieren oder, wenn Sie wollen, vorzufinanzieren?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0719901800
Nein! Der Sowjetunion sind z. B. sehr viel vorsichtiger die im Außenhandel sonst üblichen Konditionen eingeräumt worden,

(Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

sowohl was die Zinshöhe angeht als auch was die Garantie über Hermes betrifft. Das ist also ein Irrtum.

(Abg. Kroll-Schlüter meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Wollen Sie denn den Irrtum noch vergrößern?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719901900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter? — Bitte!

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0719902000
Herr Kollege Dr. Möller, ist Ihnen auch bekannt, wie viele mittelständische Textilbetriebe intolge des Osthandels pleite gegangen sind?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0719902100
Nein, das ist mir nicht aufgefallen. Mir ist nur aufgefallen, daß sowohl auf der Industriemesse in Moskau wie auch auf der Industriemesse in China gerade kleinere und mittlere Betriebe ausgestellt haben und daß gerade diese kleinen und mittleren Betriebe auf bestimmten Gebieten außerordentlich konkurrenzfähig sind. Ich sehe da überhaupt eine besonders positive Entwicklung für die weitere Zukunft.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich nehme es der Opposition durchaus ab, wenn sie eine heute notwendige antizyklische Finanzpolitik im Grundsatz doch wohl bejaht. Aber eine heimliche Bejahung genügt nicht. Man muß sich zu den notwendigen Konsequenzen einer solchen Politik auch dann bekennen, wenn sie von einer Bundesregierung getragen wird, der man nun einmal nicht angehört und nicht angehören wird.
Durch die Maßnahmen der Bundesregierung zur Stützung der Konjunktur werden die Haushalte der kommenden Jahre zweifellos belastet. Es sind daher künftig erhebliche Anstrengungen erforderlich, um die Auswirkungen des Konsolidierungsprogramms in den kommenden Jahren aufzufangen. Es entspricht dem Sinn und der Zielsetzung der mittelfristigen Finanzplanung, daß wir bereits heute, nachdem wir den Tiefpunkt der Rezession kaum durchschritten haben, über Maßnahmen zur Konsolidierung der künftigen Haushalte beraten. Wer die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung analysiert, wird daraus ablesen, daß wir den Übergang zu einer konjunkturellen Normallage, d. h. von den von Herrn Kollegen Strauß so phantasievoll ausgeschmückten Horrorzahlen der Finanzkrise hin zu normalen Größenordnungen, wieder erreichen. Staatsanteil und Kreditbedarf werden dann relativ schnell zurückgehen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Diskussion über die volkswirtschaftliche Steuerquote sagen. Es ist festzustellen, daß sie 1969 bei 24 % lag. Diesen Wert hatten wir uns seinerzeit als Richtmaß für die Steuerpolitik der sozialliberalen Koalition vorgenommen. Er wird in nächster Zeit nicht erreicht. Auch bei Durchführung der von der Bundesregierung beabsichtigten Steuererhöhungen kommen wir erst 1979 zu diesem Wert von 24 %. Daraus ergibt sich der Konsolidierungsbedarf, der über die Einnahmenseite gedeckt werden muß. Vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat man festzustellen, daß sich dieser Konsolidierungsbedarf in einem durchaus vertretbaren Rahmen hält.
Ich weiß sehr wohl, daß die Betrachtung allein der Steuern nicht vollständig ist. Auch die übrige Abgabenbelastung gehört in diese Rechnung. Hier und nur hier, meine Damen und Herren, werden wir einen Anstieg der Belastungen zu verzeichnen haben. Vor allein in der Krankenversicherung steigen lie Beiträge. Die Ursache liegt, wie Sie wissen, in der Kostenentwicklung. Sie wissen auch, daß wir uns alle Mühe geben, hier akzeptable neue Lösungen zu finden. Die Kosten in diesem Bereich stellen jedoch nur ein Beispiel dar. Die prekäre Situation der öffentlichen Finanzen ergibt sich auch daraus, daß Staatsleistungen überwiegend in den Dienstleistungssektor fallen, also in der Hauptsache Personalkosten sind.
Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen in seinem Gutachten vom 5. Juli 1975



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
zu sehen, daß die nominelle Staatsausgabenquote bereits steigen müsse, wenn der Staat nur einen konstanten Anteil am realen Sozialprodukt halten wolle, da die Preise der öffentlichen Leistungen in der Regel schneller steigen als die sonstigen Preise. Das hat nichts mit Unsolidität oder Reformeuphorie zu tun. Herr Strauß, ich habe es sehr bedauert, daß Sie Beamten des Finanzministeriums unterstellt haben, sie hätten einen unzulässigen Einfluß auf die Abfassung des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats in einzelnen Teilen ausgeübt.

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Es ist bedauerlich, wenn man so etwas Beamten unterstellt, und es ist ebenso bedauerlich, wenn Sie die Qualifikation und Unabhängigkeit der zum Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums gehörenden Personen in dieser Weise abqualifizieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, sowohl das Haushaltsstrukturgesetz als auch der Haushaltsentwurf 1976 stehen im Zeichen der von Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom Mai 1974 genannten Zielsetzung der Kontinuität und der Konzentration, was in diesem Zusammenhang die Fortsetzung der für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verantwortungsvollen Politik unter Berücksichtigung der konjunkturellen und finanzwirtschaftlichen Realitäten, also die Beschränkung auf das heute Wichtigste und Machbare, bedeuten kann. Unsere Zielsetzung bleibt, die soziale Sicherheit auch unter den weltweit auftretenden vergrößerten Risiken zu wahren und die immer noch restriktive Phase mit der Konsequenz einer erhöhten Arbeitslosigkeit zu überwinden. Um diese Zielsetzung zu erreichen, stimmt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion den Vorlagen zu, die jetzt zur Entscheidung anstehen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen. Zu einer funktionierenden Demokratie gehören geordnete Verhältnisse zwischen den Koalitionsparteien und der Opposition. Ich habe zu meiner Freude in der Rede von Herrn Strauß festgestellt — man kann ja auch Positives herausstellen —, daß er sehr sorgfältig Arbeiten und Reden des Bundeskanzlers Helmut Schmidt liest.

(Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

Ich würde mich freuen, wenn er sie so liest, daß er sich den politischen Realitäten annähert, die aus den Reden und Aufsätzen des Bundeskanzlers erkennbar sind.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Sie einen politisch sauberen Stil entwickeln wollen, würde es Ihnen nicht schaden, wenn Sie einmal ein Wort des Dankes und der Anerkennung für das aussprächen, was die Bundesrepublik der Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Bundesaußenminister, den anderen Mitgliedern des Kabinetts, in ihrem Wirken nach außen, in der westlichen Welt, zu verdanken hat.

(Beifall bei der SPD) Wir alle sollten uns über diese positive Entwicklung klar sein. Wir sollten uns bewußt sein, wie wichtig es für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ist, daß wir Freunde in der westlichen Welt haben,


(Beifall bei der SPD und der FDP)

daß wir in allen entscheidenden Fragen auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit die Koordination pflegen, daß wir ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der westlichen Welt, den Regierungen, die wir als Freunde bezeichnen, feststellen können. Das, meine Damen und Herren, müßten Sie doch wenigstens einmal anerkennen.

(Stücklen [CDU/CSU]: Das haben doch wir begründet!)

— Sie begründet? Das wäre bei Ihnen schon längst in Trümmer gegangen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Aber wir haben — meine Damen und Herren, daran kann doch gar kein Zweifel sein — es so positiv ausgestalten können, daß wir auf gegenseitige Achtung und mit gegenseitiger Freundschaft rechnen können. Das ist ein ganz entscheidendes Verdienst dieser Bundesregierung!

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Und da sollten Sie nicht vor Neid blaß werden, sondern sich darüber freuen, daß es uns gelungen ist, der Bundesrepublik Deutschland diese wichtige, solide Position im Weltgeschehen gesichert zu haben.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719902200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0719902300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Sprecher der Opposition, der Herr Kollege Strauß, ständig von der „Lügenpolitik" der Regierung spricht

(Zuruf von der SPD: Das kann der ungestraft!)

und gleichzeitig die Stiftung eines MünchhausenOrdens empfiehlt, knüpft er selbst den Faden zum Lügenbaron der Opposition.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Aber ich möchte ihm auf dieser Gratwanderung von Verbalinjurien nicht weiter folgen.
Meine Damen und Herren, zu einer Generalabrechnung mit der Regierungspolitik

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Dazu langt es nicht!)

ist die Rede des Oppositionssprechers denn ja gerade nicht geworden, aber sie sollte wohl auch, so scheint mir, sehr viel mehr die Botschaft verbreiten: Deutschland braucht Bayern,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)




Hoppe
eine Botschaft, die, wie mir scheint, besonders die CDU erreichen sollte.

(Dr. Althammer [CDU/CSU] : Und Berlin, Herr Kollege Hoppe!)

Aber wer zur Attacke auf die Regierungspolitik bläst, muß natürlich wissen, welche Pferde er dazu satteln kann. Wenn Herr Kollege Strauß heute nun ausgerechnet die Macher umreiten will, hat er sich, wie ich meine, auf den falschen Gaul gesetzt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

„Alles ist machbar", das war doch gerade ein Markenzeichen für das Gespann „Plisch und Plum" in der Großen Koalition, und es hat doch nach 1969 einiger Mühe bedurft, um mit dieser Überschätzung wieder aufzuräumen. Zu einem Problemkreis besonderen Ranges sind für die öffentlichen Haushalte nun die Gemeinschaftsaufgaben geworden; und auch hier ist der Kollege Strauß auf diesen seinen Einfall eigentlich immer besonders stolz gewesen.
Meine Damen und Herren, Herr Strauß wollte mit seiner Redezeit dem Finanzminister Apel offenbar nicht nachstehen. Aber mir scheint, daß sich dann inhaltlich die Kritik — wie schon bei der Rede des Oppositionsführers im September in der Aussprache über die Regierungspolitik — weitgehend im Dunkeln verlaufen hat. Auch zu dieser Stunde lassen die besseren Lösungen der Opposition leider noch immer auf sich warten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Dennoch ist die heutige Rede von der Oppositionsfraktion beifällig aufgenommen worden — eine Reaktion, die mir durchaus einsichtig erscheint, denn natürlich zeichnet sich der Kollege Strauß immer noch durch Originalität und Vitalität aus, auch wenn der Lustgewinn langsam abnimmt.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)

Ist das Feuerwerk abgebrannt, sind die Wortkaskaden verrauscht,

(Strauß [CDU/CSU]: Alles abgeschrieben!)

was bleibt dann, meine Damen und Herren, von all dem übrig?

(Wehner [SPD]: Erinnerung!)

Allenfalls eine gelungene rhetorische Leistung und zugleich doch eine inhaltliche Leere.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. h. r. Dr.-Ing. E. h. Möller [SPD] : Aber ohne h!)

Meine Damen und Herren, das Bild einer von der CDU/CSU geprägten wirtschafts- und finanzpolitischen Landschaft unserer Republik wurde heute morgen nicht gemalt. Das Regierungskonzept der Opposition hat keine Konturen bekommen. Wenn schon nicht Darstellungen der Einzelheiten, wenn nicht umfassende Alternativen, dann hätte man doch wenigstens die Andeutung einer Gegenposition erkennen müssen, die von der Opposition anders als von der Regierung bezogen wird.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Sie haben nicht zugehört! — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Die Rede war vorher geschrieben!)

Zumindest einiges von dem Instrumentarium und den geplanten Maßnahmen hätte sichtbar werden müssen, womit die Opposition besser als diese Regierung und die sie tragenden Parteien die Krise der Gegenwart mit ihren in die Zukunft reichenden Schwierigkeiten meistern will. Aber nichts von alledem!
Meine Damen und Herren, wer darauf gehofft hatte, daß die unserer Volkswirtschaft aufgezwungenen Probleme als die Herausforderung dieser Zeit begriffen würden, welche ein Zusammenrücken der politischen Kräfte und gemeinsames Handeln der Parteien erzwingen könnte, ist sehr bald eines Besseren belehrt worden. Nicht Gemeinsamkeit, nicht Zusammenarbeit, sondern Konfliktstrategie bleibt die Parole der Opposition. Um jedoch nicht an der rein destruktiven Strategie der CSU Schaden zu nehmen, wird die radikale Position sowohl biederprofessoral als norddeutsch-präsidial gemildert. Aber heute ist der Kollege Strauß dann doch wieder aus den Kulissen hervorgetreten. Meine Damen und Herren, der von der Opposition geforderte Offenbarungseid der Regierung soll nach wie vor mit allen Mitteln herbeigeführt werden. Die Opposition beteuert zwar gleichzeitig Aufgeschlossenheit und partielle Kooperationsbereitschaft, will aber dennoch mit ihrem Nein zu den Steuererhöhungen die Mehrheit im Bundesrat zum Würgegriff für die Regierung werden lassen. Die Opposition muß dabei Obacht geben, daß ihr das nicht zu einem Sonthofen im Gewande verfassungsmäßiger Legitimität mißrät.
Wir haben heute das Haushaltsgesetz 1976 auf der Tagesordnung, und die in seinem Zahlenwerk ausgedrückte Problematik sollte uns den Blick dafür schärfen, daß es um eine tiefgreifende Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Situation geht. Wir stehen vor der Aufgabe, grundlegende Strukturveränderungen zu meistern und die daraus resultierenden Risiken für jeden einzelnen zu bewältigen. Wer das Sondergutachten des Sachverständigenrates nicht nur als Orientierungshilfe für den Augenblick betrachtet, muß eigentlich zu dieser Einsicht gelangen. Diese Situation verlangt eine gemeinsame Kraftanstrengung von Wirtschaft und Politik. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Verbände werden diese Aufgabe mit den Verantwortlichen in Regierung und Parteien nur in einer Solidargemeinschaft lösen können. Die Frontenbildung in unserem Lande, die Polarisierung der politischen Kräfte mull die Lösung erschweren und kann sie auf unwiederbringliche Zeit hinausschieben. Dabei könnte dann eines Tages sogar der Arbeitsfrieden gefährdet werden, auf den wir heute alle noch so stolz sind.
Aber es scheint ja wohl müßig, den Appell zur Einsicht und Umkehr an die Opposition zu richten. Sie hat sich für den Konflikt entschieden. Und doch, meine Damen und Herren, wird der polemisch und lautstark geführte Streit sehr bald nur noch aka-



Hoppe
demisch klingen: Die Bevölkerung unseres Landes wartet auf Entscheidungen.
Es mag nun durchaus sein, daß sich auch die Bundesregierung bei der Beurteilung der Wirtschaftslage genauso wie andere — geirrt hat. Der Sachverständigenrat bekennt jedenfalls, daß die Entwicklung anders, und zwar sehr viel ungünstiger verlaufen ist, als er und andere es 1974 noch vorausgesehen haben. Bei diesem für alle einsichtigen Sachverhalt immer wieder der Bundesregierung die Schuld an der derzeitigen Misere in die Schuhe schieben zu wollen, ist zwar parteipolitisch, parteitaktisch verständlich, aus dem Rollenverständnis der Opposition auch durchaus naheliegend; bei den sehr eindeutigen Daten muß das aber wenig überzeugend bleiben.
Richtig ist allerdings, daß die Steigerungsrate der Staatsausgaben die Wachstumsrate des nominellen Sozialprodukts kräftig überschritten hat. Auf dieses bedenkliche Ungleichgewicht hat die Steuerreform mit den damit verbundenen Steuerausfällen keine Rücksicht genommen und so zu dem bestehenden strukturellen Defizit beigetragen — eine Situation, die in der Tat Keime einer gefährlichen Entwicklung enthält und deshalb grundlegend verändert werden muß.
Was nun die in der Vergangenheit übermäßig ausgeweiteten Staatsausgaben betrifft, so sollte hier allerdings jede Partei vor ihrer eigenen Tür kehren. Der Opposition steht es jedenfalls schlecht an, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Hier haben wir alle zusammen kräftig gesündigt, meine Damen und Herren. Es ist auch durchaus zu erklären, warum mit sich überbietender Großzügigkeit so verfahren wurde, auch wenn es im nachhinein falsch war und uns die derzeitige Misere beschert hat. Ein Staat, dessen Einnahmen so progressiv ansteigen und dem es vermeintlich so gut geht, muß seine Bürger an diesem Wohlstand teilhaben lassen, wenn er den Konsens zwischen den Bürgern und ihrem Staat nicht in Frage stellen will. Hier ist von der Identifikation aller Parteien mit dem Staat die Rede, die sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Meine Damen und Herren, daß bei dem Versuch, die Bürger am wachsenden Wohlstand teilhaben zu lassen, gepaart mit dem Bemühen, bei der Vermögensverteilung zu mehr Gerechtigkeit zu gelangen, dann die Grenzen des Möglichen überschritten wurden, ist leider richtig. Es ist aber keineswegs der exklusive Sündenfall der Regierung, wie es uns die Opposition weismachen will. Die Grenze des finanziell Zulässigen haben wir gemeinsam Arm in Arm überschritten. Daß dies allerdings so drastisch ausfiel, liegt in der nun wirklich nicht vorhergesehen Schrumpfung der Steuereinnahmen, und das wiederum ist durch einen Weltwirtschaftseffekt ausgelöst worden, den niemand in diesem Ausmaß erwarten und vorhersehen konnte.
Meine Damen und Herren, nun mag es hier und da durchaus auch Reformeuphorie gegeben haben, aber es ist absolut falsch, davon zu reden, daß die Reformpolitik dieser Regierung jene Ausgabenlawine verursacht habe, die zu der jetzigen Geröllhalde an haushaltspolitischen Problemen geführt hat. Wenn die Opposition dennoch die Reformpolitik der Regierung meint attackieren zu können, wird sie dabei zum Zerrbild jener neuen CDU, die mit „Reformfreudigkeit Anhänger" unter jenem Regenschirm sammelt, den Biedenkopf von Kohl bis Katzer ausgespannt hat.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren, es soll auch nicht geleugnet werden, daß es Unsicherheiten in der Wirtschaft gibt, Unsicherheiten, die negativen Einfluß auf Unternehmensentscheidungen haben können. Gerade weil das so ist, will die Regierung mit ihrem jetzigen Gesundungsprogramm eindeutige Daten für die Wirtschaft setzen, damit Ungewißheit durch Sicherheit ersetzt wird und jenes Vertrauen wieder zurückkehren kann, das für ein unternehmerisches Engagement notwendig ist.
Bei der Operation der Kürzung von Staatsausgaben will die Opposition nun zu kräftigen Eingriffen kommen. Diese Ankündigungen hören wir gern, und wir werden der Opposition bei ihren Bemühungen keineswegs in den Arm fallen. Im Gegenteil, ein edler Wettstreit bei der Rückführung der üppigen Staatsausgaben auf das sachlich Notwendige und finanziell Verantwortbare mag die parlamentarische Arbeit der kommenden Wochen bestimmen. Aber jeder sollte sich davor hüten, den Mund zu voll zu nehmen. Mit lautstarkem Geschrei und vollmundigen Ankündigungen sind Haushaltsansätze bisher noch nie und zu keiner Zeit verändert worden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es wird dazu vielmehr notwendig sein, daß sich die Parteien, und zwar alle Parteien, bei dieser schwierigen Prozedur aus der Rolle eines Mentors für bestimmte Verbände, Interessen- und Gesellschaftsgruppen lösen. Nur wenn alle Bereiche mit der gleichen Elle gemessen werden und sich die Parteien bei ihrer Arbeit nicht wechselseitig behindern oder gar blockieren, kann sich der Erfolg des Sparprogramms auch tatsächlich einstellen.
Für die bevorstehende Arbeit hat uns nun der Bundesrechnungshof mit der Stellungnahme seines Präsidenten zum Haushaltsplan 1976 wertvolle Hinweise gegeben. Erfreulich konkret sind die Vorschläge und Anregungen für weitere Einsparungen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses werden die Zuarbeit des Rechnungshofs dankbar entgegennehmen. Bei der Haushaltsrevision und bei der Überprüfung der einzelnen Ansätze im Etatentwurf der Bundesregierung wird das Material des Rechnungshofs gewiß mehr sein als nur Orientierungshilfe und Leitlinie.
Nicht ohne Grund haben die Ausführungen zur Organisation des öffentlichen Dienstes und zur Personalwirtschaft in der Öffentlichkeit die stärkste Beachtung gefunden. Wer wollte leugnen, daß die Staatshaushalte unter den Personalkosten ächzen, und dabei nimmt sich der Personalkostenanteil des Bundeshaushalts gegenüber der Personalkostenquote in den Länderhaushalten noch verhältnismäßig bescheiden aus.



Hoppe
Wir haben für den öffentlichen Dienst in der Vergangenheit in der Tat häufig an drei Stellen gleichzeitig gesorgt: bei der Vermehrung der Planstellen, bei der besseren Bewertung und Höhergruppierung der Stellen und bei der linearen Besoldungs- und Gehaltsverbesserung. Dabei ist die Zahl der Planstellen für die Gesamthöhe der Personalkosten naturgemäß der wichtigste Multiplikator. Der Stellenplan hat in den hinter uns liegenden fetten Jahren allenthalben Fett angesetzt und Übergewicht bekommen. Auch der öffentliche Dienst kann deshalb eine gesunde Diät und wohldosierte Schlankmacher sehr gut vertragen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Bevor an den Einkünften des einzelnen herumgebastelt wird und bevor mit kosmetischen Korrekturen mehr Ärger als grundsätzliche Änderung geschaffen wird, muß mit aller Energie die Reduzierung des zu groß gewordenen Heeres unseres öffentlichen Dienstes herbeigeführt werden.
Es kann jetzt nicht der Augenblick sein, auf Einzelheiten dieses Themas einzugehen; aber wenn der Rechnungshof aus guten Gründen die vorgezogenen Altersgrenzen attackiert, die beim Bund in bestimmten Bereichen verordnet sind, und wenn außerdem eine bissige Bemerkung über die vollständige Nutzung und zweckmäßige Verteilung der verfügbaren Arbeitszeit gemacht wird, dann sei an dieser Stelle die Bemerkung gestattet, daß dem öffentlichen Dienst in der Tat die Rückbesinnung auf den Grundsatz der Pflichterfüllung guttäte. Gerade die privilegierte Beamtenschaft kann die umfassende Fürsorge des Staates nur dann verlangen, wenn sie sich selbst ihrer dienenden Funktion in dieser Gesellschaft bewußt ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ich will dieses leidige Kapitel nicht mit einzelnen Beispielen ausschmücken, obwohl es reizt, einmal deutlich zu machen, wie — doch wohl auch zu Lasten des Steuerzahlers — unsere öffentliche Verwaltung, oder sagen wir: einzelne Teile unserer öffentlichen Verwaltung in der Vergangenheit in einen lässigen Trott abgeglitten sind.
Dieser Fehlentwicklung entgegenzuwirken, heißt noch lange nicht, den öffentlichen Dienst insgesamt zum Schuhabtreter der Nation zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Aber wir müssen sehr schnell wieder dahin kommen, daß e i n Arbeitspensum auch tatsächlich wieder von nur einem Mitarbeiter im öffentlichen
Dienst erledigt wird.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der SPD)

Im Tarifbereich müssen sich die Tarifpartner ebenfalls den für sie daraus resultierenden Verpflichtungen stellen, wie denn überhaupt die gegenwärtige Phase nicht dazu mißbraucht werden sollte, daß sich im öffentlichen Dienst der Tarifbereich gegenüber dem Bereich des Beamtenrechts Wettbewerbsvorteile verschafft. Die Reform des öffentlichen Dienstes darf nicht einseitig in Richtung Tarifrecht gelenkt werden. Die Gewerkschaften sollten nicht der Versuchung erliegen, eine vermeintliche Schwäche des öffentlichen Dienstherrn und des Gesetzgebers auszunutzen. Die Reform des öffentlichen Dienstrechts ist gewiß überfällig; aber wir müssen sie fair lösen und dürfen nicht mit gezinkten Karten spielen.
Ein weites Feld sind auch die Subventionen und Zuwendungen. Die Absichtserklärung, gerade in diesem Bereich Einsparungen vorzunehmen, weil es notwendig ist, jenen Teil der Ausgaben wieder in den Griff zu bekommen, dessen Steigerungsquote in den vergangenen Jahren wesentlich höher lag als die des Bundeshaushalts, wird sicher allseitig beifällige Zustimmung bekommen. Wenn es dann aber darum geht, im Einzelfall dieser bedenklichen Entwicklung entgegenzuwirken und Zuwendungen oder Subventionen zu kürzen oder gar zu streichen, werden wir sehr bald wieder vor schier unüberwindlichen Schwierigkeiten stehen. Lind doch muß hier endlich Ernst gemacht werden! Dazu gehört in erster Linie, daß auch bei den institutionell geförderten Zuschußempfängern eine Kürzung der Stellenansätze durchgeführt werden muß. Nur wenn dies geschieht, lassen sich auch fühlbare Pauschalkürzungen bei den Sachmitteln rechtfertigen.
Wer den vom Rechnungshof nach Einzelplänen geordneten Abschnitt über die Zuwendungsempfänger etwas genauer studiert, wird sehr schnell zu der Feststellung gelangen, daß sich nicht nur Gesetz und Recht wie eine ewige Krankheit forterben; auch einige Zuschußempfänger sind nur als chronische Erkrankungen des Bundeshaushalts zu begreifen. Nicht nur die deutschen Zupfmusiker zapfen den Haushalt an. Bei vielen, denen es zu irgendeiner Zeit aus irgendeinem Grund einmal gelungen ist, die Quelle des Bundeshaushalts zum Sprudeln zu bringen, ist dafür heute die gesetzliche Voraussetzung bestimmt nicht mehr gegeben. Jedenfalls sollte das in der Kritik des Rechnungshofs zur Titelgruppe „Kulturförderung" aufgeführte Steinauer Marionettentheater „Die Holzköppe" genug Anregungen dafür liefern, einmal darüber nachzudenken, auf welcher Seite inzwischen mehr Holzköpfe angesiedelt sind, bei den Zuschußempfängern oder bei den Zuschußgebern.
Wer nun allerdings glaubt, er könne sich mit noch so drastischen Einsparungen an der Erhöhung der Steuern vorbeidrängeln, der irrt. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen hat zwar aus gutem Grund die Möglichkeit von Steuererhöhungen als Ultima ratio gekennzeichnet, er hat aber andererseits auch — und das sollte nun wirklich niemand übersehen — eine Erhöhung des Tarifs der Mehrwertsteuer als Maßnahme zur Einnahmenverbesserung als durchaus erwägenswert angesehen.
Bei dem so drastisch beschriebenen Strukturdefizit unserer öffentlichen Haushalte werden wir uns mit aller Kraft um weitere Einsparungen bemühen, und zwar schon deshalb, weil der nach den gegenwärtigen Lösungsvorschlägen der Bundesregierung



Hoppe
immer noch verbleibende Kreditbedarf beträchtlich hoch ist und seine Deckung am Kapitalmarkt natürlich mit Problemen und Schwierigkeiten belastet bleibt. Diese Schwierigkeiten und Probleme weiter abzubauen, sollte eine gemeinsame Anstrengung aller Parteien sein. Mit weiteren Kürzungen auf der Ausgabenseite können wir diesem Ziel Schritt für Schritt näherkommen. Zu einem Verzicht auf die Steuererhöhung kann dies aber niemals führen.
Gerade die Opposition müßte alle Bemühungen nachhaltig unterstützen, die zu einer drastischen Minderung der Nettokreditaufnahme führen können. Sie weiß doch sehr wohl um die bedenkliche Wirkung der exorbitant angewachsenen Schuldenlast und läßt dies auch durch den sehr sachkundigen Kollegen Leicht immer wieder mit griffigen Argumenten vortragen. Ich nehme an, daß sich der Kollege Leicht auch heute wieder dieses durchaus ernsten Themas annehmen wird. Wenn die Opposition dies aber so genau weiß, sollte sie nach ihrer besseren Einsicht auch handeln und gemeinsam mit uns den Weg in die Verschuldung stoppen.
In der Tat kann ja wohl niemand daran vorbeigehen, daß der Haushaltsplan 1976 allein an Zinslasten fast 10 Milliarden DM aufweist. Die Steigerungsrate des Einzelplans 32 klettert damit auf mehr als 31 v. H.

(Zuruf von der CDU/CSU: Erschreckt Sie das nicht?)

Wer den Haushaltsplan und seine Dispositionsmöglichkeiten für echte fiskalpolitische Entscheidungen freihalten will, darf ihm daher nicht eine höhere Schuldenlast aufbürden.
Dies verlangt dann allerdings ein verantwortungsbewußtes Handeln bei der Entscheidung über die Steuereinnahmen. Ohne die Bereitschaft zu Steuererhöhungen ist der nötige Ausgleich auf der Deckungsseite nun einfach nicht herzustellen. Die Opposition mag vor dieser Konsequenz noch zurückscheuen, ausweichen kann auch sie ihr nicht. Steuererhöhungen vor dem Anspringen der Konjunktur sind und bleiben in der Tat wirtschaftlich unvernünftig. Deshalb auch die klare Entscheidung der Bundesregierung: Steuererhöhungen erst im Jahre 1977. Wenn sich die CDU/CSU-Opposition mit dem Konjunkturargument an einer Aussage über die Steuererhöhungen vorbeidrücken will, so ist dies nichts anderes als ein taktisches Mätzchen.

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Das ist doch nicht unsere Aufgabe!)

Schließlich läßt sich der notwendige Ausgabenbedarf des Staates, der sich nach der Grenze funktionaler Leistungsfähigkeit und sozialstaatlicher Gerechtigkeit bemißt, über 1977 hinaus nicht ohne Steuererhöhungen decken. Regierung und Opposition müssen die hier gestellte Frage beantworten.
Wenn die Opposition dennoch glaubt, sich heute noch hinter den bevorstehenden Etatberatungen für 1976 verschanzen zu können, so wird ihr dies nur eine kurze Atempause verschaffen. Spätestens nach Abschluß der Etatberatungen wird auch für die Opposition die Stunde der Wahrheit gekommen sein. Dann wird für sie und die Öffentlichkeit feststehen, daß es trotz größtmöglicher Sparsamkeit und drastischer Kürzungen der Staatsausgaben ohne Steuererhöhungen nicht geht. An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Auch die CDU/CSU muß hier Farbe bekennen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, das von der Regierung vorgelegte Konsolidierungsprogramm trägt den Anforderungen nach Gründlichkeit und Wirksamkeit mit einem ausgewogenen Maßnahmenkatalog Rechnung. Es ist ein Programm, in das sich der Haushalt 1976 sinnvoll einfügt. Die FDP-Fraktion wird dieses Programm deshalb unterstützen. Auf die Vorschläge der Opposition werden wir nun in den Beratungen des Haushaltsausschusses, der sich ja in den nächsten Wochen mit dem vorgelegten Zahlenwerk befassen muß, weiter warten. Wir warten nun allerdings schon sehr lange auf diese uns immer wieder angekündigten Alternativen. Meine Damen und Herren, die Opposition hat nun schon so häufig den Mund gespitzt; irgendwann muß sie jetzt auch einmal pfeifen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es wäre schön, wenn das nicht der schrille Ton einer bayerischen Trillerpeife wäre.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Althammer [CDU/CSU] : Wir pfeifen auf die Regierung!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719902400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Jetzt kommen die Alternativen!)


Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719902500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht kommen sie, Herr Ehrenberg. Wenn wir — um das gleich vorweg zu sagen — Ihren Alternativen, die Sie noch vor einigen Jahren in diesem Hause vertreten haben, gefolgt wären, nämlich den Export zu drosseln, wären wir heute wahrscheinlich in einer noch schlimmeren Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zunächst eine Richtigstellung vornehmen, die sich auf das bezieht, was Sie, Herr Kollege Möller, vorhin unter Zitierung des Arbeits- und Gesundheitsministers des Landes RheinlandPfalz, Herrn Geissler, in irgendeinem Zusammenhang gesagt haben. Herr Geissler hat bei mir anrufen lassen; er sagt, Sie hätten falsch bzw. nicht vollständig zitiert. Es heißt hier:
Den Weg über eine erhöhte Steuer, die aber zweckgebunden nur der Krankenversicherung zufließen darf
— diese Passage war wohl in Ihrem Zitat nicht enthalten —
halten die CDU-Sozialpolitiker für sinnvoller als einen sogenannten Risikozuschlag.
Ich wollte das nur ergänzend sagen. Ich habe das Zitat hier.



Leicht
Lassen Sie mich nun auch ein Wort zu dem sagen, Herr Kollege Möller, was Sie insbesondere aus dem Jahre 1966 vorgetragen haben. Ich bin gezwungen, das jetzt auch hart zu tun, wie Sie das getan haben. Wir haben im Jahre 1966, wenn ich die Fakten richtig sehe, bei einem Etat von 74 Milliarden DM, bei einer Lücke von 3 Milliarden DM und bei einem Sparprogramm von 7 Milliarden DM natürlich etwas ganz anderes gehabt als heute. Damals hat der heutige Bundeskanzler, und zwar am 18. November 1966, zitiert nach dem „Spiegel" 1966 Nr. 51 Seite 32 — man muß hier ja genau sein —, erklärt:
Die Schuldigen gehören ins Gefängnis, weil sie uns in eine grauenhafte Situation gebracht haben.
Auf Grund der Situation, in der wir uns heute befinden, müßte ich die Frage stellen: Wo gehören denn die Schuldigen heute hin?

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Das ist etwas zu billig!)

— Das ist nicht billig, Herr Wehner. Damals haben Sie ja auch den Zuruf gemacht: „Dahlgrün ins Zuchthaus!", nicht wahr.

(Wehner [SPD] : Das ist eine Unwahrheit, Herr!)

— Das werden wir nachprüfen.

(Wehner [SPD) : Orientieren Sie sich bitte

nicht nur am „Spiegel" ! Sie haben ja gewisse Erfahrungen und könnten sich auf Erfahrungen stützen und nicht auf den „Spiegel" !)
— Herr Kollege Wehner, ich habe ja zitiert. Sie zitieren ja auch manchmal

(Wehner [SPD] : Natürlich!)

aus dem „Spiegel". Dann lassen Sie mich ,das auch tun.

(Wehner [SPD] : Nicht aus dem „Spiegel" ! Ich nicht!)

Lassen Sie mich auch ein anderes Wort aufgreifen, das von der sozialen Sicherung. Herr Kollege Möller, es konnte der Eindruck entstehen, als ob Sie in Ihrer Regierungszeit die soziale Sicherung in unserem Volke durchgeführt hätten.

(Zuruf von der SPD: Das hat er doch gar nicht gesagt!)

Denken Sie doch bitte an die großen Leistungen, die auch vor Ihrer Regierungszeit gerade auf sozialpolitischem Gebiet erbracht worden sind.

(Wehner [SPD] : Das hat er ausdrücklich gesagt!)

Ich denke da an manche Entscheidungen, die der damalige Arbeitsminister Katzer in diesem Hause mit viel Mühe und Sorge durchdrücken mußte.

(Wehner [SPD: Sie verwechseln Herrn Möller mit Herrn Strauß, Herr Leicht!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719902600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Möller?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719902700
Bitte.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0719902800
Herr Kollege Leicht, würden Sie bitte im unkorrigierten Stenogramm nachlesen, daß ich ausdrücklich festgestellt habe, daß der soziale Ausbau dieses Staates nicht erst mit der sozialliberalen Koalition begonnen habe, sondern schon in den davor liegenden Jahren?

(Wehner [SPD]: Sehr richtig!)


Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719902900
Ich nehme das zur Kenntnis.

(Zuruf von der SPD: Sie hätten doch zuhören können!)

— Ich habe vielleicht besser zugehört als Sie; denn Sie sind unter Umständen gar nicht da gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Möller, Sie haben von Tatsachen gesprochen, auch in diesem Zusammenhang. Ich will auch versuchen, meiner Rede erst einmal Tatsachen vorauszuschicken. Tatsache ist, daß wir damals, im Jahre 1969, als die Regierung in Ihre Hände überging, folgende Werte hatten. Wir hatten ein reales Wachstum von plus 8,2 Wir hatten im Jahre 1975 — leider — eine Schrumpfung

(Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller [SPD] : Das erste ist auf unsere Mitwirkung in der Regierung zurückzuführen!)

von mindestens 3 bis 4 °/o, unter Umständen 5 % des Bruttosozialprodukts gegenüber dem Vorjahr festzustellen. Wir haben 1969 100 000 Arbeitslose gehabt. Wir haben — ich glaube, diese Zahlen sind heute morgen erst veröffentlicht worden — im Oktober 1975 eine Arbeitslosenzahl von 1 061 128. Das ist gegenüber dem Monat September eine Zunahme von 55 633.

(Maucher [CDU/CSU] : Hört, hört, Herr Wehner!)

Wir haben heute nach der neuesten Meldung 716 622 Kurzarbeiter. Das ist gegenüber dem September eine Zunahme von 78 051. Wir haben im Oktober 209 572 offene Stellen; das ist gegenüber dem September eine Abnahme von 25 427. Das ist eine der Tatsachen neben der Entwicklung des Sozialprodukts.
Ich sage auch: Wir hatten damals — dies ist ebenfalls eine Tatsache — eine Preissteigerungsrate von 1,9 %. Wir haben heute eine Preissteigerungsrate von im Schnitt immer noch mindestens 6 %.
Die gestrige Rede von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, hat genau das enthalten, was wir befürchtet haben, nämlich die Kernaussage, daß der Haushalt 1976 unter den gegebenen Voraussetzungen höchst solide sei. Die ungünstigen Voraussetzungen aber seien durch die weltweite Wirtschaftskrise hervorgerufen. Solche Entschuldigungen sind uns ja nichts Neues. Was ist in den vergangenen Jahren nicht alles schuld gewesen an den Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen insbesondere auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet! Die Öl-



Leicht
krise, Sättigungsprozesse am Markt, Strukturkrisen -- als ob es die nicht immer schon gegeben hätte —, die finanzwirksamen Anträge der Opposition einschließlich der CDU/CSU-regierten Länder, und neuerdings ist es sogar die ganze Welt. Auf diese Art und Weise versucht die Bundesregierung, unseren Bürgern im Lande glaubhaft zu machen: Vorteilhafte Entwicklungen sind das Ergebnis zielstrebiger sozialliberaler Politik, ungünstige Entwicklungen haben andere verschuldet. Es ist ein schlechter politischer Stil, wie ich meine, wenn die Verantwortlichen nicht bereit sind, ihre Fehler einzugestehen.
Im übrigen halte ich es für leichtfertig, wenn man die bestehende Finanzmisere aus einer Ursache heraus erklären wollte. Ich erachte es daher für notwendig, wenigstens noch einmal kurz die wirklichen Ursachen aufzuzeigen. Dabei ist es wichtig, kurz auf die Vergangenheit sozialliberaler Regierungen einzugehen. Die von dem damaligen Bundeskanzler Brandt aus dem Boden gestampfte Reformeuphorie, in der allen alles versprochen wurde, ist der Beginn des Übels. Es galt, die bei den Bürgern geweckten Ansprüche — und darauf kommt es an — im Sozial- und Einkommensverteilungsbereich zu befriedigen. Hieraus resultierten erhebliche Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte. Das zeigte sich daran, daß in den Jahren 1970 bis 1973 — also nicht jetzt in den letzten beiden Jahren, sondern schon damals — die Ausgaben des Bundes bedeutend stärker als das Sozialprodukt und noch erheblich stärker als die hierzu wiederum überproportional gewachsenen Steuereinnahmen stiegen. Infolgedessen machte sich schon damals eine steigende Verschuldung bemerkbar.
Anstatt in einer solchen Situation die Staatsausgaben zu drosseln und über Steuersenkungen den Umverteilungskampf zu mildern, wurden die Haushalte der kommenden Jahre 1974/75 auf der Basis notwendigerweise überhöhter Steuereinnahmen geplant. Ich denke da, um es Ihnen noch einmal ins Gedächtnis zurückzuführen, weil es vor kurzem bestritten worden ist, an die Erhöhungen der Branntweinsteuer, der Mineralölsteuer — sogar zweimal — und der Tabaksteuer. Ich erinnere schließlich auch an die Beseitigung des Schuldzinsenabzugs und viele andere Dinge. Hinzu kommen noch die Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge und die mehrfachen Gebührenerhöhungen bei Bahn und Post.
Aber selbst diese erheblichen Einnahmenverbesserungen plus inflationär bedingt steigende Steuereinnahmen reichten nicht mehr aus, die ständig weiter aufgeblähten Haushalte zu finanzieren. Wir haben damals nicht nur vor den gravierenden Folgen einer solchen Politik gewarnt — Herr Strauß hat heute morgen das Nötige dazu gesagt —, sondern konkret frühzeitige und wirkungsvolle Dämpfungsmaßnahmen vorgeschlagen. Sie haben solche Alternativen einfach vom Tisch gefegt oder gesagt, es seien keine Alternativen. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die damalige Bundesregierung nicht mehr Herr der von ihr erzeugten Anspruchsinflation wurde und im Steuereinnahmerausch der Hochkonjunktur das Gefühl für die notwendigen Begrenzungen öffentlicher Leistungen und die fiskalpolitische Funktion der Steuer verloren hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine wesentliche Ursache für die bestehende wirtschafts- und finanzpolitische Misere in unserem Land — auch hierauf hat Herr Strauß mit Recht hingewiesen — ist somit die strukturelle Krise, auch die strukturelle Krise in unserer Wirtschaft. Diese Krise ist nicht zuletzt dadurch erzeugt worden, daß der Investitionsspielraum der Unternehmen durch die ständig steigenden Belastungen erheblich eingeengt wurde. Einen deutlichen Beweis dafür liefert die Entwicklung der realen Bruttoanlageinvestitionen seit 1970. 1969 betrug sie noch 12,1 %, 1970 11,5 %, 1971 4,5 %, 1972 1,9 %, 1973 0,5 % und 1974 minus 8,1 %. Dieser Trend kommt doch nicht von ungefähr und ist doch nicht jetzt, kurzfristig auf uns zugekommen. Er ist vielmehr die Folge, wie ich meine, erstens eines rapiden Anstiegs der Lohnquote, zweitens einer drastischen Erhöhung der Staatsquote — bei 47 % —, über die heute morgen schon sehr viel gesprochen worden ist, und drittens eines Emporschnellens der Zwangsabgabenquote um 4 Punkte seit 1970.
Sie, Herr Kollege Apel, haben den Vorsatz auch noch zugegeben. In der „Frankfurter Rundschau" erklärten Sie am 17. Dezember 1974 wörtlich:
Wir haben bewußt und gewollt über die öffentliche, über die antizyklische Politik und die Zentralbankpolitik die Investitionsneigung zurückgedrängt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Der von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, aufgestellte Ausschließlichkeitsanspruch der Weltrezession als Grund für die Steuermindereinnahmen ist damit von Ihnen doch selbst widerlegt.
Das gleiche gilt für die Haushaltsmehrbelastungen durch die Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit. Die in unserem Land bestehende Arbeitslosigkeit ist zu einem großen Teil auf die von dieser Regierung zu verantwortende Anspruchsinflation zurückzuführen. 100 000 Arbeitslose bedeuten eben ungefähr 1 Milliarde DM Zuschuß des Steuerzahlers, damit die Leistungen überhaupt noch gewährt werden können.
Gerade in diesem Zusammenhang sollte ein Wort darüber gesagt werden, wie widersprüchlich sich die Argumentation der Bundesregierung darstellt. Angesichts der höchsten Arbeitslosenzahl in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt, wie sie sich im Frühjahr dieses Jahres darstellte, war von einer Weltrezession als Begründung noch nichts zu hören. Zu diesem Zeitpunkt versprach man den Bürgern, daß der Aufschwung da sei und in seinem Gefolge die Zahl der Arbeitslosen drastisch abnehmen werde. Der Aufschwung kam nicht. Aber was binnen zwei Monaten kam, war die Weltwirtschaftskrise, jedenfalls nach der Meinung der Regierungspolitiker. Wer so argumentiert, meine Damen und Herren, muß seine Glaubwürdigkeit verlieren.
Eine besondere Bemerkung verdient in diesem Zusammenhang der vom Bundesfinanzminister in



Leicht
seiner gestrigen Rede angeführte Vergleich zwischen der Verschuldung des Bundes und derjenigen der CDU/CSU-regierten Länder. Herr Strauß hat auch das heute morgen ausführlich behandelt. Ich beschränke mich auf drei Sätze. Es ist unbestreitbar, daß wir bei den Ländern eine ähnliche Entwicklung wie beim Bund zu verzeichnen haben. Die Leidtragendsten von den drei Ebenen Bund, Länder und Gemeinden sind leider die Gemeinden. Auch das muß man hinzufügen.

(Stücklen [CDU/CSU] : So ist es!)

Es ist unbestreitbar, so sagte ich, daß wir bei den Ländern eine ähnliche Entwicklung wie beim Bund zu verzeichnen haben. Es ist aber ebenso unbestritten, daß hierfür zu einem größeren Teil dieselben Einflüsse ursächlich sind wie beim Bund. Ein weiterer Teil, wenngleich dieser auch geringer ist, muß auf den Einfluß der Gesetzgebung des Bundes auf die Länderhaushalte zurückgeführt werden.
Jetzt ergibt sich folgende Frage: Welche Impulse hat die Bundesregierung im Bundeshaushalt 1976 gegeben, um die binnenwirtschaftlichen Ungereimtheiten zu beseitigen? Im Jahreswirtschaftsbericht 1975 wird ausdrücklich betont, daß es darauf ankomme, besonders Investitionstätigkeit, die private wie die öffentliche, zu fördern. Dies sei vor allem auch mittelfristig nötig, um wieder eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen.
Das Ergebnis auf diesem Gebiet, das sich im Bundeshaushalt 1976 widerspiegelt, ist wahrlich deprimierend. Auch nach dem neuen Finanzplan wird es sich keinesfalls bessern. Im laufenden Haushaltsjahr, in dem es besonders darauf angekommen wäre, Investitionen zu tätigen, ist der Anstieg der Ausgaben für Sachinvestitionen — faßt man alle öffentlichen Haushalte zusammen — beträchtlich geringer als der Anstieg der Gesamtausgaben. Diese Rechnung hat selbst dann noch volle Gültigkeit, wenn man die verabschiedeten Konjunkturprogramme mit einbezieht. Rechnet man von den geringen nominalen Ausgabensteigerungen dann noch die Preisentwicklung herunter, so bleibt eine erschreckend geringe Zunahme der realen Investitionen übrig.
Doch halten wir uns an überprüfbare Fakten! Die Zunahme der Einkommen aus Unternehmertätigkeit lag in den letzten Jahren deutlich niedriger als die Steigerung der Einkommen aus unselbständiger Arbeit. Zusammen mit dem starken Lohnkostendruck und anderen Faktoren hat dies zu einer Entwicklung der realen Investitionen geführt, die eben das erschreckende Bild gibt, das ich darstellte.
Die Bundesregierung trägt hieran ein gerüttelt Maß an Schuld; denn die öffentlichen Investitionen sind die unerläßliche Voraussetzung für private Investitionen und damit für Wachstum und für Vollbeschäftigung.

(Maucher [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, was wir im Moment betreiben, ist nichts anderes, als von der Hand in den Mund zu leben. Wir werfen dabei aber Probleme auf, die in der Zukunft gefährlich werden können.
Wir sollten dabei aber eines offen aussprechen: Daß die Kreditaufnahme im Jahre 1975 relativ unproblematisch verlaufen ist, verdankt die Bundesregierung der hohen Sparneigung der privaten Haushalte und nicht zuletzt der Politik des billigen Geldes. Trotzdem liegt das Nervenzentrum des Bundeshaushalts 1976 in der gewaltigen Verschuldung. Nach rund 38 Milliarden DM im laufenden Jahr will der Bund im nächsten Jahr 39 Milliarden DM aufnehmen. Jede vierte Mark, die der Bund gegenwärtig und in Zukunft ausgibt, ist also gepumpt. Das sind fast 80 Milliarden DM in zwei Jahren. Das ist mehr als das Fünffache dessen, was die CDU/CSU in den 20 Jahren von 1949 bis 1969 an Krediten zur Haushaltsfinanzierung aufgenommen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ritz [CDU/ CSU] : Das alles steht unter dem Stichwort „Solidität"!)

Diese gigantische Neuverschuldung stellt eine Hypothek nicht nur für die kommenden Haushaltsjahre dar;

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

sie ist eine Gefahr für die innere Stabilität schlechthin.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Aber der Kanzler sagt: „Die Finanzen sind in Ordnung" !)

Sie ist problematisch und gefährlich in mehrfacher Hinsicht. Der Bundesfinanzminister hat hier gestern vorgegeben, als sei die Unterbringung der Staatsanleihen am Kapitalmarkt überhaupt kein Problem gewesen und als sei es das Normalste von der Welt, wenn sich eine wirtschaftlich so einmalig dastehende Bundesrepublik einmal das Geld für die Haushaltsfinanzierung im Ausland pumpe. Die wirkliche Lage am Rentenmarkt und die geldpolitischen Zusammenhänge hat er natürlich geflissentlich übersehen. Gerade die letzten Wochen haben aber deutlich gemacht, daß der Bund seine Kreditwürdigkeit vollends verloren hätte, wenn nicht die Bundesbank

(Stücklen [CDU/CSU]: So ist es!)

durch ihre — so drücke ich es aus — nach meinem Empfinden am Rande der Legalität praktizierten massiven Stützungskäufe interveniert hätte.

(Dr. Althammer [CDU/CSU] : Genauso war es!)

Das war ein Volumen von fast 8 Milliarden DM. Zählen wir noch jene 2 Milliarden DM hinzu, die schon im Vorjahr am Markt untergebracht worden waren, und ziehen wir diese 10 Milliarden DM von de! tatsächlichen Nettokreditaufnahme in den ersten zehn Monaten dieses Jahres ab, dann sind wir der Wahrheit ein Stückchen nähergerückt. Genau um 10 Milliarden DM ist also die wirkliche Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarktes geringer, als der Bundesminister gestern glauben machen wollte.
Es ist daher noch keineswegs ausgemacht, daß der weitere gewaltige Kreditbedarf des Staates ohne zinstreibende Effekte gedeckt werden kann. Steigende Zinsen in dieser Rezessionsphase aber wür-



Leicht
den zwangsläufig die Investitions- und Verschuldungsbereitschaft der Wirtschaft dämpfen und damit einen Aufschwung schon im Keim ersticken. Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß, wenn auf der einen Seite der Staat, die öffentliche Hand, mit massiven Forderungen an den Kapitalmarkt herantritt und auf der anderen Seite, um einen Aufschwung zu erreichen, die Wirtschaft diesen Kapitalmarkt in Anspruch nehmen muß, die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft geringer ist, weil der Staat, wie bekannt, zinsunempfindlicher ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich muß in diesem Zusammenhang einmal mit allem Nachdruck darauf hinweisen, wie sich die Relation zwischen privater und öffentlicher Kreditgewährung in den letzten Jahren verändert hat. Von der Kreditgewährung des Jahres 1972 schon unter dieser Koalitionsregierung in Höhe von rund 88 Milliarden DM entfielen gut 10 Milliarden DM auf die öffentlichen Haushalte und 78 Milliarden DM auf inländische Wirtschaftsunternehmen. In nur drei Jahren hat es die Bundesregierung nahezu fertiggebracht, diese Relation in ihr genaues Gegenteil umzukehren.

(Stücklen [CDU/CSU] : Unglaublich!)

Statt dessen ergoß sich der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede gestern wieder einmal in wilden Prophezeiungen. Das Jahr 1976 ist ein Jahr des konjunkturellen Übergangs, so wird jetzt formuliert. Damit soll doch offensichtlich zum Ausdruck gebracht werden, daß wir 1977 über den Berg sind. Ich frage mich nur, woher der Bundesfinanzminister diese Weisheiten nehmen will. Die Gefahr der Unrichtigkeit konjunkturpolitischer Voraussagen ist angesichts der bestehenden Risiken zu groß, so daß man damit tunlichst hinter dem Berg halten sollte.
Was die Perspektiven zukünftiger Haushaltsjahre angeht — wir sprechen ja auch über die mittelfristige Finanzplanung —, so kann nach meiner Auffassung von einem verstärkten Abbau der Defizite keine Rede sein. Ein Risiko liegt bereits in dem Fehlverhalten hinsichtlich des Finanzplans für 1977. Denn wenn wir davon ausgehen, daß die Verschuldung im Jahre 1969 bei 43 Milliarden DM lag, daß sie Ende 1974 bei über 70 Milliarden DM lag und daß sie Ende 1976 nach den jetzigen Planungen bei 150 Milliarden DM liegen wird, dann reicht die Steigerung des Haushalts 1977 noch nicht einmal aus, um nur die Zinsen für diese Verschuldung zu zahlen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : So ist es!)

Auch das sollte man einmal deutlich machen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Die Mehrwertsteuererhöhung reicht nicht aus!)

Lassen Sie mich zu den Risiken dieses Haushalts noch etwas sagen. Die Bundesanstalt für Arbeit schließt in diesem Jahr mit dem höchsten Defizit überhaupt, nämlich mit 9,3 Milliarden DM, ab. Davon steuert allein der Bund — also der Steuerzahler — 8,2 Milliarden DM bei. Eine Erhöhung des Beitragssatzes um 50 % — von 2 auf 3 % — ist im Artikelgesetz vorgesehen.

(Dr. Evers [CDU/CSU] : 50 %!)

Um 18,2 Milliarden DM werden die Arbeitnehmer in den vier Jahren des Finanzplans erleichtert und der Bundeshaushalt entlastet. Trotzdem wird der Bund in den nächsten drei Jahren der Bundesanstalt noch etwa 12 Milliarden DM zuschießen müssen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Wenn das reicht!)

Erklärtes Ziel der Regierung ist die Verbesserung der Ausgabenstruktur, d. h. die Erhöhung des Anteils der Ausgaben für Investitionen an den Gesamtausgaben. Tatsächlich aber geht nach dem neuen Finanzplan dieser Investitionsanteil, der 1971/72 bei über 18 % der Gesamtausgaben lag, von Jahr zu Jahr weiter zurück. Wenn wirklich die Haushaltsstruktur verbessert werden soll — und so heißt ja dieses Gesetz, das wir morgen behandeln —, werden dafür zusätzliche Kürzungen von vielen Milliarden DM bei den übrigen Ausgaben notwendig sein. Wenn Sie das aber nicht wollen, sollten Sie, Herr Bundesfinanzminister, nicht die Bevölkerung erneut dadurch täuschen, daß Sie dem Artikelgesetz die großsprecherische Überschrift „Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur" geben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die CDU/CSU begrüßt, daß auch im nächsten Jahr die Renten — und das kommt jetzt auch; über diese Dinge spricht man heute schon gar nicht mehr,

(Maucher [CDU/CSU] : Genau!)

aber ich meine, das geht in finanzielle Größenordnungen hinein, die bei einer Haushaltsberatung unbedingt angeschnitten werden müssen — an die Einkommensentwicklung der vergangenen Jahre angepaßt werden, und zwar nach einem Gesetz, das die CDU in diesem Hause einmal durchgesetzt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber nach den eigenen Worten des Bundeskanzlers könnten die Finanzen der Rentenversicherung nur dann in Ordnung gehalten werden, wenn bis 1985 fortlaufend Vollbeschäftigung herrscht. Eine Vollbeschäftigung, wie sie damals definiert wurde, haben wir im vorigen Jahr ebenso wie in diesem Jahr nicht gehabt. Nach der Projektion der Regierung werden wir mindestens bis 1979, also über insgesamt sechs Jahre hinweg, eine verhältnismäßig hohe Dauerarbeitslosigkeit haben.
Was das bedeutet, versucht die Regierung in ihrem Rentenanpassungsbericht dadurch zu vertuschen, daß sie — womit die Bundesregierung formal einer Anregung des Bundesrates nachkommt —15 verschiedene Modellrechnungen für die Entwicklung der Rentenfinanzen vorlegt. Davon berücksichtigt aber keine einzige für die Jahre bis 1979 die nach ihrer Projektion anhaltende Dauerarbeitslosigkeit bis 1979.

(Strauß [CDU/CSU] : Wieder falsche Annahmen!)




Leicht
Die Öffentlichkeit hat Anspruch darauf, von der Regierung zu erfahren, wie diese auch künftig die Finanzierung der Renten sicherstellen will. Deshalb frage ich Sie: Trifft es wirklich zu, daß Sie selbst dann, wenn die jetzige Zielprojektion verwirklicht wird, voraussichtlich spätestens mit Wirkung ab 1978 entweder die Beiträge massiv erhöhen oder die Leistungen einschränken müssen? Ich hätte darauf gerne eine Antwort.

(Maucher [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Und welche Absichten haben Sie eigentlich hinsichtlich der Lösung des immer noch ungelösten Problems der Sicherung der Finanzierung der Krankenversicherung? Auch diese Frage gehört in eine Haushaltsdebatte.

(Maucher [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Sie glauben doch nicht wirklich, auf ewige Zeit die Beiträge Jahr für Jahr immer weiter erhöhen zu können! Die Lösung dieses Problems, das schon wegen des Krankenversicherungsweiterentwicklungsgesetzes in engem Zusammenhang auch mit der Lösung der Frage der Finanzierung der Rentenversicherung steht, ist dann zusätzlich erschwert, wenn jetzt der Arbeitslosenversicherungsbeitrag entsprechend den Vorschlägen der Regierung erhöht wird. Die Belastungsgrenze der Versicherten, nach Bundesminister Arendt schon vor einem Jahr fast erreicht, wird dadurch immer weiter überschritten.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, all diese Fragen — Arbeitslosenversicherungsbeitrag, Rentenversicherungsbeitrag, Krankenversicherungsbeitrag, Steuererhöhungen für die Allgemeinheit, nämlich Mehrwertsteuer — müssen uns doch zu der Überlegung zwingen, ob das in dieser Summierung nicht schon sehr bald zum Reißen des sozialen Netzes beiträgt.

