Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:1. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes— Drucksache 7'2012 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2201 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7'2097 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter Wittmann
2. Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968— Drucksache 7/2285 —3. a) Erste Beratung des vorn Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes— Drucksache 7/1643 —Überweisungswunsch: Finanzausschuß , Innenausschußb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des SteuerbeamtenAusbildungsgesetzes— Drucksache 7/2203 —Überweisungswunsch: Finanzausschuß , Innenausschuß, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes— Drucksache 7/2205 —Überweisungswunsch: Rechtsausschuß , Innenausschuß5. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. April 1972 über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts— Drucksache 7/1657 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/ —Berichterstatter: Abgeordneter b) Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/2278 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schweitzer
Ist das Haus damit einverstanden? — Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.Der Ältestenrat empfiehlt, für die Einreichung von Fragen während der Sommerpause — abweichend von der Geschäftsordnung — folgende Regelung zu treffen: Jedes Mitglied des Hauses ist berechtigt, in den Monaten Juli und August 1974 je vier Fragen einzureichen. Die Fragen für den Monat Juli müssen spätestens bis Mittwoch, den 31. Juli, 11 Uhr, die Fragen für August bis Freitag, den 30. August, 11 Uhr, im Parlamentssekretariat eingehen. Fragen, die in den Monaten Juli und August eingereicht werden, werden von der Bundesregierung schriftlich beantwortet. Die Fragen, die im September gestellt werden, werden gemäß den Richtlinien für die Fragestunde beantwortet. Sperrfrist für die Einreichung von Fragen für die Fragestunde der ersten Plenarsitzungen nach der Sommerpause ist gemäß Nr. 9 der Richtlinien für die Fragestunde Freitag, der 13. September, 11 Uhr.Ich frage das Haus, ob es mit dieser Regelung einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1973 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet
— Drucksache 7/2250 —dem Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden.Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Ich stelle fest, das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Überweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Richtlinie des Rates zur Liberalisierung der Mitversicherung und Koordinierung diesbezüglicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften— Drucksache 7/2240 —überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage desBerichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Verlängerung und Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2829/72 des Rates vom 28. Dezember 1972 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten— Drucksache 7/2241 —
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Vizepräsident von Hasselüberwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif— Drucksache 7/2273 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rateszur Festsetzung der Übergangsvergütung für die am Ende des Wirtschaftsjahres 1973/74 vorhandenen Bestände an Mais auf Nullzur Festsetzung der Beihilfe für die Erzeugung von Hartweizen für das Wirtschaftsjahr 1974/75— Drucksache 7/2274 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Aale der Tarifstelle ex 03.01 A II des Gemeinsamen Zolltarifs für 1975— Drucksache 7/2275 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatDritte Entscheidung des Ratesüber die Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Saatgutvermehrungsbeständen in dritten Ländernüber die Gleichstellung von in dritten Ländern erzeugtem Saatgutsowie eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidungen des Rates vom 26. März 1973 über die Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Saatgutvermehrungsbeständen in Dänemark, in Irland und im Vereinigten Königreich und über die Gleichstellung von in Dänemark, in Irland und im Vereinigten Königreich erzeugtem Saatgut— Drucksache 712276 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rateszur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Grege, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnummer 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs, für 1975zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Seide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifs für 1975zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Schappeseide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.05 des Gemeinsamen Zolltarifs für 1975— Drucksache 7/2277 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatWir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 21 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. Mai 1974 eingegangenen Petitionen— Drucksache 7/2223 —b) Beratung der Sammelübersicht 22 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/2259 —Zu diesem Tagesordnungpunkt hat Frau Abgeordnete Berger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegen die Sammelübersichten 21 und 22 über Anträge zu Petitionen vor. Der Petitionsausschuß hat diese Sammelübersichten in seinen Sitzungen am 6. und 12. Juni 1974 behandelt. Die Sammelübersicht 21 enthält außerdem eine systematische Übersicht interessanter statistischer Daten über das Petitionswesen in der 7. Wahlperiode. Ich empfehle diese Übersicht Ihrer Aufmerksamkeit, weil sie deutlich macht, welche Probleme dem Bürger im Lande Sorge bereiten.Lassen Sie mich zwei Punkte behandeln, die mir besonders wichtig erscheinen.Erstens. In der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. Mai 1974 sind 22 921 Petitionen eingegangen, darunter 11 850 neue Petitionen. Das bedeutet, daß die Zahl der Petitionen gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum der 6. Wahlperiode um mehr als 14 % gestiegen ist und daß täglich 33 Eingaben bearbeitet werden.Ich habe Ihnen in aller Offenheit zu sagen, daß die Bearbeitung der Eingaben in den meisten Fällen nicht unter drei Monaten erledigt werden konnte. Oft dauert die Erledigung bis zu einem Jahr, zuweilen auch länger. Das ist ein zu langer Zeitraum; denn nur der hilft gut, der schnell helfen kann. Um das zu erreichen, habe ich eine Überprüfung der Organisation und des Personalbedarfs des Petitionsbüros beantragt mit dem Ziel, schneller zu Arbeitsergebnissen — und vielleicht auch zu besseren Arbeitsergebnissen — zu kommen. Ich hoffe, daß die Ergebnisse dieser Überprüfung, die der Bundesrechnungshof vornimmt, bald vorliegen werden.Zweitens. Die Frage der Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses steht seit Jahren auf der Tagesordnung. Die meisten von Ihnen werden wissen, daß sich schon in den sechziger Jahren die Auffassung durchsetzte, daß die Bearbeitung und Erledigung von Petitionen nur verbessert werden kann, wenn der Ausschuß mehr Rechte erhält. Gesetzentwürfe hierzu wurden sowohl in der 5. als auch in der 6. Wahlperiode eingebracht. Sie konnten aber in beiden Legislaturperioden nicht mehr abschließend beraten werden.Nach diesen leidvollen Erfahrungen hat der Petitionsausschuß der 7. Wahlperiode bereits in seiner ersten Sitzung am 31. Januar 1973 beschlossen, die Beratung über eine Erweiterung seiner Befugnisse zügig zu betreiben und einer baldigen Entscheidung zuzuführen. Nach interfraktionellen Beratungen konnten die Entwürfe für ein verfassungsänderndes Gesetz und für das Verfahrensgesetz schon am 17. Mai 1973, also knapp vier Monate später, als gemeinsame Initiative aller drei Fraktionen hier im Bundestag eingebracht und den Fachausschüssen überwiesen werden.Für die Beratung des verfassungsändernden Gesetzes — Drucksache 7/580 — ist der Rechtsausschuß federführend zuständig. Mitberatend sind der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, der Petitionsausschuß und der Innenausschuß. Für das einfache Gesetz über die Neu-
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Frau Berger
ordnung der Befugnisse des Petitionsausschusses — Druckache 7/581 — hat der Auschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung die Federführung. Mitberatend sind der Petitionsausschuß, der Rechtsausschuß und der Innenausschuß. Seit der Einbringung der Gesetzentwürfe ist mehr als ein Jahr vergangen; in der Sache aber sind leider keine Fortschritte erzielt worden.Obwohl der Petitionsausschuß, meine Kollegen im Ausschuß und ich, immer wieder um vordringliche Behandlung gebeten hatte, konnte der Rechtsausschuß, übrigens aus Gründen, die er selbst nicht zu vertreten hatte, die Entwürfe erst am 16. Januar 1974 erstmalig beraten. Die für den 9. Mai 1974 vorgesehene Weiterberatung mußte der Rechtsausschuß von der Tagesordnung absetzen, weil er auf die Äußerung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung angewiesen ist. Diese Stellungnahme des Geschäftsordnungsausschusses steht noch aus. Lediglich der Innenausschuß und der Petitionsausschuß haben ihre Beratungen abgeschlossen. Fazit: Eine Erledigung vor der Sommerpause kann nicht erwartet werden. Leider!Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf deshalb von dieser Stelle die dringende Bitte an Sie richten — insbesondere an die Vorsitzenden und Mitglieder der zuständigen Ausschüsse —, die Dinge nunmehr nachhaltig zu fördern und die Entwürfe gleich nach der Sommerpause vorrangig auf die Tagesordnung zu setzen, damit sie im Interesse unserer Bürger endlich Gesetz werden können.Ich danke Ihnen schon jetzt für Ihr Verständnis und bitte Sie, nunmehr den in den Sammelübersichten 21 und 22 enthaltenen Anträgen zu Petitionen zuzustimmen.
Wir haben den ergänzenden Bericht der Frau Vorsitzenden des Ausschusses gehört. Der Ausschuß schlägt vor, die Empfehlungen in dieser Form anzunehmen. Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur Erklärung der Bundesregierung über die Lage der Nation
— Drucksachen 7/1593, 7/2210 —Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Kreutzmann Abgeordneter Dr. Abelein
Ich danke den Berichterstattern und frage, ob eine mündliche Ergänzung gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich sollte der Entschließungsantrag, den wir zum Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation gestellt haben, am 17. Juni behandelt werden. Aber die geistige Nachbarschaft zu diesem Datum ist immer noch ein ,geeigneter Zeitraum für die Erörteerung dieses Themas im Bundestag.Der Antrag — obwohl bei einer anderen Gelegenheit gestellt — steht im engen Zusammenhang mit dem Ereignis des 17. Juni 1953, dem Tag, der ein Gedenktag aller Deutschen für die deutsche Nation ist, dem Tag, der des Aufstandes deutscher Menschen gegen die totalitäre Herrschaft in der sowjetisch besetzten Zone damals gedenkt. Die Frage, die sich heute stellt, ist, ob sich gegenüber der damaligen Situation etwas geändert hat.Mitten durch unser Land führt nach wie vor der längste Stacheldraht der ganzen Welt. Das hat sich sogar gegenüber dem Jahre 1953 entschieden verschlechtert. Mitten durch Deutschland führt das ausgedehnteste Minenfeld der ganzen Welt. Berlin ist die einzige Hauptstadt der ganzen Welt, die getrennt ist durch Mauer und Stacheldraht. Im vergangenen Jahr sind nach Schätzungen des Bundesgrenzschutzes auf DDR-Gebiet 1,5 Millionen Minen verlegt worden. Der doppelte Stacheldrahtzaun der DDR ist auf 600 km, der Metallgitterzaun und der Minengürtel sind auf über 700 km verlängert worden. Die Selbstschußanlagen, ständig weiter ausgebaut, ziehen sich jetzt über fast 100 km hin. Der Ausbau der modernen Grenze in Deutschland hat die DDR 5 Millionen Mark pro Kilometer gekostet. Das sind phantastische Zahlen, etwa vergleichbar mit dem, was bei uns im modernen Straßenbau ausgegeben wird.Wer von seinem Menschenrecht auf Freizügigkeit Gebrauch machen will, um von einem Teil Deutschlands in den anderen zu gelangen, läuft Gefahr, mitten in Deutschland erschossen zu werden. Die Schützen erhalten dafür eine Belohnung.
Die Abschußprämien wurden erhöht, — Prämien, die sonst in den zivilisierten Staaten des Westens allenfalls für den Abschuß tollwütiger Füchse bezahlt werden; das wird mitten in Deutschland gegenüber Menschen praktiziert.Die wenigen Möglichkeiten, die die neuen Abmachungen den Menschen in der DDR zu Besuchsreisen geben, werden ihnen durch zahlreiche Maßnahmen der DDR-Behörden laufend beschränkt. Selbst in den sogenannten dringenden Familienangelegenheiten suchen die DDR-Behörden ständig Vorwände, die Besuchsreisen ihrer eigenen Bürger zu verhindern. In zahlreichen Briefen uns gegenüber und mir gegenüber wird darüber geklagt, daß die Behörden in der DDR systematisch versuchen, die sogenannten Westkontakte ihrer Bevölkerung einzugrenzen oder gar zu unterbinden. Es gibt ein zunehmend ausgebautes Überwachungssystem in der DDR, das sich seit der Vertragspolitik keineswegs gemildert hat. Es wird ständig ausgebaut und verschärft. Wenn entsprechende Informationen zutref-
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Dr. Abeleinfen, wird jetzt bereits in den Nummern der Personalausweise festgehalten, welches Ausmaß an sogenannter „Verwandtschaftsbündelung" die einzelnen Bürger in der DDR aufweisen, um sie dann über Computer sehr rasch erfassen und kontrollieren zu können.Die Kirchen werden bei ihrer Arbeit schwerer behindert als je zuvor. Die Unterdrückung der Gewissensfreiheit im Zuge des Kirchenkampfes hat in keiner Weise nachgelassen. Auf den Transitwegen wurden zwar Verbesserungen des Verkehrs gegenüber Berlin erreicht, aber die DDR stört immer wieder aufs neue willkürlich den Transitverkehr, wie sich zu Beginn dieses Jahres gezeigt hat, und auch heute entsprechen an manchen Tagen die Wartezeiten denen vor Abschluß des Transitabkommens.Menschen, die nichts anderes suchen als ihre Freiheit, weil sie das Leben in der DDR als unerträglich empfinden, werden in entwürdigenden Formen ihrer Freiheit beraubt. Es wird ihnen ein menschenrechtswidriger Prozeß gemacht, und zwar auch denen, die versuchen, diesen Leuten in der DDR, die die Freiheit suchen, zu helfen.Das ist nach wie vor die andauernde tragische Situation des deutschen Volkes, die sich seit 1953 leider nicht wesentlich geändert hat. Ein Teil des deutschen Volkes lebt seit über 40 Jahren in der Unfreiheit. In der DDR wird die Kontinuität der deutschen Diktatur seit 1933 fortgesetzt.
Die Rechnung, die die DDR aufgemacht hat mit dem Zwangsumtausch — genauer gesagt: mit der Verdoppelung des Zwangsumtauschs unter Einbeziehung der Rentner — ist voll aufgegangen. Der „Süddeutschen Zeitung" vom 14. 6. 1974 zufolge hat die Zahl jener bundesdeutschen Grenzbewohner, denen am 21. Juni vorigen Jahres die Möglichkeit gegeben wurde, in den benachbarten DDR-Grenzkreisen ihre Verwandten und Bekannten mit einer Tagesaufenthaltsgenehmigung zu besuchen, seit der Verdoppelung des Zwangsumtausches so rapide abgenommen, daß nur noch von einem Besucherrinnsal gesprochen werden kann.Die besonders strenge und manchmal willkürliche Handhabung der Zollbestimmungen der DDR durch die DDR-Zöllner schreckt, wie sicher von den Zöllnern entsprechend der ihnen erteilten Anweisung beabsichtigt, viele westdeutsche Besucher ab. In mehreren Fällen wurden von den DDR-Zöllnern Autos buchstäblich auseinandergenommen, nur weil man bei der Ausreise von Grenzgängern ein Mitbringsel fand, das nach den Zollverordnungen der DDR mit einem Ausfuhrverbot belegt wurde. Schon Kleinigkeiten genügen, um zu besonders strengen Durchsuchungen zu kommen, die die Besucher abschrecken. Selbst bescheidene Erbstücke und Familienerinnerungen, wie Ringe oder Uhren werden — wenn Meldungen zutreffen — beschlagnahmt, weil diese Dinge nach dem neuen Devisengesetz der DDR nicht ohne staatliche Genehmigung ausgeführt werden dürfen.Auf diese Zusammenhänge und Konsequenzen des neuen Devisengesetzes haben wir mehrfach hingewiesen. Die Bundesregierung, der zuständige Minister redet in diesem Zusammenhang immer von „Unsinn". Ich weiß nicht, wie ich eine solche Äußerung qualifizieren soll; im besten Fall und besonders wohlwollend noch so, daß das zuständige Ministerium und die Bundesregierung über diese Dinge gar nicht Bescheid wissen. Wenn sie aber Bescheid wissen und dennoch von „Unsinn" reden, dann kennzeichnet das die Situation und die Haltung, die diese Bundesregierung gegenüber den drängenden Problemen der Menschen in Deutschland einnimmt.
Man hatte in Regierungskreisen beim Abschluß der Übereinkunft über den grenznahen Verkehr jährlich mit 300 000 bis 600 000 DDR-Reisenden gerechnet. Das waren auch die Zahlen, mit denen die Bundesregierung vor Ingangsetzung dieser sogenannten Vertragspolitik angerückt ist. Als man Ende Dezember vorigen Jahres eine Zwischenbilanz machte, zählte man zwar bereits 182 900 Grenzgänger, immerhin weit entfernt von den angegebenen Vorschätzungen. Aber von Januar bis Mai dieses Jahres fuhren nur noch 97 550 Besucher nach drüben. Das ist ein Bruchteil dessen, was Sie erwartet haben.Diese Zustände und ich habe nur einige ausder gegenwärtigen Situation wegen der Kürze der Zeit hier angeführt — verstoßen in eindeutiger Weise gegen die allen Menschen garantierten Menschenrechte. Ich möchte kurz auf die einschlägigen Menschenrechte in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen hinweisen. Dort heißt es in Art. 3: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Art. 5: Niemand darf unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Art. E und 8: Jeder Mensch hat Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz. Art. 9: Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden. Art. 12: Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim, seinen Briefwechsel — der nach wie voi kontrolliert wird! — ausgesetzt werden. Art. 13 Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb seines Staates. Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen und dahin zurückzukehren. Art. 18: Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, und jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.Gegen all diese Menschenrechte verstößt die DDR laufend und konstant. Wer anders — das ist diE Frage, die sich der Bundesregierung und dieser Koalition stellt — soll auf diese Situation, daß in Deutschland laufend gegen die Menschenrechte verstoßen wird, hinweisen, wenn nicht wir?
Die Menschen drüben haben keine Möglichkeit dazu. Wenn wir es nicht tun, dann wird sich ein Mantel des Schweigens über das Unrecht mitten it Deutschland breiten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7343
Dr. AbeleinDie Bundesregierung hat mit der DDR den sogenannten Grundvertrag abgeschlossen, der die Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands von Grund auf regeln sollte. In Art. 1 dieses Vertrages wird als Ziel die Entwicklung sogenannter gutnachbarlicher Beziehungen herausgestellt. Die Überschrift, die die Bundesregierung über diese sogenannte Vertragspolitik gestellt hat, lautet: Schaffung von menschlichen Erleichterungen. Leider haben es weder dieser Vertrag noch die folgenden Verträge vermocht, die menschliche Situation in Deutschland wesentlich zu verbessern. Das Bundesverfassungsgericht führte dazu aus:Schließlich muß klar sein, daß mit dem Vertrag — gemeint ist der Grundvertrag —schlechthin unvereinbar ist die gegenwärtige Praxis an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl.Insofern gibt der Vertrag eine Rechtsgrundlage dafür ab, daß die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Pflicht alles ihr Mögliche tut, um diese unmenschlichen Verhältnisse zu ändern und abzubauen.Es ist nicht nur ein Recht, es ist geradezu die Pflicht der Bundesregierung, der DDR diese Zustände als vertragswidriges Verhalten zu notifizieren und zum Anlaß politischer Schritte gegenüber der DDR zu nehmen. Das hat die Bundesregierung bisher nicht getan. Die Bundesregierung hat zwar in den laufenden Verhandlungen bei auftretenden Zwischenfällen immer wieder darauf hingewiesen, aber einen förmlichen Protest hat sie — wenigstens hat sie das nie vorgebracht — gegenüber der DDR bisher nicht ausgesprochen. Es kennzeichnet die Einstellung dieser Bundesregierung, wenn einer ihrer Unterhändler im Innerdeutschen Ausschuß sinngemäß meinte: Wenn ein mit Tod endender Zwischenfall an der Grenze in Deutschland stattgefunden habe, dann sei es leider zu spät für besondere Aktionen. Wenn ich das nicht als Zynismus qualifizieren will, sondern mehr als Unbedachtsamkeit,
dann spricht daraus ein totaler Mangel an Bereitschaft dieser Bundesregierung, sich gegen das Unrecht in Deutschland wirksam zur Wehr zu setzen.
Diese Situation war für uns der Anlaß, beim Bundestag einen Entschließungsantrag einzubringen, der die Bundesregierung zu einem eindeutigeren Verhalten auffordern sollte. Dieser Antrag wurde Ihnen in der Drucksache 7/1593 vorgelegt. Die Koalition hat ihn im Ausschuß abgelehnt. Wir legen ihn in gleichem Wortlaut als Änderungsantrag von unserer Seite hier noch einmal vor. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, der DDR zu notifizieren, daß die gegenwärtige Praxis an der Grenze in Deutschland, also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen, Schießbefehl, gegen den Grundvertrag verstößt und daß das Fortbestehen dieser Maßnahmen als vertragswidriges Verhalten zu qualifizieren ist.Die Koalition hat demgegenüber einen Vorschlag gemacht, der die Notifizierung gegenüber der DDR erst an die zweite Stelle rückt, damit das nicht so deutlich wird. New York, die UNO, liegt für sie ein bißchen weiter weg; von dort könnte es vielleicht in Deutschland nicht so laut gehört werden. Deswegen rücken Sie diese Position an die zweite Stelle.Sie sagen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, ... in konsequentem Bemühen um Frieden und Versöhnung ihre Politik auch gegen die Gewalt an den Grenzen zwischen den beiden Staaten in Deutschland fortzusetzen mit dem Ziel, diese bedrückenden Verhältnisse zu überwinden, ...In dieser allgemeinen Form werden Sie nichts erreichen. Diese allgemeine Deklamation wird die DDR wenig beeindrucken.Wir wollten — und wir alle sollten — die Bundesregierung darüber hinaus auffordern, auf Grund des vorliegenden Materials über menschenwidriges Verhalten der DDR — und darum geht es, nicht um die allgemeine Einhaltung der Menschenrechte überall auf der ganzen Welt — die Möglichkeiten zu nutzen, die sich aus der Charta der Vereinten Nationen und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ergeben, um die DDR zu veranlassen, die permanente Verletzung der Menschenrechte zu beenden.Was sich im Ausschuß abgespielt hat, kennzeichnet treffend die Einstellung der Bundesregierung und ihrer Koalition; denn Sie formulieren zwar:Die Bundesregierung wird aufgefordert, ... die im Rahmen der Vereinten Nationen bestehenden Möglichkeiten auch künftig zu nutzen und bei allen Mitgliedstaaten auf die Einhaltung der Menschenrechte hinzuwirken.Wir wären, um wenigstens zu einem Minimum an Gemeinsamkeit zu kommen — wenn Ihren Lippenbekenntnissen zu trauen ist, wollten Sie das doch —, Ihnen so weit entgegengekommen, daß wir auf unsere ganze Resolution verzichtet hätten. Wir wollten nur zwei oder drei Wörtchen noch dazuhaben. Es sollte nämlich hinzukommen: „Auch bei der DDR" sollten diese Dinge betrachtet werden. Sie sind bereit, überall gegen eine Verletzung der Menschenrechte zu protestieren — in Chile und in Griechenland —, nur an einem Platz tun Sie das nicht, nämlich in Deutschland. Das ist ein Skandal erster Ordnung.
Sicherlich treten wir für die Wahrung der Menschenrechte überall auf der ganzen Welt ein. Aber es gibt für uns in der Bundesrepublik Deutschland eine abgestufte Verantwortung. Wir tragen eine höhere Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte in Deutschland als sonst auf der Welt.Wir waren bereit, mit Ihnen entsprechende Maßnahmen für die Einhaltung der Menschenrechte auf der ganzen Welt zu verlangen; aber auch in Deutschland, und das wollten wir noch besonders
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Dr. Abeleinherausgestellt haben. Und genau bei diesem Punkt ist die Gemeinsamkeit bei der Abfassung dieser Resolution gescheitert. Das ist auch die Nahtstelle, an der es zwischen uns diese Gemeinsamkeit leider nicht geben kann. Dort liegen auch die Ursachen dafür, daß die Ergebnisse Ihrer bisherigen Vertragspolitik so dürftig sind.
Die Koalition der SPD und der FDP brachte im Innerdeutschen Ausschuß zum Ausdruck — das steht im übrigen auch in der Vorlage —, ein zu deutlicher Protest gegenüber der DDR über die menschenrechtswidrige Situation in Deutschland könnte die Verhandlungsatmosphäre zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland stören. Es mag sein: Gegenüber Rechtsbrechern wird wahrscheinlich deren psychologisches Wohlbefinden dadurch beeinträchtigt, daß man auf das Unrecht hinweist. Aber dann stören wir die Verhandlungsatmosphäre eben, und zwar der Menschen in Deutschland wegen. Lassen Sie sich sagen: Wer das nicht riskiert und wer zum Unrecht schweigt, der fördert das Unrecht; denn gegenüber dem Unrecht gibt es keine Neutralität.
Ich finde es in hohem Maße verwunderlich, wenn in Ihrem Bericht über ,den Entschließungsantrag steht:Die Notifizierung eines Protestes, ohne konkreten Anlaß, bei der Regierung der DDR würde ... die laufenden Verhandlungen erschweren.Wie können Sie denn vor den konkreten Realitäten in Deuschland so die Augen verschließen! Sind denn Mauer, Stacheldraht, Schießbefehle und Morde für Sie kein konkreter Anlaß, um dagegen vorzugehen? Das Leisetreten der Bundesregierung wird doch von der DDR in keiner Weise honoriert; das sollten Sie wenigstens aus dem Fall Guillaume gelernt haben!
Haben Sie denn nicht gelernt, daß Ihr ängstlicher, vorgabeeifriger Verhandlungsstil gegenüber den Vertretern der DDR bisher überhaupt nichts genützt hat?! Seien Sie doch gegenüber der DDR ein bißchen härter, und zwar im Interesse der Menschen in Deutschland! Und lassen Sie sich sagen: Wir alle — die Regierung wie die Opposition — werden vor der Geschichte mit Sicherheit zur Verantwortung gezogen werden, und uns allen wird die Frage gestellt werden: Was habt ihr für die Deutschen, für eure Mitmenschen getan?
Und Sie werden dann, wenn Sie diese Haltung von heute weiterfolgen, mit leeren Händen dastehen.
Komisch war ein Diskussionspunkt, als wir wollten, daß die deutsche Situation vor der UNO zur Sprache gebracht werden sollte. Die UNO gibt ja Möglichkeiten dafür. Sie haben doch als eine der Leistungen Ihrer Außenpolitik, als eine Reform, den Beitritt zur UNO herausgestellt, durch den derAktionsradius der Bundesrepublik auf der internationalen Bühne erweitert werde. Jetzt kommen Sie und sagen im Ausschuß, es könnte in der UNO passieren, daß wir angesichts der dortigen Mehrheitsverhältnisse eine Niederlage erleiden und — so steht es auch in Ihrem Bericht — die DDR dann aufgewertet würde.
Das finde ich in hohem Maße komisch. Die Aufwertung haben Sie doch bereits vollzogen; da brauchen Sie nicht mehr auf die UNO hinzuweisen.
Das ist das eine.
Das andere ist: Wenn Sie so ganz genau wissen, daß die Mehrheitsverhältnisse in der UNO gegen uns stehen, wieso haben Sie dann so gedrängt, rasch in die UNO einzuziehen? Wie können Sie dann behaupten, der Aktionsradius der deutschen Politik sei erweitert worden? Hier zeigt sich einer der vielen Widersprüche und eine der vielen Ungereimtheiten in Ihrer politischen Position.Ich sage noch einmal: Die UNO hat in der allgemeinen Erkärung zu den Menschenrechten und in der dafür zuständigen Kommission eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Sie nützen sie alle nicht, und damit entziehen Sie doch der Politik, die Sie eingeleitet haben, selbst den Boden.Gegenwärtig wird über ein kollektives Sicherheitssystem zur Entspannung in Europa verhandelt. Meinen Sie denn wirklich, es diene der Entspannung, wenn man über Schüsse, Mauern, Stacheldraht, d. h. über ein Gefängnis, in dem ein Teil einer Nation eingesperrt ist, nicht mehr reden darf? Verstehen Sie denn unter Entspannung nur Schweigen? Es mag sein, daß die Spannung nachläßt, wenn man über die Qual von Millionen Menschen nicht mehr redet. Aber unser Ziel bei der Entspannung ist nicht eine so verstandene Entspannung; unser Ziel der Entspannung in Deutschland ist die Realisierung von Gerechtigkeit und Menschenwürde in ganz Deutschland.Leider ist auch bei der neuen Bundesregierung, die von den Herren Wehner, Schmidt und auch Genscher, der diese Bundesregierung ermöglicht, geführt wird, kein neuer, besserer Ansatzpunkt der Deutschlandpolitik zu erkennen. Die Entfernung der Hauptakteure dieser mißglückten Politik aus den Reihen der Regierung ändert an dieser Feststellung überhaupt nichts. Der neue Bundeskanzler und der heimliche Bundeskanzler haben in der Vergangenheit an maßgeblicher Stelle mit dazu beigetragen, die Grundlagen für diese verfehlte Deutschlandpolitik zu legen. Deswegen trägt auch der neue Bundeskanzler die Verantwortung für die gegenwärtige Lage in der Deutschlandpolitik mit, nämlich eine Verantwortung durch Unterlassen. Während Brandt in seinen Erklärungen — wenn auch zunehmend verwässert — den Begriff der Nation wenigstens noch erwähnte, ist er bei Bundeskanzler Schmidt völlig weggefallen.Lassen Sie mich eines sagen: Mit rein pragmatischer Energie, die unser Bundeskanzler wie eine
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Dr. AbeleinFahne vor sich herträgt, ist in der Deutschlandpolitik nichts zu erreichen.
Was mir bei ihm und dieser Bundesregierung auffällt, ist ein erschreckender Mangel an Einsicht in die deutsche Situation und an Sinn für die Kontinuität der deutschen Geschichte.Die zeitliche Nachbarschaft der Behandlung des heutigen Themas mit dem 17. Juni wirft das richtige Licht auf dieses Thema. Seit dem 17. Juni 1953 weiß die ganze Welt, daß in der DDR nach wie vor 20 Millionen Deutsche in Unfreiheit gehalten werden, und es ist unsere Aufgabe, darauf auch in Zukunft hinzuweisen. Wir lassen uns den 17. Juni als Gedenktag der deutschen Nation, und zwar der gesamtdeutschen Nation, nicht nehmen, und wir lassen ihn auch nicht zum Tag der paritätischen Mitbestimmung denaturieren,
womit nichts zur Mitbestimmung gesagt sein soll.Drüben haben 20 Millionen Deutsche trotz entgegengesetzter Beteuerungen immer noch nicht ihre Zustimmung zu dem Regime gegeben. Denn wie lassen sich Mauer, Minen, Stacheldraht und Schießbefehl damit vereinbaren? Wir müssen uns davor hüten, diesem Regime eine Legitimation zu geben, die ihm die eigene Bevölkerung nicht gegeben hat.Der 17. Juni ist der Gedenktag der Bundesrepublik Deutschland schlechthin, an dem eigentlich dieses Thema behandelt werden muß. Die deutsche Geschichte ist arm an nationalen Feiertagen. Wir haben keinen einzigen nationalen Feiertag in der Kontinuität der Entstehung der Einheit Deutschlands. Nationale Feiertage der jüngsten Geschichte sind der 20. Juli als Aufstand der Deutschen gegenüber der faschistischen Gewaltherrschaft und der 17. Juni als Tag des Aufstandes der Deutschen gegen ein unterdrückendes Regime, das wir in Mitteldeutschland haben. Ich finde es gut, daß wir diese beiden Gedenktage haben; denn damit zeigen wir gegenüber der ganzen Welt, daß die Deutschen nicht weniger freiheitsliebend sind als die übrigen großen Völker dieser Welt, hauptsächlich des Westens.
Hier zeigen wir, daß wir in der Tradition der Freiheit stehen.Die deutsche Geschichte ist nicht zu Ende, und das, was Sie unter Realitäten verstehen, die wir anerkennen müßten, ist nur eine ganz kurze Phase der deutschen Geschichte. Wenn man überhaupt ein Motto finden kann, das man über den Ablauf der deutschen Geschichte setzen könnte, dann ist es die unentwegte, mitunter unglückliche Suche nach Einheit und Freiheit. Für einen kurzen Zeitraum erreichten wir beides. Dann wurden wir wieder zurückgeworfen, großenteils durch eigenes Verschulden. Deswegen wird dem deutschen Volk die Prüfung auferlegt, diese Aufgaben erneut zu bestehen, erneut zu erfüllen. Die Einheit haben wir alle verloren; die Freiheit hat ein großer Teil des deutschen Volkes verloren. Wir, die wir die Freiheit noch haben, sind aufgerufen, die Freiheit auch für die drüben in der DDR zu verwirklichen, und zwar selbst dann, wenn die Chancen dafür im Augenblick nicht sehr gut stehen sollten.Diese Aufgabe der deutschen Geschichte besteht nach wie vor. Hier liegt das Grundprinzip unserer Deutschlandpolitik. Hier sehen wir uns in der Kontinuität der deutschen Geschichte, die auch über eine so kurze Phase einer solchen Regierung hinweg weitergeht. Das müßten eigentlich auch Sie sehen. Unser Haupteinwand gegenüber Ihrer Politik lautet: Diese Politik ist viel zu kurzatmig; sie ist letztlich geschichtslos; sie ist nicht orientiert an großen Zielen. Deswegen erleiden Sie ja leider auch bereits kurzfristig und mittelfristig so große Schlappen; nicht einmal kurzfristig erhalten Sie die Ergebnisse, die sie wünschen.Ich komme damit zum Ende meiner Ausführungen.
— Ich bin am Ende meiner Ausführungen, und Sie sind am Ende Ihrer Politik. Das scheint mir ein gewaltiger Unterschied zu sein.
Ich wollte zum Schluß nochmals auf diese Zusammenhänge hinweisen, denn sie sind Ihnen offensichtlich — das zeigt mir Ihr Lachen — völlig fremd.
Ich bestehe nochmals darauf: Auch diese Deklaration wird von uns im Sinn dieser Aufgaben gesehen, die uns alle gestellt sind. Deswegen bitte ich Sie noch einmal, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
— So deplaciert wie das meiste, was Sie sagen, Herr Wehner!
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Abelein hat in seinen Ausführungen besonders auf den Gedenktag des 17. Juni hingewiesen und mit Nachdruck verlangt, daß dieser Gedenktag wie in einer Reihe von früheren Jahren gefeiert wird. Aus seinen Ausführungen wurde weiter deutlich, wie er sich die Feier dieses 17. Juni vorstellt. Dazu muß ich sagen: Wenn das in dem Stil, wie es in seiner Rede zum Ausdruck kam, erfolgt wäre, so wäre es kein Tag
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7346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. Kreutzmannder deutschen Einheit, sondern ein Tag der deutschen Zwietracht in diesem Hause geworden.
Herr Kollege Abelein, wir alle wissen ja doch um die Problematik dieses 17. Juni. Wir haben es in den vergangenen Jahren wiederholt erlebt, wie dieser Tag, der als ein Gedenktag begangen werden sollte, zu einer Art zweitem Vatertag gemacht worden ist. Das war letztlich der Grund dafür, daß wir uns um eine Änderung dieses Gedenktags bemüht haben. Dem Sinn dieses Tages, wird es nicht geben, wenn Sie, Herr Kollege Abelein, hier den Regierungsparteien und der Regierung vorwerfen, daß sie in ihrer Deutschlandpolitik nur Lippenbekenntnisse ablegten und über diesen Tag hinweggehen wollten, weil ihnen die Beziehungen der Menschen innerhalb Deutschlands im Grunde genommen gleichgültig seien. Es gehört schon allerlei dazu, Herr Kollege Abelein, eine solche Feststellung zu treffen. Das ist, gerade wenn Sie auf den 17. Juni Bezug nehmen, ein ziemlich starkes Stück.Lassen Sie mich nun aber zu dem eigentlichen Thema zurückkehren: zu dem Entschließungsantrag. Der Entschließungsantrag zu der Erklärung der Bundesregierung über die Lage der Nation wurde am 23. Januar 1974, also am Tag vor der Abgabe dieser Erklärung, eingebracht. Er war damals ein Versuch, auf diese Erklärung und ihre Thematik Einfluß zu nehmen. Ich glaube kaum, daß der Opposition bekannt war, was in dieser Regierungserklärung am Tag darauf gesagt worden ist; sonst hätte sie sich diesen Antrag wahrscheinlich doch überlegt.Damals erklärte Bundeskanzler Brandt:Meine Damen und Herren, lassen Sie uns --- wenn Sie es sich, wenn wir es uns miteinander gestatten — gerade an dieser Stelle ein wenig nachdenken. Wir sind ja hier, um miteinander zu reden und abzuwägen, und nicht, um auf primitive Weise recht zu behalten.Und er zitierte aus der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973:Wenn wir uns über Ziel und Aufgabe einig sind, wird der Streit um den besten Weg dorthin seine ätzende oder verletzende Schärfe verlieren.Er fuhr dann fort:Wir werden den langen Atem haben, den wir für die Regelung der zwischen den beiden deutschen Staaten offenen Fragen brauchen. Und wir werden uns auch das gute Gedächtnis bewahren, dessen man bedarf, will man sich ehrlich erinnern, wie verfahren, verkrampft und schier ausweglos die Lage zwischen den beiden deutschen Staaten, auch am heutigen Stand gemessen, noch vor wenigen Jahren gewesen ist.Ich glaube, wenn man Ihre Rede hier gehört hat, Herr Kollege Abelein, so hat man den Eindruck, als ob seit der Aufnahme der Verhandlungen mit der DDR seit dem Grundvertrag die Lage innerhalbDeutschlands schlechter geworden wäre, als sievorher war. Das können Sie doch, wenn Sie ehrlich sind und die Dinge wirklich prüfen, nicht sagen.
Ich möchte mit den Worten des damaligen Bundeskanzlers fortfahren, der gesagt hat:Natürlich hätten wir es gern, daß noch viel mehr Menschen, gerade auch jüngere, von drüben zu uns reisen können. Aber es wäre nicht vernünftig, wenn man, weil diese Forderung vorerst noch unerfüllbar bleibt, den Versuch ablehnen würde, zunächst wenigstens ein paar Einbahnstraßen zu öffnen und offenzuhalten. Das Ziel kann ein optimales sein; der Weg dahin aber muß Schritt für Schritt zurückgelegt werden. Wir können nirgends mitfahren, sondern müssen selbst gehen; niemand wird uns tragen oder uns die Lösung der deutschen Frage gar entgegenbringen. Appelle allein legen die natürlichen Grenzzäune nicht nieder, und die Minen entschärfen sie auch nicht. Und gerade deswegen: Unsere Politik ist und bleibt gegen die Gewalt an den Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten gerichtet.Lange Zeit haben Sie immer wieder angeklagt, alle diese Gefühle geweckt, die Sie heute, Herr Abelein, auch zu wecken versucht haben. Wir sind doch aber mit dieser Politik kaum einen Schritt weitergekommen, im Gegenteil, die Grenze ist immer stabiler und undurchlässiger geworden.
Die ersten Ansätze für ein kleines Mehr an Menschlichkeit sind doch erst unter dieser Regierung geschaffen worden. Daran kann doch niemand zweifeln. Die Opposition will die demonstrative Aktion. Ihr geht es darum, das Verhalten der SED und der Regierung der DDR bei jeder 'sich bietenden Gelegenheit öffentlich anzuprangern und damit die DDR unter den Druck der Weltöffentlichkeit zu bringen. Die Regierung aber will den von ihr eingeschlagenen Weg der Verhandlungen fortsetzen, der ihr zwar auch manche Rückschläge und Enttäuschungen gebracht hat, der aber doch unverkennbare erste Erfolge in der Verbesserung der menschlichen Beziehungen erzielen konnte, die — das kann man nicht oft genug betonen — von seiten der Opposition noch vor Jahren für unerreichbar gehalten worden sind. Ich darf nur daran erinnern, daß, als einmal gesagt wurde, es solle ein kleiner Grenzverkehr geschaffen werden, ein Abgeordneter aus Ihren Reihen damals im Hessischen Landtag erklärte, das seien Phantastereien, das seien Träume, die niemals in Erfüllung gehen könnten. Wir haben auf diesem Weg Fortschritte erzielt. Das können Sie doch einfach nicht aus der Welt schaffen.
Ich meine, im Grunde genommen sind wir trotz dieser Rede, die hier gehalten worden ist, im Ziel gar nicht so fern voneinander. Es ist eigentlich gar nicht nötig, ich will es aber doch noch einmal sagen, um keinen Zweifel darüber zu lassen: Auch für uns
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7347
Dr. KreutzmannSozialdemokraten ist eine Grenze mit Minenfeldern, Todesstreifen und Selbstschußanlagen, eine Grenze, an der geschossen wird und an der immer wieder Menschen sterben, unvereinbar mit dem Humanitätsanspruch, den das SED-Regime erhebt.
Dieser Humanitätsanspruch wird für uns durch die Grenzsicherungsmaßnahmen gemindert, auch wenn hinter ihnen in vielem die nackte Existenzangst steht. An Äußerungen, die diese Beurteilung der SED-Politik eindeutig bestätigen, an Vorstößen gegen diese Politik hat die Regierung der sozialliberalen Koalition es nicht fehlen lassen. Sie sind nicht nur, Herr Abelein, hier in diesem Hohen Hause gefallen, sie sind vor vielen internationalen Gremien gemacht worden und haben in vielen Protesten nach Zwischenfällen ihren Niederschlag gefunden. Sie wissen ja selbst, daß kaum einer dieser Zwischenfälle geschehen ist, ohne daß in Ansprachen des Ministers für innerdeutsche Beziehungen, ohne daß vom Bundeskanzler selbst Proteste erhoben worden sind. Sie sind von den Unterhändlern der Bundesregierung auch bei ihren Gesprächen mit der anderen Seite immer wieder vorgetragen worden.Man kann aber nicht — das Kunststück bringen Sie vielleicht fertig — gleichzeitig verhandeln und diese Verhandlungen mit demonstrativen Aktionen belasten. Das sollte jedem klar sein, der sich jemals Gedanken über das Wesen von Verhandlungen gemacht hat. Alle geführten Verhandlungen verfolgen ja letzten Endes nur das eine Ziel, die Lage innerhalb Deutschlands zu vermenschlichen. Dieses Ziel aber erreicht man nicht, wenn man den Gegner am Verhandlungstisch um Einlenken und Vernunft beschwört, mit ihm in gezielten Themen auf diesem Wege Fortschitte zu erreichen versucht und ihn gleichzeitig in der Offentlichkeit als Todfeind anprangert, mit dem eigentlich ein vernünftiger Mensch überhaupt nicht reden könnte.
— Das meine ich jedenfalls ernster als Sie, der Sie manche Dinge als Halbwahrheiten unter die Menschen zu bringen pflegen. Das möchte ich Ihnen sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger, Herr Kollege?
Die Opposition hat nun in der Begründung ihrer Minderheitenstellungnahme behauptet, das von Regierung und Koalition — —
Verzeihung, ich hatte gefragt, ob Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger gestatten.
Bitte sehr!
Frau Berger CDU/CSU) : Herr Kollege, wenn das Engagement der Bundesregierung in Fragen der Lage der Nation in unserem geteilten Land so stark ist, wie Sie es uns hier darstellen, haben Sie dann eine Erklärung dafür, warum das Bundeskabinett zur gleichen Stunde, in der wir über die Lage der Nation diskutieren, eine Sitzung abhält und — mit Ausnahme eines Kabinettsmitgliedes — geschlossen nicht anwesend ist?
Frau Kollegin Berger, das Bundeskabinett ist durch den zuständigen Minister hier vertreten. Ich habe keinen Einblick in die Notwendigkeiten, die zur Abhaltung dieser Sitzung bestehen. Aber ich glaube, daß der zuständige Minister der gegebene Adressat für die Bundesregierung hier in diesem Hause ist.
Die Opposition hat in der Begründung ihrer Minderheitenstellungnahme behauptet, das von der Regierung und der Koalition verwandte Argument, eine fortschreitende Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten würde zwangsläufig auch für Menschen im Machtbereich der SED die unveräußerlichen Menschenrechte wieder in Kraft setzen, habe sich als nicht richtig erwiesen und sei ohne greifbare Ergebnisse geblieben. Ich hoffe, daß Sie sich bemühen werden, hier Fakten anzuführen. Aber auch wir meinen, daß die Weltgeltung eines Regimes nicht allein von der Zahl der bei ihm akkreditierten Botschaften abhängt, sondern von dem Maß der Freiheit und des Rechts, das man in seinem Land seinen Mitbürgern gewährt. Daß hier der SED und der DDR noch viel zu tun übrig bleibt, kann man sicherlich sagen, ohne dabei arrogant zu werden. Man sollte aber doch nicht übersehen, daß auf dem Wege der Verhandlungen mit der DDR Fortschritte auch für die DDR-Bürger erreicht wurden, angefangen von der wachsenden Zahl der DDR-Bürger unter 60 Jahren, die die Möglichkeit zu Verwandtenbesuchen in Westdeutschland erhielten, über die vermehrten Sportbegegnungen, den Devisenaustausch bei finanziellen Notlagen und bei der Versorgung von Familienangehörigen bis hin zu einer Verbesserung der Medikamentenversorgung in schwierigen Krankheitsfällen.Das bagatellisieren Sie. Sie sagen, das sei nichts, das seien nur Rinnsale, Kleinigkeiten. Ich meine aber, gemessen an der Starrheit, die das Regime dort drüben in diesen Fragen in der Vergangenheit gezeigt hat, gemessen an dem, was war, und an der inneren Konstruktion dieses Regimes sind es Fortschritte, die von den Menschen, die davon profitieren, dankbar aufgenommen werden. Ich meine weiterhin, die Arbeitsaufnahme der Ständigen Vertretung dürfte im übrigen manches erleichtern, was im Augenblick noch undenkbar erscheint. Hier kann nur durch geduldiges und zähes Bemühen ein weiterer Fortschritt erzielt werden. Wir werden dabei stets einen langen Atem brauchen. Es dürfte auch
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Dr. Kreutzmann— davon bin ich felsenfest überzeugt — keiner anderen Regierung leichter fallen, Fortschritte zu erzielen. Keine könnte schnellere und bessere Ergebnisse erzielen, als erzielt worden sind. Sie haben ja die Möglichkeit gehabt, Herr Abelein, Verhandlungen aufzunehmen, Erfolge zu erzielen, als Sie in der Verantwortung waren. Und was ist geschehen? Die Grenze ist immer dichter, immer undurchlässiger geworden, und die ersten Versuche, hier eine Bresche zu schlagen, sind doch letzten Endes durch die Politik dieser Regierung unternommen worden. Der Grundvertrag ist dabei, so meinen wir, ein Instrument, das uns überhaupt erst die Chance gibt, von einem festen Boden aus zu operieren.Ich freue mich darüber, daß heute auch die Opposition — wie Sie es in Ihrer Berichterstattung getan haben — betont, daß dieser Grundvertrag einen Ansatz dafür bietet, solche Fortschritte zu erreichen — wo Sie doch sonst dauernd behaupten, diese Regierung habe nur schlechte und ungleichgewichtige Verträge ausgehandelt.Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, feststellen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe der Bundesregierung gewissermaßen einen Auftrag erteilt, dafür zu sorgen, daß die Verhältnisse an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR geändert werden, so ist das, meine ich, eine sehr eigenwillige Interpretation. Das Gericht stellt in seinem Urteil zwar fest, die Situation an der Grenze sei mit dem Geist des Grundvertrages unvereinbar; es stellt auch ausdrücklich fest, daß die Bundesregierung mit dem Vertrag eine Rechtsgrundlage hat, von der sie in dieser Frage ausgehen kann. Aber das Gericht erteilt keinen Befehl, daß hier unter allen Umständen Aktionen allein um des Aktionismus willen zu starten sind. Das Gericht respektiert die politische Entscheidungsfreiheit und damit die Wahl des Weges und des Zeitpunktes, auf dem und zu dem die Bundesregierung das vom Bundesverfassungsgericht angesprochene Ziel erreichen will. Eine Pflicht zur Notifizierung der Zustände vermag ich aus diesem Urteil nicht herauszulesen. Und ich weiß auch nicht, Herr Abelein, ob Sie, wenn Sie hier von Lippenbekenntnissen reden, glauben, daß man mit papiernen Protesten mehr erreicht als mit zähen Verhandlungen, mit Verhandlungen, in denen man dem Gegner Mann zu Mann gegenübersteht.
Was schließlich die Forderung der Opposition anlangt — und Sie haben sie auch hier wieder erhoben, Herr Abelein —, eine Demarche bei den Vereinten Nationen zu unternehmen, so meinen meine Freunde und ich, ein solcher Schritt wäre risikoreich und böte keinesfalls eine sichere Erfolgschance. Man sollte ihn, so meinen wir, erst dann unternehmen, wenn gar keine Möglichkeit mehr besteht, die Dinge auf bilateralem Wege zu bereinigen. Natürlich kann man und wird man die DDR bei bilateralen Verhandlungen auf die Widersprüchlichkeit zwischen den Zuständen an ihren Grenzen und der Charta der Vereinten Nationen sowie zu der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hinweisen, wird man sie zum richtigen Zeitpunkt auf die Unvereinbarkeit dieses ihres Verhaltens mit ihrer Mitgliedschaft in den UN aufmerksam machen. Ein Vorstoß bei den Vereinten Nationen aber birgt die Gefahr in sich, daß man bei den dortigen Mehrheitsverhältnissen nicht durchdringt und daß daher eine solche Abstimmung von der DDR noch zu ihrer Rechtfertigung benutzt wird. Es könnte auch dort wieder das Gefühl der „querelles allemandes" geweckt werden, das wir gerade durch bilaterale Verhandlungen mit der DDR weitestgehend ausschalten wollen.Was schließlich die Einbringung des Themas bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, die Sie in Ihrem Antrag gefordert haben, anlangt, so ist das Entsprechende von seiten der Bundesregierung ja längst geschehen. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten haben ja nicht nur einmal, sondern wiederholt zu verstehen gegeben, wie unbequem und ärgerlich ihnen die Zähigkeit ist, mit der die Bundesregierung mit den westlichen Verbündeten auf der Behandlung dieses Themas besteht.Es gibt also nach unserer Meinung keinen Grund, zusätzliche Aktivitäten zu entfalten, die nur demonstrativen Charakter haben, während ständig Aktivitäten im Gange sind. Speziell gezielte Aktionen gegen die DDR, die Sie verlangen und die manchem gerade auch nach den Erfahrungen der letzten Wochen sicherlich angebracht erscheinen mögen, würden auch hier nur mit einer von uns nicht gewollten Solidaritätsaktion des ganzen Ostblocks beantwortet werden. Sie würden dabei auch jene Kräfte innerhalb dieses Blocks zur Solidarität treiben, die aus ihren eigenen Interessen heraus die DDR zu einer nachgiebigeren Haltung gegenüber der Bundesrepublik veranlassen möchten. Und das kann doch nicht der Sinn eines solchen Vorstoßes sein.Hoffnungen auf einen etwaigen Zeitdruck bei der Sowjetunion zum Konferenzabschluß zu setzen, wie Sie das in Ihrem Bericht getan haben, sollte eigentlich jeder unterlassen, der jemals Erfahrungen mit dem Zeitgefühl russischer Menschen gemacht hat. Die sind es gewohnt, wenn es zum Ziele geht, hart zu pokern. Auf Zeitdruck zu spekulieren, ist daher nach meiner Meinung grundsätzlich falsch. Richtiger ist es, den richtigen Zeitpunkt zu kennen, die richtige Interessenlage auszuloten und dann zu handeln.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Sie können natürlich — daran können wir Sie nicht hindern — dieser Regierung und den hinter ihr stehenden Parteien unterstellen, daß sie nur Lippenbekenntnisse ablegten, daß sie die Fragen der Beziehungen der Menschen innerhalb Deutschlands nur als Randerscheinungen behandelten. Es hat mich allerdings — lassen Sie mich dies sagen — etwas betroffen gemacht, daß der Kollege Jäger im Ausschuß bei der Beratung des Antrages erklärt hat, wenn wir diesen Oppositionsantrag von seiten der Regierungsparteien ablehnten, werde man ihn uns in Wahlkämpfen bei jeder Gelegenheit um die Ohren hauen. Ich meine, die Absicht bestürzt, das schwierige und schicksalhafte Gebiet der innerdeutschen Beziehungen als Wahlkampfmunition zu benutzen.
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Dr. Kreutzmann— Sie tun das doch, indem Sie Emotionen wecken, statt sich um Fakten zu bemühen.
Gerade hier kommt es darauf an — ,das ist doch eigentlich der Sinn dessen, was Sie im Zusammenhang mit dem 17. Juni angesprochen haben —, den Weg zu Gemeinsamkeiten zu suchen. Wir haben es damals dankbar begrüßt, daß ein Versuch unternommen wurde, eine gemeinsame Plattform zu finden. Wir sind dann aber doch daran gescheitert, daß es Ihnen in erster Linie um eine Verurteilung der DDR ging, wir aber Wert darauf legten,
in einer Zeit, in der es um eine ganze Reihe Folgeverträge des Grundvertrages ging, den Weg freizuhalten, um die Verhandlungen zu einem Erfolg führen zu können und den Menschen damit praktisch zu nutzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Herr Kollege Kreutzmann, da Sie schon von Wahlkampfmunition sprechen: wie beurteilen Sie die Tatsache, daß ausgerechnet zehn Tage lang vor der Bundestagswahl 1972 die Frage menschlicher Erleichterungen von der Bundesregierung so stark hochgespielt worden ist?
Herr Kollege Dr. Mertes, ich bin der Meinung, daß man Verhandlungen zu einem Abschluß bringen sollte, wenn der Zeitpunkt reif ist, und daß man sich dabei nicht von irgendwelchen sonstigen Daten beeinflussen lassen sollte. Wir hätten — wenn es sich abzeichnete, daß vor diesen Wahlen die Chance gegeben war, zu einem Abschluß zu kommen — gegenüber diesem Lande und seinen Menschen unverantwortlich gehandelt, wenn wir diese Chance nicht genutzt hätten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum Schluß meiner Ausführungen noch eines feststellen. Ich glaube, wir werden in diesen Fragen der Verbesserung der menschlichen Beziehungen innerhalb Deutschlands nur dann weiterkommen, wenn wir gegenseitig nicht unseren guten Willen in Frage stellen und wenn wir auch die, die um uns herum leben, davon überzeugen können, daß wir es mit diesem Bemühen um Verbesserung der menschlichen Beziehungen wirklich ernst meinen. Dazu, so meine ich, hat Ihre Rede, Herr Abelein, heute nicht beigetragen.
Ich glaube, Ihre Rede war nur dazu geeignet, den
Anschein zu erwecken, daß wir uns gegenseitig nicht
vertrauen, daß wir untereinander zerstritten sind
und daß man mit uns in diesen Fragen .gar nicht zu rechnen braucht. Das war der Tenor, der aus Ihrer Rede aufklang. Wir haben mit unserem Antrag das Ziel verfolgt, der Regierung den Weg freizuhalten, um die mit dem Grundvertrag eingeleitete Politik durch zähe Verhandlungen und intensives Bemühen so fortsetzen zu können, daß sie den Menschen dient. Aus diesem Grunde bitte ich das Hohe Haus, dem Ausschußantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bekennen, die Form, in der der Kollege Abelein die Auseinandersetzung führt, empfinde ich in der Tat als bedrückend. Herr Abelein, Sie verordnen Politik aus der Tiefkühltruhe mit einem Hauch heißer Agitation.
Ich will Sie und Ihre Art und Weise der Argumentation deshalb auch keineswegs mit der Politik der Opposition gleichsetzen. Was Sie hier heute vorgetragen haben, ist die Schilderung der beklagenswerten deutschen Nachkriegsentwicklung von einem Rückschlag zum anderen.
Ich will jetzt nicht nach den Schuldigen suchen, die diese Politik zu verantworten haben; dies sollten wir uns fairerweise ersparen. Sie haben dargestellt, wie wir schrittweise zu Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl und zum Visum gekommen sind bis hin zu einer deutschen Landschaft, in der es kaum noch eine Möglichkeit der Begegnung zwischen den Menschen von hüben und drüben gegeben hat. Genau das haben Sie geschildert. Sie wollen nicht sehen und nicht anerkennen, daß wir uns seit 1963 darum bemühen, diese Landschaft im Interesse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu ändern, und daß wir versuchen, diese Situation etwas menschlicher zu machen. Das tut auch diese Bundesregierung. Sie knüpft damit an jene Politik der kleinen Schritte an, die 1963 in Berlin zum erstenmal Mauer und Stacheldraht durchlässig gemacht hat. Ich hatte den Eindruck, daß es eine Phase der deutschen Politik gegeben hat — der frühere Bundeskanzler Kiesinger fühlt sich sicherlich angesprochen —, in der auch CDU und CSU begriffen hatten, daß mit Mitteln und Methoden unserer Politik der 50er Jahre und einer Publikumsbeschimpfung der Regierung der DDR auch nicht die leiseste Veränderung erreichbar sei. Warum Sie sich von dieser besseren Einsicht heute wieder trennen, vermag ich noch nicht zu erkennen.Meine Damen und Herren! Wer als unbefangener Betrachter an Hand des uns in der Ausschußdrucksache vorliegenden Schriftlichen Berichts den Inhalt des Meinungsstreits prüft, den es bei der Formulierung des Entschließungsantrages zu überwinden galt und
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Hoppeder heute den Grund für diese Auseinandersetzung abgibt, wird ratlos vor dieser Situation stehen. Wenn es trotz vielfältigen guten Willens auch auf seiten der Opposition, bei den Kollegen des Innerdeutschen Ausschusses, nicht zu einer gemeinsamen Entschließung kommen konnte, dann — nehmen Sie mir das bitte nicht als persönlichen Angriff übel — muß es doch wohl der böse Geist des Kollegen Abelein gewesen sein,
der dies verhindert hat. Meine Damen und Herren,was hier strittig geblieben ist — Kollege Reddemann, prüfen Sie es doch selbst einmal nüchtern —,
das ist politisch kaum meßbar, es sei denn, Sie wollten unabhängig von der in der Sache einvernehmlich gefundenen Lösung aus reinem Lustgewinn noch einmal gegenüber der DDR „nachtreten". Sonst gibt es keinen überzeugenden Grund für Ihre Haltung.Was ich hier erlebt habe, erinnert mich an einen Vorgang aus der Vergangenheit. Dafür haben Sie vielleicht ein Ohr, wenn ich es Ihnen erzähle. Ich hatte einmal einen Kompaniechef, der pflegte immer zu sagen: Hauptwachmeister, schreiben Sie den Mann auf, der gibt sich bewußt Mühe, den Kopf schief zu halten.
Beim Kollegen Abelein habe ich immer den Eindruck, er gibt sich bewußt Mühe, zu einer Ablehnung unserer politischen Vorstellungen zu kommen.
Meine Damen und Herren! Wir werden auch dann damit leben können, wenn Sie aus Jux und Tollerei — ich muß dies fast so sagen — diese destruktive Haltung fortsetzen. Wir werden uns auf der anderen Seite von Ihnen nicht von unserer Politik abbringen lassen, die in dynamischer Weise versucht, vorhandene Schwierigkeiten zu überwinden, um den Menschen zu dienen. Wir lassen uns nicht in die Resignation treiben. Und auch schwächliche Nachgiebigkeit und Anpassung gegenüber der DDR werden Sie uns nicht vorwerfen können. Nein, meine Damen und Herren, wir werden die Wahrheit nicht leugnen. Wir werden auch Vertragsverletzungen, vertragswidriges Verhalten, Gewalt und Brutalität nicht verschweigen. Aber wir werden uns auch nicht davon abhalten lassen, in einer Welt des Strebens nach Frieden, in einer Welt voller Friedenssehnsucht ebenfalls unseren Beitrag zum Frieden und zur Entspannung im geteilten Deutschland zu leisten.
— Wenn es hier Resignation gibt, lieber Herr Kollege Reddemann, dann höchstens eine Resignation gegenüber Ihren sterilen Oppositionshaltungen.
Bitte, Herr Kollege Mertes!
Herr Kollege Hoppe, können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, es sei in diesem Zusammenhang besser, wenn die Opposition der Regierung den Rücken stärkt durch Tadel und Kritik?
Ich würde Ihnen uneingeschränkt zustimmen, wenn wir aus einem konstruktiven Dialog mit der Opposition eine Stärkung der Haltung der Regierung und ihrer Politik gegenüber der der DDR und des ganzen Ostblocks gewinnen könnten. Aber was Sie uns hier bieten, ist Negation und Obstruktion.
Deshalb noch ein abschließendes Wort zum Thema des 17. Juni. Was wir uns hier miteinander geleistet haben, ist sicher nicht ein Musterbeispiel von politischer Weisheit und Klugheit. Aber ich bitte auch die Opposition, mit mehr Redlichkeit in dieser Frage zu argumentieren.
Wir waren in den vergangenen Jahren schon sehr viel näher beieinander, als es darum ging, eine Lösung zu finden, die uns wieder die Zustimmung der Bevölkerung zu der Bedeutung jenes Tages bringen sollte, der im Bewußtsein der Menschen fast verlorengegangen schien. Sie haben doch mit uns bekümmert vor der Situation gestanden, daß dieser so wichtige Tag der deutschen Geschichte — und wer wollte es in diesem Hause leugnen —, als bloßer Feiertag von der deutschen Öffentlichkeit mißverstanden und geradezu verunstaltet wurde.
Wir alle wollten diese Situation beseitigen, und wir sollten sie für unsere Zukunft überwinden.
Lassen Sie uns in dieser Frage wieder an gemeinsame Erwägungen anknüpfen. Vielleicht gelingt es uns, dann auch jene Lösung zu finden, die uns davor bewahrt, den Tag noch einmal im Streit begehen zu müssen, wie es in diesem Jahr leider der Fall war.
Leugnen wir aber nicht, daß es für unsere Deutschlandpolitik und für unsere Ostpolitik eine gemeinsame Grundlage und gemeinsame Zielvorstellungen bei allen Parteien dieses Hauses gibt. Lassen Sie mich das mit einem Satz aus der Rede des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt noch einmal so formulieren: und gerade deswegen: Unsere Politik ist und bleibt gegen die Gewalt an den Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten gerichtet.
Das Wort hat der Abgeordnete von Wrangel.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich das Wort des Kollegen Hoppe aufgreifen und die Frage stellen: Was ist eigentlich Redlichkeit in einer politischen Debatte? Herr Kollege Hoppe, es ist die Pflicht der Opposition, gerade in diesem Be-
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Baron von Wrangelreich immer wieder auf die Unrechtstatbestände hinzuweisen, und ich empfinde es als peinlich, daß, wenn wir dies tun, jedesmal ein Anflug von Beleidigtsein durch Ihre Reihen geht.Sie haben dann, Herr Hoppe, vom bösen Geist des Kollegen Abelein gesprochen. Es scheint Ihnen doch höchst unangenehm zu sein, daß hier Kollegen von uns mit Klarheit und Schärfe eine schlechte Politik angreifen.
