Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenken wir heute des am 1. Juli 1974 verstorbenen Präsidenten der Argentinischen Republik, Juan Domingo Perón.
Sein Name ist seit mehr als 30 Jahren eng mit der Politik Argentiniens verflochten. Es sind noch keine neun Monate vergangen, seit Perón, wenige Tage nach seinem 78. Geburtstag, am 23. September 1973, mit der großen Mehrheit von 61 % der Stimmen zum dritten Mal zum Präsidenten gewählt wurde. Am 12. Oktober 1973 trat er sein Amt an.Die Autorität, die er besaß, hat er eingesetzt, um seinem Lande neue Wege für eine wirtschaftliche Blüte und eine sozialgerechte Entwicklung zu bahnen. Mit Dankbarkeit gedenken wir auch seines Einsatzes für die Festigung der deutsch-argentinischen Freundschaft.Die Frau Präsidentin hat dem Präsidenten der Cámara de Diputados, des argentinischen Abgeordnetenhauses, zum Tode Präsident Peróns das folgende Telegramm übermittelt:Zu dem schweren Verlust, den Ihr Land und das argentinische Volk durch den Tod des Präsidenten der Republik Argentinien erlitten haben, spreche ich Ihnen, Exzellenz, und den Mitgliedern der Cámara de Diputados die tiefempfundene Anteilnahme des Deutschen Bundestages aus.Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben; ich danke Ihnen.Meine Damen und Herren, für den ausgeschiedenen Abgeordneten Scheel ist mit Wirkung vom 28. Juni 1974 der Abgeordnete Dr. Laermann in den Bundestag eingetreten.Der Abgeordnete Groß hat am 5. Juli 1974 sein Mandat niedergelegt. Als sein Nachfolger ist mit Wirkung vom 5. Juli 1974 der Abgeordnete Wolfgramm in den Bundestag eingetreten.Ich begrüße die neuen Kollegen herzlich und wünsche ihnen eine erfolgreiche Mitarbeit.
Am 30. Juni hat unser Kollege, der Abgeordnete Halfmeier seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich spreche ihm die Glückwünsche des ganzen Hauses aus.
Nach einer interfranktionellen Vereinbarung sollen der Entwurf eines Gesetzes zu den Pariser und Brüsseler Atomhaftungs-Übereinkommen — Drucksache 7/2182 — sowie der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes — Drucksache 7/2183 —, die in der 106. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Juni 1974 dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen wurden, diesem auch nach § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Entschließung zum Siebenten Gesamtbericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Tätigkeit der Gemeinschaften im Jahre 1973— Drucksache 7/2217 —zuständig: Auswärtiger AusschußBericht der Bundesregierung über die 28. Generalversammlung der Vereinten Nationen— Drucksache 7/2300 —zuständig: Auswärtiger AusschußErhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 9. Juli 1974 vorgeschlagen, für den Abgeordneten Schulte die Abgeordnete Frau Dr. Timm als Vertreterin des Abgeordneten Wienand in den Vermittlungsausschuß zu entsenden. — Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 21. Juni 1974 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt:Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters Gesetz über UmweltstatistikenGesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse fürArbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft — ZVALG —
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7632 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Vizepräsident von HasselViertes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des PersonenstandsgesetzesGesetz zur Änderung des Parteiengesetzes Zweites Steueränderungsgesetz 1973Zu dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1973 hat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich der folgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung
Gesetz zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen RepublikSeine Schreiben sind als Drucksachen 7/2306, 7/2307 verteilt.Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 27. Juni 1974 das vom Deutschen Bundestag beschlosseneGesetz über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz Gesetz zu dem Vertrag vom il. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republikbestätigt.Seine Schreiben sind als Drucksachen 7/2319, 7/2320 verteilt.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Juli 1974 gegen das vom Deutschen Bundestag am 20. Juni 1974 verabschiedete Gesetz zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik Einspruch eingelegt. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2325 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 20. Juni 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gruhl, Ey, Volmer, Biechele, Dr. Schneider, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein und der Fraktion der CDU/CSU betr. Organisation des Umweltschutzes — Drucksache 7/2196 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2302 verteilt.Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 26. Juni 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Dr. Neumeister, Dr. Hammans, Frau Schleicher, Burger, Frau Stommel und Genossen betr. Einfuhr von Blutbestandteilen — Drucksache 7/2045 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2317 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 1. Juli 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Offergeld, Frau Huber, Frau Funcke, Dr. Graf Lambsdorff, Hölscher und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Besteuerung multinationaler Unternehmen — Drucksache 7/2233 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2324 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 1. Juli 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten de Terra, Frau Tübler, Dr. Wörner, Rollmann, Nordlohne, Dr. Köhler , Dr. Marx, Berger, Volmer, Löher, Rommerskirchen, Damm und Genossen betr. Bezahlung des zivilen Seepersonals der Bundesmarine — Drucksache 7/2232 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2341 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 2. Juli 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gölter, Dr. Fuchs, Pfeifer, Frau Benedix, Hauser , Dr. Hornhues, Frau Hürland, Hussing, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU betr. PZ „Schule" Nr. 9/74 der Bundeszentrale für politische Bildung — Drucksache 7/2057 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2342 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 2. Juli 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Gewandt, Engelsberger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungsförderung kleiner und mittlerer Unternehmen — Drucksache 7/2161 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2343 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 3. Juli 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Bremm, Dr. Wagner , Frau Will-Feld, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Gölter, Gerster (Mainz), Josten, Pieroth und Genossen betr. Lage auf dem deutschen Weinmarkt — Drucksache 7/2295 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2345 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 9. Juli 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder , Frau Dr. Walz, Weber (Heidelberg), Dr. Gruhl und der Fraktion der CDU/CSU betr. Energieforschung, Energieersparnis — Drucksache 7/2157 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2366 verteilt.Der Bundeskanzler hat gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Geschäftsbericht 1972 der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übersandt, der im Archiv zur Kenntnis ausliegt.Überweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend den' Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates über Sondervorschriften, die auf den Handel mit Tomatenkonzentraten zwischen der Gemeinschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung und den neuen Mitgliedstaaten anwendbar sind— Drucksache 7/2298 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über den Abschluß eines Briefwechsels betreffend Artikel 3 des Protokolls Nr. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik— Drucksache 7/2308 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die zollrechtliche Behandlung von zu Erprobungs- oder Untersuchungszwecken eingeführten Waren— Drucksache 7/2309 —überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage desBerichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rateszur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Arabischen Republik Ägypten raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifszur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Arabischen Republik Ägypten— Drucksache 7/2310 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 121/67/EWG hinsichtlich bestimmter Bedingungen zur Auslösung der Gewährung von Beihilfen zur privaten Lagerhaltung im Sektor Schweinefleisch— Drucksache 7/2311 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen und Vergünstigungen der Arbeitnehmer bei Gesellschaftsfusionen, Betriebsübertragungen sowie Unternehmenszusammenschlüssen—Drucksache 7/2312 —überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung , Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2108/70 zur Bestimmung des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas für Schweinehälften— Drucksache 7/2313 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatNach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um dieBeratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Verfahren gemäß §§ 76 ff. BVerfGG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des 5. Gesetzes zur Reform des Strafrechts— Drucksache 7/2353 —.Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.Ich ,schlage Ihnen vor, diesen Punkt sogleich zu erledigen. Es bestand interfraktionelles Einverständnis darüber, den Antrag dem Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974 7633
Vizepräsident von HasselIch rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:Eidesleistung des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Der Herr Bundespräsident hat dem Präsidenten des Bundestages am 8. Juli 1974 folgendes Schreiben zugeleitet:Sehr geehrte Frau Präsidentin!Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers Herrn Bundesminister Dr. Erhard Eppler aus seinem Amte entlassen und Herrn Egon Bahr zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt.Meine Damen und Herren, der vom Bundespräsidenten Ernannte leistet gemäß Art. 64 unseres Grundgesetzes den in Art. 56 vorgeschriebenen Eid. Herr Bundesminister Bahr, ich bitte Sie, zur Eidesleistung hier herzutreten. — Ich lese Ihnen die Eidesformel vor und bitte Sie, sie mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen. Der Eid lautet:Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Sie haben, wie es die Verfassung vorsieht, vor dem Bundestag den Eid geleistet. Ich spreche Ihnen die Glückwünsche des Hauses aus.
Vielen Dank!
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates zu dem Gesetz zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik
— Drucksache 7/2325 —
Es ist vorgesehen, daß Erklärungen gemäß unserer Geschäftsordnung abgegeben werden. Zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Friedrich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion wird dem Gesetz zur Ratifizierung des Vertrages über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zustimmen. Indem wir zustimmen, weisen wir den Einspruch der Mehrheit des Bundesrates zurück. Wir sind für die Ratifizierung, weil es 29 Jahre nach Kriegsende an der Zeit ist, in den Beziehungen unserer Völker einen Schlußstrich unter eine schlimme Vergangenheit zu ziehen. Wir wollen ratifizieren, weil zwei Völker, die in der Mitte Europas leben, endlich normale Beziehungen brauchen.
Diese Ratifizierung liegt auch deshalb im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, weil damit das Vertragswerk der Ostverträge endlich seinen Abschluß findet, ein Vertragswerk, durch das der Friede in Europa und in der Welt sicherer geworden ist.
Dieser Vertrag dient den Interessen der beiden Vertragspartner, denn wir haben — vor allem als ein in der Mitte Europas liegender hochindustrialisierter Staat — besonderes Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas. Weiter muß betont werden, daß vom ersten Tage der Verhandlungen an die Verträge in voller Übereinstimmung mit den Verbündeten des Westens abgeschlossen worden sind.Dies alles sind Gründe von großem Gewicht. Dagegen sind die vom Bundesrat beim Einspruch genannten Einwände nicht stichhaltig; denn sie wurden bereits in den Beratungen des Ausschusses und in der zweiten Lesung widerlegt.Die CDU/CSU-Mehrheit des Bundesrates weiß, daß die angesehensten Völkerrechtler der Bundesrepublik hinter diesem Vertrag stehen. Welche Völkerrechtler wir auch aufbieten würden, wir sind überzeugt, daß kein Gutachten, keine Ausschußberatung Sie überzeugen würden; denn Sie stehen gegen diese Verträge aus innenpolitischen Gründen.
Wir haben in diesem Vertrag die Interessen und die staatsbürgerlichen Rechte der Sudetendeutschen gewahrt. Die Vertreibung hat die Billigung nicht gefunden. Gerade deshalb müssen wir bedauern, daß die Union zum erstenmal in 25 Jahren gegen einen völkerrechtlichen Vertrag über den Bundesrat Einspruch erhoben hat.Die Opposition muß wissen, daß die Erstmaligkeit dieses Vorganges dem Einspruch in unseren internationalen Beziehungen ein besonderes Gewicht geben wird. Wir selbst halten einen so entscheidenden Schritt nicht für ausreichend berechtigt.Wir haben das Gefühl und den unwiderlegbaren Eindruck, daß die Union den Vertrag mit der CSSR seit Monaten vor allem unter dem Blickwinkel der Vorbereitung der Wahlkampagne in Bayern behandelt. Es war deshalb kein Zufall, daß der bayerische Staatsminister Heubl im Bundesrat den Einspruch der CDU/CSU-Länder begründet hat.Wir halten es für eine schlimme Sache, wenn der Bundesrat von der Opposition nun zum erstenmal
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7634 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Friedrichauch in Fragen der internationalen Beziehungen zur zweiten Oppositionskammer der CDU/CSU degradiert wird.
Dies schadet unseren Interessen in der Welt, und dies erweckt den Eindruck, als ob in diesem Hause internationale Beziehungen zum Spielball von Parteipolitik gemacht würden. Der Einspruch des Bundesrates um jeden Preis, der Gang nach Karlsruhe bei jeder sich bietenden Gelegenheit
müssen den Wählerauftrag verfälschen und führen zur Aushöhlung der Funktion des Bundestages und der Funktion der Bundesorgane.
Sie haben in der Tat durch alle Ostverträge hindurch immer wieder den Eindruck erweckt, als ob Sie selbst konsequent Friedenspolitik anstrebten, aber auch den, als ob Sie schwankten.Herr Kollege Barzel, ich erinnere mich an die Verabschiedung des Moskauer Vertrages, wo bei Ihnen eine ganze Woche überlegt worden ist.
Die Entscheidung, zum Bundesrat zu gehen, bedeutet die totale Verweigerung der Union vor dem Vertragswerk der Ostverträge.
Was wir befürchten, ist Schlimmes, wenn ich daran denke, was Sie in den nächsten Wochen im Lande aus dieser Abstimmung hier machen werden. Zur Zeit bereist der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß die bayerischen Bierzelte. Er ist wahrscheinlich deswegen heute nicht hier, weil der Bierdunst in den Bierzelten zu anstrengend ist und er sich tagsüber davon erholen muß.
Am vergangenen Freitag hat der CSU-Vorsitzende in Würzburg auf einer öffentlichen Kundgebung erklärt: Dieser Mann verkauft Deutschland!
