Protokoll:
7076

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 76

  • date_rangeDatum: 24. Januar 1974

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:08 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 76. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4769 A Amtliche Mitteilungen 4769 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Lage der Nation in Verbindung mit Tätigkeitsbericht 1973 der Bundesregierung (Drucksache 7/1434) Brandt, Bundeskanzler . . . . . 4769 C Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 4777 C Wehner (SPD) . . . . . . . . 4785 C Dr. Bangemann (FDP) . . . . . . 4791 C Franke, Bundesminister (BMB) . . 4796 D Dr. Marx (CDU/CSU) . . . . . . 4799 D Arendt, Bundesminister (BMA) . . 4839 D Dr. Blüm (CDU/CSU) . . . . . . 4842 B Dr. Nölling (SPD) . . . . . . . 4848 C Spitzmüller (FDP) . . . . . . . 4855 A Dr. von Dohnanyi, Bundesminister (BMBW) 4858 C, 4863 D Dr. Abelein (CDU/CSU) 4860 C, 4883 B Pfeifer (CDU/CSU) . . . . . . 4865 A Wüster (SPD) 4866 C Möllemann (FDP) . . . . . . 4868 B Bahr, Bundesminister . . . . . . 4869 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 4870 B Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4875 A Heyen (SPD) . . . . . . . . 4878 B Hoppe (FDP) 4881 D Kleinert (FDP) . . . . . . . 4883 C Dr. Jaeger, Vizepräsident 4883 D, 4884 C Fragestunde (Drucksache 7/1555) Frage A 27 des Abg. Wohlrabe (CDU/ CSU) : Kreditzusagen an Jugoslawien in Höhe von 1 Milliarde DM; Mitteilung der damit verbundenen Konditionen Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4806 D, 4807 A Wohlrabe (CDU/CSU) . . . . . . 4806 D Opitz (FDP) . . . . . . . . . 4807 A Dr. Wulff (CDU/CSU) 4807 A Fragen A 28 und 29 des Abg. Werner (CDU/CSU) : Äußerung des Bundesrechnungshofes betr. Informierung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit durch die Bundesregierung über die infolge II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 stärkerer Heranziehung von Consulting-Firmen bei der Gawi anfallenden Projektkosten; Vorschläge des Bundesrechnungshofes zur Reorganisierung des Durchführungsbereiches für die technische Hilfe Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4807 B, C, D, 4808 A, B, C, D, 4809B,C,D, 4810A Werner (CDU/CSU) . 4807 B, C, 4808 B Gansel (SPD) . . . . . 4807 D, 4809 A Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . 4807 D Stahl (Kempen) (SPD) 4808 C Brück (SPD) . . . . . . . . 4808 D Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) 4808 D Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) . . . 4809 B Opitz (FDP) 4809 B Roser (CDU/CSU) 4809 C Huonker (SPD) . . . . . . . 4809 D Niegel (CDU/CSU) . . . . . . 4810 A Frage A 30 des Abg. Milz (CDU/CSU) : Personalpolitik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit; Vorwurf der Umgehung des Haushaltsplans zum Zwecke der Beschäftigung von zusätzlichem Personal Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4810 A Frage A 31 des Abg. Milz (CDU/CSU) : Vergabe von Aufträgen an Consulting-Unternehmen im Bereich der technischen Hilfe; Einschaltung der Gawi Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 4810 D, 4811 B, C, D Milz (CDU/CSU) 4811 B Huonker (SPD) 4811 B Opitz (FDP) . . . . . . . . 4811 C Josten (CDU/CSU) . . . . . . 4811 C Gerster (Mainz) (CDU/CSU) . . 4811 D Frage A 32 des Abg. Josten (CDU/CSU) : Äußerung des Bundesministers Eppler über die Einhaltung der Haushaltspläne bei der technischen Hilfe; Vorwurf des Bundesrechnungshofes betr. Umgehung des Haushaltsplans Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4812 A, B, C, D Josten (CDU/CSU) . . . . . 4812 A, B Werner (CDU/CSU) . . . . . . 4812 C Gerster (Mainz) (CDU/CSU) . . . 4812 D Frage A 33 des Abg. Josten (CDU/CSU): Verwaltung, Kontenführung und Sachbeschaffung für die Projekte des BMZ; Gutachten des Bundesrechnungshofes zur Organisation der technischen Hilfe; Verantwortlichkeit des Bundesministers für die Organisation seines Zuständigkeitsbereichs Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4813 A, B, C, D, 4814 A, B, C Josten (CDU/CSU) 4813 B, C Dr. Holtz (SPD) 4813 D Picard (CDU/CSU) . . . . . . 4813 D Bühling (SPD) . . . . . . . . 4814 A Graf Stauffenberg (CDU/CSU) . . 4814 B Niegel (CDU/CSU) 4814 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 4814 C Fragen A 34 und 35 des Abg. Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) : Bekanntgabe des Gutachtens des Bundesrechnungshofes; Sofortmaßnahmen zur Abstellung von Mängeln auf dem Gebiet der deutschen Entwicklungshilfe Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4814 D, 4815 A, C, D, 4816B, C, D, 4817 A Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) 4815 A, 4816 A Bühling (SPD) . . .. 4815 B Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . 4815 B, 4816 C Stahl (Kempen) (SPD) 4815 B Opitz (FDP) 4815 C Hansen (SPD) 4816 B Reiser (SPD) . . . 4816 C Dr. Holtz (SPD) . . . . . . . 4816 C Werner (CDU/CSU) 4816 D Brück (SPD) . . . . . . . . 4817 A Fragen A 36 und 37 des Abg. Dr. Wulff (CDU/CSU) : Regelung der Einzelverantwortlichkeiten bei der Durchführung der bilateralen technischen Hilfe im Rahmen des BMZ; Gesamtverantwortung der Regionalreferate des BMZ für die Projekte Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . . 4817B, C, D, 4818 A, B, C Dr. Wulff (CDU/CSU) . 4817 C, 4818 A, B Opitz (FDP) . . . 4817 C Huonker (SPD) . . . . . . . 4817 D Stahl (Kempen) (SPD) 4818 C Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 III Frage A 123 des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Beanstandungen des Bundesrechnungshofes betr. die Amtsführung des Bundesministers Dr. Eppler Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 4819 A, B, C, D, 4820 A Niegel (CDU/CSU) 4819 A, B Huonker (SPD) . . . . . . . 4819 C Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . 4819 C Breidbach (CDU/CSU) 4819 D Frage A 52 des Abg. Conradi (SPD) : Verleihung des großen Verdienstkreuzes an den griechischen Bankier und Reeder Stratis Andreadis Moersch, Pari. Staatssekretär (AA) 4820 B, C Conradi (SPD) . . . . . . . . 4820 C Frage A 124 des Abg. Graf Stauffenberg (CDU/CSU) : Berücksichtigung junger Menschen im Rahmen der Umsiedlung aus Polen Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4820 D, 4821 A, B, C Graf Stauffenberg (CDU/CSU) . . 4821 A Hofmann (SPD) 4821 B Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 4821 C Frage A 127 des Abg. Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Wechselkursfestsetzung der CSSR zuungunsten von Touristen und Besuchern aus der Bundesrepublik Deutschland Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4821 D, 4822 A, B Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) 4822 A Frage A 128 des Abg. Dr. Hupka (CDU/ CSU) : Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Bürger der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Volksrepublik Polen Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4822 B, C Dr. Hupka (CDU/CSU) . . . . . 4822 C Frage A 129 des Abg. Dr. Hupka (CDU/ CSU) : Nachrichten betr. die Verhaftung einer fünfköpfigen Familie in Moskau wegen Nachsuchens um Aussiedlungserlaubnis Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4822 D, 4823 B, C Dr. Hupka (CDU/CSU) . . . . 4823 B, C Frage A 130 des Abg. Vahlberg (SPD) : Von Pastor Tullio Vinay und Don Enrico Chiavacci erstellter Bericht über die Lage der politischen Gefangenen in Südvietnam; gegebenenfalls zu unternehmende Schritte der Bundesregierung Moersch, Pari. Staatssekretär (AA) 4823 D, 4824 A, B Vahlberg (SPD) . . . . . . 4824 A, B Frage A 131 des Abg. Reiser (SPD) : Unterbindung von Protestveranstaltungen und Demonstrationen einer persischen Studentenvereinigung in Frankfurt Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4824 B, C Reiser (SPD) . . . . . . . . . 4824 C Frage A 132 des Abg. Dr. Narjes (CDU/ CSU) : Etwaige Forderungen von tschechoslowakischer Seite betr. Reparationen bzw. Kriegsfolgeleistungen Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4824 D, 4825 A Dr. Narjes (CDU/CSU) . 4824 D, 4825 A Frage A 133 des Abg. Dr. Narjes (CDU/ CSU) : Etwaige Inaussichtstellung von Krediten, Kreditsubventionen und Zuwendungen an Staaten in Ost-, Ostmittel-und Südosteuropa Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4825 A, C, D Dr. Narjes (CDU/CSU) . . . . 4825 B, C Wischnewski (SPD) 4825 D Frage A 134 des Abg. Dr. Marx (CDU/ CSU) : Informationen über etwaige Kreditwünsche von Ostblockländern oder Jugoslawiens an die DDR Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4826 A Frage A 135 des Abg. Dr. Marx (CDU/ CSU) Etwaige Inaussichtstellung besonderer Kredithilfen usw. gegenüber der CSSR Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 4826 A, B, C Dr. Marx (CDU/CSU) 4826 B IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Drucksache 7/1599) Willms, Senator der Freien Hansestadt Bremen 4826 D Zur Geschäftsordnung Seiters (CDU/CSU) 4827 C Aktuelle Stunde Vorwürfe des Bundesrechnungshofes gegen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) . . . . 4828 A Brück (SPD) . . . . . . . . . 4828 D Opitz (FDP) . . . . . . . . . 4830 A Roser (CDU/CSU) 4831 A Dr. Holtz (SPD) 4832 A Wawrzik (CDU/CSU) 4833 C Hoppe (FDP) . . . . . . . . 4834 A Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) 4835 B Dr. Wulff (CDU/CSU) 4837 A Stahl (Kempen) (SPD) 4837 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 4839 B Esters (SPD) . . . . . . . . . 4839 B Nächste Sitzung 4884 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 4885* A Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan (BMVg) auf die Frage A 88 — Drucksache 7/1555— des Abg. Ey (CDU/CSU) : Lagerung von Nervengaskampfmitteln in der Bundesrepublik Deutschland . • . . 4885* C Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan (BMVg) auf die Fragen A 89 und 90 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Dr. Schwörer (CDU/CSU) : Vergabe von Bundeswehraufträgen zur Herstellung von Unterwäsche nach Korea . . . . . . 4885* D Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berk- han (BMVg) auf die Frage A 91 — Druck- sache 7/1555 — des Abg. Scheffler (SPD) : Neue Trainingsanzüge für die Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . 4886* B Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan (BMVg) auf die Frage A 93 — Drucksache 7/1555 der Abg. Frau Dr. Riedel-Martiny (SPD) : Zulässigkeit einer Mitgliedschaft der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft Ottobrunn beim Arbeitgeberverband der Metallindustrie 4886* B Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan (BMVg) auf die Frage A 94 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Marschall (SPD) : Auswirkungen des neuen Tarifvertrags für die Belegschaft der IndustrieanlagenBetriebsgesellschaft Ottobrunn . . . . 4886* D Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Fragen A 125 und 126 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Spranger (CDU/CSU) : Entführung einer LufthansaMaschine aus Rom im Dezember 1973; Auslieferung der Täter 4886* D Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 136 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Wohlrabe (CDU/CSU) : Gewährung eines Kredits in Höhe von 1 Milliarde DM an Polen 4887* B Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 137 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Gerster (Mainz) (CDU/ CSU) : Gewährung eines Kredits in Höhe von 1 Milliarde DM an Polen . . . . 4887* D Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 138 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Dr. Kliesing (CDU/ CSU) : Etwaige Wünsche von seiten Ungarns und Bulgariens betr. Kredite oder Finanzleistungen . . . . . . . . . 4887* D Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 139 — Drucksache 7/1555 — des Abg. Dr. Kliesing (CDU/ CSU) : Etwaige Forderungen von seiten westlicher oder neutraler Länder betr. deutsche Kriegsfolgeleistungen . . . . 4888* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 4769 76. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 4885* Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 25. 1. Adams 25. 1. Dr. Ahrens ** 25. 1. Dr. Aigner * 25. 1. Alber " 25. 1. Amrehn " 25. 1. Dr. Arndt 30. 3. Dr. Artzinger 25. 1. Blumenfeld ** 25. 1. Frau von Bothmer 25. 1. Bredl 28. 2. Büchner (Speyer) ** 25. 1. Dr. Burgbacher * 25. 1. Dr. Corterier * 25. 1. Egert 251. Dr. Enders ** 25. 1. Dr. Eyrich 26. 1. Frehsee * 26. 1. Dr. Freiwald 25. 1. Dr. Früh * 25. 1. Dr. Geßner ** 25. 1. Dr. Gölter ** 25. 1. Graaff 25. 1. Härzschel* 24. 1. Dr. Holtz ** 25. 1. 1 Dr. Jahn (Braunschweig) * 26. 1. Kahn-Ackermann " 25. 1. Kater * 251. Dr. Kempfler ** 25. 1. Dr. h. c. Kiesinger 25.1. Dr. Klepsch ** 25. 1. Krall * 25.1. Krampe 30. 1. Frhr. von Kühlmann-Stumm 25. 1. Lagershausen ** 25. 1. Lautenschlager * 25. 1. Lemmrich ** 25. 1. Lenzer** 25. 1. Logemann 25. 1. Lücker * 26. 1. Marquardt** 25. 1. Memmel 25. 1. Dr. Mende ** 25. 1. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 25. 1. Müller (Mülheim) * 24. 1. Dr. Müller (München) " 25. 1. Pawelczyk ** 25. 1. Pieroth 25. 1. Dr. Prassler 23. 2. Richter ** 25. 1. Schedl 23. 2. Schmidt (Kempten)** 25. 1. Schmidt (München) * 25.1. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Schwencke ** 25. 1. Dr. Schwörer * 25. 1. Seefeld' 25. 1. Sieglerschmidt ** 25. 1. Slotta 25. 2. Springorum * 25. 1. Dr. Vohrer ** 25. 1. Walkhoff* 25. 1. Walther ** 25. 1. Frau Dr. Walz * 24. 1. Weber (Heidelberg) 23. 2. Frau Dr. Wolf ** 25. 1. Dr. Zimmermann 25. 1. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Ey (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Frage A 88) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefährdung der Bevölkerung durch die Lagerung von Nervengaskampfmitteln in der Bundesrepublik Deutschland, um welche Mengen handelt es sich, und wer verfügt über diese? Die Schutzvorkehrungen bei den im Bundesgebiet in begrenzten Mengen lagernden chemischen US-Waffen entsprechen höchsten Anforderungen. Durch die sehr strengen Maßnahmen für Bewachung und Kontrolle sowie die umfassenden Vorkehrungen für den Personenschutz ist nach menschlichem Ermessen eine Gefährdung der Zivilbevölkerung ausgeschlossen. Sie werden sicherlich dafür Verständnis haben, Herr Kollege Ey, daß die Bundesregierung keine näheren Angaben über Vorhandensein, Mengen und Dislozierung von Abschreckungswaffen -- einschließlich chemischer Waffen - der amerikanischen Streitkräfte machen kann. Zum letzten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Ey, die Depots für chemische US-Waffen stehen unter ausschließlicher Verantwortung und Verfügung der amerikanischen Streitkräfte. Die Bundesrepublik Deutschland selbst besitzt keine chemischen Waffen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 24. Januar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Schwörer (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Fragen A 89 und 90) : Trifft es zu, daß Überlegungen heim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung angestellt werden, künftig Bundeswehraufträge zur Herstellung von Unterwäsche nach Korea zu vergeben? 4886* Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 Ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß die Lage der Betriebe, die bisher für die Bundeswehr gearbeitet haben und die auf Grund der derzeitigen kritischen Marktsituation ohnehin schlecht beschäftigt sind, durch solche Maßnahmen noch zusätzlich verschlechtert wird, und was gedenkt sie dagegen zu unternehmen? Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung hat weder die Absicht und aufgrund der Ausschreibungsrichtlinien auch gar nicht die Möglichkeit, Aufträge über die Herstellung von Unterwäsche unter Ausschaltung deutscher Firmen gezielt nach Südkorea zu vergeben. Die Regierung von Südkorea hat sich zwar unmittelbar beim Bundesministerium der Verteidigung um derartige Aufträge bemüht. Sie wurde jedoch dahin unterrichtet, daß südkoreanische Firmen — ebenso wie andere in- und ausländische Firmen auch — nur durch Beteiligung an den Ausschreibungen des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung Aufträge erhalten können. Bisher haben sich jedoch südkoreanische Firmen an Ausschreibungen nicht beteiligt. Im übrigen wäre eine Vergabe von Aufträgen an südkoreanische Firmen nur im Rahmen des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südkorea vereinbarten Selbstbeschränkungsabkommens hinsichtlich der Lieferung von Baumwolltextilien in die Bundesrepublik Deutschland möglich. Das vereinbarte Kontingent ist durch Lieferungen an den freien Handel bereits soweit ausgeschöpft, daß Lieferungen an die Bundeswehr in absehbarer Zeit ohnehin nicht möglich sind. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Scheffler (SPD) (Drucksache 7/1555 Frage A 91) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei den Angehörigen der Bundeswehr seit langer Zeit der Wunsch besteht, neue Trainingsanzüge zu erhalten, und sieht die Bundesregierung in absehbarer Zeit die Möglichkeit, die Angehörigen der Bundeswehr mit neuen Trainingsanzügen auszustatten, die durch Material und Form mehr Anreiz zum „inner- und außerdienstlichen Sport" geben? Der bisher in der Bundeswehr getragene und bis 1965 beschaffte Trainingsanzug entspricht in Form und Material nicht mehr den heutigen Forderungen. Ab Oktober 1972 wurde deshalb auf Wunsch der Truppe ein neuer Trainingsanzug beschafft, der dem Trainingsanzug der deutschen Olympiamannschaft von 1968 ähnelt und den derzeit handelsüblichen Modellen gleicht. Die Bestände an Trainingsanzügen alter Art werden allerdings erst in etwa drei Jahren aufgetragen sein. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Dr. Riedel-Martiny (SPD) (Drucksache 7/1555 Frage A 93) : Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß § 8 des geltenden Betriebsführungsvertrags zwischen dem Bund und der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH Ottobrunn eine Mitgliedschaft dieser Gesellschaft beim Arbeitgeberverband der Metallindustrie zuläßt? § 8 des zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG), vertreten durch die Geschäftsführung, im Jahre 1963 abgeschlossenen Betriebsführungsvertrages bestimmt, daß die IABG mit Zustimmung des Bundes einen Haustarif aufstellt, der — unter Berücksichtigung der bei der Gesellschaft existierenden besonderen Umstände — dem Bundesangestelltentarifvertrag und dem Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes anzugleichen ist. Die Vertragspartner Bundesministerium der Verteidigung abgestimmt mit dem Bundesministerium der Finanzen — und IABG-Geschäftsführung waren sich im Laufe des Jahres 1973 darüber einig geworden, daß die IABG in ein existierendes Tarifgefüge aus vielerlei Gründen einzubauen sei. Diese Einigung bedeutete, daß beide im Rahmen der geltenden Vertragsfreiheit an Stelle der Vereinbarung von § 8 des Vertrages eine neue andere Vereinbarung über ein Tarifgefüge für die Gesellschaft treten lassen wollten und dies auch konnten. Die Bundesregierung beantwortet daher die gestellte Frage mit einem eindeutigen Ja. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Marschall (SPD) (Drucksache 7/1555 Frage A 94) : Hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Entscheidung für einen neuen Tarifvertrag der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH Ottobrunn erwogen, welche Auswirkungen dieser für die betroffenen Arbeitnehmer hat, und in welcher Weise wurden die Interessen der Belegschaft gewahrt? Beitritt zum Verein der Bayerischen Metallindustrie und Übernahme des Metalltarifvertrages geschahen und geschehen unter Wahrung des Besitzstandes für die Arbeitnehmer. Durch den Beitritt werden im übrigen die Interessen der Belegschaft in Zukunft gegenüber früher besser gewahrt, da zwischen den Tarifpartnern jeweils ausgehandelte Lohn- und Gehaltsanhebungen grundsätzlich auch für die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) vollzugsverbindlich werden und insoweit nicht mehr der Genehmigungspflicht des Bundesministeriums der Verteidigung und des Bundesministeriums der Finanzen unterliegen. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 24. Januar 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Spranger (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Fragen A 125 und 126) : Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 4887* Warum hat die Bundesregierung nicht die Auslieferung der Terroristen von Kuwait verlangt, die im Dezember 1973 aus Ruin eine deutsche Lufthansa-Maschine entführten, oder warum wurde die italienische Regierung nicht in ihrem Auslieferungsbegehren von Bonn unterstützt? Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß die Auslieferung der Terroristen von Rom an Arafat völkerrechtlich zweifelhaft und bedenklich ist? Zu Frage A 125: Nach dem Recht von Kuwait ist eine Auslieferung vom Bestehen eines Auslieferungsvertrages abhängig. Ein solcher Vertrag besteht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kuwait nicht. Ein Auslieferungsersuchen hätte deshalb keinen Erfolg haben können. Im übrigen wäre für ein deutsches Auslieferungsersuchen Voraussetzung gewesen, daß eine deutsche Behörde ein Ermittlungsverfahren geführt und ein Haftbefehl vorgelegen hätte. Das war nicht der Fall. Es war auch zu bedenken, daß Belange der italienischen Strafrechtspflege wesentlich schwerer betroffen waren und die Tat auf italienischem Hoheitsgebiet begangen wurde. Deutsche Staatsangehörige sind nicht getötet worden, die Lufthansamaschine ist unversehrt zurückgekehrt. Italien hatte deshalb ein ungleich stärkeres Interesse als die Bundesrepublik Deutschland an einer Auslieferung. Unter diesen Umständen hätte für eine deutsche Staatsanwaltschaft kein erkennbarer Anlaß bestanden, ein Auslieferungsersuchen bei der Bundesregierung anzuregen. Selbst wenn eine solche Anregung von einer deutschen Staatsanwaltschaft gegeben worden wäre, die nach § 13 a StPO erst vom Bundesgerichtshof zusammen mit einem zuständigen Gericht hätte bestimmt worden sein müssen, wäre von der Bundesregierung zu prüfen gewesen, ob nicht Italien wegen seines sehr viel stärkeren Interesses an der Verfolgung der Täter der Vortritt für eine Auslieferung einzuräumen gewesen wäre. Eine etwaige Unterstützung des Auslieferungsersuchens der italienischen Regierung hätte sich lediglich auf die Übermittlung von Informationsmaterial beschränken können und wäre ihr insoweit auf Wunsch hin auch zuteil geworden. Zu Frage A 126: Bei dieser Frage handelt es sich um eine hypothetische Rechtsfrage, die die Bundesregierung nicht unmittelbar betrifft. Die Bundesregierung hält es deshalb nicht für angezeigt, sich zu dieser Frage zu äußern. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wohlrabe (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Frage A 136) : Unter welchen Voraussetzungen wäre die Bundesregierung bereit, der Volksrepublik Polen — gemäß polnischem Wunsch —über eine Milliarde DM an ungebundenem, zinsverbilligten Kredit und darüber hinaus sieben Milliarden DM als Bürgschaft für deutsche Investitionen zu gewähren? Über den polnischen Wunsch nach Gewährung eines ungebundenen Finanzkredits und der 'Gewährung von Bundesbürgschaften wird gegenwärtig noch verhandelt. Wie bekannt, ist die Bundesregierung bereit, Polen einen ungebundenen Finanzkredit bis zur Höhe von 1 Mrd. DM zu gewähren, dessen Bedingungen im einzelnen noch Gegenstand der Verhandlungen sind. Die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesregierung zur Gewährung des Finanzkredits ist an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft. Die Bundesregierung verbindet hiermit vielmehr die Erwartung, daß der Kredit Voraussetzungen für eine Verbesserung unserer Wirtschaftsbeziehungen zu Polen schaffen wird. Dies wird sich auch auf das deutschpolnische Verhältnis insgesamt günstig auswirken können. Unsere Bereitschaft zur Übernahme von Bürgschaften ist hiervon zu trennen. Sie erstreckt sich insbesondere auf die wohlwollende Prüfung der Verbürgung einer Reihe von Projekten der deutsch-polnischen Unternehmenskooperation auf längere Sicht, die im beiderseitigen Interesse liegen und durch die zugleich eine Steigerung der polnischen Exporte in den Westen und damit eine Verbesserung der polnischen Handelsbilanz sichergestellt werden soll. Der Umfang der Bürgschaften wird durch die von -Fall zu Fall unter diesem Gesichtspunkt als förderungswürdig anerkannten Geschäfte bestimmt werden. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerster (Mainz) (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Frage A 137) : Trifft es zu, daß die Bundesregierung der polnischen Volksrepublik mehr als eine Milliarde DM zu ungewöhnlich billigem Zinssatz mit 30jähriger Laufzeit angeboten hat? Wie bekannt ist, wurde Polen im Rahmen unserer Bemühungen um eine Festigung unserer Beziehungen zu diesem Lande ein einmaliger ungebundener Finanzkredit in Höhe bis zu 1 Mrd. DM in Aussicht gestellt. Zu welchen Bedingungen dieser Kredit gewährt werden soll, ist Gegenstand noch laufender Verhandlungen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten 4888e Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 Dr. Kliesing (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Frage A 138) : Hat die Bundesregierung oder ihr jeweiliger Partner in engerem oder weiterem Zusammenhang bei den Verhandlungen über diplomatische Beziehungen mit Ungarn und Bulgarien über Kreditwünsche oder Finanzleistungen in irgendeiner Form gesprochen? Nein, bei den Verhandlungen mit Ungarn und Bulgarien ist nur über Fragen gesprochen worden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen stehen. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 24. Januar 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Kliesing (CDU/CSU) (Drucksache 7/1555 Frage A 139) : Haben in den letzten drei Jahren westliche oder neutrale Zander direkt oder indirekt deutsche Kriegsfolgeleistungen verlangt? Lediglich Finnland hat derartige Kriegsfolgeleistungen gefordert, die von der Bundesregierung unter Hinweis auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 zurückgewiesen wurden.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0707600000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird die Tagesordnung erweitert um die
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films
— Drucksache 7/1599 —
Berichtersatter: Senator Willms
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Der Tagesordnungspunkt wird heute nach der Fragestunde aufgerufen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 21. Januar 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Fuchs, Hauser (Krefeld), Dr. Hornhues, Frau Hürland, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr. Waigel, Werner und der Fraktion der CDU/CSU betr. Personalsituation im Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung — Drucksache 7/1413 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1591 verteilt.
Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 17. Januar 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung (EWG) des Rates Ober die Durchführung bestimmter Beschlüsse des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Norwegen eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand haben
— Drucksache 7/1256 —
Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 23. Januar 1974 das vom Deutschen Bundestag in seiner Sitzung am 6. Dezember 1973 beschlossene
Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts
und das vom Deutschen Bundestag in seiner Sitzung am 13. Dezember 1973 beschlossene
Gesetz zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze (Vermögensteuerreformgesetz — VStRG)

bestätigt. Seine Schreiben werden als Drucksachen 7/1600 und 7/1601 verteilt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Lage der Nation
b) Beratung des Tätigkeitsberichts 1973 der Bundesregierung
— Drucksache 7/1434 —
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707600100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders als es noch in der vergangenen Woche vorgesehen war, beginnt diese Regierungserklärung nicht mit einer Darstellung unseres Verhältnisses zur DDR. Die Ereignisse der letzten Tage haben es notwendig gemacht, hier zunächst über Europa zu sprechen

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

und einige außenpolitische Hinweise damit zu verbinden. Auf der anderen Seite bedarf es auch der Aussage zu aktuellen innnenpolitischen Fragen.
Wer heute Regierungsverantwortung trägt, muß sich gegen alle Kritik damit bescheiden können, daß er meist nur kleine, mühselige Schritte tun kann. Viele der nächsten Entwicklungen sind nur schwer vorherzusehen. Wer Regierungsverantwortung trägt, muß jedoch gerade in diesen Zeiten kurzfristiger Änderungen und oft überraschend auftauchender Schwierigkeiten an dem Konzept festhalten, das seiner Arbeit zugrunde liegt. Gerade wer nüchtern die Grenzen unserer Möglichkeiten sieht, darf die grundsätzliche Orientierung nicht verlieren.
Bei dem, was ich heute darzulegen habe, beziehe ich mich auf die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973. Außerdem verweise ich auf den Tätigkeitsbericht 1973, der dem Deutschen Bundestag am 12. Dezember zugeleitet wurde.
Meine Damen und Herren, nach meinem Verständnis wird die internationale Politik seit nun schon einer Reihe von Jahren und wohl auch noch für eine geraume weitere Zeit davon bestimmt, daß verkrustete Strukturen des Kalten Krieges aufgebrochen werden, ohne daß schon die neuen Formen der internationalen Beziehungen überall gefunden oder, wo schon gefunden, ausreichend erprobt sind. In dieser Übergangsphase befinden wir uns. Da sind Rückschläge möglich, Fortschritte fallen schmaler aus als erhofft und erwartet, und die Geduld wird zur Voraussetzung für jeden, auch für den kleinen Erfolg.
Gleichzeitig befindet sich die Welt am Beginn eines Abschnitts, der durch explosiv zu nennende Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe gekennzeichnet ist. Auch wenn, wie der Bundesfinanzminister gestern von dieser Stelle aus dargelegt hat, die



Bundeskanzler Brandt
Bundesrepublik Deutschland dieser Entwicklung etwas gelassener entgegensehen kann als die meisten Staaten der Welt, dürfen wir keinen Zweifel aufkommen lassen: die Konsequenzen der Entwicklung, auf die ich hinweise, sind weltweit, europäisch und innenpolitisch noch nicht zu übersehen.
Das bedauerliche Ausscheiden Frankreichs — ursächlich verbunden mit der Veränderung der Zahlungsbilanzen durch Energie- und Rohstoffpreise — aus der sogenannten Schlange der europäischen Gemeinschaftswährungen ist ein Rückschlag für die Entwicklung der Währungsunion. Aber Rückschläge dürfen uns weder im Ost-West-Verhältnis noch für die Europäische Gemeinschaft und die Europäische Union, die aus ihr werden soll, an der Richtigkeit der Ziele und unserer Politik schwanken machen.
Wir werden also gerade in jenen Bereichen auf Fortschritt drängen, in denen es zur Zeit keine unüberwindbaren Hindernisse gibt. Die deutsche Präsidentschaft im Rat der Europäischen Gemeinschaft wird ihren Spielraum und ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Ich begrüße, daß wir mit einer Reihe unserer Nachbarländer weiter in dem gemeinsamen Währungsverbund zusammenarbeiten können. Es gilt, den Weg zur Mitarbeit der übrigen Mitgliedstaaten offenzuhalten, damit die Gemeinschaft insgesamt wieder Tritt fassen kann. In diesem Geiste hat sich die Bundesregierung entschlossen, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten, um den europäischen Regionalfonds in Gang zu setzen.
Gerade die Währungssituation, meine Damen und Herren, vor alllem aber auch die Energiekrise, die, wie wir wissen, durch Entscheidungen der erdölfördernden Länder ausgelöst wurde, haben gezeigt, daß die Europäische Gemeinschaft dahin kommen muß, nicht nur mit einer Stimme zu sprechen, sondern auch etwas zu sagen zu haben. Gestützt auf die Beschlüsse, die Mitte Dezember auf der Präsidentschaftskonferenz in Kopenhagen gefaßt wurden, bleibt die zügige Entwicklung einer europäischen Energiepolitik ebenso unser Ziel wie insgesamt die Schaffung der Voraussetzungen für die Wirtschafts-und Währungsunion.
Die energiepolitischen, die monetären und weltwirtschaftlichen Probleme werden nur kontrollierbar bleiben, wenn es keine Rückentwicklung in Autarkie und engstirnigen Nationalismus gibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aus diesem Grunde begrüßen wir die Initiative der Regierung der Vereinigten Staaten zur Ölkonferenz am 11. Februar in Washington. Dabei hielten wir es für gut, wenn auch einige ölverbrauchende Entwicklungsländer teilnehmen würden. Die Bundesregierung wird sich darum bemühen, die Konferenz zu einem konkreten Schritt auf dem Wege zur besseren internationalen Zusammenarbeit, insbesondere auch mit den Förderländern, zu machen.
Die derzeitige Übergangsphase, die ich eingangs kurz umrissen habe, schafft für die Staaten des westlichen Bündnisses mehr als ein Problem; politische treten neben wirtschaftliche Probleme. Die Verbündeten müssen Sinn und Zweck ihres Bündnisses, an dessen Existenz nicht zu rütteln ist, neu definieren und verstehen lernen.
Die europäischen und amerikanischen Partner sind innerhalb der NATO mit dieser Aufgabe beschäftigt; die Bundesregierung ist daran mit jener uneingeschränkten Bereitschaft beteiligt, wie sie sich aus unserem Interesse an der atlantischen Allianz ableitet, die seit 25 Jahren unsere Sicherheit garantiert.
Die Bundesrepublik Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag für ein angemessenes militärisches Kräfteverhältnis zwischen dem Warschauer Pakt und dem atlantischen Bündnis. Ich unterstreiche, worauf Verteidigungsminister Georg Leber erst jüngst wieder hingewiesen hat, daß aktive Mitwirkung im Bündnis und aktive Mitwirkung an der Ost-West-Entspannung einander ergänzende Elemente sind.
Sinn und Zweck der Zusammenarbeit im Bündnis neu zu definieren, heißt nicht, daß Westeuropa sich von Amerika trennt oder trennen lassen wird. Die Rolle der USA bleibt entscheidend für die gemeinsame Sicherheit und die friedensbewahrende Kraft des Bündnisses.
Wer es nicht gewußt hat oder sich darüber täuschen wollte, hat es in der jüngsten Zeit doch begreifen müssen: die großen internationalen Krisen sind nicht zu isolieren. So hat der Krieg im Nahen Osten direkte Folgen für Westeuropa gehabt. Das Abkommen über das Auseinanderrücken der Streitkräfte am Suezkanal ist in der Bundesrepublik Deutschland mit tiefer Befriedigung aufgenommen worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Wir hoffen, ,daß hiermit günstige Voraussetzungen für eine dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten geschaffen wurden — eine Friedensregelung, die für alle Völker der Region, aber auch für Europa als unmittelbar benachbarte Region von entscheidender Bedeutung sein wird. Wir sind bereit, im Rahmen unserer bewährten Entwicklungspolitik gerade auch dort neue Formen der Partnerschaft zu suchen.
Wenn die Schwierigkeiten, die krisenhaften Zuspitzungen und Gefährdungen, denen in den letzten Monaten gerade die Industrienationen ausgesetzt waren, doch auch ein Gutes gehabt haben, so war es die unmittelbare Erfahrung für alle, sich nicht aus der Welt zurückziehen zu können. Diese Einsicht, so hoffe ich, schärft das Verantwortungsgefühl. Die Bundesregierung knüpft auch in den derzeitigen Schwierigkeiten, die nur Schritt für Schritt zu meistern sind, an ihr außenpolitisches Grundkonzept an: mit allen ihren Kräften, gestütz auf die Zustimmung unserer Bürger, dazu beizutragen, daß der Friede, das friedliche Miteinander der Staaten und Nationen, sicherer wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Außenpolitik meiner Regierung ist auch im vergangenen Jahr diesem Ziel verpflichtet gewesen. Fest verankert im westlichen Bündnis haben wir



Bundeskanzler Brandt
das friedenspolitische Konzept zur Normalisierung unseres Verhältnisses mit den osteuropäischen Nachbarn um einige wichtige Schritte weiter vorangebracht.
Der Abschluß unseres Vertrages mit der Tschechoslowakei im Dezember 1973 und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Ungarn und Bulgarien werden ebenso wie die Verstärkung unserer wirtschaftlichen Bindungen mit allen Staaten des Warschauer Paktes dazu beitragen, den beiderseitigen Interessen zu entsprechen und unserem Volk einen gesicherten Platz der Achtung und des Respekts unter seinen Nachbarn in Ost und West zu verschaffen.
Besondere Beachtung fand verständlicherweise der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen. Daß gleichzeitig der zweite deutsche Staat Mitglied der UNO wurde, demonstriert die reale Lage in Mitteleuropa. Wir haben in New York erklärt, daß Gewaltverzicht und das rechte Verhältnis zur Wirklichkeit für uns zu den beiden Hauptfaktoren einer konkreten Friedenssicherung geworden waren. Wir haben selbstverständlich dort auch unsere nationale Zielsetzung deutlich gemacht.
Im Rahmen dieser Politik haben wir — auch im vergangenen Jahr — das Notwendige und Mögliche getan, um die Kriegsfolgen für Angehörige unseres Volkes da zu mildern, wo diese Folgen schmerzlich noch immer auftreten. Wir haben uns, hier und da gestützt auf verbesserte Beziehungen, um die Familienzusammenführung, die Rückwanderung aus der Sowjetunion, aus Polen, aus anderen Staaten bemüht. Auch mit der DDR ist dies im vergangenen Jahr in gewissem Umfang möglich gewesen.
Meine Damen und Herren, niemand kann daran zweifeln, daß die außenpolitischen Vorgänge, von denen ich gesprochen habe, Bedingungen auch für Deutschland — und für Deutschland in seiner Gesamtheit — setzen. Der Kern der deutschen Situation ist weiterhin in unserem Verhältnis zur DDR zu suchen; von ihm wird die Lage der Nation vor allem bestimmt. Die Bundesregierung kann hier, wo es um die Lage der Nation geht, nicht allein wirken. Alle Kräfte unseres Landes tragen durch ihre Arbeit zur Lage der Nation bei. Die Regierung dankt für die Hilfe, die sie bei der Erfüllung ihrer nationalen Pflichten gefunden hat und findet. Sie bittet darum, in gegenseitiger Achtung, auch bei unterschiedlicher politischer Auffassung, weiter zusammenzuwirken zum Wohle unseres Volkes und unseres Staates, der nun seit 25 Jahren unsere demokratische Ordnung garantiert und der das von außen vielfach bewunderte Gehäuse unserer Freiheiten geworden ist.
Die Lage unserer Nation im geteilten Deutschland: Meine Damen und Herren, gelegentlich weiß ich nicht, was einen mehr verwundern soll, die Illusionen, die es da und dort über eine schnelle Regelung der deutsch-deutschen Beziehungen — wenn man so sagen darf — gegeben hat oder gibt, sozusagen über eine Regelung im glatten Gang, oder die Befriedigung, mit der mancherorts die Schwierigkeiten unserer Deutschlandpolitik verzeichnet werden.

(Beifall bei der SPD.)

Darüber befriedigt zu sein, wie rechtfertigt sich das? Die Schwierigkeiten bei der Regelung unseres Verhältnisses zum anderen deutschen Staat, von denen jedenfalls wir in der Bundesregierung nicht überrascht worden sind, gehen doch gewiß nicht zu Lasten der einen und zu Nutzen einer anderen Partei. Das sind doch immer Schwierigkeiten, Nöte und Belastungen, die wir alle zu tragen und alle zu beklagen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir wissen hier miteinander, daß es im vergangenen Jahr von seiten der DDR aus Verhärtungen gegeben hat. Die Erhöhung des Mindestumtauschsatzes bei der Einreise, Versuche der DDR, zu bestreiten, daß im Viermächteabkommen die Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin bestätigt und als entwicklungsfähig deklariert worden sind —dies und anderes zeigt, daß es eben auch in der DDR Kräfte gibt, denen die Entspannungspolitik nicht gefällt.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Die Führung der DDR muß wissen, daß sie die Lage nicht weiter verschärfen darf, ohne daß dies Folgen hätte, die über das Verhältnis zwischen den beiden Staaten hinausreichten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es wird für beide Seiten von Vorteil sein, wenn sich beide Seiten um eine konstruktive Haltung bemühen.
Wir werden uns in unserer Politik nicht beirren lassen. Die Schwierigkeiten und Verhärtungen, die uns, wie gesagt, nicht überrascht haben, sind ein Anlaß mehr, Schritt für Schritt zu einem geregelten Nebeneinander mit der Chance auf ein späteres gutnachbarliches Miteinander zu kommen.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Diese Regierung hat ihre Politik gegenüber und mit der DDR unter den Umständen anfangen müssen, die sie vorfand. Illusionen hatten wir keine.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, nein! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

In meiner Regierungserklärung vom Oktober 1969 habe ich die Aufgabe dieser Politik so gekennzeichnet, daß es darauf ankomme, das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands, aus, wie ich sagte, „der gegenwärtigen Verkrampfung" zu lösen. Ich habe damals hinzugefügt:
Dabei geben wir uns keinen trügerischen Hoffnungen hin: Interessen, Machtverhältnisse und gesellschaftliche Unterschiede sind weder dialektisch aufzulösen, noch dürfen sie vernebelt werden.
Und weiter sagte ich:
Wir sind frei von der Illusion zu glauben, das
Werk der Versöhnung sei leicht oder schnell
zu vollenden. Es handelt sich um einen Prozeß;



Bundeskanzler Brandt
aber es ist an der Zeit, diesen Prozeß voranzubringen.
Das galt im Oktober 1969, und das gilt heute. (Beifall bei den Regierungsparteien.)

„Werk der Versöhnung" habe ich damals im Oktober 1969 gesagt. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns — wenn Sie es sich, wenn wir es uns miteinander gestatten — gerade an dieser Stelle ein wenig nachdenken. Wir sind ja hier, um miteinander zu reden und abzuwägen, und nicht, um auf primitive Weise recht zu behalten.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU.)

War das vielleicht ein zu großes Wort: Versöhnung? Ich denke doch: nein. Wir müssen an diesem Ziel festhalten, trotz allem, weil es geradezu die rechtlich vorrangige Maxime jeder deutschen Politik sein muß, eine Politik des Friedens und der Versöhnung zu sein und zu bleiben. Ich wiederhole aus der Regierungserklärung vom 18. Januar vergangenen Jahres:
Wenn wir uns über Ziel und Aufgabe einig sind, wird der Streit um den besten Weg dorthin seine ätzende oder verletzende Schärfe verlieren.
Meine Damen und Herren, wir werden den langen Atem haben, den wir für die Regelung der zwischen den beiden deutschen Staaten offenen Fragen brauchen. Und wir werden uns auch das gute Gedächtnis bewahren, dessen man bedarf, will man sich ehrlich erinnern, wie verfahren, verkrampft und schier ausweglos die Lage zwischen den beiden deutschen Staaten, auch am heutigen Stand gemessen, noch vor wenigen Jahren gewesen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wo, meine Damen und Herren, von den anhaltenden Schwierigkeiten die Rede ist, wird man auch von bescheidenen Fortschritten sprechen dürfen. Es sind dies Ergebnisse, die meine Regierung dort hoch einstuft, wo sie im Interesse der Menschen und der deutschen Sache zu Buche schlagen.
Ich nenne einige Zahlen: Seit Inkrafttreten des Verkehrsvertrages im Oktober 1972 hat sich die Zahl der Reisen von Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland in die DDR um weit über 60 % erhöht. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind in der genannten Zeit von hier in den anderen deutschen Staat gereist.
Im Oktober 1973 machten knapp 50 000 Menschen von der neuen Möglichkeit des grenznahen Verkehrs Gebrauch.
Die Steigerung des Transitverkehrs zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik in beiden Richtungen macht seit Inkrafttreten des Transitabkommens im Juni 1972 über 65 % aus. Vom Juni 1972 bis zum Jahresende 1973 kam es im Transitverkehr unter den zwischen den beiden deutschen Staaten im einzelnen geregelten Bedingungen zu über 19 Millionen Reisen.
Noch eine Zahl will ich hier nennen. In dringenden Familienangelegenheiten konnten vom November
1972 bis zum Dezember 1973 knapp 53 000 Bewohner der DDR, die noch nicht im Rentenalter stehen, ins Bundesgebiet reisen.
Diese Zahlen sind hier beispielhaft genannt. Zu der letztgenannten füge ich hinzu, daß ein Vergleich mit Vorjahreszahlen nicht möglich ist, da diese Reisemöglichkeiten überhaupt erst mit Inkrafttreten des Verkehrsvertrages zwischen den beiden deutschen Staaten gegeben sind.
Ich weiß, daß die Besucherzahlen seit der Erhöhung des Mindestumtausches stark zurückgegangen sind. Immerhin, zwischen Weihnachten und Silvester des jüngst vergangenen Jahres haben über 120 000 Westberliner von den lange Jahre nicht gegebenen Besuchsmöglichkeiten drüben in Ost-Berlin und in der DDR Gebrauch gemacht. Es bleibt im übrigen — daran soll kein Zweifel sein — unser zäh verfolgtes Ziel, die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik

(Zuruf von der CDU/CSU)

zu einem Verhalten zu bewegen, das dem Geist der Verträge voll gerecht wird.
In dieser Debatte wird — vom Transitverkehr abgesehen — gewiß über den beklagenswerten Besucherrückgang gesprochen werden. Soweit dabei die Bundesregierung in ihren Bemühungen unterstützt wird, die Kontakte zwischen den Menschen in den beiden deutschen Staaten zu vervielfältigen, nehmen wir das dankbar auf. Unbegreiflich ist mir in den vergangenen Wochen allerdings geblieben, wenn manche bei den Argumenten, die sie aus dieser Entwicklung der letzten Monate ableiten, Ursache und Wirkung durcheinanderbringen. Aus den Besucherzahlen läßt sich im übrigen ablesen, daß es trotz allem wieder einen nennenswerten Reiseverkehr gibt, daß man etwas hat, woran man das messen kann, was sich leider zurückentwickelt hat und was wir wieder nach vorn entwickeln wollen.
Natürlich hätten wir es gern, daß noch viel mehr Menschen, gerade auch jüngere, von drüben zu uns reisen können. Aber es wäre nicht vernünftig, wenn man, weil diese Forderung vorerst noch unerfüllbar bleibt, den Versuch ablehnen würde, zunächst wenigstens ein paar Einbahnstraßen zu öffnen und offenzuhalten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das Ziel kann ein optimales sein; der Weg dahin aber muß Schritt für Schritt zurückgelegt werden. Wir können nirgends mitfahren, sondern müssen selbst gehen; niemand wird uns tragen oder uns die Lösung der deutschen Fragen gar entgegenbringen. Appelle allein legen natürlich die Grenzzäune nicht nieder, und die Minen entschärfen sie auch nicht. Und gerade deswegen: Unsere Politik ist und bleibt gegen die Gewalt an den Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten gerichtet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

An dieser Stelle möchte ich Gelegenheit nehmen, den West-Berlinern zu sagen: Sie sollen sich nicht beirren lassen, weder von dem einen oder anderen
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 76, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 4773
Bundeskanzler Brandt
hier im deutschen Westen, der die Fakten leugnet, noch von reaktionären Kräften drüben.
Der erste Punkt ist: Das Viermächteabkommen hat den West-Berlinern die Sicherheit für ihre Stadt verbrieft und verbürgt. Der zweite Punkt ist: Wir lassen an den Bindungen mit West-Berlin nicht rütteln -- und stützen uns dabei auf eben das Viermächteabkommen, das unsererseits selbstverständlich und ebenso wie alle Verträge, die wir selbst geschlossen haben, voll beachtet und exakt gehalten wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung hat beschlossen, daß das Umweltbundesamt in West-Berlin seinen Sitz haben soll. Wir haben diesen Beschluß, der ja kein feindseliger ist, sondern der konstruktiven Aufgaben dient — eben denen des Umweltschutzes bei uns und im europäischen und weltweiten Zusammenhang -, sorgfältig mit unseren drei Verbündeten, die für West-Berlin Träger der obersten Gewalt sind, abgestimmt. Ich sage in aller Offenheit: Befänden wir uns hier nicht in voller Übereinstimmung mit den Drei Westmächten, dann wäre unser Beschluß überprüft worden. Wir haben es begrüßt, daß wir uns in der Frage des Umweltbundesamtes auf die Erklärung stützen konnten, die die Drei Westmächte der Sowjetunion gegeben haben.
Mit Befriedigung sieht die Bundesregierung, daß der Senat von Berlin für die innere Entwicklung der Stadt sein Ziel weit gesteckt hat. Orientiert an den finanziellen Möglichkeiten und an einer praxisbezogenen Planung soll West-Berlin modellhaft als moderne, attraktive große Stadt weiterentwickelt werden.
Das Viermächteabkommen hat dem kontinuierlichen Aufbau und Ausbau der Stadt neue Impulse gegeben. Die größere Sicherheit, die wesentlich erweiterten Bewegungsmöglichkeiten können den Berlinern das Bewußtsein einer verläßlichen Zukunft geben. Der Ort härtester Konfrontationen in hinter uns liegenden Jahren kann nicht auf einmal in das konfliktfreie Gegenteil umgewandelt werden. Es gibt auch jetzt noch Schwierigkeiten. Aber mit der verbesserten Basis wird Berlin seine hervorragende Stellung als Dienstleistungs- und Kulturzentrum und als bedeutender Industrie- und Handelsplatz erweitern.
Meine Damen und Herren, die notwendigen Folgeverhandlungen zum Grundlagenvertrag sind mit der DDR in Gang gekommen. West-Berlin ist dabei einbezogen. Unbeschadet der im Grundvertrag festgehaltenen unterschiedlichen Auffassungen zur nationalen Frage wird die Bundesregierung die DDR als einen unabhängigen, souveränen Staat behandeln und entsprechende Abmachungen mit ihm treffen. Wir kennen die Unterschiede in den Gesellschaftssystemen der beiden deutschen Staaten; sie trennen uns noch stärker als die unterschiedlichen Auffassungen von der Nation.
Diese Bundesregierung steht dafür ein, daß es keine erfolgreichen Versuche geben wird, die realitätsbezogene, den Menschen in beiden deutschen Staaten dienende Politik zurückzudrehen oder aufzugeben. Wir suchen weiter die Verständigung.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Verfassungsmäßigkeit des Grundvertrags bestätigt. Daran habe ich nie gezweifelt. Die gegenteilige Auffassung des Antragstellers wurde verworfen. Kreise, die hinter den Anträgen standen, versuchen jetzt gelegentlich, den Spruch des Gerichts nachträglich zu relativieren; etwa dadurch, daß sie aus der Begründung einzelne Teile oder Sätze isolieren und zu selbständigen politischen Richtlinien zu erheben versuchen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Die Bundesregierung hält derartige Versuche mit der Stellung und der Aufgabe des Gerichts für unvereinbar.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Seiters: Sagen Sie das mal Herrn Hansen!)

Das Bundesverfassungsgericht legt das Grundgesetz aus, es treibt keine Politik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Darüber bestehen bei Regierung und Gericht keine Zweifel. Wer derartige Zweifel jedoch nährt und dem Gericht eine Rolle zuzuschreiben versucht, die es selbst zu übernehmen ablehnt, erweist unserer Verfassungsordnung keinen guten, sondern einen schlechten Dienst.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(1 men unserer Verfassung nicht an solchen Argumentationen. (Abg. Stücklen: Sie soll das Urteil nur befolgen!)

Aus den gleichen Gründen hält sie sich auch aus der kritischen Diskussion heraus, die in unserer Rechtswissenschaft um Leitsätze und Gründe des Urteils entstanden ist. Die unsachliche und häufig ganz abwegige Kritik, die aus dem Osten am Verfassungsgericht geübt wird, weisen wir zurück.

(Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Seiters: Und aus Ihrer Fraktion!)

Meine Damen und Herren, zu diesem heutigen Bericht gehört die Bilanz der Regierungsarbeit im ersten Jahr der neuen Legislaturperiode; denn unsere Lage bestimmt sich nicht zuletzt aus dem, was wir hier in der Bundesrepublik leisten; aus den innenpolitischen Veränderungen, die die Bundesregierung, die gesetzgebenden Körperschaften, Länder und Gemeinden geschaffen haben und weiterhin schaffen.
Es scheint, wenn ich es richtig beobachtet habe, hier und da Versuche zu geben, in der Verfassungstreue der hier vertretenen Parteien Unterschiede zu behaupten, sozusagen: treu, treuer, am treuesten.

(Abg. Dr. Jenninger: Und untreu!)

Ich warne davor, in aller Ruhe. Meine Damen und
Herren, Sozialdemokraten und Freie Demokraten,
die diese Bundesregierung tragen, lassen sich in



Bundeskanzler Brandt
ihrer Treue zum Grundgesetz, in ihrer Bindung an die Verfassung von niemandem übertreffen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Sagen Sie das Herrn Wehner!)

Es wird unserem Staat, unserer Gesellschaft, unserer demokratischen Ordnung nicht bekommen, wenn — aus welchen Gründen auch immer — versucht wird, Zweifel zu säen in das, was selbstverständlich zu sein hat, nämlich die Treue zur Verfassung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe aus gegebenem Anlaß ein warnendes Wort gesagt. Nun bitte ich: Lassen Sie uns in diesem Jahr das Jubiläum unseres Grundgesetzes als Demokraten begehen, als Demokraten feiern, von denen keiner den anderen aus der gemeinsamen demokratischen Ordnung verdrängen will und verdrängen darf.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie uns also ein gemeinsames Fest aller Demokraten daraus machen. 25 Jahre Grundgesetz — das ist ein Anlaß zum Feiern. Deshalb wende ich mich an die Bürgermeister, an die Gemeinderäte überall in unserer Bundesrepublik: Machen wir den Verfassungstag in diesem Jahre 1974 zu einem Volksfest in unseren Städten, in unseren Gemeinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Mit Würstchenbuden! — Abg. Dr. Jenninger: Volksfest-Kanzler! — Anhaltende weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0707600200
Ich bitte um Ruhe.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707600300
Meine Damen und Herren, die Arbeit der Bundesregierung steht unter dem Gebot des Grundgesetzes, mehr Humanität in unserer Gesellschaft zu erreichen, zunehmend gleiche Lebenschancen für alle Bürger zu sichern, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen und möglichst viel Freiheit für den einzelnen zu verwirklichen.
Die Politik der gesellschaftlichen Reformen ist Politik auf dem Boden unserer Verfassung. Sie will die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur bewahren, sie will vielmehr die Verfassungswirklichkeit aus dem Geist des Grundgesetzes gestalten und fortentwickeln. Das Grundgesetz verbietet ja nicht nur, es gebietet auch.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und es gebietet nicht zuletzt, den Sozialstaat zu verwirklichen. Der Tätigkeitsbericht 1973, den die Bundesregierung dem Bundestag vor Weihnachten vorgelegt hat, weist nach, daß wir dieses Ziel konsequent und, wie ich meine, erfolgreich verfolgt haben.
Ich unterstreiche: Die innenpolitische Bilanz des Jahres 1973 ist positiv. Trotz der bekannten Schwierigkeiten des vergangenen Jahres ist inzwischen schon ein gewichtiger Teil des Regierungsprogramms verwirklicht worden, das ich in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 angekündigt hatte.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Erneuter Zuruf von der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich an dieser Stelle zwei Bemerkungen einfügen. Die erste ist diese: Wer unvoreingenommen die Fakten prüft, stellt fest, daß erneut mehr zustande gebracht wurde, als den meisten bewußt ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Unser Volk lebt in Sicherheit, in Freiheit und — verglichen mit anderen Völkern, auch europäischen Nachbarn — in beträchtlichem Wohlstand.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Sagen Sie das mal den Arbeitslosen!)

Auf dem Wege zu größerer sozialer Sicherheit und zu einer menschlicheren Umwelt und Arbeitswelt wurden 1973 wieder Fortschritte erzielt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Kurzarbeit! — Arbeitslosigkeit!)

Und die Sicherung der Arbeitsplätze wird — über die sich akut abzeichnenden Schwierigkeiten hinweg — Erfolg haben, meine Damen und Herren von der Opposition!

(Beifall bei der SPD.)

Und dennoch: wie gehabt versuchen auch jetzt wieder einige, unserem Volk einzureden, es müsse sich selbst bejammern. Ein Blick über die Grenzen genügt, um deutlich zu machen, wie abwegig diese Sicht der Dinge ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die zweite Bemerkung: Unzufriedenheit hat gelegentlich auch mit Unwissenheit zu tun.

(Beifall bei der SPD.)

Ich sage das ohne Anklage, weil ich weiß, wie schwierig es für den einzelnen Bürger ist, den Vergleich zu anderen Ländern korrekt anzustellen und die Fortschritte der im Detail komplizierten Gesellschafts- und Reformpolitik zu registrieren. Daher sollten wir alle, die wir mit Politik zu tun haben, jede Anstrengung machen, auch dort, wo wir unterschiedlicher Meinung sind, die immer schwieriger werdenden gesellschaftlichen Zusammenhänge unseren Bürgern zu verdeutlichen.

(Abg. Seiters: Durch Anzeigen!)

Die innenpolitische Bilanz für 1973, meine Damen und Herren, ist positiv, nicht zuletzt deshalb, weil die Bundesregierung sich durch keine Schwierigkeit und keine Kritik von ihren Grundzielen hat abbringen lassen: dem vom Grundgesetz gebotenen Ausbau des Sozialstaats, der Sicherung der freiheitlichen Rechtsstaatlichkeit und der Verbesserung der Chancengleichheit in unserem Volk.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP.)




Bundeskanzler Brandt
Ich will auf eine Aufzählung verzichten; der Bericht der Regierung liegt Ihnen vor. Die Liste ist zu lang, um sie hier vollständig vorzutragen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Gegenruf von der SPD: Lesen Sie ihn doch! — Abg. Seiters: 12 % Arbeitslose im Arbeitsamtsbezirk Leer!)

Aber ich will einige Punkte setzen, die als Beispiel deutlich machen: Reformmüdigkeit mag eine modische intellektuelle Krankheit sein — die Bundesregierung ist von ihr nicht befallen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Meine Punkte:
Millionen Arbeitnehmer sollen künftig nicht mehr den Verlust ihrer Betriebsrenten befürchten müssen, wenn sie ihren Arbeitsplatz wechseln.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber mehr Steuern bezahlen.)

Alle Schwerbehinderten — das sind mehr als vier Millionen Mitbürger — sollen künftig den Schutz des Schwerbehindertengesetzes erhalten.
Die Kranken in unserem Land haben künftig einen Rechtsanspruch auf zeitlich nicht beschränkte Krankenhauspflege und andere Hilfe; vor allem auch die Frauen, etwa bei der Pflege erkrankter Kinder.
Anderthalb Millionen Haushalte können eine verbesserte Wohngeldregelung in Anspruch nehmen.
Keine Aufzählung, wie gesagt. Dies waren nur einige Punkte zum Ausbau des Sozialstaates. Und wieder nur einige Punkte über den Ausbau der Rechtsstaatlichkeit:
Die Strafrechtsreform schreitet voran. (Lachen bei der CDU/CSU.)

Ein neues Ehe- und Familienrecht liegt dem Bundestag vor.
Die Reform des Strafvollzugs ist von der Bundesregierung abschließend, vom Bundestag in erster Lesung behandelt worden.
Das Gesetz über das Bundeskriminalamt ist zugunsten eines wirksameren Schutzes der Bevölkerung novelliert worden.

(Abg. Seiters: Die Postgebühren erhöht!)

Und — wieder keine Aufzählung, wieder nur einige Punkte; diesmal zur Verbesserung der Chancengleichheit in unserem Lande —:
Der Bildungsgesamtplan und das Bildungsbudget sind durch die Bundesregierung und die Regierungschefs der Länder verabschiedet worden. Das Hochschulrahmengesetz liegt dem Bundestag vor.
In manchen wichtigen Bereichen ist die Bundesregierung auf die Mitwirkung der Bundesländer — ich erwähnte den Bildungsgesamtplan —, also auch ,die Unterstützung der politischen Kräfte angewiesen, die hier im Bundestag die Opposition stellen. Das wichtigste Gesetz zum Schutz der Um-
welt — wer mag schon „Bundes-Immissionsschutzgesetz" sagen? — ist gerade verabschiedet. Die Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz sollte folgen können, ,da — wenn ich daran erinnern darf — die CDU doch in ihrem Wahlprogramm 1972 in Aussicht gestellt hat, dem Bund durch Grundgesetzänderung die volle Kompetenz über die Wasserhaushaltsgesetzgebung zu verschaffen.
Lassen Sie mich hier noch einmal — wenn von der inneren Lage in unserem Staat die Rede ist — an die Aufgabe erinnern, die der Bundeswehr zukommt, um im Rahmen des Atlantischen Bündnisses und als ein wichtiger Bestandteil dieses Bündnisses unseren freiheitlichen Rechtsstaat zu schützen.

(Abg. Dr. Marx: Das müssen Sie den Jusos sagen!)

Zur Bilanz nach dem ersten Regierungsjahr der neuen Legislaturperiode gehört die vom Kabinett verabschiedete Neustruktur der Bundeswehr. Das „Weißbuch 1973/74" belegt, daß die Bundeswehr unter den gegebenen finanziellen Bedingungen kampfkräftig erhalten und angemessen modernisiert werden kann.

(Abg. Seiters: Und vor SPD-Abgeordneten geschützt!)

Weil manche nicht sehen wollen — was ja auch hier leicht zu erkennen ist —, was diese Bundesregierung schon im ersten Jahr ihrer neuen Amtszeit geleistet hat,

(Lachen bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Marx: Sich geleistet hat!)

mußte ihnen auch entgehen, wie zäh wir an den großen Vorhaben gearbeitet haben, die, was die Verwirklichung angeht, in dem hinter uns liegenden Jahr erst vorbereitet werden konnten. Heute, gegen Ende des ersten Monats im neuen Jahr, wird die Bilanz abgerundet -- man mag sogar sagen: gekrönt — von der Einigung der Koalition, die diese Regierung trägt, über Mitbestimmung und Vermögensbildung.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und Teilen der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU zur FDP.)

Tatsache ist: Lange vor Halbzeit, ein Jahr nach Abgabe der Regierungserklärung, können wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern von dieser Stelle aus sagen: Mitbestimmung und Vermögensbildung, zwei zentrale Reformvorhaben der sozialliberalen Regierung, sind auf den Weg gebracht. Wir arbeiten weiter. Die Einigung über die notwendige Modernisierung des Bodenrechts wird folgen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn, gestützt auf die Vereinbarungen, das Gesetz — und das wird bald sein — zur Mitbestimmung in den Großbetrieben vorliegt, wird sich zeigen, daß wir den Weg von einer fortschrittlichen Betriebsverfassung zu einem weit über unser Land hinaus wirkenden, auf einem bestimmten Gebiet epochemachenden Gesetz zur Neuordnung der Rechte im Unternehmen beschritten haben. Der Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichge-



Bundeskanzler Brandt
wichtigkeit, auf den wir uns im Regierungsprogramm verpflichtet haben, wird erfüllt. Die Koalitionsparteien haben sich auf ein Modell geeinigt, das den Namen Mitbestimmung voll verdient.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen sollte, was den Öffentlichen Dienst angeht, das inzwischen verwirklichte neue Personalvertretungsgesetz nicht übersehen werden. Es ist dem Betriebsverfassungsgesetz logisch zuzuordnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Vermögensbildung wird zu einer Beteiligung breiterer Schichten der Bevölkerung am wachsenden Produktivvermögen führen. Das entspricht den Beschlüssen der Koalitionspartner, und das ist das Ziel der gemeinsam erarbeiteten Grundlinien. Durch eine wirksame Teilhabervertretung wird sichergestellt, daß die Anlagepolitik der Fonds den Interessen der Bezugsberechtigten dient.
Ein deutliches Wort noch zu einem weiteren Vorhaben in diesem Jahr: Über die Steuerreform, wie sie von uns eingeleitet worden ist, hat es manche Spekulationen gegeben; das mag in der Natur der Sache liegen. Ich kann diese Spekulationen insoweit beenden: Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, daß die Steuerreform zum 1. Januar 1975 in Kraft treten soll.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Außerdem werden wir die Staatseinnahmen dieses Jahres nötig haben, nicht zuletzt zur Sicherung der Arbeitsplätze.
Nun ist in der Kommentierung dieser Tage viel die Rede davon, welcher Partei welche Reform zuzuordnen sei oder wer sich in welchem Bereich durchgesetzt habe.

(Abg. Seiters: Das hörte man am Beifall!)

Dazu will ich folgendes sagen: Die Ergebnisse, die wir bei der Mitbestimmung und Vermögensbildung erzielt haben, sind ein fairer Kompromiß, der von der Koalition als Ganzes, das heißt von beiden Parteien, mit gutem Gewissen auch nach außen vertreten werden kann und wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier gibt es kein Auseinanderdividieren. Der Beweis für meine Ankündigung im Sommer vergangenen Jahres ist erbracht: die Einigungskapazität der Koalition ist größer, als manche glauben wollten und sie dauert weiter an.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich greife noch einmal zwei Begriffe auf, von denen ich eingangs der Zwischenbilanz meiner Regierung gesprochen habe: Sozialstaatlichkeit und Chancengleichheit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Rechtsstaatlichkeit!)

Beide verlangen auch die Reform der beruflichen Bildung. Im vergangenen Jahr sind wir durch die Entscheidung des Kabinetts über die zukünftige Struktur dieses Bildungszweiges in eine Phase offenen Austausches der Meinungen gekommen. In diesem Jahr wird im Kabinett über ein neugefaßtes Gesetz zu befinden sein. Zur Klärung: Wir werden weder die berufliche Bildung verschulen, noch werden wir sie verstaatlichen, noch werden wir sie bürokratisieren. Wir wollen aber, daß der Lehrling im Betrieb weiß, daß der Staat für die Qualität seiner Ausbildung in der betrieblichen Praxis nicht weniger verantwortlich ist als für die Ausbildung der Gymnasiasten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich hinzufügen: Die Bundesregierung — ich habe das in der Regierungserklärung vor einem Jahr gesagt — will ihren Beitrag dazu leisten, daß die Länder, die hier in erster Linie die Verantwortung tragen, das Grundgesetz und seine Verpflichtungen in Schulen und Hochschulen erfüllen können. Und ich meine: Vernünftige Reform bleibt das beste Mittel gegen Gewalt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deswegen darf man nicht, wenn an der einen oder anderen Stelle rechtswidrig oder sogar kriminell vorgegangen wird, falsche Konsequenzen ziehen und die Reformer hierfür verantwortlich machen. Wir werden für den Schutz der Reform sorgen, aber wir werden auch dafür sorgen, daß die offene Stimme der Kritik erhalten bleibt.

(Beifall bei der SPD.)

Der demokratische Prozeß der Reformen hat Gegner. Dazu zählen nicht nur rückwärtsgewandte Inhaber von Privilegien, sondern auch kriminelle Aktivisten. Wir werden die Reformen weder von Ewiggestrigen verhindern, noch von Krawallmachern erschlagen lassen;

(Beifall bei den Regierungsparteien) weder an den Hochschulen noch anderswo.

Meine Damen und Herren, die Energiekrise, in die wir mit anderen Industrienationen geraten sind, markiert einen tieferen Einschnitt, als man es wegen der derzeitigen mengenmäßigen Entspannung auf den Ölmärkten vielleicht wahrnehmen möchte. Ganz unabhängig davon, daß es unverantwortlich wäre, bereits Entwarnung zu geben — auf jeden Fall sind Grenzen sichtbar geworden, die zu überwinden die Bereitschaft voraussetzt, nach neuen Wegen der internationalen Zusammenarbeit und auch nach neuen Formen des Zusammenwirkens von Regierung und Wirtschaft zu suchen.
Die Rohstoffprobleme, die uns jetzt beim Erdöl deutlich wurden, gelten auch für andere Bereiche, sie werden uns lange begleiten. Wir können und wollen das nicht als Schicksal hinnehmen, an dem wir scheitern. Wir verstehen dies vielmehr als Herausforderung unserer Fähigkeit zu verstärkten wissenschaftlichen und technischen Leistungen und zu einem rascheren industriellen Wandel. Die Fortentwicklung unseres Energieprogramms wird uns vorrangig zu beschäftigen haben. Im Zusammenhang damit und darüber hinaus werden wir damit fortfahren, Forschung und Technologie auf ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten und Aufgaben zu verpflichten. Wir konzentrieren unsere Forschungspo-



Bundeskanzler Brandt
litik, und wir erweitern sie. Beispielhaft hierfür sind neben dem Energieforschungsprogramm neue Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Humanisierung der Arbeitswelt und zur Verbesserung der Infrastruktur unserer Städte und Gemeinden.
Meine Damen und Herren, in der Lage, in die wir jetzt hineingestellt sind, darf niemand bewußt oder fahrlässig Verwirrung stiften in unserer Gesellschaft. Der Mangel an Ressourcen läßt weder zu, die Probleme zu vernebeln, noch sie zu dramatisieren. Niemand darf den Forderungen der ökonomischen und politischen Vernunft mit Sturheit begegnen wollen. Da der Deutsche Bundestag die Konjunkturpolitik demnächst zusammen mit dem Jahreswirtschaftsbericht debattieren wird, will ich mich in diesem Zusammenhang heute auf die folgenden wenigen Sätze beschränken.
Unsere Wirtschaft hat im vergangenen Jahr mit über 5 Prozent Wachstum eine insgesamt gute Entwicklung genommen, vor allen Dingen, wenn wir uns umschauen in der Welt. Wir müssen im neuen Jahr jedoch mit einem deutlich niedrigeren Wachstum rechnen. Die Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes wird für mich auch 1974 vorrangiges Ziel der Wirtschaftspolitik bleiben. Unsere Stabilitätspolitik ist — nicht allein, aber vor allem — durch die massiven Erhöhungen der Rohölpreise wesentlich erschwert worden. Wir werden jedoch nicht resignieren. Die Bundesregierung strebt an, daß die Preisentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland auch in diesem Jahr in Grenzen gehalten wird, die die Bundesrepublik in der Schlußgruppe der Preissteigerungen halten.
Unmißverständlich gesagt: Das Jahr 1974 kann kein Jahr wesentlicher realer Einkommensverbesserungen sein. In der jetzigen wirtschaftlichen Lage sollte Klarheit darüber bestehen, daß alles in allem eine Absicherung der Realeinkommen auf dem erreichten hohen Niveau kein Rückschritt wäre. Und ich meine, daß in einer Zeit, in der sich die Arbeitnehmer in Industrie und Handel um ihre Arbeitsplätze sorgen, für diese Erkenntnis gerade bei den Angehörigen des öffentlichen Dienstes Verständnis vorhanden sein sollte und vorhanden sein wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe viel Achtung vor den Arbeitern, Angestellten und Beamten — gerade auch den kleineren —, die in unserer Gesellschaft für den Staat arbeiten. Ich rechne auf ihre Vernunft; wir brauchen die Kraft der Vernunft. Zweistellige Ziffern bei den Tarifen beschleunigen die Gefahr einer entsprechenden Entwicklung bei den Preisen. Wie ernst diese Gefahr ohnehin ist, hat gestern der Generalsekretär der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in Straßburg dargelegt.
Wir haben im vergangenen Jahr erfahren — und wir werden es immer wieder erleben —, daß und wie stark unser Land in die internationale Entwicklung, also auch in internationale krisenhafte Entwicklungen, einbezogen ist. Wir werden uns der Mitverantwortung, die darin begründet liegt, nicht entziehen. Manches haben wir abwenden oder mildern können, was andere Staaten und Gesellschaften in voller Schärfe getroffen hat. Dies ist zum einen der begrenzte Erfolg derer, die hier eine herausgehobene politische Verantwortung tragen. Es ist dies zum anderen der Einsicht und der Bereitschaft der Bürger zuzurechnen, nicht gedankenlos Unmögliches zu verlangen. Diese Einsicht und Bereitschaft, die wir nötig haben, ist gerade in den letzten Wochen gestärkt worden — und ich möchte den Bürgern dafür danken.

(Langanhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0707600400
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Dr. Carstens.

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0707600500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das überwiegend rosige Bild, welches der Herr Bundeskanzler in seinem Bericht über die Lage in unserem Lande soeben vor uns ausgebreitet hat, steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Sorge, mit der die meisten Bürger in diesem Lande in das neue Jahr 1974 hineingegangen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn ich es richtig sehe, sind es vor allem drei Dinge, die den Anlaß dieser Sorge bilden: die wirtschaftliche Entwicklung, die Rückschläge in der auswärtigen Politik — sowohl nach Westen wie nach Osten und die Rückschläge in der Deutschlandpolitik sowie schließlich die andauernde Aktivität verfassungsfeindlicher Gruppen in unserem Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie sind 1973 auf dem langen Marsch durch die Institutionen, den sie sich vorgenommen haben, ein gutes Stück vorangekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte mit einigen Betrachtungen zur wirtschaftlichen Lage beginnen. Die Situation ist mit wenigen Worten wie folgt zu zeichnen: der inflationäre Preisauftrieb verstärkt sich, die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter wächst, das Bruttosozialprodukt. wird 1974 nicht oder kaum wachsen. Diese Tatsache bringt viele Unsicherheiten und Ungewißheiten in unsere gesamte Politik hinein.

(Zuruf von der SPD.)

Sie betrifft die Reformvorhaben auf den Gebieten der Steuern, der Vermögensbildung, des Bodenrechts und vieler anderer Dinge, die wir alle wollen, aber die wir nur realisieren können mit Hilfe der von unserer Wirtschaft erarbeiteten Leistung.
Die sich abzeichnende wirtschaftliche Entwicklung ist mit dein von der Bundesregierung seit 1969 systematisch geförderten sozialpolitischen Erwartungshorizont der Bevölkerung nicht zu vereinbaren.

(Zuruf von der SPD: Also weniger Sozialpolitik?!)

Die Gesellschaftspolitik steht jetzt plötzlich vor der Aufgabe, zusätzliche soziale Spannungen bei vermindertem Leistungsspielraum zu bewältigen.
4778 Deutscher Bundestag — 7, Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974
Dr. Carstens (Fehmarn)

An der Lage, die wir jetzt vor uns finden, trägt die Regierung ein erhebliches Maß an Mitverantwortung.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ihr Verhalten während der Ölkrise war durch Unsicherheit und Zwiespältigkeit gekennzeichnet. Düstere Prognosen, die der Bundeskanzler selber aussprach, führten zu Angstkäufen, und die Forderung nach Höchstpreisen bewirkte natürlich, wie hätte es anders sein können, eine alsbaldigen Preisauftrieb.

(Lachen bei der SPD.)

Ja, so ist es. Sie mögen darüber lachen, aber dies
ist eine der Tatsachen des Lebens, an denen man auch wegen einer ideologischen anderen Überzeugung nicht vorbeisehen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber vor allem war es die verfehlte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in den Jahren von 1970 bis 1973, die eine wesentliche Mitursache für die jetzt entstandenen Schwierigkeiten bildet. Als die Inflationsraten stiegen — von 3,7% im Jahre 1970 auf über 71% im Jahre 1973 —, unternahm die Bundesregierung nichts Wirksames zur Bekämpfung dieser Inflation.

(Zurufe von der SPD.)

Statt dessen startete die SPD daran wird man ja
erinnern dürfen — eine Aktion gegen das Unternehmertum in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Stichwort „Gelber Punkt", das Tausende von Selbständigen, Handwerkern und Kaufleuten in einer nicht zu verantwortenden Weise diffamierte; die haben sich ja dann auch mit Recht dagegen zur Wehr gesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dabei wurde verschwiegen, daß der Staat selber dort, wo er im wirtschaftlichen Bereich Verantwortung trägt, bei der Inflation und bei dem Preisauftrieb kräftig voranging. Denken wir an den Bereich der Post, denken wir an den Bereich der Bahn! Die Post in der Bundesrepublik Deutschland steht im internationalen Gebührenvergleich, Herr Bundeskanzler, schon jetzt an der Spitze aller anderen Staaten, und trotzdem sollen die Postgebühren, wie wir wissen, noch einmal ganz kräftig erhöht werden,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

so daß im Verhältnis zwischen 1969 und 1973 Preissteigerungen und Gebührenerhöhungen bei der Post in Größenordnungen von über 100 und mehreren 100 % zu erwarten sind.

(Hört! Hört! und weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Seiters: Dafür haben wir „Rosa Luxemburg" !)

Die Bundesregierung lehnte es auch konsequent ab, in dieser Entwicklung einen Vorschlag aufzugreifen, den ihr die CDU/CSU-Opposition immer und immer wieder nahegelegt hat, auf den wir auch morgen in der steuerpolitischen Debatte erneut zurückkommen werden: dadurch einen mäßigenden Einfluß auf die Preisentwicklung und die Lohnentwicklung zu nehmen, daß die inflationsbedingte Erhöhung der Lohnsteuer abgebaut wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir stehen doch vor der unbestreitbaren Tatsache, daß unser Lohnsteuersystem die Inflation antreibt. Das kann doch von keinem verständigen Menschen gewünscht werden. Die Art und Weise, wie sich die Bundesregierung und die sie tragenden beiden Parteien mit unserem Vorschlag auseinandersetzen, zeigt im übrigen, daß hier große Unsicherheit in der Argumentation herrscht. Ich gebe daher die Hoffnung nicht auf, daß die bessere Einsicht am Schluß vielleicht doch siegen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundesfinanzminister bemühte sich, alle Schwierigkeiten auf die Ölkrise abzuwälzen. Das kann man aus seiner Sicht verstehen; denn natürlich wissen wir alle, daß ihn bei der ungenügenden Bekämpfung der Inflation ein erhebliches Maß an Mitverantwortung trifft. Aber er tat dann noch ein Übriges und wälzte die Verantwortung für die Ölkrise auf die CDU/CSU ab.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Meine sehr verehrter Herr Bundesminister der Finanzen oder wer immer hier an seiner Stelle anwesend sein mag

(Zuruf von der CDU/CSU: Gar keiner!)

— na, vielleicht fühlt sich im Hohen Hause doch irgend jemand legitimiert, für ihn eine Erklärung entgegenzunehmen —,

(erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU)

ich möchte doch darauf hinweisen dürfen, daß zwischen 1966 und 1972 die SPD die Wirtschaftsminister gestellt hat, darunter den Herrn Bundesminister der Finanzen eine Zeitlang selbst, und daß in dieser Zeit die Ölabhängigkeit des deutschen Energiemarktes von 45 auf 56 °/o anstieg.

(Abg. Rawe: So ist es! — Abg. Haase [Kellinghusen] : Sie müssen doch den Zuwachs mitrechnen! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

— Ja, das sind Tatsachen.

(Zuruf von der SPD: Milchmädchenrechnung!)

— Ob das eine Milchmädchenrechnung ist oder nicht, das ist eine Tatsache, an der Sie nicht vorbeikommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, es verwunderte niemanden, daß in diesem Zusammenhang auch alsbald die Forderung nach einer Verstaatlichung der Mineralölgesellschaften erhoben wurde, obwohl sonnenklar ist, daß dadurch nicht ein einziges der schwierigen Probleme, vor denen wir stehen, gelöst worden wäre, sondern im Gegenteil erhebliche zusätzliche Schwierigkeiten verursacht worden wären. Diese Forderung nach Verstaatlichung der Mineralölgesellschaften erklang dann auch alsbald im gleichen



Dr. Carstens (Fehmarn)

Atemzug wie die wiederholte Forderung nach Verstaatlichung der Banken. Niemand, der diese Forderung erhob, ließ sich in irgendeiner Weise von der Tatsache beeindrucken, daß ausgerechnet eine der verstaatlichten Banken in unserem Lande, nämlich die Hessische Landesbank, in Kreditschwierigkeiten geriet und daß die Konsequenzen, die normalerweise in einem wirtschaftlichen Unternehmen in einem solchen Falle gezogen werden, dort nicht gezogen wurden und vielleicht auch nicht gezogen werden konnten.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, der Vorsitzende des Vorstands trat zurück, das stimmt. Aber der Vorsitzende des Aufsichtsrats, der doch immerhin ein großes Maß an Mitverantwortung für die ganze Sache trägt, bleibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie heißt er?)

— Es ist der hessische Ministerpräsident, Herr Osswald.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Jeder wird verstehen, daß er nicht ohne weiteres zurücktreten kann. Hier zeigt sich lassen Sie uns das doch einmal an einem schlagenden Beispiel feststellen — die Unsinnigkeit der Verquickung von Wirtschaft und Politik in der Weise, wie sie von vielen von Ihnen gefordert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber vielleicht wird sich der hessische Wähler an diese Vorgänge erinnern.
E i n positives Ergebnis hatte die Ölkrise, wenn es auch nicht das Verdienst der Bundesregierung war: der Fluglotsenstreik ging sang- und klanglos zu Ende.

(Abg. Dr. Marx: Lau-Lau! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Aber, meine Damen und Herren, mit welchen Opfern und um welchen Preis!