Ich möchte zu Beginn, Herr Kollege Wehner — vielleicht hören Sie einmal auf, zu lesen —, Ihnen etwas sagen. Als der Kollege Abelein seine Ausführungen beendet hatte, haben Sie es sich geleistet, Herr Kollege Wehner, „Volk ans Gewehr" zu rufen. Dies ist eine schamlose Fortsetzung der Hetzkampagne, die Sie gegen die Unionsparteien führen, und wir werden uns dies nicht länger gefallen lassen!
Denn, Herr Kollege Wehner, Ihre Leisetreterei in der Deutschlandpolitik wird eines Tages vielleicht einen Chauvinismus in diesem Lande hervorrufen, den wir alle miteinander bereuen werden.
Herr Kollege Kreutzmann spricht dann von den Emotionen, die geweckt worden sind. Sie haben doch — und das ist das Schlimmste, was man in der Deutschlandpolitik tun kann — Deutschlandpolitik zu Lasten der Gemeinsamkeit, Herr Kollege Hoppe, mit einer vordergründigen innenpolitischen Effekthascherei betrieben, indem Sie neun Tage vor der Bundestagswahl den Grundlagenvertrag paraphierten. Was war es denn sonst?Uns geht es um diese Debatte, die wir am 17. Juni führen wollten. Ich frage mich heute: Warum ist sie denn nicht geführt worden? Wäre es denn nicht, so wie in früheren Jahren, gut gewesen, wenn wir an diesem Tag ein deutschlandpolitisches Thema in aller Breite diskutiert hätten? Herr Bundesminister Franke, wir haben die Materialien zur Lage in Deutschland bis zum heutigen Tage nicht bekommen.
Wir wissen — und dies haben wir selbstverständlich respektiert —, daß in Ihrem Hause ein Krankheitsfall gewesen ist. Wir glauben aber dennoch, daß trotz eines solchen Krankheitsfalles es mit der großen Verwaltung, die Ihnen zur Verfügung steht, möglich gewesen wäre, am 17. Juni die Materialien in diesem Hause zu debattieren. Ich finde es schlecht, daß wir zu dieser Debatte nicht gekommen sind; wir holen sie heute nach. Es ist schlimm genug, daß der Herr Bundeskanzler es nach seinen mißverständlichen Erklärungen und seinen Unterlassungen nicht für nötig hält, an dieser Aussprache des Hohen Hauses teilzunehmen.
Ich möchte nur noch eine Bemerkung machen, weil Sie immer und immer wieder so tun, als habe Deutschland- und Ostpolitik mit dem Antritt der Regierung Brandt begonnen. Meine Damen und Herren, legen Sie doch diese Legende endlich einmal zu den Akten, weil sie unwahr ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bahr?
Bitte schön, Herr Bahr?
Herr von Wrangel, können Sie mir sagen, warum der Oppositionsführer es für richtig hält, bei dieser wichtigen Aussprache nicht anwesend zu sein?
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Bahr, die Frage im Augenblick nicht beantworten. Aber in diesem Falle ist ja der Bundeskanzler durch Unterlassung angesprochen und der Oppositionsführer nicht. Das ist ein Unterschied.
Meine Damen und Herren! Ich hatte gesagt, Sie haben so getan, als habe die Ostpolitik unter der Regierung Brandt begonnen. Haben Sie eigentlich völlig übersehen, daß in diesem Hohen Hause lebendige Zeugen sind — sie sind beide hier — für eine konstruktive, realistische Ostpolitik, die wesentlich mehr eingebracht hat als Ihre Politik, die taktische Ziele über die politischen Ziele gestellt hat?
Ich brauche nur den Namen unseres Kollegen Gerhard Schröder zu nennen, der damals zum Teil auch von Ihnen gestützt worden ist,
und ich nenne den Namen des früheren Bundeskanzlers Kiesinger, der hier sitzt. Sie tun so, als hätten frühere Bundesregierungen nicht mit der DDR sprechen wollen. Sie wollten es. Das wissen Sie auch ganz genau. Aber sie wollten es nicht um der billigen Preisgabe entscheidender Rechtstitel unseres Volkes willen. Das ist der Unterschied. Uns geht es darum, deutlich zu machen, daß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie im Wettbewerb mit dem totalitären, kommunistischen Regime friedlich gewinnen will, in ihrer Verhandlungsmethode und in ihrer Sprache eine ganz entscheidende Umkehr vornehmen muß. Diese Umkehr ist leider nicht erfolgt.Wir bedauern es, daß die Bundesregierung nach dem Rücktritt von Brandt und dem Fall Guillaume, den wir in Einzelheiten noch nicht kennen, immer noch glaubt —wir haben das heute wieder gehört—, sie könne in den ausgefahrenen, brüchigen Gleisen einer Illusionspolitik, die von einer ungerechtfertigten Vertrauensseligkeit getragen war, fortfahren. Vertrauensseligkeit, meine Damen und Herren, ist
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7352 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Baron von Wrangelund bleibt noch immer der schlechteste Ratgeber imUmgang mit Kommunisten und totalitären Regimen.
Es ist doch klar, daß Deutschlandpolitik — hier beziehe ich mich auf das, was am 17. Juni gesagt worden ist — immer auch Wiedervereinigungspolitik sein muß. Man kann aber nicht die Sache der nationalen Einheit im Munde führen und in der praktischen Politik eine andere Haltung einnehmen. Ich möchte hier auch sagen, daß jeder Schritt in Richtung auf eine völkerrechtliche Anerkennung, den Sie jetzt unternehmen, ein Schritt weg von der deutschen Nation ist, wie wir sie verstehen, und ein Schritt weg vom Verfassungsauftrag, den die Bundesrepublik Deutschland hat.
Die Bundesregierung hat zu wiederholten Malen und auch heute wieder durch die Sprecher der Koalition deutlich gemacht, daß ihre Deutschlandpolitik so etwas wie ein Mittel ist, zu einem Miteinander der beiden Teile Deutschlands zu kommen. Sie befindet sich mit dieser Politik in einem schwerwiegenden, gefährlichen Irrtum. Meine Damen und Herren, Sie haben doch Erwartungen geweckt, die Sie jetzt nicht erfüllen können, und Sie merken doch selbst, daß es in Mitteldeutschland, aber auch bei unseren Bürgern eine tiefe Enttäuschung über das gibt, was Sie, die Bundesregierung und die Koalition, einmal verkündet haben!
Sie sind, statt Freizügigkeit durchzusetzen, auf jener von mir erwähnten Einbahnstraße gefahren. Ich will nicht noch einmal all das erwähnen, was vom Kollegen Abelein im Zusammenhang mit den Rückschlägen gesagt worden ist. Ich sage das ohne jede Schadenfreude. Bestürzend und bedrückend ist für uns etwas anderes: daß Sie doch immer wieder hinter den Kriterien zurückbleiben, die Sie sich selbst einmal gesetzt haben. Das hat der Kollege Abelein völlig zu Recht im einzelnen schildern müssen, weil Sie es ja leider nicht tun.
Es ist, glaube ich, auch notwendig, einmal die große Unkenntnis und die Fahrlässigkeit anzusprechen, meine Damen und Herren von der Koalition, mit der Sie umgehen, wenn es um die Begriffsbestimmung geht. Ich glaube, wenn man überhaupt eine, wie Herr Hoppe meint, konstruktive und sachliche Diskussion führen will, dann muß man doch wenigstens unter denselben Begriffen dasselbe verstehen. Herr Kollege Bahr hat einmal gesagt „Koexistenz auf deutsch"; andere übernehmen das Wort „friedliche Koexistenz" und tun so, als wäre das ein Begriff, der für uns dieselbe Bedeutung hat wie für die kommunistische Seite. Ich glaube, jeder von Ihnen, der sich ernsthaft mit dieser Frage auseinandergesetzt hat, weiß doch ganz genau, daß das Wort „friedlich" bei der Koexistenz nichts anderes ist als eine Tarnung im Sinne des sowjetischen Klassenkampfes und des Totalitätsanspruches der sowjetischen Macht. So ist es doch in Wirklichkeit. Und daß die DDR hier, wie wir ja täglich aus Erklärungen undHandlungen erfahren müssen, einen besonderen Part zu spielen hat, ist sicherlich unstreitig.Wie steht es mit Entspannung und Normalisierung, Herr Kollege Hoppe? Man sollte doch wenigstens, wenn man diese Worte in den Mund nimmt — und auch das ist unser Versuch immer und immer gewesen —, nicht Entspannung sagen, ohne gleichzeitig zu sagen, daß Entspannungspolitik nur bedeuten kann, die Ursachen der Spannungen zu beseitigen. Die Ursachen der Spannungen aber werden von der anderen Seite systematisch ausgebaut. Das kann doch eines Tages in eine neue gefährliche Phase des kalten Krieges einmünden.
Jede Art der Verkleisterung trägt doch zur Verwirrung und zur Täuschung der Menschen bei. Ich finde, wir sollten nicht überhören, was Solschenizyn uns leidenschaftlich zugerufen hat, als er z. B. sagte, daß die Übernahme des östlichen Koexistenz- und Entspannungsbegriffes zu einem hinausgezögerten München führen muß. Ich glaube, das ist ein Satz, den wir uns alle sehr deutlich einprägen sollten.
Die Vertragspolitik der Bundesregierung ist in ihrer Methode sehr oft von der CDU/CSU kritisiert worden; ich will, weil Herr Kollege Abelein das getan hat, nicht alles wiederholen. Wir haben auch immer und immer wieder gesagt — und das bestätigt sich heute nahezu täglich —, daß es für uns nur eine einzige Interpretation der Verträge geben kann, und das ist die Begründung, die im Karlsruher Urteil steht. Andere Interpretationen gibt es nicht. Wer Verträge schließt und bewußt unterschiedliche Interpretationen in Kauf nimmt, legt doch den Keim neuer Konfrontationen und neuer Auseinandersetzungen in die Beziehungen hinein.
Meine Damen und Herren, weil gerade auch vom Herrn Bundeskanzler, der leider nicht hier ist, in seiner Regierungserklärung, in seiner Erklärung zum Verfassungstag entscheidende Fragen, die die deutsche Nation berühren, nicht angesprochen worden sind, weil andere hier und da östliche Begriffe übernehmen, weil man Schritte in Richtung auf eine völkerrechtliche Anerkennung unternimmt, ist es mir erlaubt, hier zu sagen, daß wir davor warnen müssen, sich von einer selbst erzeugten Nebelwand der Entspannungspolitik dann plötzlich Schritt für Schritt aus einem Verfassungsbefehl zurückzuziehen; dies darf im Interesse der Nation doch nicht geschehen.Die Bundesregierung hat — Herr Kollege Abelein hat es mit Nachdruck gesagt — die Pflicht, auf allen internationalen Ebenen für die Durchsetzung der Menschenrechte in Deutschland einzutreten. Die Kollegen im innerdeutschen Ausschuß werden doch wissen, wie sehr wir uns — gerade auch der Kollege Abelein — bemüht haben, hier etwas Gemeinsames zustande zu bringen. Taktisches Entgegen-
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Baron von Wrangelkommen gegenüber der DDR in der Hoffnung, dafür politische Honorare zu kassieren, ist genau der falsche Weg, mit der anderen Seite umzugehen.
Ich will hier — dies ist in diesem Hause auch nur einmal geschehen — über die KSZE einige Worte verlieren. Ich lese in diesen Tagen, daß sie demnächst auf höchster Ebene besiegelt werden soll. Ich lese aber auch, daß die Sowjetunion angesichts der westlichen Forderungen nach Freizügigkeit von Menschen, Informationen und Meinungen immer wieder versucht zu mauern.Meine Damen und Herren, ich will heute nicht viel dazu sagen. Wenn sich diese Forderung des Westens nicht durchsetzt, dann ist der Sowjetunion, die ja so auf diese Konferenz gedrungen hat, sicherlich ein gigantisches Täuschungsmanöver gelungen. Denn Sicherheit kann es nur geben, wenn die Sowjetunion aufhört, zu Lasten des Westens zu rüsten, und Zusammenarbeit gibt es nur dann, wenn wir endlich zu einer Politik zurückkehren, in der sich Leistung und Gegenleistung die Waage halten.
Internationale Schaustellungen, bei denen letzten Endes nur Moskau die Regie 'führt, dienen nicht der Befriedigung Europas, sondern können leicht eine neue, gefährliche Phase des kalten Krieges einleiten.Meine Damen und Herren, es ist doch unstrittig, daß die Bundesrepublik Deutschland ungeachtet geschlossener Verträge eine moralische Vertretungspflicht für alle Deutschen hat. Leider hat die Bundesregierung — und hier will ich einmal ein bekanntes Wort von Talleyrand erwähnen dürfen — nach dem Motto gehandelt: „Die Sprache ist dazu da, die Gedanken zu verbergen." Das mag vielleicht in der Kabinettspolitik vergangener Jahrhunderte Gültigkeit gehabt haben, für unsere Zeit darf dies nicht gültig sein. Denn die klare Sprache ist ein wesentliches Element für gute Politik und gute Verträge. Doch eine klare Sprache haben Sie nicht geführt und führen Sie auch in dieser Debatte leider wieder nicht.
So selbstverständlich dies mit der klaren Sprache ist, so selbstverständlich ist es, daß eine unklare Sprache eben auch zu Mißverständnissen führen muß.Wer, meine Damen und Herren, die moralische Vertretungspflicht nicht ernst nimmt, der sollte doch endlich einmal ganz offen sagen, daß er bereit ist, sich mit der Teilung unseres Vaterlandes abzufinden. Wir sollten uns darüber einig sein, daß es in diesem Bereich — und dies ist auch der entscheidende Verfassungsauftrag, dies ist das entscheidende Stück des Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland — faule Kompromisse nicht geben darf!
Wir sprechen heute von den Menschenrechten. Wir wollen, daß die Bundesrepublik Deutschland auf Grund des eben von mir erwähnten Selbstverständnisses für die Einhaltung und Durchsetzung derMenschenrechte eintritt. Wir warnen aber — und ich lege großen Wert darauf, das immer und immer wieder zu sagen — vor dem Effekt der Gewöhnung an das Unrecht; denn die Gewöhnung an das Unrecht ist der größte Feind der Menschenrechte. Auch dies 'ist eine Wahrheit, die man immer wieder hervorheben sollte.
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU wird auch dann, wenn es unpopulär erscheinen mag, alles tun, um dem Auftrag des Grundgesetzes gerecht zu werden. Dieser Auftrag bedeutet, daß wir die Pflicht haben, für alle Deutschen einzutreten. Wir fordern — und haben dies auch in der Aussprache über die Regierungserklärung getan, und in den 50er Jahren, Herr Kollege Wehner, ist dies ein Wort gewesen, das Sie besonders oft im Munde führten — die Bundesregierung auf, doch nun endlich einmal eine Bestandsaufnahme ihrer bisherigen Politik vorzunehmen. Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und sagen: Wir würden uns daran beteiligen, wenn Sie es ernst damit meinen. Dies setzt aber voraus, daß Sie in Ihrer Politik eine Umkehr um 180 Grad vornehmen. Dann würden wir uns an dieser Politik beteiligen, und dann sollten wir es auch tun.
Wir sagen auch immer wieder, daß sicherlich — das ist auch von Ihrer Seite erklärt worden — die Westpolitik eine Ostpolitik beinhalte. Meine Damen und Herren! Dies ist eine Binsenweisheit! Ich möchte nur sagen: Den Begriff Ostpoliitk kann man nicht abstrakt in den Raum stellen. Es geht — und das ist entscheidend — um die Qualität der Ostpolitik, und die Qualität Ihrer Ostpolitik ist unzureichend gewesen. Dies muß hervorgehoben werden und nicht die Frage, ob Westpolitik Ostpolitik bedingt. Sie wird sich, selbst dann, wenn es hier und da befristete und jederzeit — wie wir wissen und erlebt haben — rücknehmbare Reduzierungen von Unmenschlichkeit gibt — menschliche Erleichterungen will ich dies nicht nennen; denn die gibt es nicht — langfristig zuungunsten der Menschen in Deutschland auswirken. Ich habe gesagt, daß deutsche Politik, wenn sie Wiedervereinigungspolitik sein will, immer etwas tun muß, um das, was für die Menschen wichtig ist, rechtsverbindlich zu machen, und genau das haben Sie in Ihrer Vertragspolitik versäumt.
Wenn ich sage, Sie hätten heute die Chance, eine Umkehr vorzunehmen, dann möchte ich auch etwas ausprechen, was in allen deutschlandpolitischen Debatten eine Rolle gespielt hat. Übrigens war es kein anderer — Sie können die Protokolle nachlesen — als der Kollege Abelein, der auch gesagt hat, daß es sicherlich, wenn Sie auf die Grundlagen der Tatsachen zurückkehren, durchaus im Interesse der Bundesrepublik Deutschland nützlich sein könne, gemeinsam etwas zu tun. Gemeinsamkeit in den essentiellen Fragen ,der deutschen Politik ist natürlich ein kostbares Gut, das nicht aus Gründen innerparteilicher Taktik verspielt werden darf.
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7354 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Baron von WrangelIndem Sie die innerparteiliche Taktik über die gemeinsamen Ziele gestellt haben, haben Sie dazu beigetragen, das Verhandlungsgewicht der Bundesrepublik Deutschland zu mindern.
Herr Kollege, Ihre Zeit läuft ab!
— Einen Satz noch, Herr Präsident! — Wäre es im Licht dieser Entwicklung nicht 'an der Zeit, ,daß Sie endlich auf den Boden der Tatsachen zurückkehren?
Sie würden damit der deutschen Nation und dem Auftrag, den die Bundesrepublik nun einmal hat, einen Dienst erweisen. Wir als CDU/CSU werden und können die Bürde nicht ablegen, die uns unser Volk und unsere Verfassung auferlegt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Höhmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat hier des öfteren eine Rolle gespielt, daß der Bundeskanzler bei dieser Debatte nicht anwesend ist. Es ist auch die Frage gestellt worden, wie es denn komme, daß dem so ist. Ich finde das ein bißchen ,scheinheilig; denn die Opposition hat nicht darauf geachtet, daß auch ihre eigene Fraktionsspitze nicht anwesend ist. Während auf der einen Seite eine Kabinettssitzung stattfindet, ist hier unter Umständen eine Schattenkabinettssitzung im Gange.
— Ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu.
Sie hätten doch nur zu fragen, aber nichts zu sagen. Wenn Sie etwas zu sagen haben, Herr Kollege Reddemann, dann sagen Sie es von hier aus! Aber es ist ja immer die alte Schallplatte, die Sie bringen.Zur Frage selbst will ich etwas sagen. Zur Stunde befindet sich der britische Premierminister beim Bundeskanzler. Auch ich halte es nicht für gut, daß er den britischen Premierminister vorzieht, wo er sich doch die lichtvollen Ausführungen der Kollegen Abelein und von Wrangel hätte anhören müssen.
— Ich bin autorisiert, dies mitzuteilen, liebe FrauKollegin Berger. Wollen wir doch einmal annehmen,daß bei diesem Gespräch mit dem britischen Premierminister etwas Gutes für unser Volk herauskommen könnte. Wenn die Chance jetzt vorhanden ist, sollte sie auch genutzt werden. Ich halte das jedenfalls für eine ganz wichtige Sache. Damit wäre das zunächst einmal ausgeräumt.Über den bisherigen Verlauf der Debatte bin ich nicht überrascht. Ich hatte das Protokoll der Sitzung vom 24. Januar nochmals durchgelesen. Heute habe ich feststellen müssen, daß ich mir das hätte sparen können. Denn das, was damals gesagt worden war, ist heute mit der Regelmäßigkeit einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholt worden. Und es wurde nicht nur einmal wiederholt, sondern es werden immer wieder die gleichen Dinge wiederholt; es gibt überhaupt nichts Neues in der Argumentation. Wer da meint, daß so etwas für die Regierung eine Rückenstärkung sein könne, der hat sich gründlich geirrt.
Etwas überrascht war ich über ein Beispiel glänzender deutscher Ostpolitik, das der Kollege von Wrangel hier vorgetragen hat, nämlich daß sich auch der frühere Außenminister Dr. Schröder ganz außerordentlich darum bemüht habe. Das ist nicht abzustreiten. Aber vielleicht wäre es gut, wenn der jetzige Kollege Dr. Schröder das Podium beträte und den Leidensweg der Entwicklung schilderte, wie es damals nicht zu diplomatischen Beziehungen zu Rumänien gekommen ist.
Wenn Sie das für die Ostpolitik der Opposition halten, so war sie allerdings glänzend. Der Entwurf des Dr. Schröder war ein hervorragender Entwurf. Aber Sie und besonders die CSU haben es ja nicht zugelassen. Das ist doch das, was wir Ihnen vorwerfen. Aus mancher Erfahrung in der Großen Koalition darf man ja wohl auch sagen, daß das eine oder andere daran gescheitert ist, daß unser damaliger Koalitionspartner sich nicht bereit erklärte, weitere Schritte zu unternehmen.Was Herr Kollege Abelein hier tut und getan hat, sicher auch immer wieder tun wird, erinnert mich so ein bißchen an Cato, der auch keine Rede zu Ende gehen lassen konnte, ohne zu sagen, er sei dafür, „daß Karthago zerstört werden muß".
Und wenn wir einen Antrag stellen, muß immer darin stehen: Und deshalb sind wir dafür, daß wir der DDR an die Schienbeine treten. Ich glaube nicht, daß dies der Weg zum Erfolg ist, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß der Kollege Abelein, wie Cato die Zerstörung Karthagos, sich die Zerstörung der DDR vorstellen könnte.
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Höhmann— Herr Kollege Abelein, mir ist da noch aufgegangen, daß es in der deutschen Literaturgeschichte den Herrn Gottsched gab, der ein Drama geschrieben hat mit dem Titel: „Der sterbende Cato". Wir haben heute einen solchen hier erlebt; denn ich glaube nicht, daß sich dieses durchsetzen wird, auch nicht innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, daß dieser Konfrontationskurs für ewig und alle Zeiten bestehenbleiben könnte. Daran gehen Sie zugrunde, nicht wir und nicht die Bundesregierung.
— Ich will Ihnen noch einige Beschwörungsformeln vorlesen. Wissen Sie, das ist so interessant. Es ist noch gar nicht so lange her, daß wir den 24. Januar 1974 hatten und die Debatte zur Lage der deutschen Nation, zu der Ihr Antrag eingebracht wurde. Damals hat Herr Abelein davon gesprochen, es gebe eine Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung im Grundlagenvertrag,
denn die DDR sei nun als Völkerrechtssubjekt überall hoffähig georden und sei in die UNO aufgenommen worden. Wörtlich hat er hinzugefügt:Die eine Seite hat den Preis erhalten; Sie stehenimmer noch auf der Straße der Erwartungen.Richtig ist doch, daß die Anerkennungswelle zugunsten der DDR ohnedies rollte, daß neutrale Staaten, aber auch befreundete Staaten entweder die Beziehungen aufnahmen oder mit dem Gedanken spielten, dieses zu tun — gegen unsere Interessen und gegen alle unsere Interventionen.
— Das ist überhaupt nicht unzutreffend, lieber Herr Windelen! — Und weil dem so war, hätten wir uns doch selbst in eine Ecke manövriert, wenn wir so gehandelt hätten, wie frühere Bundesregierungen nach der Hallstein-Doktrin: Aufnahme der diplomatischen Beziehungen Jugoslawien—DDR, und die Bundesrepublik zieht sich zurück! Eines Tages hätten wir dann mit wenigen Freunden einsam in der Ecke gestanden und hätten die diplomatischen Beziehungen zu sehr viel anderen Staaten verloren gehabt.Es wird auch gesagt, die Bundesrepublik müsse stärker sein, müsse härter sein, so wie jener preußische Unteroffizier einmal gefragt hat, als er als Wehrübenden einen Amtsrichter vor sich hatte: „Amtsrichter sind Sie? Schon einmal ein Todesurteil gefällt? Nein? Sind wohl ein bißchen schlapp, was?!
Als wenn das so gemacht werden könnte! So kann man doch nicht Politik machen, daß man lediglich sagt, die Bundesregierung müsse härter sein.
Geschickter als diese Bundesregierung ist bisher in der deutschen Frage noch keine vorgegangen, und die Erfolge weisen das ja auch aus.
— Ich will Ihnen einmal etwas sagen: In diesem Lachen, das eben von Ihnen kam, drückt sich eine ganz beträchtliche Arroganz aus, und daß Arroganz mit Klugheit einherginge, hat bisher noch niemand bestätigen können.
Sehen wir uns doch einmal an, wie das im Falle Jugoslawien war, führen wir es uns doch wieder einmal vor Augen! Jugoslawien hat bewußt den Bruch mit der Bundesrepublik in Kauf genommen, als es diplomatische Beziehungen mit der DDR aufnahm, wohl wissend, daß die Bundesrepublik nicht auf alle Zeiten an Jugoslawien würde vorbeigehen können, aber auch wohl wissend, daß andere Staaten nicht auf ewig und alle Zeiten an dem Menschen- und Wirtschaftspotential der DDR würden vorbeigehen können. Und so war es dann ja auch. Hätten wir dennoch in jedem anderen einzelnen Fall wie im Falle Jugoslawiens gehandelt, stünden wir allein. Wir unterhalten diplomatische Beziehungen doch nicht, um der DDR zu schaden, sondern wir unterhalten diplomatische Beziehungen, um der Bundesrepublik und ihren Bürgern zu nutzen. Wir machen etwas nicht gegen andere, sondern wir tun es für uns. Das ist die erste Aufgabe.Ähnlich verhält es sich auch mit der Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO. Das Interesse der Bundesrepublik, Vollmitglied zu werden, war auch unbestreitbar vorhanden. Nur daß wir es bei der Mächtekonstellation in der UNO nie allein werden konnten, war auch allen klar. Und so sind wir ein Beispiel für andere gespaltene Staaten geworden, die in der gleichen Lage sind wie wir Deutschen. Wir hätten uns sicher sehr schwergetan, wären wir bei dem Standpunkt geblieben, an dem z. B. Taiwan festgehalten hat. Das Schicksal Taiwans sollte man der Bundesrepublik in jedem Fall ersparen.Aber es waren noch einige andere Äußerungen des Kollegen Dr. Abelein, die mich hierhergeführt habe, z. B. auch die — der 24. Januar ist noch keine fünf Monate her —, der innerdeutsche Sportverkehr werde von der DDR als Hebel benutzt, um die Bindungen zwischen der Bundesrepublik und Berlin zu zerschneiden. Das war schon damals eine Vermutung von Herrn Abelein, so wie alles andere, was er hier ausgedrückt hat, das in der Zukunft passieren könnte, ja nur Vermutungen des Herrn Dr. Abelein sind, durch nichts begründet, noch nicht einmal durch Erfahrung.Dabei ist zuzugeben: Es entspricht der Interessenlage der DDR, den Grundlagenvertrag, das Viermächteabkommen und andere Folgeabkommen so eng wie möglich auszulegen, so wie es unserer Interessenlage entspricht, diese Abkommen so weit wie möglich auszulegen. Ich finde, unser Interesse ist darauf gerichtet, in erster Linie den Menschen
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Höhmannin beiden deutschen Staaten zu helfen, so viele Kontakte wie irgend möglich zu schaffen, zum Nutzen aller Deutschen viele Chancen zur Zusammenarbeit zu eröffnen. Es wäre ein Mißverständnis, zu glauben, dies sei eine Politik gegen irgend etwas, gegen einen Staat, gegen eine Regierung. Es ist eine Politik, es ist zähe Arbeit für die Humanisierung der Verhältnisse in Europa. Es ist der deutsche Beitrag zur Humanisierung der Verhältnisse in Europa.Eigentlich müßten doch die CDU die Reaktionen der DDR-Führung und der SED auf diese Maßnahmen der Bundesrepublik und auf ihre Vorstöße freuen. Denn daß sie erneut versucht, sich abzukapseln, Erschwernisse hineinzubringen, die Umtauschquoten zu verdoppeln müßte mir eigentlich, wenn ich CDU- Mann wäre, folgerichtig zeigen
— hätten Sie so einen wie mich, dann hätten Sie nicht so viele Rechtsaußen, wie Sie selbst einer sind, Herr Kollege Reddemann,
und Ihr linker Flügel wäre um mindestens zwei Zentner Lebendgewicht, aber auch um das, was noch darüber steckt, beachtlich verstärkt —,
daß diese Politik richtig ist. Sie haben sich früher dabei wohlgefühlt, sich mit Propagandakanonaden von Bonn nach Ost-Berlin und umgekehrt gegenseitig zuzudecken. Dieses eben ist unsere Politik nicht mehr: Wenn gesagt worden ist, wir täten so, als habe eine vernünftige Ost- und Deutschlandpolitik erst 1969 begonnen, dann muß ich sagen: wir tun nicht nur so, meine Damen und Herren; dies ist so.
Nun will ich zum Antrag kommen, meine Damen und Herren. Mein Kollege von Wrangel, der Vorsitzende des innerdeutschen Ausschusses, den ich ansonsten sehr verehre,
hat hier gesagt
— dies wird niemand aus dem Ausschuß bestreiten können, Herr Böhm, und Sie werden von mir nie eine andere Äußerung gehört haben; wenn es Ihnen nicht paßt, dann stehen Sie doch bitte auf und sagen Sie, daß dies eben nicht so sei; aber Sie werden über meine Gefühle und meine Interessenlage sicher nicht so gut Auskunft geben können wie ich —, wir hätten es abgelehnt, auch hier hineinzuschreiben, daß bei allen UNO-Mitgliedstaaten — auch bei der DDR — auf die Einhaltung der Menschenrechte hingewirkt werden sollte. Daß die Ablehnung dieser Floskel ein Entgegenkommen gegenüber der DDR sei, kann ich überhaupt nicht finden. Wir möchtennur nicht in die Situation des Cato versetzt werden, daß bei jedem derartigen Entschluß und bei allen anderen immer drinstehen muß: Wir müssen der DDR notifizieren, daß dieses und jenes zu geschehen hätte. Wir machten dann jeden Schritt, den wir tun, von einem vorausgegangenen Schritt der DDR abhängig; es ist die andere Abhängigkeit von der DDR-Politik, die umgekehrte, die dadurch entsteht.Genau dies wollen wir nicht, und wir meinen, daß das, was hier allgemeingültig konzipiert wird, was in der UNO, in der KSZE geschehen soll, was zwischen den beiden deutschen Regierungen geschehen soll, auch für die DDR gilt. Das ist ganz selbstverständlich!Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, die bisher betriebene Politik ist richtig und muß fortgeführt werden. Aus dem Grunde lehnen wir den Antrag der CDU/CSU ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorweg. Herr Kollege Höhmann hatte den Oppositionsführer hier im Hause vermißt, hatte aber leider dem Kollegen, der in diesem Zusammenhang eine Zwischenfrage stellen wollte, diese Zwischenfrage nicht gestattet. Daher teile ich Ihnen hier mit: Der Oppositionsführer hat zur Zeit Besuch des dänischen Außenministers
und kann aus diesem Grunde an dieser Debatte nicht teilnehmen.Nun aber, meine Damen und Herren, noch einiges zu den Bemerkungen, die der Kollege Höhmann von sich gegeben hat. Sie tun so, als müsse diese Ost- und Deutschlandpolitik fortgesetzt werden. Und das tun Sie wenige Wochen, nachdem eine ganze Bundesregierung samt Kanzler und dem für diese Ostpolitik verantwortlichen Minister Bahr über diese Politik gestürzt ist,
weil der Partner der „guten Nachbarschaft", mit dem sie gemeinsam friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit vorbereiten wollte, ausgerechnet dem Manne, der für diese Politik stand, einen Spion in den persönlichen Lebensbereich geschickt hat.Meine Damen und Herren, was sonst noch vom Kollegen Höhmann mit seinen Darstellungen vom preußischen Unteroffizier oder von seinem Lebendgewicht hierzur Debatte beigetragen worden ist, kann mich nicht dazu verleiten, mich mit seinem Diskussionsbeitrag weiter auseinanderzusetzen.
Ich möchte aber feststellen, daß ich über die Art und Weise betroffen war, in der der Kollege Hoppe
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Böhm
den hoffnungslosen Versuch unternommen hat —, den Kollegen Abelein in einen Gegensatz zur Fraktion der CDU/CSU hineinzumanipulieren, der nicht besteht. Der Kollege Abelein hat hier mit Deutlichkeit und Klarheit die Auffassung der Fraktion der CDU/CSU vorgetragen, und wir stehen dazu!
Herr Kollege Hoppe, war es nicht gerade der Kollege Professor Abelein, der Ihnen im Ausschuß nach unserer Meinung bis an die Grenze des Vertretbaren bei dem Versuch entgegengekommen ist, einen gemeinsamen Antrag hier zu verabschieden? Ich halte es nicht für einen guten Stil, ihm dieses Bemühen in der Weise zu danken, daß Sie hier versuchen, ihn persönlich abzuqualifizieren.
Noch eine weitere Bemerkung zu der hier mehrfach aufgeworfenen Frage, wie wir den 17. Juni begehen sollen. Ich habe festgestellt, daß Sie, Herr Kollege Hoppe, uns gewissermaßen zu Komplizen bei dem Versuch machen wollen, den 17. Juni aus dem Kalender zu streichen. Ich habe Ihre Anbiederungsversuche in dieser Weise zur Kenntnis genommen. Sie haben aber dabei dann doch wieder mit der Ersatzdiskussion darüber begonnen, in welcher Art und Weise dieser Tag begangen werden soll. Ich sage bewußt „Ersatzdiskussion", weil ich dies für den Versuch halte, von dem eigentlichen Anlaß dieses Tages abzulenken, und zwar deshalb, weil der Anlaß, der die Männer und Frauen am 17. Juni zur deutschen Revolution getrieben hat, nach wie vor besteht.
Diejenigen, die heute darauf aus sind, den 17. Juni zu vernebeln, tun das auch deshalb, weil dieser Anlaß heute noch als ein Merkposten gegen ihre Politik steht und weil die Panzer, die damals den Aufstand niederwalzten, doch die gleichen Panzer sind, die heute noch -- vielleicht sogar in viel größerer Zahl als damals — in der DDR stehen und die Freiheit der Menschen dort wie auch die Freiheit der Menschen hier aktuell bedrohen.
Meine Damen und Herren, bei diesem Stand der Debatte ist festzustellen, daß die die Bundesregierung tragende Koalition nicht bereit ist, das von der DDR tagtäglich verübte Unrecht dieser DDR gegenüber auch beim Namen zu nennen. Damit setzen sich die diese Bundesregierung tragenden Parteien—genau wie dies die Vorgängerin dieser Bundesregierung getan hat —, dem Verdacht aus, die Politik des Wandels durch Anbiederung konsequent und zum Schaden unseres Volkes fortzusetzen. Wir stellen fest, daß die Verletzung der Menschenrechte, auf die der Grundvertrag mit der DDR in seinem Art. 2 ausdrücklich Bezug nimmt, kein Grund für die Bundesregierung ist, wegen Vertragsbruches bei der DDR vorstellig zu werden. Wir müssen außerdem feststellen, daß die Charta der Vereinten Nationen und die Erklärung der Menschenrechte, auf die sieBezug nimmt, für diese Bundesregierung ausdrücklich keine Instrumente zur Verbesserung der Lage der Menschen in Deutschland sind.
Nach dem bisherigen Stand der Diskussion scheint mir in diesem Hause noch am ehesten Einmütigkeit in der Frage zu bestehen, wie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Hinblick auf das Ziel, Freizügigkeit von Menschen, Meinungen und Informationen in ganz Europa durchzusetzen, genutzt werden soll. Ich hoffe, daß wir nicht schon in wenigen Monaten auch über dieses Thema kontrovers diskutieren müssen, weil es der Sowjetunion dann gelungen sein könnte, dem Ziel, das sie mit dieser Konferenz verfolgt, nämlich dem Festschreiben der Grenzen und Gesellschaftsordnungen in Europa, nähergekommen zu sein, während dann vielleicht die letzte Chance eines echten Gebens und Nehmens im Hinblick auf unsere Ziele auch im Rahmen dieser Konferenz vertan worden ist.Die Weigerung der Koalition, die Verletzung der Menschenrechte gegenüber der DDR zu notifizieren und die sich bietenden Möglichkeiten der Charta der Vereinten Nationen und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aktiv für die deutsche Frage zu nutzen, ist das hinsichtlich der künftigen Gestaltung der Deutschlandpolitik enttäuschende Ergebnis dieser Debatte. Die Bundesregierung vertut leichtfertig die Chance eines neuen Anfangs, obwohl gerade sie Gelegenheit genug hätte, aus den Fehlern ihrer Vorgängerin zu lernen, die mit Illusionen, Leichtfertigkeiten und Vorleistungen ihre Ost- und Deutschlandpolitik betrieben hat. Sie hat es abgelehnt, die Maßstäbe der Opposition, wie sie meine Kollegen Professor Abelein und von Wrangel hier formuliert haben, an die bisherigen Ergebnisse der Ostpolitik der Koalition anzulegen. Es wäre schon ein Zeichen von Einsicht, wenn sie zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation die selbst gesetzten Maßstäbe heranzögen, nämlich die sogenannten „20 Punkte von Kassel", die das damalige Bundeskabinett am 20. Mai 1970, also vor mehr als vier Jahren, als Grundlinie seiner deutschlandpolitischen Zielvorstellungen verabschiedet hat.
Was ist aus den darin enthaltenen Forderungen geworden, die z. B. Vereinbarungen im Interesse des Zusammenhalts der Nation vorsahen und davon sprachen, daß sich die Deutschen, obwohl in zwei Staaten lebend, dennoch als Angehörige einer Nation verstehen sollten? Nichts davon in den Vertragstexten und nichts davon in der Praxis der Politik der DDR nach Ratifizierung der Verträge! Im Gegenteil: Betonung des Dissenses in der nationalen Frage. Die Einheit und der Zusammenhalt der Nation werden von den führenden Funktionären der DDR nachhaltig bestritten.Was ist aus der in den Kasseler Punkten angestrebten Respektierung der inneren Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten geworden? Zwar enthält Art. 6 des Grundvertrages eine entsprechende Formulierung. In der Praxis aber erleben wir permanente Versuche der Einmischung in die inneren An-
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7358 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Böhm
gelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise durch die Schmähungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und durch Proteste gegen Treffen und Tagungen von Landsmannschaften und anderen Vereinigungen in Berlin und gegen deren Aussagen, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden.Was ist aus der in den Kasseler Punkten angestrebten Verpflichtung geworden, alle Handlungen zu unterlassen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören könnten? Die von der DDR getroffenen, aufrechterhaltenen und ständig verschärften Maßnahmen an der innerdeutschen Grenze, die von unserem Kollegen Abelein hier in aller Deutlichkeit dargestellt wurden, stören das friedliche Zusammenleben des ganzen deutschen Volkes und der Völker Europas.Was ist, so frage ich weiter, aus der in den Kasseler Punkten postulierten Respektierung der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland geworden? Die Praktizierung der Politik in den letzten Jahren zeigt, daß diese Bindungen ständig angezweifelt und ausgehöhlt werden und die Vertretung Berlins überall, wo es möglich ist, von der östlichen Seite zum Problem erhoben wird.Was ist aus der Zielsetzung geworden, Kollisionen zwischen den Gesetzen der beiden Staaten zu beseitigen, um, wie es in den Kasseler Punkten hieß, Nachteile für Bürger beider Staaten zu vermeiden, angesichts der kalten Enteignung von Hausund Grundbesitz von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland im Machtbereich der SED und der Tatsache, daß mit der neuen Devisengesetzgebung die DDR ihre Hand nach dem Eigentum ihrer Bürger in der Bundesrepublik Deutschland ausstreckt?Was ist aus dem angestrebten Ziel der Freizügigkeit geworden? Der Reiseverkehr ist erfreulich angestiegen; dennoch behindern DDR-Schikanen den Verkehr permanent. Das Ziel echter Freizügigkeit in Deutschland ist nicht einmal in weiter Ferne sichtbar. Die Lösung der Probleme aus der Trennung der Familien wird bürokratisch behindert. Auch in Fällen lebensgefährlicher Erkrankungen werden Reisegenehmigungen versagt. Kreise und Gemeinden an der gemeinsamen Grenze, die nach den Kasseler Punkten die dort bestehenden Probleme nachbarschaftlich lösen sollten, sind nach wie vor voneinander getrennt. Die unmittelbar benachbarten DDR- Gemeinden gehören zum Sperrgebiet und können nicht einmal im Wege der Tagesaufenthalte besucht werden.Aus der angestrebten Zusammenarbeit auf dem Gebiet 'des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens hat die DDR aus ihrer Sicht allein den Nutzen gezogen, diesen Beziehungen einen internationalen Charakter zu geben. Dem in den Kasseler Punkten genannten Ausbau der Handelsbeziehungen stehen Lieferschwierigkeiten der DDR entgegen. Aus dem innerdeutschen Handel erwächst nach wie vor eine einseitige Begünstigung ,der DDR.Schließlich, meine Damen und Herren, was ist aus der Forderung in den Kasseler Punkten geworden, die Beziehungen auf der Grundlage der Menschenrechte zu gestalten? Nun, diese Formulierung ist auch in die Buchstaben des Art. 2 des Grundvertrages eingegangen. Aber die DDR list und bleibt bis heute nicht bereit, dieser Verpflichtung nachzukommen.Alles in allem: Wenn Sie die selbstgesetzten Maßstäbe, Ihre 20 Punkte zur Deutschlandpolitik an die Ergebnisse dieser Politik anlegen, werden Sie feststellen müssen, daß der eingeschlagene Weg nicht der richtige war. Schweigen angesichts massiver und ständiger Verletzung der Menschenrechte wird jetzt zur historischen Schuld. Gerade die Geschichte unseres Volkes ist dafür ein Beispiel. Schuldhafte Leisetreterei statt Festigkeit führen zu einer Gefährdung der eigenen Freiheit und der Menschenrechte im eigenen Lande.
Wer angesichts der Minenfelder in Deutschland, des Schießbefehls und der automatischen Tötungsanlagen den sowjetischen Parteisekretär Breschnew, der höchstpersönliche Verantwortung für die Verletzung der Menschenrechte in unserem Lande trägt, umarmt, der schadet der deutschen Sache und stärkt die andere Seite in der konsequenten Fortsetzung ihrer gegen die Interessen Deutschlands gerichteten Politik.
Gutnachbarliche Beziehungen, zu deren Entwicklung sich die DDR verpflichtet hat, verlangen, daß Differenzen nicht mit Haß, sondern fair und verständigungsbereit ausgetragen werden. Während der laufenden Verhandlungen über grundlegende Verbesserungen des beiderseitigen Verhältnisses wird jedoch von der anderen Seite ein Spion in die unmittelbare Nähe des Bundeskanzlers praktiziert. Das zeigt ein besonderes Maß an Hinterhältigkeit und feindseliger Nachbarschaft. Wir sind darüber nicht überrascht, wohl aber empört.
Wer friedliches Miteinander praktizieren will, darf sich so nicht verhalten.
Hier ist mehrfach von Ihrer Seite gesagt worden, daß Verhandlungen und gleichzeitige demonstrative Gesten und Proteste unvereinbar seien. Meine Damen und Herren, denken Sie einmal daran, in welcher Weise im Weltmaßstab die Sowjetunion es seinerzeit verstanden hat, aus dem Spionagezwischenfall mit der U 2 politisches Kapital für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu schlagen. Dieser Zwischenfall war im Grunde genommen eine Angelegenheit konventioneller Spionage, überhaupt nicht zu vergleichen mit dem, was sich hier ereignet hat. Die Bundesregierung hat jedoch in keiner Weise versucht, aus diesem politischen Spektakel, aus dieser moralischen Niederlage der DDR für unsere Seite Vorteile in der weltpolitischen Diskussion zu ziehen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7359
Angesichts dieser Entwicklung, angesichts der trügerischen Hoffnung, daß Entspannung und Normalisierung sich unauffällig und zwangsläufig einstellen würden, angesichts der entäuschten Hoffnung, daß die DDR den unmenschlichen Schießbefehl nach der Ratifizierung der Verträge nicht mehr praktizieren werde, wie es z. B. der hessische Ministerpräsident Osswald noch im März 1972 zu berichten wußte, angesichts der Tatsache, daß zugestandene menschliche Erleichterungen systematisch wieder demontiert werden, muß die Bundesregierung endlich bereit sein, ihre Politik zu überdenken.
Nach dem Verlauf der heutigen Debatte haben wir kaum Hoffnung, daß SPD und FDP bereit sein könnten, in Zukunft eine realistische Ost- und Deutschlandpolitik zu betreiben und zu den Grundlagen der Gemeinsamkeit zurückzukehren, die von ihnen mutwillig 1969 verlassen wurden. Dabei hätte gerade dies der deutschen Sache gut angestanden.
Das Wort hat der Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß die Mitglieder des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen nicht zu einem gemeinsam beschlossenen Antrag gelangt sind. Denn das war ja letztlich die Absicht, als dieser Antrag nach der Debatte zur Lage der Nation im Januar an den Ausschuß überwiesen wurde. Hier wurde wieder einmal eine Gelegenheit vertan, so meine ich, die deutschlandpolitische Debatte zu versachlichen — ein Vorsatz, den wir auch gemeinsam entwickelt haben. Daß diese Gelegenheit vertan wurde, bedauere ich um so mehr, als es einen Augenblick lang so aussah, als könnten sich Opposition und Koalition auf einen gemeinsamen Antrag verständigen, nachdem der mitberatende Ausschuß, der Auswärtige Ausschuß, von sich aus ein Zeichen gegeben hatte, das dieser gemeinsamen Absicht gedient hätte.Ab und zu ergeht trotzdem der Ruf nach mehr Gemeinsamkeit, um von dem Spiel — so will ich das einmal nennen —, das hier aufgeführt wird, abzulenken. Aber was es mit solchen Rufen nach Gemeinsamkeit wirklich auf sich hat, erfährt man mitunter sofort. Wenn nämlich im gleichen Atemzug solche Sprecher erklären, sie hielten den 1969 eingeschlagenen Weg der Vertragspolitik nach Osten „unverändert für falsch". So, Herr Windelen, haben Sie das kürzlich wörtlich ausgesprochen. Da weiß man wenigstens gleich, woran man ist, worauf man sich einzustellen hat. Das wenigstens erkenne ich dankbar an. Dazwischen, daß man Vertragspolitik an sich will, aber dann, wenn sie betrieben wird, ihr nicht mithelfend zur Seite stehen will, gibt es nichts. Man muß dann konstruktiv mitarbeiten und nicht von vornherein das gewählte Mittel der Vertragspolitik überhaupt verdammen.Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, stelle ich Ihnen die Frage, was Sie mit Ihrem Antrag vom 24. Januar eigentlich bezwecken wollten. So unerfahren in der Sache sind viele von Ihnen nicht, daß Sie nicht wüßten, daß eine Befolgung dieser Ratschläge Verhandlungspolitik nicht ermöglichen würde. Das ist doch wohl eindeutig, wenn man sich den Tenor dieses Antragstextes anschaut. Wollen Sie wirklich darauf hinaus? Dann sagen Sie es wenigstens klipp und klar, daß Sie nicht wollen, daß wir vertragliche Vereinbarungen erreichen! Aber nicht umschreiben, sondern dann um der Redlichkeit willen eine klare Sprache, damit dieses Thema hier im Hause einmal offen angesprochen wird!
Soll die Bundesregierung etwa angeklagt werden, sie setze sich nicht genügend für die Beseitigung von Mauer, Todesstreifen, Stacheldraht, Selbstschußanlagen und Schießbefehl ein? Tatsache ist doch: Wir verhandeln mit der DDR, obwohl es diese schrecklichen Dinge und Praktiken an der Grenze gibt, obwohl die Ausreisebestimmungen der DDR klarerweise unseren Maßstäben von Menschenrecht und Freizügigkeit widersprechen, obwohl wir uns von Anbeginn an über den schwierigen, steinigen und langen Weg, auf den wir uns mit dieser Politik begaben und nur millimeterweise vorankommen würden, im klaren waren. Obwohl das so ist, verhandeln wir, und in diesem „Obwohl", meine Damen und Herren — das betone ich —, steckt ein moralisches Dilemma. Erst wenn alle Seiten des Hauses das Dilemma anerkennen, in dem wir uns in der Tat befinden, läßt sich das Problem ernsthaft diskutieren. Das erfordert aber, daß keine Seite des Hauses mit spitzem Finger auf die andere zeigt.Ich habe vorhin die Frage gestellt, was die Opposition mit ihrem Antrag vom 24. Januar eigentlich bezweckte. Ich habe Antworten zu finden versucht, die Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht sonderlich gefallen haben dürften; denn Ihre Antwort auf meine Frage wird sicherlich sein, Sie wollten etwas Wirkungsvolles für die Menschenrechte in unserem geteilten Land tun. Gut, ich würde es akzeptieren, wenn Sie so darauf reagierten. Daß Sie es wollten und wollen, nehme ich Ihnen ab. Aber dann nehmen Sie es bitte ebenso der Bundesregierung ab, daß sie mit ihrer Vertrags- und Entspannungspolitik gleichfalls bemüht ist, dieses Ziel zu erreichen, und bereits Ergebnisse aufzuweisen hat, die jedermann ablesen kann, die in der Richtung dieses gesetzten Zieles gehen.Wenn wir diese gegenseitige Anerkennung und Respektierung als Basis für unsere Diskussion herstellen, bleibt vermutlich die Frage des „Wie" zwischen uns strittig. Wie und wodurch ist den Menschenrechten am wirkungsvollsten gedient? Über diese Frage kann man diskutieren. Wir als Bundesregierung glauben, daß mit der DDR, so wie sie sich gegenwärtig darstellt, über Freizügigkeit in unserem
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Bundesminister FrankeSinne und Gewaltfreiheit an Grenzen in unserem Sinne nicht zu handeln ist. Das ist eine Erkenntnis, die wir doch alle in langen Jahren gemeinsam erarbeitet und gewonnen haben, und wir wissen, aus welchem Grunde das so ist. Wenn wir von dieser Tatsache ausgehen, können wir aber doch keinen Verzicht auf Politik leisten, sondern müssen uns, eingedenk dieser Tatbestände, in der Praxis bewähren und bemühen.Die DDR glaubt, aus Gründen ihrer inneren Stabilität auf eine scharfe und notfalls gewaltsame Beschränkung der Freizügigkeit ihrer Bewohner nicht verzichten zu können. Deshalb also übt sie Zwang aus. Dieser Zwang wäre überflüssig, wenn die DDR als Staat von voller Freizügigkeit keine Gefahren mehr für ihre innere Stabilität zu befürchten brauchte. Unter den heutigen Bedingungen würde das erfordern — um der Redlichkeit das Wort zu reden —: Die DDR müßte sich eine andere Gesellschafts- und Staatsordnung zulegen, oder sie müßte ihre bestehende Ordnung zumindest so durchgreifend verändern, daß diese die volle Freizügigkeit verkraften könnte. Wir müßten also, wenn wir solchen Überlegungen folgen würden, mit der DDR über ihre Gesellschafts- und Staatsordnung verhandeln. Daß die DDR dazu nicht bereit ist, dürfte bekannt sein und braucht niemanden zu wundern; denn das ist die betonte grundsätzliche Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit, die wir nie geleugnet haben, die uns aber trotzdem — oder gerade weil das so ist — dazu verpflichtet, nicht nur Deklarationen und Demonstrationen vorzunehmen, sondern das Mittel der Politik anzuwenden und in Verhandlungen zu versuchen, millimeterweise voranzukommen, um für die Menschen, für die wir uns verpflichtet fühlen, etwas erreichen zu können.Ebenso wie es unmöglich ist, mit der DDR über eine Veränderung ihrer inneren Situation im Grundlegenden zu verhandeln, ebenso ist die Sowjetunion nicht bereit, mit den Vereinigten Staaten oder gar mit uns über ihre eigene Ordnung zu verhandeln. An sich ist es überflüssig, das zu sagen, aber ich betone es hier trotzdem noch einmal: Wir unsererseits sind ebenfalls nicht bereit, unsere Ordnung in Verhandlungen zur Disposition zu stellen. Das haben wir bei den grundlegenden Debatten bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck gebracht. Wir haben es bei den Verträgen, die abgeschlossen worden sind, festgehalten und immer wieder bekundet, und ,es wäre, um zur Versachlichung beizutragen, an der Zeit, dies einmal als eine unerschütterliche Tatsache von allen Seiten dieses Hauses zu akzeptieren; dann bekämen wir schon eine andere Atmosphäre und ein anderes Diskutieren zum deutschlandpolitischen Problembereich hier in diesem Haus.Soll, weil das so ist, meine Damen und Herren, weil es diese unüberwindliche Gegenposition im Grundsätzlichen gibt, auf Verhandlungen überhaupt verzichtet werden? Diese Frage würde uns dann nicht allein betreffen, sondern letzten Endes den ganzen freien Westen. Der unmittelbare Zweck solcher Verhandlungen ist, Wege zu einem besser gesicherten Frieden und zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten und Völkern zu eröffnen.In diesem Zusammenhang sind unsere Verhandlungen und Verträge mit der DDR einzuordnen. Wir haben uns für Verhandlungen entschieden, die nicht an die Bedingung der ordnungspolitischen Vereinbarkeit oder Übereinstimmung geknüpft sind. Und wir haben Ergebnisse erzielt, die nicht zu leugnen sind.Lassen Sie mich die neuesten Zahlen hier noch einmal unterbreiten, damit wir nicht immer nur von den Negativlisten des Herrn Abelein beglückt werden, sondern auch einmal erkennen, welche Auswirkungen diese Vertragspolitik für die Menschen, um die es geht, in der Tat gebracht hat. Seitdem das Transitabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten Wirklichkeit wurde, haben 24 Millionen Deutsche die Transitwege benutzen und die Ziele, die sie sich als Reiseziele ausgesucht hatten, leichter als zuvor erreichen können. Seitdem wir die Verträge haben, seit dem 3. Juni 1972 bis zum 8. Februar 1974, sind 5 407 413 Westberliner nach Ostberlin und in die DDR gereist; und aus der DDR sind in diesem Jahr bis April aus besonderen familiären Gründen 12 830 Personen in die Bundesrepublik gekommen, die unter den früheren Bedingungen nicht auf Reisen gehen konnten, also nicht im Rentenalter waren. Man kann sagen: Das reicht uns nicht. Einverstanden. Aber hier sind Anfänge gemacht worden in dem Bereich, den wir jedenfalls als humanitäre Probleme sehen und erkannt haben und um den wir uns bemüht haben.Meine Damen und Herren! Diesen Weg der Verhandlungen werden wir konsequent weitergehen, auch dann, wenn es nur millimeterweise vorangehen kann.
Das haben wir von Anfang an gesagt. Wir werden uns durch Ihre Art, dieses Thema zu behandeln, in keiner Weise irritieren lassen; denn das Wohlergehen der Menschen ist uns wichtiger, als auf jeden Fall Harmonie und Übereinstimmung mit Ihnen zu erwirken.Sehen Sie, das heißt auch, wir vermeiden nach Möglichkeit alles, was diese Verhandlungen zusätzlich erschwert. Das gilt im zweiseitigen Verhältnis zur DDR ebenso wie im internationalen Bereich. Hier ordnen wir unsere deutschen Probleme so ein, daß sie nicht zum Hemmschuh für allgemeinere Fortschritte werden. Die Erfahrung hat gezeigt, daß damit niemandem, auch uns Deutschen nicht, gedient ist. Es bleibt wahr und richtig, daß die deutsche Entspannung für die Entspannung auf europäischer Ebene unerläßlich ist. Das weiß auch die DDR, und ich begrüße, was dazu kürzlich Erich Honecker mit Bezug auf die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in einem Interview gesagt hat, nämlich wörtlich:Für die Erwärmung des europäischen Klimas wird es wichtig sein, intensiv an der weiteren Verbesserung dieser Beziehungen zu arbeiten.Gemeint sind die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.Diese intensive Arbeit kann und muß in den Folgeverhandlungen zum Grundlagenvertrag gelei-
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Bundesminister Frankestet werden, und Sie wissen, daß die Verhandlungen geführt werden. Dort ist dazu der richtige und eigentliche Ort. Hier kann und soll die DDR zeigen, wie ernst es ihr z. B. auch mit dem Wort Honeckers ist, daß die Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen „keinesfalls hinderlich, sondern von Vorteil" ist. Diese Auffassung Honeckers ließe sich besonders gut und deutlich auch am Thema „Mindestumtausch" beweisen, zumal es dazu nicht einmal Verhandlungen braucht. Niemand verlangt von der DDR, sie solle sich durch Besuchsregelungen Lasten aufladen, die sie nicht tragen kann oder die ihre inneren wirtschaftlichen Ziele in Mitleidenschaft ziehen.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Entwicklung von gutnachbarlichen Beziehungen zwischen den Menschen und den Institutionen beider Staaten nicht mit einseitigen Belastungen verbunden werden soll und darf; denn einseitige Belastung, betreffe sie nun einzelne private Personen, wie gegenwärtig, die Volkswirtschaft der DDR oder die öffentlichen Haushalte der Bundesrepublik, würde dem angestrebten Ziel schaden. So wie die Vorteile der Normalisierung möglichst gleichmäßig verteilt sein sollten, so sollte das auch bei den — wenn ich sie einmal so nennen darf — Investitionen in diese Vorteile sein. Darum meine ich, es wäre für die Beteiligten gut und nützlich, wenn die DDR einsähe, daß ihre einseitigen Maßnahmen, die zu einseitigen Belastungen geführt haben, alles andere als hilfreich sind, um zu der notwendigen Ausgewogenheit zu gelangen. Jedenfalls wird die Bundesrepublik ihrerseits allen Verpflichtungen pünktlich nachkommen, die sie eingegangen ist und an die sie sich gebunden fühlt. Ratschläge, die die Bundesregierung von diesem Weg abbringen wollen, sind schlechte Ratschläge, weil solche Ratgeber der Bundesrepublik zumuten, sich dem Vorwurf mangelnder Vertragstreue auszusetzen.Wir sind als Nation staatlich und gesellschaftlich geteilt, und wir wissen, daß wir gegen dieses Schicksal nicht im Alleingang angehen können und schon gar nicht mit Gewalt angehen wollen. Das ist unbestritten die gemeinsame Auffassung dieses Hauses. Wenn das aber so ist, dann müssen wir klug und nüchtern sein,
dann müssen wir die einzelnen Schritte unseres politischen Handelns nach ihrem Nutzen beurteilen, dann müssen wir praktische Politik machen und über praktische Politik reden. Große Worte helfen uns nicht weiter. Das hat die Vergangenheit zur Genüge gezeigt, und die Erfahrungen der Vergangenheit — so meine ich sagen zu können — sprechen gegen den Antrag, wie er hier am 24. Januar von der Opposition eingebracht wurde. Meiner Auffassung nach bietet der Antrag der Koalitionsparteien eine bessere Plattform zur praktischen Anwendung im Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu dem Antrag des Ausschusses. Dieser Änderungsantrag ist identisch mit dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 7/1593. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Antrag des Ausschusses, den Sie auf der Drucksache 7/2210 finden. Ich möchte über den Antrag geschlossen abstimmen lassen, oder wird ziffernweise Abstimmung gewünscht? — Ich sehe, wir können geschlossen abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD- und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.Wir hatten uns interfraktionell vorgenommen, um 11.30 Uhr mit der Fragestunde zu beginnen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir aber zunächst noch den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung abschließend behandeln. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Ich rufe also den Zusatzpunkt i der heutigen Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes— Drucksache 7/2012 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2201 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
Drucksache 7/2097 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter Wittmann
Hierzu liegen ein Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung auf der Drucksache 7/2201 und ein Bericht und Antrag des Innenausschusses auf der Drucksache 7/2097 vor.Ich frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob sie eine Ergänzung der vorgelegten Berichte vornehmen wollen oder ob aus dem Hause eine solche Ergänzung gewünscht wird. — Das ist offensichtlich nicht der Fall.Ich frage, ob in der zweiten Beratung das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWir treten in die Abstimmungi der zweiten Beratung ein. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5 Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. -- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist das Gesetz in der zweiten Beratung einstimmig verabschiedet.Wir treten in diedritte Beratungein.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittmann .
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Umweltprogramms der Bundesregierung am 29. September 1971 wurde eine grundsätzlich neu ausgerichtete Phase der Bewältigung von Umweltproblemen eingeleitet. Eine moderne Umweltpolitik darf sich nicht darauf beschränken, lediglich auf bereits eingetretene Schäden an den natürlichen Lebensgrundlagen zu reagieren. Ziel einer solchen Politik muß vielmehr sein, den Grundsatz der Vorsorge durchzusetzen und eine auf lange Sicht angelegte Umweltplanung zu verwirklichen.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß eine solche Politik langfristig jedoch nur zu realisieren ist, wenn die fachliche Beratung der Bundesregierung bestmöglich organisiert, vor allem aber die Zusammenarbeit der zahlreichen bereits bestehenden Umwelteinrichtungen im nachgeordneten Bereich der Bundesregierung entsprechend koordiniert und auf dieses Ziel hin ausgerichtet wird und wenn sichergestellt ist, daß alle wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über Umweltprobleme systematisch gesammelt werden und gezielt in die Gesetzgebung und die Vollzugspraxis umgesetzt werden können. Hierzu bedarf es neuer und problemgerechter Formen der Bereitstellung wissenschaftlicher Entscheidungshilfen für die Bundesregierung und neuer Formen der Zusammenarbeit im nachgeordneten Bereich. Diese Funktion vor allem soll das zu errichtende Umweltbundesamt übernehmen. Auf die Notwendigkeit des Aufbaus einer solchen bisher fehlenden Einrichtung hat die Bundesregierung bereits in ihrem Umweltprogramm hingewiesen.