Herr Abgeordneter, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen. Meine Damen und Herern, bei der Abgabe von Erklärungen werden Zwischenfragen nicht zugelassen. Es ist aber dann zu erwarten, Herr Abgeordneter, daß die Erklärungsform gewahrt bleibt.
Darf ich Sie darum bitten!
Am vergangenen Freitag hat der CSU-Vorsitzende, Franz Josef Strauß, auf einer Kundgebung in Bayern zu den Ostverträgen Stellung genommen, und er hat dabei gesagt: „Dieser Mann verkauft Deutschland"
eine Erklärung, die in diesem Hohen Hause bisher immer auf Adolf Hitler gemünzt war. Strauß meinte aber nicht Hitler, sondern den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt.
Da es nicht gut ist für die Bundesrepublik Deutschland, daß ein Franz Josef Strauß das totale Nein der Opposition bestimmt, wäre es vielleicht gut, wenn Strauß seinen langgehegten Wunsch, eine Oppositionspartei, eine CSU auf Bundesbene zu gründen, endlich verwirklichte.
Wir bedauern es, daß Politiker der Union, denen wir in Fragen der Außenpolitik ein anderes Augenmaß zubilligen, daß Herr Schröder, daß Herr Kiep, daß Herr von Weizsäcker sich nicht öffentlich von dieser Diffamierung distanzieren. Das wäre gut für dieses Haus.
Das totale Nein der Union zu diesem Vertrag bestätigt erneut die Notwendigkeit der sozialliberalen Koalition. Die internationale Politik — das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Union — ist heute ohne dieses Vertragswerk undenkbar. Die Politik dieser Koalition stimmt überein mit den Konstellationen der Weltpolitik. Und sowenig man Tote in Wahllisten weiterführen und mit ihnen den Volkswillen ermitteln kann, so wenig kann die CDU/CSU hoffen, daß sich die ganze Welt ändert, nur weil Sie diese Verträge ablehnen.
Dieses Nein ist für die Union eine historische Fehlentscheidung und ist für sie schon heute in der internationalen Politik eine schwere Belastung.
Der Tag wird kommen, an dem Sie Ihre Haltung ändern müssen.
Wir, die wir diesem Vertrag zustimmen, beantragen namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In ihrer Stellungnahme gegen den Einspruch des Bundesrates zum Vertrag mit der CSSR hat die Bundesregierung noch einmal ihre Gründe zusammengefaßt, die sie ihrem Verlangen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974 7635
Dr. Marxnach einer Ratifizierung dieses Vertrages zugrunde legt.Heute, sozusagen beim letzten Durchgang, fasse ich in der nun folgenden Erklärung, die ich im Namen unserer Fraktion abgebe, unsere Argumente zusammen. Da ich mich nicht mehr dem ganzen Spektrum der Probleme zuwenden kann und will, spreche ich lediglich zu einigen, aber, wie wir glauben, besonders wichtigen Fragen, die nach der einhelligen Auffassung der CDU und CSU im vorliegenden Vertrag nicht geregelt, schlecht geregelt oder ungenügend formuliert sind.Um Wiederholungen zu vermeiden, verweise ich noch einmal ausdrücklich auf die 11 Punkte, die ich bei der zweiten Lesung hier vorgetragen habe, insonderheit auf die dortigen Punkte 10 und 11.Der vorliegende Vertrag ist nicht - wie dieBundesregierung behauptet ein „notwendigerAkt der Vernunft", sondern ein Dokument dafür, daß wichtigen Gesetzen der Vernunft, den Notwendigkeiten der Politik, dem Verlauf der Geschichte, den Erfahrungen mit den bisherigen Ostverträgen und der Kenntnis von den Absichten der sowjetisch geführten Seite leider nicht in genügendem Maße entsprochen worden ist.
Verträge sind nur dann Akte der Vernunft, wenn beide Seiten, beide vertragschließenden Teile zu einer Vereinbarung kommen, die klar und eindeutig und nicht neue Quelle für künftige Auseinandersetzungen ist. Aber solche neuen Auseinandersetzungen zu beseitigen ist ja ein wichtiger, oft erklärter Zweck des vorliegenden Vertrages. Allein der Vertrag erreicht diesen Zweck nicht.Wir jedenfalls, meine Damen und Herren, können das Wort „Normalisierungsvertrag" nur so verstehen, daß er das Verhältnis mit dem tschechoslowakischen Nachbarn normalisieren, also ohne neue Konflikte zu provozieren, ohne Zweideutigkeiten und ohne Dolus regeln soll. Was dieser Vertrag aber nach der eindeutigen Bekundung der Bundesregierung enthält, nämlich den klaren Dissens, den Widerspruch, die bewußte Öffenhaltung für entgegengesetzte Interpretationen über die Bedeutung seines Kernstückes, nämlich die Frage nach der geschichtlichen und rechtlichen Wertung des Münchner Abkommens, das ist eben — wenn Worte ihren Sinn behalten sollen — nicht „normal". Wer trotzdem diesen Vertrag als „vernünftig" bezeichnet, strapaziert die Vernunft. Wer trotzdem diesem Vertrag das Etikett „normal" anhängt, betreibt Etikettenschwindel.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und ihre Parlamentsvertreter haben uns in der Debatte zu dem Vertrag oft versichert, daß — weil nichts Besseres zu erreichen gewesen sei — jede Seite getrost bei ihren Vorstellungen über die Wertung des Abkommens vom 29. September 1938 bleiben könne. Eine Einigung habe es eben nicht gegeben. Wir haben uns immer wieder — und zwar auch in den langen und sehr gründlichen Beratungen im Ausschuß — gefragt, weshalb man dann so wenigNerven und Energie und plötzlich so wenig Zeit und Ausdauer gezeigt und gehabt hat. Die Bundesregierung hat einen Vertrag abgeschlossen, der — das möchten wir ausdrücklich festhalten — in seinem wichtigsten Punkt, dem Artikel I, zwar von „nichtig" spricht; aber beide vertragschließenden Teile verstehen die Bedeutung dieser in der Geschichte völkerrechtlicher Verträge höchst seltene und, wenn man sie genau betrachtet, höchst dubiose Formulierung in einem entgegengesetzten Sinne. Das Schlüsselwort, um das es geht, ist zugleich die Formel der Uneinigkeit und der künftigen Auseinandersetzung.Ich möchte hier ganz offen sagen, daß wir nach dem Gang der Ausschußberatungen, nach der Debatte, die wir hier gehabt haben, und an Hand zahlreicher neuer Zitate der tschechoslowakischen Seite in der wichtigsten Sache jetzt doch noch nachdenklicher und mißtrauischer geworden sind. Wir fragen uns, ob nicht doch — entgegen vielen Versicherungen, die man uns gegeben hat — zumindest von Teilen der Koalition eine gewisse Übereinstimmung mit der tschechoslowakischen Seite darin besteht, daß „nichtig" eben doch — so wie es das Wort auch richtig meint — nichts ist, null, Nullitny, wie es die Tschechen ihrem neuen Wortschatz hinzugefügt haben.Herr Kollege Friedrich hat bei seiner vorletzten Rede
— ich denke, Herr Kollege, Sie haben offenbar gar nicht gemerkt, daß es Ihnen nicht gelungen ist, mit Ihren Worten Ihre Gedanken zu verbergen — wörtlich folgendes ausgeführt:Weil es zwischen beiden Staaten keine Übereinstimmung in der Beurteilung des Münchner Abkommens von 1938 gegeben hat, hat es bisher auch keine Beziehungen gegeben.Man muß sich diesen Satz genau anhören. Nach den Gesetzen der Logik heißt das: Jetzt gibt es Beziehungen. Diese gibt es nur, weil wir beide in der Beurteilung des Münchner Abkommens als null und nichtig übereinstimmen.
Wir müssen befürchten, daß man auch hier eine augenzwinkernde Politik betrieben hat, etwa nach der Devise: Für den Hausgebrauch müssen wir das ein wenig anders formulieren; in der Sache selbst sind wir uns aber einig. Ich füge das deshalb hier an, weil wir uns leider noch gut an gewisse Vorgänge bei der Aushandlung des deutsch-sowjetischen Vertrages erinnern, wo man Formeln suchte, die gegenüber dem deutschen Verfassungsgericht Bestand haben sollten, Formeln, über deren wahren Charakter man sich aber mit dem Vertragspartner eher einig war, als mit der Opposition im eigenen Lande.Meine Damen und Herren, es ist in der Debatte der vergangenen Wochen erneut über Herkommen und Bedeutung, über politische und rechtliche Konsequenzen der Formel „nichtig" gestritten worden.
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7636 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Dr. MarxIch will das hier nicht wieder aufnehmen. Es kann aber auch nicht behauptet werden — was immer wieder getan wird —, daß diese Nichtigkeitsformel vor allem oder fast ausschließlich dem tschechoslowakischen Wunsch entspräche. Ich denke, daß viele von uns, die in den letzten Jahren Gelegenheit hatten, mit dem Mann auf der Straße in Prag oder anderswo zu sprechen, die bis in die kommunistischen Führungspositionen hinein Unterhaltungen geführt haben, sich klar darüber waren, daß die Unbedingtheit und die Unerbittlichkeit dieser Forderung nicht so sehr tschechoslowakischer als vielmehr sowjetischer Herkunft ist.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Vertrag enthält in seinem Art. I und im ersten Satz des Art. II und natürlich auch in dem einseitigen „Brief zur Strafverfolgung" kräftige Formulierungen, die der östlichen These, von der ich eben sprach, weit entgegenkommen. Dies kann niemand abstreiten, sondern jedermann kann es lesen. Wer aber trotzdem behauptet, es handle sich bei dieser Formel, wie wir hier bei der letzten Debatte gehört haben, um einen Kompromiß, der sollte doch bitte Nachhilfeunterricht über Inhalt und Bedeutung wichtiger politischer Begriffe nehmen. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Bundesregierung hat keinen Kompromiß erreicht, sondern sich abgefunden mit der Formulierung eines schwerwiegenden Dissens. Aber ich möchte festhalten: Ein Dissens ist kein Kompromiß.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung behauptet in ihrer Antwort an den Bundesrat, der vorliegende Vertrag sei — ich zitiere — „sehr sorgfältig verhandelt" worden. Lassen Sie mich dazu sagen, daß ich selbst nach Kenntnisnahme einzelner Verhandlungsrunden und nach eingehenden Gesprächen mit dem Verhandlungsführer, dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Herrn Frank, den bestimmten Eindruck hatte und dies auch öffentlich sagte, dieser Vertrag werde sorgfältiger als jene Verträge von Moskau und Warschau ausgehandelt. Dann aber zeigte sich, daß die politischen Weisungen, die an die deutsche Verhandlungsdelegation ergingen, dieser offenbar den notwendigen Spielraum, den eine solche Delegation in dieser Situation haben mußte, immer mehr einengten, und zwar nicht nur den Spielraum in der Sache, also im Diskutieren und Aushandeln von Formulierungen, sondern auch in der zur Verfügung stehenden Zeit. Die eigene Delegation wurde von der Bundesregierung unter Zeitdruck gesetzt und damit dem Zugzwang und schließlich der Notwendigkeit, einer Sache zuzustimmen, der man so nicht zustimmen durfte, ausgeliefert.Niemand, meine Damen und Herren, kann sich die bittere Einsicht etwa dadurch versüßen, daß er auf die besondere Situation verweist, in der sich die tschechoslowakische Seite befand und befindet. Natürlich wissen wir, daß die Tschechen nicht Herr ihrer eigenen Entscheidung waren und sind. Natürlich vergißt niemand von uns auch nur für einen Augenblick, daß unser Nachbar von fremden Truppen besetzt, fremdem, übermächtigem Willen unterworfen ist und daß wohl manche Station der deutsch-tschechoslowakischen Verhandlungen über das ungleiche Abkommen beiden Verhandlungsseiten wohl makaber vorgekommen sein mag angesichts der Zwangslage, in der sich die Tschechoslowaken 30 Jahre später, im Jahre 1968, durch Besetzung und neue Knebelungsverträge befunden haben und niedergebeugt worden sind. Meine Damen und Herren, wenn es eine neue Logik in der Vertragsinterpretation geben sollte, die Geschehenes für null und nichtig aus politischen Gründen bezeichnet, so wird meiner Auffassung nach die Geschichte allerdings auch jene Verträge eines Tages für null und nichtig ansehen, die gegen den Willen des tschechoslowakischen Volkes, ja sogar gegen den Willen seiner kommunistischen Führung diesem Land aufgezwungen worden sind,
aufgezwungen, meine Damen und Herren, nicht nur mit angedrohter, sondern mit und nach angewandter Gewalt.