(Maucher [CDU/CSU] : Das ist schon zerrissen!)

Ein weiteres Haushaltsrisiko stellt der zunehmende Zuschußbedarf bei Bahn und Post dar. Ich will mich darüber nicht näher auslassen, weil zu dieser Frage der Bundesfinanzminister in seiner Regierungserklärung sehr nüchtern genug gesagt hat.
Der neue Haushalt und der neue Finanzplan sind nur der erste Teil der Wahrheit, wie ich glaube, weil Haushalt und Finanzplan voller Risiken stecken, vor allem auf fragwürdigen Annahmen beruhen und die harten Konsequenzen aus dem Scheitern der Politik des SPD /FDP-Blocks nur zum Teil und unzureichend ziehen. Wie im laufenden Jahr so muß auch nach dem Haushaltsplan für 1976 die Regierung jede vierte Mark. die der Bund ausgibt, sich pumpen. Eine Schuldenaufnahme in dieser Größenordnung — ich habe es schon gesagt — birgt selbst in der gegenwärtigen schweren Rezession im Endergebnis stabilitäts- wie auch konjunkturpolitische Gefahren in sich.
Für die Kohle — um ein weiteres Thema anzureißen —, wo zur Zeit wieder in kaum vorstellbarer Weise auf Halde produziert wird und deshalb Kurzarbeit droht Feierschichten sind schon vorgesehen —, werden zusätzlich staatliche Hilfen gefordert. Was ist eigentlich bei dem Gespräch — eine weitere Frage — zwischen dem Bundeskanzler und dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten hinsichtlich dieses Punktes vereinbart worden?
Bei den Aufwendungen für die Europäischen Gemeinschaften sind die Zahlungen nach Brüssel für 1976 genauso hoch, wie im letzten Finanzplan veranschlagt. Die Rückflüsse, also die Beiträge, die aus Brüssel an die deutsche Landwirtschaft fließen, sind dagegen um mehr als 600 Millionen DM höher als im alten Finanzplan. Beruht die Erhöhung der Rückflüsse nicht bereits — die nächste Frage — auf der Erwartung höherer Agrarpreise? Müssen als Folge dieser Entwicklung, die hier bei den aus Brüssel erwarteten Beträgen bereits berücksichtigt ist, nicht auch unsere Überweisungen nachdrücklich um etliche hundert Millionen DM höher angesetzt werden? Auch das ist eine Frage.
Im übrigen, Herr Bundesfinanzminister, teile ich und teilt sicherlich auch meine Fraktion die Kritik, die Sie zu manchem Verfahren in der EG gestern in Ihrer Rede angebracht haben, weil auch wir der Meinung sind, daß dort sehr schnell, wenn es möglich ist, Kontrollfunktionen geschaffen werden müssen, um den einzelnen Staaten die Möglichkeit der Prüfung, der Kontrolle leichter zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD — Stücklen [CDU/CSU] : Höchste Zeit! Längst überfällig!)

Offen ist vor allem — das ist das größte Ausgaberisiko —, ob Sie mit den jetzt eingeplanten Mitteln für Gehälter und Löhne auskommen. Nach dem neuen Haushaltsplan stehen für die Bezüge des aktiven Personals, soweit man das aus diesem Plan errechnen kann, nur 1,2 % mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Diese Zahl läßt selbst unter Berücksichtigung der Kürzungen nach dem Haushaltsstrukturgesetz erkennen, daß der Haushaltsplan nur eingehalten werden kann, wenn der öffentliche Dienst für 1976 ganz erheblich weniger als den Ausgleich der Inflationsrate erhält, wenn also der öffentliche Dienst zusätzlich zu den Einschränkungen des Haushaltssicherungsgesetzes einen realen Einkommensverlust hinnimmt.
Offen ist auch noch immer, ob Sie wirklich die Steuern erhalten, die Sie für das nächste Jahr erwarten. Kommt es nicht zu der von Ihnen für das zweite Halbjahr dieses Jahres erwarteten Tendenzwende, kommt es nicht zu dem von Ihnen für das nächste Jahr erwarteten wirtschaftlichen Wachs-turn von real plus 5 °/o, dann haben Sie zwangsläufig entsprechende zusätzliche Steuerausfälle in Milliardenhöhe zu verkraften. Schon das Gutachten der Forschungsinstitute vor wenigen Tagen, allgemein als sehr optimistisch angesehen, rechnet für das kommende Jahr mit einem Wachstum, aber mit einem geringeren als die Bundesregierung, folglich auch mit geringeren Steuereinnahmen.
Die für das Jahr 1976 drohenden Mehrbelastungen erhöhen sich im Blick auf die Folgejahre. Die größten Unsicherheiten liegen in der bis 1979 angenommenen Wirtschaftsentwicklung. Das für 1976 angesetzte echte Wachstum von 4 oder 5 % besagt
13666 Deutscher Bundestag —7. Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. November 1975
Leicht
für sich allein nicht viel. Damit wird nur der Stand von 1973 erreicht. Die Produktionskapazitäten sind auch dann nur etwa zu 90% ausgelastet. Die Arbeitslosigkeit wird schon aus diesem Grunde nicht geringer. Ein Anreiz für Erweiterungsinvestitionen ist das noch lange nicht.
Weil wir immer wieder nach Alternativen gefragt werden, lassen Sie mich dazu auch etwas sagen. Unsere Aussage, daß die Möglichkeiten zu echten Ausgabekürzungen keineswegs ausgeschöpft sind, hat der Bundeskanzler selbst bestätigt, als er am 17. September 1975 in diesem Hause eingeräumt hat, daß es, wie er wörtlich sagte, weitere Sparmöglichkeiten ,,in Höhe von einigen hundert Millionen, vielleicht auch in Höhe von ein oder anderthalb Milliarden" gebe.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So ist es!)

Ich habe aus dem Beitrag des Kollegen Hoppe auch entnommen, daß, wenn man den Zwang zum Sparen schafft, Möglichkeiten des weiteren Sparens auch gegeben sind.
Der Rechnungshof — Sie haben das auch angeführt, Herr Kollege Hoppe —, hat kürzlich in der Sorge um die Stabilität eine ganze Reihe von Kürzungsvorschlägen vorgelegt, zu denen die Einzelstellungnahmen der Regierung bisher noch ausstehen. Das ist kein Vorwurf. Wir werden dieses Rechnungshofgutachten aber wahrscheinlich zu einem großen Teil auch als unsere Meinung aufnehmen und in die Beratungen mit einführen. Vielleicht gelingt es dann, mehr zu sparen, als im Augenblick von anderen gesagt wird, daß gespart werden kann.
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien lassen, wie ich sagte, keine Gelegenheit aus, nach zusätzlichen, konkreten Kürzungen zu fragen, aber jeder detaillierte Vorschlag begegnet sofort einer wütenden Hetzkampagne.

(Maucher [CDU/CSU] : Jawohl!)

Typisches Beispiel — ich muß es bringen —: Als der Präsident der Sparerschutzgemeinschaft, Herr Poullain, eine Streichung aller Sparprämien ins Gespräch brachte — das war nicht unsere Erfindung —, wurde er von keinem geringeren als dem Bundeskanzler in der Regierungserklärung am 17. September mit Hohn und Spott hier in diesem Hause überschüttet.

(Dr. Evers [CDU/CSU]: So war das!)

Die Kürzungsvorschläge des Bundesrechnungshofes konnte die Regierung bisher nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen, ist doch der Präsident des Bundesrechnungshofes nicht Angehöriger der Oppositionsparteien. Aber wie wenig die Vorschläge des Bundesrechnungshofes in das Konzept der Bonner Regierungsparteien wirklich passen, läßt sich in der letzten Ausgabe des „Vorwärts", des offiziellen Presseorgans der SPD, nachlesen. Streichvorschläge des Steuerzahlerbundes veranlassen den Stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Ehrenberg,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Ja, der!)

den Steuerzahlerbund wie auch die CDU in die Nähe I der APO zu rücken. Und der haushaltspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Herr Kollege Kirst, warf dem Steuerzahlerbund sogar vor, er mache damit nur die Institutionen des Staates madig. Als unser Kollege Friedrich Vogel — hier sitzt er — zur Diskussion stellte, ab 1976 im gesamten öffentlichen Dienst jährlich 35 000 Beschäftigte einzusparen, warf die Regierung der Opposition vor, offenbar allein den öffentlichen Dienst zum Prügelknaben machen zu wollen. Dabei führt die Überlegung des Kollegen Vogel in keinem einzigen Fall zu einer Entlassung eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

(Strauß [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Reaktion zeigt deutlich, meine Damen und Herren, worum es der Regierung, SPD und FDP in Wirklichkeit geht, wenn sie konkrete Sparvorschläge fordern. Sie wollen diese Forderungen nicht verwirklichen,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

sondern sie wollen diese Sparvorschläge nur dazu benutzen, ihr wahltaktisches Süppchen zu kochen

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Aber den Trick haben wir durchschaut!)

und die durch die Sparvorschläge jeweils Betroffenen oder vermeintlich Betroffenen gegen die Unionsparteien aufzuhetzen. Dieses Spiel machen wir nicht mit.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Die Regierung weiß genau, wo und was gekürzt werden kann. Sie hat die Einsicht, sie hat den Apparat,

(Dr. Ritz [CDU/CSU]: Und was für einen!)

und ich gestehe ihr sogar zu, daß sie auch alles erkennt, aber ihr fehlt der Mut

(Maucher [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

und ihr fehlt — insbesondere einigen darunter, die draußen anders reden —

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Vor allem die Wahrheitsliebe fehlt ihr!)

die Durchsetzungsmöglichkeit oder Durchsetzungskraft dort, wo es sein muß: im Kabinett und dann
über die Regierungsparteien hier in diesem Hause.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719903000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719903100
Bitte schön!

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0719903200
Herr Kollege Leicht, ist es nicht vielmehr so, daß Sie darauf verzichten, konkrete Sparvorschläge zu machen, damit das Sonthofener



Dr. Sperling
Rezept Ihres wahlpolitischen Süppchens eingehalten bleibt?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Der lebt immer noch von Sonthofen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719903300
Herr Kollege Sperling, ich habe im Augenblick versucht, Ihnen nur wenige Punkte aufzuzeigen. Wenn Sie also zugehört haben, müssen Sie erkennen, daß wir den Versuch unternommen haben. Nur, Sie sagen doch bei allem, was wir tun,

(Dr. Ritz [CDU/CSU]: So ist es!)

das seien keine Alternativen. Sie gucken es sich noch nicht einmal an. Sie marschieren mit Ihrer Mehrheit und fassen Ihre Beschlüsse, gleichgültig, ob es sinnvoll ist oder nicht. Beispiele dafür gilt es genug.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719903400
Herr Abgeordneter Leicht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel (Ennepetal)? — Bitte sehr!

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0719903500
Herr Kollege Leicht, könnten Sie dem Herrn Kollegen Sperling empfehlen, einmal die Reden nachzulesen, die Vertreter seiner Fraktion 1965/66 hier im Bundestag gehalten haben?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Herr Möller!)


Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719903600
Herr Kollege Vogel, ich habe bewußt die Zitate über die Vorstellungen der damaligen Opposition, der SPD, von der Oppositionsrolle ausgelassen. Wir sind über diese Oppositionsrolle hinausgegangen und — ich spreche für alle meine Freunde -- in der Verantwortung vor den Bürgern weitergegangen, als man an sich von einer Opposition verlangen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Opposition heißt immer noch kritisieren, kontrollieren, damit die Bürger draußen merken, was eine Regierung zu ihrem Guten oder Schlechten tut. Opposition heißt nicht Verantwortung tragen; aber Verantwortung tragen heißt regieren, oder wenn Sie wollen: Regieren gleich Verantwortung; Opposition gleich Kritik und Kontrolle.
Wir gehen weiter und sind bereit, auch unangenehme Entscheidungen mitzutragen. Sie werden morgen beim sogenannten Haushaltsstrukturgesetz erleben, daß wir in der Einzelabstimmung in vielen Fällen unser Ja geben werden, obwohl die Dinge nicht alle gut durchdacht sind und wir bei manchen Vorschlägen schwere — und zwar sachliche — Bedenken haben. Sie werden auch erfahren, daß wir bei großen Blöcken prüfen werden, ob dort nicht hohe Einsparungen zu erzielen sind. Einige sind schon genannt worden. Nehmen Sie den Personalsektor; nehmen Sie unter Umständen die von einem meiner Kollegen angeschnittene Frage der Kraftfahrzeugsteuer. Mittlerweile hat der Herr Finanzminister auch darüber gesprochen; er wurde von Herrn Gaddum korrigiert. In diesem Zusammenhang werden von uns auch noch andere Blöcke genannt werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719903700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0719903800
Herr Kollege Leicht, würden Sie im Anschluß an Ihre Ausführungen über die Oppositionsrolle und an die Frage Ihres Kollegen Vogel Ihren Kollegen Vogel auch darüber informieren, wer von der Oppositionsbank die mittelfristige Finanzplanung entwickelt und in die Regierungsgeschäfte eingeführt hat?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719903900
Das brauche ich nicht; denn das habe ich miterlebt. Das war der Herr Kollege Dahlgrün, der verstorben ist.

(Dr. Ehrenberg [SPD]: Herr Möller war das!)

Herr Möller hat darüber dann ein Buch geschrieben. Die ersten Erfinder waren nicht unter Ihnen. — Im übrigen, Herr Ehrenberg, stellt sich für mich die Frage heute anders als damals. Ich sage es in aller Objektivität. Nachdem ich erfahren habe, was mittelfristige Finanzplanungen auf fünf Jahre bedeuten, daß sie praktisch innerhalb eines Jahres so auf den Kopf gestellt werden, daß man ihnen keine Aussagen entnehmen kann, mache ich ein Fragezeichen. Ich will nicht sagen, daß ich sie ablehne. Darüber müßte man dann noch näher sprechen.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem weiteren Punkt, dem Sparen. Wir werden das morgen in Einzelfällen zeigen. Wir werden auch in großen Blöcken aufzeigen, wo wir meinen, daß noch etwas zu tun ist.
Ich komme nun zum zweiten großen Brocken. Das sind die Vorschläge, die wir im steuerlichen Bereich gemacht haben, um die Arbeitslosigkeit in unserem Land zu bekämpfen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

um der Wirtschaft Anreize zu geben, damit diese Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann. Natürlich wissen wir auch, daß die drei kurzfristig von uns gemachten Vorschläge — Verlustrücktrag, Absetzbarkeit von Schuldzinsen, degressive Abschreibung — in dem Augenblick, in dem wir sie beschließen, einen weiteren Steuerausfall bringen. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir durch solche Vorschläge dazu beitragen können, das Bruttosozialprodukt nur um einen Prozentpunkt zu erhöhen, dann bedeutet das eine Steigerung des Bruttosozialprodukts um rund 12 Milliarden DM und gleichzeitig Steuermehreinnahmen von 2,5 Milliarden DM. Man sollte das miteinander in Verbindung setzen und doch zumindest ernsthaft versuchen, auf diesem Weg dafür zu sorgen, daß das wirtschaftliche Geschehen belebt, die Arbeitslosigkeit beseitigt und das soziale Wachstum wiederhergestellt wird, das wir doch auf die Dauer brauchen, um unser Netz der sozialen Sicherungen, wie es so schön heißt, zu behalten.



Leicht
Ich komme zum Schluß und fasse zusammen, meine Damen und Herren:
Erstens. Die Steuerausfälle des Bundeshaushalts 1976 sind nicht ausschließlich die Folge der weltweiten Wirtschaftskrise.
Zweitens. Sie sind vielmehr zu einem erheblichen Teil eine zwangsläufige Folge der von der SPD/ FDP-Koalition geschaffenen Anspruchsinflation.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Jawohl!)

Drittens. Der Bundeshaushalt 1976 ist mit einem Finanzierungsbedarf von rund 40 Milliarden DM unsolide finanziert.
Viertens. Die Gefahr einer Inflationierung ist nicht von der Hand zu weisen, gerade weil es die Bundesregierung unterlassen hat, durch eine Verlagerung der Gelder vom konsumtiven in den investiven Bereich zu günstigeren Annahmen beizutragen.
Fünftens. Auf der Ausgabenseite ist der Bundeshaushalt 1976 mit erheblichen Risiken belastet, namentlich im weiten Bereich der Sozialversicherung, bei Post und Bahn und bei der EG.
Sechstens. CDU und CSU sind trotz aller Bedenken bereit, im Haushaltsgesetzgebungsverfahren einen Beitrag zu einem soliden Bundeshaushalt 1976 zu leisten. Es kommt nun darauf an, daß die Bundesregierung den Weg mit drastischen Haushaltskürzungen frei macht zum Zwecke der Verstärkung sowohl der öffentlichen als auch der privaten Investitionen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen. In diesem Hause — Herr Kollege Hoppe, Sie haben es angesprochen — haben wir oft nicht den richtigen Umgang miteinander. Unser Kollege Strauß hat in seiner Rede heute morgen sehr vieles gesagt, und es wäre gut, wenn die Regierung manches von dem, was da gesagt worden ist, auch aufnehmen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Statt dessen aber wird der Kollege Strauß nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen in der breiten Offentlichkeit persönlich verunglimpft. Seit Sie erkannt haben, daß wir in unserem Kollegen Strauß eine bedeutende politische Potenz haben,

(Lachen bei der SPD)

seit Sie erkannt haben, daß unser Fraktionsvorsitzender, Herr Carstens, und der Kanzlerkandidat der CDU, Herr Kohl, Sie demnächst ablösen werden, versuchen Sie, gegen diese Persönlichkeiten — Ihr Verhalten heute morgen war ein erneuter Beweis — mit persönlicher Verunglimpfung vorzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Aber bewußt und gewollt!)

Dieses Spiel, meine Damen und Herren, werden wir nicht mitmachen. Wenn Sie sich mit uns bis zum letzten konfrontieren, werden wir unseren Bürgern draußen sagen, was bei Ihnen los ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719904000
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.05 bis 14.00 Uhr)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719904100
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß wir auch in dieser Woche zwei Fragestunden — abweichend von den Richtlinien für die Fragestunde — mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten durchführen. Nach § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/4242 —
Wir kommen zunächst zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die am 31. Dezember 1975 ablaufende Frist für die Möglichkeit zur Nachentrichtung von Beiträgen der Selbständigen zur Rentenversicherung so zu verlängern, bis die bis heute mittellose Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger bei der Nachentrichtung von Beiträgen älterer Selbständiger auch tatsächlich helfen kann, und in welcher Weise wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger nunmehr Mittel bekommt und ihre Arbeit aufnehmen kann?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!

Hermann Buschfort (SPD):
Rede ID: ID0719904200
Herr Kollege, die schon mehrfach — auch in der Fragestunde — zum Ausdruck gebrachte Einstellung der Bundesregierung zur Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger hat sich seit deren Entstehung bis heute nicht geändert. Sie betrachtet diese Stiftung als einen Solidarfonds. Damit ist der Wirtschaft eine Organisationsform angeboten worden, über die sich eine Solidarität der durch die strukturelle Entwicklung begünstigten Selbständigen mit den dadurch benachteiligten Selbständigen verwirklichen könnte. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, Bundesmittel für den Stiftungszweck zur Verfügung zu stellen. Sie würde eine solche Maßnahme auch nicht für vertretbar halten, weil sie eine Bevorzugung ausschließlich des mit der Stiftung angesprochenen Personenkreises darstellen würde. Schließlich müßte sie die berechtigte Frage herausfordern, warum andere zur Nachentrichtung berechtigte Personengruppen, denen eine Nachentrichtung gleichermaßen schwerfällt, nicht ebenfalls mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden.
Die Frage nach einer Verlängerung der Beitragsnachentrichtungsfrist stellt sich bei dieser Situation nicht, denn die Stiftung ist nicht in der Lage, Leistungen zu erbringen. Jedem Selbständigen ist deshalb zu empfehlen, seine Entscheidung über eine



Parl. Staatssekretär Buschfort
Nachentrichtung von Beiträgen noch bis zum Ende dieses Jahres zu treffen. Dabei kann er davon ausgehen, daß die Versicherungsträger durch Einräumung von Teilzahlungen his zu fünf Jahren seinen individuellen Verhältnissen Rechnung tragen können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719904300
Eine Zusatzfrage.

Dietrich-Wilhelm Rollmann (CDU):
Rede ID: ID0719904400
Herr Staatssekretär, bedeutet nicht diese Weigerung der Bundesregierung, die Frist über den 31. Dezember 1975 hinaus zu verlängern, daß sehr viele ältere Selbständige, die im Augenblick und vielleicht auch in den nächsten fünf Jahren die Beiträge für die Nachentrichtung einfach nicht aufbringen können, gar nicht in der Lage sein werden, überhaupt in die gesetzliche Rentenversicherung hineinzukommen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rollmann, ich glaube, daß der Zeitraum von fünf Jahren für die Teilzahlung von Nachentrichtungsbeiträgen — wobei jeweils die individuellen Möglichkeiten berücksichtigt werden sollen — ein beachtlich langer Zeitraum ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719904500
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann.

Dietrich-Wilhelm Rollmann (CDU):
Rede ID: ID0719904600
Herr Staatssekretär, ist es nicht sinnvoller und für die öffentliche Hand letzten Endes billiger, einem älteren Selbständigen über die Stiftung älterer Selbständiger bei der Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen zu helfen, als einen solchen älteren Selbständigen möglicherweise auf den Weg der Sozialhilfe zu verweisen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es geht hier um die gerechte Verwendung von Rentenversicherungsbeiträgen. Es ist nicht im Interesse der Beitragszahler der Rentenversicherungsträger und kann auch nicht unsere Aufgabe sein, hier Zugeständnisse zu machen, die dann diese Solidargemeinschaft zu tragen hätte. Mit der Stiftung für ältere Selbständige haben wir den Selbständigen — darunter gibt es eine ganze Reihe, die sehr wohl helfen könnte — die Möglichkeit gegeben, den sozial schwächeren Selbständigen als Solidargemeinschaft zu helfen. Wenn dies nicht geschieht, kann ich nichts dafür. Ich vermag aber nicht einzusehen, daß diese Hilfe nun über die Solidargemeinschaft der Beitragszahler zur Rentenversicherung erfolgen soll.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719904700
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Fircks zu.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0719904800
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, zu prüfen und zu überlegen, ob die Situation für diejenigen nicht anders ist, die mit Ansprüchen an die deutsche Rentenversicherung aus den deutschen Ostgebieten erst jetzt zu uns kommen und die daher innerhalb der jetzt gesetzten Frist eine Möglichkeit der Nachentrichtung gar nicht haben? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilten, ob man bereit ist, diese Frage nochmals zu überprüfen.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, eine Prüfung zu veranlassen; denn die Rückgliederung aus Polen und damit auch der Zuzug von Selbständigen und Arbeitnehmern aus den

(Freiherr von Fircks [CDU/CSU) : Deutschen

Ostgebieten!)
Rückgliederungsgebieten bringen die Notwendigkeit mit sich, die Prüfung einer Nachentrichtungsmöglichkeit für diesen Personenkreis noch einmal vorzunehmen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719904900
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Gansel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Zivildienstleistenden Vergünstigungen und Ermäßigungen, wie sie Wehrpflichtigen und Soldaten zustehen, bei Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen, insbesondere bei der Deutschen Bundesbahn und bei öffentlichen Schwimmbädern, oft verwehrt werden, und weh che Maßnahmen wird sie ergreifen, um sicherzustellen, daß die Zivildienstleistenden die ihnen zustehenden Rechte auch ausschöpfen können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in der Vergangenheit waren der Bundesregierung Fälle, wie sie Ihrer Frage zugrunde liegen, nicht bekanntgeworden. Das gilt insbesondere für den Bereich der Deutschen Bundesbahn, wo durch Vereinbarungen zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und der Deutschen Bundesbahn Gleichbehandlung der Zivildienstleistenden mit den Wehrpflichtsoldaten gewährleistet ist.
Anläßlich einer Diskussion zwischen Zivildienstleistenden und dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst am 30. Oktober 1975 in Kiel, an der Sie, Herr Kollege, teilgenommen haben, hat ein Zivildienstleistender Beschwerde darüber geführt, daß ihm an einem Bahnhof der Deutschen Bundesbahn trotz Vorlage seines Dienstausweises die Aushändigung einer verbilligten Fahrkarte verweigert worden ist. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die Angelegenheit auf einem Mißverständnis beruhte. Dennoch wird der Bundesbeauftragte für den Zivildienst diesen Fall der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn vortragen und bitten, daß an allen Bahnhöfen der Bundesbahn entsprechend der getroffenen Vereinbarung verfahren wird.
In derselben Veranstaltung wurde von einem anderen Zivildienstleistenden darauf hingewiesen, daß nicht alle öffentlichen Schwimmbäder den Zivildienstleistenden die Vergünstigungen gewähren, die Wehrpflichtsoldaten erhalten. Auch insoweit wird der Bundesbeauftragte für den Zivildienst über die kommunalen Spitzenverbände darauf hinwirken, daß Wehrpflichtsoldaten und Zivildienstleistende gleichbehandelt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719905000
Eine Zusatzfrage.




Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0719905100
Hat die Bundesregierung auch ihre Möglichkeiten genutzt, die Zivildienstleistenden anzuhalten, selbst stärker auf die Wahrnehmung ihrer Rechte zu achten?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat noch einmal veranlaßt, daß alle Regionalbetreuer die Zivildienstleistenden auf ihre Rechte in diesem Bereich aufmerksam machen. Ich gehe davon aus, daß dadurch sichergestellt wird, daß eine Gleichbehandlung auf allen Feldern, d. h. also nicht nur auf den hier angesprochenen, sondern auch im Bereich Theater, Sport usw., herbeigeführt werden kann.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719905200
Damit, Herr Staatssekretär, sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Ich danke ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Glotz zur Verfügung.
Die erste Frage, Frage 3, ist von Herrn Schweitzer eingebracht:
Liegen der Bundesregierung inzwischen erste Ergebnisse des sogenannten Vorlaufs einer umfassenden Kapazitätsberechnung an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland vor, und, wenn ja, wie sind diese zu beurteilen?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Prof. Dr. Peter Glotz (SPD):
Rede ID: ID0719905300
Herr Kollege Schweitzer, Ergebnisse des sogenannten Vorlaufs zur Kapazitätsverordnung liegen inzwischen in einem Bericht der beim Verwaltungsausschuß der Zentralstelle in Dortmund, die die Studienplätze vergibt, ansässigen Sachverständigengruppe vor. Die Auswertungsergebnisse, die in diesem Bericht enthalten sind, haben ihren Niederschlag zum Teil in einer novellierten Fassung dieser Kapazitätsverordnung für die Hochschulen gefunden, die am 7. November 1975 verabschiedet werden soll, also in wenigen Tagen. Bis dahin muß nach einem Beschluß der Länder auch mit der Veröffentlichung dieses Sachverständigenberichts, den ich gerade erwähnt habe, gewartet werden. Ins einzelne gehende Aussagen lassen sich deshalb erst nach dem Zeitpunkt machen, an dem die neue Kapazitätsverordnung verabschiedet worden ist.
Immerhin kann jetzt schon folgendes gesagt werden. Der Vorlauf hat sehr große Schwankungen hinsichtlich der Auslastung der einzelnen Kapazitäten erbracht. Im gleichen Fachbereich an verschiedenen Hochschulen trifft man auf sehr unterschiedliche Verhältnisse zwischen Personal und Studenten und auf ein sehr unterschiedliches Lehrnachfrageverhalten. Ferner zeigt ein Vergleich mit den bisher gültigen Höchstzahlen, daß die in diesem Vorlauf ermittelten Aufnahmekapazitäten zum großen Teil erheblich über oder unter den bisherigen Höchstzahlen liegen. Bei allen Vorbehalten, die man hinsichtlich der Genauigkeit des Verfahrens, der Güte der Eingabewerte und der Manipulierbarkeit bei solchen Verfahren machen muß, kann man wahrscheinlich doch feststellen, daß auf Grund der extremen Schwankungsbreiten bei der Auslastung von Hochschule zu Hochschule im gleichen Fachbereich auf unausgelastete Kapazitäten geschlossen werden kann.
Eine gleichmäßige und erschöpfende Auslastung der Hochschulkapazitäten im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1972 läßt sich allerdings auch durch eine noch so genaue Kapazitätsverordnung zumindest so lange nicht sicherstellen, als keine bundeseinheitliche Regelung hinsichtlich der zugrunde gelegten Lehrdeputate und keine quantitativ angeglichenen Studienpläne im gleichen Fachbereich existieren.
Im übrigen muß ich natürlich, Herr Kollege, die kritische Frage stellen, ob und inwieweit eine Kapazitätsverordnung derart, wie wir sie jetzt in diesem Vorlauf geprüft haben, ein geeignetes Instrument ist, die Hochschulen zu genügend eigener Initiative, zur gleichmäßigen und erschöpfenden Nutzung der Hochschulkapazitäten und zu dazu unerläßlichen Reformanstrengungen zu veranlassen. Diese offene Frage bedarf sicher noch einer intensiven Diskussion aller Beteiligten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719905400
Es war jedenfalls eine erschöpfende Antwort. Zusatzfrage, bitte!

Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (SPD):
Rede ID: ID0719905500
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach dem von Ihnen erwähnten Zeitpunkt gegebenenfalls bereit ist, auf eine weitere Frage hier in der Fragestunde in diesem Hohen Hause ganz konkret Roß und Reiter zu nennen, d. h. diejenigen Universitäten und Fakultäten, bei denen anzunehmen ist, daß sie in der Tat ihre Kapazitäten nicht voll ausgenutzt und damit keinen sehr guten Beitrag zur Überwindung dieser Numerus-clausus-Krise geleistet haben?
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist ja in diesen Gremien der Länderverteilungsstelle nur Gast und wird sich insoweit an die Usancen dieser Länderverteilungsstelle halten müssen. Aber die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn nach entsprechenden Hinweisen an den Hochschulen selbst dann sehr konkret diskutiert würde, wo noch Luft an den Hochschulen ist, d. h. wo noch Kapazitäten frei sind, und wo keine Luft mehr ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719905600
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage, die Sie aber bitte nach den Richtlinien für die Fragestunde stellen wollen, d. h., es muß am Ende ein Fragezeichen stehen.

Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (SPD):
Rede ID: ID0719905700
Da diese erste Frage in engem Zusammenhang mit der Numerus-clausus-Problematik steht, möchte ich einmal fragen, Herr Staatssekretär, ob die Bundesregierung den Vorschlag von Professor Egli geprüft hat, ob die Ein-



Dr. Schweitzer
führung besonderer Hochschulzugangsverfahren etwa im Bereich der Medizin zur Überwindung des Numerus clausus einen Beitrag leisten kann.
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schweitzer, schon im Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes sind in § 36 besondere Eingangsverfahren, die zum Abitur hinzukommen sollen, vorgesehen. Im Zusammenhang mit der Vorlage dieses Gesetzes sind von uns entsprechende Forschungsarbeiten in Auftrag gegeben worden. Dabei werden auch die Vorschläge, die Herr Professor Egli gemacht hat, berücksichtigt. Herr Professor Egli ist an den Forschungsarbeiten beteiligt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719905800
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Gerlach (Obernau) auf:
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen, daß die Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in ihren Zulassungsbescheiden an Studenten, die in Mittel- und Ostdeutschland geboren sind, in die Rubrik „Land des Geburtsorts" einträgt „Ausland"?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerlach, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, auf deren Zulassungsbescheide sich die Anfrage, die Sie gestellt haben, bezieht, ist eine Einrichtung der Bundesländer. Eine telefonische Rückfrage bei dieser Stelle hat ergeben, daß die Zulassungsbescheide eine Rubrik „Land des Geburtsorts" nicht enthalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719905900
Sie haben die Möglichkeit, zwei Zusatzfragen zu stellen.

Paul Gerlach (CSU):
Rede ID: ID0719906000
Herr Staatssekretär, würden Sie es akzeptieren, wenn ich Ihnen die entsprechenden Unterlagen vorlegte, aus denen hervorgeht, daß derjenige, der in der heutigen DDR geboren ist, keine andere Chance hat, als sich unter der Rubrik „Ausland" einzutragen?
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung akzeptiert es selbstverständlich immer, wenn Abgeordnete ihr entsprechende Unterlagen vorlegen. Nur: Ich habe auf Ihre Frage exakt geantwortet, daß die Zulassungsbescheide — wie es in Ihrer Frage heißt — eine solche Rubrik nicht aufweisen.
Ich habe allerdings auf eine schriftliche Anfrage des Kollegen Sauer antworten können und müssen -- auch auf weitere Rückfragen —, daß es in der Tat Kontrollblätter gibt — nicht Zulassungsbescheide —, auf denen dieses notwendig wird. Das hat einen ganz praktischen Grund, nämlich den, daß die Zahl der Buchstaben, die notwendig wären, um in den Computerausdruck des Kontrollblattes „nicht Bundesrepublik Deutschland" einzufügen, so groß wäre, daß damit die erforderliche Zahl 10 überschritten würde. Dies ist in der Tat, wie sich inzwischen herausgestellt hat, passiert; es wird nun korrigiert.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719906100
Eine zweite Zusatzfrage.

Paul Gerlach (CSU):
Rede ID: ID0719906200
Bis wann kann nach Ihrer Meinung diese bisher unmögliche, aber nunmehr mögliche Korrektur durchgeführt werden?
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist eine Frage, die sich an die zuständigen Länderstellen richtet, denn zuständig für die Zulassungsstelle sind die Bundesländer, hier besonders das Sitzland Nordrhein-Westfalen. Wie schnell dies technisch geht, weiß ich nicht. Der Bescheid, den wir auf Grund der Frage des Kollegen Sauer erhalten haben, lautete, daß eine Korrektur so schnell wie möglich veranlaßt werden soll.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719906300
Danke. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft erledigt.

(Dr. Probst [CDU/CSU] : Darf ich auch eine Zusatzfrage stellen?)

— Zu spät.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die hier vorliegenden Fragen 36 und 37 der Abgeordneten Frau von Bothmer sowie die Frage 38 des Abgeordneten Horstmeier werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen, wenn durch das neue Tarifsystem der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen die Grenzland-Regierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz in die höchste Tarifklasse eingestuft werden?
Bitte!

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0719906400
Herr Kollege, die von den Versicherungunternehmen geplante neue Regionalstruktur der Kraftfahrzeughaftpflichttarife für Personen- und Kombinationskraftwagen beruht auf Statistiken, die in den letzten Jahren über den tatsächlichen Schadensverlauf in den einzelnen Regierungsbezirken und Städten über 100 000 Einwohner geführt worden sind. Dabei hat sich ergeben, daß der Schadensbedarf der Versicherungsnehmer in den Regierungsbezirken Niederbayern und Oberpfalz in jedem der vorangegangenen drei Jahre wesentlich über dem durchschnittlichen Schadensbedarf aller Versicherungsnehmer liegt.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat jedoch Gespräche mit Vertretern der Versicherungsunternehmen aufgenommen, bei denen die Kriterien und Auswirkungen der neuen Tarifstruktur noch einmal



Parl. Staatssekretär Grüner
eingehend erörtert werden, bevor die Versicherungsunternehmen ihre Tarifanträge den Versicherungsaufsichtsbehörden zur Genehmigung vorlegen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719906500
Zu einer Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter!

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0719906600
Herr Staatssekretär, würden Sie es für gerechtfertigt halten, daß die Kraftfahrer in diesen Regionen erneut über Gebühr zur Kasse gebeten würden, angesichts der Tatsache, daß die Bevölkerung in diesem Gebiet in größerem Maße auf den Kraftwagen angewiesen ist als in Ballungsräumen, wo öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde die Antwort hierauf gern mit meiner Antwort auf Ihre zweite Frage verbinden. Das steht in unmittelbarem Zusamenhang miteinander.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719906700
Der
Fragesteller ist einverstanden. Daher rufe ich jetzt
auch die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Würde dadurch nicht die Bevölkerung dieser Regionen benachteiligt werden, nachdem diese Gebiete noch nicht ausreichend mit Bundesfernstraßen erschlossen sind?
Herr Dr. Jobst, Sie können dann noch drei Zusatzfragen stellen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: In meiner Antwort auf Ihre erste Frage habe ich bereits darauf hingewiesen, daß die neue Tarifstruktur dem tatsächlichen Schadensverlauf der letzten Jahre entspricht. Es kann also insoweit nicht von einer Benachteiligung der Versicherungsnehmer dieser Regionen gesprochen werden.
Im übrigen zeigen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts über die polizeilich festgestellten Ursachen von Straßenverkehrsunfällen, daß dabei generell das Verhalten des Fahrers und nicht die Straßenverhältnisse im Vordergrund stehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719906800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0719906900
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht doch einen Zusammenhang zwischen der, wie Sie anführen, höheren Unfallquote und dem Zustand vor allem des überörtlichen Straßennetzes in diesen Gebieten sehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Antwort darauf schon gegeben. Sie ist selbstverständlich generalisierend, wie auch die Benachteiligung, die in Ihrer Frage unterstellt wird; für viele in diesen Regionen führt es zu einer Bevorzugung, nämlich durch den schadensfreien Verlauf der Versicherungen. Ich kann mich nur noch einmal auf die statistischen Unterlagen berufen. Die Verkehrsstatistik weist aus, daß für die Unfallhäufigkeit überwiegend das Verhalten der Verkehrsteilnehmer — das schließt natürlich andere Ursachen nicht aus — und nicht die Straßenverkehrsverhältnisse im einzelnen maßgebend sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719907000
Weitere Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0719907100
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung den Absichten der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen nicht zustimmen wird, diese Regionen in den benachteiligten Gebieten in die höchste Versicherungsklasse einzustufen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das Bundeswirtschaftsministerium will mit der Versicherungswirtschaft die beabsichtigte neue Tarifstruktur unter den Aspekten der bisherigen Diskussion in der Offentlichkeit noch einmal durchsprechen, insbesondere im Hinblick auf die Kriterien, die hier zugrunde gelegt werden, und auch auf die Auswirkungen dieser Tarifänderungen. Es geht dabei auch um die Frage des Zeitpunkts. Damit ist keine endgültige Meinungsäußerung verbunden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719907200
Nachdem Sie, Herr Kollege Jobst, mit Ihren Zusatzfragen fertig sind, lasse ich eine Frage des Abgeordneten Kunz und eine Frage des Abgeordneten Kiechle zu.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0719907300
Herr Staatssekretär, ich darf mich noch einmal vergewissern: Schließen Sie einen Zusammenhang aus zwischen dem Ausbauzustand bzw. der Ausbaudichte von Straßen in diesen Räumen auf der einen Seite und der Unfallhäufigkeit auf der anderen, die letzten Endes zu der Tariferhöhung geführt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das läßt sich sicher nicht ausschließen. Aber ich darf noch einmal sagen, daß nach den polizeilich festgestellten Ursachen von Straßenverkehrsunfällen generell das Verhalten des Fahrers und nicht die Straßenverhältnisse — dies betone ich — im Vordergrund stehen. Wir wissen ja auch aus eigener Erfahrung, daß besonders gut ausgebaute Schnellstraßen gelegentlich ein sehr hohes Maß an Unfallhäufigkeit zur Folge haben, und zwar infolge der Schnelligkeit des Fahrens. Auch das hängt im übrigen nicht nur vom Ausbau der Straße, sondern etwa auch von Witterungsverhältnissen und Straßenbelägen ab. Ausschlaggebend ist nicht allein die Straßenführung oder das mehr oder weniger gute Straßennetz.
Ich betone aber noch einmal, daß als Ursache das Verhalten des Fahrers nach den polizeilichen Ermittlungen im Vordergrund steht. Selbstverständlich gibt es auch mitwirkende Ursachen, die mit den Straßenverhältnissen zu tun haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Kunz [Weiden] [CDU/ CSU])


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719907400
Herr Kollege Kiechle, eine Zusatzfrage.




Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID0719907500
Herr Staatssekretär, werden bei der Erstellung der Unfallstatistiken für die jeweiligen Regionen die Unfälle der Region des Geschehens oder der Region, in dem das Kraftfahrzeug, das den Unfall verursacht hat, zugelassen ist, zugerechnet?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das Versicherungsprinzip, das bei uns üblich ist, geht davon aus, daß der Schaden vom einzelnen Versicherungsnehmer und dem Fahrer, der ihn verursacht hat, zu tragen ist und daß deshalb der Zulassungsort des Fahrzeugs maßgeblich ist. Ein Unfall, den ein Niederbayer in Stuttgart verursacht, wirkt sich versicherungsrechtlich auf die Region Niederbayern aus.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719907600
Der Abgeordnete Schmidhuber hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 7 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 8 ist vom Herrn Abgeordneten Milz eingereicht worden:
Trifft es zu, daß in den letzten Jahren die Kraftfahrer mit mehr Kosten belastet worden sind, insbesondere durch die Erhöhung der Mineralölsteuer, als daß deren Nettorealeinkommen innerhalb des gleichen Zeitraums gewachsen sind?
Herr Staatssekretär!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Gegenstand Ihrer Frage ist offensichtlich, ob die Kosten der Kraftfahrzeughaltung in den letzten Jahren schneller gestiegen sind als die verfügbaren Einkommen. Das ist zu verneinen.
Die durchschnittliche Netto-Lohn- und -Gehaltssumme je beschäftigten Arbeitnehmer — spezielle Angaben über die Einkommensentwicklung der Kraftfahrer gibt es nicht — lag im ersten Halbjahr 1975 um 50,5 % höher als im Jahre 1970. Der sogenannte Kraftfahrerpreisindex, der die wesentlichen Ausgabenkategorien der Kraftfahrzeughaltung erfaßt, hat sich in demselben Zeitraum um 38,2 % — also weniger — erhöht. Von der zuletzt genannten Rate entfällt ein Anteil von zirka 3,5 bis 4 Prozentpunkten, also etwa ein Zehntel, auf die zwischenzeitlichen Anhebungen der Mineralölsteuer einschließlich der dadurch bedingten zusätzlichen Umsatzsteuer.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719907700
Bitte, Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0719907800
Herr Staatssekretär, meine Frage basiert auf einem Interview des Herrn Bundeskanzlers mit dem „General-Anzeiger" vom 5. Oktober, bei dem er gesagt hat: Wenn Autofahren teurer geworden ist, dann doch nicht in erster Linie durch Maßnahmen der Bundesregierung, sondern wegen der Preise für neue Pkw, für Mineralöl und dergleichen. Das wollte ich nur erläuternd sagen. Ich frage deshalb: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das Autofahren durch Maßnahmen der Bundesregierung — und zwar wesentlich durch Maßnahmen der Bundesregierung verursacht -- teurer geworden ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß die von Ihnen zitierten Äußerungen des Bundeskanzlers von dem, was ich hier gesagt habe, ausdrücklich bestätigt werden. Ich habe hier doch auch den Anteil der Mineralölsteuererhöhungen an der Steigerung der Kosten der Kraftfahrzeughaltung als Prozentsatz aufgeführt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719907900
Eine weitere Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0719908000
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Bundesregierung mit dieser Argumentation durch Sie und auch durch den Bundeskanzler das fortsetzt, was sie heute schon und in der Vergangenheit praktiziert hat, nämlich die Schuld bei anderen und nicht bei sich selbst zu suchen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich bin nicht dieser Meinung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719908100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0719908200
Herr Staatssekretär, können Sie sich an das Frühjahr 1974 erinnern, als Sie mir auf die Frage, wann die Werbungskostenpauschale für die Fahrten zur Arbeitsstätte wegen der Teuerung von 36 Pfennig je Kilometer auf 50 Pfennig je Kilometer erhöht werde, geantwortet haben, daß das im Zusammenhang mit der Steuerreform kommen solle?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist ja auch geschehen, Herr Kollege. Wir haben das nun einheitlich so entschieden, wie es aus dem Steuerreformkonzept hervorgeht.

(Nordlohne [CDU/CSU]: Darf ich feststellen, daß das nicht geschehen ist!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719908300
Herr Kollege, Sie haben nicht die Möglichkeit, die Fragestunde zu Feststellungen zu benutzen.
Ich rufe die Frage 9 auf, die vom Herrn Abgeordneten Spranger eingereicht wurde:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß weitere Förderungsmittel für Industrieansiedlung in Ballungsräumen zugunsten der Zuteilung von Förderungsmittel in schwachstrukturierten, ländlich orientierten Gebieten eingeschränkt werden müßten und daß Industrteansiedlungen und Arbeitsplatzbeschaffung in den Ballungsräumen nicht mehr nötig seien?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt die von Ihnen genannte Auffassung in dieser allgemein gehaltenen Formulierung nicht; denn die im Frühjahr dieses Jahres abgeschlossene Neuabgrenzung der Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" hat ergeben, daß regionale Wirtschaftsförderung sowohl in ländlich strukturierten Gebieten — wie dem Bayerischen Wald oder der Eifel — wie auch in schwach strukturierten Ballungsräumen



Parl. Staatssekretär Grüner
— wie dem nördlichen Ruhrgebiet oder dem Saarland — betrieben werden muß. Allerdings überwiegt bei weitem der Anteil der ländlich oder gemischt strukturierten Gebiete. Industrieansiedlung und Arbeitsplatzbeschaffung müssen in den genannten Ballungsräumen gefördert werden, weil in ihnen Wirtschaftszweige vorherrschen, die vom Strukturwandel in einer Weise betroffen oder bedroht sind, daß negative Rückwirkungen auf das Gebiet in erheblichem Umfang eingetreten oder absehbar sind. Damit wird dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" entsprochen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719908400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0719908500
Herr Staatssekretär, was hält die Bundesregierung von der Tatsache, daß Anfang Oktober der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bayerischen Landtag mit der Meinung, die ich in meine Anfrage eingebunden habe, in Westmittelfranken an die Öffentlichkeit getreten ist und genau diese Meinung, die ich dargelegt habe, öffentlich verkündet hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es wird im Bereich der regionalen Wirtschaftsstruktur immer unterschiedliche Auffassungen geben können. Entscheidend bleibt, daß die Reform der regionalen Wirtschaftsstruktur im Zusammenhang mit der Neufassung unserer Richtlinien vom Bund und den Ländern gemeinsam verabschiedet worden ist und daß alle diese Überlegungen eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung gespielt haben. Im übrigen unterliegen sie selbstverständlich auch der Nachprülung bzw. der Anpassung bei der Neuabgrenzung der Fördergebiete im Rahmen der vorgesehenen laufenden Überprüfungen, wo auch solchen Gesichtspunkten im Rahmen der Neuabgrenzung Rechnung getragen werden kann, wie Sie sie anschneiden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719908600
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0719908700
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung treffen, um der Aussage von Herrn Grabert, auf die ich in der mündlichen Frage eingegangen bin, zu entsprechen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist z. B. durchaus denkbar, daß bei der Förderung in Ballungsräumen stärker auf Gemeindeteile abgestellt wird, und es ist auch denkbar, daß die Verkehrsanbindung solcher Ballungszentren bei der Gewichtung und der Förderung in Zukunft eine größere Rolle spielt, als sie bei den bisherigen Abgrenzungen gespielt hat. Aber das sind Dinge, die im Rahmen der Neuformulierung und der Überprüfung auf Grund der gewonnenen Erfahrungen zu behandeln sind und worüber gemeinsam mit den Ländern zu verhandeln sein wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719908800
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0719908900
Herr Staatssekretär, haben schwach strukturierte, marktferne Räume angesichts der gegebenen Förderung und der geringen Förderpräferenz gegenüber den Ballungsräumen überhaupt eine hinreichende Chance, zum Zuge zu kommen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach den bisherigen Ergebnissen unserer regionalen Förderungspolitik ist diese Chance durchaus gegeben. Sie ist natürlich nicht zu allen Zeiten gleich günstig. In Zeiten der Hochkonjunktur war sie besonders ausgeprägt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719909000
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Thürk auf:
Sieht die Bundesregierung im Anwachsen der Kohlenbestände bis zum Jahresende 1975 auf annähernd 18 Millionen t lediglich die Folge einer ungünstigen Absatzlage oder auch die Möglichkeit zur Bildung einer nationalen Energiereserve mit dem Ziel der Überbrückung zukünftiger Energieversorgungskrisen?
Herr Staatssekretär, ich kann im Augenblick nicht übersehen, ob Sie mit dem Fragesteller vielleicht darin übereinstimmen, daß seine beiden Fragen gemeinsam beantwortet werden. Oder ziehen Sie eine gesonderte Beantwortung vor?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde es begrüßen, wenn eine gemeinsame Beantwortung möglich wäre.

(Thürk [CDU/CSU] : Ich stelle anheim!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719909100
Der Herr Fragesteller ist offensichtlich einverstanden. Ihr Recht auf Zusatzfragen wird dadurch nicht verkürzt.
Ich rufe dann noch die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Thürk auf:
Ist die Bundesregierung in letzterem Fall bereit, Kohlenhaldenbestände anzukaufen oder die Lagerung wenigstens zu subventionieren oder die bergbautreibenden Unternehmen in anderer Weise darin zu bestärken, ungeachtet der jeweiligen Absatzlage, bis zu bestimmten Größenordnungen den Abbau der Kohle uneingeschränkt zu betreiben?
Bitte!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auf Grund der konjunkturell bedingten Absatzentwicklung werden die Haldenbestände des deutschen Steinkohlenbergbaus his Ende dieses Jahres voraussichtlich wieder bis auf ca. 18 Millionen t Kohle anwachsen. Die Bundesregierung hat bereits in der ersten Fortschreibung ihres Energieprogramms die Anlage einer Steinkohlenreserve von bis zu 10 Millionen t vorgesehen, mit deren Aufbau 1977 begonnen werden sollte. Angesichts der gegenwärtigen Haldenentwicklung prüft die Bundesregierung zur Zeit die haushaltsmäßigen Möglichkeiten, mit dem Aufbau dieser Steinkohlenreserve bereits 1976 zu beginnen. Ein Ankauf der für die Steinkohlenreserve bestimmten Halden durch die öffentliche Hand ist nicht vorgesehen. Vielmehr ist beabsichtigt, diese Halden durch Übernahme der laufenden Kosten wie Zinsen, Lagermiete usw., zu finanzieren.
Die Anlage einer Steinkohlenreserve soll eine zusätzliche Sicherheit für unsere Energieversorgung bringen. Sie kann dagegen nicht die Aufgabe erfüllen, den Bergbau vollständig von den Auswir-



Parl. Staatssekretär Grüner
kungen konjunktureller Absatzschwankungen zu entlasten. Vielmehr ist es Sache der Bergbauunternehmen, solche Schwankungen über eine eigene Haldenwirtschaft und, falls erforderlich, auch durch temporäre Veränderungen ihrer Förderungen auszugleichen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719909200
Zusatzfrage, bitte!

Kurt Thürk (CDU):
Rede ID: ID0719909300
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Halden während der letzten Energiekrise 1973/74 in vielen Bereichen bis auf Null abgebaut wurden und man dort sehr froh gewesen wäre, wenn man zur Sicherung der Energie noch Lagerbestände gehabt hätte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Erkenntnis hat zu dem Beschluß der Bundesregierung geführt, eine solche Steinkohlenreserve zu schaffen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719909400
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!

Kurt Thürk (CDU):
Rede ID: ID0719909500
Glauben Sie nicht, daß das Energieprogramm in Anbetracht dieser Erkenntnis der Bundesregierung fortgeschrieben werden müßte und daß eine Haldenreserve von 10 Millionen Tonnen unzureichend ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung denkt nicht an eine Fortschreibung des Energieprogramms, sondern an eine laufende Anpassung

(Thürk [CDU/CSU] : Das ist ja dasselbe!)

auf Grund veränderter Verhältnisse. Sie ist der Meinung, daß extreme konjunkturelle Schwankungen, wie wir sie im Augenblick haben, keine geeignete Grundlage für eine generelle Fortschreibung darstellen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719909600
Eine weitere Zusatzfrage.

Kurt Thürk (CDU):
Rede ID: ID0719909700
Hat die Bundesregierung in ihre Überlegung die Möglichkeit mit einbezogen, eventuell nicht selbst, sondern über ein bundeseigenes Unternehmen doch tatsächlich in die Lagerhaltung einzusteigen und durch Kapitalhilfen auf dem Markt die Möglichkeit zu schaffen, diese Haldenbestände unter Berücksichtigung des Umstandes zu übernehmen, daß die Unternehmen auf längere Zeit mit derartig hohen Beständen betriebswirtschaftlich ausreichend arbeiten können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, daran ist nicht gedacht. Ich habe eben dargestellt, wie wir uns die Finanzierung dieser Kohlenreserven vorstellen.

(Thürk [CDU/CSU]: Danke schön!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719909800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719909900
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, was die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun gedenkt, um weitere Aufhaldungen, die nicht konjunkturbedingt sind, möglichst zu vermeiden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß auch eine Steinkohlenreserve keine Lösung des Problems bringen würde, wenn — aus welchen Gründen auch immer — der Absatz der Steinkohle nicht im Einklang mit der Förderung stünde, und ich habe darauf hingewiesen, daß eine Reaktion der Bergbauunternehmen auf solche Absatzschwierigkeiten notwendig ist.
Sie kennen im übrigen das Gesamtinstrumentarium, das die Bundesregierung geschaffen hat, um den Absatz der Steinkohle in unserem Lande in den Bereichen zu sichern, in denen er ohne gesetzliche Eingriffe nicht gesichert werden könnte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719910000
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719910100
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, welche Chance Sie selbst Ihrer Ankündigung einräumen, das Instrument der Haldenfinanzierung nicht erst, wie vorgesehen, 1977, sondern möglichst schon 1976 einzusetzen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann, da es sich hier um Haushaltsprobleme handelt, darüber zum jetzigen Zeitpunkt — auch mangels Zuständigkeit — keine Aussage machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719910200
Weitere Zusatzfragen liegen dazu nicht vor.
Ich rufe Frage 12 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Hält die Bundesregierung die Tatsache, daß betroffene Hersteller vermehrt die Veröffentlichung von Testergebnissen der Stiftung Warentest zu „reinigen" oder zu unterdrücken versuchen, für vereinbar mit den Zielsetzungen eines wirksamen Verbraucherschutzes?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Stiftung Warentest, Herr Kollege Hansen, ist auch früher hin und wieder in gerichtliche Auseinandersetzungen verwickelt worden. In letzter Zeit hat die Auseinandersetzung um den Unterbodenschutz-Test auch in der Offentlichkeit zu größeren Diskussionen geführt. Die Bundesregierung hofft, daß ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das voraussichtlich im Dezember verkündet werden wird, einige mit der Arbeit der Stiftung Warentest verbundene Streitfragen klären wird.
Die Bundesregierung hält es für wünschenswert, daß die sehr wichtige Arbeit der Stiftung Warentest nicht durch Prozesse gestört wird. Andererseits hat nach unserer Rechtsordnung jedermann, der sich durch die Stiftung in seinen Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit, vor Gericht eine Klärung herbeizuführen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719910300
Eine Zusatzfrage.




Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0719910400
Herr Staatssekretär, halten Sie es unter diesen Umständen für nach wie vor gerechtfertigt, daß die Stiftung Warentest ihre konziliante Praxis beibehält, die betroffenen Firmen vor Beginn eines Tests und dann auch vor Veröffentlichung über die Testergebnisse zu unterrichten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Stiftung Warentest wird sicher ihre eigenen Schlußfolgerungen zu ziehen haben, und ich möchte diesen Überlegungen hier nicht vorgreifen. Ich bin aber andererseits der Meinung, daß die Stiftung daran interessiert sein muß, möglichst zu objektiven Ergebnissen zu kommen, und daß sie das vor allem dann kann, wenn sie ihre Ergebnisse vorher mit den Betroffenen erörtert. Sie wird nie vermeiden können — das liegt in der Art dieser Arbeit —, daß sie in Auseinandersetzungen verwickelt wird, und es wird bei aller Objektivität und bei allem Bemühen der Stiftung um sachgerechte Aussagen auch nicht auszuschließen sein, daß sie in dem einen oder dem anderen Fall einmal irrt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719910500
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0719910600
Herr Staatssekretär, steht Ihrer Meinung nach das Vorgehen der betroffenen Firmen in einem gemeinsamen Rechtskartell — in diesem Fall im juristischen Sinne — gegen die Stiftung Warentest zur Sicherung von eigentlich auf unlauterer Werbung beruhenden Gewinnen noch im Einklang mit den Regeln der Marktwirtschaft?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt für uns keinerlei Hinweise darauf, daß es sich hier um ein irgendwie geartetes Kartell handelt. In dem konkreten Fall ist darauf zu verweisen, daß die Stiftung Warentest in der Reaktion auf das Vorgehen der Unternehmen deutlich gemacht hat, daß einzelne Ergebnisse, die hier zur Veröffentlichung anstanden, einer Nachprüfung tatsächlich nicht standgehalten haben, so daß die Veröffentlichungen, wie sie jetzt erfolgt sind, schon eine Korrektur einschließen.

(Hansen [SPD]: In diesem Fall!)

— In diesem konkreten Fall.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719910700
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Riedel-Martiny.

