Protokoll:
7045

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 45

  • date_rangeDatum: 19. Juni 1973

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:33 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 45. Sitzung Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973) (Drucksachen 7/250, 7/599); Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses — Fortsetzung der zweiten Beratung — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksache 7/728) Grobecker (SPD) . . . . . . . . 2561 B Dr. Jenninger (CDU/CSU) . . . . 2562 C Haehser (SPD) . . . . . . • . 2570 A Hoppe (FDP) . . . . . . . . . 2574 D Schmidt, Bundesminister (BMF) . . 2576 C Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft (Drucksachen 7/729, 7/760) Röhner (CDU/CSU) 2579 A Kulawig (SPD) 2579 D Dr. Erhard (CDU/CSU) 2581 D Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . 2587 B Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 2594 B Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 7/730) Röhner (CDU/CSU) . . . 2607 A, 2620 C Löffler (SPD) . . . . . 2610 A, 2622 A Gallus (FDP) . . . . . . . . . 2612 D Ertl, Bundesminister (BML) . . . . 2616 D Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) 2621 A Ronneburger (FDP) 2622 C Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksache 7/732) Müller (Nordenham) (SPD) 2623 A, 2627 C, 2640 C Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2625 B Ollesch (FDP) . . . . . . . . . 2630 C Dr. Lauritzen, Bundesminister (BMV) 2633 A Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 2637 C Engelhard (FDP) 2639 B Schmitt (Lockweiler) (CDU/CSU) . 2640 A Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit (Drucksache 7/735) Carstens (Emstek) (CDU/CSU) . . . 2641 B Dr. Sperling (SPD) 2642 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksache 7/738) Esters (SPD) 2644 C Picard (CDU/CSU) 2645 D Dr. Holtz (SPD) . . . . . . . 2646 D Zywietz (FDP) 2649 C Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) . . . 2651 D Dr. Eppler, Bundesminister (BMZ) . 2655 A II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksache 7/739) Simpfendörfer (SPD) . . 2655 C, 2658 B Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 2657 C Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksache 7/741) Dr. Ehmke, Bundesminister (BMFT/BMP) . . . . . . . . 2659 B Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) . . 2659 B Dr. von Bülow (SPD) . . . . . . 2660 A Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 7/742, 7/791) Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 2660 C Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 7/743) Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . 2661 A Blank (SPD) 2661 B Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 7/747) Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 2662 B Haehser (SPD) . . . . . . . . 2663 C Haushaltsgesetz 1973 (Drucksachen 7/748, 7/761) Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . 2664 D Hoppe (FDP) 2665 D Fragestunde (Drucksache 7/769) Fragen A 55 und 56 des Abg. Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Qualifikation und Funktion des Staatssekretärs Gaus Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . 2599 C, D, 2600 A, B, C Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) . . 2599 C, D, 2600 B, C Wischnewski (SPD) 2600 A Frage A 12 des Abg. Dr. Hupka (CDU/CSU) : Einführung deutscher Sprachkurse für Aussiedler durch die ARD Baum, Parl. Staatssekretär (BMI) . . 2600 D, 2601 A, B Dr. Hupka (CDU/CSU) 2601 A Frage A 43 der Abg. Frau Dr. Riedel-Martiny (SPD) : Frühstück der Schulkinder und Subventionierung der Schulmilch Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . . 2601 B, C, D, 2602 A Frau Dr. Riedel-Martiny (SPD) . . 2601 B, C, 2602 A Frage A 42 des Abg. Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Übernahme der Kosten für den Förderschulbesuch jugendlicher Spätaussiedler Westphal, Parl. Staatssekretär (BMJFG) . . . . . 2602 A, C, 2603 A Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . 2602 C, D, 2603 A Dr. Hupka (CDU/CSU) 2603 A Frage A 5 des Abg. Scheu (SPD) : Meldungen über ein Schulungszentrum der Aktion Neue Rechte Baum, Parl. Staatssekretär (BMI) . 2603 B, C Fragen A 8 und 9 des Abg. Egert (SPD) : Anteil der Umweltforschung am Forschungsprogramm der Bundesregierung, spezielle Gebiete der Forschungsvorhaben und Abstimmung mit den Forschungsvorhaben der Universitäten Baum, Parl. Staatssekretär (BMI) . . 2603 D, 2604 B Egert (SPD) . . . . 2604 A Frage A 44 des Abg. Lambinus (SPD) : Sicherheitsgurte in Mietfahrzeugen für Selbstfahrer Haar, Parl. Staatssekretär (BMV) . . 2604 C Fragen A 47 und 48 des Abg. Vahlberg (SPD) : Förderung der marktnahen Entwicklung auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär (BMFT/BMP) . . . . 2604 D, 2605 A Frage A 52 des Abg. Engholm (SPD) : Vergabe öffentlicher Mittel für die berufliche Bildung Zander, Parl. Staatssekretär (BMBW) 2605 B, C, D Engholm (SPD) . . . . . . . . 2605 C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 III Frage A 51 der Abg. Frau Meermann (SPD) : Französischunterricht Zander, Parl. Staatssekretär (BMBW) 2605 D, 2606 A Frau Meermann (SPD) . . . . . . 2606 A Frage A 54 des Abg. Ziegler (CDU/CSU) : Kriterien für die Gewährung bezahlten Bildungsurlaubs Zander, Parl. Staatssekretär (BMBW) 2606 B, C Ziegler (CDU/CSU) . . . . . . 2606 B, C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 2666 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 2667* A Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold (BMB) auf die Fragen A 1 und 2 — Drucksache 7/769 — des Abg. Wohlrabe (CDU/ CSU) betr. Meldungen über die Eingliederung des RIAS in den Sender Freies Berlin — Unterstützung des RIAS durch die Bundesregierung 2667* C Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum (BMI) auf die Fragen A 3 und 4 — Drucksache 7/769 — des Abg. Walther (SPD) betr. Unterbringung des Bundesgrenzschutzes auf dem Flughafen Frankfurt und Dauer des Einsatzes . . . . . . . 2667* D Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum (BMI) auf die Frage A 6 — Drucksache 7/769 — des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) betr. Folgerungen der Bundesregierung aus dem Gutachten der Sachverständigenkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts . . . 2668* B Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum (BMI) auf die Frage A 7 — Drucksache 7/769 — des Abg. Freiherr von Fircks (CDU/CSU) betr. Meldungen über den in der Grenzkommission zu vereinbarenden Austausch von Grundbüchern und Grundakten, aus denen sich die Besitzverhältnisse von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland an Grundstücken und Vermögenswerten in der „DDR" ergeben 2668* C Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum (BMI) auf die Fragen A 10 und 11 —Drucksache 7/769 — des Abg. Büchner (Speyer) (SPD) betr. Bundeszuschüsse aus Sportförderungsmitteln für die Errichtung von Verwaltungsbauten . . . . . . 2668* D Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan) (BMVg) auf die Frage A 33 — Drucksache 7/769 — des Abg. Dr. Klepsch (CDU/ CSU) betr. Pflichtlektüre für Angehörige der NVA 2669* B Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal (BMJFG) auf die Frage A 39 — Drucksache 7/769 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) betr. Bekanntmachung der Mutationen bewirkenden Substanzen 2669* C Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal (BMJFG) auf die Fragen A 40 und 41 — Drucksache 7/769 — des Abg. Dr. Nölling (SPD) betr. Gründung eines schifffahrtsmedizinischen Instituts 2670* A Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar (BMV) auf die Frage A 45 — Drucksache 7/769 — des Abg. Milz (CDU/CSU) betr Auswirkungen der Kanalisierung der Saar auf die Saarwirtschaft 2670* C Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar (BMV) auf die Frage A 46 — Drucksache 7/769 — des Abg. Evers (CDU/CSU) betr. Neuorganisation der Wasserstraßenverwaltung in Baden-Württemberg . . . . 2670* D Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander (BMBW) auf die Frage A 53 — Drucksache 7/769 — des Abg. Dr. Evers (CDU/ CSU) betr. Anerkennung im Ausland abgelegter Reifeprüfungen 2671* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 2561 45. Sitzung Bonn, den 19. Juni 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens *** 23. 6. Dr. Aigner * 19. 6. Alber *** 23. 6. Dr. Artzinger* 20. 6. Amrehn *** 23. 6. Dr. Bangemann * 20. 6. Dr. Barzel 22. 6. Behrendt * 20. 6. Blumenfeld 19. 6. Frau von Bothmer *** 23. 6. Büchner (Speyer) *** 23. 6. Coppik 20. 6. Dr. Corterier * 20. 6. Dr. Dregger *** 23. 6. Dr. Enders *** 23. 6. Fellermaier * 21. 6. Flämig * 21. 6. Gerlach (Emsland) * 20. 6. Dr. Geßner *** 23. 6. Gewandt 20. 6. Dr. Gölter *** 23. 6. Dr. Holtz *** 23. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 20. 6. Kahn-Ackermann *** 23. 6. Dr. Kempfler *** 23. 6. Dr. Klepsch *** 23. 6. Dr. Kliesing *** 23. 6. Koblitz 20. 6. Lautenschlager * 20. 6. Leicht 20. 6. Lemmrich *** 23. 6. Lenzer *** 23. 6. Liedtke 20. 6. Marquardt *** 23. 6. Dr. Martin 20. 6. Memmel * 22. 6. Dr. Mende*** 23. 6. Dr. Müller (München) *** 23. 6. Opitz 20. 6. Frau Dr. Orth 20. 6. Pawelczyk *** 23. 6. Richter *** 23. 6. Dr. Schöfberger 20. 6. Dr. Schwencke *** 23. 6. Dr. Schwörer * 20. 6. Sieglerschmidt *** 23. 6. Dr. Frh. v. Spies 20. 6. Dr. Stark (Nürtingen) 20. 6. Dr. Starke (Franken) * 20. 6. Strauß 20. 6. Dr. Vohrer *** 23. 6. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Walkhoff * 20. 6. Frau Dr. Walz * 19. 6. Wende 20. 6. Wiefel 20. 6. Frau Dr. Wolf *** 23. 6. Würtz 20. 6. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold vom 18. Juni 1973 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Wohlrabe (CDU/CSU) (Drucksache 7/769 Fragen A 1 und 2) : Treffen Meldungen zu, daß der RIAS in spätestens zwei Jahren dem Sender Freies Berlin eingegliedert werden soll? Ist die Bundesregierung bereit, dem RIAS Berlin auch in Zukunft jegliche Unterstützung zukommen zu lassen, damit der RIAS seine vielfältigen Informationsaufgaben insbesondere für die Bevölkerung Berlins und die der DDR wahrnehmen kann? Zu Frage A 1: Auf die Frage des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Cantzler habe ich bereits am 31. 7. 1972 mitgeteilt, daß die Überführung des Senders RIAS in den Sender Freies Berlin durch die Bundesregierung weder erörtert noch geplant ist. An dieser Aussage hat sich nichts geändert. Zu Frage A 2: Die Bundesregierung ist dazu im Rahmen des Erforderlichen bereit. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum vom 19. Juni 1973 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Walther (SPD) (Drucksache 7/769 Fragen A 3 und 4) : Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um die auf dem Flughafen Frankfurt am Main eingesetzten Angehörigen des Bundesgrenzschutzes ordnungsgemäß unterzubringen, um sie vor allem gegen den Dauerlärm des Flughafens abzuschirmen? Für wie lange schätzt die Bundesregierung noch die Dauer des Einsatzes von Angehörigen des Bundesgrenzschutzes auf dem Flughafen Frankfurt am Main? Zu Frage A 3: Auf dem Flughafen Frankfurt/Main sind z. Z. ständig 88 BGS-Beamte im Sicherheitsdienst eingesetzt, die im wöchentlichen Turnus aus ihren Standorten abgestellt werden. Nachdem sie zunächst mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten nur in behelfsmäßig hergerichteten Räumen untergebracht waren, konnten seit Februar d. J. zwei ehemalige Bürogebäude auf dem Flugplatz zur Verfügung gestellt werden. Diese wurden vorher als Unterkunfts- 2668* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 gebäude mit einem Kostenaufwand von ca. 400 000 DM entsprechend hergerichtet. Wenn sie auch den allgemeinen Anforderungen entsprechen, so sind die darin untergebrachten Beamten wegen der Leichtbauweise dieser Gebäude den Lärmeinwirkungen des Flugplatzes, die vor allem von vor dem Gebäude liegenden Stand- und Ladepositionen der Nachtfrachtmaschinen herrühren, besonders ausgesetzt. Aufgrund von Bemühungen der zuständigen BGS-Verwaltung werden jedoch durch die Frankfurter Flughafen-AG z. Z. Baumaßnahmen durchgeführt, um diese Standpositionen an eine andere Stelle des Flugplatzes zu verlegen. In Kürze ist daher eine wesentliche Verringerung der Lärmeinwirkungen, die sich auf Start- und Landegeräusche reduzieren werden, zu erwarten. Im Benehmen mit der Flughafen-AG wird weiterhin geprüft, ob der Einbau zusätzlicher Lärmschutzeinrichtungen in die Unterkunftsgebäude Erfolg verspricht. Die daneben laufenden weiteren Bemühungen, geeignetere Unterkunftsmöglichkeiten an anderer Stelle zu schaffen, sind bisher im Ballungsraum Frankfurt erfolglos gewesen; sie werden aber fortgesetzt. Zu Frage A 4: Die weitere Dauer und der Umfang des Einsatzes des BGS auf dem Flughafen Frankfurt/Main läßt sich z. Z. nicht absehen. Sie hängt von der Entwicklung der allgemeinen Luftsicherheitslage ab. Es muß aber damit gerechnet werden, daß die Sicherheitslage im Luftverkehr voraussichtlich über Jahre hinweg angespannt bleiben wird. Die Erfahrung zeigt, daß bei gewaltsamen innerstaatlichen oder internationalen Auseinandersetzungen auch der Luftverkehr selbst unbeteiligter Staaten durch terroristische Anschläge bedroht ist. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum vom 19. Juni 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wagner (Gfinzburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7.769 Frage A 6): wie und zu welchen Zeitpunkten wird die Bundesregierung gesetzliche Folgerungen aus dem Gutachten der Sachverständigenkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts ziehen? Wie ich bereits am 14. Februar 1973 in meinem Bericht vor dem Innenausschuß dieses Hauses u. a. erklärt habe, betrachte ich das Gutachten der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts zusammen mit anderen Beiträgen zur Reformdiskussion als eine wesentliche Grundlage für die weiteren Überlegungen. Vordringliche Aufgabe wird es zunächst sein, in enger Zusammenarbeit mit den Bundesressorts und den Bundesländern sowie unter Beteiligung der Organisationen der Angehörigen des öffentlichen Dienstes den Rahmen des Gesamtkonzepts der Reform abzustecken. Inhalt des zu erarbeitenden Gesamtkonzepts werden die notwendigen gesetzlichen und sonstigen Schritte für eine Reform des öffentlichen Dienstrechts sein. Hierzu gehören auch konkrete Vorstellungen über die zeitliche und kostenmäßige Realisierung der einzelnen Reformvorschläge. Bei allen Überlegungen wird zu beachten sein, daß zwischen der Dienstrechtsreform und der funktionalen Verwaltungsreform ein enger Sachzusammenhang besteht. Ich gehe von der Erwartung aus, daß es gelingt, das Gesamtkonzept bis zum Jahresende zu entwikkeln und einen Teil der Reformvorschläge bereits bei der laufenden Gesetzgebungsarbeit zu berücksichtigen. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum vom 19. Juni 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Freiherr von Fircks (CDU/CSU) (Drucksache 7/769 Frage A 7) : Treuen Meldungen zu, daß im Rahmen künftiger Verhandlungen der nach dem Zusatzprotokoll zu dem Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der „DDR" zu bildenden Grenzkommission unter anderem auch der Austausch von Grundbüchern und Grundakten, aus denen sich die Besitzverhältnisse von Bürgern der Bundesrepublik an Grundstücken und Vermogenswerten in der „DDR" ergeben, vereinbart werden soll? Ihre Frage beantworte ich mit „Nein". Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Baum vom 19. Juni 1973 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Büchner (Speyer) (SPD) (Drucksache 7/769 Fragen A 10 und 11) : Kann die Bundesregierung bestätigen, daß der Deutsche Sportbund und der Deutsche Leichtathletikverband aus Sportförderungsmitteln des Bundes Zuschüsse für die Errichtung von Verwaltungsbauten (z. B. Nachfinanzierung „Haus des Sports", Errichtung eines „Hauses der Verbände", Errichtung von drei „Führungs- und Verwaltungsschulen" und Errichtung einer Verbandstrainerschule in Darmstadt) von fast 20 Millionen DM eingeplant oder beantragt haben? Trifft es zu, daß eine derarlig massive Verwendung von Sportförderungsmitteln für verbandspolitische Investitionen 70 Lasten sportbezogener Maßnahmen nicht zu vertreten ist? Zu Frage A 10: Der Deutsche Sportbund und der Deutsche Leichtathletikverband haben eine Beteiligung des Bundes an folgenden Vorhaben beantragt: a) Restfinanzierung des Hauses des Sports in Frankfurt/M. mit einer Belastung des Bundes in Höhe von 611 000,- DM b) Finanzierung des Hauses der Verbände, dessen Gesamtkosten nach den bisher vorliegenden Schätzungen zwischen 8,2 und 9,4 Millionen DM betragen sollen c) Beteiligung an der Finanzierung einer Führungs- d) und Verwaltungsschule des Sports in Berlin mit einem Betrag in Höhe von 1,9 Millionen DM e) Beteiligung an der Finanzierung der Verbandstrainerschule des DLV in Darmstadt mit einem Betrag von 1,5 Millionen DM f) Es ist weiter vorgesehen, im Zusammenhang mit dem Bundesleistungszentrum für Judo, Hockey und Schwimmen in Köln eine Trainerakademie zu errichten, wobei Räumlichkeiten in dem. geplanten Unterkunftsgebäude des Bundesleistungszentrums als Trainerakademie mitgenutzt werden sollen. Die Kosten des Unterkunftsgebäudes belaufen sich insgesamt auf ca. 6,8 Millionen DM. Das Vorhaben soll vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Bund gemeinsam finanziert werden. Weitere Anträge zur Finanzierung von Vorhaben der genannten Art liegen mir nicht vor. Zu Frage A 11: Die Bundesregierung steht der Errichtung einer Trainerakademie und einer Führungs- und Verwaltungsschule positiv gegenüber, das um so mehr, als die letztere in Berlin liegt. Im Hinblick auf die dringende Notwendigkeit, verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten für unsere Trainer zu schaffen, hat sich auch die Deutsche Sportkonferenz für den Bau einer Trainerakademie ausgesprochen. Die Errichtung einer Führungs- und Verwaltungsschule bietet dem Sport eine hervorragende Chance, seine Förderungsstruktur bis hinein in die Vereine modernen Erfordernissen anzupassen und damit die Vielfalt der Aufgaben besser zu meistern. Zur Frage des „Hauses der Verbände" des DSB und der Verbandstrainerschule des DLV in Darmstadt habe ich bereits in meinem Bericht vor dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages am 14. März 1973 Stellung genommen. Eine endgültige Entscheidung über die Beteiligung des Bundes an den Vorhaben ist hier aber erst nach Vorlage weiterer Unterlagen und deren abschließender Prüfung möglich. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es offenkundig ist, daß die Mittel, die für die Trainerakademie, das Haus des Sports und die Verbandstrainerschule des DLV zur Verwendung kommen, der Verbesserung der Struktur des deutschen Sports dienen. Auch bei der noch ausstehenden Entscheidung für das Haus der Verwaltungsschule wird dieser Gesichtspunkt zu berücksichtigen sein. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 19. Juni 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Klepsch (CDU/CSU) (Drucksache 7/769 Frage A 33) : Welche Pflichtlektüre ist den Soldaten, welche den Oftizieren der NVA arterlegt, um diese zum Haß gellen den westdeutschen Klassenfeind und seine Streilkräfte zu erziehen! Im „Leitfaden für das Studium in der gesellschaftswissenschaftlichen Weiterbildung der Offiziere und Berufsoffiziere im Ausbildungsjahr 1972/73" in der NVA werden rund 75 Titel als Pflichtlektüre genannt. Diese Pflichtlektüre greift unmittelbar auf Marx/Engels und Lenin zurück. Ein geringer Anteil stammt von Bresnew, Suslow, Honecker, Hager, anderen Verfassern und Autorenkollektivs. Neue Erscheinungen versuchen vor allem, die Koexistenz mit nicht-sozialistischen Staaten als die zur Zeit notwendige Form des Klassenkampfes zu erklären. Dabei bleibt Haß auf den Feind ein Teil des Klassenkampfes. Offenbar ist der Kommunismus, urn seine ideologische Wirkung im Innern zu bewahren, auf ein ideologisches Angriffsobjekt draußen, auf einen Feind angewiesen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal vom 18. Juni 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache 7/769 Frage A 39) : Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, tun sicherzustellen, daß die künstlichen wie auch die natürlich vorkommenden Substanzen, die Veränderungen der Erbanlagen (Mutationen) in den Keimzellen und auch in den Körperzellen hervorrufen können, in einem Katalog der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden? Die Bundesregierung möchte davon absehen, einen Katalog von mutagenen Stoffen zu veröffentlichen. Es sind etwa 400 Stoffe synthetischer und natürlicher Herkunft bekannt, die sich im Experiment als mutalten erwiesen haben. Diese Untersuchungsergebnisse lassen sich indessen nicht einfach auf den Säugetierorganismus und auf den Menschen übertragen. Bei einem Teil dieser Stoffe wirkt sich die mutagene Eigenschaft beim Menschen nicht aus, bleibt unauffällig oder der Mensch wird nur mit einer solchen Dosis kontaminiert, die unwirksam ist. Ein anderer Teil wird trotz der bekannten mutagenen Eigenschaft unter ärztlicher Aufsicht und Verantwortung zur Bekämpfung schwerer Infektionskrankheiten eingesetzt. Diese kurze Darstellung zeigt, daß sowohl die Extrapolation von gewiß korrekten Untersuchungsergebnissen auf den Menschen als auch die SchadenNutzen-Abwägung zur Zeit noch sehr schwierig ist. Die Bekanntgabe einer Aufstellung von mutagenen Stoffen würde sich bei dieser Sachlage in der Öffentlichkeit so auswirken, daß Fehleinschätzungen zu erwarten sind und damit der so nicht zutreffende Eindruck hervorgerufen wird, man sei von einer Vielzahl derartiger Stoffe direkt bedroht. 2670* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 Die Bundesregierung befaßt sich ständig mit der Problematik dieser Stoffgruppe und prüft zur Zeit, ob und welche Regelung des Verkehrs mit diesen Stoffen, vor allem im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Giftgesetzes, getroffen werden kann. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal vom 18. Juni 1973 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Nölling (SPD) (Drucksache 7/769 Fragen A 40 und 41): Warum gehen die Vorbereitungen zur Gründung eines schifffahrtsmedizinischen Instituts nur so schleppend voran? Ist die Bundesregierung bereit, die Initiative zur baldigen Gründung eines solchen Instituts zu ergreifen? Zu Frage A 40: Die Vorbereitungen einer Umwandlung der beim Bernhard-Nocht-Institut für Tropenkrankheiten in Hamburg bestehenden Abteilung für Schiffahrtsmedizin in ein eigenes Institut stößt hinsichtlich der laufenden Förderung auf eine Reihe von Schwierigkeiten. So konnte bisher noch keine verbind- liche Absprache mit den in Frage kommenden Bundesländern über die Finanzierung, insbesondere der Folgekosten erzielt werden. Erschwerend wirkt sich auch die Stellungnahme des Wissenschaftsrates aus, daß es sich bei einem solchen Institut nicht um eine reine Forschungseinrichtung handele, so daß eine Anwendung des Königssteiner Abkommens oder seiner Folgeabkommen zu einer gemeinsamen Bund-Länder-Finanzierung in diesem Rahmen nicht möglich erscheint. Es ist daher leider auch heute noch nicht abzusehen, ob lediglich eine Verstärkung der jetzigen Abteilung für Schiffahrtsmedizin in Frage kommen wird oder ob und wann ein eigenes Institut für diese Aufgaben gegründet werden kann. Zu Frage A 41: Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß eine Verstärkung der schiffahrtsmedizinischen Forschung, Beratung und Praxis erforderlich ist. Sie ist daher bemüht, durch Forschungsaufträge aus dem Bereich der Seeschiffahrt wie der Binnenschiffahrt eine solche Entwicklung zu fördern. Sie wird auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitere Initiativen zur Gründung eines Instituts für Schiffahrtsmedizin ergreifen. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß wesentliche Beiträge hierzu von den an der Schiffahrt interessierten Ländern kommen müssen, ohne die jede Initiative der Bundesregierung schließlich ohne durchgreifende Wirkung bleiben muß. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar vom 19. Juni 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 7/769 Frage A 45) : Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Kanalisierung der Saar nicht zur dringend erforderlichen Strukturverbesserung der Saarwirtschaft beiträgt, sondern genau umgekehrt die bestehende Monostruktur noch weiter verfestigt, und daß darüber hinaus angesichts der über kurz oder lang zu erwartenden Harmonisierung der Wegekosten zwischen Schiene und Wasserstraße schließlich überhaupt noch ein Frachtvorteil auf der Kanalstrecke gegenüber der Schiene übrigbleibt? Die Regierungen vom Saarland und von Rheinland-Pfalz haben am 30. Januar 1973 gemeinsam erklärt, daß sie zwar mehr für das Projekt eines Saar-Pfalz-Rhein-Kanals plädieren, ein Ausbau der Saar bis zur Mosel aber auch zur Stabilisierung des montan-industriellen Kerns der Saarwirtschaft beitragen würde. Auch die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes sieht in einem Ausbau der Saar in Verbindung mit zusätzlichen Infrastrukturmaßnahmen ein „geeignetes Instrument zur Realisierung der strukturpolitischen Ziele des Saarlandes". Die Bundesregierung ist mit den Ländern der Auffassung, daß der Saarausbau verbunden mit einer Fortführung des „Regionalen Aktionsprogramms Saarland/Westpfalz" wesentlich zur Verbesserung der bestehenden Struktur in beiden Randgebieten beiträgt. Bei einem Ausbau der Saar werden der Wirtschaft Frachtvorteile von insgesamt 263 Millionen DM (Gegenwartswert auf den 1. Januar 1972 diskontiert) zuwachsen. Ob und in welcher Weise eine Harmonisierung der Wegekosten diese Aussage verändert, wird von den Zurechnungsmodalitäten der Kosten abhängen. Diese Frage kann aber nur im europäischen Rahmen gelöst werden. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar vom 19. Juni 1973 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Evers (CDU/CSU) (Drucksache 7/769 Frage A 46) : Trifft es zu, daß im Zuge der Neuorganisation der Wasserstraßenverwaltung in Baden-Württemberg in Zukunft nur noch eine Wasser- und Schiffahrtsdirektion erhalten bleibt, und daß dabei daran gedacht ist, die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Stuttgart am Sitz der Landesregierung bestehen zu lassen und das Personal und die Aufgaben der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Freiburg auf die Stuttgarter Direktion zu übertragen? Nach einem Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung sollen die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen im gesamten Bundesgebiet neu geordnet und ihre Zahl auf etwa die Hälfte verringert werden. Im Zuge der Auswertung dieses Gutachtens ist für eine Erörterung mit der Personalvertretung meines Hauses u. a. auch eine Zusammenlegung der Wasser- und Schiffahrtsdirektionen Freiburg und Stuttgart in Stuttgart zur Diskussion gestellt. Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 19. Juni 1973 2671* Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander vom 19. Juni 1973 auf .die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Evers (CDU/CSU) (Drucksache 7/769 Frage A 53) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Anerkennung im Ausland abgelegter Reifeprüfungen durch die Kultusministerkonferenz nur in einem sehr zeitraubenden Verfahren möglich ist und daß bei einem oft monatelangen Warten auf eine Entscheidung der Kultusministerkonferenz Abiturienten aus Entwicklungsländern in unzumutbarer Weise an der Aufnahme des Studiums gehindert werden, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten, auf eine Beschleunigung dieses Verfahrens hinzuwirken? Das Anerkennungsverfahren für im Ausland abgelegte Reifeprüfungen ist Angelegenheit der Länder, die hierfür bei dem Sekretariat der Konferenz der Kultusminister eine Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen eingerichtet haben. Die Bundesregierung kann auf das dort geübte Verfahren im einzelnen keinen Einfluß nehmen. Weil zum Teil bei der Bearbeitung umständliche Nachforschungen erforderlich sind, können von Fall zu Fall unterschiedlich lange Wartezeiten entstehen. Ich bin jedoch gerne bereit, die Konferenz der Kultusminister auf das in Ihrer Frage beschriebene Problem aufmerksam zu machen.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
— Drucksache 7/728 —
Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker Herr Berichterstatter, Sie haben das Wort.