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

80 000 Flüge waren um mehr als eine halbe Stunde verspätet, etwa 20 Millionen Liter Benzin wurden dadurch unnütz auf den Pisten deutscher Flughäfen vergeudet, 40 000 Flüge fielen überhaupt aus, Hunderte von Millionen von Schadenersatzforderungen werden gegen die Bundesregierung erhoben, und die Bundesregierung — das ist vielleicht das Gefährlichste an dieser Entwicklung — muß sich darauf gefaßt machen, daß sich andere — wenn auch sicher zu Unrecht — auf den Fluglotsenstreik als einen Präzedenzfall berufen werden. Hier zeigt sich eben, wie gefährlich es ist, wenn eine Regierung in einer kritischen Lage durch Unentschlossenheit und Schwäche das Übel sich auswuchern läßt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die CDU/CSU hat in dieser Phase durch klare, deutliche Signale ihren Standpunkt zu den wirtschaftlichen Fragen bekanntgegeben. Wir haben uns immer gegen zwangswirtschaftliche Maßnahmen zur Bewältigung der Krise gewendet. Aber wir sehen als marktkonforme Mittel zur Überwindung der Krise selbstverständlich auch das Vorgehen gegen
Preiswucher und das Vorgehen gegen unzulässige Kartellabsprachen an. Wir sind daher damit einverstanden und begrüßen es, daß die Mineralölgesellschaften ihre Kalkulationen vorlegen. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Bundesregierung die Öffentlichkeit davon unterrichten sollte, welches denn nun das Ergebnis der von ihr in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben die Entlastung der wirtschaftlich schwachen Teile unserer Bevölkerung von den erhöhten Heizölkosten gefordert, und — das stellen wir mit Befriedigung fest — ein entsprechender Beschluß ist hier in diesem Hohen Hause dann auch gefaßt worden. Wir sind weiter der Meinung, daß die in manchen Gebieten und manchen Sektoren unseres Landes um sich greifende Arbeitslosigkeit durch gezielte sektorale und regionale Maßnahmen bekämpft werden muß.
Meine Damen und Herren, die Rückschläge, die in der Außenpolitik eingetreten sind, hat der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung, die er hier soeben abgegeben hat, zum Teil selbst dargelegt. Ich möchte einige dieser Gedanken, die er vorgetragen hat, noch etwas deutlicher unterstreichen. Der wichtigste und schwerwiegendste Rückschlag war nach meiner Auffassung der Ausbruch des Nahostkrieges, der — das dürfen wir nicht vergessen — die beiden Supermächte einige Tage lang an den Rand eines militärischen Konfliktes brachte. Deswegen bin ich der Meinung, daß es notwendig ist, auch an dieser Stelle wieder zu betonen — auch der Bundeskanzler hat das getan —, daß Verteidigungsbereitschaft und Entschlossenheit, sich zu verteidigen die unverzichtbare Grundlage jeder Art von Entspannungspolitik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich hätte gewünscht, daß das auch in den zurückliegenden Jahren deutlicher gesagt worden wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine Reihe der Rückschläge in der Entspannungspolitik traf die Bundesrepublik Deutschland besonders hart. Es gelang nicht, die Einbeziehung West-Berlins in dem gewünschten Umfang bei den Verhandlungen mit der Tschechoslowakei durchzusetzen. Bei dem Versuch, ein Bundesamt für Umweltschutz in West-Berlin zu errichten, stieß die Bundesregierung auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Sowjetunion und bei der DDR. Soweit ich sehe, sind diese Schwierigkeiten, jedenfalls bei der DDR, noch nicht ausgeräumt. Die DDR verdoppelte die Umtauschquote für den Besuchsverkehr und fügte damit diesem Glanzstück der Entspannungspolitik der Bundesrepublik einen schweren Schlag zu.
Aber ganz besonders bemerkenswert und — ich muß hinzufügen — beunruhigend für mich war in diesem Zusammenhang, zu beobachten, wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Kollege Wehner, mehrfach in die außenpolitischen Auseinandersetzungen eingriff. Viermal äußerte er sich zu diesem Komplex. Er erklärte, in den Prag-Verhandlungen sei die Berlin-Position der Bundesregierung überzogen. In der Frage der Zuordnung der ständigen



Dr. Carstens (Fehmarn)

Vertretung Ost-Berlins bei uns und unserer ständigen Vertretung in Ost-Berlin empfahl Herr Kollege Wehner ein größeres Entgegenkommen gegenüber dem Standpunkt der DDR. Hinsichtlich der Forderung nach mehr Freizügigkeit für Informationen, Ideen und Menschen zwischen Ost und West erklärte er, daß diese Forderung unrealistisch sei. Er entzog damit nach meiner Einschätzung der Lage einer der wichtigsten gemeinsamen Forderungen, die der gesamte Westen in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aufgebaut hat, weitgehend den Boden. Als die DDR die Umtauschquoten verdoppelte, erklärte Herr Kollege Wehner, dies verstoße nicht gegen die vertraglichen Vereinbarungen,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

womit er in gewisser Weise die Kritik bestätigte, die die CDU/CSU an diesen Verträgen immer geübt hatte. Allerdings trat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Schütz, Herrn Kollegen Wehner entgegen und legte dar, daß die DDR hier doch gegen die vertraglichen Vereinbarungen verstoßen habe.
In dieser Auseinandersetzung setzte sich Herr Kollege Wehner gegenüber der Bundesregierung offensichtlich mehrfach durch. Hier haben wir es nach meiner Einschätzung mit einer Machtverschiebung im Verhältnis zwischen Regierung und einer der sie tragenden Parlamentsfraktionen zu tun. Da dieser Streit öffentlich ausgetragen wird, schwächt er die Verhandlungsposition der Bundesregierung gegenüber ihren östlichen Partnern.

(Sehr wahr! bei der CDU CSU.)

Das ist ein Zustand, an dem niemand - ich sage
ausdrücklich: auch die Opposition nicht — ein Interesse haben kann; denn es ist ein Zustand, der den Interessen unseres Landes im ganzen abträglich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, wenn man ein nüchternes Bild der Entspannungspolitik geben will, kann man nicht die Tatsache mit Stillschweigen übergehen, daß die Sowjetunion während der zurückliegenden Jahre und besonders im letzten Jahr ihr militärisches Potential im Verhältnis zum Westen absolut und relativ ständig vergrößert hat. Dies auszusprechen gehört nach meiner Auffassung zu einer verantwortungsvollen Darstellung der Außenpolitik und der außenpolitischen Lage unseres Landes unverzichtbar dazu. Ich habe in der heutigen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers jede auch nur entfernte Andeutung dieses Sachverhalts wieder vermißt. Wir wissen, daß der Verteidigungsminister hiervon spricht. Aber wir wissen auch wir haben es alle gesehen — daß sich nicht eine Hand in seiner eigenen Fraktion gerührt hat, um ihn in dieser seiner Auffassung zu bestätigen,

(Sehr wahr! und Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und daß Teile seiner Partei ihn aus diesem Grunde für untragbar erklären und seine Abberufung verlangen.
Ich komme damit zur Lage im geteilten Deutschland, einem der Gegenstände unserer heutigen Debatte.
Ich möchte vorausschicken, daß uns die angekündigten Materialien des wissenschaftlichen Gutachterstabes, den die Regierung selbst eingesetzt hat, leider nicht vorliegen. Wir bedauern das sehr. Wir bitten, daß die Regierung Gelegenheit nimmt, noch während dieser Debatte zu bestätigen, daß die Materialiden bis zum März dieses .Jahres vorgelegt werden sollen; denn sie stellen, wie wir wissen, eine gute und brauchbare Grundlage auch für die Diskussion in diesem Hohen Hause dar.
Die Entspannungspolitik brachte den Menschen im geteilten Deutschland einige unbezweifelbare Rückschläge. Die Umtauschquote und ihre Erhöhung sind erwähnt worden. Aber das ist keineswegs alles. Wir wissen, daß die Behörden der DDR Maßnahmen ergriffen haben, um den Briefverkehr zwischen den Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland und denen der DDR einzuschränken. Hier sind eine Reihe von erschütternden Briefen eingetroffen, die von der Bedrückung Zeugnis ablegen, unter der die Menschen, die den Kontakt mit ihren Freunden und Verwandten im Westen aufrechterhalten wollen, drüben zu leiden haben. Das Schießen an der Mauer hörte nicht auf. Der Bundeskanzler sieht es als einen Erfolg seiner Politik an, daß die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen geworden ist. Viele von uns, auch von der CDU/CSU-Fraktion haben dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen zugestimmt, aber doch in der Erwartung, daß die UNO als Garantin der Menschenrechte auch eingesetzt werden würde für die Wiederherstellung der Menschenrechte im geteilten Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir diese Dinge darlegen, pflegt uns entgegengehalten zu werden -- und auch in den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers heute klang das wieder deutlich an : Ja, aber als die CDU' CSU in diesem Lande regierte, gab es noch weniger Kontakte. Und dann folgt die Aufzählung der inzwischen möglichen Besuche, der Telefonanrufe und dergleichen mehr. Diese Argumentation verfehlt den entscheidenden Punkt. Der entscheidende Punkt unserer Kritik besteht darin, daß die Bundesregierung in ihren Ostverträgen die Forderungen ihrer osteuropäischen Partner erfüllte, ohne ihre eigenen Ziele — der Bundesregierung und unser aller eigene Ziele, sei es auf dem Gebiet der Einheit der Nation, sei es auf dem Gebiet der Erleichterung für die Menschen, sei es auf dem Gebiet der Einbeziehung Berlins -- in eindeutigen Vereinbarungen ab- zusichern. Das ist der Kernpunkt unserer Kritik, und diese unsere Kritik ist durch die Entwicklung nicht nur nicht widerlegt, sie ist bestätigt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Niemand, Herr Bundeskanzler, ist über die Rückschläge, die in dieser Beziehung eingetreten sind, befriedigt. Aber viele Bürger in diesem Lande ersparen Ihnen nicht den Vorwurf, für diese Ihre hier



Dr. Carstens (Fehmarn)

so oft verkündete Politik nicht die ausreichenden vertraglichen Sicherungen geschaffen zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ihre jetzigen Warnungen an die DDR und Ihre jetzige Erklärung, wir lassen an den Beziehungen zu West-Berlin nicht rütteln, kommen, so begrüßenswert sie sind, zwei Jahre zu spät. Das hätte gesagt werden müssen, als der Vertrag mit der DDR ausgehandelt und geschlossen wurde.
Herr Bundeskanzler, Sie haben über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag gesprochen

(Abg. Dr. Marx: In welcher Weise! — Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Sehr eigenartig!)

und haben festgestellt, daß das Bundesverfassungsgericht die Gültigkeit des Grundvertrages bestätigt habe. Aber, Herr Bundeskanzler, das ist nur die halbe Wahrheit;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn das Bundesverfassungsgericht hat die Gültigkeit des Grundvertrages nur nach Maßgabe der Gründe bejaht, die dem Tenor folgen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte Sie daran erinnern, Herr Bundeskanzler, daß sich unter den Gründen des Bundesverfassungsgerichts, die es zu seinem Urteil gegeben hat, die These befindet, daß das Schießen an der Mauer gegen den Grundvertrag verstößt. Ich bitte Sie dringend, aus dieser Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, wenn Sie sich schon darauf berufen, die Konsequenzen zu ziehen und Ihren Vertragspartner, die DDR, auch in diesem Punkte — und besonders in diesem Punkte — auf die Unvereinbarkeit der Praxis mit dem Grundvertrag hinzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im Bereich der Europapolitik hatte der Pariser Gipfel im Oktober 1972 große Hoffnungen geweckt. Aber die Ergebnisse des Jahres 1973 blieben leider weit dahinter zurück. In der Nahostkrise, sicherlich eine der großen Bewährungschancen der europäischen Politik, zeigte sich Westeuropa unentschlossen und schwach, und es bewies einen bedauerlichen Mangel an Solidarität. Es war zu schwach, eine eigene Rolle in dem Konflikt zu spielen, und es verschenkte nach meiner Meinung die Chance, an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika einen konstruktiven Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens in diesem Raume zu leisten.
Der Kopenhagener Gipfel gab dann vor einigen Wochen dem europäischen Gedanken noch einmal wieder Auftrieb, und die Resolutionen, die dort gefaßt wurden, klangen gut; ich selbst habe sie seinerzeit ausdrücklich begrüßt. Indessen trat nach wenigen Tagen in Brüssel die tiefe Enttäuschung ein. Es kam zu einem Konflikt zwischen der Bundesregierung und der britischen Regierung über die Ausstattung des europäischen Regionalfonds. Nun möchte ich ganz klar sagen, daß ich nicht der Meinung bin, daß die Bundesregierung jede Forderung
erfüllen sollte, die ein westlicher Partner an sie richtet. Ganz sicher nicht! Aber so war hier die Lage doch keineswegs. Die Kommission, die Sachwalterin der Interessen der gesamten Gemeinschaft, hatte einen Vorschlag zum Regionalfonds vorgelegt, dessen Größenordnung viermal so hoch war wie das Angebot der Bundesregierung. Und hier, muß man doch feststellen, stimmt offenbar etwas in der Kommunikation nicht.
Wie ist es denn möglich, daß die Bundesregierung so außer jedem Kontakt mit der Kommission steht, in der doch immerhin zwei prominente deutsche Mitglieder sind, daß sie nicht weiß oder nicht rechtzeitig erkennt, daß sich hier eine Entwicklung anbahnt, die im europäischen Interesse unter keinen Umständen so hingenommen werden kann? Der Mangel an Kommunikation, der Mangel an Konsultation ist der Vorwurf, den ich an die Bundesregierung richte.
Ich muß Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, ich kann es auch nicht verstehen, daß Sie in Kopenhagen Seite an Seite mit dem britischen Premierminister Dokumente über die europäische Einigung unterzeichnen -- sicherilch wohlformulierte, gut klingende Dokumente — und die Tatsache, daß hier ein schwerer Konflikt offenbar im Begriff ist auszubrechen, dabei vollständig ignoriert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber die Sache wurde ja erst wirklich schlimm durch die — es tut mir leid, Herr Kollege Apel, daß ich das so sagen muß — rüden Verhandlungsmethoden des Parlamentarischen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0707600600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0707600700
Herr Kollege Carstens, ich will ja gerne von Ihnen Lehren entgegennehmen, um so mehr als Sie rein theoretisch mein Vater sein könnten.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Aber die Frage ist doch: woher beziehen Sie dieses Urteil? Und wenn ich nun also von Ihnen Lehren entgegennehmen soll, dann möchte ich das mal begründet haben. Ich habe das schon ein paar Mal von Ihnen aus Versammlungen gehört, und nun, bitte, kommen Sie mal über und sagen Sie, was rüde war.

(Abg. von Hassel: Im Fernsehen!)


Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0707600800
Herr Kollege Apel, wenn Sie mich hätten ausreden lassen, hätten Sie die Begründung sofort anschließend gehört. Es mag sein, daß das nicht in jeder Beziehung in den modernen Stil der politischen Auseinandersetzung mehr hineinpaßt, aber ich gehöre tatsächlich zu denen, die ihre politischen Thesen auch zu begründen pflegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Carstens (Fehmarn)

Ich halte Ihnen, Herr Kollege Apel, das Wort vor: „Wir sind nicht die Zahlmeister Europas."

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Natürlich sind wir nicht die Zahlmeister Europas. (Zurufe von der SPD.)

Aber wenn wir nicht die Zahlmeister Europas sind, dann wäre das eine Bemerkung, die nicht nur an die Adresse unserer westlichen Partner, sondern, wir mir scheint, gelegentlich auch an die Adresse unserer osteuropäischen Nachbarn zu richten wäre.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0707600900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0707601000
Nein, Herr Abgeordneter.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0707601100
Nein, Herr Kollege Apel, keine Zwischenfrage.

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0707601200
Ich möchte keine.

(Zuruf von der SPD: Ist das der neue Stil? — Weitere Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich — —(Abg. Metzger: Wo bleibt die Begründung?)

Ich habe Herrn Kollegen Apel die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage gegeben.

(Abg. Metzger: Die Begründung fehlt! Wo bleibt denn Ihre Begründung? — Abg. Dr. Apel: Zur Sache!)

— Meine Begründung ist die, daß ich diese Stunde nicht zu einem Dialog zwischen Herrn Kollegen Apel und mir benutzen möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte zu der Kreditgewährung an die osteuropäischen Staaten nur eine Bemerkung machen: Die Bundesregierung hat diese Kredite mehrfach mit dem Thema der Wiedergutmachung in Verbindung gebracht. Ich warne vor dieser politischen Sicht. Sie eröffnet unabsehbare Konsequenzen im Verhältnis zu den anderen osteuropäischen Staaten, und vor allem übersieht sie die Tatsache, daß die osteuropäischen Staaten samt und sonders auf die Geltendmachung von Wiedergutmachungsleistungen gegenüber der DDR verzichtet haben. Dies ist keine mögliche Politik. Ich sage das mit aller Nüchternheit und ohne jede Emphase. Es ist keine mögliche Politik, von der Bundesrepublik Deutschland unter dem Motto, sie sei ein Nachfolgestaat des Deutschen Reiches, Wiedergutmachungsleistungen zu fordern und die DDR von dieser Forderung auszunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zu Beginn dieses Jahres trat dann noch ein weiterer Rückschlag ein: Frankreich scherte aus der sogenannten Schlange der zu einem Währungsverbund zusammengeschlossenen westeuropäischen Staaten aus. Ich will die Ursachen und die Folgen dieses Schrittes hier nicht im einzelnen untersuchen. Er bedeutet ohne Zweifel einen schweren Rückschritt und einen Rückschlag für das Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion und für die politische Einigung Europas insgesamt. Aber, Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen darin zu: Wir dürfen die europäische Flinte nicht ins Korn werfen, wir dürfen die europäische Idee, den Plan und den Gedanken der europäischen Einigung nicht preisgeben. Wir haben zu ihm keine Alternative. Ich begrüße es daher, daß sich die Bundesregierung darum bemüht, den Rest der Schlange — wenn dieses Wort hier erlaubt sein mag — zusammenzuhalten.
Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika verschlechterte sich gleichfalls während dieses Jahres. Selten, meine Damen und Herren, hat ein Satz in einem Tätigkeitsbericht irgendeiner Regierung den Sachverhalt unrichtiger wiedergegeben als der Satz, den wir in dem vor uns liegenden gedruckten Tätigkeitsbericht finden und der da lautet: „Der konstruktive Dialog mit den USA wurde im Jahre 1973 fortgesetzt".

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Für mich klingt das wie Hohn, das muß ich leider sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn wir alle kennen die Schwierigkeiten, die im deutschamerikanischen; europäisch-amerikanischen Verhältnis entstanden sind.
Bitte, ich möchte hier wieder nicht mißverstanden werden: Ich bin keineswegs der Meinung, daß bei diesen Auseinandersetzungen die Amerikaner in allen Punkten recht hätten. Ich bin sehr wohl der Auffassung, daß es die Pflicht der Bundesregierung ist, den eigenen Standpunkt, den Standpunkt der westeuropäischen Interessen auch gegenüber den Vereinigten Staaten zu vertreten. Ich habe diesen Standpunkt immer eingenommen.
Aber eines muß ich sagen. Einen schweren Vorwurf kann ich der Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht ersparen. Im Nahostkonflikt, während des Höhepunkts der Krise, distanzierte sich die Bundesregierung schroff von ihrem amerikanischen Verbündeten, obwohl schon damals erkennbar war — dies ist jetzt immer deutlicher geworden —, daß die Vereinigten Staaten von Amerika durch ihr Eingreifen während dieser Krise einen entscheidenden Beitrag zur Wiederherstellung zunächst einmal eines Waffenstillstands in diesem Raum geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein schwacher Lichtblick zeichnete sich am Ende des Jahres ab. Präsident Nixon, die amerikanische Regierung, lud zu einer Energiekonferenz nach Washington ein, an der Westeuropa, Japan und die Vereinigten Staaten teilnehemen sollten. Die westeuropäischen Staaten akzeptierten diesen Vorschlag. Das begrüße und unterstütze ich ausdrücklich.
Lassen Sie mich am Schluß den Standpunkt der CDU/CSU zu dem großen Thema der Entspannungs-



Dr. Carstens (Fehmarn)

politik noch einmal zusammenfassen. Wir sind für Entspannungsbemühungen gegenüber den osteuropäischen Ländern. Ihre Andeutungen über Gegner der Entspannungspolitik und ein Vergleich dieser Gegner mit den Feinden der Entspannungspolitik drüben sind aber ganz und gar unangebracht, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber wir unterscheiden uns von der Politik der Regierung dadurch, daß wir ausgewogene Schritte der Entspannung fordern, daß wir die Einbeziehung Berlins fordern auch da, wo man auf Schwierigkeiten stößt, und wir fordern außerdem, daß die Sicherheit der Bundesrepublik, ihr Verband in der NATO und in der Europäischen Gemeinschaft, eindeutige Priorität haben muß. In diesem Zusammenhang erinnere ich noch einmal an die Verhandlungen in Wien über MBFR. Hier droht die Gefahr, daß die Bundesrepublik Deutschlandd in einen Verband zentraleuropäischer, sowohl west- wie osteuropäischer Staaten hineingenommen und dadurch eine neue Mauer, ein neues Hindernis für die europäische Einigung aufgerichtet wird. Ich möchte noch einmal sehr dringend darum bitten, daß die Bundesregierung in dieser Frage die französischen Bedenken, die genau in die gleiche Richtung gehen, ernst nimmt und ihnen, soweit das geschehen kann, Rechnung trägt.
Die Entspannungspolitik muß dem Zusammengehörigkeitswillen des deutschen Volkes Rechnung tragen. Wenn im Zuge der Entspannungspolitik, meine Damen und Herren, Karten zurückgezogen werden, die das Symbol der deutschen Einheit, nämlich das alte deutsche Reich darstellen, dann sind wir allerdings der Meinung, daß dies keine richtige Interpretation von Entspannungspolitik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind schließlich der Auffassung, daß Entspannungspolitik mit der Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung im Inneren gekoppelt sein muß. Diese Ordnung ist vielfach bedroht. Sie haben davon nicht gesprochen, Herr Bundeskanzler, aber die Tatsachen sind nicht zu leugnen. Angehörige der DKP wurden in Hessen und in Bremen zu Beamten berufen, und in Nordrhein-Westfalen standen der Ministerpräsident und der Justizminister auf dem Standpunkt, daß ein der DKP angehörender Funktionär Richter in diesem Lande werden sollte. An einer Reihe von Schulen in der Bundesrepublik Deutschland wird für die marxistische Ideologie geworben, und die freiheitliche Ordnung unseres Landes wird unter negativen Vorzeichen dargestellt. Dies geschieht auf Grund von Rahmenrichtlinien, die in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen von den dort verantwortlichen Kultusministern, den Herren von Friedeburg, Girgensohn und von Oertzen erlassen worden sind. An einigen deutschen Universitäten breiten sich Drohung, Einschüchterung und Gewaltanwendung aus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Terror!)

Die Freiheit der Lehre und die Meinungsfreiheit sind
in Teilbereichen dieser Universtäten aufgehoben.
Die Universität Bremen ist nach dem Urteil Sachverständiger, auch im sozialdemokratischen Lager, eine kommunistische Kaderschule geworden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Die staatliche Ordnung wird auch außerhalb der Universitäten in vielen Fällen in Frage gestellt. Ich darf einen Satz aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus den letzen Tagen vorlesen. Der Satz lautet:
Dieser Tage strebt das wilde Treiben einem neuen Höhepunkt zu. Die Stadt bietet das Bild einer vorrevolutionären Situation und die Behörden verhalten sich, wie es im Buch der Revolutionsgeschichte steht: unsicher, ratlos und ängstlich,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie der Kanzler!)

eine ständige Ermutigung für das politischakademische Bandenwesen.
Die Bundesregierung steht diesen Erscheinungen schwach und unentschlossen gegenüber. Mit einem Treuebekenntnis zur Verfassung allein, Herr Bundeskanzler, ist es nicht getan.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Auch ein Volksfest anläßlich der 25. Wiederkehr des Tages des Inkrafttretens des Grundgesetzes schafft das Problem nicht aus der Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie müssen Sie auch hier an Ihren Taten und nicht an Ihren Worten messen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir nun ein kurzes Wort über einen Aufsatz des Kollegen Wehner, der vor wenigen Tagen in der Zeitschrift „Die neue Gesellschaft" erschienen ist. Herr Kollege Wehner bezeichnet darin die soziale Marktwirtschaft und den Rechtsstaat als „ideologisch verknorpelte und deformierte Begriffe",

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU) aus denen man „herauskommen" müsse, (Abg. Dr. Marx: Unglaublich!)

damit „Ordnung durch Reformen" geschaffen werden könne.

(Abg. Dr. Jenninger: Der sächsische Landtag!)

Meine Damen und Herren, die Angriffe der SPD oder großer Teile der SPD gegen die soziale Marktwirtschaft sind uns bekannt. Nach unserer Auffassung — ich will das hier nur noch einmal bestätigen — steht die soziale Marktwirtschaft mit der freiheitlichen Lebensordnung in unserem Lande in einem unlösbaren Zusammenhang, und deswegen sind diese Angriffe so gefährlich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber neu ist der Angriff gegen den Rechtsstaat, gegen das Prinzip des Rechtsstaats aus dem Munde eines führenden Mitglieds der Sozialdemokratischen Partei. Denn unser Grundgesetz postuliert den Rechtsstaat, den sozialen Rechtsstaat, wie ich hinzu-



Dr. Carstens (Fehmarn)

fügen möchte. Und Rechtsstaat, meine Damen und Herren, bedeutet ganz klar die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung und die Bindung der Gerichte und der Verwaltung an Gesetz und Recht. Das ist der Kern des Begriffs „Rechtsstaat" in unserer Verfassung. Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis einer 2000jährigen und teilweise leidvollen Geschichte der Menschheit,

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Zu dem die Sozialdemokraten viel beigetragen haben!)

. die nämlich schließlich zu der Überzeugung gekommen ist, daß es gegen Diktatur und Gewalt keine bessere Sicherung in einem Staate gibt als ein rechtsstaatliches System.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wo der Rechtsstaat endet, setzen Terror, Unfreiheit, Unterdrückung der Meinung anderer, Drohung und Nötigung ein. Daher ist das rechtsstaatliche Prinzip in unserer Verfassung zu den unveränderbaren Grundsätzen unseres Grundgesetzes erklärt worden.
Nun hat sich der Herr Bundeskanzler heute mehrfach zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bekannt. Ich habe das wohl vermerkt. Aber wenn ich das Gewicht der Worte des Herrn Bundeskanzlers und das Gewicht der Worte des Herrn Kollegen Wehner gegeneinander abwäge, dann bin ich nicht beruhigt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Worte zu dem Tätigkeitsbericht der Bundesregierung sagen, der uns für das Jahr 1973 vorgelegt worden ist. Liest man diesen Bericht, so muß man feststellen, daß er sich weitgehend durch das Fehlen von Aussagen zu den wirklichen Problemen unseres Landes auszeichnet. Ich habe darauf vorhin hingewiesen.
Der Bericht hebt — das ist verständlich — das, was die Bundesregierung als ihre positiven Leistungen ansieht, hervor, darunter einige, die auch die Opposition als solche positiven Ergebnisse der letztjährigen Arbeit ansieht. Ich rechne dazu die Kartellrechtsnovelle, das Personalvertretungsgesetz, im sozialen Bereich das 16. Rentenanpassungsgesetz und jetzt, aus der jüngsten Zeit, die 3. Novelle zum Sozialhilfegesetz, alles Gesetze, denen auch die CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung gegeben hat und zu denen sie in einigen Fällen, wie ich glaube, wichtige Verbesserungen hinzugefügt hat.
Aber wenn man die Liste der Erfolgmeldungen genauer unter die Lupe nimmt, dann stellt man eben doch fest, daß ein großer Teil dessen, was hier als Erfolg, als entschieden, als Tatsache präsentiert wird, sich in Wirklichkeit noch auf Projekte bezieht. Dazu gehört die große Steuerreform, von der es schon jetzt höchst fraglich ist, ob sie verwirklicht werden kann. Indem nämlich die Regierung das als Einheit betrachtete Konzept auflöste, brachte sie das ganze Werk in Gefahr. Hinzu kommt die hereinbrechende Inflationswelle, die viele der Grundlagen dieses Steuerprojekts zu überrollen droht.
Von Mitbestimmung, beruflicher Bildung, Vermögensbeteiligung und Reform des Bodenrechts ist in dem Tätigkeitsbericht die Rede, und hier hat nun

( ebenfalls aus der Presse seit ein oder zwei Tagen wissen, daß die Regierung sich in den Fragen der Mitbestimmung und der Vermögensbildung geeinigt hat und demnächst entsprechende Gesetze vorlegen wird. Er hat dies getan, wenn ich das richtig beobachtet habe, unter dem starken Applaus seiner sozialdemokratischen Parteifreunde, dem allerdings wohl auf seiten des FDP-Partners eine wesentlich größere Zurückhaltung gegenüberstand. Aber wie dem auch immer sei, ich glaube, es wäre falsch, wenn ich jetzt den Versuch einer abschließenden Würdigung dieses umfangreichen und zum Teil auch sehr komplizierten Sachverhalts versuchen würde. Dies bedarf einer genaueren Prüfung in den Gremien unserer Fraktion, die wir dafür eingesetzt haben. (Abg. Dr. Nölling: Das sollten Sie Herrn Kohl mal sagen!)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Aber nein, Sie werden Herrn Kohl und mich nicht auseinanderdividieren, verehrter Herr Kollege!

(Abg. Dr. Nölling: Seine Äußerungen sind entsprechend!)

Ich will einen ersten Eindruck, dessen ich ziemlich sicher bin, Ihnen doch nicht vorenthalten. Sowohl dem Mitbestimmungsmodell wie dem Vermögensbildungskonzept liegt das erkennbare Ziel zugrunde, die direkte Mitbestimmung der Arbeitnehmer und der Bürger zu verhindern und an ihre Stelle Mitbestimmung durch Verbände, Gremien und Organisationen zu setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Es geschieht also das Gegenteil von dem, was die Regierung immer wieder so stolz verkündet, daß sie nämlich mehr Demokratie wagen wolle. Der einzelne wird hier weitgehend entmachtet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich denke da an die indirekte Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten und anderes mehr.

(Zurufe von der SPD.)

Das indirekte Wahlsystem, meine Damen und Herren von der SPD, gehört nicht zu den großen Errungenschaften demokratischer Tradition, das werden Sie mir wohl zugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will nur am Rande bemerken, daß die leitenden Angestellten in diesem Entwurf ganz schlecht wegkommen. Es ist durchaus möglich, daß ihr Vertreter im Aufsichtsrat eine Persönlichkeit ist, die noch nicht einmal das Vertrauen der Mehrheit der leitenden Angestellten dieses Betriebes genießt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gewollt!)

Von den großen, stolzen Ankündigungen der FDP zu diesem Thema ist offenbar in dem jetzt verabschiedeten Entwurf nichts übriggeblieben. Auch die Gremien, die in den Fonds über die Verwen-



Dr. Carstens (Fehmarn)

dung des angesammelten Vermögens zu entscheiden haben, werden ohne direkte Mitwirkung des einzelnen berechtigten Bürgers und Arbeitnehmers bestellt.

(Abg. Dr. Nölling: Stimmt doch nicht!)

Auch hier ist ein kunstvolles Verfahren vorgesehen, um sicherzustellen, daß der einzelne keine oder nur sehr begrenzte Rechte hat. Daß der Vorschlag der Regierung in einigen Punkten die Beschlüsse des Hamburger Parteitages der CDU übernommen hat, will ich nur am Rande erwähnen.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Sie sind ein Wortkünstler!)

-- Sie werden ja nicht bestreiten wollen, ,daß sich z. B. Ihre Konstruktionen beim Mitbestimmungsmodell weitgehend an das Hamburger Modell der CDU anlehnen.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

— Wir können darüber noch einmal ein besonderes Privatissimum veranstalten, Herr Kollege Schäfer. Es wird mir ein großes Vergnügen bereiten. —Aber dies darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß die entscheidende Forderung, die die CDU in Hamburg auf ihrem Parteitag erhoben hatte,

(Abg. Fellermaier: Die CSU nicht vergessen!)

nämlich dem einzelnen Arbeitnehmer, dem einzelnen Bürger persönlich zur Verfügung stehendes, persönlich verfügbares Eigentum aus Produktivkapital zu schaffen, nicht erfüllt wurde,

(Abg. Dr. Ehrenberg: Das machen wir auf freiwilliger Basis!)

daß dieses Ziel — das ist genauso das Ziel der CSU wie der CDU, Herr Kollege — in dem Vorschlag, den wir jetzt vor uns sehen, verfehlt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Gesamtbild, welches die Regierung in dem hinter uns liegenden ersten Jahr ihres Bestehens gezeigt hat, ist durch Unsicherheit, Unentschiedenheit und Schwäche gekennzeichnet; ich habe das im einzelnen dargelegt. Es gilt für die Bewältigung oder, richtiger gesagt, Nichtbewältigung der Inflation, der sich abzeichnenden Rezessionserscheinungen mit verstärkter Arbeitslosigkeit ebenso wie für die Politik gegenüber der DDR, gegenüber osteuropäischen Staaten, westeuropäischen Partnern und den USA, und es gilt für den Bereich der Auseinandersetzung mit den verfassungsfeindlichen Kräften.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

In der Gesellschaftspolitik hat die Regierung in letzter Minute vor dieser Debatte nach jahrelangem Ringen ein Konzept vorgelegt, über das wir uns im einzelnen genauer unterhalten werden. Dann wird sich auch zeigen, wieviel an Substanz hinter diesen Vorschlägen im einzelnen steht und wieweit die Rechte des einzelnen Bürgers und des einzelnen Arbeitnehmers in diesem Entwurf gewahrt oder, richtiger gesagt, nicht gewahrt worden sind.
Die Bilanz der Arbeit der Bundesregierung während ihres ersten Jahres ist überwiegend negativ,
und hierfür trägt der Bundeskanzler selbst die Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unser Land braucht in der vor uns liegenden schweren Entwicklungsphase eine handlungsfähige Regierung, die die Probleme mit Entschiedenheit, vor allem mit innerer Geschlossenheit angeht. Es braucht auch eine klare Verantwortung der Regierung im Verhältnis zu den sie tragenden Parlamentsfraktionen.
Uns steht, meine Damen und Herren, allem Anschein nach ein ernstes Jahr bevor. Versuchen wir, jeder an seinem Platz, das uns Mögliche zur Lösung der Schwierigkeiten beizutragen!

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707601300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0707601400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht wundern, wenn ich sage, daß ich in allen wesentlichen Fragen völlig anderer Auffassung bin als mein verehrter Herr Vorredner.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Er hatte angekündigt, daß er die Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Lageentwicklung, mit einer Darstellung und Abmessung der Rückschläge der auswärtigen Politik und — als Knüller am Ende — der andauernden Aktivität verfassungsfeindlicher Gruppen behandeln wolle. Das haben wir nun erlebt, und ich muß sagen, der Bundeskanzler hat recht, wenn er sagt, die innenpolitische Bilanz sei positiv. In diesem Punkt hat nicht Herr Carstens recht, sondern der Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Was Sie dazu zu sagen hatten, ist sowohl, was die
wirtschaftliche Lage betrifft, als auch, was die anderen Punkte betrifft, doch ziemlich mager gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich empfehle Ihnen übrigens, Herr Kollege Carstens — Sie werden es vielleicht schon gesehen haben, aber man hat nicht gedacht, daß das ausnützbar wäre und wohl auch attraktiv wäre, so wie Sie andere Zettel aus dem Zettelkasten ausgenützt haben —, schauen Sie einmal nach, was Ihre Schilderung der inneren Entwicklung der Bundesrepublik und Ihr Vibrieren der Stimme in bezug auf die Zustände, unter denen die Menschen hier leben, betrifft. Darüber können Sie sich in einem Organ informieren, das, wenn auch anders ausgezogen, Seite an Seite mit Ihnen diese Regierung Brandt bekämpft — ich meine den „Spiegel".

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Sie lachen gern, das weiß ich; nur: irgendwann werden Sie ja einmal aufhören müssen zu lachen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)




Wehner
Denn Ihr Lachen wird auch Sie selbst nicht dauernd selbst befriedigen, obwohl Sie sonst Selbstbefriediger sind.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Ich möchte Ihnen nur sagen: Wir haben heute eine Situation, in der sowohl in bezug auf Sie als auch in bezug auf eine Öffentlichkeit, auf die Sie spekulieren und die Sie entsprechend zu massieren und massieren zu lassen versuchen, nur das wirkt, was als Kontrast, als Versagen dargestellt wird. Und genau weil der Bericht der Bundesregierung — 52 Seiten Tätigkeitsbericht — kein Versagen ist, müssen Sie den Eindruck erwecken, daß er nichts wert ist. Das hat übrigens einer Ihrer Parlamentarischen Geschäftsführer schon am selben Tag gemacht, bevor die Drucksache mit der Nummer, ,die Sie ja kennen, im Bundestag überhaupt erschienen war.
Und gucken Sie sich bitte den „Spiegel" an! Dort muß man auch im Kontrast herausfinden, wie — weil sie dort ja nicht die Bundesregierung und die Bundesrepublik loben wollen, weil sie eine Darstellung der krisenhaften Entwicklung Großbritanniens geben, wenn sie dann notgedrungen Vergleichszahlen nehmen — 'die Bundesregierung in diesen Vergleichszahlen abschneidet. Ich habe mir das jedesmal grün unterstrichen; ich lege und lese es Ihnen nicht vor; Sie haben ja auch alle den „Spiegel" und bedienen sich seiner.

(Abg. Dr. Jenninger: Scheißblatt!)

— Nicht einmal das, hat kürzlich der Kanzler gesagt,

(Heiterkeit)

und ich teile da die Meinung: nicht einmal das. Ein Blatt! Ein Blatt, weiter gar nichts.

(Lachen bei der CDU/CSU. Abg. Dr. Marx: Der Gaus freut sich!)

— Hören Sie mal, Sie können mich doch am Schlusse meines Parlamentarierlebens nicht aus der Fassung bringen, Sie!

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie haben, Herr Carstens — Sie waren ja vorsichtig in bezug auf das, was Sie damit anrührten, aber Sie mußten es ja anrühren, sonst denkt man, Sie seien nicht genügend allround, und Sie müssen doch so erscheinen; ich kann Ihnen das direkt nachfühlen, obwohl ich solche Stadien nie durchzumachen hatte —,

(Heiterkeit — Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Wie bescheiden!)

von der inflationsbedingten Erhöhung der Lohnsteuer gesprochen. Überlassen Sie das Ihren Fachdemagogen! Die werden uns dann — Sie haben es selber gesagt — morgen entsprechend einpeitschen. Hier ein nüchternes Wort: Die CDU hat als eine Partei, die so tut, als verkörpere sie nicht nur den Staat, sondern als verkörpere sie ihn eigentlich völlig allein, vor allen Dingen, als sei allein sie diejenige, die sich auf die Verfassung berufen könnte, —

(Zuruf des Abg. Reddemann.)

— Sie kriegen Ihr Gehalt für Ihre eigene Fraktion und nicht, um mich zu bedienen, Herr Geschäftsführer von der anderen Seite; Sie werden es auch versteuern, nehme ich an.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir werden ja die Steuerdebatte haben, und das wird so sein, daß wir es in Wirklichkeit mit einer Inflation Ihrer Verlockungen, Ihrer Versprechungen, Ihrer Vorschläge und Ihrer Scheinforderungen zu tun haben. Haben Sie keine Angst: dafür werden Sie auch genügend bedient werden.
Was Sie da sagen, Herr Carstens, daß die Ölabhängigkeit der deutschen Wirtschaft unter den SPD-Wirtschaftsministern gestiegen sei, wird sicher noch spätere, die sich in Ruhe damit befassen werden, tatsächlich gelegentlich reizen. Da fangen Sie eine Debatte darüber an, wer wem — denen, die mit der Ölabhängigkeit gemeint sind —

(Zuruf von der CDU/CSU)

-- ja sicher! — nähersteht; das ist doch ganz klar.

(Abg. Reddemann: Jetzt wird wieder aus „Onkel Herberts" alter Klassenkampf-Trickkiste hervorgezaubert! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Was die Banken betrifft: Daß Sie eine Vorleistung auf den hessischen Landtagswahlkampf glaubten machen zu müssen, hatte ich geahnt.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ja, bitte sehr. — Es war ja auch sonst ganz
schwach. Da werden Sie sich nun in Hessen produzieren können. Tun Sie das man, tun Sie das man!

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber im Ernst: daß Sie es fertigbringen, hier uns sozusagen moralisierend belehren zu wollen über Fluglotsen, — Sie leben doch von dieser Art Gewerkschaftszerstörern! Die Kassebohms sind doch die Freunde, die Sie haben!

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch von der CDU/CSU.)

— Natürlich! Sie sind nur klug genug, das jetzt nicht zuzugeben. Sie sind die Zerstörer von Gewerkschaften. Auf der einen Seite haben Sie die Gewerkschaften gefeiert, weil sie maßvoll waren, nachdem sie im vorigen Jahr maßvoll, wie man das damals nannte — ich habe solche Bewertungen unterlassen —, 8,5 abgeschlossen haben, haben sie erlebt, daß sie zwei, drei Tage später nicht nur ausgelacht, sondern die Preise weit überhöht worden sind und inzwischen wieder die Unsummen dieser betrieblichen Extras ihre Wirkung erzielt haben.

(Zuruf des Abg. Reddemann.)

Sie wollen ja keine wirklichen Gewerkschaften, Sie wollen gezähmte Gewerkschaften.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Was Sie aber jetzt machen, wird uns allen — feixen Sie doch nicht dämlich! —

(Beifall bei der SPD)




Wehner
mindestens so zusetzen können, wie das einem gewachsenen Staat mit demokratischer Verfassung wie Großbritannien inzwischen schon geschieht.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Seien Sie dann bitte nicht hochmütig, noch von „englischer Krankheit" zu reden. Sie werden noch feixen am Grabe der zweiten deutschen Republik, das sehe ich voraus.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU. — Glocke des Präsidenten.)

Denn Ihre Art — —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707601500
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0707601600
Nein, danke. — Ihre Art der Behandlung der Fluglotsenproblematik schürt — und das wollen Sie auch — die Ansteckungsgefahr durch das, was Sie hier heuchlerisch den „Präzedenzfall" nennen. Das ist natürlich der Anfang der Zersetzung gewerkschaftlicher Solidarität, Solidität und Tarifpartnerschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist das, natürlich. Wer aber darüber zuletzt zu weinen hat, das wird die Geschichte noch einmal nachweisen, meine Herren!

(Ironische Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Wenn Sie so weitermachen!)

Zu lachen wird dann niemand etwas haben, auch Sie nicht, die Herren Barone und sonstige, die sonst nichts für Gewerkschaften übrig haben.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Kroll-Schlüter: Das müssen Sie der DKP sagen! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kommunistische Redeweise! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Was die Rückschläge der Außenpolitik betrifft, Herr Carstens, muß ich Ihnen zugestehen, daß Sie wenigstens in bezug auf die Erwähnung des Nahostkrieges eine gewisse Mäßigung an den Tag gelegt haben. Daß Sie aber — das muß ich Ihnen sagen —, das dann hinterher noch einmal zurücknahmen — und in dieser Frage sollten wir uns nicht in Konfrontation versuchen — und fortgesetzt die Verdächtigung des Verhältnisses unserer Regierung zum amerikanischen Verbündeten wiederholt haben, damit haben Sie das, was Sie vorher mäßig, ein wenig gemäßigt zu Nahost gesagt haben, faktisch wieder aufgehoben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Verhältnis zum Kanzler!)

Nun, Sie haben sich den Spaß gemacht, „viermal Wehner" zu nehmen; der kam dann auch noch mal beim Anhang. Nur, um es — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie wohl geschmerzt!)

— Gar nicht! — Ich muß Ihnen dann sagen: ich habe Herrn Carstens erlebt, als Staatssekretär und vorher, als er Bremen nahestand. Ich habe ihn nacherlebt in seinem Buch — natürlich auch in dem —, und ich habe noch manches sonst in meinem Koffer, was ich von Carstens in Erinnerung habe.

(Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Nur Sie, Sie sagen hier: Wehner im Falle Prag, die Berlin-Position sei überzogen worden. Unterrichten Sie sich wenigstens richtig — obwohl es eine vergebliche Aufforderung ist —: hier hat es sich darum gehandelt, daß ich monatelang mich zurückhaltend, aber erkennbar dafür eingesetzt habe, es möge endlich aus dem Stadium der Sondierungsgespräche und der Vor-Vor-Vor-Verhandlungen übergegangen werden zu den Vertragsverhandlungen über die Regelung zu einem Nachbarstaat, der seinerzeit mit dem Münchner Abkommen gewaltsam in eine Lage gebracht worden ist, die doch auch Sie nicht begrüßen,

(Zuruf von der CDU/CSU.)

es sei denn, Sie hätten da noch Hintergedanken, was das Münchner Abkommen betrifft und mögliche Wiederholungen betrifft in der Geschichte. Die gibt es nicht.

(Zurufe und Pfui-Rufe von der CDU/CSU.)

Dann haben Sie mir vorgeworfen, im Falle Berlins hätte ich größeres Entgegenkommen befürwortet oder empfohlen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie kalter Krieger!)

Wissen Sie, was ich noch immer ohne Abstriche empfehle, ist, keine Illusionen zu haben und nicht eine Politik des Als-Ob zu bauen, wie Sie sie in Wirklichkeit der Mehrheit und der Regierung durch Ihr obstinates Verhalten in Berlin-Fragen und in anderen Fragen aufzunötigen versuchen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt hier „ostinat" ?)

Sie haben gesagt, ich hätte die Freizügigkeitsfragen unrealistisch betrachtet. Das ist eine Fälschung; aber gegen Fälschungen ist man nicht gefeit.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Was haben Sie denn gesagt?)

Ich sage nur: keiner der Verträge ist ein Vertrag über Freizügigkeit. Das ist zu bedauern; aber solche Verträge waren nicht erreichbar, die hätten auch Sie vorher, falls Sie sie gewollt hätten, nie erreicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was wir machen und worum wir uns kümmern, das ist, daß wir millimeterweise, weitgehend Boden für das, was Sie „Freizügigkeit" nennen, und für das, was wirklich einmal „Freizügigkeit" genannt werden kann, bereiten helfen. Notfalls kratzen wir mit den berühmten Fingernägeln aus dem Schuttberg auch alter Politik — nicht nur alter Politik, sondern der realen Lage nach dem zweiten Weltkrieg — Ansätze zu solchen millimeterweisen Schritten heraus.



Wehner
Was Sie mir mit den Umtauschquoten anhängen wollen: ich nehme es Ihnen ja nicht übel, Herr Carstens, daß Sie nicht so oft und so lange im Plenum sein können; Sie haben mehr zu tun als ich. Aber wenn Sie die Aktuellen Stunden des Dezember, die letzte vom 13. Dezember vergangenen Jahres, nehmen, dann werden Sie genau sehen, daß ich das als eine „miese Sache" bezeichnet und daß ich gesagt habe: Es muß versucht werden, dies zu ändern. Was Sie also mir unterstellen, ist eine Ihnen wahrscheinlich zur Verfügung gestellte Fälschung; denn daß ich nicht die Ehre habe, daß Sie direkt auf mich hören oder etwas von mir lesen, ist mir klar, und das werfe ich Ihnen auch nicht vor.
Nur ein Unterschied besteht zwischen Ihnen und mir absolut

(demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Seiters: Noch mehr! — weitere Zurufe von ,der CDU/CSU)

— Moment noch mal! —: Im Unterschied zu Ihnen habe ich für diese Verträge gekämpft,

(Beifall 'bei den Regierungsparteien — Abg. Dr. Jenninger: In Moskau!)

zusammen mit der Mehrheit des Bundestages, auch wenn es damals weh tat, wie uns da von Ihnen die Knüppel nicht nur zwischen die Beine, sondern ins Rückgrat geworfen wurden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie doch mal einen!)

Ich sage Ihnen zu dem Unterschied: ich gedenke nicht, Sie diese Verträge aushöhlen zu lassen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie tun es doch! — Abg. Haase [Kassel] : Sie wollen sie erfüllen!)

wie Sie es tun, die Sie sie in Wirklichkeit umkehren wollen.
Die Stimmung ist jetzt etwas günstiger. Das danken Sie jenen, die dort drüben ihre Art von Vertragspolitik machen.

(Abg. Dr. Jenninger: Indem sie Kaffee trinken!)

Das konnte auch nie anders sein. Ich habe noch nie gesagt, daß sie sich durch einen Vertrag mit uns wandeln. Ich war aber der Meinung, wir brauchen Verträge, wenn wir überhaupt einen Fuß auf den Boden kriegen wollen. Das ist eine Notwendigkeit des Realismus, nichts anderes.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reddemann: Bis der Fuß zerquetscht wird!)

Aber, wissen Sie, in dieser Frage hat man ja schon manches erlebt, und das auch. Sie brauchen das natürlich, denn Sie gehören ja zu denen, von denen manche, ob immer mit Wissen aller ihrer Unionsfreunde — Sie sind ja alle gute Freunde — oder nicht, immer wieder in Warschau und in Berlin (Ost) und in

(Zuruf von der CDU/CSU: Moskau!)

— Moskau direkt auch — sind, um deutlich zu machen, daß sie es mit denen besser könnten als
wir. Nur, bei uns arbeitet man da nicht so mit Indiskretionen.

(Abg. Strauß: Sie sagen es nur!)

Ich werfe es Ihnen auch nicht vor. Nur, zu Ihrer Art Taktik gehört es, hier diese Verträge und uns, die wir sie durchgekämpft haben, mehr und schlimmer als madig zu machen und zugleich an den drei genannten Orten durch geeignete Kavaliere, die Sie auch haben, zu sagen, wir sollten doch — —; Sie werden sehen, eines Tages ändert sich das hier in der Bundesrepublik. So sind Sie. Das ist in Ordnung. Sie haben eine andere Auffassung von gemeinsamer Verpflichtung für das eigene Land als wir.

(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

— Natürlich haben Sie die. Es kann auch nicht anders sein, weil Sie der Meinung sind, Sie bestimmen, wer sich hier zu diesem Land, zu diesem Volk zählen darf. Wenn Sie es könnten, würden Sie auch wieder Leute ausbürgern, wie das schon einmal geschehen ist.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, da zuckt mancher, Herr Kollege, seinen schönen Mund. Hören Sie mal, wer Hitler erlebt hat, wird zwar wissen, daß es einen Unterschied zwischen rechts, reaktionär und Schlimmerem gibt; aber diese Art Attitüde, so zu tun,

(Zuruf des Abg. Reddemann — weitere Zurufe von der CDU/CSU)

als verkörpere man allein Volk und Land und Verfassung eines Landes, ist ein Berührungspunkt.

(Abg. Dr. Marx: Der ist ja nicht mehr ernst zu nehmen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich warne davor.
Es ist gut, daß Sie gesagt haben, auch Sie wollten Entspannung. Das brauchen Sie für diese inoffiziellen Unterhändler — und das müssen sie auch sein —, denn wer kann denn anders leben in einer Welt, in der — jedenfalls soweit wir sehen können
— die internationale Politik weitgehend durch das bestimmt wird, was Washington und Moskau in den beiden vergangenen Jahren über eine internationale Entspannungspolitik verabredet und in Abkommen gegossen haben.
Sie möchten die Enttäuschungen, die es in unserem Volk verständlicherweise darüber gibt, daß Deutschland in gespaltener Form zu den Verlierern des zweiten Weltkrieges gehört, im 25. Jahr nach dem Grundgesetz sozusagen auf uns ableiten und abwälzen, auf uns, die wir zu den Mitbegründern des Grundgesetzes und des Staates gehören, der aus Krieg, militärischem Zusammenbruch, aus Chaos und Besatzungsadministration hervorgegangen ist. Meine Damen und Herren, Sie rühren aber an den Grundfesten dieser Ordnung, wenn Sie das versuchen und daraus ein Jahr der Kampagne machen. Denn zu den Grundfesten dieser Ordnung gehört, daß Parteien ihre unterschiedlichen Ziele in Fragen der Politik auf dem Boden und im Rahmen desselben Grundgesetzes austragen, das keiner einzigen



Wehner
Partei allein gehört; keine Partei ist der einzige wirksame Interpret des Grundgesetzes.

(Abg. Jäger [Wangen]: Auch Wehner nicht!)

— Nein, auch ich nicht. Ich bin sogar sehr demütig angesichts dessen,

(Lachen bei der CDU/CSU)

was Krieg und kriegsverursachendes Einparteiregime diesem unserem Volke hinterlassen haben. Und dabei versuche ich, mit das Beste aus dem zu machen, was hinterlassen worden ist.

(Abg. Reddemann: Was Sie als das Beste ansehen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Das kann keine Partei allein. Dieser Staat gehört keiner Partei allein. Dieses Grundgesetz gehört keiner Partei allein.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das will ich Ihnen sagen. Denn Sie sind weder der Monopolausleger, noch vermögen Sie, was Sie auch immer anstellen, die Spaltung Deutschlands aufzuheben. Das vermag niemand, weder wir noch Sie. Man soll auch nicht so tun, als vermöchte man das.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Das Urteil geht alle an!)

Zusätzlich zu dem uns aufgezwungenen Antagonismus der beiden deutschen Staaten nähren Sie einen Parteienantagonismus, der unseren Staat zu lähmen und zu sprengen imstande sein könnte

(Abg. Jäger [Wangen]: Scheinheilig!)

und zu lähmen und zu sprengen droht, wenn die Einsicht in unserem Volk nicht stärker sein wird als Ihr blindwütiger Mutwille, mit solchen Fragen zu spielen.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Dieser blindwütige Mutwille ist doch, genau be-
sehen, nichts anderes als die Kehrseite Ihrer Enttäuschung über den Verlust von Regierungsmacht.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Wir sind hier doch nicht der Jusokongreß!)

— Nein, Sie haben ja auch keinen Bart. Deswegen erkenne ich das schon.

(Zuruf des Abg. Reddemann. — Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt weiß ich, warum Sie nicht nach München gefahren sind! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun hat der Bundeskanzler hier eine Geste gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat das Manuskript der Rede von München!)

Sie haben sie aber nicht aufgegriffen. Ich selber bin auch sehr skeptisch in bezug auf diese Geste — entschuldigen Sie —, weil ich Sie dabei im Auge habe. Denn Sie würden ja nicht zusammen mit den erklärten Feinden dieses Grundgesetzes und dieser
Ordnung, aber händereibend, weil auch Sie auf diesen Volksfestplätzen wären, dort mauern. Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Es ist angesichts Ihres jetzigen Zustandes und angesichts der Dinge, über die wir in diesem Jahr miteinander zu streiten und zu kämpfen haben werden, unmöglich, dies so möglich zu machen. Es sieht so aus, als hätten Sie die Absicht, sogar andere daran zu hindern, die Verfassung, d. h. das Grundgesetz, unserer Bundesrepublik zu feiern, weil Sie es so auslegen möchten, daß andere Parteien also, außer Ihrer Union, eben nach außen, an den Rand und am besten etwas über den Rand gedrängt werden.
Nun haben Sie mich hier zitiert. Ich hoffe, Herr Carstens, Sie lassen es dabei nicht bewenden, sondern lesen auch wirklich den ganzen Artikel; denn was Sie hier jetzt aufgepiekt haben, war nichts anderes als das, was vor Ihnen im gestrigen Veröffentlichungsdienst der Union Ihr Kollege Dr. Müller-Hermann aufgepiekt hat. Das war also von Ihnen noch einmal in den Mund genommen worden.
Wenn Sie den Artikel lesen, werden Sie dort u. a. finden:
Wenn sich über die Parteiengrenze
— die die Parteien des jetzigen Regierungsbündnisses scheidet —
hinweg eine ernsthafte Diskussion über die „historische Chance" eines Bündisses dieser Art entwickelte, wäre das für die Partner, für die Öffentlichkeit und nicht zuletzt für die innere Festigung unserer Bundesrepublik von erstrangiger Bedeutung. Das ist eine Mahnung
— so habe ich zu unterstreichen versucht —
an die Einsichtigen, die Deutschlands Entwicklung miterlebt oder nachvollzogen haben; auch an die jungen Menschen, die eine gleichermaßen historische Chance bekämen, die Bundesrepublik zu mehr zu gestalten als zu einem Zeughaus mehr oder weniger aufpolierter alter Rüstzeuge oder zu einem Staatswesen im Wartestand auf geographische Wiedervereinigung.
Das steht da erst mal. Aber das hatten Sie ja nicht aufgepiekt. Deswegen haben Sie es nicht auch schon entrüstet widerlegt. Ich lese weiter:
Eine solche offene Diskussion, deren Partner sich der historischen Gegebenheiten und Entwicklungslinien eben so bewußt wären wie der realen sozialen Verhältnisse und Notwendigkeiten, wäre die frische Luftzufuhr, die der bundesdeutschen Politik nottut, um aus den ideologisch verknorpelten und deformierten Begriffen „soziale Marktwirtschaft" und „Rechtsstaat" herauszukommen und vorzustoßen .. .

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

— Ja, hören Sie einmal! Haben Sie schon einmal erlebt, daß bei jemand, der durchaus gesunde Rükkenmarkswirbel und andere gesunde Körperteile hatte, etwas verknorpelt und deformiert werden konnte? Ich habe doch nicht diese Organe selbst angegriffen, sondern nur ihre Verknorpelung und De-



Wehner
formierung, die dadurch eingetreten sind, daß Sie sie hier ideologisieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin ja für den Markt, weil ich erlebt habe, was in Staatswirtschaftsländern geschieht, um so etwas wie Markt wieder herbeizuführen, und es geht nicht mit dem, was die mit der Wirtschaft dort zunächst gemacht haben. Bei uns läuft es umgekehrt: daß Markt ein Fetisch ist und in Wirklichkeit in mancher Hinsicht schon kein Markt mehr sein kann, weil durch Kartelle und andere Absprachen und durch in Wirklichkeit marktfremde, aber den Markt beherrschen-wollende Kräfte der Markt für den größeren Teil der Menschen kein Markt mehr ist, auf dem wirklich Wettbewerb herrscht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Worum es mir geht, ist, daß wir mit dieser Diskussion, die man hier sicher kaum führen kann — es sollte eine Diskussion zwischen den beiden Partnern sein —, vorstoßen — nun fahre ich fort —
zu der Erkenntnis, daß es nicht darum gehe, — wie manchmal gesagt und dargestellt wird —
Ordnung statt Reformen zu postulieren, sondern Ordnung durch Reformen zu schaffen.
Das ist die entscheidende Frage. Die ist bei Ihnen sogar im Zitat wieder ein wenig frisiert worden. Das gehört zu Ihrem Handwerk; Sie sind Friseure, wenn auch von hohem Grade und hohem Rang.
Dann habe ich gesagt:
Sie würde auch diejenigen, die sich anscheinend mit Reformen schmücken, aber sie schließlich doch nur dazu vorgeben, um wieder Gelegenheit zu gewinnen, alte Macht zu restaurieren, in die ihnen gebührende Ecke drängen.
Ich habe mir dabei einen Seitenblick erlaubt auf andere Länder, die mit uns einigermaßen vergleichbar sind, also westliche Länder, wovon ich sagte, ein solcher Blick auf die Parteienentwicklung in diesen Ländern sollte auch die Notwendigkeit einer solchen offenen, freimütigen Diskussion über die Grenzen der Koalitionsparteien hinweg bekräftigen. Das gilt im geographischen Sinne für den Norden des Kontinents wie für den Westen. Das westliche Europa und seine Europäische Gemeinschaft könnten nur gewinnen, und das wiederum wäre für das Partnerschaftsverhältnis zu den USA ebenso wie für die Beziehungen zum geographischen und politischen Osten erfrischend.
Meine Herren von der CSU und CDU, Sie dürfen sich nicht für alle Zeiten in der Sicherheit wiegen, daß, weil Sie nun die Rolle der Opposition ausüben, kein anderer neben Ihnen mit der gleichen Verve bis Demagogie anrennen kann; also sei, da Sie die einzige Verfassungspartei sind — vergröbert gesagt —, der Staat sicher. Sie werden so viel aufsaugen mit Ihrer Front Populaire von rechts, Herr Strauß, daß man kaum mehr unterscheiden kann, wieso es früher noch rechtsextremistische Gruppen gegeben hat, etwa im Zusammenhang mit der Rezession 1966.
Das besorgen Sie jetzt mit Ihren Stockschlägen gegen Steuerreformen, gegen andere damit zusammenhängende Dinge.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Entschuldigen Sie, Sie sind doch die klassische Oppositionspartei, die so auftritt: Höchstforderungen an die Staatskasse stellen, dieser gleichzeitig die Einnahmen versagen und insgesamt die Zuwächse der Haushaltsmittel als angeblich inflationsfördernd anzuprangern. Das sind die drei Bestandteile Ihrer ganzen Politik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich gönne Ihnen das. Aber da ist eine Einsicht bei mir, weil ich überzeugt bin, Sie haben genügend Wind in Ihrem Rücken. Sie werden noch die Zeit erleben, da werden Sie ihn in den Hosen haben!

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Dann ist es aber zu spät, weil es dann gar nicht mehr darauf ankommt, wie man angetreten ist.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Lachen Sie heute! Sie werden noch bereuen, was Sie hier spielen: Am selben Tag, an dem wir einstimmig ein Gesetz, das Dritte Änderungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz, annahmen,

(Zuruf des Abg. Reddemann)

haben Sie draußen, weil Sie Kontrapunkte setzen
müssen, durch dpa — es war eine Meldung Nr. 175
— mitteilen lassen, daß Ihr sogenanntes neues, von den Präsidien der beiden Parteien CDU und CSU am Anfang der Woche und dann am Freitag auch noch
— sozusagen in Größenordnungen — umschriebenes Sozialprogramm für den Schutz des ungeborenen Lebens 18,2 Milliarden DM im Jahr erfordere. Das ist Ihre Art. Unheimliche Forderungen, sich damit draußen beliebt zu machen, reale, wenn auch nüchterne Reformen damit hindern zu wollen und schließlich alles zusammen in jenen Topf hineinzurühren versuchen, von dem Sie dann sagen: — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn daran falsch?)

— Was da falsch ist? Ihre Forderungen sind doch Forderungen, die Sie, wenn Sie in Regierungsverantwortung wären, nie auch nur zur Hälfte zum Gegenstand Ihrer Programme machen würden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Da gibt es einige von Ihnen, die das sicher einsehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Jenninger.)

Nur, so macht man das Vertrauen zu diesem Staat kaputt; so macht man eine Entwicklung, in der man bei allem Zähneknirschen doch von Tarifpartnern, wenn es auch Tarifpartner mit gegensätzlichen Interessen sind, ausgehen muß, auch rückgängig, rückläufig.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie werden es erleben. Ich weiß nicht, wer diese Trümmer dann auf- und zusammenräumen soll.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)




Wehner
So einfach wird das nicht wie nach jener schrecklichen Feststellung, die man am Ende des zweiten Weltkriegs hat machen müssen.
Sehen Sie, wenn wir uns alle darauf besinnen könnten, daß der Bundestag ein Parlament ist,

(Zurufe von der CDU/CSU)

dann hätten wir heute eigentlich — und wir hätten ja noch Zeit — in scharfer Sachlichkeit debattieren müssen, meinetwegen tagelang.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja sicher, tagelang. Ich bestreite doch meine Schärfe nicht. Aber kommen Sie doch mal ran mit etwas, was Sie zu den 18,2 Milliarden pro Jahr zu sagen haben!

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Das können Sie nur niederbrüllen, Besseres können Sie dagegen nicht machen! Und so ist es mit all Ihren Punkten, die könnte ich hier aufzählen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Sehen Sie, wir haben diese Vorlage in der Drucksache des Bundestages 7/1434, datiert vom 12. 12. 1973. Bis heute ist hier in diesem Hause nicht auch nur ein Versuch gemacht worden, sachlich darüber zu sprechen. Das ist ein Tätigkeitsbericht von 52 Seiten. Zugegeben: trocken, nüchtern. Aber genau das behagt Ihnen nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Wir haben die Drucksache 7/1167, datiert vom 25. 10. 1973, konnte bis heute hier nicht beraten werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn?)

heißt „Sozialbericht 1973" und umfaßt mit Beilagen 389 Seiten. Sehen Sie, würden wir uns heute an das erinnern, was jedenfalls schriftlich vorgelegen hat in dem Bericht des Ausschusses, der für dieses dritte Gesetz zur Änderung des Sozialhilfegesetzes federführend war, dann würden wir finden, daß man sich dort zu Kompromissen hat bereit finden müssen. Das hat Sie — und das werfen wir Ihnen ja nicht vor nach der Ausschußverabschiedung nicht daran gehindert, zu versuchen, hier noch einmal Forderungen zu stellen. Ist Ihr Recht. Nur, da war ein Stück parlamentarischer Arbeit. Und würde man diese anderthalb Seiten in dem abgezogenen, maschinengeschriebenen Bericht lesen, dann würde man sagen: da steckt doch ein Stück Parlament drin. Aber wir würden dann nicht disputieren über Gespinste, ob das nun Hirn- oder Gefühlsgespinste sind, sondern über Geleistetes oder über, wie Sie in manchen Fällen wahrscheinlich sogar nicht zu Unrecht meinen, Versäumtes, über Unzureichendes und über notwendigerweise nach unserer Meinung Fortzuschreibendes.
Das ist in dieser Art, in der Sie darangehen, leider schwer durchzusetzen. Die Kollegen, die von meiner Fraktion heute sprechen werden, wollen — das ist unsere Auffassung — so viel wie möglich von der realen Arbeit, die Regierung und Parlament — und dabei Parlament in Mehrheit und Minderheit, ohne einen auszuschalten — dennoch geleistet haben, im
Zusammenhang mit diesem Tätigkeitsbericht deutlich machen, soweit das angesichts der von Ihnen nicht nur gewünschten, sondern angeheizten Atmosphäre möglich ist.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Und ich will Ihnen am Schluß sagen, daß Ihr Entschließungsantrag nach unserer Meinung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden sollte, denn darüber jetzt eine Art Abstimmung zu machen, das würden wohl auch Sie nicht für zumutbar halten.
Ich danke für Ihre Geduld.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707601700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bangemann.

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID0707601800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fand die Rede des Kollegen Carstens bemerkenswert. Sie bot einen bemerkerswert offenen Einblick in die Denkweise und vor allen Dingen in die Maßstäbe der Opposition, wofür ein schönes, ein fast nicht zu übertreffendes Beispiel seine Bewertung der Ölkrise war, und zwar hinsichtlich dessen, was an positiven Folgen aus dieser Ölkrise zu verzeichnen war. Er sagte — nicht wörtlich, aber sinngemäß —, als einziges positives Ergebnis der Ölkrise solle man festhalten, daß der Fluglotsenstreik beendet worden ist. Meine Damen und Herren! Wer so diese Krise beurteilt, die ja nicht nur eine Krise in der Rohstoffversorgung ist, die nicht nur eine Krise wirtschaftlichen Handelns ist, sondern die gleichzeitig auch eine politische Herausforderung bedeutet und auch von unserer Bevölkerung als politische Herausforderung verstanden worden ist — was übrigens auch als ein Beweis für Solidarität in einer solchen politischen Krise gewertet worden ist —, der geht mit dieser Charakteristik der positiven Auswirkungen der Ölkrise weit an dem vorbei, was man auch als Opposition daraus machen könnte.
Ich meine, daß in Zeiten der Schwierigkeit zwei politische Reaktionen möglich sind, die auch für die Opposition gelten: entweder eine Flucht in die vermeintliche Sicherheit der Vergangenheit oder aber der Mut und das Wagnis eines Schrittes in den offenen Raum der Zukunft, der allein neue wirkliche Sicherheit aufweisen kann.
Da kann man nicht, meine Damen und Herren von der Opposition, lebensnotwendige Vernunft und Phantasie durch Gefühle und Nostalgie ersetzen, die eben unfähig machen zur Bewältigung der Probleme, die Gegenwart und Zukunft bieten. Es gibt ja einige unter Ihnen, die sich darüber freuen, daß Konservatismus wieder in Mode kommt. Ich meine aber, man sollte sie daran erinnern, daß Mode zwar über Hutform und Kleiderlänge, aber sicher nicht über nüchterne politische Notwendigkeiten entscheidet. Diejenigen, die sich einmal darüber gefreut haben, daß viele Reformvorhaben im Wind einer modischen Bewegung nur scheinbar leicht erschienen, sollten sich jetzt daran erinnern, daß dieser andere modische Wind auch einmal ihnen ins Gesicht wehen kann.

(Zuruf des Abg. Reddemann.)




Dr. Bangemann
Ich will das einmal an den Beispielen aufzeigen, die hier von Ihnen mit großer Behutsamkeit, Herr Carstens, behandelt worden sind, nämlich an den Beispielen der Mitbestimmung und der Vermögensbildung. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie sich selber dazu nicht im einzelnen geäußert haben und dieses den Experten Ihrer Fraktion überlassen wollen. Das ist sicher auch eine taktische Maßnahme, damit Sie in dieser Frage zunächst einmal über die notwendige Munition verfügen.
Es geht auch gar nicht darum, daß Sie jetzt hier mit Herrn Kohl auseinanderdividiert werden sollen. Das brauchen wir gar nicht zu besorgen; dazu muß man sich nur einmal die Äußerungen von Herrn Strauß und Herrn Köppler ansehen. Während Herr Strauß meint, mit diesen beiden Reformvorhaben, welche die Regierung und die Koalitionsfraktionen nun in den Grundzügen vereinbart haben, sei ein erster Schritt sozusagen in den Sozialismus gemacht worden, stellt Herr Köppler fest, im Grunde hätten Regierung und Regierungskoalition nichts anderes getan, als das Hamburger Programm zu vollziehen. Dieser Gegensatz muß nun irgendwo aufgelöst werden, denn beides kann ja wohl nicht stimmen.
Die direkte Mitbestimmung, die Sie vermissen, Herr Carstens, betrifft natülich gleichzeitig auch die Frage, wie Sie denn ein solches System von Demokratie auffassen wollen. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß die Versuche, die einige Kollegen von der SPD gemacht haben, um das wirklich schwierige Prolem des imperativen Mandats vor dem Hintergrund der repräsentativen Demokratie zu behandeln, bei Ihnen auf völliges Unverständnis gestoßen sind. In bezug auf solche Denkansätze haben Sie nicht die direkte Demokratie ins Spiel gebracht, sondern dort begann für Sie offenbar schon ein Weg, der aus der Demokratie herausführte. Wenn das aber so ist, dann unterschätzen Sie natürlich auch den Wert einer repräsentantiven parlamentarischen und auch repräsentativen demokratischen Mitwirkung bei der Mitbestimmung, wenn Sie Anstoß daran nehmen, daß nicht die unmittelbare Entscheidung eines jeden einzelnen zur Wahl etwa von Unternehmensvertretern führt, sondern dieses über ein Wahlmännergremium zu geschehen hat.
Das ist, Herr Kollege Carstens, wie Sie selber feststellen werden, wenn Sie mit den Experten etwas länger darüber gesprochen haben, zum Teil eine Notwendigkeit, die sich aus praktischen Forderungen ergibt; zum Teil ist es einfach ein großes Vertrauen in ein solches System repräsentativer Demokratie. Natürlich ist es so — das bestreiten wir ja auch gar nicht , daß die beiden die Regierung bildenden Fraktionen in beiden Bereichen von sich aus unterschiedliche Vorstellungen entwickelt hatten. Das ist ja auch kein Geheimnis; dazu braucht man nur einmal die beiderseitigen Programme — in Freiburg und in Hannover verabschiedet durchzulesen. Ich habe manchmal den Eindruck, Herr Carstens, daß Sie diese beiden Programme nicht gelesen haben, denn sonst könnten Sie nicht mit so schöner Naivität behaupten, daß die CDU in Hamburg etwas völlig Originäres beschlossen habe, was wir jetzt nachvollzögen. Die Wahrheit ist: Wir vollziehen unsere Programme nach, und Hamburg war ein kleiner
Abklatsch dessen, was die beiden Koalitionsparteien vorher schon geleistet hatten — in den positiven Zügen, möchte ich einschränkend hinzufügen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU.)

Es ist richtig, meine Damen und Herren, daß die FDP großen Wert darauf gelegt hat, den Faktor Disposition --- wie wir das in Freiburg genannt haben — in die Mitbestimmungsdiskussion einzuführen.

(Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Wo ist er denn jetzt geblieben?)

— Ich will Ihnen gerade erklären, wo er geblieben ist. Er ist zum ersten Mal, wenn Sie das überhaupt einmal in dieser Diskussion zur Kenntnis nehmen wollen, in einem Entwurf, der die Grundlagen des zukünftigen Gesetzes markiert, verzeichnet,

(Zuruf von der CDU/CSU: Derzeit!)

und er ist in einer Mindestmitwirkung im Aufsichtsrat verankert. Sie wissen sehr genau, daß den leitenden Angestellten in jedem Fall ein Sitz zusteht. Zweitens, und das scheint noch bedeutsamer zu sein, findet das prozentuale Gewicht der leitenden Angestellten — übrigens der Angestellten überhaupt — darüber hinaus Berücksichtigung, wenn die Gruppe in einem bestimmten Unternehmen über das Mindestmaß hinaus vertreten ist.
Wir haben auch in der Vermögensbildung ein Konzept vorgelegt, das sich nicht dadurch negativ charakterisierten läßt, daß man sagt, es sei kein unmittelbar eigenes Eigentum zu erwerben. Das ist einfach falsch. Der Unterschied zu dem, was Sie vorschlagen, besteht vielmehr in der überbetrieblichen Beteiligung, aber natürlich nicht in der Form der Zuweisung solchen Vermögens an den einzelnen Berechtigten. Es liegt völlig frei verfügbares persönliches Eigentum nach gewissen Festlegungsfristen, gegen die Sie wohl hoffentlich nichts einzuwenden haben werden, vor, das auch nicht etwa dadurch negativ zu charakterisieren wäre, daß es Fondscharakter trägt. Sie werden wohl nicht ernsthaft behaupten wollen, daß persönliches Eigentum nur dann vorliegt, wenn man Aktien einer ganz bestimmten Firma erwirbt, nicht auch dann, wenn dieses Vermögen gleichzeitig einen Anteil an einem Fonds darstellt, der seinerseits wieder Anteile an Unternehmungen hält. Also ich sehe wirklich nicht — und da muß ich sagen, Herr Carstens, das scheinen Sie nicht richtig durchgelesen zu haben —, daß diese Kritik berechtigt sei. Ich kann natürlich verstehen, daß Sie sagen: Gut, unsere Prophezeiungen sind nicht eingetreten, darüber sind wir traurig. Es ist auch so gewesen, daß Sie der Koalition in den Bereichen Mitbestimmung und Vermögensbildung überhaupt nichts zugetraut haben, und zwar deswegen nicht, weil Sie in doppelter Weise unsere Fähigkeit zur Einigung und, weil Sie auch immer die Fähigkeit der Regierung zur Führung unterschätzt haben. Daß Sie mit diesen Prophezeiungen nicht Recht bekommen haben, mag Sie schmerzlich berühren, kann aber doch, wenn Sie ernsthaft diskutieren wollen, den Blick für die sachlichen Vorschläge nicht trüben. Sonst scheiden Sie ja auch aus



Dr. Bangemann
der Diskussion dieser Vorschläge noch aus, nachdem Sie selbst bis jetzt keine vernünftigen Vorschläge vorgelegt haben.
Ich meine, daß man den ernsthaften Versuch, den diese Regierung unternommen hat, die unbezweifelbaren Schwächen, die wir in der Gegenwart zu verzeichnen haben, auch in der Bundesrepublik, zu überwinden, um Zukunft zu gewinnen, nicht dadurch diskreditieren sollte, daß man mit juristischen und auch verfassungsrechtlichen Argumenten den Versuch, diese Schwächen zu überwinden, blockiert. Das kann nicht Inhalt unserer Auseinandersetzungen sein. Ich möchte Ihnen sagen, Herr Professor Carstens, ohne daß ich Ihnen damit etwas unterstellen will, daß der Versuch, Schwächen eines politischen Systems im Sinne einer Reform zu überwinden, noch niemals vom Konservativismus unternommen und noch niemals von ihm erfolgreich beendet worden ist.

(Zuruf des Abg. Carstens [Fehmarn].)

— Dann müssen Sie auch ernsthaft den Versuch unternehmen, was eine Regierung hier tut, richtig zu würdigen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber auch noch niemals vom Sozialismus! Wo ist denn das 19. Jahrhundert?)

— Sie werden den Zwischenruf nicht an mich richten wollen; denn Sie werden sicher zugestehen, daß ich nicht für eine sozialistische Partei spreche.

(Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Daran kann man neuerdings zweifeln! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Die Fragen des Sozialismus berühren mich hier nicht, sondern was an konkreten Vorschlägen vorgelegt worden ist, und da wissen Sie aus den vielen Diskussionen, die wir miteinander schon gehabt haben, daß ich versuche, auch das, was Sie dazu sagen, ernsthaft zu werten. Sie sollten das einmal anerkennen.
Ich will es an einem konkreten Punkt, nämlich der Frage des Verhältnisses zum Osten, noch einmal darlegen. Herr Carstens hat wieder die bekannte Klage geführt, es mangele an eindeutig formulierten Verträgen, die unbezweifelbar ohne Interpretationsschwierigkeiten eine Basis für den Prozeß der gegenseitigen Verständigung abgeben könnten. Ich war bisher immer der Meinung, Herr Professor Carstens, daß die juristische Ausbildung, die nicht sehr viele Vorzüge aufweist, ganz bestimmt einen hat, nämlich den, daß man gegenüber dem Glanz juristischer Argumentation immun wird, daß man beispielsweise Formulierungen, die in Verträgen stehen, so nimmt, wie sie dort stehen, und mit ihnen nicht den eigentlich unerfüllbaren Traum eines jeden Menschen verbindet, daß man mit Worten etwas so exakt ausdrücken könne, daß man sich nachher nur darauf zu berufen habe, ohne daß andere darin einen Zweifel setzen könnten. Das scheint mir eigentlich die Sperre zu sein, die Ihnen den Zugang zu einer richtigen Beurteilung der Entspannungspolitik verwehrt, weil Sie nicht zu der Erkenntnis durchgedrungen sind, daß es eben nicht eindeutige Formulierungen sind, die den Weg der Entspannung begünstigen und erleichtern können, sondern allein die praktische Politik, die man jeden Tag machen muß und an der man sich auch als Opposition jeden Tag beteiligen muß, wenn man ernsthaft einen Erfolg dieser Politik will.

(Beifall bei der FDP.)