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0719910800
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es für erforderlich, das Problem des Prozeßkostenrisikos, das möglicherweise auch bei der Stiftung Warentest in diesem Fall eine Rolle gespielt hat, einer Neuregelung zu unterziehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir werden das von mir erwähnte Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes abwarten müssen, weil wir annehmen, daß in diesem Bereich auch die besondere Stellung der Stiftung Warentest und die Rolle, die diese Stiftung im Sinne der Verbraucher ausübt, eine rechtliche Würdigung erfahren wird. Wir
werden die Ergebnisse des Urteils abwarten und
unsere Überlegungen auf diesem Urteil aufbauen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719910900
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Kern auf:
Welchen Verlauf hat die Entwicklung im Primärenergie- und im Stromverbrauch in den drei ersten Quartalen 1975 in der Bundesrepublik Deutschland genommen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Im ersten Halbjahr 1975 ist der Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik nach vorläufigen Berechnungen um 5,1 %, der Stromverbrauch um 2 % gegenüber dem ersten Halbjahr 1974 zurückgegangen, während das Bruttosozialprodukt um 5% abnahm. Bei den wichtigsten Energieträgern war folgendes Ergebnis zu verzeichnen: Der Anteil des Mineralöls blieb mit 50,8 % im ersten Halbjahr 1975 gegenüber dem Vorjahreszeitraum mit 50,5 % nahezu unverändert. Der Anteil der Steinkohle ging von 23,7 auf 20 % zurück. Der Anteil des Erdgases stieg von 12,7 auf 14,4%. Der Anteil der Braunkohle stieg von 9,4 auf 10,1 %. Der Anteil der Kernenergie stieg von 1,0 auf 1,8 %.
Bei einem Vergleich des ersten Halbjahres 1975 mit dem Vorjahreszeitraum ist zu berücksichtigen, daß im ersten Halbjahr 1974 die Auswirkungen der Ölkrise ihren Niederschlag fanden. Für das dritte Quartal 1975 liegen noch keine vollständigen Ergebnisse vor, eine Fortsetzung des Verbrauchsrückgangs zeichnet sich jedoch ab.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719911100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, die Energieversorgungsunternehmen mit Nachdruck anzuhalten, nicht nur Kernkraft-, Erdgas-, Braunkohlen-, 01- und Wasserkraftwerke voll zu beschäftigen, sondern auch die Steinkohlenkraftwerke vernünftig und besser zu fahren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911200
Herr Kollege Wolfram, sosehr ich Verständnis für Ihre Frage habe, so muß ich doch dem Herrn Staatssekretär in diesem Fall konzedieren, daß die Frage nicht in dem in der Geschäftsordnung geforderten unmittelbaren Zusammenhang steht. Wenn Sie, Herr Staatssekretär, die Möglichkeit haben, sie zu beantworten, will ich die Frage zulassen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dazu dient das vom Bundestag geschaffene Verstromungsgesetz. Im übrigen stehen wir mit den Energieversorgungsunternehmen in engem Gesprächskontakt, um alle Möglichkeiten, die hier gegeben sind, auszuschöpfen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911300
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Kern auf:
Welche statistischen Unterlagen werden für die Bestimmung des Primärenergie- und des Stromverbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland herangezogen?



Grüner, Parl. Staatssekretär: Für die Ermittlung des Primärenergie- und des Stromverbrauchs werden insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
— Statistik der Elektrizitäts- und Gasversorgung, durchgeführt vom Bundesministerium für Wirtschaft auf der Grundlage der Meldungen der Statistischen Landesämter bzw. Landesministerien
— Statistik des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft über das Aufkommen und den Absatz von Mineralöl und Mineralölprodukten
— Statistik der Kohlenwirtschaft e.V. über das Aufkommen und den Absatz von Steinkohle und Braunkohle.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911400
Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) auf:
Welche konkreten Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für die einheimische Natursteinindustrie zur Sicherung der Arbeitsplätze, d. h. zur Stärkung ihrer Konkurrenzfähigkeit, im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" angesichts der Tatsache, daß gerade auch von öffentlichen Bauträgern billige Importware und Substitutionsprodukte bevorzugt werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Standorte der Granitindustrie liegen innerhalb der Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Für Vorhaben der grundlegenden Rationalisierung oder Umstellung, die zur Sicherung von Arbeitsplätzen erforderlich sind, können daher Investitionszuschüsse aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gewährt werden, die damit die Konkurrenzfähigkeit der Granitindustrie verbessern. Die Standorte im Zonenrandgebiet sind auch über das Investitionszulagengesetz begünstigt.
Um das Einkommensniveau und die krisenanfällige Wirtschaftsstruktur dieses Raumes zu verbessern, sieht die Gemeinschaftsaufgabe ferner die Förderung der Schaffung von neuen Dauerarbeitsplätzen im Bereich des produzierenden Gewerbes vor. Hierdurch sollen für alle Arbeitnehmer, die derzeit ein vergleichsweise niedriges Einkommen beziehen und deren Arbeitsplätze wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen gefährdet sind, neue qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch bei Arbeitsplätzen in der Bord- und Pflastersteinindustrie ist zu fragen, ob diese selbst unter Inkaufnahme geringerer Einkommen künftig erhalten bleiben sollten oder ob Investitionsmaßnahmen vorzuziehen sind, die neue qualifizierte Dauerarbeitsplätze bringen und damit die Einkommen in diesem Raum allgemein eihohen. Eine Umsetzung in höherwertige Dauerarbeitsplätze mit besserem Einkommen dürfte für die betroffenen Arbeitnehmer, langfristig gesehen, von größerem Vorteil sein, obwohl ich sehe, daß in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage dafür die Voraussetzungen besonders schwierig sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911500
Sie haben eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege!

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0719911600
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Chancen der einheimischen Natursteinindustrie angesichts der Billigimporte aus anderen Ländern und angesichts der Kostenentwicklung in diesem doch manuell bestimmten Bereich — die Kosten sind sehr angestiegen — als nicht sehr groß eingeschätzt werden und deshalb Ihre Empfehlung ausgesprochen wird, die Arbeitskräfte aus diesem Bereich möchten doch versuchen, in Industrien mit höherwertigen Arbeitsplätzen unterzukommen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Schlußfolgerung dürfen Sie daraus nicht ziehen. Ich habe nur auf Ihre Frage geantwortet, welche konkreten Möglichkeiten die Bundesregierung hat, in diesem Bereich unter der Voraussetzung einer solchen Schwächesituation zu helfen. Meine Aussagen beziehen sich auf den ganzen Raum und schließen dabei die dort angesiedelte Bord- und Pflastersteinindustrie ein. Eine generelle negative Aussage zu dieser Industrie ist nicht möglich wegen der außerordentlichen Differenziertheit der Lage, auch wegen der Unterschiedlichkeit, mit der Firmen, die dort ansässig sind, selber preisgünstigere Steine importieren und durch diesen Import ihre eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten verbessern. Es ist nicht möglich, bei so differenzierter Lage eine generelle negative oder generelle positive Aussage zu machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911700
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0719911800
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, zur Stützung der einheimischen Natursteinindustrie gewisse Auflagen zu machen, daß für Bundesbauten und für solche öffentliche Bauten, die mit Bundesmitteln erheblich gefördert werden, ein bestimmter Prozentsatz von einheimischen Natursteinen Verwendung findet?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Eine solche Möglichkeit ist für die Bundesregierung rechtlich unter keinem Gesichtspunkt gegeben. In diesen Fragen hat es im übrigen ständige Gesprächskontakte mit Abgeordneten des Hauses gegeben, in denen auch dargelegt wurde, welche Möglichkeiten überhaupt gegeben sind. Wir sehen eine der Möglichkeiten darin, daß die Industrie selbst auf Grund ihrer Marktlage eigene Konzeptionen entwickelt, wie sie mit den Schwierigkeiten fertig wird, die natürlich in der gegenwärtigen Lage sehr stark konjunkturell bedingt sind, weil die Absatzschwierigkeiten auf einen Rückgang des Bauvolumens gerade auch im Bereich der öffentlichen Hand zurückzuführen sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719911900
Herr Abgeordneter Dr. Jobst, eine Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0719912000
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß der einheimischen Granitindustrie dadurch geholfen werden könnte, daß für den



Dr. Jobst
Bundesfernstraßenbau mehr Erzeugnisse dieser Industrie verwendet werden — ich denke hier ganz besonders an den Schotter —, und ist Ihr Haus bereit, sich darüber mit dem Bundesverkehrsministerium ins Benehmen zu setzen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben alle Kontaktmöglichkeiten, die in dieser Frage gegeben sind, schon ausgeschöpft. Ich muß aber noch einmal betonen, daß es der Bundesregierung nicht möglich ist, etwa die Auflage zu machen, daß Natursteine oder Bordsteine einer bestimmten Art verwendet werden, zumal es auch nicht möglich ist, bei der Anlieferung von Bordsteinen durch deutsche Unternehmen zu unterscheiden, — —

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Es gibt ja auch Schotter für den Straßenbau!)

— Ja, natürlich. Jedenfalls gibt es EG-rechtlich keine Möglichkeit, etwa ausländische Wettbewerber abzuwehren, und es gibt auch keine Möglichkeit, Lieferungen deutscher Firmen anzusehen, ob es sich um importierte Steine oder um Steine handelt, die am Ort gewonnen sind. Das ist sehr wichtig zu wissen, weil eine solche Regelung, die dem Schutz der heimischen Produktion dient, mit scharfen Gegenmaßnahmen all derer beantwortet würde, die ihrerseits in die Bundesrepublik importieren müssen, um die Waren bezahlen zu können, die sie aus der Bundesrepublik beziehen. Sie wissen ja, wie groß unser Exportüberschuß nach wie vor ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719912100
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Schwabe.

Wolfgang Schwabe (SPD):
Rede ID: ID0719912200
Herr Staatssekretär, darf ich als bekannt voraussetzen, daß die Fachbetriebe etwa in der gesamten Denkmalsindustrie durch Import von geeignetem Steinmaterial breite Arbeitsmöglichkeiten für die sich gut entwickelnde Steinmetzarbeit geschaffen haben und daß wir hier eine internationale Zusammenarbeit gefunden haben, die sich, wie wir sehen, in den Betrieben bestens auswirkt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte hier ungern in eine differenzierende Betrachtung der Branche eintreten, weil mir bei der Gestaltung der Frage dafür auch die Unterlagen nicht zur Verfügung stehen. Ich betone noch einmal, daß jede Aussage, die hier generalisierend wäre, die Gefahr in sich trüge, der sehr differenzierten Lage nicht Rechnung zu tragen. Ich bin aber für Ihren Hinweis außerordentlich dankbar, weil er unterstreicht, wie differenziert die Lage zu sehen ist und wie gefährlich es für diese Industrie wäre, wenn hier pauschal ein negatives Urteil über ihre Entwicklungsmöglichkeiten abgegeben würde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719912300
Herr Abgeordneter Niegel!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0719912400
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß das Kanzleramt bei der Errichtung des Neubaus hier mit schlechtem Beispiel vorangegangen ist, indem es zuerst hieß, es sollte heimischer Naturstein verwendet werden, jetzt aber ausländischer Naturstein verwendet wird?

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Hängt mit EG-Recht zusammen!)

Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß es keine Möglichkeit gibt, durch gesetzliche Maßnahmen oder durch Manipulationen der Auftraggeber bestimmte Lieferanten von der Belieferung auszuschließen. Was konkret beim Bundeskanzleramt verwendet worden ist, weiß ich nicht.

(Niegel [CDU/CSU] : Können Sie das nachprüfen lassen?)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719912500
Eine letzte Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Milz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0719912600
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung wenigstens bereit, alle Möglichkeiten der VOB zur Stützung der heimischen Natursteinindustrie dergestalt auszuschöpfen, daß bei Ausschreibungen von Lieferungen und Leistungen in erster Linie die Lieferung heimischer Produkte ausgeschrieben wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die betroffenen Auftraggeber — und das ist nicht die Bundesregierung — haben im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen jede Möglichkeit, aber nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Die VOB gibt nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Bevorzugung der einheimischen Industrie, etwa wenn es um die Ausschreibung eines beschränkten Wettbewerbs geht. Hier wäre aber eine Anfrage an die betreffenden Landesregierungen bzw. an die betreffenden Kommunalbehörden zu richten, die hauptsächlich als Auftraggeber in Frage kommen. Wir betonen noch einmal, daß wir keine Maßnahme befürworten würden, die unsere generellen rechtlichen Verpflichtungen, die ja auch unseren wirtschaftlichen Interessen entsprechen, nicht gerecht würde, weil sie zu einer Einschränkung des Wettbewerbs führt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719912700
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Sind die Auslandsaktivitäten der Bundesregierung (Bundeswirtschaftsminister) und der Landesregierungen (Landeswirtschaftsminister) auf wirtschaftlichem bzw. wirtschaftspolitischem Gebiet aufeinander abgestimmt, oder laufen sie weitgehend unkoordiniert nebeneinander her?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte einleitend, Herr Kollege, feststellen, daß für die Bundesregierung keine Möglichkeit gegeben ist, die Auslandsaktivitäten der Landesregierungen etwa zu beeinflussen.
Die besonderen Auslandsaktivitäten, die in jüngster Zeit von der Bundesregierung und einzelnen Länderregierungen auf wirtschaftlichem Gebiet — ich denke hierbei primär an den Bereich der wirtschaftlichen und technischen Kooperation — entwikkelt werden, resultieren aus unseren neueren Bestrebungen, mit bislang weniger erschlossenen aus-



Parl. Staatssekretär Grüner
ländischen Märkten in engere außenwirtschaftliche Beziehungen zu treten. Das bezieht sich vor allem auf die Öl- und Rohstoffländer und den großen Bereich der Staatshandelsländer. Hier hat sich gezeigt, daß eine wünschenswerte Intensivierung des Warenverkehrs bis hin zum kapitalmäßigen Engagement neben den allgemein anerkannten Prinzipien der Multilateralität auch bilaterale Kontakte zwischen einzelnen Staaten notwendig macht. Dies hat nichts mit staatlicher Bevormundung oder gar eigenem staatlichen Tätigwerden auf dem Gebiet des Außenhandels zu tun. Vielmehr geht es hier um die Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen für die später einsetzenden neuen unternehmerischen Aktivitäten im internationalen Wirtschaftsaustausch.
Die Abstimmung der Auslandsaktivitäten der Bundesregierung und der Länderregierungen ist bereits Gegenstand gemeinsamer Erörterungen. Dazu hat sich schon eine gewisse Praxis entwickelt. Ich verweise hier auf die Institutionen der „Konferenz der Wirtschaftsminister und -senatoren der Länder mit dem Bundesminister für Wirtschaft" und des „Länderausschusses Außenwirtschaft", der unter dem Vorsitz des Bundeswirtschaftsministeriums regelmäßig zusammentritt. Gerade auch im letztgenannten Gremium bietet sich die Möglichkeit, laufend über ausländische Aktivitäten des Bundes und der Länder zu berichten und gegebenenfalls zu koordinieren. Die bisher geübte Praxis entbindet den Bund und die Länder selbstverständlich nicht, die Möglichkeiten der Abstimmung weiter zu verbessern, was wir für wünschenswert halten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719912800
Herr Kollege, haben Sie eine Zusatzfrage? — Ja, bitte!

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID0719912900
Herr Staatssekretär, ließe sich — über die Andeutungen, die Sie gemacht haben, hinaus — nicht gerade auf der Ebene der Konferenz der Wirtschaftsminister des Bundes und der Länder eine Art Konzept entwickeln, mit dessen Hilfe eben doch eine abgestufte und differenzierte Koordination der Auslandsaktivitäten mit dem Ziel, optimale Ergebnisse zu erreichen, ermöglicht werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ein solches Konzept streben wir an, wobei ich allerdings unterstreiche, daß es für die Bundesregierung keine Möglichkeit gibt, auf die Aktivitäten der Länder lenkend Einfluß zu nehmen, sondern daß es nur das gemeinsame Interesse von Bund und Ländern gibt, sich abzustimmen und damit eine im Einzelfall durchaus sinnvolle Arbeitsteilung so effektiv wie möglich zu machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913000
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Wolfram (Recklinghausen) auf:
Wie handhabt die Bundesregierung bzw. das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die in § 7 des Dritten Verstromungsgesetzes vorgesehene „Härteklausel", und wie werden vor allem die Kriterien „stromintensiv" und „unbillige Härte" ausgelegt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Härteklausel in § 7 des Dritten Verstromungsgesetzes sieht die Möglichkeit einer Freistellung für den Fall vor, daß die Belastung im einzelnen Falle ganz oder teilweise eine unbillige Härte bedeuten würde. Eine unbillige Härte liegt nach der Legaldefinition des § 7 nur vor, „wenn durch die Belastung die wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens oder eines Unternehmensteils oder einer Betriebsstätte gefährdet wird". Diese Legaldefinition stellt gegenüber dem Regierungsentwurf eine deutliche Verschärfung dar, die seinerzeit vom Wirtschaftsausschuß des Bundestages einstimmig beschlossen wurde. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift darf das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, das insoweit mit der Durchführung des Dritten Verstromungsgesetzes beauftragt ist, nur freistellen, wenn die Augleichsabgabe für die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz kausal ist. Auf den Gesichtspunkt der „Stromintensität" stellt das Gesetz nicht ab. Jedoch spielt die Frage des Anteils der Stromkosten an den Gesamtkosten insoweit mittelbar eine Rolle, als die Anhebung der Strompreise um den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe bei Unternehmen mit hohem Stromkostenanteil eher zu einer Existenzgefährdung führt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913100
Zusatzfrage!

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719913200
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß beinahe ein Jahr vergangen ist, ohne daß die Kriterien zu § 7 im einzelnen konkret festgelegt und den Antragstellern mitgeteilt worden sind und daß bis heute über die meisten Anträge noch nicht entschieden worden ist?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913300
Herr Kollege, Sie haben den geglückten Versuch unternommen, mehrere Fragen in einer zusammenzufassen. So sehr ich für den Versuch Verständnis habe, aber das ist nach unseren Richtlinien nicht möglich.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dürfte ich, Herr Präsident, die Antwort mit der Beantwortung der zweiten Frage des Abgeordneten verbinden, weil hier auch wieder der gleiche Sachverhalt auftaucht?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913400
Ich nehme an, daß der Fragesteller damit einverstanden ist. Damit kommen wir wieder ins Gleichgewicht.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Aber ich habe noch drei Zusatzfragen!)

— Darauf werde ich natürlich achten.
Ich rufe also die Frage Nr. 18 des Herrn Abgeordneten Wolfram (Recklinghausen) (SPD) auf.
Wieviel Anträge nach § 7 sind für das Jahr 1975 gestellt worden, wieviel davon sind positiv bzw. negativ beschieden worden, und wie lange hat die durchschnittliche Bearbeitungsfrist eines Antrags gedauert?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Vom 1. Januar bis zum 15. Oktober 1975 sind 657 Anträge auf Freistellung von der Ausgleichsabgabe gestellt worden. Davon wurden bislang 34 Anträge abgelehnt, 125 Anträge wurden zurückgenommen, einem Antrag



Parl. Staatssekretär Grüner
wurde stattgegeben. Über 497 Anträge ist demnach noch zu entscheiden.
Das Antragsverfahren läuft im einzelnen wie folgt ab: Nach Eingang der Anträge, die nur selten verwertbare Angaben enthalten, wird dem Antragsteller umgehend mitgeteilt, welche Unterlagen das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft für die Entscheidung über den Antrag benötigt. Legt der Antragsteller vollständige Unterlagen vor, dauert die Bearbeitungszeit höchstens bis zu vier Wochen. In kritischen Situationen eines Unternehmens kann jedoch sehr viel schneller entschieden werden. So ist in dem bislang einzigen Fall einer Freistellung innerhalb weniger Tage eine Entscheidung getroffen worden.
Daß die ganz überwiegende Zahl der Antragsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, liegt daran, daß die Antragsteller die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht vorlegen. Offensichtlich scheuen die Antragsteller davor zurück, durch Vorlage entsprechender Unterlagen darzutun, daß die Anhebung der Strompreise um 3,24 % ihre wirtschaftliche Existenz gefährde. Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft ist jedoch nach der eindeutigen Gesetzeslage nicht imstande, auf die Vorlage derartiger Unterlagen zu verzichten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913500
Erste Zusatzfrage!

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719913600
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die stromintensive Aluminiumindustrie, die nach Ihrer mir jüngst gegebenen Antwort in einer sehr schwierigen Lage ist, zu den Bereichen gehört, an die der Gesetzgeber bei der Einführung des § 7 zum Beispiel auch gedacht hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Generell ja, Herr Kollege. Aber nur jeder Einzelfall kann nach der Legaldefinition des Gesetzes entschieden werden, und jedes Unternehmen muß dafür die erforderlichen Unterlagen vorlegen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913700
Eine weitere Zusatzfrage.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719913800
Herr Staatssekretär, billigen Sie die Aussagen von Vertretern des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft an antragstellende Unternehmen, die sinngemäß lauten, die Unternehmen hätten ohnehin so hohe Verluste, daß die Ausgleichsabgabe ihre Lage nicht mehr entscheidend beeinflusse?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kenne eine solche Aussage nicht. Ich kann nur darauf verweisen, daß das Bundesamt auf Grund des Beschlusses des Bundestages gezwungen ist, konkret festzustellen, ob die Ausgleichsabgabe als solche zu einer wirtschaftlichen Gefährdung führt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719913900
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0719914000
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß der eine genehmigte Fall zu einem gefährlichen Präzedenzfall werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kenne diesen einen genehmigten Fall nicht und kann deshalb keine Antwort auf diese Frage geben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719914100
Herr Abgeordneter Dr. Narjes hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 19 gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann zur Verfügung.
Die Frage 20 ist vom Herrn Abgeordneten Wawrzik eingebracht. — Ich sehe den Herrn Abgeordneten im Augenblick nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Frage wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Peters (Poppenbüll) auf:
Kann die Bundesregierung — nachdem nach Präsident von Heereman auch Vizepräsident von Feury vom Deutschen Bauernverband im Fernsehen die Richtigkeit dieser Zahl bezweifelt hat — öffentlich klarstellen, wie sich der Anstieg des Index der Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Produkte im Juli um 17,7 0/o und im August um 20 % gegenüber dem Vorjahr errechnet, und wie die weitere Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise einzuschätzen ist?
Herr Staatssekretär!

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0719914200
Herr Kollege, für den Index der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise werden monatlich gleichbleibend definierte repräsentative Preise für die einzelnen Produkte bzw. Produktgruppen erhoben und mit Hilfe eines konstanten Warenkorbes gewogen. Dieser Warenkorb ist entsprechend der landwirtschaftlichen Produktion im Basiszeitraum zusammengestellt. Der Index gibt also die reine Preisentwicklung wieder und berücksichtigt nicht die jährlichen Änderungen von Mengen und Qualitäten der Verkäufe der Landwirtschaft. Er sagt aber auch nichts aus über die tatsächlichen durchschnittlichen Verkaufserlöse der Landwirtschaft in dem betreffenden Zeitraum.
Der Anstieg des Preisindexes gegenüber dem Vorjahr wurde in den in der Frage genannten Monaten durch den ernte- und zyklisch bedingten kräftigen Preisanstieg bei Obst, Kartoffeln und Schweinen besonders verstärkt. Allein die Schweinepreise machen ein Fünftel des Preisindexes aus. Sie lagen im August um 32 %, die Kartoffelpreise um mehr als das Doppelte und die Obstpreise um 30 % über ,der Vorjahreshöhe. Dagegen stiegen — um die wichtigsten Gruppen zu nennen — die Rinderpreise um



Parl. Staatssekretär Logemann
13 %, die Milchpreise um 11 % und die Getreidepreise um 12 % über das Vorjahresniveau.
Bei den hohen Preisanstiegsraten ist zu beachten, daß in dem zum Vergleich herangezogenen Vorjahr die Preise, insbesondere für Schweine, Kartoffeln, Obst und Eier, außergewöhnlich niedrig lagen. Der Preisabstand betrug z. B. im Juni gegenüber dem Vorjahr rund 18 %, gegenüber dem Juni 1973 aber nur rund 9 %.
Für den weiteren Verlauf des Wirtschaftsjahres 1975/76 ist zu erwarten, daß sich der Preisanstieg im Vergleich zum Vorjahr abschwächt. Dazu tragen u. a. niedrige Obstpreise infolge der großen Apfelernte und eine Abflachung des Preisanstiegs bei Schlachtvieh bei.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719914300
Zusatzfrage.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0719914400
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die weitere Preisentwicklung für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wirtschaftsjahr 1975/76 im Vergleich zum Vorjahr?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Ich würde sagen, die Preisentwicklung im Wirtschaftsjahr 1975, also bis zum 30. Juni 1976, wird etwa konstant verlaufen auf der Basis der jetzigen Preisentwicklung. Hier rechnen wir nicht mit erheblichen Einbrüchen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719914500
Eine
weitere Zusatzfrage.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0719914600
Herr Staatssekretär, wie würden sich auf Grund der Agrarpreisentwicklung die landwirtschaftlichen Einkommen im Wirtschaftsjahr 1975/76 im Vergleich zum Vorjahr erhöhen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Darüber kann ich an sich keine konkreten Aussagen machen. Wir haben die Ergebnisse der Testbetriebe im einzelnen noch nicht vorliegen. Es gibt gewisse Andeutungen, die ja wahrscheinlich schon bekannt sind. Wir haben z. B. in der Vorschau erklärt, daß in dem zurückliegenden Wirtschaftsjahr wahrscheinlich mit einer Preisanhebung um etwa 8 % zu rechnen sein werde. Wir gehen heute in etwa von diesem Prozentsatz aus. Es ist außerordentlich schwierig, für das laufende Jahr hier schon im einzelnen Zahlen zu nennen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719914700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0719914800
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte bekanntgeben, welche Höhe die Preissteigerungsrate im September hat, und dem Hohen Hause vielleicht auch mitteilen, wie sich die PreisKosten-Entwicklung bei den Betriebsmitteln im vorigen Jahr zu dem Preisanstieg verhält. Der Preisanstieg vollzieht sich gewissermaßen in Phasenverschiebung, denn jetzt wird das nachgeholt, was im vorigen Jahr notwendig gewesen wäre.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Preisentwicklung für das laufende Jahr schon dargestellt. Aus der Frage geht hervor, daß — dies ist ja auch bekannt — die Preise im Juli um 17,7 % über denen des Vorjahres lagen und die Steigerungsrate im August dann sogar auf 20 % angestiegen ist. Es ist aber erfreulicherweise so, daß die Preise der landwirtschaftlichen Betriebsmittel Gott sei Dank nicht entsprechend gestiegen sind; das Preisniveau ist dort etwa gleichgeblieben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719914900
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel zu.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0719915000
Herr Staatssekretär, können Sie dem Kollegen Peters die Antwort erteilen, die Sie mir vor 14 Tagen gegeben haben? Als ich nämlich fragte, wie die Einkommensentwicklung sei, sagten Sie, man müsse bei Vorhersagen über die Einkommensentwicklung sehr vorsichtig sein, und dann haben Sie sich deutlich von einer Prognose des Herrn Peters, die im FDP-Pressedienst erschienen ist, distanziert.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist wohl nicht der Fall. Ich habe auch eben eine sehr vorsichtige Aussage gemacht. Ich hätte zu der Einkommensentwicklung in den ersten Monaten des laufenden Jahres vielleicht schon etwas mehr sagen können, aber ich bin hier, wie gesagt, sehr zurückhaltend.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719915100
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Niegel auf:
Trifft es zu, daß Bundeskanzler Schmidt beim sogenannten Gipfel der Regierungschefs am 1. und 2. Dezember die Beteiligung der Erzeuger beim Abbau und bei der Verwertung von Überschüssen vorschlagen und fordern will, und welche Auswirkungen hätte dies bei der Verwirklichung für die deutsche Landwirtschaft?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Niegel, auf der Tagung des Europäischen Rates am 1. und 2. Dezember 1975 in Rom wird nach dem gegenwärtigen Stand der Vorbereitungen unter anderem die Bestandsaufnahme der gemeinsamen Agrarpolitik erörtert werden. Angesichts der akuten Überschußsituation insbesondere bei Milch ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Preispolitik starker am Marktgleichgewicht orientiert und in bestimmten Fällen eine Mitverantwortung der Erzeuger an der Überschußverwertung gefordert werden muß. Ob und in welcher Weise die Erzeugermitverantwortung verwirklicht werden kann, ist noch offen. Eine Quantifizierung der Auswirkungen für die deutsche Landwirtschaft ist daher nicht möglich. Die Bundesregierung wird jedoch auf einer EG-einheitlichen Anwendung bestehen, um eine einseitige Belastung der deutschen Milcherzeuger von vornherein auszuschließen.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719915200
Eine Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0719915300
Herr Staatssekretär, welche Gründe veranlaßten das Bundesernährungsministerium, diese Antwort zu erteilen? Warum wurde die Antwort nicht von seiten des Bundeskanzleramtes erteilt? Ich habe die Frage an das Bundeskanzleramt gerichtet. Ich wollte die Linie des Bundeskanzlers wissen. Die Linie des Bundesernährungsministers ist bekannt. Der Bundeskanzler hat schon öfter anders entschieden, als der Bundesernährungsminister wollte.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Ich bin für die Verteilung der Fragen nicht zuständig. Diese Frage ist meinem Hause zugeleitet worden. Ich habe versucht, sie für die Bundesregierung zu beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719915400
Herr Abgeordneter Niegel, Sie haben noch eine Zusatzfrage. Ich bitte Sie, sich dabei an die Richtlinien für die Fragestunde zu halten.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0719915500
Herr Staatssekretär, an welche Produkte denkt man, wenn man von der Mitverantwortung der Erzeuger spricht? Ist vor allem an Produkte auf dem Gebiet der Milcherzeugung gedacht, oder ist auch an andere Produkte gedacht?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Niegel, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß wir besondere Sorgen bezüglich der Entwicklung der Milchüberschüsse, konkreter gesagt: der Überschüsse bei Magermilchpulver haben. Ich glaube, damit habe ich die Richtung aufgezeigt. Die vorhandenen anderen Überschüsse hoffen wir in anderer Form abbauen zu können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719915600
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle zu.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID0719915700
Herr Staatssekretär, da Sie in Ihrer Antwort festgestellt haben, daß die Auswirkungen auf die Erzeuger nicht quantifizierbar seien, möchte ich Sie fragen, ob Sie meiner Feststellung zustimmen, daß die Bundesregierung dann Vorschläge macht, deren Auswirkungen sie selbst noch nicht kennt.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Nein, durchaus nicht. Wir wissen ja auch gar nicht, welche Beschlüsse in Brüssel gefaßt werden. Wir haben durchaus Modelluntersuchungen durchgeführt, also Feststellungen getroffen und Vorausberechnungen vorgenommen. Es wäre aber falsch, die Auswirkungen heute im einzelnen zu quantifizieren. Das ist — auch von der Menge her — einfach nicht möglich.

(Kiechle [CDU/CSU]: Es ist ja nicht nach den Beschlüssen, sondern nach den Vorschlägen gefragt!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719915800
Herr
Kollege, ich bitte um Verständnis; Sie können, ohne das Mikrophon zu benutzen, noch einen Zwischenruf machen, aber zu einer weiteren Zusatzfrage kann ich Ihnen nicht das Wort erteilen.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, damit es zu gemeinsamen Verhandlungen der Europäischen Gemeinschaft um die Fischereirechte innerhalb der 200-MeilenZone mit Island kommen könnte, und in welcher Weise sind jedenfalls Abstimmungen mit der Regierung Großbritanniens erfolgt?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, wie die Bundesregierung schon in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen ausgeführt hat, strebt sie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft nach Harmonisierung der Standpunkte der Neun in allen wichtigen Gegenständen der Seerechtskonferenz. Das gleiche gilt auch schon vor Abschluß der Seerechtskonferenz bei der völkerrechtswidrigen einseitigen Inanspruchnahme von 200-Seemeilen-Zonen durch Küstenstaaten für Verhandlungen über die Fischereirechte der Mitgliedstaaten in diesen Gewässern. Darüber hinaus tritt die Bundesregierung in den Europäischen Gemeinschaften dafür ein, daß solche Verhandlungen zukünftig von der EWG selbst geführt werden.
Im einzelnen hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, daß die von dem Anspruch Islands auf eine 200-Meilen-Zone hauptsächlich betroffenen Staaten Belgien, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland alle Mitgliedstaaten der EWG ständig über den Verhandlungsstand informieren und sich in den Verhandlungen mit Island von gemeinsamen Prinzipien leiten zu lassen. Mit Großbritannien bestehen darüber hinaus, Herr Kollege Eigen, laufend bilaterale Kontakte.
Bei den Verhandlungen mit Norwegen, die am 30. Januar 1975 zum Abschluß eines Abkommens über sogenannte trawlerfreie Zonen führten, die von Norwegen als Vorstufe der 200-Meilenzone angesehen werden, hat gleichfalls schon früher auf Initiative der Bundesregierung eine eingehende Koordination innerhalb der EWG zwischen Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden. Die Abkommen dieser Staaten mit Torwegen sind durch einen Briefwechsel zwischen der Gemeinschaft und Norwegen ergänzt worden.
Auf Antrag der Bundesregierung und der französischen Regierung haben die zuständigen Brüsseler Organe beschlossen, daß bei der bevorstehenden Verhandlungsrunde mit dem norwegischen Seerechtsminister Evensen über eine zukünftige norwegische 200-Meilenzone nach den ersten exploratorischen Gesprächen die Verhandlungsführung von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft übernommen werden soll, soweit Gemeinschaftsangelegenheiten berührt sind.
Schließlich ist sich die Bundesregierung mit den Regierungen der anderen Mitgliedstaaten und der



Parl. Staatssekretär Logemann
Kommission darüber einig, daß bei Verhandlungen über die Fischerei von Drittstaaten in Gewässern, die der gemeinsamen Nutzung der EG-Staaten unterliegen, die Gemeinschaft als solche von vornherein tätig werden wird. Es besteht gleichfalls Einigkeit darüber, daß die Entscheidung über Handelserleichterungen für Fischereierzeugnisse, die im Falle Islands und Norwegens mit dem Zugang von Gemeinschaftsstaaten zu den von diesen Staaten beanspruchten Gewässern verknüpft sind, bei der Gemeinschaft liegt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719915900
Eine Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0719916000
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, Ziel der Bundesregierung sei es, daß die EG sowohl in bezug auf Island wie auch auf Norwegen für die Mitgliedstaaten verhandeln solle, dann frage ich mich, warum nach dem bisherigen Scheitern der deutschen Verhandlungen bei der letzten Verhandlungsrunde anstatt Staatsminister Wischnewski nicht die Kommission direkt mit Island verhandelt hat, obwohl sie doch größere Machtmöglichkeiten in bezug auf den Marktzugang hätte.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Wir sind so übereingekommen, daß wir mit Island von Anfang an bilateral verhandeln. Ich habe Ihnen aber gesagt, daß unsere Bemühungen dahin gehen, dieses Verhandlungsmandat auf die EWG bzw. die Kommission oder den Ministerrat zu übertragen.
Im übrigen, Herr Kollege Eigen, es ist nicht so — da möchte ich Ihnen widersprechen —, daß die Verhandlungen, die Staatsminister Wischnewski geführt hat, gescheitert sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719916100
Sie ha-
ben noch eine Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0719916200
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht auch für klüger, wenn die Europäische Gemeinschaft verhandelt, weil damit auch eine bessere Möglichkeit gegeben wäre, gegenüber England zu einer vernünftigen Position zu kommen? Denn Sie wissen, daß England bezüglich der Nordsee erhebliche Ansprüche stellt, die die deutsche Fischerei noch weiter begrenzen müßten.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, das muß man von Fall zu Fall entscheiden. Ich bin der Meinung, daß es z. B. richtig war, mit Island zunächst bilateral zu verhandeln, daß wir uns aber auch gleichzeitig darum bemühen mußten, mit Großbritannien im Gespräch zu bleiben. Die Interessen der Fischereinationen innerhalb der Gemeinschaft sind nicht so einheitlich, wie Sie sich das vielleicht vorstellen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719916300
Ich rufe
die Frage 24 des Abgeordneten Eigen auf:
Wie kann sich die Bundesregierung in den EG-Verhandlungen des Ministerrats in Luxemburg für eine Kostenbeteiligung auch der deutschen Milcherzeuger einsetzen, wenn Bundesminister Ertl selbst im Informationsdienst „Wirtschafts- und Sozialpolitik" schreibt: .. daß Länder der EG mit Zahlungsbilanzdefiziten
eine Ausweitung der eigenen Agrarproduktion anstreben, um dadurch Devisen einzunehmen bzw. einzusparen ..."?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich bei den anstehenden EWG-Verhandlungen über die Bestandsaufnahme der gemeinsamen Agrarpolitik angesichts der akuten Überschußsituation bei Milch für eine stärker am Marktgleichgewicht orientierte Preispolitik ausgesprochen und hält in bestimmten Fällen eine Mitverantwortung der Erzeuger für die Verwertungsüberschüsse für notwendig. Es ist jedoch noch offen, ob und in welcher Weise eine Erzeugermitverantwortung verwirklicht werden kann. Eines steht jedoch schon jetzt fest: daß die Erzeugermitverantwortung EG- einheitlich vorgeschrieben und angewendet werden muß, so daß die Opfer von allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise erbracht werden müssen. Eine Benachteiligung der deutschen Milcherzeuger kann nicht hingenommen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719916400
Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0719916500
Herr Staatssekretär, ich habe in meiner Frage auf eine ganz bestimmte Aussage des Bundesministers für Ernährung, Josef Ertl, hingewiesen, wo er selbst sagt, daß verschiedene Länder der Europäischen Gemeinschaft ihre Landwirte aus Zahlungsbilanzgründen zur Mehrerzeugung anreizen. Wie verträgt sich das mit Ihrer Aussage, daß auch die deutschen Milcherzeuger an der Überschußverwertung beteiligt werden sollen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Dazu möchte ich sagen, daß in der Tat der Anstieg der Milchproduktion in einzelnen Partnerländern etwas unterschiedlich ist. Ich meine, daß in allen Ländern ein gewisser Anstieg zu verzeichnen war, in der Bundesrepublik allerdings mit am wenigsten. Sie haben richtigerweise festgestellt, daß Frankreich nicht mehr so sehr die Milcherzeugung nach oben ansteuert. Es müssen in diesem Zusammenhang höchstens noch die Niederlande erwähnt werden.
Es gibt also in dieser Beziehung unterschiedliche Situationen. Sicherlich wird dabei daran gedacht, die Devisenerlöse der einzelnen Länder zu erhöhen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719916600
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0719916700
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang, daß die französische Regierung ganz klar und deutlich ausgesagt hat, sie werde die Landwirte, die wenig Kühe halten, auch weiterhin voll aus nationalen Mitteln unterstützen, damit die Milchproduktion in Frankreich nicht abnimmt, sondern zunimmt?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Auch hier, Herr Kollege Eigen, ist ein Vergleich schwer. Sie können z. B. in Frankreich nicht nach der Zahl der Milchkühe gehen, da in Frankreich sehr viel Rindfleisch produziert wird, dort also große Fleischmengen vor-



Parl. Staatssekretär Logemann
handen sind. Ich nehme diese Aussage also nicht als die Gesamterzeugung anheizend an.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719916800
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kiechle zu.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID0719916900
Herr Staatssekretär, wie ist es denn zu verstehen, daß gerade die Bundesregierung derartige Vorschläge macht angesichts der Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der letzten fünf Jahre die Milchproduktion noch nicht einmal um 1 % gesteigert wurde, während Frankreich und Holland Steigerungsraten von 8 bzw. 16 oder 17 % aufzuweisen haben? Wie ist es denn zu verstehen, daß mit Zustimmung der Bundesregierung in einem dieser Länder Kuhhaltungsprämien gewährt werden?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dazu darf ich folgende Aussage machen: Sie wissen ganz genau, daß wir in der Bundesrepublik bei der Milcherzeugung nunmehr 106 % erreicht haben, also mehr, als der innerdeutsche Markt abnimmt. Das ist die eine Aussage.
Die zweite Aussage ist — das müssen wir auch sehen —, daß die Milcherzeugung bei uns wohl lohnend gewesen ist. Wir haben hier auch eine gewisse Zunahme zu verzeichnen.

(Kiechle [CDU/CSU] : Nur 7 %!)

Ich habe Ihre zweite Frage nicht mehr in Erinnerung. Könnten Sie die Frage wiederholen?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID0719917000
Wie ist es zu verstehen, daß einerseits solche Vorschläge zur Mitbeteiligung gemacht werden, während andererseits Kuhhaltungsprämien auch mit unserer Stimme genehmigt wurden?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, das ist von seiten der Bundesregierung durchaus zu verstehen. Bekanntlich sind wir der größte Nettozahler in der Gemeinschaft. Wir müssen also erheblich zur Finanzierung von Überschüssen beitragen.
Ich meine, es ist wichtig, um nicht das gesamte System zu gefährden, daß wir uns bemühen, Fehlentwicklungen in Richtung auf zu große Überschüsse zu verhindern. Genau das sollte angesteuert werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719917100
Ich rufe nunmehr die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Ist der Bundesregierung ein Brief der Sektion Bozen der italienischen Vereinigung zum Schutz der Tiere an das Komitee gegen den Vogelmord bekannt, worin ausgeführt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland der Hauptabnehmer der in Italien gefangenen Singvögel ist, von denen 80 % beim Fang oder Transport verenden?
Ich frage den Herrn Staatssekretär und den Herrn Fragesteller, ob die Fragen 25 und 26 zusammen beantwortet werden können.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Ja.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719917200
Da der Fragesteller ebenfalls einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 26 auf:
Stimmt es, daß in einige Bundesländer in Italien gefangene Vögel eingeführt werden dürfen und daß damit die Einfuhrverbote anderer Bundesländer umgangen werden, und wann gedenkt die Bundesregierung, das abzustellen?
Bitte!
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Schreiben der Sektion Bozen der italienischen Vereinigung zum Schutz der Tiere ist der Bundesregierung bekannt. Nach Angaben des Komitees gegen den Vogelmord — Frau Dr. Jaffke — in Hamburg sollen pro Jagdsaison in Italien rund 200 Millionen Vögel gefangen bzw. getötet werden. Der Export von lebenden Vögeln aus Italien beläuft sich nach Aussagen des „Nationalen Komitees gegen den Vogelmord in Italien", Turin, zu dem auch das oben angegebene Komitee in Verbindung steht, auf jährlich ca. 60 000 Stück. Das wären 0,03 pro mille, wäre also schon nach diesen Angaben relativ ohne Belang.
Ob die Bundesrepublik Deutschland der Hauptabnehmer von in Italien gefangenen Vögeln ist, ist mangels internationaler Statistiken nicht nachprüfbar. Ebenso ist die Verlustquote nicht bekannt. In dem genannten Schreiben der Sektion Bozen ist darüber auch nichts gesagt.
Es ist richtig, daß in den verschiedenen Bundesländern der Handel mit lebenden Vögeln — auch Importe aus Italien — verschieden geregelt ist.
Der Entwurf eines Bundesnaturschutzgesetzes, der zur Zeit in den Ausschüssen des Bundesrates beraten wird, soll u. a. die gesetzliche Grundlage für eine bundeseinheitliche Importregelung schaffen. Er sieht die Ermächtigung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vor, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über Ein-, Durch- und Ausfuhr sowie das sonstige Verbringen von Pflanzen und Tieren in den, durch den oder aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes zu erlassen. Entsprechende Verordnungen werden in meinem Hause zur Zeit schon vorbereitet.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719917300
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege!

Dr. Herbert Gruhl (CDU):
Rede ID: ID0719917400
Herr Staatssekretär, finden nicht auch Sie angesichts der Tatsache, daß viele Arten kurz vor dem Aussterben stehen, eine Aufrechnung darüber, wieviel Prozent hier wirklich importiert werden, als unangemessen? Denn auch ein kleiner Prozentsatz fördert die totale Vernichtung.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Da bin ich mit Ihnen durchaus einig. Aber auf Grund Ihrer Frage mußten wir das ja für die Antwort errechnen und haben nun dieses Beispiel gewählt.
Ich darf dazu aber sagen, daß ich kürzlich sehr eingehend eine Frage des Kollegen Geldner beantwortet habe. Die Antwort finden Sie unter dem



Pari. Staatssekretär Logemann
16. Oktober. Ich möchte hierauf verweisen. Dann werden wir uns in verschiedenen Punkten schon näherkommen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719917500
Noch eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Gruhl (CDU):
Rede ID: ID0719917600
Wieweit ist die Ratifizierung des internationalen Vogelschutzabkommens gediehen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Auch zu dieser Frage darf ich auf meine Antwort an den Kollegen Geldner nochmals hinweisen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719917700
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Gruhl (CDU):
Rede ID: ID0719917800
Sie erwähnten das zur Beratung anstehende Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege, das in den zuständigen Gremien bereits seit über fünf Jahren in Beratung ist. Wäre es, nachdem die Bundesregierung diese Verzögerung erkannt hat, nicht angemessen gewesen, daß die Bundesregierung in diesem dringlichen Bereich eine Sonderregelung vorschlägt?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Wir haben uns, glaube ich, schon in vielen Fällen um Vorwegnahme von Regelungen bemüht. Hier ist es leider so, daß wir zu dem Entwurf eines Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege zwar schon sehr frühzeitig die Initiative ergriffen haben, er aber leider aus verschiedenen Gründen auch im Bundesrat gescheitert ist.
Ich darf in dem Zusammenhang, Herr Kollege, noch ein letztes sagen. Der Vogelfang wird in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend von den Ländern geregelt. Auch das sollte man berücksichtigen. Insofern ist hier eine Verzahnung zu sehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719917900
Sie können noch eine weitere Zusatzfrage stellen.

Dr. Herbert Gruhl (CDU):
Rede ID: ID0719918000
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß der Bund innerhalb seiner Rahmenkompetenz seinerseits dem Bundestag und dem Bundesrat durchaus eine Regelung vorschlagen könnte, um dieses Sonderproblem angesichts der Verzögerung der gesamten Gesetzgebung zu lösen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Da bin ich mit Ihnen einig. Wir möchten gern die Bundeskompetenz. Wir hoffen jedoch, daß wir in dieser Angelegenheit jetzt wenigstens zu einer Rahmengesetzgebung gelangen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719918100
Noch eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Gruhl (CDU):
Rede ID: ID0719918200
Sie scheinen mich nicht genau verstanden zu haben, Herr Staatssekretär. Der Bund hat ja die Rahmenkompetenz.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Aber wir meinen, daß wir im Zuge der Rahmenkompetenz nun das zu ersetzen versuchen müssen, was wir durch eine volle Bundeskompetenz hätten direkt regeln können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719918300
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schmude zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Josten auf:
Wie ist der neueste Stand über die Verschmutzung des Rheinwassers zu beurteilen?

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID0719918400
Herr Präsident, Herr Kollege Josten, ich bitte um Ihr Einverständnis, daß ich die beiden Fragen 27 und 28 zusammen beantworte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719918500
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 28 des Abgeordneten Josten auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Trinkwasserversorgung aus dem Rhein für zahlreiche Städte und Gemeinden zu sichern, nachdem viele Bemühungen zur Verbesserung der Wassergüte bisher gescheitert sind?
Bitte!
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: In ihrem Jahresbericht 1974 kommt die Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet von April 1975 zu der Feststellung, die Beschaffenheit des Rheinwassers sei nicht besser geworden. Der 1973 beobachtete Trend zu einer jedenfalls geringfügigen Verbesserung habe sich nicht fortgesetzt.
Neuere Messungen an einzelnen charakteristischen Stellen deuten jedoch darauf hin, daß der vor kurzem aufgenommene Betrieb einiger Kläranlagen-Großprojekte merkliche Verbesserungen für den Zustand des Rheinwassers erbracht hat. Zuverlässige Aussagen dazu sind erst nach Auswertung der Meßreihen für das laufende Jahr möglich.
Die Bundesregierung teilt die Sorge der Arbeitsgemeinschaft und unterstützt deren Bemühungen, die Beschaffenheit des Rheinwassers zu verbessern. Sie hat ihre Anstrengungen auch 1975 verstärkt fortgesetzt und in großem Umfang Förderungsmittel für den Gewässerschutz zur Verfügung gestellt.
Im Rahmen des Rhein-Bodensee-Sanierungsprogramms mit einem Gesamtvolumen von 150 Millionen DM stellt die Bundesregierung 1975 60 Millionen DM an Zuschüssen zur Spitzenfinanzierung überregionaler kommunaler Abwasserreinigungsanlagen an Rhein und Bodensee zur Verfügung. Das Programm wird 1976 im wesentlichen seinen Abschluß finden.



Parl. Staatssekretär Dr. Schmude
Aus dem laufenden Konjunktursonderprogramm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen fördert die Bundesregierung mit zirka 500 Millionen DM den Bau von Kläranlagen und Kanalisationen. Der überwiegende Teil der Mittel wird Vorhaben im Rheineinzugsgebiet zugute kommen.
Daneben wird die Förderung des Baus von Abwasserreinigungsanlagen aus dem ERP-Gewässerschutzprogramm mit Krediten in Höhe von 240 Millionen DM verstärkt fortgeführt. Zirka 60 % dieser Mittel fließen — wie in den Vorjahren — in das Rheineinzugsgebiet.
Die Bundesregierung beteiligt sich ferner aktiv an internationalen Bemühungen zur Verbesserung des Gewässerschutzes. Sie unterstützt die Initiativen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften sowie des Europarates zur Entwicklung eines von allen europäischen Staaten praktizierten Systems zum Schutz der Gewässer. Sie fördert in diesem Rahmen nachhaltig die Arbeiten der Internationalen Rheinschutzkommission zur Sanierung des Rheins.
Die Bundesregierung erwartet darüber hinaus vom Abwasserabgabengesetz, dessen Entwurf dem Bundestag zur Beratung vorliegt, zusätzliche wirtschaftliche Anreize zur Förderung der Güte auch des Rheinwassers durch wirksame Abwasserbehandlung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719918600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0719918700
Herr Staatssekretär, Sie nannten die Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke zwischen Alpen und Nordsee. Nachdem diese Internationale Arbeitsgemeinschaft an fast 100 Entnahmestellen Wasserproben entnommen und untersucht hat, möchte ich Sie fragen: Wird die Bundesregierung in Zukunft die Überschreitungen der Grenzwerte schärfer beobachten?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß diese Meßergebnisse der Internationalen Arbeitsgemeinschaft von der Bundesregierung nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch in ihre eigenen Auswertungen und Beobachtungen einbezogen worden sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719918800
Eine
weitere Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0719918900
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auf Grund zahlreicher Pressemeldungen viele Anwohner des Rheins wegen der geringfügigen Verbesserung der Gewässergüte, die Sie vorhin auch nannten, bezüglich der zukünftigen Trinkwasserversorgung sehr besorgt sind? Und wird die Bundesregierung diesbezüglich — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919000
Setzen wir bereits nach der ersten Frage ein Fragezeichen! Sie haben noch weitere Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär!
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist der Bundesregierung bekannt. Wie ich vorhin ausgeführt habe, teilt die Bundesregierung auch die dahin gehende Sorge der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919100
Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0719919200
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung zukünftig in Verbindung mit den Ländern bessere und wirksamere Maßnahmen ergreifen, um die Trinkwasserversorgung aus dem Rhein zu sichern?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird das in ihren Kräften Stehende tun. Das wird selbstverständlich gemeinsam mit den Ländern geschehen.
Ich konnte Ihnen schon einen Abriß über das geben, was in der jüngsten Vergangenheit geschehen ist und gegenwärtig geschieht. Diese Bemühungen werden fortgesetzt und nach Möglichkeit verstärkt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919300
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0719919400
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir vor Ende der Legislaturperiode einen schriftlichen Bericht über die Situation des Rheinwassers zukommen zu lassen?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Ich nehme Ihren Wunsch zur Kenntnis und bin dazu gern bereit, Herr Kollege.

(Josten [CDU/CSU] : Danke sehr!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gruhl.

Dr. Herbert Gruhl (CDU):
Rede ID: ID0719919600
Herr Staatssekretär, da Sie in Ihrer Antwort erwähnten, daß das Förderungsprogramm im nächsten Jahr beendet sein wird, frage ich Sie: Sind die Aussichten angesichts dessen, daß sich der Zustand des Wassers bisher noch nicht verbessert hat, nicht äußerst trübe, da bis zur Beendigung des Programms eine große Verbesserung nicht mehr zu erwarten ist?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gruhl, ich habe das auf das Rhein-Bodensee-Sanierungsprogramm bezogen, also nur auf ein Teilstück der gesamten Bemühungen um die Verbesserung der Wassergüte des Rheins. Die übrigen Bemühungen werden unvermindert fortgesetzt und, soweit hier Ausfälle auftreten, nach Möglichkeit auch verstärkt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919700
Wir müssen also abwarten, ob die Aussichten trüber sind als das Wasser.



) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß bei privaten Unternehmen angestellte Fahrer von Bussen, die im öffentlichen Auftrag fahren, ständig die Gewähr bieten müssen, aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten?
Ich weiß nicht, Herr Staatssekretär, ob Sie auch hier die Antworten miteinander verbinden wollen.
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Ja, das würde ich sehr gern tun.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919800
Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich noch die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wäre es im Falle von Reprivatisierung öffentlicher Aufgehen nötig, den Geltungsbereich der Maßnahmen über die Beschäftigung Radikaler im öffentlichen Dienst auszudehnen, da in reprivatisierten Betrieben keine Einstellungseinschränkungen unter dem Gesichtspunkt dauernder Gewährleistung des Eintretens für die freiheitlich-demokratische Grundordnung möglich sind?
Bitte!
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes oder ein Eintreten dafür wird ausdrücklich — durch Gesetz oder tarifrechtliche Vorschrift — nur von den Angehörigen des öffentlichen Dienstes verlangt. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Beschluß vom 22. Mai 1975 dazu wörtlich aus:
Der moderne „Verwaltungsstaat" mit seinen ebenso vielfältigen wie komplizierten Aufgaben, von deren sachgerechter, effizienter, pünktlicher Erfüllung das Funktionieren des gesellschaftlich-politischen Systems und die Möglichkeit eines menschenwürdigen Lebens der Gruppen, Minderheiten und jedes einzelnen Tag für Tag abhängt, ist auf einen intakten, loyalen, pflichttreuen, dem Staat und seiner verfassungsmäßigen Ordnung innerlich verbundenen Beamtenkörper angewiesen.
Entsprechendes gilt — mit einer gewissen Abstufung — für nichtbeamtete Angehörige des öffentlichen Dienstes.
Solche Erfordernisse gelten für Arbeitsverhältnisse der Privatwirtschaft auch dann nicht, wenn im Einzelfall Privatunternehmer mit eigenem Personal Aufgaben im öffentlichen Auftrag oder reprivatisierte öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Auch in solchen Fällen behält der Staat die letzte Verantwortung für die Aufgabenerfüllung und muß sie erforderlichenfalls mit eigenen Kräften sicherstellen.
Es ist somit nicht notwendig und wird nicht beabsichtigt, den Geltungsbereich der Vorschriften über die dienstrechtlich geforderte Treuepflicht auszudehnen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719919900
Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0719920000
Herr Staatssekretär, muß ich dem entnehmen, daß es für einen Menschen einen erheblichen Unterschied machen würde, ob er als
Hilfsarbeiter bei einer kommunalen oder bei einer privaten Müllabfuhr tätig werden will?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Es gibt einen Unterschied in dem Anstellungsverhältnis, in dem er tätig wird, und dieser Unterschied hat andere zur Folge.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0719920100
Dies würde nicht gelten, wenn die betreffende Aufgabe als öffentliche Aufgabe von einem privaten Unternehmen übernommen wird?
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung, der Unterschied gilt natürlich. Ich habe soeben in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, daß eine Erstreckung der Vorschriften, die im öffentlichen Dienst gelten, auf den privaten Bereich keinesfalls in Betracht gezogen wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719920200
Keine weiteren Zusatzfragen? — Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen zu. Dann kommt noch die Frage des Herrn Abgeordneten Gansel. Sonst läuft die Fragestunde ab. Ich möchte die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Innenministeriums noch abschließen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0719920300
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie somit auch einer eventuellen Überprüfung der Verfassungstreue von Taxifahrern nicht etwa dadurch ausgewichen sind, daß Sie ein Redeverbot für Taxifahrer ausgesprochen haben?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719920400
Herr Abgeordneter, ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu.
Die Fragen 29 und 30 des Herrn Abgeordneten Lambinus sowie die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Schäfer (Appenweier) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 34 ist von dem Herrn Abgeordneten Gansel eingebracht worden:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Feststellungen des Präsidenten des Bundesrechnungshofs, daß 60 % der Dienstwagen der Bonner Bunçlesverwaltungen überflüssig seien?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Schmude, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, nach ihrem Beschluß vom 2. Juli 1975 beabsichtigt die Bundesregierung, bis spätestens 31. Dezember 1976 90 % ihrer Dienst-Pkw einzusparen Das will sie durch mehrere Maßnahmen, besonders durch Teilpoolung von Kraftfahrzeugen, erreichen. Ob eine weitere Verminderung möglich sein wird, kann erst entschieden werden, wenn Erfahrungsergebnisse vorliegen. Ziel der Bundesregierung ist es, weitergehende Einsparungen von Dienstkraftfahrzeugen zu erreichen. Davon ist auch der Haushaltsausschuß des Bundestages ausgegangen, der von der Bundesregierung einen erneuten Bericht bis Anfang 1977 erwartet.