War also der Vertrag, waren seine Nebenabsprachen sorgfältig ausgehandelt? Ich habe hinsichtlich der ersten Phasen keine Einschränkungen gemacht und bleibe dabei. Was die Sorgfalt in der Schlußphase der Verhandlungen und bei der Abfassung weiterer Dokumente, auch z. B. beim Briefwechsel über humanitäre Fragen, angeht, so sage ich, daß sie gefehlt hat. Leider hat sie auch gefehlt bei der Nichtregelung der konsularischen Vertretung für die Angelegenheiten West-Berlins.Wenn man die Debatte zum Vertrag noch einmal nachliest, meine Damen und Herren, so fällt auf, daß alle Sprecher meiner Fraktion auf die völlig unbefriedigende Situation, die Berlin anlangt, hingewiesen haben. Wie recht unser Kollege Bruno Heck hatte, als er diesem Vertrag — im Verhältnis zum Moskauer Vertrag — ein Satellitenverhältnis nachwies, zeigt sich mit unüberbietbarer Deutlichkeit nicht nur in der ursprünglich in Moskau konzipierten und formulierten Absichtserklärung Gromyko—Bahr, sondern auch in der offen eingestandenen Abhängigkeit der Regulierung konsularischer Fragen mit der CSSR von einer solchen vorausgehenden Regelung zwischen uns und der Sowjetunion. Die Formel lautet also: Erst Einigung mit den Sowjets, vielleicht Verkehr von Gericht zu Gericht oder von Landesjustizverwaltung hier zu den Justizministerien der einzelnen Sowjetrepubliken dort; dann, wenn dies erreicht ist — mühsam und wahrscheinlich unter neuen Zugeständnissen; denn, meine Damen und Herren, für die andere Seite ist nach dem Gang der Ereignisse Berlin immer aufs neue eine Erpressung wert —, dann und erst dann darf die Bundesrepublik Deutschland mit der Tschechoslowakei nach vorgelegtem Modell eigene Vereinbarungen treffen.Herr Kollege Bahr hat gemeint, die Hecksche Formulierung „Satellitenverhältnis" sei nicht sehr geschmackvoll. Darauf möchte ich gern mit aller Deutlichkeit antworten, daß ich es immer als geschmack-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974 7637
Dr. Marxlos empfunden habe — obwohl ich nicht weiß, ob dieses Wort ganz das ausdrückt, was wir alle gefühlt haben —, wenn die damalige Bundesregierung bereit war, auf diese Forderungen einzugehen und auf ihre Weise die Doktrin, die mit dem Namen Breschnews verbunden ist, zu bestätigen.
Meine Damen und Herren, auch bei der Lektüre der Protokolle über die vergangenen Debatten ist mir aufgefallen, daß man den Versuch macht, den Sommer des letzten Jahres ein wenig in ein Gedächtnis-Loch zu werfen. Aus diesem Grunde möchte ich, daß wir uns alle noch einmal folgendes in Erinnerung rufen.Die Bundesregierung stellte spätestens bei den Verhandlungen mit Prag, Budapest und Sofia in der ersten August-Hälfte 1973 fest, daß die Sowjetunion auf der vorausgegangenen Ostblock-Gipfelkonferenz, die auf der Krim stattgefunden hatte, eine einheitliche Linie aller Warschauer Pakt-Staaten gegenüber Bonn formuliert und festgelegt hatte. Das geschah trotz der als „befriedigend" empfundenen und als „in die Zukunft weisend" beschriebenen Gespräche zwischen Breschnew und Brandt hier in Bonn. Die drei genannten Staaten zeigten damals offen, daß selbst dann, wenn sie gewollt hätten, für sie keine Möglichkeit bestünde, den deutschen Botschaften in ihren Ländern die volle konsularische Vertretung West-Berlins zuzugestehen.Die damalige Bundesregierung war z. B. in die Verhandlungen mit Ungarn mit dem öffentlich ausdrücklich bekräftigten Willen gegangen, eine umfassende Berlin-Klausel für den deutsch-ungarischen Vertrag auszuhandeln. Laut „Frankfurter Rundschau" haben offizielle Sprecher des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung am 13. August 1973 — ich zitiere —:... keinen Zweifel daran gelassen, daß es ohne befriedigende Berlin-Regelung keine Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der CSSR, Bulgarien und Ungarn geben werde.Die gleiche „Frankfurter Rundschau" fügt dann hinzu, Herr Kollege Mischnick, daß auch ein Sprecher der FDP geäußert habe, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sei — ich zitiere — „ ... nicht ohne befriedigende Berlin-Regelung denkbar". Herr Kollege Mischnick, meine verehrten Kollegen von der FDP, Sie haben damals öffentlich die Hoffnung geäußert, der Geist des beim Breschnew-Besuch in Bonn erzielten Übereinkommens werde — auch das zitiere ich - „auf die Verhandlungen mit Budapest wie auch auf andere Länder ausstrahlen".Heute, im Rückblick darauf, spürt man lediglich ein Gefühl bitterer Ironie, wenn man diese Dokumente einer illusionären Politik und einer wirklichen Fehleinschätzung der Absichten, der Ziele und der Methoden des Gegners noch einmal nachliest.
Meine Damen und Herren, die damalige Bundesregierung hat — ich möchte das hier festhalten, denn wir alle haben ja damals ihren Äußerungen geglaubt -- den Mund offenbar sehr voll genommen. Sie hat überall im Lande die Auffassung gefördert, jetzt aber sei sie hart, und sie bleibe es auch angesichts der Erpressungspolitik, die gegenüber Berlin betrieben werde. Am 14. August des vergangenen Jahres teilte Herr von Wechmar als Sprecher der Bundesregierung mit, daß, falls es zu keiner Verständigung über den Berlin-Passus komme, die Reise von Brandt und Scheel am 6. September in Frage gestellt sei, denn die Auffassung der Bundesregierung zur Sache selbst habe sich nicht geändert. Am folgenden Tag meldete die „Frankfurter Allgemeine" — ich zitiere —:Der Bundeskanzler hat erklären lassen, daß ihn die Prager nicht zu Gesicht bekommen würden, bis eine befriedigende Berlin-Regelungerreicht sei. Mit „befriedigend" — um das festzuhalten — war damals immer gemeint: keine Schwächung der Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik Deutschland. Dies war ja der politische Wille aller in diesem Hause vertretenen Parteien auch nach dem Abschluß des Viermächteabkommens, mit der später plötzlich und befremdlich erkennbaren Ausnahme des Herrn Wehner.
Die Einbeziehung Berlins in die konsularischen Befugnisse der deutschen Botschaften war somit ein Testfall für den oft berufenen und selten definierten Geist geworden, in ,dem Moskau die Gesamtheit der Ostverträge auszufüllen bereit war. Auch hier zeigte sich, allerdings in einer ganz anderen Weise, als es sich die Autoren wohl ursprünglich gedacht hatten, was „das einheitliche Ganze" der Verträge heißt. Insoweit war die weitere Entwicklung dieses Problems auch eine Probe aufs Exempel, ob nämlich Entspannug von beiden Seiten als ein Aufeinanderzugehen, als ein wirklicher Kompromiß, als ein dauerhafter Ausgleich verstanden würde.Was aus all den Ankündigungen, man werde fest bleiben, man habe ja Zeit, man vertraue fest auf die Vereinbarung vom Petersberg bei Bonn, daß nämlich das Berliner Abkommen „strikt eingehalten und voll angewendet" werde, — was aus all dem dann geworden ist, wissen wir. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister hatten es abgelehnt, nach Prag zu gehen. Sie gingen dann doch. Ich denke, dies war keine diplomatische Meisterleistung. Dies war ein uns alle betreffendes Trauerspiel.
Meine Damen und Herren, „sorgfältig" also ist dieser Vertrag und sind die ihn begleitenden Probleme keineswegs in allen Phasen behandelt worden. Wir können einen Vertrag nur dann als sorgfältig ausgehandelt bezeichnen, wenn in ihm die Gewichte ausgewogen verteilt sind und wenn er unsere Interessen eindeutig wahrt.
Wenn aber die Interessen der einen Seite, also der östlichen, im Vertrag selbst berücksichtigt und festgeschrieben sind, die unseren aber nur in Randpapieren geregelt werden oder sich in verlegene
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Dr. MarxFormeln der Hoffnung flüchten, daß nach dem Vertrag, irgendwann und irgendwie, das noch Fehlende und Wichtige geregelt werden könne, dann können Sie von uns wirklich nicht erwarten, daß wir dies mit unserem Ja abschirmen oder gar bestätigen.Wir haben auch kritisiert, daß im Vertrag die geschichtliche Darstellung verengt und damit verfälscht sei. Darauf antwortet die Regierung erneut mit einer Allerweltsweisheit. Sie sagt, es sei natürlich nicht die Aufgabe eines völkerrechtlichen Vertrages, Geschichte zu schreiben. Das hat auch niemand verlangt. Aber Sie haben sich darauf eingelassen — das müssen wir noch einmal festhalten —, an entscheidender Stelle eine Aussage zur Geschichte in den Vertrag hineinzuschreiben, eine Aussage, aus deren Existenz und Wortlaut später sicher noch mancherlei Folgerungen und auch Forderungen abgeleitet werden.Wie die Dinge liegen, wie die Geschichte in ihrem Auf und Ab zwischen den Völkern im böhmischmährischen Raum zur Zeit der alten Donaumonarchie, wie sie bei den Pariser Vorortverträgen, wie sie in den zwanziger und dreißiger Jahren, wie sie vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg sich ereignet hat, das alles oder auch nur einen wichtigen Teil davon in einem einzigen Satz oder auch nur in einem einzigen Halbsatz einfangen zu wollen und damit zu beurteilen, — dies, meine Damen und Herren, ist nicht möglich; wer es trotzdem tut, produziert Mißverständnisse. Wer trotzdem aus derI Fülle der unbestreitbar schweren historischen Verwirrungen und Verbrechen ein einziges herauslöst und die anderen verschweigt, der wird die Folgen einer solchen verzerrenden Darstellung tragen müssen. Und er muß auch begreifen, daß er damit seine Hand zu einseitiger und ungerechter Geschichtsbetrachtung geboten hat.Die damalige Bundesregierung wird jedenfalls den schwerwiegenden Vorwurf nicht entkräften können, daß sie kein Wort in den Vertrag selbst hineingebracht hat, mit dem auch die Völkerrechtsverletzungen der Vertreibung von mehr als dreieinhalb Millionen Menschen angesprochen wäre. Nun, man sagt uns, wenn wir darüber debattieren — auch wieder in der Erklärung der Bundesregierung zum Bundesrat, auch wieder in den Ausschußverhandlungen —: Aber bitte, der damalige Bundeskanzler hat doch in einer Fernsehansprache von Prag aus auf das Thema hingewiesen. Aber, meine Damen und Herren, jedermann von uns weiß, daß Fernsehansprachen Vertragstexte nicht ersetzen können und daß sie im Zusammenhang mit der Sache, über die wir hier handeln, völkerrechtlich völlig irrelevant sind.Man sagt uns — sozusagen zum Trost — die beiden Außenminister hätten sich doch während der Verhandlungen über das Thema der Vertreibung und darüber, daß sie durch den Vertrag nicht legitimiert werden dürfe, unterhalten. Aber auch darüber steht im Vertrag nichts, und wir hätten gerne einmal die Antwort gewußt, die der tschechoslowakischen Außenminister dem unseren gegeben hat, als dieser seine Ausführungen in der bezeichneten Weise gemacht hat.Meine Damen und Herren, der Vertrag von Prag ist immer wieder als ein Schlußstein im Gebäude der Ostpolitik — auch eben durch Kollegen Friedrich —, als Schlußstrich hinter die Vergangenheit bezeichnet worden. Wenn er wirklich die Vergangenheit abschließen würde, wenn er wirklich in Ehrlichkeit dafür sorgen würde, daß ein Aufeinanderzugehen dadurch ermöglicht ist, dann wäre die Haltung meiner Fraktion eine andere. Leider aber wissen wir, daß das Verschweigen der Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer angestammten Heimat als eine Legitimierung nicht nur verstanden werden könnte, sondern jenseits der Grenze auch so verstanden wird. Ein Blick in die tschechoslowakischen Zeitungen und das Mithören der tschechoslowakischen Sender macht deutlich, daß man dort aus den Formulierungen des Vertrages den Schluß zieht, die Vertreibung sei eine gerechte Strafe gegen renitente tschechoslowakische Staatsbürger.Meine Damen und Herren, dieser Vertrag hat also viele Mängel, offensichtliche und verborgene, schwerwiegende und folgenreiche, so daß die Fraktion der CDU/CSU ihn nicht als Grundlage für eine ausgewogene, für eine ehrliche, dauerhafte Besserung der Beziehungen zwischen uns und dem Nachbarland der Tschechen und Slowaken ansehen kann.Niemand darf, wie dies in letzter Zeit wiederholt ganz oberflächlich und, gewiß gewollt, ungerecht geschehen ist, die Ablehnung dieses Vertrages als Ablehnung der Verständigung mit der CSSR erklären. Um es noch einmal deutlich zu machen — auch denjenigen gegenüber, die so gerne die Ohren verschließen und weghören, wenn wir diese unsere Absicht sagen —: Wir sind für vertragliche Regelungen. Doch dieser Text genügt unseren Anforderungen nicht. Er wird auch nicht, wie wir fürchten, wirkliche Verständigung bringen, sondern neue Konflikte.