Der vorliegende Entwurf sieht zwar von der organisatorischen Zusammenfassung aller Umwelteinrichtungen des Bundes in einer Mammutbehörde ab. Es kann jedoch darauf vertraut werden, daß mit der Errichtung des Umweltbundesamtes der entscheidende Schritt auf das Ziel einer verbesserten Kooperation und Koordination des mit Umweltfragen befaßten nachgeordneten Bereichs hin getan wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf den Antrag des Innenausschusses — Drucksache 7/2097 -hinweisen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, hierzu im nächsten Umweltbericht im einzelnen Stellung zu nehmen. Es soll vor allem zur Vermeidung von Doppelarbeit und Überschneidungen der Arbeit der Einrichtungen des Bundes und der Länder darauf geachtet werden, daß alle auf diesem Gebiet tätigen Einrichtungen des Bundes und der Länder sich dieser Dienstleistungseinrichtung der Bundesregierung bedienen und daß eine enge und möglichst umfassende Zusammenarbeit zwischen der neuen Behörde und den entsprechenden Einrichtungen der Bundesländer im Sinne eines kooperativen Föderalismus herbeigeführt wird.
Bereits jetzt sind einige dieser isoliert arbeitenden Einrichtungen in die als Vorläufer des Umweltbundesamtes errichtete Bundesstelle für Umweltangelegenheiten integriert: das ehemalige Meßstellennetz der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie die ehemalige Pilotstation der Universität Frankfurt auf dem Gebiet des Immissionsschutzes und die Zentralstelle für Abfallbeseitigung. Diese bereits jetzt voll arbeitenden Einheiten verstärken ganz wesentlich die Beratungskapazitäten der Bundesregierung.
Die bereits vorliegende Planung der Bundesregierung für den Ausbau dieser wichtigen Einrichtungen verdient und erfordert auch in den künftigen Jahren die Unterstützung dieses Hohen Hauses. Wir alle können durch die Bewilligung begründeter Stellen- und Mittelanforderungen dazu beitragen, daß das Umweltbundesamt kein unvollendeter, nur halb arbeitsfähiger Torso bleibt.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Wahl des Standortes Berlin sagen. An keinem Ort der Bundesrepublik Deutschland befinden sich so zahlreiche Einrichtungen, die sich für eine unmittelbare Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt anbieten wie in Berlin. Ich nenne nur das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamtes, die Bundesanstalt für Materialprüfung, die Biologische Bundesanstalt und das Hahn-Meitner-Institut. Darüber hinaus kann jederzeit auf das wissenschaftliche Potential der zwei großen Universitäten zurückgegriffen werden. Gewisse standortbedingte Nachteile, die sich aus der Entfernung zum Sitz der Bundesregierung ergeben, lassen sich weitestgehend durch moderne Formen der Kommunikation und Information überwinden.
Lassen Sie mich zum Schluß die Hoffnung aussprechen, daß der Bundesrat seine Einwendungen gegen den Entwurf, die wir nicht für begründet halten, nicht weiterhin aufrechterhält.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege Wittmann eben so beredt die Vorteile des Standorts Berlin geschildert hat, ist nicht ganz verständlich, warum es gerade in der letzten Zeit in so starkem Maße zu „atmosphärischen Störungen" insbesondere zwischen Berlin und Bonn über diesen Gesetzentwurf gekommen ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7363
Dr. GruhlDie CDU/CSU-Fraktion begrüßt, daß heute endlich die abschließende Beratung stattfindet.
Wie schnell sich doch ein Termin finden läßt, wenn man erst entdeckt, daß man sich in einer Sackgasse bewegt! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die abschließende Beratung. Sie hätte aber gewünscht, daß dieser ganze Vorgang von etwas weniger Spektakel begleitet gewesen wäre. Insoweit befinde ich mich in Übereinstimmung mit den Äußerungen der gesamten deutschen Presse aus den letzten Tagen.Eine Selbstverständlichkeit hätte von der Bundesregierung auch als solche behandelt werden müssen. In der Anlage 2 des Viermächteabkommens über Berlin vom 3. September 1971 wird ausdrücklich festgestellt, „daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden". Dieser Passus wurde seinerzeit von der Koalition als ein großer Erfolg hingestellt. Darum hätte die Frage nach der Anwendbarkeit später gar nicht mehr gestellt werden können.Eigenartigerweise begann aber ein Eiertanz, mit dem unnötig viel Zeit vertan wurde. Als seinerzeit Herr Wehner in der Sowjetunion die ominöse Äußerung über das angebliche „Überziehen" in der Berlinpolitik machte, begann ein Rätselraten, was er wohl gemeint haben könnte. Dabei wurde auch das Umwelt-Bundesamt als ein eventuelles Objekt genannt. Auch heute bringen einige gewöhnlich gut unterrichtete Zeitungen, darunter die „Süddeutsche Zeitung", die Verwirrung der letzten Tage mit dem Namen Wehner in Verbindung. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb am 14. Juni:Wie eine ewige Krankheit schleppt sich jenes Problem fort, das vom früheren Bundesinnenminister Genscher eingeleitet und von der Regierung Brandt nach Moskauer Stirnrunzeln und Ostberliner Obstruktionen dann halbherzig und sogar timide fortgeführt worden war.
— Goethe ist zwar in Frankfurt geboren; aber das hat er nicht mehr geschrieben. — Die Zeitung kommentiert weiter, daß die frühere Bundesregierung „eine miserable Figur bei der Ausführung eines Projekts gemacht hatte, für das sie selbst und vor allem ihr kleinerer Koalitionspartner scheinbar lebhaft eingetreten waren".Ein Gefühl dieser Art muß wohl auch der damalige Bundesinnenminister Genscher gehabt haben, so daß er am 19. April schließlich einen Brief an die Fraktionsvorsitzenden schrieb, worin er darum bat, die Beratung schnell abzuschließen.Die Ausschüsse des Bundestages sind diesem Wunsch voll nachgekommen. Der federführende Innenausschuß hat die Beratung am 9. Mai abgeschlossen und den Bericht bereits am 13. Mai 1974 fertiggestellt. Der Bundestag hätte also dieses Gesetz noch im Mai verabschieden können.Zu unserer Überraschung legten nun jedoch die Koalitionspartner keinen Wert auf die zweite und dritte Lesung. Darum stellte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 11. Juni 1974 den Antrag auf Behandlung. Aber auch dieses Mal wurde dies wieder — bezeichnenderweise von Herrn Wienand — ohne Begründung abgelehnt. Daher dürfen sich die Koalitionsparteien nicht wundern, daß über die Gründe in der Öffentlichkeit allerlei Spekulationen angestellt wurden.Viel schlimmer ist aber, daß aus Kreisen der Regierung die, ich muß schon sagen, hinterlistige Version verbreitet wurde, die CDU/CSU-regierten Länder seien an der Verzögerung schuld. Ja, man scheute sich nicht, den Regierenden Bürgermeister von Berlin mit der Story aufsitzen zu lassen; denn wie ließe sich sonst dessen dpa-Erklärung vom 12. Juni 1974 motivieren, von der ich doch annehme, daß Herr Schütz sie in gutem Glauben abgegeben hat. Als der Regierende Bürgermeister von Berlin dann den wirklichen Sachverhalt merkte, ist er zu der richtigen Stelle, nämlich zum Bundeskanzler, geeilt, der sich allerdings trotzdem noch am 13. Juni etwas sibyllinisch äußerte, wie auch sein Regierungssprecher.Wie dem auch sei, inzwischen hat die Regierung gemerkt, daß Rechte nur als solche fortgelten, wenn man sie auch in Anspruch nimmt. Ein Zaudern kann nur zu einer weiteren Demontage führen.Nicht nur die Opposition dieses Hauses, auch der Bundesrat wird der Bundesregierung bei der Ausübung des selbstverständlichen Rechts, in Berlin ein Bundesamt zu stationieren, immer unterstützen. Daran hat es auch in letzter Zeit nicht den geringsten Zweifel gegeben. Zum Gesetz sagt nämlich der Bundesrat in seiner Stellungnahme:Der Bundesrat begrüßt, daß die Bundesregierung mit der Errichtung des Umweltbundesamtes ihre im Umweltprogramm von 1971 angekündigten Vorhaben zur organisatorischen Straffung der entsprechenden Bundesbehörden verwirklicht, indem sie eine zentrale Institution u. a. sowohl zur wirksameren Zusammenarbeit bestehender Bundesanstalten und Einrichtungen auf dem Gebiete des Umweltschutzes als auch zur systematischen Auswertung der für die Umweltplanung wichtigen Daten errichtet.Die Länder stimmen mit der Bundesregierung darin überein, daß der Gesetzentwurf die Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer nicht berührt.Soweit die Stellungnahme des Bundesrates.Wenn der Bundesrat trotz seiner Zustimmung einige Änderungsvorschläge macht, dann lediglich in dem Bestreben, völlig klarzustellen, daß dieses neue Amt nur für Bundesaufgaben auf dem Gebiete der Umwelt zuständig ist. Der Innenausschuß hält solche ausdrücklichen Bekundungen einstimmig für überflüssig. Er folgt damit der Stellungnahme der Bundesregierung. Ich nehme an, daß der Bundesrat durch diese nochmalige Klarstellung voll befriedigt sein wird. Der Bundesrat hat gewiß recht, daß zur Errichtung eines Bundesamtes laut Art. 87 des Grundgesetzes ein Gesetz erforderlich ist. Wenn er
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Dr. Gruhlaber glaubt, daraus herleiten zu können, daß auch jede einzelne Verwaltungszuständigkeit und -aufgabe des Amtes jetzt und künftig der gesetzlichen Regelung bedürfe, so kann sich der Bundestag dieser Folgerung nicht anschließen.Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum materiellen Inhalt machen.Die CDU/CSU stimmt diesem Gesetz zu, denn sie hat ein solches Umweltbundesamt seit Jahren gefordert. Sie hat sich aber ganz eindeutig darunter etwas anderes vorgestellt. Insofern kann ich mich noch nicht einmal so positiv äußern, wie das der Bundesrat in seiner Stellungnahme getan hat. Die CDU/CSU wollte eine zentrale Stelle des Bundes für alle Umweltangelegenheiten, von der alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der verschiedenen Bundesanstalten und Institute koordiniert, geleitet, registriert und deren Ergebnisse ausgewertet werden sollten. Schon am 20. August 1971 forderte der damalige Bundesgeschäftsführer der CDU, Dr. Göb, ein Bundesamt für Umweltschutz, das dem Innenministerium zu unterstellen sei, um der Zersplitterung des Umweltschutzes auf die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung entgegenzuwirken. Bekanntlich ist nicht nur die Kompetenz für die Umwelt auf viele Ministerien verteilt; die einzelnen Minister haben auch noch ihre eigenen Bundesanstalten. Ich nenne nur die wichtigsten: das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene in Berlin, das Bundesamt für Gewässerkunde in Koblenz, das Bundesamt für Vegetationskunde, Naturschutz und Landschaftspflege in Bad Godesberg. Ich erwähne nur die verschiedenen Institute für Meereskunde und Fischerei wie die auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Diese und mehrere andere sollten nach unserer Vorstellung unter einem Kopf zusammengefaßt werden, womit eine „wirkungsvolle staatliche Organisation" für den Umweltschutz erreicht werden sollte, wie es bereits im Berliner Programm der CDU heißt.Von dieser Idealvorstellung findet man zwar eine ganze Menge in der Begründung des Gesetzentwurfs der Regierung, aber nichts im Gesetzestext selbst. Dort steht vielmehr:Das Umweltbundesamt hat insbesondere folgende Aufgaben:1. Wissenschaftliche Unterstützung des Bundesministers des Innern in allen Angelegenheiten des Immissionsschutzes und der Abfallwirtschaft .Damit wird für die Fachbereiche Luft, Lärm und Abfall praktisch eine neue Bundesanstalt geschaffen, diesmal für das Innenministerium. Die CDU/CSU bedauert, daß der Ressortegoismus der Minister nicht überwunden werden konnte. Auch bei der letzten Regierungsbildung wurde eine Chance für eine bessere Zusammenfassung der Umweltpolitik vertan. Die CDU/CSU war zwar auch der Meinung, daß das Umweltbundesamt Lücken der Forschung dort selbst schließen sollte, wo es nötig ist; aber dies sollte nicht seine Hauptaufgabe sein. Insofern gehen unsere Vorstellungen auch keinesfalls auf eine„Mammutbehörde" — diesen Ausdruck hat vorhin der Kollege Wittmann verwendet —, sondern auf eine schlagkräftige Spitze für alle vorhandenen Institutionen.Der Punkt 2 unter den Aufgaben des Amtes kommt den Vorstellungen meiner Fraktion schon näher, nämlich:Aufbau und Führung des Informationssystems zur Umweltplanung sowie einer zentralen Umweltdokumentation, Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen, Bereitstellung zentraler Dienste und Hilfen für die Ressortforschung und für die Koordinierung der Umweltforschung des Bundes, Unterstützung bei der Prüfung der Umweltverträglichkeit von Maßnahmen des Bundes.Aber gerade hier steckt die Arbeit leider noch in den Kinderschuhen. Darum wird die weitere Arbeit nicht nur wohlwollend, sondern auch kritisch von uns verfolgt werden. Wir erwarten auf diesem Gebiet bald Ergebnisse, zu denen im nächsten Umweltbericht Stellung zu nehmen sein wird. Diesen Bericht fordert eine Entschließung des Innenausschusses, wie der Kollege Wittmann schon vorgetragen hat. Auch unsere Fraktion empfiehlt Annahme dieser Entschließung.In dieser Entschließung wird die Bundesregierung darüber hinaus aufgefordert, zu prüfen, wie eine größere Wirksamkeit des Umweltbundesamtes im Sinne der von mir vorgetragenen Gesichtspunkte erreicht werden kann. Im Bericht des Innenausschusses ist festgehalten, daß die Opposition mit einer baldigen Novellierung des Gesetzes rechnet und daß sie dieser Vorlage zustimmt, um wenigstens die schnelle Aufnahme der Arbeit in Berlin auch gesetzlich abzusichern.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hofft, daß die Gemeinsamkeit der drei Fraktionen dieses Hauses auf dem Gebiet des Umweltschutzes auch weiterhin erhalten bleibt, um die künftigen großen Aufgaben in diesem Bereich gemeinsam 'bewältigen zu können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Wort nur zu einer kurzen Bemerkung erbeten, weil der Herr Kollege Dr. Gruhl hier Vermutungen angestellt bzw. Vermutungen wiedergegeben hat, das Umweltbundesamt halbe bei mir unterstellten Äußerungen im Rahmen der Reise einer Delegation des Deutschen Bundestages Ende September /Anfang Oktober in der Sowjetunion eine Rolle 'gespielt. Wenn dem Kollegen Gruhl persönlich daran gelegen sein sollte, das authentischer zu erfahren als aus dritter Hand, dann bitte ich ihn sehr, die Niederschrift der Bundespressekonferenz vom 3. Oktober 1973 anzusehen, wo ich gesagt habe, daß ich allen Beifall zollen und Glück wünschen werde, wenn die Sache mit dem Umweltamt gut — das heißt: auch was seine Lokalisierung betrifft — zu Ende gebracht werden wird. Das ist also
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Wehnerdas Gegenteil Ihrer Vermutungen — sofern es Ihre Vermutungen sind und nicht einfach die Wiedergabe aus Quellen ist. Sie haben sich auf die Presse berufen; ich berufe mich auf die Bundespressekonferenz.Und dann zu Mutmaßungen über die Haltung des Parlamentarischen Geschäftsführers unserer Fraktion, des Kollegen Karl Wienand, kürzlich: Er hat nichts anderes getan, als sich — und das geschah nicht nur mit meiner Billigung, sondern auf meine Weisung — an den Passus in der Regierungserklärung zu halten, in dem unter dem Punkt „Umweltschutz" steht:Wir werden prüfen, ob die derzeitige Organisation zur Bewältigung dieser Probleme optimal ist.Und dann folgten noch einige Erläuterungen dazu. — Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben ein leider nur gequältes Ja der Opposition zu diesem Gesetzentwurf gehört;
es wäre mir lieber gewesen, Herr Kollege Gruhl, daß Sie hier entweder ein volles Ja dazu aussprechen oder aber einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen; damit sind Sie ja sonst auch nicht zimperlich. Es wäre interessant gewesen, dann einmal ausformuliert zu lesen, wie Sie es denn gern gehabt hätten.Wir haben die erste Lesung dieses Gesetzes und auch die zweite formal betrieben. Wir haben im Innenausschuß eingehend über den Entwurf beraten, auch über die Gesichtspunkte, die Sie hier zum Zuständigkeitsbereich vorgetragen haben. Ich begrüße es, daß wir hier die Gelegenheit haben, vor dem ganzen Hause erneut zu betonen, daß die Umweltpolitik eine der zentralen Aufgaben einer jeden Bundesregierung, eine der zentralen staatlichen Aufgaben unserer Zeit überhaupt sein muß.Wer die Zahlen verfolgt, wer verfolgt, mit welcher Geschwindigkeit unsere Umwelt, unsere biologische Lebensexistenz in Gefahr gerät, der kann diesem Thema nur mit Unruhe begegnen, und der erkennt, daß sich die Umweltverschmutzung lawinenartig verstärkt, der erkennt, daß wir, wenn diese Generation nicht in der Lage ist, dieses Problem zu lösen, unseren Kindern Aufgaben überlassen, die sie mit den Mitteln normaler staatlicher Tätigkeit nicht mehr werden lösen können.Wenn man die öffentliche Diskussion verfolgt, berührt es ganz eigenartig, daß man bei diesem Grundsatz Einmütigkeit verspürt, daß man bei solchen Sätzen Zustimmung bekommt, daß aber überall und immer dann, wenn es an das Umsetzen von Umweltschutzzielen geht, wenn es in die konkrete Wirklichkeit geht, wenn wirtschaftliche Interessen berührt werden, wenn die Bequemlichkeit des einzelnen berührt wird — —
— Herr Kollege Miltner, ich spreche im Zusammenhang mit dem Umweltbundesamt über Umweltschutz und nicht ausschließlich über Berlin; ich komme gleich noch darauf.
— Ich möchte hier keine Fortsetzung einer Berlin-Debatte mit unzulänglichen Mitteln haben;
ich möchte über den Umweltschutz in diesem Lande sprechen.
— Ich komme sofort darauf; übrigens würde ich Ihnen, wenn Sie es nicht wissen, empfehlen, doch einmal im Gesetzentwurf nachzusehen, denn da steht es ja ausführlich drin, aber ich komme gleich darauf.Ich muß das wiederholen: Es ist ein merkwürdiger Gegensatz, daß man zum Grundsatz überall Zustimmung bekommt, daß man aber immer dann, wenn es in konkrete Einzelpositionen geht,
— ja, natürlich, Herr Kollege, Sie können im Protokoll nachlesen —, auf Widerstand stößt, auf den Versuch, zu retardieren.Die Errichtung des Umweltbundesamtes ist ein zentrales Stück des Umweltprogramms des Bundes, das am 29. September 1971 veröffentlicht worden ist. Mit der Einrichtung dieses Umweltbundesamtes wird die Möglichkeit eröffnet, auf lange Sicht Umweltvorsorge und Umweltplanung zu betreiben und bei wechselnden und sich verändernden wissenschaftlichen Erkenntnissen neue Verwaltungsaufgaben zu verwirklichen.Zu meiner Überraschung habe ich nun heute in der Presse gelesen, daß diese Lesung hier auf Druck der Opposition zustande gekommen sei.
-- Herr Kollege Dr. Gruhl, ich habe nicht gesehen, daß Sie schweißnaß hinter uns hergelaufen wären,
um einen Termin für die zweite und dritte Beratung dieses Gesetzentwurfs zu bekommen. Es ist vielleicht nicht ganz gut, wenn man die Daten noch einmal nennt. Die erste Lesung war am 24. April 1974. Am 9. Mai hat der Innenausschuß — um Sie, Herr Kollege Miltner, zu beruhigen: in meiner Gegenwart — den Gesetzentwurf in aller Ausführlichkeit beraten. Heute findet nun die zweite und dritte Lesung statt. Schneller geht es eigentlich nicht.
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7366 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. Hirsch— Haushaltsausschuß: 6. Juni. Wie schnell hätten Sie es denn eigentlich gern?
— Herr Wohlrabe, hören Sie doch erst einmal zu.Es wird nun gesagt, dieses alles habe mit Berlin zu tun. Ich möchte hier einmal mit der Genehmigung des Präsidenten die Erklärung vorlesen, die der Vertreter des Innenministeriums in einer Sitzung des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Beziehungen am 7. November 1973 in Berlin abgegeben hat:Die Bundesregierung beabsichtigt, entsprechend der Erklärung, die Herr Bundesminister Genscher mit Zustimmung des Bundeskanzlers und des Außenministers abgegeben hat, Berlin als Standort des Umweltbundesamtes zu bestimmen. Eine solche Standortbestimmung berücksichtigt eine Reihe für den Umweltschutz günstiger Voraussetzungen und unterstreicht vor allem den Willen der Bundesregierung, die bestehenden Bindungen entsprechend dem Viermächteabkommen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten und zu entwickeln.Dieser Standpunkt der Bundesregierung ist seit vielen Monaten in vollem Umfang unverändert. Ich betrachte es als die Pflicht der Bundesregierung, eine solche Absicht in der dazu geeigneten Form zu verwirklichen und nicht etwa den Versuch zu unternehmen, die Lage Berlins dadurch zu erschweren, daß man mit Feuer und Schwert durch die Lande zieht und alle möglichen Deklamationen von sich gibt. Es kommt uns darauf an, das Umweltbundesamt in Berlin zu errichten, und dieses geschieht nicht auf Druck der Opposition, sondern
so, wie es nach Lage der Dinge richtig ist. Diesscheint hier noch einmal betont werden zu müssen.Herr Kollege Gruhl, Sie haben sich schon in der Beratung im Ausschuß mit den Zuständigkeiten des Bundesamtes unzufrieden gezeigt. Das zentrale Problem, um das es bei der Frage der Zuständigkeitsaufteilung geht, ist doch, daß der Umweltschutz erst relativ spät als ein einheitliches Gebiet erkannt und verwaltungsmäßig behandelt worden ist. Es ist eine Tatsache, daß Umweltschutz ressortübergreifend ist und in einer ganzen Reihe von unbestreitbaren, auch von uns und Ihnen nicht zu verändernden Zuständigkeiten eine Rolle spielt. Es ist also nicht möglich, die unselbständigen Teilaspekte einer ganzen Fülle von Fragen in einem Ressort zu vereinen. Daran ist verbal doch überhaupt nichts zu ändern.Im übrigen liegt uns allen ja ein Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes vom März 1972 vor, in dem er auch auf diese Frage ausdrücklich eingeht. Der Präsident des Bundesrechnungshofes hält es für unzweckmäßig, alle Umweltkompetenzen in einem einzigen Ministerium zusammenzudrängen. Er begründet das mit einem Aspekt, den Sie hier natürlich herausgelassen haben, nämlich damit, daß die Kompetenzen des Bundes auf den verschiedenen Teilgebieten des Umweltschutzes ganz unterschiedlich sind.Das große Hindernis bei der Verwirklichung des Umweltschutzes liegt nicht in der Frage der Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung, sondern das große Hindernis liegt in den beschränkten gesetzgeberischen Zuständigkeiten des Bundes auf diesem Gebiet.
Wir hören ja nicht auf, in dieser Frage an Sie zu appellieren, dem Bund zum Beispiel die Kompetenz auf dem Gebiet des Wasserhaushaltes zu geben. Da höre ich von Ihnen immer nur Lippenbekenntnisse,
aber keine Ergebnisse, keine Konsequenzen, keine Zugeständnisse in der Wirklichkeit, nur in den Wahlkämpfen, aber nicht in den Beratungen dieses Hauses.
Da liegt das Problem, sonst nirgendwo.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gruhl?
Jawohl.
Kollege Hirsch, wenn das Gebiet des Wassers dazugehört: Warum ist zum Beispiel die Wasserkompetenz beim Umweltbundesamt völlig ausgelassen?
Aber Herr Kollege, Sie müssen die Begründung des Gesetzes lesen. Natürlich deswegen, weil der Bund auf diesem Gebiet keine Zuständigkeit hat.
— Er hat die Rahmenkompetenz, und wir unterhalten uns darüber, daß er die Vollkompetenz bekommt. Im übrigen sind die Zuständigkeiten für die Koordinierung ja auf allen Gebieten gegeben. Das können Sie nachlesen.
— Herr Kollege Miltner, die Argumentation stimmt. Es stimmt vielleicht Ihr Auffassungsvermögen dazu nicht.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Herr Kollege Hirsch, wollen Sie den Herren Kollegen bitte erklären, daß man eine Zuständigkeit auf eine Ober-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7367
Dr. Schäfer
Behörde nicht übertragen kann, wenn man die Zuständigkeit nicht hat.
Herr Kollege Schäfer, in dieser Form kann der Dialog schlecht geführt werden.
Herr Kollege Schäfer, Sie wissen, daß wir in dieser Frage völlig übereinstimmen. Ich habe versucht, das schon darzulegen. Es ist mir völlig klar, daß die Opposition in der Frage der Zuständigkeit auf dem ,Gebiet des Wassers nur sehr ungern angesprochen wird. Aber ich denke, daß wir dazu von Ihnen noch klare Erklärungen brauchen, Herr Kollege Gruhl.
Nun, im Gesetz sind die Aufgaben des Bundesumweltamtes aufgezählt: wissenschaftliche Unterstützung, Aufbau des Informationssystems, Bereitstellung zentraler Dienste, Koordinierung der Aufgaben des Bundes, aber auch zentrale Anlaufstelle für die Länder; ferner besteht die Möglichkeit, durch Gesetz dem Bundesamt weitere Aufgaben zuzuschreiben, auch Verwaltungsaufgaben anderer Bundesministerien zu übertragen. Herr Kollege Miltner, mehr können Sie eigentlich kaum haben.
Wir sind der Meinung, daß diese zentrale Institution die größtmögliche Wirksamkeit erlangen muß.
Wir glauben, daß dieses Gesetz die Voraussetzungen dafür bietet. Wenn die verwaltungsmäßige Entwicklung zeigen sollte, daß diese Erwartung nicht oder nicht im vollen Umfang erfüllt wird, sind wir selbstverständlich bereit, weitere Regelungen auf diesem Gebiet zu treffen. Eines allerdings muß man sagen, nämlich daß wir diese Frage nicht als ein Problem der politischen Bekenntnisse betrachten, sondern als eine ganz nüchterne Organisationsfrage der Zweckmäßigkeit. Deswegen werden wir diesem Gesetz im vollen Umfang, nicht gequält, zustimmen.
Das Wort hat .der Herr Bundesinnenminister Professor Maihofer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle mit Befriedigung eine grundsätzliche Übereinstimmung der Fraktionen dieses Hauses über den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Umweltbundesamtes fest und kann mich darum auf einige abschließende Bemerkungen beschränken.
Mit der Errichtung eines Umweltbundesamtes ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung des Umweltprogramms der Bundesregierung vom 29. September 1971 eingeleitet, das alle Fraktionen dieses Hauses zustimmend zur Kenntnis genommen haben. Denn dort ist, wie Sie wissen, die Errichtung einer zentralen Dachorganisation „zur wirksameren Zusammenfassung bestehender Bundesanstalten und Einrichtungen auf dem Gebiet der Umweltforschung und zur Übernahme von nichtministeriellen Aufgaben im Rahmen der Zuständigkeiten des Bundes im Umweltschutz" vorgesehen.
Diese Ankündigung wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eingelöst. Danach werden dem hierzu geschaffenen Umweltbundesamt zwei entscheidende Aufgaben zugewiesen, auf die schon mehrfach in der Aussprache verwiesen worden ist:
Erstens die wissenschaftliche Unterstützung der Bundesregierung auf den Gebieten des Immissionsschutzes und der Abfallwirtschaft, auf denen entsprechende Forschungseinrichtungen bisher nicht oder jedenfalls nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, und
zweitens die wissenschaftliche Aufbereitung aller für die künftige Umweltpolitik entscheidungserheblichen, von Enrichtungen des In- und Auslandes erarbeiteten Befunde und Erkenntnisse für die ressortübergreifenden Umweltaufgaben des Bundes.
Das Umweltbundesamt wird dabei nicht zuletzt mit allen in Betracht kommenden übrigen Einrichtungen des Bundes, wie etwa mit dem Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene und dem Bundesgesundheitsamt, sowie den entsprechenden Landeseinrichtungen eng zusammenarbeiten. Die Bundesregierung begrüßt daher den diesem Hohen Hause zusammen mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vorliegenden Entschließungsantrag.
Die Bundesregierung prüft entsprechend der Empfehlung des Innenausschusses sorgfältig, wo und inwieweit zur Erhöhung der Wirksamkeit und zur besseren Koordinierung der Regierungs-, Verwaltungs- und Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Umwelt bestehende Bundeseinrichtungen in das Umweltbundesamt eingegliedert oder ihm auf andere Weise zugeordnet werden können. Ebenso wird die Bundesregierung, auch hier der Empfehlung des Innenausschusses folgend — das will ich ausdrücklich feststellen —, eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Umweltbundesamt und auf diesem Gebiet tätigen Einrichtungen der Länder sicherstellen und alles tun, um unnötige Doppelarbeit oder Überschneidungen der Tätigkeit dieser Einrichtungen — was bisher vielfältig der Fall war — zu vermeiden.
Mit den Einzelheiten dieser Zusammenarbeit zwischen dem Umweltbundesamt und Umwelteinrichtungen der Länder befaßt sich bereits die kürzlich gebildete Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft; denn das Leistungsangebot des Umweltbundesamtes soll sich nicht nur an die Ressorts der Bundesregierung richten, sondern darüber hinaus den Bundesländern, den Kommunen und anderen mit Umweltfragen befaßten Einrichtungen offenstehen. Das gilt insbesondere für das Informationssystem zur Umweltplanung sowie für die zentrale Umweltdokumentation. Es soll hierdurch für die Zukunft ausgeschlossen werden,
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
daß kostspielige Untersuchungen zu gleichen Fragen durch mehrere Stellen gleichzeitig durchgeführt werden.
Im Hinblick auf das Umweltforschungsregister ist in einer Entschließung der für Umweltfragen zuständigen Minister der Länder und des Bundes vom 6. April 1973 bereits eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern vereinbart worden. Ich hoffe, daß das Umweltbundesamt damit zu einem beispielhaften Anwendungsfall für den gerade auch in der Umweltpolitik unabdingbaren kooperativen Föderalismus werden wird.
Der Gesetzentwurf sieht Berlin als Standort des Umweltbundesamtes vor. Die Bundesstelle für Umweltangelegenheiten hat als Vorläufer des durch Gesetz zu errichtenden Umweltbundesamtes ihre Arbeit bereits in Berlin aufgenommen. Die Entscheidung für Berlin unterstreicht den Willen der Bundesregierung, das Viermächteabkommen seinem Buchstaben und Geist entsprechend mit Leben zu erfüllen. Im Einklang mit den alliierten Schutzmächten Berlins werden durch die Errichtung des Umweltbundesamtes die Bindungen zwischen Berlin und dem Bundesgebiet im Geist dieses Abkommens „entwickelt".
Diese Entscheidung ist gegen niemanden gerichtet; sie ist ein Akt der Normalität. Für sie sprachen nicht zuletzt sachliche Erwägungen. Berlin verfügt, wie kaum eine andere Großstadt, über zahlreiche Hochschuleinrichtungen, die unmittelbaren Bezug zum Umweltschutz haben, sowie über Einrichtungen des Bundes und sonstiger Behörden, die mit Umweltfragen befaßt sind. Diese günstigen Ausgangsbedingungen sollen genutzt werden im Interesse eines möglichst wirksamen Umweltschutzes, der mehr und mehr zu einer Länder- wie Staatsgrenzen übergreifenden Aufgabe der Zukunftssicherung von uns allen wird.
Zu dieser weltweiten, auch die Grenzen der gegensätzlichen Gesellschaftssysteme in Ost und West überschreitenden Aufgabe des Umweltschutzes im Industriezeitalter wird, wie wir zuversichtlich hoffen, das Umweltbundesamt in Berlin einen entscheidenden Beitrag leisten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der dritten Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Meine Damen und Herren, damit ist das Gesetz in der dritten Beratung einstimmig angenommen worden.
Wir kommen noch zur Abstimmung über den Antrag des Innenausschusses Drucksache 7/2097 Ziffer 2. Ich gehe davon aus, daß ich über die Ziffern 2, a, b und c geschlossen abstimmen lassen kann. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. — Damit ist der Zusatzpunkt 1 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde
-- Drucksache 7/2268 —
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, daß wir auch in dieser Woche zwei Fragestunden, abweichend von den Richtlinien über die Fragestunde, mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten durchführen. Gemäß § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; damit ist es so beschlossen.
Wir treten nunmehr in die Fragestunde ein. Ich rufe den Geschäftsbreich des Bundesministers der Verteidigung auf.
Der Herr Abgeordnete Dr. Kraske hat zwei Fragen — die Fragen 1 und 2 — eingebracht und um deren schriftliche Beantwortung gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung abgeschlossen.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Frage 3 ist von Herrn Abgeordneten Dr. Schneider eingebracht:
Welche auswertbaren Erkenntnisse liegen der Bundesregierung inzwischen über die Erhebung von Ausgleichsbeträgen nach dem Städtebauförderungsgesetz vor, und welche besonderen Schwierigkeiten standen der Erhebung dieser Ausgleichsbeträge bisher entgegen?
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Haack zur Verfügung. — Herr Staatssekretär.
Auf eine entsprechende Frage innerhalb der Kleinen Anfrage zum Vollzug des Städtebauförderungsgesetzes hat die Bundesregierung im Mai 1973 erklärt, daß auswertbare Erkenntnisse bei dem gegenwärtigen Durchführungsstand der Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen nach dem Städtebauförderungsgesetz noch nicht gewonnen werden konnten, weil nach dem Gesetz grundsätzlich ein Ausgleichsbetrag erst nach Abschluß einer Sanierungsoder Entwicklungsmaßnahme zu entrichten ist. Bis heute sind noch keine Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen nach dem Städtebauförderungsgesetz abgeschlossen und damit auch keine Erfahrungen der Praxis zum Vollzug der §§ 41 und 42 Städtebauförderungsgesetz bekanntgeworden.Unser Ministerium hat die für die Durchführung des Städtebauförderungsgesetzes zuständigen obersten Landesbehörden gebeten, künftige Erfahrungen über die Erhebung von Ausgleichsbeträgen nach dem Städtebauförderungsgesetz mitzuteilen. Den nächsten Erfahrungsbericht der Länder über die mit
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Parl. Staatssekretär Dr. HaackBundesfinanzhilfen geförderten Maßnahmen nach dem Städtebauförderungsgesetz erwarten wir im Herbst dieses Jahres. Wenn in diesen Länderberichten auswertbare Erkenntnisse über die Erhebung von Ausgleichsbeträgen enthalten sind, werde ich Sie, Herr Kollege Dr. Schneider unmittelbar unterrichten. Darüber hinaus ist die Bundesregierung jederzeit bereit, dem zuständigen Bundestagsausschuß über die bisherigen Erfahrungen mit dem Städtebauförderungsgesetz zu berichten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort ist für mich insoweit überraschend, als Herr Bundesminister Ravens dieser Tage, wie aus der Presse zu entnehmen war, ,erklärte, daß sich das Verfahren zur Abschöpfung planungsbedingter Mehrwerte nach dem Städtebauförderungsgesetz bewährt hat.
Das ist nicht ein Widerspruch, Herr Kollege Dr. Schneider. Ich weiß im Moment nicht, auf welche Äußerungen von Herrn Bundesminister Ravens Sie sich beziehen; ich könnte mir vorstellen, daß er auch die Fragen der Bewertung gemeint hat, die im Zusammenhang mit den Ausgleichsbeträgen zu sehen sind. Hier scheint es schon erste Erfahrungen bei den Ländern zu geben. Wir erwarten von dem Bericht, von dem ich gesagt habe, daß wir ihn wahrscheinlich im Herbst bekommen werden, genaueres Material, so daß wir dann auch etwas Konkreteres sagen können. Aber diese Äußerung von Herrn Bundesminister Ravens meinte sicherlich, daß es keine Erkenntnisse gibt, die im Blick auf die Ausgleichsbeträge negativ wären.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es entscheidend sein wird, ob sich die jeweiligen Gemeinden mit den betroffenen Eigentümern gütlich einigen oder ob die Gemeinden im Wege eines Bescheids die Ausgleichslbeträge erheben werden?
Das ist sicherlich entscheidend, Herr Kollege Schneider. Sie wissen selbst, und wir haben es auch im Ausschuß schon manchmal besprochen, daß wir aus den bisherigen Erfahrungen den Eindruck haben, daß 'von vielen Instrumenten, die im Städtebauförderungsgesetz vorgesehen sind, gar nicht Gebrauch gemacht werden muß, weil es zu einer vernünftigen Einigung mit den Betroffenen kommt. Das spielt auch in diesem Fall bestimmt eine entscheidende Rolle.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Bis wann sieht sich die Bundesregierung in der Lage, das vom Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für diese Legislaturperiode in Aussicht gestellte Gesamtkonzept für den sozialen Wohnungsbau zu entwickeln, und welche besonderen Ziele werden im einzelnen in diesem Gesamtkonzept festgelegt?
Herr Staatssekretär.
Im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sind Überlegungen für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der Wohnungsversorgung weitgehend abgeschlossen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen — die Länder sind bekanntlich für die 'Durchführung des Wohnungsbaus zuständig —, aber auch wegen der finanziellen Konsequenzen erfordert die Konzeption für den sozialen Wohnungsbau eine sorgfältige Abstimmung mit den beteiligten Bundesressorts und vornehmlich mit den Bundesländern. 'Diese Abstimmung ist auf der Grundlage interner Arbeitspapiere eingeleitet.
Das Konzept — soviel kann ich jetzt schon sagen — will alle Maßnahmen der Wohnungsbau- und der Wohnungsbestandspolitik miteinander verbinden. Es soll z. B. Aussagen enthalten über die Fortführung der vermögenspolitischen Förderungsmaßnahmen, die Fortführung des sozialen Wohnungsbaus in neuem Rahmen und die sich daraus ergebende Anpassung und Verzahnung des Wohngeldsystems, die schwerpunktmäßige Förderung der Modernisierung des Wohnungsibestandes, die bessere Nutzung des Sozialwohnungsbestandes und die Intensivierung der Wohnungsmarktforschung. Im engeren Bereich des sozialen Wohnungsbaus geht es namentlich um drei Bereiche: um die Festlegung neuer quantitativer Zielvorstellungen, um die Abstimmung der Ausgangsmieten und des subventionsbedingten Mietanstiegs mit den Ländern und um die Verzahnung von Objektförderung und Wohngeld.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, von welchem mittelfristigen Gesamtvolumen geht die Bundesregierung bei der Finanzierung ihres Gesamtprojekts für den sozialen Wohnungsbau von 1975 an aus, nachdem nach der mittelfristigen Finanzplanung von 1975 an eine erhebliche Reduzierung der Wohnungsbaumittel des Bundes vorgesehen ist? Ich denke an das Auslaufen des Intensiv- und Regionalprogramms.
Ich darf auf das verweisen, Herr Kollege Schneider, was ich schon in der letzten Woche auf eine entsprechende Frage gesagt habe. Wir sind der Auffassung, daß wir uns im sozialen Wohnungsbau, was die Zahl der zu fördernden Wohnungen angeht, konzentrieren müssen und daß wir die Anfang der 70er Jahre für richtig angesehene Zahl
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7370 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Dr. Haackheute nicht mehr fördern müssen. Darauf müssen wir auch die finanziellen Größen abstellen. Aber Sie können davon ausgehen, daß es in den nächsten Jahren im sozialen Wohnungsbau im Falle der Bundesmittel keine Beschränkung der staatlichen Mittel geben wird. Es wird gerade Aufgabe dieses neuen Konzepts des sozialen Wohnungsbaus sein, zu einer vernünftigen Grundlage auch im finanziellen Bereich zu kommen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Dr. 'Schneider : Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich die Förderung des Wohnungsbaus nicht als Instrument zur Steuerung der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik eignet?
Das kann in dieser Form nicht bejaht werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung des Vorstandsvorsitzenden der gewerkschaftseigenen Unternehmensgruppe Neue Heimat, Albert Vietor, vom März dieses Jahres, wonach bei der jetzigen Hochzinspolitik und den erheblichen Baupreissteigerungen die öffenliche Hand rund 70 % der Gestehungskosten durch Subventionen übernehmen muß, um noch Sozialmieten von 4 DM zu erreichen?
Herr Kollege Nordlohne, so interessant die Frage ist, aber der geforderte unmittelbare Zusammenhang mit der Frage des Herrn Kollegen Schneider ist nur sehr bedingt gegeben.
— Entschuldigen Sie, der Zusammenhang mit der eingereichten Frage muß unmittelbar hergestellt sein. Ich sehe da keine Möglichkeit.
Die Bundesregierung kann, Herr Kollege Nordlohne, diese Frage in dieser Form nicht genauso sehen wie derjenige, auf den Sie sich soeben bezogen haben. Aber wir werden eben gerade im Zusammenhang mit diesem neuen Konzept des sozialen Wohnungsbaus auch solche Fragen erörtern müssen. Wir müssen jedoch auch sehen, daß das nicht nur Probleme sind, die die Bundesregierung zu lösen hat, sondern hier kommt es auf eine enge Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern an. Das wollen wir gerade mit diesem Konzept — wenn ich das noch einmal sagen darf — erreichen. Darum wird es auch noch einige Zeit dauern, bis wir dieses Konzept als geschlossenes Konzept, das dann auch hier zu diskutieren ist, vorlegen können, weil wir vorher eine ganz klare Abstimmung mit den Bundesländern haben wollen.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Hier hat der Herr Abgeordnete Immer die Fragen 6 und 7 eingereicht, die der Fragesteller inzwischen zurückgezogen hat. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Die Frage 46 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Frerichs eingereicht:
Ist die Bundesregierung bereit, eine dem 1973 novellierten Kartellgesetz voll gerecht werdende Neufassung der Kooperationsfibel für kleine und mittlere Unternehmen vorzunehmen und zusätzlich kurzfristig ein leicht verständliches Merkblatt für die Anwendung des § 5 b GWB herauszugeben?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, der Bundesminister für Wirtschaft beabsichtigt wie im vergangenen Jahr anläßlich des 10. Jahrestages der Herausgabe der Kooperationsfibel vom 29. Oktober, eine Neuauflage der Fibel noch in dieser Legislaturperiode vorzulegen. Dafür bedarf es jedoch zunächst eines Minimums an Erfahrungen der Beschlußabteilungen des Bundeskartellamts und der Landeskartellbehörden mit den verbesserten Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen.
Ihre Anregung, schon jetzt ein leicht verständliches Merkblatt für die Anwendung des neuen § 5 b herauszugeben, wird die Bundesregierung jedoch prüfen. Es hängt entscheidend davon ab, ob wir genügend Substanz für ein solches Merkblatt jetzt schon zur Verfügung stellen können.
Herr Abgeordneter, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß damit gerechnet werden kann, daß bis Ende des Jahres auf Grund der Prüfung auch eine formulierte merkblattähnliche Veröffentlichung zur Frage der Kooperationshilfen für die mittelständischen Unternehmen vorgelegt werden kann?
Wir waren davon ausgegangen, daß diese Kooperationsfibel mit dem Inhalt, den Sie ansprechen, im Laufe des Jahres 1975 — in der ersten Hälfte, nehme ich an — vorgelegt werden kann. Ob wir ein Merkblatt zu einem früheren Zeitpunkt her-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7371
Parl. Staatssekretär Grünerausbringen können, wie Sie das anregen, werden wir noch prüfen. Ihre Anfrage ist uns dazu Veranlassung. Ich sehe sehr deutlich, daß dazu Anlaß besteht.Nur, es ist Voraussetzung, daß wir in einem solchen Merkblatt auch entsprechende substantielle Aussagen machen können. Wir müssen prüfen, ob das zum jetzigen Zeitpunkt schon möglich ist.
Keine weitere Zusatzfrage zu diesem Komplex.
Dann rufe ich Ihre nächste Frage — die Frage 47 —, Herr Abgeordneter Dr. Frerichs, auf:
Wann ist mit der angekündigten Regierungsvorlage zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts aus preis- und wettbewerbspolitischer Sicht, für die der Bundeswirtschaftsminister federführend ist, zu rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Das Bundeskabinett wird sich in Kürze mit der Frage befassen, welche Eckwerte bei der beabsichtigten Neuordnung des Arzneimittelmarkts aus preis- und wettbewerbspolitischer Sicht zugrunde gelegt werden sollen. Die danach vorzunehmende gesetzliche Ausformulierung soll zügig und in enger Verbindung und Verknüpfung mit dem Gesetzesvorhaben zur Neuordnung des Arzneimittelrechtes erfolgen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte erläutern, was „in Kürze" heißt: Heißt das, daß das noch vor der Sommerpause im Kabinett sein wird oder bedeutet das: erst im Herbst?
Wir wollen diese Eckwerte, die wir ja formuliert haben und die Ihnen bekannt sind, noch im Juli ins Kabinett bringen.
Sie haben keine weitere Zusatzfrage? — Damit sind die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Frerichs beantwortet.
Die Herren Abgeordneten Schreiber und Büchner haben gebeten, die von ihnen eingereichten Fragen 48, 49 und 50 schriftlich zu beantworten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ankündigung der Aral AG, in Gemeinschaft mit anderen Gesellschaften wegen erwarteter Versorgungsengpässe bei Benzin in der Ferienzeit den Preis pro Liter um 2 Pfennig heraufzusetzen?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung hält öffentliche Ankündigungen von Preiserhöhungen, in denen ein entsprechendes Verhalten anderer Unternehmen der Branche zur Voraussetzung gemacht wird, für wirtschaftspolitisch unerwünscht und hat das ja auch in der Öffentlichkeit immer wieder nachdrücklich betont.
Im konkreten Fall hat die Aral AG allerdings geltend gemacht, daß sie lediglich auf die ihrer Ansicht nach zur Zeit unzureichenden Erlöse für Vergaserkraftstoff habe hinweisen wollen. Sie habe aber auch deutlich machen wollen, daß ein Alleingang von Aral nicht beabsichtigt sei, weil aus Wettbewerbsgründen nicht möglich. Die Bemerkungen zur Erlössituation bei Vergaserkraftstoffen standen nach Angaben der Aral AG in keinem Zusammenhang mit den Ausführungen zur Entwicklung der Versorgungslage in der Urlaubszeit. Sollte es bei Treibstoffen zu Preiserhöhungen kommen, wird das Bundeskartellamt im Rahmen der noch nicht abgeschlossenen Mißbrauchsverfahren sofort eine Überprüfung vornehmen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, ob die Aral AG bei der „Frankfurter Rundschau" eine Gegendarstellung beantragt hat, da hier mit einem wörtlichen Zitat darüber berichtet worden ist, daß man die Versorgungsengpässe während der Ferienzeit ausnutzen wolle?
Mir ist nicht bekannt, ob ein Kontakt zwischen der Aral AG und der „Frankfurter Rundschau" stattgefunden hat. Ich kann Ihnen nur sagen, daß unsere Erkundigung bei der Aral AG zu dem Ergebnis geführt hat, das ich Ihnen hier mitgeteilt habe. Das ist die Darstellung der Aral AG.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Aral AG jetzt schon zum wiederholten Male gewissermaßen die Funktion eines negativen Preisbrechers übernommen hat und daß dadurch .das Bemühen der Bundesregierung, durch einen staatlich beeinflußten Mineralölkonzern die Wettbewerbslage in diesem Sektor zu verbessern, geradezu diskreditiert wird?
Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß dieser Eindruck in der Öffentlichkeit tatsächlich entstehen kann, und nicht zuletzt aus diesem Grunde hat die Bundesregierung so nachdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß sie derartige Preisankündigungen für unerwünscht hält. Es ist aber in diesem Zusammenhang auch hinzuzufügen, daß der Versuch der Aral AG, die Preise zu erhöhen, im Januar dieses Jahres aus Wettbewerbsgründen gescheitert ist, daß sich also gerade die hier vermutete Preisführerschaft als nicht wirksam erwiesen hat, weil der
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7372 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Parl. Staatssekretär GrünerWettbewerb eine solche Preisführerschaft verhindert hat.
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß Ostfriesland als eine Region, die eklatante Strukturschwächen aufweist, in die 25%-Sonderförderung für besonders strukturschwache Gebiete in der EG einbezogen werden sollte, und ist die Bundesregierung bereit, die dazu notwendigen Verhandlungen mit den zuständigen Organen der EG aufzunehmen?
Zur Beschlußfassung über den 3. Rahmenplan hatte dem vom Bund und Länder gebildeten Planungsausschuß eine größere Zahl von Länderanträgen auf neue Fördergebiete, neue Schwerpunktorte und Änderungen der Förderungspräferenzen vorgelegen. Der Planungsausschuß war nahezu einstimmig der Auffassung, vor der zum 1. Januar 1975 vorgesehenen generellen Neuabgrenzung sowie der Überprüfung der Schwerpunktorte, der Präferenzen und der Mittelverteilung keine wesentlichen Änderungen zu beschließen. In diesem Zusammenhang wurde von seiten des Bundes auf das „Einmalige Sonderprogramm für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen" hingewiesen, das vom Bundeskabinett am 6. Februar 1974 verabschiedet worden war und in der Zwischenzeit seine Wirkung entfaltet hat.
Nach den entsprechenden Beschlüssen des Planungsausschusses wird die Bundesregierung selbstverständlich wie bisher die Ergebnisse der EG-Kommission notifizieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie denn die Möglichkeit, daß wenigstens ab 1. Januar 1975 gerade im Hinblick darauf eine Erhöhung der Förderung möglich ist, daß die Unternehmen im Raume Emden sehr einseitig strukturiert sind? Ich denke dabei an VW und auch an die Rheinstahl-Nordseewerke.
In diesem Gebiet ist ja eine hohe Förderungspräferenz gegeben. Es läßt sich jetzt keine Aussage machen, wie die Neuabgrenzung in diesem Bereiche wirken wird. Dieses Gebiet ist nicht Zonenrandgebiet und hat damit nicht die zusätzlich erhöhte Präferenz des Zonenrandgebietes.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Herr Abgeordnete Höcherl hat um schriftliche Beantwortung seiner eingereichten Frage 55 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob die Richtlinien für ERP-Darlehen zur Verbesserung des Wohn- und Freizeitwertes in Gemeinden für 1975 dahin gehend geändert werden, daß anstelle der bisherigen Bindung an die Schwerpunktorte das Verzeichnis der zentralen Orte in den Gebieten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zugrunde gelegt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Schwerpunktorte nach den Richtlinien für ERP-Darlehen zur Verbesserung des Wohn- und Freizeitwertes in Gemeinden sind mit den Schwerpunktorten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" identisch. Dort wo es für die Entwicklung des Schwerpunktortes notwendig ist, können mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe auch Vorhaben der Randgemeinden gefördert werden. Diese sind erstmalig im 3. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe für den Zeitraum 1974 bis 1977 genannt. Entsprechend flexibel wird auch bei den ERP-Mitteln verfahren. Das bedeutet allerdings keine Abkehr vom bewährten Schwerpunktprinzip, was ich ausdrücklich betonen möchte.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, bedeutet diese Antwort, die Sie hier gegeben haben, daß man nicht bereit ist, die Richtlinien auf die Liste der zentralen Orte auszudehnen?
Das ist im Grundsatz richtig, Herr I Kollege; denn wir haben in unserem jetzigen Regionalprogramm 314 Schwerpunktorte ausgewiesen, während das unter dem Gesichtspunkt der Raumordnung erarbeitete und noch nicht endgültige Verzeichnis der zentralen Orte mehr als 1 400 Orte umfaßt. Damit wird schon deutlich, daß eine solche Ausweitung genereller Art unter keinen Umständen mit dem Förderprinzip in Einklang gebracht werden könnte. Das sagt aber selbstverständlich nichts über die Entscheidungen, die im Rahmen der Neuabgrenzung und Neubildung von Schwerpunktorten, die von den betroffenen Ländern beantragt werden müssen, etwa ab 1. Januar im Einzelfall getroffen werden könnten.
Herr Kollege, Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren — und ist sie bereit, das in ihre Prüfung einzubeziehen —, daß es bei den Kommunalpolitikern ausgesprochenen Verdruß bereiten muß, wenn der Bürgermeister des Ortes A, während er versucht, Mittel für den Bau eines Kindergartens zu bekommen, mit ansehen muß, daß die Möglichkeiten zur Förderung beispielsweise eines Golfplatzes mit ERP-Mitteln aus dem von Ihnen genannten Programm im Ort B gegeben sind?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7373
Ich kenne das Beispiel nicht, das Sie mit dem Golfplatz erwähnen.
Klar ist jedenfalls, daß Verdruß bereitet wird, wenn eine Gemeinde gefördert wird und die andere nicht. Wollte man diesen Verdruß vermeiden, müßte man auf jede regionale Förderungspolitik im Kern verzichten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung, wenn sie schon nicht beabsichtigt, die Richtlinien auch auf die zentralen Orte auszuweiten, bereit, zu prüfen, ob nicht eine flexiblere Handhabung dieser Schwerpunktrichtlinien angebracht wäre, um etwas vom starren Schwerpunktprinzip abzugehen?
Diese Flexibilität ist durch die Ausdehnung auf die Randgemeinden schon gegeben. Ich muß mit großem Nachdruck sagen, daß wir alle Entscheidungen in diesem Bereich gemeinschaftlich zwischen Bund und Ländern zu treffen haben, nämlich im Planungsausschuß, in dem die Länder vertreten sind. Wir bemühen uns — das ist der Auftrag der Gemeinschaftsaufgabe —, die Richtlinien zusammen mit den Ländern zu beschließen. Diese Richtlinien werden nur beschlossen, wenn eine entsprechende Mehrheit der Länder sie im Sinne unserer gemeinsamen Vorstellungen von Regionalpolitik für vertretbar und richtig hält.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft abgeschlossen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Die erste Frage, die Frage 79, wurde von Herrn Schulte eingereicht:
Hält es die Bundesregierung im Interesse der Autofahrer für notwendig, daß mit dem Beginn des Urlaubsreiseverkehrs auf unseren Autobahnen dem Unwesen der sogenannten wilden Abschlepper mit schärferen Maßnahmen entgegengetreten wird?
Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jung zur Verfügung.
Herr Präsident, die Fragen des Kollegen Schulte und des Kollegen Dr. Jobst stehen in einem unmittelbaren Sachzusammenhang. Ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen gemeinsam beantworten könnte.
Die Herren Kollegen sind damit einverstanden. Ich rufe also gleichzeitig die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Schulte und die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Wenn ja, welche kurzfristigen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, im Zusammenwirken mit den Bundesländern, gegen die mißbräuchlichen Praktiken der sogenannten wilden Abschlepper vorzugehen?
Ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenwirken mit den Bundesländern auf längere Sicht Maßnahmen vorzubereiten, die geeignet sind, die mißbräuchlichen Praktiken der wilden Ab-schlepper endgültig zu unterbinden, und ist der Bundesregierung bekannt, ob in anderen europäischen Ländern in dieser Frage bereits wirksame Regelungen gefunden werden konnten?
Herr Kollege Schulte und Herr Dr. Jobst, das Unwesen der sogenannten wilden Abschlepper auf den Autobahnen war bereits im März 1973 Gegenstand einer Frage des Herrn Abgeordneten Lenzer in der Fragestunde des Deutschen Bundestages.
Die Bundesregierung begrüßt alle geeigneten Maßnahmen, um einen geordneten Abschlepp- und Bergungsdienst auf unseren Autobahnen zu gewährleisten. Das Güterkraftverkehrsgesetz verlangt vom Abschleppunternehmer den Nachweis der Zuverlässigkeit, Sachkunde und Leistungsfähigkeit seines Betriebes. Diese Zulassungsvoraussetzungen gelten jedoch nicht für das Abschleppen eines einzelnen Fahrzeugs. In Angleichung an die Vorschriften der Europäischen Gemeinschaften wurde seinerzeit dieser Fall auf Vorschlag des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages von den Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetzes freigestellt. Soweit bekannt, bestehen in den europäischen Nachbarländern ähnliche Regelungen.
Gegen das Pendeln von Abschleppwagen auf der Autobahn können verkehrsrechtliche Maßnahmen nicht getroffen werden, solange diese Fahrzeuge die Verkehrsvorschriften einhalten. Dies ist auch die Auffassung der für den Straßenverkehr und für die Verkehrspolizei zuständigen obersten Landesbehörden. Die Bundesregierung sieht im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Möglichkeit, im Zusammenwirken mit den Bundesländern gegen das Abschleppunwesen auf Autobahnen kurzfristig wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Ein gangbarer Weg, gegen die wilden Abschlepper einzuschreiten, kann nach unserem Erachten nur auf gewerberechtlichem Gebiet liegen. Denn nur mit Zulassungsbeschränkungen gewerberechtlicher Natur läßt sich, soweit bisher zu übersehen ist, diesem Unwesen entgegentreten.
Zu einer Zusatzfrage zunächst der Herr Abgeordnete Schulte .
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, für diesen unübersichtlich gewordenen Markt irgendwelche ordnenden Maßnahmen zu ergreifen?
Ja, Herr Kollege. Das Bundesministerium für Verkehr war mit dem Bundesministerium für Wirtschaft in dieser Frage schon in Verbindung, und
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7374 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Jungzwar bereits im Jahr 1973. Wir werden, wie ich eben darlegte, mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Frage prüfen, inwieweit sich durch eine entsprechende Änderung der Gewerbeordnung Möglichkeiten zur Bekämpfung dieses Unwesens eröffnen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Schulte.
Herr Staatssekretär, sind daneben weitere Maßnahmen geplant?
Herr Kollege, wie ich eben darlegte, ist dies unseres Erachtens der einzig gangbare Weg, weil das Abschleppen eines Fahrzeugs als Hilfeleistung damals ausdrücklich auf Forderung auch des Verkehrsausschusses in das Güterkraftverkehrsgesetz eingefügt wurde und von daher keine Möglichkeit besteht, gegen dieses Unwesen vorzugehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wie sich andere europäische Länder ,gegen diese wilden Abschleppdienste zur Wehr setzen?
Herr Kollege Dr. Jobst, ich habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß ähnliche Regelungen in anderen europäischen Ländern bestehen. Sie wissen, daß das Petitum des Verkehrsausschusses damals auf Grund dieser ,europäischen Regelung, und zwar der EG-Richtlinien vom 23. Juli 1962, eingeführt wurde. So kann ich hier nur pauschal feststellen, daß in anderen europäischen Ländern, insbesondere Ländern der EG, ähnliche Regelungen wie bei uns bestehen, also keine weiteren Maßnahmen gegen dieses wilde Abschleppen ergriffen werden können.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage? — Bitte!
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß die Bundesregierung langfristig bemüht ist, dieses Unwesen in den Griff zu bekommen. Ich frage Sie: Kann damit gerechnet werden, daß die Bundesregierung sich bemüht, entsprechende Maßnahmen in absehbarer Zeit zu ergreifen?
Wie ich schon dem Herrn Kollegen Schulte gesagt habe, wird sich das Verkehrsministerium mit dem Wirtschaftsministerium in Verbindung setzen, um zu prüfen, ob die Gewerbeordnung entsprechend geändert werden kann und dadurch Möglichkeiten eröffnet werden können, diesem Unwesen zu begegnen.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst, ich rufe Ihre nächste Frage, die Frage 82 auf, so daß Sie gleich am Mikrophon bleiben können:
Bis wann ist mit der Einführung der automatischen Kupplung bei der Deutschen Bundesbahn und den europäischen Eisenbahnen zu rechnen, nachdem dieser Modernisierungsmaßnahme keine technischen Schwierigkeiten mehr im Wege stehen und dabei neben der Beseitigung von Gefahrenquellen eine erhebliche Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Bahnen zu erwarten ist?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Jobst, der 'Geschäftsführende Ausschuß des Internationalen Eisenbahnverbandes — UIC — hat sich bei seiner 111. Tagung im Juni 1973 dafür ausgesprochen, den mit den östlichen Eisenbahnverwaltungen abgestimmten Termin für die Einführung der automatischen Mittelpufferkupplung bei den europäischen Bahnen um vier Jahre auf das Jahr 1985 zu verschieben, und dieses Vorgehen mit der auch international noch nicht geklärten Frage der Finanzierung des Vorhabens begründet. Der Ministerrat der Europäischen Konferenz der Verkehrsminister — der in dieser Woche zu seiner 39. Tagung in Wien zusammentritt und dabei zunächst einen Bericht des Präsidenten über dessen Kontakte mit den Oststaaten wegen der Einführung der automatischen Kupplung entgegennimmt — wird sich nach Abschluß weiterer Vorarbeiten bei der UIC voraussichtlich auf seiner Sitzung im Dezember dieses Jahres erneut mit der Sache befassen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß man sich verstärkt bemühen müßte, die Einführung zeitlich vorzuziehen, da die technischen Probleme der Einführung dieser automatischen Kupplung gelöst sind und diese Einrichtung von erheblicher Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit der Eisenbaihnen ist?
Herr Kollege Dr. Jobst, ich habe eben darauf hingewiesen, daß heute diese CEMT-Tagung in Wien begonnen hat und ein Bericht des Präsidenten vorgelegt wird. Natürlich sind die technischen Voraussetzungen mittlerweile so weit abgeklärt, und die Vorteile einer solchen Kupplung sind der Bundesregierung sehr wohl bekannt. Im übrigen hat sich die Bundesregierung bisher sehr aktiv um dieses gemeinsame Vorhaben auf gesamteuropäischer Ebene bemüht. Haben Sie aber bitte Verständnis dafür, daß ich dem Bericht des damit beauftragten Präsidenten nicht vorgreifen kann. Ich bin gern bereit, Sie nach der CEMT-Tagung, die Ende dieser Woche endet, zu informieren. Die Bundesregierung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7375
Parl. Staatssekretär Jungwird natürlich auch auf Grund dieser Tagung ihre Maßnahmen weiter verfolgen.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Herr Abgeordneter, es ist notwendig, daß Sie sich vorher an das Mikrophon begeben. Bitte!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in Verbindung mit der automatischen Kupplung ein sogenanntes Feingußverfahren vorgeschlagen worden ist, durch das angeblich einige hundert Millionen Mark eingespart werden können? Wenn die Frage heute für Sie überraschend sein sollte, wären Sie bereit, mir darauf schriftlich zu antworten?