Nun sind die Schwierigkeiten im Ost-West-Verhältnis eigentlich überlagert worden durch die Schwierigkeiten im Verhältnis Nord und Süd. Vor wenigen Monaten noch wurden alle diejenigen, die diese Schwierigkeiten als die zukünftigen bezeichneten, ein wenig als nicht ernst zu nehmende Propheten bezeichnet. Es hat sich leider in sehr kurzer Zeit herausgestellt, daß ihre Warnungen berechtigt waren. Dabei muß man meiner Meinung nach zweierlei unterscheiden. Die Tatsache, daß die rohstoffliefernden Länder ein anderes wirtschaftliches Gleichgewicht erstreben, daß sie ihre Rolle als rohstoffliefernde Länder nicht allein in der Funktion als Hilfswillige der Industrieländer sehen wollen, muß unterschieden werden von der Frage, auf welche Weise sie diese Politik durchsetzen wollen. Wir sollten als Industrieland deutlich machen, daß wir gegen ein neues Gleichgewicht wirtschaftlicher Gewichte und auch wirtschaftlicher Rechte nichts einwenden können, wenn wir es ernst meinen mit der Entwicklung gerade dieser Länder. Wir sollten aber ebenso deutlich machen, daß dieses wirtschaftliche Gleichgewicht mit politischen Pressionen nicht erreicht werden kann, daß also gerade die Entwicklungsländer, die rohstoffliefernden Länder, ihrer eigenen Sache einen sehr schlechten Dienst erweisen, wenn sie durch die Methode ihres Vorgehens Zweifel an ihren eigentlichen Zielen erwecken. Ich halte es — ich sage das ganz offen — für unerträglich mit einer solchen gedeihlichen Entwicklung, wenn Länder etwa die politische Auffassung von Chefredakteuren der einen oder anderen Zeitung zum Maßstab ihres politischen Handelns gegenüber dem Land machen, in dem dieser Chefredakteur arbeitet. Das ist der klassische Fall einer Einmischung in innere Verhältnisse, den man sich auch dann nicht gefallen lassen sollte, wenn man das historische Gewicht dieses Verhältnisses zwischen Nord und Süd sieht.
Wir sollten auch eines nicht tun — ich glaube, wir haben die beste Kenntnis von dieser Gefahr —: wir sollten hier nicht eine Hallstein-Doktrin mit umgekehrtem Vorzeichen zulassen. Sie wissen, daß die Fraktionen, die jetzt die Regierung stellen, gegen die Hallstein-Doktrin immer einen sehr gewichtigen Einwand hatten, der ja auch dazu geführt hat, daß wir diese Doktrin fast einmütig, glaube ich, verlassen haben: daß sie wirkungslos war, weil sie den Versuch unternahm, Politik mit Geldzahlungen zu betreiben. Es wurde eine bestimmte Politik eines Landes, ein bestimmtes Wohlverhalten eines Landes bestraft oder bezahlt. Wir sollten deutlich machen, Herr Kollege Carstens, daß wir uns eine solche Politik mit umgekehrtem Vorzeichen auch nicht gefallen lassen, wenn sie uns betrifft mit der Aufforderung, politisches Wohlverhalten zu zeigen, um dafür dann nicht Geld, aber irgendwelche Rohstoffe zu bekommen. Dies ist eine Politik, die strikt zum Ende internationaler Kooperation führen wird. Das ist ein



Dr. Bangemann
Weg, den wir alle nicht beschreiten wollen und der gerade auch nicht im Interesse von Entwicklungsländern liegt. Die Versuche, die wir zu verzeichnen haben, in die Autarkie zu flüchten, sind ja nicht schon an sich bedenklich, sondern deswegen, weil sie insgesamt, wenn sie als Trend auftreten, einen verhängnisvollen Weg ins Zurück aufzeigen, der allen an diesem politischen Geschehen beteiligten Ländern nur Nachteile bringen könnte.
Das sieht man auch ganz deutlich an dem Problem Europa. Sicher, das Ausscheiden Frankreichs aus der Schlange entspricht in einem gewissen Grade seinen legitimen Eigeninteressen. Dieses zu bestreiten, steht uns sicher nicht an. Aber ich glaube, man sollte ebenso deutlich hinzufügen, daß ein solches Verhalten, daß eine solche Berücksichtigung legitimer nationalstaatlicher Eigeninteressen nicht der Maßstab für zukünftiges Verhalten von Mitgliedsländern sein darf, wenn wir nicht die Solidarität und damit die Einheit der Gemeinschaft aufs Spiel setzen wollen. Das zu sagen, ist nicht eine Frage der Auseinandersetzung zwischen zwei Mitgliedsländern, sondern das ist eine Frage, in der Europa selbst berührt wird. Hier steht nicht nur das Gebiet Währung und Wirtschaft zur Debatte, und es nützt auch nichts, wenn man Schuld und Nichtschuld des einen und anderen aufwiegen wollte, sondern hier steht zur Debatte: Was wird aus Europa selbst? Und da muß ich Ihnen sagen, Herr Carstens, der Regionalfonds kann nicht einfach nur von der Frage her beurteilt werden, in welcher Höhe die Bundesrepublik bereit ist, Beiträge zu leisten — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat das denn getan?)

— Doch, ich habe vermißt, ,daß Sie auf den sehr wesentlichen Punkt eingegangen wären, daß mit diesem Regionalfonds und mit der Art, wie die Kornmission diese Politik vorgeschlagen hat, ja gleichzeitig auch die Frage zur Debatte steht, wohin dieses insgesamt aufgebrachte Geld zu fließen hat. Da ist es eben nicht ausreichend, wenn man einen durchschnittlichen Maßstab anlegt und sagt, jeder, der diesen Durchschnitt nicht übersteigt, erhält etwas aus diesem Regionalfonds, sondern da ist die Haltung der Bundesregierung — gerade im Interesse dieses Regionalfonds — wesentlich konstruktiver; die Bundesregierung hat ja gesagt, wir müssen unter diesen Durchschnitt gehen, wenn wir den einzelnen dann wirklich eine fühlbare und wirkungsvolle Hilfe angedeihen lassen wollen. — Ich entnehme Ihren Reaktionen, daß Sie dem zustimmen, aber Sie hätten es dann vielleicht sagen sollen; denn insoweit ist die Haltung der Bundesregierung, was den Regionalfonds angeht, nicht zu tadeln, und ich glaube, daß ihr neuer Vorschlag, den sie jetzt gemacht hat, hoffentlich dazu beiträgt, die etwas verhärteten Fronten aufzuweichen.
Ich darf aber an diesem Punkt noch einmal wiederholen, was ich schon einmal zu dieser Frage Europa gesagt habe, damit sich niemand darüber täuscht. Ich bin nicht der Meinung, daß die glatten Formulierungen, die manchmal auf Gipfelkonferenzen gefunden werden, diese Schwierigkeiten auf
Dauer beseitigen können. Sie sind dann nützlich, wenn in einer politischen Situation eine Mißstimmung beseitigt werden muß, wenn man auch einmal vielleicht in der Öffentlichkeit eine Entwicklung einleiten sollte, die eine bessere politische Bewegung Europas deckt und möglich macht. Aber wenn es nur bei diesen Formulierungen bleibt, wenn dem dann nicht die europäische Solidarität in den praktischen Schritten der Politik folgt, dann werden wir Illusionen wecken, die heute schon gefährlich sind, weil viele heute an diesem Europa verzweifeln wegen der Diskrepanz zwischen den großen, glatten Formulierungen und der harten, realen, nüchternen Wirklichkeit. Ich glaube, das sollten wir sehen, und da sollten wir eben über das hinausgehen, was Sie gesagt haben, und wir sollten einmal versuchen, gemeinsam einen Weg zu finden, einen Mechanismus, der gewährleistet, daß wir in dieser europäischen Einigung vorankommen können.
Nur zwei Wege scheinen mir möglich zu sein. Wir müssen, genauso wie am Beginn der EWG klare Abgrenzungen von Gebieten standen, die man zu einer gemeinsamen Politik machen wollte, genauso wie klare Termine verabredet worden sind und Folgen des Nichterreichens dieser Termine vereinbart worden sind, hier vorangehen, wenn wir eine außenpolitische Union schaffen wollen, wenn wir auch eine verteidigungspolitische Union, eine währungsoder wirtschaftspolitische Union schaffen wollen. Das heißt, es darf nicht folgenlos bleiben, wenn in einem genau festgelegten Prozeß ein Mitgliedsland aus einem exakt definierten, gemeinsam zu verwirklichenden Ziel ausbricht. Das Zweite scheint mir noch wichtiger zu sein: Ich bin nicht der Meinung, daß wir dieses Europa schaffen werden, wenn wir weiter zulassen, daß mit den demokratischen Elementen einer solchen Gemeinsamkeit Schindluder getrieben wird. Die Schwierigkeiten, die jetzt aufgetreten sind, sind die Schwierigkeiten eines Systems, das sich aus sich selbst heraus erneuern soll, ohne daß es eine demokratische Antriebskraft in sich installiert hat,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

ohne daß es demokratische Kontrollen in sich installiert hat. Der Aufbau Europas -- und daß muß man jeder Regierung sagen, ich will da unsere Regierung nicht ausnehmen, ich nehme keine Regierung eines Mitgliedslandes aus — kann eigentlich doch nicht die Aufgabe derjenigen sein, die ihre Kompetenzen, die ihren Wirkungskreis dabei einschränken müssen, nicht allein jedenfalls. Das ist doch in der Geschichte ein seltenes Ereignis, wenn es überhaupt jemals eingetreten ist, daß diejenigen, die Kompetenzen aufzugeben hatten, das auch selber in die Hand genommen und durchgeführt haben. Ich halte das für unmöglich. Deswegen meine ich, wir sollten diesem europäischen Parlament die Befugnis zubilligen, in demokratisch kontrollierbarer Weise diesen Prozeß in die Hand zu nehmen, weil es allein in der Lage sein wird, diesen Prozeß voranzutreiben. Wer das nicht sieht, der sieht nicht, daß hier nicht bloß eine Wirtschaftseinheit zur Debatte steht, sondern die Frage, ob Europa zu der



Dr. Bangemann
Identität findet, die immer wieder nur .beschworen wird.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das ist sehr richtig, was Sie sagen!)

Die Mitgliedsländer dürfen in dieser Frage nicht nur auf ihr historisches Verdienst verweisen, daß sie die Demokratie in ihrer inneren Struktur eingeführt haben und gewährleisten. Die Mitgliedsländer werden aber zunehmend auch daran gemessen werden, wie weit sie bereit sind, diese historischen Maßstäbe, die sie für sich gelten lassen, auch für die Gemeinschaft gelten zu lassen.

(Beifall bei der FDP.)

Denn das allein entscheidet darüber, ob diese Gemeinschaft vorankommt oder nicht.
Deswegen begrüße ich es, wenn die Bundesregierung sagt: Wir wollen hier nicht aufrechnen, wir wollen hier nicht ein Mitgliedsland zur Verantwortung ziehen, das in einem gewissen wohl- oder nicht wohlverstandenen Eigeninteresse gehandelt hat. Wir müßten uns vielleicht manchmal in diesem Zusammenhang selber an die Brust schlagen. Aber wir müssen hinzufügen — und ich darf das für meine Fraktion tun —, daß wir in dieser Frage wirklich nur dann vorankommen werden, wenn wir mit aller Entschiedenheit diesen Gesichtspunkt der Effizienz einer demokratischen Kontrolle einbringen; sonst wird Europa scheitern, und das müßten wir uns dann selber zuschreiben.
Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu der Frage der Verfassung und der Verfassungsdebatte, vor der wir stehen. Ich glaube, daß die Opposition hier in ihrer Kritik einen ganz wesentlichen Grundzug unserer Verfassung übersieht. Herr Wehner hat schon gesagt, daß es keine Partei geben darf, die diese Verfassung für sich allein in Anspruch nimmt.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das gibt es ja auch nicht!)

Aber ich möchte hinzufügen: Diese Verfassung erlaubt von ihrem eigenen elementaren Selbstverständnis her gar nicht, daß irgend jemand irgendeiner politischen Ausprägung sie für sich allein in Anspruch nimmt. Ich möchte diesen Gesichtspunkt hervorheben.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Wer tut es denn? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das hat ja auch niemand getan! — Sagen Sie doch mal, wer es tut! — Abg. Reddemann: Das tut doch nur die Koalition!)

— Nein! Ich glaube jedenfalls, daß Sie der Koalition diesen Vorwurf nicht machen können;

(Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Nur einzelnen ihrer Mitglieder!)

denn wir haben diese Debatte unter diesem Gesichtspunkt nicht eröffnet. Ich darf daran erinnern: Die Erklärung, die Herr Carstens einmal — ich glaube, nur schriftlich — an die Presse gegeben hat — er hat sich inzwischen etwas korrigiert —, daß es in dieser Debatte darum gehe, wer besser in der Lage sei,
diese Verfassung zu verteidigen, ließ natürlich — ich habe das jetzt nicht wörtlich im Gedächtnis, ich fasse es sinngemäß zusammen — den Verdacht naheliegend erscheinen, daß Sie selber damit behaupten wollten, Sie seien es, der besser dazu in der Lage sei.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn das nicht so ist, bin ich froh darüber. Aber ein solches Selbstverständnis auch eines Verteidigers der Verfassung disqualifiziert ihn von vornherein, die Verfassung zu verteidigen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn es darf niemanden geben, der mit diesem Verständnis an die Verfassung herangeht.

(Abg. Reddemann: Das müssen Sie Ihrem Kanzler sagen!)

— Unser Grundgesetz, Herr Reddemann, ist, wenn ich das richtig beurteilen kann, der Versuch, den grundsätzlich zunächst einmal festschreibenden Charakter einer Verfassung dadurch zu überwinden, daß man inhaltlich dieser Verfassung eine ganze Reihe von Momenten beigegeben hat, die Offenheit zwingend zum Grundzug dieser Verfassung machen. Das müßten Sie vielleicht auch einmal bedenken, wenn Sie — und das tun Sie meiner Meinung nach sehr leichtfertig — etwa mit der Frage der wirtschaftlichen Ordnung umgehen.
Diese einfache Verbindung zwischen freiheitlicher Verfassung und marktwirtschaftlicher Ordnung, wie Herr Carstens sie hier dargelegt hat, geht natürlich strikt an einigen Problemen sowohl der marktwirtschaftlichen Verfassung als auch der freiheitlichen Ordnung vorbei. Das muß man einfach sehen. Das sind übrigens auch die Probleme, die bei Mitbestimmung und Vermögensbildung angesprochen werden. Hier geht es ja nicht nur darum, daß man jetzt einzelnen irgendeinen Vermögenswert zuteilt, sondern es geht darum, meine Damen und Herren, einen — wenn Sie so wollen — Geburtsfehler, den ein marktwirtschaftliches System mit sich herumschleppt, aufzuheben, den Geburtsfehler, daß ein marktwirtschaftliches System bei all seinen unbezweifelbaren Vorzügen einen großen Nachteil hat: es neigt dazu, gerade weil es Erfolg mit einer Prämie versieht, sich selbst aufzuheben in der Konzentration des Eigentums an Produktionsmitteln und in dem Versuch, immer wieder die Wettbewerbssituation aufzuheben. Und das muß man doch nun sehen: daß eine Reform hierin nur dann gewährleistet ist, wenn man das mit dem Versuch verbinden kann, in dieses System den Grundzug demokratischen Regierens, auch gerade durch die Betroffenen, hineinzubringen; das ist doch eigentlich der Kern der Mitbestimmung.

(Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Darin sind wir einig!)

— Wenn wir uns da einig sind, meine Damen und Herren, genügt die pauschale Beurteilung dieser Fragen nicht, sondern dann müssen wir in eine ernsthafte Verfassungsdebatte eintreten, an deren Beginn zweierlei unbezweifelbar feststehen muß:

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist doch nicht der Gegenstand!)




Dr. Bangemann
Erstens. Es muß feststehen, daß niemand für sich
in Anspruch nimmt, der bessere Interpret zu sein.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Zweitens. Es muß feststehen, daß Interpretationen zulässig und dann sogar notwendig sind,

(Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Nicht alle!)

wenn die Verfassung sie selber vorschreibt und über sich selber hinausgehen will.
Auf Grund Ihrer vielen Reaktionen — z. B. auch auf das, was an den Universitäten passiert — hat man manchmal den Eindruck, daß Sie eben dann, wenn ein Zustand überwunden werden muß, plötzlich anfangen, das Hosenflattern zu kriegen.

(Abg. Kroll-Schlüter: Wir zeigen Flagge!)

— Auch Flaggen flattern manchmal. —

(Abg. Reddemann: Es ist besser, Flagge zu zeigen, als sie schon einzuziehen, bevor sie flattern!)

Das ist, meine Damen und Herren, eine Haltung, die die Schwierigkeiten nur vergrößert.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Gucken Sie Bremen an!)

— Herr Professor Carstens, wenn Sie sich bei der Beurteilung von Unruhen an den Universitäten nicht gerade — ich darf das sagen — auf die alte, sehr verdienstvolle, aber gegenüber diesen Erscheinungen doch etwas hilflose FAZ berufen würden, sondern wenn Sie vielleicht auch einmal einen Blick in die „Süddeutsche Zeitung", vielleicht auch einmal einen Blick in die „Frankfurter Rundschau" werfen und dann einmal versuchen würden, nicht gleich zu erschrecken, wenn sich die Straße mit ein paar Leuten füllt, würden Sie diesen Schwierigkeiten wahrscheinlich viel besser begegnen können, als Sie das jetzt tun.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Breidbach: So einfach kann man es nicht machen! — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: Gehen Sie einmal an die Bremische Universität, Herr Bangemann, und halten Sie dort einmal Ihre Rede! Sie würden sich wundern! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Herr Bangemann, nicht die Zeitungen machen Krawall!)

— Herr Professor Carstens, dann lesen Sie von mir aus den „Weser-Kurier"; selbst da steht das anders drin als in der FAZ.

(Abg. Reddemann: Und Immanuel Geiß hat also gelogen, Herr Bangemann, ja?! — Abg. Breidbach: Die Presse hat schuld!)

Ich will das nicht verniedlichen, ich möchte Sie nur auf eines aufmerksam machen: Wir werden mit diesen Problemen dann nicht fertig, wenn wir sie nicht in ihrem Kern erfassen und statt dessen an den äußeren Erscheinungen kleben und sagen: Um Gottes willen, da sind jetzt die Straßen und die Marktplätze voll; da sind ein paar Leute mit Spruchbändern und roten Fahnen.

(Abg. Dr. Klein [Göttingen]: Dann offenbaren Sie doch einmal, was der Kern ist!)

Hier wird etwas gefordert, meine Damen und Herren, was diese Regierung in diesem Bericht trotz aller Kritik, die Sie daran angebracht haben — manchmal vielleicht sogar berechtigt —, meiner Meinung nach ziemlich deutlich gemacht hat. Es wird deutlich, daß hier eine Regierung und daß hier zwei Parteien stehen, die den ernsthaften Versuch unternehmen, diese Entwicklung in die Hand zu bekommen und sich nicht bloß von der Entwicklung treiben zu lassen,

(Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Seit Jahren erfolglos!)

sie hilflos zu bejammern und die goldene Vergangenheit zu beschwören, sondern diese Entwicklung selber zu gestalten.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, und ich wünsche, daß die Regierung und daß wir alle zusammen — nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern auch Sie von der Opposition — am Schluß sagen können: Wir haben diese Probe unserer politischen Nüchternheit wie auch unseres politisch kalten Blutes, Herr Professor Carstens, bestanden; das gilt insbesondere auch für die Opposition.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707601900
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707602000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, die deutschlandpolitische Debatte sollte sich nicht wieder in eine Richtung entwickeln, wie wir sie leider schon oft beobachten mußten.
Die Opposition reagiert in der letzten Zeit auf Schritte und Äußerungen der DDR so, als ob sie der Politik der Bundesregierung angelastet werden müßten. Im Vordergrund steht das Argument von den sogenannten Vorleistungen. Das Argument tut so, als habe die Bundesregierung eine fabelhafte Verhandlungsposition gehabt. Es unterstellt, die Bundesregierung habe der DDR freigebig und fahrlässig alle möglichen Faustpfänder zu Füßen gelegt, ohne die fälligen Gegenleistungen zu verlangen. Wie aber war die Situation wirklich, die diese Bundesregierung vorfand? Lassen Sie mich dazu ein Wort des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger zitieren, der in einem Vortrag am 24. Juli 1967 sagte:
Ich bin der Meinung, daß in der deutschen Frage eine Politik des Stillhaltens ... uns nicht dazu geführt hat, das zu wagen, was wir wagen wollen, sondern daß bei diesem Stillhalten unsere Position immer mehr abbröckeln würde, ja in den vergangenen Jahren immer mehr abgebröckelt ist.
So Kiesinger 1967 über die damalige Verhandlungsposition, und er hatte recht. Er hatte auch recht, wenn er die Zögernden und Kritiker damals warnte, wir dürften nicht warten, bis der Geschichte etwas Rettendes einfalle; denn, so sagte er, „die Zeit wirkt nicht für uns". Das war 1967 die Ausgangslage für Verhandlungen.



Bundesminister Franke
Wenn man sie heute betrachtet, hat die Veranlassung, dieses zu sagen, sich nicht geändert. Für meinen Vorgänger, Herbert Wehner, war es seinerzeit mit die Veranlassung, die Zeit zu nutzen und nicht darauf zu warten, bis etwas von selber geschehe.
Diese Bundesregierung setzt diese Politik konsequent fort. Wer verhandeln wollte und wir wollen verhandeln, um voranzukommen —, wer mit der DDR verhandeln und vertragliche Abmachungen schließen wollte, der mußte sie als gleichberechtigten Verhandlungs- und Vertragspartner, als zweiten deutschen Staat, begreifen und akzeptieren.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist Ihre These!)

Das ist geschehen, und das wirft man uns seither als die alles entscheidende Vorleistung vor. Lassen Sie es mich ganz unmißverständlich sagen: wir hatten die Wahl, entweder diese sogenannten Vorleistungen zu erbringen oder auf einer nicht realen Verhandlungsposition sitzenzubleiben — mit allen Konsequenzen für die internationale Position der Bundesrepublik; mit allen Konsequenzen auch für die Fortentwicklung der Haltung der anderen Länder gegenüber der DDR — an der Bundesrepublik vorbei. Das war die Situation.
Nun wird argumentiert, die Bundesregierung habe sich solcherart von vornherein unter Erfolgszwang gesetzt.

(Abg. Frau Berger [Berlin] : So ist es!)

Wenn Sie so wollen, jawohl, es bestand ein Erfolgszwang, aber nicht so, wie Sie glauben oder glauben machen wollen. Was vorlag, war ein dringendes Interesse dieses Staates Bundesrepublik Deutschland, sein Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Pakts, darunter auch der DDR, im Zeichen der Entspannung zu normalisieren und zu verbessern. Dazu bedurfte es der Verträge. Wir haben uns gegenüber der DDR auf die allgemeinen Regeln des zwischenstaatlichen Vertragsrechts festgelegt. Wer will denn ernstlich behaupten, es sei eine Vorleistung, wenn man Politik machen und Verträge schließen will? Auch die Opposition sagt, sie wolle mit der DDR Verträge schließen. Ich glaube ihr das. Immerhin hat sie dem Verkehrsvertrag zugestimmt, der ein Staatsvertrag ist. Aber ich bezweifle, meine Damen und Herren von der Opposition, ob Sie jemals diesen Verkehrsvertrag überhaupt zustande gebracht hätten, wenn Sie sich mit Ihren Vorstellungen und Forderungen an den Verhandlungstisch gesetzt hätten. Dazu war es notwendig, die politischen Voraussetzungen zu schaffen, wie wir es getan haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Immer wieder die alte Platte!)

Wenn wir von Positionen reden, die in Rechnung gestellt werden mußten, um sie zu wahren: wir haben nach den Regeln des zwischenstaatlichen Rechts geklärt, daß die vertraglichen Vereinbarungen mit der DDR unsere verfassungsmäßigen Anschauungen und Ziele nicht verändern können. Wir haben gesichert, daß unsere Bündnisverpflichtungen durch diese Verträge nicht berührt sind. Und
wir haben die deutsche Frage offengehalten und dabei der DDR die Fortsetzung unseres Strebens nach nationaler Einheit in aller Form angekündigt. Die DDR hat in Kenntnis dessen den Grundlagenvertrag unterschrieben. Das ist die Wirklichkeit. Die Positionen wurden nicht aufgegeben. Das wollten und konnten wir auch gar nicht. Dies gehört auch in den Zusammenhang mit dem Verhandlungsspielraum. Das muß man sich einmal klarmachen.
Das Selbstverständnis und die nicht verzichtbaren Rechtspositionen nehmen auf beiden Seiten nicht geringen Raum ein und begrenzen selbst die Möglichkeiten zu Kompromissen — müssen sie notwendigerweise begrenzen — auf beiden Seiten.

(Abg. Frau Berger [Berlin] : Auf beiden Seiten!)

— Ja, auf beiden Seiten. — Betrachten wir von daher das Ergebnis. Die Bundesregierung hat erreicht, daß trotz der entstandenen gesellschaftlichen Gegensätze, trotz der unterschiedlichen politischen Zukunftsvorstellungen und Ziele das Regelbare in den staatlichen Beziehungen geregelt wird. Sie hat einen vertraglichen Anspruch darauf geschaffen. Der DDR wurde der Beweis abverlangt, daß die Normalisierung der Beziehungen vor allem den Menschen zugute kommen muß. Es gibt solche Beweise. Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Kurzsichtigkeit oder Kurzatmigkeit dazu, die politische Bedeutung dieser Beweise nicht zu erkennen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707602100
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen)?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707602200
Nein, ich möchte diesen Gedankengang zu Ende führen.

(Abg. Frau Berger [Berlin] : Die Antwort auf die Zwischenfrage steht nicht im Manuskript!)

— Frau Berger, das können Sie sich ersparen.

(Lachen und weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

— Aber natürlich! — Ich sage noch einmal: Die poli-
tische Bedeutung dieser Beweise ist zu erkennen.

(Abg. Reddemann: Stör mich nicht beim Ablesen!)

Diese liegt nämlich in den von Tausenden von Menschen hüben und drüben persönlich gemachten Erfahrungen, daß praktische und humanitäre Fragen trotz der unterschiedlichen politischen Ziele vertraglich verpflichtend geregelt werden können — ich betone: können. Daß Normalisierung den Menschen konkret nützen kann, ist beweisbar geworden — ein Argument mit politischer und vertraglicher Schubkraft — dort, wo Ängstlichkeit und administrative Bequemlichkeit den berechtigten Ansprüchen der Menschen auf Berücksichtigung ihrer persönlichen Interessen und Wünsche Widerstände in den Weg zu legen suchen.



Bundesminister Franke
Aber das geht nicht hopplahopp! Das braucht Geduld, Zeit, Zähigkeit und ruhige Nerven. Das ist von der Bundesregierung immer wieder betont worden. Werfen Sie uns meinetwegen ruhig vor, daß wir eine schwere Politik machen; aber erwarten Sie nicht, daß wir uns davon beirren lassen. Glauben Sie mir, meine Damen und Herren — ich denke hier besonders an Herrn Kollegen Abelein —: es ist leichter, gegen Handlungen und Tatbestände, die nach unserem Rechtsempfinden klare Menschenrechtsverletzungen darstellen, mit dem Zorn des Gerechten, aber eben nur mit Worten, Sturm zu laufen. Das ist in der Tat leicht. Es braucht viel Geduld, sich in ständigem direkten Verhandeln auf einen zähflüssigen politischen Prozeß der kleinen Schritte einzulassen. Sie wissen genausogut wie ich, daß Ihr Vorschlag einer Initiative bei den Vereinten Nationen keine Alternative zu dieser Politik darstellt.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Aber eine Ergänzung!)

Das Mögliche zu tun ist uns aufgegeben. Ich zitiere etwas, daß Sie so gern bemühen, um daran die Politik dieser Bundesregierung zu messen. Aber nicht alle möglichen Wege, die theoretisch eingeschlagen werden konnten, müssen der Sache nützlich sein. Auch das werden Sie zugeben müssen. Die Bundesregierung jedenfalls trifft ihre Entscheidungen, wie es die Verantwortung von ihr fordert, nämlich nach dem Gesichtspunkt des Nutzens. Die Erfahrungen früherer Jahre zeigen, daß bloßes Anklagen nichts und niemanden bewegen. Wir müssen uns schon selbst regen und dabei weniger unsere Gefühle als Umsicht und Verstand walten lassen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein Wort zur „Schönfärberei", die uns und namentlich meinem Ministerium vorgeworfen wird.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707602300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707602400
Ja, bitte!

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0707602500
Könnte es sein, daß eine Initiative bei den Vereinten Nationen, wie wir sie fordern, die von Ihnen genannten Bemühungen der Bundesregierung gegenüber der DDR stärkt und stützt?

(Zurufe von der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707602600
Das ist doch im Augenblick gar nicht die Frage, wenn wir uns darüber unterhalten, welche Schritte wir hier in der praktischen Politik gegenüber demjenigen unternehmen können, mit dem wir es unmittelbar zu tun haben. Auch solche Wege gehören mit in den Bereich des politischen Wirkens. Wer sagt denn, daß nicht einmal der Zeitpunkt kommen wird, daß solch ein Schritt gemacht werden muß? Das schließt niemand aus;

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr gut!)

denn letztlich dient unser Bemühen um Entspannung dazu, nicht nur bilateral zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu Ergebnissen zu kommen, sondern unseren Beitrag in der gesamten Welt leisten zu können. Aber nun lassen Sie mich bitte wieder zu meinen Ausführungen zurückkommen und mich wieder dem Problem zuwenden, um das es hier geht.
Ich sprach von der „Schönfärberei". Ich muß das in diesem Zusammenhang sagen, weil unser Bemühen um die sachlichen Erfolge, um das sachliche Diskutieren immer als „Schönfärberei" dargestellt wird. Diese „Schönfärberei" wird namentlich meinem Ministerium vorgeworfen. Das ist ein Vorwurf, aber ein unbeweisbarer und sonst nichts. Wir verhalten uns danach, daß wir es mit einem Gegenüber zu tun haben, dessen Maßstäbe von den unseren in vielem grundsätzlich verschieden sind. Das sagen wir. Danach verhalten wir uns, und zwar sowohl gegenüber der DDR als auch bei der Information der Öffentlichkeit hier bei uns. Wir sind der Meinung, daß Politik gegenüber der DDR —statt verbaler Kraftmeierei — nur gemacht werden kann, wenn möglichst viele Bürger hier sachlich und nüchtern die Lage unseres Landes und die Möglichkeiten für Politik zu beurteilen vermögen. Darauf kommt es an.
Dies gibt mir Gelegenheit, auf die Frage nach den Materialien einzugehen. Herr Carstens hatte heute vormittag die Freundlichkeit, erstmals seitdem die Bundesregierung in Verbindung mit diesem Thema sehr umfassendes Material als Beleg ihrer Darstellungen unterbreitet, die Notwendigkeit und die Brauchbarkeit dieses Materials zu betonen. Das war für mich sehr erfreulich und vor allen Bingen eine Überraschung, denn bisher hatte ich immer genau anderes aus den Reihen der Opposition gehört.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Da haben Sie falsch gehört!)

Aber nun zu diesem Punkt, meine Damen und Herren. Ich wollte Ihnen dazu sagen: Die Wissenschaftlergruppe unter Leitung von Professor Ludz hat ein umfangreiches Manuskript erarbeitet,

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Schön!)

das sich in mehrere Kapitel gliedert, die unterschiedlichen Themen gewidmet sind. Wir sind dabei, das Ganze in eine Reihe mit dem bisherigen Material zu bringen. Das ist eine Aufgabe, die ihre Zeit erfordert. Ein Wort zum Zeitpunkt des Erscheinens des Materials. Im letzten Jahr wurde der Bericht zur Lage der Nation in ähnlicher Weise wie heute gegeben: Material, das zum Thema gehörte, gab es zu einem späteren Zeitpunkt als Zusammenstellung unter chronologischer Aufzählung all der Dinge, die sich in praxi aus den Vertragsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ergeben haben. In ähnlicher Weise wird es in diesem Jahr auch geschehen. Nicht der Zeitpunkt ist das Entscheidende, sondern die Tatsache, daß diese Arbeit der Öffentlichkeit, also selbstverständlich auch diesem Hohen Hause zugänglich gemacht wird. Sie wird auf jeden Fall veröffentlicht. Von Verschluß und Panzerschrank kann keine Rede sein.
Aber bleiben wir noch einen Augenblick beim Thema Information. Wir haben nie der Öffentlich-



Bundesminister Franke
keit vorgegaukelt — ich benutze bewußt diesen Begriff —, daß diese Vertragspolitik ein Spaziergang sei. Wir haben nie Illusionen gehabt und solche nie genährt. Das kann ich lückenlos dokumentieren, wenn es gewünscht wird. Sie müssen sich daran erinnern, daß bei jeder Gelegenheit hier von dieser Stelle zum Ausdruck gebracht wurde, wie schwierig es ist, überhaupt weiterzukommen, und daß wir uns damit begnügen müssen, millimeterweise voranzukommen. Das ändert auch nichts daran, daß wir jetzt immer wieder in dieser Weise die Notwendigkeit betonen müssen, hart dranzubleiben und Nerven zu bewahren und immer wieder zu verhandeln und zu vertraglichen Abschlüssen kommen zu wollen. Denn es gibt keinen anderen Weg, um für die Menschen wirklich etwas erreichen zu können.
Meine Damen und Herren, wir haben immer die systembedingte Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit unterstrichen. Sie ist doch schließlich die Ursache für den Mangel an Bereitschaft zum normalen Umgang der Menschen untereinander, der — ich meine den Mangel — die Probleme, Übelstände und Schwierigkeiten hervorbringt. Letztere sind alle bekannt. Wir sehen also die Gegensätze und ihre Wirkung auf die politische Situation wie die Handlungsmöglichkeit. Wir behalten den Willen zur Normalisierung und zur Fortsetzung der Bemühungen, den Menschen das Zusammenleben und Zusammenkommen durch Verhandeln und Verträge leichter zu machen.
Unser Weg ist und bleibt Verhandeln und Verträge.
Darum müssen wir uns und dem Vertragspartner DDR strikte Vertragstreue abverlangen und sogar noch etwas mehr, nämlich guten Willen. Geist und Buchstaben sind nicht voneinander zu trennen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr gut!)

Es gibt auch eine Art Korrektheit widerwilliger und feindseliger Art, die schließlich auch den Buchstaben unterhöhlt,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr gut!)

ganz abgesehen davon, daß sie Mißtrauben und entsprechende Gegenreaktionen hervorruft. Diese Gefahr ist in der gegenwärtigen Situation zwischen uns und der DDR nicht von der Hand zu weisen. Die Erhöhung der Mindestumtauschsätze und so manches andere überschreiten die Grenze dessen, was mit dem vertraglich fixierten Vorsatz zu guter Nachbarschaft und Zusammenarbeit vereinbar ist. Im Gegenteil, sie stärken die Front der Zweifler an der Bereitschaft der DDR, ihren für die Entspannung zwischen Ost und West unerläßlichen Beitrag zu einem erträglichen Zusammenleben der Deutschen zu leisten. Die Rückwirkungen sind schon jetzt spürbar und abzusehen. Wenn das Außenministerium der DDR eine entsprechende Feststellung des Bundeskanzlers als Entgleisung bezeichnete, so muß ich diesen Vorwurf zurückgeben und feststellen, daß der Bundeskanzler offenbar ins Schwarze getroffen hat. Der DDR möchte ich sagen: Wenn wir in diesem Ton fortfahren und es uns nicht gelingt, die Kompromisse, die wir geschlossen haben, jeder für sich durchzustehen, dann wird eine
Hoffnung für uns und unsere europäischen Nachbarn wirder einmal an den Deutschen scheitern.
Diese Bundesregierung sucht die geschlossenen Verträge nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.

(Zuruf des Abg. Jäger [Wangen].)

Es muß doch jedem einleuchten, daß die Forderung nach Einhaltung der Verträge und Abkommen um so glaubwürdiger ist, je mehr man sich selbst an das Vereinbarte hält. Dies sage ich nicht nur an die DDR gerichtet. Aber ich möchte es besonders in bezug auf das Berlin-Abkommen verstanden wissen. Die Berliner wollen Sicherheit und die Gewißheit, daß ihre Verbundenheit mit der Bundesrepublik, die all ihre Lebensverhältnisse durchdringt, anerkannt und nicht spitzfindig daran herumgestichelt wird. Es wird niemandem gelingen, die Bundesregierung von der Seite des Berliner Senats und des Regierenden Bürgermeisters abzurücken.
Letztlich, meine Damen und Herren, ist es das Grundprinzip der Entspannungspolitik selbst, das Eingehen pragmatischer Kompromisse mit dem ideologischen Gegner, das diejenigen nicht glauben verkraften zu können, die so begierig vom Scheitern dieser Politik sprechen. Solche gibt es wohl nicht nur bei uns. Aber sie haben keine Alternative. Jedenfalls zeigen sie sie nicht. Sie sagen auch nicht, daß sie vor dieser Politik Angst haben und sie lieber heute als morgen beendet sähen. Statt dessen halten Sie, meine Damen und Herren, von der Opposition, es für ausreichend, für die Schwierigkeiten dieser Politik die Bundesregierung verantwortlich zu machen.

(Abg. Dr. Marx: Das ist ein falsches Bild!)

Weil der Stein schwer ist, prügeln Sie denjenigen, der ihn mühselig von der Stelle wälzt. Was immer Sie sich davon versprechen mögen, überzeugen werden Sie ,damit die Vernünftigen in unserem Lande nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707602700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0707602800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg zwei Bemerkungen zu Ihrer Rede, Herr Wehner, machen, von der ich glaube, daß sie von Ausfällen und Peinlichkeiten angefüllt war, einer Rede, in der Sie mit dem Finger auf uns zeigten und das böse Wort von der möglichen Ausbürgerung sprachen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Unglaublich!)

Herr Kollege Wehner, dies war ein Angriff, dessen Peinlichkeit bis weit in Ihre eigenen Reihen hinein und bis weit über die Regierungsbank hin zu erkennen war, ein Angriff, der Ihnen im Zusammenhang mit gewissen Diensten, die Sie zu früherer Zeit anderen geleistet haben, nicht möglich ist und von uns deshalb zurückgewiesen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Marx
Eine zweite Bemerkung will ich machen. Herr Wehner, Sie sprachen vom Münchner Abkommen. Sie haben betont, daß das Münchner Abkommen durch schlimme Gewalt erzeugt worden ist. Ich glaube, wir sind uns da alle einig. Aber wenn wir uns den Vertrag ansehen — ich will die Debatte darüber gar nicht vorwegnehmen —, dann müssen wir doch auch sehen, daß dort die geschichtliche Wirklichkeit, z. B. das, was sich seit dem ersten Weltkrieg herausgestellt hat, nicht klar und konkret genug dargestellt ist. Als Sie, Herr Wehner, vorn Münchner Abkommen sprachen, gab es aus unseren Reihen einige Zwischenrufe. Ich will das noch einmal wiederholen: Was sich im Jahre 1938 abgespielt hat, hat sich ja in einer ähnlichen Form nach der Okkupation dieses Landes durch seinen Bruder etwa in den Verträgen, die die CSSR dann abzuschließen gezwungen worden war — wiederholt. Darauf sollte man, wenn man vom Münchner Abkommen spricht, ebenfalls zu 'sprechen kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Bundeskanzler und Herr Minister Franke haben, was die Tonart anlangt, in der sie die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland vorgetragen haben, manchen ich habe es so empfunden — Unterton des Ärgers, der Unzufriedenheit und vielleicht auch ein Stück Deprimiertheit über die Lage der Dinge gezeigt. Wir haben vom Bundeskanzler vor kurzem ein Interview gelesen, das er der „Frankfurter Rundschau" gab, in dem er Abstand zu nehmen versucht hat vorn hohen Erwartungshorizont, den er selbst und seine Freunde einst im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der deutschen Fragen im Volke erregt haben.
Sie haben in diesem Interview, Herr Bundeskanzler, der SED-Führung eine „spröde Haltung" bescheinigt. Sie haben heute von Verhärtungen gesprochen, die man feststellen müsse. Aber ich glaube, daß das angesichts der rabiaten und störrischen Art, wie in Ost-Berlin heute auf die Signale, die aus 'dem Westen kommen, reagiert wird, eine eher vergleichweise neblige, ja ich möchte sagen: schönfärbende 'Bezeichnung ist.
Wenn wir den Tatsachen ins Gesicht sehen, Herr Bundeskanzler, dann finden wir nach all dem euphorischen Jubel jetzt ringsum Ernüchterung, Enttäuschung und Desillusionierung. Der Freude folgt jetzt der Katzenjammer. Ich habe den Eindruck, die Einsicht kommt reichlich spät — Herr Kollege Franke, ich sage das jetzt auch als Antwort auf das, was Sie soeben vorgetragen haben —, daß der Partner DDR weniger Partner ist und daß er das selbst wollte, nämlich mehr Gegner sein und Gegner bleiben, und 'daß er selbst sich in seinen deutschlandpolitischen Maßnahmen nicht nach unseren Wünschen und Hoffnungen und nicht nach unserer Logik ausrichtete.
Herr Franke, Sie haben gesagt, wir schlügen auf die Regierung ein. Ich will gerne sagen: Wir waren immer davon ausgegangen, daß die SED ein sehr klares und eindeutiges politisches Bild und Programm hat. Was wir 'bedauert haben, war, daß
Sie durch Phasen der jüngsten Politik hindurch dieses Programm übersehen, falsch eingeschätzt haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Und jetzt sind Sie verblüfft, wenn sich das alles wieder in seiner früheren Gestalt, in seiner früheren Härte zeigt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Franke, bitte korrigieren Sie doch Ihr Wort. Sie sagten soeben, wenn das scheitern werde, dann sei das an den Deutschen gescheitert. An welchen Deutschen? Sagen Sie doch bitte: Dann ist es an jenen deutschen Kommunisten gescheitert, die das, was Sie wollen, was alle Demokraten hier wollen, gar nicht aushalten können, weil sie wissen, daß die gesamte Bevölkerung bzw. der allergrößte Teil der Bevölkerung in der DDR nicht mit den Zielen und Maximen der SED übereinstimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das weiß Herr Gaus ganz genau!)

Ich habe mich zur Vorbereitung dieser Debatte mit einer Fülle von früheren Reden vertraut gemacht und sie noch einmal durchgelesen. Ich finde, daß wir dort so was finden wie den Versuch der Überredung der anderen Seite, den Versuch, sie zu ihrem eigenen Glück, zur Zusammenarbeit, sozusagen zu zivilem Verhalten zu überreden. Wo aber die Akzeptierung der Forderungen Ost-Berlins —denn auch darum handelte es sich, und auch diesen Inhalt der Verträge sollten Sie jetzt nicht unterschlagen — einen Wandel und dadurch eine wirkliche Annäherung erreichen wollte, hat die andere Seite mit Härte, mit Abgrenzung und mit dem geantwortet, was sie den ideologischen Kampf nennt.
Meine Damen und Herren! Die Lage der Nation im gespaltenen Vaterland hat sich verändert, aber nicht verbessert. Es gibt zwar mehr Besuche und mehr Begegnungen, es gibt mehr Telefonleitungen -- wir sind froh darüber —, doch wissen wir leider, daß das alles seit geraumer Zeit neuen Einschnürungen, neuen Schikanen, neuen Bösartigkeiten und Verleumdungen ausgesetzt 'ist. Ich sage noch einmal: Wir wollen die Bedeutung menschlicher Begegnungen nicht verkleinern; wir schätzen sie hoch. Aber wir erinnern uns auch amtlicher Aussagen: es komme in der innerdeutschen Beziehung nicht auf juristische Formeln an, wohl aber auf die Erleichterung für die Menschen.
Abgesehen von der erstaunlichen Leichtfertigkeit, wie hierzulande und heutzutage mit Rechtstiteln umgegangen wird, frage ich aber doch, Herr Bundeskanzler und Herr Minister für innerdeutsche Beziehungen: Wo sind jetzt, wo können Sie diesem Hause zeigen wirkliche, verläßliche, dauerhafte Erleichterungen?
Wie sieht es z. B. mit jenen aus, die von Ost nach West wollen? Sie werden antworten: „Auch deren Zahl hat sich erhöht." Aber diese Zahl ist gering, sie ist sehr gering geblieben im Vergleich zu den vielen, die kommen wollen, uns besuchen wollen, nachschauen wollen, wie es bei uns aus-



Dr. Marx
sieht, die Freiheit erleben wollen, in vollem Atem und ohne Angst vor den geheimen Informanten, den Spitzeln, den Mikrofonen. Millionen von drüben möchten gerne erproben, was Freizügigkeit und was Freiheit ist. Einige tausend nur, verglichen zu diesen Millionen, dürfen herüber. Aber, meine Damen und Herren, zum Pfand muß dann jeweils der Ehegatte, müssen dann die Kinder drüben bleiben. Hier wird Erleichterung zu schwerer seelischer Qual.
Der Vorhang in Deutschland ist einen schmalen Spalt geöffnet worden. Wir haben durch diesen Spalt unsere Gaben durchgereicht. Er kann jederzeit wieder zufallen,

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

jeder Versicherung zum Trotz. Die DDR hat nach wie vor, trotz aller Verträge, trotz aller Opfer, alles in ihrer Hand. Und ich muß noch einmal sagen: das ist die gleiche Hand, die Deutschland abgeschnürt und zwei Deutschland daraus gemacht hat. Die grausame Abkapselung Deutscher von Deutschen, Eltern von ihren Kindern, Ehegatten voneinander, das haben diejenigen kühl geplant und kalt durchgesetzt, die heute ein wenig Humanität als Elemente der Erpressung benutzen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hatte gehofft, an tausend Stellen gesagt, daß nach der Unterzeichnung des Grundvertrages nun endlich Bewegung, Dynamik und Fortschritt in die deutschen Dinge zu bringen sei. Der Bundeskanzler selbst war es, der ausgerufen hat: „Das Eis ist gebrochen." Heute hat er ,das heruntergespielt. Heute, Herr Bundeskanzler, haben Sie gesagt, diese Regierung habe sich nie getäuscht. Ich muß sagen, Sie sind bei diesen Hoffnungen eingebrochen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn, meine Damen und Herren, meine These ist, daß sie den Gegner verkannt haben, daß Sie ihn falsch eingeschätzt haben, daß Sie nicht davon ausgegangen sind, daß er trotz aller Opfer weder Begegnung, noch innerdeutsche Bewegung, noch gar Zusammenarbeit will und auch nicht, wie auch eine heute wieder gebrauchte Formel heißt, vom friedlichen Nebeneinander zum konstruktiven Miteinander.
Meine Damen und Herren! Die andere Seite — und ich sage die andere Seite, weil in dem Bericht des Bundeskanzlers der Eindruck erweckt wurde, es gebe in der SED so etwas wie eine störrische Fraktion; es mag sein, daß es eine Fraktion gibt, die noch störrischer ist als die anderen, aber es gibt doch ganz sicher, und jede Beurteilung läßt zu, dies zu sagen, eine sehr eindeutige, eine sehr harte Haltung der SED, die jede Form besonderer innerdeutscher Beziehungen ablehnt — will, daß beide deutschen Teile sich als Ausland verstehen und behandeln. Mehr noch, sie will, daß die Grenze zwischen beiden Teilen Deutschlands tiefer als andere Grenzen eingefurcht sein sollen.
Herr Bundeskanzler, im letzten Jahr gab es kein Morgenrot der deutschen Dinge. Es ist nebliger November in der Deutschlandpolitik geworden, so-
zusagen grauer Alltag. Wenn ich mir Ihren Vor- trag von heute morgen genau ansehe, muß ich sagen: Offenbar ist der Regierung die Kompaßnadel abgebrochen, sie weiß nun gar nicht mehr, wie sie all die damaligen großen Worte, die Hoffnungen und Wünsche, den Glauben, daß jetzt ein neues Zeitalter herannahe, relativieren, herunterspielen und vergessen machen soll.

(Abg. Seiters: Vor den Wahlen war es anders!)

Als der Herr Bundeskanzler in der „Frankfurter Rundschau" gefragt wurde, wie es denn nun eigentlich weitergehen könne in den deutschen Dingen, übte er sich wieder einmal in der Redeweise der delphischen Pythia. Er sagte: „So schwierig wird es nicht bleiben müssen zwischen DDR und Bundesrepublik". — Herr Bundeskanzler, früher haben Sie auch von diesem Pult aus viel lauter und kräftiger und Ihrer Sache sicherer als heute gesprochen. Sie haben uns damals in des Wortes zwielichtiger Bedeutung abzukanzeln versucht, wenn wir unsere eigenen Gedanken und unsere Einwände gegen diese Politik vorgetragen haben.
Meine Damen und Herren, nicht nur die Opposition in diesem Hause sagt, daß sich die Dinge gewendet hätten. Gehen Sie hinaus zur enttäuschten Bevölkerung, zu jenen, denen Sie vor der letzten Bundestagswahl auf großen Plakaten entgegengerufen haben: Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land!

(Abg. Fellermaier: Wollen Sie das abstreiten, Herr Marx?)

— Ich will Ihnen sagen: Mir war beim damaligen Wahlkampf nie ganz klar, welche Deutschen und welches Land Sie wirklich gemeint haben, ob Sie das ganze Land gemeint haben und warum man darauf stolz sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Etwa auf diese Politik, etwa auf die Tatsache, daß es jetzt zwei Deutschland gibt? War das der Sinn, war das der Zweck dieses Aufrufs? Dann, so muß ich sagen, wird erst jetzt langsam bekannt, was Sie damals offenbar gemeint haben.

(Zurufe von der SPD.)

Aus einer unerhörten Fülle von Möglichkeiten möchte ich gern einige Sätze aus den „Lübecker Nachrichten" vom 20. Januar zitieren:
Ohne Zweifel: Brandt ist in den gefährlichen Sog eines Politikers ohne Fortune geraten. Und es ist nicht allein das Stagnieren der Ost- und Deutschlandpolitik, das seine Erfolgs- und Popularitätskurve einen so deutlich abwärts-gerichteten Trend annehmen ließ. Wenn einmal die Endabrechnung über Erfolge und Mißerfolge, über Aufstieg und Fall des Regierungs-und Parteichefs Brandt aufgemacht werden sollte, dann wird die Eigenleistung seiner Partei an seinem Niedergang auf dem Blatt roter Verlustzahlen verzeichnet stehen. Der Autoritätsabbau, der Erfolgsknick und das Formtief



Dr. Marx
Brandts sind nicht allein, aber auch nicht zuletzt Folgeerscheinungen des krisenhaften inneren Zustands einer Partei,

(Abg. Wehner: Für solchen Quatsch verbrauchen Sie Redezeit im Parlament!)

die in Flügel- und Richtungskämpfen verstrickt ist.
Herr Wehner, ich könnte noch weiter zitieren.

(Abg. Wehner: Ja, sicher! Ich sage: Für solchen Quatsch verbrauchen Sie Redezeit im Parlament! Pseudoparlamentarier! Lesen Sie weiter, Herr! Das klingt so schön!)

Da wird nämlich Ihre Rolle, Herr Wehner, die Sie dabei gespielt haben, auch gegen Ihren eigenen Parteivorsitzenden — in Kiew, in Moskau und in Leningrad —, in der ganzen Öffentlichkeit beschrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Wehner, Sie müssen sich klar darüber sein, daß Sie selbst mit dazu beigetragen haben, weite Teile der Bevölkerung, die noch an diesen Kanzler glaubten und noch daran dachten, daß seine Politik ihnen weiterhilft, auf das äußerste zu irritieren. Das machen Sie dann aber mit sich selber und nicht mit uns aus.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie tun so, als ob Sie das empöre, Herr Heuchler! Da muß man ja lachen!)

Meine Damen und Herren, bei den Folgeverträgen zum Grundvertrag stagniert, wenn wir das recht sehen, fast alles. Jedesmal, wenn ich die Verhandler nach ihren mühsam deutsch-deutschen Runden am Fernsehschirm beobachte und ihre geheimnistuerischen und manchmal verlegenen und nichtssagenden Floskeln über den Inhalt der Verhandlungen höre — wenn zum Beispiel Herr Gaus sagt,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : „Spiegel"!)

er habe gar keinen Anlaß gesehen, mit seinem Ostberliner Partner über die Verdoppelung der Zwangsumtauschquote für Ostbesucher zu sprechen, obwohl zur gleichen Zeit hier im Hause in der Fragestunde uns der Parlamentarische Staatssekretär Herold erklärt, die Bundesregierung werde jede Gelegenheit wahrnehmen, um auf eine Änderung dieser hinterhältigen Geldschneiderei zu drängen —, jedesmal muß ich daran denken, daß die politische Wirklichkeit eine permanente und harte Korrektur jener Versprechungen ist, die man dem Volk vor der Bundestagswahl gemacht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Damals — wir können uns noch sehr gut zurückerinnern — hat man uns gesagt, wenn dieser Grundlagenvertrag über die Bühne sei, werden die zurückgehaltenen Kinder kommen, die Familien endlich zusammengeführt werden, werden innerdeutsche Entspannung und Normalisierung sich ausbreiten, wird der Friede immer sicherer und werden die anderen Dinge rasch hintereinander geklärt: Rechtsverkehr und Sport, Kultur und Gesundheit, Wissenschaft und Technik, Post und Fernmeldewesen, Umweltschutz und Freizügigkeit bei journalistischer Arbeit, Bezug von Zeitungen, Zeitschriften und so weiter und so fort.

(Abg. Seiters: Das war doch vor der Wahl, Herr Marx!)

— Das war vor der Wahl, und um dies deutlich zu machen, Herr Seiters, komme ich darauf noch einmal zurück. Der Bundeskanzler wollte den sogenannten Nachholbedarf in innerdeutschen Angelegenheiten, wie er es ausgedrückt hat, mit den Folgeverträgen zum Grundvertrag — siehe Art. 7 — ausfüllen. Aber heute müssen wir bei strenger Prüfung feststellen, daß es kaum einen wirklich realistischen Anhalt dafür gibt, daß Fortschritte zu erkennen wären. Nichts hilft über die Tatsache hinweg, daß z. B. im Sportverkehr und beim kulturellen Austausch die Situation zwischen beiden Teilen des getrennten Landes noch nie so dürftig, der Austausch noch nie so gering war wie gegenwärtig.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Die Propadandisten dieser Regierung haben lange genug den Eindruck erweckt, in früheren Zeiten habe sich nichts wegen der sogenannten Intransigenz der CDU bewegt. Jetzt erfahren Sie aber selbst die bittere Wahrheit, wer mauert, wer Fortschritte blockiert und wer immerfort in die andere Richtung zerrt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte noch einmal sagen, Herr Bundesminister und Herr Franke, dies erfüllt uns nicht mit Freude; denn es ist unser gemeinsames Land, es sind unsere gemeinsamen politischen Probleme. Aber die Aufgabe, die die Opposition wahrzunehmen hat, ist, darauf hinzuweisen, welch schwerwiegenden Fehlentscheidungen Sie zu früherer Zeit unterlegen waren und wie schwierig die Dinge in einem Augenblick geworden sind, in dem die Bundesregierung keine Trümpfe mehr in der Hand hat, mit denen sie in der innerdeutschen Diskussion die andere Seite dazu bringen könnte, sich dem Geist und den Buchstaben der Verträge entsprechend zu verhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es hilft nichts: Die DDR hat durch die Verträge bekommen, was sie seit Jahren verlangte, was das Hauptziel ihrer Politik war. Sie ist Mitglied der Vereinten Nationen, in die Gemeinschaft der Staaten aufgenommen und weltweit anerkannt. Aber anders, als so manche es angenommen hatten, hat dieser Vorgang leider nicht zur Entkrampfung geführt, nicht zur Bereitschaft, einen — der DDR oft zugeschriebenen — Minderwertigkeitskomplex abzulegen. Die Aufwertung der DDR führte zugleich zu ihrer erneuten Abgrenzung. Jetzt, da sie ihr Ziel erreicht hat, versuchen die Verantwortlichen in Ost-Berlin, jene nicht gerade sehr substantiellen Zugeständnisse, die sie während der Verhandlungen machten und die leider nur in Briefwechseln und Randpapieren, nicht aber im Vertrag selbst niedergelegt sind, wieder rückgängig zu machen, teilweise jedenfalls.
Die massive Kampagne gegen Fluchthelfer und die ausgesprochenen barbarischen Strafen gegen das, was man drüben Menschenhändler nennt, dies alles bereitet neue Schikanen auf den Transitstrecken vor.



Dr. Marx
Schon erhalten wir Informationen, daß dort wieder mit besonderer Sorgfalt — „gefilzt" hätte man früher gesagt diejenigen untersucht werden, die herüber und hinübergehen. Das ominöse Wort „Mißbrauch", das Herr Bahr damals, übrigens gegen unseren ausdrücklichen Wunsch, in den Text des deutsch-deutschen Teils des Viermächteabkommens hineinschreiben ließ, dieses vieler Deutungen fähige Wort „Mißbrauch" wird nun von der DDR-Justiz gebraucht, um Anklagen zu formulieren, Schauprozesse zu inzsenieren und schwere Strafen aussprechen zu lassen. Wenn wir in den Nachrichten der letzten Wochen Strafen von 8, 12 und 15 Jahren hören, meine Damen und Herren, das sind Strafen, die keineswegs den Geist der Verträglichkeit, der Versöhnung und des Ausgleichs atmen, sondern es sind vielmehr rüde Dokumente eines leninistischen Klassenkampfes. Auch dies sind Symbole für die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland.
Meine Damen und Herren, ich selbst habe es immer als in höchstem Maße peinlich erachtet, daß ausgerechnet der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, ein Berliner zumal, es gewesen ist, der sich als erster dazu verstanden hat, sogenannte Fluchthelfer anzugreifen. Die Drohung des Herrn Grabert, er werde Maßnahmen gegen Fluchthelfer ergreifen, steht ihm nicht nur nicht zu, sondern ist eine grobe Verletzung des Grundsatzes, jenen Deutschen zu helfen, die sich unter den unmittelbaren Schutz des Grundgesetzes, in die Freiheit begeben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Solche Drohungen werden auch durch nichts in unserem Grundgesetz gedeckt ,und sie sind, Herr Bahr — um Ihre letzte Rede hier zu zitieren —, schändlich.

(Abg. Reddemann: Sehr gut!)

Aber — und darüber sollte sich niemand täuschen — Graberts Aufforderung wird von manchen in Ost-Berlin sozusagen als Alibi verstanden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Grabert kündigt Maßnahmen an. Es ist nie ganz klar geworden, welche Maßnahmen er meint. Aber der jüngst bekanntgewordene Brief, den die Bundesregierung an Adressaten richtete, die man ihr in Gst-Berlin genannt hat, wird es wohl nicht gewesen sein, so unerhört dieser Vorgang an sich ist. Meine Damen und Herren, was wir leider feststellen müssen, ist, daß in Ost-Berlin Maßnahmen der schlimmsten Art ergriffen worden sind.
Herr Franke, Sie haben von der Erhöhung der Zwangsumtauschquote gesprochen. Für uns ist dies ein gezielter Schlag gegen die erweiterten menschlichen Kontakte. Wir verstehen das auch als Bruch einer Vereinbarung, Herr Kollege Bahr, die Sie mit Herrn Kohl unterschrieben haben, nämlich — das finden Sie in der Broschüre des Bundespresseamtes — eines Protokolls zu Art. 7 des Grundvertrages. Dieses Protokoll ist also ein Teil dessen, was die Regierung selbst „Vertragswerk" genannt hat. Dort heißt es wörtlich: Beide Seiten verpflichten sich
— ich zitiere
weitere Verbesserungen des grenzüberschreitenden Reise- und Besucherverkehrs einschließlich des Tourismus
anzustreben. Weitere Verbesserungen! Aber die Erhöhung ,der Zwangsumtauschquote hat das Gegenteil erreicht,

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

und dies geschah ohne Konsultation und ohne Ankündigung.
Meine Damen und Herren, das ist auch auf die Berliner, auf die Rentner ausgedehnt worden, obwohl der Herr Regierende Bürgermeister darauf verweisen kann, daß er eine „Geschäftsgrundlage" hat, die so etwas verbietet. Wenn man anhört, wie der Vertreter der DDR, Mitdank, auf die Versuche der Bundesregierung, diese Sache wieder in Ordnung zu bringen, die SED zu veranlassen, die Erhöhung der Zwangsumtauschquote zurückzunehmen, reagiert, stellt man fest, das sind höhnische Bemerkungen. Da sagt er, es handle sich um „Kreiselspiele"; es gebe gar nichts darüber zu reden, und wenn trotzdem Leute darüber reden wollten, dann sprächen sie eben nur mit sich allein.
In einer unserer Fragestunden hier hat Herr Kollege Herold ausdrücklich das Vorgehen der SED bedauert. Er fügte hinzu, daß die Bundesregierung — ich zitiere — „keinerlei Verständnis für diese empfindliche Erschwerung" der innerdeutschen Kontakte habe. Gut, da sind wir einig. Aber — das wollen wir festhalten, meine Damen und Herren — die Verantwortung dafür trägt die Bundesregierung. Sie war es, die die Verträge so, wie sie sie ausgehandelt hat, aushandelte, und wir werden nicht zulassen, daß jetzt gewisse Gesten des Bedauerns, der Verlegenheit und des Protestes ihre eigene Verantwortung verwischen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gab keinerlei ernsthaften Grund, nicht zumindest die Höhe der Umtauschquote mit der anderen Seite vertraglich zu fixieren. Es sind man braucht nur die ganzen Verträge einmal durchzusehen — so viele andere, viel unwichtigere Dinge in einer geradezu grotesken Form der peniblen Fixierung niedergelegt worden. Man hätte dies hier durchaus tun können.
Es wird dann gesagt: Ja, aber auch „andere Staaten im Osten" haben so einen Zwangsumtausch. Aber, meine Damen und Herren, eine solche Formulierung einer ohnehin absonderlichen Sache trifft ja den Kern des Problems gar nicht; denn wir alle legen ja großen Wert darauf, daß die DDR eben nicht in gleicher Weise ein anderes Land, also Ausland ist, so wie andere Ostblockstaaten, sondern daß uns mit ihr ein Verhältnis spezifischer Art, ein innerdeutsches Verhältnis verbindet. So jedenfalls hat es Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung hier formuliert. Freilich, und das ist unser Vorwurf, hat die Bundesregierung es bis heute versäumt, in diesem Hause den besonderen Charakter, die besonderen Beziehungen präzise zu definieren. Vielleicht hat sie es deshalb unterlassen, weil Herr Wehner



Dr. Marx
am 29. Oktober 1972 im ZDF der Öffentlichket eine völlig gegenteilige Meinung mitteilte. Er sagte dort — ich zitiere —: „Ich mag nämlich das nicht, mit dem besonderen Verhältnis." Was Wunder, wenn wir an so vielen Stellen feststellen müssen, daß seine Auffassung und die seines Parteivorsitzenden so weit auseinandergehen.
Ich selbst fürchte, daß unter dem Druck der DDR, die ihrerseits ja lediglich internationale, völkerrechtliche Beziehungen gelten lassen will und mit der niemals der Charakter innerdeutscher Beziehungen wirklich vereinbart worden ist, auch dieser Standpunkt der Bundesregierung mehr und mehr aufgeweicht wird. Bei der Debatte, die wir hier im Hause führten über die Gewährung von Erleichterungen, Vorrechten und Befreiungen an die Ständige Vertretung der DDR hat an dieser Stelle der — wie man sagt — für die innerdeutschen Beziehungen rundum zuständige Minister Franke am 14. Juni 1973 erklärt — ich zitiere —, man müsse mit dem Gesetz jetzt schnell zum Abschluß kommen; es sei nicht zu verantworten, damit bis in den Herbst zu warten; denn die praktischen Regelungen erlaubten nun keinen Aufschub mehr.
Der Kollege Wischnewski hat — meiner Erinnerung nach am gleichen Tage —in einer Rede mit einem kräftigen rhetorischen Appell an die Bundesregierung geendet, sie solle die Verhandlungen mit der DDR so zügig wie möglich führen, damit die Vertretungen sehr schnell ihre Arbeit aufnehmen könnten. Dies alles, Herr Kollege Wischnewski, war — —

(Abg. Wischnewski: Rhetorisch war nur die Wiedergabe!)

— Herr Wischnewski, wenn Sie das sagen, dann will ich Ihnen meinen nächsten Satz sagen. Dies alles war im Juni 1973; jetzt debattieren wir Ende Januar 1974. Was war nun mit der Rhetorik, was war mit Ihrer Aufforderung an die Regierung, sich zu beeilen? Auf einen groben Nenner gebracht, wenn wir alles ansehen, den ganzen Aufwand in der bisherigen Zeit: Außer Spesen nichts gewesen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, noch einmal konkret: Welche Regelungen sind nun erreicht? Damals, als wir das genannte Gesetz für die Erleichterungen der Vertretung der DDR debattierten, haben Sie sich hier im Hause geweigert, uns die Möglichkeit zu geben, mit Ihnen zusammen ein besseres Gesetz zu machen. Heute aber zwingt Sie Ihr Ostberliner Partner, sich viel Zeit zu lassen, Zeit, die Sie damals der Opposition nicht gönnten. Damals hätten Sie mit uns zumindest beschreiben können, was eine „Ständige Vertretung" ist. Auch das haben Sie abgelehnt. Aber Sie haben diese Formel in den Grundvertrag hineingeschrieben und nicht einmal mit dem Partner ausgehandelt, was darunter zu verstehen ist. Ich sage, daß solche dilettantischen Verhandlungsmethoden sich jetzt bitter rächen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Matthöfer.)

— Herr Matthöfer, sprechen Sie nicht von Verhandlungsmethoden, Sie haben noch viel Gelegenheit,
darüber zu sprechen, in welch dilettantischer Weise Ihr eigenes Haus nicht in Ordnung gehalten worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dazu haben Sie noch viele Möglichkeiten. Mir ist im Augenblick die Zeit zu schade, auf den Bericht des Bundesrechnungshofes zurückzukommen, Herr Matthöfer. Wir tun das wahrscheinlich in einer Weise, die Ihnen nicht sehr angenehm sein wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Einrichtung von Vertretungen in Ost-Berlin und hier in Bonn war ursprünglich vom neuen Chefunterhändler, von Herrn Gaus, für den Herbst 1973 angekündigt. Insoweit, Herr Wischnewski, verstehe ich es, daß Sie damals sagten: Los, drängt, wir wollen in der Sache vorankommen! Jetzt wird gesagt: 1. März. Aber auch von diesem Datum kann jetzt wohl keine Rede mehr sein; denn — dies gilt es festzuhalten, auch wegen der Öffentlichkeit — die DDR beharrt nach wie vor auf der Akkreditierung des Vertreters der Bundesrepublik Deutschland beim Außenministerium in Ost-Berlin, so wie jeder andere Botschafter einer fremden Macht. Die Ostberliner Vertretung soll nicht, Herr Kollege Franke, bei Ihnen — Sie sind zwar zuständig, aber so zuständig sind Sie nun auch wieder nicht —, sondern unter den Fittichen Ihres Nachbarn, des DDR-Spezialisten Herrn Bahr im Bundeskanzleramt, „angebunden" werden. Vielleicht gibt es noch eine Chance — bis jetzt haben wir das nicht gehört —, daß Vertreter der Regierung uns heute hier klipp und klar sagen, was sie unter besonderen Beziehungen und was sie unter besonderen Vertretungen verstehen.
Man könnte eigentlich sagen: wer dies exakt wissen will, muß auf das Karlsruher Urteil, auf jene alle Verfassungsorgane in diesem Lande bindende Auslegung zurückgreifen, die von dieser Regierung, meine Damen und Herren, bis zum heutigen Tage nicht amtlich den deutschen auswärtigen Missionen zur Erläuterung bei den Regierungen der Gastländer mitgeteilt worden ist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ein Urteil, von dem man trotz allem, was gesagt worden ist, Herr Bundeskanzler, den Eindruck hat, daß es der Regierung, was die Begründungen aller einzelnen Sätze anlangte, eher peinlich war, ein Urteil, das diese Bundesregierung in fremde Sprachen zu übersetzen sich, Herr Kollege Moersch, mit der schnodderigen Begründung weigerte, man müsse es wohl am besten im Urtext lesen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Wir haben heute wieder erlebt, daß die Regierung Zahlen über den Besucherverkehr zwischen beiden Teilen Deutschlands vorgelegt hat, die wir kennen. Aber warum läßt man uns den anderen und den grausameren Teil der Wahrheit sagen? Warum hat Herr Franke nicht die Gelegenheit benutzt? Warum hat sich die Bundesregierung nicht hier hingestellt und die bösartigen Methoden der anderen Seite angesprochen und sich dagegen gewehrt? Warum hat sie nicht gesagt, daß mit vielfältigen



Dr. Marx
Methoden die menschlichen Erleichterungen abgewürgt werden?
Lassen Sie mich sagen, daß die Zahl der sogenannten Geheimnisträger, denen man jeden Westkontakt verbietet, mittlerweile auf viele Hunderttausende angewachsen ist, daß die Menschen drüben bei Betriebsversammlungen gezwungen werden, sich in offene Listen einzutragen und sich damit zu verpflichten, weder Briefe aus dem Westen zu empfangen noch welche dorthin zu schreiben, ja, daß sie nicht einmal einen Besuch einladen dürfen, und wenn trotzdem einer kommt, müssen sie den Inhalt der Gespräche mitteilen. Sogar der Kollege Windelen hat vor kurzem darauf hingewiesen — die Briefträger werden gezwungen, Empfänger von Westpost beim Staatssicherheitsdienst zu melden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wenn jetzt jemand sagt, dies alles sei nichts Neues, so muß man leider erwidern: Doch, da gibt es eine Fülle neuer Dinge. Nachdem der Vertrag unterschrieben worden ist, hat man sie eingeführt, und es ist gar kein Zweifel, daß damit in einer sehr rabiaten Weise gegen den Geist und gegen den Buchstaben dieser Vereinbarungen, vor allem aber gegen die damit verbundenen Hoffnungen, wie sie die Bundesregierung ausgedrückt hat, verstoßen wird.
Wir müssen leider auch festhalten, daß es keinerlei Verbesserung, keinerlei Humanisierung der Lage an Grenze und Mauer gegeben hat. Dort wird weiter gemordet. Das grenznahe Hinterland ist mit
tausend Fallen bestückt, so daß nur die wenigsten die drei- und vierfache Sperrzone durchqueren können.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie wollten weiterschreiten auf dem Wege einer Versöhnung. Ich würde das Wort „Versöhnung" in diesem Zusammenhang noch nicht in den Mund nehmen. Ich würde sagen: Versuche den Ausgleich! Aber Sie müssen auch zugeben, daß alle Hoffnungen auf eine wirkliche, meßbare, dauerhafte Entspannung in Deutschland, von der die Menschen hüben und drüben etwas haben, sich noch nicht erfüllt haben. Auch dies gehört zur Lage im gespaltenen Deutschland.
Der Bundeskanzler sagt auf Seite 21 des uns gegebenen Manuskripts seiner Rede, Appelle allein würden die Minenfelder nicht wegschaffen. Das wissen wir auch, aber wir waren der Meinung, daß das, was von unserer Seite geopfert und geleistet worden ist, was in den Verträgen stand, mithilft, die Wachtürme und die Minenfelder zu beseitigen. Der Satz hätte anders herum lauten müssen: Trotz allem, was wir geleistet haben, gibt es die Minenfelder, gibt es die Wachtürme, gibt es die Selbstschußanlagen und gibt es weiterhin die Mitteilungen, daß heute morgen und in der Nacht der eine oder andere ermordet worden ist.
Auch die Entwicklung um Berlin gibt zu vielerlei Bedenken Anlaß. Man soll sich nicht täuschen: Die Sowjets und ihre Verbündeten versuchen tagaus, tagein, das Viermächteabkommen einseitig zu interpretieren. Sie suchen eine Öffnung, um auch in
Westberliner Angelegenheiten mitreden zu können. Ein unschönes Beispiel dafür finde ich übrigens im PPP — der Ihnen, meine Herren von der SPD, ja wohl nahesteht — vom 9. Januar im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Bundesamtes für Umweltschutz. Es heißt da wörtlich: „Jetzt steht nur noch das Einverständnis der Sowjetunion aus." Welche völlige Verkennung der Tatsachen! Oder: Welches Opfer der Propaganda, daß es sich um einen Vertrag über West-Berlin und damit um eine Statuierung auch der permanenten sowjetischen Einrede in West-Berlin gehandelt habe!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Viele Hoffnungen, die man im Zusammenhang mit dem Viermächteabkommen — ich sage das mit Bedauern — uns hier vorgetragen hatte, sind jetzt sehr gedämpft. Der Herr Bundeskanzler hatte früher gesagt, die Bindungen von West-Berlin an den Bund seien jetzt unbestritten, und er hatte hinzugefügt, daß auch in den Ostländern die konsularische Vertretung Berlins durch Diplomaten des Auswärtigen Amts vorgenommen werden könne. Das sieht heute ganz anders aus, anders auch deshalb, weil die Bundesregierung — ich erwähne nur das traurige Schauspiel um die Wahrung Berliner Rechte im Zusammenhang mit dem Aushandeln des Vertrages mit Prag — nicht durchhielt, sondern weil sie — dies ist ein Vorwurf, und dieser Vorwurf hat leider seine Berechtigung — erneut nachgab. Am 17. Januar schrieb Günther Gillessen in der heute gar nicht so gut behandelten FAZ, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — ich zitiere :
Deshalb ist die mit Prag und Moskau vorgesehene Sonderregelung für den Rechtshilfeverkehr Westberliner Gerichte ein Schaden für Berlin.
Und er fügte hinzu, der Störwert der immer noch vorhandenen Berlin-Probleme für die Ostpolitik sei gestiegen.
Zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland gehört auch, daß viele in der DDR, die jetzt mithören und mitsehen, über den Bundeskanzler und seine Politik enttäuscht sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Viele, die vor zwei Jahren noch hofften, heute aber wissen, daß weder die Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten noch die Aufgabe der demokratischen Alleinvertretung, noch die Begegnungen in Erfurt und Kassel, noch die Ostverträge insgesamt, noch die Verträge mit der DDR, noch das Viermächteabkommen über Berlin, noch die Aufnahme der DDR in die UN, noch die Forcierung des innerdeutschen Handels und die Stundung von Milliarden-Schulden der DDR, noch Gefälligkeit nichts Entscheidendes, keine Wende herbeigeführt und — wie Herr Kollege Carstens heute morgen sagte — nichts dazu beigetragen haben, im anderen Teil des Landes endlich Menschenrechte herzustellen. Die Herrschaftsformen der SED sind trotz Breschnew-Besuch hier und trotz Ostkrediten und Kreditankündigungen nicht gemildert worden. Aber die DDR beginnt — das kann man sehr genau beobachten —,
4806 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974
Dr. Marx
sich im Ausland so aufzuspielen, als sei sie die eigentliche Vertretung der deutschen Nation.
Ich habe, wie man vielleicht sagen mag, meine Damen und Herren, über Einzelheiten gesprochen, aber jede dieser Einzelheiten betrifft die Menschen. Und wir alle übrigens gleich, in welcher Partei wir unsere politische Heimat gefunden haben — sind doch davon überzeugt, daß der Mensch in der Mitte unseres politischen Bemühens steht.
Lassen Sie mich zum Schluß Ihren Blick noch auf die historische Dimension lenken, die den Entscheidungen der letzten Jahre innewohnt. Niemand wird sich dem Eindruck entziehen können, daß sich die Bundesrepublik Deutschland von einem Teil jener Überzeugungen entfernt hat, die dieses Land seit 1948 bewegt, vorangebracht und ihm einen hohen Rang und hohes Ansehen in der Welt eingetragen haben.

(Abg. Dr. Becher [Pullach] : Sehr richtig!)

Der politische Standort der Bundesrepublik Deutschland ist für viele aus Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, nicht mehr selbstverständlich an der Seite des Westens, nicht mehr selbstverständlich mitten im Bündnis, sondern irgendwo auf der Schaukel zwischen Ost und West und für manche sogar auf dem Weg zu einem sozialistischen Europa. So kann dieses Land am Ende auch Freunde verlieren und deren Schutz.
Trotz all dieser Tendenzen fühlen wir uns — entsprechend dem Auftrag der Verfassung, einem Auftrag, den das Karlsruher Gericht jüngst so eindrucksvoll in, wie ich hoffe, aller Erinnerung rief — verpflichtet, auf Einheit und Freiheit für alle Deutschen hinzuwirken, und sei dies auch noch so fern.

(Zuruf des Abg. Hansen.)

Darin besteht die Hoffnung für viele, darin und in der lebhaften Ausgestaltung des freien Europas.
Diese Bundesregierung hat durch ihre Ost- und Deutschlandpolitik die Weichen für lange Zeit gestellt. Das wissen wir. Wir sind keine Träumer, und wir richten uns auf die gegebenen Tatsachen ein. Aber der Sinn von Politik ist doch wohl, vorhandene Realitäten zu verändern und durch bessere Realitäten zu ersetzen. Dies ist auch in der Deutschlandpolitik unser Ziel.
In ,der Bevölkerung dieses Landes ist .die Stimmung umgeschlagen. An der Schwelle unserer Zeit steht eine neue Generation, die uns bald fragen wird,

(Zuruf des Abg. Hansen und weitere Zurufe von der SPD: Au! — Hört! Hört!)

was wir in ,den deutschen und europäischen Dingen gedacht und geplant, getan und unterschrieben haben. Wir wollen uns bemühen, vor ihrem kritischen Blick und ihrem kritischen Urteil zu bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707602900
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.

(Unterbrechung von 13.12 Uhr bis 14.00 Uhr.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707603000
Meine Damen und Herren, ,die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir treten in die
Fragestunde
— Drucksache 7/1555 —
ein. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Dr. Eppler zur Verfügung.
Die erste Frage — Frage 24 — ist von der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister eingebracht worden. Sie wird auf Wunsch der Frau Kollegin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Schwencke auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; ,die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller (München) auf. — Auch er ist nicht im Saal, so daß die Frage schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird ebenfalls als Anlage abgedruckt.
Ich rufe ,die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Kann die Bundesregierung jetzt definitiv bestätigen, daß sie Jugoslawien als Leistungen für ein „Entwicklungsland" Zusagen für insgesamt eine Milliarde DM Kredite gemacht hat, und kann sie die damit verbundenen Konditionen mitteilen?
Der Abgeordnete ist im Saal. Herr Bundesminister!

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707603100
Herr Kollege Wohlrabe, die Bundesregierung hat Jugoslawien am 20. Dezember 1972 einen Kapitalhilfekredit in Höhe von 300 Millionen DM mit 30 Jahren Laufzeit und 2,5 % Zinsen bei acht Freijahren gewährt. Sie hat in der Fragestunde vom 6. Dezember 1973 mitgeteilt, daß Vorgespräche über die Gewährung weiterer Kapitalhilfe geführt werden. In diesen Vorgesprächen hat sich ergeben, daß eine Einigung über einen Kapitalhilfekredit von 700 Millionen DM, verteilt auf mehrere Jahre, erreichbar erscheint. Die Konditionen wären dann die Normalkonditionen der Kapitalhilfe.
Bevor die Bundesregierung offizielle Verhandlungen darüber beginnt, wird sie die zuständigen parlamentarischen Gremien unterrichten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707603200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!

Jürgen Wohlrabe (CDU):
Rede ID: ID0707603300
Herr Bundesminister, können Sie uns jetzt schon mitteilen, wann in etwa diese offiziellen Verhandlungen beginnen?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707603400
Nein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707603500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Opitz.




Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0707603600
Herr Minister, sind Sie bereit, nochmals zu bestätigen, daß die Jugoslawien zugesagten Mittel auf keinen Fall zu Lasten anderer Entwicklungsländer gehen, damit durch die Frage des Kollegen Wohlrabe kein falscher Eindruck entsteht?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707603700
Dies bezieht sich sowohl auf die 300 Millionen DM, die schon abgeflossen sind, als auch auf die weiteren Mittel, für die wir beim Bundesfinanzministerium eine Sonderverpflichtungsermächtigung erhalten werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707603800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wulff.

Dr. Otto Wulff (CDU):
Rede ID: ID0707603900
Herr Minister, bedeuten diese 700 Millionen DM Kapitalhilfe für Jugoslawien ein Plus zur gegenwärtigen Entwicklungshilfe?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707604000
Sie bedeuten ein Plus zu dem, was bisher nach den Plänen, die Sie kennen, in der VE-Planung vorgesehen war.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707604100
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Trifft die in der gutachtlichen Äußerung des Bundesrechnungshofes zur verwaltungsmäßigen Durchführung der bilateralentechnischen Hilfe gemachte Aussage zu, daß die Bundesregierung den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit im September 1971 bei der Beratung einer stärkeren Heranziehung von Consulting-Firmen über die anfallenden Projektkosten bei der Gawi falsch informiert hat und wenn ja, wie erklärt sie dies?
Herr Bundesminister!