Es liegt, meine Damen und Herren, der CDU/CSU-Fraktion daran, heute erneut und auch in der Stunde der Schlußabstimmung unserem in den Irrungen und Wirrungen der Geschichte geschundenen Nachbarn zu sagen, daß wir keinerlei Haß gegen ihn hegen, keine Gedanken an Rache, Vergeltung oder Aufrechnung. Wir erwarten unsererseits von den Tschechen und Slowaken, daß sie — wenn es ihnen offen zu sagen auch verwehrt ist — in ihren Köpfen und Herzen keine Gedanken und Gefühle gegen uns hegen, die von Haß oder Feindseligkeit bestimmt sind. Was sich Deutsche, Tschechen und Slowaken im Laufe der jüngsten Geschichte gegenseitig zugefügt haben, zuletzt noch deutsche Soldaten in altbekannten Uniformen bei der Unterwerfung der sozialistischen CSSR im Jahre 1968, dies alles kann aus dem Buch der Geschichte nicht gestrichen werden. Aber die Fülle all dieser Erfahrungen kann uns mahnen und, wie ich hoffe, uns alle in der Einsicht bestärken, daß wir entschlossen sind, aus dem Kreis, wo eine schlimme Tat dieDr. Marxnoch schlimmere hervorbringt, auszubrechen und den Versuch zu machen, auf einer ehrlichen Grundlage bleibende Verständigung zu finden.
Meine Damen und Herren, wenn dies gelingen soll, so ist Voraussetzung, daß beide Seiten es wollen. Ich sage das ausdrücklich in Kenntnis der letzten Rundfunkkommentare, die wir aus Prag hören und die eine anmaßende Einmischung in diese unsere innere Diskussion darstellen. Sie sind eine anmaßende Stellungnahme gegenüber dem, was die CDU/CSU sagt; denn die CDU/CSU hat es sich sicher nicht leicht gemacht, um zu diesem Urteil zu kommen.Wir, meine Damen und Herren, die Abgeordneten der CDU/CSU, sagen nein zu einem ungeeigneten Vertrag, aber ja zum Geist der Aussöhnung, übrigens einer Aussöhnung, die viele von uns seit langen Jahren bei unzähligen Gesprächen mit Tschechen und Slowaken bereits vorfinden. Wir sagen ja zur Verständigung, wissen aber zugleich, daß die harte Hand der Sowjetunion dem tschechoslowakischen Volk nur spärliche, nur kanalisierte und nur kontrollierte Kontakte erlaubt, die dem politischen Kalkül des Kreml entsprechen.Ich schließe mit folgender Feststellung. Die CDU/ CSU strebt an: eindeutigen gegenseitigen Gewaltverzicht; Verwirklichung der Menschenrechte in allen Staaten Europas; freien Austausch von Menschen, Ideen, Informationen und Meinungen auch zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen; lebhafter Verkehr wirtschaftlicher, technischer und kultureller Güter auch und gerade zwischen dem böhmisch-mährischen Raum und uns.Wir wollen Normalisierung, und wir wollen ordentliche Verträge. Wir wollen Verträge, die den Namen Normalisierung auch wirklich verdienen.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, daß der Deutsche Bundestag einen außenpolitischen Vertrag zur erneuten Beratung vom Bundesrat zurückgereicht bekommt. Die Fraktion der Freien Demokraten kann jedenfalls nur mit Bedauern davon Kenntnis nehmen, daß der Bundesrat mit seiner CDU/CSU-Mehrheit an seinem Einspruch gegen den CSSR-Vertrag festgehalten hat.Ich gehöre gewiß nicht zu jenen Politikern, die Entscheidungen des Verfassungsorgans Bundesrat bereits dann kritisieren, wenn sie nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen oder wenn die Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder dort ihre politischen Vorstellungen bei solchen Entscheidungen durchsetzen, die der Kompetenz des Bundesrates unterliegen. Ein solcher Vorgang mag zwar nicht immer bequem sein, aber er ist legitim und verdient keine Polemik. Was sich aber hier mit dem CSSR-Vertrag getan hat, entzieht sich einer nüchternen Bewertung und ist, am verfassungsrechtlichen Maßstab gemessen, nur als gefährliches Spiel mit tatsächlich gewonnenen Machtpositionen zu begreifen.
Meine Damen und Herren, bislang bin ich immer davon ausgegangen, daß die Zuständigkeit für die Regelung der Beziehungen mit auswärtigen Staaten eindeutig beim Bund liegt;
Art. 32 des Grundgesetzes schien mir insoweit keine Auslegungsschwierigkeiten zu bereiten. Es muß deshalb für jeden objektiven Betrachter der Szene vollkommen unverständlich bleiben, daß der Bundesrat mit seinem Einspruch versucht,
das Ratifizierungsgesetz des Bundestages zum CSSR-Vertrag zu Fall zu bringen.Aber abgesehen von der verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Problematik, die natürlich vorrangig für die innenpolitische Auseinandersetzung Bedeutung hat, bleibt zu fragen, ob die Opposition mit ihrer Mehrheit im Bundesrat gut beraten war, sich bei der Demonstration innenpolitischer Stärke ausgerechnet am Objekt des CSSR-Vertrages zu versuchen. Diese Kraftmeierei auf dem Rücken eines Staates, der in seiner jüngsten Geschichte nicht nur unter der Nazi-Herrschaft des „Dritten Reiches" schwer gelitten hat, sondern auch die harte Disziplinierung der kommunistischen Bruderländer mit militärischem Einsatz zu spüren bekam, scheint mir deshalb mehr als peinlich.Meine Damen und Herren, in besonders krasser Weise tut sich bei der Opposition an dieser Stelle die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit auf.
Der Präsident des Bundesrates hat bei seiner Ansprache vor dem Deutschen Bundestag aus Anlaß der Vereidigung des Herrn Bundespräsidenten Ausführungen zu der verantwortungsvollen Haltung des Gesetzgebungsorgans Bundesrat gemacht und hat dabei doch ganz offensichtlich dessen CDU/CSU-Mehrheit gemeint. In diesem Rückblick hat Ministerpräsident Filbinger formuliert — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Der Bundesrat hat sich in der Vergangenheit als verantwortungsvolles Gesetzgebungsorgan erwiesen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines erwähnen: Seit 1969 und bis auf den heutigen Tag ist noch kein einziges Bundesgesetz am Bundesrat gescheitert, und zwar nicht zuletzt dank der Arbeit des Vermittlungsausschusses.Soweit der Präsident des Bundesrates hier am 1. Juli vor diesem Hause.Meine Damen und Herren, diese sich so berühmenden Feststellungen klingen angesichts der unbe-
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Hoppegreiflichen Entscheidung des Bundesrates zum CSSR-Vertrag wie blanker Hohn.
Allerdings, so glaube ich, wird der Bundestag heute mit einer zustimmenden Entscheidung die Aussage des Herrn Bundesratspräsidenten dennoch Wirklichkeit werden lassen und auch an diesem Tage verhindern, daß ein Bundesgesetz am Bundesrat scheitert.
Ein Verdienst der Bundesratsmehrheit ist das aber wahrlich nicht.Zur Sache selbst ist alles Wesentliche bereits in den voraufgegangenen Debatten des Deutschen Bundestages ausgeführt worden; ich kann mich deshalb damit begnügen, die von meiner Fraktion zum Vertrag gemachten Feststellungen und die dazu ausgesprochenen Bewertungen heute noch einmal zusammenzufassen. Auch die Erklärung, die Herr Kollege Marx für die Opposition soeben abgegeben hat, bietet keinen Anlaß, anders zu verfahren.Gewiß, gut Ding will Weile haben. Aber wenn die Opposition ständig mehr Sorgfalt und mehr Zeit für Beratungen verlangt, so meint sie in Wirklichkeit doch immer wieder nur „nein".
Und bei einer solchen Haltung ist, meine Damen und Herren, Ihre Forderung nach mehr Aussprache außerordentlich fragwürdig. In dieser Sache ist die Entscheidung längst überfällig.Meine Damen und Herren, dieser Vertrag dient der Aussöhnung und der Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR. Er versucht, die schwerbelastete Vergangenheit zu überwinden und die Voraussetzung für einen Neubeginn zu schaffen. Der deutsch-tschechoslowakische Vertrag ist dabei keineswegs eine nachträgliche Legitimierung der Vertreibung der Sudetendeutschen.Der Vertrag räumt die Streitpunkte aus der unseligen Vergangenheit beider Völker in fairer Weise aus und schafft durch eine ausgewogene rechtliche Konstruktion die Gewähr dafür, daß die Nichtigkeitserklärung des Münchner Abkommens zu keinen nachteiligen Rechtsfolgen bei der Aufnahme bilateraler Beziehungen führen kann.Berlin ist entsprechend dem Viermächteabkommen — und dies erstmals — in einen Gewaltverzichtsvertrag mit dem kommunistischen Ausland einbezogen worden.Wie die übrigen Ostverträge schafft auch der deutsch-tschechoslowakische Vertrag die erforderlichen Grundlagen für die Aufnahme und die Fortentwicklung beiderseitiger Beziehungen, und er eröffnet damit zugleich die Chance für eine friedliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Völkern.Die FDP-Fraktion stimmt deshalb dem Vertrag zu. Sie ist davon überzeugt, daß der Vertrag ein Beitrag zu den energischen Anstrengungen um einen friedlichen Ausgleich zwischen den Völkern Europas sein kann. Es ist jetzt an uns allen, diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, wir kommen, nachdem wir die Erklärungen entgegengenommen haben, zur Abstimmung. Wir müssen nach § 92 unserer Geschäftsordnung eine Auszählung vornehmen oder namentlich abstimmen. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Um den Einspruch des Bundesrats, der mit absoluter Mehrheit erfolgt ist, zurückzuweisen, bedarf es hier der absoluten Mehrheit, d. h. es müssen sich mindestens 249 Stimmen für die Zurückweisung des Einspruchs ergeben.Darf ich Sie bitten, jetzt genau hinzuhören: Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen, sonst mit Nein oder sich der Stimme enthalten.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt: Es sind 429 uneingeschränkt gültige Stimmen abgegeben worden. Von diesen haben für die Zurückweisung des Einspruchs 262 mit Ja gestimmt, mit Nein 167, keine Enthaltung. 22 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben, davon haben 13 für die Zurückweisung des Einspruchs mit Ja gestimmt und 9 mit Nein.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 429 und 22 Berliner Abgeordnete; davonJa: 262 und 13 Berliner AbgeordneteNein: 167 und 9 Berliner AbgeordneteDr. von Bülow BuschfortDr. Bußmann ColletConradiCoppikDr. CorterierFrau Däubler-GmelinDr. von Dohnanyi DürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers
Dr. Emmerlich Dr. EndersEngholmDr. EpplerEstersEwenDr. Farthmann FellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. Focke Franke
FrehseeFriedrichGanselGeigerGerlach
Gerstl GertzenDr. GeßnerJaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt
Dr. Arndt AugsteinBaack Bäuerle Barche BahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker
Dr. BeermannBerkhanBiermannBlankDr. Böhme
BörnerFrau von BothmerBrandtBrandt
BredlBrück BuchstallerBüchler
Büchner
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Vizepräsident von Hassel GlombigDr. Glotz GnädingerGrobeckerGrunenbergDr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier Hansen HauckDr. Hauff HenkeHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonker ImmerJahn
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans Junker KaffkaKahn-AckermannKaterKernKoblitz Konrad KratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LangeLattmannDr. Lauritzen LautenschlagerLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtke Löbbert LutzMahne MarquardtMarschallMatthöferFrau MeermannDr. Meinecke Meinicke (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-EmmertNagelNeumann Dr.-Ing. OettingOffergeld Frau Dr. OrthFreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. PennerPensky PeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe
Ravens Reiser ReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RohdeRosenthalSander SaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchonhofenSchreiberSchulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSeibert SimonSimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStaak
Stahl
Dr. StienenSuckSundFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVahlbergVitDr. Vogel VogelsangWalkhoffWaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphalDr. WichertWiefel WischnewskiDr. de WithWittmann WolfWolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Dübber EgertFrau GrützmannHeyen Löffler Mattick Dr. SchellenbergFrau SchleiSchwedler SieglerschmidtWurcheFDPDr. AchenbachDr. BangemannBaumDr. Böger ChristEngelhard Frau Funcke GallusGeldnerGenscher GraaffGrünerDr. Hirsch Hölscher HoffieJungKirstKleinertKrallDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LogemannDr. Dr. h. c. Maihofer Mertes MischnickMöllemann Moersch OlleschOpitzSchmidt
von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinCDU/CSUDr. Aigner Albervon Alten-Nordheim Dr. AlthammerDr. Arnold BaierDr. BarzelDr. Becher Frau BenedixBenzBewerunge Biechele Biehlevon BockelbergBöhm BraunBreidbach BremerBremmBurgerCarstens
Dr. Carstens
Dr. Czaja Dammvan Delden Dr. DollingerDreyerEigenEilers EngelsbergerEntrupErhard ErnestiDr. Evers EyFreiherr von FircksFranke
Dr. Franz Dr. FreiwaldDr. FrerichsDr. Fuchs GeisenhoferGerlach
Gerster GierensteinDr. Gölter Dr. GötzHaase
Dr. Häfele Dr. Hammansvon HasselHauser Hauser (Krefeld)Dr. Heck Höcherl HöslDr. HornhuesHorstmeier Frau HürlandDr. Hupka Dr. Jaeger Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jobst JostenKatzerDr. KempflerKiechleDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KliesingKösterKrampeDr. Kraske Dr. KreileDr. Kunz LagershausenLampersbachLemmrichDr. Lenz LenzerLinkLöherDr. Luda Dr. Marx Maucher MemmelDr. Mertes MickDr. Mikat Dr. Miltner MilzMöller
Müller
Dr. Müller-HermannDr. Narjes NiegelNordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaßPfeiferDr. PrasslerDr. Probst Rainer
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7642 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Vizepräsident von HasselRaweReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. Ritgen RöhnerRommerskirchenRoserRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmitt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderDr. Schröder Dr. Schulze-VorbergSickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenFrau StommelStücklen Sussetde Terra ThürkTillmannDr. TodenhöferDr. UnlandVeharFrau Verhülsdonk Vogel VogtVolmerDr. WaffenschmidtDr. h. c. Wagner Dr. WaigelWawrzikWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWindelenDr. Wittmann Dr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von Wrangel Dr. WulffDr. ZeitelZieglerDr. Zimmermann ZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger Dr. GradlKunz
Müller
Frau PieserDr. Schulz StraßmeirWohlrabeDamit ist die erforderliche Zahl von 249 Stimmen erreicht und der Einspruch zurückgewiesen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz — EStRG)— Drucksache 7/2352 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Das Wort zur mündlichen Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf als Berichterstatter für den Vermittlungsausschuß folgendes vortragen.I. Der Bundestag hat in seiner 104. Sitzung am 5. Juni 1974 den von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs sowie den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes miteinander verbunden und als Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung verabschiedet.Der Bundesrat hat in seiner 407. Sitzung am 21. Juni 1974 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 5. Juni 1974 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes aus den nachstehend wiedergegebenen Gründen einberufen wird.Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung vom 27. Juni 1974 nach einer Generalaussprache einen Unterausschuß eingesetzt, der paritätisch besetzt war mit jeweils zwei Vertretern der Regierungskoalition des Deutschen Bundestages und der Opposition des Deutschen Bundestages sowie je zwei Ländervertretern, die der SPD bzw. der CDU/ CSU angehören.Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 5. Juli 1974 den Ihnen als Drucksache 7/2352 vorliegenden Antrag des Vermittlungsausschusses beschlossen.Der Vermittlungsausschuß hat des weiteren beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über den in dieser Drucksache enthaltenen Antrag im ganzen — also gemeinsam — abzustimmen ist.II. Zu dem Anrufungsbegehren des Bundesrates und dem Ihnen vorliegenden Antrag — Drucksache 7/2353 — des Vermittlungsausschusses darf ich im einzelnen bemerken:1. Mit Ziffer I des Anrufungsbegehrens beantragte der Bundesrat, den vom Bundestag gefaßten Beschluß, die genannten Gesetze zu verbinden, aufzuheben und die Gesetze zu trennen. Diesem Begehren ist der Vermittlungsausschuß nicht gefolgt.