Ich möchte Ihnen die Frage gern schriftlich beantworten, weil ich dieses Spezialproblem nicht kenne.
Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Schinzel auf:
Hält die Bundesregierung die Tatsache, daß von der Deutschen Lufthansa AG Passagier- und Frachtabkommen mit der südrhodesischen Fluggesellschaft Air Rhodesia unterhalten werden, für vereinbar mit den UN-Sicherheitsratsresolutionen 253 und 333 (1973) sowie mit den zuletzt im Bundesanzeiger Nr. 187 vom 4. Oktober 1973 veröffentlichten Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung, die „ein vollständiges Wirtschaftsembargo" gegen Südrhodesien zum Ziel haben?
Herr Kollege Schinzel, die Bundesregierung steht nach wie vor zu den vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen, die von den Mitgliedstaaten wirksame Maßnahmen zur Durchsetzung des Wirtschaftsembargos gegen Südrhodesien fordern. Sie hat daher im Außenwirtschaftsgesetz und in der Außenwirtschaftsverordnung die notwendigen Rechtsvorschriften zur Beschränkung des Wirtschaftsverkehrs mit Südrhodesien geschaffen, die sich auf alle Bereiche der Außenwirtschaft erstrecken. Sie finden auch im Bereich des Luftverkehrs Anwendung. Entsprechend diesen Bestimmungen sind keine Flüge solcher Fluggesellschaften mehr genehmigt worden, bei denen sich herausgestellt hat, daß sie sich im Eigentum und Besitz südrhodesischer Bürger befinden. Ein direkter Fluglinienverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südrhodesien findet weder durch die Deutsche Lufthansa AG noch durch andere Gesellschaften statt.
Daß die Deutsche Lufthansa AG unter voller Verantwortung des Vorstandes neben 84 anderen, dem Internationalen Lufttransport-Verband angehörenden Fluggesellschaften aus aller Welt mit Air Rhodesia ein sogenanntes Interline Agreement abgeschlossen hat, ist der Bundesregierung erst wenige Tage vor dieser Anfrage durch eine ihr von ihrer Vertretung bei den Vereinten Nationen übersandte Mitteilung des UN-Sanktionsausschusses bekanntgeworden. Der Sanktionsausschuß hat gebeten, die
Angelegenheit zu überprüfen und die Kündigung des Abkommens zu veranlassen. Die Bundesregierung weist darauf hin, daß der Abschluß von Interline Agreements allgemein weder nach den Bestimmungen des Luftverkehrsgesetzes noch nach denen der Außenwirtschaftsverordnung genehmigungspflichtig ist. Deshalb ist ihr auch das zwischen der Deutschen Lufthansa AG und der Air Rhodesia geschlossene Interline Agreement bisher nicht zur Kenntnis gelangt. Sie hat aber auf die Mitteilung des UN-Sanktionsausschusses sofort alle notwendigen Schritte eingeleitet, dieses Abkommen auf seine Vereinbarkeit mit den Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und den in Vollzug dieser Beschlüsse erlassenen Rechtsvorschriften zu überprüfen. Nach Abschluß der Prüfung werde ich Sie, Herr Kollege, schriftlich von dem Ergebnis unterrichten.
Keine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß sich eine ganze Reihe internationaler Fluggesellschaften jeglicher vertraglicher Beziehungen zur Air Rhodesia enthalten oder bestehende Vereinbarungen mit der Air Rhodesia in letzter Zeit gekündigt haben und daß die IATA auf ihrer jüngsten Konferenz in Boulder entschieden hat, allen Fluggesellschaften den sofortigen Abbruch ihrer vertraglichen oder sonstigen Zusammenarbeit mit Air Rhodesia nahezulegen, da diese gegen die UN-Sicherheitsresolution 153 aus dem Jahre 1968 verstößt?
Herr Kollege, ich habe eben bereits darauf hingewiesen, daß die Deutsche Lufthansa neben 84 Gesellschaften, also als 85. Gesellschaft, dieses Interline Agreement getroffen hat. Dafür ist keine Genehmigung durch die Bundesregierung notwendig. Sie wissen, diese Interline-Abkommen sollen es dem Fluggast ermöglichen, mit einem Ticket in Verbindung mit anderen Luftverkehrsgesellschaften ohne Schwierigkeiten in der Welt zu reisen.
Die Frage, inwieweit andere Gesellschaften mittlerweise dieses Agreement mit Air Rhodesia gelöst haben, kann ich im Augenblick nicht beantworten. Aber ich habe ja darauf hingewiesen, daß wir derzeit in der Prüfung dieser Frage stehen. Ich bin gerne bereit, Ihnen das Ergebnis dieser Prüfung schriftlich mitzuteilen und Ihnen gleichzeitig auch mitzuteilen, welche Konsequenzen diese Prüfung für die Deutsche Lufthansa AG hat.
Keine weiteren Zusatzfragen.
— Herr Kollege, Sie hätten sich etwas früher melden sollen.
— Aber bitte, wir haben heute Zeit.
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7376 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß ein internationales Abkommen von allen Teilnehmerstaaten in gleicher Weise beachtet werden muß, damit es nicht zu Handelsnachteilen für denjenigen Staat kommt, der sich daran hält, im Gegensatz zu anderen, die dies nicht tun?
Dies ist richtig, Herr Kollege Hansen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die bestehenden Regelungen unserer Außenwirtschaftsgesetzgebung ausreichend sind, um die Auflage von Reiseprogrammen nach Südrhodesien in der Bundesrepublik durch die Lufthansa oder andere Veranstalter unmöglich zu machen?
Herr Kollege, ich weise darauf hin, daß die Lufthansa keine Reiseprogramme nach Südrhodesien ausgeschrieben hat. Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß die Linien der Lufthansa zu Flügen nach Südafrika benutzt werden und daß im Anschluß daran irgendwelche Reiseveranstalter, meinetwegen mit Air Rhodesia, irgendwelche Flüge nach Südrhodesien veranstalten.
Ich bitte aber nochmals, entgegenzunehmen, daß wir den Sachverhalt prüfen werden und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, dem Fragesteller schriftlich beantworten möchten.
Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Schinzel auf:
Wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß die von der Deutschen Lufthansa AG ausgeschriebenen Gruppenreisen „African Holiday" nach Südrhodesien einschließlich der in diesen Programmen enthaltenen Teilstrecken auf Air Rhodesia ab sofort unterbleiben und daß ähnliche Gruppen- oder IT-Reisen, die das Gebiet Südrhodesiens berühren, auch von anderen Veranstaltern in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verkauft werden dürfen?
Herr Kollege Schinzel, die Bundesregierung hat erstmalig durch diese Anfrage davon erfahren, daß die Deutsche Lufthansa AG unter dem Motto „African Holiday" Gruppenreisen nach Südrhodesien ausgeschrieben haben soll. Nach der unverzüglich eingeholten Auskunft der Deutschen Lufthansa AG trifft es jedoch nicht zu, daß sie Pauschalfluggruppenreisen nach Südrhodesien ausgeschrieben hat. Es ist, wie ich soeben schon auf die vorgezogene Frage des Kollegen Lambinus antwortete, nicht auszuschließen, daß Veranstalter von Pauschalflugreisen nach Südafrika die Liniendienste der Deutschen Lufthansa AG und der South African Airways nach Johannesburg dazu benutzen, ihren Kunden Ausflüge mit anderen Gesellschaften — darunter möglicherweise Air Rhodesia von Johannesburg nach Südrhodesien anzubieten. Hiervon erhält die jeweilige Luftverkehrsgesellschaft erst durch Vorlage des von dem Veranstalter, bei dem es sich um ein IATA-Reisebüro handeln dürfte, ausgestellten Flugschein beim Abflug Kenntnis. Inwieweit diese Angebote der Veranstalter den vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegen Südrhodesien und den deutschen Rechtsvorschriften widersprechen und demgemäß — gegebenenfalls im Wege der Kontrolle des Zahlungsverkehrs — zu unterbinden sind, wird zur Zeit geprüft. Über das Ergebnis dieser Prüfung wird die Bundesregierung Sie ebenfalls schriftlich unterrichten.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung unter Umständen dem Vorbild der niederländischen Regierung folgen, die es den Fluggesellschaften KLM und TAP zur Auflage gemacht hat, alle bereits geplanten Reiseprogramme nach Südrhodesien mit und ohne Umwege zu streichen, so daß künftig in den Niederlanden keine Reiseprogramme mehr nach Südrhodesien aufgelegt werden dürfen?
Herr Kollege, ich habe soeben schon darauf hingewiesen, daß die Lufthansa keine direkten Flüge nach Südrhodesien durchführt, daß sie auch keine Reiseprogramme dieser Art angeboten hat und daß ihr solche Flüge erst bei Vorlage der Flugscheine bekanntwerden können. Aber ich möchte diese Ihre Zusatzfrage mit in die Prüfung einbeziehen, ob es möglich ist, dem Verfahren der niederländischen Regierung zu folgen bzw. in ähnlicher Form zu verfahren, und würde Sie dann gern in der Ihnen bereits angekündigten schriftlichen Antwort ebenfalls davon unterrichten.
Eine Zusatzfrage.
Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß die Lufthansa in Salisbury ein Büro unterhält und daß sie z. B. einer leitenden Angestellten der staatlichen südrhodesischen Rundfunkgesellschaft am 17. Mai dieses Jahres einen Erster-Klasse-Freiflugschein für eine Reise nach Washington zur Verfügung gestellt hat, wo sich die Betreffende im Kongreß als Lobbyistin für das illegale südrhodesische Regime betätigt hat?
Ich kann den unmittelbaren Zusammenhang dieser Zusatzfrage mit der von Ihnen eingereichten Frage nicht erkennen. Sie haben dadurch eine weitere Zusatzfrage.
— Danke.
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7377
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe Frage 85 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die zeitweise Behinderung des Transitverkehrs nach Berlin durch DDR-Behörden, die dadurch auftrat, daß die Posten an der Übergangsstelle Herleshausen-Wartha den Fahrern von Kraftfahrzeugen aus der Bundesrepublik Deutschland die Durchfahrt verweigerten, wenn sie kein D-Schild am Wagen angebracht hatten?
Herr Kollege Böhm, die am 13. Juni 1974 in Wartha von Organen der DDR entgegen der bisherigen Praxis unangekündigt erhobene Forderung, daß Transitreisende nach Berlin an im Bundesgebiet zugelassenen Kraftfahrzeugen das Nationalitätskennzeichen führen müssen, war eine Behinderung des Transitverkehrs, denn die Reisenden konnten sich auf diese Forderung nicht einstellen.
Die Bundesregierung wird diesen Vorgang im Rahmen des im Transitabkommen vorgesehenen Weges klären, um eine Wiederholung zu verhindern.
Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wäre es nach Ihrer Auffassung keine Behinderung des Transitverkehrs gewesen, wenn sich die Reisenden vorher hätten darauf einstellen können?
Das wäre für die Reisenden keine Behinderung gewesen. Aber, wie gesagt, im Transitabkommen ist diese Forderung nicht enthalten, und die Gespräche, die ja bereits heute hier in Bonn begonnen haben und morgen fortgesetzt werden, werden zur Klärung dieser Frage beitragen.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß diese Behinderung von der anderen Seite kurzfristig wieder aufgehoben wurde.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung sofort nach Bekanntgeben dieser Behinderung Schritte dagegen unternommen?
Wir haben, wie ich eben schon sagte, diese Schritte für die Gespräche, die heute und morgen stattfinden, angemeldet, und die Bundesregierung hat auch die Möglichkeit sofort wahrgenommen, die Reisenden darauf hinzuweisen, so daß hier von der Bundesregierung vorbeugend klargemacht wurde, welche Behinderungen bestehen; Behinderungen, die im übrigen aber — das muß ich noch einmal betonen — anschließend sofort zurückgenommen wurden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir mitteilen, ob Reisende aus der Bundesrepublik Deutschland in andere europäische Staaten, die kein D-Zeichen am Wagen haben, an den Grenzen zurückgewiesen werden oder nicht?
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich hier auf die Einhaltung der Richtlinien für die Fragestunde achten muß. Diese Frage steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der von Herrn Kollegen Böhm eingereichten Frage.
Frage 86 des Herrn Abgeordneten Büchner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme auf, die unter den zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern gehörenden Fragen ausgedruckt ist, aber vom Verkehrsministerium beantwortet werden soll:
Beabsichtigt die Bundesregierung, auf der Grundlage des Luftverkehrsgesetzes durch Rechtsverordnung einheitliche Regeln für zeitliche Betriebsbeschränkungen des Sport- und Übungsflugverkehrs an regionalen Luftlandeplätzen einzuführen, wobei besonders die Belange der in der Umgebung des Flugplatzes liegenden Ortschaften, Siedlungs- und Naherholungsgebiete berücksichtigt werden?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jung!
Herr Kollege Dr. Böhme, im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern beantworte ich Ihre Frage wie folgt. Die Bundesregierung hat die Länder mehrfach angehalten, je nach den örtlichen Verhältnissen, vor allem der Lage der Flugplätze zu Wohn- und Naherholungsgebieten, notwendige zeitliche und räumliche Beschränkungen des Flugbetriebs zu verfügen. Zeitliche Beschränkung des Flugbetriebs, insbesondere des Platzflugbetriebs in den Mittagsstunden der Wochenenden, sind inzwischen auf zahlreichen deutschen Flugplätzen eingeführt.
Ob darüber hinaus bundeseinheitliche zeitliche Betriebsbeschränkungen des Sport- und Übungsflugverkehrs erlassen werden, wird auf Grund der Erfahrungen mit den bestehenden Regelungen von den beteiligten Ressorts zur Zeit noch geprüft. Wenn das Ergebnis der Prüfung vorliegt, bin ich gern bereit, Ihnen darüber schriftlich Auskunft zu geben.
Keine Zusatzfrage, Herr Kollege?
— Bitte!
Wenn ich es recht verstanden habe, haben Sie jetzt beide Fragen gemeinsam beantwortet.
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7378 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Nein.
Herr Kollege, Ihre andere Frage, die Frage 31, bleibt ja nach der Ordnung des Hauses beim Bundesminister des Innern, und das Bundesministerium des Innern muß unabhängig hiervon darauf noch antworten. — Daran kann wohl kein Zweifel sein, Herr Staatssekretär Baum.
Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen?
— Bitte!
Ja. Gibt es Erfahrungswerte über die Lärmbelästigung durch regionale Luftlandeplätze, und wäre die Bundesregierung bereit, dem Haus diese Erfahrungswerte bekanntzugeben?
Ich glaube, diese Frage sollte vom Innenministerium beantwortet werden, weil die Messungen der Lärmbelästigung ja vom Innenministerium bzw. dessen nachgeordneten Behörden durchgeführt werden und weil bestimmte Regelungen für Flugplätze — auch im Rahmen des Fluglärmgesetzes ebenfalls in die Zuständigkeit des Innenministeriums fallen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Baum zur Verfügung.
Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Anwendungsbereich des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm auch auf regionale Luftlandeplätze, auf denen nur Flugzeuge mit Kolbenmotoren starten und landen können, auszudehnen, und welche Erfahrungswerte über die Lärmbelästigung in der Umgebung von regionalen Luftlandeplätzen liegen vor?
Bitte, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Dr. Böhme, die Bundesregierung hat bereits im Umweltprogramm festgestellt, daß sich im zivilen Bereich der Fluglärm besonders belastend — unter anderem durch niedrig fliegende Sportflugzeuge — auswirkt. Im Umweltprogramm hat die Bundesregierung daher angekündigt, sie werde „im Rahmen der luftrechtlichen Vorschriften darauf hinwirken, daß die Möglichkeiten für eine zeitliche Beschränkung des Motorflugsports durch die zuständigen Bundes- und Landesbehörden unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen und technischen Verhältnisse weiter ausgeschöpft werden." Der Herr Kollege Jung hat bereits darauf hingewiesen, daß die Vorarbeiten für derartige Vorschriften inzwischen weiter fortgeschritten sind. Es ist noch offen, ob sie durch den Bund oder die Länder erlassen werden sollen.
Kern einer solchen Regelung müßte nach Ansicht der Bundesregierung sein, daß die vorgesehenen zeitlichen Einschränkungen, insbesondere in Erholungszeiten, dann nicht gelten, wenn die Flugzeuge den erhöhten Schalischutzanforderungen entsprechen. Im übrigen sind Lärmgrenzwerte für Propellerflugzeuge bereits 1972 festgelegt worden.
Nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm sollen dagegen — außer für bestimmte Verkehrsflughäfen und militärische Flugplätze — Lärmschutzbereiche nur für solche anderen Flugplätze festgelegt werden, die dazu bestimmt sind, dem Betrieb von Flugzeugen mit Strahltriebwerken zu dienen. Ob eine Ausdehnung des Fluglärmgesetzes mit seinen weitreichenden Vorschriften — unter anderem Bauverbote und Schallschutzauflagen — auch auf andere Flug- und Landeplätze erforderlich ist, kann heute, Herr Kollege, noch nicht entschieden werden. Genaue Werte über den Umfang der Lärmbelästigung in der Umgebung von Landeplätzen liegen der Bundesregierung noch nicht vor. Um einen Überblick über den Grad der Lärmbelästigung an diesen Landeplätzen zu erhalten, hat die Bundesregierung eine Untersuchung in Auftrag gegeben, mit deren Ergebnissen Anfang des nächsten Jahres zu rechnen ist. In Beantwortung Ihrer Zusatzfrage von vorhin möchte ich gleich hinzufügen, daß die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Untersuchung dem Hause selbstverständlich bekanntgeben wird.
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Wäre es möglich, in diese Antwort auch die Erfahrungen mit einzubeziehen, die auf Grund Ihres Rundschreibens vom 30. August 1973 an die Länder mit einer zeitlichen Einschränkung des Flugbetriebs gemacht worden sind?
Das ist beabsichtigt, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.Die Frage 33 ist vom Fragesteller, dem Herrn Abgeordneten Dr. Marx, zurückgezogen worden.Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß die DKP bei der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg 10 % der männlichen Wähler bis zu 25 Jahren gewinnen und daß DKP und SDAJ ihre Mitgliederzahl 1973 um je rd. 10 % steigern konnten?Bitte, Herr Staatssekretär!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7379
Herr Kollege Miltner, nach einer vom Statistischen Landesamt der Freien und Hansestadt Hamburg am 27. März 1974 veröffentlichten Mitteilung der ersten Ergebnisse einer repräsentativen Wahlstatistik aus 61 Wahlbezirken für die Bürgerschaftswahl am 3. März 1974 haben 10 % der männlichen Wähler im Alter von 18 bis 25 Jahren und 5,7 % der weiblichen Wähler in diesem Alter die DKP gewählt.
Die Mitgliederzahl der DKP im Bundesgebiet hat sich nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden von rund 36 000 Ende 1972 auf etwas über 39 000 Ende 1973 erhöht. Die Mitgliederzahl der SDAJ ist dagegen von Ende 1972 auf Ende 1973 mit rund 12 000 annähernd gleichgeblieben.
Herr Staatssekretär, können Sie schon Angaben machen über die nachfolgenden Kommunal- oder Landtagswahlen in bezug auf die Prozentzahlen der bis 25jährigen?
Herr Kollege, das ist sehr schwierig, weil die Altersgruppierungen immer unterschiedlich zusammengefaßt sind. Es gibt Statistiken, die die Erstwähler erfassen, und es gibt Erfassungen, die so vorgenommen worden sind wie in Hamburg, nämlich für das Alter von 18 bis 25 Jahren. Es gibt Vergleichszahlen zu anderen Wahlen, Bürgerschaftswahlen, Landtags-, Senatswahlen und Bundestagswahlen, die ich Ihnen jetzt im einzelnen nicht darlegen kann. Interessant ist möglicherweise für Sie, daß bei Bundestagswahlen diese Ergebnisse immer ganz anders, nämlich ungünstiger für die DKP, aussehen.
Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.
Gibt es auch schon neue Angaben über die Zahl der Mitglieder der DKP, also nicht von 1973, sondern schon von 1974?
Die Zahlen, die ich hier vorgetragen habe, haben nach unseren Erkenntnissen auch jetzt noch Geltung.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Wann wird der Bundesinnenminister den ihm schon vor Monaten vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Entwurf vorgelegten Verfassungsschutzbericht 1973 mit Erkenntnissen über die Entwicklung des politischen Radikalismus von rechts und links, z. B. die Tatsache, daß in den Gewerkschaften neben anderen Linksradikalen allein über 30 000 DKP-Angehörige als Mitglieder oder Funktionäre tätig sind, über die Spionageabwehr und über die Tätigkeit politisch radikaler Ausländer dem Bundestag und der Offentlichkeit vorlegen?
Der Verfassungschutzbericht 1973 wird wie in den früheren Jahren in der Jahresmitte, d. h. in den nächsten Wochen, veröffentlicht werden. Minister Maihofer ist wie sein Amtsvorgänger bemüht, der Offentlichkeit einen möglichst umfassenden Bericht über die Beobachtungsergebnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder vorzulegen. Auch diesmal hat der Bundesminister des Innern einige Ergänzungen des Berichtes für erforderlich gehalten, die zu Rückfragen, zu weiteren Ermittlungen und damit zu einem gewissen zusätzlichen Zeitaufwand führten. Diese Arbeiten sind jetzt aber nahezu abgeschlossen.
Zu dem in der Frage enthaltenen Hinweis, Herr Kollege, daß in den Gewerkschaften neben anderen Linksradikalen allein über 30 000 DKP-Angehörige als Mitglieder oder Funktionäre tätig sein sollen, hat die Bundesregierung bereits am 17. Januar dieses Jahres auf eine Schriftliche Frage des Kollegen Engelsberger ausführlich Stellung genommen. Ausgangspunkt war damals eine Behauptung des DKP- Vorsitzenden Mies, wonach fast 85 % der Mitglieder der DKP, wie Mies behauptet hat, Gewerkschaftsmitglieder sein sollten. Die Bundesregierung hatte in ihrer Antwort darauf verwiesen, daß diese zahlenmäßige Angabe nicht nachprüfbar sei, daß es sich aber — die Richtigkeit einmal unterstellt — um einen Anteil von weit unter 1 % der Gewerkschaftsmitglieder handeln würde. Denn, so wurde damals ausgeführt, die DKP hatte nach eigenen Angaben am Jahresende 1972 rund 39 350 Mitglieder, so daß danach rund 34 000 DKP-Mitglieder gewerkschaftlich organisiert wären. Die Bundesregierung hatte damals darauf hingewiesen, daß allein der Deutsche Gewerkschaftsbund schon fast 7 Millionen Mitglieder umfaßt.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, halten Sie die Vorlage des Verfassungsschutzberichtes 1973 so spät für gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß die Sicherheitsorgane ja mit diesem Bericht arbeiten müssen und daß, wenn er nun erst in den Sommermonaten herauskommt und den Beamten nach der Urlaubszeit vorliegt, er dann überholt und weitgehend schon Makulatur geworden ist?
Herr Kollege, ich vermag Ihre Feststellungen nicht zu teilen, und zwar weder die erste Feststellung, daß der Bericht so spät vorgelegt wird, denn die Vorlage des Berichts ist in den letzten Jahren immer um diese Zeit herum erfolgt, noch die zweite Feststellung, denn ich bin der Meinung, daß die Offentlichkeit und auch die von Ihnen zitierten Behörden daran interessiert sind, einen Bericht in die Hand zu bekommen, mit dem sich arbeiten läßt und der sich sehen lassen kann.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Trotzdem muß ich Sie fragen: Glauben Sie nicht, daß diese späte Vorlage
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7380 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. Miltnernicht mit dem Prinzip des positiven Verfassungsschutzes vereinbar ist?
Herr Kollege, ich widerspreche erneut Ihrer Feststellung, daß es sich um eine späte Vorlage handelt. Der Bericht ist immer um die Jahresmitte gegeben worden. Bisher haben wir mit diesem Termin keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Auch die von Ihnen genannten Stellen und auch dieses Haus haben an dieser Terminierung nie Anstoß genommen.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann auf:
Wie kann verhindert werden, daß Genehmigungsverfahren für großtechnische Anlagen durch unqualifizierte Einsprüche ohne Risiko für den Einsprechenden auf absehbare Zeit aufgehalten werden und damit eine Blockierung der wirtschaftlichen Entwicklung erfolgt?
Herr Kollege, das Genehmigungsverfahren für großtechnische Anlagen wird mit Ausnahme des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens im Bundesimmissionsschutzgesetz — § 4 ff. — geregelt. Die Durchführung des Verfahrens ist jedoch Angelegenheit der Länder, die auch die jeweils zuständigen Genehmigungsbehörden festlegen. Die Genehmigungsbehörden haben die rechtzeitig gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen mit den Einwenden zu erörtern. Dabei haben sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, inwieweit diese Einwendungen qualifiziert sind und berücksichtigt werden müssen. Die Einwendungen dürfen dabei nicht nur als Hemmnis für eine schnelle Abwicklung des Genehmigungsverfahrens angesehen werden. Sie sollen auch eine Hilfe für die Genehmigungsbehörden sein, sich rasch und umfassend über den für die Entscheidung wesentlichen Sachverhalt zu informieren.
Es wird zwar nicht verkannt, daß Einwendungen zur Verzögerung im Verfahrensablauf führen können. Das darf aber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht dazu führen, daß Rechtsinstitut der Einwendung prinzipiell einzuschränken, sondern sollte eher zum Anlaß für eine verstärkte Information der Betroffenen — auch über gesamtwirtschaftliche Belange und überregionale Notwendigkeiten — durch die Verwaltungen und Regierungen der Länder genommen werden.
Im übrigen sieht § 9 des Bundesimmissionsschutzgesetzes vor, daß auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage vorab entschieden werden kann, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides besteht.
Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich diesen Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Bundesregierung offensichtlich mit dem zeitlichen Ablauf dieser Genehmigungsverfahren einverstanden ist und keine Veranlassung sieht, auf die Länder Einfluß zu nehmen, um a) die Verfahren zu vereinheitlichen und b) in einen verantwortbaren zeitlichen Ablauf zu bringen?
Herr Kollege, ich möchte zunächst bemerken, daß das von mir vorgetragene Verfahren auf Grund eines Gesetzes erfolgt, das dieses Hohe Haus einstimmig im Frühjahr dieses Jahres beschlossen hat.
Zweitens möchte ich Ihnen widersprechen, wenn Sie in Ihrer Frage den Eindruck erwecken, daß Verzögerungen die Regel seien. Uns ist von solchen Verzögerungen durch unqualifizierte Einwendungen nichts bekannt.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß das Instrumentarium der Einwendungen im Interesse demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten und im Interesse unseres Umweltschutzes notwendig ist.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß sich die Bundesregierung eventuell bemühen wird, Unterlagen darüber zu bekommen, ob es solche Verzögerungen gibt, da offensichlich Ihre Erfahrungen und die meinen über den Zeitablauf auseinandergehen?
Wir werden uns sicher um solche Unterlagen bemühen, Herr Kollege. Sollte, was ich nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen nicht annehme, mit diesem Rechtsinstitut ein Mißbrauch getrieben werden, würden wir sicherlich Folgerungen daraus ziehen. Aber das ist, wie gesagt, bisher nicht erkennbar.
Dann rufe ich Frage 54 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann auf:
Wie kann verhindert werden, daß das im Genehmigungsverfahren offenbarte umfangreiche technische Wissen Unbefugten zugänglich wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Regelung des Genehmigungsverfahrens nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz sieht ausdrücklich vor — in § 10 Abs. 2 —, daß Unterlagen, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten, zu kennzeichnen und getrennt den Genehmigungsbehörden vorzulegen sind. Solche Unterlagen sind auch nicht zur Einsichtnahme durch Dritte auszulegen.
Diese Vorschrift ist geeignet, zu verhindern, daß geheimgehaltene Betriebsinterna an die Öffentlichkeit gelangen. Die Vorschrift des § 10 ist das Er-
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Parl. Staatssekretär Baum
gebnis einer Güterabwägung zwischen dem Schutz des Betriebsgeheimnisses einerseits und dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung andererseits
Zusatzfrage?
Darf ich davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß das im Runderlaß von Nordrhein-Westfalen am 1. August 1973 festgelegte Verfahren ausdrücklich darauf Bezug nimmt und also der Hinweis, daß die Unterlagen darüber hinaus in einer zentralen ,Datenbank erfaßt werden, diesen Bereich ausschließt?
Ich kann keinen Widerspruch zwischen diesem Runderlaß und dem Grundgedanken des von diesem Haus beschlossenen Gesetz erkennen, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Baum, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die beiden ersten Fragen sind von dem Herrn Abgeordneten Schmidhuber eingebracht. Ich frage den Herrn Staatssekretär und den Herrn Fragesteller, ob gegebenenfalls die Beantwortungen verbunden werden sollen. Oder wollen Sie die Fragen einzeln beantworten?
— Sie werden einzeln beantwortet. Dann rufe ich zunächst die Frage 36 auf:
Hält die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung des Reiseveranstaltervertrags neben einer Neuregelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen für erforderlich?
Bitte! — Herr Staatssekretär de With steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Der Bundesminister der Justiz hält eine gesetzliche Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages neben einer Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für erforderlich. Der Grund ist darin zu sehen, daß die rechtspolitischen Zielsetzungen der beiden Gesetzesvorhaben sich nicht decken. Die Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen verfolgt das Ziel, den Verbraucher allgemein gegenüber unbilligen Vertragsbedingungen zu schützen, die einseitig zu seinen Lasten von den dispositiven Bestimmungen des bürgerlichen Rechts abweichen und damit den vom Gesetzgeber angestrebten angemessenen Ausgleich der Interessen der Vertragsparteien beeinträchtigen. Insbesondere soll durch gesetzliche Festlegung sogenannter unzulässiger Klauseln verhindert werden, daß in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Gesetzesrechts mißachtet wird. Dagegen geht es bei der Normierung des gesetzlich bisher nicht geregelten Reiseveranstaltungsvertrages auch darum, die wesentlichen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien und damit das „Leitbild" ihrer Rechtsbeziehungen überhaupt erst durch den Gesetzgeber festzulegen. Die Regelung des Reiseveransaltungsvertrages stellt damit einen ersten Schritt auf dem Wege dar, auch andere Vertragstypen, die bisher nicht oder nur unzureichend normiert sind, gesetzlich zu regeln.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht zweckmäßiger, eine Verbesserung der Rechtsstellung der Reisenden über entsprechende Änderungen der allgemeinen Reisebedingungen zu erreichen?
Die Frage ist zunächst einmal, wie das erreicht werden soll, vom Gesetzgeber oder durch die Reisegesellschaften selbst. Wir meinen, daß am besten eine Besserstellung durch eine gesetzliche Regelung erfolgt.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, führt ein Sondergesetz für den Reiseveranstaltervertrag nicht zu einer rechtspolitisch unerwünschten Zersplitterung des bürgerlichen Rechts, insbesondere des Rechts der besonderen Schuldverhältnisse?
Ganz sicher dann nicht, wenn hier der Betroffene, d. h. der Reisende, des Schutzes bedarf.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Wildwuchs der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ebenfalls und noch in verstärktem Umfang zu einer Zersplitterung des Schuldrechts führen kann?
Ich stimme Ihnen zu.
Ich rufe die nächste Frage, die Frage 37, des Herrn Abgeordneten Schmidhuber auf.
Beabsichtigt die Bundesregierung, in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Gesetzes über den Reiseveranstaltervertrag vorzulegen?
Der Bundesminister der Justiz
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7382 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Dr. de Withbeabsichtigt, in dieser Legislaturperiode einen Kabinettsentwurf eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag vorzulegen. Es versteht sich von selbst, daß der Kabinettsentwurf erst nach ausführlichen Erörterungen mit den betroffenen Verbänden und den Ländern erstellt wird. Mit den Verbänden hat es überdies bereits eine Reihe von Erörterungen gegeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, rechnen Sie damit, daß ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann?
Zumindest hat der Bundesminister der Justiz vor, einen Entwurf bis zur Kabinettsreife gedeihen zu lassen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Schöfberger auf. Herr Staatssekretär!
Wie beurteilt die Bundesregierung Beschlüsse bayerischer Kreistage , wonach in den Kreiskrankenhäusern nach dem Inkrafttreten des 5. Strafrechtsänderungsgesetzes — ungeachtet der Gewissensfreiheit der Ärzte und des Pflegepersonals — keine Schwangerschaftsunterbrechungen vorgenommen werden dürfen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat von den Beschlüssen einiger Kreistage Kenntnis genommen, wonach nach der Reform der strafrechtlichen Regelung über die Schwangerschaftsunterbrechung keine entsprechenden medizinischen Behandlungen vorgenommen werden sollen. Eine solche Beschränkung des Angebots ärztlicher Leistungen ist allgemein und insbesondere in dem Fall zu bedauern, daß die Schwangere überzeugende Gründe für die Schwangerschaftsunterbrechung geltend machen kann.
Rechtlich ist zu den angeführten Beschlüssen einiger Kreistage folgendes zu bemerken.
Das 5. Strafrechtsreformgesetz nimmt die Strafdrohung wegen Schwangerschaftsunterbrechung während ,der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis unter bestimmten Voraussetzungen zurück, sieht für die Krankenhausträger aber keine Verpflichtung vor, in ihren gynäkologischen Abteilungen Schwangerschaftsunterbrechungen vornehmen zu lassen. Die Begründung einer solchen Behandlungspflicht in einem Strafgesetz wäre auch ganz ungewähnlich. Gleichwohl stellt eine solche strafrechtliche Regelung einen Teil der allgemeinen Rechtsordnung dar und ist als solche gerade auch für Träger öffentlicher Einrichtungen relevant. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Bundesgesetzgeber der Gewissensfreiheit der Ärzte und des Pflegepersonals durch Zubilligung eines Weigerungsrechts voll Rechnung getragen hat. Eine ablehnende Haltung öffentlicher Krankenhausträger wäre deshalb bedauerlich. Eine ablehnende Haltung öffentlicher Krankenhausträger wäre aber auch deshalb zu bedauern, weil damit die Chance einer intensiven Beratung zum Schutz des werdenden Lebens nicht wahrgenommen würde.
Die in der Offentlichkeit aufgeworfene Frage, ob die erwähnten Kreistagsbeschlüsse rechtlich angreifbar sind, und ob die Länder etwa gehalten sind, im Wege der Kommunalaufsicht gegen solche Beschlüsse vorzugehen, wird unterschiedlich beurteilt. Wie Ihnen sicher bekannt sein wird, hat Professor Eschenburg vor einigen Tagen in der „Zeit" — ich verweise auf die Ausgabe vom 14. Juni 1974 — die Auffassung vertreten, die Länder seien aus dem Gesichtspunkt der Bundestreue gehalten, einem Unterlaufen der Entscheidung des Gesetzgebers auf der kommunalen Ebene entgegenzutreten. Für diese Auffassung lassen sich sicherlich beachtliche Gesichtspunkte anführen. Es ist jedoch auch zu bedenken, daß der Grundsatz der Bundestreue, der diesen Erwägungen zugrunde liegt, wegen seines noch weitgehend ungeklärten Inhalts und Anwendungsbereichs im Einzelfall schwierig zu handhaben ist. Eine abschließende Entscheidung wird daher gegebenenfalls nur von den Gerichten getroffen werden können.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es kein kollektives „Landkreisgewissen" geben kann, das per Mehrheitsbeschluß über die individuelle Gewissensentscheidung der einzelnen Ärzte und des Pflegepersonals gestellt werden könnte?
Ein kollektives Landkreisgewissen kann es sicherlich nicht geben.
Herr Staatssekretär, wie ist diese Angelegenheit nach Ihrer Ansicht arbeitsrechtlich zu beurteilen, wenn sich ein Arzt weigert, einen solchen Landkreisbeschluß durchzuführen, und demzufolge eine Schwangerschaftsunterbrechung vornimmt?
Diese Frage ist, wie ich sehe, bisher nicht entschieden und bedarf ganz sicher noch der Entscheidung. Aber ich würde prospektiv meinen, daß es sicherlich nicht einfach wäre, daraus herzuleiten, daß eine Entlassung möglich ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Landrat des hier angesprochenen Kreises Deggendorf ein promi-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7383
Nordlohnenenter Sozialdemokrat und Ex-MdB ist, nämlich Herr Fritsch?
Sicherlich, Herr Kollege!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in verschiedenen Kreistagen erwogen wird, die Anstellung von Ärzten an landkreiseigenen Krankenhäusern davon abhängig zu machen, daß diese sich verpflichten, keine legalen Eingriffe vorzunehmen?
Hier ist zunächst eine politische Antwort zu erteilen. Im Grunde liefe das darauf hinaus, daß der Versuch unternommen würde, gegen einen Mehrheitsbeschluß des Bundestages etwas ausrichten zu wollen dergestalt, daß in Teilen des Landes Schwierigkeiten für die betroffenen Frauen entstünden.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Beschluß des Kreistages Deggendorf, daß in den landkreiseigenen Krankenhäusern keine Schwangerschaftsunterbrechungen vorgenommen werden dürfen, auf einen Antrag des SPD-Landrats zurückzuführen ist, und stimmen Sie mir zu, daß diese Entscheidung des Krankenhausträgers auch Ausfluß der Gewissensfreiheit der Kreistagsmitglieder ist?
Was das erste anlangt, so habe ich dies aus den Zeitungen entnommen. Was das zweite betrifft, kann ich nicht leugnen, daß davon auszugehen ist, daß solche Abstimmungen auf Grund einer Gewissensentscheidung des jeweils betroffenen Kreistagsmitgliedes gefällt werden.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger auf. Das ist die Frage 39:
Sind der Bundesregierung in jüngster Zeit Fälle bekanntgeworden, in denen Untersuchungs- und Strafgefangene mit Psychopharmaka, Zwangsnarkose, zwangsweiser Untersuchung der Geschlechtsorgane und Schlafentzug behandelt wurden?
Herr Staatssekretär, bitte!
Die Behandlung der Anstaltsinsassen im Vollzug der Untersuchungs- und Strafhaft fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Landesjustizverwaltungen. Gesetzwidrige Behandlungen im Sinne Ihrer Frage sind der Bundesregierung nicht bekanntgeworden. Im übrigen wäre die Bundesregierung selbstverständlich jeder ihr bekanntgewordenen drohenden ungesetzlichen Behandlung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegengetreten.
Keine Zusatzfragen. Herr Staatssekretär, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Ich danke Ihnen.
— Herr Kollege, in meinem Exemplar der Fragen, das hier als Grundlage der Sitzung dient, ist das nicht enthalten. Aber ich will das einmal klären. Wenn Sie noch einen Augenblick hierbleiben würden, würde ich Sie gegebenenfalls dann wieder aufrufen.
Weshalb werden die Ausbeuteergebnisse von Probeabtrieben, die auf Antrag des Abfindungsbrenners unter Überwachung des Zollaufsichtsdienstes ermittelt werden , nicht in gleicher Weise wie die Abtriebsergebnisse, die bei amtlich veranlaßten sogenannten Kontrollbränden von dem gleichen Aufsichtsdienst festgestellt werden, bei der Berechnung der Bezirksausbeutesätze, wie sie nach § 125 der Brennereiordnung von dem zuständigen Hauptzollamt anzuordnen sind, mitberücksichtigt?
Herr Staatssekretär Porzner, würden Sie die Frage beantworten?
Ziel der amtlichen Ausbeuteermittlungen in Abfindungsbrennereien ist es, die Betriebsergebnisse bei der Verarbeitung von Obst durchschnittlicher Qualität unter normalen, nicht absichtlich verschlechterten Betriebsbedingungen festzustellen. Die gesetzlichen Bestimmungen schreiben deshalb auch vor, daß amtliche Ausbeuteermittlungen unangekündigt durchzuführen sind. Nur wenn in einer größeren Anzahl von Brennereibetrieben mit unterschiedlicher Geräteausstattung ohne Ankündigung Kontrollbrände durchgeführt werden, kann sich ein zutreffendes Bild der tatsächlichen Ausbeuteverhältnisse ergeben.Von Abfindungsbrennern werden Probebrände dagegen nur dann beantragt, wenn das zur Verarbeitung gelangende Obstmaterial eine so mäßige unterdurchschnittliche Qualität aufweist, daß eine Ausbeute in Höhe des festgesetzten Satzes von vornherein nicht erwartet werden kann. Die im allgemeinen weit unter der Norm liegenden Ergebnisse dieser Probebrände würden bei einer Einbeziehung in die amtlichen Ausbeuteermittlungen das Gesamtergebnis verfälschen und so zu Festsetzungen von Ausbeutesätzen führen, die den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen. Nachteile erwachsen den Brennern aus dem angewandten Verfahren nicht, da die tatsächlichen Ausbeuten der Probebrände den Antragstellern in jedem Fall individuell zugebilligt werden.
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7384 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt die Brennereiordnung den Hauptzollämtern nicht eine viel größere — pflichtgemäße — Ermessensentscheidung — in § 125 dieser Brennereiordnung. heißt es etwa, daß auch ohne besondere Ermittlungen der Ausbeutesatz festgesetzt werden kann, wenn ansonsten über die Ausbeute hinreichende Erfahrungen vorliegen —, und zählen zu diesen Erfahrungen nicht auch die Ergebnisse solcher Abtriebe, die auf Grund von Probebränden stattfinden?
Herr Kollege, ich habe immer Verständnis, wenn man versucht, zwei Zusatzfragen in einer Frage unterzubringen. Aber ich bitte auch um Ihr Verständnis, daß ich das nicht zulassen kann.
— Nein, Sie haben das nur mit „und" verbunden. Das sind natürlich zwei.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Wenn die Praxis, Herr Hauser, abweichen sollte von dem, was ich soeben vorgetragen habe, dann wird das Finanzministerium der
) Sache nachgehen.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Teilt die Bundesregierung die von Experten vertretene Auffassung, daß die Einführung der 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst ab 1. Oktober 1974 eine Personalvermehrung um 100 000 Stellen und damit eine Personalkostenmehrbelastung von mindestens 3,5 Milliarden DM pro Jahr verursachen wird?
Herr Präsident, darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Gerster zusammen beantworten?
Wenn das Recht, Zusatzfragen zu stellen, unbenommen bleibt, gern.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
In welchem Umfang kann durch Rationalisierungsmaßnahmen ohne Leistungsabbau die Dienstzeitverkürzung abgefangen werden, und welche Maßnahmen sind bereits eingeleitet?
Die Bundesregierung wird aus Anlaß der Arbeitszeitverkürzung grundsätzlich keine Personalvermehrung im Haushalt 1975 vorsehen. Vielmehr soll der entsprechende Mehrbedarf durch Ausschöpfung aller Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeglichen werden. Auch der Haushaltsplan 1974 enthält keine zusätzlichen Stellen aus Anlaß der Arbeitszeitverkürzung.
Für die reinen Betriebsverwaltungen — das sind im wesentlichen Bahn und Post — wird zur Vermeidung eines Leistungsabbaus eine Personalvermehrung allerdings nicht ganz zu umgehen sein. Es wird jedoch zur Zeit geprüft, inwieweit dieser Mehrbedarf durch neue Rationalisierungsmaßnahmen sowie dadurch ausgeglichen werden kann, daß die Personalbedarfsberechnungen auf Grund bereits laufender Rationalisierungsmaßnahmen berichtigt werden.
Für die Länder und Gemeinden liegen der Bundesregierung noch keine Unterlagen darüber vor, in welchem Umfang unter Berücksichtigung bestehender Rationalisierungsmöglichkeiten eine Personalvermehrung aus Anlaß der Arbeitszeitverkürzung tatsächlich erforderlich wird. Die Bundesregierung erwartet aber, daß sich auch Länder und Gemeinden bemühen, Personalvermehrungen auf die reinen Betriebsverwaltungen zu beschränken.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir mitteilen, welche Kostenvermehrungen im Rahmen der Bundesverwaltung, der Sonderbehörden und dergleichen mehr für 1975 konkret zu erwarten sind?
Ich kann das gegenwärtig nicht. Aber wenn es möglich sein sollte, werde ich Ihnen diese Zahl übermitteln.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir freundlicherweise noch einmal verdeutlichen, in welchen Verwaltungszweigen diese Arbeitszeitverkürzung durch Rationalisierung aufgefangen werden kann?
Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich sage: Bei der Vielfalt der Dienstleistungen und Betriebsaufgaben, die vom öffentlichen Dienst bewältigt werden, ist es im Rahmen einer Fragestunde nicht möglich, diese Frage in wenigen Minuten auch nur andeutungsweise zu beantworten.
Bitte, Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, steht die Bundesregierung zu der Äußerung des Bundeskanzlers Schmidt, der am letzten Sonntag abend im Fernsehen ausführte, daß in Teilen der Bundesverwaltung trotz Arbeitszeitverkürzung und
Gerster
trotz der Tatsache, daß hier von Rationalisierung nicht die Rede sein kann, die gleiche Arbeitsleistung erbracht werden kann?
Ja, sie steht zu der Äußerung des Bundeskanzlers, so wie er sie gemacht hat. Es ist z. B. nicht notwendig, in den Ministerien, dort also, wo die Gesetzgebungs- und Verwaltungsarbeit üblicherweise geleistet wird, wegen der Arbeitszeitverkürzung mehr Personal einzustellen.
Eine Zusatzfrage hat der Kollege Gerster.
Herr Staatssekretär, müßte dann nicht, wenn diese Aussage zutrifft, davon ausgegangen werden, daß zumindest im Bereich der inneren Verwaltung die Beamten, Angestellten und Arbeiter in 42 Stunden bisher nicht voll gearbeitet haben, wenn man nunmehr glaubt, bei einer Arbeitszeitverkürzung dasselbe Arbeitsergebnis erreichen zu können - und dies, obwohl z. B. die Beamten gehalten sind, ihre volle Arbeitskraft in den Dienst des Staates oder des Dienstherrn zu stellen?
Nein, davon brauchen Sie nicht auszugehen. Wir gehen vielmehr davon aus, daß die Arbeitszeitverkürzung — gerade in Ministerien — dadurch ausgeglichen werden kann, daß in den Referaten die Arbeit intensiviert und konzentriert wird.
Herr Abgeordneter Hansen, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Pressemeldungen bestätigen, nach denen Herr Ministerpräsident Kohl seinen Beamtenapparat in Rheinland-Pfalz ganz besonders intensiv und unverhältnismäßig ausgeweitet hat?
Herr Kollege, ich glaube, dies ist nicht eine Frage, die Sie an die Bundesregierung richten konnten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Hält die Bundesregierung die von verschiedenen großen Banken und Sparkassen angekündigten Erhöhungen der Gebühren für Lohn- und Gehaltskonten angesichts der den Geldinstituten aus hochverzinsten Dispositionskrediten und dem Bodensatz zufließenden Gewinne für gerechtfertigt, und welche Möglichkeiten sieht sie, die Kostenkalkulationen -der Geldinstitute zu überprüfen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die Kostenkalkulationen von Kreditinstituten zu überprüfen, falls sie ihre Gebühren für Lohn- und Gehaltskonten im Hinblick auf die gestiegenen Personalkosten in diesem lohnintensiven Dienstleistungsbereich erhöhen sollten. Die Bankkunden werden vor unangemessen hohen Entgelten für die Führung von Lohn- und Gehaltskonten am besten durch den intensiven Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten geschützt.
Die Bundesregierung hat durch die Verordnung über Preisangaben sichergestellt, daß die Kreditinstitute den einzelnen Bürger über die geforderten Gebühren in den Massengeschäften durch einen Aushang im Schalterraum unterrichten. Es liegt daher an jedem einzelnen, ob er seine Geschäftsverbindungen mit Kreditinstituten, die höhere Gebühren verlangen, aufrechterhält oder sein Konto bei einem Institut führen läßt, das geringe Gebühren fordert.
Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es auch jetzt noch Kreditinstitute gibt, die für die Führung von Lohn- und Gehaltskonten keine Gebühren berechnen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn für gerechtfertigt, daß die doch erheblichen Einsparungen durch bargeldlose Überweisung von Gehältern und Löhnen bei den Arbeitgebern und auch, was die öffentliche Hand angeht, etwa von Rundfunkgebühren jetzt den Arbeitnehmern durch die Erhöhung von Kontengebühren einseitig zur Last fallen?
Herr Abgeordneter, ich verweise auf die Antwort, die ich soeben gegeben habe. Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, in Einzelkalkulationen und Entscheidungen von Unternehmungen einzugreifen. Soweit das Kartellgesetz verletzt würde, würde selbstverständlich das Kartellamt handeln.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Anknüpfend an Ihre letzte Bemerkung möchte ich Sie fragen, ob Sie es denn nicht für möglich halten, daß die gleichzeitige Erhöhung von Kosten für Gehaltskonten darauf schließen läßt, daß es sich hier um abgestimmte Verhaltensweisen zwischen den Geldinstituten handelt.
Dieser Schluß läßt sich nicht unbedingt ziehen. Denn auf Grund von Entwicklungen in der Wirtschaft können Kostenerhöhungen für alle Kreditinstitute zu gleicher Zeit entstehen.
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7386 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Seiters auf:
Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, oder was gedenkt sie zu tun, um Landwirte an der deutsch-niederländischen Grenze, die landwirtschaftliche Nutzflächen zu Eigentum in den Niederlanden haben bei der Bemessung der Einkommensteuer vor einer ungerechtfertigten Doppelbesteuerung, die sich vor allem aus der Berechnung des Gewinnzuschlags für übernormale Tierhaltung ergibt, zu schützen?
Frau Präsidentin, darf ich auch hier beide Fragen zusammen beantworten?
Wenn der Herr Abgeordnete einverstanden ist?
Ja.
Das ist der Fall.
Ich rufe also auch die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Seiters auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es ungerecht ist, daß Landwirte an der deutsch-niederländischen Grenze für in den Niederlanden gelegene landwirtschaftliche Nutzflächen in den Niederlanden volle Einkommensteuer entrichten müssen und daß die aus der Tierhaltung dieser Flächen entstandenen Einkünfte in der Bundesrepublik Deutschland teilweise nochmals besteuert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Seiters, Sie sprechen die sogenannten Traktatländereien an, mit denen das Bundesfinanzministerium in jüngster Zeit befaßt war, weil Fragen der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen und der Abgrenzung von landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung in einzelnen Oberfinanzbezirken unterschiedlich beurteilt wurden. Auf Bitte des Bundesfinanzministers hat das Finanzministerium Nordrhein-Westfalen diesen Komplex, der allerdings nicht unmittelbar mit Fragen der Doppelbesteuerung zu tun hat, geprüft und für eine einheitliche steuerliche Behandlung der betroffenen deutschen Landwirte gesorgt, die durchweg zu deren Gunsten ausfällt. Eine ungerechtfertigte Doppelbesteuerung, wie Sie sie befürchten, dürfte es nicht geben, weil mit den Niederlanden ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, das eine doppelte Besteuerung von Einkünften in den Niederlanden und in der Bundesrepublik —: und zwar gerade auch für Landwirte und landwirtschaftliche Betriebe — ausschließen soll. Möglicherweise liegen Besteuerungsüberschneidungen vor, wie sie z. B. durch unterschiedliche Vertragsanwendung diesseits und jenseits der Grenze auch beim Bestehen von Doppelbesteuerungsabkommen vorkommen können. Das Abkommen sieht vor, daß solche Schwierigkeiten durch Verhandlungen zwischen den deutschen und niederländischen Finanzministerien zu klären sind. Ich werde die Angelegenheit im Einvernehmen mit der zuständigen Landesfinanzverwaltung prüfen lassen und gegebenenfalls mit dem niederländischen Finanzministerium erörtern. Im Augenblick kann ich nur feststellen, daß eine Doppelbesteuerung im deutsch-niederländischen Verhältnis angesichts der vertraglichen Regelung ungerechtfertigt wäre.
Es liegt keine Zusatzfrage vor. Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob es bei den stark gestiegenen Preisen für Benzin nicht gerechtfertigt ist, auch für Mähdrescher mit Benzinmotor, die sich vorwiegend in der Hand von kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben befinden, eine Beihilfe ähnlich der Dieselölbeihilfe zu leisten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung beobachtet ständig die Entwicklung im Energiebereich, insbesondere auch die Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Sie sieht jedoch keinen Anlaß für zusätzliche Subventionen für den Betrieb landwirtschaftlicher Fahrzeuge. Gegen eine Verbilligung von Vergaserkraftstoff sprechen außerdem die angespannte Haushaltslage und die Befürchtung, daß bei Vergaserkraftstoff die Mißbrauchsmöglichkeiten noch weitaus größer wären als bei Gasöl. Ich erinnere daran, daß der Deutsche Bundestag zur Zeit mit der Heizölkennzeichnung befaßt ist, um diesen Mißbrauch einzudämmen.
Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Böhm das Wort.
Ist die Bundesregierung bereit, eine Untersuchung darüber anzustellen, wie groß gegebenenfalls die Zahl der von einer solchen von mir angeregten Neuregelung betroffenen landwirtschaftlichen Kraftfahrzeuge wäre, damit wir einen Überblick darüber erhalten, wie hoch die dafür erforderlichen finanziellen Mittel sein würden?
Wenn wir die Unterlagen haben, werde ich Sie Ihnen gern geben.
Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Dr. Kunz das Wort.
Herr Staatssekretär, wieweit sind die Bemühungen der Bundesregierung gediehen, die Dieselkraftstoffkennzeichnung für landwirtschaftliche Betriebe einzuführen?
Der Gesetzentwurf liegt dem Deutschen Bundestag vor. Er wird im Finanzausschuß beraten werden, sobald der Finanzausschuß dafür zeitlich Raum schaffen kann.
Ist der Zeitpunkt schon absehbar?
Die Bundesregierung verfügt nicht über die Zeiteinteilung des Finanzausschusses und des Plenums des Deutschen Bundestages.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7387
Es liegt keine weitere Zusatzfrage vor. Die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort zur Verfügung. Die Frage 66 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Pieroth auf. — Er ist nicht im Saal, sie wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Trifft es zu, daß Landwirte, die sich einen Rentenanspruch erworben haben, mit dem Tag der Antragstellung auf Bewilligung der Rente bei der jeweiligen Krankenkasse des zuständigen Rentenversicherungsträgers bis zur Bewilligung der Rente krankenversicherungs- und beitragspflichtig werden, obwohl sie vollen Versicherungsschutz in der landwirtschaftlichen Krankenkasse genießen, also für den Bewilligungszeitraum in zwei Pflichtkrankenkassen gleichzeitig Mitglied sein müssen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen zusammen beantworten dürfte.
Sind Sie damit einverstanden, Herr Abgeordneter? — Dann rufe ich auch die Frage 69 auf:
Hat die Bundesregierung nach wie vor die Absicht, das Krankenversicherungsgesetz für Landwirte bis zum 1. Januar 1975 zu novellieren?
Herr Kollege, wie ich Ihnen mit Schreiben vom 6. Juni 1974 auf Ihre mündliche Frage A 45 in 'Drucksache 7/2173 mitgeteilt habe, bleiben Landwirte auch nach Stellung eines Rentenantrages ausschließlich Mitglied ihrer landwirtschaftlichen Krankenkasse — mit der Folge, daß 'sie nur an diese Krankenkasse Beiträge zu zahlen haben.
Der von der Bundesregierung vorzulegende Bericht über die Erfahrungen bei der Einführung der Krankenversicherung für Landwirte wird auch Anregungen zur Änderung des Rechts der Krankenversicherung für Landwirte enthalten. Ob sich hieraus die Notwendigkeiteiner gesonderten Novelle zum Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte ergibt oder ob Änderungen bei einer sich sonst bietenden Gelegenheit vorgenommen werden können, wird zur Zeit noch geprüft.
Eine Zusatzfrage? Bitte, Herr Kollege!
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Fall meiner ersten Frage die Praxis anders aussieht, nämlich daß von der Antragstellung bis zur Bewilligung Doppelbeiträge gezahlt werden 'müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist der Bundesregierung nicht bekannt. Ich wäre dankbar, wenn mir solche Einzelfälle mitgeteilt würden.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege Horstmeier!
Hat die Bundesregierung, falls eine generelle Novellierung des Krankenversicherungsgesetzes für Landwirte nicht vorgesehen ist, erwogen, novellierungsbedürftige Teile dieses Gesetzes vorzuziehen? Ich denke z. B. an den Personenkreis der Kriegsgeschädigten, die schlechter gestellt sind als vorher.
Herr Kollege, ich habe nicht gesagt, daß keine Novellierung vorgesehen ist, sondern ich habe mitgeteilt, daß wir den Bericht zu diesem Fragenkomplex in den nächsten Wochen vorlegen können und dann prüfen werden, ob eine Novellierung in Einzelfragen notwendig wird.
Herr Kollege Horstmeier, bitte!
Kann sich die Bundesregierung noch nicht festlegen, zu welchem Zeitpunkt diese Novellierung in Kraft treten könnte?
Das kann ich Ihnen heute noch nicht mitteilen, da dies auch von den Beratungen in den parlamentarischen Gremien insbesondere von den Ausschußberatungen abhängig ist. Wir werden jedenfalls, wenn sich aus dem Bericht die Notwendigkeit ergibt, einen Gesetzentwurf vorlegen.
Keine weiteren Fragen von Ihnen, Herr Kollege Horstmeier? — Dann zu einer Zusatzfrage der Herr Kollege Nordlohne.
Herr Staatssekretär, ist das Problem, das hier für den Personenkreis der zu versichernden Landwirte, die einen Rentenantrag gestellt haben, angesprochen ist, nicht gleichzusetzen mit dem Problem all derer, die einen Rentenantrag stellen und dadurch eine Doppelmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner und in der bisherigen Pflichtmitgliedkasse herbeiführen?
Ein vergleichbarer Rechtszustand besteht zur Zeit bei allen anderen Versicherten, so daß wir auch dort eine vorübergehende Beitragsleistung haben, die aber immer dann, wenn die Rente anerkannt ist, zurückerstattet wird.
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7388 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Es liegt keine weitere Zusatzfrage vor.
Ich rufe auf die Frage 70 des Abgeordneten Rollmann. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich auf die Fragen 71 und 72 des Herrn Abgeordneten Vahlberg:
Hat die Bundesregierung einen Überblick über die Persönlichkeitstests, die von Firmen in der Bundesrepublik Deutschland bei der Einstellung von Arbeitskräften angewandt werden, und wie beurteilt sie diese?
Hat die Bundesregierung die Absicht, gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre vor Psychotests einzuleiten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, der Bundesregierung sind keine Zahlen darüber bekannt, welche der verschiedenen Persönlichkeitstests in welchem Umfang bei der Einstellung von Arbeitnehmern durch die Unternehmen angewendet werden. Ein allgemeines Urteil über solche Persönlichkeitstests ist nicht möglich, weil die einzelnen Tests sehr verschieden angelegt und in unterschiedlichem Maße wissenschaftlich abgesichert sind. Entscheidende Voraussetzung für die Durchführung von psychologischen Eignungsuntersuchungen bei der Einstellung von Arbeitnehmern sollte nach Auffassung der Bundesregierung in Übereinstimmung mit der in der Literatur vertretenen Meinung sein, daß die gewählte psychologische Eignungsuntersuchung für die Beurteilung, ob der Arbeitnehmer für die vorgesehene Tätigkeit geeignet ist, erforderlich und von wesentlicher Bedeutung ist. Darüber hinausgehende psychologische Eignungsuntersuchungen —insbesondere umfangreiche Persönlichkeitstests —, die sich nicht auf die Prüfung der am zukünftigen Arbeitsplatz erforderlichen berufs- bzw. arbeitsbezogenen Begabung beschränken, sollten nicht im Rahmen der Einstellung durchgeführt werden. Damit wird verhindert, daß in unzulässiger Weise in die Privatsphäre des Arbeitnehmers eingegriffen und dessen Persönlichkeitsrecht verletzt wird.
Selbstverständliche Voraussetzung einer jeden psychologischen Eignungsuntersuchung sollte sein, daß der Arbeitnehmer sein Einverständnis dazu erteilt hat. Nach geltendem Recht kann im Rahmen von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen nach § 95 Betriebsverfassungsgesetz geregelt werden, inwieweit solche Tests durchgeführt werden dürfen.
Die Bundesregierung beabsichtigt — hiermit darf ich gleichzeitig Ihre zweite Frage beantworten —, die Zulässigkeit von psychologischen Eignungsuntersuchungen in der aufgezeigten Richtung in dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Arbeitsverhältnisrechts zu begrenzen, so wie es die Rechtsprechung bereits zu dem Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung eines Arbeitnehmers getan hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die UNO 1973 genötigt sah, zur Lösung dieses Problemkreises Vor- schläge auszuarbeiten, und ist die Bundesregierung bereit, diese Vorschläge bei einer möglichen Regelung dieses Problems zu Rate zu ziehen?
Herr Kollege, wenn in der UNO solche Regelungen erarbeitet worden sind, werden wir diese im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind auch die Fragen 71 und 72 beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Der Herr Abgeordnete Löffler ist nicht im Saal; seine Frage 73 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 74 und 75 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Kollege Rollmann ist nicht im Saal; seine Frage 76 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist die Bundesregierung bereit, allen Eltern ohne Ausnahme, soweit sie als Aussiedler zu uns gekommen sind, für drei Jahre die Verpflichtung abzunehmen, für ihre Kinder in Internatsschulen aufkommen zu müssen, nachdem bekanntgeworden ist, daß elf Prozent dieser mit Nichts hier anfangenden Eltern zu finanziellen Leistungen verpflichtet worden sind und Kinder deswegen nicht in die Förderschulen geschickt werden, weil die Eltern befürchten müssen, trotz der eigenen Ausnahmesituation nicht unbeträchtliche Beträge zahlen zu müssen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter Dr. Hupka, wie in der Fragestunde am 5. Juni 1974 bereits ausgeführt, beschränkt sich im Rahmen des Garantiefonds die Beteiligung von Eltern an den Förderschulkosten der ausgesiedelten Kinder für das Bundesgebiet auf einen Prozentsatz von 22,8 % mit einem durchschnittlichen monatlichen Betrag von 55 DM und werden nur die Eltern herangezogen, die über besonders hohes Einkommen verfügen. Diese Kostenbeteiligung gefährdet die Eingliederung nicht. Eine generelle Freistellung der Eltern in den ersten drei Jahren nach der Zuwanderung ist daher von der Bundesregierung nicht beabsichtigt.Durch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen zur Eingliederung junger Zuwanderer ist im übrigen sichergestellt, daß besondere Belastungen der ausgesiedelten Familien jeweils durch Erhöhungen der Freibeträge berücksichtigt werden, so daß der Situation des Einzelfalls Rechnung getragen wird.