Claus Grobecker (SPD):
Rede ID: ID0704500100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gehört zur Tradition dieses Hauses und der alljährlichen Etatberatungen, daß sich beim Einzelplan 08 eine allgemeine Debatte über die Haushaltspolitik des Bundes entfacht. Dabei tritt dann völlig in den Hintergrund, daß das Bundesministerium der Finanzen eines der größten Ressorts mit einem weit gespannten Aufgabenbereich ist. Ich nenne hier nur neben der Haushaltspolitik die Steuerpolitik mit einem so wichtigen Reformvorhaben wie der Steuerreform, die Finanzpolitik allgemein und die Finanzbeziehungen zu den Ländern und Gemeinden insbesondere. Außerdem liegt beim Bundesfinanzministerium die Zuständigkeit für das Bundesvermögen und — neu hinzugekommen in dieser Legislaturperiode — die Währungs- und Geld-sowie die Kreditpolitik, deren Bedeutung wir in den ersten Monaten dieses Jahres mit großer Deutlichkeit zu spüren bekommen haben. Und nicht zuletzt erwähne ich die Bundesfinanzverwaltung, die als Einnahmeverwaltung des Bundes für Zölle und Verbrauchsteuern immerhin 40 Milliarden DM Einnahme pro Jahr verzeichnet und damit in ganz erheblicher Weise zur Einnahmenseite des öffentlichen Haushaltes beiträgt.
Insgesamt umfaßt das Ressort mit nachgeordneten Behörden fast 45 000 Mitarbeiter. Lassen Sie mich deshalb als Berichterstatter zum Einzelplan 08 des Bundeshaushalts kurz auf das Ressort Finanzen eingehen, das ständig im Schatten des Etatministers steht.
Die Notwendigkeiten einer stabilitätsbewußten Gestaltung des Bundeshaushalts 1973 haben natürlich auch den Einzelplan 08 beeinflußt. Die beschlossenen Einsparungsmaßnahmen im personellen wie im sachlichen Bereich müssen schon wegen der hinter dem Begriff Finanzministerium stehenden und von mir bereits angedeuteten doppelten Betrachtungsweise dieses Ressort besonders treffen. Dieses Ressort hat nämlich bereits in der Vergangenheit in seiner Eigenschaft als Finanzressort im eigenen Hause der Etatabteilung gegenüber den anderen Ressorts immer als Vorbild dienen müssen, d. h., es hat schon in der gesamten Zeit seines Bestehens, unter welchem Minister auch immer, niemals — um es einmal salopp auszudrücken — Fett oder Speck ansetzen können und dürfen. Bei den Beschlüssen des Haushaltsausschusses hat es nun die gleichen strikten Beurteilungsgrundsätze wie die übrigen Ressorts ertragen müssen. Denn wenn früher schon nicht, wie könnte es jetzt eine günstige Ausnahmestellung beanspruchen?! Ich möchte diese Bemerkung verstanden wissen als die Beschreibung der besonderen Situation, in der sich der Etat des Finanzressorts befindet. Es ist klarzustellen, daß meine Fraktion die beschlossenen Einsparungsmaßnahmen in vollem Umfang für notwendig hält.
Lassen Sie mich diese Einsparungsmaßnahmen an Hand einiger Beispiele belegen.
Trotz vermehrter Aufgaben und Übernahme von rund 1 000 Stellen durch den Zugang des früheren Schatzministeriums konnten die Stellen für das gesamte Personal von rund 48 000 im Jahre 1961 auf rund 44 800 im Jahre 1972 abgebaut werden. Durch die Aufhebung oder Zusammenlegung von Dienststellen verminderte sich die Zahl der Hauptzollämter von 1961 bis 1972 um 18, die Zahl der Zollämter um 83, der Zollzweigstellen um 129, der Zollkommissariate um 93 und der sonstigen Zolldienste um 13.
In der Vermögensverwaltung wurde folgende Verminderung der Dienststellen im genannten Zeitraum erreicht: um eine Vermögensabteilung, um drei Bundesvermögensämter und um 14 Ortsverwaltungen der Bundesvermögensverwaltung.
Zusätzlich sind seit 1961 rund 850 Grenzaufsichtsstellen, Zollaufsichtsstellen und einige Zollschiffsstationen aufgelöst worden. In der Bundesfinanzverwaltung werden laufend die Möglichkeiten weiterer Rationalisierungen geprüft.
Den Einsparungen, meine Damen und Herren, im personellen und sachlichen Bereich steht ein Aufgabenzuwachs gegenüber, den die Bundesfinanz-



Grobecker
verwaltung in den letzten Jahren zu übernehmen hatte und der Einsparungen ganz besonders schwierig werden ließ. Sie werden, meine Damen und Herren, dies unschwer erkennen, wenn ich Ihnen einige dieser zusätzlichen Aufgaben kurz umreiße. Sie betreffen schwerpunktmäßig die steuerlichen Auslandsbeziehungen, das Kassen- und Rechnungswesen des Bundes, den Berlin-Verkehr und den „kleinen Grenzverkehr" im Rahmen der Berlin-Vereinbarung und des Grundvertrages mit der DDR, die verschärfte Überwachung beim Waffen- und Rauschgiftschmuggel und schließlich und letztlich die sonstigen wachsenden Aufgaben im Bereich der Zollverwaltung, beginnend mit der Sicherung der deutschen Landwirtschaft im Zuge der Wechselkursfreigabe, über die Überprüfung der vergünstigten Wareneinfuhr aus Entwicklungsländern bis hin zu den zusätzlichen, Aufgaben im Rahmen der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften.
Mit der Errichtung des Bundesamtes für Finanzen ergaben sich auf Grund von Abkommen Aufgaben zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, der Prüfung ausländischer Investmentgesellschaften nach dem Auslandsinvestmentgesetz und des Aufbaus einer zentralen Informationsstelle über steuerliche Auslandsbeziehungen.
Im Zusammenhang mit der Haushaltsreform wurde von der Bundesfinanzverwaltung eine Neuordnung des Kassen- und Rechnungswesens in Angriff genommen. Es ist vorgesehen, die gesamten Kassengeschäfte des Bundes bei einigen sogenannten Bundeskassen zusammenzufassen und durch Einsatz von EDV-Anlagen umfangreiche und schnelle Informationen über den Haushaltsvollzug bereitzustellen, wie sie für eine zeitgemäße Haushaltswirtschaft auch benötigt werden.
Die Vereinbarungen über den Transitverkehr zwischen dem Bundesgebiet und West-Berlin haben der Zollverwaltung die zusätzliche Aufgabe der Verplombung von Fahrzeugen und Behältern gebracht. Baumaßnahmen in Höhe von 45,7 Millionen DM und 95 Beamtenplanstellen wurden nötig. Der Personalmehrbedarf wurde, da keine neuen Planstellen zur Verfügung stehen, aus dem Stellenbestand der Zollverwaltung gedeckt. Die Zollverwaltung leistet damit einen wichtigen Beitrag für einen schnellen und unbehinderten Berlin-Verkehr.
Die Zollverwaltung, meine Damen und Herren, hat die Fahndung nach illegal eingeführten Waffen und Sprengstoffen sowie Rauschgiften erheblich verstärkt. Motorisierte Sondertrupps, bestehend aus Zollfahndungs- und Grenzbeamten mit Sonderausbildung, ausgestattet mit dem erforderlichen Fahndungsmaterial, sind in allen dafür in Betracht kommenden Grenzabschnitten aufgestellt.
Rund 30 000 der etwa 50 000 bundeseigenen und rund 80 000 der etwa 200 000 durch Bundesdarlehen geförderten Wohnungen für Bundesbedienstete und Angehörige der Bundeswehr sollen nach und nach modernisiert werden. Dies mußte verschoben werden, weil dieses Ressort im vorigen Jahr mit einer Ausgabenminderung von 50 Millionen DM belegt worden ist.
Mit diesen Bemerkungen, meine Damen und Herren, wollte ich, bevor wir uns in die große Debatte über die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung begeben, auf dieses Ressort hinweisen. Mir lag daran — entsprechend der Bedeutung dieser Aufgaben — dies auch einmal hier vor dem Plenum zu sagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704500200
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jenninger.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704500300
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratung des Entwurfs des Bundeshaushalts für das Jahr 1973 im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages stand unter einer zweifachen Aufgabenbelastung: Zum einen galt es, bei der Beratung des Haushaltsplans im Zeichen der unentwegt fortschreitenden Inflation über das normale Maß sparsamer Haushaltsgestaltung hinaus bei der Ausgabenbewilligung einen noch strengeren Maßstab anzulegen, um damit den notwendigen und, wie ich hinzufüge, auch möglichen Beitrag des Bundes in Form von Einnahmen und Ausgaben auf der Ebene des Haushalts zur Wiederherstellung der Stabilität des Geldwertes zu leisten. Gleichzeitig stellte sich die Aufgabe, auch die Vorstellungen der Bundesregierung dazu in die Tat umzusetzen.
Meine Damen und Herren, um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Nach unserer Auffassung ist dieses besondere Ziel leider in weitem Maße nicht erreicht worden. Nach dem Ergebnis der Beratungen im Haushaltsausschuß sollen die Gesamtausgaben des Bundes im Jahre 1973 120,29 Milliarden DM betragen. Sie sind damit gegenüber den von der Regierung vorgeschlagenen Ausgaben, wie gestern schon gesagt worden ist, nur um rund 100 Millionen DM herabgesetzt.
Die CDU/CSU hat im Haushaltsausschuß beantragt, im Interesse der Inflationsbekämpfung Ausgabenkürzungen von über 2,5 Milliarden DM — nach unserer Meinung ohne Änderung von Gesetzen durchführbar — vorzunehmen. Wir haben dies im einzelnen spezifiziert. Ich will es nur kurz andeuten: Kürzung der Ansätze für den Schuldendienst um 260 Millionen DM, Herabsetzung des Schuldendienstes für Gewährleistungen um 100 Millionen DM, Kürzung der Personalausgaben — dazu wird noch etwas gesagt — um 450 Millionen DM und Kürzung der nicht rechtlich gebundenen Ausgaben und der Ausgaben für Gemeinschaftsaufgaben um 1,7 Milliarden DM. Dies macht etwa 2,5 Milliarden DM aus.
Wir haben dazu vorgeschlagen, daß möglicherweise auf die Nettokreditaufnahme verzichtet werden kann, und wir haben insbesondere auch den Antrag gestellt und gemeint, man könne die Steuereinnahmen des Bundes um etwa 1,2 Milliarden DM heraufsetzen. Wir haben weiterhin nicht nur die Stillegung der Einnahmen aus der Stabilitätsabgabe und der neuen Investitionssteuer beantragt, sondern auch die Stillegung der Steuermehreinnahmen, die



Dr. Jenninger
nicht zur Haushaltsfinanzierung und zur Verringerung der Nettokreditaufnahmen benötigt werden, in Konjunkturausgleichsrücklagen nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben vor einigen Jahren mit uns zusammen dieses Gesetz zur Erhaltung der Stabilität geschaffen und haben immer wieder verkündet, daß dies eines der einmaligsten und vortrefflichsten Instrumentarien zur Konjunkturpolitik sei. Aber wenn es einmal die Chance gibt, dieses Gesetz anzuwenden, dann meiden Sie dieses Gesetz wie einen Aussätzigen und suchen die Umgehung dieses Gesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sehen nicht ein, warum Sie diese Bestimmungen in diesem Fall nicht anwenden wollen. Unsere Vermutung wird sich sicherlich bestätigen: Hier wird die Voraussetzung geschaffen, einen Juliusturm für spätere Wahlgeschenke zu schaffen, und hier sind wir nicht bereit, mitzumachen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Julius-Steiner-Turm!)

Im Haushaltsausschuß wurden unsere sämtlichen Anträge durch die Koalitionsfraktionen abgelehnt. Aber nicht nur aus diesem Grund stellt sich der Haushaltsplan 1973 für uns in jeder Hinsicht unbefriedigend dar:
Erstens. Bundesregierung und Koalitionsparteien waren selbst nicht bereit, die in ihrem Stabilitätsprogramm beschlossenen Einsparungen von rund 1 Milliarde DM durch konkrete Kürzungen im Haus-
halt ihren Niederschlag finden zu lassen.
Zweitens. Bei der Beratung des Haushaltsplans hat es sich gezeigt, daß es für das Parlament immer schwieriger wird, auch unter dem Zwang zur Stabilität, bei den eingefahrenen und versteinerten Strukturen des Bundeshaushalts nennenswerte Veränderungen vorzunehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage dies frei heraus ohne böse Blickrichtung auf irgendeine Seite: Nach meinem Eindruck wird das Haushaltsbewilligungsrecht, das Kontrollrecht des Parlaments immer mehr zu einer Farce. Dies ist eine ernste Frage, der man sich im Zeitalter der Mitbestimmung und der Demokratisierungsbestrebungen bis auf die Etage des Kindergartens sehr wohl einmal annehmen sollte. Ich sage dies frei heraus: nennenswerte Auf- und Ausgabenbeschränkungen sind letzten Endes nur noch durch Stabilitäts-Haushaltssicherungsgesetze möglich, auch wenn der Bundesfinanzminister den Ausdruck „Haushaltssicherungsgesetz" zu einem Tabu erklärt hat.
Die Arbeit des Haushaltsausschusses hatte ganz besonders unter der verspäteten Vorlage des Haushaltsentwurfs durch die Bundesregierung zu leiden. Der Zeitplan mit nur 13 Sitzungstagen machte eine gründliche Beratung des Haushalts unmöglich. Es war geradezu eine Zumutung für die Kollegen, in dieser kurzen Zeit, zum Teil bis spät in die Nacht hinein, eine Ausgabensumme von 120 Milliarden DM zu überprüfen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, auch dies bedeutet eine unerträgliche Einschränkung der Kontrollaufgaben des Parlaments, die in diesem Fall eindeutig zu Lasten der Bundesregierung geht. Ich will die Gründe, die zur verspäteten Vorlage des Haushaltsentwurfs geführt haben, nicht noch einmal untersuchen. Jedenfalls treffen die Argumente, die immer wieder, und zwar auch gestern, vorgetragen worden sind, daß daran z. B. die monetäre Entwicklung schuld gewesen sei, für den Haushalt sicherlich nicht zu; denn der Bundesfinanzminister hatte sich ja im September letzten Jahres gerühmt, es sei alles fix und fertig, man müsse nur noch die Wahlen abwarten, und dann könne man den Haushalt sofort vorlegen. Dies ist erst im April dieses Jahres, fünf Monate nach den Wahlen, geschehen.
Meine Damen und Herren, unser Verdacht scheint sich zu bestätigen: der Bundesfinanzminister wollte nur Zeit gewinnen, um sich aller Möglichkeiten haushaltstechnischer Kunstgriffe und Tricks, die sich immer gegen Ende eines Haushaltsjahres anbieten, auch in diesem Fall wiederum zu bedienen. Ich würde ihm, polemisch gesagt, längst den Ehrenpreis der Friseurinnung zuerkannt haben. Vor allem wollte er Zeit gewinnen, um noch gewisse Korrekturen auf der Einnahmeseite infolge der zu erwartenden inflatorischen Steuermehreinnahmen vornehmen zu können. Es hat sich gelohnt. Immerhin hat sich für den Bund seit der Aufstellung des Haushaltsplanes im Herbst 1972 mittlerweile auf Grund der verschiedenen Änderungen der Steuerschätzungen ein Mehrbetrag von 5,4 Milliarden DM ergeben.
Was auch immer die Gründe für die Verspätung sein mögen: wir haben diesem Verfahren nur deswegen zugestimmt, damit Sie nicht noch einmal ein Alibi für den Haushalt 1974 haben, um sagen zu können: auch dieser muß verspätet wegen Verzögerungen eingebracht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie gesagt, was auch die Gründe sein mögen: ein solches Verfahren stellt eine grobe Mißachtung des Parlaments dar.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Die deutsche Öffentlichkeit soll angesichts der Erwartungen, die zur Stabilitätspolitik gerade auch an den Deutschen Bundestag und an die Arbeit im Haushaltsausschuß geknüpft worden sind wissen, daß das Parlament unter einem solchen Zeitdruck seiner Aufgabe nicht gerecht werden könne. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat es im übrigen nicht für notwendig gehalten, im Gegensatz zu anderen Bundesministern, die sich die Zeit genommen haben, auch nur einmal bei den Beratungen im Haushaltsausschuß anwesend zu sein. Ich gehe nicht so weit, ihm zu unterstellen, daß er die Arbeit dieser „Parlamentsknechte" überhaupt nicht ernst nimmt. Aber ich hoffe, daß er wegen dieses von ihm inszenierten Verfahrens wenigstens ein schlechtes Gewissen hat.
Nichtsdestoweniger gilt unser Dank den Beamten des Finanzministeriums, insbesondere der Haushaltsabteilung, aber auch den anderen Ressorts für ihre Mithilfe sowie dafür, daß sie uns die Arbeit im Haushaltsausschuß erleichtert haben.



Dr. Jenninger
Bei der Einbringung des Haushalts am 3. April 1973 hat der Bundesfinanzminister erklärt, „in den vorgelegten Haushalts- und Finanzplanungsunterlagen würden die vom Bundeskanzler für die zweite sozialliberale Bundesregierung in der Regierungserklärung dargelegten Zielsetzungen und Programme ihren Niederschlag finden". Bei näherer Prüfung dieser Unterlagen hat sich aber ergeben, daß dieser Haushaltsplan 1973 — von Ausnahmen abgesehen; das will ich gern hinzufügen — alles andere als ein Startzeichen zu der großen gesellschaftspolitischen Erneuerung darstellt, die unter dem Kanzlerschlagwort von „der Verbesserung der Lebensqualität" heute schon zum Koalitionshymnus emporstilisiert worden ist. Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1973 stellt in weiten Bereichen nichts anderes dar als die biedere zahlenmäßige Fortschreibung einer seit Jahren und zum Teil seit Jahrzehnten eingeleiteten Politik mit mehr oder weniger hohen Steigerungsraten, die, wenn man den Investitionsbereich ins Auge faßt, zum Teil wegen der enormen Preissteigerungen real sogar rückläufig sind.
Die Verbesserung der Lebensqualität des Bürgers im Jahre 1973 stellt sich so dar: er darf mehr Steuern bezahlen, mehr Sozialabgaben bezahlen; er bekommt weniger für sein Geld; wer Kredite aufnimmt, muß hohe und höchste Zinsen bezahlen; es werden weniger Straßen gebaut, weniger Schulen gebaut, weniger Hochschulen gebaut, weniger Krankenhäuser gebaut, die Förderung der wirtschaftsschwachen Gebiete und die Verbesserung der Agrarstruktur werden eingeschränkt. Dies ist die bundesrepublikanische Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich kritisiere damit nicht die Notwendigkeit, im Rahmen der Stabilitätspolitik Ausgaben zu kürzen oder — besser gesagt, wie es gestern ausgedrückt worden ist — notwendige Leistungsverbesserungen zurückzustellen. Was wir aber lautstark kritisieren, um dies einmal zu sagen, ist der unerträgliche Propagandarummel, den Sie um Ihre Politik verbreiten,

(Beifall bei der CDU/CSU)

diese permanente Berieselung des Bürgers mit staatlichen Wohltatsabsichten, die ständige Erwekkung von Erwartungen, die in keinem Verhältnis — im haushohen Gegensatz, möchte ich sogar sagen —zu den realen Möglichkeiten der Verwirklichung stehen! Neuerdings hat der Mensch noch bei Ihnen Vorfahrt. „Der Mensch hat Vorfahrt!"

(Zuruf von der SPD: Immer schon!)

— das hat nichts mit der Fristenlösung zu tun! Der Mensch hat Vorfahrt! Bei soviel staatlich verordneter Menschlichkeit kann man dem nur hinzufügen: Deutsche, ihr könnt stolz sein auf euere Bundesregierung!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und demonstrativer Beifall bei der SPD.)

— Sie klatschen ein bißchen zu früh.
Nichts gegen die Tatsache, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Regierung ein umfassendes Verkehrsprogramm vorgelegt hat. Aber in 60 Seiten Vorstellungen über die Verbesserung unseres Verkehrssystems ist kein einziges Wort darüber zu lesen, wie Sie das alles finanzieren wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist wieder so ein Musterbeispiel sozialliberaler Beglückungspolitik, der in kurzer Zeit — so wie bei der Bildungspolitik — der übliche Katzenjammer wegen des Fehlens der Finanzmittel zur Realisierung folgen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir können Sie natürlich nicht daran hindern, mit diesem Stil weiterzufahren, aber wer sich selbst preist, so sagt der Dichter, außer durch die Tat, vernichtet die Tat im Preise. Wie nüchtern klingt dagegen die vor einigen Wochen gemachte Aussage eines Mannes, dem man alles andere als eine Vorliebe für Dramatisierung nachsagen kann, nämlich des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, des Herrn Klasen, der in bezug auf unsere wirtschaftliche Situation öffentlich erklärte: „Der Punkt ist nicht mehr fern, an dem wir alle in tiefes Wasser fallen."

(Abg. Dr. Carstens: Hört! Hört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Die liegen doch schon drin! — Es ist erreicht!)

Herr Wehner hat das gestern angesprochen, und ich will es gern in die Debatte einbringen, damit er weiß, wie wir darüber denken, daß eine in einem Verlag, den er besonders heiß und innig liebt, erscheinende Tageszeitung vor einigen Wochen geschrieben hat: Mit der Geldentwertung, die programmiert wurde, als die SPD 1970 Schillers Stabilitätsvorlage verwarf, hat die große Enteignung der breiten Volksschichten in der Bundesrepublik Deutschland begonnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben sich, Herr Wehner, an diesem Wort „programmiert" aufgehalten. Nun, es kann sicherlich ein bißchen kritisch beurteilt werden, aber manchmal wissen Sie, verbirgt sich etwas hinter etwas, vor dem man sich selbst verbirgt. Diese Enteignung der breiten Volksschichten der Bundesrepublik geschieht unter der administrativen Regie einer sozialliberalen Koalition und eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Sie erfaßt besonders diejenigen, denen sich dieser Bundeskanzler und diese Regierung angeblich besonders verpflichtet fühlen — die Arbeitnehmer. Wie oft wurde schon darauf hingewiesen: am härtesten trifft die Geldentwertung die Bürger und Bürgerinnen, die auf Grund ihres Alters oder ihrer angegriffenen Gesundheit nicht mehr aktiv am Arbeitsprozeß teilnehmen können — die Pensionäre und die Rentner. Für sie wird — so steht es auch in dieser Zeitung, und das kann ich nur unterstreichen — der Lebensabend nicht zur sozialliberalen Freude!

(Beifall bei ,der CDU/CSU.)