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707604200
Herr Kollege Werner, es trifft nicht zu, daß der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit im September 1971 falsch informiert worden ist. Bei der 7%igen Gawi-Pauschale auf die Projektkosten handelt es sich um Abschlagszahlungen. Die Abrechnung der gesamten Verwaltungskosten der Gawi erfolgt jährlich und wird vom BMZ überprüft. Die Abschläge werden hierbei natürlich mit berücksichtigt.
Der Gesamtaufwand der Gawi machte 1971, als gefragt wurde, bezogen auf die Projektkosten 7,4 % aus. Bezieht man die Umsatzsteuer mit ein, so ergeben sich für 1971 7,75%. Der Vergleich zeigt, daß zwischen der Höhe des Abschlagsatzes und des endgültigen Kostensatzes kein erheblicher Unterschied besteht. Von einer falschen Information kann also hier nicht die Rede sein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707604300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0707604400
Herr Bundesminister, wie können Sie dann erklären, daß hier in dieser gutachterlichen Äußerung wortwörtlich ausgeführt ist:

(1 — die Bundesregierung — führte dabei aus, daß Consulting-Firmen im Normalfall teurer wären als die Gawi und daß die Gawi nur 7 v. H. der Projektkosten verlange. Dann folgt eine Differenzierung, wie Sie sie jetzt angegeben haben. Sind Sie der Auffassung, daß dieses Gutachten die Dinge falsch darstellt? Herr Kollege Werner, auf diese Frage kommen wir noch im Zusammenhang mit anderen Fragen, die gestellt worden sind, zurück. Aber die Distanz zwischen dem, was die Consultings kosten, und dem, was die Gawi kostet, wird dadurch, daß man statt 7 % bei der Gawi 7,4 % sagt, überhaupt nicht berührt. Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Herr Bundesminister, können Sie uns die Gründe angeben, weshalb nicht auch schon in der Vergangenheit verstärkt Consulting-Unternehmen unter dem Gesichtspunkt höherer Wirtschaftlichkeit von Ihrem Hause herangezogen wurden? Herr Kollege Werner, ich bin gern bereit, alle Fragen, die des weiteren noch von Ihren Kollegen gestellt worden sind, jetzt schon vorweg zu beantworten. Ich frage mich nur, ob dies im Sinne dieser Fragestunde ist. Herr Kollege, damit sind — wie Sie wissen — Ihre beiden Zusatzfragen verbraucht. Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel. Herr Minister, halten Sie es für einen guten Stil, wenn ein vertrauliches Gutachten, das nur durch Geheimnisbruch in die Öffentlichkeit gekommen sein kann, zum Anlaß genommen wird, um solche Aktionen in der Fragestunde zu starten, und gehe ich richtig in der Annahme — — Herr Kollege, ich lasse diese Frage an dieser Stelle nicht zu, weil sie nicht in dem notwendigen Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage steht, Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Werner auf: Welche Stellung bezieht die Bundesregierung zu den in dem Gutachten gemachten Vorschlägen zur Reorganisierung des Durchführungsbereiches für die technische Hilfe? Das Gutachten des Bundesrechnungshofs ist mit Unterstützung meines Ministeriums und des Bundesfinanzministeriums auf Grund einer Bitte des Haushaltsausschusses dieses Hauses erstellt worden. Das BMZ stimmt mit dem Gutachten des Rechnungshofes darin überein, daß die gegenwärtige Arbeitsteilung zwischen BfE — Bundestelle für Entwicklungshilfe — und Gawi, wie sie auf Grund eines Gutachtens des Präsidenten des Bundesrechnungshofs in seiner Eigenschaft als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung vom August 1969 eingeführt wurde, Doppelarbeit nicht ausschließt. Wir stimmen weiterhin darin überein, daß eine stärkere Verlagerung von Entscheidungskompetenzen rauf Träger in Entwicklungsländern unerläßlich ist, z. B. bei der Sachbeschaffung durch Projektleiter, daß auf der Grundlage der Länderhilfeprogramme eine weitere Konzentration der deutschen Entwicklungshilfe zu konsistenten Programmen anzustreben ist, daß sich das Regionalprinzip des BMZ bewährt hat und an der derzeitigen BMZ-Organisation insoweit festzuhalten ist, daß die entwicklungspolitische Gesamtverantwortung für die Maßnahmen der Entwicklungshilfe eine ministerielle Aufgabe ist, die von den Regionalreferaten wahrgenommen werden muß, und daß dem Ausbau der eingeleiteten zentralen Projektdatenerfassung auf der Basis der EDV künftig erhöhte Bedeutung zukommen. Die Bundesregierung stimmt mit dem Bundesrechnungshof nicht darin überein, daß die Durchführung der technischen Hilfe ganz oder überwiegend privaten Consultings übertragen werden kann. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter! Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß bereits auf der dritten landwirtschaftlichen Projektleitertagung nicht erst auf der vierten — Beanstandungen erhoben wurden, wie sie jetzt eigentlich in dem Gutachten des Bundesrechnungshofes bekräftigt werden? Ich denke insbesondere z. B. daran, daß Ihr Ministerium es bisher nicht immer verstanden habe, den beratenden Projektleitern im Ausland Projektziele klar und verständlich darzulegen. Herr Kollege, da Sie zu den Neulingen in diesem Hause gehören, ist es Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß es nie eine Zeit gegeben hat, in der nicht Projektleiter über die Betreuung durch die Gawi, durch die BfE und durch das Ministerium Klagen geführt hätten. Der Unterschied ist nur der, daß ich in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten draußen auf meine Frage, ob die Beanstandungen mehr oder weniger geworden seien, immer die eindeutige Antwort bekommen habe, daß die Zahl der Beanstandungen geringer geworden sei. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl. Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß Experten der Entwicklungshilfe nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch Kenntnisse über das jeweilige Entwicklungsland, dessen entwicklungspolitische Probleme, pädagogisches Geschick und anderes mehr benötigen, und wie ist unter diesem Gesichtspunkt der Vorschlag des Bundesrechnungshofs zu beurteilen, Projekte durch eine Vielzahl von Consultings durchführen zu lassen? Herr Kollege, wenn ich meine eigenen Erfahrungen aus vielen Gesprächen draußen und auch auf Grund der Akten zusammenfasse, muß ich sagen, daß es, wenn Projekte der deutschen technischen Hilfe nicht richtig funktionieren, in der Mehrzahl der Fälle nicht auf eine geringe fachliche Eignung der Experten zurückzuführen ist; diese ist praktisch immer vorhanden, bei den Consultings ebenso wie bei den Gawi-Experten. Die Fehlerquote entsteht vielmehr dadurch, daß es manchem Experten der Gawi — aber oft natürlich noch mehr der Consultings — schwerfällt, sich auf die besonderen Bedingungen des Entwicklungslandes einzustellen, und gelegentlich auch schwerfällt, miteinander auszukommen. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brück. Herr Bundesminister, wäre es auf Grund der gemachten Erfahrungen nicht besser, die damals auf Grund des Gutachtens des 'Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung eingeführte Organisationsform dahin zu ändern, daß wir von der Dreizur Zweistufigkeit kommen? Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Herr Kollege Brück, ich möchte Ihre Frage mit einem glatten Ja beantworten. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Köhler. Herr Minister, trifft die Pressemeldung zu, bereits in den Inspektionsberichten des Ministeriums sei eingeräumt worden, daß in Projekten chaotische Zustände herrschten, und warum wurden daraus nicht sofort die entsprechenden organisatorischen Konsequenzen gezogen? Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Mein Ministerium hat nämlich im Jahre 1970 ein Inspektionsreferat eingerichtet, weil es bislang immer üblich war, daß diejenigen Referate — sei es im BMZ, sei es in der BfE — die die Projekte geplant hatten, sie auch evaluierten, was nicht Bundesminister Dr. Eppler das Richtige ist. Ich habe dem Inspektionsreferat gesagt: Ich möchte für die Leitung des Hauses absolut ungeschminkte Berichte haben, damit wir daraus Konsequenzen ziehen können. Wenn Sie jetzt den Tatbestand, daß in einem der Berichte über eines von mehreren tausend Projekten gestanden hat, in dem betreffenden Projekt hätten chaotische Zustände geherrscht, als Urteil für die gesamte deutsche Entwicklungshilfe heranziehen wollen, dann überlasse ich der deutschen Öffentlichkeit die Wertung dieses Vorgangs. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gansel. Herr Präsident, ich stelle nicht noch einmal dieselbe Frage. Das sage ich vorweg, damit Sie mich ausreden lassen. Herr Kollege, das ist sehr nett von Ihnen. Das erleichtert mir die Amtsführung. Herr Minister, ist es richtig, daß der Gutachter des Bundesrechnungshofes nur zwei oder drei Tage — mit Unterbrechung — bei der Gawi war und nicht bereit war, die Ergebnisse seiner Untersuchung mit der Geschäftsleitung zu besprechen, wie es sonst üblich ist? Dies entspricht den Informationen, die ich habe. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Todenhöfer. Herr Minister, sind Sie der Ansicht, daß die interne Revision in Ihrem Hause ausreichend ist? Oder sind Sie mit Ihrem Staatssekretär Sohn der Ansicht, daß über diese interne Revision hinaus eine außerhalb des Hauses aufzubauende Kontrolle Ihrer Entwicklungspolitik erforderlich ist? Herr Kollege Todenhöfer, im Augenblick sprechen wir nicht über die Revision der Entwicklungspolitik, sondern über die Inspektion von Projekten. Diese ist in meinem Ministerium heute besser organisiert als je zuvor. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Opitz. Herr Minister, gibt es nicht viele Projekte, die zwar entwicklungspolitisch notwendig, aber unter den kommerziellen Gesichtspunkten, nach denen die Consultings nun einmal arbeiten müssen, uninteressant sind? Herr Kollege Opitz, wir haben im Augenblick etwa ein Sechstel unserer Projekte in der technischen Hilfe im engeren Sinne, die wir durch Consultings abwickeln lassen. Das sind Projekte, wo besonderer Sachverstand der Consultings vorhanden ist; denken Sie an den Straßenbau und an gewisse geologische Aufgaben. Es gibt aber auch andere Bereiche, wo Sie gar keine Consultings bekämen. Deshalb halte ich den Vorschlag des Rechnungshofes, praktisch alles auf Consultings zu übertragen, im Einverständnis mit der Treuarbeit für einen Kurzschluß. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Roser. Herr Minister, treffen Mutmaßungen, die teilweise schon die Qualität von Gerüchten haben, zu, daß Ihrerseits die Absicht bestehe, die Gawi mit der Bundesstelle für Entwicklungshilfe zusammenzulegen? Herr Kollege Roser, nach der Antwort, die ich Herrn Brück gegeben habe, ist das alles weit über Mutmaßungen und Gerüchte hinausgegangen. Eine Frage des Herrn Abgeordneten Huonker. Herr Minister, einem Bericht der „FAZ" von heute entnehme ich, daß die Deutsche Revisionsund Treuhand AG — die Frage kommt selbstverständlich; ich zitiere und stelle danach die Frage : Die Tatsache, daß private Beratungsfirmen wirtschaftliche Erwägungen in den Vordergrund stellen müssen, bedingt eine stärkere entwicklungspolitische Kontrolle durch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit; bei der Zersplitterung der deutschen Consulting-Wirtschaft würde diese Aufgabe aber nur mit einer unangemessenen Aufblähung des Kontrollapparates erfolgen können. Herr Minister, meine Frage: Stimmen Sie dieser Äußerung der Treuarbeit zu? Die zuständigen Mitarbeiter meines Ministeriums sind nach gründlicher Prüfung des Vorschlags des Rechnungshofs zu demselben Ergebnis gekommen. Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel. Herr Bundesminister, da Sie soeben die Bemerkung über die Prüfung in der Gawi — nur drei Tage — gemacht haben, frage ich Sie: Wird die Bundesregierung daraufhin im Bundesrechnungshof personalpolitische Ablösungen veranlassen? Herr Kollege, ich nehme an, daß Sie unsere Verfassung mindestens so gut kennen wie ich. Deshalb erübrigt sich eine Antwort. Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Milz auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehandhabte Personalpolitik, zumal von dem Gutachten des Bundesrechnungshofs dein Ministerium der Vorwurf „der Umgehung des Haushaltsplans" gemacht wird, um sich zusätzliches Personal zur Erledigung der eigenen dienstlichen Aufgaben zu verschaffen, und trifft es zu, daß in dem betreffenden Ministerium Personen eingestellt werden, deren „fachliche und körperliche Eignung" noch unbekannt ist? Herr Minister! Herr Kollege Milz, der Einzelplan des BMZ sieht in verschiedenen Titeln vor, daß Personalausgaben für den Einsatz von Fachkräften, Beratern und Sachverständigen im Einzelfall aus Sachmitteln geleistet werden können. Ich könnte Ihnen jetzt insgesamt sieben Titel vorlesen. Ich würde das zu Protokoll geben, um den Bundestag nicht zu langweilen. — Tit. 681 01 Soziale Sicherung von deutschen Fachkräften der Entwicklungshilfe — Tit. 685 01 Berufliche Ausund Fortbildung von Angehörigen der Entwicklungsländer — Tit. 686 01 Förderung von Entwicklungsländern durch bilaterale Technische Hilfe -Tit. 685 36 Vorbereitung und Ausbildung im Inland — Tit. 686 39 Vorbereitung und Ausbildung im Ausland — Tit. 685 41 Fortbildungsund Beratungsmaßnahmen im Inland — Tit. 686 41 Fortbildungsund Beratungsmaßnahmen im Ausland. Diese Titel erlauben es dem BMZ u. a., Experten für eine begrenzte Zeit im Ministerium zu beschäftigen. Das hat den Vorteil, daß Vakanzen zwischen zwei Projekteinsätzen überbrückt werden und die praktischen Erfahrungen der Experten für die Planungen des Ministeriums vorübergehend nutzbar gemacht werden können. Das gilt vor allem auch für die BfE. Dort werden gelegentlich für projektbezogene fachliche Einzelaufgaben, zum Teil mit außergewöhnlichem Schwierigkeitsgrad, Experten beschäftigt, soweit dort keine Bearbeiter mit entsprechender Vorbildung oder Berufserfahrung zur Verfügung stehen und das im Interesse einer zügigen und effizienten Bearbeitung notwendig ist; z. B. bei den Verkehrsplanungsprojekten in Djakarta und Bangkok haben wir das getan. Das entspricht auch der Auffassung des Bundesrechnungshofs, der selbst ausgeführt hat, daß es dem BMZ und der BfE nicht möglich sei, sämtlichen erforderlichen Sachverstand im Geschäftsbereich selbst abzudecken, und daß es deshalb darauf ankomme, externen Fachverstand zu mobilisieren. Allerdings war die Vorprüfstelle meines Ministeriums, des BMZ, in einigen Fällen, insgesamt in vier Fällen, der Ansicht, daß bei der BfE die entsprechenden Titelbestimmungen nicht beachtet worden seien. Diese Prüfungsbemerkung des BMZ hat der Bundesrechnungshof in seinem Gutachten übernommen, bevor die BfE dazu Stellung bezogen hat. Sollte die Beanstandung, die wir selbst gemacht haben, richtig sein, so wird das abgestellt. Im übrigen trifft es natürlich nicht zu, daß im BMZ Personen eingestellt werden, deren Eignung unbekannt ist. Keine Zusatzfrage? — Herr Kollege, Sie haben eben auf Ihre Zusatzfrage verzichtet? — Dann rufe ich die nächste Frage auf. — Einen Augenblick. Wenn der Herr Abgeordnete selbst auf eine Zusatzfrage verzichtet hat, rufe ich jetzt die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Milz auf: Trifft es zu, daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Mißachtung der vom Ministerium vorgeschriebenen Beschaffungsverfahren die Vergabe an bestimmte Firmen erteilt hat, ohne zu beachten, daß konkurrierende Firmen vorhanden sind und das Ministerium somit den Wettbewerb ausgeschaltet hat, und wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Bundesregierung den Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit im September 1971 dahin unterrichtet hat, „daß Consulting-Firmen im Normalfalle teurer wären als die Gawi und daß die Gawi nur 7 °Io der Projektkosten verlange", obwohl das Gutachten des Bundesrechnungshofes zu dem Ergebnis kommt, daß diese Information falsch sei, da übersehen wurde, „daß die sogenannte siebenprozentige GawiPauschale Herr Kollege Milz, im Bereich der technischen Hilfe werden Aufträge an Consulting-Unternehmen nicht vom BMZ, sondern von der Bundesstelle für Entwicklungshilfe vergeben. Die BfE ist bei der Auftragsvergabe an die Vorschriften der Verdingungsordnung für Leistungen, VOL, VOB, gebunden. Ein vom Ministerium vorgeschriebenes besonderes Beschaffungsverfahren besteht darüber hinaus nicht. Die VOL sieht drei Vergabearten vor: a)

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707604500
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707604600
Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0707604700
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707604800
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707604900
Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0707605000

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707605100

(Abg. Seiters: Der Gansel hat ein Demokratieverständnis!)




Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707605200
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707605300
Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0707605400
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707605500

(Zustimmung bei der SPD.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707605600
Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0707605700
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707605800
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707605900
Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0707606000
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707606100
Dr. Volkmar Köhler (CDU):
Rede ID: ID0707606200
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707606300




(Beifall bei der SPD.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707606400
Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0707606500
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707606600
Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0707606700
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707606800
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707606900
Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0707607000
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707607100

(Beifall bei der SPD.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707607200
Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0707607300
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707607400
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707607500
Hans Roser (CSU):
Rede ID: ID0707607600
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707607700
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707607800
Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID0707607900

(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707608000



Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707608100
Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0707608200
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707608300

(Beifall bei der SPD.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707608400
Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707608500
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707608600

(Zuruf.)

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707608700



Bundesminister Dr. Eppler
Das BMZ ist auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen nach wie vor der Auffassung, daß die Einschaltung von Consulting-Firmen im Normalfall teurer ist als die Einschaltung der Gawi. Dies ist nun auch wieder die Antwort, die Herr Kollege Werner noch haben wollte. Der Bundesrechnungshof hat sich bei seinem Gutachten darauf beschränkt, zu behaupten, daß dies nicht beweisbar sei. Die nach § 7 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung erforderliche Kosten-Nutzen-Analyse wurde vom Bundesrechnungshof nicht angestellt.
Würde die Gawi ihre Aufwendungen auf der Basis von Gemeinkostenzuschlägen wie bei den Consultings — zur Zeit werden Zuschläge zwischen 90 und 150 °/o auf die Grundgehälter der Auslandsexperten verrechnet — abrechnen, so würde dies — nicht nach Angaben meines Ministeriums, sondern nach Angaben der Treuarbeit —, angewendet auf das Jahr 1972, zu folgenden Ergebnissen führen: Bei einem Gemeinkostenzuschlag von 100 °/o hätte die Gawi statt 18,4 Millionen DM ohne Umsatzsteuer ca. 44 Millionen DM ohne Umsatzsteuer abgerechnet. Bei einem Gemeinkostenzuschlag von 140 °/o hätte dies zu einer Forderung an den Bund von 62 Millionen DM ohne Umsatzsteuer statt 18,4 Millionen DM ohne Umsatzsteuer geführt. Selbst wenn einzuräumen ist, daß die Tätigkeiten der Gawi und die von Consultings nicht in vollem Umfang vergleichbar sind, so zeigt schon diese Diskrepanz, daß bei einer Umstellung auf Consulting-Verträge der Bund stärker belastet würde.
Was die Gawi-Pauschale angeht, verweise ich auf die Antwort, die ich Herrn Kollegen Werner gegeben habe.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707608800
Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0707608900
Herr Minister, Sie sprachen selber von 30 Vergaben, die freihändig getätigt wurden. Sind diese freihändigen Vergaben durchgeführt worden, obwohl Ihrem Hause konkurrierende Firmen bekannt waren?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707609000
Ich kann noch einmal sagen: Es gibt überhaupt nur zwei Fälle, in denen mein Ministerium direkten Einfluß auf die Vergabe genommen hat. Die 30 Vergaben, von denen hier die Rede ist, sind von der BfE so getätigt worden, daß sie der VOL entsprechen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707609100
Sie haben keine weitere Zusatzfrage? — Zusatzfrage des Abgeordneten Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID0707609200
Herr Minister, in der vorhin von mir erwähnten Stellungnahme der Treuarbeit wird erneut behauptet, daß Consulting-Firmen erheblich teurer seien als die Gawi. Können Sie mir bestätigen, daß der Aufsichtsratsvorsitzende der Treuarbeit der Präsident des Bundesrechnungshofes ist?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707609300
Ja, dies muß ich bestätigen. Ich muß allerdings hinzufügen, daß der Präsident des Rechnungshofes, Herr Schäfer, weil er Vorsitzender des Aufsichtsrates der Treuarbeit ist, sich an der Abfassung und der Beschlußfassung über dieses Gutachten des Rechnungshofes nicht beteiligt hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707609400
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Opitz.

Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0707609500
Herr Minister, hätte nicht durch einfache wirtschaftliche Überlegung und durch den Vergleich einzelner Abrechnungen festgestellt werden können, daß Consultings fast doppelt so teuer sind wie die Gawi?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707609600
Verehrter Herr Kollege Opitz, ich möchte hier so wenig Wertungen wie irgend möglich aussprechen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707609700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0707609800
Herr Minister, Sie erwähnten vorhin, daß der Präsident des Bundesrechnungshofs das Ergebnis nicht unterzeichnet hat. Trifft es aber zu, daß sicherlich diejenigen, welche die Untersuchungen durchgeführt haben, dieses Ergebnis unterzeichnet haben?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707609900
Natürlich, Herr Kollege Josten. Ich wollte doch nur klarmachen, daß der Präsident des Rechnungshofes den Interessenkonflikt, in den er geraten ist — nämlich daß er einerseits Präsident des Rechnungshofs ist, andererseits Aufsichtsratsvorsitzender der Treuarbeit , korrekt gelöst hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707610000
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID0707610100
Herr Minister, fühlen Sie sich durch die Begutachtung des Rechnungshofes eigentlich ungerecht behandelt?

(Lachen bei der SPD.)


Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707610200
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß ein Minister vor dem Parlament darüber philosophieren sollte, ob er gerecht oder ungerecht behandelt worden ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707610300
Nach dieser Zusatzfrage sehe und höre ich keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Äußerung von Bundesminister Eppler, Haushaltspläne könnten bei der technischen Hilfe nicht eingehalten werden, den schweren Vorwurf der Umgehung des Haushaltsplans, der vom Bundesrechnungshof erhoben wird, in ausreichender Weise beantwortet?




Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707610400
Herr Kollege Josten, die mir unterstellte Äußerung, Haushaltspläne könnten bei der technischen Hilfe nicht eingehalten werden, habe ich nie getan. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß es schwierig ist, zu Jahresbeginn erstellte Projektlisten, Rahmenplanungen und Planungen von Einzelprojekten strikt einzuhalten, da jedes Projekt mit einem souveränen Partner ausgehandelt werden müsse, dessen Wünsche und Möglichkeiten sich rasch wandeln.
Diese Feststellung ist übrigens beim Haushaltsausschuß — vielleicht sind einige Mitglieder des Ausschusses heute hier — auf volles Verständnis gestoßen, weil sie der Praxis jeder Entwicklungshilfe entspricht. Mit einer Nichteinhaltung von Haushaltsplänen hat dies nichts zu tun.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707610500
Zusatzfrage des Fragestellers.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0707610600
Herr Minister, wie erklären Sie sich dann, daß eine solche falsche Äußerung, die Sie, wie Sie angeben, nicht getan haben, in die Öffentlichkeit kommt?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707610700
Herr Kollege Josten, wenn ich darüber philosophieren wollte, warum so viele falsche Äußerungen in letzter Zeit in die Öffentlichkeit gekommen sind, könnte ich meinen Dienstobliegenheiten nicht mehr nachkommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707610800
Herr Abgeordneter Josten, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0707610900
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß gerade der Bundesrechnungshof unsere besondere Anerkennung verdient, weil er im Interesse des Steuerzahlers Fehler und Mängel aufdeckt? Sollten wir deshalb nicht sogar geschlossen überlegen, diese Dienststelle zukünftig noch stärker auszubauen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707611000
Herr Kollege Josten, ob der Rechnungshof weiter ausgebaut werden soll, ist wohl eine Frage an den Bundesminister der Finanzen und an den Haushaltsausschuß. Ich kann nur sagen: Ich respektiere die Arbeit des Rechnungshofes. Dieser Staat braucht diesen Rechnungshof.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr gut!)

Ich stelle nur fest — ich bitte Sie, das nicht als eine übertriebene Wertung anzusehen —, daß es dem Rechnungshof offenbar besonders schwerfällt, mit einem Ministerium zurechtzukommen, das es im Ausland, Tausende von Kilometern von hier entfernt, mit souveränen Partnern zu tun hat — eine
Aufgabe, die bisher einem preußischen Rechnungshofbeamten eben nicht gestellt war.

(Abg. Gerster [Mainz] : Also doch ungerecht behandelt!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707611100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0707611200
Herr Bundesminister, wären Sie zu gegebener Zeit bereit, den im „Spiegel" erwähnten Vorprüfungsbericht, der wohl auch in einem inneren Zusammenhang mit den Prüfungsergebnissen des Bundesrechnungshofes steht und wonach offensichtlich auch Ihr Haus schon vor längerer Zeit chaotische Mißstände festgestellt habe, dem Parlament hier oder an anderer Stelle zugänglich zu machen?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707611300
Zu dem Thema „chaotische Zustände" habe ich gesagt, was zu sagen war. In dem Bericht, von dem Sie hier reden, steht das gar nicht drin. Im übrigen handelt es sich um einen ganz normalen Prüfungsbericht, wie sie jedem Ministerium periodisch zugehen und von den zuständigen Referaten und Abteilungen dieses Ministeriums bearbeitet werden. Dann gibt es eine Gegenäußerung, und die Mißstände, die tatsächlich da sind, werden abgestellt. Dies ist ein normales Verfahren bei sämtlichen Ressorts, nicht nur der Bundesregierung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707611400
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID0707611500
Herr Minister, würden Sie die strenge Beurteilung, die Sie den Beamten des Bundesrechnungshofes zukommen lassen, auch an die Arbeit der Beamten Ihres Hauses anlegen?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707611600
Verehrter Herr Kollege, Sie wissen, daß ich eine Fürsorgepflicht für meine Beamten und nicht das Recht habe, vor diesem Hause meine Beamten zu kritisieren. Ich möchte aber noch einmal ausdrücklich klarstellen, daß ich die Aufgabe des Rechnungshofes respektiere und alles ernst nehme, was der Rechnungshof sagt. Nachdem ich aber meine ganze Organisation im Durchführungsbereich der technischen Hilfe bis ins einzelne auf ein Gutachten abgestellt habe, das mir der damalige Präsident des Rechnungshofs in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung gegeben hatte, und jetzt genau wegen dieser Organisation härteste Kritik des Bundesrechnungshofs bekomme, erlaube ich mir auch die konkreten konstruktiven Vorschläge des Bundesrechnungshofs unter eine kritische Lupe zu nehmen, damit es mir nicht wieder so geht, daß ich Vorschläge des Rechnungshofs übernehme, durchführe und nachher dafür geprügelt werde.

(Abg. Seiters: Er fühlt sich ungerecht behandelt wie immer!)



Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707611700
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Kollegen Josten auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß schwerwiegende Mängel in der Verwaltung, der Kontenführung, der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten, bei der Sachbeschaffung für die Projekte mit dem Hinweis auf Gutachten des Bundesrechnungshofs zur Organisation der Technischen Hilfe aus den Jahren 1968 und 1969 abgetan werden können, und wie versteht die Bundesregierung die Verantwortlichkeit der Bundesregierung und eines Bundesministers für die Organisation seines Zuständigkeitsbereichs?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707611800
Die Organisationsgewalt im BMZ obliegt dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dieser hat sich bei der Einrichtung einer dreistufigen Organisation für die Durchführung der technischen Hilfe bis in die Einzelheiten hinein an den Vorschlägen orientiert, die der Präsident des Bundesrechnungshofs als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung 1968 und 1969 gemacht hat. Aus der Tatsache, daß dies weder die Verantwortlichkeit des Ministers aufhebt, was mir natürlich immer klar war, noch spätere Kritik des Bundesrechnungshofs daran ausschließt, was mir nicht gleich klar war, ziehe ich die Schlußfolgerung, daß sich das BMZ bei der nun fälligen Reorganisation des Durchführungsbereiches nicht nur von den Vorstellungen des Rechnungshofs, sondern insbesondere von seinen eigenen im Jahre 1973 selbst erarbeiteten Vorstellungen leiten läßt.
Was die übrigen Vorwürfe Ihrer Frage angeht, sind sie schon im Zusammenhang mit anderen Fragen beantwortet.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0707611900
Herr Minister, können wir nicht alle davon ausgehen, daß bei den Empfehlungen zur Organisation der technischen Hilfe, die Sie vorhin erwähnten, der Bundesrechnungshof schon 1968 und 1969 für eine einwandfreie Kontenführung bei der Sachbeschaffung für die Projekte eintrat, so wie es praktisch für jeden Industriebetrieb, jeden Kaufmann oder Handwerksbetrieb Vorschrift ist?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707612000
Natürlich! Aber, verehrter Herr Kollege, wenn Sie in Ihrer Frage und jetzt in der Zusatzfrage von der Kontenführung sprechen, so erlauben Sie mir, ein Beispiel zu nennen, das auch im „Spiegel" berichtet wird als Beispiel für liederliche Rechnungsführung. Da wird gesagt, daß das Ergebnis der Inspektion des Rechnungshofs im Falle des Krankenhauses Diourbel in Senegal schlimme Ergebnisse gehabt habe. Dafür nennt der „Spiegel" ein Zahlenbeispiel. Ich bin dieser Frage nachgegangen. Es ist aber schwierig, einen meiner Beamten zur Rechenschaft zu ziehen. Hier liegt keine Schludrigkeit meines Beamten vor, wie der „Spiegel" behauptet, sondern ein Irrtum des Rechnungshofs. Der Prüfungsbeamte des Rechnungshofs hat beim Nachrechnen des Bewilligungsbetrags einen Additionsfehler gemacht,

(Heiterkeit)

indem er bei der Subtraktion des zehnziffrigen Ausgabebetrags versehentlich drei Ziffern addierte, statt sie gleichzeitig zu subtrahieren. Berichtigt man den Rechnungsfehler des Rechnungshofbeamten, so ergibt sich Übereinstimmung bis auf den letzten Pfennig zwischen der Ausgaberechnung des BMZ und der BfE. Ich sage dies nicht als Kritik am Bundesrechnungshof, sondern als Hinweis darauf, daß es sogar im Rechnungshof Menschen gibt.

(Beifall bei der SPD.)


Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0707612100
Herr Minister, nachdem Sie vor diesem Hause Ihren Respekt gegenüber dem Bundesrechnungshof betont haben, können wir doch davon ausgehen, daß — auch im Interesse unserer Entwicklungshilfe — Mängel, welche vom Bundesrechnungshof aufgezeigt und zum Teil auch veröffentlicht wurden — Sie nannten die „Spiegel"-Nummer 4/74 —, von Ihnen als dem zuständigen Minister beseitigt bzw. von Ihrem Ministerium restlos aufgeklärt werden?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707612200
Herr Kollege Josten, es ist doch selbstverständlich, daß ein Minister, wenn er ein solches Gutachten in die Hand bekommt, nicht zuerst fragt, was der Rechnungshof falsch gemacht hat, sondern zuerst fragt, was im eigenen Hause falsch gemacht worden ist. Wir sind dabei, dies Satz für Satz im Hause durchzusprechen und festzustellen: wo ist ein harter Kern, wo sind wirklich Beanstandungen, die wir abstellen müssen? Selbstverständlich werden wir dies tun, und insofern bin ich natürlich auch dem Rechnungshof für dieses Gutachten dankbar.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707612300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0707612400
Herr Minister, nach der Kritik an der Durchführung und Organisation der Entwicklungshilfe möchte ich Sie fragen: Wann und auf wessen Empfehlung wurde überhaupt die Dreistufigkeit eingeführt?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707612500
Die Dreistufigkeit wurde durch einen Kabinettsbeschluß der Großen Koalition im Februar des Jahres 1969 eingeführt auf Grund eines Gutachtens von Herrn Hopf und auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707612600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Picard.

Walter Picard (CDU):
Rede ID: ID0707612700
Herr Minister, da Sie sich offenbar mit der Entstehung der Dreistufigkeit der Verwaltung befaßt haben

(Lachen bei der SPD)

— in Ihrem Hause natürlich —, frage ich Sie, ob
Ihnen wirklich nicht bekannt ist, daß der Bundesrechnungshof diese Dreistufigkeit nicht empfohlen



Picard
hat, sondern daß dem Gutachten des Bundesrechnungshofs ein Kabinettsbeschluß vorausging und der Bundesrechnungshof, an diesen Beschluß gebunden, lediglich für diese Bundesbehörde, genannt „Bundesstelle für Entwicklungshilfe", die entsprechende Organisationsstruktur usw. empfohlen hat?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707612800
Herr Kollege, in diesem Hause sitzt ein Abgeordneter, der Ihnen das noch genauer erläutern könnte: mein Kollege Wischnewski. Ich will es aber — er kann mich ja korrigieren — selber sagen. Zuerst kam die Frage an den Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung: sollen wir dies tun? Das war 1968. Dann kam der Beschluß des Kabinetts der Großen Koalition — ich glaube, am 19. Februar 1969 —, und dann hat das Kabinett gesagt: Jetzt wollen wir aber über die Details, wie das gemacht werden soll, noch ein Gutachten von Herrn Hopf bekommen. Dieses zweite Gutachten ist dann bis in die Einzelheiten befolgt worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707612900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bühling.

Reinhard Bühling (SPD):
Rede ID: ID0707613000
Herr Minister, im Hinblick auf die breit vorgetragenen Vorwürfe hinsichtlich der Verwaltung und besonders bezüglich der Aktenordnung würde ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, daß es gerade auf dem Gebiet der Aktenführung so vorzügliche Experten gibt, daß es nicht nötig ist, daß sich immer ein Bundesminister selber damit befassen muß?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707613100
Herr Kollege, wir kommen auf die Frage der Aktenordnung ja in einer der nächsten Fragen, wenn ich mich nicht ganz täusche, noch zurück.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707613200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0707613300
Herr Minister, nachdem Sie soeben Ihr Verständnis für die Menschen im Rechnungshof zum Ausdruck gebracht haben, darf ich Sie fragen, ob Sie vorher die Formel vom „preußischen Rechnungshofbeamten" geographisch, geschichtlich, wertend oder abwertend gemeint haben.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707613400
Sie wissen ja, Herr Kollege, daß man die Württemberger für die Preußen Süddeutschlands hält. Wenn ich von Preußen rede, dann ist das immer anerkennend gemeint.

(Heiterkeit.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707613500
Eine letzte Frage des Herrn Abgeordneten Niegel,
bevor ich die Frage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer aufrufe.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0707613600
Herr Bundesminister, Sie haben vorhin entschuldigend darauf hingewiesen, daß der Rechnungshof wegen der Zustände im Ausland und wegen ,der anderen Regierungen bei den Entwicklungshilfeprojekten nicht so durchblicken konnte und daß auch Rechenfehler festgestellt wurden. Sind auch Rechenfehler deswegen festgestellt worden, weil Mißstände in .der Organisation Ihres Hauses vorhanden sind, u. a. auch, weil zu wenig Fachkräfte vorhanden sind und die Fachkräfte mehr Ideologie machen als praktische Entwicklungshilfepolitik?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707613700
Herr Minister, einen Augenblick! Herr Kollege Niegel, Sie wissen selbst, daß Sie mit dieser Frage den Rahmen, den die Frage des Kollegen Josten im Hinblick auf die Kontenführung gezogen hat, weit überschritten haben. Aber der Herr Minister soll es sich überlegen.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707613800
Herr Kollege Niegel, wenn Sie m i r vorwerfen — mir persönlich als Politiker —, daß ich mich zuviel mit Ideologie beschäftige, so werde ich dies mit Fassung ertragen. Aber meinen Beamten dürfen Sie dies nicht vorwerfen.
Im übrigen habe ich immer erklärt, ,daß die Durchführung der Technischen Hilfe verbesserungsbedürftig ist. Wir haben vor einem Jahr ein fertiges Konzept für die Abschaffung der Dreistufigkeit gehabt und haben dann aus Respekt vor dem Haushaltsausschuß und vor dem Bundesrechnungshof abgewartet. Man hat uns dann ,gesagt, wir würden das Gutachten im September bekommen; es ist dann kurz vor Weihnachten gekommen. Das heißt also, ich habe noch nie bezweifelt, ,daß auf diesem Gebiet vieles verbesserungsbedürftig wäre.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707613900
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Todenhöfer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dafür Sorge zu tragen, daß das Gutachten des Bundesrechnungshofs, das zur Zeit noch als Verschlußsache behandelt wird, der deutschen Öffentlichkeit bekanntgegeben wird?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707614000
Herr Kollege Todenhöfer, das Gutachten des Bundesrechnungshofes ist mit Unterstützung des BMZ und des BMF auf Grund einer Bitte des Haushaltsausschusses erstellt worden, wie Sie aus dem Protokoll vom 16. 5. 1973 ersehen können. Es wurde vom Rechnungshof als Verschlußsache „Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft und dem Haushaltsausschuß des Bundestages zugeleitet. Zugleich wurde gemäß § 88 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung ,die Bundesregierung unterrichtet. Eine Aufhebung des Geheimhaltungsgrades kann nur durch den Bundesrechnungshof erfolgen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß ich es außerordentlich begrüßen würde, wenn sich nach Ver-



Bundesminister Dr. Eppler
öffentlichung des Gutachtens eine breite Sachdiskussion über Funktion und Durchführung der technischen Hilfe ergeben würde. Der Bundesrechnungshof hat bisher meiner Bitte um Veröffentlichung nicht stattgeben können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707614100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0707614200

(der Opposition, bevor wir über eine Neuorganisation diskutieren, Einblick in diesen Rechnungsprüfungsbericht des Bundesrechnungshofs zu geben? Ich bin sehr erstaunt darüber, daß Sie (die Wertungen des „Spiegels" offenbar heute kritiklos übernehmen. Aber ich bin gern bereit, mit den Berichterstattern des Haushaltsausschusses über diesen Prüfungsbericht zu sprechen. Er liegt ihnen ohnehin vor, und er wird ohnehin im Hause bearbeitet. Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bühling! Herr Minister, können Sie mir bestätigen, daß es außer dem „Spiegel" noch ein anderes sehr sachverständiges Gremium, nämlich den Entwicklungshilfeausschuß der OECD gibt, dessen Vorsitzender, Botschafter Martin, ein sehr positives Urteil über die Effektivität der deutschen Entwicklungshilfe und des 'BMZ gefällt hat, und könnte das auch in geeigneter Weise dargelegt werden? (Abg. Dr. Marx: Das war eine flankierende Frage! — Abg. Wohlrabe: Bühling stellt einen Entlastungsantrag)

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707614300

(Abg. Dr. Marx: Tempora mutantur!)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707614400
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707614500

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707614600
Herr Kollege, die Frage steht leider nicht in dem geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit der hier gestellten Frage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0707614700
Herr Bundesminister, nun sind aus diesem Gutachten des Bundesrechnungshofs Teile in die Öffentlichkeit gekommen, die die gesamte Entwicklungshilfe in ein schlechtes Licht bringen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, daß dieses Gutachten der deutschen Öffentlichkeit tatsächlich voll übergeben wird, um eine sachliche Aufklärung geben zu können?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707614800
Herr Kollege Stahl, ich wäre dem Haushaltsausschuß dankbar, wenn er sich von sich aus als Empfänger des Gutachtens an den Präsidenten des Rechnungshofs mit der Bitte wenden würde, die Veröffentlichung zu genehmigen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707614900
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Opitz.

Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0707615000
Herr Minister, sollte bei einer eventuellen Veröffentlichung nicht auch eine Stellungnahme der Kritisierten mit veröffentlicht werden, damit sich die Öffentlichkeit ein ausgewogenes Bild machen kann?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707615100
Sie können sicher sein, daß dies geschieht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707615200
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Todenhöfer auf:
Welche Sofortmaßnahmen wird Bundesminister Eppler ergreifen, um — noch vor einer Neuorganisation der deutschen Entwicklungshilfe — wenigstens die schwerwiegendsten Mängel, die der Bundesrechnungshof nach Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. Januar 1974 festgestellt hat, insbesondere die Umgehung des Haushaltsplans durch die Erledigung dienstlicher Aufgaben durch zusätzliches Personal, das Nichteinhalten des rechtlich zwingend vorgeschriebenen Besdiaffungsverfahrens, die Unmöglichkeit, die genaue Zahl der bearbeiteten Projekte festzustellen, die Tatsache, daß die von der BfE geführten Statistiken einer Nachprüfung nicht standhalten, das Fehlen einer Gesamtverantwortung für ein Projekt, das Fehlen einer einheitlichen Aktenordnung und die mangelhafte Planung, Lieferung ungeeigneten Geräts und zu aufwendige Ausstattung, abzustellen?
Bitte, Herr Minister!

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707615300
Herr Kollege Todenhöfer, Ihre Frage geht davon aus, daß die in der „FAZ" erwähnten schwerwiegenden Mängel tatsächlich vorliegen. Darüber haben wir schon im einzelnen diskutiert.
Erstens. Auf den Vorwurf, das BMZ habe den Haushaltsplan umgangen, bin ich in meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Milz eingegangen.
Zweitens. Zum Thema Beschaffungsverfahren habe ich bereits bei Frage 31 des Abgeordneten Milz Stellung genommen.
Drittens. Die Folgerungen, die daraus gezogen werden, daß im BMZ, in der BfE und in der Gawi verschiedene Zahlen von Projekten und Fachkräften genannt werden, sind unzutreffend. Projekte, die von der BfE über andere Träger, also z. B. über Consultings, abgewickelt werden, sind bei der Gawi naturgemäß nicht erfaßt. Weiter gibt es nach wie vor Projekte, die im Auftrag des BMZ ohne Einschaltung der BfE über die Gawi abgewickelt werden. Das gilt vor allem für die Bereiche des Post- und Verkehrswesens. Es ist daher zwingend, daß die Angaben über Projektzahl und Fachkräfte bei den jeweiligen Institutionen voneinander abweichen.
Viertens. Die Gesamtverantwortung für die Projekte der Technischen Hilfe ist im BMZ eindeutig



Bundesminister Dr. Eppler
festgelegt. Die integrale Verantwortlichkeit für das einzelne Projekt von der Planung bis zum Abschluß lag immer im BMZ. Mit Wirkung vom 1. April 1973 ist diese Gesamtverantwortung innerhalb des BMZ von den Fachreferaten auf die Regionalreferate übergegangen, und dies ist durch eine Hausverfügung ausdrücklich festgelegt worden.
Zur Aktenordnung: Bei der BfE gibt es selbstverständlich eine einheitliche Aktenordnung. Danach werden nicht neun verschiedene Akten für ein und dasselbe Projekt geführt, sondern eine sinnvoll gegliederte Projektakte, die in neun verschiedene Teilakten untergliedert ist. Diese Gliederung macht umfangreiche Projektakten erst lesbar. Weniger umfangreiche Projektakten werden ohne diese Gliederung geführt. Selbstverständlich weicht diese Aktenordnung von dem Aktenplan des BMZ auf Grund der unterschiedlichen Aufgabenstellung ab.
Im übrigen, Herr Kollege, gestehe ich Ihnen, daß ich mich nicht für einen Fachmann für Aktenordnung halte, und wenn der Bundesrechnungshof Einwände gegen die Aktenordnung einer Behörde hat, so läßt sich darüber mit dieser Behörde wahrscheinlich ohne Emotionen vernünftig reden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707615400
Herr Abgeordneter, Zusatzfrage.

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0707615500
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung des Bundesrechnungshofes in seinem Gutachten, daß auch nach der Neuregelung der Gesamtverantwortung am 1. April 1973 immer noch nicht erkennbar ist, wer die Gesamtverantwortung für ein Projekt trägt, weil man Gesamtverantwortung — wenn ich das hinzufügen darf nicht nur rechtlich tragen, sondern auch wahrnehmen muß?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707615600
Meine Antwort ist: nein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707615700
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0707615800
Herr Minister, wenn ich in der Ausgabe der „Zeit" von dieser Woche lese — ich darf zitieren —:
Die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik ist uneigennütziger geworden. Sie ist nicht mehr nur ein bloßes Instrument der Außeninteressen wie früher z. B. zur Bewahrung der HallsteinDoktrin,
möchte ich Sie fragen, ob Sie mir beipflichten können, wenn ich meine, daß die Fragen, die heute hier gestellt worden sind und die sich offensichtlich auf ein fehlerhaftes Gutachten des Bundesrechnungshofes stützen,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

genau in der hier angesprochenen qualitativen Veränderung der Entwicklungshilfe ihren Grund haben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707615900
Herr Abgeordneter, ich kann diese Frage wegen des fehlenden Gesamtzusammenhangs hier nicht zulassen.

(Abg. Wohlrabe: Sehr gut!)

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reiser.

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0707616000
Herr Minister, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die Organisation und die Abwicklung der technischen Entwicklungshilfe in anderen Industrieländern und auch in dem Entwicklungshilfesystem der Vereinten Nationen reibungslos abläuft?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707616100
Herr Kollege, wer einmal das Gutachten der sogenannten Jackson-Kommission über die Technische Hilfe im UN-Bereich gelesen hat, der weiß, daß es im Grunde noch keine Verwaltung gibt, die voll mit all den Problemen fertig geworden ist, die die Entsendung von Experten, ihre Einfügung in fremde Strukturen sowie ihre Betreuung aus einer Entfernung von mehreren tausend Kilometern wirklich stellt. Dies ist aber kein Grund, daß wir nicht jeden Tag versuchen, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707616200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0707616300
Herr Minister, was hat die Bundesregierung eigentlich bis jetzt schon getan, um Ablauf und Organisation der Technischen Hilfe und der Entwicklungshilfe insgesamt zu verbessern?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707616400
Herr Kollege Holtz, wir haben uns schon im Jahre 1969 gründlich Gedanken über die Organisation nicht nur des Durchführungsbereichs, sondern auch des Bereichs des BMZ selbst gemacht. Wir haben dann im Jahre 1970 eine Umorganisation vorgenommen, und im Jahre 1973 haben wir noch die Entscheidungsbefugnisse von den Fachreferaten auf die Regionalreferate verlagert. Ich gebe Ihnen gerne zu, daß wir vielleicht erst in vielen Jahren eine endgültige Form der Organisation für diesen diffizilen Bereich gefunden haben werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707616500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0707616600
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß die in dem noch nicht veröffentlichten Gutachten gemachten Aussagen wesentlich schwerwiegender und schlimmer sind, als das in der FAZ angedeutet worden war?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707616700
Sie meinen jetzt das Gutachten, von dem die FAZ berichtet hat?

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0707616800
Jawohl!


Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707616900
Das kann ich mit Nein beantworten; die haben sich die Rosinen schon herausgepickt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die böse FAZ!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707617000
Die letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0707617100
Herr Bundesminister, da die Opposition die Aktenordnung wohl für eine wichtige politische Frage hält, möchte ich Sie fragen, ob es hier vielleicht tiefgehende ideologische Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition gibt.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707617200
Herr Kollege, ich kann hier nur für meine eigene Partei sprechen: das ist im Godes-berger Programm nicht geregelt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg. Kroll-Schlüter: Die Jungsozialisten nehmen das jetzt in München auf!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707617300
Ich komme jetzt zur nächsten Frage des Herrn Abgeordneten Wulff.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707617400
Herr Präsident, ich stelle gerade fest, daß ich aus Versehen den sechsten Punkt der Frage des Abgeordneten Todenhöfer noch nicht voll beantwortet habe. Erlauben Sie mir, daß ich das noch nachhole?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707617500
Herr Minister, ich bin damit einverstanden, wenn der Herr Kollege noch Wert darauf legt. — Er legt keinen Wert mehr darauf.
Ich rufe also die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Wulff auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Hausverfügung Nr. 34 aus dem Jahr 1971, die die Einzelverantwortlichkeiten bei der Durchführung der bilateralen Technischen Hilfe regelt und die nach der Aussage des Bundesrechnungshofs keine Gesamtverantwortlichkeit erkennen läßt, immer noch in Geltung ist und eine Neuregelung noch nicht erfolgte, obwohl seit dem 1. April 1973 die Gesamtverantwortung für ein Projekt bei den Regionalreferaten des BMZ liegen soll?
Bitte, Herr Minister, zur Beantwortung der Frage des Kollegen Wulff.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707617600
Herr Kollege Wulff, ich verweise bei der Beantwortung Ihrer Frage auf ,das, was ich zur Frage 35 von Herrn Todenhöfer gesagt habe. Die Hausverfügung Nr. 34/71, auf die Sie freundlicherweise verweisen, ist durch die Hausverfügung Nr. 18/73 ersetzt worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707617700
Zusatzfrage!

Dr. Otto Wulff (CDU):
Rede ID: ID0707617800
War diese neue Hausverfügung, Herr Minister, bereits erlassen, als der Bundesrechnungshof prüfte? Wohlgemerkt: die neue Hausverfügung!

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707617900
Die Antwort ist: Ja.

Dr. Otto Wulff (CDU):
Rede ID: ID0707618000
Ist damit ein eklatanter Fehler bei der Prüfung durch den Bundesrechnungshof feststellbar?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707618100
Herr Kollege Wulff, ich möchte hier keine Wertungen aussprechen, sondern nur feststellen, daß die Beauftragten des Rechnungshofes erstens Menschen sind und zweitens für diese Aufgabe auch nicht unbeschränkt Zeit hatten und es deshalb Punkte gibt, wo wir zu widersprechen wagen.

(Abg. Gerster [Mainz] : Das ist doch keine Antwort!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707618200
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Opitz.

Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0707618300
Da außer dem Kollegen Dr. Wulff offensichtlich niemand diese Verfügung kennt, möchte ich Sie fragen, Herr Minister: Kann man erfahren, was in der Hausverfügung 34 steht?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707618400
Diese Hausverfügung betrifft die Verantwortlichkeit der Regionalreferate für die Projekte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707618500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID0707618600
Herr Minister, können Sie meine Vermutung bestätigen, daß zwischen dem auffallenden Interesse von Vertretern der Opposition an Hausverfügungen des BMZ und dem absoluten Fehlen konzeptioneller entwicklungspolitischer Überlegungen in der Opposition ein Zusammenhang bestehen könnte?

(Heiterkeit.)


Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707618700
Herr Kollege Huonker, ich möchte dies zumindest nicht dementieren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707618800
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Wulff auf:
Wie soll nach Auffassung der Bundesregierung eine Gesamtverantwortung der Regionalreferate des BMZ für die Projekte realisiert werden, wenn die Regionalreferate nicht über die notwendigen Unterlagen und Informationen über ihre Region und über die Projekte besitzen, und wenn das BMZ nicht über die entsprechenden Fachleute verfügt und in hohem Maße fur die Planung der Projekte auf die Durchführungsinstitution zurückgreift?
Herr Minister!




Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707618900
Herr Kollege Wulff, den Regionalreferaten stehen für die Einleitung, Planung und Durchführung von Maßnahmen die notwendigen Unterlagen und Informationen voll zur Verfügung. Bei der Vorbereitung der Entscheidungen des Ministeriums greifen die Regionalreferate — übrigens entsprechend dem Vorschlag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes von 1968 — selbstverständlich auf das Fachwissen verschiedener Institutionen, auch der BfE, zurück. Eine solche Entscheidungshilfe durch die BfE stellt keinesfalls eine Verlagerung einer ministeriellen Tätigkeit nach außen dar. Richtig ist vielmehr, daß gerade dadurch dem Erfordernis einer fachlich ausreichend orientierten ministeriellen Projektentscheidung Rechnung getragen wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707619000
Herr Abgeordneter, haben Sie eine Zusatzfrage? —Bitte!

Dr. Otto Wulff (CDU):
Rede ID: ID0707619100
Darf ich Sie so verstehen, Herr Minister, daß entgegen der Feststellung des, Bundesrechnungshofes alle Beamten der Fach- und Regionalreferate die notwendigen Unterlagen zur Verfügung haben, um ihre politischen Konzeptionen im Hinblick auf die Entwicklungshilfe zu entwikkeln?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707619200
Herr Kollege, ich habe Ihnen doch gerade zu sagen versucht, daß die Projekte, die wir machen, häufig so viele fachlich schwierige Probleme mit sich bringen, daß weder die Regionalreferate noch die Fachreferate in der Lage sind, alle Informationen parat zu haben, die sie dazu brauchen. Deshalb schalten wir z. B. das Entwicklungsinstitut in Berlin gelegentlich ein und andere Institute, dazu auch die BfE, weil wir versuchen, den Fachverstand heranzuholen, den wir im Ministerium nur haben könnten, wenn wir es in einer Weise aufblähten, wie dies von der Verwaltung her nicht zu rechtfertigen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707619300
Sie haben, Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage!?

Dr. Otto Wulff (CDU):
Rede ID: ID0707619400
Herr Minister, davon ausgehend, daß beim Bundesrechnungshof keine Beamten sind, die notwendigerweise unbedingt Ärger schaffen wollen, frage ich Sie: Sind Sie der Ansicht — ohne daß Sie eine Wertung abgeben wollen und sollen —, daß sich damit die Prüfer, was meine Frage anlangt, geirrt haben?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707619500
Herr Kollege Wulff, hier geht es um eine Abwägung. Man kann argumentieren: „Seht zu, daß Ihr allen Fachverstand ins Ministerium bekommt!" Das ist eine legitime Argumentation. Herr Hopf hat seinerzeit umgekehrt argumentiert. Er hat gesagt: „Ihr sollt nicht allen Fachverstand ins Ministerium nehmen, sondern Ihr sollt den Fachverstand von außen herholen." Da kann man verschiedener Meinung sein. Aber ich halte es für unerträglich,
daß man aus einer solchen Meinungsdifferenz dann in der einen oder anderen Richtung Wertungen oder Abwertungen vornimmt.

(Zustimmung bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707619600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0707619700
Herr Bundesminister, können Sie dem Hause darstellen, wieviel Projekte in den letzten Jahren durchgeführt wurden und wieviel Beanstandungen es von seiten der Entwicklungsländer gegeben hat bzw. ob überhaupt Beanstandungen zu Projekten vorhanden waren?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707619800
Herr Kollege, ich kann Ihnen im Augenblick wirklich nicht sagen, wie viele Beanstandungen es von irgend jemandem gegeben hat. Wir haben bis zum 31. Dezember 1973 — seit 1956 — insgesamt 9 304 Projekte der Technischen Hilfe gehabt. Das zeigt Ihnen vielleicht, wie schwierig es ist, in 90 Ländern so viele Projekte von hier aus zu betreuen.
Die meisten Schwierigkeiten haben wir natürlich gar nicht mit dem Bundesrechnungshof, sondern die haben wir mit ,den souveränen Regierungen der Länder, in denen unsere Experten arbeiten. Ich gebe Ihnen gern zu, daß diese Schwierigkeiten nicht geringer, sondern größer werden mit dem wachsenden 1 Selbstbewußtsein dieser Länder.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707619900
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Fragen. Herr Bundesminister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich — —

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Niegel: Bis 15.30 Uhr!)

-- Meine Damen und Herren, ich habe hier in dieser Übersieht keine Fragen aus diesem Geschäftsbereich mehr.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf.

(Abg. Dr. Marx: Sie haben gesagt: „Wir stehen am Ende ,der Fragestunde" !)

— Nein, des Geschäftsbereiches! Entschuldigen Sie, ich weiß, daß wir noch nicht am Ende der Fragestunde sind, sondern den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen haben.
Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Ravens zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Treffen die Beanstandungen des Bundesrechnungshofs über die Amtsführung des Bundesministers Dr. Eppler zu, wenn ja, welche Konsequenzen zieht der Bundeskanzler, und ist er bereit, Dr. Eppler wegen Unfähigkeit im Dienst zu entlassen?
Bitte, Herr Staatssekretär!




Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0707620000
Herr Kollege Niegel, zum ersten Teil Ihrer Frage darf ich auf die sehr ausführlichen Antworten des Herrn Bundesministers Eppler verweisen.

(Abg. Niegel: Sagen Sie ja oder nein?)

Zu einer Beanstandung der Amtsführung des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit besteht keinerlei Veranlassung.
Ich beantworte den zweiten Teil Ihrer Frage mit Nein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707620100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0707620200
Herr Staatssekretär, gibt es ähnliche, negative — hier unterscheidet sich meine Meinung von der des Bundeskanzlers

(Lachen und Zurufe von der SPD)

schwerwiegende Gutachten des Bundesrechnungshofs über die Amtsführung anderer Bundesminister, und wenn ja, welche Konsequenzen hat die Bundesregierung daraus gezogen?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0707620300
Herr Kollege Niegel, unabhängig von der Meinungsverschiedenheit, die Sie an dieser Stelle mit dem Herrn Bundeskanzler haben mich freut das; es muß ja auch Gegensätze geben —: Es war nicht Aufgabe des Bundesrechnungshofs, ,die Amtsführung des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu untersuchen. Der Bundesrechnungshof war vom Haushaltsausschuß beauftragt worden, sich mit Hilfe .des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und mit Hilfe des Bundesfinanzministeriums gutachtlich dazu zu äußern, durch welche organisatorischen Maßnahmen die Effizienz der Technischen Hilfe gesteigert werden könne. Dies war die Fragestellung. Es war eine einmalige Fragestellung, weil hier nach ,der Effizienz unserer wirtschaftlichen Hilfe im Ausland gefragt worden ist. Schon von dorther gesehen kann es ein anderes Gutachten ähnlicher Art nicht geben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707620400
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0707620500
Herr Staatssekretär, würde der Bundeskanzler zögern,

(Abg. Gerster [Mainz] : Ja, er zögert immer!)

z. B. den Leiter eines nachgeordneten Bundesamtes zu suspendieren, wenn ihm im Rahmen eines solchen Gutachtens ähnlich schwerwiegende Vorwürfe wegen seiner schlechten Amtsführung wie Herrn Bundesminister Eppler gemacht würden, und was kann sich in dieser Regierung ein Minister überhaupt alles erlauben, bis er seinen Hut nehmen muß?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0707620600
Herr Kollege Niegel, der Herr Bundeskanzler läßt Ihnen sagen, daß er seine Entscheidungen nach
den Grundsätzen der Verfassung und nach den Aufgaben, die die Verfassung stellt, zu fällen gedenk also nach sachlichen Grundsätzen und Überlegungen und nicht nach polemischen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Gerster [Mainz] : Aber er entscheidet!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707620700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Huonker.

Gunter Huonker (SPD):
Rede ID: ID0707620800
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß der Herr Kollege Niegel, nachdem er die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des BMZ gehört hat, gut daran getan hätte, die Geschäftsordnung des Bundestages daraufhin durchzusehen, wie er seine Frage rasch zurückziehen kann?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0707620900
Ich würde dem sicher zustimmen. Ich habe auch darauf gewartet.

(Heiterkeit bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707621000
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) .

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0707621100
Herr Staatssekretär, ist das Bundeskanzleramt zu dem Ergebnis, das Sie zum ersten Teil der Frage des Kollegen Niegel vorgetragen haben, durch eigene eingehende Überprüfung des vorliegenden Berichts des Rechnungshofes gelangt, oder stützt es sich lediglich auf die Angaben des Ministeriums?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0707621200
Herr Kollege Jäger, Sie wissen — der Herr Bundesminister hat ausdrücklich darauf hingewiesen —, daß der Adressat dieses Gutachtens der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages ist. Er hat zunächst einmal dieses Gutachten von uns erhalten, und zwar ohne eine wertende Stellungnahme. Wir müssen und werden abwarten, bis sich der Haushaltsausschuß mit diesen Fragen beschäftigt hat. Ich gedenke nicht, dem Haushaltsausschuß, also dem Adressaten und demjenigen, ,der Auftraggeber war, vorzugreifen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707621300
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach.

Ferdinand Breidbach (CDU):
Rede ID: ID0707621400
Herr Staatssekretär, ist im Rahmen der Prüfung, ob der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit als Bundesminister weiterbeschäftigt wird, nicht auch einmal die Frage gestellt worden, ob es einen Bundesminister dieser Regierung oder einer vorherigen Regierung gibt, der in ähnlich harter Weise vom Bundesrechnungshof wegen seiner Amtsführung gerügt wurde, w'e Herr Eppler gerügt worden ist?




Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0707621500
Herr Kollege, mich juckt es, auf diese polemische Frage eine polemische Antwort zu geben. Dann müßte ich einen Namen nennen. Wenn mich nicht alles täuscht: Herr Strauß.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707621600
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, damit ist die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch zur Verfügung. Die erste Frage — Frage 124 — ist von dem Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg eingebracht worden:
Hat der deutsche Außenminister in seinen Verhandlungen mit dem Außenminister der Volksrepublik Polen über die Frage der Umsiedlung von 50 000 Menschen beachtet, daß hei der Umsiedlung auch junge Menschen berücksichtigt werden?
Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707621700
Herr Präsident, ich habe hier in meiner Liste zunächst die Frage 52, die in unseren Geschäftsbereich übergewechselt ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707621800
Herr Abgeordneter, ich habe die Fragen hier in der Reihenfolge ,des Parlamentsdienstes. Ich hoffe, daß sich das mit Ihren Unterlagen vereinbaren läßt, weil sonst die Gefahr besteht, daß ein Fragesteller noch nicht da ist.
Ich kann aber vielleicht zunächst einmal feststellen, ob der Fragesteller der Frage 52, der Herr Abgeordnete Conradi, anwesend ist. — Er ist im Saal. Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg, wenn Sie einverstanden sind, ziehen wir dann die Frage des Herrn Abgeordneten Conradi vor. In der Zwischenzeit können die Mitarbeiter des Herrn Staatssekretärs die Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg heraussuchen.
Ich rufe jetzt also Frage 52 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
Trifft es zu, daß die Verleihung des großen Verdienstkreuzes an den griechischen Bankier und Reeder Stratis Andreadis, ehemaliger Berater von und später Handelsminister unter Papadopoulos, am 7. Januar 1974 auf einem Vorschlag der Bundesregierung beruht?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707621900
Herr Abgeordneter, nach dem Statut des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland — Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 45 vom 16. Dezember 1955 — ist für die Verleihung des Verdienstordens an ausländische Staatsangehörige allein der Bundesminister des Auswärtigen vorschlagsberechtigt. Herr Professor Andreadis ist weder offizieller Berater noch Handelsminister unter Papadopoulos gewesen. Er ist ein bekannter Bankier, Industrieller und Reeder, renommierter Wirtschaftswissenschaftler und war vor 1968 lang-
jähriger Rektor der Athener Wirtschaftshochschule. Er ist Träger hoher ausländischer Auszeichnungen und seit 1972 Mitglied der Académie Française. Wir haben ihn für diesen Orden wegen seiner jahrzehntelangem Verdienste um die Entwicklung der deutsch-griechischen Wirtschaftsbeziehungen vorgeschlagen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707622000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0707622100
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß auch der griechische Botschafter in der Bundesrepublik das Verdienstkreuz bekommen hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707622200
Ich kann das im einzelnen nicht beantworten. Es wäre jedenfalls nichts Außergewöhnliches. Auch bei Besuchen von Ausländern wird das international so gehandhabt. Ich vermag im übrigen keinen Zusammenhang mit der Ausgangsfrage zu erkennen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707622300
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0707622400
Beabsichtigt die Bundesregierung, weitere Angehörige der griechischen Regierung zur Ordensverleihung vorzuschlagen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0707622500
Ich verstehe Ihre Zusatzfrage nicht. Es war ein Antrag des Auswärtigen Amtes, den wir auf Grund der guten Erfahrungen gestellt haben, die seit Jahrzehnten mit der Tätigkeit des Ausgezeichneten gemacht worden sind, der nicht Regierungsmitglied gewesen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707622600
Ich rufe nunmehr die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Hat der deutsche Außenminister in seinen Verhandlungen mit dem Außenminister der Volksrepublik Polen über die Frage der Umsiedlung von 50 000 Menschen beachtet, daß bei der Umsiedlung auch junge Menschen berücksichtigt werden?
Herr Abgeordneter, ich danke Ihnen, daß Sie uns die Möglichkeit gegeben haben, die Dinge schneller abwickeln zu können.
Bitte, Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707622700
Zur Ausreise aus der Volksrepublik Polen sind auf Grund der „Information" Personen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit sowie diejenigen Personen berechtigt, die sich im Wege der Familienzusammenführung mit ihren in der Bundesrepublik Deutschland oder der DDR lebenden nahen Verwandten vereinigen wollen. Dabei reisen die betreffenden Personen in der Regel als Familie aus, so daß die Frage, wie stark unter den Ausreisenden junge Menschen vertreten sind, im wesentlichen vom Alter der einzelnen Familienmitglieder abhängt. Im übrigen darf ich Ihnen mitteilen, daß der Anteil der jungen Men-



Parl. Staatssekretär Moersch
schen an der Gesamtzahl der Umsiedler bisher erfreulich hoch gewesen ist. Die Bundesregierung hat daher keinen Anlaß, auf eine Änderung der bisherigen Praxis hinzuwirken.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707622800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0707622900
Herr Staatssekretär, ich entnehme der Antwort, daß Sie die Altersstruktur für befriedigend halten. Gilt das auch hinsichtlich der Aussiedlung von jungen Menschen mit höherer oder mit akademischer Ausbildung?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707623000
Herr Abgeordneter, ich habe die Frage umfassend beantwortet und gesagt, daß es sich hier um Familien handelt. Ich habe keine Unterlagen über die Frage, die Sie hier gestellt haben, zur Hand. Das wäre wohl eine neue Frage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707623100
Eine weitere Zusatzfrage.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0707623200
Herr Staatssekretär, gedenkt das Auswärtige Amt eine Aufstellung über die Altersstrukturen, die soziale Herkunft, den Ausbildungsstand usw. zu machen, damit man einen Überblick hat, wie sich die Personenkreise, die die Möglichkeit der Aussiedlung haben, zusammensetzen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707623300
Herr Abgeordneter, wenn ich mich recht erinnere, sind im Auswärtigen Ausschuß von dem Beauftragten des Roten Kreuzes Darlegungen dieser Art gemacht worden. Wenn Sie eine entsprechende präzise Frage haben, kann die Bundesregierung sich bemühen, die Antwort zu finden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707623400
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß inzwischen noch zwei Zusatzfragen hierzu vorliegen. Ich weise nur darauf hin, daß das alles zu Lasten einer Reihe von Fragestellern geht, die jetzt schon über eine Stunde gewartet haben. Herr Kollege Wittmann, auch Sie sind einer dieser Fragesteller.
Ich rufe zunächst die Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hofmann und dann die Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann auf.

Karl Hofmann (SPD):
Rede ID: ID0707623500
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es solche Listen bereits gibt, die monatlich erstellt werden, und daß dabei die Aufgliederung nach Altersgruppen ergibt, daß etwa 10 % der Aussiedler über 65 Jahre alt sind?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707623600
Herr Abgeordneter, es gibt selbstverständlich Aufzeichnungen. Ich habe hier welche. Aber es ist ein bißchen schwierig, so differenzierte Fragen aus dem Stand zu beantworten. Ich
kann Ihnen nur sagen, daß der Anteil der bis zu 15jährigen und darauf bezog sich wohl die Frage des Abgeordneten Graf Stauffenberg — ungewöhnlich groß ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707623700
Herr Abgeordneter Wittmann, bitte!

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0707623800
Herr Staatssekretär, ist es nicht vielmehr auch so, daß Familien die Ausreise deshalb verweigert wird, weil jüngere Familienmitglieder der Wehrpflicht unterliegen oder unterlagen, und daß dadurch oft eine Verzögerung von mehreren Jahren eintritt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707623900
Herr Abgeordneter, das ist wiederum eine andere Fragestellung, die ich nur beantworten kann, wenn ich die Unterlagen geprüft habe.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707624000
Die Fragen 125 und 126 des Abgeordneten Spranger werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen ab- gedruckt.
Ich rufe die Frage 127 des Abgeordneten Wittmann auf:
Wie läßt sich die neuerliche Wechselkursfestsetzung der CSSR zuungunsten von Touristen- und Besuchsreisen aus der Bundesrepublik Deutschland mit Nummer 4 und 5 des „Briefwechsels über humanitäre Fragen" zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR vom 11. Dezember 1973, wonach beide Regierungen „den Reiseverkehr zwischen den beiden Ländern weiterentwickeln" und „Möglichkeiten technischer Verbesserungen im Reiseverkehr prüfen" wollen, vereinbaren?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707624100
Die bis zum 1. Januar 1974 vorgenommene Neufestsetzung der Wechselkurse in der CSSR, Herr Abgeordneter, betrifft nicht nur die Reisenden aus der Bundesrepublik Deutschland, sondern nach den vorliegenden Informationen die Reisenden aus allen westlichen Ländern sowie aus Jugoslawien. Vergleichbare Wechselkurskorrekturen haben kürzlich nicht nur die CSSR, sondern auch die anderen RGW-Staaten, Sowjetunion, Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien, vorgenommen.
Der Bundesregierung sind die Gründe für die Neufestsetzung der Wechselkurse im einzelnen nicht bekannt. Es ist jedoch anzunehmen, daß hierfür die Entwicklung der internationalen Wechselkursrelationen sowie die Absicht maßgebend waren, die Preise in der CSSR für Aufwendungen von Reisenden an die allgemeine Preisentwicklung anzupassen. Die Bundesregierung sieht keinen Zusammenhang zwischen diesem Schritt und der von der Bundesregierung sowie der tschechoslowakischen Regierung in dem humanitären Briefwechsel in Aussicht genommenen Weiterentwicklung des Reiseverkehrs sowie der Prüfung technischer Verbesserungen im Reiseverkehr.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707624200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.




Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0707624300
Herr Staatssekretär, gebietet es nicht gerade dieser spezielle vorvertragliche Zustand, im Hinblick darauf, daß die meisten in die Tschechoslowakei reisenden Touristen aus der Bundesrepublik kommen und der bisherige Touristenwechselkurs gegenüber der Bundesrepublik etwas modifiziert war — ich denke nur an die Dubcek-Bons —, eine andere Regelung zu treffen, und hat die Bundesregierung etwas dagegen unternommen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707624400
Herr Abgeordneter, ich möchte noch einmal auf die Tatsachen hinweisen; Sie haben sie eben schon angedeutet. Die Bundesregierung glaubt nicht, daß diese Maßnahme, die gemäß der Frage zu prüfen war, einen wesentlichen Einfluß auf den Reiseverkehr aus der Bundesrepublik Deutschland in die CSSR haben wird, da das Preisniveau der CSSR für Reisende aus der Bundesrepublik Deutschland auch nach der Wechselkursneufestsetzung immer noch günstig ist. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß der alte, für westliche Reisende günstigere Wechselkurs für bestimmte Hotelbuchungen, den schwerstwiegenden Reisekostenfaktor, beibehalten worden ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707624500
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0707624600
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß das letztere, was Sie gesagt haben, nur den Pauschaltourismus betrifft und nicht den Einzeltourismus und daß diese Maßnahme darauf gerichtet ist, die Individualreisen einzuschränken?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707624700
Herr Abgeordneter, da Sie Jurist sind, haben Sie sicherlich nicht überhört, daß ich von bestimmten Hotelbuchungen gesprochen habe, eben von denen, die Sie genannt haben.

(Dr. Wittmann [München] : Dann hätten Sie es deutlich aussprechen müssen!)

— Ja, Sie haben es als Zusatzfrage gestellt. Ich kann ja nicht alle Zusatzfragen vorwegnehmen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707624800
Ich rufe die Frage 128 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie viele Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind seit der Ratifizierung des Warschauer Vertrags während ihrer Besuchsreisen im Bereich der Volksrepublik Polen verhaftet und gegen wie viele sind von den polnischen Behörden Anklage erhoben und Urteile gefällt worden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707624900
Seit der Ratifizierung des Warschauer Vertrags sind, soweit dem Auswärtigen Amt bekannt, bei Besuchsreisen im Bereich der Volksrepublik Polen 23 deutsche Staatsangehörige verhaftet worden. 8 Personen sind bereits entlassen und in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt. Von den übrigen noch inhaftierten Personen sind 7 verurteilt. Die Urteile sind noch nicht in
allen Fällen rechtskräftig. Bei den restlichen 8 Inhaftierten sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707625000
Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0707625100
Herr Staatssekretär, könnte darin, daß die Verhaftungen immer auf Grund von Spionageverdächtigungen erfolgen und dann entsprechend den polnischen Gewohnheiten die Prozesse unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt werden, Methode seitens der polnischen Behörden liegen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707625200
Herr Abgeordneter, die Gründe für die Verhaftung sind höchst unterschiedlich. Man kann das nicht verallgemeinern.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707625300
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0707625400
In welcher Weise ist es der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland möglich, den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland Rechtsschutz zuteil werden zu lassen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707625500
In der international üblichen Form. Wir beantragen die Besuchserlaubnis und stellen Anwälte zur Verfügung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707625600
Ich rufe die Frage 129 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung Nachrichten bestätigen, daß eine fünfköpfige Familie deswegen in Moskau verhaftet worden ist, weil sie ihre Bitte um Aussiedlungserlaubnis bekunden wollte, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu erreichen, daß deutsche Aussiedlungswillige zur Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vorgelassen werden?
Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707625700
Herr Kollege, ich darf zu dieser Frage in zwei Abschnitten Stellung nehmen.
Erstens. Ich nehme an, daß Sie sich hinsichtlich der Verhaftung einer Familie in Moskau auf eine dpa-Meldung vom 14. Januar 1974 beziehen. Ist das zutreffend?

(Abg. Dr. Hupka: Jawohl!)

Danach hat eine fünfköpfige Familie deutscher Abstammung in Moskau für ihre Ausreise in die Bundesrepublik demonstriert und ist daraufhin von den sowjetischen Stellen in Gewahrsam genommen worden.
Die Bundesregierung kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich folgendes bestätigen: Auf Grund der Ermittlungen unserer Botschaft in Moskau dürfte es sich bei der in der Meldung erwähnten Familie um deutsche Ausreisewillige handeln, die kurz vor Weihnachten 1973 und Anfang Januar 1974 in Moskau wegen ihres Ausreiseanliegens Kontakt mit der



Parl. Staatssekretär Moersch
Botschaft aufgenommen hat und von ihr beraten und unterstützt worden ist. Die Botschaft wurde von dritter Seite über die Aktion und angebliche Verhaftung der Familie unterrichtet.
Die Botschaft hat daraufhin das sowjetische Außenministerium um Auskunft gebeten und gleichzeitig die Bitte vorgetragen, sich bei den zuständigen sowjetischen Stellen für eine positive Entscheidung über den Ausreiseantrag zu verwenden. Am 22. Januar 1974 hat uns das sowjetische Außenministerium mitgeteilt, daß die Familie bereits am 15. Januar 1974 an ihren Wohnort zurückgereist sei, wo sie einen neuen Ausreiseantrag stellen werde.
Zur Frage der Festnahme ist keine Äußerung erfolgt. Sofern eine solche Festnahme erfolgt ist, kann es sich hier jedoch nur um eine kurzfristige Maßnahme gehandelt haben.
Zweitens. Bei den Ausreisewilligen, die mit unserer Botschaft in Moskau Kontakt suchen, handelt es sich, von Ausnahmen abgesehen, um Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die von der Sowjetunion als eigene Staatsangehörige in Anspruch genommen werden. Sie haben keine Schwierigkeiten, die Botschaft zu betreten, sofern sie ein gültiges sowjetisches Ausreisevisum besitzen.
Die sowjetische Praxis, anderen Ausreisewilligen im allgemeinen den Zugang zu unserer Vertretung nicht zu gestatten, wird als unbefriedigend empfunden. Sie kann jedoch nicht als Verstoß gegen völkerrechtliche Normen angesehen werden. So lassen die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vielmehr erkennen, daß nur der amtliche Verkehr mit den Behörden des Gastlandes und die mit der Wahrnehmung der Schutzpflicht gegenüber den eigenen Staatsangehörigen verbundenen Handlungen gestattet und geschützt werden sollen. Hieraus ergeben sich die rechtlichen Grenzen für ein Tätigwerden der Bundesregierung.
Dessenungeachtet hat unsere Botschaft in der Vergangenheit wiederholt wegen der Behinderung des Zugangs unter Hinweis auf die im internationalen Verkehr allgemein üblichen Gebräuche und Gepflogenheiten das sowjetische Außenministerium um Abhilfe ersucht. Die Bundesregierung hofft, daß in Anbetracht der grundlegend verbesserten Beziehungen zwischen den beiden Ländern und im Zuge der Entspannung innerhalb Europas derartige Beschränkungen, von denen im übrigen auch die anderen Missionen in Moskau betroffen sind, abgebaut werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707625800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0707625900
Herr Staatssekretär, ich darf an Ihren Ausdruck der Hoffnung anknüpfen: Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Hoffnung nun in Realitäten umzusetzen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707626000
Herr Abgeordneter, das hängt, wie ich soeben sagte, sicherlich auch von der Gesamtentwicklung der Beziehungen ab. Ihnen sind ja die Unterlagen über die verbesserte Ausreise aus der Sowjetunion — das hat mehrere tausend Familien betroffen — zur Kenntnis gebracht worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707626100
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0707626200
Herr Staatssekretär, da, wie Sie vorhin selber in Ihrer Antwort gesagt haben, jemand erst die sowjetische Ausreisegenehmigung haben muß, wenn er die deutsche Botschaft betreten will, diese andererseits jedoch erst beantragt werden kann, wenn derjenige, der aussiedeln will, bei der deutschen Botschaft die entsprechenden Informationen eingeholt hat, frage ich Sie: Besteht da nicht die Gefahr, daß diese Menschen überhaupt nie in den Genuß einer sowjetischen Ausreisegenehmigung kommen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707626300
Herr Abgeordneter, die Kompliziertheit der Lage ist Ihnen ja wohl gegenwärtig. Sie erinnern sich sicherlich auch an die Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes und daran, daß tatsächlich einer großen Anzahl von Menschen, die wir registriert und die um eine Ausreise nachgesucht hatten, gerade in den letzten Monaten diese Ausreise bewilligt worden ist. Die deutsche Botschaft in Moskau war damit einige Zeit sehr stark beschäftigt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707626400
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Vahlberg auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Bericht, den Pastor Tullio Vinay und Don Enrico Chiavacci im Auftrag der italienischen Sektion des Internationalen Komitees zur Befreiung der politischen Gefangenen in Südvietnam und der italienischen Sektion von Pax Christi über die Lage der politischen Gefangenen in Südvietnam im September 1973 veröffentlicht hat, und erwägt die Bundesregierung, Schritte zu unternehmen, um das Schicksal der aus politischen Gründen gefangen gehaltenen Menschen zu erleichtern?
Bitte!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707626500
Herr Abgeordneter, der Bericht von Pastor Tullio Vinay ist dem Auswärtigen Amt seit Oktober 1973 bekannt. Er hat ihn mir selbst übergeben. Er hatte während eines zehntägigen Aufenthalts in Südvietnam Gelegenheit, eine Anzahl Inhaftierter oder ihrer Angehörigen zu sprechen. Dabei hat er sich überzeugen lassen, daß viele von ihnen allein wegen ihrer politischen Gegnerschaft zur Regierung festgehalten werden. Er schildert glaubhaft, daß Unterbringung und Behandlung der Inhaftierten nicht unseren Rechtsvorstellungen entsprechen.
Es ist nicht leicht zu beurteilen, ob aus den persönlichen Erfahrungen des Verfassers analoge Schlußfolgerungen über ,das Schicksal der insgesamt rund 200 000 Gefangenen in Südvietnam gezogen werden können. Die Bundesregierung bekennt sich zu der Achtung der Menschenrechte in der ganzen Welt. Die Besorgnis in der deutschen Öffentlichkeit über die Lage der Gefangenen in Südvietnam ist der Regierung in Saigon, insbesondere durch das Ge-



Pari. Staatssekretär Moersch
spräch des Herrn Bundespräsidenten mit dem südvietnamesischen Präsidenten vom Frühjahr 1973, bekannt. Ihre Bindung an das Völkerrecht, insbesondere an das Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, hindert die Bundesregierung daran, auf das Verhalten der Regierung in Saigon gegenüber südvietnamesischen Staatsangehörigen einzuwirken. Außerdem ist die Frage des Gefangenenaustausches und der Durchführung des Pariser Abkommens einschließlich der Herstellung demokratischer Freiheiten Gegenstand der Verhandlungen, die die beiden südvietnamesischen Seiten gegenwärtig in La Celle-St. Cloud führen. Die Bundesregierung hält es für unangebracht, in diesem Stadium in der Frage der Gefangenen in den Händen der einen oder der anderen Seite Schritte zu unternehmen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707626600
Zusatzfrage.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID0707626700
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Schritte unternommen, um über ihre Vertretung bei internationalen Organisationen — ich denke an die Vereinten Nationen — mäßigend auf die Regierung von Südvietnam einzuwirken?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707626800
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen eben dargestellt, was die Bundesregierung in diesem Fall als möglich ansieht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707626900
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID0707627000
Ist unter Umständen auch daran gedacht, die Gewährung von Kapitalhilfe an Südvietnam davon abhängig zu machen, daß von der Regierung von Südvietnam gewisse Mindestanforderungen an Menschlichkeit und Humanität, an Rechtsstaatlichkeit erfüllt werden.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707627100
Herr Abgeordneter, es gehört zu den Grundsätzen der Entwicklungspolitik, daß sie nicht mit politischen Auflagen verbunden wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707627200
Ich rufe die Frage 131 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Hat die Bundesregierung auf das hessische Innenministerium eingewirkt, Protestveranstaltungen und Demonstrationen einer persischen Studentenvereinigung in Frankfurt zu unterbinden, weil diese Veranstaltungen das Verhältnis zum Iran belasteten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707627300
Herr Abgeordneter, bei der Entscheidung darüber, ob auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland Protestveranstaltungen gegen ausländische Regierungen oder gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse anderer Staaten zu tolerieren sind, ist die Bundesregierung aus ihrer Gesamtverantwortung heraus zu einer Güterabwägung verpflichtet; einer Güterabwägung zwischen
der allgemeinen Meinungsfreiheit auch für Ausländer und der Pflicht der Bundesregierung, für eine ungestörte Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen zu sorgen. Diese ungestörten zwischenstaatlichen Beziehungen sind von außerordentlicher Bedeutung für unser Land und für seine Interessen. Grundsätzlich ist deshalb davon auszugehen, daß die Bundesrepublik nicht zum Sammelplatz für innenpolitische Auseinandersetzungen anderer Länder werden darf. Aus diesen Überlegungen heraus hat die Bundesregierung das hessische Innenministerium gebeten, zu prüfen, ob den geplanten öffentlichen Demonstrationen nicht die Genehmigung zu versagen sei.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707627400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0707627500
Herr Staatssekretär, schließen Sie denn aus, daß manchmal eine Abwägung zwischen dem Recht auf Demonstration und merkantilen Interessen vorkommt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707627600
Herr Abgeordneter, es wird sicher in jeder Weise abgewogen werden müssen, und was der eine merkantile Interessen nennt, nennt der andere staatliche Interessen. Die Regierung hat die Pflicht, die gesamtstaatlichen Interessen zu vertreten, die sich von ideologischen und merkantilen Interessen unterscheiden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707627700
Sie haben keine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes auf:
In welcher Höhe hat die tschechoslowakische Regierung oder haben andere tschechoslowakische offizielle Organe finanzielle Forderungen als Reparationen oder andere Kriegsfolgeleistungen an die Bundesrepublik Deutschland angekündigt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707627800
Herr Abgeordneter, über Reparations- und andere Kriegsfolgeforderungen ist mit der CSSR nicht verhandelt worden. Die tschechoslowakische Seite hat die deutsche Seite allerdings in allgemeiner Form darauf hingewiesen, daß es nach ihrer Ansicht auf diesem Gebiet noch offene Fragen gebe. Die Bundesregierung hat die tschechoslowakische Regierung ihrerseits über ihren bekannten Standpunkt zur Frage von Reparationen, zu Wiedergutmachungsforderungen unterrichtet, demzufolge die Bundesregierung nicht in der Lage ist, über derartige Forderungen zu verhandeln. Bei dieser Sachlage ist die Frage nach der Höhe etwaiger tschechoslowakischer Forderungen dieser Art gegenstandslos.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707627900
Zusatzfrage.

Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU):
Rede ID: ID0707628000
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie mir angesichts der nicht dementierten Ceteka-Meldung vom 15. März 1964, wonach die Regierung der Tschechoslowakei die



Dr. Narjes
wirtschaftlichen Gesamtschäden auf insgesamt 1 351 Milliarden Tschechenkronen beziffert, und angesichts der Tatsache, daß in der Gesprächsrunde vom Mai 1971 über tschechoslowakische Forderungen gesprochen worden ist, bestätigen, daß in diesen Gesprächen keine bezifferten Forderungen geltend gemacht worden sind?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707628100
Mir sind bezifferte Forderungen uns gegenüber aus meinen hier vorhandenen Unterlagen nicht bekannt, aber ich werde das gerne nachprüfen.

Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU):
Rede ID: ID0707628200
Danke schön.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707628300
Keine Zusatzfragen. — Ich darf die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes aufrufen:
Welche Kredite, Kreditsubventionen und Zuwendungen, in welcher Höhe, mit welcher Begründung und zu welchem Zinssatz hat die Bundesregierung zu Lasten des Bundes oder anderer Körperschaften Staaten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa ganz oder teilweise versprochen oder in Aussicht gestellt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707628400
Herr Abgeordneter, zur Zeit wird lediglich mit zwei Ländern in dem von der Frage erfaßten geographischen Raum über Kredite zu nicht marktüblichen Zinssätzen gesprochen. Mit Jugoslawien wurden Vorgespräche über einen Kapitalhilfekredit geführt. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Bundesministers Eppler von vorhin verweisen.
Die Kapitalhilfe dient der Erfüllung entwicklungspolitischer Ziele und damit auch der Förderung der angestrebten, in die Zukunft gerichteten wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Abgesehen davon ist lediglich Polen ein zinsverbilligter Finanzkredit in Höhe bis zu einer Milliarde DM in Aussicht gestellt worden, über dessen Bedingungen noch nichts gesagt werden kann, da diese Bedingungen Gegenstand zur Zeit noch laufender Verhandlungen sind. Unsere Bereitschaft hierzu erklärt sich nicht nur aus unseren Bemühungen um eine Festigung unseres Verhältnisses zu Polen, über dessen Besonderheiten kein Zweifel bestehen kann; sie ergibt sich auch aus unserem eigenen Interesse an einer wesentlichen Intensivierung unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesem Land.
In allen übrigen Fällen handelt es sich um normale Kredite zu kommerziellen Bedingungen, die durch Bundesbürgschaften abgesichert werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707628500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Narjes.

Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU):
Rede ID: ID0707628600
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß mit Ihren Ausführungen abschließend über alle geldwerten Inaussichtstellungen, die letzten Endes zu Lasten des Steuerzahlers gehen, erschöpfend Auskunft gegeben worden ist, auch über solche, die in Vorgesprächen in Aussicht gestellt wurden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707628700
Herr Abgeordneter, ich habe meiner Antwort nichts 'hinzuzufügen. Sie wissen selbst aus Ihrer persönlichen politischen Erfahrung, daß Politik ein fortlaufender Prozeß ist. Wenn ich daran erinnern darf, daß es eine Regierung gegeben hat, die Jugsolawien aus bestimmten Überlegungen eine einmalige Leistung — nicht etwa einen Entwicklungskredit gegeben hat, dann zeigt das, wie ich glaube, wie sich die Zeiten ändern.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707628800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Karl-Heinz Narjes (CDU):
Rede ID: ID0707628900
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich den zweiten Teil Ihrer letzten Antwort als Einschränkung des ersten Teiles interpretieren?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707629000
Ich kann Ihre Interpretation nicht bestimmen, aber Sie dürfen nur das feststellen, was ich gesagt habe. Ich darf nachher vielleicht in der Debatte Ihren Fraktionsvorsitzenden dazu aus seinem Buch zitieren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707629100
Zusatzfrage.

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0707629200
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause sagen, welche Länder der Europäischen Gemeinschaft, der NATO und der OECD im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Ländern des Comecon Zinssubventionen gewähren?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707629300
Herr Abgeordneter, es gibt einige Länder, die mit uns in der Europäischen Gemeinschaft zusammengefaßt sind, und es gibt Länder, mit denen wir im übrigen sehr freundschaftlich verbunden sind etwa die USA und Japan , die eine besondere Art der Exportfinanzierung haben, die allerdings nicht nur Exporte etwa in Comecon-Länder begünstigt, sondern ganz allgemein Exporte.
Wir sind sicher eines der ganz wenigen Länder, die keine solche indirekte Hilfe indirekt im Sinne einer letzten Endes aus dem Staatshaushalt kommenden Hilfe - gewähren. Wenn ich mir die Unterlagen ansehe, die heute morgen in der Debatte schon eine Rolle gespielt haben, dann sehe ich, deß es verschiedene Möglichkeiten gibt, z. B. bei den USA einen Mischzins von zur Zeit etwa 7 % für solche Exporte über die Eximbank zu erreichen, bei Japan von 7 bis 8 %, bei Großbritannien von 6 bis 8,5 %. Es kommen die Probleme der Laufzeiten hinzu, die uneinheitlich, aber im EWG-Bereich geregelt sind. Die Zinssätze sind in der Gemeinschaft nicht einer gemeinsamen Regelung unterworfen, so daß Wettbewerbsverzerrungen durchaus möglich erscheinen.
4826 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707629400
Ich rufe die Frage 134 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen über Kreditwünsche von Ostblockländern oder aus Jugoslawien an die DDR vor?
Herr Staatssekretär, ich frage Sie, ob die Antworten auf die Fragen 134 und 135 lang sind. Eventuell würde ich beide Fragen aufrufen, damit sie gemeinsam beantwortet werden können. Dann könnte Kollege Marx eine mündliche Antwort auf beide Fragen bekommen. Er muß dann allerdings bei Zusatzfragen — ich bitte, dafür Verständnis zu haben
eine gewisse Rücksicht auf den Zeitablauf nehmen.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707629500
Ich muß bitten, daß ich die Fragen einzeln beantworten darf, weil ich es nicht anders sortieren kann.
Über Kreditwünsche von Ostblockländern oder aus Jugoslawien an die DDR ist hier nichts bekannt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707629600
Ich rufe dann die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Hat die Bundesregierung in den Gesprächen und Verhandlungen mit Repräsentanten des gegenwärtigen Regimes in der CSSR deutsche Kredithilfen oder andere Zuwendungen zu anderen als marktüblichen Zinssätzen in Aussicht gestellt oder stellen lassen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707629700
In den Verhandlungen mit der CSSR — ich habe das eben eigentlich schon beantwortet -- sind deutsche Kredithilfen oder andere Zuwendungen nicht in Aussicht gestellt worden. Daher ist auch über Konditionen deutscher Kredithilfen nicht gesprochen worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707629800
Herr Kollege Dr. Marx, Sie haben eine Zusatzfrage.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0707629900
Herr Staatssekretär, wie wir die Bundesregierung kennen, hat sie sich doch sicher darum gekümmert zu erfahren, weshalb es solche Kreditwünsche an die DDR nicht gibt. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707630000
Das ist ein Problem, das beim Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe erfragt werden kann; denn dieses System gibt zu anderen Möglichkeiten Anlaß, als sie hier bei uns in einer Nichtstaatshandelswirtschaft vorhanden sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707630100
Herr Abgeordneter, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0707630200
Herr Staatssekretär, habe ich recht, wenn ich sage, daß die Frage, ob die DDR Mitglied des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe ist, nicht unbedingt als Begründung mit herangezogen werden kann bei der Frage, ob nicht andere Staaten im Zusammenhang mit der Entwicklung seit
1945 Kreditwünsche an die DDR herangebracht haben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707630300
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gesagt, daß uns darüber nichts bekannt ist. Es ist schwer, eine Frage zu beanworten, die man nicht kennt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707630400
Meine Damen und Herren, die Fragen A 86, 87, 92, 95 und 140 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht mehr beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist die Fragestunde abgelaufen.
Bevor ich zur Geschäftsordnung zum Ablauf der Fragestunde dem Herrn Abgeordneten Seiters das Wort gebe, rufe ich den Zusatzpunkt der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 .des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu ,dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films
— Drucksachen 7/1599, 7/974, 7/1388, 7/1475
Berichterstatter ist Herr Senator Willms der Freien Hansestadt Bremen. Herr Senator, Sie haben das Wort.
Willms, Senator der Freien Hansestadt Bremen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den Vermittlungsausschuß darf ich folgenden Bericht erstatten:
Der Bundesrat hatte in seiner 400. Sitzung vom 20. Dezember 1973 beschlossen, zu dem genannten Gesetz den Vermittlungsausschuß anzurufen, und zwar mit drei Begehren.
Mit seinem ersten Begehren wollte der Bundesrat die von der Bundesregierung vorgesehene Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt wiederhergestellt sehen. So sollte die Zahl der Mitglieder von 33, wie vom Bundestag beschlossen, wieder auf 29 zurückgeführt und im übrigen auch die Zahl ,der Präsidiumsmitglieder reduziert werden. Das Anrufungsbegehren wurde insbesondere damit begründet, daß durch die Erweiterung des Verwaltungsrates die Vertreter der öffentlichen Hand in die Minderheit geraten würden und dadurch die Kontrollfunktion des Verwaltungsrats gefährdet werde. Darüber hinaus erhob der Bundesrat gegen die Erweiterung des Verwaltungsrats um zwei Journalisten sachliche und rechtliche Bedenken.
Der Vermittlungsausschuß hat sich in seiner Mehrheit dieser Auffassung des Bundesrats nicht anschließen können. Er hat dagegen zur Besetzung des Verwaltungsrates eine geringfügige Änderung beschlossen. Diese Änderung sieht vor, daß dem Hauptverband Deutscher Filmtheater e. V. ,das Benennungsrecht für drei Mitglieder des Verwaltungs-



Senator Willms
rats eingeräumt wird. Ein weiteres Mitglied soll gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft Kino e. V. und der Gilde deutscher Filmkunsttheater e. V. benannt werden. Der Vermittlungsausschuß hat in dieser Ausgestaltung des Verwaltungsrats ,der Filmförderungsanstalt die Lösung gesehen, die den Interessen der Filmwirtschaft und der am Filmschaffen Beteiligten am besten entspricht.
Auch mit dem zweiten Vermittlungsbegehren strebte der Bundesrat die Wiederherstellung der Regierungsvorlage zur Fassung des § 14 b Abs. 2 des Gesetzes an. Er sah in der vom Bundestag beschlossenen Fassung die Gefahr begründet, daß der Charakter der Projektförderung als wirtschaftliche Förderung des deutschen Films in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise zur kulturpolitischen Förderung hin verschoben werde. Diesem Bedenken hat sich der Vermittlungsausschuß nicht voll verschließen können. Auf der anderen Seite aber konnte sich der Vermittlungsausschuß auch nicht dahin verstehen, den Begriff „guter Unterhaltungsfilm" entsprechend der Regierungsvorlage wieder zum Förderungskriterium zu erheben. Er befürchtete, daß die Formulierung falschverstanden dahin interpretiert werden könnte, daß ausschließlich gute Unterhaltungsfilme, nicht aber prädikatisierte Filme gefördert werden sollen.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hat der Vermittlungsausschuß mit Mehrheit beschlossen, den Satz 1 des § 14 b Abs. 2 wie folgt zu fassen:
Die Darlehensgewährung setzt voraus, daß das Filmvorhaben auf Grund ,des Drehbuchs und der Stab- und Besetzungslisten einen Film erwarten läßt, ,der geeignet erscheint, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit ,des deutschen Films zu verbessern.
Mit seinem letzten Vermittlungsbegehren strebte der Bundesrat die Streichung des letzten Satzes in § 18 Abs. 2 an. Nach dieser vom Bundestag eingeführten Bestimmung sollen Mittel, die der Filmförderungsanstalt von Dritten zur Erfüllung ihrer Aufgaben zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden, entsprechend der Zweckbindung zusätzlich im Haushaltsplan veranschlagt werden. Die dadurch ermöglichte Aufstockung des Fonds für die Projektförderung durch Zuwendungen der Rundfunkanstalten sollte aber nach Auffassung des Bundesrats ausgeschlossen werden. Der Bundesrat glaubte die Gefahr zu erkennen, daß bei Beibehaltung dieser Vorschrift eine Filmförderung unter überwiegend kulturellen Gesichtspunkten vorgenommen und damit ,die Kompetenz des Bundes überschritten würde.
Dieses letzte Anrufungsbegehren ist im Vermittlungsausschuß von keiner Seite aufgenommen worden. Somit kam es zu 'diesem Punkt auch zu keiner Beschlußfassung des Vermittlungsausschusses.
Schließlich hat der Vermittlungsausschuß das in § 23 Abs. 3 festgelegte Datum für eine Ausschlußfrist auf den 31. März 1974 festgesetzt.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen
gemeinsam abzustimmen ist. Ich bitte Sie, den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu folgen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707630500
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort wird nicht begehrt.
Können wir über die Vorschläge des Vermittlungsausschusses gemeinsam abstimmen? — Ich stelle das Einverständnis des Hauses fest.
Wer den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. — Die Vorschläge des Vermittlungsausschusses sind damit gebilligt.
Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Seiters das Wort.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0707630600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrechnungshof hat in einem vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages angeforderten Gutachten ungewöhnlich schwerwiegende Vorwürfe gegen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit erhoben.

(Zuruf von der SPD: Woher wollen Sie das wissen?)

— Ich habe von der Kritik gesprochen und von der Veröffentlichung, deren Richtigkeit auch in der Fragestunde bislang nicht bestritten worden ist. Die Kritik spricht von einer Umgehung des Haushaltsplans, von einer Irreführung des Parlaments, von unklarer Gesamtverantwortung, nachlässiger Planung, mangelhafter Buchführung und unzureichender Kenntnis der Regionalreferate auf Grund der völlig verfehlten Organisation. Mit anderen Worten: Was der Bundesrechnungshof hier dem für diese Zustände verantwortlichen Minister vorwirft, ist neben der Irreführung des Parlaments nichts anderes als grobe Schlamperei. Dies, meine Damen und Herren, geht eindeutig zu Lasten der deutschen Entwicklungshilfe, und dies ist das eigentlich Beklagenswerte.
Man hätte erwarten sollen, daß sich Minister Eppler heute in der Fragestunde der Kritik stellt, statt die Vorwürfe zu verharmlosen, herunterzuspielen, zu bestreiten und sich zu mokieren über sogenannte preußische Rechnungshofbeamte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind der Meinung, daß der Ablauf der Fragestunde und die ausweichende Beantwortung der gestellten Fragen eine weitere Erörterung im Plenum des Bundestages erforderlich machen. Aus diesem Grunde beantrage ich für die CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707630700
Meine Damen und Herren, der Antrag ist begründet worden. Ich gehe davon aus, daß er entsprechend unterstützt wird.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Wir treten in die
Aktuelle Stunde
ein. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Todenhöfer.

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0707630800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Minister Eppler hat versucht, das Gutachten des Bundesrechnungshofes her-abzuspielen. Das ist ihm nicht gelungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Tatsache ist, daß die organisatorische Nachlässigkeit Minister Epplers die deutsche Entwicklungshilfe in eine schwerwiegende Krise geführt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei den Regierungsparteien.)

Das 45seitige Gutachten des Bundesrechnungshofes über die Organisation der deutschen Entwicklungshilfe ist das vernichtendste Urteil, das dieses höchste Prüfungsorgan des Bundes jemals über den Zuständigkeitsbereich eines Ministers abgegeben hat.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, daß niemand weiß, wie viele Personen in den Projekten überhaupt beschäftigt sind — das Ministerium spricht von 1670, die Bundesstelle für Entwicklungshilfe von 820 , daß in Projekten chaotische Zustände herrschen, daß unter Umgehung des Haushaltsplans zusätzliches Personal beschafft wurde, daß Vergabevorschriften nicht eingehalten wurden, indem das Ministerium die Vergabe an bestimmte Firmen gefordert hat, ohne zu beachten, daß konkurrierende Firmen vorhanden waren, usw. usw. Wer dieses vernichtende Bild betrachtet, fragt sich, woher Minister Eppler eigentlich die unerträgliche Überheblichkeit in den letzten Jahren genommen hat, mit der er alle seine Kritiker behandelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jeder Kommunalpolitiker in Deutschland, dem derartige Mißstände nachgewiesen würden,

(Zuruf von der SPD: Nachgewiesen!) müßte am nächsten Tag seinen Hut nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Minister, in England wären Sie längst wieder Privatmann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Minister Eppler weiß aber nichts anderes zu sagen als, schuld an dem ganzen sei im Grunde der Bundesrechnungshof, weil er sich seinerzeit für die Dreigliedrigkeit der deutschen Entwicklungshilfe ausgesprochen habe.
Meine Damen und Herren, es ist schon fast ein bewährter Brauch Ministers Epplers, bei schlechten Nachrichten immer dem Boten die Schuld zu geben. Was aber hat die Dreistufigkeit einer Verwaltung mit der Nichteinhaltung von Vergabevorschriften, mit der Umgehung des Haushaltsplans und mit der inkorrekten Kontenführung zu tun?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Minister, es müßte selbst in einer achtstufigen Organisation möglich sein, die Konten in Ordnung zu halten. Für all das, was der Bundesrechnungshof an Durcheinander, Mißwirtschaft und Schlamperei festgestellt hat, ist allein Minister Eppler verantwortlich und sonst niemand.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer das Gutachten des Bundesrechnungshofs vergleicht mit dem großen entwicklungspolitischen Bericht, den Minister Eppler in diesen Tagen der deutschen Öffentlichkeit zugeleitet hat, und mit seiner großartigen entwicklungspolitischen Konzeption, muß sich fragen, ob der Bundesrechnungshof und Minister Eppler nicht über zwei verschiedene Dinge berichtet haben.
Herr Minister, Sie sind nicht für Ihre Visionen ins Amt gesetzt worden, sondern dafür, daß Sie eine wirksame und erfolgreiche Entwicklungspolitik mache n.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Fraktion fordert im Interesse der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Steuerzahlers volle Aufklärung aller Vorwürfe des Bundesrechnungshofs. Die Vergabepraxis Ihres Ministeriums z. B. muß bis ins letzte Projekt untersucht werden. Die CDU/CSU fordert ferner, daß die festgestellten schwerwiegenden Mißstände umgehend beseitigt werden. Die deutsche Entwicklungshilfe, zu der meine Fraktion auch heute noch ein uneingeschränktes Ja sagt, darf nicht an der organisatorischen Unfähigkeit eines Ministers scheitern, auch nur die einfachsten Grundregeln der Verantwortung und Betriebsführung sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Herr Minister, Sie haben heute vor diesem Haus in Ihrer Antwort auf das Gutachten des Bundesrechnungshofs gesagt — wie auch in Ihrer ersten Reaktion vor der Presse —, man werde in Zukunft Vorschläge des Bundesrechnungshofs besonders kritisch prüfen müssen.

(Abg. Seiters: Typisch Eppler!)

Ich meine, daß es in Zukunft viel wichtiger sein wird, das, was Sie sagen und schreiben, kritischer zu prüfen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707630900
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0707631000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem von uns soeben erlebten Ablauf der Fragestunde habe ich überlegt, was die Opposition noch veranlassen könnte, jetzt hierzu eine Aktuelle Stunde zu beantragen.

(Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich kann das nur so deuten, daß sie die Debatte über den Bericht zur Lage der Nation verkürzen möchte, weil sie dazu nichts zu sagen hat.

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)




Brück
Ich frage mich, warum sich der Kollege Todenhöfer hier so polemisch aufplustert und warum hier im Deutschen Bundestag über ein Gutachten des Bundesrechnungshofs diskutiert wird, das vertraulich ist und das die Öffentlichkeit korrekt nicht kennt.

(Abg. Gerster [Mainz]: Mehr Demokratie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich glaube, daß es unfair ist gegenüber den Kollegen in diesem Haus, die dieses Gutachten nicht kennen, wenn hier in aller Ausführlichkeit darüber gesprochen wird. Ich muß mich auch darüber wundern, daß in der Fragestunde aus diesem Gutachten bereits zitiert worden ist. Ich glaube, wir brauchen eine nüchterne, sachliche Darstellung.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) Was hat sich überhaupt ereignet?


(Abg. Seiters: Jetzt kommen Sie endlich zur Sache!)

Der Haushaltsausschuß hat im vergangenen Mai den Bundesrechnungshof einstimmig gebeten, ein Gutachten zu erstellen, wie die Organisation der deutschen Entwicklungshilfe im Bereich der Technischen Hilfe besser gestaltet werden kann. Er hat das — das will ich wiederholen — einstimmig getan. Dieses Gutachten liegt nun dem Haushaltsausschuß vor. Durch eine gezielte Indiskretion ist dieses Gutachten zum Teil in die Öffentlichkeit gekommen.

(Abg. Seiters: Von wem, Herr Brück?) Ich bedauere das im Namen meiner Freunde.


(Abg. Seiters: Das können wir uns vorstellen!)

Die Indiskretion dieses Gutachtens schadet dem Ansehen des Bundesrechnungshofes,

(Lachen bei der CDU/CSU — Abg. Seiters: Das ist doch Epplers Schuld!)

sie schadet dem Ansehen des Parlaments, und sie schadet der Entwicklungspolitik.

(Abg. Seiters: Sagen Sie doch einmal Eppler! — Abg. Niegel: Dem Eppler schadet es doch nur und euch!)

Meine Damen und Herren, ich will jetzt hier keine Detaildebatte führen, weil auch Sie dieses Gutachten nicht kennen. Ich will einiges zu dem sagen, was der Kollege Todenhöfer über die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe gesagt hat. Ich glaube nicht, daß die Opposition geeignet ist, hier Schiedsrichter zu sein.

(Abg. Nordlohne: Schiedsrichter war in diesem Fall ein ganz neutrales Gremium!)

Es wäre besser, Sie würden hier Gutachten neutraler internationaler Stellen zu Rate ziehen und sich ansehen, was die OECD über die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe in den letzten Jahren gesagt hat.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Seiters: Ist der Bundesrechnungshof nicht neutral und unabhängig?)

Ich glaube auch nicht, daß es uns weiterführt, hier im Plenum des Deutschen Bundestages, wie das auch in der Fragestunde geschehen ist, über eine Aktenordnung in den Ministerien zu diskutieren. Ich gestehe hier mit dem Herrn Bundesminister, daß auch ich nicht viel davon verstehe, wie man Akten ordnet, aber vielleicht verstehen die Kollegen von der CDU/CSU davon mehr. Sie können dann als Aktenordner tätig werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD. Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Deshalb nur einige wenige Bemerkungen. Ich habe dem Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder Entwicklungshilfe, wie er damals hieß, angehört, und ich habe der Dreistufigkeit der Abwicklung der Technischen Hilfe mit zugestimmt. Heute weiß ich, daß dies falsch war. Aber auch die Kollegen der heutigen Opposition haben damals mit zugestimmt.

(Abg. Niegel: Das entschuldigt die Schlamperei im Ministerium nicht!)

Deshalb möchte ich sagen: Wir, die Sozialdemokraten, nehmen das Gutachten des Bundesrechnungshofes sehr ernst, weil wir meinen, daß es Aufgabe des Bundesrechnungshofes ist, dem Parlament zu helfen, die Verwaltung und die Administration, auch der Entwicklungshilfe, effizienter zu gestalten. Das gilt für alle Verwaltungen, nicht nur der Bundesregierung, sondern auch in den Landesregierungen und in den Kommunen.

(Abg. Stücklen: Schlamperei ist das!)

Deshalb werden wir im Haushaltsausschuß, im Rechnungsprüfungsausschuß des Haushaltsausschusses

(Abg. Stücklen: Und im Plenum!)

und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sorgfältig prüfen, wie die Effizienz verbessert werden kann, zumal hinzukommt, daß die Bundesregierung mit einem Teil der Pläne zur Verbesserung gewartet hat, bis das Gutachten vorlag. Deshalb meine ich, daß es schädlich ist, wenn über ein solch wichtiges Thema in dieser polemischen Art diskutiert wird. Ich bin der Ansicht und habe das mit meiner Frage in der Fragestunde auch ausgedrückt, daß die jetzige Dreistufigkeit abgeschafft werden muß zugunsten der Zweistufigkeit,

(Abg. Niegel: Hört dann die Schlamperei im Ministerium auf?)

weil nicht einzusehen ist, daß die Entwicklungshilfe, die Technische Hilfe im Grundsatz im Ministerium, in der Ausführung in der BfE bearbeitet wird

(Abg. Niegel: Eppler, der Schlamper!)

und dann diese wiederum die Gawi beauftragt, die Experten anzustellen und das Material zu liefern. Dabei gibt es zu viele Reibungsverluste. Ich meine, das sollte abgestellt werden, und dies wird die Regierung auch tun.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707631100
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

(Abg. Stücklen: Rot!)


Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0707631200
Dann, meine Damen und Herren, werden wir die jetzt schon gute Entwicklungshilfe weiterverbessern können. Ich glaube, eine ruhige, sachliche Diskussion der Untersuchung des Bundesrechnungshofes in den Ausschüssen

(Abg. Seiters: Aber eine selbstkritische, bitte!)

wird uns weiterbringen als das Benutzen dieses Gutachtens zur polemischen parteipolitischen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Seiters: Des Gutachtens einer unabhängigen Stelle!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707631300
Das Wort hat der Abgeordnete Opitz.

(Abg. Stücklen: Minister Opitz! — Abg. Niegel: Auch eine chemische Reinigung!)


Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0707631400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Stücklen!

(Abg. Stücklen: Danke schön!)

Mir erscheint bei der ganzen Diskussion über Verwaltungsaufbau, Verwaltungspannen und sogar über Aktenordnung das, was uns eigentlich alle interessieren sollte, nämlich die Effektivität der Entwicklungshilfe, erheblich Schaden zu leiden, zumindest bei dem Stil der Diskussion, wie er hier heute praktiziert wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist das einzige, was Sie sagen können!)

Ebensowenig, wie man bei allem Respekt den Bundesrechnungshof als ganzen an der Qualität seines jetzigen, meiner Meinung nach leichtfertigen, oberflächlichen Gutachtens messen kann,

(Beifall bei der SPD. Oh-Rufe von der CDU/CSU)

— entschuldigen Sie, an einem meiner Meinung nach hinsichtlich bestimmter Stellen oberflächlichen Gutachten; das ist doch wohl das Recht von mir, das hier festzustellen —

(Abg. Seiters: So müßt ihr Institutionen dieses Staates abqualifizieren!)

kann man, meine Damen und Herren, den Wert einer Organisation an einzelnen Personen oder gar an der Bezifferung von Akten ablesen. Wir sollten also beginnen, darüber nachzudenken, welcher Aufbau des Durchführungsapparats der Technischen Hilfe der effektivste ist und ob dieser Aufbau

(Abg. Niegel: Am besten ohne Eppler!)

auch die entwicklungspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung, die auch von uns getragen werden, schnell, unbürokratisch und flexibel verwirklichen kann.
Die vom Bundesrechnungshof angebotene Lösung einer Teilverlagerung der Aufgaben der BfE auf das BMZ und einer Übertragung der gesamten Durchführung an Consultings erscheint mir wenig durchdacht und wenig praktikabel, ganz abgesehen davon — und das ist heute wiederholt gesagt worden —, daß die gleiche Institution vor wenigen Jahren zu dem gleichen Punkt einen diametral entgegengesetzten Standpunkt vertreten hat.

(Abg. Kroll-Schlüter: Da war er richtig?!)

Es ist nach unserer Kenntnis kaum möglich, daß der augenblickliche Consulting-Markt alle bei der Gawi durchgeführten Projekte aufzunehmen in der Lage ist. Außerdem gibt es viele Projekte, meine Damen und Herren, die zwar entwicklungspolitisch notwendig, aber unter kommerziellen Gesichtspunkten, nach denen die Consultings nun einmal arbeiten, nicht interessant sind. Und auch diese Projekte müssen durchgeführt werden.

(Abg. Baron von Wrangel: Mal zur Sache, Herr Opitz!)

Nach unseren Informationen ,sind die Consultings erheblich teurer als die Wahrnehmung durch die Gawi. Es ist uns unerfindlich, warum der Bundesrechnungshof hier keine Ermittlungen über Fakten angestellt hat, meine Damen und Herren, die leicht auffindbar gewesen wären. Man sollte also diesen Vorschlag des Bundesrechnungshofes nicht weiterverfolgen,

(Abg. Dr. Todenhöfer: Darüber diskutieren wir doch gar nicht!)

sondern ein System praktizieren, nach dem Consultings die Aufgaben zugeteilt werden, die sie besser lösen können, als ,sie zur Zeit von der Gawi oder der BfE gelöst werden.

(Abg. Dr. Todenhöfer: Herr Opitz, Sie lenken doch ab! Kommen Sie doch mal zur Sache!)

Sie können hier ja gleich noch einmal reden,
wenn Sie wollen; das ist doch Ihre ureigenste Sache. Ich habe nicht die Absicht, so in die Polemik einzusteigen, wie Sie das soeben getan haben. Ich möchte zumindest versuchen, sachlich zu bleiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Unserer Meinung nach können die Ziele der Entwicklungshilfe in Zukunft nur verwirklicht werden,

(Abg. Niegel: Persilschein für Eppler!)

wenn der Durchführungsapparat so gestaltet wird, daß er sich sowohl rechtlich als auch tatsächlich den jeweiligen Erfordernissen anpassen kann. Diese Ziele lassen sich am wirkungsvollsten durch eine privatrechtliche Institution, wie sie die Gawi im Augenblick darstellt, erreichen — eine Institution, die bürokratischen Hindernissen ausweichen kann und als Tochter einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bei entsprechender Ausstattung auch die notwendige Unabhängigkeit hat.

(Abg. Gerster [Mainz] : Das ist eine Sonntagsrede!)




Opitz
— Entschuldigen Sie, zumindest nicht so polemisch, wie das, was Sie heute hier geboten haben.

(Beifall bei der SPD.)

Erforderlich wäre aber, daß die Stellung dieser privatrechtlichen Institution erheblich gestärkt und auch mit der Fachverantwortung ausgestattet wird, wobei man die dadurch freiwerdenden Kräfte bei der BfE, wie auch der Bundesrechnungshof vorschlägt, ins BMZ nehmen könnte. Eine Superbehörde für Entwicklungshilfe, meine Damen und Herren, der man aus verwaltungstechnischen Gründen eine private Scheinfirma anhängen will, erscheint uns als ein Rückschritt, der auch entwicklungspolitisch, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der integrierten Experten, unserer Meinung nach nicht zu verantworten ist. Durch Verstärkung der Bürokratie sind Aufgaben der Zukunft meines Erachtens noch nie gelöst worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707631500
Das Wort hat der Abgeordnete Roser.

Hans Roser (CSU):
Rede ID: ID0707631600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines hat mich an den Äußerungen aus der Koalition, einschließlich Ihrer Äußerungen, Herr Minister Eppler, betroffen gemacht, nämlich die kaum nachzuvollziehend despektierliche Art, in der hier vom Bundesrechnungshof geredet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Sehr gut! Unmöglich!)

Der Bundesrechnungshof — das wissen wir alle — ist eine Institution mit richterlicher Unabhängigkeit. Das müssen wir respektieren und wollen es respektieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Fellermaier: Er ist aber doch nicht unfehlbar!)

Es ist da so ein leiser Unterton hineingekommen, als wollten wir mit dieser Aktuellen Stunde die Vorbehalte in unserem Land gegen die Entwicklungspolitik und die Entwicklungshilfe wecken.

(Zuruf von der SPD.)

Nein, meine Damen und Herren, weil es uns um die
Entwicklungspolitik geht — um eine gute Entwicklungspolitik —, deswegen wollen wir diese Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

An der Notwendigkeit der Entwicklungshilfe zweifelt keiner, wie ich hoffe. Darum geht es nicht. Die stellen wir nicht in Frage. Aber in Frage stellen wir den Minister, der diese Politik zu verantworten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sagen ja zur Entwicklungshilfe und lassen uns in diesem Ja von niemandem übertreffen.
Dafür sprechen auch Zahlen. Ich erinnere daran, daß zur Zeit der Regierung Kiesinger etwa der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt der höchste war. Zur Zeit der Regierung Brandt ist er um ein Viertel geschrumpft.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Kroll-Schlüter: Das sind Tatsachen! — Abg. Stücklen: Und die Menschen hungern draußen!)

Hier wird beklagt, daß dieses Gutachten herausgekommen sei. Wir können uns nicht darum herumdrücken. Wir müssen dazu Stellung nehmen. Einige Dinge sind darin, die man hier klarstellen muß. Ich nenne sie behutsam.
Ich habe mir einmal die Eigenschaftswörter angesehen, die gefunden werden, die im Gutachten verwendet werden, um die Entwicklungspolitik zu charakterisieren

(Zurufe von der SPD)

— wobei ich zugebe, daß das pauschalierend wirken muß —: da finde ich das Attribut „bedenklich", das Attribut „problematisch", nicht nur einmal, sondern wiederholt.

(Abg. Niegel: Unzureichend!)

Da ist von „mangelhafter Planung" die Rede, von „ungeeignetem Gerät",

(Abg. Niegel: Unzureichend!)

von „mangelnder zeitlicher Koordinierung" ist die Rede, vom „umständlichen, schwerfälligen Beschaffungsverfahren". Da ist davon die Rede, daß die Rechnungsführung den Erfordernissen nicht gerecht werde. Da wird gesagt, daß der häufige Personalwechsel zu Schwierigkeiten führe. Und immer wieder wird von der Zersplitterung der Verantwortlichkeiten geredet.
Ein Attribut allerdings fehlt. Aber das hat der Herr Bundeskanzler heute eingeführt. Nämlich das Attribut „bewährte Entwicklungshilfe". Nein, Herr Minister, da ist nichts bewährt, da ist mir das Urteil des Bundesrechnungshofes sehr viel objektiver.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man kann auch dieses Urteil des Bundesrechnungshofes nicht mit Entschuldigungen von der Hand weisen, mit der Entschuldigung etwa, damals seien Vorschläge gemacht worden, die man dann eingeführt habe. Die Vorschläge von damals stehen nicht zur Diskussion. Zur Diskussion stehen die Fehler von heute.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und da wurden Fehler gemacht, eine Vielzahl von Fehlern.
Wir brauchen, um es kurz zu sagen, einen qualifizierten Apparat, und mit diesem Apparat muß man umgehen können. Niemand erwartet vom Minister, daß er selber die Akten ordnet. Aber man erwartet, daß die Aktenordnung in Ordnung ist. Deswegen brauchen wir in jenem Hause weniger Ideologen und mehr Könner.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Da rede ich jetzt von den Beamten, die verunsichert
werden, sondern ich rede von der engsten Um-



Roser
gebung des Ministers und von ihm selbst. Herr Minister, ziehen Sie die Konsequenzen.

(Beifall bei der CDU/CSU. Zurufe von der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707631700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0707631800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Statt sich als Gewinn auszuwirken, scheint die Fülle der in der Fragestunde gegebenen Informationen einen umgekehrten Mechanismus auszulösen, nämlich Gedächtnisschwäche zu bewirken.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Die Opposition erinnert mich heute — und nicht nur heute — an einen Gewichtheber, der nicht imstande ist, 5-Kilo-Hanteln zu stemmen, aber dennoch nach 100-Kilo-Hanteln verlangt.

(Heiterkeit und erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Bei meiner Statur!)

Die Fragestunde hat deutlich bewiesen, daß die Opposition die Presse und die deutsche Öffentlichkeit unnötig verrückt gemacht hat. Das zeigt sich heute auch in Pressemeldungen der FAZ.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Sie haben in der Fragestunde, die soeben abgelaufen ist, klar nach Punkten verloren. Deshalb haben Sie hier die Aktuelle Stunde verlangt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Seiters: Sie müssen mal in die Geschäftsordnung gukken! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, das ist Todenhöfers Aktuelle Stunde. Vielleicht sollte ich beantragen, daß sie eine ständige Einrichtung wird, damit wir ein Dauerasyl für Politneurotiker schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Niegel: Schüler von Eppler in der Polemik!)

Der Oppositionssprecher ist geschickt und talentiert —,das sei ihm zugestanden —,

(Abg. Seiters: Gehen Sie doch mal auf die Sache ein! Was soll denn das? — Abg. Niegel: Ist das parlamentarisch?)

ein geschickter Taschenspieler, der die ihm unangenehmen Realitäten der Entwicklungspolitik ganz schnell verschwinden läßt. Damit fördern Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, einen Prozeß, der die Anstrengungen der Bundesrepublik Deutschland, echte Entwicklungszusammenarbeit mit der dritten Welt zu treiben, immer unnützer erscheinen läßt.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Was halten Sie vom Bundesrechnungshof?)

Sie haben sich, Herr Todenhöfer, unbestreitbare Verdienste dabei erworben, in der Öffentlichkeit die Entwicklungshilfe in Mißkredit zu bringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Alle, die einem geheiligten nationalen Egoismus frönen oder jede Entwicklungshilfe als Systemstabilisierung hier anprangern und damit ablehnen, werden Ihnen dankbar sein.

(Abg. Stücklen: Haltet den Dieb!)

Demgegenüber möchte ich doch ganz kurz auf die Leistungen dieser sozialliberalen Koalition hinweisen.

(Abg. Seiters: Wollen Sie nicht mal etwas zum Bundesrechnungshof sagen?)

— Ja, der erste Punkt wird Ihnen schon unangenehm sein. Es ist nämlich zum erstenmal gelungen, in den Entwicklungsländern nicht nur wirtschaftliches Wachstum zu propagieren, sondern auch soziale Ziele herauszustellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Propagieren tut ihr das überall!)

Das soziale Defizit bei Ihnen findet sich ja nicht nur draußen in der Welt, sondern auch in der Bundesrepublik.

(Abg. Dr. Marx: War nicht Herr Scheel früher Entwicklungsminister und Herr Wischnewski?)

Weiterhin haben wir Länderhilfeprogramme erstellt, die entwicklungspolitische Konzeption verabschiedet und die Mittel für die Technische Hilfe verstärkt. Wir haben mehr multilaterale Hilfe gewährt und alle Kompetenzen erstmalig in diesem Ministerium zusammengefaßt. Wir haben, was die Technische Hilfe angeht — davon sprechen wir heute —, den Einsatz integrierter Fachkräfte vorangetrieben. Wir haben dafür gesorgt, daß zum erstenmal Programmfinanzierung möglich ist, und wir haben eine sektorale und regionale Konzentration angepackt.

(Abg. Gerster [Mainz] : Und Sie haben Herrn Eppler!)

Wie Sie sehen, handelt es sich hier unter dem Strich um eine stolze Leistungsbilanz, die sich sehen lassen kann, und die können Sie auch nicht ungeschehen machen.

(Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Die wenigen überblickartigen Daten sind Marksteine einer erfolgreichen Entwicklungspolitik.

(Abg. Seiters: Siehe Bundesrechnungshof! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Diesen Erfolg setzen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, leichtfertig durch unverantwortliche Polemiken — so auch in dieser Aktuellen Stunde — aufs Spiel.

(Abg. Stücklen: Was halten Sie vom Bundesrechnungshof?)




Dr. Holtz
Seit einiger Zeit verweigern Sie konsequent Ihre konstruktive Mitarbeit, und selbst im Ausschuß wird gesagt: Wir sind nicht dazu da, der Regierung Vorschläge zu machen.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : Das ist richtig!)

Den Haushalt haben Sie abgelehnt, ohne überhaupt
irgendwelche Verbesserungsvorschläge zu machen.

(Abg. Seiters: Sprechen Sie doch mal zum Thema!)

Das Gutachten des Bundesrechnungshofs wird von uns mit Respekt gesehen; das hat Bundesminister Eppler auch deutlich gesagt. Wir werden Konsequenzen dort ziehen, wo es nötig ist.

(Abg. Stücklen: Sehr gut!)

Viele Vorwürfe sind aber unberechtigt, so z. B. der, den Sie immer wieder aufgreifen, daß chaotische Zustände in der Verwaltung herrschten. Dabei handelt es sich um einen Inspektionsbericht aus dem Ministerium, der sich auf einen einzelnen Fall bezieht. Sie aber stilisieren das zu einer Generalformel hoch.

(Abg. Niegel: Das kam aus dem Ministerium selber!)

Weiterhin gibt es keine Zersplitterung der. Zuständigkeiten, sondern die Regionalreferate haben umfassende Kompetenzen. Einige Vorschläge, ,die sich auf die Erhöhung der Verwaltungseffizienz beziehen — ich glaube, überall in der Bürokratie können wir etwas verbessern; warum, das gestehe ich gerne zu, nicht auch in diesem Ministerium? —, sollten wir nach sorgsamer Prüfung verfolgen.
In den letzten fünf Jahren hat eine Neuorientierung der Ziele und des Instrumentarismus in der Entwicklungspolitik stattgefunden. Der Bundesregierung ist es gelungen, die Entwicklungspolitik aus einer starken Verquickung mit wirtschaftlichen, militärischen und außenpolitischen Interessen herauszuführen. Wir betreiben keine nachkoloniale Interessenpolitik. Auch das ist ein Erfolg deutscher Entwicklungshilfe.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Herr Wischnewski war doch da einmal Minister!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707631900
Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0707632000
Die Arbeit geht weiter, und zwar — das sage ich deutlich im Namen der Koalition — mit Bundesminister Eppler, mit Staatssekretär Matthöfer. Weitere Anpassungen und Anstrengungen tun not. Wir fordern Sie zu konstruktiver Mitarbeit auf.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707632100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wawrzik.

Kurt Wawrzik (CDU):
Rede ID: ID0707632200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man so ein Gutachten vor sich hat, müßte es eigentlich Aufgabe des gesamten Parlaments sein, die Kontrollfunktion der Regierung gegenüber wahrzunehmen

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

und nicht die Kontrollfunktion durch eine Beschimpfung der Sprecher der Opposition zu ersetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Seiters: Und des Bundesrechnungshofes!)

Ich möchte die Ausdrücke nicht wiederholen. Sie sind es wohl kaum wert, daß man sie im Protokoll noch einmal lesen muß.
Hier sind vielleicht doch noch einige andere Dinge festzustellen, wenn man über das Gutachten und die Fragestunde heute nachmittag spricht. Herr Minister Eppler, ich habe in diesen Tagen wieder einmal in Ihrem Buch „Wenig Zeit für die dritte Welt" gelesen. Darin steht stets eine ganze Reihe von Aussagen, die richtig sind. Sie schreiben im letzten Absatz Ihres Vorwortes — freuen Sie sich nicht zu früh —:
Wer dieses Buch aus der Hand legt in der Absicht, trotz allem nicht zu resignieren, also etwas zu tun, rechtfertigt die Stunden des Schreibens, die anderer politischer Arbeit ab-gin gen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ich weiß nicht, wie lange Sie an Ihrem Buch geschrieben haben. Wenn ich das Gutachten des Bundesrechnungshofes lese, müssen es viele Stunden gewesen sein,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Theoretischer Überbau und große Konzeption sind sicher wichtig. Wer aber nur oder vorwiegend das sieht — und dieser Eindruck muß entstehen —, wird leicht zum Ikarus dieser Regierung, der beim ständigen Höhenflug die Federn verliert und dann unsanft auf dem harten Boden der Realitäten landet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In der Diskussion um das rücklärfige Volumen in der Entwicklungshilfe ist immer wieder behauptet worden, die Qualität sei beachtlich gestiegen. Nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes muß man entweder den Begriff neu definieren, oder man sollte ihn sparsamer verwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie will man höhere Qualität erzielen, wenn dem Ministerium bescheinigt wird, daß für die Wahrnehmung seiner Aufgaben eine zu geringe Zahl von Fachkräften vorhanden ist, daß die Personalsituation von einem häufigen Personenwechsel gekennzeichnet ist und dies in den Regionalreferaten oft eine unzureichende Kenntnis der Region und der Projektaktivitäten in den einzelnen Ländern zur Folge hat?

(Abg. Dr. Marx: Hauptsache, das Parteibuch stimmt!)


Wawrzik
Dazu ist der nächste Absatz des Berichtes für die
zukünftige Entwicklung von besonderem Interesse.

(Abg. Nordlohne: Parteibuch geht vor Wissen!)

Es heißt dort, daß die Verwendung von Nachwuchskräften, die sich Regionalkenntnisse an Ort und Stelle angeeignet haben, nicht ohne weiteres gesichert sei. — Ich frage mich: Was ist das für eine Personalpolitik, der es nicht gelingt, den richtigen Mann an den richtigen Platz zu setzen?

(Abg. Dr. Kliesing: Aber das richtige Parteibuch!)

Man könnte an dieser Stelle natürlich genauso wie an anderen Stellen sagen, daß dafür die Personalabteilung und nicht der Minister verantwortlich sei so wenig wie er für die Aktenordnung oder für die Dreigliederung im Ministerium verantwortlich sei. Wenn man aber durchgehend so argumentieren will, stellt sich die Frage: Wozu braucht das Ministerium dann überhaupt noch einen Minister?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In der BfE sieht es offensichtlich nicht besser aus. Nach örtlichen Feststellungen ist die BfE außer mit der Durchführung von Projekten auch mit Aufgaben befaßt, die dazu bestimmt sind, dem Ministerium Vorentscheidungen über zu gewährende Hilfen zu erleichtern. Dazu wird festgestellt, daß die BfE diese Aufgabe nicht mit eigenen Kräften erfüllen konnte, sondern sie durch Dritte erbringen lassen mußte. Dabei war sie nicht immer imstande, Aufträge an Dritte genau zu umreißen. Die mißliche Personalsituation, das Fehlen einer Konzeption und mangelnde Führung müssen natürlich zu den im Bericht genannten Mißständen führen.
In der Fragestunde hat der Minister auf einige unserer Fragen eine Antwort gegeben, die den Schluß zuließe, alles was in diesem Gutachten steht, sei falsch. Wenn ich aber die Antworten des Herrn Ministers zu anderen Dingen einmal daraufhin überprüfe, inwieweit sie vollständig waren und ihre nur teilweise Beantwortung und ihre teilweise Darlegung zu einem genau umgekehrten Schluß über den Ablauf haben führen müssen — nämlich z. B. bezüglich der Dreigliedrigkeit, zu der uns gesagt worden ist, es habe sich um ein Gutachten des Bundesrechnungshofs gehandelt, während sich hinterher herausstellte, daß 'das Gutachten von der Bundesregierung der Großen Koalition angefordert worden ist —, dann finde ich, daß man mit dieser Auskunft, die nicht falsch ist, aber nur die halbe Wahrheit beinhaltet, genau den gegenteiligen Eindruck von dem Eindruck erwecken muß, der bei Darstellung der vollen Tatsache enstanden wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707632300
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Kurt Wawrzik (CDU):
Rede ID: ID0707632400
Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident.
Ich bin der Auffassung, daß die Antworten des Ministers für mich und die Freunde meiner Fraktion nicht ausreichen, daß all die Punkte, die hier angeschnitten worden sind und auf deren Wiederholung ich wegen der Kürze der Zeit verzichten will, noch einmal intensiv beraten werden müssen. Herr Minister, ich — --

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707632500
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, nun wirklich zum Schluß zu kommen.

Kurt Wawrzik (CDU):
Rede ID: ID0707632600
Noch einen Satz!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707632700
Nein, entschuldigen Sie! — Aber das ist jetzt der Schlußsatz! Entschuldigen Sie, ich habe hier doch die genaue Zeitmessung. Sie müssen mir schon glauben, daß ich es hier übersehe.

(Beifall bei der SPD.)


Kurt Wawrzik (CDU):
Rede ID: ID0707632800
Der Herr Präsident hat recht. Ich danke ihm, daß er mir einen Schlußsatz zugebilligt hat.
Herr Minister, ich will Ihnen nicht den Spiegel vorhalten. Aber ich möchte Ihnen empfehlen, bevor Sie die Federn zu einem neuen Höhenflug einsammeln, das Richtige zu tun: eine weiche Landebahn vorzubereiten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707632900
Herr Kollege, das war nicht nur ein einziger Satz.

Kurt Wawrzik (CDU):
Rede ID: ID0707633000
Und dazu gehört, Ihr Haus in Ordnung zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707633100
Meine Damen und Herren, es ist das Recht jedes Redners, im Rahmen von fünf Minuten das, was er für gut hält, vorzubringen. Nur muß er dann auch dafür sorgen, daß er damit im Rahmen von fünf Minuten noch zu Boden kommt und landet. Das ist der Rat, den ich den Herren Abgeordneten jetzt gebe.

(Heiterkeit.)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0707633200
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Gutachten des Bundesrechnungshofs im Rücken, so meint offenbar die Opposition, läßt sich trefflich streiten.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : So ist es! — Abg. Nordlohne: Meinen Sie nicht?)

Aber mit der von Ihnen bei der Verwertung von Gutachten geübten Methodik tun Sie weder dem Bundesrechnungshof noch Ihrer und unserer parlamentarischen Arbeit einen großen Gefallen.

(Zuruf von der CDU/CDU.)

Meine Damen und Herren, wenn Sie in Ihren Beiträgen dem zuständigen Minister den Vorwurf

Hoppe
machen, er spiele das Gutachten herunter, so kann ich

(Zurufe von der CDU/CSU: Na? Na?)

mir nur mit Mühe die Replik verkneifen: Sie blasen es auf.

(Zustimmung bei der SPD.)

Denn Sie tun so, als hätte sich eine Institution mit der Autorität des Bundesverfassungsgerichts geäußert und als sei das, was in dem Gutachten steht, bereits überprüft und nach Beratung in seinen kritischen Feststellungen bestätigt. Genau das ist aber nicht der Fall.
Dieses Parlament hat dem Rechnungshof durch einstimmigen Ausschußbeschluß den Auftrag für diese Arbeit gegeben, weil wir, und zwar alle Fraktionen dieses Hauses, über die Entwicklungshilfe, ihren Inhalt und ihre Durchführung kritisch reden wollen. Wenn die Opposition sich dann aber heute hier hinstellt, um uns zu sagen: Für den vom Rechnungshof überprüften Bereich trägt Herr Eppler die Verantwortung,

(Zurufe von der CDU/CSU: O ja!)

dann verkündet sie Banalitäten. Im übrigen hat der Minister Ihnen mit seinen Antworten in der Fragestunde auch deutlich gemacht, daß er sich seiner parlamentarischen Verantwortung nicht entziehen will.
Im Gegensatz zur Opposition bin ich allerdings nicht bereit, schon jetzt, bevor wir das in Auftrag gegebene Gutachten in den zuständigen Gremien erörtert und geprüft haben, den Stab über Entwicklungspolitik und Entwicklungsorganisation zu brechen. Zunächst muß geklärt sein, was von den Vorwürfen tatsächlich berechtigt ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mit diesem Verfahren leisten Sie sich einen Bärendienst.
Und wenn Sie darauf hinweisen, daß in dem Gutachten besonders die Umgehung des Haushaltsplans kritisiert wird, dann ist es schon merkwürdig, zu sehen, mit welcher Mißachtung in Ihrer Fraktion den Mitgliedern des zuständigen Haushaltsausschusses begegnet wird. Ohne Rücksicht auf die erst noch im Haushaltsausschuß zu leistende Arbeit tun Sie hier bereit so, als hätten Sie die Ergebnisse schon fertig in der Tasche und als sei es völlig sinnlos, sich noch ernsthaft mit dem Gutachten und seinen Feststellungen zu beschäftigen.

(Abg. Nordlohne: Unterstellung!)

Nein, so sollten wir mit uns nicht umgehen. Wir sollten ein anderes Verständnis von der parlamentarischen Kontrollfunktion entwickeln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707633300
Das Wort hat der Bundesminister Eppler.

(Abg. Gerster [Mainz] : Zurücktreten!)


Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707633400
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Todenhöfer hat hier einfach das Manuskript vorgelesen, das er sich vor der Fragestunde gemacht hatte, völlig unabhängig davon, welche Auskunft er in ,der Fragestunde bekommen hat.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rawe: Sie haben ihm ja gar keine richtige Auskunft gegeben!)

Ich kenne diese Pose, wo einer Staatsanwalt und Richter zugleich sein will.

(Abg. Seiters: Von sich selbst! Ihre Überheblichkeit ist beispiellos in diesem Parlament! — Abg. Rawe: Ihre Hybris kennt keine Grenzen! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Schulmeister der Nation!)

— Sie können sich ruhig ausreden. Sie dürfen mich, soviel Sie wollen, angreifen. Das ist Ihr gutes Recht. Die Frage ist erstens, wie Sie das machen. Z. B., Herr Seiters, steht in dem Gutachten nicht, wie Sie hier behauptet haben, ich hätte das Parlament irregeführt. Das haben Sie dazu erfunden.

(Hört! Hört! und Pfui-Rufe von der SPD. Abg. Niegel: Was haben Sie heute gemacht?)

Der Ausschuß hat völlig klargestellt, daß ich das Parlament nicht irregeführt habe.

(Abg. Seiters: Genau ,das steht in der Veröffentlichung, Herr Eppler! Das wissen Sie doch! — Abg. Niegel: Jugoslawien!)

Wenn Sie praktische, konkrete Kritik üben schön! Aber Sie wollen doch keine konkrete Kritik. Sie wollen Diffamierung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Das viel Schlimmere an der Sache ist, daß Sie, indem Sie sich auf mich einschießen — was Ihr gutes Recht ist —, im Grunde die deutsche Entwicklungshilfe treffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, die deutsche Entwicklungshilfe ist eine viel zu ernste Sache,

(Abg. Seiters: Typisch Eppler! Kritik an Ihnen ist verboten, Herr Kollege. — Abg. Dr. Barzel: Das war autoritär! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

als .daß sie von irgendeinem jungen Abgeordneten zum Turngerät für seine Profilierungsgelüste degradiert werden dürfte.

(Bravo-Rufe und Beifall bei ,den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Epplers Stil! Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn es Ihnen — —

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Kroll-Schlüter: Seit wann ist Idas Parlament ein Turngerät?! — Abg. Schmöle: Muß man hier ein alter Abgeordneter sein, um Kritik üben zu dürfen? — Anhaltende lebhafte Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD.)




Bundesminister Dr. Eppler
Wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre,

(Abg. Seiters: Zurücktreten! Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es Ihnen wirklich um die Sache gegangen wäre,

(Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie doch erst einmal zur Sache!)

dann hätten Sie doch sagen müssen: Erstens, da sind Indiskretionen über ein Gutachten, das wir noch nicht haben. Zweitens, wir wollen im Ausschuß über das gesamte Gutachten reden, und drittens, wir wollen sehen, was aus diesem Gutachten für Schlüsse zu ziehen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Rawe: Unter einer Voraussetzung: daß Sie lernen, die Wahrheit zu sagen!)

Dies haben Sie nicht getan, sondern Sie haben das getan, was Sie sehr häufig tun: Sie wollen in der Entwicklungshilfe zuerst nach der einen Seite „ja" und dann nach der anderen „aber" sagen.
Herr Roser, ein Beispiel dafür haben Sie heute wieder vorgeführt. Sie haben wiederum vom Volumen geredet und davon, daß das Volumen der Entwicklungshilfe dieser Regierung nicht so groß sei, wie es sein sollte. Wissen Sie, was Ihr damals befugter Sprecher für Entwicklungshilfe wenige Monate vor der letzten Bundestagswahl in einem Interview des „General-Anzeiger" in Bonn auf die Frage „Wie würde sich Ihre Politik von der Minister Epplers unterscheiden?" geantwortet hat? -- „Am Anfang meiner Äußerungen muß die Erkenntnis stehen, daß wir gegenwärtig nicht in der Lage sind, die Mittel für die Entwicklungshilfe zu erhöhen." Vor der Wahl fischen Sie nach den Ressentiments derer, die sagen, wir sollten nicht mehr Entwicklungshilfe leisten, und nach der Wahl tadeln Sie diese Regierung, weil sie nicht genügend Entwicklungshilfe leiste! Dies ist Ihre Methode!

(Abg. Roser: Das ist Irreführung! Das ist zurückgegangen — —!)

Jawohl, dies ist Ihre Methode!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Und ein zweites Beispiel der Konfusion, die in Ihren Reihen in diesem Punkt herrscht — —

(Abg. Roser: Sie bieten ein Beispiel von Konfusion! — Abg. Seiters: Konfusion paßt doch nur auf Ihr Ministerium! — Abg. Franke [Osnabrück]:: Das ist Ihnen doch vom Bundesrechnungshof bestätigt worden!)

— Es fällt Ihnen schrecklich schwer zuzuhören, aber das ist mir nichts Neues.

(Abg. Gerster [Mainz] : Kommen Sie mal zu Ihrer Schlamperei! — Abg. Seiters: Diffamierung! Bundesrechnungshof, das ist das Thema! -Weiterer Zuruf von der CDU' CSU: Das ist persönliche Diffamierung! — Glocke des Präsidenten.)

Was zu den Vorwürfen zu fragen war, haben Sie in der Fragestunde erfragt, und darauf habe ich geantwortet, den Rest werden wir im Ausschuß erledigen, wenn Sie das wollen. Wir hatten hier vor sechs Wochen schon eine Aktuelle Stunde und schon eine Fragestunde. Und in dieser Fragestunde, meine Damen und Herren, hat mich der Abgeordnete Todenhöfer folgendes gefragt:
Herr Minister, sind Sie nicht der Ansicht, daß dieser Kredit an Jugoslawien die Wirkung eines Dammbruchs haben wird

(Zuruf von der CDU/CSU: Heute reden wir nicht von Jugoslawien!)

und daß andere Länder, wie die Sowjetunion, Polen, die CSSR und weitere, ähnliche Wiedergutmachungsansprüche stellen werden?
Darauf habe ich geantwortet — Sie werden gleich merken, warum ich das jetzt zitiere —:
Herr Kollege, Sie wissen genauso gut wie ich, daß Jugoslawien das einzige Land von denen ist, die Sie jetzt genannt haben, das in der OECD-Liste der Entwicklungsländer steht. Dies ist auch der Grund dafür, daß schon in der Großen Koalition ein grundsätzliches Einvernehmen über dieses Thema entstanden ist. Der Dammbruch, den Sie befürchten, könnte nur dann entstehen, wenn es Ihnen gelingen sollte, diese in die Zukunft gerichtete Entwicklungshilfe tatsächlich als Wiedergutmachung darzustellen.
Und nun heute? Heute stellt sich hier in diesem Hause der Vorsitzende Ihrer Fraktion hin und erklärt folgendes: „Ich möchte zu der Kreditgewährung an die osteuropäischen Staaten jetzt nur eine Bemerkung machen — —"

(Abg. Franke [Osnabrück] : Ihre Zeit ist abgelaufen! — Abg. Seiters: Das ist doch gar nicht das Thema, Herr Präsident! Reden Sie doch zum Thema der Aktuellen Stunde!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707633500
Herr Minister, Sie halten sich an die Vereinbarungen.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0707633600
Ich halte mich an die Vereinbarungen, Herr Präsident, aber ich wäre dankbar, wenn Sie mir die Zeit abziehen würden, die ich wegen der Opposition nicht sprechen kann.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Carstens sagt heute: „Die Bundesregierung hat diese Kredite mehrfach mit dem Thema der Wiedergutmachung in Verbindung gebracht. — Ich warne vor dieser politischen Sicht." Genau das, was wir das letzte Mal vor sechs Wochen hier versucht haben zu verhindern, nämlich daß man diese Kredite mit Wiedergutmachung verbindet, wo wir Sie beschworen haben, dies nicht zu tun, — genau dies werfen Sie uns jetzt vor.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)




Bundesminister Dr. Eppler
Eine Fraktion, die sich in diesen Dingen in einer solch totalen Konfusion befindet, hat es offenbar nötig, auf Aktenordnungen auszuweichen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707633700
Meine Damen und Herren, ich bitte freundlichst, zukünftig doch nach Möglichkeit den Rednern die Chance zu geben, innerhalb der fünf Minuten auch wirklich sprechen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wulff.

(Abg. Rawe: Dann sollten sich die Herren der Regierung einen vernünftigen Stil einfallen lassen, Herr Präsident!)


Dr. Otto Wulff (CDU):
Rede ID: ID0707633800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Eppler hat in seinen Ausführungen uns gegenüber erklärt: Sie wollen die Diffamierung! Herr Minister Eppler, lassen Sie mich mit Horaz antworten: non erat his locus; das war hier nicht am Platze.
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte mich auch nicht der Polemik befleißigen, die der Herr Minister in dieser Aktuellen Stunde vorgetragen hat. Lassen Sie mich vorweg an dieser Stelle sagen: Meine Fraktion wäre in der Tat froh gewesen, wenn wir ein positiveres Gutachten vom Bundesrechnungshof erhalten hätten, so daß diese Debatte nicht hätte geführt zu werden brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sage das deshalb, weil es in unserem Staate immer noch eine Reihe von Bürgern gibt, denen die Entwicklungshilfe nicht zusagt. Namens meiner Fraktion muß ich hier erklären, daß wir es deshalb um so mehr bedauern, daß dieses Gutachten so schlecht für die Entwicklungshilfe ausgefallen ist.
Lassen Sie mich nur ganz kleine, selbstverständlich kleine Positionen anführen, von denen ich glaube, daß sie hier im Bundestag erwähnt werden sollten. Beispielsweise sind Zuständigkeiten in den einzelnen Referaten nicht so geordnet, daß Projekte zufriedenstellend zu Ende geführt werden können. Herr Minister, jetzt mögen Sie lachen; aber 'wie kommt der Bundesrechnungshof dazu, beispielsweise aus Ihrem Hause und aus den Ihnen nahestehenden Instituten, für die Sie auch Verantwortung tragen, für dieselbe Sache die Zahl einmal mit rd. 8000, dann mit ca. 1700 und dann mit 3000 anzugeben? Was ist denn das für ein Ministerium, das die Angaben so verschiedener Zahlen überhaupt zuläßt, geschweige denn durch die Ministerialbeamten erklären läßt!

(Abg. Matthöfer: Sie haben in der Fragestunde nicht zugehört!)

Herr Matthöfer, wissen Sie, ich meine, der Entwicklungshilfe wegen sollten wir ruhig diskutieren. Sie sollten, wie der Herr Minister es eben gesagt hat, einmal zuhören,

(Lachen bei der SPD)

was wir an Argumenten liefern. Ich kann Ihnen nur
sagen: Sie werden sich wundern. Sie sollten mehr
auf uns hören; es käme mehr dabei für Sie heraus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Beispielsweise wird festgestellt, daß bei einigen Projekten im Ausland chaotische Zustände herrschen; natürlich nur bei einigen, aber es ist schlimm genug, daß überhaupt chaotische Zustände herrschen, Herr Minister. Dort spricht man von chaotischen Zuständen. Auf der anderen Seite werden bereits hockbezahlte Leute eingestellt, für die überhaupt noch keine Verwendung vorgesehen ist, weder beim Projekt, noch in der Region, in der sie tätig sein sollen.
Man ist sich auch nicht darüber im klaren, wieviel Bedienstete in den Projekten außerhalb unseres Landes überhaupt tätig sind. Einmal sind es 1600, dann sind es 800; das geht durcheinander, je nachdem, welche Auskunft man einholt.
Beispielsweise werden bei der Bundesstelle für Entwicklungshilfe hausinterne Statistiken geführt, deren Aussagen — nach dem Bundesrechnungshof — einer Nachprüfung nicht standhalten. So geht es weiter und weiter. Mir fehlt leider die Zeit, noch auf weitere Dinge einzugehen.
Der Herr Bundeskanzler hat in einer Rede in der 115. Sitzung des 6. Deutschen Bundestages am 28. April 1971 während der Aussprache über die Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung folgendes erklärt; ich darf den Herrn Präsidenten bitten, daß ich es noch kurz zitieren darf:
Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit selber hat Herr Kollege Eppler im Herbst 1970 eine Reorganisation durchgeführt, deren Auswirkungen auf die nachgeordneten Behörden in diesen Tagen nach eingehender Diskussion mit den Beteiligten geregelt wurden. Ich will nun nicht behaupten,
— so der Herr Bundeskanzler
daß damit schon Formen gefunden wären, die für alle Zeiten als optimal gelten könnten. Aber ich möchte doch behaupten, daß noch keine Bundesregierung ein besser durchdachtes, rationaleres Konzept für die Entwicklungshilfe und auch keine adäquatere Organisation vorzuweisen hatte als diese.
In der Tat große Worte, insbesondere nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofs.
Aber was das Gutachten anbelangt, kann ich nur sagen: Nullus est liber tam malus, ut non aliqua parte prosit! Es gibt kein Buch oder kein Buch ist so schlecht, daß es nicht in irgendeiner Hinsicht nützen könnte!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707633900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0707634000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wulff, was Sie eben ausführten und kritisierten, haben Sie teil-



Stahl (Kempen)

weise im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mitbeschlossen. Deshalb verstehe ich Ihre unwahrscheinliche Polemik nicht, die Sie hier von sich gegeben haben.
Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde und vorher schon die Fragestunde zeigen, daß die Opposition offenbar trotz anerkennender Worte aus dem Ausland, vor allen Dingen aus den UN-Organisationen, eine sehr fragliche Entwicklungspolitik in unserem Lande betreiben möchte. Sie stellt die Leistungen der Bundesregierung, nicht nur der jetzigen, sondern auch der vorhergehenden Bundesregierungen, die sie selbst getragen hat, in Frage.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Deshalb darf ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, einige Fakten ins Gedächtnis zurückrufen, damit Sie einmal richtig informiert und sich klar sind, worüber eigentlich heute in diesem Hause im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung insgesamt hätte gesprochen werden müssen.

(Abg. Stücklen: Über den Bericht des Bundesrechnungshofs!)

— Herr Kollege Stücklen, es ging doch gar nicht um den Bericht des Bundesrechnungshofes. Der größte Teil Ihrer Kollegen, die gesprochen haben, haben doch nur in Polemik gemacht und versucht, die Regierung zu beleidigen, speziell den Bundesminister Eppler. Das muß einmal ganz klar herausgestellt werden.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Stücklen, ich würde Ihnen einmal empfehlen zu lesen, was Hoffmann ausgeführt hat, der Chef der Technischen Entwicklungshilfe der UN. Er hat zu dem Programm, das die Bundesregierung 1971 für die Entwicklungshilfe erstellt hat, folgendes gesagt:
Ich habe viel über Entwicklungshilfe gelesen,
aber noch nie habe ich soviel gesunden Menschenverstand in einem Dokument gefunden.

(Abg. Niegel: Er hat eben nie das Gutachten gelesen!)

— Herr Kollege, dieses Gutachten ist Ihnen in seinem Text noch gar nicht bekannt. Sie zitieren immer nur Ausschnitte aus dem Gutachten. Wie wollen Sie, die Opposition, sich da ein vollkommenes Bild machen von dem, was tatsächlich drinsteht?! Ich bitte das doch einmal mit zu berücksichtigen. So einfach sollten Sie sich die Kritik der Entwicklungshilfe nicht machen.

(Abg. Gerster [Mainz] : Haben Sie das Herrn Eppler gesagt?!)

Meine Damen und Herren, es ist nicht zu leugnen, daß der Bundesrechnungshof in seinem Gutachten zur bilateralen Technischen Hilfe in verschiedenen Bereichen kritische Anmerkungen gemacht hat. Das will wohl auch keiner leugnen. Aber Sie sollten dazu heute keine Staatsaffäre aufziehen, sondern wir sollten gemeinsam im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß dieses Bundestages über dieses vor-
liegende Gutachten sprechen. Ich bin überzeugt, daß Herr Eppler mit seinem Ministerium eine Darstellung erarbeiten und zu den konkreten Punkten, ,die hier aufgeführt sind, eine Stellungnahme abgeben wird. Ich hoffe nur, daß Sie dann gemeinsam mit uns im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit dieses Problem lösen helfen, damit das, was Sie heute an Porzellan gegen die Entwicklungshilfe unseres Landes zerschlagen haben, wieder in aller Vernunft gekittet werden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707634100
Das Wort hat der Abgeordnete Todenhöfer.

(Abg. Fellermaier: Totengräber!)


Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0707634200
Herr Präsident, lassen Sie „Totengräber" — —

(Abg. Stücklen: Was sind denn das wieder für Methoden? — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707634300
Herr Abgeordneter, ich werde mich an Hand des Protokolls überzeugen und danach entscheiden. — Bitte, ergreifen Sie das Wort!

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0707634400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich einiges zu dem zu sagen, was heute hier gesprochen worden ist.
In der Fragestunde hat die SPD großen Wert daraufgelegt, daß die Stellungnahme der Treuarbeit — das ist die ausführende Stelle der Entwicklungshilfe — veröffentlicht wird. Ich habe soeben eine Meldung auf den Tisch bekommen, in der der Verband der Consultants gegen diese Stellungnahme der Treuarbeit, die überwiegend in Händen des Bundes ist, Stellung nimmt und die Treuarbeit auffordert, die Behauptungen, die heute in der FAZ stehen, bis morgen 10 Uhr zurückzunehmen — wenn nicht, sehe er sich gezwungen, Schritte zu unternehmen, um auf die wahrheitswidrigen und irreführenden Behauptungen gegenüber dem Deutschen Bundestag und den zuständigen Ministerien und Behörden, aber auch gegenüber der Presse, hinzuweisen. Ich hoffe, Herr Kollege, daß auch das dann veröffentlicht wird, weil hier offensichtlich mit seltsamen Waffen zurückgeschlagen wird.
Ich möchte hier noch einmal auf eines hinweisen, was ich für sehr schwerwiegend halte. Wir haben ein Gutachten des Bundesrechnungshofs, bei dem jeder, der es eines Tages lesen wird, feststellen wird, daß es das vernichtendste Urteil ist, das man sich überhaupt vorstellen kann. Wir haben uns in vielen Passagen zurückgehalten und vieles nicht gesagt.
Herr Minister, ich nehme Ihnen sehr übel, daß Sie die Autorität des Bundesrechnungshofes in dieser Weise, wie es geschehen ist, hier geschwächt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist schlechter politischer Stil.



Dr. Todenhöfer
Herr Minister Eppler, Sie haben häufig gesagt, Sie hätten die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe verbessert. Ich muß Ihnen sagen: Dem scheint ein eigenartiger Qualitätsbegriff zugrunde zu liegen. Das, was wir in Deutschland oder in Schwaben — wo Sie ja hin wollen — unter Qualität verstehen, kann es jedenfalls nicht gewesen sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir müssen hier mit Nachdruck sagen, daß nicht wir, die wir die Berichte in der Presse aufgenommen haben, der Entwicklungshilfe schaden. Herr Minister, Sie schaden mit Ihrer organisatorischen Nachlässigkeit der deutschen Entwicklungshilfe. Sie sind verantwortlich und nicht wir, die wir darüber sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist doch eine ganz merkwürdige Sache, wenn der Bundesrechnungshof im finanziellen Bereich die Waffen streckt und erklärt: Hier komme ich nicht mehr durch. Herr Minister, das sind doch keine harmlosen Feststellungen. Der Bundesrechnungshof hat doch mehrfach gesagt, daß Ausgaben teilweise überhaupt nur zu schätzen sind.
Ich muß Ihnen auf die persönlichen Bemerkungen — die Sie immer machen, wenn Sie in die Enge getrieben sind — folgendes sagen. Sie haben gesagt, die deutsche Entwicklungshilfe sei eine viel zu ernste Sache, als daß sie durch die Profilierung eines Abgeordneten in Schwierigkeiten gebracht werden sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Auch ich bin sehr wohl dieser Ansicht. Aber ich meine, die deutsche Entwicklungshilfe ist auch eine viel zu ernste Sache, als daß sie an der Überheblichkeit, der Arroganz und der organisatorischen Nachlässigkeit eines Ministers scheitern sollte.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Minister, wer dieses erschütternde Gutachten über die Unordnung in Ihrem Hause gelesen hat, muß zu dem Schluß kommen: Bevor Sie uns in Zukunft weiter mit Ihren großen gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen behelligen, bringen Sie erst einmal Ihr Haus in Ordnung!

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707634500
Herr Abgeordneter Fellermaier, ich rüge nachdrücklich Ihren Zwischenruf an Iden Herrn Abgeordneten Todenhöfer.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Esters.

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID0707634600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir, der ich selbst im Haushaltsausschuß den Antrag gestellt habe, eine Organisationsanalyse zur Durchführung der Technischen Hilfe zu erarbeiten, ansehe, was hier jetzt aus parteipolitischer Kurzsichtigkeit daraus gemacht wird, dann kann man sagen, daß es alles andere als ein faires Verhalten ist," wenn — ehe die Ausschüsse, die etwas Derartiges in Auftrag geben, Möglichkeiten zur Beratung haben - schon Dinge in die Offentlichkeit kommen oder zur Gesamtdiskussion gestellt werden, ohne daß der Hintergrund des Ganzen ausgeleuchtet werden konnte. Der Haushaltsausschuß brauchte, in Vereinbarung mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und mit dem Bundesministerium der Finanzen, eine Entscheidungshilfe für den Durchführungsbereich der Technischen Hilfe und der Kapitalhilfe, für die Bereiche also, die nach der glänzenden Konzeption der Bundesregierung in zunehmendem Maße zu Verbundprojekten zusammengebündelt werden sollen. Hier brauchte der Haushaltsausschuß eine Entscheidungshilfe. Der Präsident des Bundesrechnungshofs, der die Organisationsanalyse erarbeiten lassen sollte, war nicht angesprochen in seiner Eigenschaft als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, sondern angesprochen war der Rechnungshof selbst, der nach § 88 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung sich dann nur gutachtlich äußern kann an Hand von Prüfungserfahrungen und örtlichen Erhebungen. Dies ist wiederum etwas ganz anderes als das, was Sie daraus machen wollen, indem Sie den Anschein erwecken wollen, daß es hier konkrete Beanstandungen in der Form von Rechnungshofs-Textziffern gebe.
Wir haben seinerzeit im Haushaltsausschuß, zusammen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Finanzministerium, dieses Gutachten erbeten, um organisatorische Vorschläge zu bekommen für den Übergang zur Programmfinanzierung. Dies war alles abgestimmt. Die Gremien, die dies in Auftrag gegeben haben — darauf kann die Opposition sich verlassen —, werden dafür Sorge tragen, und zwar in Kooperation, daß wir bei einer glänzenden Konzeption in weitaus geringerem Maße als anderswo vorhandene Mängel abstellen und dann ebenfalls zu einer glänzenden und hervorragenden Durchführungsebene insgesamt kommen.
Zum Schluß sei mir aber eine Anmerkung gestattet. Mir, Herr Todenhöfer, tun vor allen Dingen diejenigen Kollegen aus Ihrer Fraktion im Fachausschuß leid, die sich hier hinstellen und diese Kritik an dem Minister üben, im Fachausschuß aber jahrelang nichts gemerkt haben. Dann haben Sie Ihre Aufgabe ,als Opposition verfehlt, Sie haben dann versagt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707634700
Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Ende der Aktuellen Stunde.
Wir treten wieder in die Beratung der Punkte 3 a und b — Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Lage der Nation und Beratung des Tätigkeitsberichtes 1973 der Bundesregierung — ein. Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Bundesminister Arendt.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0707634800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Lage der Nation behan-



Bundesminister Arendt
delt wird, dann, glaube ich, ist es erforderlich, auch die soziale Lage der Nation zu schildern.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn von äußerer Sicherheit, die gut und notwendig ist, die Rede ist, dann, glaube ich, muß man auch die innere Sicherheit sehen und behandeln. Ich denke, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit sehr deutlich gemacht hat, daß sie auf beiden Bereichen dieser Aufgabenstellung aktive und gute Arbeit geleistet hat. Sie brauchen nur einmal in dem Tätigkeitsbericht der Bundesregierung der dem Hohen Hause im Dezember des vergangenen Jahres zugeleitet wurde, nachzuschauen, und Sie werden erkennen müssen, in welch hohem Maße durch die sozialliberale Koalition soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit geschaffen worden sind.
Wir wollen, meine Damen, daß die Menschen in unserem Lande in Sicherheit und Geborgenheit leben können. Das heißt: wir streben nach einer internationalen und nationalen Friedensordnung. Ich finde, wir sind diesem Ziel seit 1969 ein erhebliches Stück nähergekommen, und die Grundsätze für unsere Politik bestimmen auch heute unser Handeln. Für die Sozial- und Gesellschaftspolitik heißt das: Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Position des Arbeitnehmers in Beruf und Gesellschaft, stärkere Humanisierung des Arbeitslebens, Ausbau der sozialen Sicherung und Eröffnung neuer, besserer Chancen für alle Behinderten in unserer Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, schon in der letzten, verkürzten Legislaturperiode haben wir auf diesem weiten Feld große Fortschritte gemacht. Ich brauche nur einige Punkte in Ihre Erinnerung zurückzurufen. Wir haben eine große Rentenreform durchgeführt und zum erstenmal in der 80jährigen Geschichte der Rentenversicherung dem Versicherten mit dem 63. Lebensjahr die freie Entscheidung überlassen, ob er in die Rente gehen will oder ob er weiterarbeiten will.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben den Freiheitsraum der Menschen in unserem Lande erheblich erweitert. Ich rufe das neue Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1972 in Erinnerung. Hier wurden die Rechte des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz in ganz entscheidender Weise gestärkt, hier wurde die Position des Betriebsrates gestärkt, und hier wurde die Präsenz der gewerkschaftlichen Organisationen als Wahrer der Interessen der arbeitenden Menschen entscheidend verbessert. Ich erinnere an das 624-Mark-Gesetz und brauche die Einzelheiten dieses erfolgreichen Gesetzes sicherlich nicht vorzutragen. Ich erinnere an die Unfallversicherung für Kinder und Schüler, und ich erinnere an die strukturellen Verbesserungen und an die Dynamisierung in der Kriegsopferversorgung, die jahrelang brachgelegen haben.
Ich will es mit diesen wenigen Hinweisen bewenden lassen, aber ich denke, daß diese wenigen Beispiele deutlich machen, daß wir den Ausbau unseres sozialen Rechtsstaates ein großes Stück vorangebracht haben. Man kann es auch anders sagen: Wir haben gehalten, was wir versprochen haben. Unser Wort gilt, auch wenn das mancher nicht gerne hören will.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ja, meine Damen und Herren, mehr noch: Wir haben in diesen vier Jahren sozialliberaler Koalition mehr zustande gebracht, als in früheren Legislaturperioden in Addition zustande gebracht werden konnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0707634900
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Arendt, Bundesminister für • Arbeit und Sozialordnung: Bitte schön!

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0707635000
Herr Bundesminister, bei allem Respekt vor Ihren Ausführungen zur Sozialpolitik: teilen Sie meine Auffassung, daß, als der Begriff „Bericht zur Lage im gespaltenen Deutschland" eingeführt wurde, Gegenstände dieser Art keineswegs in der Absicht der einführenden Sozialdemokraten Erler und Schmid gestanden haben?

(Abg. Wehner: Davon wissen Sie doch gar nichts hier im Bundestag! Denken Sie einmal an die Regierungsdebatte 1965! Da waren wir dran!)


Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0707635100
Das ist doch völlig gleichgültig. Ich sage Ihnen —

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Herr Minister, ich hatte Sie gebeten, nicht Herrn Wehner!)

— Ist ja völlig gleichgültig; ich antworte ja auch. — Ich sage Ihnen, daß die soziale Lage für die innere Ordnung und Sicherheit mindestens so bedeutsam ist wie die anderen Fragen, die hier besprochen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn die äußere Sicherheit zu verteidigen ist nur möglich,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Ist klar!)

wenn auch die Menschen in diesem Lande das Ge-
fühl der Geborgenheit und der Sicherheit haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Ich stimme zu!)