2. Unter Ziffer II rief der Bundesrat mit elf weiteren Begehren den Vermittlungsausschuß an. Ich muß um Geduld bitten. Ich muß auf diese Begehren im einzelnen eingehen.a) Der erste Antrag des Bundesrats lautete: Abzug der Vorsorgeaufwendungen von der Bemessungsgrundlage unter schrittweiser Anhebung der Höchstbeträge entsprechend den finanzwirtschaftlichen Möglichkeiten.In der Ihnen vorliegenden Empfehlung des Vermittlungsausschusses ist unter Ziffer VI der materielle Kern des Vorschlages des Vermittlungsausschusses zu diesem Punkt enthalten, der sich folgendermaßen zusammenfassen läßt:Bei diesem haushaltsmäßig am schwersten wiegenden Streitpunkt soll den unterschiedlichen Standpunkten von Bundestag und Bundesrat dadurch Rechnung getragen werden, daß nur noch bis zu einem Höchstbetrag von 2 400,—/4 800,— DM Vorsorgeaufwendungen durch Abzug von der Steuerschuld berücksichtigt werden. Darüber hinaus geleistete Vorsorgeaufwendungen sollen wie bisher bis zu bestimmten Höchstbeträgen, die im allgemeinen über denen des geltenden Rechts liegen, von der Bemessungsgrundlage und damit progressions-mindernd abgesetzt werden können. Diese Lösung entspricht in ihrer haushaltsmäßigen Auswirkung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974 7643
Dr. Schäfer
ungefähr der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Vorsorgeregelung.Die in der Vorlage unter den Ziffern I bis IV, VII bis XI sowie in XIII und XIV enthaltenen Empfehlungen sind Folgen der soeben dargestellten, unter Ziffer VI aufgeführten Empfehlungen.b) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Der Arbeitnehmerfreibetrag ist wie alle übrigen Freibeträge von der Bemessungsgrundlage abzuziehen.Der Antrag wurde dahin gehend konkretisiert, daß statt 240,— DM 480,— DM von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden sollen. Die dagegenstehende Auffassung hielt es für richtig, an der bisherigen Regelung festzuhalten, daß der Betrad von 600,— DM mit 22 % von der Steuerschuld abgezogen werden soll. — Der Antrag fand keine Mehrheit im Vermittlungsausschuß.c) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Es ist gesetzlich sicherzustellen, daß für den am 1. 1. 1977 beginnenden Veranlagungszeitraum ein durchgehend progressiver Tarif eingeführt wird.Der Vermittlungsausschuß hat hierzu keinen Beschluß gefaßt; nachdem die Bundesregierung folgende Erklärung im Vermittlungsausschuß abgegeben hat:Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag bis 31. März 1977 unter Darlegung der finanziellen und verwaltungsmäßigen Auswirkungen berichten, ob mit Wirkung ab 1. Januar 1978 ein Einkommensteuertarif mit durchgehendem Progressionsverlauf und einem Spitzensteuersatz von höchstens 56 % eingeführt werden kann. Wenn ja, wird die Bundesregierung rechtzeitig einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.d) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Es ist eine Verpflichtung der Bundesregierung aufzunehmen, jährlich im September einen Tarifbericht zu erstatten.Der Vermittlungsausschuß hat hierzu keinen Beschluß gefaßt, nachdem die Bundesregierung folgende Erklärung im Vermittlungsausschuß abgegeben hat:Die Bundesregierung wird im Rahmen des Finanzberichts über die Auswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Ausgaben und die Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte berichten und darlegen, ob und gegebenenfalls welche Folgerungen sie daraus zieht.e) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Die Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ist mit dem Steuerrecht zu harmonisieren.Der Vermittlungsausschuß legt Ihnen hierzu die in Ziffer V 1 und XI 3 der Drucksache 7/2352 enthaltene Empfehlung vor.Demnach soll ab 1976 neben der Beibehaltung desauf 1800,— DM erhöhten Freibetrages für aus-wärtig untergebrachte Kinder ein Ausbildungsfreibetrag von 2 400,— DM für über 18 Jahre alte Kinder eingeführt werden. Auf beide Beträge werden neben den eigenen Einkünften des Kindes auch die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz angerechnet.f) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Der Werbungskostenpauschbetrag für Kapitaleinkünfte hat wie bisher für Ledige 150,— DM und für Verheiratete 300,— DM zu betragen.Dieser Antrag wurde aber im Vermittlungsausschuß von keiner Seite aufgegriffen.g) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Die Gewährung des doppelten Höchstbetrages bei der Altersentlastung für Einkünfte, die nicht aus Renten und Pensionen stammen, ist zu vereinfachen .. .Diesem Antrag folgte der Vermittlungsausschuß nicht.h) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Für Alleinstehende und Verheiratete in Altersheimen ist ein Freibetrag von 1 200 DM einzuführen .. .Es bestand Einigkeit, daß der schon vom Deutschen Bundestag beschlossene Freibetrag für Bewohner von Altersheimen nicht 600 DM, sondern 1 200 DM betragen soll. Ich möchte auf Ziffer V 2 der Ihnen vorliegenden Drucksache verweisen.i) Der nächste Antrag des Bundesrates befaßte sich mit der Ausschlußverlustklausel bei Sonderabschreibungen im Kohlen- und Erzbergbau. Dieser Antrag wurde von keiner Seite aufgenommen.k) Der folgende Antrag des Bundesrates lautete: Die zeitliche Zuordnung von Ausgaben ist zur Verhinderung von Mißbräuchen vom reinen Verausgabungsprinzip zu lösen; es ist sicherzustellen, daß Aufwendungen, die für mehr als zwei Kalenderjahre im voraus geleistet werden, für die Kalenderjahre abzuziehen sind, zu denen sie wirtschaftlich gehören ...Der Vermittlungsausschuß hat hierzu keinen Beschluß gefaßt, nachdem die Bundesregierung dazu folgende Erklärung im Vermittlungsausschuß abgegeben hat:Die Bundesregierung wird im Rahmen des Entwurfs zum Einführungsgesetz zur Reform der Einkommensteuer eine Vorschrift vorlegen, die sicherstellt, daß Aufwendungen, die für mehr als zwei Kalenderjahre im voraus geleistet werden, für die Kalenderjahre abzuziehen sind, zu denen sie wirtschaftlich gehören.1) Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Der Vermögensteuersatz für nichtnatürliche Personen ist auf 0,7 v. H. zu belassen, der Steuersatz für natürliche Personen ist auf 0,5 v. H. zu senken.Der Vermittlungsausschuß ist diesem Antrag nicht gefolgt.3. Der nächste Antrag des Bundesrates lautete: Im Gesetz zur Vereinheitlichung des Familien-
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7644 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Dr. Schäfer
lastenausgleichs ist eine Verpflichtung der Bundesregierung aufzunehmen, alle zwei Jahre bis zum 31. Oktober, erstmals bis zum 31. Oktober 1976, einen Bericht über die Veränderung der Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten vorzulegen und entsprechende Vorschläge für eine Anpassung des Kindergeldes zu unterbreiten.Hierzu hat der Vermittlungsausschuß keinen Beschluß gefaßt, nachdem die Bundesregierung im Vermittlungsausschuß folgende Erklärung abgegeben hat:Die Bundesregierung wird alle zwei Jahre im Rahmen des Sozialbudgets über die wirtschaftliche Lage der Familien berichten und darlegen, ob und gegebenenfalls welche Folgerungen hinsichtlich des Kindergeldes sie daraus zieht.4. Zu dem Antrag des Bundesrates:Im Vermittlungsverfahren soll geprüft werden,inwieweit einzelne Maßnahmen der Steuergesetzgebung in Stufen in Kraft zu setzen sind.hat der Vermittlungsausschuß keinen Beschluß gefaßt, nachdem dazu keine konkreten Anträge gestellt wurden.5. Der Vermittlungsausschuß schlägt unter Ziffer VII 1 a vor, im Interesse einer weiteren Verwaltungsvereinfachung einen Rundungsbetrag von 24 DM für diejenigen Arbeitnehmer einzuführen, die nach Steuerklasse VI besteuert werden.6. Unter Ziffer XII schlägt der Vermittlungsausschuß vor, die allgemeine Verlustklausel im Interesse der Förderung des Berliner Wohnungsbaues in der Abschreibungsvergünstigung nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes in Berlin auszuschließen.Als Berichterstatter möchte ich namens des Vermittlungsausschusses das Hohe Haus um Annahme des Vorschlages bitten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Offergeld das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen.Für uns war die Steuerreform nicht nur eine Maßnahme zur Entlastung der Steuerzahler, zur Entlastung insbesondere der unteren und mittleren Einkommen, sondern die Steuerreform bedeutete für uns auch den Versuch, mehr soziale Gerechtigkeit durchzusetzen. Es geht uns nicht nur um ein sogenanntes Inflationsentlastungsgesetz mit linearen Ermäßigungen für Bezieher aller Einkommen, sondern um strukturelle Maßnahmen.Mit der Steuerreform ist daher für uns die Reform des Familienlastenausgleichs verbunden; das bedeutet Kindergeld vom ersten Kind an. Steuerreform bedeutet für uns Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages. Steuerreform bedeutet, daß wir viele soziale Gruppen gezielt entlasten wollen; ich nenne nur die Körperbehinderten, die sogenannten Halbfamilien, also die Alleinstehenden mit Kindern. Ich erinnere an den Pensionsfreibetrag für die Bezieher von Beamten- und Werkspensionen. Ich erinnere an den Altersentlastungsbetrag, und wenn wir über den Tarif sprechen, geht es bei uns nicht nur um die Erhöhung des Grundfreibetrages, sondern auch um einen höheren Spitzensteuersatz. Es geht auch darum, Vorsorgeaufwendungen künftig sich steuerlich gerechter auswirken zu lassen. Es geht darum, z. B. die Vermögensteuer nicht mehr bei der Einkommensteuer abzugsfähig zu machen. Dies alles sind Ziele, die in dieser Steuerreform verwirklicht und durchgesetzt werden sollen. Dieses alles sind Ziele, die bei sogenannten Entlastungsgesetzen nicht zu erreichen wären.Es geht bei der Steuerreform aber auch um die Entlastung der Finanzverwaltung und um die Entlastung der Steuerzahler von lästigen Formalitäten und Anträgen. So führt die Steuerreform, wie sie in diesem Hause beschlossen wurde, dazu, daß über 7,5 Millionen Fälle weniger von den Finanzämtern bearbeitet werden müssen, aber auch von den Arbeitnehmern nicht mehr als Antragsfälle und durch einen Gang auf das Finanzamt erledigt werden müssen. Dies ist ein ganz wichtiger Bereich auch des Länderinteresses, der Länderfinanzverwaltungen.Die Mehrheit in diesem Hause und meine Fraktion war und ist sich darüber klar, daß die Steuerreform nur dann verabschiedet werden kann, wenn der Bundesrat zustimmt. Deswegen haben wir auch schon bei den Beratungen im Finanzausschuß des Bundestages viele der Anregungen des Bundesrates aufgegriffen. Ich denke nur — ein ganz wichtiger Komplex — an das Auszahlungsverfahren des Kindergeldes: statt Abzug von der Steuerschuld Auszahlung durch die Arbeitsverwaltung. Da sind wir den Vorstellungen des Bundesrates gefolgt, aber auch in vielen anderen Punkten, z. B. bei der Frage, wie Diätaufwendungen künftig steuerlich berücksichtigt werden können. Es ist eine ganze Liste von Bedenken und Anregungen des Bundesrates, denen wir schon bei den Beratungen im Bundestag Rechnung getragen haben.Bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß war für uns eine Grenze, über die wir nicht ernsthaft verhandeln konnten, der bislang errechnete Ausfall in Höhe von insgesamt etwa 11 Milliarden DM. Lassen Sie mich zu den Zweifeln, die an diesen Ausfallberechnungen geäußert wurden, zwei Worte sagen: Wir haben die Rechnungen des Finanzministeriums, die seit vielen Monaten auf dem Tisch sind und die lange Zeit nicht bestritten wurden, überprüft. Sie sind vielfach überprüft worden, und es sind keinerlei falsche Berechnungen von irgendeiner Seite festgestellt worden. Es ist selbstverständlich, daß man, wenn man Grundannahmen variiert, auch zu anderen Ergebnissen kommt. Wir haben überhaupt keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Berechnungen, und wir gehen davon aus, daß auch in einem Vermittlungsverfahren die