Dr. Jenninger
Zu lange hat man den Menschen in Deutschland das Perpetuum mobile ständig wachsender Einkommen, großer innerer Reformen unter Abbau des Leistungszwanges vorgegaukelt. Das ist doch in Wirklichkeit die Philosophie Ihrer Politik und das unausgesprochene Credo, das hinter Ihren Erwägungen steht.
Das Ergebnis ist heute auf allen Seiten eine Maßlosigkeit, eine Maßstabslosigkeit. Die Inflationsmentalität nimmt trotz der Stabilitätskonzepte zu. Zu lange hat sich die Bundesregierung um eine konsequente Konjunkturpolitik gedrückt. Sie hat von Vollbeschäftigung gesprochen, während es um Überbeschäfigung ging. Sie haben die Folgen der Inflation beschönigt:
Gestern wurde so getan, als ob das alles nicht zuträfe. Wir haben doch die markanten, zukunftsweisenden Worte des Herrn Schmidt noch in den Ohren, daß Stabilität so ein „Modewort" sei, und „ihn bedrücke die Sorge um die Stabilität nicht so wie andere". Heute geht er mit seinem Konzept hausieren und braucht sich dann nicht zu wundern, wenn er manchmal nicht ernst genommen wird. So ändert sich, Herr Schmidt, manchmal die Mode!
Sie haben Stabilitätsvorlagen und -vorschläge von allen Seiten als Panikmache und unsoziale Redensarten abgetan und sogar noch — wie jüngst der Bundeskanzler — Kritik an der Finanzpolitik von seiten des Sachverständigenrats als „staatsfeindliche Kampagnen" beschimpft. Ich möchte im Bundestag einmal deutlich die Frage stellen: Wann nehmen Sie eigentlich einmal die Aussagen des Bundesbankpräsidenten, der Fachleute der Bundesbank, der Sachverständigen und der vielen, die sich um die Konjunktur in unserem Lande Gedanken machen, ernst? Diese Frage möchte ich doch einmal hier stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jedenfalls setzen Sie sich nicht mit ihnen auseinander, sondern beschimpfen sie als staatsfeindliche Elemente, Schreibtischtäter und wie die Ausdrücke alle heißen.
Nun, gestern wurde im Zusammenhang mit dem Beitrag des Herrn Fraktionsvorsitzenden der CDU/ CSU das Wort „Skandal" bezüglich des Finanzplans diskutiert. Ich habe das nachgelesen. Herr Kollege Kirst, sicherlich ist das nicht ganz richtig interpretiert worden. In der Tat hat der Sachverständigenrat nicht den Finanzplan gemeint, so wie er uns als Drucksache des Bundes vorgelegt worden ist, sondern er hat die gesamte Finanzplanung der öffentlichen Hände in der Bundesrepublik gemeint, die auch notwendig ist. Die ist in der Tat ein Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber lesen Sie die Gutachten noch einmal nach auf das, was da sonst noch alles drinsteht. Da ist die Rede von „gelähmter Finanzpolitik der Regierung", von „Mangel an Durchsetzungskraft", von der „mangelhaft wahrgenommenen Führungskraft des Bundes in der Ausgabenpolitik",

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

vom „inflationistischem Gerangel der öffentlichen Hände", von „halbherzigen Maßnahmen" und der dadurch verlorenen Glaubwürdigkeit der Wirtschaftspolitik.
Aber das berührt diese Bundesregierung überhaupt nicht. Man läßt die Dinge treiben, und dann ist es kein Wunder, wenn erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der neuen Stabilitätskonzepte der Bundesregierung laut werden. Der Bund — das muß klar gesagt werden — hat seine Führungsaufgabe, auch wenn sie gestern bestritten worden ist, bei der Durchsetzung einer konjunkturgerechten und stabilitätsorientierten öffentlichen Finanzwirtschaft jahrelang — und ich füge hinzu: bis zur Stunde — nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bund hat — das können Sie nicht bestreiten — erhebliche Verantwortung für die Konjunktur und Stabilität. Sie, Herr Finanzminister,

(Abg. Haase [Kassel] : Der Herr Minister liest Zeitung!)

haben den Vorsitz in der Konzertierten Aktion, Sie haben den Vorsitz im Konjunkturrat, im Finanzplanungsrat, Sie haben das Stabilitätsgesetz zu verwalten, und an Ihrem Verhalten orientieren sich darum auch die Länder und die Gemeinden. Wenn der Bund in seiner Etatpolitik das Signal auf freie, d. h. expansive Fahrt selbst stellt, dann folgen ihm die anderen auf derselben Schiene nach.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704500400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704500500
Bitte sehr!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704500600
Herr Kollege Jenniger, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß der Bundesfinanzminister, wenn er schon nicht im Haushaltsausschuß war, wenigstens bei den Ausführungen im Plenum das Zeitungslesen unterlassen könnte?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704500700
Herr Kollege Althammer, dies zeigt wieder einmal deutlich den typischen Stil dieses Mannes,

(Lachen bei der SPD )

wie er Politik macht und wie er mit diesem Parlament umgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Da kann man sich nicht wundern, wenn dann Tages. zeitungen schreiben: Der macht nur noch auf die Methode Revolutionsrat!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704500800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704500900
Herr Kollege Jenninger, können Sie sich vorstellen, daß man trotz der



Dr. Arndt (Berlin)

Kompliziertheit Ihrer Ausführungen Zeitung lesen kann und Sie dennoch versteht?

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dr. Jenninger (CDU 'CSU) : Herr Kollege Arndt, Ihnen traue ich das zu. Aber von einem Bundesfinanzminister verlange ich so viel Anstand, daß er es dann wenigstens optisch nicht zeigt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Finanzminister hat bei der Einbringung des Haushalts 1973 mit großem Pathos erklärt, dieser „Bundeshaushalt sei Bestandteil eines weitergreifenden stabilitätspolitischen Gesamtkonzepts", er sei „Ausdruck der ökonomischen Vernunft und der Kontinuität unserer Reformpolitik".
Der Minister hat eine auffallende Begabung, sich selbst zu loben. Er meint, mit Formeln wie „die Finanzen sind in Ordnung" oder „die Haushaltspolitik des Bundes ist solide" seien alle Probleme gelöst. Inflationäre Finanzpolitik des Staates, meine Damen und Herren, wird nicht dadurch solide, daß der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister ihr Solidität bescheinigen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nach Berechnungen des Ifo-Instituts hat der Staat in den beiden letzten Jahren fast 43 Milliarden DM mehr an Steuern eingenommen. Berechnungen der Steuermehreinnahmen des Bundes, 1973 mit einbezogen, ergeben ein Mehr von 34 Milliarden DM.
Der Bundeskanzler hat gestern gesagt, unsere Androhungen vom Finanzchaos und vom Finanzskandal seien ja gar nicht eingetreten. Mit Stolz hat er dies zum Ausdruck gebracht. Meine Damen und Herren und Herr Bundeskanzler, warum ist ein Finanzchaos nicht eingetreten? Weil Sie mit diesem Inflationsgeld Ihre Haushaltslücken haben schließen können. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie sollten, wenn Sie solches in dieser Weise vortragen, nicht noch stolz auf diese Inflationsgelder sein.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, was ist mit diesem Geld geschehen? Auf der einen Seite hat das gewaltige Plus die Inflation kräftig angeheizt. Auf der anderen Seite ist das Geld im Inflationsherd verpufft. Dieser Prozeß, so scheint es, geht munter weiter. Der Bundeshaushalt 1973 ist in Wahrheit kein Beitrag zur Stabilisierung.
Ich will zu den einzelnen konkreten Gesichtspunkten ein paar Worte sagen. Wie steht es um den Stabilitätsbeitrag in haushaltspolitischer Hinsicht?
1. Begrenzung der Ausgaben: Der Bundesfinanzminister hält schon die Begrenzung des Bundeshaushalts auf rund 120 Milliarden DM für eine „beachtliche" konjunkturpolitische Leistung. Eine selbstverständliche Aufgabe des Finanzministers, nämlich die Ausgabenwünsche der Ressorts zusammenzufassen, sie nach Prioritäten zu ordnen und auf
ein erträgliches Maß zurückzuführen, wird also zu einer stabilitätspolitischen Großtat heraufstilisiert.
Ich sage ganz offen: Ich bin kein Freund des Steigerungsratenfetischismus, den wir uns in diesem Hause seit Jahren um die Ohren schlagen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Aber, Herr Finanzminister, wenn Sie redlich wären, würden Sie zugeben, daß diese Begrenzung nur dadurch möglich war, daß Sie erstens die Zuschüsse an die Rentenversicherung um 2,5 Milliarden DM bis 1981 zinslos gestundet haben, daß Sie zweitens durch eine Reihe von Kunstgriffen das Volumen des Bundeshaushalts entgegen den Bestimmungen nach dem Bruttoprinzip durch Ausbringung von Leertiteln künstlich gesenkt haben und daß Sie drittens wie im vergangenen auch in diesem Jahr Schattenhaushalte, die am Haushalt vorbeifinanziert werden, wiederum in der Größenordnung von 2 bis 3 Milliarden DM aufgestellt haben. Dadurch haben Sie diese Plafondhöhe erreichen können. Wenn man das alles einbezieht, kommt man auf eine Steigerungsrate von mindestens 13 bis 14 °/o, die in der Wirklichkeit eben alles andere als eine konjunkturgerechte Haushaltsgestaltung ausdrückt.
Ich halte Ihnen dies nur deswegen vor, weil Sie, Herr Finanzminister, ständig noch den traurigen Mut haben, mit dem Finger auf die Länder zu zeigen, weil diese gleiche Steigerungsraten aufweisen — Sie haben den Ländern im Finanzplanungsrat sogar noch höhere Steigerungsraten zugebilligt —, und ihnen Kapuzinerpredigten zu halten, obwohl Sie selber zu den Sündern zu zählen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will in diesem Zusammenhang auch nur auf die Risiken hinweisen, die zusätzlich im Haushalt stekken: Devisenausgleich, über- und außerplanmäßige Ausgaben, die mit Sicherheit zu erwarten sind. Wer im Glashaus sitzt — dies möchte ich hinzufügen —, sollte nicht mit Steinen auf andere werfen.
2. Eine zweite große Stabilitätsmaßnahme — es ist gestern schon darüber gesprochen worden — ist die Einsparung von Planstellen. Mit markigen Worten wurde die Einsparung von 2 000 Planstellen verkündet. Der Bundesfinanzminister hat dafür großen Beifall in der deutschen Öffentlichkeit erhalten. Darüber hinaus hat er — das kritisieren wir vor allem — öffentlich immer wieder verkündet, es werden keine weiteren Stellen im Haushalt 1973 genehmigt werden. Kenner der Verhältnisse wußten doch schon damals, daß die Ressorts in ihren Schubladen Stöße von Nachschiebelisten gestaut hatten und schon auf den Tisch des Haushaltsausschusses legten, während der Finanzminister draußen noch mit diesen großen Ankündigungen hausieren ging.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, diese Listen enthielten nicht nur Planstellen für unabweisbare und unvorhergesehene Fälle. Wir haben gestern schon über dieses meiner Meinung nach unnütze und überflüssige Ministerium beim Stellvertreter des Bundeskanzlers mit zehn Personen und Ausgaben in Höhe



Dr. Jenninger
von einer halben Million DM diskutiert. Ich will das
in die Diskussion jetzt nicht noch einmal einführen.
Was steckt denn hinter dieser Maßnahme? Auf der einen Seite sollte gekürzt werden, auf der anderen Seite werden munter neue Stellen geschaffen. Herr Bundesfinanzminister, diesem Widerspruch können Sie doch nicht einfach ausweichen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Opposition — das will ich deutlich sagen — begrüßt ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung, eine Eindämmung der Personalkostenlawine vorzunehmen. Man kann dies aber auch in anderer Weise tun, nicht in so dilettantischer Art und im Hau-ruck-Verfahren. Die Ministerien kommen in Schwierigkeiten. Herr Bundesfinanzminister, fragen Sie doch einmal Ihre Beamten, was sie über diese Maßnahme denken. Die Ressorts wissen heute noch nicht, wie sie diese 2 000 Stellen zusammenbringen können. Überdies — das möchte ich anmerken — hätte es der Bundesregierung gut angestanden, auf diesem Gebiet selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Übertreibung bei der Einrichtung von politischen Spitzenstellen in den Ministerien ist alles andere als vorbildlich. Ich will jetzt gar nicht von diesen makabren Fällen reden, in denen bei Ihnen Staatssekretäre, die in den Ruhestand geschickt worden sind, hinterher noch zum Ausgleich ihrer Pension mit Beraterverträgen versorgt worden sind.
Meine Damen und Herren, 17 Staatssekretäre hatte die Regierung Adenauer im Jahre 1949. Das zweite Kabinett Brandt hat 41. Die Spitzen der bundesdeutschen Verwaltung sind damit zugleich Kronzeugen ihrer Aufblähung. So schrieb unlängst eine Wochenzeitung: Sie vermehren sich, als gelte es, ein Mutterkreuz zu erringen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist interessant: Vom Beispiel des britischen Kolonialministeriums hatte der Historiker Parkinson in den 50er Jahren sein Gesetz über die unaufhaltsamen Behördenwucherungen abgeleitet. Er ermittelte damals eine Beamtenzuwachsrate von jährlich 5,89 % in Friedenszeiten. Bonns Staatssekretäre vermehrten sich von Adenauer bis Brandt jährlich um 5,88 °/o. Ein hoher Ministerialbeamter witzelte neulich in diesem Zusammenhang verbittert: In diesen Ministerien wird immer mehr nach dem Motto gearbeitet: Zwei Ober, ein Bier!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will die Dinge nicht ins Lächerliche ziehen. Aber seit 1969 haben sich die Personalkostenausgaben um rund 55 % erhöht. Vom Sachverständigenrat wurde immerhin die sarkastische Bemerkung, der ich mich nicht anschließen, gemacht, zu den wichtigsten Reformen dieser sozialliberalen Regierung gehöre offensichtlich die „Bezahlung der Staatsbediensteten". Hier sind wirklich einige Überlegungen anzustellen. Ich will jetzt gar nicht davon reden, was der Bundeskanzler in seinem Bundeskanzleramt in dieser Hinsicht in den letzten Jahren alles gemacht hat: Steigerung allein der B-Stellen um das Dreifache, Steigerung der Personalstellen um 65 % in vier Jahren.

(Abg. Haase [Kassel] : Das ist mehr Lebensqualität im Kanzleramt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn dieses Problem — ich sage es einmal verkürzt — der Personenalkostenlawine in den nächsten Jahren nicht in aller Breite in Angriff genommen wird, dann fürchte ich, daß wir eines Tages in der Tat — Herr Kollege Haehser, so haben Sie es gestern dem „Spiegel" gegenüber gesagt — zum Schluß eine Besoldungsrepublik und keine Bundesrepublik mehr sind. Herr Bundesfinanzminister, solche Holzhammermethoden, wie Sie sie hier einführen, nützen sicherlich nichts. Die Möglichkeiten sind hier sehr begrenzt. Das ist eine langfristige Aufgabe und schlägt, stabilitätspolitisch gesehen, jetzt nicht zu Buche.
3. Lassen Sie mich die dritte Aufgabe ansprechen: Auch der öffentliche Beitrag zur Preisberuhigung, die zeitliche Streckung von 10 % der Ausgaben für Gemeinschaftsaufgaben, fällt, wie wir meinen, konjunkturpolitisch gesehen, kaum ins Gewicht. Soweit es die Wirtschaftsförderungsgebiete und die Landwirtschaft betrifft, trifft es nach meiner Meinung ohnehin die Falschen. Gravierend und unbegreiflich ist aber, daß die Regierungsparteien sich weigern, diese Einsparung im Haushaltsplan 1973 verbindlich festzulegen und den Haushalt um diesen Betrag zu kürzen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Länder haben die Konsequenzen gezogen; nur der Bund weigert sich. Damit erschüttern Regierung und Regierungsparteien die Glaubwürdigkeit der eigenen Stabilitätsbeteuerungen. Sie fordern zwar ständig, alle müßten den Gürtel enger schnallen, setzen sich aber durch ihr Verhalten zugleich dem Verdacht aus, selbst auf nichts verzichten zu wollen. Offenbar will der Bundesfinanzminister auf diesem Wege und damit stabilitätswidrig aus den Minderausgaben seine Kriegskasse sammeln, um weitere, unabweisbare, aus Risiken entstehende Ausgaben finanzieren zu können.
Dieses Verfahren ist im übrigen wieder ein Musterbeispiel dafür, wie die Bundesregierung am Haushalt und am Parlament vorbei — gegen alle Bestimmungen des Haushaltsrechts — Haushaltspolitik betreibt. Dem Parlament kündigt man an, man werde Minderausgaben in einer Größenordnung von einer Milliarde DM erwirtschaften; das Parlament geht dies aber nichts an. Es hat im Gegenteil die vollen Ansätze zu beschließen. Da kann man nur sagen: dies ist der Beginn der Verwirklichung einer Verelendungstheorie der parlamentarischen Demokratie.

(Lachen bei der SPD.)

Heute ist es eine Milliarde DM, morgen werden es 5 Milliarden DM sein, und eines Tages wird Finanz-und Haushaltspolitik nur noch an diesem Parlament vorbei betrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Jenninger
Daran kann Sie bei dieser Praxis letzten Endes niemand hindern. Wenn man hier den Anfängen nicht wehrt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn eines Tages in der Tat nach der Methode Revolutionsrat Politik in unserem Lande gemacht wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist mehr Demokratie!)

In gleicher Weise haben sich die Koalitionsparteien geweigert, auch die vor 1973 beschlossenen Kürzungen bei allen nicht auf rechtlichen oder internationalen Verpflichtungen beruhenden Ausgabenansätzen wenigstens global als Minderausgabe in den Haushaltsplan einzusetzen. Auch hier: wiederum Fehlanzeige bei der Stabilitätspolitik der Regierung!
4. Lassen Sie mich zum Thema Schuldendeckel noch ein paar Bemerkungen machen. Das wurde als eine der großen verheißungsvollen, wirkungsvollsten Maßnahmen im Stabilitätsprogramm der Bundesregierung angekündigt: die Beschneidung der staatlichen Kreditrahmen um 5,5 Milliarden DM. In einer Verordnung der Bundesregierung wurde festgelegt, daß die Kreditkontingente des Bundes um 1,7 Milliarden DM, der Länder um 2,8 Milliarden DM und der Gemeinden um 1 Milliarde DM gekürzt werden sollten. Die Ankündigung dieser Maßnahme durch die Bundesregierung hatte zum Ziel, bei Bund, Ländern und Gemeinden weitere Ausgabenkürzungen herbeizuführen. Aber was ist geschehen? Nach dem Motto „die Steuerschwemme macht's möglich" wurde anders verfahren. Nach den neuesten Schätzungen können die öffentlichen Hände mit Steuermehreinnahmen von 5,4 Milliarden DM rechnen, wovon allein 2,4 Milliarden DM auf den Bund entfallen. Mit diesen Mitteln werden die fehlenden Kredite ersetzt. Das harte Instrument des Schuldendeckels wurde hier stillschweigend zum komfortablen stabilitätspolitischen Alibi und zum wirkungslosen Instrument umfunktioniert. Auch hier das Fazit: Fehlanzeige der Stabilitätspolitik der Bundesregierung!
5. Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zum Thema der Erhöhung der Mineralölsteuer sagen. Der Bundesfinanzminister hat bei der Einbringung gesagt, diese Steuererhöhung diene dazu, sowohl eine dauerhafte Verbesserung der Einnahmenstruktur des Bundeshaushalts als auch eine Begrenzung der Nettokreditaufnahme in stabilitätspolitisch erwünschter Weise zu erreichen. Die Mineralölsteuererhöhung bringt dem Bund für das Jahr 1973 700 Millionen DM. Nach der neuen Steuerschätzung, wie ich schon gesagt habe, holt sich der Bund gegenüber der ursprünglichen Planung 2,4 Milliarden DM, also rund das Dreifache, an zusätzlichen Steuereinnahmen herein. Angesichts dieser Sachlage, die doch vorauszusehen war, war die Erhöhung der Mineralölsteuer zumindest für das Jahr 1973 im Hinblick auf die preistreibende Gefahr, die mit dieser Steuererhöhung verbunden ist, jedenfalls für die Finanzierung des Haushalts nicht notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der vom Finanzminister inszenierte Streit mit den Ländern war in diesem Zusammenhang so unnötig wie ein Kropf.
Entweder weiß die Regierung nicht, was sie will, und verfügt über kein Konzept, oder, was eher zu vermuten ist, dahinter steckt der eiskalte Wille des Finanzministers, unter Ausnutzung der Opferbereitschaft in unserem Volk und im Nebel der Emotionen gegen die verstopften Großstadtstraßen zusätzlich Geld aus der Tasche des Steuerzahlers zu holen.
Insofern hatte eine deutsche Tageszeitung recht, als sie dieser Tage feststellte:
Der verwirrte Bürger tut recht daran, den von Schmidt bewußt inszenierten Streit um die steuerlichen Maßnahmen des Antiinflationsprogramms als absurdes Theater mit unlauteren Absichten zu werten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ähnlich ist auch der Streit um die Stabilitätsabgabe zu beurteilen. Wenn sich die Bundesregierung selbstverständlicherweise bei der Vorlage steuerlicher Maßnahmen an die Vorschriften des Grundgesetzes und des Stabilitätsgesetzes halten würde, hätte sich auch dieser Streit bis hinein in den Vermittlungsausschuß vermeiden lassen.
6. Ein anderes stabilitätspolitisches Instrument war die Stabilitätsanleihe. Der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Herr Hermsdorf, hat uns dieser Tage im Haushaltsausschuß erklärt, nach der ersten Tranche sei nicht damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit eine zweite Tranche folgen werde. Der Herr Bundesbankpräsident hat vorgestern erklärt, es komme doch eine. Was ist nun richtig? Weiß hier wiederum einmal die Linke nicht. was die Rechte tut?
Lassen Sie mich zur Steuerpolitik nur noch eine kurze Anmerkung machen. Mit der neuerlichen Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres wird in aller Stille die von der sozialliberalen Koalition heißersehnte und beachtenswerte Steuerbelastungsquote von 24,29 % erreicht. Bemerkenswert deswegen, weil es ja die berühmte Aussage gibt, bei dieser Größenordnung würde erst Reformpolitik in vollen Zügen möglich sein.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, statt dessen macht die Reformpolitik, jedenfalls im finanziellen Bereich, Pause und gehen die öffentlichen Investitionen zurück. Die Invaliden der Konjunkturpolitik, diese öffentlichen Investitionen! Sie weichen der Frage ständig aus, was sie tun wollen, um dieser verhängnisvollen Entwicklung entgegenzutreten, daß die öffentlichen Investitionen laufend zurückgehen.
Offensichtlich haben Sie jetzt ein Patentrezept gefunden, wie man diese Fragen beantwortet. Das ist aus der Drucksache 7/605 ersichtlich. Dort fragt die Opposition, wie das denn mit den Steigerungsraten für die nächsten Jahre so sei. Da kommt die originelle Antwort:



Dr. Jenninger
In diesem Zusammenhang weist die Bundesregierung darauf hin, daß die sogenannte Investitionsquote kein brauchbarer Maßstab für eine Politik der Erneuerung und Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur ist.

(Abg. Breidbach: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, hier muß man nun wirklich fragen: Geht es nach dem Motto „Kopf hoch, auch wenn das Wasser bis an den Mund reicht", oder was ist überhaupt noch Maßstab bei dieser Regierung,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wenn sie alles von unten nach oben und von oben nach unten kehrt? Aber dies ist die bewährte Methode der Verschleierung, der Verharmlosung, die offensichtlich auch in den nächsten vier Jahren zum Regierungsprogramm dieser Bundesregierung gehört.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß eben die guten Absichten der Bundesregierung — die ich gar nicht bestreiten will —, auch über den Haushalt Stabilitätspolitik zu betreiben — wenn ich einmal von den Einnahmen absehe , im Bereich der Ausgaben nicht realisiert werden konnten.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates hat dieser Tage einmal gesagt, das Stabilitätsprogramm der Bundesregierung sei ein Kind der Not, das zwar kurzfristige Erfolge aufweisen könne, dem aber auf mittlere Sicht konsequentere Lösungen folgen müßten. Er fügte hinzu, die Hauptlast der Stabilitätspolitik werde in Zukunft von der Geld- und Wettbewerbspolitik zu tragen sein. Der Finanzpolitik komme eine ergänzende Funktion zu mit dem Ziel, auch die öffentlichen Haushalte mittelfristig zu konsolidieren. Ich glaube, dies wäre eine Formulierung, ein Minimalprogramm — so möchte ich es ausdrücken —, auf das man sich wenigstens einmal in diesem Hause einigen könnte.
Aber was hat dies zur Voraussetzung? Stabilität ist nicht allein mit den Mitteln der Steuerpolitik zu erreichen. Auf eine restriktive Ausgabenpolitik aller öffentlichen Hände kann nicht verzichtet werden. Ich möchte die Forderung wiederholen, die ich zu Beginn meiner Ausführungen erhoben hatte: Ohne eine Kürzung auch der gesetzlich festgelegten Ausgaben wird in dieser Situation eine stabilitätsorientierte Haushaltspolitik in Bund, Ländern und Gemeinden nicht mehr zu erreichen sein. Solange sich, meine Damen und Herren, die Bundesregierung dazu jedoch nicht aufraffen kann, wird es keine konsequente und erfolgreiche Stabilitätspolitik geben; dann bleibt eben nur der Ausweg, von Jahr zu Jahr immer stärker an der Steuerschraube zu drehen.
Hier ist eine der großen Aufgaben für die nächsten Jahre angesprochen. Ich habe sie in einem Beitrag schon vor zwei Jahren einmal angedeutet, nämlich den Versuch zu unternehmen, eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Bereich der Haushalts- und Finanzpolitik herbeizuführen. Damals habe ich den Vorschlag gemacht, man müsse endlich dazu kommen, eine Art Nationalbudget zu schaffen, eine gemeinsame Bestandsaufnahme vorzunehmen und auch das Instrumentarium dazu zu verbessern, um die Dinge in den Griff zu bekommen.
All dies nimmt die Regierung nicht zur Kenntnis. Sie stellen sich hier hin, beklagen Ihr Schicksal und sagen: Da ist leider nichts zu machen. Sonst, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie doch auch Mut! Wo bleiben hier die „Systemveränderer", um diese schwierigen Fragen einmal in Angriff zu nehmen und dem Bundestag Vorschläge zu unterbreiten, wie man das Stabilitätsgesetz ver- bessern kann, wie man den Finanzplanungsrat besser aktivieren kann?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704501000
Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, zum Schluß Ihrer Rede zu kommen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704501100
Aber Sie schütteln Ihr weises Haupt und denken nicht daran, die Dinge zu ändern. Der Finanzplanungsrat unter dem Vorsitz von Herrn Schmidt hat nichts bewirkt. Es gibt keine Konzertierte Aktion des Bundes, der Länder und Gemeinden — im Gegenteil: alle operieren nebeneinander und gegeneinander und üben Verteilungskampf. Dieses jämmerliche Schauspiel, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Herr Bundesfinanzminister, sollten Sie endlich einmal abstellen!