Parl. Staatssekretär Dr. Schmude
Die auf Grund des Kabinettsbeschlusses eingesetzte interministerielle Projektgruppe, die u. a. die Einrichtung des zentralen funkgesteuerten Kraftfahrzeugeinsatzes vorbereiten soll, wird in Kürze ihre Arbeit abschließen. Danach sind die Funkgeräte zu beschaffen, für die längere Lieferfristen bestehen. Der zentrale funkgesteuerte Kraftfahrzeugeinsatz dürfte somit erst im Herbst 1976 aufgenommen werden können.
Bereits im Entwurf des Bundeshaushaltsplanes für das Haushaltsjahr 1976 sind in den Einzelplänen keine Ersatzbeschaffungen mehr vorgesehen, bis die beabsichtigte Verminderung des Fahrzeugparks erreicht ist. Dem entsprechen Wegfallvermerke im Stellenbereich. Die Beförderung der Unterabteilungsleiter zwischen Wohnung und Dienststelle ist inzwischen eingestellt worden.
Der Präsident des Bundesrechnungshofes geht nicht von einer sofort möglichen Einsparung von Dienstkraftfahrzeugen um 60 % aus. Vielmehr wird in seinem Bericht die mittelfristige Kürzung von 60 % stufenweise bis zum Jahre 1980 angeregt. Die Bundesregierung wird diese Ausführungen bei ihrem Bemühen um weitere Einsparungen von Dienstfahrzeugen berücksichtigen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719920500
Zusatzfragen? — Keine. Danke.
Der Herr Abgeordnete Gerster (Mainz) hat um schriftliche Beantwortung der Frage 35 gebeten; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Der Herr Abgeordnete Kiechle, der noch vor zwei Minuten hier war, hat wohl nicht geglaubt, daß er noch die Chance hätte, daß Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen aufgerufen werden. Inzwischen ist auch die Fragestunde genau abgelaufen; ich hätte sonst gern noch Ihre Frage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz, aufgerufen.
Wir stehen also am Ende der Fragestunde und treten wieder in die verbundene Debatte zu den Punkten 2, 3 und 4 der Tagesordnung Haushaltsgesetz 1976 und Finanzplan 1975 bis 1979, Haushaltsstrukturgesetz sowie Steueränderungsgesetz 1975 — ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0719920600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ln der Debatte sind heute vormittag von seiten der beiden Sprecher der Opposition eine Reihe von Fragen und Behauptungen vorgebracht worden. Ich denke, es ist an der Zeit, daß der Bundesminister der Finanzen dazu Stellung nimmt.
Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Mein Fraktionskollege Herr Dr. Möller hat zu dem allgemeinen Stil der Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Strauß Stellung genommen; ich kann mir das ersparen. Nur einen Satz möchte ich sagen: Ich finde es normal, daß die Opposition mit dem Bundesfinanzminister nicht glimpflich umgeht,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

aber eine Vokabel muß ich zurückweisen, und das ist die Vokabel „Unehrlichkeit".

(Beifall bei der SPD)

Wenn in einer Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion und heute morgen durch den ersten Sprecher der Opposition diese Vokabel eingeführt wird, weise ich sie insbesondere dann zurück, wenn sie von Herrn Strauß kommt, der in dieser Frage sicherlich ein entsprechendes Defizit hat.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719920700
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seiters zu?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0719920800
Bitte schön!

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0719920900
Herr Minister, unabhängig einmal von allem anderen, was Herr Strauß hier angesprochen hat, möchte ich nur die Frage an Sie richten: Können Sie sich eigentlich über den Vorwurf der Unehrlichkeit wundern, wenn Sie selbst öffentlich erklärt haben, daß Sie nicht immer die Wahrheit sagen?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0719921000
Ich finde es ziemlich peinlich, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, wenn Sie eine Rede von mir auf dem Evangelischen Kirchentag, wo ich als praktizierender evangelischer Christ gesprochen

(Na und? bei der CDU/CSU)

und ehrlich gesagt habe, wie ich bin und wie wir alle wohl sind, hier in dieser Art und Weise in die Debatte einführen.

(Seiters [CDU/CSU] : Das war ganz anders gesagt!)

Das spricht für Sie als die Partei mit dem hohen C.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der SPD: Heuchler! Zurufe von der CDU/CSU)

Lassen Sie mich damit zu den Sachfragen kommen, die angesprochen worden sind. Im wesentlichen werde ich mich mit dem Herrn Kollegen Leicht auseinandersetzen müssen, weil das, was in der Rede des Herrn Kollegen Strauß enthalten war, kaum debattenfähig ist.

(Sehr gut! bei der SPD)

Ich beginne mit Ihrer ersten Bemerkung, Herr Kollege Leicht. Sie haben gesagt, das Haushaltsdefizit, das wir zur Zeit hätten, sei im wesentlichen Konsequenz einer Anspruchsinflation, die wir in vier Jahren sozialliberaler Politik erzeugt hätten. — Die Zahlen sprechen gegen Sie. Bis zum Beginn der Rezession Ende 1973 haben wir das wissen

Bundesminister Dr. Apel
Sie als Vorsitzender des Haushaltsausschusses genausogut wie ich — trotz schnell steigender Ausgaben für die Europäische Gemeinschaft und trotz der Notwendigkeit, den Bundesländern mehr Steuermittel zuzuführen, die Bundesausgaben im wesentlichen aus Steuereinnahmen gedeckt. Ich will nicht verschweigen, daß im übrigen die Gesetze, die Geld gekostet haben, in diesem Hause normalerweise einvernehmlich beschlossen worden sind.
Es ist also, wenn wir von der Steuerreform absehen — und da bleibe ich bei der Meinung: diese Steuerreform ist dank der Mitwirkung der Opposition zu teuer geworden —,

(Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller [SPD] : Sehr richtig! — Zustimmung bei der SPD und der FDP)

so, daß wir bis Ende 1973 Einnahmen und Ausgaben des Bundes im wesentlichen im Gleichgewicht gehalten haben. Damit wird sichtbar, daß eine Anspruchsinflation nicht stattgefunden hat.
Was uns heute allerdings bedrückt — und anders wäre natürlich auch das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur gar nicht zu verstehen —, ist, daß durch eine weltweite Rezession die Steuereinnahmen 1975 und auch schon 1974 stagnieren, ja sogar rückläufig sind, während natürlich die sozialen Ausgaben weiter wachsen. Insofern, Herr Kollege Leicht, schlagen konjunkturell bedingte Defizite in strukturelle Defizite um und verlangen Aktion.

(Leicht [CDU/CSU] : Das habe ich gesagt!)

Ich bin auch mit einer zweiten Bemerkung, die Sie gemacht haben, nicht einverstanden, nämlich Ihrer Bemerkung über einen fortlaufenden Rückgang der privaten Investitionen in der Bundesrepublik in den letzten Jahren. Wir müssen uns hier die Zahlen genau anschauen. Wir haben seit 1965 den Anteil der privaten Anlageinvestitionen am Bruttosozialprodukt berechnet, und zwar immer in den Preisen des Jahres 1965, damit wir die Preissteigerungskomponente ausschalten. 1965 war der Anteil der privaten Anlageinvestitionen ohne Wohnungsbau — den muß man herausnehmen, weil er Zyklen hat — in unserem Lande 15,8 %, 1966 15,4 %, 1967 14,0 % — das war der Tiefpunkt der letzten Rezession —, 1968 14,4 %, 1969 15,8 %, 1970 — der Höhepunkt — 17,1 %, 1971 17,5 %, 1974 14,7 %, 1975 14 1/2.% Das heißt, wir haben hier einen interessanten Zyklus vor uns: In den siebziger Jahren springt die Rate der privaten Anlageinvestitionen ohne Wohnungsbau hoch und wird dann rezessionsbedingt abgeflacht, im übrigen natürlich auch durch die antipreissteigernde Politik der Bundesregierung. Das ist ja ganz klar; da sind Investitionen gebremst worden. Wenn das so ist, sieht es heute mit 14 1/2 % Anteil der privaten Anlageinvestitionen am Bruttosozialprodukt genauso günstig aus wie 1966, 1967 und 1968. Wir sind also in einer rezessiven Phase; die Zahlen machen das deutlich. Ich bin mit dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundeskanzler der Meinung, daß wir die privaten Investitionen ankurbeln müssen. Wir sollten dies aber nicht zurückführen z. B. auf die Steuerpolitik. Die Vermögensteuer ist bisher noch gar nicht gezahlt worden,

(van Delden [CDU/CSU] : Die Voraussetzung doch, Herr Apel!)

und insofern kommen hier erst zu einem späteren Zeitpunkt Fakten auf uns zu. Ich meine also, wir müssen die Dinge etwas mehr in den Kontext der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung einbeziehen.
Herr Kollege Leicht, zu den öffentlichen Investitionen habe ich gestern etwas gesagt. Ich will das hier wiederholen. Die Sachinvestitionen des Bundes machen am gesamten Bruttosozialprodukt 0,8 % aus. Wir halten die öffentlichen Investitionen im Jahre 1976 auf Grund der Konjunkturprogramme hoch. Daß natürlich bei einem Sparprogramm die öffentlichen Investitionen nicht völlig ungeschoren bleiben können, habe ich gestern dargestellt und liegt auf der Hand.
Ich möchte zu einem nächsten Punkt kommen. Auch hier hat Herr Kollege Möller dankenswerterweise schon die Bemerkung von Herrn Kollegen Strauß zurechtgerückt. Es ist falsch, es ist unwürdig, den Experten des Beirats des Bundesfinanzministeriums, von denen einige sicherlich der Opposition nahestehen, zu unterstellen, sie seien bereit und in der Lage, sich vom Finanzminister oder vom Ministerium unter Druck setzen zu lassen. Dies mag vielleicht der Stil eines Franz Josef Strauß sein; wir lassen in unserem Ministerium die Meinungsfreiheit voll durchschlagen, auch wenn sie uns manchmal nicht paßt. So ist das in der Demokratie, und so gehört sich das.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Großzügig! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Lesen Sie einmal das Buch über das Bundeskanzleramt!)

Im übrigen, meine Damen und Herren, darf ich vielleicht in diesem Zusammenhang zitieren, was der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, Herr Professor Neumark, am 14. Oktober im ZDF gesagt hat:
Verständlicherweise geht das Sparprogramm der Regierung manchen zu weit, manchen nicht weit genug. Dazu ist zu sagen, daß hier wenigstens grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung getan worden ist.
Und das von Herrn Strauß angesprochene Gutachten — das hat Herr Strauß uns hier unterschlagen — sagt ausdrücklich, daß, wenn die Sparmaßnahmen, die wir eingeleitet haben und die wirksam sind, über ein gewisses Ergebnis nicht hinauskommen können, auch unser Sachverständigenbeirat Einnahmeverbesserungen für möglich hält. Wir halten uns also weitgehend an das, was unser Beirat uns gesagt hat: Sparen, soweit es geht, ohne die Konjunkturentwicklung kaputtzusparen — denn öffentliche Ausgaben sind ja auch Konjunkturstimulantien —, um dann an einem Punkt, wo wir dem Bürger sagen müssen: „Mehr Sparen geht an die Substanz des sozialen Netzes", den Mut zu haben, Steueranhebungen anzukündigen.



Bundesminister Dr. Apel
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Die Opposition hat hier eine, wie ich meine, schlimme Behauptung aufgestellt, indem Herr Kollege Strauß — ich hoffe, daß ich ihn richtig zitiere — von einer vollkommenen Deroutierung des Kapitalmarktes gesprochen hat. Die Zahlen sprechen gegen Herrn Kollegen Strauß. Wir haben in den letzten zwölf Monaten auch bei den Schulden, die die öffentlichen Hände machen mußten, einen sehr deutlichen Zinssenkungstrend verzeichnen können. Mußten wir noch im Mai 1974 10,47 % bei sieben Jahren Laufzeit zahlen, so sind wir zur Zeit — wie Sie wissen, bereiten wir eine neue Anleihe vor trotz der Aufgabe der Offenmarktpolitik der Bundesbank sicher, daß wir unsere öffentliche Anleihe mit mindestens zwei Prozentpunkten weniger plazieren können. Insgesamt können wir feststellen — das ist insbesondere auch das Ergebnis der Bemühungen der letzten Wochen —, daß wir unseren Nettokapitalbedarf bis auf 4 Milliarden DM für dieses Jahr gedeckt haben. Damit haben wir den Bundeshaushalt 1975 finanziert, denn die restlichen 4 Milliarden DM fließen uns auf den üblichen Wegen zu, insbesondere über Bundesschatzbriefe und andere Anlagepapiere. Auch in Aden letzten Wochen konnten wir rund 8,7 Milliarden DM zu erträglichen Laufzeiten zu Zinssätzen zwischen 6,5 und 8,0 % aufnehmen. Damit wird deutlich, daß es hier keine Deroutierung des Kapitalmarkts gibt, sondern daß wir durchaus solide finanzieren, wenn auch kürzerfristig, als es uns lieb ist. Ich habe gestern versucht, meine Damen und Herren, dies darzulegen. Die Gründe können Sie in meiner Haushaltsrede nachlesen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719921100
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten van Delden?
Dr. Apel, Bundesminister: Bitte schön, natürlich.

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0719921200
Herr Minister, darf ich Sie daran erinnern, daß der Kollege Strauß auch gesagt hat, daß Sie die Anleihen nur deswegen noch unterbringen können, weil die Banken sozusagen noch im Gelde schwimmen und die Industrie noch nicht investiert, so daß diese Prognose, die Sie eben gestellt haben, nur noch kurzfristig gilt?
Dr. Apel, Bundesminister: Ich rede im Moment über 1975 und will anschließend gerne einige Sätze über 1976 sagen, Herr van Delden.
Lassen Sie mich Ihnen aber über 1975 noch folgendes sagen: Im ersten Halbjahr 1973 haben wir Wertpapiere mit einer längeren Laufzeit in Höhe von 3 Milliarden DM auf dem Markte plazieren können. In der ersten Hälfte 1974 waren es 7,2 Milliarden DM, in der ersten Hälfte 1975 waren es 26,4 Milliarden DM. Sie sehen also, auch in diesem Punkte sieht das Debt-Management, die Politik der Arrangierung der Schulden, der Kreditaufnahme beim Bund durchaus solide aus.

(Dr. Evers [CDU/CSU] : Aber doch nicht solide!)

Einer der Redner der Opposition hat meine Bemerkung aus der gestrigen Haushaltsrede kritisch beleuchtet, wo ich gesagt habe, es sei auch gar nichts dagegen einzuwenden, daß wir, wenn die Zinssätze stimmen, im einzelnen Falle auch auf die dritten Märkte gehen, also Schulden nicht nur auf den Kapitalmärkten der Bundesrepublik aufnehmen. Ich will diese Bemerkung heute konkretisieren: Erstens werden wir, auch wenn wir uns im Ausland verschulden, nur DM-Zahlungen akzeptieren und DM- Titel begeben, weil wir nicht daran denken, das Kursrisiko auf den Bundeshaushalt zu übernehmen. Zum zweiten können wir feststellen, daß der Saldo der Kapitalbilanz unseres Landes von Januar bis September dieses Jahres mit 12,6 Milliarden DM negativ ist: Wir exportieren in einem so hohen Maße Kapital aus unserem Lande, daß auch im Interesse des Ausgleichs dieser Entwicklung eine gewisse Neuverschuldung des Bundes im Ausland vernünftig ist, nicht zuletzt um zu gewissen Kursglättungen kommen zu können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719921300
Herr
Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Evers?
Dr. Apel, Bundesminister: Sicherlich.

Dr. Hans Evers (CDU):
Rede ID: ID0719921400
Herr Minister Apel, teilen Sie meine Auffassung, daß eine Verschuldung in D-Mark für uns in erster Linie dann richtig ist, wenn Sie auf ein Sinken des Außenwertes der D-Mark spekulieren, nicht aber, wenn Sie auf eine Stabilität der D-Mark im Vergleich zu anderen Währungen setzen?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0719921500
Herr Kollege Dr. Evers, der Bundesfinanzminister spekuliert überhaupt nicht,

(Beifall bei der SPD und der FDP — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Er spekuliert auf die Vergeßlichkeit der Bürger!)

sondern er nimmt Schulden so auf, daß sie in einigen Jahren in einheimischer Währung beglichen werden können. Ich habe über diese Frage mit einigen Bankiers sehr offen gesprochen. Sie haben mir gesagt: Dies ist eigentlich unklug, du kannst an einer Operation nur gewinnen, wenn du dich in ausländischen Valuten verschuldest. Ich sage Ihnen, Finanzminister haben nicht zu spekulieren, sondern solide zu finanzieren. Insofern ist Ihre Frage eigentlich gegenstandslos.

(Dr. Evers [CDU/CSU] : Sie haben das Problem vielleicht nicht verstanden!)

Ich möchte eine Bemerkung über 1976 machen und das wiederholen, was ich gesagt habe. 1976 werden wir sicherlich einige Probleme bei der Finanzierung des Bundeshaushalts haben. Aus diesem Grunde sperre ich mich auch ganz energisch gegen jeden Versuch, zusätzliche Belastungen auf den Bundeshaushalt zulaufen zu lassen. Aus diesem Grunde sperre ich mich z. B. auch gegen die 7 Milliarden DM, die Sie auf dem Wege der Steuererleichterung der



Bundesminister Dr. Apel
deutschen Wirtschaft zukommen lassen wollen. Dagegen sperre ich mich, weil ich Ihre Bemerkungen zur Begrenzung der Neuverschuldung sehr ernst nehme. Es wäre gut, Sie würden Ihre eigenen Bemerkungen dazu auch ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Aber bei einem vernünftigen Verhalten aller öffentlichen Hände und angesichts der Tatsache, daß der Aufschwung nicht sofort zu massiven Investitionen der Privaten führen wird, angesichts der Tatsache, daß das Sparvolumen weiter steigt, halte ich es 1976 für durchaus möglich, bei stabilen, vielleicht sogar bei weiter sinkenden Zinsen die Größenordnungen der öffentlichen Neuverschuldung zu finanzieren. Wir werden Ihren Unglauben, Herr Dr. Sprung, in sieben oder acht Monaten hier beurteilen können. Den gleichen Unglauben über die Möglichkeiten, den Bundeshaushalt 1975 so zu finanzieren, wie wir ihn finanzieren konnten, hatten Sie vor einigen Monaten. Wir werden ja sehen, wer recht bekommt.
Die Opposition hat gesagt — hier war es, glaube ich, der Herr Kollege Strauß —, wir würden einen wesentlichen Teil unserer Rezession auf dem Rükken unserer Nachbarn regeln, wir würden Rezession exportieren. Diese Bemerkung wird auch dadurch nicht richtig, daß hier der Herr Kollege Strauß Bemerkungen wiederholt, die ein Teil unserer Gesprächspartner in internationalen Gremien vorbringt. Tatsache ist — die Zahlen sprechen hier ein eindeutiges Bild —, daß unsere Exporte in 1974 real — bereinigt um die Preissteigerungen — gegenüber 1973 in den ersten neun Monaten um 12,5 % zugenommen haben, während die Importe im gleichen Zeitraum um 1,4 °/o real zurückgegangen sind. In 1974 hatten wir in der Tat das Problem eines Exportbooms bei uns, eines Zurückfallens der Importe und damit zusätzliche Zahlungsbilanz- und Leistungsbilanzschwierigkeiten bei unseren Partnern — zusätzlich zu ihrer Belastung aus dem Ölpreisschock.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres hat sich die Situation genau umgekehrt. Die Exporte haben um 13 % real abgenommen — real —, während die Importe real nur um 1 % abgenommen haben. Dieser Rückgang der Importe um 1 % resultiert im wesentlichen aus einem Importrückgang bei den Rohstoffen, auch beim Mineralöl, so daß unsere Partner einen Teil ihrer Probleme tatsächlich über die erfolgreiche Binnenankurbelung in unserem Lande lösen konnten.

(Abg. Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] schüttelt den Kopf)

— Herr Kollege Müller-Hermann, gucken Sie sich
die bilateralen Leistungsbilanzen zwischen der Budesrepublik und den westeuropäischen Ländern an, und Sie werden feststellen, daß eine Reihe dieser Länder zum ersten Mal seit langer Zeit eine positive Leistungsbilanz mit unserem Lande haben. Sie konnten also einen Teil ihrer Beschäftigungsprobleme durch Anhebung ihrer Exporte in die Bundesrepublik verbessern. Dies war nur möglich, weil wir eine Stabilisierungspolitik der binnenländischen Nachfrage bei uns betrieben haben. Ich füge hinzu: Dies war richtig so. Es wäre falsch, den Versuch zu
unternehmen, die binnenländische Konjunktur zu Lasten unserer Partner zu stabilisieren. Dies widerspricht unserer Philosophie.
Ich möchte noch einmal, weil das hier auch eine Rolle gespielt hat, etwas zum Thema Staatsanteil am Bruttosozialprodukt sagen. Gestern habe ich bereits darauf aufmerksam gemacht, daß, wer Staatsanteil sagt, Rentenzahlungen meint, Krankenversicherungsbeiträge meint, Arbeitslosenversicherung meint, Invaliditätsrenten meint. Wer diesen Staatsanteil verketzern will, muß wissen, was er damit auch verketzert, nämlich das Netz sozialer Sicherung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Immerhin ist von diesem sogenannten Staatsanteil über 40% — also über zwei Fünftel, meine Damen und Herren! — soziales Netz, und wer gegen den sogenannten Staatsanteil argumentiert, den bitte ich, konkreter zu werden und zu sagen, gegen was man denn hier eigentlich polemisiert, ob gegen die Rentenversicherung, ob gegen die Arbeitslosenversicherung, ob gegen die Kriegsopferversorgung und anderes mehr. Sagen Sie das bitte konkret und nicht immer so pauschal! Die Bürger müssen wissen, was Sie wollen!

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : S i e müssen wissen, was Sie wollen!)

-- Wir wissen das genau, Herr Müller-Hermann, darauf komme ich gleich noch.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719921600
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0719921700
Herr Bundesminister, könnten Sie sich vorstellen, daß mit Abbau des Staatsanteils auch ein vernünftiger Abbau des aufgeblähten Personalapparats dieser Bundesregierung hier in Bonn gemeint sein könnte?

(Zurufe von der SPD: Wo denn?)

Dr. Apel, Bundesminister: Lassen Sie mich dazu in aller Gelassenheit folgendes sagen: Diesen sogenannten aufgeblähten Beamtenapparat des Bundes gibt es gar nicht. Tatsache ist, daß der Bund in den letzten Jahren rigoros Stellen abgebaut hat, während gleichzeitig bei Ländern und Gemeinden Personalzunahmen zu verzeichnen waren. Von den 600 000 öffentlichen Bediensteten, die in der letzten Dekade hinzugekommen sind — dies habe ich gestern in meiner Haushaltsrede ausgeführt —, betreffen den Bund nur 100 % die Länder und Gemeinden dagegen 90 %. Ich bitte Sie also, sich zum Beispiel an die Regierung des Freistaates Bayern zu wenden und dort diese Behauptung zu erheben. Dort wird man Ihnen dann darüber Auskunft geben, warum sich der Personalbestand dort so ausgeweitet hat.

(Zuruf von der SPD: Auch in RheinlandPfalz! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Wollen Sie, daß wir in Bayern die Lehrer abschaffen?)




Bundesminister Dr. Apel
— Nein, ich nicht, aber augenscheinlich Herr Jäger (Wangen). Ich denke nicht daran. Ich denke vielmehr, daß einige aus diesem Hause noch einmal in die Schule gehen müßten, zumindest in eine ökonomische Schule.

(Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Nach den Ministerien habe ich gefragt, nicht nach den Lehrern in Bayern!)

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen gestern vorgetragen — dies ist ökonomisch einwandfrei —, daß ohne Rezession und ohne die Stagnation des Bruttosozialprodukts — real Stagnation, nominal bescheidene Zunahme — der Staatsanteil heute bei 41,5% läge. Von dem sogenannten Staatsanteil sind ja 40 % soziale Sicherung. Aber nun wollen wir uns doch einmal ansehen, wie sich das bei Bund, Ländern und Gemeinden entwickelt hat, damit Sie endlich den richtigen Adressaten für Ihre Vorwürfe wegen des wachsenden Staatsanteils finden:

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Sie haben nie schuld!)

In den fünfziger Jahren betrug der Anteil der Bundesausgaben am Bruttosozialprodukt 14 %, in den siebziger Jahren 13 %. Das bedeutet, daß sich der Bundesanteil etwa konstant hält. Der Länderanteil betrug in den fünfziger Jahren 11 1/2 %, heute 12 %, weist also eine leichte Steigerung auf.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Wofür ist denn aber die Steigerung?)

— Ich beschwere mich ja gar nicht. Nur, Sie beschimpfen immer den Bund, und wenn ich den Ball an die Länder zurückspiele, wollen Sie mir vorwerfen, ich sei wohl dagegen, daß die Länder mehr Lehrer einstellten. Das ist eine unehrliche Argumentation, Herr Kollege Dr. Stark!

(Beifall bei der SPD)

Der Anteil der Gemeindeausgaben am BSP betrug in den fünfziger Jahren 7 1/2% , heute 9 %. — Ich beschwere mich nicht darüber. Ich möchte nur deutlich machen, daß, wenn der sogenannte Staatsanteil wächst, dies an dem Wachstum der Sozialausgaben liegt — dazu bekennen wir uns als Sozialdemokraten ausdrücklich und nachdrücklich — und zweitens an dem Wachstum der Ausgaben von Ländern und Gemeinden. Auch dazu bekennen wir uns; denn wir wollen die Krankenschwestern, wir wollen die Lehrer, wir wollen die Polizisten. Anscheinend wollen Sie das alles nicht; denn sonst ist Ihre Argumentation nicht zu begreifen.

(Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU] : Alles sehr „ehrlich"!)

Von Herrn Kollegen Strauß ist gesagt worden, ich hätte gestern etwas Falsches gesagt. 80 % der Länderausgaben — so Herr Kollege Strauß — seien Funktionen der Bundespolitik und 20 % der Länderausgaben durch Erwartungen der Bundespolitik geweckt. — Ich kann mich nur wundern über ein derartiges Länderverständnis eines Vertreters des Freistaates Bayern. Denn tatsächlich ist es doch völlig anders. Herr Kollege Strauß, Sie haben augenscheinlich nicht Art. 104 a Abs. 3 des Grundgesetzes gelesen. Denn da steht:
Bestimmt das Gesetz, daß die Länder ein Viertel der Ausgaben oder mehr tragen, so bedarf es der Zustimmung des Bundesrates.
Das heißt doch mit anderen Worten, Herr Kollege Strauß, daß die Länder überall dort, wo sie sich durch Mehrausgaben des Bundes beschwert fühlen, Einspruch erheben können. Und hier muß man feststellen, daß viele der Mehrausgaben durch zusätzliche Anträge im Bundesrat entstanden sind. Wie oft haben wir in den letzten Jahren gerade hier im Hause kostenwirksame Anträge des Bundesrates in Milliardenhöhe abblocken müssen! Diese Anträge kamen zu einem guten Teil von CDU-Ländern. Wenn dies aber so ist, dann mögen die Länder bitte vor ihrer eigenen Haustür kehren.
Wenn ich Ihnen dargelegt habe, daß die Defizitexplosion bei den Bundesländern genauso ist wie beim Bund selbst, so ist dies nur ein Beweis dafür, daß die Rezession auch bei den Bundesländern schreckliche Konsequenzen gehabt hat.
Lassen Sie mich zu einem letzten Sachpunkt kommen. Herr Kollege Leicht, Sie haben gesagt — ich zitiere aus dem Gedächtnis —, Sie seien nicht bereit, Sparvorschläge zu machen, weil wir dann unser Süppchen an den Sparvorschlägen der Opposition kochen wollten. Das Wort „Süppchen" haben Sie jedenfalls verwandt. Ich finde das nicht in Ordnung, insbesondere vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Ankündigungen. Herr Katzer am 11. Oktober: Die Opposition werde selber ein konkretes Sparprogramm in Milliardenhöhe vorlegen. Herr Müller-Hermann am 21. Oktober im Deutschlandfunk wörtlich:
Wir werden darüber hinaus bei den Beratungen über den Bundeshaushalt im November
— wenn ich mich nicht irre, sind wir im November; er hat allerdings das Jahr nicht gesagt; insofern kann man natürlich sagen, er habe ein späteres Jahr gemeint —

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

auch eigene konkrete Sparvorschläge vorlegen.
Dann noch einmal Herr Müller-Hermann; aber das überschlagen wir, es wird sonst zu langweilig. Kommen wir lieber zu Ihnen selbst, Herr Leicht! Herr Leicht, Sie haben — ich habe Sie bereits in der Bundestagssitzung vom 15. Oktober zitiert, und ich wiederhole dieses Zitat — angekündigt, Sie würden während der parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur — dieser Gesetzentwurf steht morgen hier zur zweiten und dritten Lesung an — Gesetzesänderungen beantragen, die darüber hinaus in Milliardenhöhe zusätzliche Ersparnisse bringen würden.

(Heiterkeit bei der SPD)

Heute aber sagen Sie, wir wollten unser Süppchen kochen.

(Leicht [CDU/CSU) : Nennen Sie mir das

Zitat!)



Bundesminister Dr. Apel
Ich meine, so geht es nun wirklich nicht.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie haben durch Anträge im Haushaltsausschuß deutlich gemacht, daß Sie den Bundeshaushalt 1976 mit rund 4 Milliarden DM mehr belasten wollen, indem Sie die Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ablehnen, indem Sie beim Abbau des Aufwertungsausgleichs für die Landwirtschaft strecken wollen, indem Sie beim Krankenhausfinanzierungsgesetz etwas anderes wollen. Sie machen hier Vorschläge für Sofortmaßnahmen zugunsten der privaten Wirtschaft, die den Bund mindestens 1,2 Milliarden DM kosten. Sie, Herr MüllerHermann, und andere Versprechen der Offentlichkeit, Sie würden im Laufe der Gesetzgebung, die morgen beendet wird, Vorschläge zum Sparen mehrerer Milliarden DM machen. Wenn aber der Moment des Schwurs gekommen ist, erklären Sie: Wir werden nichts sagen, weil wir nicht wollen, daß ihr euer Süppchen an unseren Vorschlägen kocht. Ich kann nur sagen: Dies ist kein seriöser Beitrag zur Debatte. Hiermit wird deutlich, meine Damen und Herren, daß Sie in der Tat keine Alternative zu unseren Vorschlägen haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Im übrigen habe ich Ihnen in der Debatte vom 15. Oktober persönlich versprochen — und dazu stehe ich auch heute —, daß jeder Vorschlag, den Sie machen, sachlich geprüft wird. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, mein Süppchen an irgendwelchen Vorschlägen zu kochen, die konkret sind, die realisierbar sind, die wir durchsetzen können. Nur haben Sie ja eben keine Vorschläge zu machen. Das einzig Konkrete, was wir bisher hatten, war das Buchpaket hier auf diesem Tische.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließen. Es wurde eine Generalabrechnung angekündigt. Von Abrechnung war keine Spur, und der General aus Rheinland-Pfalz war auch nicht da.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719921800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Carstens.

(Zurufe von der SPD: Jetzt kommt die Alternative! — Erst einmal die Zensuren! — Jetzt kommen die hessischen Rahmenrichtlinien!)


Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0719921900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, mit Sicherheit
kommen sie!
Der Herr Bundesfinanzminister wehrt sich gegen den Vorwurf, daß die Bundesregierung eine unehrliche Politik betrieben habe. Aber seine Rede, die er hier soeben gehalten hat, ist wieder ein schlagender Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung der Opposition.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Unehrlichkeit der Politik der Bundesregierung
besteht darin, daß sie alles und jedes für die gegenwärtigen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten verantwortlich macht, nur nicht sich selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, so können Sie mit einer erwachsenen Bevölkerung, einer Bevölkerung, die aus kritischen Bürgern besteht, nicht umgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das kennen wir doch schon!)

Kein Mensch bestreitet, daß die Weltwirtschaftsrezession Einflüsse auf die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hat.

(Zurufe von der SPD)

Wir verlangen von Ihnen aber, daß Sie anerkennen und eingestehen, daß Ihre eigenen Fehler eine wesentliche Ursache dieser Schwierigkeiten sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Weil Sie offenbar nicht bereit sind, diese Erklärung zur Kenntnis zu nehmen, will ich Ihnen nur noch einmal die sieben Sünden vorhalten, die Sie selber begangen haben.
Erstens: steigende Inflationsraten in den Jahren 1969 bis 1973; Preissteigerungen, die sich von 1,9 % im Jahre 1969 über 3, 5, 6 % in den Folgejahren bis zu 7 % im Jahre 1974 fortsetzten. Dies ist eine der Ursachen für die Schwierigkeiten, in denen wir uns jetzt befinden. Diese Ursache hat mit der gegenwärtigen Weltwirtschaftsrezession nicht das Mindeste zu tun.

(Zurufe von der SPD: Sie haben doch keine Ahnung! — Würden Sie das einmal erläutern!)

Zweitens: die Erhöhung der Staatsausgaben. Das Volumen der Bundeshaushalte — ich spreche jetzt nicht von der Staatsquote, sondern von den Bundeshaushalten als solchen — stieg in den auf 1969 folgenden Jahren weit über das vertretbare Maß hinaus um 8, 13, 12, 10 und 9 °/o. Die Steigerungsrate war teilweise doppelt so hoch wie die damals schon hohe Preissteigerungsrate. Auch dies ist eine Ursache für die Schwierigkeiten, in denen wir uns jetzt befinden, eine Ursache, die mit der Weltwirtschaftskrise überhaupt nichts zu tun hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Die Verantwortlichen sind wenigstens zurückgetreten!)

Herr Bundesfinanzminister, Sie sprechen von der Staatsquote und versuchen, den Nachweis zu erbringen, daß der Bund an der Erhöhung der Staatsquote verhältnismäßig unschuldig sei und die Länder die Hauptverantwortung tragen. Ich sage Ihnen noch einmal, was Herr Kollege Strauß hier heute morgen gesagt hat. Der weitaus überwiegende Teil der Ausgaben der Länder ist durch Gesetze bestimmt, die der Bund macht, die Sie, die Ihre Regierung, die diese Mehrheit hier im Parlament machen. Die Länder werden, auch ohne daß sie zugestimmt haben, mit den Ausgaben belastet, die aus diesen Gesetzen resultieren, z. B. mit den Ausgaben für die Verwaltungsaufgaben, die mit der Durchführung dieser Gesetze verbunden sind. Die Länder



Dr. Carstens (Fehmarn)

führen nun einmal die Bundesgesetze im Auftrag des Bundes aus. Die Flut, die steigende Inflation von Bundesgesetzen, die in diesen Jahren verabschiedet worden sind, hat eine Ursache für die Ausweitung der Länderausgaben gesetzt. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei.
Drittens. Innerhalb der Bundesausgaben haben die Personalausgaben eine besonders starke Ausweitung erfahren. Der Bundespersonalbestand ist in einigen Bereichen rapide gewachsen. Z. B. hat sich die Zahl der Beamten in den Bonner Ministerien um 16 % erhöht.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Die Zahl der Beschäftigtenstellen im Bundeskanzleramt ist in fünf Jahren um 80 % gestiegen. Ich habe Ihnen das oft vorgehalten, und Herr Guillaume ist bei diesen 80 % noch nicht einmal mitgerechnet, Herr Kollege Ehrenberg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Präsident des Bundesrechnungshofes bescheinigt Ihnen doch, daß Sie unsinnige, unnötige Stellenvermehrungen getätigt haben. Er sagt Ihnen doch, Sie könnten ohne jeden Schaden für das Funktionieren des Bundes innerhalb eines Jahres 1 % aller Stellen in der Bundesverwaltung einsparen. Setzen Sie sich, Herr Bundesminister Apel, doch einmal damit auseinander und gehen Sie nicht immer auf die Weltwirtschaftsrezession oder die Länder oder auf irgendwelche anderen Ursachen zurück!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Viertens. Die Aufnahme von Schulden durch den Bund: Sie haben eben gesagt, bis 1974 sei noch alles normal gewesen. Ja, verehrter Herr Bundesfinanzminister, im Jahre 1974 betrug das Defizit des Bundes 10 Milliarden DM. Ich gebe zu, das ist, gemessen an dem Defizit des Jahres 1975, ein relativ kleiner Betrag. Aber gemessen an den Jahren davor ist das ein exorbitant großer Betrag; denn 1969 übernahmen Sie einen Bundeshaushalt, der mit einem Überschuß von 1 Milliarde DM endete.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg [SPD] : Aber doch nicht durch Ihr Verdienst!)

— Ja, durch das Verdienst des Bundeskanzlers und des Finanzministers Franz Josef Strauß. Herr Ehrenberg, das wollen wir auch einmal mit aller Klarheit sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das alles hat doch mit der Weltwirtschaftsrezession nichts zu tun. Es ist doch eine Absurdität ohnegleichen, all diese von der Bundesregierung und der Koalition zu verantwortenden Schwierigkeiten, Ursachen für die gegenwärtige Rezession, der Weltwirtschaftskrise in die Schuhe zu schieben.
Ich habe mit nicht geringem Vergnügen gelesen, daß der Herr Bundeskanzler — wir freuen uns, Herr Bundeskanzler, über Ihre glückliche Rückkehr aus dem fernen China — seinen chinesischen Gastgebern einen Vortrag über die wirtschaftlichen, monetären und finanziellen Zusammenhänge gehalten habe. Ich weiß nicht, ob der Bundeskanzler seinen chinesischen Gastgebern auch dargelegt hat, wie man es fertigbringt, einen gut geleiteten Bundesetat aus einer Überschußsituation innerhalb von sechs Jahren in ein so katastrophales Defizit hineinzusteuern, wie wir es augenblicklich erleben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und die fünfte Ursache, meine Damen und Herren: Wer wollte denn die Belastbarkeit der Wirtschaft testen? Waren das nicht Ihre Parteifreunde Jochen Steffen und andere, die die Belastbarkeit der Wirtschaft testen wollten, und haben daraufhin in der Bundesrepublik Deutschland nicht steuerliche Belastungen eingesetzt, die dazu geführt haben, daß wir im Jahre 1974 mit 24,4 °/o den Höchststand der steuerlichen Belastung seit 20 Jahren in der Bundesrepublik erreicht hatten?

(Dr. Ehrenberg [SPD] : 1974 hatten wir doch gar keine Steuererhöhung! — Weitere Zurufe von der SPD)

Jetzt geloben Sie Besserung. Aber Sie können doch nicht leugnen, daß Sie diese Ursachen alle selbst gesetzt haben.
Dazu kam dann sechstens die unentwegte Propaganda der linken Gruppen in SPD und FDP, die Forderungen nach Verstaatlichung, nach Vergesellschaftung, nach Investitionskontrolle.

(Lachen bei der SPD)

— Glauben Sie denn ernsthaft, Herr Kollege Ehrenberg, daß das zur Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit beiträgt? Das werden Sie doch wohl nicht behaupten wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und wollen Sie auch sagen, es sei alles eine Folge der Weltwirtschaftsrezession, daß die Jusos und andere linke Gruppen in der SPD derartige Forderungen aufstellen? Das wollen Sie doch wohl nicht im Ernst behaupten.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Weshalb investieren die italienischen Unternehmer denn so wenig?)

Siebtens muß ich Ihnen sagen, daß die Unsicherheit in der Wirtschaft und überhaupt in unserem Lande genährt und gefördert worden ist

(Zuruf von der SPD: Durch Herrn Carstens!)

durch die widersprüchlichen Erklärungen, die der Bundeskanzler und sein Finanzminister in kurzen Zeitabständen abgegeben haben. Herr Kollege Strauß hat sie heute morgen vorgetragen. Ich will Sie durch eine ständige Wiederholung dieser Erklärungen nicht langweilen. Aber da Sie sie ignorieren und da Sie so tun, als ob das alles nicht stattgefunden hätte, möchte ich Ihnen doch wenigstens in die Erinnerung zurückrufen, daß zunächst davon die Rede war, die Mehrwertsteuer würde nicht erhöht werden. Das sei ein schlechter Witz, haben Sie, Herr Finanzminister, noch vor gar nicht langer Zeit gesagt. Jetzt schlagen Sie uns die Mehrwertsteuererhöhung vor. Ich meine, wenn Sie schlechte Witze mit solcher Gelassenheit machen, dürfen Sie sich



Dr. Carstens (Fehmarn)

nicht wundern, wenn andere daraus ihre Schlußfolgerungen ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Das ist der Stil von Herrn Apel!)

Die Finanzen seien in Ordnung, sagte der Bundeskanzler, und kurz darauf erfuhren wir, daß wir ein Defizit von 38 Milliarden DM in diesem Jahr haben würden. Der Aufschwung kommt, sagte der Bundeskanzler, er kommt spätestens im Frühsommer — und noch immer stecken wir in der Rezession drin. Dies alles hat sicherlich nicht dazu beigetragen, das Vertrauen der Wirtschaft in unsere Regierung zu stärken, und das alles hat mit der Weltwirtschaftsrezession überhaupt nichts zu tun.

(Widerspruch bei der SPD)

— Die sich widersprechenden Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers doch nicht!
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie dringend, wenn Sie überhaupt eine ernsthafte Diskussion mit uns führen wollen, daß Sie nicht den Versuch machen, Ihre eigene Verantwortung für die Schwierigkeiten, in denen wir stehen, immer wieder beiseite zu schieben, zu vertuschen und unter den Tisch zu schieben. Ihre Verantwortung steht zweifelsfrei fest, und wir werden der deutschen Bevölkerung dies mit aller Deutlichkeit zu sagen wissen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte, wie das im Rahmen der Haushaltsdebatte ja durchaus üblich ist, noch auf einige andere Fragen eingehen, die sich auf andere Bereiche der Regierungstätigkeit beziehen,

(Dr. von Bülow [SPD] : Gott sei Dank!)

und zwar auf einige außenpolitische Fragen. In der Rede des Bundesministers der Finanzen war auch von außenpolitischen Fragen die Rede. Er sprach unter anderem von den hohen Kosten, welche die EWG verursacht.

(Zurufe von der SPD: EG!)

Aber die hohen Kosten der deutschen Ostpolitik, meine Damen und Herren, hat der Finanzminister in seiner Rede vorsichtshalber nicht erwähnt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann auch durchaus verstehen, warum er sie nicht erwähnte, denn das wäre für ihn ein sehr unangenehmes Thema. Die Bundesregierung knausert mit ihren Zahlungen an die westlichen Partner, und an ihre östlichen Partner gibt sie Milliardenkredite, gewährt sie Milliardenleistungen à fonds perdu.

(Gansel [SPD]: Das ist bodenlos!)

— Das ist nicht bodenlos, sondern die reine Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Sehr rein!)

Sie geben Jugoslawien einen Kredit von 1 Milliarde DM. Sie geben Polen einen Kredit von 1 Milliarde DM zu verbilligten Zinsen, so daß allein die Zinsverbilligung 900 Millionen DM beträgt.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Sie geben Polen eine Rentenabschlagszahlung à fonds perdu in Höhe von 1,3 Milliarden DM. Sie gewähren der DDR einen zinslosen Kredit im Rahmen des Interzonenhandels von 800 Millionen DM. Sie geben der DDR eine Straßenbenutzungspauschale von 235 Millionen DM, die Sie demnächst kräftig erhöhen wollen, wie man hört. Und darüber hinaus wollen Sie, wie man hört, auch noch die Straßen finanzieren, welche die DDR in ihrem Territorium bauen soll.

(Strauß [CDU/CSU] : Damit die schneller vormarschieren können!)

Das sind die Tatsachen. Deswegen ist es richtig und unbezweifelbar, wenn ich sage: Die Bundesregierung knausert mit ihren Ausgaben gegenüber ihren westlichen Partnern, und den östlichen Partnern stellt sie Milliardenbeträge zur Verfügung.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang ein kritisches Wort über die Ostpolitik insgesamt sagen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719922000
Herr Professor Carstens, lassen Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg zu?

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0719922100
Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.
Ich möchte ein kritisches Wort an die Adresse des Bundeskanzlers richten, gerade was die Außenpolitik und hier wiederum gerade die Ostpolitik angeht. Wenn ich das tue, möchte ich vorausschikken, daß ich persönlich einen großen Respekt vor der enormen Arbeitsleistung des Bundeskanzlers habe. Aber ein Staatsmann, ein Kanzler, ein Politiker wird nicht nach dem Arbeitsaufwand bewertet, den er leistet, sondern er muß danach bewertet und beurteilt werden, ob er die ihm gesetzten Ziele erreicht oder sich wenigstens diesen Zielen annähert, und ob er in seinen Aussagen und Erklärungen konsistent ist, so daß man sich auf das verlassen kann, was er sagt.
Ich muß sagen: In beiden Beziehungen hat der Bundeskanzler die Erwartungen, die manche in ihn gesetzt haben mögen, in keiner Weise erfüllt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Ostpolitik vertritt der Bundeskanzler, vertritt die Bundesregierung die Interessen unseres Landes schlecht. Um die schweren politischen Fehler der Ostpolitik der Regierung Brandt zu verdecken, verlegt sich diese Bundesregierung nun auf Geldzahlungen an die östlichen Partner. Die Ostpolitik auch dieser Bundesregierung ist weiterhin eine Einbahnstraße.
Lassen Sie mich das an wenigen Beispielen erläutern. Vor wenigen Monaten hat die Konferenz in Helsinki stattgefunden. Auf dieser Konferenz wurde feierlich ein Dokument über die Zusammenarbeit und die Sicherheit in Europa unterzeichnet. Zwei Teile dieses Dokuments waren eindeutig solche, die den Interessen der Sowjetunion — Garantie der Grenzen und alles, was damit zusammenhängt —



Dr. Carstens (Fehmarn)

entsprach. Ein dritter Teil, der sogenannte Korb 3, sollte den Interessen des Westens dienen, sollte dem Westen helfen, in der Auseinandersetzung Fortschritte zu machen. Im Rahmen des Korbes 3 war ein Abschnitt über Familienzusammenführung vereinbart worden. Da heißt es:
Die Teilnehmerstaaten werden in positivem und humanitärem Geist Gesuche von Personen behandeln, die mit Angehörigen ihrer Familie zusammengeführt werden möchten, unter besonderer Beachtung von Gesuchen dringenden Charakters — wie solchen, die von kranken oder alten Personen eingereicht werden.
Sie werden Gesuche in diesem Bereich so zügig wie möglich behandeln.
Meine Damen und Herren, darin steht nichts darüber, daß für die Gewährung dieser Familienzusammenführungen Geldleistungen erbracht werden müssen. Aber der Bundeskanzler hat es für unausweichlich angesehen — sonst hätte er es wahrscheinlich nicht getan —, an dem Tage, an dem er dieses Dokument unterzeichnete, mit Polen eine Vereinbarung zu schließen, nach der für eben diese Leistung, die Familienzusammenführung, 2,3 Milliarden DM aus deutschen Mitteln zur Verfügung gestellt werden. Das nenne ich eine schlechte Wahrnehmung deutscher Interessen.

(Beifall bei CDU/CSU)

Jetzt ist nicht der Ort, über die Polenvereinbarung zu sprechen; das wird bei anderer Gelegenheit geschehen. Aber ich möchte doch gerne drei Bemerkungen machen.
Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland zahlt für eine und dieselbe polnische humanitäre Zusage zum zweitenmal einen Preis. Zum erstenmal war das 1970 im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag, als die Bundesregierung die Oder-Neiße-Linie als die polnische Westgrenze anerkannte und damit eine Forderung Polens erfüllte, die vielleicht zu den wichtigsten polnischen politischen Forderungen überhaupt gehörte. Heute zahlt sie für die gleiche Zusage 2,3 Milliarden DM.
Zweitens. Auch die heutige Zusage ist nicht völkerrechtlich verbindlich, ebensowenig wie es die damalige Zusage war. Auf Grund der heutigen Zusage werden von 280 000 Deutschen, die ausreisen wollen, nur 120 000 erfaßt. Das Schicksal der 160 000, die nicht unter diese Zusage fallen, ist ungewisser denn je, und viele von den Betroffenen fürchten, daß ihnen ein tragisches Schicksal bevorsteht, daß ihre Stellung als Gruppe geschwächt werden wird, wenn nach den Entscheidungen, die die polnischen Behörden zu treffen haben werden, ein Teil von ihnen ausreisen darf und ein Teil zurückbleiben muß.
Drittens. Von den 2,3 Milliarden DM, die gezahlt werden sollen, sollen 1,3 Milliarden DM in Ablösung von Rentenansprüchen gezahlt werden. Herr Kollege Mischnick hat sich vor einigen Tagen gerühmt, daß die Bundesregierung — ich gebe ihn jetzt sinngemäß wieder — eigentlich noch ganz billig davongekommen sei; denn wenn alle Rentenansprüche hätten erfüllt werden müssen, dann wäre die Sache noch teurer geworden. Meine Damen und Herren, auch das ist ein typisches Beispiel für eine Täuschung der deutschen Öffentlichkeit über den wahren Sachverhalt. In Wirklichkeit ist es so, daß nach deutschem Recht, nach der deutschen Reichsversicherungsordnung die Ansprüche der Deutschen, die in den Ostgebieten leben — und das ist die große Mehrzahl der hier in Frage kommenden Personen —, ruhten. Dies war eine ausdrücklich getroffene Regelung, weil man den Status der Ostgebiete, als man diese Bestimmung schuf, als einen Status besonderer Art ansah. Infolge des Warschauer Vertrags von 1970 sind einzelne Sozialgerichte in der Bundesrepublik dazu übergegangen, zu sagen: Der Status der Ostgebiete hat sich verändert; die Ostgebiete sind jetzt Ausland; deswegen hören diese Ansprüche auf zu ruhen und kommen jetzt voll zur Entstehung. Diese Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Ich persönlich bin der Meinung, daß sie auch nicht rechtskräftig werden, weil sie im Widerspruch zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag stehen. Aber dies, meine Damen und Herren, ist die Grundlage, auf der aufbauend Herr Mischnick erklärt, wir sparten ja doch sehr viel Geld, wenn wir nur 1,3 Milliarden DM zahlten. So versucht diese Regierung und diese Regierungskoalition, die deutsche Öffentlichkeit über ihr eigenes Versagen und ihre eigenen Fehler hinwegzutäuschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schließlich, meine Damen und Herren, muß ja wohl auch in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß von den 1,3 Milliarden DM, die zum Ausgleich und zur Abgeltung von Rentenansprüchen gezahlt werden sollen, die Rentenberechtigten selbst nicht einen Pfennig erhalten werden, sondern diese Rentenzahlungen fließen dem polnischen Staat zu.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Deswegen sagen wir, daß auch in diesem Fall die Bundesregierung die deutschen Interessen schlecht vertreten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber lassen Sie mich ein abschließendes Wort zum deutsch-polnischen Verhältnis sagen. Die CDU/ CSU tritt für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen und für eine Aussöhnung des deutschen und des polnischen Volkes 'ein. Sie leistet dazu im Rahmen ihrer Möglichkeiten durch die Pflege und Förderung persönlicher Kontakte einen aktiven Beitrag.

(Batz [SPD] : Scheinheilig!)

Die CDU/CSU wird, wenn sie im Herbst nächsten Jahres die Regierung in diesem Lande übernehmen sollte, eine aktive Polen-Politik

(Wehner [SPD] : Die kann ich mir vorstellen!)

,mit dem Ziel einer positiven Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen treiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Dr. Carstens (Fehmarn)

'Aber diese Politik sollte nach unserer Vorstellung nicht in der einseitigen Erfüllung finanzieller Forderungen bestehen.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit ,der Ostpolitik und der Deutschlandpolitik noch ein weiteres Wort. Die Unmenschlichkeiten an der innerdeutschen Grenze gehen weiter. Vor wenigen Tagen hatten wir den Tod eines weiteren Deutschen in den automatischen Tötungsanlagen an dieser Grenze zu beklagen. Die Bundesregierung veranlaßte nichts. Als in Spanien fünf junge Männer hingerichtet wurden, rief die Bundesregierung den deutschen Botschafter in Madrid zur Berichterstattung zurück.

(Gansel [SPD] : Das gleiche könnten Sie auch dem Papst vorwerfen!)


Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0719922200

Wenn die Bundesregierung in einem Falle so, im anderen Falle anders entscheidet, dann liegt das daran, daß sie ihre politischen Instrumente nicht nur auf Grund moralischer Erwägungen einsetzen kann, sondern ebenso sorgfältig die Frage der Zweckmäßigkeit prüfen muß.
Meine Damen und Herren, das ist eine zynische Antwort.

(Beifall bei der CDU/CSU — van Delden [CDU/CSU] : Doppelte Moral! -Wohlrabe [CDU/CSU] : Und das von einer Berlinerin!)

Wir wissen auch, daß die Bundesregierung die Mauer nicht zum Einsturz und die Grenzanlagen nicht zum Verschwinden bringen kann. Aber warum ergreift die Bundesregierung nicht die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um gegen diese Unmenschlichkeiten zu protestieren, indem sie z. B. die zuständigen Organe der Vereinten Nationen damit befaßt?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu alledem, meine Damen und Herren, schweigt auch die FDP. Ich meine, die FDP verrät ihre liberalen Grundsätze, wenn sie zu der dauernden schweren Verletzung fundamentaler Menschenrechte innerhalb Deutschlands schweigt.
In der Ostpolitik — wir müssen es alle erkennen — weht seit einiger Zeit ein kühlerer Wind.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Straußgegner!)

Die Gespräche des französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing in Moskau sind in einer kaum verhüllten Mißstimmung geendet. Die kommunistischen Parteien in Portugal, Spanien, Italien drängen zur Macht. In Angola wird mit Waffen gekämpft, die aus den osteuropäischen Staaten stammen.

(Gansel [SPD] : Dafür sind Sie ja Spezialist, für Waffenhandel! Da wissen Sie ja, wie so etwas läuft! — Heiterkeit bei der SPD)

— Herr Kollege Gansel, Sie verstehen sich aufs Denunzieren ganz gut;

(Wohlrabe [CDU/CSU] : Und zwar der eigenen Kollegen!)

aber sonst ist mit Ihren Bemerkungen nicht viel gewonnen.

(Beifall bei der CDU/CSU Wohlrabe [CDU/CSU]: Der eigenen Partei! Gansel ist ein Denunziant, das ist uns bekannt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Gegenrufe von der SPD — Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0719922300
Herr Abgeordneter Carstens, ich halte das Wort „denunzieren" nicht für ein gutes Wort in einer parlamentarischen Debatte.

(Beifall bei der SPD — Wohlrabe [CDU/ CSU] : Ich denke an die „Stern"-Veröffentlichung! Das ist typisch! Das ist wie bei den Nazis! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0719922400
Herr Präsident,

(Wohlrabe [CDU/CSU] : Er ist ein Denunziant! Denken Sie nur an den „Stern"Artikel! Ganz typisch!)

ich akzeptiere selbstverständlich Ihre Bemerkung. Aber wenn Sie wüßten, was der Herr Kollege Gansel in den letzten Wochen und Monaten an Beschuldigungen gegen mich erhoben hat, dann würden Sie verstehen, warum ich das gesagt habe.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Wohlrabe [CDU/CSU] : Auch gegen SchmittVockenhausen selber!)