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OffergeldAusfälle nicht über diese 11-Milliarden-Grenze hinaus wachsen dürfen. Wir halten die Angriffe auf die Berechnungen des Finanzministeriums für unbegründet. Wenn ein Landesfinanzminister noch im Juni behauptet, die Ausfälle auf Grund des Koalitionskonzeptes betrügen 7 Milliarden DM, und dann der gleiche Finanzminister im Juli, also wenige Wochen später, behauptet, die Ausfälle beliefen sich auf 15 Milliarden DM, so bedarf dies eigentlich keines Kommentars. Die Seriosität einer derartigen Argumentation mag die Öffentlichkeit beurteilen.Beim Vermittlungsvorschlag, dem meine Fraktion zustimmen ließ, ist der Vermittlungsausschuß, so meinen wir, dem Bundesrat ein großes Stück entgegengekommen. Der Bundesrat hatte insgesamt 13 Punkte in das Vermittlungsverfahren eingebracht. Drei Punkte nehmen wir durch den heute hier zur Abstimmung stehenden Vermittlungsvorschlag auf. Drei Punkte sind durch Erklärungen der Bundesregierung im Vermittlungsausschuß aufgegriffen worden; man ist auch da der Opposition weitgehend entgegengekommen. Bei drei Punkten hat man sich darauf verständigt, daß diese von seiten des Bundesrates nicht mehr aufrechterhalten werden oder aber daß diese im Einführungsgesetz geregelt werden. In vier Punkten konnte der Vermittlungsausschuß dem Bundesrat nicht folgen, insbesondere beim Problem des Vermögensteuersatzes. Allein die Haushaltsausfälle von über 1,5 Milliarden DM bei der Befolgung des Konzepts des Bundesrates bei der Vermögensteuer verbieten es unseres Erachtens, ernsthaft darüber zu diskutieren.Einer der Hauptpunkte des Vermittlungsvorschlags ist zunächst im Bereich der Vorsorgeaufwendungen zu sehen. Dieser Vorschlag des Vermittlungsausschusses erscheint uns deswegen akzeptabel, weil einerseits die Haushaltsausfälle über das vorhin von mir genannte Maß nicht hinausgehen, dieses Vermittlungskonzept andererseits aber Höchstbeträge erlaubt, die es möglich machen, die Sozialversicherungsbeiträge in den meisten Fällen bei der Steuer voll zu berücksichtigen, weil es überdies möglich macht, über die Sozialversicherungsbeiträge hinaus auch freiwillige Beiträge zur Lebensversicherung, insbesondere auch solche zu Bausparkassen, steuerlich zu berücksichtigen — ein ganz wichtiger Punkt.Der Vermittlungsvorschlag vereinigt in sich Elemente beider Systeme: zum einen Abzug von der Bemessungsgrundlage, zum anderen Abzug von der Steuerschuld. Aus diesem Grunde halten wir diesen Vorschlag für fair, so daß er eigentlich von allen Seiten dieses Hauses hier akzeptiert werden könnte. Der Alternativ-Vorschlag, der im Vermittlungsausschuß zur Abstimmung stand und der zu Steuerausfällen von mehr als 4 Milliarden DM über die geschätzten 11 Milliarden DM hinaus geführt hätte, könnte von uns, wenn er hier zur Abstimmung stünde, schon aus Haushaltsgründen nicht akzeptiert werden.Ein weiterer Punkt, in dem wir dem Bundesrat weit entgegengekommen sind, ist die Verzahnung des Leistungsgesetzes betreffend die Bundesausbildungsförderung mit einer einkommensteuerlichen Regelung. Ich kann hier sagen, daß gerade diese Regelung für meine Fraktion nicht unproblematisch ist, weil die Problematik hier nur punktuell angegangen wird. Es gibt das allgemeine Problem der Einkommensgrenzen in Leistungsgesetzen und eventueller ergänzender steuerlicher Regelungen. Die punktuelle Lösung an einer Stelle, wie hier, birgt immer die Gefahr von Berufungsfällen in sich, birgt auch die Gefahr in sich, daß die Lösung sich später als systematisch nicht haltbar erweist. Daß uns die Auswirkungen auf den Haushalt 1976 mit 400 Millionen DM bedrücken, darauf brauche ich nicht eigens noch einmal hinzuweisen.Dieser Punkt wie alle anderen Punkte sind für uns im Rahmen eines Gesamtpakets akzeptabel. Im Falle der Ablehnung dieses Vermittlungsvorschlags ist der Vermittlungsvorschlag für uns natürlich — dies muß ganz deutlich sein — nicht der Ausgangspunkt und nicht die Geschäftsgrundlage für weitere Verhandlungen.Schließlich sind wir in einem weiteren Punkt dem Bundesrat ganz gefolgt. Es ging dabei um die Erhöhung des Freibetrags für Altersheimbesitzer, gegen den man — unter systematischem Aspekt — ebenfalls Einwendungen erheben kann. Im Interesse eines Gesamtpakets, eines für alle tragbaren Kompromisses haben wir auch dem zugestimmt, zumal sich die Auswirkungen auf den Haushalt in Grenzen halten.In drei anderen Punkten — neuer Tarif mit durchgehender Progression, Erstattung eines Tarifberichts, Erstattung eines Kindergeldberichts — ist die Bundesregierung durch entsprechende Erklärungen, die für den Fall der Annahme dieses Vermittlungsvorschlags durch beide Häuser gelten, dem Bundesrat ebenfalls weit entgegengekommen.Wir glauben, daß dieser Vermittlungsvorschlag — zusammen mit den Erklärungen der Bundesregierung — ein faires Angebot an die Bundesratsmehrheit ist. Wir sind zwar der Bundesratsmehrheit einen großen Schritt entgegengegangen, doch kann ein Vermittlungsvorschlag nur dann Erfolg haben, wenn beide Seiten Kompromißbereitschaft zeigen. Dieses Angebot gilt so lange, bis darüber abgestimmt worden ist. Wird es angenommen, werden wir uns auf diese Basis stellen. Wird es abgelehnt, ist dieses Angebot — ich wiederhole dies — Makulatur und nicht die Geschäftsgrundlage für weitere Verhandlungen.Es wird sich jetzt zeigen müssen, meine Damen und Herren, ob Sie hier und ob die Vertreter der Mehrheit der Bundesländer am Freitag tatsächlich an einem ernsthaften Kompromiß, so wie wir ihn hier vorschlagen, interessiert sind oder ob sich die Länder-Mehrheit als ein verlängerter Arm der Opposition in einer anderen Kammer versteht. Wir hoffen, daß dieser Vermittlungsvorschlag sowohl hier als auch im Bundesrat eine Mehrheit findet.Wir werden ihn aus den dargelegten Gründen annehmen.
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7646 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU darf ich folgende Erklärung abgeben.Die CDU/CSU bedauert es, dem Vermittlungsvorschlag der SPD/FDP-Mehrheit nicht zustimmen zu können. Im Interesse der auf den Abbau von heimlichen Steuererhöhungen wartenden Steuerzahler, einem nunmehr einjährigen Begehren der CDU/CSU, hätten wir es vorgezogen, wenn die tagelangen Verhandlungen im Vermittlungsausschuß zu einer Einigung geführt hätten. Aber leider hat die Koalition in entscheidenden Punkten auch noch so maßvolle Anträge der CDU/CSU abgelehnt, welche neben einer vorübergehenden vor allem eine dauerhaftere Steuerentlastung von unteren und mittleren Einkommensbeziehern erreichen wollte.Erfreulich ist, daß die Koalition nunmehr einigen unserer Anträge zugestimmt hat, die sie im Finanzausschuß immer zurückgewiesen hatte, wie der Einführung eines Ausbildungsfreibetrages wenigstens ab 1976 in einer kleineren Lösung und der Erhöhung, der Verdoppelung des Freibetrages für Altenheimbewohner auf 1 200 DM.Die Fraktion der CDU/CSU muß leider beanstanden, daß sich trotz des von uns geäußerten Wunsches niemals ein Bundesminister an den Verhandlungen der Unterkommission, die tagelang dauerten, beteiligt hat.
Diese Unterkommission war von Länderseite mit besonders verantwortlichen Persönlichkeiten, und zwar von beiden großen Parteien, beschickt, aber eben nicht von seiten der Bundesregierung.Die CDU/CSU, welche das vorliegende Steuergesetz übereinstimmend mit zahlreichen Vertretern aus Wissenschaft und Praxis als eines der schlechtesten Steuergesetze der Nachkriegszeit ansieht,
war dennoch und ist auch heute noch zu einem echten Kompromiß bereit, wenn nur wenige unverzichtbare Verbesserungen eingebaut würden.
Die CDU/CSU würde das Gesetz auch heute noch trotz aller Fehler und Ungereimtheiten, z. B. bei der Besteuerung der Alterseinkünfte, im Interesse der Verwirklichung baldiger Steuerentlastungen mittragen.Auch bezüglich des Tarifs, den wir wegen seiner großen Sprünge von Null auf 22 und von 22 auf 30,8 v. H. für ausgesprochen schlecht halten,
zumal in Inflationszeiten, waren wir entgegenkommend. Die Finanzminister der Länder haben es am 20. März 1974 einstimmig, also auch mit den Stimmen der SPD-regierten Länder, wenn ich das so einfach sagen darf, für unerläßlich erklärt, daß nach Ablauf von zwei Jahren, also ab 1. Januar 1977, eindurchgehender Progressionstarif eingeführt wird. Wir wären bereit gewesen, den Koalitionstarif sogar für drei Jahre übergangsweise hinzunehmen, wenn das Auslaufen gesetzlich verbrieft worden wäre. Wir bitten um Verständnis dafür, daß die einseitige Erklärung der Bundesregierung, sie werde bis 31. März 1977 berichten, ob ab 1. Januar 1978 ein durchgehender Progressionstarif eingeführt werden könne, uns nicht ausreicht.
Nach den wiederholten nicht eingehaltenen Steuerversprechungen der letzten Jahre seit der Regierungserklärung vom Oktober 1969 genügen solche unverbindlichen Erklärungen beim besten Willen nicht mehr.