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Unruhe bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Graf Lambsdorff meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704501200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704501300
Nein. — Wenn man die Stellungnahme des Bundesrates zum Finanzplan richtig interpretiert, gibt es nicht einmal zur Stunde eine Einigung über gemeinsame Grundannnahmen für den Finanzplan - nicht einmal das, meine Damen und Herren! Eine Konzertierte Aktion aller Beteiligten, die jetzt unausweichlich geworden ist, wird nur dann gelingen, wenn der Bundesfinanzminister die anderen Beteiligten frühzeitig in seine Überlegungen einschaltet und nicht zum Beispiel — wie bei den jüngsten Steuerbeschlüssen — die Länder in einer Nacht- und Nebelaktion vor vollendete Tatsachen stellt.
Das ist der Stil dieser Bundesregierung! Sie werfen den Ländern Obstruktionen vor; dabei treiben Sie sie im Grunde genommen selbst.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704501400
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie erneut, Ihre Rede zu beenden.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704501500
Lassen Sie mich noch sagen: Es geht auch darum, daß wir uns an dieses schwierige Thema der Subventionen heranwagen,

(Unruhe bei den Regierungsparteien)




Dr. Jenninger
nicht in der dilettantischen Weise, wie Sie das getan haben, sondern indem Sie die Pflichten des § 12 des Stabilitätsgesetzes ernst nehmen, eine umfassende Wirkungsanalyse, eine Wirkungskontrolle in diesem Bereich vorzunehmen. Wenn Sie dies tun und nicht nur willkürlich einige solcher Subventionen und Finanzhilfen herausgreifen, dann haben Sie auch die Unterstützung der Opposition, wenn wir diese schwierige Aufgabe — daß sie schwierig ist, gebe ich offen zu — in Angriff nehmen wollen.
Ich möchte schließen

(Hört! Hört! und Beifall bei der SPD)

und Ihnen sagen: wir haben gehofft, daß diese Regierung so, wie sie es angekündigt hat, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik des Fortschritts und der Stabilität betreiben wird. Statt dessen hat sie — dies wird deutlich in diesem Haushalt — eine Finanz- und Wirtschaftspolitik des Stillstandes und der Inflation beschert.
Unter diesen Voraussetzungen können wir den Männern, die diese Politik der Bundesregierung vertreten, und den Haushalten der beiden Einzelpläne 08 und 09 unsere Zustimmung nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704501600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haehser.

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704501700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Der Kollege Jenninger ist ein liebenswürdiger Kollege

(Bravo-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU)

— ich hätte beinahe gesagt: wenn er schläft; aber das kann ich naturgemäß nicht beurteilen. Ich kann ihn aber aus manchem ruhigen Gespräch beurteilen, das ich mit ihm führen konnte. Der Kollege Jenninger ist am Rednerpult immer ein ganz anderer Mann, meist allerdings mit originellen Gedanken oder Argumenten. Heute hat er — ich will es ruhig sagen — abgestandene, nicht in jedem Fall eigene Argumente verwandt. Wie soll ich dazu Stellung nehmen, meine Damen, meine Herren? Am besten werde ich meine Rede halten, wie ich sie mir vorgenommen habe, und sehen, ob ich ab und zu auf ihn zurückkommen kann.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Trotz der Rede des Kollegen Dr. Jenninger, meine Damen und Herren, beginnt die meine mit einem Dank an die Opposition.
Die Opposition hat durch ihre Bereitschaft, den Etat in der Art und Weise, wie sie häufig beschrieben worden ist, mitzuberaten, dazu beigetragen, daß wir nach Lage der Dinge vor der Sommerpause zur Verabschiedung gelangen. Mein Dank ist auch an den Kollegen Albert Leicht zu richten, der in fairer Verhandlungsführung die Bearbeitung des Etats ermöglicht hat, und der Gruß der sozialdemokratischen Fraktion richtet sich an den Kollegen Leicht, dem wir gute Erholung wünschen.

(Beifall.)

Mein Dank gilt schließlich, meine Damen und meine Herren, dem Koalitionspartner für kameradschaftliche Zusammenarbeit bei der Beratung des Haushalts, und er gilt meinen Freunden von der Arbeitsgruppe Haushalt, denen manchmal vieles zugemutet werden mußte. Trotz der Tatsache, daß wir wenig Zeit für die Beratung hatten und unter Anspannung standen, wird wohl unbestritten gesagt werden dürfen, daß wir im Haushaltsausschuß in einem angenehmen und aufgelockerten Beratungsklima arbeiten konnten. Gewiß war die Beratungszeit kurz; aber der Etat wurde nichtsdestoweniger gründlich durchleuchtet und beraten; was nicht zuletzt auf die gute Vorbereitung durch die Berichterstatter für die verschiedenen Einzelpläne und durch die gute Vorarbeit der Arbeitsgruppen ermöglicht wurde.
Der Kollege Kirst hat gestern schon die Gründe dafür genannt, daß es diesmal nur eine kurze Beratungszeit gegeben hat. Wenn ich an den Wahltermin denke, den wir infolge der vorgezogenen Bundestagswahlen zunächst haben werden, dann ist gerade im Hinblick auf Ihre Bemerkung, Herr Kollege Dr. Jenninger, schon jetzt zu sagen, daß befürchtet werden muß, das, wenn im Dezember 1976 gewählt wird, der 77er Etat erst in der Mitte des darauffolgenden Jahres zur Beratung kommen wird. Ich habe gehört, daß es Überlegungen gibt, die diesem Tatbestand Rechnung tragen; aber ich will diese Überlegungen jetzt naturgemäß nicht vertiefen.
Als stellvertretender, in Abwesenheit des Kollegen Leicht gewissermaßen amtierender Vorsitzender des Haushaltsausschusses möchte ich dies dem jetzt Gesagten hinzufügen: Wir sollten einmal überlegen, ob wir nicht Etatberatungen führen wollen, wenn der Etat auf der Tagesordnung steht. Die Kollegen aus den Fachausschüssen haben durch Große Anfragen, durch Anträge oder durch die Behandlung der Gesetzentwürfe oft genug die Möglichkeit, Ihr Fachwissen dem Deutschen Bundestag zu unterbreiten. Es ist vielleicht ein Appell noch zur rechten Stunde für den weiteren Verlauf der Etatberatungen, das, was noch vor uns steht, wirklich Etatberatung werden zu lassen. Ich bedauere es sehr, daß gestern z. B. der Kollege Schröder, obwohl Mitglied des Haushaltsausschusses, nicht zum Bundeshaushalt geredet hat. Er war gewissermaßen der Wörner 1973. Bei aller Wertschätzung, Herr Kollege Schröder, muß ich Ihnen allerdings sagen: Mir scheint, Sie haben zu einem Manuskript gegriffen, das für Sie etwas zu groß war.

(Beifall bei der SPD.)

Ich messe dieses Manuskript nicht an der seinerzeitigen Rede des Kollegen Wörner, sondern an der des Herrn Bundeskanzlers Brandt vom gestrigen Tage.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704501800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704501900
Selbstverständlich.




Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704502000
Herr Kollege Haehser, bei aller Zustimmung zu Ihrer Forderung, daß die Haushaltsleute bei einer solchen Debatte zu Wort kommen sollten, darf ich Sie fragen: Sind Sie nicht auch der Aufffassung, daß es eben nicht ausreicht, wenn man sich hier nur in Einzelzahlen erschöpft, die die Öffentlichkeit und vielleicht auch breite Kreise des Hauses nicht interessieren, sondern daß wir die politische Dimension des Haushalts auch in den Debatten im Plenum aufzeigen sollten?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704502100
Dieser Meinung bin ich durchaus. Aber ich habe natürlich in den bisherigen Ausführungen einschließlich denen des Kollegen Carstens vom gestrigen Tage politische Dimensionen vermißt.
Nun zum Etat, meine Damen und meine Herren! Mit dem Volumen von 120,2 Milliarden DM und einer Zuwachsrate von 9,6 % paßt der Bundeshaushalt 1973 in die konjunkturpolitische Landschaft. Wenn eine Beziehung hergestellt werden soll zwischen dem Wachstum des nominalen Bruttosozialprodukts und dem Bundeshaushalt, liegt der Bundeshaushalt deutlich unter dem angenommenen Wachstum des Bruttosozialprodukts, das auf 12,6 % geschätzt wird. Wenn der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Herr Professor Kloten, sagt, die öffentlichen Haushalte wirkten expansiv, so kann ich das für den Bundeshaushalt nicht gelten lassen. Auch der Bundeshaushalt mit seinen unzähligen Leistungen auf allen Gebieten war natürlich von den vom ganzen Haus immer wieder beklagten Preissteigerungen betroffen. Um so beachtlicher ist es, daß bei den Beratungen des Haushaltsausschusses das von der Bundesregierung vorgesehene Volumen noch unterschritten werden konnte. Wir begrüßen die Bekundung des festen Willens der Bundesregierung, daß 1973 im Haushaltsvollzug bei den zur Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a GG vorgesehenen Ausgaben 10 v. H. sowie bei den nicht auf rechtlichen oder internationalen Verpflichtungen beruhenden Ausgabenansätzen 5 v. H. eingespart werden sollen.
Auch bei den Zuwendungsempfängern werden 5 % der Haushaltsansätze zu erwirtschaften sein. Das ist uns — das darf ich hier ausdrücklich betonen — ein besonderes Anliegen. Ich sage das auch dem Herrn Bundesfinanzminister.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist gar nicht da!)

— Er ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär gut vertreten, wie Sie alle aus der Sachkenntnis des Staatssekretärs wissen, meine Damen und meine Herren.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Gerade im Bereich der Zuwendungsempfänger, die doch auch Aufgaben für den Staat wahrnehmen und dafür Geld des Steuerzahlers aus dem Haushalt bekommen, ist es notwendiger denn je, sparsamer zu
wirtschaften. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet ein stärkeres Bemühen der Bundesregierung, die Zahl der Zuwendungsempfänger abzubauen. Auf keinen Fall darf es neue Zuwendungsempfänger geben, wie es ursprünglich in der Vorlage der Bundesregierung vorgesehen war, wie es aber vom Haushaltsausschuß nicht gebilligt worden ist.
Ich bin alles in allein der Meinung, daß man auf der Ausgabeseite des Bundeshaushalts für die Konjunkturbeeinflussung Wesentliches nicht mehr tun kann, ganz abgesehen davon — und das ist insbesondere an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, gerichtet —, daß Verzögerungen bei bestimmten wichtigen Maßnahmen der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur nicht hingenommen werden können, wenn wir das Wohl der Bürger unseres Staates im Auge behalten wollen. Der Herr Bundeskanzler hat gestern gerade auch auf diesen Punkt hingewiesen.
Ich möchte dabei bleiben, was bei früheren Verhandlungen im Bundestag schon einmal eine Rolle gespielt hat: die Opposition handelt dann nicht seriös, wenn sie Ausgabenkürzungen fordert und nicht sagt, wo sie vorgenommen werden sollen, andererseits aber Ausgabenvermehrung verlangt, von der sie sich Propagandaerfolge verspricht.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn es gilt, meine Damen und Herren, daß auf der Ausgabenseite für Konjunkturbeeinflussung nichts Wesentliches mehr geschehen kann, muß zwangsläufig eine Akzentverschiebung von der Ausgabe- auf die Einnahmeseite stattfinden; das ist auch geschehen.
Dem Maßnahmenbündel im Stabilitätsprogramm kann man auch insoweit nur zustimmen. Die Gesamtnachfrage muß im Laufe der nächsten Zeit vermindert werden. Im Bundeshaushalt ist deshalb vorgesehen, die Einnahmen aus der Stabilitätsanleihe, aus der Stabilitätsabgabe, aus der Investitionssteuer sowie sonstige Steuermehreinnahmen stillzulegen und nicht zur Haushaltsfinanzierung heranzuziehen. Betragsmäßig gesehen handelt es sich dabei beim Bund immerhin um rund 6 Milliarden DM, wobei Stabilitätsabgabe und Investitionssteuer in Konjunkturausgleichsrücklagen, Stabilitätsanleihe und Steuermehreinnahmen auf Sonderkonten bei der Deutschen Bundesbank stillgelegt werden sollen.
Den Befürchtungen der Opposition — das klang vorhin in dem, was Herr Kollege Jenninger sagte, ein bißchen durch, als er von dem Julius-Turm bzw. von dem Schatz-Turm sprach —, daß bei der Stilllegung auf Sonderkonten schon bald an das Geld herangegangen werden soll, kann ich nicht zustimmen; auch kann ich sie nicht teilen.
Wir werden darauf achten — Ihre Hilfe, die Sie angeboten haben, nehmen wir gern an —, daß nur in wirtschafts- und finanzpolitisch notwendiger Weise gehandelt wird.

(Abg. Dr. Jenninger: Bei der Regierung ja wohl immer!)




Haehser
Herr Kollege Dr. Jenninger, meine Damen und Herren von der Opposition, wir helfen uns gegenseitig dabei, daß so und nicht anders verfahren wird.
Bei den Steuereinnahmen hat der Haushaltsausschuß die Absprachen zwischen Bund und Ländern berücksichtigt. Was die Steuermehreinnahmen angeht, meine Damen und meine Herren, die auf Gesetzesänderungen zurückzuführen sind, so sind diese übrigens — mit einer einzigen Ausnahme — in allen Gremien einvernehmlich beschlossen worden. Deswegen, Herr Kollege Jenninger, verstehe ich Ihr Lamento nicht ganz, das Sie soeben angestellt haben. Bei den Steuereinnahmen also hat der Haushaltsausschuß die Absprachen zwischen Bund und Ländern berücksichtigt, die inzwischen Verordnung geworden sind und nach denen beim Bund 1,7 Milliarden DM zur Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet und die darüber hinausgehenden Beträge stillgelegt werden sollen. Weitere Verbesserungen in Höhe von 84 Millionen DM bei den Verwaltungseinnahmen — hier darf ich das Stichwort Postablieferung nennen — und die Ausgabekürzung mit einem Saldo von 153 Millionen DM haben es ermöglicht, die Nettokreditaufnahme um 1,94 Milliarden DM auf jetzt 1,86 Milliarden DM herabzusetzen.

(Abg. Stücklen: Dafür ist die Post stärker verschuldet!)

— Damit, Herr Stücklen, kann sich die Finanzierung des Bundeshaushalts 1973 durchaus sehen lassen, denn 98,5 % der Ausgaben werden aus Steuern und Verwaltungseinnahmen finanziert, und die geringe Kreditaufnahme paßt gut in die Landschaft, wird auch von der Opposition nicht ernstlich bestritten.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, die Erkenntnis, daß die Möglichkeiten zur Ausgabensenkung begrenzt sind, bedeutet nicht, daß die Möglichkeiten zur Sparsamkeit erschöpft sind. So ist auch der Beschluß des Haushaltsausschusses zu bewerten, Erhöhungen bei sächlichen Verwaltungsausgaben abzulehnen und bis auf einige Einzelfälle die Vorjahresansätze gelten zu lassen. Wir wissen, daß wir damit keine Millionen oder zig Millionen einsparen, aber wir wollten ein Signal zur Sparsamkeit geben.
An die Adresse der Ressorts und an den Finanzminister gerichtet, will ich hier ganz unmißverständlich die Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mitteilen: Nicht überplanmäßige Ausgabe ist der Ausweg, mit knappen Ansätzen fertig zu werden, sondern Sparsamkeit, meine Damen und meine Herren!

(Beifall. — Abg. Haase [Kassel] : Dem können auch wir zustimmen!)

— Für diesen wichtigen Satz war Ihr Beifall eigentlich etwas dürftig, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit.)

Aber ich hoffe immerhin, er ist vom Protokoll zur Kenntnis genommen worden.
Damit der Beschluß des Haushaltsausschusses über die Belassung der Vorjahresansätze auch wirkt, haben wir die im Haushaltsgesetz bisher vorgesehene
Möglichkeit der Überschreitung der Ansätze im sächlichen Ausgabenbereich in Höhe von 25 % für das neue Haushaltsgesetz auf 15% herabgesetzt. Die Opposition wollte im Haushaltsausschuß und will wohl auch durch einen Antrag, der vorliegt, die Streichung dieser Bestimmung, gewissermaßen nach dem Motto: alles oder nichts. Ich kann hier nur sagen, vielleicht kommen wir bei realistischer Veranschlagung in den Einzelplänen — das muß dann allerdings geschehen — im nächsten Jahr zu einer Übereinstimmung zwischen den Fraktionen. Zunächst wollen wir einmal sehen, ob ein Appell an den Finanzminister ausreicht, überplanmäßige Ausgaben, soweit das nur möglich ist, abzulehnen.
Der Kollege Dr. Jenninger hatte die Freundlichkeit, das Magazin „Der Spiegel" zu zitieren, das hinwiederum mich zutreffend zitiert hat, es dürfe aus der Bundesrepublik Deutschland, so habe ich gesagt, keine Besoldungsrepublik werden. Dieses Zitat verdient natürlich einige Erläuterungen. Neben unabweisbaren Stellenvermehrungen, wie sie in geringfügiger Weise im Regierungsentwurf enthalten waren, gab es die sogenannten Nachschiebelisten. Mit sogenannten Nachschiebelisten — ich will von einigen, die vorausgegangen waren, einmal absehen
— wurden für den Bereich der Bundesverwaltung 822 Stellen angefordert und darüber hinaus auch noch, dem schlechten Beispiel folgend, 25 vom Deutschen Bundestag. Zusammen waren also 847 Stellen nach § 15 Abs. 1 des bisher geltenden Haushaltsgesetzes in einer Nachschiebeliste untergebracht. Dieser § 15 Abs. 1 lautet, verkürzt zitiert:
Der Bundesminister der Finanzen wird ermächtigt, mit Einwilligung des Haushaltsausschusses . . . Planstellen zusätzlich auszubringen,
— und nun zitiere ich ganz langsam, damit es der Bundesfinanzminister hört —
wenn ein unvorhergesehenes und unabweisbares, auf andere Weise nicht zu befriedigendes Bedürfnis . . . vorliegt.
So lautet dieser Paragraph.
Unsere Arbeitsgruppe hat nun diese Nachschiebeliste daraufhin geprüft, ob ein „unvorhergesehenes und unabweisbares, auf andere Weise nicht zu befriedigendes Bedürfnis" vorlag. Wir haben von den 847 beantragten Stellen nur 482 bewilligt und 365 abgelehnt. Solche Ablehnungsentscheidungen erwarten wir künftig vom Herrn Bundesminister der Finanzen, denn er muß sich an das Gesetz halten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

Auch die Ressortminister haben sich an das Gesetz zu halten und den Bundesminister der Finanzen nicht immer in solche Verlegenheiten zu bringen.

(Erneuter Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

Wir sagen Ihnen, Herr Bundesminister der Finanzen, daß die Kollegen von der Arbeitsgruppe „Haushalt" und darüber hinaus die Kollegen von der Bundestagsfraktion auf Ihrer Seite sind, wenn wir der Begehrlichkeit, wie sie sich Jahr für Jahr erneut zeigt, entgegentreten. Wir sind der Meinung, daß Bundes-



Haehser
bedienstete eine ordentliche Bezahlung und ordentliche Arbeitsbedingungen haben sollten; ihre ständige Vermehrung indessen ist abzustoppen.

(Abg. Haase [Kassel] : Sehr gut!)

So werden wir die sogenannte Nachschiebeliste behandeln und im Laufe dieses Haushaltsjahres, wie es das Bundeskabinett auf Vorschlag des Finanzministers beschlossen hat, 2000 Stellen einsparen. Der Haushaltsausschuß hat einvernehmlich einen Beschluß gefaßt, der — ich habe ihn nicht bei meinen Papieren — sinngemäß lautet, daß die erfolgten Einsparungen dem Haushaltsausschuß und dem Deutschen Bundestag nachzuweisen sind. Wir wollen auch noch andere Nachweise haben. Ich denke, daß wir mit dieser Forderung, Nachweise zu erbringen, dem Bundesminister der Finanzen dabei helfen, eine schwierige Arbeit zu erledigen.
Nun noch einige Worte zu Verlautbarungen und Anträgen der CDU/CSU-Fraktion, soweit sie nicht auf ein Detail gerichtet sind. In ihrer Zusammenfassung gelangt die Opposition zu der Feststellung, der Bundeshaushalt 1973 sei unbefriedigend. Diese Zusammenfassung beginnt wieder mit dem „alten Hut" der sogenannten Schattenhaushalte. Ich kann mich hier unter Bezugnahme auf das, was der Kollege Kirst gestern schon zu diesem Thema gesagt hat, kurz fassen. Ich habe bereits in der ersten Lesung und bei früheren Anlässen darauf hingewiesen, daß nichts am Haushalt vorbei geschieht. Wie Sie wissen, gibt es die Finanzierungsart der sogenannten Schattenhaushalte schon seit vielen Jahren, seit fast 20 Jahren, eingeführt damals durch eine von einem CDU-Kanzler geführte Bundesregierung. Ich denke nur an das Stichwort „Offa", die Finanzierungsgesellschaft für öffentliche Arbeiten.
Selbst wenn Sie bei derartigen Haushaltsfinanzierungen des Kapitaldienstes die Kapitalsummen sämtlich dem Haushalt hinzurechnen, ergibt sich nicht die von Ihnen ständig unter die Leute gebrachte angebliche Steigerungsrate des Bundeshaushalts 1973 in Höhe von 13 %. Das ist falsch, und Sie sollten die Zahl nun einmal in den Papierkorb werfen.

(Beifall bei der SPD.)

Sie haben nämlich vergessen, wenn Sie mit dieser unwahren Zahl operieren, daß man dann, wenn man die sogenannten Schattenhaushalte mit berücksichtigt, auch von einer anderen Ausgansgbasis im Jahre 1972 aus operieren muß. Wenn man dann ganz genau vorgehen und dabei die in bestimmten Fällen niedrigeren Kapitalbeiträge 1973 berücksichtigen würde — und auch hier unterstreiche ich das, was der Kollege Kirst gestern gesagt hat —, käme sogar eine um einige Zehntelpunkte niedrigere Steigerungsrate als die von mir eingangs erwähnte heraus. Was Sie da also mit der Steigerungsrate in Höhe von 13% machen, die es gar nicht gibt, fliegt wie ein Bumerang auf Sie zurück; hoffentlich trifft es nicht ausgerechnet Sie, Herr Kollege Jenninger.
Aber davon abgesehen — und hier wiederhole ich — haben wir im Plenum und auch im Haushaltsausschuß in Aussicht gestellt, gemeinsam an den
Abbau der sogenannten Schattenhaushalte heranzugehen.

(Abg. Dr. Jenninger: Erste Stufe erreicht!)

Daß der Einstieg 1973 nur in einer kleinen Größenordnung geglückt ist, indem wir nämlich den Gewinn aus der Prägung der Olympia-Münze und seine Verwendung in Höhe von 3,7 Millionen DM nunmehr nicht per Leertitel, sondern per Einnahme-und Ausgabeansatz bewältigen, daß dieser Ansatz nur in relativ bescheidenem Umfang erfolgt, soll Sie aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es ernst meinen, wenn Sie es ernst meinen, dann nicht mit den plötzlich erhöhten Steigerungsraten des Bundeshaushalts zu operieren. Das muß ganz klar von Ihnen mitgeteilt werden, und diese klare Mitteilung fehlt bis zum heutigen Tage.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Jenninger: Ich habe gesagt, ich bin nicht für Zahlenfetischismus!)

Wir haben die Bundesregierung ermuntert — meine Kollegen vom Haushaltsausschuß werden mir das bestätigen , bereits für das Haushaltsjahr 1974 zu überlegen, ob wir an den Abbau des sogenannten Schattenhaushalts oder auch teilweisen Abbau des sogenannten Schattenhaushalts im Bereich des Krankenhausfinanzierungsgesetzes herangehen.
Dann kommt der nächste Einfall der Opposition, nämlich die Stabilitätsabgabe, die Stabilitätsanleihe, die Investitionssteuer und auch Steuermehreinnahmen, die sämtlich nicht der Finanzierung von Haushaltsausgaben des Jahres 1973 dienen, in Einnahmen und Ausgaben zu veranschlagen. Abgesehen davon, daß es dafür keinen gesetzlichen Zwang gibt, wäre es auch nicht zweckmäßig, da den Zuführungen an Rücklagen und Sonderkonten im Vorjahr keine vergleichbaren Beträge gegenüberstanden. Deshalb kann und soll es bei der von der Bundesregierung vorgesehenen Veranschlagung bleiben. Ich verhehle nicht, daß wir uns gestern noch einmal ganz intensiv über dieses Thema unterhalten haben. Aber wir wollen es so belassen, und wir bitten um Ihr Verständnis.
Auch Ihre Vorschläge, die die Ausgabenseite betreffen, gehen an der Wirklichkeit vorbei. Diese Vorschläge laufen im wesentlichen darauf hinaus, globale Minderausgaben anzubringen. Sie verraten Hilflosigkeit, Herr Kollege Dr. Jenninger, und sie nennen nicht Roß und Reiter, nämlich wo Sie einsparen wollen. Sie machen sich das etwas einfach mit globalen Anträgen auf Streichung und Minderausgaben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704502200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704502300
Bitte sehr!