Präsident Tito warnt vor einer Einmischung, und man kann sich unschwer vorstellen, an wen sich diese Warnung richtet.
Ebenso erleben wir zunehmende Schwierigkeiten bei der Wahrung der deutschen Positionen, der Positionen der Bundesrepublik Deutschland in und in bezug auf Berlin. Jetzt bewahrheitet sich, was wir — insbesondere ich selbst — warnend in den Jahren 1970, 1971 und 1972 immer wieder gesagt haben. Damals, 1971, kam das Viermächteabkommen zustande, in dessen Anlage IV die Sowjetunion folgendes erklärt:
Unter der Voraussetzung, daß Angelegenheiten der Sicherheit und des Status nicht berührt werden, wird sie keine Einwände haben gegen
b) die Ausdehnung von völkerrechtlichen Vereinbarungen und Abmachungen, die die Bundesrepublik Deutschland schließt, auf die Westsektoren Berlins . . .
Das waren die damaligen Erklärungen der Sowjetunion. Ich habe Ihnen und viele andere haben Ihnen gesagt: Testen Sie die Wirksamkeit dieser Erklärungen! Ratifizieren Sie den Moskauer Vertrag



Dr. Carstens (Fehmarn)

nicht, bevor Sie nicht wenigstens ein Abkommen, z. B. ein Kulturabkommen, mit der Sowjetunion unter Einbeziehung Berlins unter Dach und Fach gebracht haben! Sie haben das abgelehnt. Sie haben gesagt: Die Ratifikation des Moskauer Vertrages duldet keinen Aufschub; dadurch wird der internationale Terminkalender in Unordnung gebracht.
Meine Damen und Herren, die Interessen Berlins blieben auf der Strecke; denn heute kämpft die Bundesregierung vergeblich darum, eine Reihe von Abmachungen mit der Sowjetunion zu schließen, weil die Sowjetunion nicht bereit ist, Berlin einzubeziehen — das gleiche gilt für die DDR —, obwohl diese Abmachungen mit der Sicherheit oder dem Status Berlins nicht das mindeste zu tun haben.
Die Bundesregierung hat in fundamentaler Weise bei ihrer sogenannten Entspannungspolitik die Realitäten verkannt. Sie hat sich immer gerühmt, sie treibe eine realistische Politik. Es war eine auf Illusionen — um es vorsichtig auszudrücken — aufgebaute Politik; denn die Bundesregierung hat verkannt, daß der östliche Partner mit eben dieser Politik genau entgegengesetzte Ziele verfolgte, als die Bundesregierung und andere westliche Staaten sie verfolgten, nämlich das Ziel der Ausdehnung des sozialistischen und kommunistischen Gesellschaftssystems auf ganz Europa. Auf der Strecke — so sage ich noch einmal — blieben die Interessen Berlins.
Der Herr Außenminister er hat mich wissen
lassen, daß er nicht anwesend sein kann, weil er zu einer Sitzung nach Brüssel fahren muß, aber ich kann auf diese Auseinandersetzung mit ihm trotzdem nicht verzichten — erklärt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, Berlin sei ein Gradmesser der Entspannung. Aber, meine Damen und Herren, wie sieht es denn mit der Entspannung aus, wenn Berlin ein Gradmesser dieser Entspannung ist? Ein Projekt der Stromversorgung Berlins durch ein Kraftwerk, das in Königsberg errichtet werden sollte, scheiterte. Am 22. September intervenierte der sowjetische Botschafter in Ost-Berlin gegen eine Konferenz der Innenminister der deutschen Länder in West-Berlin. Das gab es vor 1969 nicht; das sind Folgen dieser Ost- und Entspannungspolitik der Bundesregierung. Im Oktober 1975 sagten mehrere sowjetische Bürgermeister einen Berlin-Besuch ab, weil sie nicht von Bremen aus nach Berlin fliegen wollten, um auf diese Art und Weise nicht eine Art Zusammengehörigkeit zwischen der Bundesrepublik und Berlin zu dokumentieren. Die DDR will über die Öffnung des Teltowkanals nur mit Berlin verhandeln — ungeachtet des von der Sowjetunion anerkannten Anspruchs der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland, für Berlin Verträge zu schließen. Die DDR will über Stromlieferungen nach Berlin nur mit Berlin verhandeln, obwohl seit 20 Jahren im Rahmen der Interzonenvereinbarungen auch über die Energielieferungen nach Berlin durch die Unterhändler und Vertreter der Bundesregierung verhandelt und abgeschlossen wird und obwohl diese selbe Bundesregierung gerade zur Förderung des Interzonenhandels einen zinslosen Kredit von 800 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat. Sehen Sie, das meinen wir, meine Damen und Herren, wenn wir sagen: Die Bundesregierung vertritt die deutschen Interessen schlecht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler kommentiert diese Vorgänge mit Sätzen wie den folgenden: Man soll keine neuen Streitfälle mit der Sowjetunion in die Welt setzen. Oder: Man soll die Belastbarkeit des Viermächteabkommens nicht testen. — Herr Bundeskanzler, dies sehen wir nicht als eine wirksame Wahrnehmung der Interessen Berlins an. Von Ihnen wird nicht verlangt, daß Sie Streitfälle in die Welt setzen, ganz gewiß nicht; aber es wird von Ihnen erwartet, daß Sie, wenn die Interessen Berlins unter Verletzung klar getroffener Vereinbarungen beeinträchtigt werden, dazu mehr sagen als diese Bemerkungen.
Ich sagte es schon, der Bundesaußenminister erklärt, Berlin sei ein Gradmesser der Entspannung. Aber aus dieser seiner Erklärung zieht er an keiner erkennbaren Stelle irgendwelche Konsequenzen. Das läuft wie ein Ritual ab. Jedesmal, wenn eine Schwierigkeit entsteht, sagt der Bundesaußenminister: Berlin ist ein Gradmesser der Entspannung. Ich fürchte, die Sowjetunion und die östlichen Partner gewöhnen sich an diesen Zustand und haben in gar keiner Weise das Gefühl, daß sie die Entspannung und die Entspannungspolitik beeinträchtigen, wenn sie sich gegenüber Berlin so verhalten, wie ich es geschildert habe.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Bereich, in dem die Bundesregierung versagt und dadurch den Interessen unseres Volkes und unseres Landes nicht in der von ihr zu fordernden Weise dient, ist die Auseinandersetzung mit dem Linksradikalismus in unserem Lande.

(Zurufe von der SPD: Aha! — Natürlich! — Das mußte ja kommen!)

— Ja, das mußte kommen. Das muß jedesmal kommen, denn das ist eine kolossal wichtige Sache!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Herr Bundesinnenminister hat uns in der letzten Woche einen Bericht — einen sehr lesenswerten Bericht — über die DKP vorgelegt. Er legt darin dar, die DKP sei eine verfassungsfeindliche Partei. Er hat das mit vorzüglichen Argumenten untermauert; niemand von uns könnte das besser machen, als er es getan hat. Er sagt: Wenn die DKP von „sozialistischer Umwälzung" spricht, ist das nur ein Tarnausdruck für „sozialistische Revolution" ; in Wirklichkeit will sie die sozialistische Revolution. Wenn die DKP von der „Herrschaft der Arbeiterklasse" spricht, ist das nur eine Tarnvokabel; in Wirklichkeit meint sie: Diktatur des Proletariats. Der Bundesinnenminister stellt fest, daß beide Prinzipien unserem Grundgesetz widerstreiten. Darin wird er sicherlich recht haben.
Dann kommt ein sehr bemerkenswerter Satz. Das Bekenntnis der DKP zum Grundgesetz, so sagt der Innenminister, habe den Zweck, günstige Kampf-



Dr. Carstens (Fehmarn)

bedingungen für die Kommunisten in der Zukunft zu schaffen.

(Dr. Ritz [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich bewundere den Scharfsinn des Innenministers, mit dem er alle diese Dinge erkannt hat. Die DKP, sagt er mit Recht, bezeichne immer wieder die DDR als ihr Vorbild, und das System der DDR sei — so sagt er mit Recht — mit dem unseres Grundgesetzes nicht vereinbar.
Trotzdem hat diese Bundesregierung und hat die Mehrheitskoalition von SPD und FDP in diesem Bundestag vor zwei Wochen den Mitgliedern der DKP einen Freifahrschein für den Staatsdienst in unserem Lande ausgestellt!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es tut mir leid, ich kann die Situation nicht anders bezeichnen, denn Regierung und Koalition von SPD und FDP wollen den Mitgliedern der DKP den Zugang zum Staatsdienst in der Regel nicht verweigern. Die Mitgliedschaft in der DKP soll für sich allein nicht ausreichen, um einen Bewerber für den Staatsdienst abzulehnen. Es müssen, so heißt es, weitere Gründe hinzukommen. Aber geschnüffelt werden darf natürlich auch nicht; wir wollen ja keine Gesinnungsschnüffelei.

(Zuruf von der SPD: Das tut Ihnen leid!)

— Nein, das tut mir gar nicht leid, das finde ich sogar ganz hervorragend.
Aber wozu wird denn das führen, meine Damen und Herren? Da wird doch gar nichts anderes übrig bleiben, als daß die einstellende Behörde den Bewerber, von dem sie weiß, daß er Mitglied der DKP ist, zu einem Gespräch bei sich empfängt und ihn fragt: „Sind Sie ein Verfassungsfeind?"

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Das ist das Modell Ehmke, würde ich sagen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Stücklen [CDU/CSU] : Sie haben immer den Ehmke unterschätzt!)

Das war die Unterhaltung, die Herr Kollege Ehmke mit Herrn Guillaume führte. Er fragte ihn: „Sind Sie ein Spion?"

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Und Herr Guillaume antwortete pflichtgemäß: „Nein, das bin ich nicht."

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wenn es dem Herrn Guillaume gelungen ist, den Herrn Ehmke, der ja sicherlich zu den intelligenteren Mitgliedern dieses Hohen Hauses gehört, in so fundamentaler Weise zu täuschen: ja, meine Damen und Herren, glauben Sie denn ernsthaft, daß die Mitglieder der DKP, die in den Staatsdienst wollen, es nicht fertigbringen werden, dem sie befragenden Behördenleiter hervorragende Antworten zu geben, aus denen hervorgeht, daß sie auf dem Boden der Verfassung, des Grundgesetzes stehen?

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

30 Millionen DM, so hat der Innenminister gesagt, zahlt die DDR jährlich an die DKP; nach anderen Quellen sind es 100 Millionen DM im Jahr. Ich weiß das selbst nicht ganz genau, aber es ist viel Geld, und, meine Damen und Herren, es ist dasselbe Geld, das wir auf den verschiedensten Wegen unsererseits an die DDR zahlen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Mit diesen Mitteln wird es wohl der DDR und der DKP möglich sein, ihre Mitglieder zu schulen und sie dafür vorzubereiten, daß sie auf die an sie zu stellenden Fragen die richtigen Antworten geben.
Meine Damen und Herren von der SPD und FDP, Herr Bundeskanzler, meine Herren von der Bundesregierung, Sie treiben mit der inneren Sicherheit unseres Staates ein leichtfertiges Spiel,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und Sie tun es wider bessere Einsicht. Es kann Ihnen nicht entgehen, daß die Mitglieder der DKP in der Regel — ich sage ja auch immer wieder: in der Regel — überzeugte, ich würde sagen: fanatische Anhänger der Ziele dieser Partei sind. Wenn Sie zu der Feststellung kommen, daß die Ziele dieser Partei verfassungswidrig sind, dann können Sie der Schlußfolgerung nicht ausweichen, daß in der Regel auch die Mitglieder dieser Partei nicht die Gewähr bieten, die unser Grundgesetz verlangt, daß sie für die freiheitliche Ordnung im Sinne unseres Grundgesetzes eintreten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber nach meiner Überzeugung nehmen Sie den Standpunkt, den Sie hier einnehmen, gar nicht auf Grund von rationalen Überlegungen ein, sondern auf Grund der Tatsache, daß die linken Flügel in Ihren beiden Parteien, in SPD und FDP, in dieser Frage einen so starken Druck auf Sie ausüben, daß Sie nicht mehr zur Entscheidung in der Lage sind, weil die linken Flügel in Ihren beiden Parteien mit Kommunisten zusammenarbeiten. Ich habe das in der letzten Debatte hier ausführlich vorgetragen. Ich verweise darauf, will Ihnen aber gerne, wenn Sie es bestreiten sollten, eine Reihe von fünf, sechs weiteren Beispielen vortragen, aus denen hervorgeht, daß diese Zusammenarbeit besteht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Minister Franke hat es ja gesagt!)

Herr Kollege Kleinert, den ich jetzt nicht sehe, hat sich in der letzten Sitzung mit mir über die Hessischen Rahmenrichtlinien auseinandergesetzt. Ich muß sagen, ich begrüße das sehr, daß der Herr Kollege Kleinert das getan hat. Dies ist immerhin einer der Fälle, in denen ein Kollege auf das eingeht, was ein Sprecher der Opposition zuvor gesagt hat, ohne mit pauschalen Urteilen zu versuchen, die Angelegenheit beiseitezuschieben. Der Herr Kollege Kleinert hat mir entgegengehalten, die Hessischen Rahmenrichtlinien seien überholt, inzwischen seien in Hessen alle möglichen Veränderungen vor sich gegangen.

(Zurufe des Abg. Immer [SPD])




Dr. Carstens (Fehmarn)

Ich bin diesem Argument nachgegangen und habe festgestellt, daß im Jahre 1974 in Hessen und anderswo ein Schulbuch eingeführt worden ist, das sich „Arbeitsbuch für die Sozial- und Gemeinschaftskunde der Klassen 7 bis 9 aller Schulen" nennt. Dieses Buch stellt eine Umsetzung der Richtlinien in ein Schulbuch dar. Es ist ebenso verfassungswidrig wie die Richtlinien selbst. Es ist ebenso charakterisiert durch den Versuch einer Denunzierung unserer freiheitlichen Ordnung und ebenso geprägt durch marxistische Propagandathesen. Dieses Buch ist in Hessen, in Bremen, in Hamburg und in Nordrhein-Westfalen als Schulbuch zugelassen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Es ist inzwischen, seit 1974, in 30 000 Exemplaren verkauft worden. Ich kann also nur feststellen — in all diesen Ländern regieren ja sozialdemokratische, zum Teil sozialdemokratisch-freidemokratische Regierungen, und in all diesen Ländern sind Sozialdemokraten die verantwortlichen Minister —, daß die immer wieder geleugnete Verbindung von Mitgliedern der SPD mit kommunistischen Kräften unverändert weiterbesteht.

(Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Punkte schließen,

(Gansel [SPD] : Der Höhepunkt fehlt noch!— Weitere Zurufe von der SPD)

der nach meiner Auffassung im Rahmen der Haushaltsdebatte auch noch erwähnt werden sollte.

(Zuruf von der SPD: Zum Haushalt reden!)

Die Bundesregierung hat uns einen Gesetzentwurf über die Reform des Strafvollzuges vorgelegt, über den übermorgen abgestimmt werden soll. Ich gehe auf den Inhalt nur ganz kurz ein. Dieser Entwurf enthält

(Dr. von Bülow [SPD] : Sind Sie übermorgen weg?)

— ich bin auch übermorgen da — viele fortschrittliche Gedanken, denen wir zustimmen können. Wir begrüßen es unter anderem, daß der Vollzug der Freiheitsstrafe nunmehr einheitlich durch ein Bundesgesetz geregelt wird, und wir begrüßen es auch, daß verbesserte Möglichkeiten zur Wiedereingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft geschaffen werden. Außerdem ist in diesem Entwurf aber vorgesehen, daß die Strafgefangenen künftig eine kräftige Erhöhung ihrer Bezüge, ihrer Arbeitsentgelte erhalten. Dadurch entstehen zwar nicht dem Bund, Herr Bundesfinanzminister, aber den Bundesländern in den nächsten Jahren zusätzliche Ausgaben von sehr beträchtlichem Ausmaß, Ausgaben, die nach einem Gutachten des Haushaltsausschusses innerhalb der nächsten zehn Jahre 1,6 Milliarden DM betragen werden.

(Stücklen [CDU/CSU]: Wir haben es ja!)

Auf der anderen Seite lehnt es die Bundesregierung
und lehnt es die Koalition ab, ein Gesetz zu verabschieden, dessen Verabschiedung wir seit langem
fordern, nämlich das Gesetz über die finanzielle Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen.

(Gansel [SPD] : Das stimmt doch gar nicht!)

So geht es nicht! Wir werden Ihnen einen Antrag vorlegen — ich kündige das jetzt schon an, Herr Bundesfinanzminister —, den finanzwirksamen Teil dieses Gesetzes zunächst zurückzustellen, bis sich die Finanzlage des Bundes und der Länder gebessert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn wir sind der Meinung, daß in einer Zeit, wo wir an allen Enden kürzen — bei den Kriegsopfern, bei den Landwirten, bei den Auszubildenden, im öffentlichen Dienst, bei wichtigen Investitionen —, eine derartige Aufbesserung der Einkünfte der Strafgefangenen zurückgestellt werden muß, meine Damen und Herren.

(Gansel [SPD] : Das ist ein Niveau, sagenhaft! Pfui! Pfui!)

Das ist eine zwangsläufige Folgerung aus der finanziellen Lage, in der wir uns befinden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gansel [SPD] : Pfui! Da klatscht noch nicht einmal Ihre eigene Fraktion! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

Ich halte dies für notwendig, ich halte dies bei einer Abwägung aller Interessen für einen notwendigen Schritt. Ich sage noch einmal: Wir fordern die Zurückstellung, nicht etwa die Aufhebung der geplanten Schritte.
Meine Damen und Herren, ich habe zu einigen Bereichen außerhalb der finanziellen und der wirtschaftlichen Bereiche

(Zuruf von der SPD: Nichts gesagt!)

Stellung genommen. Ich habe insbesondere zu Fragen der Ostpolitik und zu Fragen der inneren Sicherheit Stellung genommen.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Auch zum Haushalt?)

Ich wiederhole: Die Bundesregierung versagt in beiden Bereichen. Sie ist in beiden Bereichen der Aufgabe, die ihr von der Verfassung gestellt wird, nicht gerecht geworden. Im Bereich der Ostpolitik vertritt sie die deutschen Interessen nicht ausreichend, und im Bereich der inneren Sicherheit spielt sie ein leichtfertiges Spiel.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719922500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0719922600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte bisher eine gewisse Hochachtung vor dem Führer der Opposition,

(Zuruf von der SPD: „Führer" ist gut! — Weitere Zurufe von der SPD)




Dr. von Bülow
die sich auf Grund der Einlassungen, die heute zum Haushalt gegeben worden sind, sicherlich nicht aufrechterhalten läßt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man kann diese Ausführungen sicher auch nicht damit entschuldigen, daß irgendwelche Referenten die Redemanuskripte für 10 oder 15 Gesetzesvorhaben der vergangenen und kommenden Wochen zusammengestoppelt und ihm als Manuskript gegeben haben, um sie als Beitrag zur Haushaltsdebatte zu bringen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß eine solche Fülle von Fehldarstellungen, wie sie hier soeben vom Führer der Opposition gegeben worden ist

(van Delden [CDU/CSU] und Wohlrabe [CDU/CSU] : Nennen Sie einmal eine!)

— kommt, kommt; Herr Wohlrabe, das kommt, langsam! —, der Aufmerksamkeit des Oppositionsführers gegenüber seinen Ghostwritern entgangen sein sollte.
Ich fange mit der letzten Behauptung an: Entschädigung von Opfern von Gewalttaten. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt im Ausschuß, steht zur Behandlung an, ist von seiten der Regierungskoalition keineswegs abgelehnt worden.
Nehmen wir den Strafvollzug! Die Strafvollzugsreform ist von allen Fraktionen im Strafrechtssonderausschuß einstimmig verabschiedet worden,

(Hört! Hört! bei der SPD — Weitere Zurufe von der SPD)

also auch von der Opposition. Sie ist für notwendig erkannt worden auf Grund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts und von den Justizministern sämtlicher Länder, also auch der CDU/CSU- geführten Länder, gebilligt worden. Auch der bayerische Justizminister ist der Meinung, daß dieses Strafvollzugsgesetz kommen muß.

(Zurufe von der CDU/CSU) — Moment! —

Die Behauptung, es sei eine kräftige Erhöhung der Bezüge von Strafgefangenen vorgesehen, ist falsch. Bis zum Jahre 1980 gibt es keinerlei Erhöhungen der Bezüge. Über die Rechtfertigung dieser Bezüge kann man durchaus streiten; aber bis zum Jahre 1980 sieht der jetzt zur Verabschiedung kommende Entwurf eine Erhöhung des Entgelts nicht vor. In den Kosten des Entwurfs zum Strafvollzugsgesetz ist das enthalten, was die Länder schon teilweise erledigt haben oder auch im eigenen Interesse erledigen müssen, nämlich der Neubau von Strafvollzugsanstalten, der ohnehin notwendig ist, weil die Anstalten aus dem letzten Jahrhundert stammen. Herr Kollege Carstens, Sie als Oppositionsführer sollten sich, wenn Sie ein gewisses Niveau der Debatte halten wollen, informieren,

(Beifall bei der SPD)

ehe Sie solche, ich würde sagen: schäbigen und auf die billigen Emotionen von Stammtischen ausgerichteten Behauptungen aufstellen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dann haben Sie sich an der Auseinandersetzung um den Bundeshaushalt vorbeigemogelt, indem Sie Schulbücher anführen, die niemand von uns kontrollieren kann. Was weiß ich denn, was an neuen Schulbüchern herauskommt? Wahrscheinlich stellt sich heraus, wenn man es genau verfolgt, daß der Sachverhalt völlig anders ist oder das von Ihnen angeführte Buch gar nicht zugelassen ist.
In der Frage des Linksradikalismus sollten Sie sich mehr in die Richtung von Alfred Grosser begeben, der das auf einen etwas vernünftigeren Nenner bringt als Ihre von Hektik, Antikommunismus und Angstpsychose diktierte Haltung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum Haushalt selbst haben Sie nur einige Stichworte vorgetragen. Die schöne Bemerkung, man sollte lieber über eine globale Kürzung der Beamtenstellen von einem Prozent sprechen und nicht von der Weltrezession, zeugt von der Unkenntnis des Sprechers der Opposition von den weltweiten wirtschaftlichen Zusammenhängen.
Ich nenne das Stichwort Jugoslawienkredit. Als ob Sie nicht wüßten, daß unter der Regierung Adenauer ein zinsloser Kredit an Jugoslawien gegeben worden ist! Das wollen Sie einfach unter den Tisch wischen, um billige Polemik zu machen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nehmen wir das Problem der Rentenabgeltung an Polen in Höhe von 1,3 Milliarden DM. Sie haben zwar eine weitgehende Übereinstimmung in Ihrer Fraktion in der Ablehnung dieses Abkommens zustande gebracht; aber die Leute bei Ihnen, die etwas mehr nachdenken, verweigern Ihrer Marschroute die Zustimmung.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt schließlich Äußerungen von Herrn Stoltenberg, der der Richtung, die die Regierung jetzt eingeschlagen hat, das Wort geredet hat. Er hat gesagt, langfristig werde man im Wege der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine Möglichkeit finden, das deutsch-polnische Verhältnis zu bereinigen. Es gibt auch Äußerungen Schröders, von Weizsäckers usw. Ich finde, es ist billig, wie hier argumentiert worden ist.
Auch der Swing, Herr Carstens, der der DDR im innerdeutschen Handel eingeräumt worden ist, besteht nicht erst, seitdem es diese Koalition gibt. Den gibt es, seitdem es den innerdeutschen Handel gibt. Auch dies ist falsch in Ihrer Darstellung.

(Wohlrabe [CDU/CSU] : Er wurde aber im ungünstigen Zeitpunkt erhöht!)

— Ungünstiger Zeitpunkt, Herr Wohlrabe, — das ist eine ganz andere Sache. Hier wurde es aber so dargestellt, als wäre das eine Leistung der Koalition an den Ostblock.
Auch mit Ihren Bemerkungen über die Straßnbenutzungspauschale operieren Sie auf einem ganz billigen Terrain. Schließlich sind die Visagebühren abgeschafft worden, die früher die Berliner und die Besucher Berlins zu tragen hatten. Sie werden jetzt pauschal abgegolten, und das muß aus dem Bundes-



Dr. von Bülow
haushalt bezahlt werden. Der DDR wird also kein Pfennig mehr gegeben, sondern ihr wird das gegeben, was ihr auch dann zufallen würde, wenn die Visagebühren — die auch in Ihrer Regierungszeit eingeführt worden sind — heute von den Bürgern weitergezahlt würden.
Meine Damen und Herren, dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, daß das, was hier als Einlassung vorgetragen worden ist, völlig neben der Sache liegt und mit dem Haushalt 1976 und der weiß Gott drängenden Problematik überhaupt nichts zu tun hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Aufgabe des Haushalts 1976 und der mittelfristigen Finanzplanung 1975 bis 1979 ist es, in Zeiten großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten und unvorhergesehener finanzieller Bedrängnis das Netz sozialer Sicherung aufrechtzuerhalten, dabei die laufenden Konjunkturprogramme finanziell abzusichern, die staatliche Nachfrage nach Wirtschaftsgütern nicht etwa abzuwürgen, sondern aufrechtzuerhalten und gleichzeitig sparsam mit den knapp gewordenen Mitteln umzugehen.
Daß die Konjunkturprogramme keineswegs so völlig daneben gelegen haben, wie der Kollege Strauß uns das heute morgen einzureden versucht hat — er hat gesagt: das war ein Strohfeuereffekt —, zeigen die neuesten Zahlen. Wenn man die neueste Statistik des Wirtschaftsministeriums zur Hand nimmt, sieht man, daß die Aufträge in der Investitionsgüterindustrie aus dem Inland im Juni, bedingt durch die Investitionszulage, um 100 % zugenommen haben, im Juli um 23,5 % — das ist noch ein Effekt auf Grund der Investitionsprämie daß sie im August um 2 % abgenomen haben — mit der Folge, daß die Kassandra-Meldung durch die Welt ging, es handle sich tatsächlich um einen Strohfeuereffekt — und daß nach den neuesten Zahlen im September wieder ein Plus von 26,8 % zu verzeichnen ist. Ähnliche Zahlen lassen sich — nicht ganz so hoch — aus dem Ausland nennen: 8,5 % für September. Die Konjunkturprogramme haben also im Inland in dem Bereich, für den sie gedacht waren, durchaus gezogen, was nicht heißt, daß es nicht noch problematische Zonen gibt.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Zitieren Sie mal die neuen Arbeitslosenzahlen!)

— Auch die neuen Arbeitslosenzahlen können Sie hinzunehmen. Saisonal bedingt hat die Arbeitslosigkeit jetzt noch leicht zugenommen, aber weit weniger als im Durchschnitt der Jahre.
Meine Damen und Herren, gleichzeitig muß mit diesem Haushalt die kurz- und mittelfristige Konsolidierung der Staatsfinanzen eingeleitet werden. Ich glaube, der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner gestrigen Rede eine sehr offene und ehrliche Bestandsaufnahme vor der Bürgerschaft dieses Landes vorgetragen. Er hat die Probleme dargestellt und den entschlossenen Weg der Regierung geschildert. Er hat den Bürgern klaren Wein eingeschenkt. Es ist eben nicht so wie 1965 oder 1966, wo zunächst im Wahlprogramm die große Täuschung vorgenommen und nach gewonnener Wahl die Rücknahme der Staatsleistungen durchgeführt wurde. Die Sozialdemokraten, Herr Leicht, wurden damals dazu benutzt, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

So war die Situation. Die Sozialdemokraten brauchten Sie damals, sonst wäre der Karren nicht aus dem Dreck gekommen.
Herr Strauß hat in einem neunzigminütigen Ritual, das wir schon seit Jahren kennen, die Regierung ins Gebet genommen. Dabei möchte ich als einzigen wirklich bemerkenswerten Satz festhalten, daß er noch einmal die „Gnade der Stunde der Angst" hervorgekehrt hat. Ich weiß nicht, ob es jedem Mitglied dieses Hauses aufgefallen ist: Auf den Zwischenruf „Gnade der Stunde der Angst" sagte er: „Ja, und die muß genutzt werden". Also dieselbe Philosophie, die 1966/67 dazu benutzt worden ist, Arbeitnehmern Angst einzujagen und die soziale Absicherung abzubauen. Dies ist auch heute wiederum die Mentalität, die hinter den Vorstellungen wenigstens eines Teiles der Opposition steckt.
Weder von Herrn Strauß noch von Herrn Leicht sind die langersehnten Alternativen zu dem, was die Regierung als Programmpaket vorlegt, gekommen. Die Erwartungen waren hochgeschraubt — Herr Apel hat das vorhin ausgeführt — in der Debatte über den Nachtragshaushalt und das Haushaltsstrukturgesetz. Da hieß es: Schonung der ersten Rednergarnitur; die großen Sparmaßnahmen werden aus Anlaß der ersten Lesung des Bundeshaushalts verkündet. Nichts dergleichen ist gekommen. Statt dessen eine kleinlaute Entschuldigung: die Regierung habe ja den Apparat, und im übrigen: wenn es um unpopuläre Maßnahmen gehe, müsse die Regierung vorangehen, nicht die Opposition. Wenn es aber umgekehrt, Herr Leicht und Herr Strauß, darum geht, Steuervergünstigungen zu verkaufen, Steuerermäßigungen zu bringen, dann wird im Interesse des Wählerfangs sehr konkret beschrieben, was da im einzelnen gewollt ist.

(Stücklen [CDU/CSU] : Das ist nun einmal der Vorzug der Opposition!)

Unter dem Strich liefern Sie keine Einsparungsvorschläge, und Sie erhöhen das Manko des Staates noch um Ihre Steuervergünstigungsvorschläge.

(Beifall bei der SPD Leicht [CDU/CSU] : Im nächsten Frühjahr reden Sie anders!)

Herr Leicht, wir sind uns ja alle miteinander einig: Hauptproblem ist die Kreditaufnahme 1976 und in den folgenden Jahren. Knapp 39 Milliarden DM stehen im Haushaltsentwurf, und dies ist zweifellos ein Höchstpunkt. Das Ziel der Regierung ist es — und wir werden sie dabei unterstützen —, von den 38,9 Milliarden DM im Jahre 1976 im Laufe der nächsten vier Jahre auf 11,3 Milliarden im Jahre 1979 herunterzukommen.
Nun gibt es Streit über die Ursachen dieser Defizitentwicklung. Die Opposition hat uns heute die Schlagworte „Reformeuphorie" und „Anspruchshorizonte" vorgehalten und gesagt, die Lohnquote sei zu hoch, d. h., die gezahlten Löhne seien zu hoch,

Dr. von Bülow
und auch die Staatsquote sei zu hoch; daraus resultierten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten werden entsprechend vernachlässgt. Es wird mit keinem Wort darauf Bezug genommen, daß sich Rohstoffe in einem Jahr um 100 % verteuert haben, daß sich Energie —Erdöl — um 300 % verteuert hat, daß gegenüber dem Vorjahr Auslandsaufträge in Höhe von 40 Milliarden DM mit der Umsetzung in Beschäftigung, Lohnsteuer, Gewerbesteuer und dergleichen mehr fehlen.

(Stücklen [CDU/CSU] : Fünf Milliarden fehlen, nicht 40 Milliarden!)

— Herr Strauß hat behauptet, das sei eine Phantomrechnung, obwohl sie im Sachverständigengutachten so enthalten ist und wohl auch von allen Wirtschaftswissenschaftlern akzeptiert wird. Sie tun so, als könnte man das Haus dichtmachen: Die Fenster werden geschlossen, und der Streit innerhalb der Familie wird im eigenen Mief ausgetragen; auf die Nachbarn wird keine Rücksicht genommen. Sie übersehen dabei folgendes. Warum haben die USA eine Arbeitslosenquote von 8,3 %? Doch nicht etwa, weil dort die deutsche sozialliberale Koalition am Ruder wäre. Warum beträgt die Arbeitslosenquote in Großbritannien 5,4 % und in Frankreich 4,7 %? Die Bundesrepublik ist mit ihrer Arbeitslosenquote inzwischen in der Skala der westlichen Nationen im unteren Viertel angelangt, schneidet also vergleichsweise hervorragend ab. Tiefe Rezession herrscht also in allen westlichen Industriestaaten, nicht nur in der Bundesrepublik.
Wenn Sie sagen, daß die Lohnquote in der Bundesrepublik ungeheuer stark gestiegen sei, und darauf verweisen, daß daraus die große Krise auch der öffentlichen Finanzen resultiere, so müssen Sie sich ebenfalls die internationalen Statistiken zu Gemüte führen. Bei uns sind im Jahre 1975 gegenüber 1974 genauso wie im Jahre 1974 gegenüber 1973 im Durchschnitt die gemäßigtesten Lohnsteigerungen in der westlichen Welt festzustellen.
Warum haben wir die niedrigste Preissteigerungsrate in der westlichen Welt? Dies ist doch nicht etwa darauf zurückzuführen, daß wir hier eine unfähige Regierung haben. Im Gegenteil! Gerade all diese internationalen Daten deuten ja darauf hin, daß die Staatsschiffe durch schwierige Wasser geführt werden müssen, daß überall Kursverluste und Reibungsverluste entstehen, daß aber das Schiff der Bundesrepublik insgesamt am besten unter den miteinander konkurrierenden Staatsschiffen fährt.

(Beifall bei der SPD)

Andere Staaten beneiden diese Republik ja auch um ihre Regierung, um ihre Handlungen, um ihr Sozialsystem.
Nun noch einiges zur Staatsverschuldung. Wir wollen, wie gesagt, von 1976 bis 1979 die Staatsverschuldung von rund 40 Milliarden DM auf 11,3 Milliarden DM reduzieren. Die Gründe für diese Staatsverschuldung hat der Bundesfinanzminister dargelegt. An erster Stelle ist die Rezession zu nennen, die uns 1976 Steuerausfälle in Höhe von 19 Milliarden DM gegenüber früheren Schätzungen beschert. Weitere Posten sind: zusätzliche Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 6,1 Milliarden DM, Steuerrevisionsklausel: 2,6 Milliarden DM, Steuerreform: 10 Milliarden DM. Das ergibt zusammen ein Paket von 37 Milliarden DM. Dies sind die beiden Probleme, die durch die Haushalte der kommenden Jahre bewältigt werden müssen.
Nun zu den einzelnen Maßnahmen. Die Kürzungen werden zum ersten — dies trifft jeden Bürger — in der mittelfristigen Finanzplanung vorgenommen. Gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung für die Jahre 1974 bis 1978 wird die jetzt vorgelegte Finanzplanung für das Jahr 1976 Kürzungen in Höhe von 5,1 Milliarden DM enthalten. 1977 werden es 6,6, 1978 11,4 Milliarden DM sein.
Das morgen zu verabschiedende Haushaltsstrukturgesetz ist ein weiteres Paket, das vielen Bürgern ebenfalls Opfer abverlangt. Es wird dazu führen, daß wir 1976 eine Entlastung des Haushalts in Höhe von 7,9, 1977 in Höhe von 12,2 und 1978 in Höhe von 11,5 Milliarden DM zu verzeichnen haben. Dazu dann die Mehrwert-, Tabak- und Branntweinsteuer in Höhe von 8,2 bzw. 10 Milliarden DM. Das heißt, allein 1976 müssen und werden 13 Milliarden DM durch die Maßnahmen eingespart werden, die die Regierung jetzt vorgeschlagen hat.
Herr Leicht, der Rückgriff auf 1966 zieht so, wie Sie ihn gebracht haben, nicht. Im Jahre 1966 — so Ihre Behauptungen — rund 70 Milliarden DM Staatshaushalt und 7 Milliarden DM Einsparungen,

(Leicht [CDU/CSU] : Bei einer Lücke von 3 Milliarden DM!)

heute 40 Milliarden DM Defizit und nur 3 Milliarden DM Einsparungen. Daß das eine Milchmädchenrechnung ist, ergibt folgender Tatbestand. Sie haben 1966 das mitgerechnet, was in den Ressortverhandlungen nicht zum Zuge gekommen ist.

(Leicht [CDU/CSU] : Nein!)

— Natürlich. Das ist in den 7 Milliarden DM genau mit enthalten. — Sie haben bei der Vergleichsrechnung 1976 nicht die Abstriche der Ressorts eingerechnet; das müßte mit eingerechnet werden, wenn es eine vergleichbare Rechnung sein sollte. Sie haben nicht die Abstriche in der mittelfristigen Finanzplanung eingerechnet; die haben Sie bereits verkonsumiert. Und Sie haben die Entlastung auf der Ausgabenseite ebenfalls nicht mit eingerechnet. Insofern stimmt diese ganze Rechnung nicht.
Im übrigen: Das Haushaltssicherungsgesetz von 1966 hat — entschuldigen Sie bitte — nicht zu langfristigen Einsparungen geführt in einem Zeitraum von vier, fünf Jahren, wie wir das jetzt anstreben, sondern es hat fast nur ein Jahr gewirkt und war damit wirklich ein Strohfeuer. Schon 1967 hat das Haushaltssicherungsgesetz von 1966 nur noch 700 Millionen DM erbracht. Ab 1967 war unter dem Strich nichts mehr.

(Zuruf des Abg. Dr. Ritz [CDU/CSU])

Im Vierjahreszeitraum, Herr Ritz, 1966 bis 1969,
beliefen sich die Einsparungen insgesamt auf
3,9 Milliarden DM oder 1,3 % des Haushalts. Das,



Dr. von Bülow
was jetzt als Paket 1976 bis 1979 vorgelegt wird, bringt 31,2 Milliarden oder 4,1 % des Haushalts. 1,3 % zu 4,1 % ist ja eine beträchtliche Differenz.

(Leicht [CDU/CSU] : Mit dem Unterschied, daß das damals nicht notwendig war!)

Die Alternative der CDU/CSU ist heute nicht vorgelegt worden. Im Gegenteil: Die Kürzung der mittelfristigen Finanzplanung akzeptieren Sie ja wohl. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird abgelehnt. Das sind 7,8 Milliarden DM im Jahre 1977. Im Haushaltsstrukturgesetz wird die Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages abgelehnt. Für 1977 bedeutet das 4,6 Milliarden DM. Wenn Sie Ihre Rechnung aufstellen und heute die Regierung übernehmen müßten, fehlten Ihnen für 1976 5,2 Milliarden DM und für 1977 13,8 Milliarden DM. Da sind dann schon einige Ihrer Steuervergünstigungen, die Sie planen, mit eingerechnet.
Wenn Sie also in 1977 den Deckungsbedarf in Höhe von 13,8 Milliarden DM nicht decken können — indem Sie nämlich das mitmachen, was wir vorschlagen —, dann müssen Sie in dieser Höhe Eingriffe planen. Daran führt überhaupt gar kein Weg vorbei. Sie müssen dann Eingriffe in die sozialen Leistungen oder im Investitionsbereich vornehmen.

(Leicht [CDU/CSU] : Nein, wir kriegen dann mehr Steuern!)

Herr Strauß sagt, das soziale Kleid sei zu groß. Gehen Sie voran, machen Sie Vorschläge! Herr Leicht sagt, es müßten einschneidende, für den Bürger unter Umständen empfindsame Maßnahmen durchgeführt werden. Das kann doch nur heißen, daß man im Sozialbereich vorgehen will. Es bieten sich an: Rentenversicherungszuschüsse in Höhe von 21,6 Milliarden DM, Kriegsopferversorgung in Höhe von 11,2 Milliarden DM, Kindergeld in Höhe von 13 Milliarden DM. Sie müssen entweder unseren Weg gehen, müssen die Lasten der schwierigen Wirtschaftslage gleichmäßig auf alle Schultern verteilen — das ist die eine Option —, oder aber Sie müssen in Leistungen eingreifen, die den Bürgern, und zwar den betroffenen, das Durchstehen dieser schwierigen Zeit ermöglichen sollen. Wir entscheiden uns für die solidarische Lösung, für die Solidarität mit denen, die von diesen Schwierigkeiten betroffen sind, die im übrigen auch vom Strukturwandel betroffen sind.
Wenn Sie immer von Strukturwandel in der Wirtschaft reden — es gibt ihn ja zweifellos —, wenn Sie so sehr für die Marktwirtschaft eintreten — tun wir in gewissem Umfang ja auch

(Zurufe von der CDU/CSU: Das war sehr gut gesagt! — Lachen bei der CDU/CSU)

— nicht mit dem Kinderglauben, mit dem Sie sie versehen —,

(Beifall bei der SPD)

wenn man für das System dezentraler Unternehmensentscheidung ist, mit der Folge, daß von Staats wegen sehr wenig Einfluß darauf genommen werden kann, und wenn man diese Strukturwandlung sich vollziehen sieht, dann muß man aber wenigstens das Netz der sozialen Sicherungen für diejenigen, die von dem Strukturwandel betroffen sind, so dicht wie möglich ziehen.

(Beifall bei der SPD) Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

Ich will es mir ersparen, heute auf die Frage der Subventionen einzugehen. Es ist immer wieder populär, zu fordern, die Subventionen abzubauen. Nur: Jedesmal, wenn man konkret Punkt für Punkt die Subventionsliste durchgeht, wird man feststellen, wie schwierig es ist, Subventionen gerade in der heutigen Zeit abzubauen. Die Subventionen beziehen sich auf den Bereich der Landwirtschaft, auf die Mineralölsicherung, auf die Luftfahrtindustrie. Hier ist von uns aus Herrn Strauß mehrfach als Zwischenruf das Stichwort „Airbus" zugerufen worden. Wer der Meinung ist, daß die deutsche Luftfahrtindustrie noch eine Chance haben soll gegenüber der amerikanischen Konkurrenz, die auf den ganzen Weltmärkten übermächtig ist, der muß bei der Subvention derartiger Flugzeugprogramme durchhalten. Wer billig fordert, einfach 10 % der Subventionen abzubauen, der muß wissen, daß es dann, wenn es an diese Position herangeht, nicht mehr zu halten ist.

(Zuruf von der SPD: Das wissen die aber noch nicht!)

Auch die regionale Wirtschaftsförderung zählt zu den Subventionen. Auch die Förderung des Zonenrandgebiets ist letztlich nach unserer Definition — ob sie vernünftig ist oder nicht — eine Subvention. Wir alle sind aber der Auffassung, daß der Zonenrand durch Investitionen, durch Beihilfen usw. gestärkt werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist also alles nicht abzubauen. Zu den Subventionen zählen auch die Sparförderung und entsprechende Maßnahmen im Wohnungswesen.
Ich will hier nicht weiter darauf eingehen. Ich kann nur jeden auffordern, sich den Subventionsbericht vorzunehmen und da nach Möglichkeiten des Abbaus zu suchen. Er wird sehr schnell finden, daß dies kaum möglich ist.
Die Oppositionsargumentation hört sich meistens ganz gut an. Man sollte sie aber mit dem konfrontieren, was in den von der Opposition regierten Ländern passiert.

(Leicht [CDU/CSU] : In allen!)

Die Defizitentwicklung verläuft dort genauso wie beim Bund: 1973 1,9 Milliarden DM, 1975 21 Milliarden DM. Ich sage das ja nicht, um hier wieder billig den Schwarzen Peter zu verteilen, sondern nur, um zu sagen, daß wir alle in einem Boot sitzen, zusammen auch mit den Bundesländern. Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß die Länder, wenn sie den Zuwachs des Defizits — 1973 1,9 Milliarden DM, 1975 21 Milliarden DM — abbauen wollen, aktiv im Bundesrat in dieser Beziehung mitwirken müssen.
Was tun nun die einzelnen Länder? Herr Kohl in Rheinland-Pfalz — Ihr besserer Helmut, wie Sie ihn nennen, wie er in Autoaufklebern bereits genannt wird — fordert für den Bund weitere Sparmaßnah-



Dr. von Bülow
men. Das Land Rheinland-Pfalz befindet sich aber mehr oder weniger in der Position des Schlußlichts bei der Sparkommission. Der Haushalt 1976 ist in Rheinland-Pfalz überhaupt noch nicht eingebracht; Eckwerte zum Haushalt 1976 sind vom Kabinett in Rheinland-Pfalz überhaupt noch nicht beschlossen.

(Leicht [CDU/CSU] : Sie wissen wohl nicht, daß es dort einen Zweijahreshaushalt gibt!)

In diesem Jahr wird er auch nicht mehr verabschiedet werden, weil es komplizierte Beratungen geben wird. Die Steuermindereinnahmen 1975 belaufen sich auf 548 Millionen DM. Wie das zu decken ist, dafür gibt es überhaupt keine Erklärung.

(Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

Wenn Sie uns die Forderung entgegenhalten, wir sollen mit dem Personal sparsam sein, was wir weiß Gott sind — Personalbestand beim Bund: unter dem des Jahres 1973 —, muß ich erwidern, daß das Land Rheinland-Pfalz 1975 allein 2 182 neue Stellen einführt.

(Leicht [CDU/CSU] : Sagen Sie, wofür! — Zurufe von der SPD)

Bei Herrn Goppel in Bayern sieht es nicht viel anders aus. Er hat zwar einen Nachtragshaushalt für 1975 vorgelegt, aber es sind Mindereinnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden DM einzusetzen.

(Stücklen [CDU/CSU] : Für 1976!)

Die Nettokreditaufnahme erhöht sich um das Achtfache gegenüber 1974.

(Stücklen [CDU/CSU] : Alles die Folgen des Bundes!)

Es gibt auch nicht sonderlich viel Personaleinsparungen. Für 1976 wurde bereits ein Anstieg des Personals in Bayern um 5 600 Stellen bewilligt.

(Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

Davon werden jetzt, Herr Stücklen, 30 % wieder eingespart.

(Stücklen [CDU/CSU] : Das ist für mehr Polizisten und Krankenschwestern! Wollen Sie die haben oder nicht?)

— Wir wollen sie haben. Nur die billige Argumentation hier im Bund, die wollen wir so nicht haben.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU])

Baden-Württemberg hat auch einen Doppelhaushalt. Auch dort gibt es Steuerausfälle in beträchtlicher Höhe: 2,1 Milliarden DM. Die Regierung erklärte: Wir wollen 1 Milliartde DM sparen. Fs passiert zunächst aber überhaupt nichts. Auch hier wird das Personal noch erheblich ausgeweitet.
Wenn man die Haushalte gerade dieser Länder genauer untersucht, wird man sehen, daß sie sich sogar noch prozyklisch verhalten, daß sie Investionen teilweise streichen, daß sie kommunale Finanzausgleichsmasse streichen, so daß das letzte Ende der Finanzkette des Bundes äußerst schwach ausgestattet ist.
Nun zum Sparen im öffentlichen Dienst. Auch hierzu ist schon einiges gesagt worden. Ich sagte schon, daß der Personalstand des Bundes seit Jahren stagniert. Wir liegen unter der Zahl von 1973.
Herr Carstens, Sie machten eine Bemerkung zu der Steigerungsrate beim Bundeskanzleramt von 80 %. Das ist ja nur darauf zurückzuführen, daß ein ganzes Ministerium in das Bundeskanzleramt eingegliedert worden ist. Sie müßten das besser als alle anderen hier wissen. Das war also auch eine Fehlbehauptung.
Die Bundesregierung wird in diesem Jahr 1 000 Stellen einsparen. Der Präsident des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat Vorschläge für Einsparungen im Bundeshaushalt gemacht. Wir begrüßen sie. Diese Vorschläge werden aufgegriffen und geprüft. Die Arbeitsgemeinschaft Haushalt der Koalitionsfraktionen hat eine Untergruppe eingesetzt, um sie im Detail zu prüfen.
Wir sind dafür, daß Rationalisierungsfelder erschlossen werden. Nur glauben wir, daß dies ein sehr mühsames Feld ist, daß Globalmaßnahmen nur in beschränktem Sinne hilfreich sein werden. Wir sehen es ja immer wieder: Wenn wir global kürzen, dann bedeutet das, daß wir z. B. bei den Organen der inneren Sicherheit, bei den Organen der Justiz, teilweise auch im Bereich der Verteidigung, Ausnahmen machen müssen. Es ist also äußerst schwierig, über globale Forderungen Einsparungen zu erzielen. Aber wir sind durchaus bereit, an diesen Einsparungsvorschlägen zu arbeiten, und willens, sie auch durchzusetzen.
Noch ein Wort zur Staatsquote. Dies ist ein Propagandaschlagwort, mit dem man sich in der öffentlichen Diskussion bei bestimmten Kreisen gut einschmeicheln kann. Es ist aber außerordentlich problematisch.
Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, was alles Staatsquote ist, daß da die Sozialversicherung einzubeziehen ist, soweit sie auf Zwangsbeiträgen beruht, was in der Bundesrepublik ja der Fall ist. Beiträge zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung sind Bestandteil der Staatsquote. Ebenso ist es mit der Arbeitslosenversicherung. Wenn Sie das etwa mit den Vereinigten Staaten oder anderen Ländern vergleichen, dann stellen Sie fest, daß es dort privat organisiert ist. Infolgedessen ist das überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Insofern ist das ein Instrument, das klassisch in die Behauptung hineinpaßt, die wir überall unter den Bürgern finden: Mit Statistik läßt sich trefflich lügen.
Der zweite Grund, weshalb die Staatsquote kein maßgebliches Kriterium für die Entwicklung innerhalb eines Staates und für die Staatsaktivität ist, liegt darin, ,daß die Staatsleistungen konjunkturbedingt natürlich nach oben schwellen. Wenn wir kein Wachstum des Bruttosozialprodukts mehr haben, aber auf der anderen Seite die Transferleistungen des Staates stärker in die Höhe gehen, dann bedeutet das, daß der Staatsanteil automatisch steigt.



Dr. von Bülow
Ein weiteres Beispiel dafür, wie schwierig es ist, hier die richtigen Kategorien zu finden, ist die Kindergeldreform. Wenn das Kindergeld in der Form gewährt wird, daß Steuerabzüge ermöglicht werden, hat man eine niedrige Staatsquote. Wenn es aber über direkte Auszahlungen gewährt wird, wie wir es jetzt haben, dann liegt eine Erhöhung der Staatsquote vor. Das bedeutet, daß sich mit diesem Begriff trefflich argumentieren läßt. Der Wahrheit kommt man damit nicht näher. Wenn man alles abzieht und den reinen Staatsbegriff im klassischen Sinne sieht, dürfte sich herausstellen, daß wir im Laufe der Jahre kaum eine Steigerung dieser Tätigkeiten zu verzeichnen haben werden, vielleicht mit Ausnahme des Bildungsbereichs.
Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber einig, daß dieser Haushalt wie jeder Haushalt Risiken hat. Es handelt sich meistens um dieselben Positionen: Deutsche Bundesbahn, Steuereingänge, Bundesanstalt für Arbeit, Frage des wirtschaftlichen Wachstums. Wie es damit steht, wird sich im Zeitablauf zeigen. Ich glaube, Pessimismus ist in dem Umfang, wie er hier vorgetragen wurde, auf keinen Fall angebracht. Ich hatte vorhin schon ausgeführt, daß sich die Auftragseingänge im In- und Ausland stabilisieren, wenn nicht sogar bessern. Es gibt verbreitet Anzeichen ,des Optimismus. Die Arbeitslosigkeit sinkt, sie steigt nicht in ,dem saisonalen Umfang, wie es in früheren Zeiten zu beobachten gewesen ist. Es ist unseres Erachtens möglich, in dieser schwierigen Lage die durch den Haushalt 1976 und die mittelfristige Finanzplanung gesteckten Ziele zu erreichen.
Wir stellen nochmals fest: Die Kritik der Opposition ist ohne jede Alternative. Sie ist weit überzogen und in der Form teilweise beleidigend vorgebracht worden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir glauben, daß der Weg der Regierung allein realistisch und der gebotene ist und deshalb auch beschritten werden sollte.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719922700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719922800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte den Versuch machen, auf den wirtschaftspolitischen Teil der heutigen Diskussion zurückzukommen. Auf das, was Sie zur Außenpolitik gesagt haben, Herr Professor Carstens, wird, wie ich höre, Herr Staatsminister Moersch antworten. Auf das, was Sie zur Bildungspolitik eingeführt haben, etwa als Sie unsere Kenntnisse nach dem Inhalt von Schulbüchern abgefragt haben, hat, wie ich meine, Herr von Bülow eine zutreffende Antwort gegeben. Ich frage Sie, wer in dieser Bundesrepublik immer für den Bildungsföderalismus eingetreten ist. Liegt die Verantwortung nun eigentlich bei den Ländern und wollen Sie sie nicht dort halten, oder wollen Sie in Zukunft einer etwas zentraleren Regelung des
Bildungswesens das Wort reden? Darin finden Sie, wie Sie wissen, bei uns recht offene Ohren.

(Stücklen [CDU/CSU] : Besser würde es auch nicht werden!)

— Herr Stücklen, darüber können wir uns dann ja noch unterhalten, ob es besser wird oder nicht. Aber lassen Sie zunächst einmal den Streit austragen, wie es denn in Bayern um die Finanzierung Ihrer Kulturpolitik steht.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Strauß hat heute angriffslustig wie üblich die Politik der Bundesregierung aufs Korn genommen. Ich muß aber sagen — ich nehme an, er wird auch irgendwann wieder erscheinen —, die Länge seiner Rede — die Reden werden ja zunehmend länger und ausführlicher — und die Schnelligkeit der Sprechweise — sie nimmt auch immer mehr zu — entspricht eigentlich nicht mehr der Treffsicherheit der Argumente.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Man kann sagen: „Das Maschinengewehr streut etwas." Er sollte es neu justieren.

(Heiterkeit bei der FDP und der SPD) Es gibt dabei zu viele „Fahrkarten".

Es gibt auch gar nichts Neues. Das Alte wird bekanntlich, soweit es verkehrt ist — darauf werde ich im einzelnen eingehen —, auch durch dauernde Wiederholungen nicht richtiger, obwohl ich zugebe, daß dauernde Wiederholungen ein Mittel politischer Arbeit sind. Das will ich nicht bestreiten, aber sachlich richtiger wird es deswegen nicht.
Ich habe mit Interesse heute morgen — Herr Strauß hat die Morgenpresse zitiert — einen Blick in meine heimatliche Zeitung, die „Düsseldorfer Nachrichten", geworfen und möchte mit Genehmigung der Frau Präsidentin kurz zitieren:
Strauß hat schon gestern die Stichworte geliefert: Apel sei hilflos, und er habe keine Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit vorgelegt. Die Rezepte der Opposition
-- so schreibt der Leitartikler —
werden nun hoffentlich mit der gebotenen Klarheit vorgelegt werden.
Meine Damen und Herren, festzustellen ist: weder ist etwas mit Klarheit vorgelegt worden noch ist überhaupt ein Rezept vorgelegt worden. Es ist wieder nur das alte Lied gesungen worden, das die Frage betrifft, wer denn nun eigentlich schuld sei.
Da sind Sie — das hat eben schon der Herr Finanzminister mit Recht dargelegt — auch die Erfüllung Ihrer Ankündigung schuldig geblieben, Herr Professor Carstens, Ankündigungen, die Ihre Fraktion von sich gegeben hatte. Es hieß, Sie werden Einsparungsvorschläge in Höhe der nach Ihrer Ansicht nicht zustimmungsfähigen Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und der steuerlichen Entlastungsmaßnahmen machen. Das bedeutet 5,5 Milliarden DM im Haushalt 1976. Wir haben uns damals zu dieser Ankündigung sehr zurückhaltend



Dr. Graf Lambsdorff
geäußert, weil wir nicht nach der Maxime verfahren wollen: „Wir kennen die Absichten der Opposition nicht, mißbilligen sie aber", sondern wir haben uns gesagt: Wir wollen einmal abwarten, was nun wirklich kommt. Ich wiederhole, daß wir von dieser Stelle erklärt haben: Legen Sie Ihre Vorschläge auf den Tisch. Wir werden sie sorgfältig und durchaus in Bereitschaft, mit Ihnen gemeinsam zu weiteren Maßnahmen zu kommen, prüfen. Aber es ist nichts gekommen. Ich befürchte, es ist schon beinahe zu spät. Wir werden in dieser Größenordnung auch nichts bekommen, Herr Leicht. Dann müssen Sie sich allerdings, wenn es dabei bleibt, den Vorwurf gefallen lassen, daß das hochstaplerische Ankündigungen gewesen sind.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die nächste Frage, die der Kollege Strauß hier abgehandelt hat — Sie, Herr Carstens, sind auch auf dieses alte Thema eingegangen —, war: Wer verantwortet was? Die Bundesregierung — so behaupten Sie immer wieder — stelle sich auf den Standpunkt, an allem sei nur die weltweite, importierte Rezession schuld, überall seien finstere Mächte, niemand von uns selber habe einen Anteil Schuld daran, und schon gar nicht habe man es zugegeben.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : So ist es!)

Wir haben nicht bestritten, meine Damen und Herren — ich möchte das hier noch einmal festhalten —, daß wir allesamt in der Bundesrepublik — dies sieht man jetzt sehr deutlich — das Bruttosozialprodukt überfordert haben

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Wer ist „wir"?)

— ich komme noch darauf zurück, Herr Müller-Hermann; ich will diesem Kapitel ein paar Minuten widmen , und wir haben auch nicht bestritten, daß es natürlich einen hausgemachten Anteil an Inflation gibt.
Wenn uns Herr Kollege Strauß auch am 17. September die Ehre seiner Anwesenheit gegeben hätte
— aber er kommt ja nur, wenn er selber redet, sonst kommt er nicht;

(Stücklen [CDU/CSU] : Dann kommt er persönlich!)

— dann kommt er persönlich, ja, sonst kommt er unpersönlich ,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

hätte er hören können, daß wir schon damals darauf verwiesen haben, wie wir im Sommer 1973 mit Ihnen, Herr Professor Erhard, und mit dem Kollegen Klaus Dieter Arndt über die Frage diskutiert haben, wie hoch denn wohl der Anteil exogener Faktoren an der Inflation und wieviel hausgemachte Inflation sei. Es gab keine Einigung über die Höhe des Anteils. Aber daß hier jemand bestritten habe, daß es einen hausgemachten Anteil gibt, dies ist einfach eine Erfindung.

(Leicht [CDU/CSU] : Sie haben es nicht bestritten, aber andere! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir haben eine langanhaltende Entwicklung vor uns, und ich habe schon damals darauf hingewiesen, daß sie bereits in den 50er Jahren in ihren Anfängen mit dem Stichwort „Wahlgeschenke" zu kennzeichnen war und heute noch ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Im übrigen darf einmal die Frage an den Finanzminister der Großen Koalition gestellt werden, wieviel Belastungen er eigentlich in der Zeit dieser Regierung zugestimmt hat. War denn Herr Strauß nicht Finanzminister, als das Arbeitsförderungsgesetz, das wir morgen renovieren wollen, verabschiedet und verkündet wurde? Ist nicht Herr Katzer immer noch dabei, sich der Miturheberschaft an diesem Gesetz zu rühmen? Wir kritisieren nicht die Zielsetzung dieses Gesetzes.

(Stücklen [CDU/CSU] : Damals wart ihr auch dabei!)

— Moment! Ich rede jetzt von der Großen Koalition. Damals waren wir einmal nicht dabei. Das kommt selten vor, Herr Stücklen — ich weiß es —, aber damals waren wir nicht dabei. Ich kritisiere, wie gesagt, nicht die Zielsetzung des Arbeitsförderungsgesetzes, aber ich kritisiere, daß dafür Gelder eingesetzt worden sind, die für ganz andere Zwecke hätten bereitgehalten werden müssen. War denn Herr Strauß nicht Finanzminister zu dieser Zeit?