Auch beim wichtigsten Punkt, der Frage des Systemwechsels beim Arbeitnehmerfreibetrag und bei den Vorsorgeaufwendungen, haben wir nur maßvolle Anträge gestellt, um den Ausfall so gering wie nur vertretbar zu halten. Die von uns vorgesehene Verdoppelung der bisherigen Beträge bei den Vorsorgeaufwendungen kann angesichts der inflationären Entwicklung nur als sehr bescheiden bezeichnet werden. Der entscheidende Streitpunkt ist in der Tat der Systemwechsel bei den Sonderausgaben und beim Arbeitnehmerfreibetrag. Die CDU/CSU hat in dieser Frage schon seit Jahren ihre Haltung klar geäußert, daß sie den Wechsel im Abzugssystem nur noch mit 22 % von der Steuerschuld statt mit maßvollen Beträgen von der Bemessungsgrundlage nicht mittragen kann. Leider hat die Koalition das in den letzten Monaten nie wahrhaben wollen. Die CDU/CSU tritt — und das ist der Grund, warum wir das nicht machen können — für eine dauerhafte, eben nicht bloß für eine vorübergehende Entlastung ein. Es ist für uns nicht zu verantworten, die Teilwiedergutmachung von jahrelangen heimlichen Steuererhöhungen mit Systemwechseln und Tarifsprüngen zu verbinden, welche mittlere Einkommensbezieher, z. B. Maschinenschlosser, Werkzeugmacher, Maurer, stärker belasten und schon nach ein bis zwei Jahren die Mehrheit der Steuerzahler schärfer in den Würg der Progression nehmen als bisher.
Dies, meine Damen und Herren — und wir wären Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie das einmal so hinnähmen — ist der Kernpunkt unserer Auseinandersetzung.
: Steuererhöhungsreform!)
In inflationären Zeiten ist für den Leistungswillen besonders wichtig, daß dem Arbeitnehmer von seinem Mehreinkommen real noch etwas verbleibt. In diesem Zusammenhang hat die CDU/CSU die herzliche Bitte an die Koalition: Wir wären Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie nicht weiterhin in der Öffentlichkeit dauernd behaupteten, die CDU/CSU trete für die „Großverdiener" ein. Es ist gerade umgekehrt.
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Dr. HäfeleWir wollen, meine Damen und Herren, die mittleren und unteren Einkommensbezieher entlasten, aber nicht nur vorübergehend, sondern sogar dauerhaft, und wir finden, es ist ein starkes Stück, daß Sie, die Sie — es ist jetzt ein Jahr her — wiederholt unser Inflationsentlastungsgesetz zur Entlastung vor allem der unteren und mittleren Einkommen in namentlicher Abstimmung hier abgelehnt haben, uns jetzt diesen Vorwurf machen. Ich stelle diese Frage ganz ernst, Herr Möller, und ich wäre Ihnen dankbar, weil ich von Ihnen als Finanzminister wirklich viel gehalten habe, wenn Sie da ein bißchen Einfluß nähmen: Wollen Sie wirklich die Bevölkerung mit einer solchen Kampagne der Unwahrheit hier überfallen? Wollen Sie sie täuschen, nachdem Sie jahrelang selbst Ihre Steuersenkungsversprechungen in diesem Haus bis heute nicht eingehalten haben?Meine Damen und Herren, die CDU/CSU wird es nicht zulassen, daß dem kleinen Mann, der fleißig arbeitet, der Lohn seiner Arbeit immer mehr weggesteuert wird. Arbeit und Leistung muß sich nach Auffassung der CDU/CSU noch lohnen.
Der Einbau des Systemwechsels — und von Jahr zu Jahr mehr ist das der Fall — würde die Überbesteuerung zu einer Dauererscheinung machen, was sich leistungshemmend, aufstiegsfeindlich und inflationsfördernd auswirken müßte.
Die CDU/CSU ist in dieser entscheidenden Frage der gleichen Auffassung wie Troeger, ehemaliger Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, verdienter Finanzfachmann und Sozialdemokrat, der für den Fall des Systemwechsels so gesagt hat: ,,. . . so muß man sich darüber im klaren sein, daß man das Leistungsprinzip, auf dem unser heutiges Gesellschaftssystem in der Bundesrepublik beruht, damit an der Wurzel trifft." Meine Damen und Herren, besser kann man es nicht formulieren, und wir sind wohl alle, meine Damen und Herren, der Meinung, daß ohne Anerkennung des Leistungsprinzips Deutschland etwa nicht Fußballweltmeister geworden wäre.
Diese hier aufgeführten Einwände, meine Damen und Herren, gelten auch für das sogenannte Mischsystem, für jedes Mischsystem, auch für jenes, das im Vermittlungsausschuß gleichsam 5 Minuten vor 12 oder nach 12 als Deus ex machina erschien, freilich nur bei den Sonderausgaben, nicht beim Arbeitnehmerfreibetrag. Hierdurch wird der verhängnisvolle Systemwechsel nicht beseitigt, er wird bloß versüßt. Nach dem Urteil von Fachleuten werden die verwaltungsmäßigen Erschwernisse für Steuerzahler, Lohnbuchhaltungen und Finanzbuchhaltungen zudem so erheblich sein, daß das Ziel der Steuerreform, das Steuerrecht einfacher zu machen, in sein Gegenteil verkehrt würde.
Gerade in diesen Tagen hat Herr Fredersdorf, den Sie zur Zeit nicht so mögen, obwohl er einer der Ihrigen ist, beide Gesetzeskammern geradezu beschworen, ja zu verhindern, daß das so Gesetz wird, wie es jetzt aus dem Vermittlungsausschuß herausgekommen ist, weil sonst der Reformgedanke endgültig beseitigt würde.
Nein, meine Damen und Herren, die beste Lösung ist, mit niedrigen Höchstbeträgen, mit maßvollen Höchstbeträgen, aber Abzug vom Einkommen, soziale Gerechtigkeit und zugleich Vereinfachung zu praktizieren.Die CDU/CSU bedauert, daß die Koalition nicht auf unseren Antrag eingegangen ist, das Kindergeldgesetz wieder abzutrennen und dann gemeinsam zu verabschieden, wozu wir seit langem bereit sind. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Koalition war es ja auch ein eigenständiger Gesetzentwurf. Die CDU/CSU hat ausdrücklich angeboten, die notwendigen steuerrechtlichen Folgeänderungen mit zu verabschieden, so daß das Kindergeld heute hier in diesem Hause endgültig unter Dach und Fach sein könnte, wenn die Koalition diesem Trennnungsbegehren gefolgt wäre.
Im Interesse der Familien mit Kindern, welche in den letzten Jahren besonders von der Inflation getroffen wurden, wäre dies sehr zu wünschen gewesen.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Ausfallberechnungen. Die CDU/CSU hat feststellen müssen, daß die Angaben der Regierungskoalition über den finanziellen Ausfall bei der neuen Sonderausgabenregelung auf sehr wackeligen Beinen stehen.
Die Anreizwirkung der neuen Höchstbeträge ist praktisch kaum berücksichtigt worden. Das Haushaltsrisiko wäre also beachtlich. Wenn auch nur 10 % des neuen Rahmens zusätzlich ausgeschöpft worden wären, so hätte dies einen Mehrausfall von 4 bis 5 Milliarden DM mit sich gebracht. Ähnliches gilt auch für das neue Mischsystem. Die Argumentationen der Koalition, die Union beachte zu wenig die fiskalischen Ausfälle, ist also nicht schlüssig, da unsere Vorschläge ein weit geringeres Haushaltsrisiko in sich tragen und sich im Rahmen der zu erwartenden Ausfälle der Koalitionsvorschläge bewegen. Wir können es beim besten Willen nicht als ein seriöses Vorgehen der Koalition bezeichnen, wenn sie bei Entlastungsbeispielen, um öffentlich Eindruck zu machen, von einer stärkeren Ausschöpfung ausgeht, beim finanziellen Ausfall dagegen nicht. Es muß beides mit gleichen Maßstäben gemessen werden.Die CDU/CSU kann nur hoffen, daß die Koalition im Interesse der baldigen Steuerentlastung rasch auf den Boden eines wirklichen Kompromisses tritt
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Dr. Häfeleund vor allem von dem beabsichtigten verhängnisvollen Systemwechsel abläßt. Es war und ist die Auffassung der CDU/CSU, daß der Abbau von heimlichen Steuererhöhungen überfällig ist. Dies ist der Sinn des von den Unionsländern im Bundesrat erneut eingebrachten Inflationsentlastungsgesetzes und des Kindergeldgesetzes. Und deshalb bringt die Bundestagsfraktion der CDU/CSU auch heute hier den gleichen Inflationsentlastungsgesetzentwurf und den gleichen Kindergeldgesetzentwurf noch einmal ein; denn wir wollen gerade, daß die unteren Einkommensbezieher besonders, und zwar rasch entlastet werden.
Die CDU/CSU ist der Meinung, daß unter keinen Umständen — ganz gleich, ob jetzt noch ein Kompromiß zustande kommen wird, was wir begrüßen würden, oder nicht — der Systemstreit auf dem Rücken der Familien mit Kindern und der unteren und mittleren Einkommensbezieher ausgetragen werden darf.
Wir fordern deshalb die Koalition auf: Konzentrieren wir uns endlich gemeinsam auf das Machbare — sei es im Wege der Reform oder sei es im Wege einer Sofortentlastung —, und bringen wir den Leuten draußen, die dringlich darauf warten, den überfälligen Abbau von heimlichen Steuererhöhungen!
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion bestätigt das Vermittlungsergebnis. Es war und ist das Bemühen der Koalitionsfraktionen, im Sinne einer echten Vermittlung Entgegenkommen zu zeigen. Wir bedauern daher sehr, daß die CDU/CSU ihrerseits nicht zu einem Entgegenkommen bereit war, sondern noch während der Vermittlungsgespräche ihre Gegenvorschläge teilweise sogar verschärfte.Die Steuerreform, meine Herren und Damen, ist seit 20 Jahren von jeder Regierung angekündigt worden, und das heißt doch wohl, als notwendig angesehen worden. Doch vor der sozialliberalen Koalition hat sie keine Regierung ernsthaft ins Auge gefaßt oder gar konzipiert. Von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, liegt bis heute keine brauchbare Alternative vor.
— Meine Herren und Damen, das kann doch wohl ernstlich nicht bestritten werden!
Sie haben ein Vorschaltgesetz vorgelegt,
aber Sie sagen doch eindeutig, dies sei keine Reform.
Sie wollen ja diese große und schöne Reform den Leuten immer noch als ein Versprechen hinhalten, das Sie aber niemals erfüllen; es bleibt eben immer ein schönes Versprechen.
Aber eine zusammenhängende Reform haben Sie nicht vorgelegt, und Sie haben sich auch beim Kindergeld in der jetzigen Fassung nur allmählich zum Jagen tragen lassen. Schließlich sind sie jetzt auch dafür!
Sie flüchten sich vielmehr, meine Herren und Damen von der Opposition, immer nur in jeweils gefällige Einzeländerungen, die keinen organischen Zusammenhang haben, die viele Ungereimtheiten enthalten und die schließlich 3 bis 4 Milliarden DM mehr an Steuerausfällen bringen, ohne daß Dekkungsvorschläge gemacht werden. Gleichzeitig vergeht in diesem Haus keine Sitzung und keine Fragestunde, in der nicht die CDU/CSU direkt oder versteckt Mehrausgaben des Staates fordert, um damit den Eindruck zu erwecken, als könne unter der Verantwortung der CDU/CSU der Bürger mehr vom Staate erwarten, brauche dafür aber weniger Steuern zu zahlen.
Die Steuerreform, wie sie dieses Haus und die Mehrheit des Vermittlungsausschusses nunmehr vorlegt, ist eine Reform. Denn sie bereinigt neun Gesetze inhaltlich und zumeist auch durch formale Neufassung; sie reinigt sie soweit möglich von den Ungereimtheiten, die die ständigen Einzeländerungen über 20 Jahre gebracht haben; sie vereinfacht entscheidend das Lohnsteuerverfahren und entlastet damit die Finanzämter von der rapide wachsenden Flut von Anträgen; sie erhöht Freibeträge und Höchstbeträge für Alterseinkünfte, für Vorsorgeaufwendungen, für besondere Lebenserschwernisse wie Behinderungen oder für Unterhaltsleistungen, und sie streicht Vorteile, die — im Vergleich zu anderen, nicht berücksichtigten Tatbeständen — nicht besonders schwergewichtig sind, und dadurch wird Verwaltungsarbeit gespart.Die Steuerreform enthält in ihrer Gesamtheit die Reform des Kindergeldes, des Sparprämiengesetzes, der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer, und sie stellt daher, verbunden mit den bereits verabschiedeten Reformgesetzen bei den einheitswertabhängigen Steuern, ein zusammenhängendes Ganzes dar, das nicht willkürlich auseinandergenommen werden kann. Zugleich bringt die Steuerreform insgesamt eine Entlastung der Steuerpflichtigen von 11 bis 12 Milliarden DM.