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704502400
Herr Kollege Haehser, wenn die Regierung sagt, wir wollen in Bereiche der Gemeinschaftsaufgaben in diesem Jahr 330 Millionen DM nicht ausgeben, ist es dann nicht ausreichend, daß man in den einzelnen Berei-



Dr. Jenninger
chen der Gemeinschaftsaufgaben — wie dies z. B. geschehen ist durch einen Beschluß im Planungsausschuß für die Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsförderung — diesen Betrag global in den Haushalt einsetzt? Es ist doch nicht Sache des Parlaments, hier dann im einzelnen zu sagen, diese oder jene Straße wird nicht gebaut. So weit wollen wir in die Befugnisse der Regierung nicht eingreifen. In diesen Dingen können wir doch nur global arbeiten.

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704502500
Nun, Herr Kollege Jenninger, wenn ich hinzufüge, was ich mir vorgenommen habe zu sagen, werden Sie wissen, auf was ich hinaus will. Ich möchte nämlich daran erinnern, daß es gerade Ihre Partei, Herr Kollege Dr. Jenninger, war, die in den vergangenen Jahren, seitdem sie nicht mehr an der Regierung beteiligt ist, immer wieder gegen die Ausbringung globaler Minderausgaben polemisiert hat.

(Abg. Dr. Jenninger: Es gab da Unterschiede!)

Um so überraschter bin ich, daß Sie jetzt mit diesem Vorschlag kommen, offenbar weil Ihnen nichts anderes einfällt.
Gestern z. B. haben Sie, meine Damen und meine Herren von der Opposition, eine globale Minderausgabe, die Sie forderten, plötzlich in einen Dekkungsvorschlag umgewandelt. Das war nicht fair gegenüber dem Kollegen Glombig, der gestern hinter dem Rednerpult gestanden hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier kommt das ganze Dilemma der CDU/CSU zum Vorschein und der Konflikt, in dem sie sich befindet: weniger ausgeben zu wollen und gleichzeitig Mehrausgaben zu fordern.
Ein anderes Thema: Wie kann sich die Opposition auf den von ihr häufig beschworenen Begriff der Haushaltswahrheit berufen und gleichzeitig fordern, daß über die Ergebnisse der Steuerschätzung von Ende Mai dieses Jahres hinaus weitere 1,2 Milliarden DM an Steuern veranschlagt werden sollen?

(Abg. Schröder [Lüneburg]: Das wissen Sie doch genau!)

Wie können Sie, meine Damen und meine Herren von der Opposition, nur zwei Wochen nach der offiziellen Steuerschätzung durch den „Arbeitskreis Steuerschätzungen", der ja kein regierungsabhängiges Gremium ist, da in ihm die Wirtschaftsforschungsinstitute, die Länder, die Gemeindeverbände und die Deutsche Bundesbank vertreten sind, von der Sache her so einfach sagen, das sei zuwenig, wir schätzen jetzt einmal — wie aus dem Hut gezaubert — höher?

(Abg. Dr. Jenninger: So intelligent ist die Opposition!)

Die Zielrichtung Ihres Vorgehens ist für jeden von uns erkennbar. Sie wollen oder dürfen den Haushalt nicht billigen, und für Ihre Argumentation ist Ihnen jedes Mittel recht.
Gerade im Hinblick auf das, was der Kollege Dr. Jenninger vorhin vorgetragen hat, und auf den Ton, in dem er es vorgetragen hat, sage ich: Ich wünschte, die sachliche Atmosphäre der Beratungen im Haushaltsausschuß wäre auch hier durchzuhalten gewesen.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Sehr richtig! Das hatten wir von Ihnen erwartet!)

Das hätte keinem geschadet und hätte dem Ansehen des Haushaltsausschusses nur genutzt.

(Abg. Reddemann: Sagen Sie das einmal Ihrem Finanzminister!)

— Warum tragen Sie denn heute keine Fliege, Herr Reddemann?

(Lachen bei der SPD.)

Wie dem auch sei, vom eingangs geäußerten Dank nehme ich nichts zurück. Ich erweitere diesen Dank und spreche ihn auch aus den Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen und nicht zuletzt dem Haushaltsdirektor, der uns zusammen mit der politischen Leitung des Hauses in vielen Stunden zur Verfügung gestanden hat.

(Abg. Dr. Jenninger: Wir haben ihn ja auch befördert!)

Ich erweitere den Dank auf die Mitarbeiter des Sekretariats des Haushaltsausschusses und die vielen dienstbaren Geister, die uns die Drucksachen bereitstellen, die wir alle lesen wollen.
Wir stellen fest: Die Regierung Brandt/Scheel erlebt das erste volle Jahr ihrer Amtszeit, in dem sie ihre Arbeit ungestört leisten kann.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : Das warten wir mal ab!)

Der Etat wird ihr diese Arbeit ermöglichen. Wir werden der Regierung Brandt/Scheel und dem Finanzminister dabei nach besten Kräften helfen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704502600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0704502700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich den Vorzug habe, keine vorbereitete Grundsatzerklärung abgeben zu müssen, kann ich mich in meinem Beitrag mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Jenninger beschäftigen. Das ist auch deshalb ganz nützlich, weil sie mir besonders symptomatisch für die konfuse Haltung der Opposition erscheinen.

(Beifall bei der FDP.)

Denn, meine Damen und Herren, Ihre Haushaltskritik zeichnet sich durch eine rührende Widersprüchlichkeit aus. Natürlich kann eine Oppostion, so wie es Herr Kollege Althammer gekennzeichnet hat, bei der Formulierung ihrer Kritik die ganze Dimension der politischen Landschaft durchschreiten. Nur haben wir bei Ihnen gerade darauf bisher vergeblich gewartet.



Hoppe
Herr Kollege Jenninger hat sich bei seinem Auftritt mehr als Aphorismensammler betätigt. Lieber Herr Jenninger, ich habe für eine aufgelockerte Form haushaltspolitischer Auseinandersetzungen etwas übrig, weil ich meine, daß einer so trockenen und spröden Materie die Auflockerung gut bekommt. Aber der Vortrag darf sich nun auch nicht darin erschöpfen, daß Sie aus Ihrem Zitatenkästchen plaudern. Sie haben Ihren dramaturgischen Einfall dann auch noch insoweit überzogen, als Sie zunächst das Schreckgespenst der Enteignung der breiten Massen, die mit dem Abgang Schillers begonnen habe, heraufbeschworen, um uns dann darauf hinzuweisen, daß der Augenblick unmittelbar bevorstehe, an dem diese Regierung und die Koalitionsparteien ins Wasser fallen würden.

(Zuruf des Abg. Dr. Jenninger.)

Bei mir verstärkt sich der Eindruck, daß die Opposition längst im Bach liegt und Schaum schlägt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704502800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0704502900
Aber selbstverständlich, bei Herrn Reddemann immer.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0704503000
Danke, 'Herr Kollege Hoppe. — Herr Kollege Hoppe, haben Sie Herrn Kollegen Jenninger so schlecht zugehört, daß Sie nicht mehr zwischen dem, was er als seine eigene Meinung gesagt, und dem, was er zitiert hat, unterscheiden können?

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0704503100
Verehrter Herr Kollege Reddemann, ich habe so genau zugehört, daß ich sogar gemerkt habe, wo die zitierte Meinung von Herrn Jenninger übernommen wurde. Und wo das der Fall ist, durfte ich die Einheit von Zitat und eigener Meinung zum Gegenstand meiner Ausführungen machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704503200
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0704503300
Ich möchte der parlamentarischen Opposition durch die Runde unseres Zwiegesprächs nicht über Gebühr die Möglichkeit beschränken, hier ihre Argumente vorzutragen. Aber sonst dürfen wir gern damit fortfahren.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0704503400
Nach dieser Einschränkung verzichte ich gern.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0704503500
Meine Damen und Herren, wer Oppositionspolitik mit solchen Argumenten vorträgt, läuft Gefahr, seinerseits mit gleicher Elle gemessen zu werden. Wer den Vorwurf unsolider Haushaltspolitik der Regierung erhebt und dann
nicht belegen kann, treibt leichtfertige Oppositionspolitik.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Jenninger.)

— Aber ich will den Vorwurf gar nicht so zurückgeben, verehrter Kerr Kollege Jenninger. Und doch sollten wir uns angesichts der schwierigen finanz-
und wirtschaftspolitischen Situation nicht mit aufblasenem Verbalismus begnügen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Das sagen Sie mal der Regierung!)

Meine Damen und Herren, Ihre Kritik am innenpolitischen Teil blieb bei den wirtschafts- und finanzpolitischen Darlegungen als Blick zurück im Zorn doch bereits im Ansatz stecken. Sie haben uns keine konstruktive Alternative geboten. Als es darum ging, mit der schwierigen Lage fertig zu werden, hat diese Regierung gehandelt. Sie standen zunächst im Abseits, haben sich dann zögernd zur Mitarbeit entschlossen und legen nun Wert darauf, daß wir Ihre Zustimmung auch gebührend würdigen.
Wenn es um die erste Frage geht, ob mit diesem Teil der Haushaltspolitik und Stabilitätspolitik getrieben wird, ob wir unsere Fiskalpolitik tatsächlich in den Dienst der Stabilitätspolitik stellen, dann muß ich die zahlreichen Aussagen jener Sprecher der Opposition in Erinnerung bringen, die immer dann, wenn sie Mehrausgaben für den einen oder anderen Zweck beantragt haben, darauf hinwiesen, daß sie das Haushaltsvolumen gar nicht verändern wollen, sondern daß sie nur innerhalb des Haushaltsvolumens des zur Beratung und Beschlußfassung vorliegenden Etats umschichten wollen. Meine Damen und Herren, die Opposition kann nicht einmal vor der Öffentlichkeit dokumentieren, daß der Haushalt mit seinem Gesamtvolumen stabilitätsgerecht sei — denn nur unter dieser Voraussetzung ist eine Umschichtung innerhalb des Volumens zu rechtfertigen —, und der Regierung gleichzeitig den Vorwurf machen, dieser Haushalt sei das Letzte an Haushaltspolitik und ein grober Mißbrauch fiskalischer Betätigung.

(Abg. Dr. Jenninger: Das machen Sie schön aphoristisch! — Abg. Haase [Kassel] : Er weiß es auch besser! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist das Schlimme!)

Hier wird Ihre eigene widerspruchsvolle Haltung deutlich. Sie werden nicht leugnen können, daß jede Ihrer Ausgabeforderungen mit dem Hinweis begründet worden ist, daß innerhalb der bereitgestellten Haushaltsmittel die Deckung möglich sei und so vorgeschlagen werde.
Zu einer Haushaltspolitik wirklicher Sparsamkeit haben Sie sich bisher nicht bereit finden können. Sie haben keineswegs um eine Reduzierung des Haushaltsvolumens im Sinne der Stabilitätspolitik an jeder Stelle gekämpft, wo Ersparnisse denkbar sind und erreichbar erscheinen.

(Widerspruch des Abg. Dr. Jenninger.)




Hoppe
Nein, Sie wollten das eingesparte Geld immer schnell wieder an anderer Stelle ausgeben.

(Abg. Dr. Jenninger: Wo denn? Nennen Sie einmal ein Beispiel!)

— Aber Herr Kollege Jenninger, Sie haben doch einen ganzen Fahrplan von Ausgabeanträgen aufgestellt!

(Abg. Dr. Jenninger: Und die Regierung?)

Ich kann dazu nur sagen, daß Sie gar nicht ernsthaft um des Sparens willen sparen wollen, sondern daß Sie allenfalls sparen wollen, um das Geld an anderer Stelle wieder auszugeben.

(Abg. Haase [Kassel] : Das ist doch unzutreffend!)

Es ist an der Zeit, endlich gemeinsam mit der Sparsamkeit Ernst zu machen, wie es der Kollege Haehser hier ausgeführt hat, wofür Sie ihm sogar Beifall gezollt haben. Wir halten unsere Behauptung für belegt, daß auch mit dieser Haushaltspolitik der Bundesregierung ein Beitrag zur Stabilitätspolitik geleistet worden ist. Der Haushalt wird einem solch hohen Anspruch gerecht —.
Meine Damen und Herren, der Regierungschef der größten Koalition aller Zeiten hat in seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 — Herr Kollege Wehner hat sie in der Aussprache schon einmal bemüht — einmal gesagt: Die Gesundung der Bundesfinanzen ist weniger eine Frage des Sachverstandes als des politischen Mutes und der Einsicht aller Mitverantwortlichen. — Das war damals so hat es Herr Kiesinger gestern kommentiert — als ein Appell an alle gedacht, ein Appell an Regierung, Regierungsparteien und Opposition. Ich kann dazu leider nur feststellen: Sehr nachhaltig hat dieser Appell nicht gewirkt. Ganz offensichtlich ist er gerade innerhalb der eigenen Partei und innerhalb der Fraktion der CDU/CSU völlig verhallt. Sie sollten sich dieses Appells erinnern

(Abg. Haase [Kassel] : Er ist doch sonst ein so gebildeter Mann! — Abg. Reddemann: Bringen Sie erst einmal Ihren FDP-Landesverband zusammen!)

und eine Haushaltspolitik unterstützen, die sich darum bemüht, ihren Beitrag zur Stabilitätspolitik mit diesem Mittel zu leisten. Im übrigen sollten Sie Ihre schönen kritischen Reden zur Haushalts- und Fiskalpolitik endlich in den Landesparlamenten halten lassen. Damit würden Sie an der richtigen Stelle einen ernsthaften und überzeugenden Beitrag zur Stabilitätspolitik leisten; denn wenn irgendwo von der Verschwendung der öffentlichen Haushalte gesprochen werden kann, dann

(Abg. Dr. Althammer: In Nordrhein-Westfalen!)

allenfalls im Bereich der Länder.

(Abg. Hasse [Kassel] : Z. B. in NordrheinWestfalen! — Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704503600
Das Wort hat der Bundesminister Schmidt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0704503700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist des Hauses Brauch, daß der Bundesminister der Finanzen in der dritten Lesung zur Gesamtberatung aus seiner Sicht Stellung nimmt, und deswegen will ich mich heute in der zweiten Lesung auf ein paar ganz wenige Bemerkungen beschränken. Ich versuche, sie so zu formulieren, daß sich niemand bei der CDU/ CSU und auch nicht der Kollege Höcherl provoziert fühlt, noch eine Rede daranzuhängen; ich bin also sehr zurückhaltend in der Intonation.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Aber ich muß auf ein paar Bemerkungen vom Kollegen Jenninger zurückkommen dürfen. Eine muß ich aufgreifen, weil sie eine Wiederholung dessen war, was gestern auch der Oppositionsführer schon bemerkt hatte, nämlich den Vorwurf, der Haushalt sei dem Parlament zu spät vorgelegt. Dies ist, wie Sie sich selber aus eigener politischer Erfahrung sagen müssen, unzutreffend. Diese Bundesregierung hat ihre Regierungserklärung hier vor diesem Hause am 18. Januar vorgetragen. Genau vier Wochen später war auf der Basis dieser Konzeption der Politik der Haushalt bis zum letzten Titel ausformuliert. Daß dann die Technik noch einige Wochen braucht, um ihn zu drucken, tut auch mir leid; ich habe das auch erst lernen müssen. Aber der Oppositionsführer sollte nicht so tun, als ob er nicht wüßte, daß er und seine Freunde den Haushalt, ehe er ausgedruckt war, in einem technisch unvollkommenen, aber wohl inhaltlich vollständigen Zustand lange vorher erhalten haben. Auch der Haushaltsausschuß hatte — wofür ich zu danken habe - die Haushaltsberatungen längst begonnen, ehe ich die ausgedruckten Exemplare bei den Kollegen angekommen sind. Ich bitte also, diesen Vorwurf nicht weiter zu verfolgen.
Zweiter Punkt. Herr Jenninger, Sie haben die Behauptung aufgestellt, die Regierung habe den Bundesbankpräsidenten und den Sachverständigenrat als staatsfeindlich beschimpft. Ich benutzte die Formulierung, die Sie gebraucht haben. Ich weise diese Behauptung zurück, ohne mich näher darauf einzulassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Was hat denn der Bundeskanzler gemeint?)

Drittens — auch dies ist eine Wiederaufnahme dessen, was Herr Carstens gestern schon vorgetragen hatte; Herr Carstens hatte es etwas anders gesagt — haben Sie behauptet, der Bund habe im Finanzplanungsrat, im Konjunkturrat und in anderen Gremien das Signal auf Expansion gestellt. Ich weise diese Behauptung gleichfalls zurück und muß nun, um der Wahrheit die Ehre zu geben, in diesem Zusammenhang einmal die Stellen aus dem Gutachten der Sachverständigen vorlesen, die Herr Professor Carstens selber offenbar nicht gesehen hatte, er hatte sich offenbar auf das verlassen, was ihm andere ausgearbeitet hatten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ha, ha!)


Bundesminister Schmidt
— Ich nehme das an. Wenn Herr Professor Carstens mir widersprechen will, gebe ich Gelegenheit zur Zwischenfrage.

(Abg. Reddemann: Professor Carstens ist doch nicht Egon Franke!)

— Ich gebe Gelegenheit zur Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung. — Die soll offenbar nicht gemacht werden.

(Abg. Dr. Althammer: In dem Gutachten steht viel drin!)

— Ich lese das vor, worauf es hier ankommt.
Nachdem sich die Gutachter in ihrem Gutachten vom 3. Mai mit einer Sitzung des Finanzplanungsrats im September beschäftigen, in dem der Finanzplanungsrat, Bund und Länder, einvernehmlich eine bestimmte Haushaltserhöhung, nämlich 101/2 %, empfohlen hatte — die Sachverständigen rechnen das in absolute Zahlen, in Milliardenbeträge, um —, stellen sie dann fest, die Länder und der Bund hätten zum Schluß zusammen diese Milliardenbeträge überschritten und nicht an dem festgehalten, woran sie der Finanzplanungsrat durch eine Prozentzahl hatte festhalten wollen. Dann sagen die Sachverständigen folgendes:
Es ist wohl offensichtlich, daß nicht zugleich der Betrag vom September 1972 und die Summe der heutigen Haushaltsansätze Ausdruck des jeweils erkennbaren unabweisbaren Finanzbedarfs der Gebietskörperschaften für das Jahr 1973 sein kann; . . .
Hier ist also vom Bund, den Ländern und übrigens auch von den Gemeinden die Rede, Herr Carstens. Dann geht der Passus, den Sie in einer, wie Sie gleich zugeben werden, unerlaubten Weise verfälschend zitiert haben, folgendermaßen weiter:
Betreibt der Finanzplanungsrat eine ernst zu nehmende Koordinierungsarbeit, wie es seine gesetzliche Aufgabe ist, war also seine Empfehlung vom September 1972 fundiert, dann müßte ein erheblicher Teil des erwähnten Betrages von fast 9 Milliarden DM
— die es jetzt mehr geworden seien —
finanzpolitisch disponibel gewesen sein, oder ist es noch. Verhält es sich nicht so, war also die genannte Empfehlung von vornherein unrealistisch und ebenso die entsprechende Aufforderung des Bundes an die Länder im Jahreswirtschaftsbericht, dann beruhte die öffentlich erklärte Stabilitätspolitik hinsichtlich des öffentlichen Finanzgebarens monatelang auf einer Illusion, und man müßte wohl hinnehmen, daß die Öffentlichkeit den Stand der Finanzplanung in diesem Lande, insbesondere deren Koordinationsformen, als einen Skandal betrachtet.
Das heißt, im Gegensatz zu Ihrer Bemerkung gestern ist mit dem Wort „Skandal", das ich in diesem Zusammenhang. zu rügen habe, nicht die Finanzplanung des Bundes, sondern die Koordination zwischen Bund und Ländern gemeint.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Und die ist Aufgabe des Bundes!)

- Sie ist Aufgabe des Finanzplanungsrates, der ein Institut des Haushaltsgrundsätzegesetzes, ein gemeinsames Organ von Bund Ländern ist.
Ich möchte nun hinzufügen — und Sie, so hoffe ich, dabei nachdenklich machen —: Der Finanzplanungsrat ist angesichts des Grundgesetzes und der Eigenständigkeit der Finanzwirtschaft von Bund, Ländern und Gemeinden, so wie er vom Haushaltsgrundsätzegesetz konzipiert ist, nicht ein Buschlußorgan, er ist vielmehr ein Beratungsgremium. Er ist ein untaugliches Instrument zur Koordinierung von elf Landtagen, 16 000 Gemeinderäten und einem Bundestag sowie den jeweiligen Stadtregierungen, Gemeinderegierungen, Landesregierungen und Bundesregierung.

(Abg. Dr. Jenninger: Warum ändern Sie es nicht?)

— Eine Änderung wäre durchaus wert, Herr Kollege Jenninger, durchdacht zu werden. Nur, wenn man dies ändern will — darüber mit anderen nachzudenken wäre ich gern bereit —, läuft es auf eine tiefgreifende Grundgesetzänderung hinaus, die das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ganz wesentlich verändern würde.
Ich sage das in aller Ruhe, weil ich Sie bitten möchte, darüber nachzudenken und nicht an einem, wie ich meine, deplacierten Wort von Sachverständigen, die auf diesem Feld nun allerdings nicht sachverständig sind, sondern auf dem Feld der Konjunktur, polemische Bemerkungen aufzuhängen, die nicht hierher gehören.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nächster Punkt. Herr Kollege Jenninger hat behauptet, der Finanzminister oder die Regierung habe im vorigen Jahr gesagt, sie wolle 2 000 Stellen einsparen, aber keine darüber hinaus neu schaffen. Das ist ein Irrtum; das ist nie gesagt worden, sondern die Absicht war, angesichts der Unausweichlichkeit, daß für immer neue Aufgaben auch neue Stellen geschaffen werden müssen, von Peking bis zur UNO in New York, durch die Einsparung von 2 000 Stellen ein Gegengewicht zu schaffen.
Herr Kollege Jenninger, es wird — und ich bedanke mich für die Hilfe des Haushaltsausschusses, die Herr Haehser eben noch einmal ins rechte Licht gerückt hat — in diesem Jahr 1973 zum erstenmal die Kurve der Stellenzahl des Bundes, die stetig gestiegen ist, einen ganz kleinen abwärts gerichteten Knick erfahren. Wenn wir es das nächste Jahr fortsetzen könnten, wäre ich sehr dankbar. Nur finde ich, daß Sie überhaupt keinen Grund haben, hieran irgendwelche Vorwürfe anzuknüpfen. Im Gegenteil, Sie sollten für diesen erstmaligen Knick in der Kurve Ihre Dankbarkeit oder jedenfalls Ihre Zustimmung aussprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Fünfte Bemerkung. Sie haben wörtlich ausgeführt, die Bundesregierung führe den Haushalt gegen alle Regeln des Haushaltsrechts.

(Abg. Dr. Jenninger: In bestimmten Punkten!)




Bundesminister Schmidt
Sie haben keinerlei Beweis dafür angeführt, daß auch nur eine einzige Regel oder eine einzige Vorschrift des Haushaltsrechts verletzt ist. Ihre Berner-kung verletzt die Wahrheit, und ich muß sie zurückweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704503800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0704503900
Herr Bundesfinanzminister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich dies konkret am Beispiel der von Ihnen vorgeschlagenen Kürzungen dargelegt habe, nämlich zum Beispiel an diesen 330 Millionen DM? Halten Sie es denn für mit dem Art. 106 des Grundgesetzes, mit dem Veranschlagungsprinzip, mit dem Prinzip der Haushaltswahrheit und -klarheit vereinbar, daß Sie uns als Regierung sagen: Wir wollen kürzen um 330 Millionen DM, und der Haushaltsausschuß, das Parlament darf dies nicht zur Kenntnis nehmen, nicht im Haushalt verwirklichen? Ist das denn gesetzmäßig? Sagen Sie einmal ihre Meinung!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0704504000
Ich nehme das erstens wunschgemäß zur Kenntnis. Zweitens habe ich dazu zu bemerken, daß Bund und Länder in bezug auf die Streckung der Gemeinschaftsaufgaben anders als Sie behauptet haben — völlig gleich verfahren.
Drittens gibt es überhaupt keinen Zweifel, daß dies in Übereinstimmung mit dem Haushaltsrecht steht. Wenn es anders wäre, Herr Kollege Jenninger, wenn hier ein Verstoß gegen das Recht vorläge, müßten Sie ja wohl ganz andere Maßnahmen ergreifen, als hier im Bundestag zu polemisieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Das können wir ja tun!)

Ich füge aber hinzu, daß man über die Zweckmäßigkeit streiten kann. Natürlich ist Ihre Auffassung legitim, daß das unzweckmäßig sei. Nur dürfen Sie nicht behaupten, es werde hier das Gesetz verletzt. Ich bleibe dabei, daß diese Ihre Bemerkung zurückgewiesen werden muß.
Im fünften Punkt haben Sie dem Finanzminister „eiskalten Willen" im Zusammenhang mit der Mineralölsteuer attestiert. — Das kann ich nun natürlich nicht zurückweisen, Herr Kollege Jenninger, obwohl es mir lieber wäre, wenn Sie auf Ihr schmükkendes Beiwort verzichtet hätten. Aber mit Sicherheit ist es so, daß der Bundesrat im letzten Durchgang darauf verzichtet hat, gegen die Erhöhung der Mineralölsteuer Einspruch einzulegen, wie Sie wissen — und auch aus guten Gründen. Die Mineralölsteuererhöhung muß nämlich im Zusammenhang mit dem Stabilitätszuschlag für die Aktiengesellschaften und GmbHs sowie dem Stabilitätszuschlag für die höheren Einkommensklassen gesehen werden; sie ist ein kleines ausgleichendes Moment.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ein Kostenfaktor!)