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Parl. Staatssekretär ZanderEs trifft zu, daß es ein Teil der Eltern aus Gründen einer befürchteten Kostenbeteiligung vermeidet, die Kinder auf die Förderschule zu schicken. Die Ursache hierfür liegt jedoch nicht in der Höhe einer eventuellen Elternbeteiligung, sondern in der mangelnden Aufklärung durch die Träger und. bewirtschaftenden Stellen über die mögliche Förderungshöhe. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, in Zusammenhang mit der bevorstehenden Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften die Länder und Träger erneut und eindringlich auf die erläuterte Situation hinzuweisen und auf eine Beratung der Aussiedler zu dringen, die auf die Förderungsmöglichkeiten im einzelnen aufmerksam macht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte sich die Bundesregierung nicht dazu durchringen, hier generell so zu verfahren, daß alle Eltern von Aussiedlern in den ersten drei Jahren auf Grund ihrer Ausnahmesituation gänzlich von Zahlungen für ihre Kinder in den Internatsschulen freigestellt werden, auch wenn sie in diesen drei Jahren etwas mehr verdienen?
Herr Kollege Dr. Hupka, bei der Auslegung der Richtlinien für die Gewährung solcher Zuschüsse ist dafür Sorge getragen, daß die Handhabung so flexibel ist und die Möglichkeiten jedem Einzelfall so Rechnung tragen, daß der Grundsatz, daß die Eingliederung nicht gefährdet werden darf, in jedem Fall sichergestellt worden ist. In den Fällen, die Sie ansprechen und die Sie im Auge haben, in denen schon ein besonders hohes Einkommen der Eltern erzielt wird, ist dies ja ein Beleg für die Tatsache, daß die Eingliederung im wesentlichen schon gelungen ist.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die Art der Handhabung und die Richtlinien selbst keine Veranlassung zu einer besonderen generellen Regelung geben, wie wir das auch in anderen Bereichen der Regelungen in der Bundesrepublik kennen.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gemeint, daß einige Kinder die Internatsschulen nicht besuchen, weil sie nicht genügend aufgeklärt werden.
Würden Sie mir darin zustimmen, daß es auch Fälle gibt — dafür gibt es Belege —, daß Kinder deswegen nicht in Internatsschulen geschickt werden, weil die Eltern zu einer finanziellen Eigenleistung aufgerufen werden?
Herr Abgeordneter Dr. Hupka, soweit es Fälle gibt, die auf mangelnde Beratung der Eltern — nicht der Kinder — zurückzuführen sind, habe ich gesagt, was die Bundesregierung beabsichtigt. Wenn es darüber hinaus Fälle gibt, in denen die flexible Handhabung der Richtlinien nicht dazu ausgereicht hat und die Förderung aus Gründen des Einkommens der Eltern tatsächlich unterblieben ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir solche Fälle mitteilen würden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 78 muß schriftlich beantwortet werden; der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär Zander, ich bedanke mich.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird einverständlich heute nicht behandelt. Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 8 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik
— Drucksache 7/1832 —
Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/2270 —
Berichterstatter: Abgeordneter Friedrich
Abgeordneter Dr. Heck
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Friedrich!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Auswärtigen Ausschusses über das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Republik liegt Ihnen vor. Der Auswärtige Ausschuß hat diesen Vertrag an vier Sitzungstagen beraten. Es war eine ernste, auch leidenschaftliche Diskussion. Wie sollte es anders sein, wenn dieses Hohe Haus über einen Vertrag entscheiden muß, in dem sich sichtbar und schmerzlich für alle herauskristallisiert, was Deutschland durch Hitlers verbrecherischen Krieg verloren hat! Denn daß wir im Ausschuß über den Münchener Vertrag von 1938 beraten mußten, einen Vertrag, durch dessen Bruch die Tür zum Zweiten Weltkrieg geöffnet worden ist, hat in diesem Ausschuß eine leidenschaftliche Diskussion erzeugt. Dies wird auch dieses Hohe Haus zwingen, sich mit den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zu befassen. Insoweit ist in den Diskussionen das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wie eine uriverheilte Wunde aufgebrochen.7390 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974FriedrichDrei Tage seiner viertägigen Beratungen hat der Auswärtige Ausschuß die in der Präambel des Vertrages angelegte Frage nach den historischen Ursachen der deutschen Katastrophe, und zwar der ganzen deutschen Katastrophe — es war nicht nur die Katastrophe der Sudetendeutschen —, zu beantworten versucht. Ich sage nochmals: versucht, weil, wenn das Wort „Auschwitz" ausgesprochen wird — der Name „Auschwitz" wurde mehrmals ausgesprochen —, die Vernunft eine Erklärung, auch eine Entschuldigung, nicht zugeben vermag.Denen, die von der Regierungsseite her die Präambel in den Verhandlungen formuliert haben, und denen, die in den Ausschußberatungen dieser Präambel zugestimmt haben, ist Geschichtsklitterung, ja, selbst Geschichtsfälschung aus den Reihen der Minderheit des Ausschusses, also der Union, vorgeworfen worden. Andere Mitglieder der Opposition, die im Ausschuß dabei saßen, sagten zu diesem ungeheuren Vorwurf kein Wort, wobei wir nicht wissen, ob es eine schweigende Zustimmung oder ob es eine schweigende Hinnahme dieser Unterstellung war. Dies werden wir vielleicht heute im Plenum erfahren.Die Mehrheit im Ausschuß war der Meinung, daß die Frage der deutschen Katastrophe nicht eine Frage ist, die allein und ausschließich den Vertretern einer Gruppe überlassen sein kann, die für sich in Anspruch nimmt, die Haltung zur deutschen Vergangenheit formulieren und interpretieren zu können. Wir können dies Herrn Becher und Herrn Czaja nicht zubilligen.Bei dieser Verhärtung der Diskussion im Ausschuß
mußte die Spaltung im Denken, in der Einschätzung dessen,
was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, sichtbar werden. Die Mehrheit des Ausschusses kam in der Beurteilung der Präambel des Vertrages zum Ergebnis, daß wir am Ende eines in der Geschichte gescheiterten Versuches stehen, in dem entschieden worden ist, ob Deutsche und Tschechen und Slowaken miteinander in einem Staat leben können. Sie haben es über Jahrhunderte mit wechselnder Dominanz in der Herrschaft versucht, und am Ende ist dieser Versuch gescheitert.30 Jahre nach Ende des Krieges bleibt für uns die Frage, die die Frage dieser Abstimmung ist: Sollen wir die Jahre des gegenseitigen Aufrechnens der Schuld verlängern, oder sollen unsere Völker als Grenznachbarn einen neuen Anfang suchen?
Entgegen der Meinung der Union war die Mehrheit im Ausschuß für einen neuen Anfang, weil die Nachbarschaft mit den Völkern des Ostens durch den Zweiten Weltkrieg nicht zu Ende gegangen ist. Ein Volk wie das deutsche mit seinen vielen Nachbarn, unser in der Mitte Europas liegender Staat brauchtim Interesse der eigenen Zukunft auch zum Osten vor allem eine bessere Nachbarschaft.
Im Schriftlichen Bericht zu den Beratungen des Ausschusses wird festgestellt, daß dieser Vertrag mit der CSSR den Abschluß des gesamten Vertragswerks der Ostverträge bedeutet. Im Ausschuß hat die Opposition, also die CDU/CSU, mit allen ihren 15 Stimmen gegen die 18 Stimmen der Mehrheit von SPD und FDP nun auch für die Ablehnung des CSSR-Vertrages gestimmt, wie sie für die Ablehnung aller Ostverträge gestimmt hat.
Diese Abstimmung im Auswärtigen Ausschuß kündigt für das Plenum das totale Nein der Union zum Vertragswerk der Ostverträge, das heute hier in diesem Hause abgeschlossen werden soll, an.
— Ich muß Ihnen sagen, Herr Mertes, wenn Sie drei Tage in diesem Ausschuß die historische Vergangenheit Deutschlands beschwören,
dann muß sich in diesem Bericht diese Vergangenheit widerspiegeln,
auch wenn Sie für die heutige Debatte eine andere taktische Linie gewählt haben sollten.
Im übrigen habe ich mich, verglichen mit Ihrem Herrn Berichterstatter, in meinem Schriftlichen Bericht in der Wertung sehr zurückgehalten;
ich habe also das Recht, dies hier nachzuholen.
Wenn wir dazu feststellen, daß sich die Union auch diesmal im Ausschuß gegen die Aussöhnung entschieden hat, daß sie sich im Ausschuß gegen die Entspannung ausgesprochen hat, dann wissen wir, daß Sie bei dieser Feststellung empört reagieren. Dies war auch in der Diskussion im Ausschuß drei Tage hindurch bei der Würdigung des Vertragswerkes — dies kam immer wieder hoch — die entscheidende Frage.Es kamen auch, wenn ich an Sie denke, Herr Mertes, andere Töne. Gehen wir einmal davon aus, daß wir einander zubilligen, daß jeder von uns den Frieden will und daß jeder die Aussöhnung sucht,
so haben wir doch hinzufügen müssen und müssen es auch hier hinzufügen, daß sich Politik nicht allein mit der bloßen Billigung eines sittlichen, eines moralischen Ziels — der Friedensidee — begnügen kann. Die Friedensidee als sittliche Idee findet in
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7391
FriedrichWorten immer wieder Zustimmung. Die Friedensidee kann aber nur wirksam werden, wenn sie durch Friedenspolitik ergänzt wird. Und es war nach der Erstarrung der Friedensidee in Worten nach 1945 das Entscheidende in diesem Lande, daß seit 1969 durch dieses Vertragswerk Friedenspolitik Wirklichkeit werden konnte.
Dies ist die große Leistung dieses Vertragswerkes.Wille zum Frieden heißt insoweit Mut zur Friedenspolitik, und dies war eben, wie ich schon sagte, der immer wieder hochkommende Konflikt. Insoweit unterscheidet sich eben die Haltung der Mehrheit des Ausschusses von der der Opposition.Die sozialliberale Koalition befindet sich hier in Übereinstimmung mit dem Wunsch der Mehrheit der Völker. Deshalb müssen wir den Vorwurf zurückweisen, dieser Vertrag sei eine Geschichtsklitterung und eine Geschichtsverfälschung.
Wir hatten im Auswärtigen Ausschuß den Eindruck, daß einige von Ihnen, die sich bisher in diesen Fragen öffentlich immer geäußert haben, beharrlich geschwiegen haben; auch dieses Schweigen sollte hier genannt werden, weil es gut wäre, wenn sich jene, die in der Öffentlichkeit die Außenpolitik der Union repräsentieren, hier äußern würden, wenn sie dies schon bei den Beratungen im Ausschuß nicht getan haben.
Verehrter Herr Kollege, ich wollte Ihnen nur sagen: Dies wird sicher in der Diskussion geschehen, und ich möchte Sie bitten, auf den Bericht zurückzukommen.
Der vorliegende Vertrag ist kein Friedensvertrag; er dient der Herbeiführung von Beziehungen. Weil es zwischen beiden Staaten keine Übereinstimmung in der Beurteilung des Münchener Abkommens von 1938 gegeben hat, hat es bisher auch keine Beziehungen gegeben. Die Tschechoslowakei, die 1938 in München nicht am Verhandlungstisch saß und das Abkommen als Hauptbetroffener nicht unterzeichnete, sagt aus ihrem eigenen Geschichtsverständnis heraus, der Vertrag sei von Anfang an ungültig gewesen. Die Bundesrepublik konnte dies nicht akzeptieren, und die Bundesregierung hat es nicht akzeptiert, denn vom Oktober 1938 bis zum Mai 1945 hat für die Sudetendeutschen deutsches Recht gegolten, und diese staatsbürgerlichen Rechte mußten von der Bundesregierung im Vertrag gewahrt werden.Die Bundesregierung hat im Ausschuß überzeugend dargelegt, daß der gefundene Kompromiß in Art. I und II des Vertrages die Rechte der Sudetendeutschen als deutsche Staatsbürger voll wahrt. Die Mehrheit des Ausschusses hat dem zugestimmt. Die Minderheit machte es sich in der Interpretation ihrer Ablehnung zu leicht— dies ist auch dem SchriftlichenBericht zu entnehmen —, wenn sie behauptete, die CSSR sei von der Sowjetunion durch das BahrPapier auf „ex tunc", also Ungültigkeit von Anfang an, festgelegt worden. Es zeugt von geringer Souveränität, wenn man diese Frage ausschließlich auf Egon Bahr reduzieren will.Die im Ausschuß dargelegten Fakten zur Geschichte des Münchener Abkommens und zur Entwicklung des Problems in der Nachkriegszeit lassen diese Schlußfolgerung der Minderheit nicht zu. Die Bundesregierung hat im Ausschuß in einer eindrucksvollen Darstellung, die sich ausschließlich auf die Akten des Auswärtigen Amtes stützte, die Politik des Deutschen Reiches gegenüber der Tschechoslowakei zwischen 1918 und 1938 dargelegt. Nach diesem Bericht sah die Weimarer Republik im Gegensatz zur österreichischen Regierung die Frage der sudetendeutschen Minderheit als eine innenpolitische Angelegenheit der Tschechoslowakei. Zwischen 1926 und 1933 kam es sogar zu einer freundschaftlichen Annäherung, verbunden mit den Bemühungen der Tschechoslowakei, die deutsche Minderheit verstärkt an der Regierungsverantwortung in Prag zu beteiligen. Stresemann hat in einem Telegramm damals an den deutschen Gesandten Koch in Prag telegraphiert: „Ich habe niemals Zweifel gelassen, daß ich den Versuch der Mitwirkung Deutscher in der tschechoslowakischen Regierung begrüße." Erst die Weltwirtschaftskrise, von der die Industriegebiete des Sudetenlandes hart getroffen wurden, und die von Henlein parallel zur Entwicklung des Dritten Reiches nationalistisch orientierte Sammlungsbewegung im Sudetenland, die schließlich in der Anschlußthese kulminierte, brachten die verhängnisvolle Wende.Im Ausschluß ist darauf hingewiesen worden, daß viele Sudetendeutsche der Henlein-Parole nicht gefolgt sind. Dies muß heute an diesem Tage für die damaligen Demokraten im Sudentenland festgestellt werden. Vor allem sudetendeutsche Sozialdemokraten — dies ist im Ausschuß betont worden — gingen einen bitteren Weg. Er führte zunächst in die Konzentrationslager Hitlers, auch in die Emigration, und nach dem Krieg verloren auch sie, die sich gegen Hitler gewehrt hatten, mit allen anderen Deutschen ihre Heimat.Im Ausschuß wie bereits in der ersten Lesung hier im Plenum ist von der Mehrheit darauf hingewiesen worden, daß viele Demokraten sich durch Herrn Becher als Person und als Politiker nicht vertreten fühlen können. Weder in der Präambel noch im Art. I wird die Vertreibung der Sudentendeutschen anerkannt. Bundeskanzler Brandt hat nach Unterzeichnung des Vertrages von Prag aus in seiner Fernsehansprache darauf hingewiesen, daß die Vertreibungen von uns mit diesem Vertrag nicht gebilligt werden.In den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses wurde klar, daß die Problematik der Gültigkeit oder Ungültigkeit des Münchener Abkommens, die Problematik der Formel ex tunc, also Ungültigkeit von Anfang an, mit dem Bruch des Abkommens durch Hitler beginnt und bereits 1944 bei den Signatarmächten Italien und Frankreich abgeschlossen wird
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7392 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Friedrich
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der einzige unmittelbare Nachbar der Bundesrepublik unter den osteuropäischen Staaten ist heute die Tschechoslowakei. Die Politik der Bundesrepublik Deutschland diesem Staat gegenüber ist in letzter Zeit bedauerlicherweise ins Zwielicht geraten. Ich erkläre daher
— sagte Bundeskanzler Erhard -
hier ausdrücklich und eindeutig: Das Münchener Abkommen vom Jahre 1938 ist von Hitler zerrissen worden.
Das war die Feststellung des damaligen Bundeskanzlers Erhard. Er fügte hinzu, die Bundesrepublik erhebe gegen die Tschechoslowakei keine territorialen. Forderungen und distanziere sich ausdrücklich von Erklärungen — hier meinte er Seebohm —, die zu einer anderen Deutung geführt hätten.
Erst seit Seebohms Rede — dies ist im Ausschuß von Regierungsseite unwidersprochen dargelegt worden — wurde von der Tschechoslowakei die Forderung nach Anerkennung der Ungültigkeit von Anfang an immer wieder zum Kernpunkt der internationalen Diskussion und in den letzten Jahren auch zum Kernpunkt der Verhandlungen gemacht. Deshalb sollte die Opposition Egon Bahr nicht anlasten, was der damalige Bundesminister Seebohm international problematisiert und wovon sich der damalige Bundeskanzler Erhard mit seiner Regierung eindeutig distanziert hat.
In den Ausschußberatungen ist leider nicht deutlich geworden, wer innerhalb der Union heute noch bereit ist, die Haltung Erhards einzunehmen. Von 1953 bis 1965 — auch darauf wurde in den Ausschußberatungen hingewiesen; Sie können das durch Ihren Berichterstatter ja einmal nachlesen lassen, wenn Sie der Meinung sind, darüber sei nicht diskutiert worden; darüber haben wir diskutiert, und deshalb wird hier darüber berichtet, auch wenn es Ihnen unbequem ist — werden die Sudetendeutschen und die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur CSSR in keiner einzigen Regierungserklärung genannt. Erst mit Beginn der Großen Koalition und dann in den Regierungserklärungen seit 1969 hat sich die Bundesregierung bemüht, eine Normalisierung zwischen diesen beiden Staaten herbeizuführen. Dies ist ebenfalls in den Ausschußberatungen eindeutig klargestellt worden.
Ergänzend zu dem schriftlich vorgelegten Bericht darf ich nochmals feststellen, daß die Bundesrepublik in Art. II dem Schutz und der Obhutspflicht gegenüber deutschen Staatsbürgern voll gerecht geworden ist. Ehe die Bundesregierung den Art. I und II bei den Verhandlungen zugestimmt hat, haben die qualifiziertesten Völkerrechtler der Bundesrepublik gemeinsam in langen Beratungen sorgfältig geprüft, ob damit der Schutz der staatsbürgerlichen Rechte der Sudetendeutschen gewahrt wird. Sie haben dies bejaht. Die Minderheit des Ausschusses hat das Votum der Völkerrechtler bis jetzt einfach beiseite geschoben. Dies können wir nur bedauern, weil aus diesem Hause heraus nicht Vertragsregelungen, die für deutsche Staatsbürger wichtig sind, in Zweifel gezogen werden sollten.
Im Ausschuß ist in den Diskussionen — —
Herr Berichterstatter, ich muß Sie doch noch einmal ermahnen, daß Sie hier einen Bricht zu geben haben, und das ist ein Bericht, der die Meinungen des Ausschusses — Mehrheit und Minderheit — wiedergibt.
Im Ausschuß ist wie in allen Diskussionen um die Ostverträge erneut behauptet worden, die Bundesregierung habe Vermögenswerte leichtfertig preisgegeben. Die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses hat es daher begrüßt, daß die Bundesregierung bei den Beratungen eindeutig klargestellt hat, daß diese Problematik nicht Teil der Verhandlungen war, daß dieser Vertrag nicht ein Friedensvertrag ist, sondern ein Vertrag zur Normalisierung der Beziehungen, in dem über Reparationen und auch über das Vermögen der Sudetendeutschen nicht verhandelt worden ist.Die Art. III und IV über Gewaltverzicht und Unverletzlichkeit der Grenzen sind Bezugspunkte zum gesamten Vertragswerk der Ostverträge. Sie sollen dem Ziel der Entspannung und einer friedlichen Kooperation in ganz Europa dienen. Art. V sagt deutlich, daß die nachbarschaftlichen Beziehungen erweitert werden sollen. Von den begleitenden Briefwechseln sind der Brief zu Berlin und der Brief zu den humanitären Fragen Teil des Vertrages. Der einseitige Brief der CSSR zur strafrechtlichen Verfolgung und der Notenwechsel zur Rechtshilfe sind nicht Teil des Vertrages und stehen im Hohen Hause nicht zur Abstimmung.Es muß hervorgehoben werden, daß es als Ergebnis des Berlin-Abkommens hier zum erstenmal gelungen ist, Berlin rechtlich und personell in einen von der Bundesrepublik abzuschließenden Vertrag einzubeziehen. Dies ist im Interesse Berlins von der Mehrheit des Ausschusses begrüßt worden.Im Mittelpunkt des Briefes zu den humanitären Fragen steht die angestrebte Möglichkeit, tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher Nationalität die Ausreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen. Beide Regierungen haben zugesagt, die Lösung dieses Problems durch das Deutsche Rote Kreuz und das tschechoslowakische Rote Kreuz zu fördern. Der Vertreter des Roten Kreuzes hat vor dem Auswärtigen Ausschuß über den Beginn der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7393
FriedrichVerhandlungen mit dem tschechoslowakischen Roten Kreuz berichtet. Insgesamt wird die Zahl der in Böhmen und Mähren und in der Slowakei noch lebenden Deutschen, die heute die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besitzen, auf 105 000 geschätzt. Jene, die ausreisen wollen, werden zunächst auf 25 000 beziffert. Sowohl unmittelbar nach den ersten Verhandlungen in Prag als auch vor dem Auswärtigen Ausschuß hat sich der Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes sehr positiv über die Entwicklung der Verhandlungen mit dem tschechoslowakischen Roten Kreuz geäußert.Der Brief zur strafrechtlichen Verfolgung ,ist eine einseitige Erklärung der tschechoslowakischen Regierung. Die Anwendung tschechoslowakischen Strafrechts war nicht Gegenstand von Verhandlungen. Die Brief ist also ein einseitiges, die CSSR festlegendes Dokument und soll Befürchtungen ausräumen, daß nach Abschluß des Vertrages eine neue Rechtslage im Hinblick auf strafbare Handlungen zwischen 1938 und 1945 entstehen könnte. Von diesen Handlungen zwischen 1938 und 1945 können nach tschechoslowakischem Recht nur solche verfolgt werden, die mit der Todesstrafe bedroht sind, wobei es sich um Straftaten gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit und um Kriegsstraftaten handelt.Vor dem Eintritt in die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses hat Bundeskanzler Helmut Schmidt erklärt, daß seine Regierung zu diesem Vertrag steht, daß er und Außenminister Genscher die Außenpolitik des Kabinetts Brandt /Scheel fortsetzen und das Vertragswerk der Ostverträge abschließen werden. Ähnlich, wie dies im Minderheitenbericht geschehen ist, wo eine schriftliche Wertung abschließend vorgenommen worden ist, steht also hier heute auch die gesamte Wertung des Vertragswerkes zur Diskussion.Mit der Abstimmung über diesen Vertrag, den der Auswärtige Ausschuß in seiner Mehrheit zur Annahme empfiehlt, endet eine Periode des Deutschen Bundestages, in der sich das Hohe Haus dem schlimmsten Vermächtnis der deutschen Geschichte stellen mußte. Insoweit sollte heute in dieser Beratung, wie im Auswärtigen Ausschuß, diese Frage nicht ausgeklammert werden; denn es gab im Ausschuß über die Frage Auschwitz eine leidenschaftliche Diskussion. Für die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses bedeutet dieses Vertragswerk die Aussöhnung mit dem Osten, die herbeigeführt werden mußte, nachdem Konrad Adenauer nach 1949 die Aussöhnung mit dem Westen herbeigeführt hat. Dies war, so meinte die Mehrheit im Ausschuß, der schwerere Teil, weil wir in Polen, in Rußland, in Prag, Auschwitz und Lidice nicht ungeschehen machen konnten, wie die Folgen der Vertreibung nach 1945 furchtbar für Millionen Deutsche sind.Indem der Ausschuß den Vertrag zur Annahme empfiehlt, will er dieses Hohe Haus bitten, auch das Vertragswerk abzurunden, ein Vertragswerk, das die Namen Willy Brandt und Walter Scheel mit einer neuen Epoche, die man Friedenspolitik nennt, in Deutschland verknüpfen wird.
In Deutschland wartet man auf die Einsicht der Opposition, sich diesem Vertragswerk eines Tages anzuschließen.
Das Wort hat als Mitberichterstatter der Herr Abgeordnete Dr. Heck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Zunächst eine Vorbemerkung. Im hektographierten Bericht der Minderheit ist bei der Ziffer 8, der den Briefwechsel über humanitäre Fragen behandelt, der letzte Abschnitt auf Seite 24 zu streichen; er ist im gedruckten Bericht ohnedies nicht mehr enthalten. Er ist auf eine mißverständliche Information des Auswärtigen Ausschusses durch den Rechtsausschuß zurückzuführen.Nun zum Vertrag! Die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß sehen übereinstimmend mit der Mehrheit diesen Vertrag mit der CSSR im Zusammenhang vor allem mit dem Moskauer Vertrag und mit dem sogenannten Bahr-Papier, aber auch mit dem Viermächteabkommen über Berlin. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Überprüfung des Vertrages zweierlei ergeben, und auf diese beiden Punkte werde ich mich in diesem mündlichen Bericht beschränken. Ich will nicht alles im Detail noch einmal vortragen, was Ihnen im Schriftlichen Bericht vorliegt.Erstens. Der Vertrag mit der CSSR steht zum Moskauer Vertrag und zu den Absichtserklärungen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland in einem satellitenhaften Verhältnis, wie es im übrigen auf tschechoslowakischer Seite dem Satellitenverhältnis zu Moskau entspricht.Zweitens. Der Briefwechsel zu Berlin und der daran anschließende Notenwechsel über die Probleme der konsularischen Betreuung Berlins zeigen deutlich, daß die CSSR Berlin betreffend im Gefolge der UdSSR agiert. Sie folgt der Status-quo-minusPolitik der Sowjetunion bis in die Einzelheiten hinein.Zu dem Satellitencharakter dieses Vertrages und seinem Verhältnis zum Moskauer Vertrag muß auf folgendes aufmerksam gemacht werden. Der wesentliche Punkt dieses Vertrags ist für die Tschechoslowakei wie für die Sowjetunion die Ungültigkeitserklärung des Münchener Abkommens, und zwar als ungültig von Anfang an. Die Sowjetunion hatte für diesen Punkt die CSSR vertraglich darauf festgelegt, daß das Münchener Abkommen unter Androhung eines aggressiven Krieges und Gewaltanwendung gegen die Tschechoslowakei zustande gekommen sei, daß es Bestandteil einer verbrecherischen Verschwörung Hitler-Deutschlands gegen den Frieden gewesen sei und eine grobe Verletzung der elementaren Normen des internationalen Rechts dargestellt habe und daß es deshalb mit allen sich hieraus ergebenden Folgen von Anfang an ungültig sei. Die Sowjetunion hat auf diese Weise zu verschleiern gewußt — und sie tut dies weiterhin unter Assistenz der CSSR —, daß sie sich mit dem Hitler-
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7394 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. HeckStalin-Pakt in diese verbrecherische Verschwörung gegen den Frieden mit einbezogen hat.Für die CSSR war mit diesem Vertrag bestimmt, und zwar ohne jeden Spielraum, wie allein in einer für sie annehmbaren Weise das Münchener Abkommen als ungültig erklärt bzw. behandelt werden konnte, nämlich als von Anfang an ungültig. Für die CSSR besteht der Kompromiß, den die Bundesregierung glaubt erzielt zu haben, nicht darin, daß sie mit dem Wort „nichtig" einen Begriff zugestanden hat, den auch sie für mehrdeutig hält. Für die CSSR sagt das Wort „nichtig" rechtlich das gleiche, was es sprachethymologisch auch bedeutet, nämlich : Was nichtig ist, ist nichts, es ist nie etwas gewesen. Für die CSSR besteht der Kompromiß nicht darin, daß das Münchener Abkommen nicht in direkter Aussage als nichtig, d. h. nicht als von Anfang an ungültig, erklärt wurde, sondern darin, daß sie sich im Art. I bereit gefunden hat, sich darauf zu beschränken, das Münchener Abkommen für diesen Vertrag als nichtig im Hinblick auf die gegenseitigen Beziehungen zu betrachten und zu behandeln. Wie, dafür soll der Art. II des Vertrages das Maß abgeben.Die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß sehen in dieser seltsamen Konstruktion nicht den großen Durchbruch nach der Denkpause wie die Koalitionsparteien. Die Bundesregierung und mit ihr die Koalitionsfraktionen suchen den Eindruck zu erwecken, als sei man mit diesem Vertrag lediglich einem sterilen Prinzipienstreit aus dem Wege gegangen, um den Weg freizumachen für die Regelung sachlicher Probleme. Die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß sehen in dieser seltsamen und undurchsichtigen Konstruktion lediglich die versteckte Kapitulation der Bundesregierung vor der völkerrechtlich nicht haltbaren Forderung der CSSR, das Münchener Abkommen als von Anfang an ungültig zu behandeln.Das Entgegenkommen der CSSR besteht lediglich darin, daß in Art. II für drei konkret benannte Bereiche darauf verzichtet wurde, und zwar nur darauf, in diesem Vertrag die Folgerungen aus der grundsätzlichen Betrachtung des Art. I zu ziehen. Es wurde nur festgestellt, daß dieser Vertrag die im Abs. 1 des Art. II umschriebenen Rechtswirkungen nicht berühre, ebenso nicht die Fragen der Staatsangehörigkeit. Es bleibt für beide Bereiche bei der je verschiedenen Rechtsauffassung — auch für die Praxis. Der Vertrag soll auch keine Rechtsgrundlage für materielle Ansprüche irgendwelcher Art bilden. Damit ist im Grunde darüber, ob solche materiellen Ansprüche bestehen und künftighin geltend gemacht werden, nichts gesagt, außer daß der Vertrag dafür keine Rechtsgrundlage bildet.Keines der mit diesen drei Punkten zusammenhängenden Probleme ist durch diesen Vertrag gelöst worden; sie wurden ausgeklammert mit der Feststellung, daß für ihre Lösung rechtsverbindliche Folgerungen aus diesem Vertrag nicht gezogen würden.Die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Auschuß sind der Auffassung, daß damit alle wesentlichen Probleme zwischen der BundesrepublikDeutschland und der CSSR nur auf die lange Bank geschoben wurden, daß aber für die Lösung dieser Probleme in den vor uns liegenden Jahren die Rechtsposition der Bundesrepublik Deutschland erheblich geschwächt worden ist.Wir konnten uns im Ausschuß des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die Bundesregierung dessen durchaus bewußt ist, ja daß sie das aus moralischen Gründen bewußt in Kauf genommen hat. Sosehr die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß diese moralischen Beweggründe würdigen, so wenig verstehen sie, daß die Folgerungen daraus auf der rechtlichen Ebene gezogen worden sind; denn das Recht, den Kampf um das Recht sind wir nicht nur uns selbst, diesen Kampf sind wir auch unseren Kontrahenten schuldig, wenn ein solcher Vertrag das schaffen soll, was er nach Abs. 5 der Präambel will, nämlich „dauerhafte Grundlagen für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen".
Die Wurzel allen Unheils seit 1933 ist es doch gewesen, daß die völkerrechtlichen Verbindlichkeiten als politisch zur Disposition stehend behandelt worden sind.
Nun zum Briefwechsel zu Berlin. Die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß sehen diesen Briefwechsel und den sich daran anschließenden Notenaustausch über die konsularische Betreuung Berlins insoweit in einem zwingenden Zusammenhang, weil das Verhalten der CSSR bei diesem Notenaustausch den Geist offenbart, in dem der Briefwechsel zu Berlin zu verstehen ist. Der Briefwechsel macht zunächst deutlich, daß die CSSR nicht zu bewegen war, das, was sie in dem Brief in Aussicht zu stellen bereit war, in den Vertrag selbst aufzunehmen.Der Brief als solcher kann nur beurteilt werden einmal auf dem Hintergrund des Bestrebens der Sowjetunion, auch nach dem Viermächteabkommen Berlin in einem Grad von der Bundesrepublik Deutschland zu trennen, wie es im Viermächteabkommen nicht vorgesehen ist; und dann parallel dazu auf dem Hintergrund des Verhaltens der CSSR gegenüber der Bundesregierung bei deren Bemühungen, im Zusammenhang mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen den Rechtshilfeverkehr, die konsularische Betreuung Berlins, soweit sie die Tschechoslowakei betrifft, zu regeln.Die Minderheit im Ausschuß beurteilt diesen Vorgang wie folgt. Soweit die drei Westmächte mit der außenpolitischen Vertretung von Berlin durch den Bund einverstanden sind, ist die UdSSR gemäß der Anlage IV B des Viermächteabkommens verpflichtet, dagegen keine Einwände zu erheben. Die sowjetische Führung hat inzwischen immer wieder dokumentiert, daß sie sich nicht an diese „Selbstbindung" hält, sondern sich fadenscheiniger Argumente bedient, um das Berlinabkommen zu unterlaufen.Daran ändert auch die Formel von der „strikten Einhaltung und der vollen Anwendung" dieses Ab-
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Dr. Heckkommens, auf die man sich während des Breschnew-Besuchs in Bonn geeinigt hat, wenig; denn strikte Einhaltung und volle Anwendung sind ebenso auslegungsfähige Begriffe wie „Geist und Buchstaben", mit denen man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von diesem Dissens abzulenken versuchte. Wenn man den Buchstaben eines Vertrages und einer Politik mit je verschiedenem Geist, je verschieden miteinander sich gegenseitig ausschließenden Zielen interpretiert, dann führt die strikte Einhaltung und die volle Anwendung dessen, was man verschieden versteht, in der Sache nicht zusammen, sondern in der konkreten Politik nur weiter auseinander.Art. 5 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 besagt, daß die konsularischen Aufgaben darin bestehen, „die Interessen des Entsendestaats sowie seiner Angehörigen, und zwar sowohl natürlicher als auch juristischer Personen, im Empfangsstaat innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen zu schützen."Die UdSSR und — ihr folgend — die CSSR sind nicht bereit gewesen, das Berlin-Abkommen in diesem Sinne zu verstehen. Sie berufen sich dabei zum einen auf die Kann-Formel, die jedoch nur benützt wurde, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß sich die außenpolitische Vertretung nicht auf Gebiete erstreckt, auf denen die drei Westmächte weiterhin zuständig sind — die Angelegenheiten der Sicherheit und des Status; zum anderen darauf, daß vom ständigen Wohnsitz die Rede ist. Juristische Personen haben keinen Wohnsitz, allerdings so wenig wie natürliche Personen einen Sitz haben. Streng genommen hätte man sagen müssen: ihren Sitz bzw. ihren Wohnsitz in Berlin haben.An dieser sprachlichen Ungereimtheit hängen die UdSSR und — in ihrem Gefolge — die CSSR ihren Widerstand gegen die einzig sinnvolle und sachliche Interpretation des Abkommens auf. Hier wird der Geist sichtbar, mit dem die UdSSR das Viermächteabkommen über Berlin zu unterlaufen sucht.Die Mitglieder der CDU/CSU im Ausschuß sind der Meinung, daß die Bundesregierung mit ihrer Bescheidung auf die vage Formel in diesem Briefwechsel zu Berlin dabei ist, es auch von der CSSR hinzuzunehmen, daß das Viermächteabkommen über Berlin — der Taktik der Sowjetunion entsprechend — unterlaufen wird.Im übrigen bringt der Vertrag selbst, was die Lösung humanitärer Probleme angeht, nichts, und er bringt darüber hinaus, tschechoslowakischerseits, in einem Briefwechsel nicht viel mehr als unverbindliche Erklärungen, die beliebig praktiziert werden können.Die Mitglieder der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuß sahen und sehen sich deswegen außerstande, dem Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 11. Dezember 1973 zuzustimmen.
Ich schließe die Berichterstattung und eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich dem Thema zuwende, möchte ich den Protest der Fraktion der CDU/CSU gegen die Art der Berichterstattung zum Ausdruck bringen, wie sie Herr Kollege F r i e d -r i c h hier vorgenommen hat.
Wir danken der Frau Präsidentin, daß sie es zweimal für notwendig hielt, einzugreifen — ein ganz seltener Vorgang in diesem Hause.
Aber, meine Damen und Herren, in den 24 Jahren, die ich diesem Hause angehöre, habe ich auch noch nie einen so unsachlichen Bericht gehört.
Alles, was der Herr Kollege Friedrich gesagt hat,hätte er als Redner seiner Fraktion sagen können.
Denn nach den Worten unseres verstorbenen Kollegen Dr. Horlacher ist Demokratie die Staatsform, in der jeder so daherreden kann, wie er will.
Herr Horlacher pflegte noch ein härteres Wort zu gebrauchen, das ich nicht übernommen habe, weil ich mich — im Gegensatz zum Herrn Kollegen Friedrich — nicht als Schulmeister meiner Kollegen fühle.Daß hier, meine Damen und Herren, ein Bericht zum Anlaß genommen wird, zwei Kollegen anzugreifen, hat eben mit dem Bericht über einen Vertrag nichts zu tun. Und ob Herr Kollege Dr. Becher von allen sudetendeutschen Demokraten anerkannt wird oder nicht, mag ein interessantes Thema sein, aber jedenfalls ist es nicht Gegenstand eines Berichts über den Vertrag, der dem Hause vorliegt.
Im übrigen ist unser Freund Dr. Becher mit 90 % der Stimmen zum Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft gewählt worden; er scheint mir also hinreichend demokratisch legitimiert zu sein.
Des weiteren möchte ich die Bemerkung entschieden zurückweisen, die Abgeordneten der CDU/CSU hätten im Ausschuß geschwiegen. Ich kann doch Herrn Kollegen Mattick — ich weiß nicht, ob er im Augenblick hier ist — zum Zeugen dafür anrufen — er ist der Obmann der SPD im Ausschuß
daß er sich mehrfach darüber beschwert hat, wie oft und wieviel die Abgeordneten der CDU/CSU reden und fragen.
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7396 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. JaegerMeine Damen und Herren, Sie auf seiten der Regierungskoalition waren es doch, die gedrängt haben, und wir wollten dann allerdings nicht in Verdacht kommen, daß wir bei einem Vertrag, den wir sachlich ablehnen, eine Verzögerungstaktik betreiben; denn das ist nicht unsere Art. Gesprochen haben wir genug; gefragt haben wir genug. Ob die Antworten immer genügt haben, das muß ich trotz der Sachkunde der Referenten des Auswärtigen Amtes bezweifeln.
Es liegt an politischen Dingen, nicht an den fachkundigen Referenten, wenn sie nicht genügt haben.Meine Damen und Herren! Der Prager Vertrag wird von den Anhängern dieser Koalition als der Schlußstein der Ostpolitik gefeiert. Nüchterner gesprochen, ist es vielleicht die letzte Auseinandersetzung über diese Ostvertragspolitik. Es geht um den — wenn ich so sagen darf — posthumen Vertrag des inzwischen aus dem Amt geschiedenen Bundeskanzlers. Neben drei schätzenswerten Parlamentarischen Staatssekretären — die aber nach dem Grundgesetz nun einmal nicht Mitglieder der Bundesregierung sind — ist nur ein einziger Minister im Saal, und das ist der Minister für Wissenschaft. Ich nehme an, daß das darauf zurückzuführen ist, daß die Auslegung der Bestimmungen über die Gültigkeit des Münchener Abkommens ein wissenschaftliches Problem für viele Doktorarbeiten sein wird.
Damit möchte ich aber Ihre Gegenwart, Herr Kollege Matthöfer, nicht herabsetzen, sondern Ihnen dafür danken, daß Sie es für notwendig halten, unter uns zu sein. Wenn die übrigen Minister einschließlich des derzeitigen Bundeskanzlers nicht anwesend sind, will ich das dann gern hinnehmen, wenn daraus eine Distanzierung zu diesem Vertrag und zur Politik der vorigen Bundesregierung zu sehen ist, deren ehemalige, inzwischen ausgeschiedene Minister hier zahlreich vertreten sind.
Meine Damen und Herren! Dieser Vertrag ist nicht zuletzt durch den Mann beeinflußt worden, der nicht der Regierung angehört, aber, solange Herr Brandt Kanzler war, und, wie ich vermute, auch solange Herr Schmidt Kanzler sein wird, nun einmal der mächtigste Mann in diesem Staate ist, der immer sehr fleißig in der ersten Reihe seiner Fraktion sitzt, der von den Beamten gesagt hat, sie seien Korinthenkacker, und der vor allem meinte, man dürfe die Berlin-Frage nicht zu sehr hochspielen. Unter dieser allzu scharfen Hektik hat dieser Vertrag ebenfalls gelitten, und wir bedauern, daß dies ausgerechnet in bezug auf Berlin geschehen ist, was ein Hauptgrund dafür ist, daß wir diesem Vertrag unsere Stimmen verweigern.
Im übrigen geht aus dem sogenannten Bahr-Papier hervor, daß auch dieser Vertrag zur Gesamtheit der Ostverträge gehört, was von vornherein eine berechtigte Skepsis in uns und in großen Schichten unseres Volkes wachruft.Aber der Inhalt des Vertrages selbst ist es, der zu unserer Ablehnung führt. Meine Damen und Herren! Was hier vor uns liegt, ist keine spezielle Angelegenheit der Sudetendeutschen. Es ist Schicksal, Last, Verantwortung und Aufgabe aller Deutschen, zu denen sich die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union bekennen, so wie wir uns noch voll und ganz zu jener Obhutserklärung bekennen, die der Deutsche Bundestag am 14. Juli 1950 hier beschlossen hat. Wir hoffen, ähnliche Erklärungen von den anderen Parteien zu hören.
Wir, die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union haben immer gute Beziehungen zu allen Nachbarn gewünscht, auch zur Tschechoslowakei. Unser Bundeskanzler Ludwig Erhard hat in seiner Friedensnote ausdrücklich festgestellt, daß es keine territorialen Ansprüche der Bundesrepublik gegenüber der Tschechoslowakei gibt. Hier ist also von uns der Boden gelegt worden, ohne daß wir die Konsequenzen gezogen hätten, die man heute auf seiten einer Regierung gezogen hat, die — wie ich darzulegen noch die Ehre haben werde — deutsche Rechte weitgehend preisgegeben hat.Dieser Vertrag, meine Damen und Herren, leidet an demselben Grundfehler, an dem die ganze Ostvertragspolitik der Regierung leidet, am Dissens, an der Meinungsverschiedenheit in einem Hauptpunkt. Es geht um Artikel I — damit ist schon dargelegt, daß es der wichtigste Punkt des ganzen Vertrags ist —, um das Münchener Abkommen. Wir alle betrachten es als obsolet, als von der Geschichte erledigt. Als Ludwig Erhard davon sprach, daß es von Hitler selbst zerrissen worden sei, hat er damit zum Ausdruck gebracht, daß es vorher existent war; denn was nicht existent ist, kann man nicht zerreißen. Aber die Tschechoslowakei vertritt seit langem die These, dieser Vertrag sei ex tunc, also von Anfang an, ungültig gewesen, — was zur Folge hat, daß das Sudetenland niemals im Rechtssinn Bestandteil des Deutschen Reiches gewesen ist und daß die Sudetendeutschen niemals deutsche Staatsangehörige waren, also insonderheit als deutsche Soldaten ausgesprochen illoyale Bürger des tschechoslowakischen Staates waren, was wohl dazu führen soll, ihnen das Recht auf Heimat abzusprechen, weil sie es durch Illoyalität verwirkt hätten.Dieser Gegensatz der Auffassungen ist keineswegs überbrückt, sondern durch eine vieldeutige Formulierung überkleistert. Sie hat einen für juristische Verträge ganz ungewohnten feuilletonistischen Stil, wenn es heißt in Art. I, daß die beiden Vertragsparteien im Hinblick auf ihre gegenseitigen Beziehungen nach Maßgabe dieses Vertrages das Münchener Abkommen „als nichtig betrachten".Es ist schon öfters zitiert worden, daß sogar der Brockhaus das Wort „nichtig" als „ungültig von Anfang an" festlegt und daß dies im allgemeinen der Sprachgebrauch unseres Landes ist. Allerdings haben die klugen Juristen aus der Völkerrechtsabteilung des Auswärtigen Amtes in der Rechtsgeschichte einige Beispiele gefunden, wo das Wort „nichtig" gelegentlich auch in anderem Sinn verwendet wor-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7397
Dr. Jaegerden ist. Angesichts der Einschränkungen, mit denen das sonst zweifellos nicht eingeschränkte Wort „nichtig" hier behandelt wird, haben sie daraus die These gezogen, hier sei angesichts der verglichen mit dem Zivilrecht — mangelhaften Exaktheit des Völkerrechts keine Ungültigkeit von Anfang an anzunehmen.Da dieser Vertrag nun leider doch eine Mehrheit in diesem Hause finden wird, habe ich nicht die Absicht, diesen deutschen Rechtsstandpunkt zu bestreiten. Aber ich möchte mich gegen eines verwahren: daß diese Bundesregierung oder ihre Vorgängerin erst schlechte Verträge abschließt und dann der Opposition Vorwürfe macht, wenn diese mit den Methoden der Sprach- und der Rechtswissenschaft oder auch nur mit den Gesetzen der Logik die Brüchigkeit dieser Verträge enthüllt.
Was wir bei der Lektüre nachträglich an Bedenken haben, ist ja der anderen Seite schon vorher bei den Verhandlungen bekannt gewesen. Für die andere Seite hat der damalige stellvertretende Außenminister der Tschechoslowakei und heutige Botschafter hier in Bonn, Herr Goetz, also einer der maßgebenden Männer der tschechoslowakischen Führung, maßgebend gerade in bezug auf die Bundesrepublik, von „Nullität" gesprochen; er hat erklärt, das Münchener Abkommen habe keinerlei rechtliche Wirksamkeit gehabt, ja es habe niemals existiert. Auch wenn die Bundesregierung und wir hier eine andere Rechtsauffassung verteidigen, kann es uns doch nicht gleichgültig sein, was der Vertragspartner zu dieser entscheidenden Frage sagt, wenn er etwa weiterhin aus den Schutzvorschriften des Art. II des Vertrages Konsequenzen hinsichtlich der Nullität des Münchener Abkommens selber zieht.Ein Vertrag, der mit einer Meinungsverschiedenheit fundamentaler Art in der Hauptsache belastet ist, erscheint mir sinnlos und nur als Ursache neuen Streits, und zwar eines vergifteten Streits. Denn wenn man sich scheinbar geeinigt hat, ist der Streit hernach ja viel heftiger, als er sonst wäre.
All das liegt daran, daß diese — oder die vorige — Regierung nicht warten konnte und daß sie offenbar nicht der Meinung ist, daß es besser ist, keinen Vertrag als einen schlechten Vertrag abzuschließen. Aber wenn man diesen Grundsatz hätte, müßte man ja die ganze Ostvertragspolitik kassieren.Dabei hat die Bundesrepublik für ihren Standpunkt, daß das Münchener Abkommen zerrissen und obsolet ist, jedoch einmal gültig war, nicht nur die Geschichte auf ihrer Seite. Gewiß, der Vertrag ist unter Androhung von Gewalt geschlossen worden; niemand leugnet das. Aber welcher Friedensvertrag wäre denn gültig, wenn alle jene Verträge hinfällig und von Anfang an ungültig wären, die unter Gewaltandrohung oder sogar Gewaltanwendung geschlossen wurden? Der Versailler Vertrag wäre von Anfang ungültig; denn die deutsche Nationalversammlung stand unter dem Druck der Besatzungsmächte im Rheinland, die ins übrige Deutsche Reich einzumarschieren drohten. Auch vom Frankfurter Frieden des Jahres 1871 würde man nicht anders reden können. Es ist doch selten, daß wie beim Wiener Kongreß die Erschöpfung aller Kämpfenden so groß ist, daß man einen Kompromiß schließt, den man, im allgemeinen zumindest, zwischen den Hauptparteien als nicht aufgezwungen bezeichnen kann. Hier liegt ein Unterschied zwischen dem Zivilrecht, in dem ein mit Gewalt aufgezwungener Vertrag ungültig ist, und dem Völkerrecht, in dem ein Vertrag gerade im Sinne des Völkerrechts einigermaßen stabile und anerkannte Normen schaffen soll.
Zudem hat das Münchener Abkommen vier Vertragspartner. Ich muß mich immer an das Wort eines englischen Freundes erinnern, den ich vor Jahren einmal nach seiner Meinung dazu gefragt habe, ob das Münchener Abkommen früher gültig gewesen sei oder nicht, und der mir gesagt hat: Die Regierung Ihrer Majestät schließt keinen Vertrag ab, der von Anfang an ungültig wäre. Wir hätten also hier — nicht nur wegen dieser einen Privatmeinung — die Rückendeckung der Briten und dürfen uns erinnern, daß die große Welt damals 1938 — dieses Abkommen von München anerkannt hat, ja, daß es vom Völkerbund selbst anerkannt worden ist und nach dem Hitler-StalinPakt auch von der Sowjetunion.Schließlich aber, meine Damen und Herren, möchte ich Sie daran erinnern: Vor dem Nürnberger alliierten Militärgericht ist am Ende dieses Krieges Anklage wegen Verletzung des Münchener Abkommens durch den Einmarsch Hitlers in die Tschechoslowakei am 15. März 1939 erhoben worden.
Man könnte nicht die Verletzung eines Vertragesanklagen, wenn dieser niemals gültig gewesen wäre.
Es ist mir deshalb unerfindlich, daß man seitens der Bundesregierung einen Vertrag abgeschlossen hat, in dem diese Dinge nicht klargestellt sind. Mir ist es auch moralisch unerfindlich, denn Sie können doch Frieden und Freundschaft nicht auf einer Lebenslüge aufbauen. Sie können auch im Interesse des Friedens keinen Zweifel daran lassen, daß zwei mal zwei vier ist, indem Sie behaupten lassen, es sei vielleicht fünf. Oder, meine Damen und Herren, ist es so, wie mein Kollege Dr. Marx hier in der ersten Lesung dargelegt hat, daß man seitens der Tschechoslowakei und mit Duldung der Bundesregierung diesen Vertrag als eine Korrektur der Geschichte betrachtet? Darauf deutet die Einseitigkeit der geschichtlichen Darstellung. Meine Damen und Herren, man braucht hier nicht so weit zu gehen, daß man sich mit der schicksalhaften geopolitischen Lage Böhmens, seiner Rolle in Europa, den Fehlern vor oder nach der Schlacht am Weißen Berge oder auch nur mit der Tragik des Thronfolgers Franz Ferdinand auseinanderzusetzen, dessen früher Tod eine Reform der Doppelmonarchie gerade zugunsten der Slawen und im Sinne der Föderalisierung
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7398 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. Jaegerdieses Staates verhindert hat. Wenn man aber nur vom Münchener Abkommen spricht und dieses allein verurteilt, ist das eine unausgeglichene Bewältigung der ganzen wie auch der jüngsten Vergangenheit.
Das Münchener Abkommen ist nicht das größte Unrecht, das in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei geschehen ist; es ist leider auch nicht das größte Unrecht, das von deutscher Seite aus geschehen ist. Einer der tonangebenden Außenpolitiker der Koalition, Herr Kollege Dr. A c h e n b a c h, hat im Auswärtigen Ausschuß über das Münchener Abkommen gesagt, es sei in sich kein Verbrechen, sein Inhalt sei kein Unrecht, denn dieser Inhalt sei die Selbstverwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes. Herr Dr. Achenbach hat fortgefahren: Hitlers Methoden, zu diesem Ziel zu kommen, seien zu verurteilen, das Ergebnis in sich aber nicht zu beanstanden.
Ich habe diesen Worten des Herrn Kollegen Dr. Achenbach nichts hinzuzufügen.
Denn die Abtrennung des Sudetenlandes wurde nicht von Hitler erstmals verwirklicht, sondern 1919 von den Deutschen dort mit ihrer Forderung des Anschlusses an Deutschösterreich erstmals erhoben, und dies ist mit Gewalt verhindert worden.Meine Damen und Herren, wir stoßen hier an die Problematik des Nationalstaatsbegriffs, zumindest in Mitteleuropa. Man kann durchaus der Meinung sein, es wäre besser gewesen, die Doppelmonarchie wäre in irgendeiner Form erhalten geblieben, als daß sie zerfallen ist, und dann kann man auch sagen, es sei möglich, in der Tschechoslowakei alle Nationen friedlich miteinander leben zu lassen, und es sei unsinnig, sie zerfallen zu lassen. Einer solchen Meinung kann man durchaus sein, und ich persönlich bin äußerst skeptisch gegenüber der Nationalstaatsidee in Mitteleuropa. Wenn man aber die Selbstbestimmung so ausgelegt, daß sie auch zum Zerfall geschichtlich gewachsener Räume führen kann, dann bedingt das Recht der Tschechen und Slowaken, sich von Wien zu trennen, das Recht der Deutschen, sich von Prag zu trennen. Hier muß man logisch sein: entweder — oder. Ich persönlich habe Achtung vor der Meinung eines Masaryk, der aus der Tschechoslowakei, seinen Erklärungen gemäß, eine zweite Schweiz schaffen wollte. Das hätte aber eine weitgehende Föderalisierung dieses Landes bedingt. Leider ist das nicht geschehen. Man kann sich nicht beklagen, wenn sich die Tschechen im Donau-Staat einst diskriminiert fühlten und ihn sogar pathetisch als Völkerkerker bezeichnet haben, daß sich nun die Deutschen in der Tschechoslowakei ebenfalls diskriminiert fühlten und in dieser Staatsform nur einen verkleinerten Völkerkerker gesehen haben. Immerhin haben die tschechischen Kommunisten noch im Jahre 1931 die Selbstbestimmung der Deutschen bis zur Abtrennung von der Tschechoslowakei für logisch gehalten; es war eine andere Zeit als die heutige.Wenn wir von der Androhung der Gewalt im Jahre 1938 sprechen, darf man die Anwendung der Gewalt im Jahre 1919 nicht verschweigen, sonst kommen wir im Leben der Völker zu einer selektiven Moral, in der das eine verurteilt wird, während man das andere verschweigt.
Ich berufe mich hier auf keinen geringeren als den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt, der in seiner Fernsehrede von Prag am 11. Dezember 1973 in bezug auf diesen Vertrag gesagt hat, es gebe ein Gebot der Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte. Ich unterstreiche dies; aber die Wahrhaftigkeit und die Geschichte müssen ungeteilt sein.
Leider können wir nicht verschweigen, daß auch von deutscher Seite sachlich schweres Unrecht an der Tschechoslowakei bei dem von mir schon erwähnten Einmarsch am 15. März 1939 getan wurde. Damit wurde klargestellt, daß für Hitler das Selbstbestimmungsrecht, das für die Sudetendeutschen ein inneres Anliegen war, nur ein Mittel zur Machtpolitik war, das er aufgab, als er seine Macht auf. andere Weise zeigen und mehren konnte. So stieg die Eskalation des Unrechts bis zur Vertreibung und Enteignung unserer Landsleute in der Tschechoslowakei. Damit wurde nicht nur eine historisch gewachsene Lebensgemeinschaft zweier Völker zerstört, sondern auch das größte Unrecht in der Geschichte Böhmens und Mährens begangen. Das kann man zumal dann nicht verschweigen, wenn man mit der Denkschrift der Bundesregierung zu diesem Vertrag der Meinung ist, daß man die Vergangenheit nicht übergehen darf.Wir bestreiten von der Präambel, die die Motivation dieses Vertrages darlegt, kein Wort; aber wir meinen, daß entscheidende Worte und entscheidende Tatbestände fehlen. Wir wollen nicht Verbrechen gegeneinander aufrechnen; aber die vorurteilslose Einsicht in die ganze historische Wahrheit ist für beide Nationen notwendig, und sie bedingt auch eine neue traurige Tatsache; denn im Jahre 1968 sind zusammen mit anderen auch deutsche Soldaten wieder in die Tschechoslowakei — auf den Befehl Ulbrichts — einmarschiert, und sie haben der Gewaltandrohung von 1938 die Gewaltanwendung von 1968 folgen lassen. Ich bitte, auch zu bedenken, daß alles, was die Bundesregierung hier erklärt oder verschweigt, gegenüber einem Regime erklärt oder verschwiegen wird, das seine Macht auf den Panzern fremder Armeen aufbaut.
Der Einseitigkeit der historischen Betrachtung entspricht die Unausgewogenheit von Leistungen und Gegenleistungen zuungunsten unseres Landes. Die Frage der Staatsangehörigkeit ist nicht geregelt. Damit droht nach den Regeln der Doppelstaatlichkeit der Rechtsschutz der Betroffenen ein verminderter zu sein. Darüber wird von einem meiner Freunde gesprochen werden. Die finanziellen Forderungen sind nur im Hinblick auf diesen Vertrag, aber nicht überhaupt ausgeschlossen worden. Der Ausschluß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7399
Dr. Jaegerder Möglichkeit, daß die Tschechoslowakei aus irgendwelchen anderen behaupteten oder wirklichen Rechtsquellen Ansprüche an uns stellt, hätte durch diesen Vertrag bei der großen deutschen Leistung durchaus als Gegenleistung erbracht werden können. Das wurde entweder nicht gefordert oder jedenfalls nicht erbracht. Die einseitige Schuldanerkenntnis in geschichtlicher Hinsicht legt aber den Gedanken nahe, daß die andere Seite damit nicht nur moralische Forderungen verbinden wird.Die humanitären Fragen sind nur sehr oberflächlich geregelt. Es ist keine inhaltlich verpflichtende Regelung zur Auswanderung vorgesehen. Nur von uns aus ist sie vorgesehen, weil es unserem Grundgesetz so entspricht eine sehr theoretische Angelegenheit, denn wer will schon aus der freien Bundesrepublik in die kommunistische Tschechoslowakei auswandern, selbst wenn er Tscheche ist?Schließlich, meine Damen und Herren, hat der Streit um die Nichtigkeit dazu geführt, daß es offenbar umstritten ist, welche Rechtsordnung zwischen 1938 und 1945 im Sudetenland gegolten hat. Art. II Abs. 1 entbehrt letzter Klarheit. Aber um so klarer ist jedenfalls der hier schon erwähnte Brief des tschechoslowakischen Außenministers über die Strafverfolgung von ehemaligen Sudetendeutschen. Die Tschechoslowakei geht ganz eindeutig davon aus, daß sie die Strafhoheit über das Gebiet und über die Menschen dort zwischen 1938 und 1945 besessen hat. Deshalb hätte die Bundesregierung diesen Brief nie annehmen dürfen!Im übrigen schafft hier doch die Tschechoslowakei zweierlei Recht: Die Verbrechen, die von Tschechen begangen worden sind, wurden 1946 amnestiert; todeswürdige Verbrechen, die von anderen begangen wurden, werden, wie dem Brief zu entnehmen ist, noch heute verfolgt. Gerade vom Standpunkt eines Abgeordneten aus, der in diesem Hohen Hause zweimal für die Verlängerung der Verjährungsfrist gesprochen hat, weil er das Verbrechen des Mordes für so schwerwiegend hält, daß es — zumal wenn es im Zusammenhang eines Systemmordes geschehen ist, in Verbindung mit Völkermord und ähnlichen furchtbaren Dingen — nicht verjähren darf, muß ich die doppelte Moral im Recht der Tschechoslowakei hier als unzuträglich und unerträglich geißeln.
Meine Damen und Herren, im April 1967 haben die kommunistischen Parteien Europas in Karlsbad Beschlüsse gefaßt, in denen sie die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, die Anerkennung der DDR, die Verhinderung des Zutritts der Bundesrepublik Deutschland zu Kernwaffen auch in europäischer und atlantischer Form — und schließlich die Nichtigkeitserklärung des Münchener Abkommens von Anfang an gefordert haben.Der Osten hat in ,den letzten Jahren Erfolg auf Erfolg gefeiert und behauptet, daß er nunmehr die letzte Forderung, die nach Ungültigkeit des Münchener Abkommens, abhaken könne. Gegen manche dieser Punkte und gegen diesen letzten gibt es rechtliche Einwendungen der Bundesregierung auf Grund dieses oder anderer Verträge. Aber ich will es nicht juristisch beleuchten: Wenn der Osten diese Erfolge feiert, hat er doch offensichtlich politische Erfolge erzielt, und er glaubt, daß diese politisch-psychologischen Erfolge auf die Dauer Rechtserfolge auch dort nach sich ziehen, wo diese heute noch nicht eingetreten sind. An diesen politischen Fakten kann man nicht vorübergehen.Ich kann — bei aller Gegensätzlichkeit -- nur immer die Konsequenz, mit der kommunistische Staaten ihre Außenpolitik führen, bewundern und die Arglosigkeit, die Leichtfertigkeit, die Halbherzigkeit und die Inkonsequenz der Linksregierung in diesem Lande bedauern.
Der Höhepunkt der Leichtfertigkeit bei der Wahrung deutscher Interessen liegt aber in der Berlin-Frage. Das ist dieser Regierung um so mehr vorzuwerfen, als ihre Sprecher doch immer gesagt haben, sie seien realitätsbezogen, sie würden alles, was ostwärts von Oder und Neiße oder sonst im Osten war, als nicht mehr real ansehen, aber Berlin sei doch die Realität, deren Position gefestigt werden müsse. Das ist in diesem Vertrag nicht geschehen. Nur Art. II wird auf Berlin erstreckt. Bei den Folgeverträgen in der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei ist in jedem einzelnen Fall zu vereinbaren, ob diese Verträge auf Berlin ausgedehnt werden. Damit, meine Damen und Herren, wird in jedem einzelnen Fall hinter Berlin ein Fragezeichen gesetzt, werden in jedem einzelnen Falle Berlin und die Bundesrepublik dem Druck des östlichen Vertragspartners ausgesetzt.Noch erstaunlicher aber ist die Entwicklung auf dem Gebiet der konsularischen Vertretung. Die konsularische Vertretung juristischer Personen erschien dem damaligen Bundeskanzler und dem damaligen Außenminister so wichtig, daß diese am 6. September die Unterzeichnung plötzlich aufschoben und ihre Reise nach Prag absagten. Der damalige Außenminister Scheel erklärte öfters — noch am 24. September —, er werde nur mit der Tschechoslowakei, nicht aber mit der Sowjetunion über diese Frage reden.Anfang November aber reiste Herr Scheel nach Moskau, erörterte dort verschiedene Formen der Rechtshilfe, darunter vor allem die unmittelbare Rechtshilfe zwischen Gericht und Gericht unter Übergehung der beteiligten Außenministerien der Länder. Er tat dies sicher unter dem Eindruck der Forderungen von Herrn Wehner, die Berlin-Frage nicht zu überziehen, d. h. Rechtspositionen in Berlin aufzugeben, und machte dann am 23. November durch unsere Handelsvertretung der tschechoslowakischen Seite den Vorschlag, die Frage der Rechtsvertretung nach dem deutsch-sowjetischen Modell zu lösen.Meine Damen und Herren, das heißt: Diese Frage ist vorerst ungelöst, und die wahrscheinlichste Lösung ist die der Rechtshilfe von Gericht zu Gericht, also die Verweigerung des unmittelbaren konsularischen Schutzes. Ich frage nun: Warum hat Willy Brandt eigentlich unterschrieben, nachdem er seine
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7400 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. JaegerReise zuerst doch abgesagt hat, weil ihm eine solche Regelung unzuträglich erschienen ist?