Deshalb müssen solche Fragen im Bericht zur Lage der Nation angesprochen werden — ganz abgesehen davon, daß auf der Tagesordnung steht, daß der Tätigkeitsbericht der Bundesregierung heute behandelt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Unsere Politik des sozialen Fortschritts, meine Damen und Herren, die wir 1969 eingeleitet haben, setzen wir auch in dieser Legislaturperiode konse-



Bundesminister Arendt
quent und systematisch fort. Wir wollen Reformen zum Wohle der Bürger unseres Landes, und wir machen Reformen. Wir lösen Probleme, über die lange Jahre zwar viel geredet, diskutiert, aber nie konkret gesprochen wurde und die nie konkret angepackt wurden.
Einen Schwerpunkt unserer Politik, meine Damen und Herren, bildet die stärkere Humanisierung des Arbeitslebens; wir wollen menschengerechte und menschenwürdige Arbeitsplätze. Dort, wo der arbeitende Mensch ein Drittel des Tages verbringt, müssen wir mit unserer Politik ansetzen. Mit anderen Worten: Der Umweltschutz muß beipielsweise am Arbeitsplatz beginnen, Unfallgefahren müssen mehr als bisher bekämpft werden. Dafür haben wir die Grundlagen geschaffen. Ich will hier nur das bereits verkündete Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte der Arbeitssicherheit erwähnen. Durch die Verpflichtung der Arbeitgeber, Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte für ihre Betriebe zu bestellen, erwarte ich eine wirksamere Bekämpfung der Unfallgefahren — und der Arbeitsplatz wird sicherer.
Zur stärkeren Humanisierung des Arbeitslebens gehört auch ein fortschrittlicher Ausbau des Jugendarbeitsschutzes. Der entsprechende Gesetzentwurf ist so weit vorbereitet, daß er dem Kabinett in Kürze vorgelegt werden kann.
Großes Gewicht legen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auf den Ausbau der sozialen Sicherung. Unser Ziel ist die bestmögliche soziale Sicherung für alle Bürger. Deshalb haben wir die Aussteuerung, Herr Barzel,

(Abg. Dr. Barzel: Ich kenne sie sehr gut, Herr Arendt!)

in der Krankenversicherung abgeschafft; es gibt keine Sorge mehr für diesen Personenkreis.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Maucher: Dafür gibt's andere!)

Deshalb schließen wir in unserem sozialen Sicherungssystem noch vorhandene Lücken, und deshalb sorgen wir für die Dynamisierung der Sozialleistungen. Als Beispiel will ich hier nur unsere Gesetzesvorlage zur Modernisierung und fortschrittlichen Ausgestaltung des Heimarbeitgesetzes erwähnen. Weiter kann ich auf das Personalvertretungsgesetz verweisen, und hervorheben möchte ich auch unsere Gesetzesvorlage zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, die im Ausschuß behandelt wird. Durch dieses Gesetz erreichen wir einen weitgehenden Schutz der Betriebsrenten vor Verfall und Auszehrung, und mehr als zwölf Millionen Arbeitnehmer werden dadurch bessergestellt.
Von ebenso großer Bedeutung ist unsere Gesetzesvorlage zu Lohnsicherung bei Konkurs des Arbeitgebers. Durch dieses Gesetz wird sichergestellt, daß die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers neben dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht auch noch rückständige Löhne verlieren.
Unsere Sorge, meine Damen und Herren, gilt auch den behinderten Mitbürgern. Wie in der Regierungserklärung angekündigt, wollen wir allen Be-
hinderten neue und bessere Chancen zur Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft eröffnen. Diesem Ziel dienen die Ihnen schon vorliegenden Gesetzentwürfe zur Schaffung eines modernen Schwerbehindertengesetzes und zur Angleichung und Verbesserung der Rehabilitationsleistungen. Als Drittes werden wir Ihnen in Kürze einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Behinderten vorlegen. Diesen Gesetzentwurf hat die Bundesregierung gestern verabschiedet. Auch hiermit wird eine Zusage aus der Regierungserklärung erfüllt.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt unserer Arbeit aus dem ersten Jahr dieser Legislaturperiode. Aber auch dieser kurze Ausschnitt beweist schon, daß wir es nicht bei Ankündigungen bewenden lassen, sondern daß wir auch zu handeln verstehen. So war es bisher, und so wird es auch in Zukunft sein.
Ich habe eingangs schon darauf hingewiesen, daß ein Kernpunkt unserer Politik darin besteht, die Position des .Arbeitnehmers zu festigen und zu stärken. Dazu gehören zweifellos die Fragen der Mitbestimmung und die Frage der Vermögensbildung. Über beide Komplexe ist seit vielen Jahren sehr viel geredet worden. Herr Katzer und Herr Blüm — um nur zwei zu nennen -- wissen sicherlich mehr als eine Strophe des Liedes zu singen, wie vergeblich ihre Bemühungen waren, eine Vorlage aus den Reihen der CDU/CSU zu bekommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Da wurde Mitbestimmung gefordert, jedoch wurden Vorschläge gemacht, die oft eher dazu angetan waren, die Mitbestimmung zu verhindern. Denken Sie nur an Ihre letzte Entscheidung in Hamburg. Das, was die Opposition nicht zustande bringen konnte, hat sie auch der Regierungskoalition unterstellt. Sie ist völlig verwirrt, daß diese Koalition durch die Vereinbarung der letzten Tage in diesen großen gesellschaftspolitischen Bereichen einen Durchbruch erzielt hat und in den Stand versetzt wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Ja, Herr Rawe, ich will Ihnen mal sagen, warum und wie die Opposition verwirrt ist.
Ich habe hier eine dpa-Meldung. Nach dieser Meldung hat der Generalsekretär der CDU, Herr Professor Biedenkopf, die Ansicht vertreten, dem Mitbestimmungs- und Vermögensbildungskonzept der Regierung liege eine einheitliche syndikalistische Strategie zugrunde. Das war die Stellungnahme Ihres Generalsekretärs der CDU.

(Abg. Rawe: Er hat doch völlig recht!)

Nun gibt es ja nur einen Generalsekretär. Es gibt aber mehrere Landesbezirksvorsitzende. Einer Ihrer größten Landesbezirke ist Nordrhein-Westfalen. Ich könnte jetzt mit den Ankündigungen aus dem Wahlkampf sagen: „Jetzt kömmt Köppler". Der hat nämlich ganz was anderes gesagt. Der hat gesagt, die SPD und die FDP als Koalition seien im Begriff, sich zu den Mitbestimmungsbeschlüssen des Hamburger CDU-Parteitages vorzurobben. Nun nehme ich nicht



Bundesminister Arendt
an, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie in Hamburg bei Ihren Beschlüssen eine syndikalistische Tendenz zugrunde gelegt haben. Irgend etwas muß ja da nicht in Ordnung sein.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich sage Ihnen: dieser sozialliberalen Koalition ist es in relativ kurzer Zeit gelungen, einen Lösungsvorschlag auszuarbeiten. Wir haben uns auf Regelungen geeinigt, die fair sind, die praktikabel sind und die für alle Beteiligten tragbar sind. Unser Mitbestimmungsmodell sieht vor, daß die Aufsichtsräte der Großunternehmen künftig zu gleichen Anteilen mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt sind. Damit wird die Gleichheitsberechtigung und die Gleichgewichtigkeit von Arbeit und Kapital in der Unternehmensverfassung erreicht. Oder, anders ausgedrückt: die Ankündigung aus der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 wird damit innerhalb eines Jahres erfüllt.

(Beifall bei der SPD.)

Der Gesetzentwurf zur Einführung der Mitbestimmung in die Unternehmensverfassung ist bereits so weit vorbereitet, daß er in Kürze vom Kabinett verabschiedet werden kann. Damit, meine ich, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die neue Mitbestimmung am 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft treten kann.
Meine Damen und Herren, auch in der Vermögensbildung haben wir einen Durchbruch erzielt. Die Bundesregierung wird Ihnen in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine Beteiligung der Arbeitnehmer und anderer Erwerbstätiger am Zuwachs des Produktivvermögens bringt. Damit wird eine weitere Zusage aus der Regierungserklärung erfüllt.
Gerade die Ereignisse der letzten Zeit unterstreichen die Bedeutung einer fortschrittlichen Sozial- und Gesellschaftspolitik. Sie machen aber auch klar, daß in einer vermeintlich sicheren Wohlstandsgesellschaft kein Spielraum für sozialpolitische Träumereien besteht. Deshalb werden wir beim Ausbau unseres sozialen Rechtsstaats die Realitäten nicht aus dem Auge verlieren. Wir werden mit beiden Füßen fest auf dem Boden bleiben. Das heißt aber nicht, daß es auf diesem Feld in der Sozial- und Gesellschaftspolitik zu einem Stillstand kommen darf. Stillstand kann sehr schnell Rückgang werden. Dazu werden wir es nicht kommen lassen. Wir werden auch in Zukunft alles tun, was dem sozialen Fortschritt dient. Dabei werden wir uns streng im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten halten. Wir werden aber stets bemüht sein, die Interessen der Beitragszahler und der Empfänger von Sozialleistungen in Einklang zu halten; denn wir wollen, daß es allen Bürgern in unserem Lande besser geht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707635200
Das Wort hat der Abgeordnete Blüm. 30 Minuten!

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707635300
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, die in diesem Hause geführt wird, geht nicht um die Frage Stillstand oder Bewegung, sondern einzig und allein um die Antwort auf die Frage, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt.

(Abg. Dr. Kliesing: Sehr gut!)

Bei allem Zutrauen in die Macht der Politik: wer nur Vorhandenes festhalten wollte, überschätzt seine Kraft. Wir haben nur die Wahl zwischen einer Entwicklung, die über uns kommt wie eine große Naturkatastrophe, wie eine Überschwemmung, oder einer Entwicklung, die wir steuern. Wer politisch nur von der Hand in den Mund lebt, wird nur Geschaftlhuberei produzieren, die nichts bewirkt, was über den Tag hinausreicht. Politik, die auf der Höhe ihrer Zeit ist, muß unter möglichen Zukünften auswählen und deshalb vorausschauen. Die Zukunft wird nicht einfach die Verlängerung der Gegenwart sein. Anders als in statisch idyllischen Zeiten können wir in einer dynamischen Gesellschaft die Lösung nicht einfach aus der Vergangenheit beziehen, zumal die goldene Zeit vergangener Tage meist mehr der Sehnsucht nach einer heilen Welt als einer Geschichte von Tatsachen entspricht.
Doch, meine Damen und Herren, dem reaktionären Traum von einer heilen Vergangenheit entspricht die totalitäre Hoffnung auf eine goldene Zukunft. Die goldene Zeit liegt weder vor noch hinter uns. Alles bleibt vorläufig. Das wird immer weitergehen. Wer vorgibt, des Rätsels Lösung für alle politischen Probleme in den Händen zu halten, offenbart sich, wie die Vergangenheit zeigt, immer mit einem Hang ins Totalitäre, und der Weg vom Totalitarismus in den Terrorismus war nie sehr weit.
Politik hat es mit der Zukunftsbewältigung zu inn, allerdings mit einer Zukunf, die nicht erst übermorgen beginnt, sondern heute und hier. Ich sage das im vorhinein, damit wir der Gefahr ausweichen, die Welt in reaktionäre Hexen und progressive Feen einzuteilen, wie dies auch heute morgen versucht worden ist. Herr Wehner hat ja schon über meine Fraktion Pech und Schwefel ausgegossen; es war wohl etwas mehr Galle dabei.

(Abg. Wehner das Buch „Wohin geht die CDU?" zeigend: Kennen Sie das? „Reaktion"!)

-- Das kenne ich. Wenn ich ein Buch über die SPD zu schreiben hätte, würde ich es wahrscheinlich mit einem anderen Titel versehen.

(Abg. Wehner: Das war die CDU!)

— Nein, ich würde über die SPD wahrscheinlich schreiben: Fortschritt, vorwärts, Kameraden, es geht zurück!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Aber das werden wir noch klären können.

Auch der Herr Kollege Bangemann hat meine Partei kurzerhand im Schnellverfahren als reformunfähig etikettiert. Das Schwarzweißspiel klappt also. Sie, Herr Bangemann — ich sehe ihn im Moment nicht —, haben sich offenbar überraschend schnell und gut an das sozialliberale Koalitionsgefühl angepaßt. Was daran allerdings liberal ist,



Dr. Blüm
bleibt unbekannt. Vielleicht sollte man eine Vermißtenanzeige aufgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie können doch nicht so tun, als seien 20 Jahre Nachkriegszeit nur finstere Eiszeit gewesen und jetzt plötzlich sei der Reformsommer ausgebrochen, der die Scheunen bersten läßt.

(Abg. Mattick: Einen so warmen Winter haben wir noch nie gehabt!)

— Wenn es Ihnen Spaß macht: Wir haben in diesen 20 Jahren das Soforthilfegesetz, das Bundesversorgungsgesetz, die Mitbestimmung nach dem Montanmodell, den Kündigungsschutz, den Mutterschutz durchgesetzt. Es wird Sie langweilen. Ich habe gar nicht den Ehrgeiz, vollständig zu sein.

(Abg. Dr. von Bismarck: Die dynamische Rente!)

Dies alles werden Sie doch nicht als finstere Eiszeit ausgeben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Über die Richtung der notwendigen Entwicklung wird gestritten, nicht über die Fahrt, zu der wir gezwungen sind, wenn wir die Zukunft erreichen wollen. Nur, meine Damen und Herren, das Reiseunternehmen „Zukunft" hat offenbar eine spezifisch sozialliberale Filiale, die als besondere Attraktivität Ankunft vor Reisebeginn anbietet, freilich nur in Worten,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

denn jede große Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
Diese Regierung ist ausgezogen, als wolle sie das nächste Jahrhundert bezwingen. Planerisch bewegte sie sich auf das Jahr 2000 zu und war unfähig, die Ölvorräte im November 1973 richtig einzuschätzen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe von der SPD.)

Die bundesdeutsche Ausgabe der Ölkrise ist ein Wechselbad zwischen Katastrophenalarm und Beruhigungstherapie. Die Planung des Fahrverbots glich eher einer Fahrt ins Blaue, bei der man nie sicher sein konnte, welche Überraschungen noch bevorstehen. Die Großausgabe der regierungsamtlichen Planungsexperten, die mit beträchtlichem Quickborner Imponiergehabe ,das Planen begannen, ist inzwischen auf Miniaturgröße geschrumpft. Wahrscheinlich ist das ihre tatsächliche Größe. Ein Teil ist aus der Planungszentrale des Bundeskanzleramts ausgeschieden und offenbar auf etwas kleinere Aufgaben als die Zukunftsbewältigung angesetzt. Einer von ihnen plant inzwischen die Postpreise, die allerdings für die Gegenwart.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. -Abg. Dr. von Bismarck: Und wie!)

Es ist nicht die kreative Phantasie der Sozial- und Freien Demokraten, sondern ihre phantastische Kreativität, die oft den Boden unter den Füßen verliert und in ihrer Zukunftsbegeisterung die Gegen-
wart vergißt. Eine besondere Variante dieser Weltflucht ist der Ausflug ins Grundsätzliche, der allerdings den Zusammenhang mit der Wirklichkeit verliert, getreu einer altdeutschen Tradition: sonntags die Grundsätze für die Gefühle und werktags das handfeste Geschäft. Diese Arbeitsteilung findet auch in der Bundesregierung ihre Bewunderer, wobei sich der Herr Bundeskanzler mehr auf das Sonntagsgeschäft versteht.

(Heiterkeit und Beifall bei. der CDU/CSU.)

Ein Beispiel war auch seine heutige Rede. Ich muß sagen: Sie war richtig schön, ein Oratorium der großen Worte. Von der Tätigkeit der Bundesregierung im einzelnen und im zurückliegenden Jahr war allerdings weniger die Rede.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Die Sozialdemokraten müssen einsehen, daß Gesundbeten noch kein Tatsachenersatz ist. Neue Worte schaffen noch keine neue Wirklichkeit.

(Abg. Dr. Kliesing: Sehr gut!)

Ich bin der Meinung, daß Probleme ins Wort gebracht werden müssen. Wenn es neue Probleme sind, reichen oft die alten Schablonen nicht aus. Was nicht benannt werden kann, ist nicht erkannt, und was nicht bekannt ist, kann nicht bewältigt werden. Insofern, meine Damen und Herren, begrüße ich den schöpferischen Wortreichtum der Regierung. Worte sind allerdings noch keine Taten. Wer glaubt, mit einem neuen Wort habe er bereits das Problem gelöst, erliegt einem kindlichen Trugschluß, den man als einen Rumpelstilzchen-Effekt bezeichnen kann.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Jenes Männlein war erledigt, als sein Name bekannt wurde. Ähnlich glauben offenbar manche Reformer, wenn sie einen neuen Namen hätten, hätten sie das neue Problem bereits gelöst.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Der Begriff „Qualität des Lebens" z. B. sagt noch nichts über die Qualität sozial- und freier demokratischer Politik aus. Freilich, dieser Begriff signalisiert einen Anspruch, der auf mehr zielt als auf materielle Befriedung. In der Tat ist Wohlstand im humanen mehr als Wohlbefinden im materiellen Sinne. Aber auch hier ist Vorsicht vor einem Volkshochschulenthusiasmus am Platz, der über dem Gerede von der Überflußgesellschaft vergessen hat, daß es im Land des Reichtums noch immer Armut gibt und noch immer Menschen um ihr Existenzminimum kämpfen müssen. Ich erinnere an die Obdachlosen, von denen man bei Ihnen ja nichts hört, noch nicht einmal das Material der Fakten vorgelegt bekommt.
Armut ist heutzutage härter als die Armut vergangener Zeiten. Als Massenerscheinung des 19. Jahrhunderts löste sie die Solidarität der Armen aus. Armut in der Wohlstandsgesellschaft' ist jedoch eine Randerscheinung, die aus dem allgemeinen Bewußtsein verdrängt wird. Deshalb ist die Armut der



Dr. Blüm
Randgruppen nicht nur materieller Mangel, sondern auch sozialer Ausschluß.
Bevor Sie die Lyrik von der „Qualität des Lebens" zitieren, muß die Prosa von der Quantität der materiellen Lage dieser Gruppen stimmen.

(Zuruf von der SPD.)

Es ist wahr: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Aber ohne Brot lebt er überhaupt nicht. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition haben alle Hände voll zu tun, die schlimmsten Inflationsschäden von den Ärmsten der Armen abzuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Von einer Verbesserung der Lebensqualität kann keine Rede sein. An die Lebensquantität müßte gedacht werden. Sie müssen froh sein, wenn Sie den Lebensstandard früherer Zeiten halten.

(Abg. Wehner: „Wer ist unter Euch, der seiner Länge eine Elle zusetzte?" !)

Ich komme darauf noch, Herr Wehner. Sie können sich beruhigen.
Ein Teil Ihrer Sozialpolitik ist der Lazarettwagen, der hinter der Inflation herfährt, um die Verletzten aufzulesen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Ich bin nicht gegen Lazarett. Sozialpolitik ist immer Hilfe auch für diejenigen gewesen, die von der Entwicklung und Ihrer Politik verletzt wurden. Aber Sie sollten nicht bei jedem sozialpolitischen Gesetz den Eindruck erwecken, als sei es ein Fortschritt, wenn Sie nur Besitzstände halten.
Wir haben dafür ja ein anschauliches Beispiel. Es ist die Anhebung der Ausbildungsförderung, für die heute Studenten demonstrieren. Sie schicken sich jetzt ja auch an, dem Verlangen der Opposition zu folgen. Da geht es nicht um die Steigerung des Lebensstandards, sondern bestenfalls um die Besitzstandswahrung. Seit 1971 sind bei 70 % der Förderungsberechtigten die Förderungssätze gekürzt worden, weil die Eltern mit Hilfe der Inflation über die Höchstbetragsgrenze hinauswuchsen.
Ihre Fortschritte im sozialen Bereich, die Anhebung der Einkommensgrenzen der Sozialhilfe, im Wohnungsbau und für das Zweitkindergeld, sind ähnlich zu bewerten. Sie erreichen nicht Neuland, sondern halten krampfhaft den Stand, der schon erreicht war.
Meine Damen und Herren, selbst die Arbeitnehmer sind in ihrem wirtschaftlichen Besitzstand gefährdet. Die Steigerung der realen Nettoverdienste je beschäftigten Arbeitnehmer ging, wie ich dem amtlichen Sozialbudget entnehme, mit dem Fortgang Ihrer Regierung ständig zurück, nämlich von 8,1 % über 4,1 %, 3,4% bis knapp 1% im Jahre 1973. Trotz dieses Ausverkaufs bietet die Regierung in dieser Situation eigentlich nichts anderes an als Wohlverhaltensregeln. An Stelle der früher von Ihnen verspotteten Maßhalteappelle ist jetzt der regierungsamtliche ,,Seid-nett-zueinander!"-Zuspruch an die Tarifpartner getreten. Die Arbeitnehmer erwarten kein lohnpolitisches „keep smiling"
von Ihnen. Sie wollen nicht die Inflationszeche bezahlen. Die Regierung darf sich nicht mit einem „Haltet-die-Tarifpartner!" aus der Verantwortung schleichen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die von den Gewerkschaften unterstützte Forderung der CDU/CSU, die Arbeitnehmer steuerlich zu entlasten, ist eigentlich nichts anderes als eine Art Wiedergutmachung; denn die Lohnsteuern sind den Löhnen davongelaufen. Ihre terminologische Spitzfindigkeit, Herr Wehner, von heute morgen ändert daran nichts. Sie ist nur ein Ausweichmanöver; denn auch wenn die Prozentsätze dieselben geblieben sind: Ein Teil der Arbeitnehmer zahlt heute mehr Lohnsteuer als früher. Das ist entscheidend. Von 1968 bis 1973 ist das Lohnsteueraufkommen von 28 Milliarden DM auf über 60 Milliarden DM gestiegen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Das ist eine Steigerung auf über 200 %; dem steht
nur eine Steigerung der Löhne von 70 % entgegen.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das ist der Punkt!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707635400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707635500
Bitte!

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0707635600
Herr Kollege, finden Sie es nicht im höchsten Maße unredlich, wenn Sie den Eindruck zu erwecken versuchen, als hätte Ihr Inflationsgesetz Steuerentlastungen nur für Arbeitnehmer und nicht auch für Spitzeneinkommen im Auge?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707635700
Nein. Aber wenn wir schon bei diesem Thema von Unredlichkeit sprechen, finde ich es ausgesprochen unredlich, daß Sie den Antrag der CDU/CSU zunächst ablehnen mit der Begründung, er würde auf die Tarifpartner keinen Eindruck machen, er würde die Tarifauseinandersetzungen nicht entschärfen, und, als sich dann die Gewerkschaften unserer Forderung anschlossen, schließlich sagen, es läge daran, daß Sie die Steuern für Reformvorhaben brauchten. Sie wechseln die Argumente wie die Hemden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Wehner, wenn ich dazu noch ein Buch zu schreiben hätte, schriebe ich darüber:

(Abg. Wehner: Reaktion! So haben Sie es selbst bezeichnet!)

Wie es euch gefällt; immer je nach Lage.

(Abg. Wehner: „Wohin geht die CDU?" Da sie Reform nicht macht, in die Reaktion!)

Darüber spreche ich gerade.
Neben die Geldentwertung ist das Gespenst der Arbeitslosigkeit getreten. Beides allerdings ist mög-
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode --- 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1974 4845
Dr. Blüm
lieh: höhere Preise und höhere Arbeitslosenzahlen. Die wirtschaftliche Lage beweist es und widerlegt die Bilderbuchökonomie, 5 % Preissteigerungen seien besser als 5 % Arbeitslose, mit der Helmut Schmidt im Wahlkampf politische Kleinkinder in den Schlaf zu singen versuchte.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Arbeitslosigkeit ist nicht die Pauke für parteipolitische Propaganda. Es gibt keine Schadenfreude. Niemand wünscht das Desaster. Parteipolitisches Kapital aus der Not der Arbeitslosigkeit können nur Extremisten schlagen, nicht Demokraten.

(Abg. Conradi: Das haben wir ja gesehen!)

Aber wer immer die Gewinner sind: Wir müssen gemeinsam an die Verlierer, an die Arbeitslosen denken. Die Zahl von 2,2 % der Arbeitslosen im Dezember ist ein Alarmzeichen. Dabei verdeckt diese Zahl noch das Ausmaß der Misere, weil sie absieht von der hohen Zahl der Kurzarbeiter, die ja nichts anderes sind als Teilarbeitslose.
Der Durchschnittswert verdunkelt wie alle Durchschnittswerte auch die Extremwerte. Der Durchschnittswert lenkt ab von der Tatsache, daß es Arbeitsämter gibt, bei denen die Zahl der Arbeitslosen bis an die 20-%-Grenze gestiegen ist. Jeder fünfte Arbeitnehmer ist beispielsweise im Bezirk Waldkirchen arbeitslos. Für jeden Arbeitslosen ist die Lage hart, ob er einer von Hunderttausend oder einer von einer Million ist. Doch wo die Zahl überdurchschnittlich groß ist, ist in der Regel auch die
) Aussicht überdurchschnittlich klein, neue Arbeitsplätze zu finden.
Wir müssen verhindern, daß in unserem Lande graue Zonen beschäftigungspolitischer Hoffnungslosigkeit entstehen. Deshalb ist eine gezielte Strukturpolitik die Voraussetzung für eine ausgewogene Konjunkturpolitik. Globale Durchschnittszahlen verdecken die Ansatzpunkte für gezielte Strukturpolitik.
Lassen Sie mich die sozial- und freidemokratische Gesellschaftspolitik noch unter einem dritten Aspekt betrachten. Ich muß allerdings gestehen, daß das, was dort zum Vorschein kommt, für mich das Ärgerlichste ist. Ich meine jene Sucht, alles Gute und Erfolgreiche regierungsamtlich zu vereinnahmen: Die guten Menschen, das sind wir.

(Zurufe von der SPD: So ist es!)

Sie bestätigen gerade meine These. — Das Beschlagnahmeverfahren allgemeiner Worte für parteipolitische Zwecke ist von den Sozialdemokraten ja hoch entwickelt. Schon früher haben Sie die Demokratie für den Sozialismus reserviert. „Sozialismus wird nur durch Demokratie verwirklicht", heißt es im Godesberger Programm, „die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt".

(Lebhafter Beifall bei der SPD. Abg. Dr. Ehrenberg: Er ist noch lernfähig!)

Meine Damen und Herren, keine Weltanschauung erfüllt die Demokratie, weil keine ein Monopol in einem demokratischen Staat hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn ich in Fortsetzung des Wehnerschen Wortes von heute morgen „Die Verfassung ist für alle da" fortfahre, kann ich nur sagen: die Demokratie ist auch für alle da, nicht nur für den Sozialismus.

(Abg. Dr. Marx: Nur dann kann es Demokratie sein!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707635800
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0707635900
Herr Kollege Blüm, wären Sie bereit, uns Ihre Vorstellungen von Wirtschaftsdemokratie hier zu konkretisieren?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707636000
Ja, Herr Kollege, ich werde im Verlauf meiner Ausführungen noch zu meinen Vorstellungen kommen; es gehört nur etwas Geduld dazu.
Selbst der Tätigkeitsbericht der Bundesregierung, den der Bundeskanzler heute morgen erläutern wollte, ist von einer gewissen Überheblichkeit geprägt. Freilich nicht so grundsätzlich, wie das im Godesberger Programm der Fall ist, sondern eine Schuhgröße kleiner, mehr nach dem Buchführungsverfahren, das der Jean Paulsche Schulmeister Wuz bevorzugte. Dessen Bilanz war deshalb immer so positiv, weil er nur die Einnahmen zählte.

(Große Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

So konnte der Unterschied zwischen Soll und Haben so wenig zum Vorschein kommen wie der zwischen Gewinn und Verlust dieser Regierung.
Vielleicht kann man von der Regierung nicht verlangen, daß sie im Tätigkeitsbericht davon berichtet, was sie nicht getan hat. Aber ist es zuviel verlangt, daß sie sagen soll, was sie abgelehnt hat? Denn Ablehnung ist doch auch eine Tätigkeit.
Sozialpolitisch abgelehnt hat sie die Vorverlegung der Anpassung der Kriegsopferrenten. Die 2,4 Millionen Kriegsopfer haben den Schaden. Sie zahlen mit 800 Millionen DM einen ungebührlichen Stabilitätsbeitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Die Buchungstechnik der Regierung hat noch weitere besondere sozialliberale Feinheiten zu bieten. So werden die Initiativen des Bundesrates, von denen die Bundesregierung nur zu sagen weiß, daß sie sie unterstützt habe, ebenso auf die eigene Fahne geschrieben wie Gesetze, an deren Zustandekommen die CDU/CSU-Fraktion ebenso große Verdienste hatte wie die Koalitionsparteien.
Eine Leerstelle des Tätigkeitsberichts erscheint mir in dieser Schönschreibe naturgemäß ebensowenig. Das Sechzehnte Rentenanpassungsgesetz wird als Höchstleistung angepriesen. Dabei wird ganz vergessen, daß die hohe Anpassung nur das Ergebnis der inflationistisch aufgeblähten Löhne ist, also eine Folge der Inflationspolitik.

(Zuruf von der SPD: Hört Hört! Vorher war es anders!)


Dr. Blüm
Eine Spitzenleistung der regierungsamtlichen Darstellungskunst findet sich im Tätigkeitsbericht bei der Erwähnung des Vierten Rentenversicherungsänderungsgesetzes. Durch diese Veränderung wurde bekanntlich für die 63- bis 65jährigen Arbeitnehmer, welche die flexible Altersgrenze in Anspruch nehmen wollten, die Möglichkeit zusätzlicher Arbeitseinkünfte um 70%, also auf 30 % reduziert. Die Bundesregierung schreibt darüber, ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin:
Danach ist es den 63- bis 65jährigen Arbeitnehmern bei Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersgrenze ermöglicht, zusätzliche Arbeitseinkünfte bis zu 30 % der Beitragsbemessungsgrenze zu erzielen.
Meine Damen und Herren, das kommt mir vor wie ein Krankenbericht, in dem nach einer Amputation festgestellt wird, der Patient habe jetzt zusätzlich ein Bein.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, das kann doch wohl nicht die Art der Berichterstattung sein.
Herr Arendt hat es gerade als Erweiterung des Freiheitsspielraumes bezeichnet, daß die Möglichkeit des unbegrenzten Nebenverdienstes beschränkt wurde. Meine Damen und Herren, ich kann darin keine Erweiterung des Freiheitsspielraums sehen, sondern umgekehrt nur eine Verengung. Ich glaube, daß auf diese Weise nur die Bezieher höherer Renten die flexible Altersgrenze in Anspruch nehmen können.

(Abg. Nordlohne: Genauso ist es!)

Und das ist keine Reform, das ist eine Privilegierung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bei dieser Art von Reform, welche die Bundesregierung durchgeführt hat, ist natürlich auch der Zuschlag von 5 % auf die Rente unter den Tisch gefallen, den jener beanspruchen konnte, der auf die vorzeitige Rente verzichtete.
Meine Damen und Herren, Politik für die älteren Mitbürger darf allerdings nicht nur den Blick auf die Rente gerichtet haben. Ich bin ein überzeugter Anhänger der flexiblen Altersgrenze. Doch was nützt dem Arbeitnehmer die Herabsetzung des Rentenalters womöglich auf 60 Jahre, wenn er im Streß des modernen Arbeitslebens schon mit fünfzig Jahren kaputt ist? Politik für die Alten beginnt bei den Jungen. Es war möglich, Menschen auf den Mond zu transportieren. Wenn wir nur halb soviel Verstand und Entschlossenheit für mehr Menschlichkeit im Betrieb investieren, wird sich die Arbeitswelt verändern.
Sie, Herr Bundeskanzler, und auch Sie, Herr Arbeitsminister, haben von der Humanisierung der Arbeitswelt gesprochen. Sie können sicher sein: An dem Bemühen um mehr Menschlichkeit im Betrieb werden wir uns alle beteiligen. Gewinnen soll diesen Wettbewerb die Partei, welche die besseren Ideen, die besseren Vorschläge und vor allem das bessere Durchsetzungsvermögen hat. Maßstab bleibt für uns
allerdings der konkrete einzelne Arbeitnehmer, nicht ein akademischer Begriff von Arbeitnehmerschaft. Was nicht am Arbeitsplatz ankommt, zählt nicht. Die Nagelprobe auf alle großen Theorien ist die Praxis.

(Abg. Fellermaier: Sagen Sie das mal dem Wirtschaftsrat der CDU!)

— Sind Sie Mitglied, weil Sie dauernd darauf erpicht
sind, vom Wirtschaftsrat zu sprechen? Kein Kollektiv
kann den Anspruch des einzelnen auf Glück ersetzen.
Für uns steht jede Form von Mitbestimmung unter diesem Beweiszwang. Wir werden, wie ich annehme, über Mitbestimmung in diesem Hause noch oft streiten. Nur soviel ist sicher: Wenn sich nur Aufsichtsräte verändern, hat sich die Situation der Arbeitnehmer noch nicht verändert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Allerdings halte ich die Veränderung der Aufsichtsräte für eine Voraussetzung einer realen Veränderung der betrieblichen Praxis. Die Mitbestimmung an der Unternehmensspitze hat nur instrumentalen Wert; sie ist Mittel zum Zweck von mehr Mitverantwortung. Mitverantwortung gibt es nur bei Mitbestimmung, denn man kann nicht verantworten, was man nicht mitbestimmt hat.

(Zuruf von der SPD.)

— Ich nähere mich ja dem Thema, wie Sie merken. Sie können ganz beruhigt sein, ich komme an Ihre wunde Stelle.
Mitbestimmung ist die Chance, Freiheit als Mitverantwortung im Unternehmen erlebbar zu machen. Wir, die CDU, haben in Hamburg über die Mitbestimmung hart und heiß Betritten. Das regierungsamtliche Mitbestimmungsmodell ist dieser Tage fast geräuschlos geboren worden. Halten Sie es nicht vorschnell für einen Qualitätsausweis, daß nur ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion gegen das vorgesehene Mitbestimmungsmodell gestimmt hat! Offenbar funktioniert bei Ihnen noch immer das Schema von Anweisung und Ausführung.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Das ist allerdings auch eine Form von imperativem Mandat, diesmal von oben.
Mein Standpunkt hat sich nicht mit dem Standort verändert. So bin ich in Bonn derselben Meinung wie in Hamburg: Von Partnerschaft kann erst gesprochen werden, wenn beide Partner gleich stark sind. Das berechtigte Verlangen der Arbeitnehmer kann weder dadurch ersetzt werden, daß eine Seite das letzte Wort hat, noch können Konflikte dadurch aus der Welt geschafft werden, daß einmal der eine den Vorsitz hat und einmal die andere Seite. Mitbestimmung zielt auf Kooperation und hat nichts mit Kungelei zu tun.

(Zuruf von der SPD: Das sagen Sie mal Herrn Strauß!)

Wie ausgerechnet ein Mitglied der Freien Demokratischen Partei stolz darauf sein kann, dieses Wahlverfahren, das Sie vorgesehen haben, als fort-

Dr. Blüm
schrittlich und liberal zu bezeichnen, ist mir rätselhaft.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707636100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707636200
Bitte!

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0707636300
Herr Kollege Blüm, würden Sie dem Plenum mitteilen, wo jetzt Ihre Linie liegt? Der Bundesarbeitsminister hat eindeutig zwei Stimmen, den Generalsekretär der CDU und den Landesvorsitzenden Köppler, als Vertreter von zwei sehr entgegengesetzten Mitbestimmungslinien zitiert. Ist Ihre eine dritte, oder zu welcher gehört Ihre?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707636400
Ich nehme an, daß ich mich unmißverständlich deutlich gemacht habe in der Darstellung meiner Mitbestimmungsposition. Sie, die Koalition, traut den Arbeitnehmern bei der Wahl nicht mehr zu als das, was die Arbeitnehmer seit 1952 schon nach dem Betriebsverfassungsgesetz können. Sie traut ihnen nicht zu, ihre Aufsichtsräte direkt zu wählen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707636500
Herr Kollege Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage — —

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707636600
Gestatten Sie, daß ich meine Darstellung zum Wahlverfahren abschließe. Ich finde es sogar merkwürdig, daß ausgerechnet die FDP, die einst sogar den Bundespräsidenten in Urwahl von den Bürgern wählen lassen wollte, den Arbeitnehmern im Betrieb, also dort, wo sie den größten Teil ihres bewußt gelebten Lebens verbringen, die unmittelbare Bestimmung ihrer Repräsentanten verbaut und Übersetzer einschaltet. Arbeitnehmer brauchen diese Übersetzung nicht, sie sind mündig genug.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707636700
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier?

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0707636800
Herr Kollege, Sie sprechen sicher für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Würden Sie auch die Überlegungen der CSU zur Mitbestimmung alternativ mit einbeziehen zu dem, was der Bundesarbeitsminister für die Koalition gesagt hat?

(Abg. Dr. Ehrenberg: Die vierte Linie!)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707636900
Meine Damen und Herren! In meiner Fraktion, und darauf bin ich stolz, sagt man das, was man denkt. Ich habe meinen Standpunkt in der Mitbestimmungsfrage dargestellt. Er ist Ihnen bekannt. Das ist doch kein Betriebsgeheimnis.
An dieser Stelle möchte ich in aller Form Ihren Vorwurf, Kollege Wehner, zurückweisen, mit dem Sie heute morgen meine Fraktion kurzerhand in die Gruppe der Zerstörer der Gewerkschaften eingereiht haben. Sie haben gesagt: „Sie sind die Zerstörer der Gewerkschaften." Herr Kollege Wehner, die Einheitsgewerkschaften sind in den Konzentrationslagern des Hitler-Terrors vorausgedacht worden. Die Einheitsgewerkschaften sind von Männern wie Jakob Kaiser und Matthias Föcher mitbegründet worden. Ich überlasse es den Gewerkschaften, die Art, die Sie heute morgen bevorzugt haben, zu qualifizieren. Die Gewerkschaften sollten jedenfalls nicht stille sein, wenn der Versuch unternommen wird, sie vor den sozialdemokratischen Karren des Herrn Wehner zu spannen.

(Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707637000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0707637100
Herr Kollege Blüm, möchten Sie so freundlich sein, die Aussage Ihres Fraktionsvorsitzenden Carstens von heute früh zu interpretieren, der sich gegen eine außerbetriebliche Vertretung und gegen kollektivistische Interessen der Arbeitnehmer gewandt hat? Was war das anders als eine antigewerkschaftliche Aussage?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707637200
Mir ist nicht bekannt, daß sich der Fraktionsvorsitzende gegen eine außerbetriebliche Arbeitnehmervertretung gewandt hat. Er würde dann in Widerspruch zu Parteitagsbeschlüssen stehen. Das bin ich bei ihm nicht gewohnt.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Zuhören ist auch eine Kunst!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707637300
Herr Kollege Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0707637400
Herr Kollege Blüm, ich will Ihre persönliche Auffassung gar nicht diskreditieren. Aber ist Ihnen der Aufsatz in den der CDU nahestehenden „Gesellschaftspolitischen Kommentaren" bekannt mit der Überschrift „Kann ein CDU-Mitglied Mitglied einer Gewerkschaft sein?" und auch die darin beschriebenen subversiven Arbeitsmethoden für CDU-Mitglieder?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707637500
Weder ich noch die CSU sind verantwortlich für das, was in den „Gesellschaftspolitischen Kommentaren" steht. Ich nehme an, Herr Gansel, daß auch Sie der SPD nahestehende Zeitungen kennen, bei denen Sie es ablehnen würden, sich mit ihnen zu identifizieren.
Den Schluß meines Diskussionsbeitrags möchte ich dazu verwenden, Ihre Aufmerksamkeit auf die Familie zu lenken. Die Familie ist mehr als nur ein Regenerationsschuppen, in den man lediglich einfährt, um kurz aufzutanken. Sicher hat sie im Laufe der sozialen Entwicklung manche ihrer Funktionen



Dr. Blüm
verloren. Aber vielleicht ist dadurch ihre eigentliche Funktion gestärkt worden. Sie schafft in der Geborgenheit ihrer personellen Beziehungen so etwas wie Heimat. In der anonymen Massengesellschaft, in der wir leben, ist das offenbar wichtiger als in der Vergangenheit. Wir reden viel von antiautoritärer Gesellschaft. Die autoritäre Gesellschaft ist die manipulierte Gesellschaft. Der stärkste Manipulationswiderstand jedoch ist die Familie, in welcher Geborgenheit und Sicherheit gegenüber sich und der Welt erfahren werden kann.
Aber nichts ist kostenlos zu haben, auch nicht die intakte Familie. Der Staat kann sie weder produzieren noch darf er sie ersetzen. Aber er kann und muß sie unterstützen.
Die sozialliberale Regierung steht familienpolitisch so gut wie mit leeren Händen da. Die Erhöhung der Einkommensgrenze für das zweite Kind ist lediglich eine Inflationsentschädigung. Die kinderreiche Familie ist offenbar ganz aus ihrem Blick geraten. Die gibt es offensichtlich für die Regierung gar nicht mehr. Ein Familienvater mit vier schulpflichtigen Kindern und einem Nettoverdienst von 1 000 DM erhält zwar 145 Kindergeld, und bei einer bereinigten Miete von 200 DM kann er bereits die Sozialhilfe in Anspruch nehmen. So weit haben wir es in ,der Familienpolitik gebracht.
Wenn wir von Familie sprechen, meinen wir allerdings auch die unvollständige Familie. Unser Standpunkt in Sachen § 218 ist nicht menschenfeindlich. Eine doppelte Strafbarkeit kann es nicht geben: Wir können nicht vor Gericht die bestrafen, die abtreiben, und in der Gesellschaft durch Notlage die, welche ihr Kind austragen. Unsere familienpolitische Sorge umfaßt deshalb auch die uneheliche Mutter und das uneheliche Kind.

(Zurufe von der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707637600
Herr Kollege, Ihre Zeit ist schon eine Weile überschritten. Ich habe extra verlängert, weil Sie die Zwischenfragen hatten, aber ich möchte Sie bitten, jetzt zu Ende zu kommen.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0707637700
Lassen Sie mich abschließen, meine Damen und Herren!

(Abg. Dr. Ehrenberg: Seine Zeit ist doch schon abgelaufen!)

Ich bin sicher, daß Ihre Zeit nicht gekommen ist. (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Unsere Gesellschaft, meine Damen und Herren, ist nicht so verrottet, daß Veränderung sich nicht mehr lohnte, und nicht so gut, daß wir uns zur Ruhe setzen könnten. Freiheit ist kein Feierabendbegriff. Freiheit ist nicht Aufruf, alles beim alten zu lassen, aber sie setzt der Veränderung Grenzen dort, wo die Unfreiheit beginnt. Freiheit bedarf der Chancengleichheit, denn Privilegien sind eine Beschränkung der Freiheit derjenigen, die diese Privilegien nicht besitzen. Doch jeder soll aus gleichen Chancen das machen können, was er will. Jeder soll sein Leben
führen können. Wir schlagen die Hand des „Großen Bruders" aus, und seien seine Wohltaten auch noch so verlockend. Jeder soll sein Leben in die Hand nehmen können. Diese Überzeugung ist die Grundlage unserer freiheitlichen Gesellschaftspolitik.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das Wort zum Montag!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707637800
Das Wort hat der Abgeordnete Nölling.

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707637900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Ihrer Jungfernrede, Herr Kollege Blüm, war mir in bezug auf Sie immer das Goethe-Wort eingefallen: „Es tut mir lang schon weh', daß ich dich in d e r Gesellschaft seh."

(Beifall bei der SPD.)

Mit dieser Illusion hat er durch seine Rede allerdings gründlich aufgeräumt.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Blüm, Sie hätten doch weiß Gott allen Grund gehabt, sich über Ihre eigene Partei lustig zu machen und darüber, wie Sie dort behandelt werden, statt hier über SPD und FDP herzuziehen — meines Erachtens jedenfalls —, wo Sie doch in Ihrer Partei -- um ein Bild zu gebrauchen, zu dem Sie mich veranlaßt haben, als Sie von „Rumpelstilzchen" sprachen — bestenfalls die Rolle eines Feigenblatts oder — noch bildhafter eines Mauerblümchens spielen können.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Blüm, Sie haben ein Buch geschrieben, das ich mit wirklichem Interesse und Gewinn gelesen habe. Sie haben eingangs die Frage
gestellt - sehr philosophisch, theoretisch, grundsätzlich - für unsere Gesellschaft: Reaktion oder
Reform? Wohin geht die CDU? Als Sie sagten, welches Buch wohl über die SPD geschrieben werden könnte, ist mir eingefallen, was man wohl sagen könnte, wenn die Mehrheit Ihrer Partei ein Buch zu verfassen hätte, mit welchem Titel das denn zweckmäßiger- und richtigerweise auszustatten wäre, und mir ist eingefallen: „Rückwärts, Kameraden! Vor 1914 war es am schönsten!"

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Das Buch, das der Kollege Blüm geschrieben hat und in dem er eine Frage stellte, hat von der Geschichte eine Antwort erhalten; denn es ist vor der letzten Bundestagswahl geschrieben worden, ausdrücklich, um Eindruck zu machen für diese CDU, um ihr zu helfen, auf den richtigen Weg zu kommen, nehme ich an. Da sagt der Kollege Blüm — ich zitiere von Seite 105 bis Seite 106 einen Satz —:
Den Zuschlag der Wähler
ich unterbreche und füge hinzu: am 19. November 1972 —



Dr. Nölling
soll die Partei bekommen, welche die Reformen glaubwürdiger, solider und praxisnäher betreibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Herr Kollege Blüm, Sie klatschen, und der Kollege vom Wirtschaftsrat, der neben Ihnen sitzt, klatscht auch. Damit beklatschen Sie das Wahlergebnis von 1972.

(Beifall bei der SPD.)

Ich bin sehr einverstanden damit, meine Damen und Herren.
Ich möchte auf die Rede von Herrn Kollegen Carstens von heute morgen zurückkommen, weil sie schon am Anfang an zwei Stellen Schwerpunkte gesetzt hat. Er begann seine Rede mit bemerkenswerten Aussagen dazu, wie er den sozialpolitischen Fortschritt der letzten vier Jahre einschätzt, nämlich als das Erwecken von Erwartungshorizonten, mit denen er nicht einverstanden sein könne. Das heißt, ich habe mich beim Nachlesen seiner Rede fragen müssen: Deutet Herr Carstens an, daß er dies gerne zurückdrehen würde? Frage an ihn!
Er bildete einen weiteren Schwerpunkt, indem er in undifferenzierter Art und Weise, kann ich nur sagen, die Preispolitik aller Selbständigen, aller Unternehmen in diesem Lande verteidigte oder verteidigen zu müssen glaubte. Das war es, womit er heute morgen seine Rede begann, und ich meine, sie hat in ihrer Gesamtheit erneut zum Ausdruck gebracht, daß die CDU daran festhält, den Kurs einer konservativen Unternehmerpartei zu fahren, die kein Herz für Arbeitnehmer 'hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und lieber — — Nein, „lieber" nehme ich jetzt weg. Herr Kollege Carstens, wenn Sie heute morgen schon meinten, Sie müßten über Verstaatlichung reden, dann frage ich Sie: Wo gibt es Parteitagsbeschlüsse, die verbindlich wären, oder Äußerungen dieser Regierung dazu?

(Abg. Rawe: In Saarbrücken beispielsweise!)

Ich frage Sie aber auch gleichzeitig: Wo ist es eigentlich in diesem Lande verboten, über diese Dinge nachzudenken, was offensichtlich in Ihrer Partei unterbleiben soll?
Wenn ich nun den Kollegen Blüm wieder auf sein Buch und damit auch die geschätzte Fraktion der CDU/CSU auf dieses Buch hinweisen darf, dann möchte ich erwähnen, daß im Anhang das Ahlener Programm abgedruckt ist. Im Ahlener Programm steht allerdings eine ganze Menge über die Kontrolle gesellschaftlicher Macht, die Vergesellschaftlichung von Großindustrie, d. h. Eisenindustrie, Bergbau, Planung, Kontrolle und Lenkung im Interesse, Herr Kollege Blüm, der arbeitenden Menschen. Darum geht es allerdings, und ich wende mich an dieser Stelle wie überall gegen ein Gerede aus ideologischen Gründen, meine aber, daß man darüber diskutieren muß unter dem Gesichtspunkt: Kriegen wir Lösungen zustande, die in der Tat besser sind für die arbeitende Bevölkerung als das, was wir zur Zeit haben! Da wir eine unvollkommene Welt haben — Sie haben es häufig selbst angedeutet —, wird dies doch wohl erlaubt sein. Nur, die Verteufelung einer Diskussion, \\die in unserer Partei im Gange ist und in Ihrer Partei natürlich nicht zustande kommt, aus welchen Gründen auch immer, halte ich nicht für besonders gut. Schön, das ist meine Bewertung.
Wir haben seit 1969, als die Veränderung dieser Gesellschaftsordnung begann, sozusagen mit einer neuen Zeitrechnung begonnen, da die konservativen Uhren abgelaufen waren. Wir haben eine ganze Menge von Dingen getan, die Gutes, Positives, für die Bürger in diesem Lande bedeutet haben. Der konsequente Ausbau des Sozialstaates, wie wir es verstehen, war dennoch dauernd begleitet von den Buh-Rufen einer konservativen Opposition, die gesellschaftspolitisch auf der Stelle trat und auf der Stelle tritt und die sich in eskalierender Weise darin übte, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage jeweils in den schwärzesten Farben zu malen.
Meine Damen und Herren, nur ein Beispiel dafür. Ende des Jahres 1972 haben sowohl Herr Strauß als auch andere Politiker die Meinung vertreten, anklagend natürlich, wir stünden vor einer Rezession, vor einer Stagflation, das Sozialprodukt werde im Jahre 1973 nicht wachsen.

(Abg. Kroll-Schlüter: Was haben wir denn heute? Ist das Fortschritt?)

Das Ergebnis für 1973 war eine 5,5%ige reale Erhöhung des Bruttosozialprodukts, meine Damen und Herren. Da war nichts von Stagnation in der Entwicklung der realen Größen zu spüren.

(Abg. Stücklen: Und von den Arbeitslosen?)

Ich könnte dies weiter zurückführen: alle Jahre wieder haben Sie dasselbe Schreckgebilde in die Zukunft projiziert, und immer wieder hat die Entwicklung sie widerlegt. So wird es auch dieses Mal wieder sein, meine Damen und Herren.

(Abg. Stücklen: Was ist mit den Arbeitslosen?)

Wie sieht diese Realität aus, in der sich die Arbeitnehmer heute befinden? Lassen Sie mich schwerpunktmäßig sieben Punkte aufzählen.

(Abg. Stücklen: Was ist mit den Arbeitslosen?)

— Genau, weil Sie von Arbeitslosigkeit sprechen, Herr Kollege Stücklen!
Erstens. Wir haben in diesen letzten viereinhalb Jahren und auch schon vorher, als wir an der Regierung beteiligt waren, ein Ausmaß an Vollbeschäftigung garantiert, das seinesgleichen in der ganzen westlichen Welt sucht.

(Beifall bei der SPD.)

Sie können sagen, wir gehen durch eine Schlechtwetterperiode; die Turbulenzen sind da. Aber eines kann ich Ihnen an dieser Stelle versichern: Das Vertrauen, das die Bevölkerung in die Wirtschaftspolitik dieser Regierung hat, wird von uns nicht enttäuscht



Dr. Nölling
werden, und wir werden die Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um Vollbeschäftigung zu bewahren. Es wird uns nicht so gehen, wie konservative Wirtschaftstheoretiker meinen, daß es darauf ankomme, die Arbeitnehmer zu disziplinieren, indem eine Reinigungskrise zugelassen werde. Davon halten wir Sozialdemokraten nichts, gerade auch, Herr Kollege Blüm, im Interesse dieser Arbeitnehmer.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: 480 000 Arbeitslose!)

Zweitens. Seit 1969 ist unter der Kanzlerschaft Willy Brandts eine Realeinkommensverbesserung der Arbeitnehmer im Durchschnitt von 30 % eingetreten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist mit Steuern?)

— Ich sage: real. Da sind die Preissteigerungen weg und die Lohnsteigerungen und die Sozialversicherung. Das können Sie nicht bestreiten, es sei denn, Sie bestritten das Gedruckte des Statistischen Bundesamtes, wo Sie das im einzelnen nachlesen können.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707638000
Herr Kollege Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707638100
Bitte schön!

Helmut von Bockelberg (CDU):
Rede ID: ID0707638200
Herr Kollege, haben Sie bei Ihren Zahlen die inflationsbedingten Steuererhöhungen bereits abgezogen, oder sind die darin noch enthalten?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707638300
Herr Kollege von Bockelberg, ich habe abgezogen, was abzuziehen war, um zu den realen Einkommensverbesserungen der Arbeitnehmer zu kommen, d. h. das abgezogen, was in Ihrer Frage anklang. Wenn Sie es wünschen — es dauert vielleicht einen kleinen Moment — würde ich Ihnen sehr gerne im einzelnen die Zahlen vorlesen. Ich erwähne dies hier nicht, um Sie in die Irre zu führen oder um die deutsche Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Das wäre natürlich kurzsichtig.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707638400
Herr Kollege Nölling, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707638500
Ich würde ganz gerne im Zusammenhang weitermachen.

Helmut von Bockelberg (CDU):
Rede ID: ID0707638600
Ich darf also feststellen, daß Sie das genannt haben, was dem Mann in der Lohntüte verblieben ist nach Abzug der Lohnsteuererhöhungen und nach Abzug der erhöhten Sozialversicherungsbeiträge?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707638700
Selbstverständlich, und unter Berücksichtigung der eingetretenen Preissteigerungen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707638800
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707638900
Herr von Bismarck, gestatten Sie, ich möchte jetzt meine sieben Punkte, die ich als die positive Leistungsbilanz darstellen will, nicht durch Fragen unterbrechen lassen, weil sonst der Zusammenhang — ob gewollt oder nicht gewollt — leicht verlorengeht. Aber ich stehe nachher gerne für Fragen zur Verfügung.
Drittens. Die Sparsumme, meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt die Spareinlagen aller inländischen Privatpersonen, stieg von 1969 bis 1973 von 170 Milliarden DM auf 246 Milliarden DM. Das prämienbegünstigte Sparen betrug Ende 1969 nur 19 Milliarden DM, im letzten Jahr insgesamt 72 Milliarden DM. An diesen Sparsummen, die ungeheuerlich stark gestiegen sind, sind auch die Arbeitnehmer in erheblichem Maße beteiligt.
Viertens. Das 624-Mark-Gesetz, das 1970 in Kraft trat, hat die Arbeitnehmer ebenfalls außerordentlich begünstigt. Der durchschnittlich angelegte Betrag belief sich im Jahre 1969 auf 280 DM bei 5,7 Millionen Arbeitnehmern und stieg schon bis Ende 1972 auf 510 DM bei 17 Millionen Arbeitnehmern; seither steigende Tendenz.
Fünftens. Die Lohnquote, d. h. der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen, betrug, bereinigt um Veränderungen der Beschäftigtenzahlen, im Jahre 1969 60,9 %; im Jahre 1973 waren es 63,5%. Es bleibt als besonders bemerkenswert anzuführen, daß die Arbeitnehmer im Verteilungskampf in den Jahren einer sozialdemokratisch gveführten Bundesregierung gegenüber früher beträchtlich aufgeholt haben.

(Abg. Härzschel: Und die Steuerlastquote!)

— Entschuldigen Sie einmal, Herr Kollege, das sind Zahlen aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, und ich darf Ihnen dieses Mal die Quelle nennen: veröffentlicht im Jahresbericht der BDA; daraus habe ich sie mir kopiert. Die sind also völlig in Ordnung und unverdächtig.
Sechstens. In der gesetzlichen Rentenversicherung stiegen die Leistungen für unsere Alterssicherung in den vier Jahren von etwa 40 Milliarden DM auf fast 72 Milliarden DM. Gleichzeitig erhöhten sich die Reserven von etwa 22 Milliarden. DM auf 41 Milliarden DM im letzten Jahr. Im Jahre 1974 werden die Renten gegenüber 1969 um 65% gestiegen sein. In diesem und im nächsten Jahr werden wir je 15 % mehr Rente für die Kriegsopfer haben als im Jahre 1973.
Ich habe hier, meine Damen und Herren, eine ganze Liste von Maßnahmen dieser Bundesregierung. Ich versage es mir, sie vorzulesen, weil ich befürchte, daß ich zu einem noch wichtigeren Teil, nämlich zur Auseinandersetzung mit der Opposition, nicht kommen kann, wenn ich im einzelnen aufführe, was diese Regierung sozial- und gesellschaftspolitisch geleistet hat; deshalb nur Stichworte.




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707639000
Herr Kollege Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Götz?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707639100
Bitte schön, Herr Kollege Götz!

Dr. Hermann Götz (CDU):
Rede ID: ID0707639200
Herr Kollege Nölling, wenn dem so ist, wie Sie es darlegen, möchte ich Sie fragen: Wie erklären Sie es sich dann, daß nach einer Umfrage, die das EMNID-Institut jüngst angestellt hat, jeder zweite Bürger in der Bundesrepublik mit dieser Regierung unzufrieden ist? Könnte dies darauf zurückzuführen sein, daß sie früher Besseres gewohnt waren?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707639300
Herr Kollege Götz, dies ist auch eine Frage des Bekanntheitsgrades unserer Maßnahmen; das ist heute morgen vom Bundeskanzler gesagt worden. Aus Unbekanntheit, aus Uninformiertheit resultiert häufig Unzuriedenheit, wobei ich ja zugebe, daß wir zur Zeit — glaubt man den Umfrageergebnissen — vielleicht nicht so besonders gut dastehen. Aber fragen Sie sich doch selbst, wie Sie ausgesehen haben, als Sie Politik machten, wie es zu CDU/CSU-Zeiten aussah; da war es noch sehr viel schlimmer!

(Abg. Nordlohne: Inzwischen ist von uns allerhand getan worden, Herr Nölling!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707639400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707639500
Nein, im Moment nicht; ich möchte jetzt fortfahren.
Meine Damen und Herren, wir werden weitere Bevölkerungsschichten am Produktivvermögen beteiligen — der Plan liegt vor. Wir erwarten von der Steuerreform beträchtliche Verbesserungen für die Arbeitnehmerschaft. Und es bedarf keiner Belehrung durch die Opposition, wie sozialpolitisch wichtig diese Aufgabe ist. Mit Ausnahme der CDU-Sozialausschüsse hat sich nämlich die Union in der Vergangenheit um die Frage der Steuerreform auch nicht ein einziges Mal gekümmert.

(Ab. Dr. Jenninger: Na, erzählen Sie doch keinen Schmarren!)

— Ja, so ist es! —
Wir Sozialdemokraten sind uns darüber im klaren, meine Damen und Herren, daß bei weitem nicht alle Forderungen erfüllt sind, die die Bevölkerung an uns stellt. Wir geben uns auch nicht der Illusion hin, daß man eine konflikt- oder problemlose Welt schaffen kann. Aber: Wir lassen uns auch nicht von unserem gesellschaftspolitischen Kurs von einer Opposition abbringen, die Reformen hintertreiben will —

(Zuruf von der CDU/CSU: Na!)

und sei es nur, um der Regierung eins auszuwischen —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber, Herr Nölling!)

zugleich durch unrealistische Propaganda-Anträge ohne finanzielle Absicherung Reformbedürftigkeit vortäuscht, ohne zu sagen, wie es denn nun im einzelnen finanziert werden kann — von einer Opposition, die langsam, bequem, manchmal sogar faul im Produzieren eigener Gedanken ist, aber schnell und oft leichtsinnig handelt, wenn es darum geht, Milliarden-Beträge auszugeben, die nun einmal im Haushalt nicht drin sind.

(Beifall bei der SPD.)

Ein Beispiel dafür, meine Damen und Herren, wie leicht es sich diese Opposition macht, ist folgendes. Wir haben gestern im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sozialbegleitende Maßnahmen zu § 218 beraten. Seit mehr als zwei Jahren, meine Damen und Herren, wird dieses Thema in dieser Republik diskutiert. Wir mußten die Verabschiedung gestern auf die Zeit im Februar vertagen, weil die Oppositionskollegen nicht in der Lage waren, auch nur einen einzigen Gedanken beizusteuern,

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

weil sich nämlich diese Partei damit zwei Jahre lang nicht beschäftigt hat.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Dann Forderungen von 18,2 Milliarden für ein Sozialprogramm aufzustellen — —

(Abg. Dr. Jenninger: Hören Sie doch mal mit der dummen Polemik auf!)

— Ja, das ist durch die Presse gegangen, Herr Kollege Jenninger; Sie können es dann dementieren. Sie haben es bisher nicht dementiert. Der Vorsitzende unserer Fraktion hat es heute schon einmal gesagt. Meine Damen und Herren, damit wollen Sie doch nur Ihr schlechtes Gewissen betäuben, das Sie haben, weil Sie sich wirklich in dieser gesellschaftspolitischen Frage bisher nicht engagiert haben. Das können Sie doch nicht bestreiten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707639600
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707639700
Bitte, Herr Kollege Maucher.

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0707639800
Herr Kollege Nölling, Sie waren doch gestern den ganzen Tag im Ausschuß und haben die Diskussion miterlebt. Wie kommen Sie eigentlich dazu, zu erklären, daß die Union keinen einzigen Gedanken gehabt habe?

(Abg. Dr. Jenninger: Polemik ist das!)

Es sind Ihnen auch die Gründe dargelegt worden, weshalb die Abstimmung zurückgestellt werden soll. Aber hier bei der Fraktion von „Faulheit" zu sprechen, das finde ich eine Ungehörigkeit.




Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707639900
Gut, schön, Sie können sagen: das Wort „Faulheit" war zuviel; dann nehme ich es gern zurück. Es ist Geschmackssache, wie man die Inaktivität der Opposition bezeichnet oder auch begründet. Das gebe ich zu. Aber gestern war es in der Tat so, daß die Maßnahmen, die seit Jahren bekannt sind, von Ihnen nicht mitgetragen werden konnten, weil Sie darauf warten, daß Ihre Partei sich demnächst über ein eigenes Programm klar wird. Das können Sie doch nicht bestreiten.
Seit 1969 hat die Opposition fortwährend die Abfahrt der Reformzüge in dieser Republik verschlafen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß der Kollege Franz Josef Strauß reden würde. Da ging nämlich eben das Gerücht, er wolle den Kollegen Blüm verdrängen. Aber das hat dann doch nicht stattgefunden. Aber im September 1973 hat er in seiner Hauspostille „Bayernkurier" die Frage gestellt: „Habe nicht ich die Opposition immer wieder aufgerufen, nicht einzuschlafen, sondern um unserer Demokratie und unserer Zukunft willen ihre Aufgabe wahrzunehmen?" Ich meine, entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheit ist die Opposition in diesem Punkte jedenfalls dem Kollegen Strauß nicht gefolgt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Sie hat es vorgezogen, weiter zu schlafen. Die Protagonisten der Leistungsgesellschaft -- auf den Oppositionsbänken sitzen sie zuhauf — entschließen sich zur Leistungsverweigerung in diesem Parlament, wenn es um gesellschaftspolitische Reformen geht.
Es würde doch nicht verstanden werden — es wäre ja geradezu falsch —, bei einer Debatte zur Lage der Nation die Lage der Opposition auszuklammern. Was haben CDU und CSU denn auf gesellschaftspolitischem Gebiet geleistet in dieser Zeit, in der sie sich doch in der Opposition regenerieren sollten? Die Diskussionsthemen auf ihrem Hamburger Parteitag Mitbestimmung, Vermögensbildung, berufliche Bildung und Bodenrecht — wurden der Union durch die gesellschaftspolitische Dynamik aufgezwungen, die die Koalition aus der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 entwickelt hat. Die Beschlüsse des Hamburger Parteitages entlarvten die Opposition als das, was sie ist: ein Anbieter von Mogelpackungen mit unverbindlichen Richtpreisen.

(Beifall bei der SPD.)

„Unverbindlich" auch deshalb, weils bisher im Bundestag nichts an Gesetzentwürfen eingebracht worden ist, was Sie auf dem Parteitag 1973 in Hamburg beschlossen haben, nichts.
Was ist denn aus der Ankündigung des Kollegen Katzer im Wahlkampf 1972 übriggeblieben, man wolle sofort nach der Wahl, ob gewonnen oder verloren, das Beteiligungslohngesetz wieder einbringen? Bis heute gibt es keine solche Aktivität.

(Abg. Stücklen: Das haben Sie doch abgelehnt im Ausschuß!)

— Nein, Sie haben diesen Gesetzentwurf nicht wieder eingebracht, was der Kollege Katzer im Wahlkampf seinen Wählern versprochen hatte.

(Abg. Stücklen: Sie haben ihn abgelehnt!)

— Nein, das stimmt nicht, Herr Kollege Stücklen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707640000
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707640100
Nein, ich möchte im Moment keine Zwischenfragen beantworten. Ich möchte auf die Politik der CDU zu sprechen kommen. Ihre Politik wird aufwendig verpackt mit dem Ziel, über einen allzu dürftigen Inhalt hinwegzutäuschen. Vor allem Ihr Generalsekretär Biedenkopf, dessen Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsfeindlichkeit notorisch zu werden beginnen, behelligt die Öffentlichkeit — —

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Ja, ich sage das hier, so sehe ich das nun mal. So beurteile ich das. — Notorisch zu werden beginnen, ich wiederhole das.

(Beifall bei der SPD.)

Ich könnte es Ihnen ja im einzelnen beweisen mit Hilfe von Zitaten, dann würde es noch länger dauern. Ich bringe Ihnen nachher noch andere Zitate, über die Sie sich freuen werden. — Er behelligt die Öffentlichkeit zuzeiten mit geradezu erstaunlichen Weisheiten. In bezug auf die Vermögenspolitik seiner Partei hat er im „Deutschen Wirtschaftsblatt" vor ein paar Tagen geschrieben:
Eine besondere Belastung des Mittelstandes durch Leistungen nach dem Beteiligungslohngesetz kann im Grunde nur bei Inkrafttreten des Beteiligungslohngesetzes stattfinden.
Wie recht er doch damit hat: „im Grunde nur bei Inkrafttreten" ! Das will diese Opposition aber nicht; sonst hätte sie es doch wieder einbringen können, wie vor der Wahl 1972 versprochen.

(Abg. Stücklen: Das haben Sie doch im Ausschuß abgelehnt! — Zuruf von der CDU/CSU: Hätten Sie denn diesmal zugestimmt?)

— Wir haben es im Ausschuß nicht abgelehnt, Herr Kollege Stücklen. Sie waren nicht dabei. Behaupten Sie hier nicht Dinge, die nicht stimmen! Wir haben es im Ausschuß nicht abgelehnt;

(Abg. Stücklen: Sie haben es abgelehnt!)

es hat dort vor der Wahl 1972 nicht zur Abstimmung gestanden, um dies klarzustellen.

(Abg. Dr. Jenninger: Hätten Sie denn zugestimmt? — Abg. Stücklen: Er schwindelt ja!)

Heute morgen hat der Kollege Carstens angedeutet, daß wir über diese gesellschaftspolitischen Durchbrüche demnächst diskutieren werden. — Zu Ihnen komme ich auch noch, Herr Kollege Stück-



Dr. Nölling
len; Sie figurieren ebenfalls noch sehr prominent in einem Zitat, das ich gleich bringen werde.

(Abg. Stücklen: Moment, Moment!)

Vielleicht bleiben Sie hier und freuen sich dann darüber.
Über eines, meine Damen und Herren, als Reaktion auf die Einigung der Koalition in den wichtigsten gesellschaftspolitischen Fragen — Vermögensbildung und Mitbestimmung — habe ich mich ganz besonders gefreut, nämlich über eine Äußerung von Herrn Kohl, der sagte, die Beschlüsse zur Mitbestimmung und Vermögensbildung der Koalition seien mehr als enttäuschend. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie und mich: für wen eigentlich enttäuschend?

(Abg. Maucher: Das werden Sie noch sehen!)

Für Sie, für die Opposition, die etwas anbietet, das den Wettbewerb mit der Regierungskoalition verloren hat, um es einmal so auszudrücken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dann gehört schon der Mut zum geistigen Salto mortale dazu, das, was in Hamburg zur Mitbestimmung beschlossen worden ist, als Parität zu verkaufen. Dem Kollegen Katzer ist zuzustimmen, der die Regelung, die die CDU beabsichtigt, als „Parität minus" kennzeichnete, oder Kollegen Blüm, der sie als „Parität mit Notausgang" brandmarkte. Unter der Überschrift „Zu kurz gesprungen" mußten denn auch die Sozialausschüsse erklären — ich zitiere —:
Um so bedauerlicher ist es, daß der Parteitag ... die gleichberechtigte Mitbestimmung nicht verwirklicht hat.
Angesichts dieser eindeutigen Stellungnahmen aus Ihren Kreisen mutet es wiederum komisch und grotesk an, wenn Herr Kohl schreibt:
Bei der Mitbestimmung ist zwar anzuerkennen, daß die Koalition versucht hat, die von der CDU im November 1973 auf dem Hamburger Parteitag gesetzten Maßstäbe zu erreichen; es ist ihr nicht gelungen.
Gestatten Sie mir, an dieser Stelle ein Zitat von Herrn Katzer — darin kommt Herr Stücklen vor —, den Schluß von Hamburg, zu nennen. Herr Katzer sagte:
Ich habe aber diese herzliche Bitte an Sie: stimmen Sie dem Modell zu, das die Junge Union und die Sozialausschüsse Ihnen als Alternative zu dem Vorschlag des Vorstandes vor- gelegt haben.

(Anhaltender lebhafter Beifall. — Richard Stücklen beglückwünscht Hans Katzer zu seiner Rede. — Große Heiterkeit und Beifall.)


(Abg. Stücklen: So sind wir! So liberal sind wir nun einmal!)

— Ja, so sind Sie, und das Abstimmungsergebnis
nachher — 559 : 97 — hat ja auch gezeigt, welch ein
Ausmaß an Heuchelei bei diesem Heiterkeitsausbruch noch mit dabei war.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: So liberal sind wir!)

Meine Damen und Herren, das ist auch etwas, das mich traurig stimmt, wenn ich an die Rolle des Kollegen Blüm denke.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kümmern Sie sich um Ihre eigene Rolle!)

Die christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft wird in der CDU zunehmend zur Bedeutungslosigkeit vergewaltigt. Sie ist bestenfalls ein Nebenrinnsal im Hauptstrom einer konservativen Partei, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch dieses austrocknet.

(Abg. Burger: Das ist ein GanghoferRoman! — Abg. Härzschel: Er will mit viel Poesie die eigene Misere überdecken!)

Nach dem Wahldebakel vom 19. November 1972 hatte es für kurze Zeit den Anschein, als ob die Opposition zur Einkehr und Besinnung kommen könnte. Danach, etwas abseits im sauerländischen Bödefeld, kam der Kollege Barzel im September vergangenen Jahres zu einer späten Erkenntnis über die Lage seiner Partei, als er sagte: ,,Räsonieren und Rechthaberei ist keine Politik." In derselben Rede sagte er:
Wer nicht selbst den Fortschritt bewirkt und bewegt, über den wird die Entwicklung fortschreiten.
Wer nur gegen etwas ist, ohne sogleich zu sagen, für welches Bessere er ist, ist aus der seriösen Diskussion heraus.

(Abg. Dr. Barzel: Im Januar! — Abg. Dr. Jenninger: Außer Polemik können Sie nichts bieten!)

— Wieso ist das Polemik, wenn ich den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Ihrer großen Partei, der zehn Jahre lang amtiert hat, zitiere? Wieso ist das eigentlich Polemik? Nur weil Sie es nicht gerne hören wollen?
Lyrisch, so möchte ich sagen, fuhr der Kollege Barzel fort:

(Abg. Stücklen: Wie wäre es mit eigenen Gedanken?)

Der Zeitgeist weht ihn weg wie ein welkes Blatt.

(Zuruf von der SPD: Wen?)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707640200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0707640300
Herr Kollege Nölling, wie würden Sie angesichts Ihrer Bemerkungen über die Sozialausschüsse der CDU die Bedeutung der Arbeitnehmerarbeitsgemeinschaft der SPD einschätzen, die auf ihrer ersten Bundesversammlung Steuererleichterungen für die Arbeitnehmer gefordert hat, sie aber von der Bundestags-



Jäger (Wangen)

fraktion und der Bundesregierung abgeschlagen bekommen hat?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707640400
Diese Arbeitsgemeinschaft ist das Rückgrat der Sozialdemokratischen Partei, weil sie für die Arbeitnehmerschaft da ist.

(Beifall bei der SPD. Lachen bei der CDU/CSU.)

Das Gewicht der Arbeitnehmerschaft kommt eben nicht in diesem Nebenrinnsal der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft zum Ausdruck, sondern die Arbeitnehmerschaft ist der Hauptstrom, der die Sozialdemokratische Partei getragen hat und weiterhin tragen wird.

(Beifall bei der SPD. — Abg. KrollSchlüter: Kommen Sie sich nicht selbst komisch vor?)

Warum beachten Sie nicht die Wahlanalysen Ihrer führenden Vertreter, beispielsweise Herrn Katzers, und ziehen Lehren daraus? Herr Katzer fragte auf dem Hamburger Parteitag, welche Gruppen denn der Union das Desaster zugefügt haben. Er nennt ausdrücklich die Jugend, die Frauen und die Arbeitnehmer, genau wie der Kollege Müller (Remscheid) dies getan hat. Ihre Partei hat die Arbeitnehmerschaft verloren und wird sie doch mit der Politik, die Sie anzubieten haben, auch nicht wiedergewinnen. Oder glauben Sie, man könnte so viele Illusionen noch lange Zeit nähren?

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann sind viele unseren Illusionen gefolgt!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707640500
Herr Kollege, Ihre Redezeit geht jetzt zu Ende.

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707640600
Ich werde gleich zum Schluß kommen, gnädige Frau.

(Abg. Stücklen meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707640700
Bitte schön, Herr Kollege Stücklen!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0707640800
Herr Kollege Nölling, wenn Sie hier festgestellt haben, daß die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Arbeitnehmer das Rückgrat der SPD ist, dann geben Sie doch zu, daß Sie bis 1972 überhaupt kein Rückgrat gehabt haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707640900
Wissen Sie, mir braucht niemand von der CSU-Führung zu sagen, wer in diesem Lande Rückgrat hat oder nicht.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707641000
Herr Kollege, noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Götz?

Dr. Hermann Götz (CDU):
Rede ID: ID0707641100
Herr Kollege Nölling, weil vom Arbeitnehmerkongreß und vom Rückgrat die Rede ist: Wie erklären Sie sich den Ausspruch des Herrn Vetter in seiner Rede auf diesem Kongreß: Früher war die Sozialdemokratische Partei der Felsblock, auf den sich die Arbeitnehmer stützen konnten. Heute greift die Hand ins Leere?

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707641200
Herr Kollege Götz, Sie müssen den Kollegen Vetter schon im Gesamtzusammenhang zitieren, was Sie jetzt nicht getan haben. Diese Hand greift nicht ins Leere. Diese Hand findet Unterstützung bei den Sozialdemokraten, hat sie immer gefunden, und so wird es auch weiterhin sein.

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Wir werden ja sehen, woher wir für unsere gesellschaftspolitischen Veränderungen Unterstützung bekommen.
Meine Damen und Herren, in diesem Lande gibt es nur eine Triebfeder für gesellschaftspolitischen Fortschritt, und das ist und bleibt diese Koalition. Die jüngsten Entscheidungen über Mitbestimmung und Vermögensbildung stellen dies erneut unter Beweis. Herr Kollege Blüm, die „Frankfurter Rundschau" berichtet über das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen und schreibt: „Volle Parität in der Mitbestimmung". Glauben Sie etwa, ,daß dieses kritische linke Blatt etwas anderes schreiben würde, wenn wir keine volle Parität erreicht hätten? Das werden Sie doch wohl nicht behaupten wollen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Aber warum, meine Damen und Herren, sollte ich mich nicht zum Schluß noch einmal mit dem Kollegen Barzel verbünden? Gestatten Sie mir das. Dann komme ich zum Schluß. Ich möchte mich noch einmal mit dem Kollegen Barzel verbünden, weil es bei meinen Ausführungen nicht darum ging, ein Gesetz oder eine Änderung eines Gesetzes darzustellen oder zu begründen, sondern darum, einige mittel- und langfristige Tendenzen unserer Gesellschaftspolitik aufzuzeigen und sie mit dem zu vergleichen, was sich in der Opposition tut bzw. nicht tut. Da Sie so oft bestreiten, daß dieser Staat ein sozialer Staat ist und durch diese Regierung ausgebaut worden ist, muß ich einfach wieder auf Herrn Barzel zu sprechen kommen und ihn zitieren.
Er sagte — ebenfalls in Bödefeld vor gar nicht
langer Zeit:
Es gibt keine bessere, keine humanere, keine sozialere, keine erfolgreichere Gesellschaftsordnung als die unserer Bundesrepublik.

(Abg. Dr. Barzel: „Als die der sozialen Marktwirtschaft", das ist das richtige Zitat!)

— Sie haben sich laut Text Ihrer Rede auf die Gesellschaftsordnung bezogen, die wir hier haben und für die Sie eintreten. Wenn Sie der Meinung wären, Herr Kollege Barzel, diese Gesellschaftsordnung sei nach vier Jahren sozialliberaler Führung nicht mehr in diesem Zustand, dann hätten Sie das



Dr. Nölling
ja ausdrücklich sagen können. Übertreibungen haben Sie sich also meines Erachtens nicht zuschulden kommen lassen, sondern Sie haben die Wahrheit gesagt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Die Stimmung draußen kennen Sie überhaupt nicht!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0707641300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707641400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als Herr Kollege Arendt hier über die innere soziale Lage der Nation oder zum Tätigkeitsbericht 1973 der Bundesregierung fünf Minuten gesprochen hatte, hielt es der Kollege Dr. Mertes von der CDU für angebracht, ihn zu fragen, ob er glaube, daß die sozialdemokratischen Abgeordneten der früheren Bundestage damit einverstanden wären, daß dieser Gegenstand hier eingeführt werde. Ich glaube, nach dem Verlauf dieser sozialpolitischen Runde wird deutlich, wie abwegig diese Zwischenfrage des Kollegen Dr. Mertes gewesen ist.

(Beifall bei der SPD.)

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich Herrn Dr. Marx heute morgen richtig verstanden habe, dann gehört zu einer solchen Debatte eben auch die Darstellung über die soziale Lage der Nation. Herr Dr. Marx hat darauf hingewiesen, daß die Mitbürger in der DDR mithören. Dazu gehört meines Erachtens auch, daß sie etwas über die soziale Situation in diesem Teil unseres Vaterlandes wissen.
Herr Kollege Arendt hat hier in wenigen prägnanten Sätzen deutlich gemacht, was diese sozialliberale Koalition nach diesen vier Jahren vorzuweisen hat. Aber es ist natürlich klar, daß diese sozialpolitische Runde der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union nicht schmeckt, weil in dieser Runde nämlich die soziale Handlungsfähigkeit dieser Koalition deutlich wird. Das ist es, was Sie nicht so gern sehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Als 1969 diese Koalition gegründet wurde, gingen Sie davon aus: Die mögen vielleicht gemeinsam Ostpolitik, vielleicht auch noch gemeinsam Bildungspolitik verwirklichen können; aber in der Sozialpolitik werden sie sich schnell so aneinander aufreiben, daß dieses Bündnis nicht allzulange halten wird. Und nun haben Sie ,die Einigung in so schwierigen Fragen wie der Mitbestimmung und der Vermögensbildung in breiten Schichten unserer Bevölkerung als Vorschlag auf dem Tisch des Hauses.

(Abg. Stücklen: Aber wie, Herr Spitzmüller, aber wie!)

Aber ich falle nicht in die Gewohnheit alter Bundestage zurück, hier nun eine Lesung vor der ersten Lesung über diese Gesetze, die noch nicht vorgelegt sind, machen zu wollen. Nur glaube ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden manches
von dem revozieren müssen, was Sie jetzt in der ersten Minute über die Liberalen glauben ausstreuen zu müssen. Wenn Sie den wirklichen Gehalt dieser Gesetze ansehen, dann werden Sie bemerken, daß sich hier die Liberalen durchaus sehen lassen können.
Nun zu Ihnen, hochverehrter Herr Kollege Blüm, der Sie hier versuchten, eine Vermißtenanzeige für die Liberalen aufzugeben. Das ist nicht notwendig; denn seit 1949 bis heute haben die Freien Demokraten als Liberale ,durch ihre Beiträge in diesem Hause immer deutlich gemacht, ,daß sie nicht — wie über lange Perioden die Sozialausschüsse der CDU/ CSU — auf Tauchstation waren, sondern die Liberalen in diesem Hause haben sich zu allem und zu jedem Gegenstand zu Wort gemeldet. Ich muß daher diese Ihre Bemerkung zurückweisen. Sie haben offensichtlich vergessen bekanntzugeben, daß die Vermißtenanzeige für die Sozialausschüsse zurückgezogen wird, weil sie aus der Tauchstation heute heraufgekommen sind.
Herr Kollege Blüm, Sie sprachen von den Obdachlosen. Ich halte das für sehr begrüßenswert. Über die Obdachlosen ist im Bericht nichts ausgesagt, weil hier nur eine sehr begrenzte Zuständigkeit des Bundes gegeben ist. Aber ich bin dankbar, daß Sie dieses Thema aufgegriffen haben; denn unsere Kommunalpolitiker in vielen Städten befassen sich gerade mit diesem Problem. Ich benutze die Gelegenheit gerne, die Stadt- und Kreisverordneten, alle, die in ,der Sozialhilfe tätig sind, daran zu erinnern, daß das Los der Obdachlosen immer neu zu überdenken ist, daß auch die Obdachlosen ihre Anteilnahme bekommen müssen. Aber das hat nicht vordergründig hier, sondern in den Gemeinde- und Kreisparlamenten zu geschehen.