(Stücklen [CDU/CSU] : Die Entartung kam erst nach 1970!)

War Herr Strauß nicht Finanzminister, als in diesem Hause gegen die Stimmen der FDP-Fraktion die arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung beschlossen wurde, die zweifellos — man kann über ihre Berechtigung streiten oder auch nicht mehr streiten; einverstanden — eine hohe sozialpolitische Belastung der Wirtschaft darstellt? Das ist jedenfalls völlig unbestreitbar. War Herr Strauß damals nicht Finanzminister? Gehörte Herr Strauß nicht der Bundesregierung, dem Kabinett, an, als die automatisierte Dynamisierung der Rentenversicherung — ich betone, nicht die dynamisierte Rentenzahlung; die haben auch wir immer gewollt — eingeführt wurde? Wir wollen das nicht in Frage stellen. Wir sehen, daß jedenfalls die dynamisierte Rentenformel eine der entscheidenden Grundlagen unseres sozialen Sicherungssystems ist, diejenige, die, wie ich meine, eisern verteidigt werden muß. Wogegen wir uns gewandt haben, das war die eingeführte Automatisierung, ein bißchen wohl in dem Gefühl eingeführt, daß wir selber nicht die Kraft hätten, das Notwendige zur rechten Zeit zu tun. Damit sind wir aber mitten in der Diskussion über Regelmechanismen. Aber natürlich war Herr Strauß damals Mitglied der Bundesregierung!
Herr Kollege Strauß, haben Sie nicht als Finanzminister — ein altes Thema — die rechtzeitige Aufwertung verhindert und damit inflationären Möglichkeiten offenen Zulauf gegeben, die uns jahrelang beschäftigt haben?

(Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß [CDU/CSU] : Was hatten wir denn damals für eine Inflationsrate?)




Dr. Graf Lambsdorff
— Ich komme auf die Inflationsrate, die Sie heute morgen hier angegeben haben, noch zurück.

(Strauß [CDU/CSU] : Ihre Märchen werden durch Wiederholungen nicht wahr!)

Meine Damen und Herren, die nächste Frage: Hat denn nicht Ihre Partei, die CDU, in Mannheim eine zwar im Prinzip richtige Forderung erhoben? Haben Sie nicht im gegenwärtigen Zeitpunkt die Partnerrente gefordert, und wissen Sie, was das kostet? Wer spricht denn heute noch von Vermögensbildung und Investivlohn? Der Herr Kollege Katzer behauptet sogar noch, das wäre keine Belastung. Da lachen ja die Hühner. Das alles fordern doch Sie!
Herr Kollege Strauß, haben Sie nicht als Finanzminister — hier komme ich auf die Inflationsrate, die Sie heute morgen genannt haben — 1967/68 Eventualhaushalte auf einem Inflationssockel von 3,7 % im Durchschnitt des Jahres 1966 gebilligt und auch finanziert? Sie haben heute morgen schlicht erklärt, die Inflationsrate 1966/67 habe 0 % betragen. Davon ist überhaupt keine Rede. Das ist nur die bei Ihnen inzwischen zu hohen Künsten entwickelte Eigenschaft, einen Blick zurück immer als einen Blick in eine besonnte Vergangenheit — die nämlich dann besonnt ist, wenn Sie in der Regierung gesessen haben — zu tun.

(Zustimmung bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, der Kollege Strauß hat uns heute morgen vorgeworfen, es sei eben nicht alles machbar, und wir, die sozialliberale Koalition, hätten doch so getan, als sei in der Wirtschaftspolitik alles machbar. — Darf ich fragen, ob nicht zu Ihrer Regierungszeit — als Sie Finanzminister waren -- Herr Strauß, das Gesetz über Stabilität und Wachstum mit all seinen Regelmechanismen, mit all seinen Vorschriften, mit all dem Gehalt, der doch dahinter steckt, daß nämlich alles machbar und regulierbar sei, verabschiedet worden ist? Und sind nicht Sie es, die dieses Wunderglauben-Gesetz
— ich selber bin im Hinblick auf dieses Gesetz immer skeptisch gewesen — nun auch noch novellieren und reformieren wollen? Mit anderen Worten, Sie haben nach wie vor nicht aufgegeben, auf diese Weise Machbares darstellen zu wollen.
Und sind Sie, Herr Strauß, nicht als Finanzminister für massive Steuererhöhungen in den Jahren 1967 und 1968 mitverantwortlich?

(Stücklen [CDU/CSU] : Massiv?)

— Lassen Sie mich, Herr Kollege Stücklen, ein paar zitieren: Ergänzungsabgabe 690 Millionen, Mehrwertsteuererhöhung ab 1. Juli 1968 2,2 Milliarden, Erhöhung der Tabaksteuer 800 Millionen DM; das geht so weiter bis zu insgesamt 3,2 Milliarden im Jahre 1967 — Finanzminister: Franz Josef Strauß.

(Stücklen [CDU/CSU] : Und die Finanzen waren in Ordnung! — Strauß [CDU/CSU] : Vollbeschäftigung war da, Wachstum war da!)

Dann kann ich 1969 natürlich einen positiven Haushalt abliefern.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Schließlich ein letztes dazu: Herr Strauß, haben Sie eigentlich und hat Ihre Fraktion zu irgendeinem der Konjunkturprogramme dieser Bundesregierung in den letzten Jahren nein gesagt? Sie haben sich heute morgen sehr böse gegen meinen Zwischenruf zu dieser Frage gewehrt. Aber Sie haben doch genau das Gegenteil getan. Sie haben immer hier oben gestanden, haben eine Stunde geredet — wenn Sie selbst es mit einer Stunde tun, aber ich meine jetzt auch Ihre Kollegen —

(Strauß [CDU/CSU] : Habe ich nicht vor der Investitionszulage gewarnt?)

— ja, ich komme auch noch auf die Investitionszulage zu sprechen —, und 55 Minuten davon haben Sie die Vorschläge der Regierung kritisiert, und 5 Minuten haben Sie dazu gebraucht, den Schlenker, warum Sie schließlich zugestimmt haben, zu erklären. So sind Sie doch mit allen Konjunkturprogrammen verfahren!

(Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß [CDU/CSU] : Sie leisten sich mit dieser Argumentation einen ganz schlechten Dienst!)

— Wer hier wem einen schlechten Dienst erweist, — —

(Stücklen [CDU/CSU] : Morgen werden wir schön dagegen stimmen, und dann tragen Sie allein die Verantwortung!)

— Wir werden uns gleich darüber unterhalten, meine Damen und Herren, wie das mit dem Dagegenstimmen — nach dem Motto: Ablehnung, wenn Zustimmung gesichert ist; so verfahren Sie ja zumeist — aussieht.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß [CDU/CSU] : Wir sind doch hier nicht Ihre Hampelmänner!)

Warum sind Sie so verfahren, warum haben Sie
— lassen Sie mich das zu Ende ausführen — in diesen Fällen zugestimmt?

(Strauß [CDU/CSU] : Können Sie lesen?)

Weil es im Grunde, von geringfügigen Variationen abgesehen, einen anderen Weg gar nicht gab und gar nicht gibt.

(Strauß [CDU/CSU] : Wir haben doch den Gegenweg vorgeschlagen!)

Die Möglichkeiten, in denen wir uns bewegen — —

(Strauß [CDU/CSU] : Schwindeln Sie hier doch nicht! — Rawe [CDU/CSU] : Was Sie jetzt erzählen, ist Quatsch! — Strauß [CDU/ CSU] : Seien Sie doch ehrlich! Das ist doch die Unwahrheit, was Sie hier verbreiten! Ich habe ganz genau gesagt, was ich von der Investitionszulage denke! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)




Dr. Graf Lambsdorff
— Herr Kollege Strauß, wir kommen gleich noch auf die Investitionszulage zu sprechen; ich würde mich nur nicht so alterieren. — Heute morgen haben Sie noch von „akustischem Terror" gesprochen; nun lassen Sie doch auch einmal die Koalitionssprecher und nicht nur die der Opposition ausreden!

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Herr Kollege Strauß, Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten mit der Erhöhung der Vermögensteuer und mit dem Wegfall der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer der Wirtschaft eine besitzabhängige Steuer als eine zu hohe Last auferlegt.

(Strauß [CDU/CSU] : Natürlich, Substanzbesteuerung — Herr Friderichs!)

— Ja, ich komme auf das Thema „Friderichs" auch zurück. Ich werde jeden Punkt sehr säuberlich behandeln, den Sie erwähnt haben, wenn es irgend geht.
Aber ist es denn nicht eigentlich so gewesen, daß in der Schlußberatung im Vermittlungsausschuß Sie durch Herrn Stoltenberg gesagt haben: nein, wir wollen unbedingt an unserem Modell des Sonderausgabenabzugs festhalten und sind nicht bereit, eine Erleichterung bei der Vermögensteuer hinzunehmen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt nicht!)

Sie haben doch im letzten Augenblick dafür gesorgt, daß das nach meiner Überzeugung — ich habe das immer gesagt — falsche System des Sonderausgabenabzugs aufrechterhalten wurde und daß die Vermögensteuer in dieser Höhe Wirklichkeit geworden ist. Tun Sie doch nicht so, als wären Sie an all diesen Dingen nicht mitschuldig gewesen!

(Strauß [CDU/CSU] : Sie haben doch die Mehrheit! Zuruf von der CDU/CSU: Wie haben Sie denn abgestimmt?)

— Herr Strauß, wir kommen gleich auf die Frage zurück, wer hier die Mehrheit hat. Das ist ja das Problem „Bundesrat" oder, genauer gesagt, das Problem „Vermittlungsausschuß”, den Sie mit Ihrer Politik inzwischen zur dritten Kammer der Gesetzgebung gemacht haben.

(van Delden [CDU/CSU] : Jetzt ist es wieder nicht richtig! Eben haben wir zugestimmt, jetzt haben wir abgelehnt, und es ist jedesmal nicht richtig!)

Meine Damen und Herren, die Steuerüberlegungen, auf die Sie heute morgen abgehoben haben, als Sie Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs zitiert haben, werden wir selbstverständlich anstellen; wir werden uns selbstverständlich mittel- und langfristig überlegen, ob wir zu Änderungen und Erleichterungen kommen müssen und können. Wir werden das untereinander diskutieren. Deswegen ist noch lange nicht jemand aus der Regierung ausgeschieden. Wahrscheinlich ist das für Sie ein ganz ungewohntes und nicht nachvollziehbares Gefühl, daß jemand auch seine eigene Meinung innerhalb einer Regierung vertreten kann.
Sie haben in all diesen Fällen, meine Damen und Herren, den Bundesrat zur Verlängerung Ihrer Politik benutzt. Das sei Ihnen unbenommen. Die Mehrheitsverhältnisse sind ja so. Das ist in Ordnung. Aber daraus entsteht selbstverständlich auch Mitverantwortung für die Politik, die hier beschlossen worden ist und die Sie, wie Sie mit Ihren Zwischenrufen soeben deutlich gemacht haben, auch zum Scheitern hätten bringen können.

(Zuruf des Abg. Dr. Wagner [Trier] [CDU/ CSU])

Ich sage dies nicht — das zum Abschluß dieses Kapitels —, um die Regierung in irgendeiner Form von ihrer Verantwortung oder die Regierungsfraktionen in irgendeinem Punkte von ihrer Verantwortung zu entlasten. Aber ich sage ganz klar, daß es nicht angeht, daß Sie einizig und allein mit dem Finger auf andere zeigen, weil wir uns alle miteinander gemeinsam in dieses Boot gesetzt haben.

(Abg. Dr. Zeitel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Sofort! Darf ich noch einen Satz sagen, Herr Professor Zeitel: Um auf ,das Rezept oder die Alternative zurückzukommen: Es ist keine Verpflichtung der Opposition — wir wissen das —, eine Alternative aufzuzeigen; was die Wähler dazu sagen, ist eine andere Frage. Nur erlauben Sie uns dann die Formulierung: Sie haben keine Alternative, und Sie sind eben auch keine Alternative.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719922900
Zu einer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Zeitel.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0719923000
Graf Lambsdorff, wenn Sie persönlich erklären, daß für Sie die Erhöhung der Vermögensteuer falsch war, können Sie dann dem Hohen Haus vielleicht erklären, warum in einem viel früheren und zweckmäßigen Stadium der steuerpolitischen Auseinandersetzung die FDP für eine Erhöhung und nicht dagegen, wie wir das gewollt haben, gestimmt hat?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719923100
Herr Professor Zeitel, dies ist eine Frage, ,die, wie Sie genau wissen, natürlich ein Kompromiß gewesen ist,

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Nein!)

der zustande gebracht werden mußte. Im übrigen hat die FDP seit vielen Jahren — nur müssen wir dann zu einer ganz anderen Regelung auf der Einkommensteuerseite kommen —, nämlich seit einer Steuerreformkommissionsarbeit im Jahre 1970, für die völlige Abschaffung der Vermögensteuer plädiert. Dies wäre nach unserer Zielsetzung, wenn wir eine andere Steuerquelle dafür aufmachen — etwas anderes kann man dem Finanzminister nicht zumuten —,

(Zurufe von der CDU/CSU)

immer die richtige Lösung gewesen. Wir sind aber auch in vielen anderen Fragen, Herr Professor Zeitel — —

(Fortgesetze Zurufe von der CDU/CSU)




Dr. Graf Lambsdorff
— Meine Damen und Herren, Ihre Fröhlichkeit überrascht mich. Wir bilden uns jedenfalls nicht ein, daß wir 51 % in diesem Haus haben. Wir bleiben auf dem Teppich.

(Stücklen [CDU/CSU] : Dann machen Sie mal Vorschläge!)

Meine Damen und Herren, darf ich auf einen weiteren Punkt zurückkommen!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719923200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719923300
Ja, wenn das nicht von meiner Redezeit abgeht, selbstverständlich!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719923400
Natürlich nicht.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0719923500
Herr Kollege Graf Lambsdorff, machen Sie nicht den Versuch, sich hier im Parlament genauso aus der Verantwortung der Regierung hinauszudrücken, wie das zum Teil draußen in der Öffentlichkeit geschieht, wenn Sie zum Beispiel vorhin Gesetze aufgeführt haben — Arbeitsförderungsgesetz, Lohnfortzahlungsgesetz — die in dieser Koalition, wenn sie zurückgenommen werden würden, doch sicherlich soziale Demontage bedeuten würden.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719923600
Herr Kollege Leicht, über das Stichwort „soziale Demontage" haben wir hier auch schon am 17. September gesprochen, und was das Zustandekommen dieser Gesetze, die Sie eben zitiert haben, anlangt, so ist das ja mit sehr unterschiedlichen Mehrheiten und in sehr unterschiedlichen Formationen geschehen. Im übrigen macht niemand von uns den Versuch — ich habe das eben betont —, sich aus der Verantwortung für die Regierungsarbeit irgendwo hinauszustehlen. Wir stehen für diese Regierung, wir stehen für diese Regierungszusammenarbeit, und wir tragen auch gemeinsam die Verantwortung für diese Arbeit.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Sehr gut! — Leicht [CDU/CSU]: Draußen machen Sie Steuervorschläge, hier haben Sie nicht den Mut, das zu tun!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719923700
Graf Lambsdorff, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719923800
Ja, gerne!

Dr. Hansjörg Häfele (CDU):
Rede ID: ID0719923900
Graf Lambsdorff, würden Sie mir bestätigen, daß auch die FDP unsere wiederholten Anträge, die Vermögensteuer nicht anzuheben, abgelehnt hat?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719924000
Im Vermittlungsausschuß, Herr Kollege Häfele, sah die Situation — ich habe sie eben geschildert — anders aus.

(Dr. Häfele [CDU/CSU] : Hier im Plenum des Deutschen Bundestages und im Finanzausschuß!)

— Im Plenum des Deutschen Bundestages, das wissen Sie sehr genau, halten wir uns an die Vereinbarungen, die wir mit dem Koalitionspartner getroffen haben.

(Lachen bei der CDU/CSU)

— Das stört Sie zwar, meine Damen und Herren, aber dies ist eine stehende Regel, die Sie ganz genau kennen und von der Sie wissen.

(Dr. Ritz [CDU/CSU] : Wir registrieren das nur! — Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Dann reden Sie auch nur über das, was Sie vereinbart haben, und tun Sie nicht immer so, als ob! — Strauß [CDU/CSU]: „His master's voice" !)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719924100
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel?

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0719924200
Graf Lambsdorff, meinen Sie, daß es gut ist, daß Sie hier eine politische Auseinandersetzung über die Funktion des Bundesrates führen, wenn Sie speziell als FDP in den zuständigen Ausschüssen in einer sehr viel angemesseneren Weise die Möglichkeit haben, für das einzutreten, was Sie nach außen hin verkünden?

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. MüllerHermann [CDU/CSU] : Sehr wahr!)


Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719924300
Dies sind zwei völlig unvergleichbare Größen, Herr Professor Zeitel. Ich habe Ihnen ausdrücklich gesagt, daß die Funktion des Bundesrates und die Wahrnehmung Ihrer Mehrheit im Bundesrat berechtigt ist und nicht beanstandet werden kann. Ich sage nur, daß daraus Verantwortung folgt und teilweise Mitverantwortung. Dies ist der Punkt, und wir werden solche Entwicklungen in absehbarer Zeit wieder erleben, und zwar einfach deswegen,

(Zuruf des Abg. Leicht [CDU/CSU])

Herr Kollege Leicht, weil Sie sich darüber im klaren sind, daß man bestimmte Dinge nicht einfach mit einem Nein versehen und damit ungelöst und unbeantwortet lassen kann. Ich sage sogar, Herr Professor Zeitel, daß dies im Grunde ein Standpunkt ist, der Sie ehrt; denn soweit können auch Sie nicht gehen, daß Sie mit einer Mehrheit alle Möglichkeiten von Konjunkturpolitik, von Steuerpolitik schlichtweg blockieren und im Nein enden lassen. Das kann kein Verantwortlicher in diesem Lande wollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu einem anderen Thema kommen. Herr Kollege Strauß, Sie haben heute morgen die Frage des Zusammenhangs von Export und Auslandsnachfrage behandelt. Dabei haben Sie unentwegt den Überschuß in der Handelsbilanz — Sie sprachen vom Exportüberschuß — mit dem Außenhandelsbeitrag verwechselt und sind dabei natürlich zu falschen Schlüssen gekommen.

(Strauß [CDU/CSU] : 56 : 40)

— Herr Kollege Strauß, wir werden im Jahre 1975
— ich muß das Haus leider mit ein paar Zahlen



Dr. Graf Lambsdorff
langweilen, werde aber versuchen, es ganz kurz zu machen — vermutlich, 29,7 Milliarden DM Handelsbilanzüberschuß nach 39,8 Milliarden DM im Jahre 1974 erreichen. Die Rechnung ist für die letzten Monate geschätzt. In realen Preisen von 1962 bedeutet dies, daß wir im Jahre 1975 einen Handelsbilanzüberschuß von 13,9 Milliarden DM nach 33,5 Milliarden — reale Preise auf 1962 bezogen — im Jahre 1974 haben werden. Meine Damen und Herren, das ist in realen Preisen von 1962 ein Minus von 20 Milliarden DM, und das ist der Einfluß der fehlenden außenwirtschaftlichen Nachfrage auf die konjunkturelle Entwicklung in diesem Jahr.

(Zuruf des Abg. Dr. Zeitel [CDU/CSU])

Ich darf Ihnen das noch mit einer zweiten Zahl belegen. Die Auftragseingänge aus dem Ausland lagen im vierten Quartal 1974 um 9 % niedriger als im ersten Halbjahr 1974, und die Auftragseingänge im vierten Quartal bestimmen bekanntlich die Beschäftigung im nächstfolgenden Jahr. Im ersten Halbjahr 1975 lagen die Auftragseingänge aus dem Ausland um 20% niedriger als im ersten Halbjahr 1974. Dies sind die saisonbereinigten Zahlen, die die Deutsche Bundesbank veröffentlicht hat. Das heißt also, der Einbruch der Auslandsnachfrage, wie ihn ja auch die Gutachten bestätigt haben, hat sich außergewöhnlich stark bemerkbar gemacht. Dieser massive Ausfall, meine Damen und Herren, ist durch binnenwirtschaftliche Maßnahmen, wie wir doch inzwischen wissen, nicht zu kompensieren.
Im übrigen, Herr Strauß, sehen Sie sich doch bitte die problematische Situation — jedenfalls kann sie problematisch werden — unserer Leistungsbilanz an. Sie ist belastet durch Kapitalexporte, Dienstleistungen, Tourismus, Gastarbeiter usw. und kann im zweiten Halbjahr 1975 seit langer Zeit zum erstenmal wieder defizitär sein. Dann werden wir froh sein, daß wir sie mit Überschüssen aus der Handelsbilanz finanzieren können. Diese Überschüsse brauchen wir demgemäß. Das heißt für uns, meine Damen und Herren, für meine Freunde und mich, daß es einen Zugriff auf die Währungsreserven für andere Zwecke nicht geben kann und nicht geben darf. Wir würden auf einem sehr viel diffizileren und sehr viel empfindlicheren Gebiet einen methodisch ähnlichen Fehler wie bei der Verwendung der Gelder der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes machen, das Ihre Regierung mit Ihrer Zustimmung, Herr Strauß, seinerzeit verabschiedet hat.

(Zuruf des Abg. Leicht [CDU/CSU])

— Sie, Herr Kollege Leicht, haben heute morgen die Frage hingeworfen: Wie kann man denn in der gegenwärtigen Situation den Export mit einem Fragezeichen versehen? Wir müssen uns trotzdem, Herr Kollege Leicht, die Frage stellen, ob der Export in dieser Industrielandschaft, in dieser Wirtschaftslandschaft strukturell so bleiben kann oder ob wir uns überlegen müssen, daran etwas zu ändern.

(Leicht [CDU/CSU] : Ich habe nichts anderes gesagt!)

Herr Kollege Strauß hat heute gesagt: Wer behauptet, am strukturellen Defizit sei das Ausland schuldig, macht sich lächerlich.
Herr Strauß, bei Ausland meint man immer andere Regierungen, aber setzen Sie einmal für „Ausland" das Wort „Export", und dann frage ich Sie: Haben Sie über diese Formulierung, über den Inhalt dessen, was Sie da gesagt haben, wirklich nachgedacht?
Wir haben im Jahre 1973 die Überhitzung im wesentlichen aus der Auslandsnachfrage erlebt und haben uns dann mit dem Problem der Investitionszulage und der Investitionssteuer — ich komme noch darauf zurück — hier herumzuschlagen gehabt. Und wir haben 1975 — die Zahlen weisen es doch aus — die Probleme der Rezession — wieder wesentlich außenwirtschaftlich bedingt; ich sage: mitbedingt, nicht allein bedingt — hier zu verzeichnen. Wenn man aber für zwei so unterschiedliche Situationen denselben Störfaktor ausfindig machen kann, liegt doch der Schluß nahe, daß es sich um ein strukturelles Problem handelt; um einen Störfaktor handelt es sich doch zweifellos.
Man braucht sich nur einmal zu erinnern, meine Damen und Herren, wie überdimensional die Restriktionspolitik der Bundesbank im vergangenen Jahr, also 1974, ausfallen mußte, um nur die schlimmsten inflationären Auswüchse zu verhindern. Und man muß sich deutlich vor Augen führen, wie wenig die großen öffentlichen Anregungsprogramme in diesem Jahr bisher einen Konjunkturaufschwung einleiten konnten.

(Strauß [CDU/CSU] : Der sich durch 60 000 mehr Arbeitslose auszeichnet!)

— Ich komme auf den Aufschwung noch zurück.

(Erneuter Zuruf des Abg. Strauß [CDU/ CSU])

Ich habe ja gesagt, daß er noch nicht eingeleitet war. — Die Außensteuerung der deutschen Wirtschaft ist so intensiv, daß sie binnenwirtschaftliche Maßnahmen immer wieder entscheidend schwächt. Wenn aber Maßnahmen mit Rücksicht auf die internationale Entwicklung ständig überdimensioniert werden müssen, ist das Ziel einer tendenziellen Verstetigung — und das ist das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister immer wieder sagt — des Konjunkturablaufs gar nicht zu erreichen. Und dann kommt das, was Sie als Stop-and-Go-Politik bezeichnet haben. So mußte doch, Herr Strauß, vor dem Ausbruch der Energiepreiskrise, in einem Zeitpunkt, als die Preissteigerungsraten nach oben gingen, als die Überhitzung klar war, die Investitionssteuer beschlossen werden. Der Einbruch der Weltrezession und damit das Nachlassen der binnenwirtschaftlichen Nachfrage mußten uns dazu führen, mit der Investitionszulage etwas Ankurbelndes zu tun.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Zugunsten der Großwirtschaft!)

Da kann man doch nun nicht einfach simpel davon sprechen, daß man rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln ginge. Dazwischen liegt eines der entscheidenden wirtschaftspolitischen Ereignisse der Nachkriegszeit.



Dr. Graf Lambsdorff
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zur Investitionszulage sagen. Sie waren damals, Herr Strauß, gegen die Investitionszulage; ich weiß das. Aber ich möchte Sie fragen: In welcher Situation befänden wir uns eigentlich ohne diese Investitionszulage? Wir haben zum 30. Juni einen beachtlichen Auftragseingang,

(Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : 5 Milliarden DM!)

eine beachtliche Steigerung bekommen. Und wir haben, wie Sie jetzt sehen können, das vielbefürchtete Loch in den Auftragseingängen nicht bekommen.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU]: Abwarten!)

— Bisher ist es nicht da, Herr Müller-Hermann. — Wenn wir es schaffen

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Abwarten!)

— das sage ich jetzt gerade! —, daß sich eine Anschlußentwicklung ergibt, die trägt — und die neuesten Zahlen, die heute morgen veröffentlicht worden sind, geben einen Hinweis darauf —, dann war diese Investitionszulage in vollem Umfange gerechtfertigt. Und ich schließe mich dem Urteil des Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank an: Die Investitionszulage war sehr viel besser als ihr Ruf.

(Stücklen [CDU/CSU]: Für die Großwirtschaft!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719924400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719924500
Bitte sehr!

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0719924600
Graf Lambsdorff, würden Sie vielleicht bestätigen, daß in diesem Hohen Hause bei der Stabilitätsdebatte die Opposition vorgeschlagen hat, was den eigentlichen Diskussionsstreitpunkt bildete, nicht die Investitionssteuer einzuführen, die die gerade aufkeimende Investitionsneigung abtöten mußte, sondern einen durchgehenden Konjunkturzuschlag zu erheben, der nach dem Stabilitätsgesetz möglich war — es ist auch angeboten worden, über die Verzinsung zu reden —, den Sie aber als schlechte Lösung bezeichnet haben, und daß diese Alternative der Opposition im Nachhinein eindeutig die bessere Verfahrensweise gewesen wäre?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719924700
Ich bin keineswegs sicher, daß das im Nachhinein die bessere Verfahrensweise gewesen wäre. Denn das, was wir erreichen wollten, nämlich das Schwungrad mit einem massiven Anstoß in Bewegung zu setzen, konnten Sie nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, mit einer bestimmten Begrenzung und mit einer bestimmten Befristung.

(van Delden [CDU/CSU] : Sie reden über zwei verschiedene Dinge!)

Dies haben wir gewollt, und dies haben wir erreicht.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0719924800
Aber Graf Lambsdorff, meine Frage richtete sich nicht, wie Ihre Antwort erkennen läßt, auf die Investitionszulage, sondern auf die Investitionssteuer. Sie müssen auf die Frage eingehen.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719924900
Herr Zeitel, Sie können doch nicht sagen, daß die Investitionssteuer in einem Zeitpunkt gekommen sei, wie Sie soeben formuliert haben, wo die dringend benötigten Investitionen gerade anfingen. Die Investitionssteuer haben wir zu einem Zeitpunkt beschlossen, als wir so auf dem Boom waren, daß wir jede Überhitzungserscheinung befürchten und sie bekämpfen mußten. Das war doch das Ziel.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719925000
Es ist noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Narjes gewünscht. Lassen Sie sie noch zu? — Bitte!

(Stücklen [CDU/CSU] : Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln!)


Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU):
Rede ID: ID0719925100
Graf Lambsdorff, der Bundesfinanzminister hat in der Haushaltsrede die Investitionen, die durch Investitionszulage bewirkt worden sind, mit zusätzlich 5 Milliarden DM beziffert, also mit weniger, als sie insgesamt gekostet haben. Sind Sie angesichts dieser Zahl bereit, zuzugeben, daß sie ein Fehlschlag war?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719925200
Nein, ich bin nicht bereit, zuzugeben, daß das ein Fehlschlag war, wobei ich allerdings sagen muß, daß ich Zweifel habe, ob man das Endergebnis mit 5 Milliarden heute schon nennen kann. Darüber gibt es Meinungsverschiedenheiten mit dem Finanzminister. Übrigens ist es sehr schwer zu sagen, Herr Kollege Narjes, was zusätzliche Investitionen sind, die durch die Investitionszulage bewirkt wurden, und was vorgezogene Investitionen sind.

(Leicht [CDU/CSU]: Genau das! — van Delden [CDU/CSU] : Genau das ist der Kern!)

— Jawohl, genau das wollten wir! Ich höre immer wieder das Geschrei, das seien Investitionen, die sonst auch getätigt worden wären. Wir wollten sie doch auf den 29. Juni vorziehen, damit wir sie auf einen Hieb bekamen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich verstehe überhaupt nicht, daß das nicht begriffen wird. Sehen Sie sich doch einmal die große deutsche Industrie und das an, was Herr Plettner und andere nach dem 30. 6. über die Investitionszulage gesagt haben! Es ist geradezu lachhaft, daß man dieses Argument immer widerlegen muß!

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Ein Geschenk an die Großen! — van Delden [CDU/ CSU] : Das ist ein Geschenk an die Großen! Die Kleinen haben nichts davon!)




Dr. Graf Lambsdorff
— Herr van Delden, es war kein Geschenk an die Großen, sondern es war ein Geschenk an alle diejenigen, die Investitionen vorziehen konnten.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Wer kann das denn?)

— Ich weiß gar nicht, was Sie von der Flexibilität und der Anpassungsfähigkeit mittelständischer Betriebe halten! Meine Damen und Herren, die sind viel anpassungsfähiger, viel flexibler und viel marktwirtschaftlicher als die Mittelstandsvereinigung Ihrer Fraktion!

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die sind durchaus in der Lage — und zwar gerade die kleinen Unternehmen —, sich auf solche Möglichkeiten einzustellen, und haben davon natürlich auch Gebrauch gemacht.

(Stücklen [CDU/CSU] : Fragen Sie mal den Mittelstand!)

— Herr Kollege Stücklen, wir können unsere theoretischen und praktischen Erfahrungen mit der Wirtschaft gern noch einmal austauschen. Ich stehe jederzeit zu Ihrer Disposition.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat eines gesehen und in seiner Haushaltsrede wie ich finde — sehr zu Recht gesagt. Er hat gesagt, das Sparen im Haushalt 1976 allein reiche natürlich nicht aus, um uns aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten langfristig herauszubringen. Ich bin der Auffassung, daß ihm das hoch anzurechnen ist, daß es dieser Regierung überhaupt hoch anzurechnen ist, daß die Karten auf den Tisch gelegt werden. Es ist dem Finanzminister hoch anzurechnen, daß er mit Offenheit gesprochen hat. Meine Damen und Herren! Ein Finanzminister erfüllt seine Aufgaben nicht, wenn man nicht gelegentlich — und manchmal häufig — Ärgernis an ihm nimmt, und auch in dieser Hinsicht muß ich dem Herrn Kollegen Apel zugestehen, daß er seine Aufgaben erfüllt. Ich ärgere mich auch manchmal kräftig über ihn, aber diesmal ist seine Offenheit vorbehaltlos anzuerkennen und vorbehaltlos zu loben, und es wird unsere Aufgabe sein, die notwendigen Folgerungen schon morgen und in den nächsten Beratungen — morgen kommt die erste Nagelprobe — daraus zu ziehen.
Die Frage, meine Damen und Herren, ist die, ob wir — wie man es nun nennen will — das Glück haben oder die Tüchtigkeit besitzen oder beides zusammen — wahrscheinlich wird beides zusammen nötig sein —, daß uns die konjunkturelle Entwicklung dabei helfen kann. Und da — das wissen Sie
— kann man mit Befriedigung von den heutigen Zahlen über die Auftragseingänge aus dem ln- und Ausland berichten. Sie zeigen, daß wir von August zu September dieses Jahres ein Plus von 12 % haben und daß wir auch im Vergleich zum Vorjahr
— zugegebenermaßen ein bescheidener Vergleichszeitraum und eine bescheidene Vergleichsgrundlage; das wird gar nicht bestritten — mit einem Plus von 6% aufwarten können. In einigen Bereichen unserer Wirtschaft sieht es bedeutend besser aus, dafür in anderen schlechter. Die Automobilindustrie befindet sich heute, vom Auftragsbestand her gesehen, in der Situation des September 1973. Das war die Spitze der Konjunktur. Das ist eine erfreuliche Feststellung, und wir wollen hoffen, daß die Tendenz anhält. Die Verbrauchernachfrage nimmt nach Berichten der Bundesbank seit zwei Monaten real zu, und was mir ein besonderes Indiz zu sein scheint — auch die Kreditnachfrage der privaten Wirtschaft springt seit etwa August 1977 wieder an. Dies alles bedeutet natürlich nicht, daß wir uns demnächst wieder auf den Gipfel der Konjunktur zubewegen werden, sondern das bedeutet, daß wir eine Wiedererholung von einem tiefen Stand der wirtschaftlichen Entwicklung sich einleiten sehen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Daß wir im Keller herumtapsen!)

— Ich weiß nicht, ob wir im Keller herumtapsen, Herr Kollege Zeitel. Im Keller lassen wir Sie gern allein; wir befinden uns zumindest schon wieder im Erdgeschoß.
Meine Damen und Herren! Wir haben nun die Frage zu beantworten, ob sich dieser Aufschwung

(Zuruf des Abg. Dr. Müller-Hermann [CDU/ CSU])

Es ist immer besser, man hat die Nase wieder am Licht, Herr Müller-Hermann, als daß man unter der Oberfläche sitzt!

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Wir sind immer noch im Minus, Graf Lambsdorff!)

— Nein, wir sind natürlich nicht mehr im Minus. Sie werden das Bruttosozialprodukt in den letzten Monaten dieses Jahres selbstverständlich im Plus sehen, was insgesamt im Jahre 1975 — —

(Dr. Zeitel [CDU/CSU]: Na also!)

— Nun sagen Sie doch nicht: wir sind immer noch im Minus. Wenn Sie sagen, wir seien 1975 noch im Minus, sage ich Ja. Heute sind wir im Plus. Das Bruttosozialprodukt wächst geringfügig, aber es wächst stetig.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Aber so schnell kann Herr Müller-Hermann das doch nicht merken! Ich bitte Sie!)

— Diesmal ging es um Herrn Zeitel.
Meine Damen und Herren, wir werden nur die Frage zu beantworten haben, wie sich dieser Aufschwung vollziehen und mit welcher Geschwindigkeit sich das entwickeln kann.

(Stücklen [CDU/CSU] : Sonst kommt wohl die Überkonjunktur?)

Ich glaube, wir sollten zufrieden sein, wenn wir nicht das bekommen, was man „V-Aufschwung" nennt, sondern einen mäßigen Aufschwung.

(Strauß [CDU/CSU] : Sie bremsen wohl schon wieder? — Heiterkeit bei der CDU/ CSU)




Dr. Graf Lambsdorff
— Herr Strauß, wir bremsen Sie, aber nicht den Aufschwung.

(Beifall bei der FDP und der SPD Strauß [CDU/CSU]: Unmöglich! Dazu sind Sie viel zu klein!)

— Herr Strauß, jeder hat sein Südstaaten-Problem. Sie sind das unsere, und wir müssen sehen, daß wir damit fertigwerden.
Wir werden die Entwicklung mit Vorsicht anzugehen haben und werden ohne Euphorie die weitere Entwicklung betrachten. Es gibt in vielen Branchen der deutschen Wirtschaft — und das wird auch weiterhin der Fall sein — sowohl konjunkturelle Probleme als vor allem auch — das hat die Entwicklung gezeigt, und die Probleme sind nicht von heute auf morgen verschwunden — strukturelle Probleme, die auch strukturelle Bereinigungen erfordern. Ich will das nicht im einzelnen ausführen, sondern nur einige Probleme andeuten: Die Wandlung der deutschen Volkswirtschaft zu stärkerer Betonung des tertiären Sektors, also des Dienstleistungsbereichs, wird, so meine ich, unumgänglich sein. Wir werden uns zunehmend mit energiepolitischen Problemen und Schwierigkeiten auseinanderzusetzen haben, die eher schwieriger geworden sind, als sie es in der Vergangenheit waren. Wir werden dem Problem der Innovationsförderung große Aufmerksamkeit widmen müssen. Für all das werden wir zwei Voraussetzungen schaffen müssen: Erstens werden wir eine realistische Finanzgebarung der öffentlichen Hände brauchen, und wir werden — Herr von Bülow, lassen Sie mir ein bißchen Kinderglauben — marktwirtschaftliche Prinzipien bei der Bewältigung dieser Probleme in unserer Wirtschaft durchsetzen und aufrechterhalten müssen.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Wieso Kinderglaube?)

Was das Finanzgebaren der öffentlichen Hände anlangt, so steht meine Fraktion auf dem Standpunkt, daß der Haushaltsentwurf, den die Regierung vorgelegt und der Finanzminister gestern eingebracht hat, den richtigen Weg weist und daß wir uns auf dem Weg zu einer vernünftigen, maßvollen und gesunden wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklung befinden.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß [CDU/CSU] : Jetzt sind wir sehr getröstet!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719925300
Das Wort hat Herr Staatsminister Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0719925400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da Herr Professor Carstens in seiner Rede auf einige außenpolitische Fragen eingegangen ist, bitte ich um Verständnis, daß ich jetzt den wirtschaftspolitischen Höhenflug einen Moment unterbrechen muß, um auf diese Themen einzugehen.
Zunächst möchte ich mich bei Herrn Professor Carstens ausdrücklich dafür bedanken, daß er dem Hohen Hause mitgeteilt hat, warum der Bundesaußenminister heute hier verhindert ist, nämlich wegen seiner europäischen Verpflichtungen.
In der Sache selbst, Herr Professor Carstens, habe ich mich doch in einigen Einzelheiten — die ich hier nur kurz abhandeln kann, weil sie ja, z. B. die Vereinbarung mit Polen, demnächst auf der Tagesordnung des Bundesrates und des Bundestages stehen — sehr gewundert, wie erfolgreich es Ihnen bei einer sehr allgemeinen Darstellung mit Ihrer Kritik gelungen ist, zu verbergen, daß Sie die außenpolitischen Themen doch wirklich kennen. Die Angriffe, die Sie in dieser pauschalen Form gegen den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundesaußenminister vorgetragen haben, Herr Professor Carstens, muß ich mit Entschiedenheit zurückweisen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich habe den Eindruck, daß Sie eine Art Stereotype aufgestellt haben, die etwa in dem Satz, den Sie heute gebraucht haben, gipfelte: die Bundesregierung, speziell der Bundeskanzler, vertrete die Interessen unseres Landes schlecht.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So ist es!)

-- Was Sie als Beleg dafür vorgebracht haben, Herr Professor Carstens, sind keine Beweise, sondern Behauptungen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf von der SPD: Wider besseres Wissen!)

— Ich unterstelle nicht, daß dies wider besseres Wissen geschehen ist, sondern ich bedaure es sehr, daß Herr Professor Carstens z. B. in der Frage der Rentenleistungen für Polen ganz offensichtlich noch nicht den vollen Stand der notwendigen Information erreicht hat.

(Dr. Ehrenberg [SPD] : Das ist aber traurig!)

Anders wäre das in der Tat zum Teil nicht zu verstehen gewesen, was hier an Einwänden vorgebracht worden ist. Ich will es hier nur mit einem einzigen Hinweis bewenden lassen, Herr Professor Carstens. Tatsache ist doch, daß nach Inkraftsetzung eines solchen Abkommens für einige 100 000 Menschen deutscher Volkszugehörigkeit und für andere, die einst Beiträge in die deutsche Sozialversicherung entrichtet haben, Rechtsansprüche auf Rentenleistungen entstehen, die bisher nicht bestanden haben,

(Zustimmung bei der SPD)

Ansprüche, die nun eingeklagt werden können, während die Betroffenen bisher auf Beihilfen oft unzulänglicher Art angewiesen gewesen sind.

(Stücklen [CDU/CSU] : Warum werden sie jetzt eingeklagt?)

— Herr Kollege Stücklen, weil es sich um ein Abkommen handelt, das innerstaatliches Recht in der Volksrepublik Polen schafft.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719925500
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pawelczyk?




Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0719925600
Bitte schön!

Alfons Pawelczyk (SPD):
Rede ID: ID0719925700
Herr Minister, hat das Auswärtige Amt oder die Bundesregierung der Opposition, insbesondere dem Vorsitzenden der Oppositionsfraktion, die Information vorenthalten, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Herr Professor Carstens es sonst auf Grund des Informationsstandes, angeboten durch die Bundesregierung, hätte besser wissen müssen, als er es heute zum Ausdruck gebracht hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0719925800
Herr Kollege Pawelczyk, ich will darüber nicht streiten. Tatsache ist, daß die erste Lesung dieser Vorlage noch nicht stattgefunden hat, so daß ich annehmen kann, daß Herr Professor Carstens — da die Einzelheiten in den Ausschüssen noch nicht behandelt worden sind — dies nicht unbedingt wissen mußte. Die Frage ist, ob er dann in dieser Form dazu Stellung nehmen konnte.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Herr Professor Carstens, alle die Einlassungen zu diesem Thema, die Sie gewissermaßen wieder mit dem Hinweis relativieren wollten, daß dann, wenn Sie erst in der Lage seien — etwa Ende des nächsten Jahres —, die Außenpolitik der Bundesregierung zu bestimmen, eine wirklich aktive Politik der Aussöhnung mit Polen betrieben werde,

(Wehner [SPD] : Das kann man sich denken!)

stellen in der Tat eine verwunderliche Volte dar, die Sie hier geschlagen haben.

(Wehner [SPD]: Sehr richtig!)

Diese aktive Aussöhnungspolitik müßten Sie auch wirklich betreiben, wenn Sie Gelegenheit haben sollten, das, was Sie hier an Kritik vorgetragen haben, zur politischen Realität werden zu lassen. Dann wären Sie in der Tat voll damit beschäftigt, die Scherben wieder zu kitten, die Sie vorher produziert haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich glaube nicht, daß man mit dieser Art von pauschaler Beurteilung der Ostpolitik der Bundesregierung irgend jemandem — am allerwenigsten den betroffenen Deutschen in Polen — einen Gefallen getan hat oder tun kann.

(Beifall bei der FPD und der SPD)

Ich halte Ihr Zukunftsversprechen von der aktiven Aussöhnungspolitik für nichts anderes als einen Beitrag zur Mystifikation.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719925900
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hösl?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0719926000
Bitte schön!

Alex Hösl (CSU):
Rede ID: ID0719926100
Herr Staatsminister, könnten Sie dem Hohen Hause die Rechtssystematik für den Anspruch des Betroffenen und die Kriterien, die die Summe in der Errechnung ergeben hat, wiedergeben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0719926200
Herr Abgeordneter Hösl, das wird in der Tat geschehen. Es ist dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates gegenüber auch schon geschehen. All das soll noch im November vom Bundesaußenminister hier im einzelnen dargelegt werden. Nicht wir haben die Debatte über diese Frage heute eröffnet; das hat der Führer der Oppositionsfraktion getan. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt nicht — es sei denn, Sie wollten mich hier eine längere Zeit in Anspruch nehmen lassen — eine Debatte vorwegnehme, die das Haus für das Ende des Monats festgesetzt hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Wohlrabe [CDU/CSU] : Das ist nicht festgesetzt!)

— Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Zwischenrufe können nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier von dem Vorsitzenden Ihrer Fraktion ganz offensichtlich ein aus den Umständen heraus durchaus verständlicher, aber möglicherweise den deutschen Interessen nicht unbedingt dienlicher Versuch der Ablenkung von Ihren eigenen Schwierigkeiten unternommen worden ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich möchte auch ganz ausdrücklich sagen, daß die Pauschalangriffe auf die Politik der Bundesregierung — ganz besonders auf den Herrn Bundeskanzler — in Wirklichkeit Angriffe auch auf die Politik des westlichen Bündnisses einschließen,

(Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

denn die Entspannungspolitik der Bundesregierung, die sicherlich noch große Schwierigkeiten vor sich hat und auch in der Vergangenheit viele Schwierigkeiten überwinden mußte — wir wollen diese Schwierigkeiten nicht verkleinern —, ist eine Politik, die von der deutschen Bundesregierung im Zusammenwirken mit und im Interesse des gesamten Westens eingeleitet und betrieben worden ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Diese Tatsache kann man nicht durch einen solchen pauschalen Angriff aus der Welt schaffen, vor allem dann nicht, wenn wir dabei zunehmend das Gefühl haben müssen, es handle sich um die Neuauflage einer sattsam bekannten Germanozentrik, die dem deutschen Volk noch nie genützt hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ganz besonders gilt das auch für die Hinweise und die Angriffe auf die Berlin-Politik der Bundesregierung. Es ist doch einfach unredlich, so zu tun, als ob diese Politik, die von den drei Westmächten mitgetragen wird — die dafür eine besondere Verantwortung haben --, nicht in großen Teilen erfolgreich gewesen sei.

(Beifall bei der FDP und der SPD)




Staatsminister Moersch
Daß es in den Bereichen der Außenvertretung Schwierigkeiten gab und Schwierigkeiten gibt — ich habe es leicht, zu prophezeien: auch künftig Schwierigkeiten geben wird —, kann für diejenigen, die sich mit dieser Politik professionell befaßt haben wie etwa Herr Professor Carstens, doch wohl nicht ganz überraschend kommen; denn wenn es anders wäre, Herr Professor Carstens, hätten ja frühere Bundesregierungen z. B. die Einbeziehung Berlins in das bekannte Kulturabkommen und in das Konsularabkommen erreichen können.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Den Eindruck zu erwecken, als ob diese Bundesregierung nun schlagartig alles das ändern müsse, was Ihnen in vielen Jahren niemals auch nur im Ansatz gelungen ist,

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sie haben doch den Moskauer Vertrag abgeschlossen!)

wird meiner Ansicht nach der Verantwortung, die Sie selbst als Vorsitzender einer so großen Fraktion haben, nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir stehen zu dem, was wir gesagt haben. Wir versuchen mit großer Beharrlichkeit, zusammen mit den Westmächten Stück für Stück die volle Anwendung und strikte Einhaltung der Bestimmungen des Viermächteabkommens zu erreichen. Aber wir wissen auch, daß es sehr oft Phasen gibt, in denen man den einmal gewonnenen Ansatz nicht sofort in allen Teilen verwirklichen kann. Die Beharrlichkeit gehört nun einmal dazu. Und es gehört auch dazu, daß etwa die Vereinbarungen der KSZE — auch das müßten Sie dein Hohen Hause mitteilen, wenn Sie den Herrn Bundeskanzler angreifen — nicht nur von der Bundesregierung gutgeheißen worden sind, sondern daß das Vereinbarungen sind, die wir in langen und schwierigen Verhandlungen, in enger Zusammenarbeit vor allem mit den neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft erreicht haben, und daß jeder Einzelteil für sich steht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719926300
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0719926400
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Es ist eben eine Unwahrheit zu behaupten, daß etwa der Korb 1 und der Korb 2 im Sinne der Sowjetunion und der Korb 3 im Sinne des Westens gewesen seien. Richtig ist, daß gerade im Korb 1 in der Formulierung Entscheidungen gefallen sind, die keineswegs den ungeteilten Beifall aller Staaten des Warschauer Paktes gefunden haben — ich will mich da nicht deutlicher ausdrücken; Sie wissen, was gemeint ist —, daß gerade hier von der Bundesregierung, zusammen mit ihren Freunden, erreicht worden ist, die Möglichkeit friedlicher Veränderung von Grenzen in das Dokument hineinzuschreiben, was bei anderen Gelegenheiten niemals möglich gewesen ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich verstehe nicht, wie man durch eine Kritik, die ich in diesem Punkte nur als destruktiv bezeichnen kann, die Erfolge des Westens in diesen Verhandlungen abwerten kann.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich füge hinzu: Wer ernstlich glaubt, eines baldigen Tages in diesem Lande Regierungsverantwortung übernehmen zu können oder übernehmen zu sollen, den wird man möglicherweise in einer höchst unangenehmen Weise vom Ausland her an solchen Einlassungen messen. Ich möchte Ihnen das eigentlich ersparen und hoffe, daß es dazu auch nicht kommt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das Gesamtkonzept des Westens muß sich in der Tat in der Praxis bewähren. Etwas anderes hat die Bundesregierung nie gesagt. Sie hat nie gesagt: Damit wird die Welt von heute auf morgen in unserem Sinne verändert, sondern sie hat gesagt: Wenn wir diesen Versuch nicht unternehmen, müssen wir uns genau den Vorwurf gefallen lassen, den Sie und Ihre Freunde sich gefallen lassen müssen, nämlich daß Sie Gelegenheiten, die einmal in der Geschichte gegeben waren, nicht ausgelotet und nicht versucht haben, sie zu nutzen.

(Beifall bei der FDP und der SPD) Eine Erfolgsgarantie gibt es in der Tat nicht.


(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie legen eine völlig veraltete Platte auf!)

Ich habe den Eindruck, Herr Professor Carstens, daß Sie durch die Art der Argumentation, die Sie nun von Debatte zu Debatte wiederholen — und ich möchte sagen: von Debatte zu Debatte mehr vereinfachen, was ihren wirklichen Möglichkeiten ja nicht ganz gerecht wird —, den Versuch machen, um jeden Preis für die Opposition Recht zu behalten, und zwar auch um einen Preis, den ich im Interesse unseres Volkes nicht bezahlen möchte.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Sie haben dem Fraktionsvorsitzenden der FDP und meinen Freunden vorgeworfen, sie würden zu bestimmten Tatbeständen im humanitären Bereich schweigen. Herr Professor Carstens, Sie sind den Beweis dafür ebenso schuldig geblieben wie für andere Behauptungen. Tatsache ist, daß die Freien Demokraten eine aktive Ostpolitik verlangt und gefordert haben zu einer Zeit, als Sie selbst mit in der Regierungsverantwortung standen und bestimmte Teile dieser Ostpolitik nicht haben wollten, und zwar genau die Teile, die Sie uns jetzt kritisch vorhalten. Einerseits behaupten Sie, wir hätten zuwenig in den Beziehungen mit der DDR erreicht, andererseits müssen Sie doch wohl, wenn Sie Ihr Gedächtnis bemühen, sich selbst eingestehen, daß Sie mit der DDR überhaupt keine Beziehungen unterhalten wollten und also auch gar nichts hätten erreichen können.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr! Die existierten überhaupt nicht!)

Ich erinnere mich genau, daß ich einmal einen Vortrag von dem damaligen Außenminister, dessen



Staatsminister Moersch
Staatssekretär Sie waren, über die Ostpolitik in der FDP-Fraktion im Jahre 1964 angehört habe, in dem uns sozusagen bewiesen werden sollte, daß man zwar Ostpolitik machen könne, aber die DDR vollständig negieren müsse. Das Illusionäre — um dieses Wort von Ihnen aufzugreifen — einer solchen Politik hat sich längst erwiesen.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

Wer dies nicht glauben sollte, wird wohl die Bemühungen der damaligen Bundesregierung nicht richtig eingeschätzt haben.
Ich glaube, Sie haben auf Grund Ihrer praktischen Erfahrungen eigentlich keinen Rechtstitel, hätte ich fast gesagt — das Wort ist hier sicher nicht ganz am Platze —, jedenfalls keinen hinreichenden Grund, ausgerechnet die Freien Demokraten, die sich für diese Politik eingesetzt haben,

(Zustimmung des Abg. Wehner [SPD])

zu kritisieren; denn in der Tat wollten Sie überhaupt eine ganz andere Politik. Sie glaubten doch, daß man durch beharrliches Neinsagen eines Tages die Mauern von Jericho einstürzen lassen könne. Das ist bisher nicht gelungen.

(Zuruf des Abg. Wehner [SPD])

Sie haben hier auch Kritik am Swing geübt, an diesem Warenkredit der DDR gegenüber. Sie haben ganz offensichtlich übersehen, daß nicht diese Bundesregierung diese Regelung eingeführt hat, sondern ganz andere Bundesregierungen, denen Sie sicher eng verbunden gewesen sind.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Wir haben Berlins Interessen vertreten!)

Das geschah in einem Umfang, der dem Warenaustausch entsprochen hat. Die Relation hat sich nicht geändert.
Ich frage mich, ob Sie dem deutschen Volk eigentlich die Tatsache verschweigen wollen, daß, wenn man Politik für die Menschen machen will, man diese Politik wohl mit den Regierungen machen muß, die dort die Macht ausüben, und nicht mit einem Phänomen, hätte ich beinahe gesagt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich bin sicher, daß gerade die Bevölkerung der DDR eine solche Politik des Alles oder Nichts, wie Sie sie heute wieder vertreten haben, nicht verstehen wird, weil sie nämlich zu Lasten dieser Bevölkerung gehen müßte.
Ich kann die pauschalen Angriffe, die Sie gegen die Bundesregierung geführt haben, nur so verstehen, daß dies die von Ihnen benötigte Einigungsformel der Opposition ist, die in der Sache selbst, wie wir wissen, auch keine Alternative dort angeboten hat, wo sie in der Lage gewesen wäre, sie in der Regierungsverantwortung umzusetzen.
Ich möchte hinzufügen: Eine solche pauschale Kritik, wie sie gerade am Polenabkommen von Ihnen heute geübt worden ist, ist zwar eine bemerkenswerte Kritik, aber ganz sicherlich keine Legitimation für aktive Regierungsverantwortung.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719926500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0719926600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff hat sich zu dem Verhältnis von Regierung und Opposition in einer Weise geäußert, die, wie ich meine, weder fair gegenüber der Opposition ist noch nützlich für die Regierung.
Sie auf der Regierungsbank haben eine parlamentarische Opposition, die sich, glaube ich, bisher von keiner anderen Opposition an Loyalität hat übertreffen lassen. Wir haben z. B., als es um das Energiesicherungsgesetz ging, Ihnen dafür in 48 Stunden die parlamentarischen Voraussetzungen geschaffen.