Warum hat man, andersherum gefragt, die Verhandlungen überhaupt unterbrochen, wenn man zum Schluß das Ergebnis akzeptiert hat, das man sowieso schon ein halbes Jahr vorher hätte haben können?
Die „New York Times", die ja dieser Regierung nicht gerade feindlich gegenübersteht, hat die Lösung „lächerlich" genannt.
Nun zitiere ich den „Vorwärts", das Organ der Sozialdemokratischen Partei, vom 13. Dezember letzten Jahres. Er schreibt:Die jetzt vereinbarte Formel über den Rechtshilfeverkehr für Westberliner Gerichte wäre allerdings auch schon vor einem halben Jahr zu haben gewesen.
Warum in aller Welt hat man die Verhandlungen also zuerst unterbrochen und dann doch unterschrieben?
Ich stelle folgendes fest. Erstens. Die dramatische, mit Theaterdonner verbundene Unterbrechung der Verhandlungen war ohne jedes Ergebnis und damit ohne jeden Sinn.Zweitens. Das Vertragswerk wurde trotz offener Berlin-Fragen, obwohl die Frage der konsularischen Vertretung der juristischen Personen ungelöst ist, abgeschlossen.Drittens. Man hat damit auf die volle konsularische Vertretung Berlins verzichtet.Viertens. Damit ist eine wichtige Rechtsposition preisgegeben, ja, es ist der Status Berlins verschlechtert worden, denn noch im August 1973 nahmen die Behörden der Tschechoslowakei Rechtshilfeersuchen durch die deutsche Handelsvertretung in Prag entgegen. Jetzt verzichtet man auf diese Möglichkeit, die man vorher hatte.
Damit hat man fünftens einen schwerwiegenden Präzedenzfall geschaffen.Sechstens hat man sich der sowjetischen Auslegung des Berlin-Abkommens gebeugt. Normalisierung bedeutet für die Bundesregierung offenbar immer wieder Kapitulation.Siebentens hat man schließlich der östlichen These von der besonderen politischen Einheit West-Berlin Vorschub geleistet.Wir sehen in all dem den Ausdruck der Einstellung der Bundesregierung gegenüber Berlin und bedauern diese Einstellung zutiefst.
In diesem ganzen Komplex ist noch eine Rechtstatsache enthalten, die weit über Berlin hinausweist. Wenn in der Verbalnote vom 23. November von deutscher Seite auf das deutsch-sowjetische Modell verwiesen worden ist, wenn der damalige Außenminister Scheel zur Begründung hier erklärt hat, die CSSR sei ja ein Mitglied des Warschauer Paktes, und unter den Mitgliedstaaten gebe es bestimmte Absprachen und Regeln, die man anerkennen müsse, so hat die Bundesregierung damit der BreschnewDoktrin ihre Anerkennung gezollt,
und zwar nicht stillschweigend durch konkludentes Handeln, sondern ausdrücklich durch eine Erklärung im Parlament und sogar diplomatisch in schriftlicher, verbindlicher Form. Meine Damen und Herren, damit ist der Vertrag, zu dem dieser Schriftwechsel zwar nicht formal, aber inhaltlich gehört, eben auch ein Vertrag zu Lasten der unterdrückten Völker des Ostens einschließlich der Völker der Tschechoslowakei.
Wir lehnen diesen Vertrag deshalb nicht nur im Namen Deutschlands, sondern auch im Namen Europas ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik können die Absichtserklärungen, die von der Bundesregierung und von der sowjetischen Regierung beim Abschluß des Moskauer Vertrages formuliert worden sind, als erledigt gelten. Sie können als erledigt gelten nach dem Abschluß des Warschauer Vertrages, nach dem Abschluß des Grundvertrages.Die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion hat eine eigenständige Entwicklung genommen. Die Bundesrepublik und die DDR sind Mitglieder der Vereinten Nationen geworden. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nimmt unter aktiver Beteiligung beider Staaten einen positiven Verlauf. Der Vertrag mit Prag schließt das Gebäude der bilateralen Verträge ab, die dazu bestimmt sind, eine unheilvolle Vergangenheit zu beenden und die Grundlagen zu schaffen, um eine bessere Zukunft zu gewinnen.
Dafür gilt für den Vertrag mit Prag, was für die anderen Verträge galt und gilt: Sie räumen viel von
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7401
Bahrdem Schutt weg, den das Tausendjährige Reich uns im Übermaß hinterlassen hat. Sie planieren den Boden, auf dem aufgebaut werden kann, wenn man will.Die Bundesrepublik Deutschland ist einbezogen in zahlreiche Verträge mit dem Westen. Die CSSR ist einbezogen in zahlreiche Verträge mit dem Osten. Daran wird sich nichts ändern.Zu der Frage, ob das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Staaten Osteuropas von Mißtrauen, ja von. Feindseligkeit gezeichnet bleiben muß, weil Deutschland geteilt ist, weil es die Spaltung Europas gibt, hat die Regierungskoalition 1969 ein klares Neingesagt. Sie hat den Versuch unternommen, den Frieden sicherer zu machen, und sie hat damit Erfolg gehabt, gerade weil sie den Worten früherer Regierungen Taten folgen ließ, gerade weil aus der Zusicherung, keine territorialen Ansprüche zu erheben, vertragliche Verpflichtungen geworden sind.Dies hat zu deutlichen Zeichen der Entspannung in Europa geführt, die zu leugnen natürlich auch das Recht einer international einsam gewordenen Opposition ist.
Die bisher geschlossenen Verträge haben niemandem geschadet, keinem Staat, keinem Volk, und das wird auch für den Vertrag mit Prag gelten.Wir leugnen doch gar nicht, daß es Enttäuschungen gegeben hat, daß sich nicht alle Erwartungen erfüllt haben._ Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wir sind doch nicht einmal gegenüber unseren westeuropäischen Freunden in der Gemeinschaft von Enttäuschungen verschont geblieben. So klar waren die Verträge nicht, die Sie geschlossen haben, als daß man sich nach 20 Jahren nicht über die Schweinepreise einigen kann.
Ohne die Verträge ist es nicht möglich gewesen, zu einer Politik der Entspannung und Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas zu kommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ich möchte nur meinen Gedanken zu Ende führen. Aber die Verträge allein würden wie ein Feld, das man unbebaut läßt, verkümmern, wenn man die Möglichkeiten der Zusammenarbeit nicht nutzt. — Herr Mertes!
Herr Kollege Bahr, könnten Sie die Freundlichkeit haben uns zu sagen, in welchem Vertrag mit westlichen Staaten es einen politischen und rechtlichen Dissens der Art und des Ausmaßes gibt, wie es ihn in allen Ostverträgen gibt?
In den Verträgen zur Bildung der Europäischen Gemeinschaften mußten sehr viele Punkte offenbleiben und einer späteren Lösung überlassen bleiben — denn anders wären die Nachtsitzungen nicht zu erklären —; das ist meine Antwort darauf.
Es ist völlig richtig, Herr Kollege Marx, es war sehr viel leichter, mit dem Westen zu verhandeln als mit dem Osten.
— In der Tat, es sind andere Partner, da sind wir uns einig.Im Falle Prag war die Situation besonders grotesk. Denn es bestanden auch vor dem Vertrag keine territorialen Fragen zwischen uns und der Tschechoslowakei. Der Gewaltverzicht gegenüber der CSSR war problemlos. Er tritt mit Recht in dem Vertrag zurück hinter die Frage des Münchener Abkommens, d. h. also hinter die Frage eines Abkommens, das niemand mehr verteidigt, das niemand mehr für gültig hält und von dem kein Demokrat glaubt, daß es ohne Gewaltandrohung zustande gekommen ist.
Frankreich und Italien, Herr Dr. Jaeger, haben es trotz ihres Geschichtsbewußtseins für möglich gehalten, das Münchener Abkommen für ungültig von allem Anfang an zu erklären.
Großbritannien hält sich seit 1940 für nicht mehr daran gebunden.
Aber wir sind ja im Prinzip darüber einig, daß es existiert hat.
Gerade diejenigen, die einen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland lange Jahre für richtig gehalten haben, hätten eigentlich als erste dafür sein müssen, den Ballast des Münchener Abkommens loszuwerden.
Wer jedenfalls am Vormittag über Vergewaltigung von Recht redet und damit die DDR meint, wird unglaubwürdig, wenn er am Nachmittag versäumt, sich von der Vergewaltigung eines ganzen Staates loszusagen.
Deutschland in den Grenzen des Jahres 1937 zu fordern, ist eine politische Position gewesen, die zwar außenpolitisch nicht erfolgreich war, aber in-
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7402 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Bahrneupolitisch wirksam vertreten werden konnte. Deutschland in den Grenzen des Jahres 1938 zu fordern, haben Demokraten bisher nicht verlangt.
Der Vertrag mit Prag fällt uns leicht, denn hier kann niemand sagen, es würden Rechtspositionen aufgegeben. Man kann höchstens sagen: wir lösen uns von einem Unrecht.
Es war natürlich dafür zu sorgen, daß die Ergebnisse des Unrechts nicht neues Unrecht hervorbringen.
Dies ist geschehen. Die Sudetendeutschen verlieren durch diesen Vertrag nichts. Insofern liegt dieser Vertrag voll in der Kontinuität und Systematik der anderen bilateralen Ostverträge. Kein einziger Deutscher hat durch diese Verträge irgend etwas verloren, es sei denn Illusionen oder Hoffnungen, die es unmittelbar nach dem Kriege nicht gab.
Wenn auch heute wieder, Herr Dr. Jaeger, wiederholt von der Unausgewogenheit der Verträge zwischen Leistung und Gegenleistung gesprochen worden ist, so rangiert das entweder unter die römische Spruchweisheit, daß irgend etwas immer hängenbleibt, oder unter die deutsche, daß steter Tropfen den Stein höhlt, oder unter die Goebbelssche Erfahrung, daß man selbst Lügen nur oft genug zu wiederholen braucht, damit sie geglaubt werden.
— Ich bin gerade dabei, Ihnen das zu erläutern, Herr Marx.In der Geschichte des Gewaltverzichts darf nicht vergessen werden, mit welchen Forderungen die Sowjetunion den Meinungsaustausch und die Verhandlungen begonnen hat, ohne daß er deshalb als unzumutbar von den damaligen Bundesregierungen abgebrochen worden wäre. Mit folgenden Forderungen ist die Sowjetunion unter anderem in die Verhandlungen gegangen: Anerkennung aller Grenzen, völkerrechtliche Anerkennung der DDR, die Achtung einer besonderen politischen Einheit WestBerlin, Durchführung des Potsdamer Abkommens, Maßnahmen gegen Militarismus und Nazismus auf dem Gebiet der Bundesrepublik, Anspruch auf ein Interventionsrecht nach der Feindstaatenklausel der UN-Charta. Diese und andere Forderungen hat die Sowjetunion jahrelang aufrechterhalten.Wer den dreijährigen Notenwechsel von 1967 bis 1969 durchliest, den Moskauer Vertrag daneben legt und dann noch das Märchen von einseitigen Leistungen der deutschen Seite verbreitet, kann nicht mehr ernst genommen werden.
Zu diesen Forderungen gehörte auch die nach Ungültigkeit des Münchener Abkommens von allem Anfang an. Aber es hätte jeder Logik widersprochen — darin sind wir uns ja einig —, etwas, was geschehen ist, als ungeschehen zu erklären. Daß etwas nichtig ist, obwohl es Folgen hatte, ist doch so unbekannt nicht. Es kommt zwar selten vor, daß die katholische Kirche eine Ehe für nichtig erklärt. Aber wenn sie das tut, so wird deshalb die Notwendigkeit einer Folgeregelung nicht negiert.
Die Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten hat seit ihrem Regierungsantritt der Bundesrepublik Deutschland zusätzliches Gewicht und zusätzlichen Einfluß in der Welt verschafft. Die Beziehungen zu unseren westlichen Verbündeten sind zu keinem Zeitpunkt gefährdet oder verschlechtert worden; im Gegenteil. Die Sorgen, von denen die Opposition in dieser Beziehung seit 1969 immer wieder gesprochen hat, haben .sich als gegenstandslos erwiesen. Es hat bei unseren westlichen Freunden keine Stimme der Erleichterung gegeben, als Bundeskanzler Brandt zurücktrat.Die Kontinuität der deutschen Außenpolitik, das ist die Aufgabe, das seit 1969 neu gewonnene Ansehen nach Osten zu erhalten und wenn möglich auszubauen; das ist die Aufgabe, den deutschen Beitrag zur Entspannung weiterzuleisten und in dieser Politik maßgebend zu bleiben, damit sie nicht über uns hinweg und zu unseren Lasten erfolgt; denn daß diese Politik der Entspannung zwischen Ost und West weitergehen wird, ist sicher die Absicht in Moskau wie in Washington, in Paris wie in London.Bundeskanzler Brandt hat in Moskau am 12. August 1970 in einer Tischrede u. a. erklärt:Das Werk, das hier begonnen wurde, wird seinen vollen Sinn erst erhalten, wenn wir damit zu einer wirksamen und wirklichen Entspannung in der Mitte Europas beitragen. Dabei darf kein Punkt vergessen werden. Das Werk wäre unvollständig, wenn wir nicht dafür sorgen würden, daß es nirgendwo in der Mitte Europas noch zu Spannungen kommen kann und daß befriedigende Regelungen überall geschaffen werden, wo es sie heute noch nicht gibt. Lassen Sie uns alle dies Werk vollenden.Mit diesen Worten war damals sowohl an Berlin, wie an die noch ausstehenden Regelungen mit der DDR, aber auch an die CSSR erinnert worden. Hier handelt es sich nicht um einen Satellitenvertrag, wie das Herr Dr. Heck vorhin geschmackvollerweise formuliert hat, sondern um die einfache Tatsache, daß Gewaltverzicht und Wille zur Entspannung gegenüber der Tschechoslowakei nicht anders als gegenüber der Sowjetunion gelten und daß die Politik der Verträge unvollständig bliebe, wenn man die CSSR, unseren zweiten östlichen Nachbarn, ausklammern wollte.Die Bundesregierung zeigt also die Kontinuität ihrer Politik gegenüber den Staaten Osteuropas, in-
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Bahrdem sie sich für die zügige Ratifizierung des Vertrages mit Prag eingesetzt hat. Die Opposition zeigt die Kontinuität ihrer Ostpolitik, indem sie auch diesen Vertrag ablehnen will. Die Opposition würde damit erneut ins Zwielicht geraten. Es ist bekannt, daß Sie die Politik der Verträge scharf bekämpft haben; das ist verständlich, weil Sie in Ihrer Regierungszeit nicht einmal jene Telefonleitungen schaffen konnten, die das Telefonieren zwischen Ost- und West-Berlin wieder ermöglichten.
Und als diese Telefonleitungen geschaffen waren, fiel Ihnen nichts Besseres ein, als sich darüber zu beklagen, daß die Zahl der Leitungen nicht ausreichte. Damit haben Sie sogar recht! Aber es hat sich eben gezeigt, daß die Bundesregierung den richtigen Weg gewählt hatte, indem sie Schritt für Schritt voranging und das Alles-oder-Nichts der Opposition ablehnte;
denn heute gibt es genügend Leitungen zwischen beiden Teilen der Stadt und zwischen den beiden deutschen Staaten.Das hat sie auch später gezeigt, als es der Bundesregierung gelang, im Rahmen des Moskauer Vertrages erstmalig wieder die Rechte der Vier Mächte von der Sowjetunion offiziell akzeptiert zu erhalten.
— Ja.
— Aber nicht von der Sowjetunion! Erkundigen Sie sich bei den drei Mächten, daß sie vergeblich versucht hatten, von der Sowjetunion ein Schriftstück darüber zu erhalten.
Die Opposition irrte auch, als sie meinte, mit der Unterschrift unter den Moskauer Vertrag sei die Möglichkeit eines befriedigenden Berlin-Abkommens vertan worden. Es blieb allerdings einem späteren Fraktionsvorsitzenden der Oppositionsparteien vorbehalten, sich darüber zu beklagen, daß Berlin im Moskauer Abkommen nicht erwähnt worden ist. So unpolitisch war Herr Dr. Barzel nie!
Nicht nach unserem Verständnis, wohl aber nach dem Verständnis der Länder des Warschauer Vertrages ist das Viermächteabkommen die Basis, auf der die Bundesrepublik Deutschland auch für WestBerlin sprechen und Verträge abschließen kann. Der Vertrag mit Prag schließt denn auch durch seinen Briefwechsel Berlin in seine materiellen Bestimmungen ein. Herr Dr. Jaeger: die Einbeziehung erfolgt in jedem einzelnen Falle, natürlich; denn so verlangt es das Viermächteabkommen. Hier ist keinerlei Verzicht auf die konsularische Vertretung berliner natürlicher oder juristischer Personen erfolgt.Auch hier sieht man, daß es im Laufe der Zeit leichter werden kann, Dinge zu regeln, die vor drei oder vier Jahren noch nicht erreichbar waren. Deshalb ist die ständige Klage der Opposition über: So nicht! und: Jetzt nicht! im Grunde gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine schöpferische Politik der Aussöhnung mit Osteuropa überhaupt.
Die Regierungskoalition hat die Schwierigkeiten dieser Politik nicht unterschätzt. Wir haben immer betont, daß man in aller Nüchternheit sehen muß, daß friedliche Koexistenz nicht ideologische Koexistenz bedeutet. Die Normalisierung zwischen Staaten erspart uns nicht eine geistige Auseinandersetzung. Im Grunde ist es phantastisch, daß gerade die Gegner der Ostpolitik, die doch angeblich die Bösartigkeit der Kommunisten besser kennen wollen, behaupten, sie hätten mit diesen bessere Ergebnisse erzielen können. In Wirklichkeit waren die Herren von der CDU/CSU über viele Jahre hinweg die bequemeren Partner kommunistischer Regierungen; denn diese Regierungen konnten sicher sein, daß jeder ihrer Vorschläge abgelehnt werden würde, außer solchen, bei denen es um Geschäfte ging.
Im Zuge der Ostpolitik hat die Opposition ihren Vorsitzenden verloren, weil sich in der Entscheidung schließlich jene durchsetzten, die sogar den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen ablehnten
und für eine solche Demonstration bloßer Obstruktion sogar in Kauf genommen hätten, daß allein die DDR Mitglied der Vereinten Nationen. geworden wäre. Nach der Logik von Leistung und Gegenleistung, meine Herren, durfte da niemand fragen!Einmal allerdings haben Sie zugestimmt, und zwar einem Vertrag, der in einem ganz wichtigen Punkt den Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten vorwegnahm. Ich erinnere an den Verkehrsvertrag, in dem zum erstenmal von einem Hoheitsgebiet der DDR die Rede war. Wegen des darin steckenden Inhalts vom Hoheitsgebiet der DDR ist die Opposition nicht nach Karlsruhe gegangen; sondern sie hat das Prinzip akzeptiert, daß die Vorteile im Interesse der Menschen überwiegen, d. h. sie hat das Prinzip der Ostpolitik einmal akzeptiert. Das war allerdings unmittelbar vor den letzten Bundestagswahlen.
Danach war es die ,erklärte Auffassung der Opposition, sich auf den Boden der Verträge zu stel-
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Bahrlen. Ich frage: Warum geschieht das nicht auch heute?
Es gibt doch in der Opposition die Auffassung, das, was damals Brandt, Scheel, Duckwitz und Bahr ausgehandelt haben, war schlecht und ungenügend, aber es ist völkerrechtlich wirksam, und nur, wer die Verfassung brechen will, kann sich dagegen sträuben..
Meine Damen und Herren von der Opposition, das, was an dem Vertrag von Prag schlecht ist, können Sie doch auf den Moskauer Vertrag, auf die Absichtserklärungen, auf frühere Verhandlungsführer abwälzen, und Sie haben das doch in dem Minderheitenbericht auch getan.Sie brauchen sich doch nur auf den von Ihnen eingenommenen Standpunkt zu stellen und zu sagen: Wir verhalten uns nur so, wie wir es angekündigt haben; wir stellen uns auf den Boden der abgeschlossenen Verträge. Das um so mehr, weil ja doch nach Ihrer Auffassung Herr Staatssekretär Frank sorgfältiger, ,genauer und zäher verhandelt hat als andere.Das einzige, was diesen Vertrag im übrigen von seinen Verwandten, also von den Verträgen von Moskau, Warschau und dem Grundlagenvertrag unterscheidet, ist die Frage des Münchener Abkommens. In dieser Frage sollte es eine sehr große Mehrheit dafür geben, daß dieses Abkommen nichtig ist.
Es sollte nicht so schwer sein, diesem Vertrag zuzustimmen. Das wäre vor allem auch ein Zeichen dafür, daß sich die Opposition eben auf den Boden der geschlossenen Verträge stellt.
Oder um es mit den Worten von Franz Josef Strauß zu sagen, der die völkerrechtliche Gültigkeit der Ostverträge unterstrichen hat; er ,sagte, es gebe zu ihnen jetzt keine Alternative mehr, es igelte, die aus ihnen drohenden Gefahren zu vermeiden, aber auch die Vorteile der Verträge, die von ihm nie bestritten worden seien, im größtmöglichen Umfang auszunutzen.
Daß das Münchener Abkommen unter Androhung von Gewalt zustande gekommen und nicht mehr gültig ist, hat nicht nur Herr Erhard, sondern hat Bundeskanzler Kiesinger am 13. Dezember 1966 in seiner Regierungserklärung festgestellt. Die Opposition sollte keine Haltung einnehmen, die sie hinter das Jahr 1966 und hinter die Erklärungen ihres eigenen Bundeskanzlers zurückführt.
Deshalb beantrage ich für die Koalitionsfraktionen namentliche Abstimmung bei der Schlußabstimmung.In den Ausschußberatungen war auch- das Argument zu hören — Herr Dr. Jaeger hat es heute in anderer Form wiederholt —, daß es schwierig sei, bei München die Gewaltandrohung zu akzeptieren, ohne 1968 zu erwähnen. Meine Damen und Herren, einen Monat nach der militärischen Intervention in der CSSR trafen sich der damalige Bundeskanzler und der damalige französische Staatspräsident. De Gaulle und Kiesinger waren sich einig, so hieß es hinterher, in der Ablehnung der militärischen Intervention in der CSSR; sie hätten jedoch übereinstimmend festgestellt, daß eine Fortführung der Entspannungspolitik unerläßlich sei.Und der damalige Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung bekräftigte aus Anlaß des 30. Jahrestages des Münchener Abkommens : Die Bundesregierung betrachte das Abkommen als nicht mehr gültig
und werde aus ihm auch in der Zukunft keine politischen oder territorialen Ansprüche gegenüber der CSSR herleiten.
Die sozialdemokratische Fraktion steht auch heute noch zu dieser Erklärung,
die damals, sechs Wochen nach der Intervention, für die Bundesregierung abgegeben wurde. Wenn sich die heutige Opposition davon ebenfalls nicht entfernt, dann sehe ich wirklich keinen Grund, warum Sie dem Vertrag nicht zustimmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte sehr!
Herr Kollege Bahr, können Sie mir sagen, wo in dem Prager Vertrag steht, was in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 steht, nämlich daß das Münchener Abkommen nicht mehr gültig sei, also einmal gültig gewesen sei?
Ich habe vorhin dargelegt, Herr Mertes — und sogar Herr Jaeger ist der Auffassung —, daß eine Ungültigkeitserklärung ex tunc in dem vorgelegten Vertrag nicht enthalten ist.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kliesing?
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Bitte sehr!
Herr Kollege Bahr, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß sich zu dem Zeitpunkt, als die deutsch-tschechischen Verhandlungen begannen, die tschechoslowakische Regierung bereits durch Art. VI des tschechischsowjetischen Vertrages verpflichtet hatte, von der Haltung, daß das Münchener Abkommen von Anfang an ungültig gewesen sei, nicht abzuweichen, daß es infolgedessen der tschechischen Regierung aus von ihr übernommenen völkerrechtlich wirksamen Verpflichtungen heraus gar nicht möglich war, in der Frage der Nichtigkeit des Münchener Abkommens irgendwie zu einem Kompromiß mit der von Ihnen vertretenen Auffassung der Bundesregierung zu kommen?
Herr Kollege Kliesing, ein Textvergleich wird Ihnen zeigen, daß Ihre Frage falsch gestellt ist; denn es gibt in der Tat einen Unterschied.
— Aber Entschuldigung, ich habe geantwortet. Der Textvergleich zwischen dem sowjetisch-tschechischen Abkommen und dem heute vorliegenden Vertrag zeigt, daß die ex tunc-Ungültigkeitserklärung in dem heutigen Vertrag eben nicht enthalten ist.
Wollen Sie damit sagen, daß nach Abschluß dieses Vertrages die Prager Regierung nicht mehr den Standpunkt vertritt, das Münchener Abkommen sei von Anfang an nichtig gewesen?
Ich verweise auf die Berichte und die Denkschrift der Bundesregierung.
— Ich bin ja gerade dabei, zu antworten. Wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen, geht es sogar schneller.
Da steht exakt drin, daß über das Münchener Abkommen keine Einigkeit erzielt werden konnte,
so daß jeder in der Lage ist, seinen Standpunkt zu vertreten — also eben auch wir, und ich hoffe doch, mit Ihnen!
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage?
Nein, ich möchte fortfahren.
— Doch! Es gibt den 'einheitlichen Vertragswillen, sich durch das Münchener Abkommen künftig im Aufbau der Zukunft nicht mehr behindern zu lassen; das ist der einheitliche Vertragswille.
Meine Damen und Herren, in Genf sind die Vertreter der europäischen Staaten dabei, Regeln ihres Zusammenlebens und ihres Zusammenwirkens auszuarbeiten. Dabei wird der Gewaltverzicht, wie er in den bilateralen Verträgen der Bundesrepublik entwickelt worden ist, eine wichtige Rolle spielen.In Wien gehen die Verhandlungen über eine gleichmäßige Truppenreduktion auf beiden Seiten weiter. Es geht um vertrauenbildende Maßnahmen und um erste Schritte der Reduktion.In Washington und in Moskau bereitet man sich auf den dritten Gipfel zwischen Präsident Nixon und Generalsekretär Breschnew vor. Das Kennzeichen dieser Begegnung ist, daß die Zeichen der Entspannung auf Grün stehen, obwohl es noch kein zweites SALT-Abkommen geben wird.Wirtschaftliche Projekte der Kooperation zwischen Ost- und Westeuropa sind nicht möglich, wenn man die beiden östlichen Nachbarn der Bundesrepublik ausklammert. Deshalb bin ich gerade aus europäischen Gesichtspunkten heraus der entgegengesetzten Auffassung von Herrn Dr. Jaeger. Wenn der Vertrag mit Prag die Hindernisse der Vergangenheit beseitigt und damit eine weitere Voraussetzung schafft, die Zusammenarbeit in der Mitte Europas zu verstärken, liegt dies auch im europäischen Interesse.
Die Kooperation zwischen Ost und West in Europa, die Reduktion des angesammelten Zerstörungsmaterials, die Frage, ob es europäische Antworten auf die Probleme der Energie- und Rohstoffversorgung gibt, sind Aufgaben, die vor uns stehen.Der zeitliche Abstand von 1938 bis heute führt uns, wenn man ihn in die Zukunft verlängert, bis zum Jahre 2010. Es ist erschütternd, daß es fast 36 Jahre gebraucht hat, ehe es uns gelingt, das Verhältnis zwischen den beiden Staaten vom Schatten des Münchener Abkommens zu befreien; denn dieser Vertrag bedeutet politisch, daß das Gift Hitlers, das im Verhältnis zwischen unseren beiden Völkern bis heute gewirkt hat, von morgen an nicht mehr wirken soll. Das ist der Sinn dieses Vertrages.
Heute früh ist von Geschichtsbewußtsein die Rede gewesen. Wer so redet, wie Herr Kollege Abelein es getan hat, der macht die Geschichte zu einem Mahlstein, der uns für immer in die Vergangenheit
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Bahrzurückziehen will. Wir übersehen nicht, daß es die Vertreibung der Sudetendeutschen gab. Wir wissen, daß sich die Geschichte zwischen den Deutschen, den Tschechen und den Slowaken nicht im Jahre 1938 erschöpft, Gott sei Dank übrigens nicht. Recht und Unrecht haben sich in Jahrhunderten abgelöst. Wenn die einen gelitten haben, haben meistens bald auch die anderen gelitten. Die geographische Nachbarschaft im Herzen Europas hat das so gewollt.
Wer Versöhnung will, darf nicht aufrechnen! Wer aus dem Teufelskreis ausbrechen will, darf keine politische Beckmesserei betreiben!
Sollte die eine oder andere Formulierung den Tschechen und den Slowaken etwas mehr gegeben haben als uns — ist das so schlimm, wenn man sich versöhnen will?
Sind wir nicht das größere Volk, als Staat in einer glücklicheren Lage? Steht es uns nicht gut an, nach den zähen Verhandlungen, nach dem Ringen um Buchstaben und Kommas, nach der Wahrung aller unserer Interessen nun den Schlußstrich zu ziehen und nach vorn zu schauen? Wer den Vertrag ablehnt, riskiert, daß uns die Schatten der Vergangenheit nicht verlassen.
Der Vertrag soll ein Schlußstrich sein. Er gibt der CSSR und der Bundesrepublik Deutschland die Chance eines neuen Anfangs. Es wäre gut, wenn viele in diesem Hause diese Chance eines neuen Anfangs mit ergreifen würden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte des heutigen Nachmittags, aber nicht weniger die erste Lesung über das vorliegende Gesetz und die Aussprache im Auswärtigen Ausschuß haben gezeigt, daß es einen Dissens der Auffassungen zwischen der Opposition und der Koalition gibt, der weit über die unterschiedliche Beurteilung einzelner Bestimmungen dieses Vertrages hinausreicht. Ich halte es deswegen für notwendig, zunächst einmal nicht etwa nur auf die Frage einzugehen, wie einzelne Artikel oder einzelne Aussagen der Präambel zu beurteilen seien, sondern etwas grundsätzlicher zu beginnen. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten mit einem Zitat beginnen. Dieses Zitat richtet sich auch an das, womit Sie geschlossen haben, Herr Kollege Dr. Jaeger. Es lautet:Fortschritte in der Europapolitik sind und bleiben Voraussetzung für eine Ostpolitik, die wirum des Friedens, um der Menschen und um derdeutschlandpolitischen Zielsetzungen willen anstreben und festhalten werden, die aber ohne Gleichgewicht und mithin ohne Atlantisches Bündnis und ohne ein Zusammenwachsen des Europas zum Scheitern verurteilt wäre.Ich habe aus einer Schrift mit .dem Titel „Elemente der Deutschlandpolitik" zitiert, die über eine Deutschlandtagung der Exil-CDU berichtet. Der Verfasser dieses Zitats ist Herr von Weizsäcker.Für mich gibt es zwei Gründe, die Überlegungen zum vorliegenden Vertrag mit diesem Zitat zu beginnen. Der erste Grund liegt in der Frage, wer eigentlich für die Opposition dieses Hohen Hauses deren Außenpolitik verbindlich vertritt. Ist das, was hier gesagt worden ist, die verbindliche Aussage, oder muß ich mich an das halten, was zu diesem Vertrag in weiten Passagen der Diskussion des Auswärtigen Ausschusses gesagt worden ist? Diese Frage kann und wird möglicherweise der eine oder der andere Redner der Opposition noch beantworten.Der zweite Grund liegt für mich in einer Frage an Herrn von Weizsäcker als den Verfasser dieses Zitats. Es ist nämlich notwendig, nicht nur zu sagen, eine aktive Europapolitik, ein Zusammenwachsen, ein Einbinden der Bundesrepublik in das westliche Bündnis — alles Dinge, deren Notwendigkeit nicht bestritten wird — seien Voraussetzung für eine Ostpolitik, sondern — damit wiederhole ich ausdrücklich, Herr Kollege Mertes, was ich neulich hier in der Europadebatte gesagt habe — eine Beseitigung akuter Spannungen, eine Bereinigung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zu ihren östlichen Nachbarn sind ebenfalls Voraussetzung dafür, daß wir eine erfolgreiche und aktive Europapolitik und atlantische Politik treiben können. Nur wenn wir — bei aller Erkenntnis der Tatsache, daß die Voraussetzungen und Bedingungen im Westen und im Osten unterschiedlich sind, worauf ich noch zurückkommen werde — die Westpolitik und die Ostpolitik der Bundesrepublik als einander ergänzende Elemente und Richtungen sehen, werden wir diese Ziele erreichen können, denen ja dieses Hohe Haus wohl gemeinsam nachstrebt und die bei der weiteren Erörterung des Vertrags noch zu erwähnen sein werden. Aber ich sage noch einmal: Die Voraussetzungen und Bedingungen der Politik sind im Westen und im Osten unterschiedlich. Sie unterscheiden sich voneinander ebensosehr wie die politischen und gesellschaftlichen Systeme in Ost und West.Aber deswegen sollte niemand glauben, daß etwa der Beginn der Westpolitik für die Bundesrepublik damals sehr viel einfacher gewesen wäre als der Beginn der aktiven Politik und Vertragspolitik gegenüber dem Osten. Jene unter Ihnen, meine Damen und Herren, die länger als wir jüngeren Abgeordneten — ich will den Ausdruck „neueren" Abgeordneten vermeiden — das von Anfang an verfolgt haben, werden wissen, welche Schwierigkeiten auch die Westpolitik und die Einbringung der Bundesrepublik Deutschland in internationale Bindungen damals bereitet haben.
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RonneburgerAuch damals hat ja die Regierung nicht etwa gesagt: Die Sache ist so schwierig; wir verzichten darauf. Sondern auch damals ist diese Politik betrieben worden. Und genauso sollte es mit der Ostpolitik sein — trotz der Schwierigkeiten und Unterschiede, die zwischen den Systemen bestehen.Ich habe davon gesprochen, welche politischen Ziele eigentlich verfolgt werden. Über das Hineinwachsen der Bundesrepublik Deutschland in internationale Beziehungen hinaus möchte ich dreierlei nennen: Sicherung des Friedens, Verbesserung der Situation für die Menschen und Überwindung einer unheilvollen Vergangenheit, wie es auch in der Präambel dieses Vertrages heißt, einer übrigens in West und Ost, wenn wir unsere jüngste Geschichte betrachten, unheilvollen Vergangenheit. Wer die beiden ersten Ziele, Sicherung des Friedens und Verbesserung der Situation für die Menschen, erreichen will, diese in die Zukunft gerichteten Dinge wirklich ernsthaft anstreben will, muß sich auch mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Ich sage aber noch einmal sehr deutlich: Auseinandersetzung mit der Vergangenheit heißt nicht etwa, daß wir Unrecht gegen Unrecht aufrechnen. Ich füge mit einem Rückblick auf die Debatten im Auswärtigen Ausschuß hinzu: wenn ich hier Aufrechnung ablehne, dann möchte ich damit sagen, daß es uns nicht um die Frage geht, ob die Vertreibung der Sudetendeutschen oder Auschwitz schlimmer gewesen seien, das eine schlimmer als das andere.
— Ich habe mich ausdrücklich auf die Erörterungen im Auswärtigen Ausschuß bezogen.
Ich bin bereit, meine Damen und Herren, wenn Sie es von mir verlangen, hier zu sagen, wen ich hiermit zitiere.
— Wenn Sie damit einverstanden sind, Herr Dr. Becher: Das ist ein Zitat aus Ihren Ausführungen.
— Wie bitte?
— Nein, diese Formulierung, Auschwitz sei nicht schlimmer gewesen als die Vertreibung, ist ein Zitat aus den Äußerungen von Herrn Dr. Becher.
— Darf ich vielleicht, Herr Dr. Becher, bevor ich Ihre Zwischenfrage beantworte, noch ein zweites Zitat bringen: „Es geht uns nämlich auch nicht um die Frage der Prozentzahlen der in Auschwitz getöteten Tschechen." Ich möchte auch dies mit aller Nüchternheit und mit dem Versuch, es ruhig zu sagen, hier einfach einmal sagen, um darzustellen, daß es um mehr geht als um Aufrechnung. Es geht vielmehr um die Frage: Überwinden wir die Vergangenheit, und auf welche Weise ist das möglich?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Becher? — Bitte !
Herr Kollege, würden Sie mir bestätigen, daß ich meine Ablehnung einer Aufrechnung zwischen Auschwitz und den Vertreibungsverbrechen erst in die Diskussion einführte, nachdem Herr Staatssekretär Frank zum erstenmal in der ganzen Verhandlungsführung kundgab, daß in der Präambel des Prager Vertrages die Vertreibungsverbrechen nur deshalb nicht erwähnt und verurteilt wurden, weil Auschwitz noch größere Verbrechen gebracht habe?
Ich bin bereit, Ihnen zuzugestehen, daß Ihre Äußerungen erfolgt sind nach der Erwähnung von Auschwitz durch Staatssekretär Frank, aber ich wiederhole noch einmal ausdrücklich, daß Herr Dr. Becher gesagt hat, die Vertreibung sei nicht schlimmer gewesen als Auschwitz,
und — wenn wir schon auf Ihre Zwischenfragen soweit eingehen, meine Damen und Herren von der Opposition —, daß er gesagt hat, Auschwitz hätte schon deswegen in diesem Zusammenhang nicht genannt werden dürfen, weil die Prozentzahl der dort getöteten Tschechen das nicht rechtfertige.
Ich meine daher, wir sollten hier sehr nüchtern sagen, daß es nicht um nachträgliche Legalisierung geschehener Verbrechen geht, in wessen Namen auch immer sie begangen worden sind. Wenn wir die Überwindung dieser unheilvollen, dieser belasteten Vergangenheit wirklich wollen, dann ist jede. Forderung nach Abwägung und Aufrechnung falsch.Es ist auch falsch — ich sage das mit aller Nüchternheit und Deutlichkeit —, von einer Buße oder von einer Kollektivschuld des deutschen Volkes oder einzelner Teile, etwa der Sudetendeutschen, zu sprechen oder die Verteibung etwa als eine Buße für bestimmte Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes begangen worden waren, anzusehen. Es geht um den Beginn neuer nachbarlicher Beziehungen auf der Basis von Prinzipien, die dafür vereinbart werden.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang kommt immer wieder die Frage auf, ob nicht die Präambel dieses Vertrages eine selektive Darstellung der Geschichte enthalte oder gar eine nachträgliche Umschreibung, eine falsche Darstellung der Geschichte. Ich werde, Herr Dr. Marx, auf Ihre Äuße-
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7408 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Ronneburgerrungen in der ersten Lesung in diesem Zusammenhang noch zurückkommen müssen.Tatsächlich geht es in den Ausführungen der Präambel um eine Beschränkung auf jene Frage, die akut zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland zu regeln war, um zu einem Modus vivendi zu kommen. Es geht nicht um eine Gesamtabrechnung mit der komplizierten Vergangenheit der Deutschen und der Tschechen und Slowaken in dem Raum, in dem sich heute der Staat Tschechoslowakei befindet. Man könnte in der Geschichte sehr weit zurückgehen und müßte es vielleicht auch tun, wenn man wirklich gerecht abwägen wollte. Aber wenn es der Herr Präsident gestattet, möchte ich, einfach um deutlich zu machen, daß man bei einer solchen Darstellung der Geschichte auch nicht etwa mit dem Jahr 1918 beginnen darf, sondern dann noch weiter zurückgehen müßte, ein kurzes Zitat aus dem Memorandum des tschechischen Nationalausschusses in London aus dem Jahre 1972 bringen, also einer tschechischen Organisation, die sicherlich nicht durch den Vorwurf belastet ist, daß sie kommunistisch beeinflußt oder unterwandert sei. Dort heißt es — das möchte ich einfach einmal hier wiedergeben —:Die Wiedergeburt des tschechischen Volkes und sein Streben nach staatlicher Selbständigkeit— damit ist etwa die Mitte des vorigen Jahrhunderts gemeint, jene Zeit, in der die nationalstaatliche Entwicklung in Europa nach der Französischen Revolution neue Impulse erhielt —stießen auf den Widerstand jener Deutschen, die sich der Emanzipation der kleinen mitteleuropäischen Völker entgegenstellten und sich bemühten, ihre von der Zeit bereits überholten Vormachtpositionen festzuhalten.Ich zitiere das auch deswegen, meine Damen und Herren, weil sich aus dieser Feststellung ergibt, daß es gewisse Zeitpunkte für geschichtliche Lösungen gibt, die man ergreifen muß oder die man versäumt.
Genau dasselbe gilt für die Frage einer Aussöhnung zwischen dem tschechischen und dem deutschen Volk heute. Es ist nicht so, daß wir das unbeschadet auf die lange Bank schieben können, sondern es ist so, daß es im Zusammenleben im böhmisch-mährischen Raum, in einer gemeinsamen Geschichte der Slawen und der Deutschen in diesem Raum, absolute Höhepunkte, aber auch immer wieder neue Spannungen gegeben hat und daß sicherlich auch in der Zeit zwischen 1918 und 1938 versäumt worden ist, .dieses Modell eines Nationalitätenstaates zu einem neuen Zusammenleben der verschiedenen Volksstämme zu bringen. Vielmehr ist hier der Versuch gemacht worden, einen Nationalitätenstaat als Nationalstaat zu führen.Meine Damen und Herren, ich habe diesen Rückgriff in die Geschichte getan, um zu zeigen, daß es im Grunde genommen gar nicht möglich ist, in einem Vertrag auf die gesamte Entwicklung zurückzugreifen — Herr Dr. Jaeger hat es mit der Erwähnung anderer Ereignisse ebenfalls getan —, sondern daß es in einem politischen Vertrag tatsächlich nur darum gehen kann, die akute politische, zwischenstaatliche und zwischenvolkliche Situation zu entspannen und die Grundlage dafür zu schaffen, daß sich zwischen diesen beiden Staaten ein neues Verhältnis entwickeln kann. Selbstverständlich sollte der Politiker, der solche Dinge zu behandeln und zu entscheiden hat, den Ablauf der Geschichte kennen. Er sollte sie schon deswegen kennen, damit Fehler nicht wiederholt werden. Aber Aufgabe dieses Vertrages und Aufgabe der Präambel ist es nicht, Geschichte zu schreiben. Das ist Aufgabe der Historiker. Wenn das Münchener Abkommen in dieser Präambel genannt und wenn darauf hingewiesen worden ist, in welcher Weise dieses Abkommen zustande gekommen ist, dann deswegen, weil dieses Münchener Abkommen aus der Sicht der Tschechen das entscheidende Problem zwischen unseren beiden Staaten und Völkern gewesen ist und man in dieser Frage zu einer Lösung kommen mußte.Nun ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, daß eine unvollständige Darstellung der Geschichte der letzten Jahre in der Präambel zweifellos nicht gesehen werden kann; denn schließlich sind darin nicht nur das Münchener Abkommen erwähnt, sondern auch der Zweite Weltkrieg sowie alles Leid und Unheil, das er über die Völker Europas gebracht hat, also nicht etwa nur über das tschechische, sondern auch über das deutsche Volk. Hier ist sehr wohl, ohne daß der eine oder andere ausdrücklich belastet wird, auf die insgesamt belastete Situation hingewiesen worden.Aber das, was mich bei der ersten Lesung dieses Vertrages, Herr Dr. Marx, ganz besonders betroffen gemacht hat, ist Ihre Darstellung nicht nur zu der Frage, ob hier eine unvollständige Darstellung der Geschichte vor sich gegangen sei, sondern — wenn ich zitieren darf, Herr Präsident — Sie haben gesagt:Im Vertrag hat sich die Bundesregierung — ich bedauere das sehr — auf eine einseitige, lückenhafte und historisch falsche Darstellung des geschichtlichen Ablaufs eingelassen. Sie hat mit der Feststellung, wonach das Münchener Abkommen der tschechoslowakischen Republik durch das nationalsozialistische Regime unter Androhung von Gewalt aufgezwungen worden sei, sich auch eine alte Forderung Moskaus zu eigen gemacht.Wenn ich das nüchtern lese — und ich habe es mehrmals nachgelesen, weil ich gerne dem nachgehen wollte, was wirklich gemeint ist —, so kann ich aus Ihren Worten nur schließen, Herr Dr. Marx, daß das eine Ablehnung der Darstellung ist, daß das Münchener Abkommen durch das nationalsozialistische Regime der Tschechoslowakei mit Gewalt aufgezwungen worden sei. Anders kann doch die Darstellung nicht gelesen werden, daß man mit dieser Feststellung eine alte Forderung Moskaus übernommen habe. Das trifft mich besonders, Herr Dr. Marx. Ich sehe Sie mit dieser Feststellung in einer, wie ich meine, unheilvollen Nähe jener Notverwaltung des deutschen Ostens, von der sich unsere Vertriebenenverbände wegen ihrer Äußerungen auch durchgehend distanzieren, die aber genauso,
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Ronneburgerwie Sie es hier tun, von einer geschichtlich falschen Darstellung sprechen.Ich glaube, es ist nicht zu bestreiten, daß die Tschechoslowakei dieses Abkommen von München nicht hingenommen hätte, wenn nicht die Drohung mit Gewalt dahintergestanden hätte. Um dafür ein, wie ich meine, einleuchtendes Beispiel zu bringen, sei es mir gestattet, auf eine geheime Aufzeichnung vom 30. Mai 1938 hinzuweisen, also etwa ein halbes Jahr, bevor das Münchener Abkommen geschlossen wurde. In dieser geheimen Aufzeichnung des Deutschen Reiches heißt es als Aussage Hitlers:Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.Also ein halbes Jahr vor München, meine Damen und Herren, die Absichtserklärung, nicht etwa das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen zu verwirklichen, sondern die Tschechoslowakei zu zerschlagen! Lassen Sie mich ergänzend nur auf die Tatsache hinweisen, daß zur Zeit des Abschlusses des Münchener Abkommens ein Ultimatum des Deutschen Reiches zum 1. Oktober lief, das schlicht darauf hinauslief, am 1. Oktober die Besetzung der sudetendeutschen Gebiete beginnen zu wollen, falls nicht bis dahin eine vertragliche Regelung erfolgt sei.Ich glaube, daß wir uns über diese Frage nicht abschließend einigen werden. Aber ich möchte mit einem Rückblick auf die Präambel in diesem Augenblick noch einmal nachdrücklich feststellen, daß nach meiner festen Überzeugung hier keine selektive, keine einseitige und schon gar nicht eine falsche Darstellung der Geschichte erfolgt ist, sondern daß das getan worden ist, was man in einem politischen Vertrag tun muß: daß auf die Dinge Bezug genommen wird, die in demselben Vertrag geregelt werden sollen.Die Nichtigkeit des Münchener Abkommens ist auch von Herrn Dr. Marx in dem Sinne nicht in Frage gestellt worden, daß Sie ebenfalls wie wir davon ausgehen, daß dieses Münchener Abkommen heute keine rechtliche Gültigkeit mehr hat, wobei es im Grunde genommen nicht sehr erheblich ist, auf welchen Zeitpunkt für die Ungültigkeit man sich einigt, wenn man nur zunächst einmal — und das ist ja gemeinsame Überzeugung aller Fraktionen dieses Hauses — gemeinsam davon ausgeht, daß es zunächst einmal rechtliche Bedeutung gehabt hat, daß die Bewohner des Sudetengebietes die deutsche Staatsangehörigkeit rechtens erworben haben und daß in diesem Gebiet für einen bestimmten Zeitraum die deutsche Rechtsordnung gegolten hat.
Die Opposition geht bei der Ausdeutung des Begriffes „Nichtigkeit" immer davon aus, daß eine Nichtigkeit von Anfang an gemeint sei. Es wird übersehen, daß diese Ausdeutung schon deswegen falsch sein muß, weil der Begriff „nichtig" mit zwei ganz bestimmten Einschränkungen verbunden wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Ronneburger, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß die Opposition die restriktive Interpretation des Nichtigkeitsbegriffes durch die Bundesregierung teilt, andererseits aber politisch befürchtet, nach Auffassung des Vertragspartners sowie der UdSSR würden verschiedene Elemente in diesem Vertrag — insbesondere der dritte Absatz der Präambel — die extensive Interpretation, die die andere Seite vertritt, begünstigen?
Zu dem ersten Teil Ihrer Frage, ob ich nicht zur Kenntnis genommen hätte, daß die Opposition die Interpretation der Bundesregierung teilt, muß ich Ihnen sagen: Wenn ich das tun sollte, müßte ich Herrn Dr. Jaeger falsch verstanden haben.
— Ich glaube nicht, daß ich ihn falsch verstanden habe, denn er hat doch ausdrücklich auf die Tatsache hingewiesen, daß der Begriff „Nichtigkeit" im Sinne von „nichtig von Anfang an" zu verstehen sei.Allen Auslegungsversuchen des Vertragspartners, aus diesem Begriff eine Nichtigkeit von Anfang an mit rechtlichen Wirkungen abzuleiten, kann mit dem Hinweis auf die beiden Einschränkungen dieses Begriffes — „im Hinblick auf ihre gegenseitigen Beziehungen" und „nach Maßgabe dieses Vertrages" — begegnet werden. Ich brauche all das, was Herr Kollege Bahr vorhin hier gesagt hat, nicht noch einmal zu wiederholen. Die von Ihnen skizzierte Gefahr sehe ich also nicht. Vor allen Dingen sehe ich nicht die Gefahr, daß die Feststellung, das Münchener Abkommen sei der Tschechoslowakei seinerzeit unter Androhung von Gewalt aufgezwungen worden, zu einer Auslegung des Begriffes „Nichtigkeit" führen müsse, die Rechtsfolgen haben könne. Herr Kollege Dr. Mertes, dies ist doch das Entscheidende: Die Frage, ob es in diesem Vertrag um Zweideutigkeit oder Mehrdeutigkeit geht, kann doch nur beantwortet werden, wenn eine Prüfung erfolgt ist, ob eine klare Rechtslage geschaffen worden ist. Sie werden nicht bestreiten können, daß Art. I und II zusammengenommen eine klare Rechtslage schaffen. Wir erklären zwar, wir würden uns künftig nicht mehr auf das Münchener Abkommen berufen, aber die Formulierung schließt zugleich jede Rechtswirkung in bezug auf die Betroffenen aus. Insofern ist es nach meiner Auffassung keine Frage, daß dieser Begriff Nichtigkeit hier ohne Rechtsfolgen bleibt, auch wenn die tschechoslowakische Seite ihre Interpretation auf eine Nichtigkeit von Anfang an ausrichten wird. Aber sie hat ja in diesem Vertrag zugestanden, daß sie aus dieser Auslegung keine Rechtsfolgen ziehen wird und ziehen kann, denn die drei Positionen des Art. Il schließen das mit aller Sicherheit in bezug auf
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RonneburgerRechtswirkungen, auf Staatsangehörigkeit und auf materielle Ansprüche aus.In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Frage der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, noch einmal, was denn eigentlich in diesem Vertrag an deutschen Leistungen enthalten ist, außer zwei Tatsachen, nämlich erstens, daß wir bereit sind anzuerkennen, daß das Münchener Abkommen durch Gewalt aufgezwungen worden ist, und zweitens, daß wir uns von dem Unrecht distanzieren, das während der Jahre 1933 bis 1945 im deutschen Namen begangen worden ist. Das ist die deutsche Leistung, wenn Sie so wollen. Ich meine, es ist nun, 36 Jahre nach dem Krieg, wirklich keine übertriebene Leistung, dies zuzugestehen. Wann eigentlich sollen wir zu einem solchen Zugeständnis bereit sein? Ich bin sicherlich nicht einer derjenigen, die bei der Frage der deutschen Schuld aus diesen Jahren immer wieder bereit sind, zu insistieren und sozusagen das Büßergewand für das deutsche Volk zu fordern. Aber wenn hier so viel von der vollständigen Darstellung der Geschichte die Rede ist, dann provozieren gerade diejenigen, die das tun, daß auch die Gegenseite auf diese Forderung in der Weise reagiert, daß dann nicht nur die Vertreibung und nicht nur das genannt wird, was auf tschechoslowakischer Seite geschehen ist, sondern daß dann auch auf die vollständige Darstellung der Gesamtvorgänge von deutscher Seite bestanden werden würde. Ich sage noch einmal: Weder die Vertreibung der Sudetendeutschen mit allen Greueln, mit denen sie verbunden war, noch, um ein Beispiel zu nennen, Lidice lassen sich nachträglich rechtfertigen, weder das eine noch das andere. Aber wir wollen ja davon los, und deswegen sollten wir in dieser Frage darüber einig werden, daß das hier nicht im einzelnen genannt und daß nicht im einzelnen aufgerechnet wird.Ich brauche auf die Frage der territorialen Ansprüche nach dem, was heute bisher schon gesagt worden ist, wohl nicht mehr einzugehen. Ich brauche auch das Problem der Einbeziehung West-Berlins nicht mehr zu nennen. Auch zum Briefwechsel über humanitäre Fragen ist schon so viel gesagt worden, daß wir, glaube ich, zumindest von einer Klärung der Standpunkte ausgehen können, wenn auch nicht von einer Überzeugung der Opposition in den angeschnittenen Fragen; denn nach allem, was wir in dieser Frage diskutiert haben, glaube ich nicht, daß sich diejenigen, die die Hauptsprecher der Opposition in bezug auf diesen Vertrag gewesen sind, durch unsere heutigen Äußerungen überzeugen lassen werden.Ein Bereich sollte vielleicht noch genannt werden, nämlich die Frage, die auch heute wieder aufgekommen ist — Herr Dr. Heck ist darauf eingegangen: Satelliten-Vertrag —, ob nicht eigentlich der Abschluß eines Vertrages mit der Tschechoslowakei durch die Bundesrepublik sozusagen eine Bestätigung der sowjetischen Vorherrschaft über die Tschechoslowakei bedeute und ob damit nicht sozusagen die Bundesrepublik Deutschland zur Ausbreitung oder jedenfalls zur Sicherung dieser sowjetischenVorherrschaft beigetragen habe. Es ist auch heute wieder darauf hingewiesen worden, daß dieser Staat CSSR seine Macht ausländischen Bataillonen verdanke. Aber solche Staaten, meine Damen und Herren, gibt es mehr in der Welt.
— Ob Sie in diesem Zusammenhang Macht oder Ohnmacht sagen, Herr Kollege Dr. Mertes, scheint mir ein Spiel mit Worten zu sein.
Wir haben es mit einem Staat zu tun, mit dem wir verhandeln. Wenn es uns um die Menschen. in diesem Staat, um die deutschen Menschen in diesem Staat und auf unserer Seite der Grenze geht, dann werden wir mit diesem Staat zu rechnen haben, ganz unabhängig davon, welcher Tatsache er seine Macht oder Ohnmacht verdankt.Dazu sollte noch einmal sehr deutlich gesagt werden, daß wir weder die Möglichkeit noch die Absicht hatten, die sowjetische Vorherrschaft über das Gebiet der CSSR zu bestätigen und daß im übrigen die Sowjetunion nicht darauf angewiesen ist, dieser Vorherrschaft durch uns gesichert und bestätigt zu erhalten.
Das kann man, glaube ich, so nüchtern auch sagen, wenn man diese Vorherrschaft nicht begrüßt.In den Auseinandersetzungen des Auswärtigen Ausschusses ist sehr viel auch von dem Recht auf Heimat die Rede gewesen. Wir sind uns darüber einig gewesen, daß das Recht auf Heimat kein einklagbares Recht darstellt, ja daß es nicht einmal offiziell in das Völkerrecht eingeführt worden ist. Aber ich möchte zu dem, was Herr Dr. Jaeger heute hier gesagt hat, gerade in bezug auf diesen Begriff „Recht auf Heimat" darauf hinweisen, daß seine Äußerung, wer denn schon die Absicht habe, aus der freien Bundesrepublik in das Gebiet der kommunistischen CSSR zu ziehen, auch die Frage, die Behauptung, die Forderung der Sudetendeutschen Landsmannschaft nach Recht auf Heimat in einen ganz merkwürdigen Zusammenhang stellt. Denn sie geht von vornherein davon aus, daß niemand bereit sein wird, von einer solchen Möglichkeit Gebrauch zu machen. Es ist eine Möglichkeit, die übrigens in dem Vertrag und dem anliegenden Briefwechsel durchaus genannt worden ist. Herr Dr. Jaeger, Sie haben es als überflüssig bezeichnet, wenn ich mich recht erinnere — ich will das jetzt aber nicht mit Sicherheit sagen —, daß eine solche Formulierung dort aufgenommen sei, da sie ohnehin in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland enthalten sei. Aber man sollte nicht das Recht auf Heimat fordern und auf der anderen Seite gleichzeitig zugestehen, daß vermutlich niemand bereit sein würde, von diesem Recht Gebrauch zu machen.Abschließend möchte eich noch folgendes sagen. Dieser Vertrag ist tatsächlich die Abrundung des gesamten Vertragswerkes der Ostpolitik. Dieser Vertrag fügt sich in die Gesamtostpolitik der Bun-Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 19. Juni 1974 7411Ronneburgerdesregierung. Aber er bedeutet auch eine Einpassung unserer Politik in die Entwicklung des WestOst-Verhältnisses in der gesamten Welt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger?
Bitte sehr, Herr Dr. Jaeger.
Herr Kollege Ronneburger, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Briefwechsel, in dem es heißt, daß Personen tschechischer oder slowakischer Nationalität, die dies wünschen, in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik aussiedeln können, mit dem Recht auf Heimat der Sudetendeutschen überhaupt nichts zu tun hat?
Ich bin bereit, die unklare Formulierung, die ich eben gebraucht habe, zurückzunehmen. Aber das ändert ja nichts an der Tatsache, Herr Dr. Jaeger, daß Ihre Unterstellung, niemand würde von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen, die Forderung nach dem Recht auf Heimat in ein Zwielicht stellt, ganz unabhängig davon, wie diese Formulierung in dem Briefwechsel lautet. Ich gebe zu, es war von meiner Seite unklar zitiert.
Der Abbau von Belastungen und das Beschreiten eines Weges in die Zukunft ist das Ziel dieses Vertrages. Für die Fraktion der FDP bedeutet er damit nicht nur den Schlußstein in einem Gesamtwerk, sondern er bedeutet für sie auch die Abrundung eines Programms der Ostpolitik, das gerade von der FDP seit langen Jahren gefordert worden ist. Das Ziel dieser Vertragsverhandlungen war ein Vertrag über die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Er konnte keine Gesamtabrechnung mit der komplizierten Vergangenheit zwischen Deutschen und Tschechen sein. Aber er räumt die Problematik des Münchener Abkommens ohne politische, moralische und rechtliche Nachteile für die Sudetendeutschen aus dem Wege.
Er enthält keinerlei Legitimierung der Vertreibung der Sudetendeutschen, und in seiner Zielsetzung ist der Vertrag auf die Entwicklung der Beziehungen zur CSSR in der Zukunft gerichtet.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich darf mit einer Randbemerkung an die Adresse der Opposition beginnen. Es ist heute morgen und heute nachmittag erneut meine Abwesenheit aus diesem Hause kritisiert worden.
--- So stimmt es wohl, und ich darf mir erlauben,
darauf zu antworten. Ich tue das in gehörigem Ton.
Ich darf die Bestätigung des Oppositionsführers dafür erbitten, da ich heute morgen und heute mittag Gespräche mit dem Regierungschef eines uns eng verbundenen Landes und mit dem Staatsoberhaupt eines anderen uns eng verbundenen Landes führte, daß dies allerdings notwendig machte, daß sich der Bundeskanzler dem persönlich widmete. Außerdem bitte ich um Kenntnisnahme, daß der Außenminister in Person an der Sitzung des Ministerrats des Nordatlantischen Bündnisses in Ottawa in Kanada teilnimmt. Beide Tatsachen waren der Opposition bekannt, die ja auch heute morgen an dem Staatsbesuch der dänischen Königin durch den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses wie durch andere ihr zugehörige Personen beteiligt gewesen ist. Ich bitte also, in Zukunft solche Kritik zu unterlassen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Zwischenfragen heute nicht.Ich möchte, was den Vertrag angeht, der heute zur zweiten Lesung ansteht, anfangs meiner Ausführungen dort anknüpfen, wo Herr Kollege Dr. Ronneburger geendet hat, indem ich ihm beipflichte, daß dieser Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik die Reihe der Vertragswerke abschließt, mit denen die beiden Regierungen der sozialliberalen Koalition, die der gegenwärtigen Regierung vorangegangen sind, unsere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten insgesamt, drei Jahrzehnte nach Kriegsende, auf die Normalität hingeführt haben. Unsere Freunde und unsere Verbündeten in der Welt haben schon seit langem ein geregeltes Verhältnis zu diesen Staaten erreicht. Wir haben gegen Widerstand auch aus diesem Hause die Ostpolitik eingeleitet und zielstrebig verwirklicht, unter anderem auch deshalb, damit unser Land nicht in einem im übrigen verständigungsbereiten Europa der letzte Exponent des kalten Krieges bleibe.
Bei der ersten Beratung dieses Vertrages im September vorigen Jahres hat der damalige Außenminister Walter Scheel hier erklärt, dieses Vertrags-
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Bundeskanzler Schmidtwerk sei nicht der Gegenstand, an dem sich Leidenschaft entzünden solle. Er hat die Hoffnung geäußert, die Debatte werde zeigen, daß das Parlament ebenso viel Sinn für Fairneß und Proportion haben werde, wie dies die Bürger im Lande ihrerseits zeigen. Walter Scheel hat leider nicht vollständig recht bekommen. Manchmal ist nämlich der Eindruck entstanden, daß Proportionen verschoben wurden, um die in einigen Zeitgenossen noch schlummernden Leidenschaften wieder zu wecken.Man hört da den Vorwurf — auch heute —, z. B. die Präambel des Vertrages gebe den historischen Sachverhalt unvollständig wieder, weil in ihr festgestellt wird, das Münchener Abkommen sei durch das nationalsozialistische Regime der Tschechoslowakischen Republik unter Androhung von Gewalt aufgezwungen worden. Ich will darauf im einzelnen nicht noch einmal von mir aus eingehen. Nur denke ich, meine Damen und Herren, daß es nötig ist, sich des geschichtlichen Gesamtsachverhalts zwischen uns und unserem tschechoslowakischen Nachbarn bewußt zu sein, der mehr als tausend Jahre umfaßt.