(Abg. Wehner: Sehr richtig!)

Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um diesen Appell zu unterstützen, Herr Kollege Blüm.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Blüm, wenn Sie von ,der Arbeitslosigkeit gesprochen haben, so sind wir auch hier einer Meinung, daß daraus niemand parteipolitisches Kapital schlagen sollte, der nicht in den Verdacht geraten will, einer radikalen Partei anzugehören. Nur, Herr Kollege 'Blüm — weniger Sie als andere Kollegen Ihrer Fraktion —, sollten das Gespenst der Arbeitslosigkeit nicht so sehr an die Wand werfen, wie das oft geschieht. Denn wer allzuoft von dem Gespenst der Arbeitslosigkeit spricht, sorgt dafür, daß dieses Gespenst unter Umständen tatsächlich eine Gestalt von bedeutenderer Größe annimmt, als sie heute schon ist.
Herr Kollege Blüm, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union, ich erinnere Sie an ,die Worte, die Sie 1965 und 1966 gegenüber der damaligen Opposition gebrauchten, als Ihr damaliger Bundeskanzler erklärte: Eine Krise kann man auch durch ständiges Krisengerede herbeireden. Sie sollten an diese Worte denken und nicht ständig in dieses Krisengerede einstimmen, wie das in den letzten Wochen und Monaten geschehen ist.




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707641500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nordlohne?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707641600
Bitte schön!

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0707641700
Herr Kollege, können Sie sich erinnern, daß der Opposition seinerzeit ähnliche Argumente entgegengehalten wurden, als wir von der Inflation sprachen, die wir heute haben? Wir haben sie nicht herbeigeredet.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707641800
Herr Kollege, die Inflation, die Geldentwertung, die wir heute haben, ist außerordentlich bedauerlich. Aber wenn Sie gestern dem Finanzminister zugehört haben, dann haben Sie seinen Ausführungen entnehmen können, daß die Inflation, die sehr bedauerlich ist, in anderen Staaten leider noch viel größere Umfänge angenommen hat.

(Abg. Stücklen: Das ist doch kein Trost!)

— Natürlich, Herr Kollege, ist das kein Trost. Aber Sie müssen die Dinge relativ betrachten, wie Sie sie auch relativ betrachtet haben, als Sie noch im Amt und in Ministerwürden waren.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie bei den Kriegsopferrenten von den Versäumnissen dieser Regierung sprechen, so ist das einfach eine Verdrehung der Tatsachen. Diese Koalition hat die Dynamisierung der Kriegsopferrenten beschlossen. Das einmal vorab. Sie hat in einem Stufenplan beschlossen, daß die Erhöhung der Kriegsopferrenten zunächst auf den 1. Oktober 1974 vorgezogen wird und daß damit die Kriegsopferrenten 1974 um 15 0/o steigen werden, wenn Sie das umrechnen. Hinzu kommt die vorgezogene Anpassung 1975. Das ist doch wahrhaftig ein großes Werk.
Wenn Sie weiter bedenken, daß 1973 9,6 Milliarden DM für die Kriegsopfer aufgewandt wurden und es nach der fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzplanung in 1977 13,7 Milliarden DM sind, können Sie dieser Regierung auf diesem Gebiet 'wahrhaftig keine Versäumnisse vorwerfen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Blüm ging dann noch auf die Familienpolitik ein. Nun habe ich mich ja in meinen ersten Jahren als Bundestagsabgeordneter, 1957 bis 1960, sehr viel mit dem damaligen Familienminister Wuermeling herumschlagen müssen. Damals habe ich immer gesagt: Das Bedauerliche an der Familienpolitik der CDU/CSU ist, daß sie sie allein unter dem engen Gesichtswinkel des Kindergeldes sieht und alle familienpolitischen Leistungen daran mißt. In der Zwischenzeit haben wir eine breite Palette von ergänzenden Familienhilfen neben dem Kindergeld aufgebaut.
Denken Sie an die Wohngeldgesetzgebung. Denken Sie an die Unfallversicherung für Schüler, Kinder und Studenten. Denken Sie an die Hauspflegerinnen, die bei Kur und Krankheit zur Verfügung stehen. Denken Sie an die erwerbstätige Mutter, die bei Krankheit wenn auch nur für wenige Tage, aber immerhin — beurlaubt werden kann unter Fortzahlung des Lohnes durch die Krankenkasse.
Denken Sie vor allem an die Ausbildungsbeihilfen, die ja auch eine Art von Kindergeld, nur in ganz spezieller Form, sind. Dann haben Sie eine breite Palette gezielter familienpolitischer Maßnahmen. Und wenn Sie als CDU/CSU diese Koalition angreifen, daß sie für die Familie und für die Mütter schwerpunktmäßig nicht genug getan habe, dann kann ich nur fragen: Wo nehmen Sie den Mut zu solchen Aussagen her, nachdem Sie durch Ihre Anträge das Baby-Jahr in der letzten Legislaturperiode kaputtgemacht haben?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Kroll-Schlüter meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Kollege Kroll-Schlüter, ich habe leider keine Redezeit angemeldet, deshalb bitte ich, das als letzte Zwischenfrage zu betrachten.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0707641900
Darf ich Sie fragen, wann damit zu rechnen ist, daß diese Bundesregierung den Vorschlag für das Baby-Jahr wieder im Plenum einbringt?

(Abg. Wehner: Das ist ja unglaublich, so eine Frage von denen, die es kaputtgemacht haben!)


Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707642000
Herr Kollege Kroll-Schlüter, es gibt Dinge, die sind manchmal irreparabel. Ich habe z. B. einmal hier in diesem Haus den Vorschlag gemacht, beim Kindergeld zu einem Mischsystem überzugehen, nämlich 1 % von der Lohn- summe und den Rest aus der Staatskasse. Die SPD hat zugestimmt, und 60 von der CDU haben zugestimmt. Dieser Vorschlag bekam eine Mehrheit. Ihre Partei hat dann der dritten Lesung widersprochen und in namentlicher Abstimmung das Ergebnis der zweiten Lesung zurückgedreht! Diese Entscheidung war irreparabel, und ich glaube, die Familienpolitiker der CDU, die diese Stunde damals erlebt haben, denken heute manchmal noch schmerzlich daran zurück. Ich hoffe, daß Ihre Entscheidung, die das Baby-Jahr kaputtgemacht hat, noch reparabel ist. Aber wann Herr Kollege Kroll-Schlüter,

(Abg. Wehner: Jedenfalls ist es demagogisch, heute so zu tun, als ob man es wollte! — Zuruf des Abg. Stücklen.)

das müssen Sie auch wissen —, das hängt von der Finanzlage der Rentenversicherungsträger ab.

(Abg. Härzschel: Wer hat denn das BabyJahr kaputtgemacht?)

Wir wissen doch alle, um was es sich handelt,
nämlich um die Anrechnung eines Versicherungsjahres für das Jahr nach der Geburt eines Kindes.

(Abg. Härzschel: Wer hat denn die Mehrheit?)

Sie haben durch Ihre Anträge das kaputtgemacht, aber ich nehme an, daß dies reparabel ist. Ob in dieser Legislaturperiode oder erst in der nächsten, Herr Kollege Kroll-Schlüter, das hängt von der



Spitzmüller
finanziellen Entwicklung der Rentenversicherung ab; es geht nicht durch Beitragserhöhung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hängt doch von Ihnen ab!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707642100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0707642200
Herr Kollege Spitzmüller, es tut mir leid, ich war in der vergangenen Legislaturperiode nicht in diesem Haus. Darf ich präzise fragen, um welche Abstimmung es sich handelt, mit der meine Fraktion das Baby-Jahr kaputtgemacht hat? Sie hatten doch die Mehrheit.

(Zuruf des Abg. Wehner. — Weitere Zurufe von der SPD.)


Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707642300
Herr Kollege Kroll-Schlüter, wir hatten die Mehrheit; dann gab es ein Patt und dann eine Mehrheit von 248 : 247, weil ein Kollege der SPD-Fraktion mit dem Namen Professor Karl Schiller an dem entscheidenden Tag nicht da war.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Und durch die Annahme Ihrer Anträge war die Finanzmasse verbraucht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Schiller war's! — Abg. Wehner: CDU heißt Schadenfreude! — Abg. Kroll-Schlüter: Schillers Baby! — Abg. Stücklen und Abg. Dr. Nölling melden sich zu Zwischenfragen.)

— Aber dann wirklich als letzte Zwischenfrage.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707642400
Moment bitte, es muß der Reihe nach gehen. Der Abgeordnete Stücklen hatte sich zuerst gemeldet.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707642500
Nein, ich habe bei Herrn Kroll-Schlüter schon gesagt: „Die letzte Frage", vielleicht darf ich Herrn Nölling noch die allerletzte Frage geben. Ich habe keine Redezeit angemeldet.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707642600
Sie sind in der Lage, dem einen Abgeordneten die Zwischenfrage zu verweigern und sie dem anderen zu geben. Sie verweigern sie Herrn Stücklen und geben sie Herrn Abgeordneten Nölling?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707642700
Ich habe der CDU schon drei Zwischenfragen zugestanden. Ich möchte der Koalition noch eine geben; im übrigen ist dann Schluß.

(Abg. Stücklen: Das entscheidet der Präsident!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707642800
Das entscheidet nicht der Präsident, der Redner läßt zu oder läßt nicht zu. — Bitte sehr!

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0707642900
Herr Kollege Spitzmüller, können Sie dem fragenden Kollegen der CDU/CSU-
Fraktion, der nicht das Vergnügen hatte, dem vorigen Bundestag anzugehören, bestätigen, daß im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eine Vorlage beschlossen worden war und ins Plenum geriet, in der sich der Wille der Koalition zum Baby-Jahr ausdrückte, und daß die Opposition unter den von Ihnen geschilderten Mehrheitsverhältnissen dieses Baby-Jahr hier rausgestimmt und damit kaputtgemacht hat?

(Abg. Stücklen: Wer hat denn die Mehrheit gehabt? — Abg. Kroll-Schlüter: Der Schiller hat es doch gemacht!)


Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707643000
Heir Kollege Nölling, genauso ist es gewesen. Und ich sage noch einmal, ich lasse keine weitere Zwischenfrage mehr zu, meine Redezeit geht sonst zu Ende.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707643100
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, wenn Sie Zwischenfragen zulassen, wird Ihre Redezeit natürlich verlängert.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Vom Redner werden keine Zwischenfragen mehr zugelassen. Bitte sehr.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0707643200
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie nun hier von der Familienpolitik so hochtrabend reden und auf der anderen Seite mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, die Steuerreform zu verhindern, jene Steuerreform, die gerade auch für die Familien, insbesondere für die kinderreichen Familien mit geringem Einkommen, wesentliche Verbesserungen enthält, indem dort für das erste Kind ein Betrag von 50 DM, für das zweite von 70 DM und ab drittem Kind von 120 DM verankert wird, dann frage ich mich: Wo haben Sie den Mut her, hier so zu sprechen und morgen für rund 8 bis 10 Milliarden DM Steuersenkungen zu beantragen und vor wenigen Tagen ein familienpolitisches Programm zu verkünden, dessen Finanzierung 18 Milliarden DM kosten würde?
Meine Damen und Herren, das sind doch Dinge, die wieder einmal mehr nicht miteinander vereinbar sind, und darüber muß gesprochen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zu dem Tätigkeitsbericht der Bundesregierung nur noch einige Schwerpunkte. Haben Sie es denn übersehen, daß wir morgen über eine ganz entscheidende Frage, nämlich über die Schwerbehindertengesetzgebung, sprechen, bei der ein ganz phänomenaler Durchbruch im sozialpolitischen Bereich erzielt wird, ein Durchbruch, der schon lange notwendig war, aber immer wieder nicht vollzogen werden konnte? Haben Sie die zeitlich unbegrenzte Krankenhauspflege vergessen, die schon realisiert ist? Haben Sie vergessen, daß die betriebliche Altersversorgung gewahrt bleibt, wenn der Betrieb nach einer bestimmten Zeit gewechselt wird? Haben Sie vergessen, daß in der Landwirtschaft das Altersgeld dynamisiert wird?



Spitzmüller
Wenn Sie den Tätigkeitsbericht der Bundesregierung durchsehen, finden Sie auf der Seite 17 die Agrarsozialpolitik, auf den Seiten 19 bis 27 die Sozial- und Gesundheitspolitik. Es sind dort 15 Gesetze aufgezählt, bei denen die CDU/CSU bereits zugestimmt hat. Ich gebe zu: Teilweise hat sie verlangt, daß mehr Geld ausgegeben wird; aber gleichzeitig hat sie verlangt, daß der Staat weniger Einnahmen habe.
Es sind dort zwölf weitere Gesetze aufgeführt, bei denen das Ja der CDU heute schon feststeht. Es sind lediglich sechs Gesetze aufgezählt, bei denen die endgültige Haltung der CDU noch nicht zu übersehen ist. Im übrigen hätten wir uns über den Sozialbericht unterhalten müssen, wenn die CDU nicht die Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung beantragt hätte. In diesem Bericht wird auf 389 Seiten sehr deutlich gemacht, was für die Zukunft projektiert ist.

(Abg. Stücklen: Wer hat denn jetzt die Mehrheit?)

— Wir haben eine Mehrheit, Herr Kollege Stücklen, und wir werden von dieser Mehrheit Gebrauch machen; dessen können Sie sich bewußt sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Kollege Dr. Blüm hat die Liberalen angesprochen. Dazu kann ich nur sagen: Er soll sich einmal das Konzept einer Beteiligung breiter Bevölkerungskreise am Produktivvermögen ansehen und dieses Konzept mit dem Vorschlag des Investivlohns vergleichen, den die CDU/CSU ,dem Hause vorgelegt hat. Dann wird man feststellen, daß in unserem Konzept nicht nur an die Beschäftigten in den Betrieben gedacht ist, sondern daß in unserem Gesetzentwurf an die Erwerbsbevölkerung gedacht ist, so daß auch Freiberufler und Selbständige und der öffentliche Dienst unter einer bestimmten Einkommensgrenze als Bezugsberechtigte vorgesehen sind.
Das ist eine liberale Haltung. Wenn Sie die Zahlen betrachten und feststellen können, daß Arbeitnehmer, Selbständige und im öffentlichen Dienst Tätige bei vier Kindern die Bezugsberechtigung haben, wenn sie 90 000 DM, ja sogar 108 000 DM Jahresverdienst haben. Sie gingen doch in Ihrem Investivlohnkonzept davon aus, nur die in den Betrieben Tätigen zu beteiligen. Wir haben den Kreis der Bezugsberechtigen erweitert. Dann können Sie doch nicht kommen und sagen, hier seien die Liberalen nicht zu erkennen.
Was Ihnen an dieser ganzen sozialpolitischen Runde nicht gefällt, ist die Tatsache, daß durch Herrn Arendt, durch den Kollegen Nölling und, wie ich hoffe, auch durch mich deutlich gemacht wurde,

(Zuruf des Abg. Stücklen)

daß diese Koalition oft sogar mit Ihrer Zustimmung — bereits eine Fülle von Sozialgesetzen verabschiedet hat, eine Fülle von Sozialgesetzen verabschieden wird, bei denen Sie auch nicht nein sagen können, und eine Reihe von sozialpolitischen Gesetzen auf den Tisch legen wird, die wir gegebenenfalls auch allein mit unserer Mehrheit, gegen Sie, durchsetzen können, um damit zu beweisen, daß diese Koalition im sozial- und gesundheitspolitischen Bereich absolut handlungs- und vollabzugsfähig ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707643300
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0707643400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Blüm hat vorhin unter großem Beifall seiner Fraktion im Schlußwort davon gesprochen, daß es um den Abbau von Privilegien gehe. Ich meine in der Tat, an diesem Maßstab wollen Koalition und Bundesregierung gemessen werden, aber an diesem Maßstab muß sich dann natürlich auch die Opposition messen lassen. In der Tat ist das Problem, mehr Gleichheit und mehr Freiheit gleichzeitig zu verwirklichen.
Ich will einige Punkte aus dem Tätigkeitsbericht herausgreifen und in diesem Zusammenhang die Fragen an die Opposition richten, ,die nach meiner Meinung gestellt werden müssen. Die Regierungserklärung hatte 1969 und dann wieder 1973 auf die Notwendigkeit der Verabschiedung eines gemeinsamen Bildungsplanes, eines Bildungsgesamtplanes hingewiesen. Diesen Bildungsgesamtplan haben wir im vergangenen Jahr verabschieden können, aber, Herr Kollege Blüm, in diesem Bildungsgesamtplan gibt es eine in der Tat offene Frage, bei der wir ein Mehrheitsvotum der Bundesregierung und der sozialliberal geführten Länder und ein Minderheitsvotum der CDU/CSU geführten Länder haben.
Dabei geht es darum, die Entscheidung über die Weiterführung auf den Schulwegen —also Gymnasium, Hauptschule — von den Zehnjährigen, bei denen sie heute im wesentlichen getroffen wird, auf die Fünfzehn- und 'Sechzehnjährigen also an das Ende der Mittelstufe zu verlagern. Dies ist in der Tat ein entscheidendes Problem der Chancengleichheit und des Abbaus von Privilegien. Wie Sie wissen, Herr Kollege Blüm, sind sich alle Sachverständigen einig, daß die Entscheidung über den Weg in die Schule bei den Zehnjährigen zu früh ist. Deshalb frage ich Sie, ob Sie oder die Sozialausschüsse bereit sind, in dieser zentralen Frage in den vor uns liegenden Landtagswahlen ein Votum für die Koalitionsparteien abzugeben. Das wäre der Prüfstein, von dem Sie gesprochen haben.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will einen zweiten Bereich anschneiden, die Ausbildungsförderung. Sie hat eben schon eine gewisse Rolle gespielt. Wir kennen die Sorgen, vor denen diejenigen stehen, die von den Ausbildungsförderungsbeträgen in der Tat ihren Schulbesuch oder ihr Studium finanzieren müssen. Aber Sie dürfen nicht übersehen, daß es diese Koalition war, die ein Ausbildungsförderungsgesetz zustande gebracht hat, das schon 1971 gegenüber 1970 die Mittel praktisch verdoppelte. Die Mittel von Bund und Län-



Bundesminister Dr. von Dohnanyi
dern haben damals etwa 800 Millionen DM erreicht. Im Jahre 1973 sind aus den rund 800 Millionen DM 1,8 Milliarden DM geworden, und wir fördern heute zwischen 40 und 50 % aller Schüler und Studenten. Nachdem wir in diesen Tagen auf Grund der nun vorliegenden endgültigen Zahlen zum Verlauf einiger finanzpolitischer Daten in der Lage waren zu sagen, daß wir schon im Jahre 1974 die Sätze und Freibeträge verbessern können, werden wir im Jahre 1975 zu einer erneuten Steigerung der Ausbildungsförderung auf etwa drei Milliarden DM kommen. Dies innerhalb eines Zeitraums von nicht einmal fünf Jahren ist eine beachtliche Leistung und bleibt ein großer Beitrag zur Förderung der Chancengleichheit.
Ich weiß, daß die CDU/CSU weitergehende Anträge stellen will. Ich habe aber heute im Haushaltsausschuß erlebt, wie ein solcher Antrag begründet wurde, indem nämlich ein Antrag, der etwa 600 bis 700 Millionen DM im Jahr kosten würde, mit 150 Millionen DM beziffert wurde. Wenn man das so macht und falsche Zahlen anführt, kann man sich natürlich nicht wundern, wenn hinterher die Rechnung nicht stimmt und zum anderen draußen ständig diese Mond-Anträge laufen, an denen Sie und Ihre Fraktion, Herr Kollege Carstens, sich gerne messen lassen würden. Aber wir werden Sie mit den Zahlen stellen, und dann werden Sie sagen müssen, wie Sie den Betrag decken, wo Sie den Betrag aus dem Haushalt herausnehmen wollen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Jenninger: Wie wollen denn Sie die Deckung vornehmen?)

— Wir haben eine relativ geringfügige Erhöhung vornehmen können und gehen davon aus, daß die Länder wie auch in diesem Jahr nicht in der Lage sein werden, die beachtlichen Hochschulbaumittel, die wir eingestellt haben, voll abzurufen. Aber Sie müssen sehen, wo Sie darüber hinausgehend im Gesamthaushalt Mittel zur Verfügung stellen können.
Die Frage ist also: Hier muß Farbe bekannt werden; es können nicht nur Anträge gestellt werden, die noch dazu am Ende dann falsch berechnet sind.
Ein dritter Punkt: Berufsbildung. Die CDU/CSU ist heute da, wo Sozialdemokraten seit langem gestanden haben, nämlich bei der Feststellung, daß die Berufsbildung in unserem Lande entcheidend vernachlässigt worden ist. Aber mir fehlt noch die Stimme aus der Opposition, die sagt, daß die Verantwortung hierfür ausschließlich bei der CDU/CSU selbst liegt! Sie hatten hier die Möglichkeit, in früheren Jahren durch entsprechende Gesetzgebung Verbesserungen durchzuführen. Es lag aiso an Ihnen. Sie von der CDU/CSU haben in diesem Bereich wie in anderen Bereichen der Bildungspolitik schmählich versagt. Das muß man feststellen. Wenn Sie das einmal gesagt haben, können wir mit Ihnen auch besser über einige Einzelheiten reden.
Die Regierung war in der Lage — und das steht im Tätigkeitsbericht —, innerhalb kurzer Zeit, nachdem in der vergangenen Legislaturperiode die Konzentration auf die Neufassung der Ausbildungsordnungen gerichtet war, Markierungspunkte vorzulegen. Wir werden auf dieser Grundlage bis März dieses Jahres einen Vorentwurf und im Mai — so hoffe ich — einen Kabinettsentwurf haben. Dann haben wir eine Grundlage, auf der wir in der Berufsbildung wirklich Fortschritte machen können.
Und hier wiederum, Herr Blüm: Abbau von Privilegien. Wie ist das mit der Rolle der Kammern und der Rolle des Staates in diesen Fragen? Wir gehen davon aus, daß der Lehrling oder Auszubildende, wie man technisch sagt, wissen muß — ebenso wie der Gymnasiast —, daß die Verantwortung für die Qualität der beruflichen Bildung letztlich auch vom Staat mitgetragen werden muß, d. h. daß letztlich die Kontrolle der Qualität auch beim Staat liegen n ß. Das setzt voraus, daß die Frage der Zulassung der Ausbildungsbetriebe in der letzten Entscheidung der staatlichen Entscheidung unterliegen muß.
Wenn Sie Privilegien abbauen wollen, sind Sie uns herzlich willkommen, aber dann müssen Sie, dann müssen die Sozialausschüsse an dieser Stelle mit uns votieren. — Ich weiß, daß Sie auch in dieser Frage in Hamburg untergegangen sind, weil die Sozialausschüsse ja mit ganz anderen Vorstellungen nach Hamburg gegangen sind als denen, mit denen sie dort herausgekommen sind. Das ist eben
I wie bei der Mitbestimmung: Hier müssen Sie eben sehen, daß Sie den Partner finden, der mit Ihnen vielleicht einen Teil Ihrer Vorstellungen durchsetzen kann. Wir sind bereit, mit Ihnen zusammen, Herr Blüm, wenn Sie das wollen, dafür zu sorgen, daß die Berufsbildung wirklich gleichberechtigt wird. Stimmen Sie im entscheidenden Augenblick mit uns! Dann kann man sehen, wo Sie stehen.
Schließlich zum Hochschulbereich. Herr Professor Carstens hat hier heute morgen zu dieser Frage einiges gesagt. Herr Carstens, ich denke, daß wir uns über einige der Probleme im Detail wahrscheinlich in der Februar-Debatte werden unterhalten können.

(Abg. Pfeifer: So ist es!)

Aber ich will hier doch unterstreichen: Wir werden
alles tun, um Gewalt und um Druck bestimmter
Gruppen auf die Meinungen anderer zu verhindern.

(Abg. Pfeifer: Was heißt alles?)

— Wir werden alles tun, was dazu notwendig ist.

(Abg. Dr. Jenninger: Was tun Sie denn?)

— Unsere Verbündeten sind dabei die, die dies für mehr Freiheit tun wollen und nicht zur Verhinderung der Reform. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Pfeifer: Damit unterscheiden Sie sich nicht von uns!)

— Wenn wir uns darin von Ihnen wieder nicht unterscheiden, Herr Pfeifer — und die Nagelprobe wird ja, wie vorhin gesagt wurde, hier im Parlament gemacht —, werden wir mit Ihrer Zustimmung zu unseren Vorschlägen in diesem Hause rechnen können. Dann können wir auch das tun, Herr Pfeifer, was notwendig ist: das Hochschul-

Bundesminister Dr. von Dohnanyi
Besetz, das in der vergangenen Legislaturperiode von Ihrer Seite blockiert wurde, endlich verwirklichen, damit draußen die Hochschulen in die Lage versetzt werden, wirklich Reformen durchzuführen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Pfeifer: Da müssen Sie erst einmal ein Hochschulgesetz vorlegen, das die Freiheit auch sichert! — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : So ist es!)

— Herr Pfeifer, wir werden darüber beraten. Wir haben ein solches Gesetz vorgelegt. Darüber werden wir diskutieren.
Nun gibt es dort noch einen weiteren Punkt. Wir sind nicht dafür, daß die Abiturnoten auf die Dauer die einzigen Maßstäbe für den Hochschulzugang bleiben. Auch hier geht es, Herr Kollege Blüm, wieder um den Abbau von Privilegien. Jetzt frage ich Sie wieder: Wo stehen Sie denn in dieser Angelegenheit? Sind Sie mit dafür, daß das letztlich so, wie die CDU/CSU-geführten Länder es heute erkennen lassen, im wesentlichen weiterhin allein eine Frage des Abiturs bleibt, oder wollen Sie wie wir auch über die berufliche Bildung den Zugang in die Hochschulen eröffnen? Bekennen Sie Farbe! Wenn Sie das tun, wiederum zum Abbau der Privilegien -- ganz einverstanden! Aber nur im konkreten Fall kann man es beweisen und nicht, Herr Blüm, mit schönen Reden, die zum Fenster hinaus oder zur Tribüne hin gehalten werden, während am Ende dann die Nagelprobe, wenn sie hier gemacht wird, nicht bestanden wird.
Es ist einfach, die heutige Lage so zu behandeln, wie die Opposition das gelegentlich tut. Die Opposition hat in diesen Monaten natürliche Vorteile: Die Weltlage wird schwieriger, und die inneren Probleme bei uns und in anderen demokratischen Ländern werden auch schwieriger.

(Abg. Windelen: Und die Bundesregierung wird schwächer!)

Herr Spitzmüller hat von dieser Stelle aus vor wenigen Minuten über das Problem des Vergleichs bei den Inflationsraten gesprochen, und der Kollege Stücklen, der im Augenblick leider nicht da ist, hat dann dazu eingeworfen: Das ist kein Trost! — Natürlich, meine Damen und Herren, sind die Probleme anderer Länder, die mit uns vergleichbare Gesellschaftsordnungen haben, kein Trost für uns. Aber sie sind, wenn man diese Probleme heranzieht und nüchtern beurteilt, ein Weg für die Bevölkerung, um auch in unserem Lande das Ausmaß der Probleme, vor denen wir stehen, besser zu begreifen. Wer die Bevölkerung durch solche Hinweise wie „Was draußen geschieht, interessiert uns nicht, das ist kein Trost!" daran hindert, wer die Menschen daran hindert, die wirklichen Zusammenhänge und Probleme zu verstehen, wer so tut, wie Sie das auch in der vergangenen Legislaturperiode gemacht haben, als sei das Weltinflationsproblem ein Problem dieser Bundesregierung und nicht ein Problem des gesamten Wirtschaftssystems im Westen, in dem wir verhaftet sind, — wer sich so verhält, der hindert die Menschen daran, die Probleme zu verstehen. Wir werden in den kommenden Jahren
nichts dringender brauchen als das Verständnis der Menschen für die Fragen, mit denen wir fertig zu werden haben. Wer da Demagogie betreibt, Tatsachen verschleiert und nicht sachliche Kritik übt da, wo man Dinge besser machen kann, sondern so tut, als sei das alles, was an Problemen in diesen westlichen Ländern heute auftritt, allein eine Schuld dieser Bundesregierung, der leistet in der Tat keinen Beitrag zur Debatte über die wirkliche Lage der Nation. Und ich meine, insofern ist der Beitrag der Opposition gleich Null gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707643500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Abelein.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID0707643600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß im Rahmen dieser Debatte zur Lage der Nation zuerst einiges zu den Ausführungen des geschätzten Kollegen und Kabinettsmitglieds Dohnanyi sagen. Zu solchen Äußerungen, das wird man ihm bescheinigen müssen, gehört sehr viel Mut. Denn zu den aktuellen Problemen, die wir heute auch in Bonn sehr deutlich gesehen haben, haben Sie einen Beitrag geleistet, der genau gleich Null war.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist doch Tatsache, daß die Bundesregierung die Bildungspolitik in der Prioritätenskala auf einen nachgeordneten Rang zurückgeschoben hat.

(Abg. Dr. Wallmann: So ist es!)

Die Ausbildungsförderung hat angesichts der inflationistischen Entwicklung einen absoluten Tiefstand erreicht, seit wir diese Ausbildungsförderung überhaupt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie reden immer von Chancengleichheit. Herr Wehner hat heute ständig davon geredet. Die Chancengleichheit ist heute für den Studenten so schlecht wie nie zuvor in der Bundesrepublik. Was haben Sie denn in Ihrem Beitrag zum Problem des Numerus clausus ausgeführt? Sie haben nichts dazu gesagt. Der Numerus clausus hat heute Formen angenommen, wie sie in dieser Härte auch nicht in den Ansätzen in den zurückliegenden Jahren zu sehen waren.
Wo ist denn Ihr Beitrag zur Berufsbildung? Wir haben die Berufsbildung an eine der ersten Stellen und jetzt an die erste Stelle in der Bildungspolitik überhaupt gesetzt. Das Thema haben Sie doch gar nicht entdeckt. Es ist eine der Merkwürdigkeiten sozialistischer Bildungspolitik, daß Sie in den zurückliegenden Jahren die Berufsbildung abgewertet haben. Sie haben sich nur der Erringung des Abiturs und den Studienmöglichkeiten, der Absolvierung der Universitäten gewidmet. Demgegenüber haben Sie die Berufsbildung derjenigen, von denen Sie ständig vorgeben, daß Sie sie vertreten würden, ständig vernachlässigt.

(Beifall bei der CDU CSU. - - Abg. Dr. Jenninger: So ist es!)




Dr. Abelein
Nun aber komme ich zur Lage der Nation. Die Debatte und ihre Handhabung durch die Bundesregierung ist schlechthin erschütternd.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Das ist eine Etatdebatte!)

Sie kennzeichnet die gesamte Situation. Die Lage der Nation ist für Sie eine Aneinanderreihung von Themen wie Mitbestimmung, Bildungspolitik, Vermögenspolitik, finanzielle Angelegenheiten, inflationistische Probleme —

(Abg. Dr. Jenninger: Das ist ein Volksfest!)

sicher alles Probleme von großer politischer Bedeutung. Aber zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland haben Sie herzlich wenig gesagt.

(Abg. Nordlohne: Doch, ein Volksfest soll stattfinden!)

Dieses Problem tritt bei Ihnen ganz offensichtlich in eine nachgeordnete Bedeutung. Das ist der Eindruck, den wir heute nicht zum erstenmal gewinnen. Eines hat aus Ihnen heute wie auch aus den Worten des Herrn Bundeskanzlers gesprochen. Er ist jetzt nicht da, was ich auch bezeichnend finde,

(Abg. Dr. Jenninger: Lage der Nation!)

aber vielleicht ist das gar nicht so schlimm, denn wenigstens ist der geheime Bundeskanzler dieser Bundesrepublik, Herr Wehner, da.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Es lohnt auch mehr, sich mit ihm auseinanderzusetzen, was ich nachher tun möchte, als mit Herrn Bundeskanzler Brandt, der ja nicht gerade ein Meister präziser Formulierungen ist. Da gefallen Sie mir besser. Dieses Kompliment muß ich Ihnen, Herr Wehner, machen. Da wissen wir eher, woran wir sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man hört heute allenthalben einen Appell zur Gemeinsamkeit in der deutschen Frage, nachdem der Karren gründlich verfahren ist. Wir aber haben noch das Wort von Herrn Wehner bei Abstimmungen vor diesen Verträgen im Ohr, von denen wir heute reden: „Wir brauchen die Opposition nicht." Jetzt brauchen Sie die Opposition doch! Aber wir sind bereit, uns diesem Ruf nicht zu entziehen. Wir werden mit dazu beitragen, aus diesen Verträgen, die wir nach wie vor für keine guten Verträge halten, noch das Beste zu machen.
Wir hätten heute überhaupt gerne wenigstens zum Begriff der Nation etwas gehört. Es mag einen Grund mit dafür geben, daß die Materialien nicht vorgelegt werden, weil man hört, daß an diesem Begriff erneut herummanipuliert werde. Wir sind ohnehin mißtrauischer geworden, denn in der Regierungserklärung hat dieser Bundeskanzler schon einmal versucht, den Begriff der Nation umzumünzen in den Begriff der Kulturnation, in den Bereich der Gemeinsamkeit der Geschichte, der Sprache und der Allgemeinkultur. Dieser Kulturbegriff ist sicher eine schöne, wünschenswerte Sache, aber er ist unschärfer, nebuloser, wenngleich bequemer, und das wird der Hauptgrund sein, weswegen der Herr Bundeskanzler auf diesen Begriff ausgewichen ist.

(C ist die, die das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, wonach der Begriff als „Staatsnation" zu verstehen ist. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht: Wenn heute von der deutschen Nation gesprochen wird, die eine Klammer für Gesamtdeutschland sei, wie die Bundesregierung ja behauptet, ist dagegen dann nichts einzuwenden, wenn darunter ein Synonym für das „deutsche Staatsvolk" verstanden wird. Wir können es nicht deutlicher sagen. Ich möchte Ihnen hier erklären, daß wir Sie aus dieser Begrifflichkeit und aus diesem Verständnis nicht entlassen werden. (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie werden sogar den Krieg noch gewinnen!)

— Herr Wehner, ich bin gerade bei Ihnen. Erregen
Sie sich nicht zu früh, denn Sie werden bei den
kommenden Ausführungen noch Grund dazu haben.
Eines haben wir neu gehört von Ihnen: nämlich das Bekenntnis zum Bundesverfassungsgericht — in den letzten Wochen haben wir dazu nämlich etwas ganz anderes gehört —; auch der Herr Bundeskanzler hat sich dazu bekannt, allerdings mit Formulierungen, die zu Mißtrauen erneut Anlaß geben. Er meinte nämlich, das Bundesverfassungsgericht treibe keine Politik; es lege das Grundgesetz aus. Das stimmt. Aber: die politischen Aktionen dieser Bundesregierung müssen sich an der Verfassungsmäßigkeit, d. h. am Grundgesetz, messen lassen, und darüber urteilt letztlich das Bundesverfassungsgericht. Und wenn Sie in Konflikt kommen mit der Verfassung, dann auch über Ihre Politik.

(Abg. Wehner: Dann müssen Sie aber aufpassen, daß Sie nicht mit Herrn Carstens, mit seinem alten Buch über das Verfassungsgericht in Konflikt kommen!)

Es waren doch Mitglieder Ihrer Regierungskoalition, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag als ein Urteil schizophrener Verfassungsrichter, d. h. von Verrückten eigentlich, herabgewürdigt haben, ein Urteil über das die DDR eigentlich mit Recht verärgert sei. Die Frage lautet: Wieso haben Sie sich denn nicht deutlich dagegen ausgesprochen?!

(Zustimmung des Abg. Seiters.)

Sie haben sich heute von diesen Leuten nicht distanziert, und Sie messen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ja allenfalls eine rein interne Bedeutung bei.

(Abg. Dr. Becher [Pullach] : Sehr gut!)

Das Bundesverfassungsgericht hat verbindlich festgelegt, welches der Inhalt des Grundvertrages ist und wie Sie ihn auch gegenüber dem Vertragspartner, gegenüber der DDR vertreten müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Ich habe ja gesagt: Sie werden den Krieg noch gewinnen!)

— Ihre Reaktion, Herr Wehner, bestärkt mich in der Überzeugung, daß diese Meldungen in der Presse durchaus zutrafen, die über gewisse Äußerungen von prominenten Politikern Ihrer Regierungskoalition



Dr. Abelein
berichteten und die mich das Verhältnis von Ihnen, der SPD und der Regierung zum Bundesverfassungsgericht etwa mit dem des Götz von Berlichingen zum Deutschen Kaiser vergleichen lassen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Jenninger: So ist das! — Abg. Wehner: Sie sind schon einmal reingefallen, und mein Name hat dabei keine Rolle gespielt!)

Sie haben sich heute in einer merkwürdigen Anwandlung auf den Boden der Jurisprudenz begeben.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das war interessant!)

Ich habe Ihre Ausführungen über den Rechtsstaat und über die soziale Marktwirtschaft gelesen, und ich sage Ihnen, hier handelt es sich — auch im Kontext Ihrer Äußerungen — um eine höchst gefährliche Sache.

(Abg. Wehner: Na, sehen Sie, man muß den einsperren! Das ist richtig!)

Und ich frage weiter: Wohin gedenken Sie die Bundesrepublik denn überhaupt noch zu führen!? Der Rechtsstaat ist die Verkörperung dieser Grundsätze: der Gewaltenteilung, der Grundrechte als Schutz gegenüber dem Staat, des Rechtsschutzes. Er ist das Ergebnis einer großen Tradition — letztlich das Ergebnis einer bedeutenden liberalen Bewegung.

(Abg. Wehner: Ha!)

Was mich noch viel mehr wundert als die Äußerung von Herrn Wehner, von dem ich ja gar nichts anderes erwarte, ist das Ausbleiben des Aufschreis der Liberalen, wenn Herr Wehner in ihrem Erbe fleddert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich frage mich: Verstehen Sie sich denn überhaupt noch als liberale Partei!?

(Abg. Dr. Jenninger: Leichenfledderer!)

Sie, Herr Wehner, haben heute auch eine merkwürdige Theorie über die Verfassungsinterpretation aufgestellt: Nicht nur jene, sondern auch diese und alle Parteien können hier ihre Verfassungsinterpretation vornehmen. Die Verfassung ist jedoch der Inbegriff der gemeinsamen Rechtsregeln, der gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Bürger dieses Staates. Um in Ihrem Stil zu reden, möchte ich es Ihnen noch deutlicher machen: Das Grundgesetz ist kein Wurstkessel, in dem jeder, der daherkommt, herumrühren,

(Abg. Wehner: Sie sind derjenige, der sich anheischig macht, allein etwas von der Verfassung zu verstehen, weil er Professor ist! Das ist alles!)

seine Zutaten — mehr oder weniger gut riechend — hineingießen und dann herausholen kann, was er will.

(Abg. Wehner: Das ist die Eitelkeit eines Akademikers und nichts anderes! Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Im Vergleich zu Ihrem Stil finde ich den meinen immer noch nobel.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gibt eine Interpretation des Grundgesetzes, die für uns alle gilt, unabhängig davon, ob sie uns angenehm ist oder nicht. Es gab auch Zeiten, wo sie uns selbst nicht immer angenehm war, aber wir haben uns vorbehaltlos zu diesen Interpretationen,

(Abg. Hansen: Daß ich nicht lache!)

verbindlich ausgesprochen von der maßgeblichen
Institution, dem Bundesverfassungsgericht, bekannt,

(Abg. Seiters: Wenn vom Grundgesetz die Rede ist, soll der Hansen lieber den Saal verlassen! — Abg. Nordlohne: Ausgerechnet Hansen!)

Die Bundesregierung hat in den zurückliegenden Jahren kräftig Illusionen über die Wirksamkeit der neuen Deutschland-Politik genährt. Der Grundlagenvertrag sollte der Ausgangspunkt für eine neue Situation sein. Ja, er sollte sogar ein Schritt zur Wiederherstellung der deutschen Einheit, zur Entkrampfung sein. Wurde denn die Atmosphäre gegenwärtig zwischen den beiden Regierungen entkrampft? Ich meine, sie war schon lange nicht mehr so verkrampft wie gegenwärtig.

(Abg. Jäger [Wangen] : Sehr wahr! — Zuruf von der SPD: Freut Sie das?)

Sicher gab es eine Reihe von Erleichterungen: Zahlen des Besucherverkehrs, Telefongespräche und dergleichen bringen Verbesserungen. Aber dafür haben Sie ja auch einen hohen Preis gezahlt.
Unsere Hauptkritik setzt bei dem ein, was Herr Carstens bereits heute früh erwähnt hat: diesem Vertrag, diesen ganzen Verhandlungen fehlt die Ausgewogenheit. Die eine Seite hat den Preis erhalten, und Sie stehen immer noch auf dem Boden der Erwartungen der endlich von der anderen Seite zu erbringenden Gegenleistungen.
Wie sehen denn die Realitäten aus? Die Gegenseite, die DDR — über deren Qualifizierung wir uns mit Ihnen völlig einig sind —, versucht die Verwandtenbesuche zu unterbinden. Ganze Betriebsbelegschaften werden zu Selbstverpflichtungen gezwungen, die es den Betriebsmitgliedern untersagen, die eigenen Verwandten aus Westdeutschland einzuladen oder ihnen auch nur zu schreiben. Rentner müssen, wie wir wissen, ihre Fahrkarten teilweise heute in der DDR bei der Polizei abholen. Ganze Berufsgruppen werden über einen Geheimnisträgererlaß davon abgehalten, von den Möglichkeiten der Reisen Gebrauch zu machen. Rentner werden noch Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Beruf in den Geheimnisträgererlaß einbegriffen. Die Restriktionen für die Ausreise in dringenden Familienangelegenheiten wurden schärfer. In den Lehrplänen der Schulen und Universitäten der DDR steht, daß die jungen Menschen zum Haß gegen die Menschen in der westdeutschen Bundesrepublik zu erziehen sind. Das gleiche trifft auf die DDR-Armee zu. Der Kampf gegen die Kirchen verschärft sich immer mehr. Der innerdeutsche Sportverkehr wird zum



Dr. Abelein
Hebel benutzt, um die Bindungen zwischen der Bundesrepublik und Berlin zu zerschneiden. Die Zahl der sogenannten Todesautomaten, d. h. der automatischen Selbstschußanlagen, wird nicht abgebaut, sondern laufend erhöht. Die Grenzwächter erhalten pro erschossenen Flüchtling eine Mordprämie. Zunehmend werden Einwohner im Grenzgebiet zu Spitzeldiensten für den Staatssicherheitsdienst und für die Grenztruppe der Nationalen Volksarmee gezwungen. Man hört von medizinischen Versuchen an politischen Häftlingen.

(Abg. Frau Berger [Berlin] : Da lacht der innerdeutsche Minister auch noch! Sie sollten sich schämen, Herr Minister!)

Über die Zwangsumtauschquote haben wir schon häufiger gesprochen. Die zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter stellt fest, daß die nach unserem Strafgesetzbuch strafbaren Handlungen, begangen von Behörden und öffentlichen Institutionen der DDR, sich im letzten Jahr zahlenmäßig verdoppelt haben. Das Jahr 1974 wurde mit einem Mord an der Berliner Mauer eingeleitet.
Das ist die traurige Bilanz eines Jahres innerdeutscher Beziehungen. Und was sagt Herr Bahr in seiner Bilanz für das Jahr 1973? „Die Koalition hat geschafft, was sie sich vorgenommen hat." — Eine makabre Behauptung.
Herr Franke meinte heute, anklagen nütze nichts, man müsse zäh verhandeln. Der Vorschlag, diese Dinge vor die UNO zu bringen, stelle keine Alternative dar. Die Bundesregierung lasse sich von dem Gesichtspunkt des Nutzens leiten. — Politischer Nutzen ist sicher eine wichtige Sache. Aber es gibt auch noch rechtliche Kategorien, auf die Sie leider nicht hingewiesen haben.
Lassen Sie mich nun noch auf das hinweisen, was wir in diesen Tagen besprochen haben. Sie sind gehalten, diese Dinge als eine klare Verletzung des Grundvertrages — wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat — der anderen Seite vorzuhalten, und das tun Sie letztlich nicht. Sie ergehen sich in allgemeinen politischen Erklärungen und Pressekonferenzen hier; aber Sie insistieren in den gegenwärtig laufenden Verhandlungen nicht mit dem notwendigen Nachdruck auf die Beseitigung dieser unmenschlichen Zustände.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Gaus, der neue Unterhändler, erklärt, daß man diese Dinge in den Verhandlungsrunden — es gebe da immer eine Reihe von Fällen — bespreche, wenn es einen Sinn habe. Aber er verstieg sich zu der unerhörten Äußerung:
Leider ist über einen Grenzzwischenfall, bei dem es Tote gegeben hat, nicht mehr viel zu verhandeln.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ach nee! Hört! Hört! Abg. Dr. Marx: Das ist ein Zynismus, den ich dem Gaus nie zugetraut hätte!)

Diese Dinge werden wir ohnehin zum Gegenstand
weiterer Aktionen machen; denn das zeigt die Einstellung dieser Bundesregierung und ihrer Unter- händler zu dieser unmenschlichen Situation.

(Abg. Dr. Marx: Das könnte ein Ausspruch von den Nazis sein!)

Ich frage Sie, Herr Minister: Wenn schon nach Ihrer Ansicht eine Anklage nicht mehr weiterhilft, wer soll denn diese Anklage über die Unmenschlichkeit in Deutschland und im anderen Teil Deutschlands überhaupt noch erheben,

(Abg. Dr. Marx: Sehr wahr!)

wenn nicht wir, wenn nicht diese Bundesregierung?

(Abg. Dr. Wallmann: Sehr richtig!)

Ich erkläre hier mit Nachdruck: Wir klagen an! (Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist der eigentliche Grund, weswegen wir den Vorschlag gemacht haben, die Bundesregierung möge diese Verletzungen des Grundvertrages, des von ihr abgeschlossenen Vertrages, in den gegenwärtigen Verhandlungen mit Nachdruck zur Sprache bringen und darauf dringen, daß das abgestellt wird. Das ist auch der Grund dafür, daß die Bundesregierung in der UNO diese Situation, die in eindeutiger Weise gegen die Menschenrechte verstößt, darlegt und dort darauf dringt, daß mit den Möglichkeiten, die diese Organisation hat, Abhilfe geschaffen wird. Denn die Praktiken der DDR verstoßen gegen die Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO niedergelegt sind: gegen das Recht auf Leben und Freiheit, gegen das Recht auf Freizügigkeit, gegen das Recht auf Ehe unabhängig von der Staatsangehörigkeit, gegen das Recht auf Freiheit vor willkürlichen Eingriffen in das Privatleben, gegen das Recht auf Schutz vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.
Deswegen fordern wir ,die Bundesregierung auf, im Rahmen der UNO dafür Sorge zu tragen, daß die Möglichkeiten genutzt werden, die sich aus der Satzung der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 ergeben, um die DDR zu veranlassen, die permanente Verletzung der Menschenrechte zu beenden. Außerdem regen wir an, daß im Rahmen der Verhandlungen über ein kollektives europäisches Sicherheitssystem diese der Entspannung entgegenstehenden Zustände zur Sprache kommen. Zu diesem Zweck haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, dem zuzustimmen ich alle Mitglieder dieses Hauses bitte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707643700
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0707643800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Bildungsrunde hier nicht noch einmal eröffnen. Nur bedarf das, was der Kollege Abelein zur Frage der Berufsbildung gesagt



Bundesminister Dr. von Dohnanyi
hat, ein für allemal einer grundsätzlichen Widerlegung.

(Abg. Jäger [Wangen] : Das hat gesessen! — Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt denn das: „ein für allemal"?)

Im Jahre 1960 forderten die Arbeitsminister und Senatoren für Arbeit der Länder einstimmig die damalige Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur beruflichen Bildung vorzulegen. Im Jahre 1962, Herr Kollege Abelein ich sage das nur, damit Ihnen die Historie, an der Sie doch wohl interessiert sind, vielleicht einmal eingeht , forderte dieses Parlament die Bundesregierung einstimmig auf, ein Berufsbildungsgesetz vorzulegen. Im Jahre 1964 gab es eine Große Anfrage der SPD in diesem Hause, in der danach gefragt wurde, wo denn nun das Berufsbildungsgesetz bleibe. Die Antwort der Bundesregierung lautete, „angesichts der unerhörten Schwierigkeiten der Materie" sei die Vorlage eines entsprechenden Entwurfs bisher noch nicht möglich gewesen. Das war zwei Jahre nach dem einstimmigen Beschluß dieses Hauses, innerhalb einiger Monate ein Gesetz vorzulegen.

(Abg. Nordlohne: Was hat denn die SPD vorgelegt? Was hat die SPD an Gesetzesvorlagen gebracht?)

Zur Vorlage kam es dann im Herbst 1966. Es bedurfte einer Großen Koalition im Jahre 1969, um einen Gesetzentwurf zu verwirklichen. Das ist eine Periode von fast zehn Jahren.
Im Jahre 1965 stellte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten fest:
Im heutigen Ausbildungsstand der Erwerbstätigen zeigt sich das Ergebnis von kulturpolitischen Entscheidungen, die vor Jahrzehnten getroffen wurden.
Wer war denn das, Herr Kollege Abelein? Vielleicht sollte man, um das zu verstehen, zitieren, was der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard in seiner Regierungserklärung am 19. Oktober 1963 gesagt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren:
Ich erinnere nur an unser Berufsausbildungssystem, das als mustergültig bezeichnet werden kann.

(Abg. Pfeifer: Das war es zu der Zeit auch!)

Im Jahre 1964 hieß es dann in einer Rede des damaligen Bundeswirtschaftsministers Schmücker ebenfalls hier im Hause: Das gewerbliche Ausbildungswesen in Deutschland ist vorbildlich.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707643900
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller (Berlin)?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0707644000
Ja, bitte, Herr Kollege!

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0707644100
Herr Bundesminister, können Sie ,dem Hohen Hause mitteilen, inwieweit die Bundesregierung die Möglichkeiten, die damals nach Inkrafttreten des von der Großen Koalition verabschiedeten Berufsbildungsgesetzes bestanden, ausgeschöpft hat?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0707644200
Oh ja, ich will das gerne tun. Da war es z. B. vorgegeben, neue Ausbildungsordnungen zu schaffen. In den Jahren seit 1970 sind für 500 000 von den 1,3 Millionen Auszubildenden neue Ausbildungsordnungen geschrieben worden. Wir haben erst einmal angefangen, das auszumisten — wenn ich das einmal so von dieser Stelle sagen darf —, was Sie uns in dieser Beziehung hinterlassen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Nordlohne: Mal nicht so überheblich!)

Dies hat damals mein Kollege Arendt begonnen. Wir haben im November 1970 auch ein Aktionsprogramm für die berufliche Bildung hier in diesem Hause zur Diskussion gestellt und wichtige Teile davon verwirklicht.

(Abg. Müller [Berlin] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage.)

-- Bitte sehr, Herr Kollege Müller!

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0707644300
Was ist aus diesem Aktionsprogramm geworden? Was ist daraus verwirklicht worden? Was ist aus dem Institut für berufliche Bildung geworden?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0707644400
Das Institut für berufliche Bildung, das 1969 auf Grund des neuen Gesetzes geschaffen wurde, hat heute nahezu 200 Mitarbeiter.

(Abg. Müller [Berlin]: Das ist aber alles!)

Es hat begonnen, die schwierige Aufgabe der Neufassung von Ausbildungsordnungen anzupacken. Sie können uns doch nicht immer für die Dinge verantwortlich machen, die über zwei Jahrzehnte nicht geschehen sind, und dann heute sagen, wir hätten das Problem auch noch erfunden, das Sie hinterlassen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Abelein, ich möchte noch eine Bemerkung zu Ihren allgemeinen Ausführungen machen. Sie haben hier von einer „merkwürdigen Verfassungsauffassung" gesprochen, als es darum ging, das Grundgesetz auch zu interpretieren. Ich halte Ihre Feststellung, daß es immer nur eine Interpretation der Verfassung gäbe, für rechtlich falsch. Nicht ohne Grund gibt es beim Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit von Minderheitsvoten, von der auch Gebrauch gemacht wird. Das zeigt, daß es auch in wichtigen Fragen der Verfassung unterschiedliche Auffassungen geben kann. Es gibt zwar am Ende immer eine rechtsgültige Interpretation,

(Abg. Dr. Abelein: Eine verbindliche Interpretation!)

— Eine in Rechtsfragen verbindliche Interpretation!
Aber in der politischen Interpretation des Grund-



Bundesminister Dr. von Dohnanyi
gesetzes bedarf es einer Dynamik, damit man das Grundgesetz wirklich ausschöpfen kann. Wenn wir uns an das halten würden, was vor 10 oder 15 Jahren als die einzig mögliche Interpretation des Grundgesetzes verstanden worden ist, dann würden wir auch in den sozialen Fragen in der Zeit vor 10 oder 15 Jahren stehengeblieben sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707644500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0707644600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister von Dohnanyi hat hier gesagt, er wolle in diesem Haus nicht eine neue Runde in der Bildungsdebatte eröffnen. An sich ist diese Absicht auch bei uns vorhanden. Ich meine aber, einige der Äußerungen, die er sowohl in seiner ersten als auch in seiner zweiten Rede hier gemacht hat, können nicht unwidersprochen bleiben.
Ich möchte mich zunächst dem Problemkreis der beruflichen Bildung zuwenden. Herr Bundesminister, Sie haben die Zeit von 1960 bis 1969 angesprochen und dabei den damaligen Bundeskanzler zitiert, der im Jahre 1963 erklärt hat, daß wir ein mustergültiges Berufsbildungssystem hätten. Ich möchte hier zunächst einmal feststellen: Für das Jahr 1963 war dies eine durchaus zutreffende Feststellung. Denn nennen Sie mir ein Land, das im Jahre 1963 ein Berufsbildungssystem gehabt hätte, welches sich mit dem, das wir damals in der Bundesrepublik Deutschland gehabt haben, hätte vergleichen können!

(Beifall bei der CDU/CSU.) Das ist das eine.

Dann das zweite. Es ist einfach nicht richtig, wenn Sie sagen, daß gewissermaßen die ganzen 60er Jahre hindurch auf diesem Gebiet nichts geschehen sei. Sehen Sie sich einmal die Leistungen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz — um nur einige Länder zu nennen — an, und vergleichen Sie dies einmal mit dem, was in anderen Ländern geschehen ist! Da kann es doch überhaupt gar nicht bestritten werden, daß in diesen Ländern die berufliche Bildung immer Vorrang gehabt hat. Bereits im Jahre 1965 haben Landesregierungen der CDU Reformpläne für das berufliche Bildungswesen insgesamt vorgelegt, die damals von allen Betroffenen als eine richtige Zukunftsperspektive angesehen worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dann möchte ich allgemein folgendes sagen. Wir hatten im Jahre 1969, als diese Regierung mit ihrer Arbeit begann, für die Bildungspolitik insgesamt in diesem Land eine hervorragende Situation. Denn damals war in diesem Parlament unbestritten, daß Bildung und Ausbildung an der Spitze der Reformen zu stehen haben. Damals war in der Bevölkerung Bereitschaft vorhanden, auch für das Bildungswesen zusätzliche Opfer zu investieren.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Aber was ist dann geschehen? Dann sind die Steuern erhöht worden, aber die Schulen und Hochschulen haben keinen Pfennig davon gesehen. Die Opferbereitschaft der Bevölkerung hat man durch Reformpläne konterkariert, denen jede finanzielle und personelle Absicherung gefehlt hat. Weiter hat man eine fruchtlose Diskussion über das beste Bildungswesen der Jahre 1990 und 2000 geführt, statt die Probleme, die in den Jahren 1973, 1974 und 1975 den Menschen auf den Nägeln brennen, anzugehen und zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707644700
Herr Abgeordneter Pfeifer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID0707644800
Herr Kollege Pfeifer, Ihr Kollege Abelein hat vorhin als Kriterium für die derzeitige Situation in der Bildungspolitik auf das hingewiesen, was heute in Bonn auf den Straßen los gewesen sei. Würden Sie mir freundlicherweise erklären, inwieweit das ein Kriterium für Ihre Beschreibung einer hervorragenden bildungspolitischen Situation gewesen ist, was 1968 auf den Straßen los gewesen ist?
'Pfeifer (CDU/CSU) : Ich komme darauf gleich noch zurück, auch auf die heutige Demonstration. Was mir an dieser Demonstration am allerwenigsten gefallen hat, ist folgendes: Solange demokratische Studentenorganisationen auf die Mißstände in der Ausbildungsförderung hingewiesen haben, hat diese Regierung nichts getan; aber jetzt, wo diese von einem antidemokratischen Verband veranstaltete Protestdemonstration in Bonn stattfindet, legt man auf einmal Konzepte auf den Tisch.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

So kann man es in meinen Augen beim besten Willen nicht machen.
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt noch einmal auf den soeben angesprochenen Punkt zurück. Statt zu handeln, hat diese Bundesregierung Pläne vorgelegt, die personell und finanziell nicht abgesichert gewesen sind. Wir haben bei der Vorlage des Bildungsberichts der Bundesregierung hier im Parlament verlangt, daß endlich auch in der Bildungspolitik Prioritäten gesetzt werden. Wir haben in unserer Prioritätenliste vier Punkte an den Anfang gestellt, nämlich die Verbesserung der vorschulischen Erziehung, des Kindergartenwesens, die Reform und Verbesserung der beruflichen Bildung, die Verminderung des Lehrermangels und die Entschärfung des Numerus clausus.
Wir haben dann in der letzten Legislaturperiode hier ein Sofortprogramm zur Reform der beruflichen Bildung präsentiert, das nicht etwa nur die Zustimmung draußen in den Ländern, sondern auch die des Deutschen Gewerkschaftsbundes gefunden hat.
Das alles waren konkrete Handlungskonzepte zu einer Zeit, wo von dieser Regierung nur Pläne entwickelt worden sind. Hier wäre die Chance zum Handeln gewesen. Diese Chance ist im Grunde ge-



Pfeifer
nommen versäumt worden. Das ist das, was Herr Abelein hier gemeint hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das war aber eine lange Erklärung!)

Meine Damen und Herren, ich möchte dann noch mit einigen wenigen Sätzen auch einmal auf das Thema Ausbildungsförderung eingehen. Es ist doch einfach nicht zu bestreiten, daß die Westdeutsche Rektorenkonferenz festgestellt hat, daß die Ausbildungsförderung in immer größerem Abstand hinter den steigenden Preisen und Lebenshaltungskosten herhinkt. Es ist nicht zu bestreiten, daß das Deutsche Studentenwerk ermittelt hat, daß sich der Fehlbetrag in der Ausbildungsförderung der Studierenden zwischen dem Bedarfssatz und den tatsächlichen Studienkosten auf monatlich 240 DM — 240 DM! — erhöht hat.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Es ist nicht zu bestreiten, daß im Wintersemester 1973/74 50 % der förderungsberechtigten Studenten um 100 bis 150 DM weniger Förderung erhalten als vorher. Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Regierung zwar auf der einen Seite — da sind wir mit ihr einig — eine Verkürzung der Studienzeiten anstrebt, aber auf der anderen Seite heute immer mehr Studenten und vor allem immer mehr Studenten aus Arbeiterfamilien und aus sozial schwächer gestellten Familien in einem Maße zum zusätzlichen Zuerwerb gezwungen werden, wie es das zu unserer Regierungszeit, jedenfalls am Ende der 60er Jahre mit Sicherheit nicht mehr gegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Obwohl wir das ein ganzes Jahr im Parlament immer wieder vorgetragen haben, ist diese Regierung nicht fähig gewesen, zur Verbesserung der Ausbildungsförderung eine konkrete Initiative zu entwickeln. Erst jetzt, wo der VDS eine Demonstration veranstaltet, nimmt man sich dieser Sache an, wobei man Investitionsmittel aus dem Hochschulbereich verwendet, um Inflationsschäden bei der Ausbildungsförderung auszugleichen. Das hat doch zur Folge, daß damit die Studienchancen der Abiturienten — das sind doch auch wieder in einem nicht geringen Umfang Arbeiterkinder oder Kinder aus sozial schwächer gestellten Familien — morgen wieder benachteiligt sind, weil jede Reduzierung der Hochschulbaumittel zur Konsequenz hat, daß sich der Numerus clausus in diesem Land weiter verschärfen wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Wenn Sie das alles zusammen nehmen — wir werden darüber noch ausführlich bei der Debatte über den Bildungsgesamtplan in diesem Parlament zu diskutieren haben —, kann man doch hier nicht davon sprechen, daß das eine fortschrittliche Bildungspolitik ist. Was ist denn fortschrittliche Bildungspolitik? Fortschrittliche Bildungspolitik ist doch nichts anderes, als daß eben die Auszubildenden, die Schüler, die nachfolgenden Generationen eine Verbesserung ihrer Zukunftschancen erfahren.
Die haben sich unter dieser Regierung wahrhaftig
nicht verbessert, sie haben sich eher verschlechtert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich will es bei diesen wenigen Bemerkungen bewenden lassen. Ich möchte abschließend feststellen: Wenn Sie schon im Rahmen der Debatte über die Lage der Nation eine Diskussion über die Bildungspolitik angefangen haben, dann haben wir allen Grund, festzustellen, daß es an der Zeit wäre, daß in diesem Lande eine bessere Bildungspolitik gemacht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Abgeordnete Wüster.


Kurt Wüster (SPD):
Rede ID: ID0707644900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Professor Dr. Abelein behauptet, daß Bildung und Ausbildung in der sozialliberalen Koalition in der Wertskala an Rang verloren habe. Ich muß doch feststellen, er hat gar nicht zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung am 20. Dezember 1973 den Bildungsgesamtplan vorgelegt hat, ein Werk, das doch tatsächlich von epochaler Bedeutung ist und das unsere Bildungspolitik konkretisiert. Damit wird ein Budget bis weit in die 80er Jahre hinein vorgelegt.
Wenn der Kollege Professor Dr. Abelein davon spricht, daß die sozialliberale Koalition die elitäre Bildung gefördert habe, dann muß ich ihn doch fragen: Wer hat denn immer darauf bestanden, daß das dreiklassige Schulrecht erhalten bleibt? Wer will denn nicht die Gesamtschule einführen?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Pfeifer bemüht sich doch um Vergangenheitsbewältigung. Damit kommen wir nicht weiter.

(Abg. Pfeifer: Wer hat denn angefangen? — Abg. Nordlohne: Das waren die Antworten, die notwendig waren, auf die Ausführungen des Ministers!)

Wir sollten konstruktiv in die Zukunft hineinschauen. Ich darf noch einmal ganz klipp und klar feststellen: Bildung und Ausbildung haben seit Begründung der sozialliberalen Koalition einen sehr hohen Rang. Sie stehen an der Spitze und werden an der Spitze der Reformen bleiben. Das hat der Bundeskanzler heute morgen doch wieder ganz klar betont. Für uns kommt es darauf an, meine Damen und Herren, die Fehlentwicklungen nach dem Kriege zu überwinden, um international auch wieder den Anschluß an ein modernes und an ein leistungsfähiges Bildungssystem zu erreichen.

(Abg. Dr. Jenninger, Das sieht man am Numerus clausus!)

Und dabei sollte man nicht außer acht lassen, daß
Bildungspolitik in unserer Bundesrepublik nach dem
Grundgesetz ja nun auch Ländersache ist. Das muß
man immer wieder beachten, wenn man über Bildungspolitik spricht. Erst im Jahre 1969, meine sehr
verehrten Damen und Herren, haben wir durch den
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24.. Januar 1974 4867
Wüster
Art. 91 b GG gewisse Kompetenzen bekommen, und Bund und Länder haben sich dann recht schnell geeinigt. Bereits im Verwaltungsabkommen vom 25. Juni 1970 haben wir die Errichtung einer gemeinsamen Kommission beschlossen. Ihr Auftrag war die Schaffung eines Rahmenplanes, einer abgestimmten Entwicklung des gesamten Bildungswesens in der Bundesrepublik. Ich kann es mir deshalb hier und heute auch ersparen, auf den Inhalt näher einzugehen, Auf Grund langjähriger Erfahrung halte ich es jedoch für erforderlich, das Hohe Haus auf den besonderen Rang dieses Bildungspolitischen Gesamtplans nachdrücklich hinzuweisen. Damit wir die zukünftige Beratung auch intensiv führen können, müssen wir uns mit diesem Plan beschäftigen, und wir dürfen nicht darüber lamentieren, daß Bildungspolitik in der Öffentlichkeit manchmal schlecht ankommt, wenn wir hier im Parlament nicht darüber reden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es war doch Willy Brandt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der sich schon 1964 — das muß man immer wieder hervorheben — für einen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgestimmten Bildungsplan eingesetzt hat.
Trotz der offenkundigen Fehlentwicklung im deutschen Bildungswesen ist die SPD bei den damaligen Mehrheitsverhältnissen mit ihrer Initiative leider nicht durchgedrungen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden heute für unsere damalige Situation sicherlich Verständnis haben. Der Art. 91 b aber bescherte uns einen schmalen Weg gemeinsamer Planung zwischen Bund und Ländern, und damit begann doch erst für die Bundesrepublik die Zeit der gesamtstaatlichen Bildungsplanung in der Form des kooperativen Föderalismus. Das müssen wir hier ganz klar sehen. Und dieser kooperative Föderalismus wird uns auch weiterbringen. Ein Erfolg ist es doch, daß im Laufe der über dreijährigen Beratungen in den Spannungsfeldern zwischen Bund und Ländern die Bedeutung dieses gemeinsamen Planes wirklich erkannt worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Differenzen in einigen Grundsatzfragen sind allerdings nicht zu übersehen. Sie drücken sich aus in den Minderheitsvoten der CDU/CSU-regierten Länder, etwa in der organisatorischen Zuordnung der Schulformen für die Orientierungsstufe wie auch in der Einführung der Gesamtschule oder der Lehrerbildung. Aber im Interesse einer einheitlichen und Chancengleichheit fördernden Entwicklung unseres Bildungswesens halte ich die von den Regierungschefs gewünschte Verringerung dieser Differenzen für vordringlich. Darauf sollten wir alle einwirken und hinwirken.

(Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Hessen!)

Der Bundestag und die Parlamente der Länder müssen jedoch auch selbst ihren Beitrag zur Vervollkommnung und auch zur Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes leisten. Wir sollten uns dieser Aufgabe deshalb auch recht bald unterziehen. Eine zügige Beratung erscheint mir daher notwendig.
Ich darf noch einmal auf den Tätigkeitsbericht zurückkommen. Hier erscheint hinter der Teilziffer 113 nichts anderes als die Neufassung des Berufsbildungsgesetzes — das sind die sogenannten Markierungspunkte —, und diese Reform ist eine der vier wichtigsten, die wir uns in dieser Legislaturperiode zur Erledigung vorgenommen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Unmut, meine sehr verehrten Damen und Herren, über die bisherige Berufsausbildung liegt im überholten System der Erstausbildung, das in großem Umfange Fehlausbildungen hervorgerufen hat. Es beruht nicht auf den Erkenntnissen einer moderner Berufsausbildungsforschung, sondern ist das Ergebnis einer falsch verstandenen Selbstverwaltung der Wirtschaft.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die rund 1,5 Millionen Auszubildenden und Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag vermögen dabei die Öffentlichkeit nicht annähernd so zu alarmieren wie die viel geringere Zahl der Studenten. Das wird jetzt anders, meine Damen und Herren!

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die vom Kabinett am 15. November 1973 beschlossenen Markierungspunkte. Sie sind die Grundlage für die Neufassung des Berufsbildungsgesetzes und kennzeichnen darüber hinaus die Schwerpunkte der Berufsbildungspolitik. Ihre eindeutigen Aussagen und die konkreten Festlegungen stellen nach meiner Meinung eine geeignete Grundlage dar für die weiteren Planungen. In den Markierungspunkten wird die Bedeutung der Lernorte, also auch der Betriebe, für eine qualifizierte Ausbildung herausgestellt. Wer hier von Verschulung oder gar Verstaatlichung der Berufsausbildung spricht, ist entweder völlig falsch informiert oder neidet uns diese Erfolge und will sie uns durch Verunglimpfung streitig machen.

(Beifall 'bei der SPD.)

Nichts anderes als die öffentliche Verantwortung für die berufliche Bildung soll verstärkt werden. Deshalb werden die Eignungsfeststellung von Ausbildungsstätten, die sogenannte Akkreditierung, und die Kontrolle auf Behörden sowie die Durchführung der Prüfung paritätisch besetzten staatlichen Prüfungsausschüssen übertragen. Das Bundesamt für Berufsbildung wird alle Verwaltungs-, Forschungs- und auch Entwicklungsaufgaben des Bundes zusammenfassen. Das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin wird in dieses Bundesamt eingegliedert. Im Interesse der Gleichbehandlung und des Abbaus von Chancenungleichheiten, die wir immer wieder betonen und herausstellen, wird die gesamte berufliche Bildung nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet.
Strukturelle Verbesserungen sind insbesondere für die Gestaltung auch der Ausbildungsordnungen vorgesehen. Auch die Jugendlichen ohne Ausbildungsverhältnis werden berücksichtigt, und die Fortbildungsberufe und das Prüfungswesen werden nicht zu kurz kommen. Wir bitten nun den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, die Modernisie-



Wüster
rung der Ausbildungsordnungen mit besonderem Nachdruck voranzutreiben. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß mit elf weiteren Ausbildungsordnungen für rund 340 000 Auszubildende, seit 1971 für insgesamt 520 000 Jugendliche die Berufsausbildung jetzt nach modernen Gesichtspunkten neu geregelt wird. Nur wer weiß, daß die meisten Ausbildungsverordnungen 20 bis 30 Jahre lang nicht überarbeitet worden sind, wird diese Tatsache zu würdigen und auch zu schätzen wissen. Das gilt insbesondere auch für die Abstimmung von Ausbildungsordnungen und schulischen Rahmenlehrplänen.
Zum allerersten Mal werden gegenwärtig diese Pläne von Bund und Ländern gemeinsam aufeinander abgestimmt. Wenn das kein Erfolg ist, dann weiß ich es nicht!

(Beifall bei der SPD.)

ich kann nur nachdrücklich feststellen, daß wir diese Abstimmungsarbeiten, die sich auch auf das Berufsgrundbildungsjahr beziehen, für dringend erforderlich halten und einen zügigen Fortgang der Arbeiten erwarten.
Wir begrüßen ebenso die Verabschiedung der Richtlinien für die Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten durch das Bundeskabinett am 19. September des vergangenen Jahres. Durch diese Förderung wird ein wichtiger Beitrag zur Ergänzung der betriebsbedingten unterschiedlichen Ausbildungsleistungen sowie auch zur Erweiterung des Ausbildungsangebotes in strukturschwachen Regionen geleistet. Die Entwicklungsarbeiten an einem Bedarfs- und Standortprogramm für ein flächendeckendes Ausbauprogramm sind ebenso angelaufen. Darüber sind wir froh.
Niemand sollte die zentrale Bedeutung der Neuordnung der Berufsbildung herabsetzen durch Hinweis etwa auf die heutigen Probleme in der Berufsschule. Wir kennen die manchmal leidvollen Verhältnisse ganz genau, besonders den Lehrermangel, der sich allerdings bei näherer Betrachtung als Frage des fächerspezifischen Bedarfs herausstellt. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung hat sich dieser Aufgabe auf Drängen des Bundes jetzt auch angenommen.
Die Ernsthaftigkeit, meine Damen und Herren, mit der wir die Reform unseres Bildungswesens betreiben, wird sich in dieser Legislaturperiode wesentlich am Gelingen der Berufsbildungsreform ausweisen.

(Beifall bei der SPD.)

Die sozialliberale Koalition hat mit den Markierungspunkten dazu, so meine ich, ein gutes und solides Fundament gelegt.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707645000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID0707645100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Sätze! Ich möchte auf die Problematik der beruflichen Bildung jetzt nicht eingehen, da wir in einiger Zeit darüber
sehr ausführlich zu sprechen haben werden. Ich glaube aber, daß einige Aussagen des Kollegen Pfeifer, weil sie unrealistisch waren oder Irrtümer beinhalteten, korrigiert werden müssen.

(Abg. Dr. Jenninger: Hoffentlich hat Ihnen der Minister das Richtige gesagt!)

— Wir stimmen uns in der politischen Arbeit zwar sehr häufig ab — das ist richtig —, so wie es auch Sie zwischen CDU und CSU öfter machen sollten, vielleicht zwischen Herrn Strauß und Herrn Blüm in der Frage der Mitbestimmung.
Wir haben für die Bildungspolitik von 1969 bis 1973 eine Steigerung der finanziellen Aufwendungen von 24 auf 46 Milliarden DM, also nahezu eine Verdoppelung. Ich weiß nicht, ob man da hergehen und sagen kann, das ist alles gar nichts.

(Abg. Dr. Meinecke [Hamburg] : Der hat keine Mengenlehre gelernt! — Abg. Pfeifer: Preissteigerungen!)

— Sie wollen doch nicht sagen, daß sich die Preise innerhalb der letzten vier Jahre verdoppelt haben. Das soll doch wohl kein sachliches Argument sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie stark haben sich die Baupreise erhöht? — Abg. Dr. Kliesing: Selbstverständlich haben sich die Baupreise verdoppelt!)

Nun zum Ausbildungsförderungsgesetz. Zweifellos war die heutige Demonstration, das darf ich feststellen, in ihrem Anliegen gerechtfertigt. Die Studenten haben recht, wenn sie darauf hinweisen, daß eine Ausbildungsförderung von maximal 420 DM zu niedrig ist. Aber genau dieser Erkenntnis entspricht die Bundesregierung, indem sie die Erhöhungen vornimmt, die Ihnen bekannt sind. Ich begrüße die Aussage des Bundesministers für Wissenschaft und werde ihn aktiv in den entsprechenden Ausschüssen unterstützen, wenn wir den entsprechenden Überblick in den Haushaltsberatungen haben, um noch mehr zu erreichen, soweit dies möglich ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707645200
Herr Abgeordneter Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0707645300
Herr Kollege Möllemann, würden Sie mir recht geben in der Annahme, daß noch vorgestern die vom Kabinett beschlossene Linie in der Ausbildungsförderung gewesen ist, im Jahre 1974 überhaupt nichts zu tun, und daß wir erst im Hinblick auf die heutigen Demonstrationen gestern erfahren haben, daß es möglicherweise eine Änderung gibt?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID0707645400
Das ist sachlich unzutreffend, Herr Kollege Pfeifer, was Sie sagen. Ich weiß auch gar nicht, wen es diskriminieren soll, wenn gesagt wird, man gehe auf Forderungen des VDS ein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Verbeugung vor dem VDS!)

Ich finde es nicht schlecht, wenn man das mal tut.
Man kann dann über den VDS vielleicht mal an an-



Möllemann
derer Stelle reden. Sie wissen wie ich — das haben Sie selbst erwähnt —, daß wir schon relativ häufig über mögliche Erhöhungen gesprochen haben und daß beide Koalitionsfraktionen seinerzeit immer wieder darauf hingewiesen haben, daß wir Erhöhungen vornehmen werden, wenn der Bericht vorliegt. Der Bericht liegt jetzt vor, jetzt sind die Haushaltsberatungen, und jetzt ist es dran; das ging nicht vorher. Wir können dem VDS, der diese Termine auch kennt, deswegen doch nicht verbieten, zu demonstrieren, Herr Kollege Pfeifer. Er wäre ja dumm, wenn er es nicht täte.
Zum Bundesausbildungsförderungsgesetz wären noch die absoluten Zahlen zu nennen. Es sind 1970 zirka 350 Millionen DM, 1973 zirka 1,8 Milliarden DM, 1974 zirka 2,1 Millarden DM. Ich weiß auch nicht, wie man dauernd davon reden kann, daß dies keine wirklichen eminenten Steigerungsraten wären. Wo bringen Sie denn Steigerungsraten bis zu 600 % zuwege? Sie kommen da wahrscheinlich wiederum mit entsprechenden Inflationsraten, 600 % vielleicht, wie es Ihnen in den Kram paßt.
Ein Argument ist allerdings ernst zu nehmen: Der absolute Betrag, der dem einzelnen zur Verfügung steht, könnte noch höher sein, wie ich mir eine ganze Reihe von finanziellen Leistungen vorstellen könnte, die noch höher sein könnten. Das ist das Problem, dem wir uns zu stellen haben. Aber soweit ich sehe, haben Sie auch noch nicht die Lösung des Problems gefunden, wie man mit einer ganz bestimmten Menge Geld die doppelten Leistungen finanzieren soll. Dies geht nun einmal nicht. Ich meine, die Steigerungsraten, die hier vorgesehen sind, sind einfach zu beachten.
Lassen Sie mich abschließend noch zu einem anderen Thema etwas sagen. Wenn Sie hier von Hochschulpolitik sprechen — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, Herr Kollege Pfeifer, sondern Vertreter Ihrer Fraktion, insbesondere Ihren Fraktionsvorsitzenden —, dann erschöpft sich das meistens darin, daß Ihr Fraktionsvorsitzender — ich nehme fast an: mangels Detailkenntnis —

(Beifall bei den Regierungsparteien)

einen plumpen Antikommunismus predigt und dies als Rezept für die Reform der Hochschulsituation hinstellen will. Das kann ganz sicher nicht funktionieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine dumme Unterstellung ist das!)

--- Herr Kollege, ich möchte mich im Intelligenzgrad jetzt nicht mit Ihnen messen; das würde vielleicht unentschieden ausgehen, vielleicht aber auch anders. Das lassen wir hier am besten.

(Abg. Dr. Jenninger: Jedenfalls besser wie Sie!)

--- „Als Sie" — wenn wir schon bei „dumm" sind. (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Sie haben hier zur Charakterisierung der Situation an den Hochschulen immer nur ein Beispiel: Frankfurt. Glauben Sie denn, daß einer von uns die Situation dort billigt oder als erstrebenswert hinstellt?
Davon kann keine Rede sein. Glauben denn Sie — Herr Kollege Probst, Sie sind gleich auch noch dran —, daß Sie mit dem reinen Propagieren Ihrer Kritik ohne sachliche Reformalternativen eine andere Situation herbeiführen können?

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist doch völlig unstrittig!)

Sie können natürlich diese Kritik üben. Das tun wir auch. Nur bemühen wir uns gleichzeitig — 'im Gegensatz zu Ihnen —, Reformbestrebungen durchzuführen — mit dem Hochschulrahmengesetz. Da aber gehen Sie nun hin — an der Spitze immer unser verehrter Herr Ausschußvorsitzender — und blockieren die ganzen Verhandlungen. Sie weigern sich, den Fortgang dadurch zu begünstigen, daß Sie ein Hearing so, wie es der Ausschuß mehrheitlich beschlossen hat, einberufen, und zwar deswegen, weil Sie nach einem eigentümlichen Demokratieverständnis Ihre Meinung absolut setzen und verlangen, dieser Ausschuß habe sich dem zu unterwerfen. Sie kennen sich darauf verlassen, daß wir das nicht tun werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte abschließen: Die Situation an den Hochschulen als Bestandteil der Lage der Nation ist heute zweifellos nicht ideal. Aber daß ausgerechnet Sie hingehen und sagen, dafür sei die eine oder andere Erscheinungsform symptomatisch, und dann Ihre eigenen Leistungen bis 1968 oder wann auch immer als mustergültig hinstellen — das muß ich noch einmal sagen —, ist völlig widersinnig. Ich habe in den Reihen der Studentenschaft die Jahre 1966 bis 1968 mitgemacht und gesehen, was ,da los war. Wenn Sie das als mustergültig bezeichnen, möchte ich nur sagen, daß wir eine andere Zielvorstellung für unsere Bildungspolitik haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707645500
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Lebt er noch?)