(Leicht [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Wenn ich richtig unterrichtet bin, ist bisher nur ein Gesetz — wenn überhaupt eines — an der Mehrheit im Bundesrat gescheitert. Allerdings haben einige Gesetze beim Durchgang durch den Bundesrat eine substantielle Verbesserung erfahren.
Sie befinden sich im Widerspruch, wenn Sie uns auf der einen Seite vorwerfen, wir in der Opposition blockierten die Regierungspolitik, und uns jetzt auf der anderen Seite den Vorwurf machen, wir hätten ja mitgemacht, wir hätten nicht genügend blockiert.
Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, wie das mit dem Konjunkturprogramm im Dezember 1974 gelaufen ist. Damals haben wir auf verschiedenen Wegen — zuletzt durch eine sehr umfassende Rede meines Kollegen Strauß bei der zweiten und dritten Lesung dieses Konjunkturprogramms — eine Reihe von Alternativvorschlägen entwickelt, die mit der finanziellen Substanz, die Sie für die Investitionszulage aufzubieten geneigt waren, mittel- und langfristig für die Wiederbelebung der Wirtschaft und die Wiedergewinnung der Investitionskraft der Wirtschaft sehr viel mehr hätten bewirken können. Damals haben wir auch im Bundesrat zugestimmt, nicht zuletzt, nachdem der Bundeskanzler in einer persönlichen Intervention sich darum bemüht hat, dieses Konjunkturprogramm über die Hürden zu bringen.
Auch da haben wir uns sehr loyal verhalten, Herr Kollege Lambsdorff; aber dieses loyale Verhalten bitte nicht interpretieren als ein Übernehmen von Mitverantwortung für etwas, was in der Verantwortung der Regierungskoalition gelaufen ist, der wir nur die Chance gegeben haben, sich zu bewähren! Das ist der Sachverhalt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich weiß nicht, ob Sie bei dieser Art der Argumentation die Opposition weiter dazu geneigt machen werden, der Regierung die Chance zu geben, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, ohne daß wir deswegen eine Mitverantwortung übernehmen, selbst wenn wir die Dinge passieren lassen.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist für uns das zentrale Thema der Wirtschafts- und Finanzpolitik die Frage: Wie bringen wir die Wirtschaft wieder auf den Pfad des Wachstums, ohne



Dr. Müller-Hermann
die Stabilität der Währung zu gefährden? Welche Wege müssen wir beschreiten, um die Arbeitslosigkeit zu überwinden, statt sie zu bezahlen? Das derzeit vorliegende Zahlenmaterial gibt trotz der sicherlich auch angenehmen Daten, die wir jetzt für den Monat September zu hören bekommen haben, wie ich meine, keine sehr ermutigenden Perspektiven für die Zukunft. Denn zunächst müssen wir auf jeden Fall mit Schrumpfungseinbrüchen des Sozialprodukts rechnen, damit einhergehend auch mit einem Prozeß der — ich will es einmal drastisch ausdrücken — Verarmung mit anhaltender Zerrüttung der Staatsfinanzen, mit neuem Inflationspotential und zunächst auf jeden Fall auch mit steigender Arbeitslosigkeit.
Wir haben im vergangenen Jahr sehr unter dem Hohn der Koalition darauf hingewiesen, daß unsere Volkswirtschaft eine längere Durststrecke durchzustehen hat, bevor wir die Dinge wieder in Ordnung gebracht haben. Ich meine, wir tun auch heute gut daran, ehrlich zu argumentieren und der Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß wir uns auf einen längeren Gesundungsprozeß einrichten müssen. Lange Zeit war für die Regierung das Prinzip „Verheißung" das Mittel, von dem Sie gelebt haben. Aber auch jetzt leben wir alle immer nur von dem Prinzip „Hoffnung" und von nicht mehr.
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren auf den Bänken der Koalition, zugestehen — und ich bin sicher, daß Sie sich entsprechende Gedanken machen —, daß im Jahre 1976 vor den Wahlen eine Situation eintreten könnte, die Ihnen manche propagandistische oder statistische Möglichkeiten anbieten wird, ein optimistisches Bild der Lage zu geben. Z. B. ist mit Sicherheit davon auszugehen — das können wir uns, glaube ich, alle schon heute ausrechnen —, daß sich nach einer weiter zugespitzten Arbeitslosenquote am Ausgang des Winters die Arbeitslosenzahlen wieder auf einem niedrigeren Niveau einpendeln werden, aber sicherlich immer noch auf einem Niveau von über 1 Million Arbeitslosen. Auch die Investitions- und Wachstumsraten werden sich im Jahresverlauf 1976 sicherlich wieder etwas günstiger ausnehmen, wenn man sie statistisch an den bisher nicht gekannten Tiefs des Jahres 1975 mißt.
Ich finde es recht bemerkenswert, daß dieser Tage der Herr Bundeswirtschaftsminister davor gewarnt hat, in Prognosen zu machen. Ich stimme ihm zu. Das ist eine späte Erkenntnis auf seiten der Regierung, die ja oft genug das Prognosemachen zur Täuschung der Wähler in den letzten Monaten und Jahren mißbraucht hat.
Aber, meine Damen und Herren, das eine ist für uns sicher: Unabhängig von all diesen Daten, die wir heute zur Kenntnis nehmen, werden wir lange Zeit brauchen, um mit der von der Bundesregierung zu verantwortenden Anspruchsinflation fertig zu werden, die eine Kosteninflation und eine Inflation der Staatsausgaben zur Folge gehabt hat.
Wenn wir als Opposition von der Zuversicht getragen sind, daß unsere Wirtschaft selbst eine anhaltend schlechte Regierungspolitik verkraften wird, dann stützen wir diese Zuversicht im Grunde auf zwei für uns elementare Tatbestände, einmal auf die ungewöhnliche Robustheit und Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, zum anderen auf das Vertrauen in den Fleiß, die Disziplin und das ungewöhnlich große Können unserer Arbeitnehmerschaft.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten mit besonderem Interesse beobachten können, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister selbst die Ergebnisse seiner eigenen Wirtschaftspolitik kritisiert. Mit Sorge stellt er beispielsweise fest, daß die Staatsquote zu hoch und die Investitionsquote seit 1969 rückläufig und ungenügend sei. Für ihn kann die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung nur gelingen, wenn die Investitionen der Wirtschaft jährlich um mindestens 8% steigen, und zwar, wie er auch sagt, zu Lasten der Konsum- und Staatsausgaben.
Meine Damen und Herren, die Sprecher der FDP, Graf Lambsdorff — ich darf Sie hier mit einbeziehen — und vor allem der Herr Bundeswirtschaftsminister ziehen derzeit durch die Lande und reden darüber, wie eine gute und richtige Wirtschaftspolitik theoretisch aussehen müßte. So erklärte Herr Friderichs auf dem Bundesparteitag seiner Partei auch, warum die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft so zu wünschen übrig läßt. Es heißt dort wörtlich:
Neben betriebswirtschaftlichen Faktoren, die durch die Ungewißheit über den Ablauf der strukturellen Anpassungsprozesse noch verstärkt werden, sind deutliche Anzeichen von Unsicherheit über sich hinziehende Diskussionen betreffend bestimmter Reformvorhaben der Koalition und insbesondere eine nachhaltige Verunsicherung durch öffentliche Auseinandersetzungen über systemverändernde Forderungen erkennbar.
Er gibt dann eine lange Liste von Beispielen dafür an. Im Grunde handelt es sich um eine Ohrfeige nach der anderen für die Regierung und den Koalitionspartner.
Interessant ist in dem Zusammenhang auch der Vorschlag, den Herr Minister Friderichs bei dieser Gelegenheit auf dem Parteitag gemacht hat, Regelbindungen in der Konjunkturpolitik einzuführen mit dem Ziel, konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen in der Hochkonjunktur in eine Konjunkturausgleichsrücklage zu überführen, auf die man dann in der Rezession zurückgreifen könne. Dies würde nach seiner Auffassung — da ist natürlich etwas daran die von uns immer wieder kritisierte Politik des „stop and go" erschweren. Nun kommt die Begründung für diese Regelbindung, die ich für sehr interessant halte. Diese Regelbindungen würden, so Minister Friderichs, „die Konjunkturpolitik der Opportunität den jeweiligen Regierungen entziehen". Meine Damen und Herren, ein klareres Eingeständnis über die Fehler dieser Bundesregierung ist eigentlich kaum denkbar. Die Bundesregierung hat nämlich nicht in erster Linie verantwortungsbewußt geführt, sondern eine Politik betrieben, bei der oft über den Tellerrand der populären Tagespolitik nicht hinaus gedacht wurde.



Dr. Müller-Hermann
Auf dem FDP-Parteitag, Herr Minister Friderichs, haben Sie dann an die Adresse der Union gesagt, wir orientierten uns an der Utopie einer guten alten Zeit. Es war immerhin eine gute alte Zeit, in der wir regiert haben!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann dazu nur sagen: der Herr Bundeswirtschaftsminister lebt derzeit vom Widerspruch zwischen Reden und Handeln und von der Utopie, er brauche seinen zum Teil richtigen Erkenntnissen keine Taten folgen zu lassen. Für die Theorie haben wir Berufenere als den Herrn Bundeswirtschaftsminister. Herr Minister Friderichs, Sie kommen an der Tatsache nicht vorbei, daß Sie als Bundeswirtschaftsminister für die miserable Politik der letzten Jahre und ihre Folgen ein gerüttelt Maß an Verantwortung tragen. Festzuhalten bleibt ferner, daß Sie und die FDP sich offenbar mit richtigen Erkenntnissen in der Regierungskoalition sicher durchsetzen können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Verletzen Sie nicht seine Eitelkeit!)

Lassen Sie mich noch einmal auf das schon häufig zitierte Thema „Weltrezession" zurückkommen, die angeblich für die gegenwärtigen Schwierigkeiten verantwortlich sein soll. Wir haben ja nie geleugnet, daß es hier Zusammenhänge zwischen der binnenwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Weltwirtschaft gibt. Wir haben stets nur die Maße zurechtgerückt. Ich möchte den Herrn Bundeskanzler zitieren. In Kopenhagen hat er, auf einen kurzen Nenner gebracht, erklärt, wir hätten alle über unsere Verhältnisse gelebt. Er hätte bloß hinzufügen müssen: auf Aufforderung und unter der Verantwortung der Bundesregierung.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang zunächst einmal Herrn Minister Friderichs und auch Herrn Lambsdorff an die Regierungserklärung von Herrn Brandt im Jahre 1969 erinnern, in der nämlich der Abbau des Außenbeitrages zum erklärten Ziel der Regierungskoalition gemacht wurde. 1974 und 1975 war die Bundesregierung froh, mit exorbitanten und, wie ich meine, das vernünftige Maß übersteigenden Zuwächsen des Exports die Beschäftigung aufrechterhalten zu können. Jetzt tischt uns die Bundesregierung immer wieder das Märchen von den 40 Milliarden DM Exportlücke als Ursache für unsere Rezession auf. Diese Exportlücke von 40 Milliarden DM ist ja eine rein fiktive Größe. Sie ist nicht auf die tatsächliche Entwicklung des Jahres 1975 abgestellt oder abgestellt gewesen, sondern knüpfte an die Prognose des Sachverständigenrates im Herbstgutachten 1974 an. Diese Prognose für das Jahr 1974 eine reine Fehleinschätzung vor der
wir, Graf Lambsdorff, gewarnt haben, als Sie meinten, dieser Prognose zustimmen zu müssen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0719926700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Graf Lambsdorff?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719926800
Herr Kollege MüllerHermann, darf ich Sie darauf aufmerksam machen
oder haben Sie sich verhört? - daß ich von dem
Nachfrageausfall in Höhe von 40 Milliarden DM mit keinem Wort gesprochen habe, sondern mich auf die realen Zahlen, und zwar reale Preise 1962, bezogen und einen Ausfall von 20 Milliarden DM nach den saisonbereinigten Zahlen der Bundesbank hier aufgezeichnet habe.

(Leicht [CDU/CSU]: Der Finanzminister und Herr Bülow haben aber davon gesprochen!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0719926900
Das, was Sie gesagt haben, habe ich hier nicht zitiert, sondern ich habe mich auf die Regierungserklärung bezogen, die Herr Apel abgegeben hat, in der er diesen Zusammenhang in einer völlig falschen Weise dargestellt hat. Wenn die Bundesregierung für den Zeitraum ab 1976 selbst eine Halbierung des Außenbeitrags auf durchschnittlich nur noch 1,5 bis 2 % anstrebt, dann ist es eben unaufrichtig, mit dem Buhmann Weltrezession die eigenen Sünden verdecken zu wollen. Ich will damit dieses Thema abschließen, weil dazu schon von verschiedenen Vorrednern etwas gesagt worden ist.
Ich komme nun zu dem für mich entscheidenden Punkt. Unsere Wirtschaft leidet heute an den Folgen einer tiefgreifenden Wachstumsstörung, an der wir bis an die Schwelle der 80er Jahre kranken werden. Es ist sehr interessant, an Hand nüchterner Zahlen festzustellen, wie seit 1969 - hier muß ich Sie wieder korrigieren, Graf Lambsdorff einschließlich der Jahre 1971, 1972 und 1973 die Investitionen der Wirtschaft nachgelassen haben, mit der Folge eines nachlassenden Wirtschaftswachstums mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Ich könnte Ihnen die Zahlen nennen. Ich beschränke mich auf zwei: 1969 hatten wir noch eine Zunahme der Bruttoanlageinvestitionen in den Preisen von 1962 von 12,1 %. Dann ging es herunter auf 11,5 % 4,5% 2,7 % 1,1 % 1974 minus 7,9 %. 1975 hat sich diese Entwicklung zunächst fortgesetzt. Einher damit ging eine Abnahme des realen Bruttosozialprodukts, die sich jeweils gegenüber dem Vorjahr veränderte. 1969 hatten wir noch ein Plus von 8,2 %, 1974 nur noch ein Plus von 0,4 % und 1975 werden wir, auch wenn uns die Entwicklung jetzt vielleicht wieder vorsichtig aus der Talsohle herausführen sollte, mit Sicherheit im Minus verbleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Entwicklungen im Bereich der Investitionen sind auch die Ursache dafür, daß wir zumindest im ersten Halbjahr 1975 — das sind die Fakten, die feststehen — mit einer Schrumpfungsrate von etwa 5 °/o leben müssen. Nach den Feststellungen eines maßgeblichen Wirtschaftsinstituts hat die Investitionsschwäche der vergangenen Jahre eine Investitionslücke in eines Größenordnung von etwa 100 Milliarden DM hinterlassen. Die Folge wird eine Wachstumslücke — verlorengegangenes Wirtschaftswachsturn -- in einer Größenordnung von rund 400 Milliarden DM in den vor uns liegenden Jahren sein. Ich glaube, das ist ein ernst zu nehmender Vorgang.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger)

Das zweite. Diese Inflationsflaute der letzten Jahre schlägt immer stärker auf die Arbeitsplätze



Dr. Müller-Hermann
durch. In den letzten Jahren sind mindestens 600 000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts werden nach allen jetzt vorliegenden Untersuchungen mindestens 600 000 his 650 000 Bürger in unserem Lande keine Arbeit finden, selbst wenn die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Dazu kommt, daß wegen der jetzt nachrückenden geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren mindestens 80 000 Personen jährlich zusätzlich in das Erwerbsleben eintreten werden. Allein durch diese Fakten vor dem Hintergrund von 1 Million Arbeitslosen wird klar, daß wir sehr große Anstrengungen unternehmen müssen, um in der Zukunft in erheblichem Umfang neue Arbeitsplätze zu schaffen. Geht man davon aus, daß heute im Durchschnitt für die Ausstattung eines Arbeitsplatzes etwa 100 000 DM benötigt werden, dann sieht man daran die ganze Dimension der veränderten Rahmenbedingungen, an denen sich unsere Wirtschaft in den nächsten Jahren auszurichten haben wird und für die wir als verantwortliche Politiker die nötige Vorsorge zu treffen haben.
Wir müssen auch im Blick haben, daß der gewaltige Strukturwandel in der Weltwirtschaft mit seinen anders verlaufenden Kapitalströmen und mit dem Angebot durchaus qualifizierter billiger Arbeitskräfte unsere Wirtschaft zu ganz ungewöhnlichen Anstrengungen und Umstellungen zwingen wird. Wir können auch nicht mehr wie in der Vergangenheit damit rechnen, daß der Schrumpfungsprozeß in Krisenbereichen auf natürliche Weise durch die Expansion in Wachstumsindustrien kompensiert wird. Die CDU/CSU kann daher nur die Meinung eines sehr maßgeblichen Mitarbeiters des Herrn Bundeswirtschaftsministers unterstreichen, daß wir Vollbeschäftigung auf Dauer nur sichern können, wenn die vorhandenen Kapazitäten voll ausgelastet werden und sich der Kapitalbestand durch Erweiterungsinvestitionen erhöht.
Die Investitionen werden damit zur Schlüsselgröße jeder zukunftsorientierten Beschäftigungs- und Wachstumspolitik, da nur sie kurzfristig Einkommen und Nachfrage und mittelfristig Arbeitsplätze schaffen können. Aus dieser Sicht der Dinge ist es auch durchaus richtig, daß der Bundeswirtschaftsminister selbst, wie schon gesagt, ein jährliches reales Investitionsvolumen von 8% voraussetzt, wenn das Sozialprodukt auf mittlere Sicht um mindestens 4,5% jährlich wachsen soll; und das wiederum ist die Voraussetzung dafür, daß wir die durchschnittliche Arbeitslosenquote auf 2,5 bis 3 % begrenzen können.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund muß man die Äußerung von Bundesfinanzminister Apel in der gestrigen Rede festhalten, daß in den nächsten Jahren eine Ausweitung der Sozialleistungen nicht möglich ist und der Schrumpfungsprozeß der Wirtschaft unerbittlich zu einer Pause bei den Leistungsverbesserungen zwingt. Nur, wenn Sie — abgesehen davon, daß das im Grunde, Herr Apel, ein erschütterndes Eingeständnis des Scheiterns Ihrer groß angekündigten Reformpolitik ist —versichern, daß die soziale Sicherheit auch künftig gewahrt sei, steht dieses Versprechen angesichts der von mir dargelegten Zahlen und Fakten auf leider sehr tönernen Füßen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn der Bundesfinanzminister dieses Versprechen halten will, ist auf jeden Fall eine andere Regierungspolitik nötig, als sie bisher und auch heute erkennbar geworden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß nach diesen Darstellungen auf den Bänken von Regierung und Koalition mehr Verständnis dafür vorhanden ist, warum die CDU/CSU-Bundestagsfraktion so sehr auf eine Stärkung der Investitionskraft der deutschen Wirtschaft und auf ein politisches Klima, das die Investitionsmöglichkeiten verbessert und die Investitionsbereitschaft ermutigt, hinwirkt.

(Zuruf von der SPD: Wir werden gleich beten!)

Es geht uns darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir nicht nur Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen können, sondern auch die künftigen Wachstumschancen nutzen, daß wir das soziale Sicherheitsnetz ergiebig halten können, daß das Wohlstandsniveau gesichert wird, daß wir mit den Haushaltsproblemen fertig werden und daß wir auch wieder die Möglichkeiten schaffen, eine Politik breit gestreuter Eigentumsbildung zu aktivieren. Aber ohne eine kräftige Stärkung der Investitionskraft der deutschen Wirtschaft kann es nicht gelingen, eine vorausgreifende Anpassung an den notwendig gewordenen Strukturwandel bereits in der Talsohle der Wirtschaftsentwicklung möglich zu machen.
Ich darf hinzufügen: Es hat sich wieder einmal die Erfahrung bestätigt, daß strukturelle Anpassungsprozesse in der Wirtschaft am leichtesten und — was das Soziale anbetrifft — am ehesten in Phasen der Hochkonjunktur durchgezogen werden können. Aber auch das ist von der Bundesregierung leider versäumt worden, weil man eben nur an die Tagespolitik gedacht hat und die auf die Wirtschaft zukommenden schwierigen Entwicklungen nicht in seine Überlegungen einbezogen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gründen unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Zukunft auf ein umfassendes Wachstumskonzept, das gewissermaßen auf vier Säulen ruht. Wir sind ja leider wieder in eine Situation hineingeraten, in der die Probleme der Existenzsicherung zwangsläufig stark in den Vordergrund gerückt sind. Aber, meine Damen und Herren, worauf es ankommt, ist, daß das, was wir heute für die Existenzsicherung tun müssen, in ein zukünftiges Wachstumskonzept einmündet und nichts von dem verbaut, was für die Zukunft nötig ist.
Im Grunde ist das eine ganz gewaltige Herausforderung an uns alle, an alle Kräfte unserer Gesellschaft. Wir brauchen zur Bewältigung unserer Probleme eine neue, große Kraftanstrengung des ganzen deutschen Volkes mit der Ermutigung auch gerade aller geistig produktiven Kräfte bei uns im



Dr. Müller-Hermann
Lande, eine Anstrengung, die ich für vergleichbar ansehen möchte mit der Kraftanstrengung des deutschen Volkes nach der Währungsreform im Jahre 1949. Dieser Appell an die große Kraftanstrengung wäre im Grunde eine Aufgabe der Bundesregierung in dieser Zeit. Nur ist, meine Damen und Herren, die SPD /FDP-Regierung dazu schon deshalb nicht in der Lage, weil sie zu oft das Vertrauen der Wähler getäuscht und weil sie zu oft im Setzen der Ziele und in der Wahl ihrer Instrumente versagt hat.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Blabla, was Sie da erzählen!)

— Meine Damen und Herren, das mögen Sie als Blabla ansehen. Bisher haben Sie jedenfalls nur gezeigt, daß Sie die Warnungen, Mahnungen und Ratschläge der Opposition in den Wind geschlagen haben — mit sehr unerquicklichen Folgen für die deutsche Volkswirtschaft und die arbeitenden Menschen bei uns im Lande.

(Zuruf von der SPD: Welche denn?)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf diese vier Säulen unseres Wachstumskonzepts eingehen. Für die in erster Linie auf mittel- und langfristige Kalkulationen und Dispositionen angewiesene Wirtschaft sind ordnungspolitische Klarheit und gesicherte Rahmenbedingungen, vor allem auch im steuerlichen Bereich, dringend notwendig. Diese Rahmenbedingungen müssen gerade jetzt darauf abgestellt sein, die im internationalen Vergleich zu hohen Belastungen der Wirtschaft zu mildern und abzubauen. Die anhaltende öffentliche Diskussion der Koalitionsparteien, beispielsweise über das Thema steuerliche Investitionsanreize, ist ebenso ein Störfaktor für die Wirtschaft, meine Damen und Herren, wie die ständigen Auseinandersetzungen innerhalb der SPD, der derzeit stärksten Regierungspartei, über all das, was ich hier unter den Stichworten Investitionslenkung, Verstaatlichung, Einkommensbegrenzung zusammenfasse. Sie sind ein höchst gefährlicher Störfaktor; ich wiederhole das. Wenn es richtig ist — und es war ja Ihr Minister Schiller, der das einmal gesagt hat —, daß 50 % jeder Wirtschaftspolitik Psychologie ist, dann kann ich nur sagen, daß der innere Zustand der SPD und das, was in Ihren Reihen an wirtschaftspolitischem Unsinn derzeit propagiert wird, weder heute noch morgen geeignet sein kann, das Vertrauen zu schaffen, das notwendig ist, wenn die Wirtschaft eigenes und fremdes Kapital in der Bundesrepublik mit gutem Gewissen langfristig binden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das zweite, meine Damen und Herren: Vieles hängt natürlich davon ab, daß nicht nur die politischen, sondern auch die anderen gesellschaftsrelevanten Kräfte — hier denke ich vor allem an die beiden Tarifvertragsparteien — sich ihrer vollen Verantwortung bewußt zeigen und die großen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge gerade jetzt nicht aus dem Auge verlieren. Wir denken nicht daran, uns in die Entscheidungsfreiheit der Tarifvertragsparteien einzumischen. Ich hoffe, daß wir sicher sein können, meine Damen und Herren, daß bei allen Beteiligten die Einsicht aus den Erfahrungen der jüngsten Jahre gewachsen ist, wie sehr sich alle Forderungen an dem Leistungsvermögen der Wirtschaft orientieren müssen, wenn nicht großer Schaden eintreten soll.
Das dritte, was ich hier nur noch kurz anreißen will, ist der überproportional gewachsene Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, der entschieden zurückgeschraubt werden muß. Ich will nur noch eine Ergänzung zu dem machen, was meine Vorredner gesagt haben, daß eben dabei auch eine Umstrukturierung der öffentlichen Ausgaben nötig ist, um wieder mehr Mittel freizukämmen für die Investitionen auch im öffentlichen Bereich. Denn, meine Damen und Herren, es liegt auch ein wunder Punkt darin, daß trotz der gigantischen Ausgabensteigerungen der investive Bereich immer schlechter gefahren ist.
Nun komme ich zu dem vierten Punkt, meine Damen und Herren. Die Opposition hat dieser Tage ihr Programm zur Stärkung und Wiederherstellung der Investitionstätigkeit und -fähigkeit der Wirtschaft vorgelegt. Angesichts der unbestrittenen Zielkonflike, die sich aus den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten einerseits und der relativen Manövrierunfähigkeit der öffentlichen Haushalte andererseits ergeben, haben wir bei unserem Programm sorgfältig zwischen Sofortmaßnahmen und mittelfristigen Perspektiven unterschieden.
Bei den Sofortmaßnahmen, zu denen ich vor allem eine Verbesserung der degressiven Abschreibung und den sogenannten Verlustrücktrag zähle, geht es uns vor allem darum, durch schnelle Hilfen den in ihrer Existenz bedrohten und weitgehend aus der Substanz lebenden Klein- und Mittelbetrieben zu helfen. Das gilt für den Verlustrücktrag in besonderer Weise, der, meine Damen und Herren, bei Ihnen seit langer Zeit diskutiert wird, dessen Verwirklichung und Durchsetzung aber immer problematischer wird, weil zum Verrechnen von Verlusten angesichts der immer schlechter werdenden Ertragssituation gerade in diesem Bereich kaum noch etwas übrig bleibt. Hier haben Sie versäumt, das Richtige rechtzeitig zu tun. Wenn der Gesetzentwurf des Freistaates Bayern, der hier auch heute vorliegt, im Finanzausschuß beraten wird, werden wir auch die anderen von uns vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen zur Diskussion stellen. Hier hat, Herr Graf Lambsdorff, insbesondere die FDP eine Chance, ihre in der Öffentlichkeit immer wieder erhobenen Forderungen in die Tat umzusetzen. Wir warten auf den Beweis Ihres Mutes und Ihres Durchsetzungsvermögens.
Meine Damen und Herren hei den mittelfristigen Steuervorschlägen geht es uns vor allem darum, den Unternehmen den Rahmen für ihre mittel- und langfristigen Dispositionen abzustecken und einen volkswirtschaftlich notwendigen Abbau von Unternehmensbelastungen auf ein auch für den internationalen Wettbewerb erträgliches Niveau zu ermöglichen. Deshalb halten wir es auch für nötig, die im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohe Belastung der Wirtschaft mit ertragsunabhängigen Steuern zu mildern. Ich denke an die Gewerbesteuer, die wir



Dr. Müller-Hermann
modifiziert wissen wollen, und an die Vermögensteuer. Auch hier darf ich mich auf Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs berufen, der am 23. Juli vor dem Bundesvorstand seiner Partei erklärte, die baldige Einführung eines kleinen Verlustrücktrages bis zu 5 Millionen DM halte er für dringend notwendig. Dann fügte er hinzu: Besonders wichtig, politisch aber außerordentlich schwierig sei eine Überprüfung der Sätze der ertragsunabhängigen Steuern, vor allem bei der Vermögen- und bei der Gewerbesteuer. Wenn Herr Apel erklärt: „Wen interessiert heute die Vermögensteuer, die braucht ja nicht gezahlt zu werden?", dann, Herr Apel, darf ich Sie daran erinnern, daß Steuervorauszahlungen zumindest immer geleistet werden müssen. Sie können das Thema hier also nicht so mit einer Handbewegung vom Tisch wischen.
Meine Damen und Herren, „es geht nicht, wie die Kritiker so einfach sagen, darum, Steuergeschenke zu verteilen, wenn man steuerliche Erleichterungen durchführt. Nein, es geht um die Frage, ob Daten gesetzt werden müssen, die zu einer stärkeren Investitionsneigung führen". Dies sind nicht meine Worte, sondern das sind die Worte von Herrn Minister Friderichs im ZDF am 3. November 1975. Leider ist im Lager der SPD offenbar das wirtschaftspolitische Blickfeld durch die Klassenkampfhysterie oder eine überzogene Unternehmerfeindlichkeit so begrenzt, daß man fälschlicherweise eine Normalisierung der Belastungsquote für die Wirtschaft als einen „Profit" ansieht, den sich der Unternehmer in seine eigene Tasche steckt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Blick zurück auf Marx!)

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daran erinnern: Als es im vorigen Dezember wirklich sehr problematisch war, ob es zweckmäßig war, einen großen Batzen Geld, nämlich 5, 6, 7 Milliarden DM über die Investitionszulage praktisch der Großwirtschaft zuzuführen, die ihre ohnehin für das Jahr 1975 vorgesehenen Investitionsprogramme bis zur Mitte des Jahres vorziehen sollte, da habe ich solche kritischen Meinungen aus dem Lager der SPD nicht gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es wäre damals richtiger gewesen, meine Damen und Herren, Sie wären unseren Vorschlägen, unseren Alternativen gefolgt, im Rahmen eines mittelfristig angelegten Steuerentlastungsprogramms der gesamten Wirtschaft zu helfen als denen, die es zweifellos am wenigsten nötig gehabt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun möchte ich noch ein paar Sätze zu der Anmerkung von Herrn Apel über die denkbaren Steuerausfälle sagen. Ich könnte es mir jetzt in der Opposition sehr leicht machen. Ich brauchte nämlich nur auf das zu verweisen, was auf dem Vorblatt des von den Fraktionen der SPD und der FDP damals vorgelegten Gesetzentwurfs für die Investitionszulage steht. Da hieß es nämlich bei der Position „Kosten" :
Durch die von der Investitionszulage erwartete Wirtschaftsbelebung werden die Steuereinnahmen wachsen und die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte entlastet. Das Nettoergebnis aus Be- und Entlastung läßt sich zwar nicht quantifizieren. Bei der gegebenen Wirtschaftslage können jedoch die Anstoßwirkungen so hoch veranschlagt werden, daß sich über den gesamten Wirkungszeitraum für die öffentlichen Haushalte im Ganzen keine Belastungswirkung ergeben dürfte.
Nun, meine Damen und Herren, richtig ist an der damaligen Argumentation mit Sicherheit, daß es falsch ist, solche Maßnahmen nur aus der Statusquo-Situation zu betrachten, daß es immer nötig ist, die dynamische Wirtschaftsentwicklung mit im Blick zu haben, wenn man Maßnahmen ergreift, die ja gerade auf eine Dynamisierung der wirtschaftlichen Kräfte ausgerichtet sind. Aber da das Thema immer wieder angeschnitten wird und für Sie offenbar fast ein Entlastungsgeschäft ist, zu fragen: Wo sind denn nun die Sparvorschläge der Opposition?, meine ich doch noch darauf hinweisen zu müssen, daß wir ja einiges schon sehr deutlich gesagt haben: daß im öffentlichen Bereich eingespart werden könnte, daß z. B. die von Herrn Apel vor sich hergeschobene und jetzt wieder neu diskutierte Kraftfahrzeugsteuerreform durchgezogen werden könnte, daß damit entweder 3 000 Mann Personal bei den Finanzbehörden eingespart oder eingesetzt werden könnten, um die angeblich vorhandenen Steuerschulden in einer Größenordnung von 6 bis 7 Milliarden DM einzutreiben.
Also ich glaube, es gibt schon jetzt eine Fülle von Vorschlägen, die man diskutieren könnte. Ich darf auch noch einmal wiederholen, daß der Bundeskanzler selbst gesagt hat, daß ohne große Schwierigkeit weitere 1,5 Milliarden DM eingespart werden könnten. Und ich kann Sie beruhigen, meine Damen und Herren: Die Haushaltsberatungen sind ja noch nicht abgeschlossen, und wir werden weitere Gedanken darlegen und Positionen beziehen bei dem Thema, wo und wie der Staat im öffentlichen Bereich mehr einsparen kann, als das bisher geschehen ist.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Am 6. September dieses Jahres erklärte der im Augenblick nicht anwesende Bundesernährungsminister Ertl in einer Fernsehsendung:
Das Kabinett wird innerhalb der nächsten 4 bis 6 Wochen über irgendeine Form von Investitionsanreizen für Unternehmer beschließen müssen.
Nun, Fehlanzeige! Inzwischen haben sich die Herren Genscher und Friderichs wiederholt dahin geäußert, daß man die Frage zusätzlicher steuerlicher Maßnahmen „weiter prüfen", „über mittelfristig wirkende steuerliche Investitionsanreize sprechen" müsse. Und so geht das am laufenden Band weiter. Überall versucht man, in der Wirtschaft Hoffnungen zu erwecken. Mehr als eine Bemühung kontrovers diskutierender Staatssekretäre ist bei der Lösung dieses drängenden Problems bisher jedenfalls nicht herausgekommen. Kein Wunder, meine Damen und



Dr. Müller-Hermann
Herren, daß man in der Wirtschaft eher Unsicherheit als irgend eine Ermutigung geschaffen hat, jetzt und in den nächsten Monaten zu investieren.
Ich möchte daher im Namen meiner Fraktion die Bundesregierung nochmals auffordern, sich in dieser Frage endlich zu einer klaren Entscheidung — so oder so — durchzuringen. Nur, meine Damen und Herren, wie so oft in der Vergangenheit bleibt auch hier zu befürchten, daß sich der Bundeswirtschaftsminister und die FDP gegenüber ihrem Koalitionspartner nicht werden durchsetzen können. Das ist aus der Sicht der Opposition bedauerlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719927000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0719927100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben hier gelassen das Wort von der großen Kraftanstrengung ausgesprochen, die nötig ist, damit wir wieder zu Wachstum und Vollbeschäftigung zurückfinden. Ich unterstreiche das, daß hierzu eine Vielzahl von Kraftanstrengungen nötig sein werden. Aber ich muß leider mit Bedauern registrieren, daß Sie sich der ersten Kraftanstrengung, die mit dazu nötig ist, nämlich der mittelfristigen Konsolidierung des Bundeshaushalts durch Erhöhung der Mehrwertsteuer, versagen. Sie sind also von vornherein nicht bereit, an dieser Kraftanstrengung teilzunehmen. Sie erwarten in schön christlicher Manier von anderen, daß sie etwas tun, dessen Sie sich in schöner Distanziertheit enthalten. Der Appell ist ein wenig zu billig. Es ist ein wenig zu billig, Kraftanstrengungen nur von anderen zu erwarten.
In einem allerdings muß man Ihnen zustimmen, nämlich darin, daß wir vor einer sehr schwierigen Phase struktureller Umstellungen stehen und daß es nötig sein wird, in der vor uns liegenden Periode alle wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Kräfte zu konzentrieren, um die Situation aufzufangen, die nicht durch falsche Wirtschaftspolitik in diesem Lande und schon gar nicht — wie Herr Strauß sich auszudrücken beliebte — durch die Tatsache, daß man an die Grenzen des Sozial- und Bildungsstaates gestoßen sei, sondern durch Veränderungen der weltwirtschaftlichen Situation in einem Ausmaß entstanden ist, wie sie nur jemand leugnen kann, der es so darstellt, wie leider bisher alle Redner der Opposition hier. Sie, Herr Müller-Hermann, bildeten eine halbwegs rühmliche Ausnahme, weil sie weStück davon zugegeben haben, was Ihre Vorredner, soweit sie sich mit Wirtschaftspolitik befaßten, leider überhaupt nicht taten, Ihr Fraktionsvorsitzender in gar keiner Weise.
Aber wenn ich schon Ihren Fraktionsvorsitzenden zitiere — er ist leider im Augenblick nicht hier, aber unser Fraktionsvorsitzender auch nicht; die haben eine Besprechung —, dann kommt mir, nachdem mein Kollege Andreas von Bülow Punkt für Punkt das widerlegt hat, was Herr Carstens über die Ursachen der gegenwärtigen Schwierigkeiten und vor allen Dingen über die Ursachen der Finanzsituation gesagt hat, der Verdacht, daß der Kollege Strauß, als er hier das Wort von der Lügenpolitik aussprach, das Manuskript von Herrn Carstens gekannt hat. Sonst hätte er wohl kaum zu dieser Bezeichnung kommen können; dieses Manuskript dürfte ihn dazu inspiriert haben.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU]: Hören Sie lieber auf!)

— Nein, so ist es, Herr Zeitel. Lesen Sie die Widerlegungen meines Freundes von Bülow gegenüber dem, was Herr Carstens gesagt hat, nach, und lesen Sie auch nach, was der CSU-Chef gesagt hat, und ,dann werden Sie — nicht laut in diesem Hause, aber heimlich, da Sie ein rechtlicher Mensch sind — mir Recht geben.
Ich muß auch noch einmal aufgreifen, was mein Kollege Graf Lambsdorff über die Vergangenheitsbewältigung gesagt hat, die heute hier oft versucht und oft betrieben wurde. Herr Lambsdorff sprach mit Recht davon, daß einem, wenn man die CDU/ CSU hört, ein Stückchen besonnte Vergangenheit im Rückblick auf die Zeiten vor 1967 dargestellt wird. Ich will Ihnen ein Zitat aus dem Bundestagsprotokoll vom 13. Dezember 1966 ins Gedächtnis rufen. Es stammt aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kiesinger.

(Leicht [CDU/CSU]: Das hat Herr Möller schon getan!)

— Das kann man, Herr Leicht, gar nicht oft genug wiederholen, damit Sie diese Verklärung der Vergangenheit endlich unterlassen. Es hieß damals zu Beginn der Regierungserklärung, daß der Bildung dieser Bundesregierung am 13. Dezember 1966 eine lange, schwelende Krise vorausgegangen sei, deren Ursachen sich auf Jahre zurück verfolgen ließen. Wer das noch in Erinnerung hat

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das ist eine Kleinigkeit gegenüber heute!)

— Herr Kollege, auf die Kleinigkeiten komme ich gleich zurück — und heute so argumentiert wie Herr Strauß, der sagte, daß wir an die Grenzen des Sozial- und Bildungsstaates stießen — anderswo ist das viel deutlicher ausgesprochen worden als in diesem Hause —, und damit die Reformpolitik und innerhalb der Reformpolitik vor allem die Sozialpolitik für das verantwortlich macht, was wir gegenwärtig an Schwierigkeiten haben, während das, was Herr Kiesinger damals als eine lange, schwelende Krise bezeichnete, heute so leicht abgetan wird, der muß auf folgende Fragen Antwort geben können:

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Dabei ist die heutige Situation viel schwieriger!)

— Verehrter Herr Kollege Müller-Hermann, Sie waren vor kurzem an Ihrem Heimatort davon betroffen. — Wie wäre es denn, wenn die Situation auf die Reformpolitik und vor allem auf die Sozialpolitik zurückzuführen wäre, wohl erklärbar, daß wir bei all den Schwarzgemälden, die Sie ständig zeichnen, und trotz aller unbestreitbar großen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt bei allen Landtagswahlen den politisch extremen Parteien eine eindeutige Ab-



Dr. Ehrenberg
fuhr erteilt haben, während Ihre „besonnte Vergangenheit" damals dazu geführt hat, daß in den Landtagswahlen darauf bis zu 10 %NPD-Stimmen zu verzeichnen waren? Man sollte vielleicht nicht vergessen, daß das in diesem Lande so gewesen ist.

(Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : So ein Falschmünzer!)

Stimmt das denn vielleicht nicht? Lesen Sie doch die Protokolle aus den Landtagswahlen nach! Es war doch die Stück für Stück vorgenommene Verbesserung der sozialen Sicherung in diesem Lande, die dazu geführt hat, daß wir heute trotz der von niemandem bestrittenen arbeitsmarktpolitischen Schwierigkeiten eine gegenüber unseren Nachbarn unvergleichliche politische und soziale Stabilität aufzuweisen haben. Sie täten gut daran, sich an den Bemühungen, die diese Bundesregierung, getragen von den Regierungsparteien, unternommen hat — mit der doppelgleisigen Operation vom August, der Operation expansiver Konjunkturpolitik und gleich-. zeitiger, die Haushalte mittelfristig konsolidierender Beschlüsse, die vor allem dem Ziel dienen, die erreichte soziale Sicherung und die politische und soziale Stabilität in diesem Lande zu erhalten und zu festigen —, zu beteiligen und nicht von Kraftanstrengungen zu reden und damit andere zu meinen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Kommen Sie zur Sache!)

— Ich komme jetzt zwar nicht zur Sache zurück, aber noch einmal zu den Behauptungen von Herrn Strauß. Herr Strauß, der hier das Wort „Lügenpolitik" in die Welt gesetzt hat, muß sich ja wohl auch bei seinen Aussagen daran messen lassen, was von ihnen auch nur ein Körnchen Wahrheit enthält und was nicht.
Herr Strauß hat beispielsweise leichthin von dem „Strohfeuer der Investitionszulage" gesprochen. Ich muß hier noch einmal das unterstreichen, was mein Kollege Lambsdorff dazu schon gesagt hat. Ich empfehle Herrn Strauß und allen anderen, die diese Investitionszulage so mit leichter Hand vom Tisch wischen, doch einmal nachzulesen, was in dem Gemeinschaftsgutachten der fünf Forschungsinstitute steht, die ja wohl niemand sozialdemokratischer Abhängigkeit verdächtigen wird. Diese fünf Institute legen jedes halbe Jahr unabhängig von Regierung und Parlament ihre Einschätzungen der Wirtschaftslage vor. In diesem Gutachten steht, in der Überschrift dick hervorgehoben: „Auftragsschub durch Investitionszulage". Weiter steht dort, daß von dem von einigen Instituten, noch mehr aber von vielen Politikern nach dem Schub, der eingetreten ist, unmittelbar nach Ablauf der Frist für die Investitionszulage befürchteten Auftragsloch nichts zu merken ist, wie die Auftragsstatistik des Monats September beweist. Ich brauche die Zahlen, die hier schon genannt worden sind, nicht zu wiederholen; sie beweisen eindeutig, daß eine Wende zum Besseren eingetreten ist — sicher noch nicht in einer Stärke, die es erlauben würde, heute schon die Dauer und die Intensität des nächsten Aufschwungs abzuschätzen, aber doch so deutlich, daß man von der Wirkungsweise der Investitionszulage heute nicht mehr so abfällig reden kann.
Wenn selbst die „Bild"-Zeitung wörtlich schreibt — es sei mir erlaubt, darauf gerade deshalb hinzuweisen, weil die Verbindung von Herrn Strauß zum Hause Springer doch allgemein bekannt ist —: „Freuen wir uns, der Aufschwung ist da!", sollten diejenigen, die sonst soviel Wert auf die Meldungen jenes Hauses legen, sie auch diesmal vielleicht wenigstens zur Hälfte ernst nehmen. Damit wäre schon viel erreicht.
Es gilt hier noch eine weitere Legende auszuräumen, die Herr Strauß zu stricken versucht hat, und Herr Müller-Hermann ist ihm dabei leider auch gefolgt. Ich meine die Legende, als hätte jemand aus den Reihen der Regierung oder der Regierungsfraktionen irgendwo einmal gesagt, wir hätten einen Rückgang des Exports um 40 Milliarden DM. Bei allen Verlautbarungen und Aussagen, die es von der Regierung wie von den Regierungsparteien dazu gegeben hat, haben wir uns auf das Sachverständigengutachten bezogen. In dem Sondergutachten des Sachverständigenrates heißt es unter Ziffer 10 wörtlich — ich will Ihnen diesen Satz hier nicht ersparen, damit nicht wieder Mißverständnisse in der Hinsicht entstehen, wir hätten dies gesagt —:
Um mehr als 40 Milliarden DM wird die Ausfuhr der Bundesrepublik 1975 voraussichtlich hinter dem zurückbleiben, was im Herbst 1974 im allgemeinen erwartet worden war.
Diese Aussage macht ganz deutlich, daß es sich hier um ein Zurückbleiben hinter den Prognosen handelt. Genau das und nichts anderes ist aber auch nur gesagt worden. Auch mit noch so starken Worten wird man aus diesem Tatbestand keinen anderen machen.
Ich glaube, nach all dem, was heute hier gesagt worden ist, ist es notwendig, noch einmal zu dem zurückzukehren, was Franz Josef Strauß hier in 95 Minuten Redezeit — wohl als Generalabrechnung gemeint; so jedenfalls war es lange im voraus aus München angekündigt — vorgetragen hat. Wie wenig Neues zur Sache von ihm gebracht wurde, haben meine Kollegen Alex Möller und Andreas von Bülow und auch der Kollege Hoppe hier bereits eindeutig gesagt. Herr Strauß hat — zu einer Generalabrechnung sollte das ja wohl gehören — ständig davon gesprochen und die Bundesregierung aufgefordert, ihr Grundkonzept zu ändern, da dieses Grundkonzept nach Ansicht von Herrn Strauß die Wirtschaft lähmt und zu all diesen Schwierigkeiten, mit denen wir es jetzt zu tun haben, geführt hat. Natürlich stört es Herrn Strauß und andere bei dieser Behauptung, daß das Grundkonzept der Bundesregierung die Wirtschaft lähme, keineswegs, daß in den nüchternen Feststellungen der Deutschen Bundesbank, des Sachverständigenrates, der Gemeinschaftsanalyse der Konjunkturforschungsinstitute, der EG-Kommission diese Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu wiederholten Malen als alternativlos dargestellt worden ist. Das stört Herrn Strauß nicht. Es stört ihn auch nicht, daß die Situation in der Bundesrepublik und die Politik der Bundesregierung in allen Hauptstädten der Welt positiv eingeschätzt werden. Wenn wir einmal von der



Dr. Ehrenberg
heimlichen Hauptstadt München absehen, ist das ja wohl überall der Fall.
Wir haben jedenfalls — auch wenn Herr Strauß noch so oft eine Änderung verlangt — nicht den geringsten Anlaß, die Grundkonzeption unserer Politik zu ändern

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Das ist bedauerlich!)

— Herr Müller-Hermann, vielleicht sagen Sie hinterher nicht mehr „bedauerlich" —, eine Grundkonzeption, die auf mehr Chancengleichheit, menschengerechtere Lebens- und Arbeitsbedingungen, mehr Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft sowie Festigung und Bewahrung der sozialen Sicherung ausgerichtet ist.

(Beifall bei der SPD)

Dies, was wir mit dieser Grundkonzeption anstreben, geschieht in einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit strenger Sozialbindung, strikter staatlicher Datensetzung und einer rigorosen Wettbewerbspolitik, die allerdings notwendig ist, wenn man diese marktwirtschaftliche Ordnung erhalten will.
Ich hätte es — heute und auch schon etwas früher — begrüßt, wenn Sie, da Sie die Grundkonzeption der Bundesregierung schon für veränderbar halten, einmal selber eine Grundkonzeption aufgezeigt hätten. Allein die Beweihräucherung des Begriffs der sozialen Marktwirtschaft und die Verwechslung der Marktwirtschaft mit Steuergeschenken sind ja wohl kein Grundkonzept, von dem man eine Heilung der Wirtschaft erwarten kann.

(Beifall bei der SPD — Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU]: Warum fangen Sie wieder mit diesem dummen Begriff an?)

Mehr als Steuernachlässe haben weder Sie, Herr Müller-Hermann, noch sonst jemand von den Rednern dargeboten. Niemand kann ja wohl im Ernst glauben, daß in der gegenwärtigen Wirtschaftssituation kurzfristige Steuermaßnahmen helfen; denn die gegenwärtige Wirtschaftssituation leidet in erster Linie an einem Zuwenig an Nachfrage -- das ist ja wohl der Hauptgrund —, und das zu beheben erfordert dann mittelfristig sehr viel mehr Investitionen. Eine stärkere Nachfrage kann man mit kurzfristigen Steuermaßnahmen kaum hervorrufen.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Eben, eben!)

Es lohnt sich allerdings, darüber nachzudenken, diese Investitionskraft mittelfristig — —

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU]: 6 Milliarden DM haben Sie schon kurzfristig verschleudert!)

— die sind nicht vergeudet, die sind ein gutes Stück der Initialzündung für den Impuls, den wir zur Zeit spüren. Ich hatte gehofft, Herr Müller-Hermann, Sie hätten die Daten der Auftragsstatistik und die Meinung der Konjunkturforschungsinstitute inzwischen
zur Kenntnis genommen. Aber anscheinend wollen Sie darüber hinweggehen.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Kennen Sie die neuen OECD-Daten über das Wachstum?)

— Die kenne ich mit Sicherheit, Herr Müller-Hermann. Wir werden in einigen Monaten beurteilen können, wer die richtige Einschätzung gehabt hat.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : So haben Sie schon im Dezember geredet!)

Aber ich möchte gerne noch etwas zu dem nicht vorhandenen Grundkonzept der CDU/CSU sagen; denn das ist ja wohl weder bei Herrn Strauß noch bei Herrn Carstens noch bei Herrn Kohl zu finden gewesen. Und jene schüchternen semantischen Übungen von Herrn Biedenkopf sind ja sehr schnell von der CSU-Strategie vom Tisch gefegt worden. Da gibt es nichts mehr, was Konzeption darstellen könnte. Da es sie nicht gibt, ist die wirtschafts- und finanzpolitische Konzeption der sozialliberalen Bundesregierung die einzige, die uns konkret dabei helfen kann, die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu überwinden und wieder dazu zu kommen, Vollbeschäftigung und Wachstum zu realisieren.

(Dr. Jenninger {CDU/CSU]: Und sich mit den Lorbeeren zu schmücken! — Dr. MüllerHermann [CDU/CSU] : Ich würde vorsichtiger sein, das zu sagen!)

— Wenn Sie das nicht ernst nehmen, Herr Müller-Hermann,

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Nein, kann ich auch nicht!)

daß die schüchternen Ansätze einer Konzeption bei Herrn Biedenkopf vom Tisch gefegt worden sind, muß ich Ihnen leider einen Satz aus dem „Bayernkurier" zitieren, in dem vor ganz kurzer Zeit geschrieben stand:
Sowenig Biedenkopf die soziale Frage entdeckt hat, so wenig ist für die Opposition mit solch theoretischen Formeln die Bundestagswahl des nächsten Jahres zu gewinnen.
Eine klare Aussage, und jedermann in diesem Lande sollte sich an diese Aussage des wirklichen Vorsitzenden der CSU /CDU halten;

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Uralter Witz! Sie müssen sich einmal etwas Neues einfallen lassen!)

denn wie die Machtverhältnisse dort liegen, ist ja nun wohl inzwischen eindeutig bewiesen worden.
Bei den vielen versteckten und deutlichen Diffamierungen sozialdemokratischer Politik und bei dem ständigen Leugnen dessen, was vom Weltmarkt auf uns überschwappend, die Schwierigkeiten bei uns hervorgebracht hat, lohnt es sich vielleicht — vor allen Dingen angesichts des schönen Satzes: Wir stoßen an die Grenzen des Sozial- und Bildungsstaates, den Herr Strauß wiederholt ausgesprochen hat — —

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Herr Arendt hat das auch gesagt!)




Dr. Ehrenberg
— Der hat etwas ganz anderes gesagt.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Was denn?)

Er hat von Beschneiden des Wildwuchses gesprochen.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Ja, ja! So sagen Sie das!)

— Die Federführung dieses Gesetzes ist heute schon einmal genannt worden. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Das ist etwas ganz anderes, als von den „Grenzen des Bildungs- und Sozialstaates" zu sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Gerade von Herrn Carstens, der ja heute in dieser Debatte einen großen außenpolitischen Ausflug unternommen hat, hätte ich erwartet, daß er auch einmal einen Blick auf internationale Statistiken wirft. Wenn er diese Statistiken miteinander vergleicht, wird er zu einigen Erkenntnissen kommen, u. a. zu der: Wenn man die 15 OECD-Staaten, die vergleichbare Arbeitsmarkt- und Preisstatistiken haben, einander gegenüberstellt und aus Arbeitsmarktziffern und Preisstatistik eine kombinierte Bewertung vornimmt, ergibt sich für 1975 bis zum Sommer — bis dahin reicht die Statistik — folgende Rangfolge: Auf dem günstigsten Platz steht Osterreich. Es folgt die Bundesrepublik, dann kommen Schweden, die Schweiz und Norwegen. Unter 15 vergleichbaren Staaten! Niemand von Ihnen wird ernsthaft glauben können, daß es ein Zufall ist, daß diese Rangfolge Österreich, die Bundesrepublik, Schweden, die Schweiz und Norwegen ist, daß es Zufall ist, daß in diesen fünf Staaten entweder sozialdemokratisch geführte Regierungen oder Regierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung amtieren. Das wird ja wohl niemand im Ernst behaupten können.
Hier liegt der Beweis dafür, daß es nicht die Überforderung durch Reformpolitik gewesen ist, wodurch die Schwierigkeiten in der ganzen Welt aufgetreten sind — nicht nur bei uns —, sondern daß es im Gegenteil das konkrete Ergebnis dieser Reformpolitik ist, daß die soziale und politische Stabilität erreicht und positive ökonomische Ergebnisse am leichtesten dort erreicht wurden, wo in den letzten Jahren — gelegentlich, wie in Schweden, auch in den letzten Jahrzehnten — eine aktive, gezielte Reformpolitik betrieben wurde. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen, wenn Sie darüber sprechen, wo die Ursachen für die gegenwärtigen Schwierigkeiten und wo die Möglichkeiten ihrer Überwindung liegen.
Zu den Möglichkeiten der Überwindung hat Herr Müller-Hermann außer der großen Kraftanstrengung vier Säulen genannt, wie das geschehen sollte. Leider sind diese vier Säulen sehr wacklig und sehr wenig konkret, Herr Müller-Hermann, so wie Sie sie genannt haben, und sie laufen letzten Endes vor allen Dingen darauf hinaus, die Steuerreform zurückzunehmen und den Gewerkschaften ins Gewissen zu reden, obgleich wiederum ein Blick über die Grenzen lehrt, daß es nirgendwo gewerkschaftliche Organisationen gibt, die jenes große Maß an gesamtwirtschaftlicher Verantwortung jederzeit bewiesen haben wie die Gewerkschaften in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Zu Ihrem überproportionalen Staatsanteil — wobei Sie immer den Staatsanteil und den Anteil der Selbstverwaltungskörperschaften der Sozialversicherung rechnen — hat der Bundesfinanzminister hier schon sehr Eindeutiges gesagt. Es bleibt von Ihrem Säulengebäude das Zurückdrängen dessen, was mit der Steuerreform angestrebt wurde. Das ist, wie schon gesagt, als ein marktwirtschaftliches und in die Zukunft weisendes Konzept zuwenig.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, die Investitionskraft der Unternehmen zu stärken. Dazu gibt es schon seit einiger Zeit — vom Bundeskanzler selber in die Diskussion gebracht — die Idee, sorgfältig zu prüfen, ob eine Differenzierung der Besteuerung der Gewinne nach entnommenen und nicht entnommenen Gewinnen möglich ist. Das scheint mir ein sehr des Nachdenkens werter Weg zu sein, nicht kurzfristig und ad hoc etwas in einer Situation zu beschließen, wo es auf die Stärkung der Nachfrage und auf die Verbesserung und mittelfristige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ankommt, nicht aber auf kurzfristig wirksame Maßnahmen.
Denn so schwierig, Herr Müller-Hermann, wie Sie ihn dargestellt haben — Sie haben immer einige Zahlen übersprungen —, ist auch der Verlauf der Investitionsentwicklung nicht. Wenn Sie sich die realen Zahlen ansehen, stellen Sie fest, daß es von 1961 bis 1967 fast exakt den gleichen zyklischen Verlauf gab wie von 1968 bis 1974, nur mit dem Unterschied, daß im Ausschlag nach oben, nämlich in den Jahren 1969 und 1970 mit jeweils mehr als 12 und 11 %, die Zuwächse real höher waren als 1962 und 1964 mit 5,5 oder 11,8 %. Sie stellen dann fest, daß der Rückgang 1967 mit 8,4 % real etwas höher war als der Rückgang 1974 mit 8,1 %. So notwendig es ist, die Investitionskraft für die Zukunft zu stärken, so zeigt allein dieser zyklische Verlauf der Investitionsentwicklung um 1967 herum und auf 1974 zu, daß sich hier Ähnliches wiederholt hat, nur unter sehr viel schwierigeren weltwirtschaftlichen Bedingungen, während der krisenhafte Anfall 1966/ 67 geradezu in einer Weltmarktidylle ganz allein und hier hausgemacht stattfand.

(Beifall bei der SPD)

Das ist von niemandem ernsthaft zu bestreiten.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Damals hatten wir aber ein stetig wachsendes Wachstum!)

— Wir hatten 1967 ein „stetig wachsendes Wachstum" mit Rückgängen der Investitionen um 8,4 %, genau wie 1974 mit 8,1 %.
Wenn man die Weltlage so betrachtet, kann man zwar nicht die Augen davor verschließen, daß wir eine schwierige strukturelle Umschichtung vor uns haben, aber man braucht auch nicht so zu tun, als wäre das auf ewige Zeiten so. Vor allem gibt es ein handlungsfähiges und durchsetzungsfähiges Konzept, das die Bundesregierung auf den Tisch gelegt hat. Es gibt die ersten deutlich sichtbaren Signale



Dr. Ehrenberg
einer Verbesserung der Auftragszahlen, der die Verbesserung der Produktion folgen wird. Und innerhalb der Wirtschaft selber gibt es eine Vielzahl von Anstrengungen. Da stimme ich Ihnen zu, Herr Müller-Hermann: Die Anstrengungen werden gemacht.
Die Strukturschwierigkeiten sind aus der Vergangenheit überkommen. Man darf dabei nicht vergessen, woher sie kommen. Der Hauptschuldige ist jetzt nicht mehr da. Er hat auch heute eine andere Art von Vergangenheitsbewältigung getrieben. Er hat die Einführung realistischer Wechselkurse in diesem Land, hinter denen sich so lange falsche Strukturen bilden konnten, so lange verhindert, wie es damals mit dem Nein — auf ewig nein — zur Aufwertung geschehen ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das gehört mit zu der Vergangenheitsbewältigung, die hier heute in ganz anderer Darstellung versucht worden ist.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : „Auf ewig nein" hat niemand gesagt! Dr. Möller war ja auch dagegen!)

Das Nein war 1969. — Aber, Herr Jenninger, bilden Sie hier nicht neue Legenden!

(Wehner [SPD] : 1969 war Herr Strauß Finanzminister!)

Bei diesem ewigen Nein geht es um Herrn Strauß und Herrn Kiesinger. Anderswo werden Sie das nicht finden.
Mit den realistischen Kursen, die wir jetzt haben, und der erkannten Notwendigkeit, innerhalb der Exportorientierung einen technologischen Sprung zu höherwertigen Strukturen nicht ruckartig, aber nach und nach zu vollziehen, geben die deutsche Wirtschaft und die Einsatzbereitschaft der deutschen Arbeitnehmer zusammen mit der großen Verantwortungsbereitschaft der deutschen Gewerkschaften die Gewähr dafür, daß wir Schritt für Schritt wieder zu einem vernünftigen Wirtschaftswachstum und in allmählicher Folge auch zu einer besseren Beschäftigungslage kommen werden.
Eine Grundvoraussetzung ist dazu allerdings notwendig. Mein Kollege Lambsdorff hat das vorhin auf die Formel gebracht: Die CDU/CSU hat keine Alternative, und sie ist keine Alternative. Daraus ergibt sich als Grundvoraussetzung für die kommende positive Wirtschaftsentwicklung die Fortführung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Nach diesem Ergebnis?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719927200
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0719927300
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte die Debatte wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht unnütz verlängern und möchte insoweit bezüglich all der Punkte, die heute erneut und ohne neue Akzente angesprochen worden sind, auf meine Ausführungen in der letzten wirtschaftspolitischen Debatte verweisen.
Ich habe mich eigentlich nur gemeldet, weil Sie, Herr Müller-Hermann, sich mit Ausführungen beschäftigt haben, die ich auf unserem Bundesparteitag gemacht habe. Dabei weiß ich nicht, ob Sie im Besitz der Rede sind, die ich dort gehalten habe. Sollte das nicht der Fall sein, bin ich gern bereit, Ihnen ein Originalexemplar zu liefern.
Die ersten Zitate, die Sie gebracht haben, sind in dieser Rede nicht enthalten. Insofern möchte ich mich mit denen auch nicht beschäftigen.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Das ist interessant!)