Meine letzte Bemerkung! Herr Kollege Jenninger hat verlangt, es müßte endlich eine konzertierte
Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden im Finanzplanungsrat stattfinden. Ich darf Ihnen wie auch dem Führer der Opposition sagen: Dies ist nach dem Grundgesetz dieses Landes und nach den Verfassungen der einzelnen elf Länder unmöglich.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das hat unter Ihren Vorgängern besser funktioniert!)

— Lieber Herr Professor Carstens, ich fürchte, daß Sie sich für die morgige Debatte in diesem Punkt noch wesentlich besser vorbereiten müssen, als Sie im Augenblick vorbereitet sind.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Sie wissen, daß ich seit Jahren großen Respekt vor Ihrem außenpolitischem Wissen und auch vor Ihrer Fähigkeit empfinde, über derartige Probleme zu sprechen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Was aber diesen Punkt angeht, so handelt es sich um die Notwendigkeit, die Finanzverfassung des Bundesstaates verändern zu wollen, wenn Sie von einer koordinierten oder konzertierten Aktion im Finanzplanungsrat reden. Wenn der Ton auf „Aktion" liegt, ist dies von den Verfassungen der Länder sowie auch vom Grundgesetz her unmöglich. Liegt der Ton auf „konzertiert", kann es sich nur — wie bisher immer — um Empfehlungen handeln, denen weder die Landesregierungen noch die Landtage, noch die 16 000 Gemeinden wirklich zu folgen haben, was sie ja auch nicht tun. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß sich gegenwärtig im Haushaltsjahr 1973 trotz der Empfehlung einer Begrenzung der Zuwachsraten auf 10,5 "/o, die der Finanzplanungsrat gegeben hat, nur der Bund, nicht aber die Länder und nicht die Gemeinden an die Empfehlung gehalten haben, — was für Sie auch kein Wunder zu sein braucht, wenn Sie sich vor Augen führen, wie sich z. B. die Mehrheit der Länder im Bundesrat inzwischen auf fortwährende Kooperation nicht mit der Bundesregierung, sondern mit der Bundestagsminderheit innerlich eingestellt hat.
Ich verzichte, Herr Kollege Höcherl, auf irgendeine Schlußapotheose, um Sie wirklich nicht dazu herauszufordern, auf mich noch zu antworten.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0704504100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache. — Anträge sind nicht gestellt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 08 in der Ausschußfassung. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einzelplan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksachen7/729, 7/760 —



Präsident Frau Renger
Berichterstatter:
Abgeordneter Röhner
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Röhner.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704504200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter für den Einzelplan 09 habe ich in dem üblichen, Ihnen vorliegenden schriftlichen Bericht zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft wiederum ausführlich die Beratungen und die Beratungsergebnisse des Haushaltsausschusses dargestellt. Daher möchte ich mich jetzt auf einige kurze Bemerkungen beschränken.
Erste Bemerkung: Der Einzelplan 09 rechnet mit rund 2,2 Milliarden DM vom Ausgabenvolumen her nicht zu dem größten des Bundeshaushalts. Trotzdem haben die darin ausgewiesenen Maßnahmen und Programme neben der wirtschaftspolitischen auch eine erhebliche allgemeinpolitische Bedeutung. Nur diese Position dieses Haushaltes läßt auch die außerordentlich hohe Steigerungsrate bei diesen Ausgaben gerechtfertigt erscheinen.
Die Ansätze gewährleisten unter anderem die Strukturhilfen für den Steinkohlenbergbau, für die Luftfahrtindustrie, für die Werften sowie für den Mittelstand und schließen die Sicherung der Mineralöl- und sonstigen Rohstoffversorgung, die Regionalförderung und auch Maßnahmen zugunsten der Verbraucher mit ein.
Zweite Bemerkung: Die Gesamtentwicklung des Einzelplans wird wesentlich durch den Ausgabenzuwachs im Kohlebereich geprägt. Gegenüber dem Soll des Vorjahres tritt hier eine Erhöhung von rund 400 Millionen DM ein, die den überwiegenden Teil der Gesamtsteigerung beim Einzelplan 09 ausmacht. Die vorgesehenen Maßnahmen zugunsten des Kohlebergbaus sind in meinem Schriftlichen Bericht einzeln dargestellt. Ich möchte darauf verweisen. Zusammenfassend ist festzustellen, daß durch die bereitgestellten Mittel eine Fortführung der laufenden Programme ermöglicht werden soll. Nicht berücksichtigt ist allerdings das Energiekonzept, das in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 und ebenfalls im Jahreswirtschaftsbericht 1973 der Bundesregierung angekündigt wurde, aber erst im Bundeshaushalt 1974 haushaltsmäßige Auswirkungen haben wird. Es ist sehr zu wünschen — und ich gebe damit die Stimmung bei der Beratung dieses Etats im Haushaltsausschuß wieder —, daß dieses angekündigte Energieprogramm der Bundesregierung endlich die Lage des deutschen Steinkohlebergbaus so verbessert, daß ein entscheidender Schritt in Richtung auf eine Gesundung dieses Wirtschaftszweiges und damit auch auf eine Entlastung des Bundeshaushalts erreicht wird.
Eine dritte Bemerkung gilt dem Industriebereich. Hier haben sich in den letzten Jahren insbesondere die Ausgaben für die Werfthilfen und für die Förderung der Luftfahrttechnik erhöht. Diese Tendenz hält auch im Haushalt 1973 an. Bei den Werfthilfen hat sich der Ansatz gegenüber 1972 nahezu verdoppelt. Weitere Steigerungen sind auf Grund der Bindungsermächtigungen und auf Grund der Programmgestaltung künftig zu erwarten. Auch die Empfehlungen des Werftgutachtens und das vorgelegte Strukturkonzept der Industrie sind auf zusätzliche Hilfen der öffentlichen Hand ausgerichtet. Es sollte jedoch von der Bundesregierung im Rahmen der anstehenden Entscheidungen — auch das klang im Haushaltsausschuß an — mit der notwendigen Sorgfalt und Zurückhaltung, die in gelegentlichen Äußerungen von Regierungsmitgliedern da und dort schon Ausdruck fanden, untersucht werden, inwieweit solche laufend steigenden Hilfen noch berechtigt sind.
Vierte Bemerkung: Mit den Mitteln für die Luftfahrttechnik werden insbesondere die internationalen Gemeinschaftsvorhaben „Airbus" und „VFW 614" gefördert. Die Entwicklung dieser Flugzeuge ist weitgehend abgeschlossen. Die Bemühungen müssen jetzt im wesentlichen darauf abgestellt werden, Markterfolge zu erzielen.
Eine fünfte Bemerkung soll ein erläuterndes Wort zu den Ausgaben für die Rohölbevorratung und für die Erdölsicherung sein. Die Veränderungen auf dem Rohölmarkt haben bestätigt, daß die bereits vor längerer Zeit haushaltsmäßig eingeleiteten Maßnahmen richtig waren. Insofern erscheint auch die Ausgabenerhöhung in diesem Jahr für diesen Bereich voll gerechtfertigt.
Eine sechste und abschließende Bemerkung möchte ich noch in Ergänzung des Schriftlichen Berichts zum Einzelplan 09 machen. Ich möchte kurz auch den Mittelstandsbereich ansprechen. In den Beratungen des Haushaltsausschusses waren sich alle Fraktionen darüber einig, daß die Maßnahmen zugunsten des Mittelstandes eine besondere Bedeutung haben. Aus diesem Grunde hat der Haushaltsausschuß beschlossen, den Ansatz des Handwerkstitels über den Betrag des Regierungsentwurfs hinaus um 3,5 Millionen auf 27,5 Millionen DM zu erhöhen. Ein weitergehender Antrag der Haushaltsgruppe der Opposition fand dabei nicht die Mehrheit des Ausschusses. Aber mit den beschlossenen zusätzlichen Mitteln sollen insbesondere die berufliche Aus- und Fortbildung der im Handwerk tätigen Personen und die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung verstärkt werden.

(V o r s i t z: Vizepräsident von Hassel.)

Meine Damen und Herren, auf diese wenigen ergänzenden Anmerkungen möchte ich mich beschränken. Ich darf zu weiteren Detailfragen auf den bereits erwähnten und Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht verweisen. Im übrigen bedanke ich mich für Ihre Geduld und für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704504300
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort als Mitberichterstatter hat der Abgeordnete Kulawig.

Alwin Kulawig (SPD):
Rede ID: ID0704504400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, aus den Darlegungen meines Vorredners, des Kollegen Röhner, entnehmen zu können, daß im Haushaltsausschuß bei der



Kulawig
Beratung des Einzelplans 09 im wesentlichen Übereinstimmung geherrscht hat.

(Abg. Haase [Kassel] : Er hat als Berichterstatter gesprochen!)

— Warum unterbrechen Sie mich schon, Herr Kollege Haase? — Abgesehen von der bloßen Berichterstattung habe ich seinen Ausführungen eigentlich nicht entnommen, daß Aktivitäten aus dem Bereich der Opposition im Stadium der Beratungen im Haushaltsausschuß feststellbar gewesen wären.

(Abg. Seiters: Sie sind Mitberichterstatter! Sie reden doch nicht als Redner, sondern als Mitberichterstatter! So sind Sie doch gemeldet! — Abg. Haase [Kassel] : Sie sind nicht als Debattenredner gemeldet! — Abg. Seiters: Sie müssen sich schon an die Regeln halten!)

— Erlauben Sie mir, noch einmal von vorne zu beginnen. Aus den Darlegungen des Berichterstatters war nicht zu entnehmen, daß im Ausschuß kontroverse Auffassungen vorhanden waren. Da der Bericht des Berichterstatters, wie er selber sagte, kurz gehalten sein sollte, möchte ich zu dem übereinstimmenden Bereich keine Ausführungen machen,

(Abg. Dr. Marx: Das kann man aber besser machen!)

sondern einiges, was nicht ausgesprochen worden ist, noch vervollständigen. Sie werden es mir nicht übelnehmen, daß ich das vorweggenommen habe, was ich im Anschluß an den Bericht des Mitberichterstatters hätte sagen können, daß nämlich nennenswerte politische Kontroversen nicht feststellbar gewesen sind. Das habe ich, wie gesagt, vorausschikken wollen.
Ich beschränke mich darauf, einige Darlegungen zum Energiebereich und dort zum Kohlebereich zu machen, wo sich der Kollege Berichterstatter auf das Allernotwendigste beschränkt hat. Die Haushaltsansätze für energiepolitische Maßnahmen stellen nämlich den größten Ausgabeblock innerhalb des Einzelplans 09 dar. Rund 1,1 Milliarden DM — das sind 50 % — entfallen auf den Bereich Energiepolitik. Auch die Erhöhung der Ausgaben im Haushalt 1973 gegenüber dem vergleichbaren Soll im Jahre 1972 um ca. 580 Millionen DM zeigt die Bedeutung der energiepolitischen Titel.
Schwerpunkt der Energiepolitik ist nach wie vor die Kohle. Nachdem im Jahre 1969 unter maßgebender Mitwirkung der Bundesregierung rund 94 % der Kohleförderung des Ruhrreviers in der Ruhrkohle AG zusammengefaßt worden sind, wurde die krisenhafte Entwicklung im Steinkohlebergbau, die durch ungeordnete Stillegungen und soziale Spannungen in der Vergangenheit gekennzeichnet war, zunächst beendet. Die soziale Unruhe war beseitigt. Weiterhin notwendige Zechenschließungen großen Umfangs konnten in Ruhe vorbereitet und spannungsfrei durchgeführt werden.
Trotz dieser an sich positiven Entwicklung haben seit 1972 die Schwierigkeiten im deutschen Steinkohlebergbau wieder beträchtlich zugenommen. Der Absatz ging 1972 erheblich zurück. Er lag bei rund
95 Millionen Tonnen um rund 8 Millionen Tonnen unter dem Absatz des Vorjahres. Die Absatzverluste im Inland betrafen alle Verbrauchsbereiche. Sie beruhten auf einer Verschlechterung der Wettbewerbslage der deutschen Steinkohle gegenüber den Konkurrenzenergien und der US-Kohle, die vor allem auf den starken Kostenanstieg und .die Änderung der Währungsparitäten zurückzuführen ist, und haben dazu geführt, daß die Halden inzwischen wieder auf zirka 19 Millionen Tonnen Kohle und Koks angestiegen sind.
Trotz Stillegungen, Leistungssteigerungen und Rationalisierungen ist die deutsche Steinkohle heute in keinem Absatzbereich wettbewerbsfähig. Einem Bericht der Bundesregierung an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages über die Lage der Ruhrkohle AG ist zu entnehmen, daß bei diesem Unternehmen bis Ende 1972 ein Verlust von 745 Millionen DM aufgelaufen ist und auch im laufenden Jahr hohe Verluste zu erwarten sind.
Diese Entwicklung macht es erforderlich, daß die Bundesregierung ihre Hilfen an den Steinkohlenbergbau im Jahr 1973 intensiviert. So sind für 1973 rund 890 Millionen DM gegenüber 500 Millionen DM im Jahre 1972 für Kohlemaßnahmen veranschlagt. Der überwiegende Teil dieser Ausgaben ist für die Fortführung, wie Kollege Röhner schon sagte, bereits laufender Programme bestimmt. Hierzu gehören zunächst die Leistungen, die der Bund anläßlich der Gründung der Ruhrkohle AG übernommen hat: Zinszuschüsse an die Muttergesellschaften in Höhe bis zu 3 % der Reinvestitionsverpflichtungen für die Dauer von fünf Jahren, Erstattung der Erblasten in Gestalt der Erstattung von Aufwendungen für Wasserhaltungsmaßnahmen und Beiträgen zu Wasserwirtschaftsverbänden, die der fortbestehende Bergbau infolge von Stillegungen anderer Anlagen zusätzlich aufzubringen hat, und Stillegungsprämien, Prämien also, die an Bergbauunternehmen, die zu Zechenstillegungen und zur Veräußerung von Grundstücken bereit sind, zu zahlen sind.
Im Zusammenhang mit den Stillegungsprämien, die wegen der beschleunigten Abwicklung der Stilllegungsprogramme im Jahre 1973 gegenüber dem Vorjahr um 20 Millionen DM erhöht worden sind, stehen neben der Ablösung der LAG-Verpflichtung und der Bergschädensicherung vor allem die Ausgaben für Abfindungsgeld und Anpassungsgeld, die durch die Stillegung hervorgerufene Härten mildern sollen.
Da insbesondere die älteren Arbeitnehmer durch einen Arbeitsplatzverlust infolge von Stillegungs-
und Rationalisierungsmaßnahmen schwer betroffen werden, stehen seit 1972 Beträge für laufende rentenähnliche Anpassungszahlungen an Entlassene zur Verfügung, die bei Weiterbeschäftigung in spätestens fünf Jahren die Voraussetzungen für den Bezug der Leistungen der Knappschaftsversicherung erfüllen würden. Damit ist sichergestellt, daß sich auch der weitere Anpassungsprozeß im Steinkohlenbergbau ohne soziale Spannungen vollziehen kann.
Im Hinblick auf das beschleunigte Stillegungstempo wurde der Ansatz für das Anpassungsgeld im Jahre 1973 um 46 Millionen DM erhöht. Für die wei-



Kulawig
tere Anpassung und Gesundung des Steinkohlenbergbaus ist die Ausschöpfung aller vorhandenen Rationalisierungsmöglichkeiten von ausschlaggebender Bedeutung, Daher soll 1973 -- wie in den Vorjahren — von Bund und Bergbau-Ländern, und zwar im Verhältnis von zwei Drittel zu einem Drittel, ein Investitionsvolumen von 535 Millionen DM durch Gewährung von Investitionszuschüssen gefördert werden. Beim Beihilfesatz von rund 30 °/o werden für den Bund 106,7 Millionen DM anfallen.
Ergänzend hierzu sind im Haushalt 1973 9 Millionen DM für die Förderung der Entwicklung und Erstinnovation im Steinkohlenbergbau ausgebracht worden. Durch Einsatz dieser Mittel soll erreicht werden, daß Forschungsergebnisse möglichst schnell über Entwicklung und Erstinnovation zur praktischen Anwendung im Produktionsprozeß gelangen.
Einen wesentlichen Faktor der gegenwärtigen und künftigen Kohlepolitik stellen die Maßnahmen zur Sicherung und Stabilisierung des Kohleabsatzes dar. Hierzu gehören neben den Zuschüssen zum Ausgleich der Mehrkosten des Kohleeinsatzes in Kraftwerken nach dem zweiten Verstromungsgesetz, die gegenüber dem Vorjahr um 34 Millionen DM erhöht worden sind, insbesondere die Kokskohlebeihilfe, mit der die Preisdifferenz zwischen inländischer Kohle und Drittlandskohle teilweise ausgeglichen werden soll. Nachdem infolge der Preissteigerungen im Inland und der Änderung der Währungsparitäten diese Preisdifferenz auf 24 DM je Tonne angestiegen ist, war eine nachhaltige Anhebung des 1972 vorgesehenen Satzes für die Förderbeihilfe von 5,49 DM unabweisbar. Bei einer Förderbeihilfe von nunmehr 15 DM je Tonne werden im Haushalt 1973 356,6 Millionen DM gegenüber 124,1 Millionen DM im Jahre 1972 veranschlagt.
Wegen der besonderen Schwierigkeiten der Ruhrkohle AG, die auf die bereits erwähnte Absatzeinbuße und auf die Zunahme der Haldenbestände, aber auch auf die erhöhte Zinsbelastung wegen der laufend steigenden Anteile der Fremdfinanzierung und die zunehmenden Altlasten auf Grund des stillgelegten Bergbaus zurückzuführen sind, wurden im Jahre 1972 Stabilisierungsmaßnahmen zugunsten dieses Unternehmens beschlossen. Hierzu gehören einmal die Übernahme der bis 1975 anfallenden Tilgungsraten auf die Einbringungsforderungen der Muttergesellschaft und zum anderen die auf Grund der Ermächtigung des § 19 Abs. 2 des Haushaltsgesetzes 1972 der Ruhrkohle AG eingeräumte Schuldbuchforderung, für die erstmalig im Haushalt 1973 Schuldendienstausgaben in Höhe von 46,7 Millionen DM veranschlagt sind.
Auch aus dieser von mir vorgetragenen Übersicht über die einzelnen Maßnahmen zur Förderung des Kohlebergbaus ist ersichtlich, daß eine nachhaltige Konsolidierung des deutschen Steinkohlebergbaus durch die bisher vorgesehenen Kohlemaßnahmen noch nicht zu erreichen war. Sie muß dem von der Bundesregierung angekündigten Energiekonzept vorbehalten bleiben, das seinen haushaltsmäßigen Niederschlag erst in den Jahren ab 1974 finden wird. Die Bundesregierung hat bekanntgegeben, daß bald
mit der Vorlage dieses ihres Energiekonzepts zu rechnen sein wird.
Erlauben Sie mir nach diesem Bericht des Mitberichterstatters noch eine Bemerkung des SPD-Abgeordneten, der sich mit diesen Angelegenheiten als Mitglied des Haushaltsausschusses zu beschäftigen hat,

(Abg. Seiters: Das ist aber nicht möglich!)

die ich an den Herrn Bundeswirtschaftsminister richten möchte und die mit den Problemen der Ruhrkohle AG in engem Zusammenhang steht und keine parteipolitische Färbung beinhaltet, Herr Kollege Seiters. Aus der Presse war zu entnehmen, daß Kreise der Ruhrkohle AG oder andere politische Kreise des Landes Nordrhein-Westfalen dem Bundeswirtschaftsminister den Vorschlag unterbreiten wollen, zu einer Sanierung der Ruhrkohle AG dadurch zu gelangen, daß die Saarbergwerke Zug um Zug stillzulegen sind.
Herr Bundesminister, ich möchte als saarländischer Bundestagsabgeordneter Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Vorschlag lenken und Sie bitten, daß Sie durch eine Klarstellung die beträchtliche Unruhe, die sich unter den Bergleuten im Saarland ausgebreitet hat, beseitigen helfen; denn es kann wohl nicht im Sinne der Konsolidierung der Ruhrkohle AG liegen, wenn versucht wird, nun auf Kosten der 23 000 Bergleute im Saarland zu einer Sanierung der Ruhrkohle AG zu kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704504500
Das Haus hat die Ausführungen des Mitberichterstatters zur Kenntnis genommen. Wir treten in die Aussprache zu Einzelplan 09, Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, ein. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Ludwig Erhard. Für ihn hat die Fraktion der CDU/CSU eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0704504600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Debatte zu atomisieren, in Einzelheiten zu zerlegen, um damit eine umfassendere Betrachtung unmöglich zu machen.
Zunächst halte ich es für notwendig, folgendes festzustellen — und ich sage das zu Ihrer Beruhigung : Eine Haushaltsdebatte ist zwar ein Tag der Abrechnung, aber nach meiner Meinung sollte es eigentlich für uns alle mehr ein Tag der Besinnung sein.
Das Gedächtnis der Regierungskoalition ist offenbar außerordentlich schwach; denn der morgige 25. Geburtstag sowohl der Währungsreform, der Geburt der D-Mark, als auch der sozialen Marktwirtschaft scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Weil ich das jedoch nicht glaube, muß ich einen bewußten Willen annehmen, dieses Geschehen unter den Teppich zu kehren, damit das deutsche Volk nicht noch einmal an die Blamage er-



Dr. Erhard
innert wird, deren Sie sich seinerzeit schuldig gemacht haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Daran soll heute niemand mehr denken! Doch Sie können ganz beruhigt sein: ich bin vornehm genug, nicht die Namen derer zu nennen noch den Unsinn in Zitaten wörtlich wiederzugeben, mit denen diese seinerzeit die Öffentlichkeit beunruhigen und den Glauben an eine neue Ordnung schon im Keim zerstören wollten.
Es stellt sich nun die Frage — sie ist hier wiederholt gestellt worden —: Sollen wir eigentlich vorwärts oder rückwärts blicken? Nun, meine Damen und Herren, wenn wir rückwärts blicken, dann muß ich fragen: Wie weit sollen wir eigentlich rückwärts blicken? Etwa 25 Jahre? Das wäre für Sie nicht gerade ein Ruhmesblatt. Denn in diesen 25 Jahren haben Sie mindestens in den ersten 10 Jahren alles getan, um das Vertrauen des deutschen Volkes zu zerstören und dem Ausland gegenüber den Eindruck zu erwecken, als ob die soziale Marktwirtschaft eine fluchwürdige, unsoziale Politik wäre. Inwieweit Godesberg bei Ihnen eine geistige Umkehr bedeutete oder lediglich eine Kapitulation vor Kräften, die stärker waren als Ihr Wollen, sei hier gar nicht im einzelnen betrachtet.
Jedenfalls können wir eines feststellen: Vor 25 Jahren war das deutsche Volk trotz der großen Not, die seinerzeit in Deutschland herrschte, trotz der hoffnungslosen Situation im ganzen zuversichtlicher und hoffnungsvoller gestimmt als heute, da wir immerhin im Wohlstand leben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Unruhe und Unsicherheit, die heute an allen Ecken und Enden zu spüren ist, haben ihren Grund darin, daß alle Bevölkerungskreise über alle Parteiungen hinweg nicht mehr wissen, ob sie tatsächlich auf sicherem Grund und Boden stehen. Nicht zuletzt ist natürlich die Inflation geradezu zu einem Schreckgespenst in Deutschland geworden.
Meine Damen und Herren, bei Ihnen und auch in der Ihnen nahestehenden Presse wurde oft festgestellt, daß es nicht rückwärts, sondern vorwärts zu blicken gelte. Da ist offenbar einige Verwirrung eingetreten. Wenn Sie nämlich ein neues gesellschaftspolitisches Programm verkünden, dann blikken Sie beileibe nicht vorwärts, sondern rückwärts, aber nicht 25, sondern 100 Jahre zurück. Sie graben den alten Karl Marx noch einmal aus

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

und wollen, auf seine Gebeine gestützt, die Gesellschaftspolitik von morgen formen. Vielleicht spreche ich Sie nicht alle an; es gibt bei Ihnen ja bekanntlich verschiedene Gruppen, die durchaus unterschiedlicher Meinung sind.
Die letzten 25 Jahre aber sollen nicht vergessen sein; — vor allen Dingen heute und morgen nicht, da wir Geburtstag feiern. Trotz der festesfreudigen Bundesregierung wird dieser unterdrückte Tag nicht ungehört verhallen. Gerade wenn wir vorwärtsblikken, glaube ich, daß die Partei, die am meisten und am ehesten in Anspruch nehmen kann, Reformen,
wirkliche Reformen, die den Namen verdienen, durchgeführt zu haben, nicht die SPD war, es waren die Unionsparteien.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich könnte es mir ja leicht machen und könnte zitieren, was Sie bis zum Jahre 1966 alles an Unheil gepredigt haben. Ich muß schon sagen, mein Herr Vorredner hat Mut bewiesen, als er auf die Kohle verwies. Wie laut wurde Mitte der sechziger Jahre das Unheil verkündet, als die Kohle bei einer Förderung von bis dahin 140 Millionen Tonnen auf 138 oder 137 Millionen Tonnen absank. Heute liegen wir so bei rund 85 Millionen Tonnen. Die Kohle ist immer teuerer geworden, die Zuschüsse sind immer höher geworden. Und das Ergebnis? Die Kohlenförderung ist abgesunken und teuerer geworden. Das ist auch ein schlechter Beweis etwa für den Wert einer zukünftigen Verbindung von Privatwirtschaft und Staatskapitalismus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber dafür haben Sie ja auch schon einen Namen gefunden; nämlich — wenn Sie es noch nicht wissen sollten — Stamokap heißt das Lösungswort für die Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Wir haben ja nicht mehr die Zeit, uns in deutscher Sprache klar auszudrücken; wir müssen eine geistige Verwirrung schaffen; denn hinter solchen Begriffen steht kein echter Sinn mehr, sondern nur die Sucht, durch Neuheiten — und das ist Ihre Art von Modernität — das deutsche Volk sozusagen blind und taub werden zu lassen.
Bis 1966 war in Ihren Augen alles schlecht, was sich ereignet hat, während tatsächlich der Hexensabbat in Deutschland erst unter Ihrer Regierungskoalition eingesetzt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Während wir in den 15 Jahren — aber ich sage es nicht mir zum Ruhme —, in denen ich die Verantwortung für die deutsche Wirtschaftspolitik trug, im Durchschnitt eine jährliche Preissteigerung von 1,7 % zu verzeichnen hatten, — —

(Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704504700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0704504800
Ja.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID0704504900
Herr Professor Erhard, wie beurteilen Sie nach allem, was Sie jetzt in die Vergangenheit hinein gesagt haben, den Sachverhalt, daß sich in Ihrer Partei derzeit überhaupt nur noch jemand profilieren kann — insbesondere in der Jugend Ihrer Partei —, der gegenüber gewissen



Dr. Erhard
Phasen der Politik Ihrer Regierung möglichst weit auf Distanz geht?