Prof. Egon Bahr (SPD):
Rede ID: ID0707645600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben am Vormittag eine Debatte erlebt, in der auch Sprecher der Opposition erklärt haben, daß Rückschläge im Westen und Rückschläge im Osten zu bedauern, aber jedenfalls nicht der Regierung anzulasten seien. Was kritisch gegenüber der DDR zu sagen war, ist gesagt worden — von der Opposition etwas deftiger als von der Koalition.

(Abg. Mertes [Gerolstein] : Das ist ja wohl normal!)

Heute abend haben wir etwas anderes erlebt. Es fing schon mit dem Vorwurf an, der Bundeskanzler habe herzlich wenig über die Lage der Nation gesagt.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Er hat jedenfalls viel mehr gesagt als der Oppositionsführer.
Aber nach Ihrer Rede, Herr Abelein, kann ich verstehen, daß Ihnen die Rede von Herrn Professor



Bundesminister Bahr
Carstens nicht gefallen hat und Sie Ihre Kritik an ihm in diese Form gekleidet haben.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist eine Unterstellung!)

Im übrigen ist weder die Aufforderung zur Gemeinsamkeit noch die Berufung auf die Kulturnation gekommen. Sie haben sich auf eine Rede vorbereitet, die von der Regierung nicht gehalten worden ist. Aber das ist nicht die erste falsche Einschätzung der Regierurng durch Sie. Ich sage das auch nur, weil hier deutlich wurde, wie genau und sorgfältig Herr Abelein seine Rede vorbereitet hat. Da gibt es keinen Zufall; das ist genau ausgearbeitet, diese Liste schrecklicher Tatsachen und Behauptungen über die grausame Wirklichkeit der Grenze und ihre Auswirkungen. Und dann kam der Satz:
Und was sagt Herr Bahr in seiner Bilanz für das Jahr 1973 zu allem?
— Zu allem! —
Die Koalition hat geschafft, was sie sich vorgenommen hatte.
Auf meine Frage an Herrn Abelein, woher dieses Zitat stamme, antwortete er: aus der „Zeit".
Ich habe das inzwischen geprüft und festgestellt: Ich habe wirklich einen langen Artikel über die Gesamtkonzeption der Osteuropapolitik der Koalition in den letzten vier Jahren geschrieben, über die Gesamtheit der einzelnen Verträge. Und dann kam der Satz, die Koalition habe insgesamt ihr Gesamtkonzept erfüllt in den vier Jahren, wie sie, die Koalition, es sich vorgenommen habe. Die Opposition hat zum Teil kritisiert, daß es zu schnell oder nicht schnell genug gewesen ist. Jedenfalls ist die Zusammenstellung dieser Aufzählung und dieses aus dem Zusammenhang gerissenen Zitats ein Stil, dem der Begriff der intellektuellen Redlichkeit fehlt. Mehr ist zu dieser Rede nicht zu sagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707645700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0707645800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Statt Stellung zu nehmen zu den Tatsachen, die die Opposition hier vorgetragen hat, hat der Herr Sonderminister Bahr eben etwas getan, was der Herr Bundeskanzler am Morgen abgelehnt hat. Er hat versucht, die Schwierigkeiten, die aus dem Zerfall der Ost-Euphorie für diese Regierung entstanden sind, durch Dialektik zu überbrücken. Der Herr Bundeskanzler hat es am Vormittag abgelehnt, sich mit Schwierigkeiten in dieser Form auseinanderzusetzen. Sie haben es aber eben hier praktiziert; das war für jeden erkennbar, der etwas von Dialektik versteht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Bahr versteht ja etwas davon! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ja, das ist „Sonder-Bahr"!

(Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren, im Jahre 1971 befaßte sich der Bericht zur Lage der Nation noch in einem umfangreichen Kapitel mit dem Teil der Nation, der die Folgen von Vertreibung und Flucht besonders zu tragen hat, mit denen — ich zitiere jetzt wörtlich den Bundeskanzler —, „die weiterhin den Schmerz um die Heimat" mit sich tragen und — wieder wörtlich — „deren Vertrauensmänner, frei von Haß, den Ausgleich mit den östlichen Nachbarn suchten". Ähnliche Aussagen wiederholte der Bundeskanzler in seinen Ansprachen in Warschau und Prag — bei dieser allerdings durch den Entspannungspartner erheblich gestört — in den Ätherwellen. Meine Damen und Herren, solche gefühlsbetonten Aussagen machen aber leider dann den Eindruck rührseliger Ablenkung, wenn sie nicht begleitet sind von einem fürsorglichen Handeln für die materielle Existenz, für die personalen Rechte, und wenn sie nicht begleitet sind von der Verwirklichung der versprochenen Leistungen zur Pflege ostdeutschen Geisteslebens.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Solidarität, Mitmenschlichkeit, wie sie in vielen programmierten Reden angepriesen werden, gebühren doch vor allem den Schwachen, den Bedrängten, den im Kern ihrer Rechte Verletzten. Zum zweitenmal aber gibt in ihrem Bericht die Bundesregierung zu diesen Fragen nur eine schweigende Antwort, und im Tätigkeitsbericht ist eine totale Fehlanzeige zu verzeichnen.
Soziale Leistungen für die Betroffenen: Seit 1969 lassen die sozialliberalen Regierungen alte Menschen aus diesen Kreisen ohne ausreichende Hilfe. Ein alleinstehender Vertriebener erhält heute an Unterhaltshilfe 348 DM im Monat, das Ehepaar rund 600 DM. Niemand in diesem Hause kann eine Rechnung darüber aufmachen, wie diese alleinstehenden Menschen auskommen sollen. Sie müssen mit 70 und 75 Jahren Gelegenheitsarbeit, Schwarzarbeit leisten, oder sie werden von der nachgewachsenen Generation erhalten, um bei der Inflation überleben zu können. Hier hilft nicht die Aussage des Herrn Bundesarbeitsministers von der „sozialen Geborgenheit" der Menschen in der Bundesrepublik. Diese Menschen sind sozial nicht geborgen. Die überfällige Anpassung der Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich an die Dynamisierungssätze der Renten wird nach dem Willen dieser Mehrheit erst im Juli 1975 vollzogen werden. Was geschieht aber bis dahin angesichts der wachsenden Lebenskosten? Meine Damen und Herren von der Koalition, mit innerer Scham haben Sie im Vermittlungsausschuß die gerechten Forderungen der sonst nicht gerade ausgabefreudigen Länder und die Anträge der Opposition für diese Menschen mit knapper Mehrheit niedergestimmt.

(Abg. Jäger [Wangen] : Hört! Hört!)

Seit 1969 gibt es auch keine Verbesserung der Leistungen für die Vermögensrechte trotz eines rapiden Abfalls der Kaufkraft bei den ausgezahlten Leistungen. Bei jeder früheren Regierung gab es zwei bis drei große Novellen zum Lastenausgleich; jetzt aber gibt es nur wortreiche Ankündigungen zur Verbes-



Dr. Czaja
serung der Lebensqualität und in der Praxis gar nichts.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Die Dezimierung der ehemals Selbständigen wird sogar aus den Statistiken gestrichen, denn sie darf dort nicht mehr in Erscheinung treten.
Und wie steht es denn um die Vertretung der Grundrechte der Ostdeutschen? In der Zeit der Entwicklung sogenannter normaler gutnachbarlicher Beziehungen hören Millionen Deutscher nichts, aber auch gar nichts von der Wiederherstellung ihrer persönlichen Eigentumsrechte in den Heimatgebieten, jener Rechte, die durch die völkerrechtswidrige Konfiskation aufs schwerste verletzt sind. Denn sowohl die Konfiskation zivilen Eigentums in jedem Besatzungsgebiet ist völkerrechtswidrig als auch darüber hinaus die entschädigungslose Konfiskation des Vermögens von Ausländern. Herr Moersch greift gern das jahrelange Fehlen diplomatischer Beziehungen an, das bedingt war durch die berechtigte Nichtpreisgabe der Rechte Deutschlands. Aber jetzt? Jetzt haben wir doch die gerühmte Normalisierung, und was geschieht? Die Bundesregierung antwortet zwar auf wiederholtes Befragen endlich, daß das zivile Vermögen deutscher Staatsangehöriger in Einheitswerten von 1945 mehr als 70 Milliarden DM in den Vertreibungsgebieten betrug — heute wäre das ein ziviles Vermögen von mindestens 250 Milliarden bis 300 Milliarden DM —, aber sie erklärt gleichzeitig, sie, die Bundesregierung beabsichtige nicht, gegen die Urheber der völkerrechtlichen Konfiskation Forderungen zu erheben.

(Abg. Jäger [Wangen] : Hört! Hört!)

Unzweifelhaft wird eine Unmasse von Schadenersatzforderungen wegen der Versagung des Schutzes für die Grundrechte aus Art. 14 für deutsche Staatsangehörige die Folge dieser eigenartigen Erklärung sein. Das Bundesverfassungsgericht hat doch verbindlich — ich muß Herrn Bundesminister von Dohnanyi darauf aufmerksam machen, daß natürlich tragende Gründe, wenn sie mit Mehrheit in einem Urteil enthalten sind, für alle Staats- und Verfassungsorgane verbindlich sind, und darum geht es — für alle Staatsorgane festgestellt, daß die aus den Grundrechten und der Staatsangehörigkeit abgeleitet grundrechtliche Schutzpflicht für Deutsche über die diplomatischen Vertretungen, in allen internationalen Gremien und bei Verhandlungen wirksam zur Geltung gebracht werden muß. Das um ein Wort des Bundeskanzlers vom Vormittag aufzugreifen — gebietet das Grundgesetz. Das heißt also nicht, daß man von vornherein demgegenüber resignieren soll oder resignieren darf. Dieser Schutz der Grundrechte für Deutsche betrifft den Kern unserer freiheitlichen Verfassungsordnung. Hier ist Raum dafür, sich „von niemandem in der Verfassungstreue übertreffen zu lassen", um wieder einen Satz vom Vormittag aufzugreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es sind nicht nur Eingriffe gegen diese Grundrechte zu unterlassen, vielmehr sind sie durch legales Handeln aktiv zu schützen. Man kann daher denjenigen, die millionenfach deutsche Grundrechte
brechen — Herr Minister Bahr, darauf kommt es jetzt ganz entscheidend an — oder sich weigern, sie wiederherzustellen, nicht zusätzliche MilliardenVorteile geben, solange die Grundrechte der Deutschen mißachtet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn die Verhandlungen die Wiederherstellung der Grundrechte nicht garantieren, darf eben finanziell Zusätzliches nicht geleistet werden. Was meinen Sie denn, was die Millionen von Eigentümern dieses 250 Milliarden DM umfassenden zivilen Vermögens, denen in der Präambel des Lastenausgleichs verbrieft wurde, daß die Wiederherstellung ihres Eigentums durch angenommene Eingliederungsleistungen aus dem Lastenausgleich nicht berührt werde, sagen werden — wie auch andere breite Schichten der deutschen Bevölkerung —, wenn sie hören, über welche tatsächlichen Höhen der gebundenen und ungebundenen Finanzhilfen, über welche Staatsbürgschaften, Waren- und Kooperationskredite nunmehr verhandelt wird? Vielleicht werden Sie auch einmal erfahren, was in den nichtöffentlichen Kabinettsverhandlungen entschieden wird — vielleicht über sonderbare neue Bahr-Papiere.

(Abg. Jäger [Wangen] : Sehr gut!)

So schreiben z. B. die „Süddeutsche Zeitung" und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" im Detail über eine ungebundene Finanzhilfe an Polen in Höhe von 1,7 Milliarden DM am Anfang der Verhandlungen und nicht, wie heute vormittag gesagt wurde, von 1 Milliarde DM — unter Bedingungen, die den Staat für die Laufzeit der Kredite die gleiche Summe kosten. Dazu aber, meine Damen und Herren, kommen Staatsbürgschaften in Höhe von 7 Milliarden DM für Warenkredite für die Volksrepublik Polen, die anfangs allerdings noch nichts kosten. 50 000 Aussiedler sollen dann vielleicht kommen, aber wir haben Namenslisten und Pflichten für mehr als 300 000 Aussiedlungsbewerber.

(Abg. Dr. Hupka: So ist es!)

Diese makabre Kopfquotenrechnung wäre ein Hebel, dann von uns das Sechsfache, also rund 10,5 Milliarden DM, an Finanzhilfe zu holen. Es ist aber auch ein Hebel für das Offnen der Schleusen zur zweiten Phase sowjetischer Westpolitik: Beseitigung der Lücken der Infrastruktur und des Know how im Osten mit Hilfe solcher Leistungen, Anbinden der deutschen Rohstoff- und Energieversorgung an den Osten, Stärkung hegemonialer Macht anderer.
Wie ist es mit den Bürgschaften?! Nicht umsonst sagt der Abgeordnete Ahlers von der SPD — er kommt gerade — in der „Wirtschaftswoche", daß so oder so verschleierte Reparationen noch immer zur Zerrüttung der Weltwirtschaft führten.

(Abg. Dr. Kliesing: Sehr gut!)

Auch der Westen, der in der Weimarer Zeit für Reparationsanleihen bürgte, hat damit seine Erfahrungen: wenn die Annuitäten für die verbürgten Anleihen in uferloser Höhe nicht mehr durch Leistungen aufgebracht werden können, fällt die Last auf den Bürgen zurück. Und viele Opfer von Krieg und Vertreibung fragen: Wie wird es dann eigent-



Dr. Czaja
lich mit unseren inneren sozialen Verhältnissen werden, wenn dies eintritt?
Wie ist es um den Stand der Aussiedlung bestellt? Als man sich bei den Ostverträgen in der Bundesregierung entschloß, gegen die Unrechtmäßigkeit der Annexion von einem Viertel Deutschlands keinen legalen und friedlichen Rechtsanspruch auf einen gerechten Ausgleich seitens der Bundesrepublik Deutschland ununterbrochen zu stellen oder diesbezüglich einen eindeutigen Rechtsvorbehalt zu machen, hat man uns mit der Familienzusammenführung getröstet, für die die Vertragsgrundlagen nunmehr eine freie Bahn schaffen. Wenn aber der Tätigkeitsbericht nunmehr von der „Klärung der Aussiedlungsprobleme" — so wörtlich — spricht, klingt das angesichts des absoluten Tiefstandes bei der Aussiedlung wie ein bitterer, makabrer Scherz.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

1973 kamen etwas über 6000 Aussiedler auf dem legalen und 2000 auf dem illegalen Weg, so wenig wie noch in keinem einzigen Jahr seit 1957.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

1971 waren es noch 25 000, im Jahre der Ratifizierung des Warschauer Vertrages, 1972, nur noch die Hälfte, 13 000. Dagegen kamen ohne Verträge nach einigen Weizenlieferungen 1957 100 000 Aussiedler aus den polnisch verwalteten Gebieten an Oder und Neiße, 1958 120 000 Aussiedler aus den Oder/ Neiße-Gebieten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707645900
Herr Abgeordneter
Czaja, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0707646000
Nach dem nächsten Satz! — Bis 1970 kamen 14 Jahre lang im Monatsdurchschnitt 2100 Aussiedler in die Bundesrepublik, 1973 aber im Monat nur noch ein Drittel davon, knapp über 700. Das ist ein niederschmetternder Beweis des Versagens dieser Verträge im humanen Bereich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bitte sehr.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0707646100
Herr Kollege Czaja, wollen Sie diesem Hause bitte freundlicherweise sagen, wie Sie mit Ihrer Politik Deutsche aus den Ostblockstaaten in die Bundesrepublik bekommen würden und wie Sie die Möglichkeiten der Ausreise schaffen würden?

(Zurufe von der CDU/CSU: Die sind ja gekommen!)


Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0707646200
Herr Kollege, ich habe es soeben gesagt. Sie haben nicht zugehört; ich wiederhole es daher, damit es noch einmal aktenkundig wird: Unter der CDU-Regierung waren es 1957 100 000 — während jetzt 8000 kommen —, 1958 120 000. In all den 14 Jahren bis 1970 kamen im Monatsdurchschnitt alles in allem auch in den
schwachen Jahren — 2100 Aussiedler, jetzt 700. Das ist die Antwort auf Ihre Frage.

(Zuruf von der SPD: Da sind jetzt nicht mehr so viel!)

Vor den Verträgen gab es übrigens auch keine Zwangsentlassungen und nicht so schwere Verfolgungen Ausreisewilliger wie heute. Diese Menschen
sprechen Sie mit ihnen! — fühlen sich von den Organen der Bundesregierung völlig verlassen drüben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Moersch zuckt dann die Schultern und sagt: Wir können nichts tun. Meine Damen und Herren, man nehme sich aber ein Beispiel an dem legalen Handeln des amerikanischen Senators Jackson für die Juden in der Sowjetunion. Er setzte es im Senat durch, daß keine hohen wirtschaftlichen Begünstigungen gegeben werden, ohne daß die Aussiedlung der Bewerber namhaft erhöht werde. Und siehe da, selbst während des Nahost-Konfliktes durften diese Sowjetbürger ausreisen.
Der Bundesaußenminister behauptete noch im Bulletin 1970 ich zitiere jetzt sinngemäß und fast wörtlich —: man hätte den Warschauer Vertrag nicht schließen können und nicht schließen dürfen, wenn nicht Beweise dagewesen wären, daß 'die humanen Bedingungen erfüllt werden. Bei der Ratifizierung erklärte man sogar den Abgeordneten, eine Nichterfüllung des Minimums humaner Verpflichtungen bedeute seitens des Vertragspartners eine arglistige Täuschung im Sinne des internationalen Vertragsrechts über die Vertragsgrundlagen und das habe schwere Folgen für den Bestand der Verträge.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Dem Vertragspartner gegenüber weist man aber heute nicht warnend auf diesen Tatbestand hin. Drei Jahre lang gab es nur Ausreden im Parlament. Im März 1971 erklärte man, von Schikanen sei nichts bekannt. Ein halbes Jahr später gab man Schikanen zu, verschob aber Auskünfte auf später und beschönigte ständig. Immer wieder verwies man auf weitere Gespräche, die dann ohne Ergebnis blieben. Dokumentationen wurden verweigert. Erst im September 1973 bestätigte man die großen Sorgen mit der Aussiedlung, bestätigte auch die Schutzpflicht für jeden einzelnen Deutschen. Trotzdem ist die Aussiedlung fast auf dem Nullpunkt. Nach den sonderbaren Entscheidungen über große Gebietsteile Deutschlands soll jetzt noch mit makabrem Kopfgeld ein neuer, ungesicherter Anfang versucht werden.
Im Hintergrund aber steht die Berufung auf eine deutsche Kollektivschuld und auf die Forderung des Ostblocks nach einem Straffrieden. Beliebt ist der Hinweis — einer der Autoren ist im Moment nicht da —, Hitler habe ja alles verspielt. Die furchtbaren Taten der Vergangenheit vieler einzelner Deutscher, aber nicht des Kollektivs, und die Fehler der Politik geben sicherlich eine sehr schwierige Ausgangslage für Verträge. Aber sie geben, wie Herr Allardt im „Moskauer Tagebuch" mit Recht sagt, keineswegs das Recht, die Legalisierung



Dr. Czaja
der Folge widerrechtlicher Landnahme zu Lasten Deutschlands und vieler Deutscher zu fordern oder gar noch zu vollziehen. Mit Recht sagt Allardt, daß man damit die bedeutendste Konzession, die der auch legalistisch denkende Ostblock seit drei Jahrzehnten fordert, völlig ohne Gegenleistung hingegeben hat.
Im übrigen bleibt auch das zu bedenken, was der Bundeskanzler in seinem 1970 herausgegebenen „Selbstportrait" auf Seite 183 — nach meinem Eindruck fast überscharf — wie folgt betont hat:
Die Sowjetunion hat hinter dem Schleier einer Friedenspolitik selbst mitgeholfen, den Großen Krieg in Gang zu setzen, und durch diese Politik ist sie ein Bundesgenosse des Nazismus geworden.
Und nun die neue Ordnung in der Entspannung! Was ist — ich frage den damaligen Bundesaußenminister und jetzigen Bundeskanzler eigentlich aus seinen am 2. Juli 1967 verkündeten „Grundvorstellungen einer europäischen Friedensordnung für die deutsche Nation" geworden? In der Aussprache über den Bericht zur Lage der Nation wird man das doch fragen dürfen. Darin war auch auf weite Sicht vom Schicksal der Ostdeutschen die Rede. Aber diese Grundvorstellungen sind leider ins Gegenteil verkehrt worden. Damals hieß es, es dürfe nicht alles bestätigt werden, was der zweite Weltkrieg für Deutschland und die Deutschen hinterlassen hat.

(Abg. Dr. Jenninger: „Verzicht ist Verrat" !)

--- Jetzt aber sollen Spaltung und Annexion für lange Jahre fast ohne Rechtsvorbehalt vertraglich hingenommen werden. Damals hieß es, es gelte, Grenzen einzuebnen und neue Formen der Zusammenarbeit möglich zu machen. Heute aber bestehen weiterhin Mauer und Schießbefehl, und die Abgrenzung wächst. Hinzugekommen ist die Verfolgung der Deutschen in den Oder/Neiße-Gebieten. Zwar wagt die sozialdemokratische „Brücke" noch von Volksgruppen und Menschenrechten unter fremder Gewalt zu schreiben; aber in der Praxis vereinbart man nichts für die Menschen und versucht sogar noch, ihre Rechte zu schmälern, indem man deutsches Inland zu einem Nicht-mehr-Inland machen will, was wahrscheinlich nach dem Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts gar nicht möglich ist.
Über Rentenleistungen für Deutsche daheim weigerte man sich zu verhandeln. Jetzt aber zeigt man sich willig, soziale Beiträge, die einmal für Kriegsgefangene entrichtet wurden, auch — und das ist ein tiefer Rechtseinbruch — an diejenigen Staaten zu zahlen, die keinesfalls die Identität der Bundesrepublik Deutschland mit Deutschland anerkennen, was allein die rechtliche Grundlage zur Forderung an den organisierten Teil Deutschlands sein kann.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein]: Sehr wahr!)

Der Mangel an Solidarität droht übrigens auch im Innern zuzunehmen. Bei der Förderung von Verbänden wird der Gleichheitsgrundsatz zum Schaden der Vertriebenen und Flüchtlinge verletzt. Für die Wahrung der Koalitionsfreiheit ist aber auch die Gleichbehandlung gleichgelagerter Umstände mit entscheidend. Ich kann zwar nicht glauben, daß in Regierungsbehörden Erfüllungsgehilfen sitzen, die nationalistische polnische Forderungen erfüllen wollen, etwa die Wünsche des polnischen Ministerpräsidenten, die dieser am 15. Juni 1972 geäußert hat. Aber ich kann nicht verschweigen, daß beispielsweise im Gegensatz zur Förderung der Organisation „Kuratorium Unteilbares Deutschland" ab 1975 alle Personalhilfen für die Flüchtlings- und Vertriebenenorganisationen, die nur einen Bruchteil der Personalkosten dieses Kuratoriums betragen, aufhören sollen.

(Abg. Jäger [Wangen] : Hört! Hört!)

Ich kann auch nicht verschweigen, daß die Mittel für die ostdeutschen wissenschaftlichen, kulturellen und religiösen Institutionen weiterhin gekürzt werden sollen. Über die groß angekündigte Erhaltung des ostdeutschen Kulturbewußtseins in einer „Deutschen Nationalstiftung" ist mit den Verbänden der Ostdeutschen bisher nicht gesprochen worden.
Meine Damen und Herren, damit werden diese Verbände aber nicht mundtot gemacht. Wir haben unsere „Funktion", d. h., um es in Ihrer Sprache zu sagen, die Erfüllung von Aufgaben und Pflichten, nicht um einer Bezahlung willen übernommen. Diese „Funktionärsvorwürfe" treffen uns nicht. Solange uns die Meinungsfreiheit gegeben ist, werden wir versuchen, unseren Menschen zu helfen, für ihre und Deutschlands Rechte, aber auch für die freien Rechte der Menschen aus den östlichen Nachbarvölkern zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden auf einen gerechten Ausgleich hinarbeiten.
Wir können jedoch nicht zu der sozialen Not der hauptamtlichen Mitarbeiter der Verbände schweigen. 20 Jahre lang haben die von der CDU/CSU geführten Regierungen allen Verbänden — auch den Verbänden, die sie kritisiert haben und an deren Spitze Politiker der damaligen Opposition standen — die Hilfe und die Gleichbehandlung nie versagt. Daran sollten Sie sich ein Vorbild nehmen.
Obwohl man im Godesberger Programm die Verwirklichung der Volksgruppenrechte und des Rechts auf die Heimat als — hören Sie gut zu — unabdingbar nötig im internationalen Leben bezeichnet, versuchte man im Haushaltsausschuß sogar Streichungen der Mittel für den fremden muttersprachlichen Zusatzunterricht in den Gymnasien nichtdeutscher Flüchtlinge, der Litauer, der Ungarn und anderer, die durch das Unrecht Hitlers in den freien Teil Deutschlands verschlagen wurden und sich jetzt nicht der roten Diktatur beugen wollen, zu beantragen.

(Abg. Jäger [Wangen] : Hört! Hört!)

Für den polnischen muttersprachlichen Unterricht nicht gleichgeschalteter Organisationen kommen schon seit Amtsantritt dieser Bundesregierung nur noch die Länder auf. Meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie wirklich überlegt, was Sie durch ein solches Handeln an freiheitlicher Zusam-



Dr. Czaja
menarbeit mit den Mittelosteuropäern gefährden? Wir lehnen eine solche Handlungsweise ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man bemüht sich darüber hinaus um das zwangsweise Auslöschen deutscher Vergangenheit. Romano Guardini hat vor und nach der deutschen und europäischen Katastrophe immer wieder darauf hingewiesen, daß die Einbrüche seelenloser Technokratie und die Bedrohung unmenschlicher Diktatur sich sehr frühzeitig in der Sprache zeigen. Aus Zeitmangel muß ich es mir versagen, hier mehr als nur zwei Beispiele zu nennen. Statt der schlichten Worte „deutsch" und „Deutschland", was dem Sinne nach eigentlich „zum Volke gehörend in seiner ganzen Breite und Tiefe" heißt, benützt Herr Minister Bahr mit messerscharfer Zunge fast immer und überall die Kürzel „BRD" und „DDR", und er tut das nicht allein. Man wagt heute nicht einmal mehr, amtlich alle deutschen Ortsbezeichnungen zu benützen, auch nicht die für Ostdeutschland, obwohl der Bundeskanzler — und dieses Wort fand ich gut — am 7. Dezember 1970 in Warschau wörtlich gesagt hat:
Die Geschichte des deutschen Ostens läßt sich nicht willkürlich umschreiben. Ich lehne Legenden ab.
Trotzdem leisten das innerdeutsche Ministerium und auch ein Bildungsreferat des Verteidigungsministeriums diesem willkürlichen Umschreiben Vorschub. Wo bleiben dann die vom Bundesverfassungsgericht allen Staatsorganen aufgegebenen Pflichten, im Inneren das Bewußtsein ich zitiere wörtlich
„von einem einheitlichen Staatsgebiet Deutschland, zu dem das Staatsgebiet der Bundesrepublik als nicht abtrennbarer Teil gehört", und von „dem einheitlichen Staatsvolk des Völkerrechtssubjekts Deutschland', zu dem die eigene Bevölkerung als untrennbarer Teil gehört", wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten? Das wird doch ständig und gröblich vernachlässigt. Dagegen sind wir.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Leider wahr!)

Die kulturelle und geschichtliche Kontinuität der deutschen Nation in weiten Regionen soll verschleiert und gegenüber der jungen Generation verschwiegen werden. Kant lebte aber nicht in Kaliningrad, sondern in Königsberg, Eichendorff wirkte in Oberschlesien und nicht in der Wojwodschaft Wroclaw oder Opole, Nikolaus Kopernikus war Domherr eines deutschen Bischofs in Frauenburg. Es geht dabei nicht um deutsche Angeberei, sondern um geschichtliche Wahrheit. Für die muß man eintreten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir müssen bei der Debatte über die Lage der Nation ebenso nationale Überheblichkeit ablehnen,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr richtig!)

wie wir uns zu maßvollem nationalem Selbstbewußtsein zu bekennen haben. Auch gegenüber fremdem Nationalismus müssen wir diesen maßvollen Mittelweg halten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir müssen darüber hinaus die östlichen Nachbarn immer wieder fragen, ob die ständige Wiederholung antideutscher Maximalforderungen, wie wir sie ständig in der Presse lesen, auf Dauer wirklich — ich spreche schon nicht nur von Entspannung —für alle Länder und Beteiligten vorteilhaft und sinnvoll ist.
Als Außenminister sprach Herr Brandt noch 1967 in den Grundvorstellungen von einem europäischen Verbund, der die Menschen- und Volksgruppen-rechte verwirklichen sollte. Heute unterstützt man — ich finde das im Prinzip gar nicht verkehrt — die Internationalisierung umstrittener palästinensischer Gebiete und beruft sich auf die Sicherheitsratsresolution 242 zur Rückgabe annektierter Gebiete und zur Rückführung der Flüchtlinge — und dies, obwohl die Palästinenser das jüdische Volk in seiner Existenz zu bedrohen scheinen und dieses Volk nach der fruchtbaren Dezimierung in Europa jetzt wohl in Notwehr zu handeln scheint. In der deutschen Frage aber hält man nur sehr versteckt, wenn überhaupt, die noch 1967 verkündeten Grundvorstellungen eines europäischen Ausgleichs in umstrittenen Gebieten offen.
Mir geht es nicht um Kritik, sondern darum, sich zu den tiefen Wunden der deutschen Nation zu bekennen, zu den verletzten Rechten der Betroffenen, zur Kontinuität der politischen Nation, zu ihrer kulturellen Vergangenheit, ihrer Geschichte und ihrer gemeinsamen Zukunft. Es ist Zeit, dies zu tun. Dann muß man aber aus dem Nebel der Osteuphorie und der Illusionen, die damit verbunden waren, heraustreten. Man muß aus der falschen Mythisierung von Säulenheiligen, die sich nur als Gipsfiguren erweisen, heraustreten. Es ist Zeit, die Gemeinplätze über Werte, die flüchtige Literaten in die programmierten Reden hineinschreiben, zu streichen, wenn man um deren Verwirklichung nicht mit Zähigkeit ringt.
Der Bundeskanzler sprach in Bad Segeberg kritisch von der „pragmatischen Flickschusterei" vergangener Regierungen und hat dabei wohl auch die Leistung Konrad Adenauers gemeint. Als dieser in einer ganz schlichten Rede die Würde und die Arbeit des Bundeskanzlers in die Hände dieses Hauses zurücklegte, sagte er ehrlich, daß er das Steuer abgebe, bevor das Hauptziel der Deutschen, ihr freies Zusammenleben, erfüllt sei. Er gebe es aber als jemand ab, nach dessen Regierungszeit das deutsche Volk nach einer furchtbaren Katastrophe, vertreten durch den freien Teil Deutschlands, wieder zu einem geachteten, mit Vertrauen bedachten und in Verantwortung gezogenen Partner des freien Europa geworden ist. Heute wagt man gar nicht mehr vom freien Zusammenleben der Deutschen am Tage des Berichts zur Lage der deutschen Nation eingehend zu sprechen. Europa wankt, und die Freiheit ist von fremder Hegemonie bedroht, und das Vertrauen in die Deutschen hat Risse bekommen. Der Ostblock hat übersteigerte Scheinerfolge, die ihm selbst keine echte Entspannung bringen.
Es liegt natürlich nicht nur an der deutschen Schwäche, aber bei der Besinnung zur Lage der Nation ist es unser aller Verpflichtung, die Regierung



Dr. Czaja
zu mahnen, diesen bitteren und sorgenvollen Tatsachen ins Auge zu schauen. Dabei ist es nicht nur Sinn einer solchen Stunde, ein Volksfest zu versprechen, sondern in einer solchen Stunde muß man auch an den Schmerz, die Trauer, die Sorge, die Gefährdung denken.
Um die Schutzpflicht für die Deutschen und die deutsche Nation müssen wir alle besorgt sein. Wir müssen weitergehen, so wie sich nach vielen Illusionen heute der Bundeskanzler am Anfang der Debatte bekannt hat: mit kleinen Schritten, mit Maß, mit Entschiedenheit und Ausdauer. Wir müssen dabei auch die Rechte der Nachbarn achten, ohne aber die Vertretung unserer Rechte von anderen bestimmen zu lassen.

(Zurufe von ,der SPD: Die Redezeit ist abgelaufen!)

Dazu muß die Opposition mahnen, aber sie muß und wird auch ihr eigenes Handeln an der gesetzten Aufgabe messen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707646300
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707646400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre reizvoll, Herr Kollege Dr. Czaja, einmal das zu untersuchen, was Sie an-
geschnitten und mit dem Wort „geschichtliche Wahrheit" umrissen haben. Geschichtliche Wahrheit kann man nicht an einem willkürlichen Tag beginnen lassen. Und die Schutzpflicht für die Deutschen habe ich bitter vermißt, als ich mit 18 Jahren in den zweiten Weltkrieg hinein mußte.

(Abg. Dr. Czaja: Die habe ich aber genannt!)

— Das möchte ich Ihnen nur sagen. Das ist das, was die Generation zu sagen hat, die etwa meinem Alter entspricht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Hupka: Dazu haben wir auch etwas zu sagen!)

— Das habe ich nicht als Vorwurf gesagt, sondern als Feststellung, damit man die Geschichte nicht am falschen Tag schreibt bzw. beginnen läßt, wenn man sie schreibt.

(Abg. Dr. Hupka: Die schreiben wir bestimmt nicht am falschen Tag!)

- Herr Dr. Hupka, ich habe Sie doch gar nicht genannt. Ich verstehe die Aufregung nicht.

(Abg. Dr. Hupka: Weil Sie Kollektivurteile aussprechen!)

— Ich spreche keine Kollektivurteile aus, sondern ich sage genauso meine Meinung, wie der Vorredner seine Meinung gesagt hat. Das werden Sie mir wohl gestatten.

(Abg. Dr. Hupka: Dann werde ich widersprechen!)

Ich möchte einige Bemerkungen machen zu einer meiner Ansicht nach nicht sehr logischen Position, die der Kollege Dr. Czaja nicht zum ersten Mal einnimmt, nämlich zur Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten. Herr Kollege Czaja, Sie haben in der gleichen Passage, in der Sie die Bundesregierung wegen ihrer Bemühungen kritisiert haben, herausgestellt, daß man im amerikanischen Senat humanitäre Fragen mit wirtschaftlichen koppele. Das hatten Sie wenige Sätze vorher für uns abgelehnt. Das scheint mir der Logik zu entbehren.
Sie haben den Eindruck erweckt, als sei ohne die Politik dieser Bundesregierung auf humanitärem Gebiet im Sinne der betroffenen Deutschen in diesen Staaten mehr möglich gewesen, als das heute ist.

(Abg. Dr. Czaja: Richtig! So ist es!)

Herr Kollege Dr. Czaja, Sie wissen doch hoffentlich, daß ,der Eindruck den Sie erweckt haben, den Tatsachen widerspricht.

(Abg. Dr. Czaja: Sie haben das doch selbst vorgetragen!)

— Dann haben Sie nicht ganz zugehört.

(Abg. Dr. Czaja: Doch! Lesen Sie die Protokolle des Auswärtigen Ausschusses nach!)

— Die Protokolle habe ich alle zur Verfügung. Ich bin bereit, sie vorzulesen.

(Abg. Dr. Czaja: Zitieren Sie, was Herr von Schenck uns gesagt hat!)

— Ich will Ihnen das hier politisch auseinandersetzen, damit wir die politische Realität bei der Betrachtung völkerrechtlicher Thesen nicht ganz beiseite lassen. Die völkerrechtliche Position ist eine Sache, und die politische Realität ist eine andere. Die politische Realität war und ist, daß es z. B. in der Sowjetunion, als diese Regierung ins Amt kam, die Meinung gab — und das war eine amtliche Meinung —, es gebe in der Sowjetunion keine Deutschen mehr, die für eine Familienzusammenführung in Frage kämen. Das war ein Standpunkt, den auch die Große Koalition zur Kenntnis nehmen mußte. Die vielen Tausend Deutschen, die inzwischen hierher gekommen sind, belehren Sie sicherlich, daß wohl ein Zusammenhang zwischen dieser unserer Politik und den Verbesserungen für die betroffenen Menschen besteht, die eben in den letzten Jahren diese Verbesserungen in Anspruch nehmen konnten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707646500
Gestatten Sie, Herr Staatssekretär, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707646600
Bitte schön!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0707646700
Herr Staatssekretär, haben Sie eine oberste Bundesbehörde, das Bundesverwaltungsamt, die alle von deutschen Behörden genehmigten und als zu Recht bestehend anerkannten Aussiedlungsbewerbungen registriert, so daß



Dr. Czaja
man auch genau weiß, wie viele nicht erfüllt wurden? Hatten Sie das bei den Verhandlungen oder hatten Sie das nicht?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707646800
Wir sprechen von zwei verschiedenen Dingen, Herr Dr. Czaja. Das ist völlig unbestritten. Die Frage ist nur, ob das Bundesverwaltungsamt in irgendeiner Form jemandem helfen kann in einem Staatsgebiet, welches nicht unser Staatsgebiet ist. Und zwischen der Registrierung bei uns und dem Wunsch nach Familienzusammenführung und der Position der anderen Seite besteht ja wohl ein sehr wesentlicher Unterschied. Der wesentliche Unterschied liegt darin, daß eben inzwischen Menschen, die früher keine Chance mehr hatten, in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen, ausgereist sind, und zwar viele zehntausend. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, das hat mit dem, was bei uns registriert ist oder war, überhaupt nichts zu tun. Die Zahlen kennen wir sehr genau. Es sind die gleichen, die Sie haben. Nur, es sind nicht die Zahlen derer, die darüber entscheiden, ob die Menschen ausreisen dürfen. Das ist der wesentliche Punkt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707646900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0707647000
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie die Tatsache, daß auch vor 1969 jährlich Rückwanderer aus der Sowjetunion gekommen sind?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707647100
Herr Dr. Mertes, ich erkläre mir das dadurch, daß Sie im Augenblick offensichtlich nicht genau im Gedächtnis haben, wie viele das waren. Sie müßten doch eigentlich ganz genau wissen, wie die sowjetische Haltung zu unseren Anforderungen war.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Weil ich die praktische sowjetische Haltung vor 1969 kenne, habe ich die Frage gestellt!)

— Eben. Und diese Position hat sich nach dem Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau verändert. Dort sind die Listen zum erstenmal entgegengenommen worden, die lange Zeit nicht mehr bearbeitet worden sind,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Aber die ausschlaggebende Tatsache ist: Rückführung fand auch vorher statt!)

und dann sind später die Leute ausgereist, im Gegensatz zu den Bemühungen, die Sie früher jahrelang ebenfalls unterstützt haben; denn da ist es nicht gelungen.

(Abg. Dr. Czaja: Ist bekannt, daß Adenauer das getan hat?)

— Das ist ein anderer Fall, der ist mir sehr wohl
bekannt. Das sind 16 Jahre Unterschied, Herr Dr.
Czaja, nur soviel zur geschichtlichen Wahrheit. Das ist ein anderer Fall.

(Abg. Dr. Czaja: 16 Jahre vor Ihnen!)

Wenn damals alle herausgekommen wären, die heraus wollten, müßten wir heute über das Problem ja wohl nicht sprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Czaja: Aber begonnen wurde es damals!)

Aber nun zu den wirtschaftlichen Beziehungen. Ich darf hier einfach zu den Tatsachen noch folgendes festhalten. Unsere Bemühungen um Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Herr Dr. Czaja, mit den osteuropäischen Ländern sind Bestandteil eines umfassenden Konzepts der gesamteuropäischen Beziehungen und nicht nur der Bundesrepublik Deutschland.

(Abg. Dr. Czaja: Ja, ja, das ist umfassend! — Abg. Dr. Klein [Göttingen] : Das ist ganz umfassend! — Zuruf von der CDU/CSU: Das Fiasko umfassend!)

Wir sehen darin einen Weg, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, das die Voraussetzung einer politischen Entspannung und damit auch des friedlichen Zusammenlebens der Völker in Europa ist.

(Abg. Freiherr von Fircks: Noch mehr Panzer zu schaffen!)

Eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung zwischen West und Ost kann daher nicht ohne positive politische Auswirkungen bleiben. Meine Herren Zwischenrufer, ich darf Sie nur darauf aufmerksam machen, daß dieses Konzept der Bundesregierung sich voll deckt mit den gemeinsamen Bemühungen aller Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den Vorbereitungen, die sie für eine Konferenz der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa getroffen haben. Sie haben sicher unter den demokratischen Parteien in Europa auf diesem Gebiet ein Exklusivrecht für Kritik.

(Abg. Dr. Becher [Pullach] : Das ändert aber nichts daran, daß die Rüstung drüben steigt und steigt!)

In diesem Bemühen, dem das gemeinsame Eintreten für diese von mir schon zitierten konkreten Maßnahmen — der Vertiefung der wirtschaftlichen und der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Osten — gerade im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dienen soll, wissen wir uns einig mit unseren Partnern — darauf will ich nochmals hinweisen — in der Europäischen Gemeinschaft und in den übrigen westlichen Ländern.
Unsere Kredit- und Bürgschaftspolitik gegenüber den Staatshandelsländern des Ostens steht in diesem politischen Zusammenhang. Ich habe heute in der Fragestunde auf eine Zusatzfrage hin darlegen können, daß die Bundesrepublik Deutschland wohl der einzige unter den vergleichbaren westlichen Industriestaaten ist, der nicht ein besonderes Bankinstrumentarium hat, mit dem Mischfinanzierungen, d. h. Zinsverbilligungen, geschaffen werden, die in-



Pari. Staatssekretär Moersch
direkt aus den Staatshaushalten kommen. Die Bundesrepublik Deutschland ist bisher das einzige Land, das auf diesem Gebiet konsequent Marktzinsen verrechnet und, zugegeben, trotzdem ein attraktiver Handelspartner ist. Aber es gibt Konkurrenzsituationen, in denen man sich ernsthaft überlegen muß, ob man Angebote von hier nicht auch mit Finanzierungsmethoden, die woanders längst angewandt werden, zur Wettbewerbsgleichheit gegenüber Angeboten bringen kann, die von unseren Nachbarländern kommen. Ich habe, was die USA, was Japan, was Großbritannien und was Frankreich betrifft, die Zahlen genannt. Ich darf mich insofern auf das Protokoll berufen. Allerdings muß ich gleich hinzufügen: Diese Kredite sind, soweit sie zur Förderung der Zusammenarbeit erforderlich sind, von unserer Seite immer orientiert worden an den marktwirtschaftlichen Grundsätzen unserer Wirtschaftsordnung und auch, das sei hinzugefügt, an der jeweiligen Konjunkturlage. Dies ist ein ganz wichtiges Kriterium, welches dabei zu beachten ist. Grundsätzlich ist die Kreditgewährung selbstverständlich Sache der Wirtschaft, die an diese Marktkonditionen gebunden ist. Die Bundesregierung hilft in bestimmten Fällen — das hat sie immer getan — durch entsprechende Verbürgung solcher Kredite, welche die Wirtschaft selber gibt.
Die Möglichkeiten eines stärkeren Handelsaustausches mit dem Osten, der sich ganz sicherlich insgesamt für alle Beteiligten in Europa — ich sage ausdrücklich: für alle — positiv auswirken wird, sind bisher immer durch die mangelnde Lieferfähigkeit der Staatshandelsländer beschränkt gewesen, insbesondere bei Fertigprodukten und bei Investitionsgütern, und sie sind natürlich durch die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme erschwert. Nach wie vor ist der Anteil unseres Osthandels — auch bei anderen westlichen Industrieländern ist das so — relativ gering. Bei uns beträgt er trotz einer gewissen steigenden Tendenz nicht mehr als fünf Prozent des gesamten Außenhandels.
Die hier bestehenden Hindernisse können von der Wirtschaft allein nicht überwunden werden. Daher müssen sich die Regierungen im Rahmen des Möglichen um verbesserte Voraussetzungen für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit bemühen. Auf Grund unserer Position als zweitgrößte Welthandelsmacht und auf Grund unserer geographischen Lage sowie unserer Rohstoffversorgung haben wir eine ganz besondere Rolle im Kreis der westlichen Industrienationen zu spielen. Wir dienen mit dieser Politik unseren eigenen wirtschaftlichen Interessen — das darf man doch nicht übersehen —; denn ein erhöhter Handelsaustausch kommt der deutschen Außenwirtschaft zugute. Es kommt uns auch zugute, daß die Erschließung von Bodenschätzen vorangetrieben wird, daß wir damit mehr Rohstoffe und Energiequellen auch für unseren deutschen Bedarf erschließen können. Die Kooperationsprojekte fördern den Erfahrungsaustausch und können bei einer Produktionsverlagerung den Vorteil kostengünstiger Fertigung bieten.
Das sind die Hauptgesichtpunkte für diese Politik des verstärkten Austausches und auch für eine gewisse Kreditgewährung, die ich hier noch einmal zusammenfassen wollte. Ich sage noch einmal: Es handelt sich auf der einen Seite um Bürgschaften, und es handelt sich in einem einzigen Fall um die Verhandlungen über einen zinsbegünstigten Kredit in Höhe von 1 Milliarde DM.
Heute ist in der Debatte — das will ich hier bei dieser Gelegenheit doch noch einmal richtigstellen — vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU an dieser Kreditpolitik Kritik geübt worden, nicht zuletzt auch mit dem Hinweis auf Jugoslawien. Ich möchte den Kollegen Dr. Carstens fragen dürfen — ich denke, er wird das im Protokoll zur Kenntnis nehmen —, was er eigentlich in seinem Buch mit dem Titel „Politische Führung" mit dem folgenden Satz gemeint hat:
Im Falle Jugoslawiens wurden 1957 zwar die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, als Belgrad mit Ostberlin diplomatische Beziehungen aufnahm; die vereinbarten Zahlungen nach dem 1956 geschlossenen Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit wurden jedoch in einer Größenordnung von ca. 200 Millionen DM weiter geleistet.
Ich frage mich, was eigentlich dieser Text politisch bedeutet. Jedenfalls handelte es sich damals offensichtlich nicht um einen verbilligten Kredit, sondern eher um eine Zahlung aus der Bundeskasse in Höhe von 200 Millionen DM an ein Land, das gar keine diplomatischen Beziehungen mit uns mehr hatte.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707647200
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0707647300
Herr Staatssekretär, erinnern Sie sich, daß die Wirtschaftshilfezusage an Jugoslawien 1956 in engster Verbindung mit der Tatsache gegeben worden ist, daß dank der Bemühungen von Botschafter Pfleiderer Tito damals die Identität der Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich anerkannt, hingegen die DDR nicht anerkannt hat? Und erinnern Sie sich, daß Botschafter Pfleiderer, Ihr Parteifreund, schwer darunter gelitten hat, daß Tito 1957 diese seine Zusage nicht einhielt, sondern brach? Und erinnern Sie sich drittens, daß nach dem Abbruch unserer Beziehungen mit Belgrad auf Grund dieser Heimtücke der jugoslawischen Regierung die damalige Bundesregierung dennoch erklärte, das einmal gegebene Wort ökonomischer Hilfe werde nicht gebrochen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707647400
Herr Dr. Mertes, vielleicht können Sie noch weitere Aufklärung schaffen. Ich war damals nicht in der Bundesregierung tätig.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : So war es!)

— Entschuldigen Sie bitte, lassen Sie mich doch
fortfahren! Ich frage mich nur, wenn es damals
möglich war, solche Kredite, und zwar Staatskredite



Parl. Staatssekretär Moersch
) wohlgemerkt, nicht irgendwelche Privatkredite, an Jugoslawien zu zahlen, weshalb das, was 1956 nach Ihrer Meinung offensichtlich richtig gewesen sein muß und richtig gewesen ist,

(Abg. Dr. Czaja: Gegen die Anerkennung der Identität!)

im Jahre 1973 oder 1974 falsch sein soll.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Damals gab es eine politische Gegenleistung!)

— Nein, Herr Dr. Mertes, ich glaube, Sie haben es nicht genau beantwortet. Prüfen Sie doch einmal nach, ob es ein Kredit war oder nicht doch eine einmalige Leistung, und zwar ein verlorener Zuschuß.

(Abg. Dr. Czaja: Abhängig von der Anerkennung der Identität der Bundesrepublik!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707647500
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0707647600
Herr Staatssekretär, mir kam es darauf an, daran zu erinnern, daß die ökonomische Zusage an die jugoslawische Regierung eine deutschlandspolitische Geschäftsgrundlage hatte, die von den Jugoslawen hinterher gebrochen wurde.

(Abg. Dr. Czaja: Die Anerkennung der Identität der Bundesrepublik!)


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0707647700
Herr Dr. Mertes, mir kam es darauf an, einmal in der Öffentlichkeit klarzulegen, daß ganz offensichtlich das, was die Opposition heute kritisiert, nämlich auch wirtschaftliche Erwägungen und Kreditpolitik als Mittel der Politik ins Kalkül zu ziehen, damals als Ausdruck der staatlichen Weisheit gegolten hat. Das ist der Unterschied in Ihrer Argumentation zwischen damals und heute.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist im entscheidenden Punkte falsch!)

Ich wollte nur noch einmal in der Öffentlichkeit gesagt haben, daß ganz offensichtlich Ihre Argumentation wechselt, je nachdem, ob Sie in der Regierung oder in der Opposition sitzen. Das gehört nicht zu den redlichen Methoden einer Opposition.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Herr Moersch, was hat das mit Redlichkeit zu tun?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707647800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyen.

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707647900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende der Debatte und nach der langen Rede des Kollegen Dr. Czaja möchte ich kurz zusammenfassen, was auf deutschlandpolitischem Gebiet geschehen ist. Gemessen an den bekannten
alten Wunschvorstellungen der CDU/CSU mag das Ergebnis dünn oder mager sein, aber gemessen an dem, was Sie uns hinterlassen haben, ist dieses Ergebnis ein großer Erfolg.

(Beifall bei der SPD.)

Zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Czaja möchte ich weiter nichts sagen. Ich möchte mich nur den Äußerungen des Präsidenten anschließen: Herr Dr. Czaja, Ihre Zeit ist abgelaufen.

(Zuruf von der SPD: Das gilt auch für Becher! — Abg. Windelen: Das haben Sie nicht zu entscheiden! — Zuruf von der CDU/CSU: Man kann auch sagen, wir haben nichts zu sagen! — Abg. Dr. Becher [Pullach] : Ihre Berliner Zeit ist auch abgelaufen! — Unruhe.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707648000
Meine Damen und Herren! Ich bitte um etwas Ruhe, damit in dieser abendlichen Stunde die Verhandlung leichter abläuft.

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707648100
Lassen Sie mich noch einige Sätze zu dem sagen, was Herr Dr. Marx heute morgen gesagt hat. Er sprach von einer störrischen Fraktion innerhalb der SED. Ich weiß nicht, ob man derartige Philosophien anstellen soll. Aber wenn es eine solche störrische Fraktion geben sollte, ist Dr. Marx bestimmt ein Wunschpartner einer solchen störrischen Fraktion.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Jenninger: Außer Polemik haben Sie nichts zu bieten!)

Wenn ich die Ausführungen von Herrn Dr. Marx nehme, dessen polemische Rede Sie heute morgen sicher mitbekommen haben, muß ich sagen, daß manche von Ihnen sich über Störungen dieser störrischen Fraktion innerhalb der SED sehr freuen. Das stimmt uns in Berlin einigermaßen traurig.

(Abg. Gerster [Mainz] : Das ist eine Unterstellung!)

Herr Dr. Marx hat gesagt, die Kompaßnadel der Deutschlandpolitik dieser Regierung sei abgebrochen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer sind denn die Störrischen, vielleicht Herr Schütz?)

-- Ich stimme mit Herrn Schütz voll überein.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. KrollSchlüter: Der ist genau so störrisch wie wir!)

-- Er würde sich sicherlich nicht mit Ihnen vergleichen lassen und würde dies als Verleumdung zurückweisen. Ich glaube, ,daß diese Kompaßnadel nach wie vor genau in die Richtung zeigt, die der Bundeskanzler meinte, als er am 17. Juni 1971 in New York sagte, daß die Zeit nicht automatisch für Vernunft und den Frieden arbeite. Wenn ich das hier sage, liegt darin nicht ein einziger Hauch von Resignation. In diesenWorten ist nur die nüchterne Ausgangsposition dieser Deutschlandpolitik gekennzeichnet.



Heyen
Am 14. Januar 1970 sagte hier der Bundeskanzler im Bericht zur Lage der Nation:
Patriotismus
— wenn ich dieses Wort einmal benutzen darf —

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Man darf!)

verlangt die Erkenntnis dessen, was ist, und den Versuch, immer wieder herauszufinden, was möglich ist.
Als Angehöriger einer Generation, die das Wort
„Patriotismus" nicht mehr gern in den Mund nimmt,

(Abg. Frau Berger [Berlin] : Warum eigentlich nicht?)

bin ich mit der Definition dieses Begriffs voll einverstanden; denn eine solche Haltung, eine solche Einstellung verlangt mehr Mut und ist viel ehrlicher als die feierlichen Deklamationen und die Grüße an die „Brüder und Schwestern" und das Wort, daß eines Tages einmal die Einheit kommen werde. Denn mehr war es wohl doch nicht, was Herr Abelein und Herr Marx uns hier heute sagen wollten.
Im Grunde genommen ist das die Fortsetzung der fruchtlosen Politik der CDU/CSU in den 50er und 60er Jahren. Ich fühle mich an ein Wort ,des Berliner Kabarettisten Wolfgang Neuß erinnert, der, als er diese Politik kennzeichnen wollte, einmal sagte: „Die Wiedervereinigung kommt ganz bestimmt; vielleicht ist sie im Moment gerade gar nicht zu Hause." Das ist die Einstellung, die Sie zu dieser Politik haben, und daran hat sich bisher nichts geändert.

(Abg. Kunz [Berlin] : Das war seine schwächste Leistung)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707648200
Herr Abgeordneter Heyen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen)?

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707648300
Ja, gerne.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0707648400
Herr Kollege Heyen, wenn Sie das Streben nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschland als „fruchtlose Illusionspolitik" darstellen: Ist Ihnen gegenwärtig, daß genau dies das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Juli letzten Jahres zur ständigen Pflicht aller Verfassungsorgane dieses Staates erklärt hat?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707648500
Mir ist das völlig klar. Ich habe bloß gesagt, daß der Weg, den Sie eingeschlagen haben, völlig falsch war und nicht dahin geführt hat. Insofern stimmen Sie nachträglich nicht mit dem überein, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Czaja: Sie haben gar keinen Weg!)

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal auf die ungeheure Unverfrorenheit einiger früherer Regierungsmitglieder, die in führenden Positionen waren, aufmerksam machen. Ich denke dabei namentlich an Herrn Prof. Dr. Carstens, der in hohen Regierungsämtern Zeuge war, als dieses Land am tiefsten gespalten und die Hoffnungslosigkeit am größten war.

(Abg. Jäger [Wangen]: War es denn jemals tiefer gespalten als heute?)

— Ja, genau zu der Zeit, als die CDU/CSU regiert hat, genau zu der Zeit, als die Mauer in Berlin gebaut wurde, die wir jetzt langsam, mit kleinen Schritten, zu überwinden versuchen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Jäger [Wangen] : Sie versuchen es doch gar nicht! — Abg. Dr. Becher [Pullach] : Die Mauer wird immer höher!)

Und wenn wir schon bei Herrn Dr. Carstens sind, Herr Kollege Jäger (Wangen), dann darf ich vielleicht an ein stolzes Wort des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Gerhard Stoltenberg, erinnern, der meinte, auch die CDU/CSU habe bereits 25 Verträge mit osteuropäischen Staaten abgeschlossen. Nur leider waren das Verträge — und daran hat Herr Dr. Carstens sehr wahrscheinlich doch mitgewirkt —, in denen das Wort „Berlin" überhaupt nicht vorkam.

(Hört! Hört! bei der SPD. -Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Czaja: Die Spaltung auch nicht! — Abg. Baron von Wrangel: Das stimmt nicht!)

— Selbstverständlich stimmt das. Bitte zeigen Sie mir doch im Ausschuß einmal einen Vertrag, in den Sie das Wort „Berlin" hineinbekommen haben!

(Abg. Jäger [Wangen] : Im ersten Handelsvertrag mit der Sowjetunion, Herr Heyen!)

Das haben Sie nicht erreicht, ebenfalls nicht beim Kulturabkommen mit der Sowjetunion, an dem ja auch Herr Dr. Carstens beteiligt war.
Aber es geht hier nicht darum, meine Damen und Herren, alte Sünden aufzuzeigen, sondern es geht darum, den Hintergrund und die Startbedingungen darzulegen und zu zeigen, wie unendlich schwierig und mühselig jeder kleine Schritt nach vorne ist. Um so bedauerlicher ist es, und um so mehr schmerzt es mich, daß jeder Rückschlag bei diesen Bemühungen von dieser Opposition nahezu triumphierend gefeiert wird.

(Abg. Jäger [Wangen] : Das ist eine Unterstellung! Das stimmt doch gar nicht!)

— Anders kann ich die Worte, die Herr Dr. Marx heute hier von sich gegeben hat, nicht verstehen.

(Abg. Windelen: Das liegt an Ihrem Unvermögen!)

Wir haben heute keine guten Beziehungen zur DDR. Sie haben bessere Beziehungen verlangt. Wir haben keine gutnachbarlichen Beziehungen. Wir haben eher schlechtnachbarliche Beziehungen. Aber wir haben Beziehungen, und wir haben einen Rahmen geschaffen, in dem auch die DDR eine Verantwortung übernommen hat, und aus diesem Rahmen her-



Heyen
aus können wir heute Politik machen. Dies ist mehr als die Politik des Liegenlassens und des Abwartens. Ich weiß nicht, ob Sie mit dieser Politik einen breiteren Rahmen und mehr Möglichkeiten bekommen hätten, als wir sie mit diesem Grundvertrag erreicht haben.
Ich verstehe ohnehin nicht die Argumentation der CDU/CSU. Auf der einen Seite das hat Herr Abelein hier gesagt, und das haben auch Herr Marx und Herr Carstens heute morgen ganz deutlich gesagt — malen Sie die Schrecken dieses DDR-Regimes in den schwärzesten Farben an die Wand. Aber auf der anderen Seite erwarten Sie von demselben Regime größere Zugeständnisse, bis ins Detail gehende Zugeständnisse bei allen vertraglichen Abschlüssen. Dies halte ich für eine Illusion, wenn Sie von dieser Ausgangsposition ausgehen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707648600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kunz (Berlin) ?

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707648700
Bitte sehr!

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0707648800
Herr Kollege Heyen, darf ich Ihre Bemerkungen zu den Zugeständnissen so verstehen, daß Sie überhaupt nicht mehr den Willen fassen können, Zugeständnisse zu verlangen, und sind Sie mit mir der Meinung, daß es symptomatisch für Ihre gesamte Politik ist, Zugeständnisse nicht einmal mehr für möglich zu halten, sie also auch nicht zu verlangen und der DDR die Möglichkeit zu geben, Formeln zu wählen, unter denen sie jederzeit hindurchkriechen kann?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707648900
Ich bin erstens mit Ihnen überhaupt nicht einer Meinung. Zweitens glaube ich, daß Sie hier wiederum von einer Illusion ausgehen. Zugeständnisse in dem Rahmen, wie sie heute aufgezeigt worden sind, sind nicht von heute auf morgen, sondern nur durch einen mühseligen, harten Prozeß zu erlangen, und wir sind daran, wir arbeiten daran in den Folgeverträgen und auf anderen Gebieten. Und dies ist mehr als Zuwarten — das war meine Argumentation — und Abwarten und Liegenlassen, Herr Kunz. Dies ist das, was ich sagen wollte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Dr. Marx meinte heute morgen, außer Spesen sei nichts gewesen. Wir haben im Personenverkehr auf den Zugangswegen auf den Straßen

(Abg. Windelen: Das bezog sich auf die Vertretung in Ost-Berlin!)

— Ich darf erst einmal aufzählen, was außer Spesen noch gewesen ist. Wir haben im Personenverkehr auf den Zugangswegen auf den Straßen eine Steigerung von 64 0/o.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das bestreiten Sie nicht, das wollen Sie verdrängen. Aber dies ist mehr als Spesen. Dies ist für die
Berliner lebensnotwendig, und dafür haben wir jahrelang gekämpft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Erinnern Sie sich denn gar nicht mehr daran, daß dann, wenn die CDU/CSU-Fraktion in Berlin tagte, die Ampeln tagelang auf Rot standen? Sie haben darunter nicht gelitten. Aber die Kraftfahrer und die Berliner und die Menschen, die nach Berlin wollten, mußten stunden- und tagelang dort stehen, während Sie mit dem Flugzeug wieder ausflogen.

(Frau Berger [Berlin] : Das haben wir doch alle zusammen mitgemacht!)

- Selbstverständlich. (Zurufe von der CDU/CSU: Na also!)

Aber dies ist jetzt überwunden. Ihre Fraktion hat getagt, unsere Fraktion hat getagt. Es gab vielleicht von ADN einen — von den anderen Protesten leicht variierten Protest aber es hat ernsthaft nichts gegeben, was im Sinne von früher war, als die Ampeln auf Rot standen, wenn es der DDR gefiel und wenn sie Lust dazu hatte. Dies geht heute nicht mehr, und das ist ein großer Erfolg. Dies ist mehr als nur Spesen.

(Abg. Freiherr von Fircks: Die Ampeln stellen die wieder auf Rot, wenn sie Lust haben!)

Wir haben im Personenverkehr auf der Bahn eine Steigerung von 37 %. Auch dies ist eine großartige Steigerung, und dies ist für die Stadt Berlin lebensnotwendig.

(Abg. Windelen: Das ist doch hier von uns betont worden!)

— Ja, selbstverständlich betonen wir die Erfolge dieser Politik; das ist hier und heute der richtige Platz dazu. Die Besuchsregelungen im Viermächteabkommen und im Grundvertrag haben zu millionenfachen Begegnungen geführt.
Herr Dr. Marx meinte, etwas über die Stimmung der DDR-Bevölkerung wissen zu können. Aber ich glaube, daß dies für die DDR-Bevölkerung mehr ist als ein frommer Gruß am 17. Juni und immer wieder folgend an jedem 17. Juni mit einer Aufforderung zum Ausharren. Allein der Besuchsverkehr von West-Berlin in die DDR und nach Ost-Berlin nähert sich der Zahl von 6 Millionen. Dies ist ein großer Erfolg, und dies werden wir immer und immer wieder sagen. Ich glaube, daß dies mehr ist als manche juristischen Bodenturnereien, die Herr Kunz und Herr Jäger (Wangen) und Herr Abelein im Ausschuß und hier immer wieder aufführen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707649000
Herr Heyen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen)?

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707649100
Gerne!

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0707649200
Herr Kollege Heyen, wären Sie so freundlich, dem Hause auch mitzuteilen, daß alle Erfolge, die Sie eben aufgezählt



Jäger (Wangen)

haben und die auch heute morgen der Herr Bundeskanzler aufgezählt hat, Ergebnisse des Verkehrsvertrages waren, dem notabene unsere Fraktion ihre Zustimmung gegeben hat,

(Lachen bei der SPD)

und daß diese Erfolge also auf Grund von Vereinbarungen eingetreten sind, die vor dem Grundlagenvertrag getroffen wurden, der erst die eigentliche Preisgabe deutscher Positionen gebracht hat?

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707649300
Nein, das kann ich dem Hause nicht mitteilen, denn die Besucherzahl, die ich eben zitiert habe, ist innerhalb des Viermächteabkommens abgewickelt worden und nicht innerhalb des Verkehrsvertrages, obwohl ich nicht leugnen will, daß der Verkehrsvertrag natürlich auch einen großen Erfolg gezeitigt hat. Ich freue mich, daß Sie dem zugestimmt haben, und ich wäre noch froher gewesen, wenn Sie auch den anderen Verträgen zugestimmt hätten. Aber dazu konnten Sie sich ja aus wahlpolitischen Gründen nicht mehr entschließen.

(Abg. Windelen: Sie Spaßvogel!)

Ich glaube, wenn wir uns die Interessenlage der DDR immer wieder vor Augen führen, so zeigt sich — und davor dürfen wir nicht resignieren -, daß sie an zwei Punkten immer wieder Widerstand leisten wird. Das ist einmal in der Frage der Bindungen Berlins an den Bund; denn hier hatte die CDU/CSU und die von ihr getragene Regierung es mit 25 Verträgen mit osteuropäischen Staaten ohne
Berlin-Klausel der DDR schon recht leicht gemacht, und die DDR war auch schon einen Schritt weitergekommen. Wir haben erreicht, daß die Bindungen Berlins an den Bund jetzt auch von der Sowjetunion anerkannt werden.

(Lachen bei der CDU/CSU. Abg. Frau Berger [Berlin] : Das dürfen Sie in Berlin nicht laut sagen!)

Hier wird natürlich immer wieder Widerstand von der DDR kommen, und hier werden wir immer wieder unseren Standpunkt durchzusetzen haben. Ich glaube auch, daß in der Frage der Besuchsregelung immer wieder Widerstand von der DDR kommt, weil sie Besuchsregelungen nicht als Besuchsregelungen sieht, sondern auch als eine Frage ihrer eigenen Sicherheit. Das haben wir nicht zu entschuldigen, und ,das wollen wir nicht entschuldigen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Sie etwas dagegen tun!)

Aber dies müssen wir sehen, und dagegen tun wir auch etwas. Wir müssen natürlich sehen, daß dies Punkte sind, die die DDR immer wieder in die Waagschale werfen wird. Unsere Aufgabe wird es sein, im Sinne von Geist und Buchstaben der Abkommen und Verträge dem klar entgegenzutreten.

(Abg. Seiters: Vor der Wahl haben Sie ganz andere Illusionen geweckt! Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ja, bitte schön!

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0707649400
Herr Kollege Heyen, stimmen Sie mit mir im folgenden überein: Das Problem in diesem Zusammenhang besteht darin, daß die Leistungen, die wir im innerdeutschen Grundvertrag und mit der Zustimmung zum UNO-Beitritt beider Staaten in Deutschland gegenüber der DDR erbracht haben, der Natur der Sache nach unwiderruflich sind, während die Leistungen, die die DDR uns gegeben hat, der Natur der Sache nach widerruflich sind, daß die Gegenleistungen der DDR von Ost-Berlin immer wieder unterlaufen werden und daß deshalb die Möglichkeit der Reaktion unsererseits so außerordentlich schwer geworden ist?

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0707649500
Darüber könnten wir ein ganzes Kolleg anstellen, Herr Kollege.

(Abg. Seiters: Das ist eine einfache Frage!)

Aber ich glaube, über die Frage, was wir an Leistungen erbracht haben, gehen die Meinungen so weit auseinander, daß wir heute mit diesem Punkt nicht mehr klarkommen würden.

(Abg. Mertes [Gerolstein]: Sehr wahrscheinlich!)

Aber ich möchte noch eine Frage an den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU stellen -- er ist leider nicht im Raum und ihn fragen, ob er meint, daß er wirklich gut beraten ist, falls er auch will, daß wir langsam, aber sicher in der deutschen Frage vorankommen, wenn er sich von einer juristisch verengten Position seiner neuen Berater im Innerdeutschen Ausschuß leiten läßt. Ich glaube, dies ist eine Position, die in die Isolierung führt, und ich hoffe, daß er dies eines Tages einsehen wird. Denn mit juristisch verengten Darstellungen werden wir nicht weiterkommen. Wir müssen praktische Schritte tun.

(Abg. Jäger [Wangen] : Tun Sie sie mal!)

Schritte, die die Menschen in diesem Lande weiterbringen, und keine Schritte, die uns verbal-juristisch Luftschlösser aufbauen, mit denen die Menschen drüben in der DDR absolut nichts anfangen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707649600
Der Ältestenrat hat vereinbart, urn 21 Uhr Schluß zu machen. Ich bitte, das bei den weiteren Reden zu beachten und sich vor allem bei den Zwischenfragen zurückzuhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0707649700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war sicher nützlich und notwendig, daß der Kollege Heyen in seinem Diskussionsbeitrag noch einmal auf die unübersehbaren positiven Aspekte einer neuen Deutschland- und Ostpolitik hingewiesen hat. So sind wir noch einmal daran erinnert worden, daß der Opposition durch die neue Ostpolitik überhaupt erst die Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind, daß sie hier heute Lage-



Hoppe
vergleiche ziehen und über schlechte Lagen reden konnte.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Aber Herr Kollege!)

Ohne diese veränderte Politik, meine Damen und Herren, gäbe es überhaupt nichts von jenen Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland, an denen Sie den ganzen Tag herumgenörgelt haben.
Wenn man die Diskussionsbeiträge der Kollegen Marx und Abelein gehört hat, dann muß man glauben, die Lage der Nation habe sich schrecklich verdüstert. Nun, es fällt Ihnen offensichtlich von Hause aus schwer, nicht schwarzzumalen. Aber es würde der Aussprache und der Fortentwicklung dieser Politik nützlicher sein, wenn wir nicht so schwarzweiß-malen würden. Man muß zwar in kräftigen Strichen deutlich die Konturen zeichnen,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Die sind immer schwarz-weiß!)

aber es sollte nicht so geschehen, daß behauptet wird, diese Regierung, die mit ihrer Politik Erstarrung und Resignation überwinden mußte, habe überhaupt keine Leistungen aufzuweisen.
Die grotesken Überzeichnungen, meine Damen und Herren, sind es, die die Diskussion erschweren. Wenn Herr Marx

(Zuruf von der FDP: Wer ist das?!)

zum Schluß seiner Ausführungen die große geschichtliche Dimension bemüht und dazu ausführt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien auf dem Abmarsch in den Kommunismus seien

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das hat er nicht gesagt!)

— doch, doch, lesen Sie es sich selbst noch einmal durch —, dann muß er sich sagen lassen: Das war ja wohl nichts!
Meine Damen und Herren, auch die Opposition sollte zugestehen, daß die Bundesregierung in ihrem Tätigkeitsbericht für das Jahr 1973 von dem Grundlagenvertrag im Zusammenhang mit dem UNO-Bei- tritt der beiden deutschen Staaten, bei dem durch die Haltung der Bundesregierung der Eintritt der DDR in dieses Forum der Welt ermöglicht wurde, mit Recht als dem herausragenden politischen Ereignis des vergangenen Jahres spricht. Dieser Vorgang verdient die Wertung nicht nur wegen seiner spezifischen Bedeutung für die Lage der Nation, sondern wegen seines unbestreitbaren internationalen Ranges.
Dieser Vertrag ist dann vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt worden, und damit sind die verfassungsrechtlichen Einwände der Opposition zu den Akten gelegt.

(Abg. Jäger [Wangen] : Das ist zu einfach, Herr Kollege Hoppe! Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das paßt gar nicht zu Ihnen!)

— Ich komme darauf, Herr Jäger. — Es mutet nun etwas sonderbar an, wenn ausgerechnet die mit ihrem Rechtsbegehren zurückgewiesene Opposition die Bundesregierung jetzt mit Penetranz immer wieder auffordert sich auch künftig verfassungskonform zu verhalten. Dabei gibt es überhaupt keinen Grund, gerade dieser Regierung nachzusagen, sie würde entgegen der Staatspraxis den Spruch des Gerichts nicht beachten.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Ob das Verhalten der Opposition allerdings den laufenden Verhandlungen nützt, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der FDP.)

Ich vermag darin jedenfalls keine konstruktive Deutschlandpolitik zu erblicken. Es wirkt auch peinlich, wenn in einer solchen Situation der Herr Kollege Abelein hier ans Pult tritt und dann seine Schläge aus dem Wurstkessel des Grundgesetzes austeilt. Das sollten wir unterlassen.

(Abg. Gerster [Mainz] : Was heißt das denn „Wurstkessel des Grundgesetzes"? Können Sie das mal erklären?!)

— Lesen Sie das einmal nach, was der Herr Kollege Abelein der SPD-Fraktion dieses Hauses an Belehrungen für ein besseres Verständnis des Grundgesetzes und der Entscheidungspraxis des Verfassungsgerichts geglaubt hat andienen zu müssen.

(Abg. Seiters: Das Auge Wehners ruht wohlgefällig auf Ihnen! -Abg. Gerster [Mainz] : Sagen Sie doch mal was der „Wurstkessel des Grundgesetzes" ist!)

Auch ein weiterer Beitrag in der Diskussion verdient, so meine ich, herben Widerspruch. Den Bundesminister Bahr — so mußte ich die Ausführungen von Herrn Marx verstehen — im Zusammenhang mit dem ausgehandelten Transitabkommen und dem darin enthaltenen Mißbrauchstatbestand zum Handlanger der DDR und ihrer Fluchthelferprozesse zu machen, scheint mir wirklich eine so billige Polemik, die wir uns nicht leisten sollten.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Man kann objektiv zum Handlanger des DDR-Systems werden, ohne es subjektiv zu wollen!)

— Subjektiv hilft hier nicht mehr weiter. —

(Abg. Gerster [Mainz] : Sie sollten sich Herrn Bahr nicht leisten!)

Gerade an dieser Stelle weiß es die Opposition besser, und wenn Sie es nicht wissen sollten, dann lassen Sie sich schleunigst von einem solchen Sachkenner wie dem Kollegen Gradl informieren. Sie alle sollten aus der Entstehungsgeschichte wissen, daß dieses Abkommen, das wir alle wollten und das eine so entscheidende Funktion für die Sicherung der Stadt Berlin, ihrer Zukunft und Lebensfähigkeit hat, auch nach Auffassung der Westmächte, nur mit einer solchen Mißbrauchsregelung zu kriegen war; andernfalls hätten wir es überhaupt nicht bekommen.
Daraus jetzt grobe Vorwürfe gegen ein Mitglied dieser Regierung abzuleiten, an dem man sich als



Hoppe
Opposition gerne reiben möchte, das, meine ich, ist Kritik unter der Gürtellinie.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Jäger [Wangen] : Herr Grabert hat doch Anlaß zu dem ganzen Streit durch seine Äußerungen gegeben!)

Der Bundeskanzler hat heute vormittag in seiner Erklärung von unserer europäischen Verpflichtung gesprochen. Ich glaube, es ist an der Zeit, zum Abschluß einer Debatte über die Ostpolitik und unserer Aussprache über die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland unseren Partnern in der EWG dafür Dank zu sagen, daß sie den für die Entwicklung dieser Beziehungen so wichtigen Interzonenhandel als einen die DDR privilegierenden Handel zugelassen haben. Es ist erfreulich, feststellen zu können, daß sich merkantile Erwägungen bei unseren Partnern nicht in den Vordergrund geschoben haben. Sie haben bei ihrer Politik der Vernunft den Vorrang gegeben und stets solidarisch entschieden.
Es bleibt zu hoffen, daß es uns gelingt, in Westeuropa die Rückschläge der letzten Tage bald zu überwinden und den Weg zur politischen Union wieder freizumachen. Daneben sollten wir weiter den Ausgleich mit den Ländern des Ostblocks suchen. Dies in voller Absicherung und mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft zu tun entspricht unserer Überzeugung. Auf lange Sicht könnte dann gerade der Beitrag, den die beiden deutschen Staaten zur Normalisierung ihrer Beziehungen leisten, die entscheidende Brückenfunktion zwischen Ost und West in Europa schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707649800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID0707649900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an sich zu der Äußerung von Herrn Minister Bahr — —

(Abg. Schmidt [München] : Ist das eine persönliche Erklärung?)

— Genau dazu gebe ich eine persönliche Erklärung ab. Die Formulierung einer solchen persönlichen Erklärung müssen Sie mir überlassen, Herr Fellermaier.

(Abg. Fellermaier: Ich hatte die Frage gar nicht gestellt! — Zuruf von der SPD: Das muß der Präsident ankündigen!)

Herr Bahr wirft denen, die anderer Meinung sind als Sie, gerne vor, sie seien schändlich oder sie begingen intellektuelle Unredlichkeit. In der „Zeit" steht in einer — zugegeben — Vierjahresbilanz, die Herr Bahr über die Bonner Ostpolitik gegeben hat und in der er auch etwas über die Deutschlandpolitik schreibt — wobei ich noch anmerken müßte, daß die Deutschlandpolitik jetzt anscheinend bereits zur Ostpolitik gehört —: „Die Koalition hat geschafft, was sie sich vorgenommen hatte." — Nun gebe ich zu: Es war eine Vierjahresbilanz; aber das Jahr 1973 gehört zu diesen vier Jahren mit hinzu. Also ist es auch eine Bilanz über das Jahr 1973. In dieser Bilanz haben Sie aufgeführt, was Sie alles erreicht haben, z. B. die Steigerungsraten im Besucherverkehr. Aber die laufenden Verletzungen der Menschenrechte, die Beispiele für die Unmenschlichkeit, die ich heute angeführt habe und die Sie nicht bestreiten konnten, haben Sie nicht angeführt.

(Zurufe von der SPD.)

Das Anführen all dieser Dinge gehörte eigentlich mit zu Ihrer Jahresbilanz.

(Abg. Fellermaier: Damit ist die Debatte wieder eröffnet!)

Ich frage mich, ob sich einer, der eine so einseitige, unvollständige Jahresbilanz aufstellt, den Vorwurf der Unredlichkeit nicht selbst zuzieht,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie müssen den Krieg gewinnen!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707650000
Die Debatte ist nicht wieder eröffnet, sondern sie ist überhaupt noch nicht geschlossen.
Herr Abgeordneter Kleinert!

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0707650100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint mir sehr kompliziert zu sein, das Amt eines Professors für Politologie und das Amt eines Professors für öffentliches Recht miteinander zu vereinbaren.

(Abg. Gerster [Mainz] : Jawohl, Herr Lehrer!)

Wir haben hier heute allenfalls den Professor für Politologie, aber keinesfalls den Professor für öffentliches Recht Abelein gehört; denn das, was hier zu Fragen der Verfassung gesagt worden ist, schlägt den Bemühungen, die die Opposition vorschützt, und dem, was sie hier emphatisch vortragen läßt, absolut ins Gesicht.

(Zustimmung bei der FDP.)

Über unsere Verfassung muß man ganz sachlich und ausschließlich an Hand von Tatsachen sprechen.

(Abg. Dr. Jenninger: Tun Sie es doch mal!) — Wir werden darüber am 14. Februar sprechen,


(Abg. Dr. Jenninger: Was soll denn das jetzt? Was soll die Polemik jetzt?)

weil es nämlich immer so ordentlich zugeht, wie es vom Ältestenrat angeordnet ist. Herr Abelein als Professor für öffentliches Recht hat es aber für richtig gehalten,

(Abg. Gerster [Mainz] : Keine Komplexe, bitte!)

hier heute in einer infamen, demagogischen Art und Weise — —

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707650200
Herr Abgeordneter Kleinert, entschuldigen Sie, „demagogisch" ist nicht schön; aber das ist heute oft gebraucht worden. „Infam" geht aber zu weit; das ist nicht mehr parlamentarisch.




Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0707650300
Wenn es nun halt so war, was soll ich mir für einen Ausdruck ausdenken?

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Jedenfalls ist es doch so: Von unseren sozialdemokratischen Freunden wird niemand erwarten, daß sie sich gegen den überaus ungehörigen Vergleich mit Herrn Götz von Berlichingen und seiner Äußerung gegenüber einem Kaiser verwahren. Als Partner in dieser Koalition halte ich es für dringend notwendig, darauf hinzuweisen, daß eine solche Äußerung selbstverständlich in jeder Dorfkneipe zur Erheiterung der Gemüter angebracht sein kann, daß sie aber einem Professor, der hier für öffentliches Recht und für die Verfassung streitet, sehr schlecht ansteht, wenn er sich darüber unterhält, wie sich die einzelnen Fraktionen dieses Hauses zur Verfassung einstellen und in Zukunft einstellen sollten.

(Beifall bei 'den Regierungsparteien.)

Ich habe es außerordentlich bewundert, wie Sie Ihre Nebentätigkeit hier in Volksbelustigung ummünzen. Sie haben heute über „Volksfest" gelacht. Ich kann nur sagen: Das, was Sie hier gebracht haben, um für die Verfassung zu streiten, hätte, wenn es mehr Leute gehört hätten, dieser Verfassung weitaus mehr geschadet als alles, was Sie den Koalitionsfraktionen vorwerfen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0707650400
Meine Damen und Herren, zuerst einmal stelle ich fest, daß der Ältestenrat nicht anordnet, sondern vereinbart.
Sodann, wenn mir diese Anmerkung erlaubt ist, hat, soweit meine literarischen Kenntnisse reichen, Götz von Berlichingen seinen berühmten Gruß nicht dem Kaiser, sondern jemand anderem entboten, womit ja dann eine ganz andere Gedankenlinie aufgereiht ist.
Wünscht noch jemand das Wort? Das ist nicht
der Fall, Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1593. Auf Vorschlag des Ältestenrates soll der Antrag dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen — federführend — und dem Auswärtigen Ausschuß mitberatend überwiesen werden.
Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Januar 1974, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.