Es hat in diesen tausend Jahren viel Leid gegeben, und die Geschichte ist reich an Auseinandersetzungen um Unrecht, um wirkliches Unrecht und um vermeintliches Unrecht, und jeder Gewaltakt erzeugt neues Unrecht. Es gilt deshalb jetzt, sich endlich aus diesem Teufelskreis zu lösen und dauerhafte friedliche Beziehungen zu bekommen.
Das ist die Absicht dieses Vertrages. Damit wird, was an Unrecht geschehen ist, weder ignoriert noch nachträglich legitimiert. Dies hat Bundeskanzler Willy Brandt schon ausdrücklich klargestellt, und ich pflichte ihm darin bei.Zur Frage der Sudetendeutschen ist festzustellen, daß ihre rechtliche Stellung durch diesen Vertrag nicht beeinträchtigt wird. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat ein Höchstmaß an Sorgfalt darauf verwandt, die berechtigten Interessen der von diesem Vertrag betroffenen Menschen in vollem Umfang zu wahren. Die Bundesregierung erfüllt damit ihre Schutzpflicht gegenüber den Sudetendeutschen im Rahmen des Grundgesetzes und im Rahmen des geltenden Völkerrechts.Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit deutlich die teilweise auch zu hörende Fehlinterpretation ausschließen, als gäbe es sozusagen eine moralische Verpflichtung deutscher Bundesregierungen, unseren Landsleuten aus den Sudeten die Heimkehr in ein deutsches Sudetenland zu ermöglichen.
— Sie haben das nicht gesagt; ich habe Ihnen das nicht unterstellt. Ich habe gesagt: Ich möchte deutlich die teilweise zu hörende Fehlinterpretation ausschließen. Ich habe sie gehört, und Sie wissen auch, daß so etwas gesagt wird. Die Bundesregierung hat,wenn ich es richtig übersehe, zuerst 1964 durch den damaligen Bundeskanzler Professor Erhard ausdrücklich festgestellt, daß sie gegenüber der CSSR keine territorialen Forderungen hat. Dabei ist es geblieben, und dabei wird es bleiben.Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition: Natürlich ist dieses Vertragswerk ein Kompromiß.
Kaum jemals kann ein internationaler Vertrag etwas anderes sein als ein Kompromiß, kaum jemals.
Nun gibt es immer — und unter Deutschen vielleicht sogar noch etwas häufiger als unter anderen Völkern — Menschen, die meinen, sie müßten aus moralischen oder aus politischen Prinzipien den Kompromiß ablehnen. Ich sage Ihnen: Wer den Kompromiß an sich ablehnt, taugt nicht zur Außenpolitik, übrigens auch nicht zur Innenpolitik!
-- Nein, danke schön!Wenn dann weiter — ich nehme den Zwischenruf auf — von der Ausgewogenheit die Rede ist,
die nicht ausreiche oder nicht gegeben sei, dann will ich dem entschieden widersprechen. Die politischen Aussagen und die rechtlichen Bestimmungen des Vertrages berücksichtigen die berechtigten Anliegen beider vertragschließenden Seiten.
Sie sind darauf gerichtet, den Regierungen und den Menschen der beiden Nachbarländer nach einer leidvollen Vergangenheit den Weg in eine Zukunft zu erleichtern, die von gegenseitigem Vertrauen — so hoffe ich — bestimmt sein wird.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
— Oh, ich nehme das zurück! Ich wollte Sie nicht zur Frau stempeln, Herr Präsident!
Dieser Vertrag ist in den parlamentarischen Gremien beinahe sechs Monate lang beraten worden. Die kritische Stellungnahme der Mehrheit des Bundesrats ist durch eine ausführliche Gegenäußerung der Bundesregierung beantwortet worden.
Der Rechtsausschuß des Bundestags hat festgestellt,daß gegen den Vertrag weder verfassungsrechtliche
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Bundeskanzler Schmidtnoch völkerrechtliche Bedenken bestehen. Der Auswärtige Ausschuß dieses Hauses hat die Zustimmung empfohlen. Es ist sicher, daß der Deutsche Bundestag dieser Empfehlung folgen wird.Ich erwarte auch, daß der Vertrag eine breite Mehrheit findet. Die kommt ihm als einem grundlegenden, in die Zukunft weisenden Vertrag durchaus auch zu. Ich zweifle dabei, daß die ablehnende Haltung einer bisher in Erscheinung getretenen Gruppe von Oppositionspolitikern tatsächlich die Position der gesamten CDU/CSU in dieser Frage widerspiegelt. Übrigens vertraue ich darauf, daß der Bundesrat seiner 25 Jahre alten Praxis treu bleibt, bei Ratifizierungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen nicht den Vermittlungsausschuß anzurufen.In all dem, was ich sage — darauf muß ich Wert legen, nachdem die Abwesenheit einiger Minister kritisiert worden war —, weiß ich mich einig mit dem Bundesminister des Auswärtigen, der zu seinem eigenen Bedauern wegen der Konferenz in Kanada an der jetzigen Aussprache nicht teilnehmen und das Wort nicht ergreifen kann.
— Lieber Herr Kollege, was Sie sich über die Aufgaben beschweren, die der Herr Bundesminister des Auswärtigen in Kanada erfüllt, wenn doch Sie selber nicht einmal zu einem Viertel Ihrer Fraktion präsent sind — wo dazu die Legitimation liegt, das möchte ich mal wissen.
— Die eigene Fraktion hat sich nicht beschwert; denn die weiß, daß sie gemeinsam mit der freidemokratischen Fraktion eine sichere Mehrheit hat, um der Vernunft und dem Frieden mit der Ratifikation dieses Vertragswerkes zu dienen.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat mich gebeten, ausdrücklich auch in seinem Namen festzustellen, daß er im deutsch-tschechoslowakischen Vertrag den unentbehrlichen Schlußstein des Vertragswerkes sieht, das die notwendige Grundlage für die fruchtbare Entwicklung des Verhätlnisses der Bundesrepublik Deutschland zu ihren Nachbarn im Osten bildet. Eine solche Entwicklung, mit aller Nüchternheit und mit Geduld betrieben, entspricht unserem Interesse an der Herstellung guter Nachbarschaft und an der Sicherung des Friedens. Das ist Voraussetzung der Aussöhnung dort, wo die Geschichte der letzten Jahrzehnte tiefe Wunden hinterlassen hat. Das sei ausdrücklich auch für Herrn Genscher gesagt.Es gilt, was er in seinem letzten Wort feststellt, natürlich und insbesondere für das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen. Wir verschließen die Augen nicht davor, daß dieses Verhältnis schwer belastet ist.Wir hatten bei der vertraglichen Regelung auf unserer Seite sehr legitime Interessen zu wahren. So wie der Vertrag vor Ihnen liegt, ist das voll geschehen. Wenn es nicht der Fall wäre, so könnte der Vertrag die politische Aufgabe nicht erfüllen, die ihm zugedacht ist, die wir von ihm erwarten.
Wir erwarten, daß der Vertrag diese Aufgabe erfüllt. Wir sind uns allerdings dessen auch bewußt — und das gilt für die anderen Verträge gleichermaßen —, daß die politische Ausfüllung, die ja doch erst Schritt für Schritt geschehen kann, im Interesse der Menschen in unserem Lande und in Osteuropa der nüchternen und der ständigen Anstrengung aller Beteiligten bedarf. Unsere Vertragspartner werden uns zu dieser ständigen und nüchternen Anstrengung bereit finden. Es liegt an ihnen, die gleiche Bereitschaft zu zeigen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittmann .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie, im Interesse der Demokratie zur Kenntnis zu nehmen, daß die Opposition in diesem Hause den Bundeskanzler kritisiert, wann und weshalb sie will.
Ich hoffe nicht, daß Ihre Bemerkung hier, daß anderweitige Verpflichtungen Sie abhalten, praktisch eine Außerkraftsetzung des Art. 43 des Grundgesetzes kraft autoritärer Macht bedeuten soll.
— Ja, johlen Sie nur, ab und zu muß auch der Herr Schmidt ein paar Wahrheiten von einem etwas jüngeren Mann hier im Parlament gesagt bekommen; andere trauen sich vielleicht manchmal in Ihrer Fraktion nicht so.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat ja darauf gepocht, daß das alles sehr schnell über die Bühne geht, und wir haben uns in den Ausschüssen entsprechend Mühe gegeben; also hat man auch gewußt, wann ungefähr dieser Termin ist. Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn der Herr Bundeskanzler Verpflichtungen hat, wäre es doch angemessen, daß einige seiner Minister angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit während der Debatte hier sind. Da sehe ich neben Parlamentarischen Staatssekretären nur sehr wenige und unter ihnen teilweise solche Mitglieder des Kabinetts bzw. Parlamentarische Staatssekretäre, die eben das, was es jetzt zu verantworten gilt,
seinerzeit im Kabinett nicht mit zu verantworten hatten.
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7414 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Bitte sehr!
Herr Kollege Wittmann, können Sie das Haus darüber aufklären,
aus welchem Grund der Herr Bundeskanzler und die Mehrheit hier in diesem Hause die Lesung dieses Vertrages auf diesen Tag gelegt haben, wo doch seit Monaten klar ist, daß der Außenminister abwesend ist, und mindestens seit einigen Wochen klar ist, daß der Herr Bundeskanzler Staatsbesuche zu empfangen hat, und, Herr Kollege Wittmann, können Sie darüber Auskunft geben, —
Vizepräsident Dr. 'Schmitt-Vockenhausen: Herr Kollege, Sie haben nur eine Zwischenfrage!
Die Frage darf unterteilt werden.
Herr Kollege, Sie kennen doch die Geschäftsordnung als Vorsitzender des Rechtsausschusses genauso gut wie der amtierende Präsident. Sie können ja zwei Fragen nacheinander stellen. — Bitte!
Herr Kollege Lenz, da ich nicht im Ältestenrat bin, bin ich über Einzelheiten nicht informiert. Aber man wollte einen bestimmten Fahrplan einhalten, den es absolut durchzuziehen galt, um die Abstimmungsmaschine der Koalition hier ständig in Bewegung zu halten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz? — Bitte!
Herr Kollege Wittmann, ist Ihnen aus Ihrer parlamentarischen Erfahrung hier bekannt, daß es schon einmal einen völkerrechtlichen Vertrag von dieser Bedeutung gegeben hat, zu dem der Bundesminister des Auswärtigen weder im Plenum noch in den Ausschüssen Stellung genommen hat?
Das wissen wir, daß der Außenminister bei der Beratung dieses Vertrages weder im Auswärtigen Ausschuß noch im Rechtsausschuß war und daß der Bundeskanzler lediglich in den Auswärtigen Ausschuß kam und seinen Beamten den Segen gab, dort vortragen zu dürfen. Das ist wahrlich ein Vorgang, der in der Geschichte unseres Parlaments einmalig ist, zumal dann, wenn der Vertrag die Bedeutung hat, die die Regierung behauptet.Nun, meine Damen und Herren, wir stehen auch vor der grotesken Situation, daß ein früheres Mitglied dieses Kabinetts praktisch den Nekrolog auf seine eigene Politik gehalten hat, nämlich der Herr Bahr. Er hat nämlich ganz deutlich gesagt, daß man sich eben damit zufrieden geben müsse, halbe Verträge abzuschließen. Herr Bahr, Sie haben das nicht so gesagt, aber das ist die Schlußfolgerung aus dem, was Sie gesagt haben. Sie können nicht verlangen, daß wir den Vertragsminimalismus, den Sie für die Bundesrepublik Deutschland eingeführt haben, in diesem Parlament auf die Dauer in irgendeiner Weise mitmachen, zumal Verträge, die Sie bisher abgeschlossen haben, ganz deutlich bewiesen haben, daß sie eben nicht zu dem Ergebnis führen, das Sie dem deutschen Volk immer vorgaukeln. Der Vertrag verdient seinen anspruchsvollen Titel, nämlich ein Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zu sein, nicht. Davon kann gar keine Rede sein. Es fehlen nämlich wesentliche Punkte, die bis in die Gegenwart hineinreichen und die Menschen betreffen, Punkte, die Geschichte sind, die zwar 20 Jahre und mehr alt sind, aber in die Gegenwart hineinreichen. Es fehlen die Ereignisse vom März 1939, die wesentlich gravierender als die Ereignisse um das Münchener Abkommen waren. Das sagt auch das tschechische Volk, und das sagt auch das slowakische Volk. Daß diese Ereignisse in diesem Vertrag fehlen, macht ihn unvollständig; denn das waren die eigentlichen Völkerrechtsverletzungen in der Geschichte. Wenn man die Vergangenheit aufarbeiten will, dann muß man alles aufarbeiten. Wenn der frühere Außenminister gesagt hat, man habe — das hat er in der ersten Lesung gesagt --- mit diesem Vertrag eine unausweichliche Aufräumungsarbeit geleistet, dann kann ich dazu nur sagen: Man hat den Schutt der Geschichte nur leicht überdeckt, und bald nach diesem Vertrag werden wir erleben, daß manches wieder zur Debatte gestellt wird.Nun lassen Sie mich ein für allemal mit dem Argument aufräumen, mit dem die Koalition die Opposition immer wieder diffamieren will, wenn sie sagt, wir redeten irgendwie einer Aufrechnung der Verbrechen der Vergangenheit das Wort. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Verbrechen, die die einen begangen haben, rechtfertigen nicht die Verbrechen der anderen, und eine Aufrechnung von Verbrechen ist nicht möglich, sondern es ist nur möglich, ihre Folgen nach bestem Wissen und Gewissen und besten Möglichkeiten wieder gutzumachen. Darum geht es.
Der Außenminister hat in der ersten Lesung behauptet, daß dieser Vertrag ein Modus vivendi sei, der die vorhandenen Streitfragen entschärft und ihnen die praktische Bedeutung soweit wie möglich nimmt. Ich fürchte, diesen Zweck erfüllt dieser Vertrag in dieser Form nicht, da der Vertragskern im wesentlichen auf das sogenannte Münchener Abkommen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7415
Dr. Wittmann
eingeengt ist, von dem man eigentlich sagen müßte, daß es eine zwar dramatische, aber immerhin nur eine Episode in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei war. Wesentliche andere Dinge — gute wie schlechte — sind nicht in das mit einbezogen worden, was hier ein Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen und was hier schon ein neuer Anfang genannt worden ist. Ich fürchte, daß dieser Vertrag die Quelle neuer Streitigkeiten sein wird.Dabei wäre es gerade im Verhältnis zu einem unmittelbaren Nachbarland notwendig, die vertraglichen Beziehungen viel sorgfältiger zu gestalten, als es hier geschehen ist. Diese Nachbarschaft war in der Vergangenheit vielfältig belastet; aber sie war auch mit Chancen ausgestattet, und Herr Friedrich hat in der ersten Lesung davon gesprochen —das hat er offenbar als jüngerer Mensch noch miterlebt; ich habe es auch als kleiner Junge miterlebt —, daß Handel und Wandel über die Grenzen hinweg einmal sehr viel lebhafter waren und daß diese Beziehungen von Volk zu Volk und von Mensch zu Mensch funktioniert haben. Aber ,es gab inzwischen Ereignisse zwischen diesen beiden Nachbarländern: das Jahr 1938, das Jahr 1939, aber auch das Jahr 1945 mit der Vertreibung der deutschen Menschen aus den Grenzgebieten und das Jahr 1948 mit dem Einzug eines Regimes, das die Grenzen dichtgemacht hat. Auch unser Wunsch ist es, daß Handel und Wandel über diese Grenze hinweg 'wieder ermöglicht werden.Es hätte doch nahegelegen, hier besonders die tatsächlichen Beziehungen zu entwickeln und sich nicht so leicht das Münchener Abkommen als Popanz in der Diskussion aufzwingen zu lassen. Niemand bestreitet, daß die Politik, die zu diesem Abkommen geführt hat, auf beiden Seiten eine schlechte Politik, ja, eine dolose Politik war, die letzten Endes dazu geführt hat, daß man das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Menschen für Machtzwecke mißbraucht hat. Aber, daß dieses Abkommen in Wirklichkeit nur als Hindernis für die Neugestaltung der Beziehungen zwei Jahrzehnte lang in die Höhe gehalten worden ist, das muß man doch auch sehen. Die Entwicklung normaler Beziehungen ist ja tatsächlich schon im Gang. Diese Entwicklung sollte man doch nicht leugnen! Denen, die da meinen, die menschlichen Beziehungen würden erst durch diesen Vertrag angeknüpft, rate ich, mit jenen zu sprechen, die zu Tausenden in die Tschechoslowakei fahren, um sich an die Grenze zu begeben, wo die Verhältnisse ja bereits anders sind als vielleicht im Verhältnis zur DDR. Der Tourismus hat bis jetzt funktioniert. Die Verhältnisse im Grenzbereich waren besser; das wird Ihnen jeder bestätigen. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung haben jene Menschen, die nach 1945 ihre Heimat im böhmisch-mährischen-schlesischen 'Raum verlassen mußten. Sie haben ihre Reisen dorthin unternommen, um ihre Heimat zu besuchen. Es hat, wie mir von tschechoslowakischer Seite bestätigt wurde, keinen einzigen Zwischenfall gegeben — weder von der einen, noch von der anderen Seite —, der seinen Ursprung in dieser unseligen politischen Vergangenheit gehabt hätte. DieVölker haben längst erkannt, daß die Versöhnung von Volk zu Volk stattgefunden hat.
Nach mir wird sicher ein Redner der Koalition kommen, der wieder die Diffamierung auf sein Banner geschrieben hat. Deshalb möchte ich gleich noch einen Vorwurf ausräumen. Kritik an diesem Vertrag darf nicht damit diffamiert werden, man sei versöhnungsfeindlich. Diese Versöhnung von Volk. zu Volk hat eben schon stattgefunden!
Echte Versöhnung bedeutet nicht Aufrechnung, nicht Shylock-Methode, daß jeder sein Recht zu nehmen versucht; sondern Versöhnung bedeutet Ausgleich auf der Basis des Vorhandenen, auf der Basis auch des Rechts. Ausgleich aber setzt eine Bilanz voraus. In dieser Bilanz darf nichts überbewertet und nichts unterbewertet werden, weder auf der einen Seite noch auf der anderen Seite; sonst stimmt die Bilanzsumme, auch im Politischen, nicht.
Wer denen, die den Vertrag kritisieren, Münchener-Abkommen-Fetischismus vorwerfen will — das wird ja noch geschehen —, dem möchte ich ganz deutlich sagen, daß die CDU/CSU auf dem Boden der Erklärungen steht, die die früheren Bundeskanzler der CDU/CSU über das Verhältnis zur Tschechoslowakei abgegeben haben.Lassen Sie mich auch dies deutlich sagen: Das Münchener Abkommen ist kein Instrument politischen Handelns in Europa für die Zukunft.Aber dieses Münchener Abkommen hat Fakten geschaffen und mit herbeigeführt, die man heute im Zeichen des Soziologismus wahrscheinlich „Rechtstatsachen" nennt. Daran kann man nicht vorbeigehen. Die Tschechoslowakei ist seit etwa Kriegsende — den Zeitpunkt werden wahrscheinlich weder Historiker noch Juristen jemals fixieren können — im Besitz dessen, was wir Polen durch den Warschauer Vertrag gegeben haben. Daher fragt sich jeder vernünftig denkende Mensch: Warum diese Diskussion über das sogenannte Münchener Abkommen?Man kann auch sagen, daß dieses Münchener Abkommen ohne die Deutschen insgesamt zustande gekommen ist. Denn die Deutschen hier waren nicht frei und konnten nicht sagen, was sie wollten. Auch die Sudetendeutschen waren in ihrer Heimat nicht frei. Zudem war das Münchener Abkommen ohne die Tschechen zustande gekommen, deren Staat bei dieser Konferenz nicht vertreten war. An der Rechtslage aber ändert dies nichts. Es ändert auch nichts an der Tatsache, daß die Menschen eben nur Objekt gewesen sind. Für die Fehler der Vergangenheit sollten die Menschen jetzt nicht büßen.Bedauerlich ist auch, daß immer wieder gesagt wird, Kritik an der Vertragspolitik dieser Bundesregierung unterstütze die von unserer Ansicht abweichende Meinung des Vertragspartners. Wie
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Dr. Wittmann
schlecht müssen Verträge sein, die zulassen, daß der Vertragspartner sie völlig anders auslegt!
Schließlich ist es auch eine Beleidigung des tschechoslowakischen Vertragspartners, zu unterstellen, daß er nicht sieht, welche Möglichkeiten ihm dieser zweifellos schlechte Vertrag geben kann.Wenn — was bei den verschiedenen Formulierungen immer wieder zugegeben wird — dieser Vertrag mit einem Dissens belastet ist, dann frage ich mich: Ist man augenzwinkernd auseinandergegangen, oder hat jeder über die Schulter zurückgeschaut, ob der andere gemerkt hat, was der Vertragspartner gedacht hat? Das ist doch die Frage, die sich hier stellt.Wir üben auch nicht Kritik, weil wir später sagen wollen: Wir haben recht behalten. Wir üben Kritik nicht nur, weil es das Recht der Opposition ist, sondern weil wir in diese neue Regierung vielleicht sogar die Hoffnung gesetzt haben, daß sie sich die Dinge anders überlegt, insbesondere was Berlin anbelangt.Meine Damen und Herren, vor den Ausschußsitzungen haben wir immer gesagt — und ich habe auch dazugehört —, daß bei diesem Vertrag sachkundiger und sorgfältiger verhandelt worden sei. Ich muß nach den Ausschußsitzungen sagen: Bei diesem Vertrag sind die Probleme sachkundiger und sorgfältiger unter den Teppich gekehrt worden.Herr Friedrich, man kann sich nicht damit herausreden, daß maßgebende Völkerrechtler hier ihren Segen gegeben hätten. Sie wissen genauso, daß uns im Ausschuß gesagt worden ist, fast triumphierend, diese Formel, die gefunden worden sei, werde die völkerrechtlichen Seminare noch jahrelang beleben. In Seminaren erörtert man nur Probleme und Streitfragen und nicht klare Vertragsbestimmungen. So habe ich es jedenfalls gelernt, als ich noch an der Universität in einem Völkerrechtsseminar tätig war.
Streiten wir nicht darum, wann die Forderung nach der Nichtigerklärung des Münchener Abkommens aufgeworfen wurde. Wir wissen sehr genau, daß bereits 1942 die tschechoslowakische Exilregierung diese Forderung aufgestellt hat. Es ist in der Tat eine Geschichtsfälschung, Herr Friedrich, wenn man eine Provokation dem verstorbenen Kollegen Seebohm mit einer Rede in Nürnberg 1964 in die Schuhe schieben will. Bereits 1963 hat Novotný davon gesprochen, und in Artikel 10 des sowjetischen Entwurfs für einen Friedensvertrag für Deutschland war diese Forderung auch schon enthalten.Herr Bahr hat auf die Haltung anderer Staaten in dieser Frage Bezug genommen. Wer ist denn, wenn diese Rechtstatsache des Jahres 1938 noch eine Bedeutung haben soll, berechtigt, hier Rechte, nicht territorialer, aber anderer Art, für Menschen herzuleiten, wenn nicht die Bundesrepublik, weil hier doch der Großteil dieser Menschen lebt? Man kann nicht von der Haltung anderer Staaten zu diesem Abkommen auf die Haltung der Bundesrepublik schließen.Ob Ihr Vergleich mit der nichtigen Ehe in der katholischen Kirche sehr geschmackvoll war, Herr Bahr, lasse ich dahingestellt. Genau der Vergleich zeigt mir aber, daß Sie die Nichtigkeit unter der Hand eigentlich zugestehen wollen, die Nichtigkeit von Anfang an, und daß Sie nur die Folgen etwas kaschieren. Ich warne Sie vor solchen Äußerungen in der Zukunft, wenn Sie Ihren Standpunkt aufrechterhalten wollen.
Meine Damen und Herren, wir haben in unserer innerstaatlichen Rechtspraxis schon Fragen, wo wir uns um die Nichtigkeit streiten. Ich erinnere nur an die Versuche, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu reformieren, wo es nicht möglich war, eine Bestimmung einzufügen, daß das Bundesverfassungsgericht bei nichtigen Gesetzen Abweichungen von der anfänglichen Nichtigkeit zulassen kann. Bei der Neufassung des Gesetzes ist dieser Änderungsvorschlag ausdrücklich mit Hinweis auf Begriffsbestimmungen gestrichen worden.Wir fragen uns bei dem, was in dem Vertrag erreicht worden ist, was nun eigentlich die Lösung ist. Ist es ein Kompromiß, eine Kompromißlösung, eine Kompromißformel, ein Formelkompromiß, ein offener, ein verdeckter Dissens oder eine eindeutige Lösung? Keiner konnte das bis jetzt sagen. Inzwischen haben wir sogar unterschiedliche Qualifikationen der Lösung innerhalb der Bundesregierung. Beim Moskauer und Warschauer Vertrag waren wir wenigstens noch in der glücklichen Lage, daß die Bundesregierung mit einer Sprache gesprochen hat. Der Bundesaußenminister hat während der ersten Lesung fast in gleichem Atemzuge jetzt gleich zwei Lösungen angeboten, indem er sagte, diese vertragliche Regelung hindere weder uns noch die Tschechoslowakei, die eigene rechtliche Beurteilung des Münchener Abkommens aufrechtzuerhalten. Wenige Minuten später sagt er etwas ganz anderes:Das Ziel ist es gewesen, einen Vertrag zu schließen, der eben diese unterschiedliche Auffassung als Hindernis für die normalen Beziehungen dieser beiden Staaten beseitigt.Meine Damen und Herren, was stimmt nun? Handelt es sich um einen Kompromiß? Denn er fährt fort:Und wir haben es in einer, so finde ich, sauberen und anständigen Form getan, nämlich in der Form eines Kompromisses.Auch Herr Frank sprach von einem Kompromiß. Aber in anderen Äußerungen hören wir wieder, daß es eben kein Kompromiß sein soll, sondern daß jede Seite ihren Rechtsstandpunkt aufrechterhalten können soll.Die sauberste Lösung wäre auch hier gewesen, wenn in einem Absatz 1 gestanden hätte: Die Tschechoslowakei ist der Auffassung . .., in einem Absatz 2: Die Bundesrepublik Deutschland ist der
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Dr. Wittmann
Auffassung ... und in einem Absatz 3: Aus den gegensätzlichen Auffassungen werden keine Schlußfolgerungen gezogen.
Das wäre eine saubere Lösung gewesen.Die Bundesrepublik möchte offenbar die Interpretationen offenlassen. Die Tschechoslowakei ist hier leider etwas konsequenter, und auf diese Gefahr möchte ich hinweisen. Denn schon bei der Aushandlung der Wiener Vertragskonvention ist man in die Richtung gegangen, einen bestimmten Nichtigkeitsbegriff mit entsprechenden Konsequenzen zu formulieren, wobei ich — damit mein Nachredner es leichter hat und nicht zu viel Zeit darauf verschwendet, möchte ich das gleich sagen — nicht der Meinung bin, daß es darauf ankommt, ob diese Vertragskonvention zwischen uns und der Tschechoslowakei förmlich gilt. Sie gilt nicht förmlich; das wollten Sie wahrscheinlich fragen, Herr Metzger.
Aber es werden hier gedankliche Geleise gelegt, von denen man dann nicht mehr herunterkommt, wenn man seinerseits die Interpretation offenläßt.
Das Mitglied des Zentralkomitees der KP der Tschechoslowakei hat ganz deutlich gesagt:Nach der Regel, welche allgemein im internationalen Recht akzeptiert ist und auch im Artikel 69 der Wiener Vertragsrechtskonvention bestätigt wurde, hat ein nichtiger Vertrag keine Rechtswirkungen, und man betrachtet ihn so, als hätte er nie existiert. Die grundlegende politisch-rechtliche Bedeutung der Nullität des Münchener Diktats liegt absolut eindeutig in der Anerkennung und Bekräftigung der Tatsache, daß die gewaltsam abgetrennten tschechoslowakischen Grenzgebiete nie rechtlich zum Deutschen Reich gehörten.Ähnliches sagte der tschechoslowakische Ministerpräsident:Wir haben keine Formulierung zugelassen, aus der man, sei es auch indirekt, eine rechtliche Anerkennung der territorialen Änderung der damaligen Tschechoslowakischen Republik hätte ableiten können.Meine Damen und Herren, solche Zitate lassen sich leider auch nach Vertragsabschluß weiter fortführen. Trotz der Mahnung des Bundeskanzlers in Prag, man solle keine unterschiedlichen Interpretationen geben, hält diese Interpretation der anderen Seite an. Die Bundesrepublik wehrt sich nicht dagegen. Wir weisen auf die Gefahr des Verschweigens hinsichtlich der Interpretation des Vertrages hin.Die Bundesregierung sagt uns, daß die Regelung mit der Nichtigkeit nur künftig von Bedeutung sein soll. Was heißt in diesem Zusammenhang „künftig"? Heißt das „insgesamt" oder: „künftig wollen wir davon ausgehen", mit Rückwirkung in die Vergangenheit, so daß alles ab 1938 als nichtig anzusehen wäre? Das ist eine Frage, die man in den Ausschüssen gestellt hat, die uns aber leider nicht beantwortet worden ist.Art. II Abs. 1 des Vertrages, der praktisch die Folgen des Art. I ausräumen soll, trifft nur einen begrenzten Bereich der für die Menschen entstandenen rechtlichen Probleme. Er trifft nur Rechtswirkungen, läßt aber die Frage offen, was denn mit der Rechtsanwendung in den Jahren 1938 bis 1945, insbesondere auch mit der Geltung der deutschen Rechtsordnung in dieser Zeit, ist. Es wurde zwar hier behauptet, daß dem so sei; aber das ist nicht ganz klar. Denn bei der Paraphierung hat der Bundesaußenminister erklärt:Zugleich wurde jedoch sichergestellt, daß daraus — nämlich durch den Vertrag —niemandem persönliche Nachteile entstehen können, daß niemand in seinen Rechten gemindert wird.Der tschechoslowakische Außenminister sagte bei der gleichen Gelegenheit:Gleichzeitig löst der Vertrag auch die Folgen dieser Nichtigkeit, indem er berechtigte Interessen und die Rechtssicherheit natürlicher Personen in Betracht zieht, die in diesem Vertrag gewährleistet werden.Es ist ein enormer Unterschied zwischen der Wahrung von Interessen und der Wahrung von Rechten und Rechtspositionen. Man soll nicht sagen, daß das in Zukunft keine Rolle spielt. Im international-privatrechtlichen Bereich und vor allem auch im Bereich der Staatsangehörigkeit muß man immer wieder auf Rechtstatsachen der Vergangenheit zurückgreifen, die angewendet und bewertet werden müssen und wo auch die Frage zu stellen ist, ob Recht gegolten hat oder nicht.Deshalb ist es besonders bedauerlich — was leider schon aus der Literatur ersichtlich ist —, daß man z. B. mit Österreich keine Konsultationen über diese Fragen aufgenommen hat, denn in Osterreich leben mehrere hunderttausend Sudetendeutsche, und gerade dort, in Drittstaaten, werden diese Fragen des Rechtsstatus künftig eine besondere Rolle spielen.Man soll uns nicht sagen, man habe sich mit allgemeinen Floskeln zufriedengeben müssen; sonst wäre man zu sehr ins Detail geraten und wäre Gefahr gelaufen, etwas zu vergessen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den deutsch-niederländischen Ausgleichsvertrag, in dem es auch um die Regelung von Gebietsfragen ging.
Allein in 11 ausführlichen Artikeln wurden die Fragen im Zusammenhang mit der Rückgabe der Gebiete Selfkant und Elten an die Bundesrepublik gelöst,
wo nur etwa 15 000 Menschen leben; aber da, wo esum 31/2 Millionen Menschen geht, gibt man sich mit
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7418 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
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allgemeinen Floskeln zufrieden. Sicherlich ist nicht jeder Einzelfall regelbar, aber prinzipielle Aussagen und Regelungen über die Rechtsanwendung usw. sind möglich.Dieses Verhalten bei der Aushandlung des Vertrages legt den Gedanken nahe, daß man eben in Art. I für die Jahre 1938 bis 1945 etwas ganz anderes aussagen will als in Art. II, so daß hierdurch bereits ein Widerspruch gegeben ist.Wenn in Art. II Abs. 1 von Rechtswirkungen die Rede ist, möchte man meinen, damit sei die Staatsangehörigkeitsfrage der Sudetendeutschen endgültig geklärt. Aber das ist, wie wir bei den Beratungen erfahren haben, leider nicht der Fall; die Tschechoslowakei greift vielmehr nach wie vor den rechtsgültigen Staatsangehörigkeitserwerb der Sudetendeutschen im Jahre 1938 an, indem sie behauptet, daß die Sudetendeutschen, soweit sie hierher kamen, die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik, diejenigen aber, die in die DDR kamen, die Staatsbürgerschaft der DDR erworben haben. Meine Damen und Herren, bei dieser Haltung sehe ich auch die Gefahr einer Möglichkeit der Spaltung der Deutschen Staatsangehörigkeit, die sogar im Grundvertrag vermieden worden ist; dies kommt hier womöglich durch die Hintertür wieder herein.Die tschechoslowakische völkerrechtliche Literatur und Praxis hat den Staatsangehörigkeitserwerb der Sudetendeutschen im Jahre 1938 bisher angegriffen. Es ist uns gesagt worden, daß diese Angriffe nach wie vor erfolgen können: Wir bleiben auf unserem Standpunkt, die andere Seite auf ihrem. Ich bin der Meinung, daß wir aber einen Schritt weiter gegangen sind. Wir haben nämlich in dem Briefwechsel über humanitäre Angelegenheiten diejenigen Sudetendeutschen, die sich noch in ihrer Heimat befinden, als tschechoslowakische Bürger deutscher Nationalität bezeichnen lassen, und damit haben wir den tschechoslowakischen Staatsangehörigkeitserwerb anerkannt, haben jedoch keine entsprechende Anerkennung unsererseits.
Und jeder Jurist wird sagen, daß die Frage des Staatsangehörigkeitserwerbs ab 1938 nicht ganz ohne Bedeutung ist.Zur Frage der „Reparationen" usw.: Ich will nicht diesen Ausdruck gebrauchen; das wird heute alles anders genannt. Es wird in dem Vertrag eben nur gesagt, daß nur das ausgeschlossen ist, was eventuell aus den Aussagen dieses Vertrages folgt. Es ist nicht das ausgeschlossen, was aus den bisherigen Rechtsauffassungen der Tschechoslowakei folgen könnte. Am 11. Mai dieses Jahres ist in der Zeitschrift „Hlas Revoluce" geschrieben worden: „Ansprüche, sei es vom Charakter von Reparationen oder Nicht-Reparationen . . . existieren allerdings." „Die schrecklichsten Schäden an Leben und Gesundheit unserer Menschen", so heißt es dort, „lassen sich nicht zahlenmäßig ausdrücken. Nur, dies alles ist", so heißt es weiter, „eine Angelegenheit weiterer Verhandlungen zwischen beiden Regierungen im Verlauf der eigentlichen Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen ... "
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Herr Kollege Dr. Wittmann, ich darf Sie auf Abs. 2 der Präambel des Vertrages verweisen, in dem klar und deutlich zum Ausdruck kommt, daß das Unrecht auf beiden Seiten, das Unrecht bei uns und das Unrecht, das auf der anderen Seite geschehen ist, bei dieser Vertragsgestaltung berücksichtigt worden ist in dem festen Willen, ein für allemal mit der unheilvollen Vergangenheit in den beiderseitigen Beziehungen ein Ende zu machen. Das ist keine einseitige Aussage. Das ist eine Aussage, die für beide Seiten in gleicher Weise Gültigkeit hat.
Der Rechtsausschuß des Bundestages kam nach sehr sorgfältigen und gründlichen Beratungen zu dem Ergebnis, daß gegen diesen Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik weder verfassungs- noch völkerrechtliche Bedenken bestehen. Das schließt ein, daß die Bundesregierung mit diesem Vertrag, der uns heute zur Ratifizierung vorliegt, die ihr nach dem Grundgesetz obliegenden Verpflichtungen auch gegenüber unseren sudetendeutschen Landsleuten erfüllt hat. Alle gegenteiligen Behauptungen, wie sie immer wieder aufgestellt werden und auch heute hier wieder aufgestellt worden sind, sind rechtlich nicht haltbar und verfolgen entweder parteipolitische oder auch persönliche Zwecke.Die Mehrheit des Rechtsausschusses — und das kann ich auch für die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses sagen — war der Auffassung, daß der Vertrag mit Prag klar, eindeutig und ausgewogen ist, daß er keine Legitimierung der Vertreibung enthält und daß die Interessen der Vertriebenen in diesem Vertrag sehr wohl gewahrt werden.
Niemand bestreitet — der Bundeskanzler hat das bereits hier ausgeführt —, daß die Regelungen anders ausgesehen hätten, wenn wir einseitig unsere Vorstellungen und unseren Willen durchgesetzt hätten. Das gilt nicht nur für diesen Vertrag, sondern auch für alle anderen Verträge, — zweiseitige und mehrseitige —, die die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen bisher abgeschlossen hat. Ich habe aber Zweifel, ob man bei der einseitigen Durchsetzung der eigenen Interessen noch von frei ausgehandelten Verträgen sprechen könnte. Ein Vertrag über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei wäre nicht zustande gekommen — das muß man hier ganz klar aussprechen —, wenn er keine Aussage, keine Festlegungen und keine Regelungen über das Münchener Abkommen enthalten hätte. Dieses Problem war bei den langen Verhandlungen von zentraler Bedeutung. Beide Seiten wußten voneinander, daß sie nicht bereit waren, ihren eigenen Rechtsstandpunkt aufzugeben: die Tschechoslowakeimit der Forderung, das Münchener Abkommen von Anfang an für nichtig zu erklären, und wir, die Bundesrepublik, mit der Absicht, eine Modifizierung der Ungültigkeit des Abkommens durchzusetzen.In fünf Sondierungsgesprächen — wir haben das in den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses gehört — konnte keine Einigung zwischen den Gesprächspartnern erzielt werden, nicht einmal eine Annäherung der Standpunkte. Deshalb wurde eine längere Verhandlungspause eingelegt, um neue Überlegungen anzustellen, um neue Vorschläge auszuarbeiten. Hätte jeder der beiden Partner auf seinem Rechtsstandpunkt bestanden — wir also auf dem Standpunkt, der heute von der Opposition hier wieder vorgetragen worden ist —, dann wäre kein Vertrag zustande gekommen. Dann wäre eine Normalisierung der Beziehungen mit dem einzigen unmittelbaren Nachbarstaat im Osten auf lange Sicht nicht möglich gewesen, — mit allen Konsequenzen für die Entspannung in Europa, mit allen Konsequenzen für das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt, auch bei unseren westlichen Verbündeten mit allen Konsequenzen für die unmittelbar betroffenen Menschen in der Bundesrepublik und in der Tschechoslowakei.
Herr Abgeordneter Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher?
Herr Kollege Metzger, würden Sie mir nicht zustimmen, wenn ich sage, daß gerade deshalb, weil die zentrale Formel des Vertrages über die Nichtigkeit des Münchener Abkommens von beiden Partnern diametral gegensätzlich ausgelegt wird, die Unklarheit offenbar — nach Ihrer Logik — die einzige Prämisse für das Zustandekommen dieses Vertrages gewesen ist?
Nein, Herr Becher, da kann ich Ihnen nicht zustimmen; es ist auch falsch, was Sie sagen. Über diese Frage ist sehr wohl Einigkeit erzielt worden. Ich werde im Verlauf meiner Ausführungen hierauf noch eingehen.Im Rechtsausschuß — und nun komme ich zu dieser Frage — wurde versucht, eine Klärung herbeizuführen, warum die Tschechoslowakei ihre Forderung so hart und auch kompromißlos vertreten hat. Wenn uns diese Überlegungen auch nicht viel weiterbringen, so dürfte eines feststehen: Es handelt sich hierbei nicht, wie von einem Vertreter der Opposition behauptet worden ist, um eine Schikaneforderung der Tschechoslowakei. Es geht vielmehr um ein existentielles Anliegen, um das geschichtliche Selbstverständnis der Tschechoslowakei, das von uns zwar nicht im Rechtssinne anerkannt werden kann, das aber von uns — ich bin mir über die Bedeutung dieser Aussage im klaren — respektiert werden sollte,
mit der Nachgabe der Unterzeichnerstaaten gegenüber Hitler im Münchener Abkommen, das von Hitler nicht im Interesse der Sudetendeutschen abgeschlossen wurde, sondern für ihn der erste Schritt
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Metzgerwar, die Tschechoslowakei zu zerschlagen, und mit der damit verbundenen Isolierung Prags begann für die Tschechoslowakei der Anfang vom Ende.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard ?
Ich möchte diesen Gedanken gern zu Ende führen, weil er in einem Zusammenhang steht, Herr Kollege Erhard.
Für die Tschechen, unabhängig von ihrem politischen Standort, war das Münchener Abkommen der Ausgangspunkt einer unheilvollen Entwicklung, die später ganz Europa erfaßte.
Im April 1973, in der sechsten Sondierungsrunde machte die Bundesregierung einen neuen Vorschlag, der auf der einen Seite die Nichtigkeit des Münchener Abkommens feststellte, ohne eine Aussage über den Zeitpunkt der Nichtigkeit zu treffen, der auf der anderen Seite — und das war und ist das Entscheidende — eine Regelung enthält, gleichsam als Gegengewicht zur Nichtigkeitsfeststellung, die ausschließt, daß hieraus nachteilige Rechtsfolgen für die Bundesrepublik und für die Menschen, für die wir verantwortlich sind, entstehen oder abgeleitet werden können.
Dieser Vorschlag führte zu der Regelung, wie wir sie in Art. I und Art. II wiederfinden, einer Regelung, wie sie auch — Herr Kollege Bahr hat bereits darauf hingewiesen — in anderen Bereichen, z. B. in unserem Zivilrecht, durchaus bekannt und üblich sind. Beide Bestimmungen müssen nebeneinander gesehen und können nur im Zusammenhang beurteilt werden.
Die in Art. I festgelegte Nichtigkeit des Münchener Abkommens ist keine „Erfindung" dieser Bundesregierung; — hierzu gibt es ja die unqualifiziertesten Behauptungen. Sie ist die Folge dessen, was in der Präambel des Vertrags beschrieben wurde:
Anerkennend, daß das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 der Tschechoslowakischen Republik durch das nationalsozialistische Regime unter Androhung von Gewalt aufgezwungen wurde,
Und ich füge hinzu: das ohne unmittelbare Beteiligung des betroffenen Staates abgeschlossen und durch den Überfall Hitlers im März 1939 gebrochen wurde.
Über die völkerrechtlichen Konsequenzen dieses Verhaltens kann es keinen Zweifel geben. Art. I wiederholt deshalb in vertraglicher Form — auch darauf wurde bereits hingewiesen —, was frühere Bundesregierungen schon eindeutig erklärt haben. Ich möchte an die Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Kiesinger vom 13. Dezember 1966 erinnern, der zu diesem Komplex — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten will ich das noch einmal vorlesen — ausführte:
Wir sind entschlossen, mit allen Völkern Beziehungen zu unterhalten, die auf Verständigung, auf gegenseitiges Vertrauen und auf dem
Willen der Zusammenarbeit gegründet sind. Deutschland war jahrhundertelang die Brücke zwischen West- und Osteuropa. Wir möchten diese Aufgaben auch in unserer Zeit gerne erfüllen.
— Auch wenn Herr Kollege Marx das heute nicht mehr wahrhaben will. —
Es liegt uns darum daran, das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn, die denselben Wunsch haben, auf allen Gebieten des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens zu verbessern und, wo immer dies nach den Umständen möglich ist, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
Auch mit der Tschechoslowakei möchte sich das deutsche Volk verständigen. Die Bundesregierung verurteilt die Politik Hitlers, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war. Sie stimmt der Auffassung zu, daß das unter Androhung von Gewalt zustande gekommene Münchener Abkommen nicht mehr gültig ist.
Die Fraktion der CDU/CSU, meine Damen und Herren, muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie heute noch zu diesen Erklärungen steht oder ob sie denjenigen Fraktionsmitgliedern folgt, die zu Kompromissen und damit zwangsläufig auch zu einer Verständigung und Aussöhnung nicht bereit sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard ?
Bitte schön!
Nachdem Sie Ihren Gedanken zu Ende geführt haben, Herr Kollege Metzger, möchte ich Sie fragen: Sie haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gesagt, für die Tschechen sei das Festhalten an der Nichtigkeit von Anfang an ein Problem ihres geschichtlichen Selbstverständnisses gewesen. Das räumen wir ihnen sicherlich ein. Frage: Warum gesteht uns Herr Bahr nicht das gleiche zu, und warum wollen Sie uns, der deutschen Seite, das geschichtliche Selbstverständnis unser selbst dann nicht auch einräumen als ein Gegeneinander, das es auszugleichen gilt?
Herr Kollege Erhard, Sie haben offensichtlich immer noch nicht verstanden, daß in dieser Frage die Interessen beider Seiten berücksichtigt worden sind. Das ergibt sich klar und eindeutig aus Abs. 2 der Präambel und aus Art. I des Vertrages.
Die Nichtigkeitsfeststellung — Herr Kollege Erhard,vielleicht sind Sie so freundlich und hören einmal zu— in Art. I wird in dreifacher Hinsicht eingeschränkt:
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7422 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
MetzgerErstens. Sie beschränkt sich auf die gegenseitigen Beziehungen der beiden Vertragspartner. Dritte Staaten werden nicht berührt.Zweitens. Sie erstreckt sich lediglich auf die am 29. September 1938 in München unterzeichneten Dokumente. Andere Rechtsakte und ihre Rechtswirkungen werden durch Art. I nicht erfaßt.Drittens. Sie berührt nicht die Rechtswirkungen, die sich daraus ergeben, daß vom 30. September 1938 bis zum 9. Mai 1945 in den sudetendeutschen Gebieten deutsches Recht gegolten hat und die Sudetendeutschen 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben. Schließlch bildet die Feststellung der Nichtigkeit keine Rechtsgrundlage für materielle Ansprüche der Tschechoslowakei oder ihrer Bürger gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich möchte jetzt gern im Zusammenhang vortragen können.In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu dem Brief über Fragen der Strafverfolgung, der ein einseitiges Dokument darstellt und die Tschechoslowakei festlegt. Er wird in das Zustimmungsverfahren nicht mit einbezogen und führt deshalb auch nicht zu einer Anerkennung der tschechoslowakischen Rechtsauffassung durch uns, durch die Bundesrepublik.Der Vorwurf, der im Zusammenhang mit dem Brief über Fragen der Strafverfolgung von Herrn Kollegen Dr. Wittmann erhoben worden ist, er sei ein Meisterstück der Verschleierung, ist reiner Unfug.Im Zusammenhang mit Art. II des Vertrages ist der Brief eine Information darüber; welche strafbaren Handlungen, die in der Zeit von 1938 bis 1945 begangen wurden, nach tschechoslowakischem Recht heute noch verfolgt werden können. Aus dem Brief ergibt sich, daß eine Verfolgung nur noch dann möglich ist, wenn die Handlung mit der Todesstrafe bedroht ist und — das wurde bisher von Ihnen unterschlagen — wenn sie zugleich die Merkmale von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit trägt. In allen übrigen Fällen ist wegen Verjährung eine Strafverfolgung nicht mehr möglich.Entgegen immer wieder aufgestellten Behauptungen von Vertretern der Opposition — auch heute sind diese Behauptungen wieder aufgestellt worden — verstößt der Vertrag nicht gegen die Schutz-und Obhutspflicht, die Bundestag und Bundesregierung in gleicher Weise gegenüber den Sudetendeutschen haben.Art. II und Art. V in Verbindung mit dem Briefwechsel über die Regelung humanitärer Fragen sichern zum erstenmal Rechtspositionen ab, die in der Vergangenheit von der Tschechoslowakei nicht anerkannt oder sogar in Abrede gestellt wurden.
Diese Bundesregierung hat deshalb zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik die Schutz- und Obhutspflicht gegenüber den Vertriebenen aktiv — durch Verhandlungen — und positiv — durch die Vertragsregelung und durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen — wahrgenommen und erfüllt.
Dabei ist unbestritten, daß die Grundrechte, überhaupt unsere Verfassungsbestimmungen, nur im Geltungsbereich des Grundgesetzes gewährleistet werden können.
Kein Staat kann die Wahrung oder Verwirklichung von Verfassungsrechten außerhalb seines eigenen Hoheitsgebietes garantieren.Es ist deshalb auch grotesk, der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie habe mit dem Abschluß dieses Vertrages gegen Normen der Verfassung und gegen Grundrechte verstoßen.Und diejenigen, die sich zur Begründung ihrer Vorwürfe auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Grundlagenvertrag berufen, wie das immer wieder, Herr Kollege Dr. Wittmann, in den Ausschußberatungen geschehen ist, müssen sich die Frage vorhalten lassen, ob sie eigenlich den entscheidenden rechtlichen Unterschied der beiden Vertragswerke begriffen haben. Bei dem Grundlagenvertrag ist der Vertragspartner für uns kein ausländischer Staat; in ihm leben Deutsche wie in der Bundesrepublik auch. Das wird von dem Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt.Bei dem Prager Vertrag ist die Rechtslage eine ganz andere. Deshalb ist es unverständlich, wenn sich ausgerechnet
Vertreter der Opposition auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts berufen.
— Z. B. Herr Kollege Czaja und andere. Ich nehme an, Herr Kollege Vogel, daß heute die Beratungen insgesamt zur Diskussion stehen und daß wir die Möglichkeit haben, in der zweiten Lesung auch auf die Argumente und die Behauptungen einzugehen, die von Vertretern der Opposition in den Ausschüssen vorgetragen worden sind.
Wenn man für den Prager Vertrag einen Entscheidungsgrundsatz, der sich nicht auf das besondere Verhältnis Bundesrepublik Deutschland /DDR beschränkt, heranziehen will, dann ist es folgender: Das Bundesverfassungsgericht hat klar zum Ausdruck gebracht, daß es nicht berechtigt ist, in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen, daß
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Metzger es vielmehr den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenhält. Diese Organe, so führt das Bundesverfassungsgericht aus, haben in eigener Verantwortung zu entscheiden, mit welchen politischen Mitteln und auf welchen politischen Wegen sie die nach dem Grundgesetz rechtlich gebotenen Ziele zu erreichen oder ihnen wenigstens näherzukommen versuchen. Hier hat das Gericht weder Kritik zu üben, so sagt das Bundesverfassungsgericht selbst, noch seine Auffassung über die Aussichten der Politik zu äußern. Die politische Verantwortung dafür liegt allein bei den dafür zuständigen politischen Instanzen.Lassen Sie mich aber in diesem Zusammenhang die Frage stellen, meine Damen und Herren von der Opposition, was frühere Bundesregierungen außer verbalen und feierlichen Erklärungen getan haben, um die Schutz- und Obhutspflicht gegenüber den Vertriebenen zu erfüllen? Hier genügen keine einseitigen Rechtsauffassungen und Rechtsvorbehalte, die unter Umständen von der anderen Seite nicht einmal zur Kenntnis genommen werden. Den betroffenen Menschen wird auch nicht dadurch geholfen, daß man sich auf vermeintliche oder begründete Rechtstitel beruft, die von denjenigen, die es angeht, nicht anerkannt werden, die nicht durchgesetzt werden können und deren Wert und Bedeutung durch Zeitabläufe ständig abnehmen.Was hilft, Herr Kollege Heck, der Kampf ums Recht, wie Sie gesagt haben, wenn dieser Kampf ums Recht für die Betroffenen selbst nichts einbringt?In den öffentlichen Auseinandersetzungen und auch in den Ausschußberatungen wurden von Vertretern der Sudetendeutschen Landsmannschaft immer wieder Rechtsansprüche geltend gemacht, wurde auf Rechtstitel gepocht, Unrecht gegen Unrecht abgewogen, wurden Forderungen gegen Forderungen gestellt.
Auch Herr Kollege Dr. Wittmann hat es heute wieder getan.
Wir wissen alle, daß sich im täglichen Zusammenleben der Menschen nicht alle Handlungen mit der Elle des Rechtes messen lassen, daß nicht alle Auseinandersetzungen und Unrechtshandlungen durch objektive und gerechte Urteile beigelegt oder gesühnt werden können. Das gilt in noch viel stärkerem Maße für das Zusammenleben der Völker und für geschichtliche Geschehensabläufe. Das Beharren auf einem Rechtsstandpunkt, die Vollstreckung von Rechtstiteln hat — die Geschichte beweist es — oft Kriege und Menschheitskatastrophen ausgelöst. Nicht selten war der vermeintlich Starke, der Unnachgiebige am Ende der Verlierer und derjenige, der zu Kompromissen bereit war, der Gewinner. Und es gibt auch immer wieder geschichtliche Vorgänge, die sich nicht aufrechnen oder vergleichen lassen.Vor dem Hintergrund der unheilvollen Vergangenheit und der schrecklichen Erfahrungen, die Deutsche und Tschechen in diesem Jahrhundert machen mußten, ist eine Aussöhnung nur möglich, wenn beide Seiten zum Nachgeben bereit sind.In der Denkschrift der evangelischen Kirche über die Lage der Vertriebenen des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn wird hierzu ausgeführt:Es darf den, der die geschichtlichen Vorgänge in diesem Raum unvoreingenommen betrachtet, nicht verwundern, daß sie— die rechtliche Analyse —nicht damit endet, nur einer der beiden Seiten alles Recht, der anderen alles Unrecht zuzusprechen. Die rechtlichen Positionen begrenzen sich gegenseitig; Recht steht gegen Recht oder — noch deutlicher — Unrecht gegen Unrecht.In solcher Lage wird das Beharren auf gegensätzlichen Rechtsbehauptungen, mit denen jede Partei nur ihre Interessen verfolgt, unfruchtbar, ja zu einer Gefahr für den Frieden zwischen beiden Völkern. Auf dieser Ebene ist der Konflikt nicht zu lösen. Daher gilt es, einen Ausgleich zu suchen, der eine neue Ordnung zwischen Deutschen und— in diesem Falle —Polen herstellt. Damit wird nicht gerechtfertigt, was in der Vergangenheit geschehen ist, aber das friedliche Zusammenleben beider Völker für die Zukunft ermöglicht.Wir, meine Damen und Herren, sind überzeugt davon: Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zieht einen Schlußstrich unter eine schreckliche Vergangenheit, in der Deutschen und Tschechen — und auch anderen europäischen Völkern und Volksgruppen — unermeßliches Leid zugefügt wurde. Er eröffnet aber auch die Chance zu einem neuen Anfang in den Beziehungen beider Völker.Der Vertrag enthält keine einseitigen Zugeständnisse der Bundesrepublik an die tschechoslowakische Seite, der Vertrag legitimiert nicht nachträglich die Vertreibung Deutscher aus ihrer Heimat. Durch diesen Vertrag werden Rechte, die deutschen Bürgern nach dem Grundgesetz oder anderen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland zustehen, nicht berührt. Er enthält keine Rechtsminderung für die Vertriebenen. Auch nach Ratifizierung des Vertrages wird die Obhutspflicht gegenüber den Sudetendeutschen fortbestehen.Die Bundestagsfraktion der SPD wird diesem Vertrag deshalb vorbehaltlos zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hupka.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich möchte drei Bemerkun-
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7424 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. Hupkagen zu dem, was Herr Kollege Metzger soeben gesagt hat, vorausschicken.Erstens. Sie haben gesagt, in Satz 2 der Präambel würde die ganze Vergangenheit, die zwischen dem Volk der Tschechen und Slowaken und dem deutschen Volk steht, aufgearbeitet. Da fragt man, warum auf diesen Satz 2 dann Satz 3 mit dem Münchener Abkommen, aber kein Satz 4 mit einer Verurteilung der Vertreibung folgt. Nur dann könnte man von einer tatsächlichen Aufarbeitung der Vergangenheit sprechen.
Zweitens. Ich verstehe nicht, warum immer wieder behauptet wird, es gebe in den Bänken der Opposition den einen oder den anderen, der sich — in welcher Form auch immer — auf das Münchener Abkommen beziehen möchte. Wir haben die Ausführungen unseres Kollegen Dr. Jaeger gehört, der eindeutig hier noch einmal unterstrichen hat, daß dieses Abkommen unter Androhung von Gewalt zustande gekommen und heute obsolet ist. Warum wird dann immer wieder der Verdacht erhoben, als gäbe es den einen oder anderen, der aus den Ereignissen des Jahres 1938 noch Honig saugen möchte?Drittens. Sie haben die Behauptung aufgestellt, Herr Kollege Metzger, als würde auf seiten der Vertriebenen — vor allem der Sudetendeutschen — Unrecht gegen Unrecht aufgerechnet, als stünde Forderung gegen Forderung. Sie haben sich auch gegen das Behaupten des Rechtsstandpunktes verwahrt, weil es auch Fälle gegeben hat — es gibt sie tatsächlich, wie ich zugeben muß —, in denen durch die Behauptung des Rechtsstandpunktes neues Unrecht entstanden ist. Man kann doch aber nicht, weil es einen Michael Kohlhaas gegeben hat, das Behaupten eines Rechtsstandpunktes von vornherein verdächtigen!
Ich möchte mich dann vor allem mit dem Briefwechsel über humanitäre Fragen beschäftigen und einige Sätze im Hinblick auf die Information zum Warschauer Vertrag vorausschicken, weil hier auch etwas geklärt werden sollte, was die Menschen unmittelbar betrifft. Heute muß — so glaube ich — auch die Bundesregierung zugeben, daß die in die sogenannte Information zum Warschauer Vertrag gesetzten Erwartungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Wäre die Bundesregierung ehrlich gegenüber sich selbst und vor uns allen, müßte sie eingestehen, daß sie diese „Information über Maßnahmen zur Lösung humanitärer Probleme" — so lautet der Titel — mit der Volksrepublik Polen leichtfertig und schlecht, ja geradezu verantwortungslos ausgehandelt hat. Jedermann weiß inzwischen, daß diese Geschäftsgrundlage des Warschauer Vertrages nicht das gehalten hat, was die Bundesregierung sich und uns versprochen hatte. Mit Ausnahme des ersten Jahres nach Unterzeichnung des Warschauer Vertrages ist die Zahl der Aussiedler ständig rückläufig und zur Zeit bereits weit niedriger als jemals in den Jahren vor der Ratifizierung dieses Vertrages mit Warschau. Außerdem sind die Aussiedlungswilligen ständigen Schikanen ausgesetzt. Der polnische Vertragspartner scheint offensichtlich nur dann dazu bereit zu sein, die gegebenen Zusagen einzuhalten, wenn erst einmal deutscherseits hohe Kredite zu billigem Zins gewährt werden.Diese und noch viele andere sehr schlechte Erfahrungen hätten die Bundesregierung dazu zwingen müssen, bei ihren Verhandlungen mit der Tschechoslowakei die Lösung humanitärer Fragen auf anderem, das heißt sicherem Wege zu versuchen. Allerdings beging die Bundesregierung sofort einen groben Fehler, als sie die deutsch-tschechoslowakischen Absprachen über die humanitären Fragen erst nach Paraphierung des Vertragstextes abschloß und zum Gegenstand eines Briefwechsels machte. Auf diese Weise hat sich die Bundesregierung selbst um ein Stück Handlungsfreiheit gebracht; denn die Tschechoslowakei hatte den Vertrag bereits in der Tasche, bevor der Text des Briefwechsels endgültig formuliert und fixiert worden ist.Im Gegensatz zur „Information" zum Warschauer Vertrag sind die Aussagen über die humanitären Fragen im Zusammenhang mit dem Prager Vertrag in einem Briefwechsel festgehalten, und jeder dieser Briefe trägt die Unterschrift des jeweiligen Außenministers. Die „Information" zum Warschauer Vertrag trägt bekanntlich keinerlei verbindliche Unterschrift, und die polnische Seite verbirgt auch gar nicht den Stolz auf die eigene taktische Klugheit, die darin besteht, daß sich die Bundesregierung nur auf ein Dokument ohne jede Unterschrift beziehen kann. Dieser Briefwechsel über humanitäre Fragen ist Teil des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik abgeschlossenen Vertrages, wie uns ausdrücklich und mehrfach gesagt worden ist. Das große Wort, daß die Aussagen über humanitäre Fragen auch die Geschäftsgrundlage des ganzen Vertrags seien, hat die Bundesregierung diesmal nicht wieder in den Mund genommen. Dieses große Wort hat den unmittelbar Betroffenen, also den Menschen selbst, bis heute ohnehin überhaupt nicht helfen können.Eines hat der „Briefwechsel über humanitäre Fragen" mit der „Information" zum Warschauer Vertrag leider gemeinsam: Auch dieser Briefwechsel ist nicht zur Veröffentlichung und nicht als Mitteilung an jene, die er unmittelbar angeht, bestimmt. Damals wie jetzt wieder scheut eine kommunistische Regierung vor der Verlautbarung zurück, weil sie die Zahl derer, die die ausgehandelten Zusagen für sich in Anspruch nehmen könnte, möglichst klein halten möchte.