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Das ist ein Irrtum! Die Frage wäre besser unterblieben! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0704505000
Dann ist es nur merkwürdig, daß Ihre Leute in der Geschichte von vor 100 Jahren sehr gut Bescheid wissen, aber nichts wissen von dem, was sich in den letzten 25 Jahren in Deutschland ereignet hat.

(Sehr gut! und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist nicht ein Ausdruck besonders hoher Bildung.
Meine Damen und Herren, ich sagte: in den ersten 15 Jahren eine Preissteigerung von 1,7 %; sie ist schließlich bei 3 % angelangt. Was aber wurde dann von Ihrer Seite alles an Unheil gepredigt, das jetzt über Deutschland, über das deutsche Volk kommen werde! Nun, wie sehen die Dinge heute aus? Der Herr Bundeskanzler selbst hat hier erklärt, und zwar schon in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler: wenn die Teuerung einmal 4% ausmachen sollte, dann wäre es ernst, dann würde er persönlich eingreifen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Was ist daraus geworden, frage ich mich. Heute ist die Teuerung bereits auf über 8 % angestiegen,

(Abg. Haase [Kassel] : Bei diesem steinernen Kanzler kein Wunder!)

und Sie finden nichts anderes als Worte fader Entschuldigung und nicht glaubwürdiger Rechtfertigung. Nein, meine Damen und Herren, darüber kommen Sie nicht hinweg, und so sehr wir alle hoffen, daß weiteres Unheil vom deutschen Volke ferngehalten wird, traue ich Ihnen und Ihrer Politik nicht, daß das, was Sie im Kopfe haben,

(Abg. Haase [Kassel] : Im Hinterkopf haben!)

und das, was Sie vielleicht in Ihrer eigenen Partei noch unterschiedlich im letzten anstreben, eine brauchbare Lösung sein kann, daß das der Weg in die von Ihnen vielgerühmte Zukunft wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, für Selbstbeweihräucherung ist heute in Ihren Reihen wirklich kein Platz mehr. Das ist verspielt. Im Gegenteil, was hören wir heute? An der Inflation ist angeblich niemand schuld; die ist vom Himmel als ein Fluch über uns gekommen. Das sind doch Ammenmärchen! Es muß Schuldige für die Inflation geben.

(Abg. Haase [Kassel] : Er ist nicht da!)

Ich will nicht sagen, daß wir es allein sind, sondern daß Sie — die Regierung — durch Ihre Fiskalpolitik, durch Ihre unklare Vermischung von Fiskalpolitik, Geld- und Kapitalmarktpolitik mit ein Großteil Schuld tragen. Das ist nun einmal geschichtliche Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Wie es um diese bestellt ist, geht daraus hervor, daß der Herr Bundesfinanzminister, den ich viel lieber als den Wirtschaftsminister ansprechen möchte, vor noch gar nicht langer Zeit gesagt hat: Die Inflation ist so eine Art Modewort! Er soll einmal die deutschen Hausfrauen, die Rentner und die kinderreichen Familien fragen,

(Abg. Haase [Kassel] : Bravo!)

ob sie das für ein Modewort halten oder für eine Geißel, die über uns gekommen ist!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich bedauere eigentlich Ihre Koalitionsfreunde, die FDP.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man wohl sagen!)

Es tut mir in der Seele weh, daß ich Sie in dieser Gesellschaft seh,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

denn ich gebe zu, daß im Jahre 1948 die seinerzeitige FDP -- der Name wenigstens ist unverändert geblieben

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

wirklich treu an unserer Seite gestanden und gegen wirre Ideen die klare Konzeption der sozialen Marktwirtschaft durchgekämpft hat.
Es scheint mir auch kein Zufall zu sein — wenn Sie die letzten Wochen in der Presse und in der öffentlichen Meinungsbildung einmal an sich vor, überziehen lassen, werden Sie das feststellen —, daß der Finanzminister anscheinend zurückgezogen worden ist und an seiner Stelle nur noch der Wirtschaftsminister für würdig befunden wird, auch über Fragen der Finanzpolitik und der Haushaltspolitik zu sprechen.
Meine Damen und Herren, wir haben ein Stabilitätsprogramm. Ich bin weit davon entfernt, es in Bausch und Bogen zu verdammen. Es ist eigentlich der erste sichtbare Schritt, überhaupt etwas zu tun, denn bisher hat man sich damit begnügt, eine Voll-, ja Überbeschäftigungsgarantie abzugeben und damit den Glauben noch zu erwecken, daß trotz alle' dem die Inflation damit gebannt sein könnte. Nein, diese Voll- und Überbeschäftigungsgarantie war im Gegenteil eine wesentliche Quelle der Steigerung der Inflation; denn wenn jederman hört, man könne tun und lassen was man wolle, der Bundeskanzler gebe ja die Garantie, daß jeder Arbeitsplatz unabhängig von äußeren Bedingungen und von der eigenen Haltung und der eigenen Anstrengung gesichert bleibt, besteht ja doch kein Grund, sich besonders anzustrengen.

(Zurufe von der SPD.)

Nein, meine Damen und Herren! Tatsächlich hat sich ja auch erwiesen, daß der Bundeskanzler dieses Versprechen nicht halten konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Er ist fast darüber gestolpert.




Dr. Erhard
Was Ihnen zum Vorwurf zu machen ist, ist, daß Sie mit einem ernsthaften Versuch viel zu spät begonnen haben. Ich weiß nicht, auf was Sie vertraut haben. Ich nehme nicht an, daß es Gottvertrauen gewesen ist, daß Sie glaubten, Sie könnten tun und lassen, was Sie wollten, die Dinge würden sich schon von selbst regeln. Und Ihre wirtschaftsfinanz- und konjunkturpolitischen Aussagen waren ja voll von Widersprüchen. Einmal wurde die Frage gestellt: Haben wir es eigentlich mit einer hausgemachten oder einer importierten Inflation zu tun? Da war die Bundesbank allenthalben völlig anderer Meinung als Sie selbst, und auch Sie selbst waren unterschiedlicher Meinung. Was haben Sie also dem deutschen Volk damit eigentlich sagen wollen, wenn Sie fragten, ob es eine hausgemachte oder eine importierte Inflation gewesen sei?
Von den zahlreichen Stabilitäts- und Vollbeschäftigungsversprechen in einem habe ich schon gesprochen. Aber welche Haltung haben Sie zur Frage der Währungspolitik in bezug auf die Alternative zwischen Aufwertung oder Anwendung anderer Mittel eingenommen? Es ist noch gar nicht so furchtbar lange her, daß der Finanzminister von dieser Stelle aus gesagt hat: Eine Änderung des Wechselkurses, eine Aufwertung der D-Mark kommt überhaupt nicht in Frage. Nun, sie ist in Frage gekommen, und heute stehen wir in einem Floaten. Aber das ist nicht etwa einheitlich in ganz Europa so. Wir haben eine Reihe von Ländern, die sich keineswegs mit den Partnerstaaten der EWG decken, mit denen wir uns zu einem Block zusammengeschlossen haben mit der Absicht, die Valuten nach innen zu binden, nach außen aber gemeinsam eine bewegliche Politik einzuleiten. Wir haben in Europa ein paar andere Länder — sie gehören z. B. zur EWG —, die nicht in den Block inbegriffen sind, die ihre Wechselkurse zwar auch freigeben, sie aber individuell nach ihren nationalen Notwendigkeiten gestalten.

(Zurufe von der SPD.)

Schließlich gibt es in Europa eine Reihe von Ländern — dazu gehören Frankreich und Belgien —, die einen gespaltenen Wechselkurs anwenden.
Von einer gemeinsamen europäischen Währungspolitik kann also beim besten Willen nicht gesprochen werden. Entschuldigen Sie, ich habe manchmal den Eindruck, als ob diese Unsicherheit bewußt aufrechterhalten wird, um den Glauben an Europa nicht zu zerstören, den wir so dringend nötig haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir sind heute drauf und dran, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht wie angekündigt und versprochen eine Stabilitätsgemeinschaft sein und bleiben wird, sondern Gefahr läuft, zu einer Inflationsgemeinschaft zu werden. Bedenken Sie, was dazu in letzter Zeit — aber ich bleibe gegenwärtig, ich krame nicht in der Vergangenheit herum — von seiten der Regierung und der Koalition alles gesagt wurde! Sie, Kollege Schmidt, sagten z. B. erst vor kurzem, daß es unser Schicksal sei, in der Inflation weiter mitzutreiben, und zwar aus europäischer Solidarität! Ich finde, es ist eine merkwürdige Solidarität, wenn
diese europäische Solidarität uns zwingen kann, uns im Schlepptau des langsamsten Schiffes des Geleitzuges fortzubewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundeskanzler hat die gleiche Sache noch deutlicher ausgedrückt, als er sagte, er hätte wohl das Rezept, er wüßte es, wie man die Preise stabilisieren könnte, aber die Voraussetzung dafür wäre ein Ausscheiden aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Meine Damen und Herren, darüber, daß beides nicht in Frage kommt — weder das Mitschwimmen in einer Inflationsgemeinschaft noch ein Ausscheren aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft —, ist sich, wie ich glaube, das ganze deutsche Volk über alle Parteien hinweg einig.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Warum also diese Hinweise? Soll damit vielleicht schon eine Rückzugslinie angedeutet sein? Denken Sie etwa daran, bei größeren sozialen Spannungen doch wieder zu einer mehr oder minder ausgesprochenen Inflationspolitik zurückzukehren?
Sie haben durch maßgebende Sprecher verkünden lassen, daß auch dieses Stabilitätsgesetz keine Wunder bewirken könne, sondern daß mit einem Wirksamwerden der Maßnahmen, mit einem höheren Maß an Stabilität wohl erst im Jahre 1974 gerechnet werden könne. Ich gebe Ihnen recht und bewundere sogar noch Ihren Optimismus. Die Gewerkschaften haben aber aus maßgebendem Munde verkündet: Wenn bis zum Herbst dieses Jahres nicht eine deutliche Wende erkennbar wäre, müßte wohl mit Streiks und Demonstrationen gerechnet werden. Was also haben wir eigentlich zu erwarten? Haben Sie überhaupt die Zeit, mögliche Erfolge einer Stabilitätspolitik bis zum nächsten Jahre abzuwarten, oder werden Sie im Herbst dieses Jahres kraft dieser Voraussage von Herrn Vetter gezwungen sein, die Stabilitätspolitik abzubrechen und wieder aufs neue Gas zu geben? Das ist alles so unklar und so undurchsichtig, daß ich demgegenüber das hervorheben möchte, was einmal war, das, was die Unionsparteien damals zusammen mit ihrem damaligen Koalitionspartner erreicht haben.
Wir haben 1948 mit dem Übergang zu einem stabilen Geld und zu der Ordnung der sozialen Marktwirtschaft den Klassenkampf sozusagen aus sich heraus ausgetrocknet. Der einzelne begann wieder, den Sinn der menschlichen Arbeit zu erkennen. Es- war auch eine Zeit der sozialen Befriedung. Das kann niemand leugnen. Das deutsche Volk wurde zwar zwischen Hoffnung und Zweifel hin-und hergerissen, aber es setzte auf Grund der sichtbaren Erfolge der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Fortschritte von Jahr zu Jahr doch mehr und mehr Vertrauen in dieses System. Dies ist wohl auch nicht ohne Rückwirkung auf Ihr eigenes taktisches Verhalten nach außen geblieben.
Was erleben wir aber heute? Es gibt — man kann Sie gar nicht mehr in der Gesamtheit ansprechen, weil Sie unter sich offenbar nicht mehr einig



Dr. Erhard
sind z. B. die Ablehnung der Leistungsgesellschaft. Was ist das für ein grotesker Unsinn?!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

1948 hat das deutsche Volk — und zwar jeder einzelne unmittelbar aus seinem persönlichen Schicksal heraus — gespürt, daß, wenn wir jetzt nicht alle Hand anlegen, wenn wir nicht das Letzte an Kraft und Stärke und Zuversicht mit in die Waagschale legen, es keine deutsche Zukunft mehr gibt, daß wir dann verspielt haben. Das deutsche Volk ist mit uns gegangen, und jetzt, nach 25 Jahren, soll ihm eingeredet werden, daß das eine falsche Politik gewesen sei und daß die Berufung auf Leistung sozusagen eine unwürdige Zumutung für die deutsche Bevölkerung sei. Nein, so billig geht es nicht! Der Versuch überhaupt, eine wertfreie Welt bilden zu wollen, wie auch allenthalben aus Ihren Reihen zu hören ist, muß scheitern; denn eine wertfreie Welt gibt es nicht. Man spricht nicht umsonst vom „Rechte, das mit uns geboren"! Davon wollen Sie nichts mehr wissen. Im Gegenteil wollen die Spätestgehorenen uns heute sagen, was Recht ist, ohne jemals überhaupt das erlebt zu haben, was wir hinter uns bringen mußten.

(Widerspruch bei der SPD.)

Wenn Sie rückwärts blicken, dann müssen Sie schon weit zurückgehen, um wieder in die Bereiche von Dirigismus und staatlicher Lenkung zu gelangen. In einem muß ich Ihnen zustimmen — das erkenne ich auch vollkommen an —, nämlich in Ihrer bis jetzt immerhin eindeutigen Absage an jeden Lohn- und Preisstopp. Ich möchte auch hoffen, daß Sie nein zu sagen wissen, wenn der Gedanke der Indexklauseln aufs neue oder verstärkt zur Diskussion gelangen wird.
Aber nun zur Inflation selbst. Wir huldigen dem Wahn - nicht alle, aber Sie im besonderen —, daß man die Schuld, die Fehler, die Sünden und das Unheil der Inflation sozusagen verteilen könne, daß es Schichten gebe, die sozusagen immun gegen jede Art von Inflation seien oder sein müßten, daß durch die allmählich zum Gesellschaftsspiel gewordene Umverteilung von Einkommen und Vermögen die Last einseitig nach Ihren sozialen, sozialistischen oder kollektivistischen Vorstellungen völlig umverlagert werden solle.
Ich glaube, wenn wir hier nicht ganz nüchtern sehen, welches die wesentlichen Gründe der Inflation sind, werden wir ihrer nicht Herr werden. Das hat auch in den letzten Tagen und Wochen eine Rolle gespielt: Wir wissen genau, daß das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden — wie könnte es anders sein? — wesentlich angestiegen ist. Das geschah aber nicht etwa, was ordnungsgemäß wäre und was auch die Wiederverausgabung dieser Mittel rechtfertigen könnte, durch eine höhere Produktivität der Volkswirtschaft, nicht durch eine Vermehrung des realen Sozialproduktes. Nein, Sie beziehen Ihre Steuereinnahmen wesentlich aus dem Ansteigen von Nominalwerten, aus höheren Preisen. Denken Sie z. B. an die Umsatz-, an die Mehrwertsteuer, an Zölle und noch manches andere mehr. Diese Steigerungen be-
ruhen doch nicht auf einer höheren Produktivität der Wirtschaft, sondern sie beruhen auf der Schlamperei, die uns immer tiefer in die Inflation geraten läßt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das sind die Quellen der Mittel, über die Sie verfügen. Ich weiß nicht, ob ich auch im eigenen Lager überall und allenthalben Zustimmung finde; aber ich bin der Meinung, ohne etwa den Vergleich im Absoluten abzulegen, daß wir heute im Grunde genommen in einer völlig anderen Größenordnung als 1948 eine Währungsreform en miniature durchführen müßten. Denn wie war die Situation 1948? Wir hatten das Einkommen des Volkes für vom sozialen Standpunkt unnütze Zwecke im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert, hatten dafür aber Löhne und Gehälter gezahlt, Einkommen daraus gewonnen. Aber dieses Einkommen durfte natürlich nicht auf den Markt kommen, um nicht eine wahre Explosion hervorzurufen. Das waren die Gründe der Zwangswirtschaft, die aus solcher Sicht notwendig erscheinen mochte, die aber eine Gesellschaft im Innersten zerstören muß.
Meine Damen und Herren, heute ist es ganz anders. Es handelt sich um eine ganz andere Größenordnung. Daß seinerzeit im Zeichen der preisgestoppten Inflation das unübersehbare und unermeßbare — in Ziffern unermeßbare — Geld beseitigt werden mußte, — darüber waren sich alle Sachverständigen einig. Wenn im Jahre 1948 jemand gesagt hätte: „Diesen Hunderte-von-MilliardenSegen legen wir bei der Deutschen Bundes- bzw. Reichsbank still", hätte das bei allen Wissenden ein Hohngelächter hervorgerufen; denn solche Summen sind nicht stillzulegen.
Heute braucht kein einziger deutscher Staatsbürger etwa Sorge zu haben, daß er wieder einmal ein Kopfgeld bekommen könnte, daß er unser heutiges Geld gegen einen geringeren Betrag neuen Geldes eintauschen müßte. Nein, darum geht es nicht. Aber eine der Hauptursachen der Inflation ist die Wiederverausgabung eines im Grunde in seiner Entstehung inflationären Geldes. Das ist wesentlich eine Frage der Finanzpolitik, der finanziellen Ordnung, aber auch der gesellschaftlichen Ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, diese Mittel gehören nicht stillgelegt, sondern — ob Sie zustimmen oder nicht — sie gehören allein in den Reißwolf. Es gibt kein Mittel, um dieser versunkenen Kaufkraft noch einmal einen Anspruch auf unsere Güterwelt zuzubilligen. Das ist die Wahrheit!

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, wenn ich z. B. an einen Lohnempfänger denke, frage ich, wie denn Tarifverträge zustande kommen? Zuerst wird die Teuerung des abgelaufenen Jahres in Höhe von 6 oder 7 oder jetzt 8 % in Rechnung gestellt; sie muß sozusagen in dem neuen Tarifvertrag nachgeholt werden. Soweit das höhere Einkommen, und zwar aller Schichten, aus höherer Produktivität fließt, ist kein Wort dagegen zu sagen.



Dr. Erhard
Aber, meine Damen und Herren, wenn die Regierung es toleriert und für gut befindet, wenn sie einseitig für bestimmte Einkommensbezieher Partei nimmt, dann wird der Versuch, die Inflation durch mehr Inflation einzuholen oder zu überholen, mit Gewißheit scheitern. Der Arbeitnehmer hat einen sicher berechtigten Anspruch auf 3, 4 oder vielleicht 5 %, die aus echter Produktivitätssteigerung fließen, nicht aber die Verluste aus Inflation noch vergütet zu erhalten.
Vielleicht kann man auch noch Verständnis dafür haben, wenn er im Sinne einer gewollten sozialen Umverteilung des Volkseinkommens auch noch, sagen wir einmal 2 %, dazuhaben will.
Aber Sie können sich auf den Kopf stellen: Sie werden durch inflationäres Geld nicht erreichen können, die Inflation wettzumachen. Im Gegenteil, Sie schüren die Inflation nur immer mehr. Und das unter dem Zeichen einer angeblich sozialen Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, was wir da treiben, ist nicht mehr mit Finanzpolitik zu kennzeichnen, sondern es grenzt an Falschmünzerei.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Trotzdem bin ich überzeugt, daß sich die Inflation totlaufen wird. Es gibt nämlich eine kritische Grenze, in der kein Versuch, die individuellen Einkommen nominell immer weiter steigen zu lassen, noch ausreicht, auch die reale Kaufkraft zu erhöhen.
Ich sagte schon: Selbst die Arbeitnehmer bleiben auf der Strecke; denn alle nominelle Lohnerhöhung kommt immer erst hintennach, will einholen, was hinter uns liegt. Wenn Sie dazu die höheren Aufwendungen für alle möglichen sozialen Beiträge, wenn Sie ferner berücksichtigen, daß auch Arbeitnehmer gespart haben und Substanzverluste hinnehmen müssen, von einem Ertrag der Ersparnisse gar nicht zu sprechen, das alles zusammen, meine Damen und Herren, und die Verführung zu einer neuen „Lebensqualität", von der ich bisher nichts anderes ableiten kann als den Versuch einer nochmaligen und wiederholten Umverteilung von Einkommen und Vermögen, machen deutlich, daß am Schluß auch der Arbeitnehmer, der geschont werden sollte, der Geprellte ist.
Um fortzufahren: Denken Sie an die Rentner, die kinderreichen Familien

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

und die Sparer! Es ist doch kein Zufall, daß diese Schichten durch die Inflation am meisten getroffen werden, wenn Sie bedenken, daß vor allen Dingen die Preiserhöhungen für Nahrungsmittel am stärksten mit ins Gewicht fallen; denn Preise dafür sind ja um 11 % gestiegen

(Zuruf von der SPD: Warum denn?)

— Wir wollen nicht die Frage stellen, welches die Ursache ist.

(Lachen bei der SPD.)

Moment! Ich möchte auch nicht die Frage stellen,

(Zuruf von der SPD: Eins kommt zum anderen!)

ob es richtig war, anstatt, wie es nach den Römischen Verträgen durchaus alternativ möglich gewesen wäre, eine Harmonisierung der nationalen Agrarmarktpolitiken anzuwenden, gleich in einem gemeinsamen Agrarmarkt einzusteigen.

(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Wer hat denn das verlangt?)

Sie haben ja auch dafür gestimmt, meine Damen und Herren von der SPD; aber daraus kann man heute keine Schuld ableiten.

(Lachen bei der SPD.)

Ich selbst habe seinerzeit bereits darauf hingewiesen, daß es offenbar der liebe Gott nicht gewollt hat, daß in Europa alle Bösen gleich gut sind und daß wir in allen europäischen Ländern über die gleiche Zahl von Sonnentagen verfügen und anderes mehr. — Es dürfte jedoch zu weit führen, das Thema nach dieser Richtung hin auszudehnen.

(Zurufe von der SPD.)

Ich wollte sagen, daß heute überhaupt kaum mehr eine Schicht in der Lage ist — in Kürze werden es auch die Arbeitnehmer nicht mehr sein —, aus eigener Kraft und aus eigener Vorleistung, aus eigener Anstrengung eine tatsächliche Vorsorge für die Zukunft und für das Alter zu treffen — und vielleicht auch etwas für die Kinder zu tun; denn hoffentlich geht dieser Gedanke im Kollektivismus nicht völlig unter!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wenn heute immer neue Schichten in die Sozialversicherung — in irgendeine Form kollektiver Versicherung — drängen, dann ist das nicht etwa der bewußte Wille oder die Sehnsucht dieser Gruppen; vielmehr bleibt ihnen nichts anderes übrig. Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Mittelständlern, meine Damen und Herren von der SPD; Sie haben solche angeblich ja auch in Ihren Reihen!

(Zuruf des Abg. Dr. Marx.)

Fragen Sie sie, was sie dazu zu sagen wissen: ob sie sich etwa gern dem Kollektiv beugen oder ob sie Ihnen freimütig gestehen: „Was bleibt uns eigentlich anderes übrig?" — Es bleibt ihnen nämlich nichts anderes übrig!
Sosehr ich der Überzeugung bin, daß es auch in Ihren Reihen Abgeordnete oder Anhänger oder Freunde gibt, die ganz genau wissen, wohin die Reise geht, und die damit gar nicht einverstanden sind, stelle ich aber die andere Frage: Ist diese Entwicklung, dieses Hineintreiben ins Kollektiv nicht die Absicht anderer Kreise, die damit die Freiheit und die Würde der Persönlichkeit bewußt untergraben wollen? Denn, meine Damen und Herren, wenn ich nicht mehr allein für mich stehen kann, sondern wenn ich auf die Gnade von kollektiven Kräften angewiesen bin, dann hat auch das Eigen-



Dr. Erhard
turn jeden Sinn verloren, zumal im Zeichen der Inflation.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Darum betrifft meine Sorge wesentlich auch den Mittelstand. Der Mittelstand ist buchstäblich der Vernichtung preisgegeben, wenn wir diesem unheilvollem Treiben nicht Einhalt gebieten.
Meine Damen und Herren, damit — mit der Vernichtung bürgerlicher Existenzen in einer gesellschaftlichen Ordnung mit einem freiheitlichen Selbstbewußtsein — geht auch eine geistige und moralische Zerstörung unserer Gesellschaft einher.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Meine Herren, Sie haben schon einmal die Zukunft falsch gesehen, und ich glaube, verglichen mit Ihnen, habe ich dem deutschen Volke das Richtige gesagt!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie sind am wenigsten geeignet und berufen, dem deutschen Volke zu sagen, was da kommen wird; denn dazu hätten Sie vor 25 Jahren und mittlerweile oft genug Gelegenheit gehabt, und Sie hatten nichts zu sagen, aber auch nichts!

(Beifall bei der CDU /CSU.)