— Nein, das ist nicht darin; Sie können es nachlesen. Sie können, wenn Sie wollen, auch das Wortstenogramm haben.
Das zweite Zitat, das sich mit der Frage „Regelbindungen und Opportunität" befaßte und das Sie hier benutzt haben, um zu behaupten, damit gestehe ich ein Scheitern der eigenen Politik ein, ist die Veranlassung, hierher zu kommen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Sie haben die Rede nicht gelesen; dann hätte ich Verständnis dafür, daß Sie dies gesagt haben. Sollten Sie sie gelesen haben, dann müßte ich mich bis jetzt in Ihnen getäuscht haben. Warum?
Herr Müller-Hermann, in dieser Rede ist in der ersten Hälfte — dem Umfang nach — eine aus meiner Sicht saubere Analyse der Wirtschaftspolitik der Vergangenheit bis in die Gegenwart enthalten. Daraus haben Sie nichts zitiert. Dann kommt ein zweiter Teil der Rede, der sich mit Grundfragen liberalen Verständnisses in der Wirtschaftspolitik befaßt. Dann kommt ein dritter Teil. In diesem dritten Teil habe ich mich ausschließlich mit dem Versuch befaßt — für einen Parteitag, finde ich, geeignet —, ob und gegebenenfalls wie das verfügbare Instrumentarium der Globalsteuerung in der Zukunft verändert oder geschärft werden könne oder müsse. Ich habe abgeklopft, welche Möglichkeiten dort bestehen.
In diesem dritten Teil, der sich nur mit der Frage befaßt, ob das jetzige Instrumentarium versagt hat, ob es nicht angewendet worden ist, ob es bei einer veränderten Wirtschaftskonstellation so ausreicht, in diesem dritten Teil habe ich in der Tat gesagt, daß man überlegen müsse, ob man im Sinne einer Perpetuierung der Konjunkturpolitik nicht eine gewisse Regelbindung bei der Stillegung von rein konjunkturbedingten unerwarteten Steuermehreinnahmen einführen müsse oder solle, gleichzeitig mit einer Regelbindung, wonach diese Mehreinnahmen, einmal stillgelegt, automatisch — also ohne Entscheid der jeweiligen Regierung oder des Parlaments — bei einem konjunkturellen Abschwung in den Haushalt einfließen würden. Das sind keine Regelmechanismen im totalen Sinne, sondern ich



Bundesminister Dr. Friderichs
habe auf dem Parteitag die Frage gestellt: Ist dies nicht eine Frage, die wir prüfen sollten?

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU) : Völlig

legitim!)
Ich habe dazu gesagt, dies hätte den Vorteil, daß die diskretionären Maßnahmen, die also auf Einzelentscheidungen des Parlaments oder der jeweiligen Regierung beruhen, dadurch etwas zurücktreten würden und nach meiner Meinung dadurch bei an sich unruhigeren Konjunkturen auch in der Zukunft ein Beitrag zu einer Verstetigung geleistet werden könne.
Das habe ich in die politische Debatte meiner eigenen Partei eingeführt. Herr Müller-Hermann, wenn Sie die Rede gelesen haben, würde ich es als unfair empfinden, aus einem solchen Beitrag zu einer möglichen Fortentwicklung herauszulesen und zu interpretieren, dies sei das Eingeständnis einer gescheiterten Politik.
Wozu ich stehe — und das war auch Gegenstand der Ausführungen — ist doch in der Tat, daß, wenn Sie es nicht mit einer Regelbindung machen, die Antwort auf die Frage, wann Sie Steuermehreinnahmen, die rein konjunkturbedingt sind, stillegen oder wann Sie sie freigeben, eine Entscheidung ist, die der politischen Opportunität im Sinne von Zweckmäßigkeit unterliegt. Das ist doch überhaupt keine Frage. Sie brauchen nämlich einen diskretionären Akt dafür, während Sie, wenn Sie es mit einer Regelbindung in diesem Teil machten, diesen Akt der Opportunität — bitte nicht mit Opportunismus zu verwechseln — nicht haben würden.
Das war der Versuch in dieser Rede. Ich wollte das hier mehr wegen des Protokolls als aus anderen Gründen darstellen. Ich bin gern bereit, Ihnen den Originalwortlaut meiner Rede zur Verfügung zu stellen. Bitte schön!

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0719927400
Da ich nicht weiß, ob ich mich ausdrücklich auf Ihre Rede auf dem Parteitag bezogen habe, und sich aus meinen Unterlagen ergibt, daß Sie entsprechende Ausführungen auf dem Fachkongreß der Steuerberater am 3. November 1975 in Köln gemacht haben, darf ich Sie fragen, ob es richtig ist, daß Sie dort bemerkt haben: Den Kritikern einer Politik des „stop and go" kann ich eine Berechtigung nicht versagen, und daß Sie dann auf diese Regelbindung eingegangen sind. Diese Regelbindung sehe ich im Prinzip als durchaus bedenkenswert an. Ich habe mich also nicht gegen dieses Nachdenken über Regelbindungen ausgesprochen, sondern nur bemerkt — und ich glaube, mit Recht —, daß das wohl ein Ausfluß Ihrer jüngsten Erfahrungen im eigenen Kabinett sein müsse.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0719927500
Ich habe diese Bemerkung zur Kenntnis genommen. Ich habe meine Meinung dazu gesagt.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, lassen Sie mich noch zwei weitere Anmerkungen machen: Sie haben dann beklagt, daß die öffentlichen Investitionen nicht ausreichend gestiegen seien. Ich möchte nur in Ergänzung dessen, was der Abgeordnete Ehrenberg gesagt hat, hinzufügen: Im Augenblick, in dem wir in der Tat auf verstärkte öffentliche Investitionen aus konjunkturpolitischen Gründen — nicht aus infrastrukturellen — mit angewiesen wären, muß ich bedauernd feststellen, daß der Bund im Jahre 1975 eine Steigerung der öffentlichen Investitionen durchgeführt hat, daß aber gleichzeitig ein Teil der Bundesländer und ein erheblicher Teil der Gemeinden sich prozyklisch verhalten,

(Wehner [SPD] : Leider wahr!)

indem sie ausgerechnet in diesem Augenblick ihre öffentlichen Investitionen reduziert haben. Das ist ein Problem. Für meine Überlegungen, irgendwelche Mechanismen einzuführen, war auch der Gedanke maßgebend, diese Gebietskörperschaften, deren Gesamtinvestitionskraft ja wichtiger ist als die des Bundes, weil ihr Gesamtinvestitionsvolumen größer ist — wenn Sie Länder und Gemeinden zusammen nehmen, was bieten wir denn relativ dagegen? —, mit in ein dann gleichgerichtetes antizyklisches Konzept einzubinden.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Warum verhalten sie sich denn so?)

Das war der Versuch, den ich gemacht habe.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Der Anteil der Investitionen in den Länderund Gemeindehaushalten ist wesentlich größer!)

— Ich will gerne noch eine Bemerkung zu den öffentlichen Investitionen machen. Wir müssen uns auch ein bißchen davor hüten, sie zu einem Fetisch hochzustilisieren; denn öffentliche Investitionen an und für sich sind noch kein qualitatives Merkmal, sondern es kommt auch darauf an, was für welche, wozu, ob in der richtigen Priorität und in der richtigen Region.
Ich möchte zu einem weiteren Punkt noch eine Bemerkung machen. Herr Professor Carstens hat hier zu meiner Überraschung die Bundesregierung wegen der Hergabe von Krediten und öffentlichen Mitteln an Staaten des Ostblocks kritisiert. Meine Damen und Herren, es gibt keine Reise in eines dieser Länder, bei der der Bundeswirtschaftsminister nicht hart bedrängt wird, diesen Ländern Kredite zu geben oder mindestens Zinssubventionen zu gewähren. Wir haben in allen Fällen — ich sage Ihnen: in allen Fällen — ein klares, eindeutiges Nein dazu gesagt — das sollte auch Herr Professor Carstens wissen —, obwohl unsere Mitbewerber, Frankreich, Italien, Großbritannien und vor allem die USA, permanent im Wettbewerb mit derartigen Methoden gegen uns konkurrieren. Das ist die Wahrheit.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr!)

Man kann nicht einen Vertrag mit der Volksrepublik Polen, der einen anderen als einen wirtschaftlichen Hintergrund hat, wie wir alle wissen, der auch in der Frage des Kredits einen anderen als einen wirtschaftlichen Hintergrund hat -- nach meiner Meinung einen zutiefst menschlichen Hintergrund —, einfach dazu benutzen, so zu tun, als ob die Bundesregierung ihre Zahlungsverpflichtungen in Richtung Westen nicht erfülle und die Milliarden



Bundesminister Dr. Friderichs
im Osten verstreue, obwohl wir gerade dort permanent kritisiert werden, weil wir es nicht tun.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Zeitel [CDU/CSU] : So hat er es nicht gesagt!)

Ich will Herrn Professor Carstens ein Beispiel sagen. Ein sowjetischer Minister, der eine Woche vor Unterzeichnung des Vertrages über den Bau eines Stahlwerks durch deutsche Firmen in Kursk aus Paris nach Bonn kam, begann das Gespräch mit mir mit der Bemerkung: „Herr Bundesminister, ich komme soeben aus Paris; Ihr dortiger Kollege hat mir gestern einen Kredit in Höhe von 1,5 Milliarden Neuen Francs zu einem Zinssatz von 6,05 % angeboten, wenn wir das Stahlwerk in Frankreich bestellen. Was sagt die deutsche Bundesregierung dazu?" Ich zitiere aus einem Gespräch. Ich habe ihm gesagt: „Herr Minister, wenn Sie glauben, Sie könnten das Stahlwerk in Frankreich günstiger bekommen — dazu gehört ja wohl nicht nur der Zinssatz, sondern dazu gehören auch Preis und Qualität —, dann kann ich Sie nicht daran hindern, es dort zu kaufen." — Das deutsche Konsortium hat den Vertrag abgeschlossen, ohne daß die Bundesregierung auch nur einen Pfennig dazugelegt hat.
Ich finde es unglaublich, daß sich ein Oppositionsführer, der die Vergangenheit eines Staatssekretärs in einem wichtigen Ressort hinter sich hat, hier hinstellt und so tut, als ob wir so etwas machten,

(Beifall bei der FDP und der SPD)

obwohl er genau weiß, daß wir in einer schwierigen Situation sind, in einer teuflisch schwierigen Situation. Meine Damen und Herren, glauben Sie, es wäre leicht, wenn die Firmen zu einem kommen und sagen: Herr Friderichs, wieder geht uns ein Auftrag über 500 Millionen verloren — es sind ja fast alles Großprojekte drüben —, weil unsere Mitbewerber durch ihre eigene Regierung mit Kreditsubventionen heruntersubventioniert werden, weil unsere Mitbewerber — das sind doch die Argumente; fragen Sie den Außenwirtschaftsbeirat meines Ressorts aus der vorigen Woche — in der Lage sind, zu festen Zinsen auf acht Jahre abzuschließen, während wir, die deutschen Unternehmer, gezwungen sind, variable Zinssätze in den Vertrag aufzunehmen, die zu allem Überfluß noch mindestens drei Punkte höher liegen als die unserer Mitbewerber? Meine Damen und Herren, glauben Sie, daß der jetzige Bundeskanzler in seiner damaligen Eigenschaft als Finanzminister zusammen mit mir den Kampf gegen die Amerikaner, die Japaner, die Franzosen und die Engländer aufgenommen hat, um wenigstens ein Gentlemen's Agreement zustande zu bringen, damit die Zinsen nicht mehr unter 7 1/2 % kommen! Wir sind trotz langer, langer Verhandlungen immer noch nicht sicher, ob das wirklich alles eingehalten wird. Und sich dann hier hinzustellen und so zu tun, als ob wir Milliarden dahin schafften, wo wir doch permanent kritisiert werden, weil wir nicht einmal verbilligte Kredite geben, geschweige denn Milliarden, da kann ich Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren: Exportlücke? Wenn wir erst das Geld schicken würden, wie es
unsere Mitbewerber machen, könnten wir die Ware hinterher noch dazuliefern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719927600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sprung.

Dr. Rudolf Sprung (CDU):
Rede ID: ID0719927700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wohl schwerste Belastung der Finanzpolitik des Bundes der kommenden Jahre stellt die gigantische galoppierende Verschuldung dar. Ich glaube, es gibt über diesen Punkt keine Meinungsverschiedenheiten in diesem Hohen Hause. Was der Bundesfinanzminister zu dieser Frage gestern und heute gesagt hat, war äußerst mager und mehr Verschleierung als Aufklärung. Lassen Sie mich das an den Ausführungen des Bundesfinanzministers deutlich machen.
Erstens. Der Bundesfinanzminister sprach davon, daß die Deckung der riesigen Finanzierungslücken in den Jahren 1975 und 1976 auf Grund der hohen Ersparnisbildung der privaten Haushalte und der — wie er es ausgedrückt hat — auflockernden Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank keine Schwierigkeiten bereitet habe und auch keine Schwierigkeiten bereiten werde.
Dies ist so nicht richtig. Der Bundesfinanzminister verschweigt, daß es zwar möglich war und wahrscheinlich auch sein wird, die Kredite dem Volumen nach aufzunehmen, daß sich aber die Konditionen erheblich verändert haben. Der Bund muß bereits jetzt höhere Zinsen zahlen als noch vor einem Monat, und die Laufzeiten der Schuldtitel sind auf ein bis günstigstenfalls vier Jahre zusammengeschrumpft.
Durch nichts ist die desolate Verfassung des Kapitalmarktes in unserem Lande besser zu kennzeichnen als durch die Tatsache, daß der Bund 1975 bisher lediglich etwas mehr als 3 Milliarden DM auf dem orthodoxen Wege über Anleihen finanzieren konnte. Meine Damen und Herren, derzeit ist niemand bereit, dem Bund sein Geld in Form von längerfristigen oder langfristigen Anleihen anzuvertrauen. Wenn es dem Bund bisher wenigstens über Kurzläufer möglich war, das fehlende Geld zusammenzupumpen, dann nur deshalb, weil einerseits die Privatwirtschaft angesichts der wirtschaftlichen Lage keinerlei Investitionslust zeigt und andererseits die Bürger in einem Maße sparen, das in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig ist.
Warum jedoch taten dies die Bürger? Sie sparten sicherlich nicht deshalb, weil sie mit ihren Sparpfennigen das Riesenloch im Bundeshaushalt stopfen wollten. Nein, meine Damen und Herren, sie taten es aus Unsicherheit, aus Sorge um ihre Zukunft und — ich zitiere jetzt die Bundesbank mit ihrem letzten Monatsbericht — zum Teil sicherlich auch deshalb, weil sie angesichts des erheblich gewachsenen Beschäftigungsrisikos für den Fall eventueller Einkommenseinbußen durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit vorsorgen wollten. Im Klartext: Die Bür-



Dr. Sprung
ger sparten, weil sie Angst vor den Folgen der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein kurzes Wort zu der vom Bundesfinanzminister so apostrophierten „auflockernden Kreditpolitik" der Deutschen Bundesbank sagen. In meinen Augen und in den Augen vieler Experten war die massive Stützungspolitik der Bundesbank am Rentenmarkt nicht nur auflockernd, sondern stellte eine direkte Kreditgewährung der Bundesbank an den Bund dar. Hier hat jedoch die Entwicklung gezeigt, daß langfristig eine Politik gegen den Markt nicht möglich ist und es der Bundesregierung auf diese Weise nicht gelingen kann, bis zum Ende des Jahres 1976 über die Runden zu kommen.
Das war die Situation in diesem Jahr. Wie jedoch wird es voraussichtlich 1976 aussehen? Damit komme ich zu dem zweiten schwerwiegenden Punkt, bei dem der Bundesfinanzminister gestern einen schlecht angelegten Verschleierungs- und Beschönigungsversuch unternahm. Der Bundesfinanzminister sagte wörtlich: „Für das Jahr 1976 ergibt sich kein grundsätzlicher Wandel der Verhältnisse." Mehr sagte der Bundesfinanzminister, meine Damen und Herren, nicht. Mehr konnte er auch nicht sagen, wollte er nicht die Politik der Bundesregierung in diesem Punkt als das entlarven, was sie ist: ein auf äußerst fragwürdigen Annahmen basierendes, rosarot gemaltes Bild, das nur unter günstigsten Bedingungen und Umständen zur Realität werden kann.
Diese Bedingungen sind, meine Damen und Herren:
1. Die Neuverschuldung des Bundes übersteigt nicht die eingeplanten vorgesehenen 40 Milliarden DM.
2. Die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch die Unternehmen hält sich in den engen Grenzen des Rezessionsjahres 1975.
3. Die Sparquote erreicht wieder den extrem hohen Stand des Jahres 1975.
Wie sieht es nun mit diesen optimistischen Annahmen der Bundesregierung für das nächste Jahr aus?
Zur Neuverschuldung. Die Neuverschuldung wird im Jahre 1976 mit Sicherheit höher als die geplanten 40 Milliarden DM sein. Die Bundesregierung rechnet nämlich bei ihren Steuervorausschätzungen mit einem Sozialproduktzuwachs von 9,5 % Alle Experten einschließlich der Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen dagegen nur mit einem Sozialproduktzuwachs von bestenfalls 8 %. Ich füge hinzu: ich persönlich vermag heute nicht zu sehen, wie selbst diese 8 % Wachstum im kommenden Jahr zustande kommen sollen. Jedes Prozent weniger Wachstum läßt jedoch auch die Steuerquellen langsamer sprudeln; jedes Prozent weniger Wachstum bedeutet erhebliche Mindereinnahmen und damit eine entsprechend notwendige Höherverschuldung des Bundes.
Wie sieht es nun, meine Damen und Herren, mit der zweiten Bedingung, der Inanspruchnahme des
Kapitalmarktes durch die Unternehmen, durch die private Wirtschaft aus? Der Bundesfinanzminister behauptet, daß auch bei ansteigender Konjunktur die Kreditnachfrage der Unternehmen nur sehr allmählich zunehmen werde, weil die Unternehmen ihre Investitionen auch — er hat gesagt: auch — im Jahre 1976 größtenteils aus selbst erwirtschafteten Mitteln finanzieren können. Ich frage mich, meine Damen und Herren, wie der Bundesfinanzminister zu dieser kühnen Behauptung kommen kann. Er kann dies doch schlechterdings selbst nicht glauben. Warum, meine Damen und Herren, zieht der Bundeswirtschaftsminister wie ein Wanderprediger durch die Lande und fordert immer wieder die Verbesserung der Ertragssituation der Unternehmen durch Steuererleichterungen? Nein, meine Damen und Herren, diese Annahme ist nichts anderes als ein frommer Wunsch. Tatsache ist doch, daß viele Betriebe in unserem Lande — und es sind vor allem die für einen gesunden Wirtschaftsaufschwung notwendigen kleinen und Mittelbetriebe im nächsten Jahr bereits zum zweiten oder zum dritten Mal eine Bilanz vorlegen werden, die mit einem roten Ergebnis abschließen wird.
Meine Damen und Herren, ich komme zur dritten Bedingung, zur Entwicklung der Sparquote. Der Bundesfinanzminister hat behauptet, auch im Jahre 1976 könne mit einer anhaltend hohen privaten Ersparnisbildung gerechnet werden. Nun, meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die Sparquote dieses Jahres extrem hoch ist. Wir alle kennen auch die Gründe dafür. Ich habe sie genannt. Nimmt die Bundesregierung, nimmt der Bundesfinanzminister seine eigenen Argumente und seine optimistischen Ankündigungen ernst, so muß zwangsläufig im Jahre 1976 mit einer erheblich geringeren Sparquote als für 1975 gerechnet werden, muß doch jede wirtschaftliche Belebung, die seit dem Frühjahr dieses Jahres von der Bundesregierung immer und immer wieder beschworen und versprochen wurde, über kurz oder lang zu einer optimistischeren Grundeinstellung und damit zu einem erheblich veränderten Konsum- und Sparverhalten der Bevölkerung führen. Beides zusammen geht nicht; entweder Konjunkturaufschwung, dann jedoch eine erheblich veringerte Sparquote, oder Fortdauer der Rezession; dann würde die Sparquote wohl auf dem hohen Stand dieses Jahres verbleiben.
Ich komme zu einem weiteren schwachen Punkt der Ausführungen des Bundesfinanzministers. Der Bundesfinanzminister sagte, daß auch 1976 sichergestellt werden könne, daß die hohe Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hände nicht den beginnenden Aufschwung bremse. Es seien zwar eine Reihe kleinerer Probleme zu lösen, so führte er aus, unter anderem die allmähliche Überführung der Kreditaufnahme in längere Laufzeiten, jedoch sei zu erwarten, daß durch all dies „die weiter fallende Tendenz der Zinsen für Wirtschaftskredite nicht berührt" werde.
Meine Damen und Herren, das, was der Finanzminister so ausgedrückt hat, ist so nicht haltbar, es ist sogar schlicht und einfach falsch. Die in dem erwarteten konjunkturellen Aufschwung einsetzende



Dr. Sprung
und auch notwendige Kreditnachfrage der Wirtschaft muß zwangsläufig zu einer Konkurrenz zwischen öffentlichem und privatem Sektor am Kapitalmarkt führen. Will der Bund in dieser Situation das Riesenloch in seinem Haushalt stopfen — und das muß er tun, will er nicht zahlungsunfähig werden —, so muß er die anderen Nachfrager nach Kapital aus dem Rennen werfen. Das wird nur durch auf breiter Front steigende Zinsen möglich sein. Damit jedoch wird die extrem hohe Verschuldung im Jahre 1976 auch in den folgenden Jahren zu einer schweren Hypothek für die wirtschaftliche Entwicklung. Die riesigen Haushaltslöcher des Bundes werden zu einem Haupthindernis für den Konjunkturaufschwung werden.
Zu diesem Problem, zu den mit Sicherheit zu erwartenden Zinssteigerungen und ihren Folgen, kommt ein weiteres hinzu, ein Problem, dessen Bedeutung man gar nicht überschätzen kann, so meine ich. Ich meine das Problem der Laufzeiten der aufgenommenen Kredite, das Problem der in den kommenden Jahren notwendigen Umschuldung. Zu diesem Problem hat gerade jetzt das Statistische Bundesamt eine Untersuchung in der Zeitschrift „Wirtschaft und Statistik" veröffentlicht. Daraus ist ersichtlich, daß der Bund bis einschließlich 1978 knapp 50 % aller bisher aufgenommenen Kreditmarktschulden tilgen muß. Das Statistische Bundesamt kommt auf Grund seiner Daten zu dem Schluß, daß innerhalb der nächsten drei Jahre rund 30 Milliarden DM öffentliche Schulden umgeschuldet werden müssen, und dies, meine Damen und Herren, ist eine Rechnung, die nur bis zum Jahre 1974 reicht. Die negativen Rekordjahre 1975 und 1976 konnten noch nicht berücksichtigt werden. Wenn man weiß, daß von 31,5 Milliarden DM, die bis Ende September dieses Jahres aufgenommen worden sind, nur 3,3 Milliarden DM klassisch finanziert wurden, d. h. über langfristige Anleihen, kann man ermessen, welche Probleme von dorther auf den Kapitalmarkt zukommen. Meine Damen und Herren, das erinnert ein wenig an das Schneeballsystem, an Münemannsche Finanzierungsmethoden. Schon heute zeichnen sich die Umrisse eines riesigen rotierenden Schuldenberges deutlich ab. Auch zu diesem Problem wußte der Finanzminister in seiner gestrigen Rede keine Lösung. Er gab lediglich seiner Hoffnung Ausdruck, daß sich die Sparer wieder vermehrt längerfristigen Vermögensanlagen zuwenden werden.
Meine Damen und Herren, worauf gründet der Finanzminister diese Hoffnung? Angesichts der lawinenartigen Neuverschuldung und des in den kommenden Jahren unvorstellbar, abenteuerlich wachsenden Schuldendienstes gibt es doch überhaupt keine Gründe, die den Bund für längerfristige Anleihen wieder kreditwürdiger machen würden. Was passiert also, wenn der Sparer den optimistischen Annahmen nicht folgt, wenn er nicht mitmacht, wenn er sich im Gegenteil auch im nächsten Jahr wieder so verhält wie in diesem Jahr? Meine Damen und Herren, wenn das Defizit des Jahres 1976 ähnlich finanziert wird, ähnlich finanziert werden muß wie in diesem Jahr, so wäre das schlicht und einfach eine
Katastrophe. Schon 1976 wird der Schuldendienst fast 29 Milliarden DM betragen.

(Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Er wird damit rund 17 % des Haushaltsvolumens in Anspruch nehmen. Im letzten Jahr, im Jahr 1974 waren es erst 8 %. 1979 wird der Schuldendienst nach der mittelfristigen Finanzplanung auf rund 38 Milliarden DM gestiegen sein und damit 20 % des Haushaltsvolumens ausmachen. Jede fünfte Mark wird dann für den Schuldendienst ausgegeben werden. Der Schuldendienst wird damit zum zweitgrößten Ausgabenblock nach den Sozialausgaben. Und diese Zahlen, meine Damen und Herren, müssen noch nach oben korrigiert werden, wenn auch im Jahre 1976 die Kreditnachfrage des Bundes im wesentlichen nur wieder kurzfristig gedeckt werden kann. Schon für die Jahre ab 1977 müßte dann der Kapitalmarkt mit rund 10 Milliarden DM zusätzlich pro Jahr belastet werden, weitere 10 Milliarden DM mehr, als im Augenblick vorgesehen, auf dem Kapitalmarkt für Umschuldungszwecke aufgenommen werden. Damit, meine Damen und Herren, wird der Schuldendienst zu einem gigantischen, immobilen Ausgabenblock, der fast ein Viertel des Haushaltsvolumens ausmachen wird.
Meine Damen und Herren, der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Herr Geiger, erklärte dazu in der letzten Woche — ich zitiere ihn —:
Der große Kladderadatsch an den Kapitalmärkten wäre unausweichlich, dann nämlich, wenn konsolidiert werden muß.
Und, meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Es muß im nächsten Jahr konsolidiert werden. Genau dies, meine Damen und Herren, diesen großen Kladderadatsch, fürchten wir. Zu diesem Problem hat der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede und auch heute nichts gesagt. Danach aber werden wir ihn immer und immer wieder fragen. Wir werden ihn so lange fragen, bis auch dem letzten Bürger klar geworden ist, daß man versucht, sich mit fragwürdigen und gefährlichen Drahtseilaktionen über den Tellerrand der Bundestagswahl 1976 hinwegzuretten. Die Zeche einer unsoliden und abenteuerlichen Finanzpolitik hat immer noch, meine Damen und Herren, der „kleine Mann" gezahlt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719927800
Das Wort hat der Abgeordnete Blank.

Bertram Blank (SPD):
Rede ID: ID0719927900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es isi ziemlich ungewöhnlich, daß in der ersten Lesung so detailliert auf die Schuldenpolitik eingegangen wird, aber ich nehme die Sache gerne auf.

(Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ja, das ist euch unangenehm!)

— Nein, das ist nicht unangenehm, sondern es ist ungewöhnlich. Es braucht überhaupt nicht unangenehm zu sein; denn man kann dazu etwas sagen. Aber lassen wir es ruhig dabei bewenden.



Blank
Zunächst einmal haben Sie darauf hingewiesen, Herr Sprung, daß die Investitionstätigkeit der Wirtschaft im Augenblick darniederliegt und daß die Sparneigung sehr erheblich ist. Sie haben allerdings nicht erwähnt — und das sollte man hinzufügen —, daß dies ja keine Geschichte aus 1975 ist, sondern daß Ähnliches bereits in 1974, insbesondere was die Sparquoten angeht, zu verzeichnen war. Und das ist ein wichtiger Punkt. Wenn Sie nämlich berücksichtigen, daß nicht nur in 1974, sondern auch in 1973 bereits sehr hohe Sparquoten erreicht worden sind und daß die Inanspruchnahme des Kapitalmarkts durch die freie Wirtschaft seit einem längeren Zeitraum relativ begrenzt ist, dann wissen Sie auch, daß ein gewaltiger Liquiditätsüberhang unsere Situation kennzeichnet. Und es ist eine Frage der Prognose oder der Prophetie, zu sagen, wie lange dieser Überhang ausreichen wird.
Aber man kann dazu auch einiges Zuverlässige sagen, nämlich folgendes. Zunächst einmal ist damit zu rechnen, daß die Sparsamkeit des Bürgers, die von der persönlichen Situation her verständlich und zu begrüßen ist, in der Tat nicht abrupt zu Ende gehen wird. Wir haben in unserem Lande immer einiges an Ersparnissen erzielt, und das wird auch künftig so bleiben. Zweitens. Sie müssen damit rechnen, daß die Sparüberhänge und die Liquiditätsüberhänge durchaus weit in das nächste Jahr hineinreichen werden. Drittens. Sie wissen das haben Sie bei Ihren Ausführungen offenbar nicht recht berücksichtigt —, daß es zunächst einmal gar nicht darum geht, gewaltige neue Investitionen in 1976 zu beginnen, sondern zuerst einmal die darniederliegenden Kapazitäten voll auszunützen. Wenn Sie berücksichtigen, daß in verschiedenen Wirtschaftsbereichen Kapazitäten nur bis zu 70 % oder 80 % ausgelastet sind, dann wird das Problem im nächsten Jahr sein, zunächst einmal die Nachfragesteigerung, die wir erwarten, durch entsprechende Kapazitätsauslastung zu befriedigen. Im übrigen rate ich Ihnen, wenn Ihnen das noch nicht so geläufig ist, gerade im Hinblick darauf einmal das Wirtschaftsgutachten durchzusehen. Dort ist das alles ausgeführt. Insofern ist die Annahme des Finanzministers, daß in der Tat der Kapitalmarkt im kommenden Jahr die Verschuldung des Bundes, aber auch der Länder und der Gemeinden aufnehmen wird, durchaus realistisch und vernünftig. Ihre Überlegungen dazu sind meines Erachtens nicht richtig.

(Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ihr druckt doch schon Inflationsgeld!)

Lassen Sie mich ein weiteres Argument anführen. Sie haben auch die längerfristige oder die mittelfristige Perspektive angesprochen, und das finde ich sehr erfreulich und gut. In dieser längerfristigen Perspektive bis 1980 sagen Sie: Selbst wenn das 1976 — was Sie bezweifeln — gutgehen wird, wie wird das 1977 bis 1979 und 1980 aussehen?

(Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Katastrophal!)

— Sie sagen „katastrophal". Katastrophal würde es,
wenn wir, Herr Möller, den Einflüsterungen der
Opposition folgten und nicht zu einer soliden Haushaltsgebarung dadurch fänden, daß die Einnahmeseite erhöht wird. Das ist die Antwort darauf. Wenn Sie Ihre Absicht verwirklichen könnten, wenn Sie die Mehrheit hätten und sich um die notwendige Steuererhöhung herumlägen würden, dann wäre die Katastrophe in der Tat programmiert. Da wir das aber nicht für richtig halten und da wir sowohl die Ausgabenseite über das Strukturgesetz in Ordnung bringen als auch die Einnahmeseite verbessern werden, wird das, was Sie als finsteres Gemälde an die Wand gemalt haben, nicht eintreffen. Ich meine deshalb, daß die Ausführungen des Finanzministers nicht nur von Hoffnung getragen sind, sondern von Realismus und Vernunft.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0719928000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719928100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die ruhige Diskussion, die wir hier gegen Abend führen, nicht erheblich verlängern; aber es sei mir gestattet, zu dem einen oder anderen Punkt eine Anmerkung zu machen.
Bevor ich das tue, darf ich jedoch — Herr Minister Friderichs ist leider schon gegangen — versuchen, aus meiner Erinnerung heraus etwas richtigzurücken. Wenn ich es recht sehe, hat Herr Professor Carstens in seinen Ausführungen nicht über jene Exportgeschäfte gesprochen, die Minister Friderichs ihm negativ vorgehalten hat.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Er hat — dies sei auch für das Protokoll gesagt — über leichtfertige Zahlungen an den Ostblock bzw. an die DDR gesprochen. In der Aufzählung dieser leichtfertigen Zahlungen waren derartige Exportgeschäfte nicht enthalten. Deshalb glaube ich, daß man das so, wie Herr Minister Friderichs es dargestellt hat, Herrn Professor Carstens nicht anlasten kann. Richtig ist vielmehr, daß ungerechtfertigte und ungebundene Zahlungen an den Ostblock und an die DDR weiterhin unsere Kritik erfahren werden, daß aber im Exportgeschäft ganz andere Kriterien gelten. Dies ist auch von uns nie bestritten worden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Wir haben in der heutigen Debatte, verehrte Kollegen, -- und ich stehe wohl mit ein oder zwei Kollegen am Ende der Rednerliste — bereits sehr, sehr viele Zahlen gehört. Wir haben einiges erfahren, was ein ganz bezeichnendes Licht auf eine Reihe von Ausgabepositionen geworfen hat.
Ich möchte mich in meinem Beitrag — und damit nehme ich gleich den Einwand vorweg, den der Herr Kollege Blank dem Kollegen Dr. Sprung gegenüber gemacht hat, indem er auf die Spezifizierung verwies — mit den Ausgabetiteln quer durch den Bundeshaushalt befassen, die die Verwendung von Steuermitteln für die Öffentlichkeitsarbeit betreffen. Das ist ein Punkt, meine Damen und Herren, der sehr wohl in die erste Lesung gehört, weil er — ich sage das in Erinnerung an



Wohlrabe
eine Debatte von vor mehreren Jahren — übergreifend generelle Fragen der Haushaltspolitik betrifft.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Verschuldete sich, meine Damen und Herren, der Bund in den Jahren von 1950 bis 1969, also in knapp 20 Jahren — diese Zahl lassen Sie mich zu Beginn noch einmal sagen —, mit rund 14,5 Milliarden DM, so muß er allein im Jahre 1975 fast das Dreifache dieser Summe aufnehmen. 1975 und 1976 wird das Loch in der Kasse des Bundes rund 80 Milliarden DM insgesamt betragen.

(Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Reiner Pleitekanzler!)

Wir haben — und damit nehme ich einen Vorwurf auf, der uns heute mehrfach entgegengehalten worden ist — in den Haushaltsberatungen seit 1969 unablässig eine große Anzahl von Kürzungsanträgen gestellt. Dies ist auch ein Stück der Alternative, die man von uns erwartet. Wenn man einmal die Summe aller Kürzungsanträge zusammennimmt — und dies war die Linie, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei den Haushaltsberatungen von 1970 bis 1975 stets eingehalten hat — und diese Kürzungsanträge einmal fortschreibt für das Jahr 1975 mit rund 30 Milliarden DM und das Jahr 1976 mit rund 37 Milliarden DM, ergibt sich ein Kürzungsbetrag, den man aus der Gesamtdiskussion einfach nicht herauslassen darf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wehren uns dagegen, daß Sie versuchen, diese enorme Summe hier unter den Tisch fallen zu lassen. Das ist ein wesentliches Stück echter Alternative. Wer redlich diskutiert, muß zugestehen, daß die Annahme dieser Kürzungsanträge erheblich zum Abbau des Defizits des derzeitigen Haushalts beigetragen hätte.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Graf Lambsdorff hat heute nach unseren Kürzungsanträgen gefragt und, wenn ich es recht in Erinnerung habe, gesagt, wir hätten überhaupt nichts Sinnvolles vorgetragen. Ich muß ihm entgegenhalten: Wenn Sie je an einer Sitzung des Haushaltsausschusses teilgenommen hätten — ich habe Sie dort in den letzten sechs Jahren nicht gesehen, weil Sie dort nicht Mitglied sind; Sie sitzen, wenn ich es richtig sehe, im Wirtschaftsausschuß — oder wenn Sie die Arbeiten im Haushaltsausschuß nur einmal verfolgten, hätten Sie festgestellt, daß es zu den ersten Aufgaben der Opposition seit 1969 im Deutschen Bundestag gehört hat, immer wieder Kürzungsanträge zu stellen. Diese Kürzungsanträge, die ein Stück unserer Alternative zur Defizitverringerung sind, wurden von der Koalition stets abgelehnt. Damit haben Sie, meine Damen und Herren, zur Erhöhung des Defizits beigetragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0719928200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719928300
Bitte schön, Herr Kollege!

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0719928400
Herr Wohlrabe, darf ich aus Ihrer Aufforderung, ich hätte mich seit sechs Jahren im Haushaltsausschuß sehen lassen sollen, und der Tatsache, daß ich erst seit drei Jahren Mitglied des Parlaments bin, auf Ihre sonstigen Rechenkünste schließen?

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)


Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719928500
Sie müssen mir schon genau zuhören. Ich weiß, seit wann Sie hier im Bundestag sind. Ich habe gesagt, daß wir seit sechs Jahren die Kürzungsanträge stellen, daß Sie dem Haushaltsausschuß nicht angehören, sondern, wenn ich recht informiert bin, dem Wirtschaftsausschuß, daß Sie aber als engagierter Politiker — und das sind Sie ja wohl nicht erst seit 1972 — trotzdem genügend Gelegenheit gehabt haben, nachzulesen, was wir im Haushaltsausschuß forderten. Es hat im übrigen in den Zeitungen gestanden, Herr Kollege Lambsdorff.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber lassen Sie mich zu dem kommen, was ich in meiner Einleitung angesprochen habe: die Frage der Öffentlichkeitsarbeit und die Frage der damit verbundenen Einsparungen. Bereits in der ersten Lesung sage ich Ihnen, wie und wo Sie, die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, mit Leichtigkeit rund 50 Millionen DM einsparen können; nämlich in einem Bereich, in dem Ihnen, die Sie ja mit Mehrheit über die Ausgaben befinden können, das beileibe gut anstünde. Setzen Sie die Ausgaben für die Regierungspropaganda, die „Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit", wie sie früher noch richtig ihrem Wesen nach zu bezeichnen waren, auf den Stand des Jahres 1969 zurück! Ich glaube, dies wäre ein sehr sinnvoller Beitrag zur Kürzung und Stabilisierung des Haushalts.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Was sich in diesem Bereich getan hat, spottet im Grunde genommen, wenn man einmal genau hinschaut, jeder Beschreibung; ich möchte es sehr vorsichtig ausdrücken.

(Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Typische SPD-Wirtschaft!)

Hier wie auch bei den persönlichen Verfügungs- und Repräsentationausgaben wurde, um ein Wort des Bundeskanzlers zu benutzen, wirklich über die Verhältnisse gelebt.
Wenn man sich dies einmal in aller Nüchternheit, Ruhe und Ausgewogenheit anschaut, kann man an folgenden Tatsachen, Beispielen und Zahlen einfach nicht vorbeigehen: Die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit stiegen von 104 Millionen DM im Jahre 1969, also seit Bestehen der beiden Bundesregierungen von SPD und FDP, auf nahezu 165 Millionen DM nach dem jetzigen Regierungsentwurf. Das ist, Herr Kollege von Bülow, eine Steigerung um rund 57 %.

(Gansel [SPD] : In sechs Jahren!)




Wohlrabe
) Da für mich Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Bestandteil ist — wenn es Öfentlichkeitsarbeit ist —, ist diese Steigerung um 57 % auf jeden Fall zu hoch. Interessant ist dabei auch die Liste der Hauptsünder, derjenigen Ministerien oder Minister also, die sich die Regierungspropaganda und nicht zuletzt ihre eigene Imagepflege in diesem Zeitraum am meisten haben kosten lassen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das setzt ja voraus, daß Image überhaupt da ist!)

Die Steigerung beträgt in dem Zeitraum von 1969 bis heute, also bis zum Etat 1976 beim Bundesminister für Verkehr 855 °/o,

(Stücklen [CDU/CSU] : Unerhört! — Maucher [CDU/CSU] : Das ist ja grausam! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Skandal!)

beim Bundesminister der Justiz 516 °/o, beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit 507 °/o,

(Maucher [CDU/CSU]: Das ist ja ungeheuerlich!)

beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 356 °/o, beim Bundesminister für Wirtschaft 350 %, beim Bundesminister des Innern 266 %.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wildwuchs ist das!)

Nun mag vielleicht der eine oder andere meinen, daß man sich diese Zahlen aus den Fingern gesogen hat. Grundlage für diese Angaben ist jedoch eine Antwort der Bundesregierung in Drucksache 7/1628. Ich habe diese Drucksache einmal mitgebracht; sie ist vielleicht im täglichen Papierkrieg untergegangen. Wer die Antwort auf die Anfrage genau analysiert, fördert hochinteressante Tatbestände ans Licht. Ich dachte mir, daß es für uns alle — denn wir bemühen uns ja alle darum, einen vernünftigen Haushalt zustande zu bringen — ganz sinnvoll wäre, auch so eine Sache in die Diskussion einfließen zu lassen. Bezeichnenderweise nehmen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit im Bildungsressort und bei der Entwicklungshilfe ab. In diesen beiden Bereichen sehen die politischen Erfolge offensichtlich so negativ aus, daß es sich nicht gelohnt hat — obwohl wir gewünscht hätten, daß die Erfolge besser gewesen wären —, hier mehr zu verkünden. Ich höre aber gerade — ich weiß nicht, ob Herr Minister Rohde da ist —, daß im Etat 1975 des Bildungsressorts zur Zeit noch rund 1,0 Millionen DM gutstehen, die nun an fünf oder sechs Werbeagenturen zur Ausschreibung vergeben worden sind, mit dem Ziel, das Geld bis zum 20. Dezember zu verbrauchen. Dieser Betrag ist stehengeblieben, weil sich beim nicht verabschiedeten Hochschulrahmengesetz keine Propagandamöglichkeiten boten. Ich empfehle, daß auch dieses Ministerium einen Anfang macht und mit gutem Beispiel vorangeht. Es kann dazu beitragen; das Geld muß nicht mit Krach und Gewalt noch ausgegeben werden.
Im Hinblick auf das Wahljahr 1976 ist für den Bürger ein Vergleich mit dem Wahljahr 1972 interessant. Die Wahlpropaganda im Jahre 1972 bezog sich in erster Linie auf die Ostpolitik. Wenn man die Summe zugrunde legt, war es die Ostpolitik, die den Bürger im wahrsten Sinne des Wortes teuer zu stehen kam, So wurden über den Moskauer Vertrag im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für insgesamt mehr als 400 000 DM Broschüren unter das Volk gebracht. Für den Warschauer Vertrag wurden 300 000 DM aufgewendet. Der Propagandaaufwand für einen Sammelband über die Ostverträge belief sich auf knapp 300 000 DM und der für die Berlin-Regelung auf rund 800 000 DM. Für weitere Veröffentlichungen über die Ostverträge wurden rund 400 000 DM ausgegeben. Der Gipfel ist nach meiner Auffassung dies: Die erste Lesung der Ostverträge wurde im Jahre 1972 propagandistisch mit sage und schreibe 566 000 DM begleitet.
Interessant ist auch, was es kostete, der Öffentlichkeit die Tatsache gebührend näherzubringen, daß der damalige Bundeskanzler den Friedensnobelpreis erhalten hat: Hierfür wurden damals aus dem Topf der Steuerzahler weitere 280 000 DM ausgegeben.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Die Reihe dieser und ähnlicher Veröffentlichungen ließe sich beliebig fortsetzen, wenn man den ganzen Inhalt der erwähnten Drucksachen vortrüge; ich habe hier nur einige Beispiele herausgegriffen. Im Jahre 1972 wurden kurz vor der Bundestagswahl für die Broschüre „Die Bilanz ist positiv" 160 000 DM und für die Broschüre „Jetzt stehen Sie sich besser" 68 000 DM ausgegeben. Die Titel dieser Broschüren muten heute, wie ich meine, wie ein schlechter Witz an.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Jetzt müssen sie eine Broschüre mit dem Titel „Jetzt stehen Sie sich schlechter" bringen!)

In diesem Jahr wurde in den Schulen in rund 750 000 Exemplaren die Broschüre „Der Bundeshaushalt — unser Geld" verteilt. Wir hätten uns gefreut, wenn dieser Bundeshaushalt eine würdigere Darstellung erfahren hätte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir können nur sagen: Saustall!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0719928600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Schachtschabel?

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719928700
Gern.

Dr. Hans Georg Schachtschabel (SPD):
Rede ID: ID0719928800
Herr Kollege Wohlrabe, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung eingeschränkt werden könnte, wenn die Opposition nicht wertvolle Entscheidungen und Maßnahmen verdrehen und falsch darstellen würde, so daß immer wieder Richtigstellungen dringend notwendig werden?

(Lachen bei der CDU/CSU)


Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719928900
Herr Kollege Schachtschabel, uns stehen diese enormen Summen nicht zu.



Wohlrabe
) Wir sind auf eine objektive Presseberichterstattung angewiesen. Von dieser gehen wir aus.

(Zuruf von der SPD: Wir auch!)

Bei dieser kommen Sie manchmal sogar noch besser weg als wir. Deshalb ist dieser Bonus der Information ein echter Bonus. Und dieser Bonus wird von Ihnen übertrieben genutzt,

(Beifall bei der CDU/CSU)

in einer Art und Weise, die wir als Mißbrauch bezeichnen, als Vergeudung von Steuermitteln. Glauben Sie mir: Ich habe nichts gegen seriöse, deutliche Öffentlichkeitsarbeit. Das ist sogar die Pflicht einer Bundesregierung. Aber wenn Sie diese Summen, diese Steigerungen anschauen, ist das doch ein so exorbitantes Maß, daß man dann einfach nicht mehr hierher gehen und sagen kann: Wir tun alles, um einen soliden Haushalt vorzulegen. Das ist — um nur den Satz zu gebrauchen: bei kleinen Summen zeigt sich die Treue zum Steuergeld; es sind hier ja kleinere Summen — ein typisches Beispiel. Das sollte man sich doch wirklich merken, und auch Sie sollten dazu beitragen, daß derartiges unterbleibt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0719929000
Herr Abgeordneter Wohlrabe, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719929100
Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht: beim Kollegen Gansel nie. Nein und nie, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen. Er weiß das.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0719929200
Gestatten Sie dann eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719929300
Bitte schön.

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0719929400
Herr Kollege Wohlrabe, Sie werden mir doch sicherlich bestätigen, daß die Koalitionsfraktionen der Regierung immer dann zu Hilfe kommen, wenn es schwierig wird. Würden Sie mir auch bestätigen — Sie haben vorher die Ausgaben des Arbeitsministeriums erwähnt —, daß z. B. eine Anzeige im Zusammenhang mit der Verbesserung der Witwenbeihilfe aufgegeben wurde und nachher am Ende 2 0/o herauskamen, man also feststellen mußte, daß mit dem Einsatz von Hunderttausenden von Mark das Volk buchstäblich angelogen wurde?

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0719929500
Ich bestätige Ihnen das gern. Wir haben das ja auch mehrfach kritisiert.

(Gansel [SPD] : Das sind die Zwischenfragen, die Sie gerade noch beantworten können!)

Meine Damen und Herren, es bleibt aber eine Frage offen, und an der kommen Sie nicht vorbei. Wer im Jahre 1972 in so enormer Weise im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit Bundesmittel, Steuermittel vergeudet und zu so einseitiger Berichterstattung einsetzt — das ist nicht der Auftrag der Koalitionsparteien — und damit auch, wenn ich es hart ausdrücke, zur Täuschung der Wähler eingesetzt hat, der muß sich fragen lassen — und wir gehen einer Bundestagswahl entgegen —: Was planen Sie denn für 1976?
Darüber ist ja schon Stückchen für Stückchen an die Öffentlichkeit gesickert. Die Themen- und Mittelansatzliste, die im Bundespresseamt stellvertretend für alle Ressorts schon in Vorbereitung ist, müssen Sie sich eben einfach einmal anhören. Sie lautet nach dem Regierungsentwurf dieses Bundeshaushalts 1976 — die Summen, die ich jetzt nenne, sind die vollen Summen —: Öffentlichkeitsarbeit „Inland" des Bundespresseamtes rund 15,5 Millionen DM, 1969 — nur immer die Vergleichszahl —8 Millionen DM; Auswärtiges Amt 3 Millionen DM, 1969 1 Million DM; Ernährungsministerium 10 Millionen DM,

(Lambinus [SPD] : Sehr gut!)

1969 3,9 Millionen DM; Arbeitsministerium 7 Millionen DM, 1969 1,5 Millionen DM; Jugend- und Familienressort 16 Millionen DM,

(Lambinus [SPD] : Sehr gut!)

1969 2,7 Millionen DM; Wirtschaftsministerium 2,7 Millionen DM, 1969 0,6 Millionen DM.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: So gehen die mit den Geldern um!)

Das sind die Steigerungsraten, absolut gesehen.

(Maucher [CDU/CSU]: Grausam!)

Von diesen gigantischen Steigerungen haben wir weder von der Regierung noch von der SPD oder FDP auch nur ein Wort gehört. Darum tragen wir das hier vor.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir tragen das auch vor, damit jedermann weiß, was in diesem Haushalt enthalten ist. Prioritäten für die gezielte Regierungspropaganda sollen im kommenden Jahr sein — ich nenne sie thematisch —: Ursachen für die Rezession, vor allem Erklärung der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge; Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Rezession; Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur; Rationalisierungsmaßnahmen bei der Deutschen Bundesbahn; Ehe- und Familienrechtsreform; Reform der Mitbestimmung; Reform der beruflichen Bildung; Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; Vereinbarungen mit der Volksrepublik Polen.

(Lambinus [SPD] Prima!)

Meine Damen und Herren, gezielter — das ist der jetzige Stand; die Aktionen kommen ja noch — könnte die Wahlkampfpropaganda für 1976 gar nicht vorgeplant sein. Aus Steuermitteln soll dem Bürger Sand in die Augen gestreut werden. Das Versagen der Bundesregierung z. B. in der Wirtschafts- und Finanzpolitik soll mit Hilfe von Steuermitteln kaschiert und falsch dargestellt werden.

(Stücklen [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Wer ehrlich ist, muß nach diesen Vorbereitungen zugeben, daß die Bundesregierung, insbesondere



Wohlrabe
jedoch das Bundespresseamt, auf vollen Touren für den Wahlkampf 1976 aus Steuermitteln rüstet.

(Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Sie haben es auch bitter nötig!)

Mit Öffentlichkeitsarbeit hat dies nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion überhaupt nichts zu tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dem Leiter der Abteilung II des Bundespresseamtes haben wir es zu danken ich bedanke mich dafür —, daß der Charakter dieser Behörde nun einmal aktenkundig gemacht worden ist. Er gab nämlich in einem Rundschreiben, das uns zugänglich wurde, seinen Mitarbeitern bekannt, daß im Bundes- tagswahljahr 1976 die Ferientermine auf die zu erwartende Wahlkampflage eingestimmt werden müßten. Er schreibt wörtlich — ich zitiere —:
Nach einem ersten Höhepunkt im Frühsommer werden die Wahlkampfaktivitäten im September am größten sein. Darum bitte ich Sie schon heute, Ihre Urlaubsplanungen so zu gestalten, daß wir im September und Oktober 1976 mit voller Personalstärke arbeiten können.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Propagandaministerium! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir, meine Damen und Herren , sagen dazu: Dies ist kein Bundespresseamt mehr, dies ist auch keine seriöse Öffentlichkeitsarbeit mehr; dies ist schlicht und einfach Propagandaarbeit, um nicht zu sagen: Propagandaministerium.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Unglaublich! — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: So ist es! — Zurufe von der SPD)

Dies ist außerdem ein skandalöses Verhalten, das Ihrer gar nicht würdig ist. Das brauchen Sie sich im Grunde genommen doch gar nicht leisten. Wenn der Mann so etwas auch noch schriftlich aus dem Hause gibt, spricht das nicht für seine Klugheit, kann ich nur sagen; es spricht auch für die Gesinnung. Daß Sie das zum Teil unterstützen, halte ich für einen ganz bedauerlichen Vorgang.

(Beifall bei der CDU/CSU — Stücklen [CDU/CSU]: Die Rede muß morgen früh wiederholt werden! — Gansel [SPD] : Ich erhebe das zum Antrag!)

Die Selbstherrlichkeit, mit der die Bundesregierung somit Steuergelder für persönliche Bequemlichkeiten und für Propagandazwecke vergeudet, erinnert — um ein Wort des Kollegen Leicht zu benutzen fast an byzantinische Zustände. Und auf dieser Basis wollen Sie mit uns ein Wahlkampfabkommen schließen! Ich lese in der Zeitung, daß auch Sie sich — wie auch wir — für ein faires Wahlkampfabkommen einsetzen. Ich sage Ihnen dazu nur dies: Wir sind für ein faires Wahlkampfabkommen und sind bereit, uns daran zu beteiligen; aber nur dann, wenn auch diese Maßnahmen aus der Planung des Presseamtes, die ich hier vorgetragen habe, in ein derartiges Wahlkampfabkommen mit einbezogen werden. Sonst hat das nämlich alles überhaupt keinen Sinn, meine Damen und Herren.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Die verlieren trotzdem!)

Die Bundesregierung hat in diesen Fragen in den letzten Jahren nach meinem Empfinden einen schlechten Stil an den Tag gelegt. Wenn gespart werden muß, wenn Opfer gebracht werden müssen, dann hat die Regierung die Pflicht, zuallererst vor ihrem eigenen Hause zu kehren. Es ist auch nicht erheblich, ob dabei im Vergleich zu den Riesendefiziten der Haushalte 1975 und 1976 kleinere oder unbedeutendere Summen zur Debatte stehen. Entscheidend ist die Geste, ist das Beispiel, das diese Bundesregierung zu geben bereit ist.
Entscheidend ist auch die Gesinnung, mit der Geldausgaben erfolgen. Franz Josef Strauß sagte heute morgen zu Recht „Die Treue zum Geld fängt bei den kleineren Beträgen an". Ich fand den Satz hervorragend und wiederhole ihn deshalb. Ich kann nur sagen: Dies muß die Richtschnur unseres Handelns sein.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Gansel [SPD])

Die Bundesregierung hat seit 1969 auf diesem förmlich in ihrem Intimbereich liegenden Gebiet ein schlechtes Beispiel gegeben. Wir werden bei den Haushaltsberatungen durch wiederkehrende Kürzungsanträge darauf dringen, daß dieser Wildwuchs und die Vergeudung von Steuermitteln, insbesondere im Bereich der Propagandaausgaben, unterbleiben. daß also die Mittel gekürzt werden. Wir fordern seit Jahren — ich wiederhole dies — eine Konzentrierung der Öffentlichkeitsarbeit bei dem dafür zuständigen Bundespresseamt.

(Zuruf von der SPD: Sie kritisieren sie ja!)

— Nein, ich habe eine seriöse Öffentlichkeitsarbeit nicht kritisiert. — Seit Jahren fordern wir das Einfrieren der Ausgaben für diese Zwecke, äußerste Sparsamkeit in diesem Bereich. Das heißt, wenn wir wirklich sparsam sein wollen: Zurück auf die .Ansätze von 1969!
Zum Schluß haben wir sehr gute Schützenhilfe bekommen, vom Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs, der mit dem Finanzgebaren der SPD /FDP-Bundesregierung hart ins Gericht gegangen ist, indem er u. a. erklärte — und dieser Bericht ist uns ja allen zugegangen; ich zitiere —:
Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, deren Bedeutung ich zwar nicht unterschätze, können wirtschaftlicher eingesetzt und bei Anwendung der äußersten Sparsamkeit in zahlreichen Fällen gekürzt werden, ohne damit wichtige Interessen zu berühren. Dies gilt insbesondere für den Teil der Öffentlichkeitsarbeit, der mehr der Selbstdarstellung der Ressorttätigkeit als der Unterrichtung und Aufklärung der Staatsbürger dient.
Meine Damen und Herren, diesem klaren Wort, dieser eindeutigen Aufforderung, mit der wir, die CDU/



Wohlrabe
CSU, uns voll identifizieren, haben wir nichts hinzuzufügen. Wir wünschen uns nur, daß es sich die Mehrheit zur Richtschnur ihres Handelns macht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gansel [SPD] : Warum haben Sie mit dem Zitat nicht angefangen?)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0719929600
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Mir ist mitgeteilt worden, daß man interfraktionell darüber Verständigung erzielt hat, daß wir trotz der verbundenen Debatte zu den Punkten 2, 3 und 4 nunmehr über die Punkte 2 a und 2 b sowie über den Punkt 4 abstimmen können und daß die Debatte über den Punkt 3 bis morgen früh unterbrochen werden kann. -- Wir werden so verfahren.
Wer dem Überweisungsvorschlag zu den Punkten 2 a und 2 b zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Dann rufe ich zur Abstimmung über Punkt 4 auf. Wer dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrats zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Diese Überweisungen sind ebenfalls einstimmig beschlossen.
Wir unterbrechen jetzt die Aussprache zu Punkt 3 der Tagesordnung.
Ich schließe die heutige Sitzung und berufe die nächste Sitzung auf morgen früh, 9.00 Uhr.