Es spricht nicht gerade für eine standfeste Verhandlungsführung, daß sich die Bundesregierung auch dieses Mal damit zufriedengegeben hat, daß die Menschen nicht erfahren sollen, was sie eigentlich erfahren müßten.Vergleicht man den Inhalt der „Information" zum Warschauer Vertrag mit diesem „Briefwechsel über humanitäre Fragen" im Kontext des Prager Vertrags, dann ist die „Information" viel präziser. Sie spricht die Familienzusammenführung und auch Zahlen an, obwohl diese selbst ungenau und überdies
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7425
Dr. Hupkaunzutreffend sind, während im Briefwechsel über humanitäre Fragen nur von der Aussiedlung tschechoslowakischer Bürger deutscher Nationalität die Rede ist und über den konkreten Fall der Familienzusammenführung geschwiegen wird. Die seitens der Bundesregierung so laut gepriesene Erweiterung der Aussiedlungsmöglichkeiten — damals auf polnische Staatsbürger deutscher Nationalität — ist in dem vorliegenden Briefwechsel als die gängige Praxis akzeptiert worden. Ob das unbedingt ein Gewinn für die an der Aussiedlung Interessierten sein wird, muß erst die Praxis ergeben. Das polnische Beispiel hat uns gelehrt, daß kaum Aussiedler unter Berufung auf ihre deutsche Nationalität zu uns kommen können. Und beim Briefwechsel zwischen Bonn und Prag muß gefragt werden, ob die Familienzusammenführung voll und ohne jeden Abstrich bei den sogenannten gemischten Familien praktiziert werden wird.Ein immer noch nicht ausgeräumter Streitpunkt zwischen Bonn und Warschau ist die Zahl der Aussiedlungswilligen. Wir nennen 283 000; die polnischen Dienststellen aber sprechen nur von „einigen Zehntausenden". Irgendeine Zahl oder die Anspielung darauf fehlen jetzt in dem Briefwechsel. Das könnte sogar ein Gewinn sein. Ohnehin handelt es sich bei den zur Aussiedlung aus der Tschechoslowakeientschlossenen Deutschen um eine weit geringere Zahl als im 'Fall Polen. Eine Zahl von 25 000 ist auf Grund von Unterlagen des Deutschen Roten Kreuzes der Tschechoslowakei gegenüber genannt worden. Die Zahl dürfte aber höher sein, wenn erst einmal alle Fälle — wie es in der Sprache der Rotkreuzgesellschaften heißt — „aktualisiert" worden sind und sich alle jene Deutschen melden, die sich aus verständlichen Gründen mit einer Meldung noch zurückgehalten haben.Auf welche Weise der einzelne, der sich zur Aussiedlung entschlossen hat, von dieser Möglichkeit überhaupt erfahren kann, ist bis zur Stunde höchst ungewiß. Es werde sich schon herumsprechen — so hört man aus Prager Mund. Aber auf einen derartigen Zufall sollte man aus Gründen der Gleichberechtigung und vor allem auch der Menschlichkeit nicht bauen. Die Bundesrepublik Deutschland darf sich auf keinen Fall mit derlei Vermutungen und Andeutungen abfinden. Es scheint realistisch, wenn die mögliche Zahl aller Aussiedlungswilligen in der Tschechoslowakei mit etwas mehr als zweimal 25 000 ibeziffert wird.In geschickter Weise hat die tschechoslowakische Regierung — dem polnischen Beispiel aus dem Jahr 1970, dem Jahr der Vertragsverhandlungen, folgend — 'hier zunächst einen in der beabsichtigten Tendenz zunehmenden Aussiedlungsstau eintreten lassen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen nur 145 Aussiedler aus der Tschechoslowakei zu uns, was bei gleichbleibend niedriger Ziffer am Jahresende die Zahl 350 ergäbe. 1973 waren es 525 Aussiedler, im Jahr zuvor 894, obwohl es 1970 noch 4 200 und 1971 immerhin noch 2 300 Aussiedler gewesen waren.
Die drei besten Jahre für die Aussiedler waren 1967 mit 11 600, 1968 mit 11 800 und 1969 'mit 15 600 Aussiedlern. Am 8. Oktober 1969 wurde aber die einschneidende Verordnung zur Aussiedlung erlassen, die nur noch engste Familienzusammenführungen und Aussiedlungen für Rentner und Arbeitsunfähige gestattet.Bis zur Stunde ist leider vom frischen Wind einer neuen Praxis auf Grund des Briefwechsels über humanitäre Fragen noch nichts, aber auch noch gar nichts zu spüren.
„Wohlwollend" ist das neue Zauberwort. Es findet sich in Absatz 2 des Briefes. Wie weit 'dieses Wahlwollen reichen, wo es auf seine Grenzen stoßen wird, ist ebenso ungewiß wie die ganze Praxis der Handhabung. Zuerst sollen die beiden Rotkreuzgesellschaften zum Zuge kommen, aber mehr als die Nennung 'der Namen sowie die erste Benachrichtigung des einzelnen durch das Deutsche Rote Kreuz auf der einen und die Registrierung der Interessenten und die Weitergabe der Benannten an die Behörden durch das Tsc'hechoslowa'kische Rote Kreuz auf der anderen Seite wird leider nicht zu 'bewerkstelligen sein. Dann müssen die Dienststellen des Landes zu handeln beginnen. Fragen über Fragen tauchen auf, nicht zuletzt auf Grund der sehr schlechten Erfahrungen mit der Aussiedlung aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße.Der „Einklang mit den in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik geltenden Gesetzen und Rechtsvorschriften" soll die Voraussetzung für eine wohlwollende Beurteilung des Einzelfalles sein. Auf deutsch heißt das, daß der subjektiven und damit auch willkürlichen Entscheidung Tür und Tor geöffnet sind, vor allem gerade dann, wenn die Anwendung der Kriterien in die Hand der örtlichen Kreisausschüsse gelegt wird. Nichts wird darüber gesagt, ob es eine Berufungsinstanz gibt und ob der Vertragspartner und zugleich Mitunterzeichner des Briefwechsels, die Bundesrepublik Deutschland, beschwerdeführend und einspruchsberechtigt aktiv werden kann. Das polnische Beispiel schreckt, denn das Deutsche Rote Kreuz mußte ohnmächtig zur Kenntnis nehmen, daß die Aussiedlung in katastrophaler Weise stockt und die Anträge von vielen Zigtausenden immer wieder abgelehnt werden. Aber auch der Bundesregierung und der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau ist es bis heute kaum möglich gewesen, die Begründung für die Ablehnung der Aussiedlung zu erfahren und dagegen mit Aussicht auf Erfolg unter Berufung auf die „Information" tätig zu werden.Auch gegen die Gefahr der Schikanierung der Aussiedlungswilligen ist in den Briefwechsel zwischen Bonn und Prag kein Damm errichtet worden. Der gesamte Briefwechsel zeichnet sich überhaupt nur dadurch aus, daß er eine Absichtserklärung ist und die Krönung dieser Absichtserklärung durch das Wörtchen „wohlwollend" enthält. Für die Praxis ist nichts festgelegt, nichts fest ausgemacht.Daß der Begriff der deutschen Nationalität nicht näher präzisiert ist, könnte sich als vorteilhaft erwei-
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7426 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Dr. Hupkasen, weil hoffentlich darunter auch all diejenigen tschechoslowakischen Staatsbürger fallen mögen, die schon aus Altersgründen bis 1945 keine deutsche Staatsangehörigkeit hatten erwerben können, sich aber trotzdem zur deutschen Nationalität bekennen. Aber über Benachrichtigung und Anmeldung, Registrierung und Anspruch findet sich in dem Briefwechsel kein einziges Wort.Hingegen ist auf die geradezu groteske Parallelität Wert gelegt worden, daß „Personen tschechischer oder slowakischer Nationalität" aus der Bundesrepublik Deutschland „in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik aussiedeln können". Die Bundesregierung war bereit, dieses Spielchen mitzuspielen, diese Täuschung mitzumachen, obwohl jedermann weiß, daß einer Aussiedlung in Richtung Tschechoslowakei unsererseits nicht das geringste entgegensteht.
Prag hat auf die Gleichschenkligkeit in der Behandlung der Aussiedlung entscheidenden Wert gelegt, denn die Prager Regierung wollte ihr Gesicht wahren.In der Aufarbeitung der Vergangenheit hat es eine derartige Parallelität im vorliegenden Prager Vertrag nicht gegeben,
obwohl die Bundesregierung hier allen Grund gehabt hätte, nicht nur das Gesicht zu wahren, sondern auch der Wahrheit der Geschichte die Ehre zu erweisen. Da Vergangenheitsbewältigung das Kernstück des Prager Vertrages ist, hätte nie und nimmer nur die eine Seite der Vergangenheit, die dem deutschen Volke anzulastende Vergangenheit, beim Namen genannt werden dürfen, während die der Tschechoslowakei anzulastende Vergangenheit strikt verschwiegen wird. Es war eben nur das Münchener Abkommen von 1938 gefragt, nicht aber die Vertreibung von 1945. Nur dann hätte man von einer Normalisierung der Verhältnisse, von einem Neubeginn sprechen können, wenn alles Unheil der jüngsten Vergangenheit beim Namen genannt, nicht aber nur eine einseitige Auswahl vorgenommen worden wäre. Niemand — ich wiederhole noch einmal — will und darf aufrechnen. Aber Verträge, die die Vergangenheit halbieren, die die eine Vergangenheit anklagen und die andere verschweigen, sind nicht nur unvollkommene, ungleiche, sondern auch unglaubwürdige Verträge.
Der damalige Bundeskanzler Brandt hat am Tage der Unterzeichnung des Prager Vertrages für die Zuhörer und Zuschauer in der Bundesrepublik Deutschland erklärt •-- Herr Kollege Dr. Jaeger hat daran schon erinnert —:Nur aus der Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte öffnen wir für die jungen Menschen der Völker Europas den Weg zu einem Leben, das sie als menschenwürdig und sinnvoll betrachten.Von einer „Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte" kann bei diesem Vertrag leider nicht die Rede sein.
Überdies wird nicht nur ein Teil der Geschichte absichtlich aus Gefälligkeit gegenüber dem Prager Vertragspartner unerwähnt gelassen; die Geschichte wird geradezu auf den Kopf gestellt. Das Münchener Abkommen, laut Präambel „unter Androhung von Gewalt aufgezwungen", wird verurteilt und verworfen. Aber Vertragspartner ist gleichzeitig eine durch Anwendung von Gewalt dem Volk der Tschechen und Slowaken aufgezwungene Regierung. Nur, davon findet sich aus allzu durchsichtigen Gründen kein Wörtchen im ganzen Vertrag. Hier ist ein Vertrag wider die Wahrheit der Geschichte abgeschlossen worden, und nicht ein Vertrag mit dem von Brandt berufenen Qualitätssiegel der „Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte".Beim Warschauer Vertrag war es leider nicht anders. Das dem polnischen Volk zugefügte Leid — und wer wollte dieses Leid bestreiten! — wird beim Namen genannt. Aber die Vertreibung wird genauso wie jetzt beim Prager Vertrag nur in einem Selbstgespräch für den innerdeutschen Hausgebrauch erwähnt.
Ausschließlich die Vergangenheit unter deutschem Schuldzeichen ist Thema des Vertrages und weltweiten Dialogs. Ausgewogenheit der Standpunkte kann man das bestimmt nicht nennen.Im Briefwechsel über humanitäre Fragen wird nicht nur die Parallelität zwischen der Aussiedlung herüber und hinüber hergestellt; auch für den Reiseverkehr werden beide Regierungen, die Diktatur in Prag und die demokratische Regierung in Bonn, gleich zu gleich angesprochen. Damit wird erneut der Anschein erweckt, als müßte unsererseits noch geschehen, was drüben tatsächlich erst noch zu geschehen hat. Das ist aber falsch; denn bei uns gibt es keinerlei Beschränkungen des Reiseverkehrs. Wohl aber wird der Reiseverkehr aus der Tschechoslowakei in die Bundesrepublik gerade in jüngster Zeit ungeachtet dieses Vertrages sehr restriktiv behandelt.
Politiker und Wirtschaftler scheinen indes die bevorzugten und vielfach die einzigen berechtigten Besucher von drüben hier zu sein. So stellt es sich zur Zeit dar. Wer aber von hier nach drüben fährt, hat mit langwierigen Abwicklungsprozeduren des Reiseverkehrs zu rechnen und muß manchmal bis zu vier Stunden Wartezeit in Kauf nehmen. Außerdem sind 7 Dollar pro Tag aufzubringen, also ein Zwangsumtausch wie beim Reiseverkehr von uns nach Mitteldeutschland oder nach Ost-Berlin. Nicht zuletzt aber haben auch die tschechoslowakischen Meldevorschriften, die streng gehandhabt werden, dazu geführt, daß der Besuchsverkehr von hier nach drüben geringer geworden ist. Hoffentlich kann möglichst bald im Sinne der großen Ankündigungen, wie sie im Briefwechsel ihren Niederschlag gefunden haben, Abhilfe geschaffen werden. -Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7427Dr. HupkaNotwendig wäre auch eine Erleichterung im Paketverkehr; denn ein Liebespaket ist bekanntlich auch ein Stückchen Menschlichkeit. Bis jetzt sind aber nur Sendungen mit Obst und Südfrüchten, Medikamenten und Literatur zollfrei; für die übrigen Sendungen wird ein hoher und außerdem noch komplizierter Zoll gefordert.Es sei anerkennend erwähnt, daß sich die Deutschen in der Tschechoslowakei auf das Nationalitätengesetz des Jahres 1968 berufen können und sich damit in einer besseren Ausgangsposition befinden als die Deutschen, die heute im Bereich der Volksrepublik Polen leben. Aber da man einen Briefwechsel über humanitäre Fragen geführt hat, wäre es angebracht gewesen, auch und gerade für die 110 000 Deutschen in der Tschechoslowakei etwas zu erwirken. Man komme nun nicht etwa damit, daß die Deutschen in der Tschechoslowakei heute nach tschechoslowakischer Auffassung Bürger jenes Staates und nur nach unserer Rechtsauffassung deutsche Staatsangehörige seien, weshalb es uns auch gar nicht zukomme, so sagt man, hier eine Forderung nach Gewährung des Volksgruppenrechts zu erheben. Wer so argumentiert, sollte auch gleich diese Forderung aus dem Godesberger Programm der SPD ganz streichen,
denn wie anders ließe sich das Volksgruppenrecht verwirklichen, wenn nicht im Dialog mit unseren Nachbarn? Es ist nicht nur dieser Dialog versäumt worden, sondern auch die Möglichkeit zu einer Fixierung, sei es im Vertragstext, sei es im Briefwechsel über humanitäre Fragen. Wer von vornherein den Standpunkt des Vertragspartners in seine Überlegungen mit einbezieht und darum lieber schweigt, wird nie dazu gelangen, daß den Menschen endlich mehr Menschenrechte eingeräumt werden.
Aber gerade das ist die Aufgabe der Demokraten im Umgang mit Diktaturen.Wer für das Volksgruppenrecht der Deutschen, die heute in der Volksrepublik Polen leben, eintritt, erhält hierzulande gleich die Antwort, die Volksrepublik Polen sei gar nicht bereit, eine deutsche Minderheit oder Volksgruppe anzuerkennen. In der Tschechoslowakei ist es nun einmal gottlob anders; also wäre die Chance zu nutzen gewesen. Aber unsere Unterhändler haben lieber geschwiegen, und auch die SPD hat sich nicht mehr des Volksgruppenrechts aus dem eigenen Programm erinnern wollen.Zur Normalisierung hätte auch gehört, daß eine Absprache über den Kulturaustausch nicht nur in dem vagen Sinne des Art. V des Prager Vertrages, sondern im Hinblick auf die deutsche Volksgruppe erfolgt wäre. Wie allwöchentlich in der deutschsprachigen „Prager Volkszeitung" nachzulesen ist, stehen die 110 000 Deutschen in der Tschechoslowakei ganz unter dem vehementen Einfluß der benachbarten DDR. Sie, die DDR, beherrscht das Feld des Kulturaustausches in einer perfekten Ausschließlichkeit. Sich für die Bundesrepublik Deutschland hier zu Wort zu melden, daran haben unsere Vertragsunterhändler nicht gedacht — oder nicht denken wollen, um allen Schwierigkeiten schon im vorhinein aus dem Wege zu gehen.Die Praxis mit der „Information" zum Warschauer Vertrag hat nicht nur die Hartnäckigkeit der polnischen Regierung erwiesen, ein gegebenes Wort nicht einlösen zu wollen, sondern auch das Unvermögen und damit zugleich das schuldhafte Versagen unserer Verhandlungsführung.
Mit dem „Briefwechsel über humanitäre Fragen" werden wir erst noch die notwendigen Erfahrungen sammeln müssen, aber schon jetzt muß gesagt werden, daß ein einziges „wohlwollend" im Text dieses Briefwechsels uns noch lange nicht optimistisch zu stimmen vermag. Im Gegenteil, das Verschweigen des Briefwechsels samt seinen Absichtserklärungen in der Tschechoslowakei, der gegenwärtige Stau der Aussiedlung, die Ungenauigkeit der Formulierungen, die tastenden Versuche des Deutschen Roten Kreuzes und der ihm auferlegte Zwang, auf gut Glück zu experimentieren, das Ausbleiben verbindlicher Zusagen erinnern zu deutlich an die bitter enttäuschenden Erfahrungen, die wir alle, vor allem aber die unmittelbar Betroffenen, die aussiedlungswilligen Deutschen, mit der „Information" zum Warschauer Vertrag bis heute haben machen müssen.Auch wenn der „Briefwechsel über humanitäre Fragen" als fester Bestandteil zum Prager Vertrag gehören soll und auf Gegenseitigkeit beruht, ist seine Unverbindlichkeit höchst bedenklich. Wer will bestreiten, daß durch besseres, d. h. verantwortungsvolles, damit allerdings auch langwieriges Verhandeln nicht auch eine bessere vertragsimmanente Absprache hätte zustande kommen können? Aus Schaden ich spreche von der „Information" zum Warschauer Vertrag — sollte man eigentlich klug geworden sein. Hätte tatsächlich der Mensch im Mittelpunkt gestanden, welche Maxime die Bundesregierung ständig im Munde führt, da hätte dieser Briefwechsel über humanitäre Fragen ganz anders, nämlich konkreter und für die Menschen hilfreicher ausfallen müssen.
Daß es überhaupt eines derartigen Briefwechsels über humanitäre Fragen bedurfte, spricht — Gott sei es geklagt — dafür, daß es noch eine Fülle ungelöster menschlicher Fragen gibt. Nicht anders als im Falle der Ostberliner Regierung und der Regierung in Warschau müssen auch der Prager Regierung menschliche Erleichterungen, also die Minderung bisher praktizierter Unmenschlichkeiten, erst noch abgerungen werden. Absichtserklärungen wie auch die vorliegende klingen ganz gut; notwendig ist es, sie in die Tat umzusetzen. Ob und wie das im Zusammenhang mit dem Prager Vertrag geschieht, wird den Deutschen Bundestag und unsere Offentlichkeit sicher noch eingehend zu beschäftigen haben. Das schöne Wort „wohlwollend" und die von der Bundesregierung an den Tag gelegte „Zuversicht" sind, wenn es um Menschenrechte geht, von zu leichtem Gewicht.
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7428 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hofmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vieles Neues haben wir soeben von dem Kollegen Hupka nicht gehört: unglaubwürdig, Spielchen, Täuschung, Versagen, Versäumnis, nicht aufrechnen — aber dann doch die Aufrechnung erwartend —, das ist alles, was von ihm gekommen ist. Tenor der Rede war das übliche Mißtrauen, wie es auch in den Reden zu Pfingsten zum Ausdruck gebracht wurde.
Es ist für uns auch sehr verständlich, daß dieser Ton hier angeschlagen wird. Unverständlich ist uns allerdings, daß der Sprecher der Sudetendeutschen zu diesem Thema nicht das Wort erteilt bekommt.Nachdem zu Pfingsten gegen die eine wie gegen die andere Seite die Trommel des Mißtrauens gewaltig gerührt wurde, müssen wir hier zum wiederholten Male feststellen: Mit der Verabschiedung eines Gesetzes zum Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR wird das Münchener Abkommen, das nur ein halbes Jahr seiner Gültigkeit hatte, nicht ungeschehen gemacht. Daß es bestand, daß es da war, haben vor allem die sudetendeutschen Sozialdemokraten in bitterer Deutlichkeit erfahren.Mit diesem Vertrag wird endlich der Teufelskreis durchbrochen, in dem bisher Gewalt auf Gewalt folgen mußte. Wir sind uns bewußt, daß mit dem Versprechen auf Gewaltverzicht keine Gewalttaten getilgt werden. Der Vertrag heißt keine Gewalttat gut, von wem auch immer sie begangen wurde, und er legitimiert nicht — auch nicht nachträglich — die Vertreibung.Wie die Verträge mit Moskau und Warschau und der Grundvertrag mit der DDR gibt auch dieser Vertrag nichts preis, was nicht schon lange vorher verloren war. Das hat bereits Bundeskanzler Erhard in seiner Friedensnote vom März 1966 mit folgender Formulierung verdeutlicht:Die Bundesregierung erhebt keine Gebietsansprüche gegenüber der Tschechoslowakei. Das Münchener Abkommen hat keine territoriale Bedeutung mehr.Niemand schrie damals „Verzicht", „Verrat" oder „Verschenken" ; im Gegenteil, es gab damals großen Applaus.Mit der Diskussion über diesen Vertrag wird verständlicherweise noch einmal die Problematik der Sudetendeutschen ins Bewußtsein gebracht. Gerade an ihnen und an den Tschechen zeigte sich der Widerspruch zwischen der immer stärker werdenden Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht des jeweils Schwächeren und der sich steigernden Anwendung von Gewalt des jeweils Mächtigeren. Daher klingt es heute — vor allem draußen — geradezu wie Hohn, wenn diejenigen den Begriff Selbstbestimmungsrecht immer wieder gebrauchen, dieihn gestern nicht kannten, als sie die Macht hatten.Wenn der Sprecher der Sudetendeutschen im „Ost-West-Kurier" vom 2. November 1968 schreibt: „Der Kampf um das Selbstbestimmungsrecht, den wir 1918/19 vergebens führten, ist die innere Flamme unseres Geschichtsbewußtseins geworden.", dann ist das schlichtweg Geschichtsklitterung. Wo war denn dieses Geschichtsbewußtsein nach 1938? Der Ruf nach Recht erstickte in den Konzentrationslagern. Wer führte den Kampf um das Selbstbestimmungsrecht vor 1918/19? Um der Wahrheit die Ehre zu geben und um Ruhm und Tragik der sudetendeutschen Sozialdemokraten zu verdeutlichen, sei mir ein Blick in die Geschichte gestattet.1899 wurde in Brünn auf dem Parteitag der österreichischen Sozialdemokraten das bekannte Nationalitätenprogramm beschlossen, das die Umwandlung Österreichs in einen Bund freier Völker verlangte. Doch dafür gab es zu dieser Zeit keine Mehrheit, weil es kein Verständnis dafür gab. Die Sozialdemokraten wurden von Nationalisten sogar als Nationsverräter beschimpft. In manchen sudetendeutschen Städten kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Sozialdemokraten und nationalistischen Bürgern, deren Führer wiederholt die Losung ausgegeben hatten, man sollte die Dachziegel lokkern für den Fall, daß die Sozialdemokraten Kundgebungen für die nationale Verständigung der Völker Böhmens abhalten wollten.Ich frage: Wo war denn diese innere Flamme des Geschichtsbewußtseins zu dieser Zeit? Da brannte sie nur bei einem Teil. Was wäre aber den Völkern, nicht nur in diesem Raum, erspart geblieben, wenn durch dieses Brünner Nationalitätenprogramm die Umwandlung Osterreichs in einen Bund gleichberechtigter Nationen Wirklichkeit geworden wäre.
Ich verweise auf das, was Herr Dr. Jaeger anführte. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn dieser Bereich beisammen geblieben wäre, allerdings unter dem Verständnis, wie ich es eben ausführte.Doch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte von vornherein alle verfassungsändernden Absichten und Bestrebungen sinnlos. Das Ende des Ersten Weltkriegs und mit ihm der Zerfall der Habsburger Monarchie war der Beginn der CSR. Was den Tschechen bisher verweigert wurde, das waren sie nun umgekehrt nicht bereit den Sudetendeutschen zu geben.Am Selbstbestimmungsrecht schieden sich die Geister in diesem neuen Staat. Da waren es wiederum die sudetendeutschen Sozialdemokraten, die 1919 auf ihrem ersten Parteitag in diesem Staate in Teplitz-Schönau unverbrüchlich am Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts festhielten und dies bekundeten. Ihr Vorsitzender, Josef Seliger, bemerkte einleitend, daß „wir uns auf den Boden stellen, auf den die Gewalt uns gedrängt hat". Man stehe nun da, wo die Sozialdemokraten des alten Osterreich auf ihrem Brünner Parteitag 1899 stand.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974 7429
HofmannDas Ringen um das Selbstbestimmungsrecht aber blieb wie vorher bloße Forderung. Die erste Antwort darauf wurde am 4. März 1919 mit Blut geschrieben. Naivlinge glaubten, dieses Selbstbestimmungsrecht dann endlich aus den bereits blutbefleckten Händen eines Tyrannen erhalten zu können. Vor diesem Trugschluß, vor dieser totalen Fehleinschätzung der Situation warnte noch einmal eindringlich und mit geradezu prophetischer Gabe Wenzel Jaksch in seinem Aufruf „Mitbürger! Es geht um alles!" vom 20. September 1938. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten diesen Aufruf zitieren:Die Sudetendeutschen stehen vor einer historischen Entscheidung. Es geht um Leben oder Tod unseres Volkes. Das Tor zur friedlichen Sicherung der sudetendeutschen Lebensinteressen steht weit offen. Nationale Gleichberechtigung, weitestgehende Selbstverwaltung unserer Angelegenheiten, wirtschaftlicher Wiederaufbau und soziale Hilfe können erreicht werden ohne Krieg. Auf der anderen Seite lauert die tödliche Gefahr, daß unser Volk als Werkzeug imperialistischer Vorherrschaftspläne mißbraucht und in einen Abgrund der Vernichtung gestürzt wird.Nur einmal in Jahrhunderten ergibt sich eine solche Gelegenheit, einen dauernden ehrenvollen Frieden mit unseren slawischen Nachbarn zu schließen. Wir haben die Möglichkeit in der Hand, auf dem heißumkämpften Boden Böhmens und Mährens ein Friedenswerk zu vollbringen und damit einen entscheidenden Beitrag zur friedlichen Neuordnung Europas zu leisten. Ein Deutschtum aber, das wieder die verhängnisvolle Bahn der imperialistischen Gewaltpolitik einschlägt, welches Gleichberechtigung ablehnt und nach Vorherrschaft über andere Völker strebt, wird früher oder später in einen blutigen Konflikt mit der aufstrebenden slawischen Welt und mit den jungen Völkern des Südostens verstrickt werden. In einer gewaltsamen Entscheidung wird wieder eine waffenstarrende Welt gegen das deutsche Volk aufstehen. Die Sudetendeutschen aber werden das erste Schlachtopfer sein. Ihre Heimat würde im Zusammenprall der Weltkräfte vernichtet, ihre Zukunft ausgelöscht.Wir deutsche Sozialdemokraten wollen vor unserem Gewissen und vor der Geschichte rein dastehen. In Augenblicken, die über Sein oder Nichtsein eines Volkes entscheiden, müssen die Parteischranken fallen.Meine Damen und Herren, das war eine prophetische Gabe. Leider hat sich erfüllt, was Wenzel Jaksch damals in dem Aufruf dargebracht hat. Ich muß heute manchen, der ihn zitiert und sich ihn zu eigen macht, nachdem dieser Wenzel Jaksch tot ist, fragen, wo er denn damals im Sudetenland stand, als dieser Aufruf herausgegeben wurde.
Es kam das Münchener Abkommen. Die Sudetendeutschen waren erneut nur Objekt der Politik der Großmächte, wie es anschließend im März 1939 die Tschechen waren. Das Selbstbestimmungsrecht gabes auch als Wort nicht mehr. Es bestand nicht für Tschechen und nicht für Deutsche, wenn sie sich zur Sozialdemokratie bekannten. Zahllose von ihnen wurden von der Gestapo verfolgt. Allein in das KZ Dachau sind mehr als 5 000 von ihnen eingeliefert worden. Viele büßten ihr Leben ein. Über 3 000 sudetendeutsche Sozialdemokraten mußten ihre Heimat verlassen und emigrieren. Auch das war das Münchener Abkommen: Vertreibung und Flucht begannen von da an.Heute heißt es — gesprochen zum Pfingsttreffen 1974 von Dr. Becher —: „Als Kerngruppe der Freiheit, wie wir uns sehen und empfinden . . ." usw. Ich frage: wo war denn diese Kerngruppe der Freiheit, als Sozialdemokraten aus ihrer Heimat vertrieben wurden?
Wir haben verspürt, daß dieses Abkommen von Anfang an existent war. Seine Gültigkeit wurde den Sozialdemokraten brutal deutlich gemacht. Deshalb sagen wir mit Recht: das Münchener Abkommen war von Anfang an ungerecht. Hitler selbst zerriß diesen Vertrag, als er das Protektorat Böhmen und Mähren erzwang und die Rest-CSR besetzte. Damit begann der Leidensweg Europas, auch für jene im Sudetenland, die bis zur bitteren Neige Selbstbestimmungsrecht durch Rassenwahn zu ersetzen versuchten. Das blieb nicht ohne Wirkung. Ich will Ihnen und dem Hohen Hause ersparen, was dann in der Reichenberger Zeitung „Die Zeit" alles geschrieben wurde, was hier an Rassenwahn zusammengeschrieben wurde. Denn ich weiß, daß der größte Teil von Ihnen diese Zitate kennt.Anders wirkten die Sozialdemokraten im Exil. Wenzel Jaksch und seine Freunde bemühten sich, die Vertreibung der Sudetendeutschen nicht Wirklichkeit werden zu lassen. Der „Bevölkerungstransfer" — so hieß das damals in London — war inzwischen ausgesprochen worden. Hier frage ich wieder: wo waren denn die Gegner Wenzel Jakschs zu dieser Zeit, als er sich bemühte, dies zu verhindern?
— Er stünde heute hier, Herr Kollege, und würde sich dagegen verwahren, daß er von Leuten zitiert wird, die ihn verfolgt haben, so lange er lebte.
— Ach, Herr Zoglmann, ersparen Sie mir, Zitate zu bringen aus der Zeit, in der Sie Ihre gloriale politische Entwicklung begonnen haben.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, durch Hitler bereits zertreten, erlebte 1945 durch die Sieger keine Auferstehung. Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen wurde das Unrecht Hitlers fort-
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7430 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 109. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1974
Hofmanngesetzt. Ihre Legalisierung ist für uns nicht möglich und von niemand beabsichtigt. Diesbezügliche Unterstellungen kommen aus dem Bereich der Böswilligkeit und müßten vom ganzen Hause entschieden zurückgewiesen werden. Es wird kein Zurück zu 1938 geben, aber auch kein Zurück zu 1945. Eine Vertreibung kann nicht durch eine andere Vertreibung gutgemacht werden.Deshalb verzichten die Vertriebenen auf Rache und Vergeltung. Wörtlich heißt es in der Charta der Vertriebenen weiter: „Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das menschliche Leid." Es wäre gut, wenn mancher heutige Funktionär der Vertriebenenverbände diese Charta aus dem Jahre 1950 zwischendurch mal wieder läse, um zu erfassen und zu erhalten und zu behalten, was im Schlußabschnitt steht:
Wir rufen Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hupka?
Herr Kollege Hofmann, können Sie vielleicht einen Nachweis erbringen, wo jemand, der Verantwortung für die Vertriebenen hat, gegen die Charta der Vertriebenen aus dem Jahre 1950 verstößt?
Herr Kollege Hupka, wenn ich mir in Erinnerung rufe, was von den Leuten alles schon gesagt und geschrieben wurde, zitiere ich nur einen Satz:
„Sie sprechen von Nichtigkeit des Münchener Abkommens, meinen aber in Wahrheit die Legalisierung der Vertreibung." Das läuft genau wieder darauf hinaus.
Herr Abgeordneter — —
Und wer da glaubt — — Herr Dr. Wittmann, gerade mit diesem Wiederaufrechnen, das Sie ja auch indirekt betrieben haben — und Sie auch, Herr Dr. Hupka —, stehen Sie im Widerspruch zum Geist dieser Charta. Denn die Vertriebenen haben hier klipp und klar auf Rache und Vergeltung verzichtet, und Sie erwarten ständig die Aufrechnung.
Sie wissen nur zu genau, daß wir alle schwer dabei büßen würden, wenn wir anfangen wollten, Tote gegen Tote oder Quälerei gegen Quälerei aufzurechnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich will zu Ende kommen, denn ich bin da zeitlich schon in Bedrängnis.Wer aber glaubt, heute noch mit dem Münchner Abkommen Politik machen zu können, aus welchen taktischen Überlegungen auch immer, der versündigt sich erneut an den Sudetendeutschen. Gewiß, es gab zu diesem Thema schon erkenntnisreichere Zeiten auch der Opposition. Es war im Jahr des Tiefgangs ihrer Politik, als sie aus den Quellen der Realität geschöpft hatte; da heißt es auch im „Bayernkurier" am 6. November 1966:In diesem Geiste sollten wir auch grundsätzlich bereit sein, das Münchner Abkommen als null und nichtig zu erklären,— ich betone: als null und nichtig zu erklären --sofern sich eine befriedigende Regelung der Staatsangehörigkeits- und Vermögensansprüche für unsere sudetendeutschen Landsleute finden läßt.Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Satz aufnähmen.Meine Damen und Herren, soweit ist die Bundesregierung mit dem vorliegenden Vertrag nicht gegangen. Die anfänglichen Forderungen „null und nichtig" bzw. „ungültig von Anfang an" finden Sie nicht in diesem Vertrag, obwohl das die Forderungen nicht nur der CSSR, sondern auch der Ostblockstaaten waren. Ich darf Sie erinnern an die Note der Regierung der CSSR an die Bundesrepublik Deutschland vom 29. Dezember 1960, in der es wörtlich heißt, daß „dieses Abkommen von Anbeginn an null und nichtig war ... Gleichermaßen null und nichtig sind alle nachfolgenden Abkommen, die das Münchner Abkommen ergänzten".Ich erinnere Sie an die „Erklärung für den Frieden und die Sicherheit in Europa", verabschiedet am 24. April 1967 von der Karlsbader Konferenz in der zu lesen ist, daß „von allen europäischen Ländern die reale Lage respektiert wird, wie sie sich nach dem Krieg entwickelt hat ... Das bedeutet die Anerkennung, daß das Münchner Diktat vom Augenblick seines Abschlusses an ungültig ist".Ich erinnere Sie an den Artikel 6 des Sowjetisch-Tschechoslowakischen Freundschafts- und Beistandspakts vom 6. Mai 1970, in dem steht, daß das Münch-
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Hofmannner Abkommen „mit allen aus ihm resultierenden Konsequenzen von Anfang an ungültig war".Was heute im Vertragstext vorliegt, ist in Artikel 1 allein „nichtig", das um jeder böswilligen Auslegung willen im Artikel 2 eine Verdeutlichung erhält, die besagt, daß den Sudetendeutschen keine Rechte verlorengehen, die durch das Münchner Abkommen gegeben sind.Es war ein weiter und verhandlungsreicher Weg zu diesem Ergebnis bis vom „ungültig von Anfang an" über von „Anbeginn" bis „Liquidierung" und „Nullität" das jetzige Ergebnis erreicht wurde.Ich darf hier auf das zurückkommen, was Herr Dr. Jaeger ausführte, als er über die Nullundnichtigkeit der anderen Unterzeichner gesprochen hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die Erklärung des britischen Außenmnisters im Unterhaus vom 5. August 1942 zitieren:Ich möchte namens der Regierung Ihrer Majestät folgende Erklärung abgeben:Da Deutschland bewußt die Übereinkünfte . . . gebrochen hat, betrachtet sich die Regierung I. M. als frei von allen Bindungen in diesem Zusammenhang.Das Schreiben de Gaulles an den Vorsitzenden der tschechoslowakischen Exilregierung Monsignore Dr. Šramek vom 29. September 1942 besagt:Ich beehre mich, der tschechischen Regierung mitzuteilen, daß das französische Nationalkomitee . . . in Verwerfung der in München am 29. September 1938 unterzeichneten Übereinkommen feierlich erklärt, daß es diese Übereinkünfte als null und nichtig betrachtet . . .Die Stellungnahme der italienischen Regierung zum Münchner Abkommen vom 26. September 1944 lautet:. . . erklärt die italienische Regierung feierlich, daß sie das Münchner Abkommen vom 29. September 1938 von Anfang an ..., wie auch alle übrigen Akte ... als ungültig betrachtet.Ich habe Ihnen dieses verlesen, um die Schwierigkeiten, aber auch den Erfolg darzustellen, der mit Recht erkennbar werden läßt, was in und mit diesem Vertrag ausgehandelt werden konnte.Auch Herr Dr. Becher ist in der damals geistig befruchtenden Zeit der Großen Koalition nicht ohne Bereicherung geblieben. Er führte in einem Interview am 12. April 1968 u. a. aus:Ich sage außerdem ein klares Ja zur Ostpolitik der Bundesregierung und bin der Auffassung, daß diplomatische Beziehungen zwischen Bonn und Prag eher nützlich denn schädlich sind. Sie garantieren schließlich eine gewisse Präsenz, die eben notwendig ist, wenn man in diesem Raum wirken will.In einem anderen Interview vom 29. Juli 1968 heißt es von ihm:Die Gesprächsbereitschaft der Sudetendeutschenmit den Tschechen liegt auf der Linie der Friedenspolitik der Bundesregierung. Auch wirSudetendeutschen haben ja dazugelernt. Wir haben gelernt, daß die Zeit der absoluten nationalistischen Konfrontation vorbei ist.Ich wünschte, er hätte sich dieser Worte zu Pfingsten in Nürnberg erinnert.Ist es denn wirklich so? Das Oppositionsdasein scheint den angesprochenen Lernprozeß unterbrochen zu haben, mehr noch: Ein frostiger Rückschlag ist zu erkennen, wenn man an die Pfingstrede denkt. Das Nein zur Verständigung der Völker kann kein ehrliches Ja für die nächste Wahl erbringen. Gerade die Vertriebenen sind, weil sie durch die Vertreibung am meisten zu leiden hatten, für eine Politik der Verständigung und des Friedens. Ihre Charta ist eindeutiges Zeugnis.Viele von uns haben erfahren, wie schmerzlich der Verlust der Heimat ist. „Nicht jedermann, der im ungeschmälerten Besitz der Heimat ist, eines unschätzbaren Gutes und Rechtes aller Menschen, versteht, daß Gefühle auch ein Element der Politik sind", schrieb unser früherer Kollege Ernst Paul. Wir sollten dieses Element der Politik nicht dazu mißbrauchen, um bei Vertriebenen Wunschvorstellungen aufrechtzuerhalten oder gar neu zu erwecken, die nicht zu verwirklichen sind.Herr Dr. Wittmann, Sie haben hier von der Versöhnung von Volk zu Volk gesprochen, die bereits stattgefunden habe. Was hindert Sie heute daran, dem Vertragswerk zuzustimmen, damit nachvollzogen wird, was die Völker längst schon erledigt haben?
Ich bitte Sie daher, diesem Vertragswerk zuzustimmen, damit wir alle dem Mandat gerecht werden, das da lautet: der Versöhnung der Völker zu dienen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl die Debatte morgen früh fortgesetzt wird, möchte ich zu einigen Feststellungen, die von Oppositionsrednern hier getroffen worden sind, heute abend schon einige Bemerkungen machen.Zunächst zu Herrn Dr. Hupkas Frage, warum erst nach der Paraphierung des Vertrages der Briefwechsel ausgehandelt worden ist: Herr Dr. Hupka, wir haben diesen Zusammenhang sehr eingehend dargelegt. Ich darf hier wiederholen, was die Bundesregierung bewogen hat, so zu verfahren. Es gab auf der tschechoslowakischen Seite die Bitte, diese Regelung aus Gründen, die in deren eigener Verwaltungspraxis liegen, zurückzustellen. Aber sie hat von Anfang an zugestimmt, daß die Unterzeichnung des Vertrages erst stattfindet, wenn der Briefwech-
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Parl. Staatssekretär Moersch.sel einvernehmlich geregelt worden ist. Das heißt also, es kann keine Rede davon sein, daß wir mit dieser Prozedur etwa unsere Verhandlungsposition aus der Hand gegeben oder erschwert hätten.Zweite Bemerkung: Sie haben sich für den Kulturaustausch und die Verstärkung des Kulturaustausches eingesetzt. Ich möchte doch bitten, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten. Solche Abmachungen sind möglich mit Staaten, mit denen man normale diplomatische Beziehungen hat. Um diese normalen diplomatischen Beziehungen entwickeln zu können, muß man die Politik befürworten, die wir betrieben haben; man kann nicht die Folgen dieser Politik haben wollen, die Politik selbst jedoch ablehnen.Nun zu Herrn Kollegen Dr. Jaeger: Herr Kollege Dr. Jaeger, ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß Sie mit dem von Ihnen sonst nicht so sehr geliebten „Vorwärts" eines gemeinsam haben: nämlich eine irrtümliche Auffassung über das, was sich in der Frage der konsularischen Vertretung und des Rechtshilfeverkehrs wirklich abgespielt hat. Daß der „Vorwärts" als Quelle hier nicht taugt, hat er allerdings mit manchen anderen Blättern gemeinsam. Das Problem ist offensichtlich sehr kompliziert gewesen, und dies entschuldigt natürlich auch einen Abgeordneten, wenn er die Zusammenhänge noch nicht so ganz erkannt hat. Dennoch würde ich bitten, daß Sie Ihr Archiv insofern bereinigen.Es geht um folgendes: Sie haben gesagt, die konsularische Vertretung juristischer Personen sei nicht geregelt gewesen. Das ist nicht richtig. Das Problem, um das es ging und geht, ist der Rechtshilfeverkehr. Hier ist die neue Lage dadurch entstanden, daß durch die Gespräche, die wir geführt haben, und die mit der Statusmacht zu tun hatten — und darum ging es —, sichergestellt worden ist, daß die Vereinbarungen, die wir treffen können, die West-Berliner Rechtshilfe-Ersuchen genauso stellen wie die aus dem Bundesgebiet, d. h. daß es keine unterschiedliche Behandlung geben wird zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet. Das war ein halbes Jahr vorher eben nicht gesichert. Das ist der entscheidende Unterschied.Deswegen ist die Unterschrift unter den Vertrag und die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vollzogen worden, als eben die Gleichstellung gesichert war, auf die es uns ankommt. Es kommt uns ja nicht auf die Prozedur an, sondern es kommt uns auf die Gleichbehandlung an. Das ist von vielen bis zum heutigen Tage offensichtlich nicht begriffen worden. Es steht hier also ganz klar fest, daß der Fortschritt, der hier durch die Grundsatzeinigung erzielt worden war, uns eben erlaubt hat, die diplomatischen Beziehungen aufzunehmen.Nun ein anderer Punkt, der Herrn Dr. Heck betrifft. Ich will jetzt auf Ihre politischen Wertungen nicht eingehen, Herr Dr. Heck. Aber ich muß Ihnen sagen — das gilt auch für das, was Herr Dr. Jaeger zu einzelnen Punkten ausgeführt hat —: Es ist doch einigermaßen deprimierend besonders auch für die Beamten des Auswärtigen Dienstes, wenn sie in tagelangen Befragungen präzise Antworten gegeben haben und Sie als Mitberichterstatter weder in Ihrem Bericht, noch in Ihrem mündlichen Vortrag hier davon auch nur die geringste Kenntnis in einzelnen Punkten nehmen, sondern diese festgestellten Tatsachen einfach ignorieren.Ich darf zum Beispiel zum Briefwechsel zu Berlin nur einen der Punkte erwähnen, um die es hier geht. Mit Erstaunen habe ich feststellen müssen, Herr Berichterstatter, daß in dem Bericht über die Minderheitenauffassung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Briefwechsel über die Erstreckung des Art. II des Vertrages und über die Erstreckung weiterer Verträge im Sinne des Art. V des Vertrages auf Berlin die Darlegungen der Vertreter des Auswärtigen Amtes vor dem Ausschuß überhaupt keinen Niederschlag gefunden haben. Vor dem Ausschuß ist zu dem einleitenden Passus dieses Briefwechsels — ich zitiere: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Tschechoslowakische Sozialistische Republik nehmen in Aussicht, ..." — im einzelnen dargelegt worden, daß in diesem Zusammenhang nur erreicht werden konnte, Einvernehmen über den Grundsatz der 'Erstreckung der sich aus Art. V ergebenden Verträge auf Berlin (West) unter Wahrung der alliierten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin festzustellen.Nun, Herr Dr. Heck, bitte beachten Sie: Die von den drei Mächten bereits im Jahre 1952 festgelegten Verfahren über die Einbeziehung Berlins in die Verträge der Bundesrepublik Deutschland bestimmen, daß nur solche Verträge als auch in Berlin geltend angesehen werden sollen, in die Berlin im Wege einer ausdrücklichen Berlin-Klausel einbezogen wird. Diese alliierten Anordnungen haben zur Folge, daß wir uns mit unseren Vertragspartnern bei jedem einzelnen Vertrag über die Aufnahme einer Berlin-Klausel einigen müssen. Auf bestimmten vorbehaltenen Sachgebieten kann Berlin im übrigen gar nicht in unsere Verträge einbezogen werden — das wissen Sie —, weil dem die speziellen alliierten Vorbehaltsrechte entgegenstehen.Deshalb, Herr Dr. Heck, wäre die Bundesregierung — das hat sie ausgeführt und im Ausschuß ausführlich dargelegt — kaum in der Lage gewesen, in dem Briefwechsel über die gewählte Formulierung hinauszugehen. Die CSSR hat ihrerseits damit aber anerkannt, daß die Einbeziehung Berlins ein wesentlicher Faktor aller künftigen Vertragsverhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Darauf können und werden wir fußen. Das zu diesem Punkte.Noch einmal zu Herrn Dr. Hupka eine abschließende Bemerkung. Herr Dr. Hupka, Sie haben, wie ich meine, eine sehr einseitige Darstellung des humanitären Briefwechsels und seines Hintergrundes gegeben. Ich habe soeben feststellen lassen, daß Sie an diesem Tage im Auswärtigen Ausschuß nicht anwesend sein konnten, als diese Fragen in sehr ausführlicher Form und, wie ich meine, in höchst befriedigender Weise von dem Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes dargelegt worden sind. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, was der Vertreter des DRK dort gesagt hat.
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Herr Staatssekretär, zwei Abgeordnete möchten noch Zwischenfragen stellen; zunächst Herr Abgeordneter Dr. Heck, dann Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, ich habe zwei Fragen.
Herr Kollege Heck, ich bitte, im Hinblick auf die Geschäftsordnung jede Frage einzeln zu stellen.
Erstens. Irre ich mich, wenn ich davon ausgehe, daß es Aufgabe eines Berichterstatters ist und meine Aufgabe war, die Auffassung nicht der Regierung, sondern die der Minderheit im Ausschuß darzulegen?
Meine zweite Frage — Herr Präsident, wenn Sie gestatten —: Erinnern Sie sich daran, daß ich persönlich in diesem Punkt den Ausführungen der Herren des Auswärtigen Amtes widersprochen habe? Sie haben mich mit ihren Ausführungen nicht überzeugt.
Herr Abgeordneter, es kommt hier nicht auf Meinungen an und auch nicht darauf, ob Sie Meinungen widersprochen haben, sondern es kommt darauf an, ob Sie alliierte Bestimmungen zur Kenntnis nehmen oder sich in Ihrem Bericht souverän darüber hinwegsetzen; das haben Sie getan.
Sie haben von Tatsachen keine Kenntnis genommen, die seit 22 Jahren in der Welt sind; das bedauere ich. Sonst hätten Sie Ihre Meinung wohl an Hand von Tatsachen begründen müssen und nicht durch Ignorierung dieser Tatsachen zu einer souveränen Meinung gelangen können.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hupka?
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, sich bei der Geheimschutzstelle zu vergewissern, daß ich mir das Protokoll vom 6. Juni nachträglich ausgeliehen habe, weil ich an der Sitzung nicht teilnehmen konnte, so daß also Ihre Behauptung völlig irrig und falsch ist?
Herr Abgeordneter, ich bin gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen; dann allerdings sind Ihre Ausführungen absolut verwunderlich gewesen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leisler Kiep.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Eindruck des ersten Teils dieser Debatte ist für den aufmerksamen Zuhörer der, daß hier zwei Gruppen über Stunden hinweg erfolgreich aneinander vorbeigeredet haben. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung auf die Einwände der Kollegen der CDU/CSU zu diesem Vertrag überhaupt nicht eingegangen ist,
daß sie, im Gegenteil, auf Einwände geantwortet hat, die überhaupt gar nicht gemacht wurden, und daß darüber hinaus hier auch noch
von einigen Kollegen der Regierungskoalition mit Unterstellungen gearbeitet wurde, wie etwa denen, es gebe in den Reihen der CDU/CSU Kollegen, die z. B. an dem Münchener Abkommen in einer gewissen Weise noch festhielten, die dort gewisse Elemente sähen, die eine totale Verurteilung ausschlössen. Ich glaube, daß — insoweit gesehen — diese Debatte, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt, dank der Argumentation der Regierung nicht sehr wesentlich zur Klärung der strittigen Fragen beigetragen hat.
Ich habe auch festgestellt, daß von den Rednern der Koalitionsparteien in dieser Debatte die auch schon oft gebrauchte Behauptung wiederholt worden ist, die CDU/CSU habe keine Alternative zur Ostpolitik der Bundesregierung und vor 1969 habe es Deutschland- und Ostpolitik nicht gegeben. Mit dieser nachweislich unzutreffenden Behauptung verbinden die Vertreter der Regierungsparteien wie schon früher — gern eine Art von Unfehlbarkeitsanspruch für ihre Politik. Die Wirklichkeit sieht nach meiner Überzeugung anders aus.Es hat vor Willy Brandt eine Deutschland- und Ostpolitik gegeben, und es wird auch nach Helmut Schmidt, wenn es erlaubt ist, diesen Zeitpunkt schon jetzt hier ins Auge zu fassen, eine Deutschland- und Ostpolitik der CDU geben. Es wird eine solche Politik geben, weil die Situation der Bundesrepublik Deutschland an der Nahtstelle zwischen Ost und West als geteiltes Land mit der offenen Flanke Berlin Untätigkeit auf dem Gebiet der Ost- und Deutschlandpolitik einfach nicht zuläßt.Wer in der sich verändernden Weltlage unsere nationalen Anliegen, etwa Offenhaltung der deutschen Frage als Grundlage einer Politik mit der Zielsetzung der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für alle Deutschen, wer in der sich verändernden Weltlage die Sicherung Berlins auch für die Zukunft vertreten wollte, mußte und wird in Verhandlungen für die Durchsetzung dieser Politik in Zukunft eintreten müssen. Deshalb hätte jede deutsche Regierung in den zurückliegenden fünf Jahren neben der so wichtigen Westpolitik auch Deutschland- und Ostpolitik machen müssen.
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KiepDie Fragen, die Sie uns, der Opposition hier in diesem Hause, stellen sollten, sind Fragen nach unseren Vorstellungen, nach unseren Grundsätzen, sind Fragen nach unseren Zeitpunkten für eine solche Politik, nach unseren Methoden.Fast noch wichtiger erscheint mir allerdings heute hier in dieser Debatte die Prüfung der Frage, ob Sie mit den heute so oft besprochenen Verträgen dieser Ostpolitik eigentlich die notwendige Hartnäckigkeit und Zähigkeit für die Durchsetzung unserer Belange aufgewendet haben.
Die Wertung und Beurteilung der Anwendung der Verträge hindern uns heute daran, der Bundesregierung hier im Zusammenhang mit der Ratifikation des deutsch-tschechoslowakischen Vertrages, also eines neuen Vertrages, einen Vertrauensvorschuß zu geben. Denn auf einen Vertrauensvorschuß läuft im Grunde genommen die Zustimmung zu einem im Gegensatz zu innenpolitischen Gesetzen irreversiblen auswärtigen Vertrag hinaus.Sie haben von der Gesamtheit der Verträge gesprochen, und deshalb erlauben Sie mir auch, zu der Gesamtheit der Verträge und ihrer Handhabung etwas zu sagen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD /FDP-Koalition, mögen fragen, was die Kollegen Blüm, Hornhues, Klein und mich veranlaßt hat, diesen Vertrag abzulehnen, nachdem wir vor etwa einem Jahr dem Grundlagenvertrag zugestimmt haben. Wir waren und wir sind der Meinung, daß der Grundlagenvertrag in der Hand einer tatkräftigen und zur entschlossenen Durchsetzung unserer Interessen bereiten Bundesregierung die Möglichkeit geboten hätte, das Leben für die Menschen im geteilten Lande zu verbessern. Wir müssen heute hier in aller Klarheit feststellen, daß die Bundesregierung diese Möglichkeiten, die sich hier geboten haben, nicht hinreichend genutzt hat. Sie werden mir erlauben, daß ich in diesem Zusammenhang an das erinnere, was ich vor einem Jahr von dieser Stelle zu diesem. Thema im Zusammenhang mit dem Grundvertrag gesagt habe. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:Die nächste Phase der Normalisierung in den innerdeutschen Beziehungen wird noch schwerer, weil unsere Möglichkeiten zu gewichtigen Gegenleistungen geringer geworden sind. Wir wollen die Regierung deshalb auffordern, in die nüchterne Praxis der Entspannungspolitik mit langem Atem einzusteigen und bei Ost-West-Verhandlungen vor allen Dingen durch Fixierung in Vertragstexten ein Höchstmaß an verbindlichen Leistungen der Gegenseite zu erreichen. Wir verlangen deshalb von Ihrer Regierung, daß sie die Ost- und Entspannungspolitik nicht als eine Kette erfolgreicher Taten darstellt, sondern auch sagt, wenn etwas schiefgegangen ist, und Rückschläge dieser Politik ins öffentliche Bewußtsein rückt. Die internationalen Entwicklungen im Rahmen der Entspannungspolitik bergen auch für die Bundesrepublik die Gefahr, daß in Europa eine politische Struktur entsteht, in der die Bundesrepublik der Sowjetunion isolierter als bisher gegenübersteht. Ich bin überzeugt, daß der Bundeskanzler, daß die Regierung und die Opposition dieser Gefahr mit gleicher politischer Zielsetzung entgegentreten wollen. Sie dürfen es aber nicht allein der Opposition überlassen, die kritischen Momente der Entspannungspolitik herauszuarbeiten.Die Opposition steht weder unter der Verpflichtung zur Zustimmung zur Außenpolitik der Regierung noch gibt es für sie etwa einen Zwang zur Ablehnung. Es gibt vielmehr Kriterien, an denen die Handhabung der Politik im Interesse der Durchsetzung unserer Interessen gewertet werden muß. Diese Kriterien und Maßstäbe sind folgende: 1. Die Sicherung Berlins, seiner Freiheit und seiner Zusammengehörigkeit mit der Bundesrepublik Deutschland, 2. die Offenhaltung der deutschen Frage als Grundlage für eine Politik, die sich nach wie vor die Erreichung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen zum Ziel setzt, und 3. Freizügigkeit für die Menschen in Deutschland als notwendige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Zusammenhalts der Nation und der Freizügigkeit zwischen unseren östlichen Nachbarvölkern und uns.Die letzten Monate haben nun angesichts der Anwendung dieser Maßstäbe die Befürchtung aufkommen lassen, daß das Instrument der Verträge — zum Teil auch wegen diesen Verträgen innewohnender Mängel — in Ihrer Hand rostig zu werden beginnt. Lassen Sie mich einige wenige, für mich sehr gravierende Beispiele nennen. Da ist zunächst die Hinnahme der Verdoppelung der Geldumtausch-quote durch die DDR, die das Herzstück, die wichtigste Gegenleistung der DDR, in Frage stellt, nämlich eine begrenzte Freizügigkeit für menschliche Begegnungen zumindest von West nach Ost —, die seit Einführung dieser Verdoppelung der Geldumtauschquote — wie Sie alle wissen — um die Hälfte zurückgegangen sind.Bemerkenswert ist auch das Unvermögen der Bundesregierung, im Zusammenhang mit dem polnischen Vertrag die vereinbarte Freizügigkeit für deutsche Aussiedler aus Polen nach der Bundesrepublik Deutschland zu verwirklichen. Mit besonderem Bedauern muß festgestellt werden, daß die deutsch-polnischen Beziehungen zwei Jahre nach der Ratifizierung des deutsch-polnischen Vertrags, der durch wesentliche Zugeständnisse der Bundesrepublik Deutschland möglich wurde, einen absoluten Tiefpunkt erreicht haben.
Auch hierzu hätte die Bundesregierung heute wenigstens ein Wort der Stellungnahme sagen müssen.
Die widersprüchliche und unklare Haltung der Bundesregierung in der Frage der Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in Berlin macht nach meiner Überzeugung die Ausfüllung jenes Teils des Viermächteabkommens für Berlin, den ich den nationalen Teil dieses Viermächteabkommens nennen möchte, nämlich die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Berlin, doppelt schwierig.KiepDie CDU/CSU hat ihrem Wunsch nach Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zur Tschechoslowakei immer sehr klar zum Ausdruck gebracht. Dieser Wunsch besteht auch heute noch, und er gilt ebenso für morgen. Aber dies muß nach unserer Überzeugung unter Wahrung jener lebenswichtigen Interessen geschehen, die ich vorhin als Maßstäbe für die Beurteilung der Anwendung der Politik der Bundesregierung genannt habe.Bei aller Anerkennung der Bemühungen der Unterhändler der Bundesregierung, die auch von uns gewürdigt worden sind, und bei aller Anerkennung der Schwierigkeiten, die auch eine CDU/CSU-Regierung bei der Bemühung um einen deutschtschechoslowakischen Vertrag zu bewältigen gehabt hätte, bleibt eine Reihe von Bedenken übrig, auf die auch unser Berichterstatter, Dr. Heck, sehr detailliert hingewiesen hat.Ich möchte nur an die Behandlung der Berlin-Frage erinnern: an die Tatsache, daß hier für die Unterzeichnung zunächst eine Bedingung gestellt wurde, die dann — wie hier dargelegt worden ist — einige Monate später zurückgenommen wurde. Die Auswirkungen dieses Zurückweichens werden nicht nur das bilaterale Verhältnis zur Tschechoslowakei beeinflussen, sondern auch die Schwierigkeiten der Einbeziehung Berlins in künftige Abmachungen mit der Führungsmacht des Ostens ohne jeden Zweifel vergrößern.
Die Freizügigkeit ist in einem Brief behandelt, dessen Inhalt hinter den Mindestanforderungen zurückbleibt und der nach den schlechten Erfahrungen mit Polen ähnliche Enttäuschungen auch hier möglicherweise befürchten läßt.Diese und andere Punkte im Vorfeld der Ratifikation dieses Vertrags und der Handhabung der bisherigen Deutschland- und Ostverträge veranlassen uns, der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt einen weiteren Vertrauensvorschuß zu verweigern.
Es kommt aber darauf an, daß wir mit diesem Votum eine Mahnung an die östlichen Vertragspartner richten, Politik nicht auf der Grundlage zu machen, als sei Entspannung in Europa eine Einbahnstraße, wobei Deutschland durch Zugeständnisse den Weg freimacht, die andere Seite aber unter Vereinnahmung der Zugeständnisse vereinbarte Gegenleistungen entweder unterläßt oder zumindest ganz erheblich einschränkt, wie wir es in vielen Fällen haben erleben müssen.Die Bundesregierung wäre gut beraten — es wäre wünschenswert gewesen, auch hierzu ein Wort vom Bundeskanzler zu hören —, wenn sie die Notwendigkeit der Einbringung unserer deutschland- und ostpolitischen Ziele in die multilateral zu behandelnde westpolitische Konzeption einsähe. Das politische Gewicht der Bundesrepublik Deutschland reicht, wie wir feststellen müssen, nicht aus, um die besonderen nationalen Anliegen der Bundesrepublik Deutschland wirkungsvoll zu vertreten. Die Bundesregierung hätte z. B. die Frage der vertragswidrigen Politik der DDR im Zusammenhang mit der Verdoppelung der Geldumtauschquote bei der europäischen Sicherheitskonferenz in Genf zur Sprache bringen können. Dort wurde genau das Thema vertraglich zu vereinbarender Freizügigkeit für Menschen diskutiert, und die DDR sitzt dort als Konferenzteilnehmer mit am Tisch. Über vertraglich vereinbarte Freizügigkeit aber zu verhandeln, ohne darauf hinzuweisen, daß einer der Teilnehmer an dieser Konferenz bereits vertraglich vereinbarte Freizügigkeit durch einseitige Maßnahmen rückgängig gemacht hat, übersteigt für meinen Begriff das sicherlich gebotene Wohlverhalten und die konstruktive Mitarbeit am internationalen Konferenztisch.An den Bundeskanzler, wenn er noch hier wäre, würde ich gerne die Frage richten, wie er denn nun die praktische Handhabung der Ost- und Deutschlandpolitik ohne die Schwächen, von denen ich hier einige aufgeführt habe, betreiben will, wie er sie gestalten will und wie er dabei seine Aussage von der Kontinuität auch in diesem Bereich der Politik mit dem notwendigen Mehr an Entschlossenheit, Hartnäckigkeit und Westintegration unserer Ostpolitik verbinden will.
Der Zusammenhang der Bemühungen um den Abbau von Spannungen in Europa, zu denen ,die Bundesrepublik Deutschland ganz wesentliche Vorleistungen erbracht 'hat, ist dennoch heute in seinem Ausgang nach meiner Überzeugung nach wie vor wie vor einem Jahr völlig offen. Je mehr an die Stelle ost- und deutschlandpolitischer Alleingänge eine gemeinsame europäische Politik tritt, je weitgehender unser europäisches Konzept auch in die amerikanische Strategie mit eingebracht werden kann, um so größer erscheinen mir die Aussichten für einen Erfolg. Erfolgreiche Westpolitik entscheidet im Grunde darüber, ob Ostpolitik zu den Zielen führt, die wir uns gesetzt haben, nämlich Abbau der Ursachen der Spannungen, Freizügigkeit für Menschen, Sicherheit und Zusammengehörigkeit mit und für Berlin und Festhalten am Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen.
Meine Damen und Herren, entsprechend unseren interfraktionellen Vereinbarungen unterbrechen wir die Beratung des Punktes 8 der heutigen Tagesordnung und nehmen diese morgen früh um 9 Uhr wieder auf. Die Schlußabstimmung wird morgen spätestens gegen 10.30 Uhr stattfinden.
Wir befinden uns am Ende der heutigen Plenarsitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 20. Juni 1974, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.