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Frau FunckeWas jedoch die Opposition ihrerseits wärend der ganzen Zeit der Vorbereitung und der Beratung der Steuerreform entgegenzusetzen hatte, war widerspruchsvoll und unzusammenhängend.
Das erweist auch die Art ihrer Kritik. Da wird die Behandlung der Vorsorgeaufwendungen in der Steuerreform — auch in der günstigeren Vermittlungsfassung — als gegen die mittleren Einkommen gerichtet dargestellt, und gleichzeitig, meine Herren und Damen, bringen Sie das Vorschaltgesetz, wobei eindeutig ist, daß nach diesem Gesetz sich bereits der Handwerker mit 40 000 DM Einkommen und 6 000 DM Vorsorgeaufwendungen schlechter stellt als mit dem jetzt vorliegenden Gesetz. Lediglich bei Einkommen über 100 000 DM mag das Vorschaltgesetz bei über 50jährigen noch Vorteile bringen.
Dies zu dem Einwand von Herrn Häfele; er mag es bitte nachrechnen.Da wird seitens der Opposition die Kreditaufnahme des Bundes als zu hoch kritisiert und gleichzeitig ,ein Mehr an Steuerausfällen von 3 bis 4 Milliarden DM gefordert.Da wird der Tarif kritisiert, obwohl die Länder ihn ausdrücklich und einmütig so haben wollten. Herr Ministerpräsident Stoltenberg und auch Herr Häfele mögen es nicht wahrhaben wollen oder es gern vergessen lassen wollen: Eindeutig ist — das ist nicht aus der Welt zu schaffen —, daß dieser Tarif, wie er jetzt hier verabschiedet werden soll, im März dieses Jahres von den Ländern einmütig und einstimmig gefordert worden ist — und nicht anders.Da wird seitens der CDU/CSU der Eindruck erweckt, als gäbe es bei der CDU/CSU einen Tarif, der steigende Einkommen nicht in höhere Progressionen wachsen läßt. Genau das Gegenteil ist doch der Fall. Nach dem sogenannten Vorschaltgesetz, das die CDU-Länder-Mehrheit vertritt, wird schon jeder Alleinstehende mit einem steuerpflichtigen Einkommen ab 9 500 DM jährlich — das sind weniger als 800 DM im Monat — und jeder Verheiratete mit einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 19 000 DM in eine höhere Progression gebracht als nach der Steuerreform, bei der ja doch der Verheiratete bis zu einem jährlichen Bruttoeinkommen von rund 35 000 DM noch in der Zone von 22 % bleibt.Da wird kritisiert, daß ab 32 000 DM eine Belastung des Mehreinkommens mit über 30 % erfolgt, obwohl das Vorschaltgesetz des Bundesrates genau dieselbe Belastung bei Einkommen über 32 000 DM nach dem bestehenden Tarif vorsieht. Es ist schon eine Spekulation auf die allgemeine Unkenntnis des Tarifs im einzelnen, wenn man mit dem Argument vom Tarifsprung als etwas Schrecklichem operiert, obwohl man genau weiß, daß der Tarif des Bundesrats genau an dieser Stelle ebenfalls die Mehrbelastungen mit sich bringt.Was, so müssen wir fragen, will nun eigentlich die Opposition? Was will die Bundesratsmehrheit?Wollen Sie, meine Herren und Damen, ehrlich einen Kompromiß? Den haben wir angeboten, und den haben wir im Vermittlungsausschuß beschlossen. Oder wollen Sie nur das bedingungslose Nein? Wollen Sie das Nein zur Steuerreform, um gefällige Einzeländerungen nach dem Bundesratsbeschluß durchzusetzen? Dann muß allerdings jeder wissen, was das bedeutet. Dieses Vorschaltgesetz des Bundesrats bedeutet:— Mehrbelastung der mittleren Einkommen;— Beibehaltung der völlig unzureichenden Sonderausgabenhöchstbeträge;— Minderung des Arbeitnehmerfreibetrags gegenüber der Steuerreform;— höhere Progression ab 9 500 DM steuerpflichtigem Einkommen;— Wegfall der Verbesserung bei der Besteuerung der Altersbezüge; keine Freibeträge für Selbständige; keine Verdoppelung der Freibeträge für Beamtenpensionen;— keine Erhöhung der Freibeträge für Behinderte, für Alleinstehende mit Kindern oder für Unterhaltszahlende;— Beibehaltung der Ergänzungsabgabe mit dem plötzlichen Sprung der Belastung bei den Alleinstehenden über 16 000 DM und den Verheirateten über 32 000 DM;— Verhinderung jeglicher Steuerreform, weil dann weder die Zeit der Beratung noch ein Entlastungsvolumen zur Verfügung stehen.Das Vorschaltgesetz bedeutet weiterhin:— Verhinderung der Körperschaftsteuerreform, weil man sie nicht isoliert von der Steuerreform verwirklichen kann;— keine auch noch so bescheidene Arbeitsentlastung bei den Finanzämtern — im Gegenteil, die Millionenzahl von Antragstellern wird weiterhin rapide wachsen —;— Benachteiligung der Bausparer, weil die niedrigen Sonderausgabenhöchstbeträge den Neuabschluß von Bausparverträgen erheblich einschränken und daher die Zuteilungsfrist für Bauwillige beträchtlich hinauszögern, und damit ist der Rückgang der Beschäftigung im Baugewerbe verbunden.
Das Vorschaltgesetz schließt zugleich das Risiko ein, daß eine Steuerentlastung nicht rechtzeitig zum 1. Januar 1975 vorgenommen werden kann, weil ein völlig anderes Gesetz eine angemessene Beratungszeit erforderlich machte. Und schließlich bringt der Vorschlag des Bundesrats Steuerausfälle über die Steuerreform hinaus in Höhe von 3 bis 4 Milliarden DM.
Damit löst die Bundesratsmehrheit die Gefahr aus, daß die Umsatzsteuer erhöht werden muß, um die notwendigen Staatsausgaben in Bund, Ländern und Gemeinden zu finanzieren. Bundesregierung und Koalition wollten und wollen diese Maßnahmen verhindern, um die damit verbundenen Preissteigerun-
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7650 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Frau Funckegen zu vermeiden. Die Bundesratsmehrheit trägt nunmehr die Verantwortung dafür, ob die Umsatzsteuer bei 11 % bestehenbleiben kann.Meine Herren und Damen, die FDP wünscht eine zusammenhängende, ausgeglichene und finanziell verantwortbare Steuerreform.
Um sie im Zusammenwirken auch mit der Opposition und dem Bundesrat zu erreichen, hat sich die Koalition immer wieder kompromißbereit gezeigt. Auf Wunsch der Länder hat sie den Tarif in der jetzigen Form und nicht einen durchgehend progressiven Tarif beschlossen. Auf Wunsch der Länder hat sie die Auszahlung des Kindergeldes der Arbeitsverwaltung übertragen. Auf Wunsch der Bundesratsmehrheit haben wir im Vermittlungsverfahren eine steuerliche Verbesserung für Altenheimbewohner und für Eltern mit Kindern in der Ausbildung beschlossen, und auf Wunsch der Opposition und der Bundesratsmehrheit haben wir einen Vermittlungsvorschlag bei den Sonderausgaben unterbreitet und beschlossen, der verwaltungsmäßig nicht schwieriger ist als das Verfahren, das die Opposition mit der hälftigen Anrechnung der die Höchstbeträge übersteigenden Sonderausgaben vorschlägt.Meine Damen und Herren, damit hat die Koalition ihr Bemühen um eine sachliche und kooperative Behandlung der Steuerreform unter Beweis gestellt. Das Weitere steht bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition in Bundestag und Bundesrat. Die FDP stimmt dem Vermittlungsvorschlag zu.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses ist mit den Stimmen der Regierungsparteien gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, erteile ich das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Am 12. Juni 1974 hat mein Fraktionskollege Linus Memmel die Bundesregierung gefragt, ob der damals neu ernannte Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Staatssekretär Klaus Bölling, Mitarbeiter des kommunistischen Verlages „Volk und Wissen" gewesen ist. In Beantwortung dieser Frage und einer Zusatzfrage des Herrn Kollegen Bruno Friedrich behauptete die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Frau Marie Schlei, „daß sein Kollege Herr Reddemann im selben Verlag gearbeitet hat, und zwar noch einige Jahre später".
Ich habe Frau Schlei mit Schreiben vom selben Tage aufgefordert, ihre wahrheitswidrige Behauptung vor dem Deutschen Bundestag zurückzunehmen. Diese Aufforderung habe ich am 18. Juni 1974 gegenüber Frau Schlei und am 20. Juni gegenüber dem Herrn Bundeskanzler wiederholt. Obwohl die Erklärung der Frau Staatssekretärin im Namen der Bundesregierung abgegeben worden war, weigert sich die Bundesregierung, die Falschbehauptung im Bundestag zu widerrufen.
Der Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Schüler, bestritt sogar mit Schreiben vom 2. Juli rundheraus, daß Frau Schlei die im Protokoll des Deutschen Bundestages auf Seite 7277 D leicht entschärft abgedruckte Aussage überhaupt gemacht hat,
während Frau Schlei in einem Brief die groteske Interpretation gibt, sie habe lediglich eine von mir geäußerte Meinung bestätigen wollen, „daß man nicht Politiker wegen ihrer Tätigkeit im Alter von 16 bis 18 Jahren verunglimpfen soll".
Ich stelle zu dem Vorgang folgendes fest:
Erstens. Ich habe selbstverständlich nie für den Verlag „Volk und Wissen" oder einen anderen kommunistischen Verlag gearbeitet.
Zweitens. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Frau Marie Schlei, ist nicht bereit, ihre Verunglimpfung vor dem Deutschen Bundestag zu widerrufen.
Drittens. Solange die Bundesregierung die wahrheitswidrige Behauptung der Frau Schlei nicht zurücknimmt, setzt sie sich dem Verdacht aus, oppositionelle Mitglieder des Hauses durch falsche Anschuldigungen bewußt diskriminieren zu wollen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. Februar 1973 zum Vertrag vom 15. Juni 1957 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen— Drucksache 7/1251 —Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/2283 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schweitzer
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974 7651
Vizepräsident von HasselIch danke dem Berichterstatter. Wünscht dieser das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die allgemeine Aussprache zur zweiten Lesung.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir haben dann noch über den Antrag des Ausschusses in Drucksache 7/2283 unter Buchst. b zu befinden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und 'Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. Mai 1969 zum Schutz archäologischen Kulturguts— Drucksache 7/896 —Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/2318 —Berichterstatter: Abgeordneter Kahn-Ackermann
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht dieser zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/2292 —b) Beratung der Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen—Drucksache 7/2339 —Der Ausschuß empfiehlt Annahme. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 7 bis 16 der Tagesordnung auf:7. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über die multinationalen Untèrnehmen und die Gemeinschaftsvorschriften— Drucksachen 7/1368, 7/2264 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens8. Beratung des 'Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge— Drucksachen VI/2088, 7/2265 — Berichterstatter: Abgeordneter Breidbach9. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital— Drucksachen 7/1962, 7/2266 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Huber10. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineZweite Richtlinie des Rates über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die UmsatzsteuerDritte Richtlinie des Rates über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer— Drucksachen 7/1996, 7/1997, 7/2267 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker
11. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Bestimmung von gemeinsamen Normen für den Wassergehalt in Schlachtkörpern von Hühnern— Drucksachen 7/1707, 7/2303 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans12. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 316/68 durch die Zufügung einer zusätzlichen Güteklasse zu
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7652 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Juli 1974
Vizepräsident von Hasselden Qualitätsnormen für frische Schnittblumen— Drucksachen 7/24, 7/2304 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Riede
13. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Bericht der EG-Kommission an den Rat über die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der deutschen Landwirtschaft nach der Aufwertung der Deutschen Mark von 1969— Drucksachen 7/1528, 7/2316 —Berichterstatter: Abgeordneter Sander14. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Bericht der EG-Kommission an den Ratüber die Untersuchungen einiger Probleme für die Anwendung der Verordnung Nr. 1174/68 des Rates vom 30. Juli 1968 über ein Margentarifsystem im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaatenzu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates über die Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1174/68 über die Einführung eines Margentarifsystems im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten— Drucksachen 7/1524, 7/2291 —Berichterstatter:Abgeordneter Schmitt
15. Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) des Rates zur Anpassung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften anwendbar sind— Drucksachen 7/2106, 7/2293 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
16. Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Belgien dienstlich verwendet werden— Drucksachen 7/2077, 7/2294 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? —Das ist nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über diese Punkte gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.Wir kommen dann zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/2264, 7/2265, 7/2266, 7/2267, 7/2303, 7/2304, 7/2316, 7/2291, 7/2293 und 7/2294. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist einstimmig so beschlossen.Wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung angelangt. Der Termin der nächsten Plenarsitzung wird noch bekanntgegeben. Ich wünsche Ihnen bis dahin zumindest einen erholsamen Teil-Sommerurlaub.Die Sitzung ist geschlossen.