Ich kann leider zu wesentlichen Themen, die vor uns liegen, wie z. B. zu Fragen der Mitbestimmung und der breiteren Vermögensstreuung auch in Arbeitnehmerhand, nicht Stellung nehmen; aber ich werde mich wieder zu Worte melden.
Wir sind aufgerufen, der kollektiven Macht nicht mehr dienstbar zu sein, diese unheilvollen Kräfte nicht zu stärken, sondern zur Stärkung der Persönlichkeit beizutragen. Ich frage Sie, ob das auch die Absicht der Kollektivisten in Ihrem Lager ist.
Meine Damen und Herren, auf alle Fälle müssen wir sehen, daß wir in Zukunft nicht als Zwittergebilde zwischen Halbheiten leben. Es mag auch zwischen Ost und West technische Möglichkeiten eines Miteinanderlebens einer freien und unfreien Welt geben, aber keine Verständigung und Aussöhnung auf einer willkürlich konstruierten Mitte. Die Bundesrepublik trägt in diesem Sinne nicht nur Verantwortung für alle Deutschen, sondern für ganz Europa, das sich, obwohl schon im Zwielicht stehend, heute immerhin noch frei nennen darf.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704505100
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Dr. Klaus Dieter Arndt (Berlin). Ich mache auf folgendes aufmerksam: Wir haben soeben eine zusätzliche Redezeit von 15 Minuten zugelassen, die selbstverständlich auch Ihnen zusätzlich zur Verfügung steht.

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704505200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Professor Erhard! Auch wir von der sozial-
demokratischen Fraktion haben Ihnen 45 Minuten aufmerksam und geduldig zugehört,

(Zuruf von der SPD: Geduldig vor allen Dingen!)

und zwar erstens, weil wir froh sind, daß wir Sie noch unter uns haben, und hoffen, daß es noch recht lange so bleiben wird, und

(Beifall)

zweitens — und das ist vielleicht gleich wichtig —, weil wir eine ganze Menge von Ihnen gelernt haben, von dem Ludwig Erhard, der Leiter der ZweiZonen-Wirtschaftsverwaltung und anschließend Wirtschaftsminister der Bundesregierung war. Die Währungsreform, die Aufhebung der Bewirtschaftung, Freiheit im Außenhandel, das sind drei Dinge, die mit Ihrer Arbeit und mit Ihrem Namen verknüpft sind und aus denen wir etwas gelernt haben, was wir auch nicht ablegen wollen.
Jede Sache hat jedoch ein Aber, und Sie werden hier ja keinen Schmus von mir erwarten. So stehen Sie in meiner Vorstellung natürlich auch in Verbindung erstens mit der Rezession — da waren Sie Bundeskanzler —, zweitens mit dem Scheitern der Ausdehnung des Kartellgesetzes auf die Aufhebung der Preisbindung zweiter Hand, d. h. dem Ausbau der marktwirtschaftlichen Ordnung, und drittens haben Sie eigentlich nie ein Verhältnis zu den europäischen Fragen gehabt oder gewonnen. Sie sind immer davon ausgegangen, daß die Welt — und Europa gehört auch dazu — sich nach dem richten muß, was an sich richtig ist, was dieser Bundestag oder Sie allein oder ein Teil des Bundestages mit Ihnen allein für richtig hält. Aber da denken andere anders, andere, die in Ländern wohnen, wo eben die Sonnenscheindauer länger ist, andere auch, die in Ländern wohnen, wo die Sonnenscheindauer kürzer ist. Sie kamen nicht klar mit der Anpassung an die europäischen Realitäten.
Was die Rezession angeht, die haben Sie soeben wieder heraufbeschworen mit Ihrem Wettern gegen Vollbeschäftigungs- und Überbeschäftigungsgarantien. Solange Sie damit meinen, niemand habe Garantie auf einen gesicherten Arbeitsplatz an Ort und Stelle, ist das in Ordnung. Die Garantie, daß im Ort X in der Fabrik Y der Arbeitsplatz von dem und dem auf ewig besetzt ist, kann nicht gegeben werden, keinem Unternehmer, keinem Arbeitnehmer. Jedoch, so hat es Bundeskanzler Willy Brandt nicht formuliert. Er hat es formuliert in der Definition eines Ihrer Fachkollegen, Lord Keynes: daß jeder, der zu geltenden Lohnsätzen arbeiten will, auch Arbeit bekommt im Geltungsbereich des Staates, also hier in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist etwas anderes. Das gehört zur Leistungsgesellschaft. Die Leistungsgesellschaft kann man nämlich nicht wollen, wenn man einige von den Leistungen von vornherein ausschließt

(lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

mit der Idee, ein gewisses Maß an struktureller Arbeitslosigkeit in Notstandsgebieten sei halt unvermeidlich, oder in der noch gefährlicheren Form, ein



Dr. Arndt (Berlin)

gewisses Maß an Arbeitslosigkeit sei unvermeidlich, um die Menschen richtig zu disziplinieren,

(Abg. Dr. Frerichs: Das ist nicht unsere Position!)

als moralische Anstalt.
Ich weiß nicht, wem Sie das vorwerfen: das Nichtleistenwollen. Die Regierungserklärung dieser Bundesregierung Brandt/Scheel, vorgetragen vom Bundeskanzler am 7. Dezember, sagt ganz klar: Man kann nicht fordern, ohne gleichzeitig leisten zu wollen. Aber dazu gehört eben auch, jedem die Chance zur Leistung zu geben, und dem Teil der Bevölkerung der nicht leisten will, die Chance zu geben, es nicht zu tun. Das gehört auch zur Freiheit.

(Beifall bei der SPD.)

Wir müssen uns einen variablen Teil, vielleicht ein variables Promille der Bevölkerung jeweils leisten können, daß in bestimmten Lebensjahren eben nicht arbeiten will,

(Zuruf von der CDU/CSU: Playboys!)

vielleicht nur lesen, vielleicht nur sich „beschäftigen" will. Das muß man sich leisten können

(Abg. Dr. Althammer: Und wieviel zahlen wir dafür?)

und darf nicht die volkswirtschaftlichen Produktivitätsverluste beklagen, die möglicherweise daraus entstehen.
Das gehört ebenso zur Freiheit wie es zur Freiheit gehört, daß man Konjunkturpolitik im Finanzplanungsrat eben auch nicht mit Gewalt, mit Nötigung oder mit Drohung durchdrückt. Wenn Bundesländer in ihren Ausgabenzuwachsraten jenseits des konjunkturpolitisch aktuell Erforderlichen liegen — das ist einmal das Land Nordrhein-Westfalen, das waren aber auch einmal das Land Schleswig-Holstein und das Land Baden-Württemberg, und zu einer Zeit, wo wir noch eine andere Außenpolitik hatten, auch häufig das Land Berlin —, kann man in der Kritik, so wie es diese Bundesregierung getan hat, nur vorsichtig operieren. Denn jedes Mehr, jedes stärkere Vorgehen berührt eben auch eines der Fundamente der Demokratie und der Freiheit, nämlich, daß selbständige Gebietskörperschaften auch das Recht haben müssen, Fehler zu machen; sonst sind sie nicht selbständig. Das kann vom Bundestag kritisiert werden, es kann von der Bundesregierung schlecht mit Härte durchgedrückt werden. Sie selbst, Herr Professor Erhard, haben am Schluß Ihrer Rede gesagt: Die Freiheit haben wir noch. Ja, die haben wir noch!
Das ist auch wiederum nicht selbstverständlich in einer Welt, die so turbulent ist wie diese und deren Gewichte sich in den letzten 15, 20 Jahren so verschoben haben. Denn soziale Marktwirtschaft ist ein Begriff, für den 1966 und 1967 nichts geboten wurde bei der Massenarbeitslosigkeit und bei dem, was

(Beifall bei der SPD. Abg. Dr. MüllerHermann: Geschichtsklitterung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Doch! Drei Viertel Millionen mit Kurzarbeitern, Vernichtung vieler selbständiger Existenzen — das gehört auch dazu ,

(Abg. Dr. Erhard: Die haben wir jetzt!)

dann die sogenannte Marktwirtschaft zweiter Stufe, die weniger an Marktwirtschaft sein sollte als zuvor. Es war eine Art Stamokap, der dort gedanklich gebildet wurde, nämlich eine interventionistische, zum Schutz größerer oder kleinerer wirtschaftlicher Interessen und nicht mehr für den Verbraucher praktizierte Wirtschaftspolitik, eine nicht für die Arbeitnehmer oder auch für die Unternehmer generell konzipierte Wirtschaftspolitik, sondern für Ausnahmen, für Privilegierte, für Spezielle.
Sie haben den Hexensabbat beklagt, dem Sie sich ausgesetzt sehen und den Sie erleben. Nicht nur in Deutschland! Sie werden sicherlich auch selbst wissen: Das ist in Europa, das ist in Amerika — noch stärker als hier —, das ist nicht nur eine deutsche Erscheinung; aber es ist auch eine deutsche Erscheinung. Schauen Sie sich doch einmal die Leute an, die jungen Studenten, die 1968 und 1969 mit diesem Hexensabbat auf den Straßen begonnen haben. Aus welchen Schichten kamen die?

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wer waren ihre Väter, ihre Eltern? Das waren doch in erster Linie die Söhne und Töchter gutsituierter Schichten,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

die es einfach satt hatten, beim täglichen Mittagstisch jahrein, jahraus etwas von sozialer Marktwirtschaft und von Wiedervereinigung zu hören. Mit den Folgen haben wir uns jetzt noch herumzuschlagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Daß wir die marktwirtschaftliche Ordnung — unter den letzten Bundesregierungen, so auch in dieser — nicht nur bewahrt, sondern ausgedehnt haben — Zinsfreigabe, Fall der Preisbindung zweiter Hand, Fusionskontrolle,

(Abg. van Delden: Versicherungen!)

dann die währungspolitische Lösung: Nichtintervention gegenüber dem Dollar, Aufhebung der Ankaufspflicht der Notenbank; eine marktwirtschaftliche Lösung unseres größten konjunkturpolitischen Problems —, und daß wir uns noch politisch um die Einheit der Nation bemühen können, verdanken wir — und das verdanken auch Sie, Herr Erhard —den beiden letzten Bundesregierungen Brandt/ Scheel.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sollten nicht ungerecht sein, Sie sollten nicht ungerecht sein, trotz verständlicher Verbitterung. In der Politik geht es heiß her. Sie wissen das, da wird nichts geschenkt, da fallen auch harte Worte und da fallen auch Worte, die vielleicht halbe Wahrheiten sind.

(Abg. Dr. von Bismarck: Das haben wir gerade gehört!)




Dr. Arndt (Berlin)

Trotz dieser Verbitterung sollten Sie nicht übersehen, daß man mit dem Pfunde des ursprünglichen Ludwig Erhard, und um das geht es Ihnen und uns, nicht schlecht gewuchert hat.
Aber nun gestatten Sie mir, endlich zum Thema zu kommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: 8 % war das Thema!)

Ja, 8 °/o Preissteigerungen. Wieviel waren es in der Koreakrise, Herr Erhard? 9 %? 10 %? Wieviel hatten wir da?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704505300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Dr. Erhard?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0704505400
Die höchste Preissteigerung während der Koreakrise war 7 % und ist schnell rapide zurückgegangen.

(Beifall bei der CDU/CSU: — Zuruf von der SPD: Exakt 7,8 %!)

In allen internationalen Gremien ist ausdrücklich hervorgehoben und behauptet worden, daß das Land, das am ehesten die richtigen Schritte zur Meisterung der Koreakrise ergriffen habe, die Bundesrepublik Deutschland gewesen sei.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704505500
7,8% hatten wir also damals und das Attest, daß die Bundesrepublik Deutschland am besten mit den Folgen der Koreakrise fertiggeworden ist; 7,9% heute und ebenfalls die internationale Attestierung, daß die Bundesrepublik Deutschland am besten mit der Vietnamkrise fertiggeworden ist, obwohl das sicherlich schwerer war.

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704505600
. Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704505700
Herr Kollege Arndt, würden Sie vielleicht auch noch ausführen, wie lange dies damals gedauert hat und wie lange wir jetzt diese Entwicklung haben.

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704505800
Ich kann auch gerne ausführen, wie lange Korea gedauert hat und wie lange Vietnam noch dauert.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wissen Sie, Herr Althammer, wir können ja froh sein, daß wir mit der internationalen Inflationierung weggekommen sind. Man hat 1966 von der Beteiligung deutscher Baubataillone gesprochen. Welche Regierung hat das damals hier verbreitet? Was wäre aus diesem Volk geworden, wenn wir uns da engagiert hätten? Die Amerikaner sind jetzt noch fertig, fix und fertig.

(Abg. Dr. Althammer: Das haben wir doch alles gemeinsam abgelehnt! Das haben wir genauso abgelehnt wie Sie, das wissen Sie doch!)

Wir müssen uns darum kümmern, daß die Amerikaner wieder auf die Füße kommen. Daß wir uns darum kümmern können, liegt daran, daß wir uns aus Vietnam herausgehalten haben mit Ausnahme des Hospitalschiffs und ähnlich schätzenswerter Maßnahmen. Baubataillone hieß es damals!

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704505900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möller (Lübeck)?

Heiner Möller (CDU):
Rede ID: ID0704506000
Herr Dr. Arndt, da Sie auf die Frage von Herrn Dr. Althammer nicht exakt eingegangen sind, darf ich sie noch einmal etwas verkleidet stellen: Ist es richtig, daß während der Koreakrise diese von Ihnen genannte Preissteigerungsrate sich lediglich über vier Monate erstreckte und daß wir in der seinerzeitigen Koreakrise schon nach anderthalb Jahren wieder auf 2 % heruntergekommen waren, oder ist das falsch?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704506100
Nein, das ist völlig richtig, aber Korea war in den Dimensionen völlig unvergleichbar.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Sie haben den Vergleich doch angeführt!)

Es war auch ein Krieg, aber von weit geringeren Dimensionen als der Vietnamkrieg.

(Abg. Pieroth meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich betrachte das jetzt noch als Antwort auf die Frage; ich bin noch immer mit der einen Antwort nicht fertig, Herr Pieroth.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704506200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704506300
Nein, ich bin immer noch bei der Beantwortung der ersten Frage, obwohl sich der Kollege schon hingesetzt hat. Ich nehme aber an, daß er an der Antwort noch interessiert ist.
Sehen Sie, Vietnam hat bei den Vereinigten Staaten dazu geführt, daß 3 % aller Beschäftigten des Landes — das sind zwischen 21/2 und 3 Millionen Menschen — zwischen 1964 und 1968 entweder zusätzlich in die Streitkräfte integriert wurden oder zusätzlich für die Rüstungsindustrie arbeiten mußten. Korea hatte bei weitem nicht diese Dimensionen. Vietnam hat dazu geführt, daß der Dollarumlauf in der Welt, und zwar gerechnet in alten Dollars, nicht in neuen — abgewerteten — Dollars, in den Jahren 1970, 1971, 1972, in diesen drei Jahren zusammen um 65 Milliarden gestiegen ist, während der Dollarumlauf bei den Notenbanken außerhalb der Vereinigten Staaten in den 50er Jahren, von



Dr. Arndt (Berlin)

Anfang bis Ende, also in einem ganzen Jahrzehnt, nur um etwa 10 Milliarden Dollar zunahm. Bei knappem Geld ist es eben leichter, Preisstabilität zu halten. In den 60er Jahren waren es 20 Milliarden Dollar; da ging es auch schon nicht mehr so gut wie zuvor. 1970, 1971 und 1972 waren es in jedem einzelnen Jahr mehr als 20 Milliarden Dollar: jeweils ein Zehnjahresprogramm an internationaler Liquidität. Vor diesem Problem haben wir wirtschafts- und konjunkturpolitisch gestanden. Dieses Problem scheint seit dem 11. März gelöst zu sein.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704506400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0704506500
Herr Kollege Arndt, ist es richtig, daß der Höhepunkt auch des finanziellen Engagements der Amerikaner in Vietnam in den Jahren 1967/68/69 lag, daß wir aber jetzt das .Jahr 1973 schreiben?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704506600
Ja. Dennoch kommen die Folgewirkungen hinterher; das entsteht doch nicht uno actu. Natürlich ist die amerikanische Wirtschaft 1967/68/69 überfordert worden. Damals schwenkte die Zahlungsbilanz um. Die Amerikaner griffen auf die Ressourcen in der ganzen westlichen Welt zurück, und die Preissteigerungen folgten hinterher. Das ist immer so.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704506700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704506800
Ja, bitte!

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID0704506900
Herr Kollege Arndt, kommen Sie sich nicht merkwürdig vor, wenn Sie und nur Sie die Preissteigerungen des Jahres 1973 mit denen der Jahre 1949/50 zunächst vergleichen und wenn nach den Maßnahmen der Regierung und den Folgen gefragt wird, sagen, die Verhältnisse von damals seien mit den heutigen Verhältnissen nicht zu vergleichen?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704507000
In den Dimensionen, in der Quantität nicht, wohl aber in der Qualität. Verstehen Sie, das ist leider in diesem Fall die gleiche Lebensqualität; aber es ist eine andere Quantität.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704507100
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704507200
Ja, bitte!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0704507300
Herr Kollege Arndt, was sagen Sie denn dazu, daß die Bundesbank ganz anderer Meinung ist und über Jahre hinweg erklärt hat, es handle sich um eine hausgemachte und nicht um eine vietnamisierte Inflation?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704507400
Die Bundesbank ist hier selbst verschiedener Meinung. Im internationalen Teil ihres Geschäftsberichts vertritt sie eine durchaus andere Auffassung. Das erklärt sich vielleicht dadurch, daß Vertreter der Bundesbank die gleiche Sache unterschiedlich sehen.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704507500
Noch eine Zwischenfrage? — Herr Abgeordneter Höcherl!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0704507600
Herr Kollege Arndt, sollen wir Ihre Legende akzeptieren, oder sollten wir nicht doch lieber der Bundesbank folgen?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704507700
Mir geht es um die richtige Politik, Herr Höcherl.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Eben! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Uns auch!)

— Ich bin nicht so sicher.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ihr macht es euch zu leicht!)

-- Nein, ich bin nicht so sicher.

(Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Sie sind zu unsicher! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Ein Wort zur Währungspolitik. Seit dem 11. März brauchen die Notenbanken nicht mehr gegenüber dem Dollar zu intervenieren. Das ist bisher vom europäischen Floating-Verband durchgehalten worden. Angesichts der Lage, in der sich der Dollar und die amerikanische Wirtschaft befinden, ist das Voraussetzung Nummer eins, um auf die inländische Geldentwicklung wieder Einfluß zu gewinnen. Deswegen kommt die Priorität Nummer eins in der Konjunkturpolitik eben nicht einem Tun, sondern im Augenblick eher einem Unterlassen, nicht einem Ja, sondern einem Nein zu, nämlich dem Unterlassen, neue Dollars anzukaufen.
Von diesem außenwirtschaftlichen Schirm sollte die Bundesbank meines Erachtens, Herr Höcherl, stärker Gebrauch machen. Die Bundesbank ist immer leicht in der Versuchung, sich selbst arbeitsentlastet zu fühlen und dem Bund etwas zuviel an Last zu überlassen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Nein, umgekehrt ist es richtig!)

— Nein, nein.

(Abg. Katzer: Umgekehrt!)

Das gilt auch hier. Seit März hat die Bundesbank die Chance, den Geldumlauf rigoros von weiterer Inflationierung abzusperren. Diese Chance ist im April und im Mai, wenn wir die Daten aus dem jüngsten Bundesbankbericht nehmen, nicht voll wahrgenommen worden. Die Bundesbank hat auch auf dem Geld- und Kapitalmarkt direkt relativ wenig interveniert. Die berühmte Offenmarktpolitik, die ihr ohne Änderung des Bundesbankgesetzes zur Verfügung steht, hat sie wenig angewandt. Der Sinn des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung ist aber nicht, daß die Herren Geldpolitiker sich arbeits-



Dr. Arndt (Berlin)

entlastet fühlen. Der Sinn des Stabilitätsprogramms und der wechselkurspolitischen Absicherung ist, daß sie voll zugreifen können. Voll zugreifen! Denn solange die Geldzuwachsrate wie im April bei Bargeld- und Sichteinlagen plus 10 % Jahreswachstum ausmacht — unter Einbeziehung der Termineinlagen sogar 20 % —, solange ist noch nicht daran zu denken, daß man von den Preissteigerungsraten von 7 bis 8%, und das ist in Europa immer noch im unteren Teil, wegkommt. Damit ist es nicht zu machen. Die Geldpolitik täte gut daran, zu einem totalen Stopp in der Geldvermehrung überzugehen; denn Geldstopp ersetzt auch die Diskussion über andere Arten von Stopps, z. B. über Preis- und Lohnstopp,

(Beifall bei der SPD)

den Herr Wehner mit Recht als ein Pseudoinstrument hingestellt hat und den der Bundeskanzler in aller Schärfe abgelehnt hat, nachdem in einzelnen Teilen in der Bundesrepublik angefangen wurde, von Preis- und Lohnstopp nicht nur negativ zu sprechen. Und wenn davon angefangen wird, heißt das, daß es von einigen Unternehmen auch geglaubt wird, und dann werden Preise prophylaktisch vorweg erhöht. Wir haben in den gegenwärtigen Erzeugerpreisen der Industrie sowohl auf Grund von Äußerungen vor der Hannover-Messe über Preis- und Lohnstopps — Herr Dr. Höcherl, das war leider die Bundesbank — zusätzliche Steigerungen zu verzeichnen wie auch auf Grund von Äußerungen aus Bundesländern in der Zeit danach.

(Abg. Katzer: Meinen Sie Herrn Riemer?) ) — Aus Bundesländern!


(Abg. Katzer: Ja, eben! Abg. Dr. MüllerHermann: Das genügt!)

Was die Haushaltspolitik anbelangt, so glaube ich, der Sachverständigenrat hat mit seinem Sondergutachten dem Land keinen guten Dienst erwiesen. Der Gedanke des konjunkturneutralen Haushalts, wie ihn der Sachverständigenrat vertritt und der dann zu der Schlußfolgerung führt, 270 bis 280 Milliarden DM wären für die Gesamtheit der öffentlichen Gebietskörperschaften in diesem Jahr neutral, und demgegenüber würden fast 9 Milliarden DM mehr verplant und wahrscheinlich auch ausgegeben werden, und das wäre nicht konjunkturneutral, und die Bundesbank, die diesen Gedanken aufgegriffen hat, und die CDU/CSU, die sich an beide angehängt hat, erweisen dem Land mit dieser Fetischisierung der Staatsausgaben keinen guten Dienst; dies führt in die Irre.

(Beifall bei der SPD.)

Wie ist es etwa zu beurteilen, wenn in den Bundeshaushalt 1974 die Zinsen aus der Stabilitätsanleihe eingestellt werden müssen? Das werden wahrscheinlich 300 bis 400 Millionen DM sein. Ist das nun eine expansiv wirkende Ausgabe, oder ist das eine kontraktiv wirkende Ausgabe, weil sie dazu geführt hat, daß Geld in starkem Maße stillgelegt werden konnte? Wohin führt diese Vorstellung der öffentlichen Gesamtausgaben, wo man unterschiedslos jede Form von Ausgaben gleich behandelt oder wo man unterstellt, die Ausgabenstruktur bleibe
gleich. Zu welcher Art von Diskussion führt das? Zu einer emotionalen, unintelligenten und unoperativen Art der Diskussion. Da auch eine Regierung — da auch diese Regierung — nicht im luftleeren Raum operiert, schlägt das auch auf die Argumentation und vielleicht auf die Politik der Regierung zurück.
Was mich betrifft: Gewisse Typen von Ausgaben hätten bei diesem Bundesetat ruhig noch zusätzlich gesteigert werden können, z. B. Beseitigung von Verkehrsengpässen — Bundesbahn oder Straßen — mit einem sehr hohen Produktivitätseffekt, ferner z. B. die Mittel für die Steinkohle, für die Rohölbevorratung, weil diese Art von auf künftige Krisenlagen vorausgreifender Politik die beste Form von Stabilitätspolitik ist, die ein Staat machen kann,

(Beifall bei der SPD)

künftigen Engpässen und Schwierigkeiten vorzubeugen.

(Abg. Carstens [Emstek] : Mit dem Bundeskanzlerneubau!)

— Auch eine Verwaltung muß rationeller gegliedert sein. Warum wollen wir dieses Recht nur Versicherungsanstalten zugestehen?

(Beifall bei der SPD.)

Warum soll das nur für Unternehmen und nicht auch für den Staat richtig sein? Ich habe eher das Gefühl, daß man noch manches in der Organisation des öffentlichen Haushalts von den Unternehmen lernen kann, auch von ihren Reaktionen in Krisenlagen. Ich halte das also für eine sehr vernünftige Art der Ausgaben.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das gilt aber für den privaten Investitionsbereich auch!)

Ebenfalls in den Bereich der Sicherheitspolitik
— ich muß auch ein wenig davon sprechen, Herr Müller-Hermann — gehören die Flugzeugprojekte: Airbus, VFW. Hinsichtlich des Airbus besteht ein Vertrag, u. a. mit Frankreich. Europäische Zusammenarbeit und gemeinsame europäische Sicherheit kosten Geld, und dies ist in den engen Begriffen einer Preisindexstabilität natürlich keine gute konjunkturpolitische Aktion.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr richtig! Auch sonst nicht!)

Aber die Sicherung der Lebensbedingungen Europas
— dazu gehört das gute Verstehen zwischen Frankreich und Deutschland - hat auch einen stabilitätspolitischen Eigenwert, ist ein Akt der Sicherheitspolitik. Ich frage daher nicht nach diesen Ausgaben, sondern ich frage hier: o ist der Gegenwert? Müßte man dann nicht auch einmal daran denken, daß man eine gemeinsame europäische Kohlenpolitik zu treiben hätte,

(Beifall bei der SPD)

weil im gegebenen Fall auf die deutsche Steinkohle zurückgegriffen wird? Wo sind die aktuellen Gegenleistungen?

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr richtig!)




Dr. Arndt (Berlin)

Oder wo sind die Gegenleistungen in der Harmonisierung der europäischen Konjunkturpolitik? Sicherlich gibt es in anderen Ländern Wachstumsfetischisten, die dem Wachstum wirklich einen sehr hohen Stellenwert geben, aber dennoch gibt es auch dort Erklärungen der Regierungen, daß Stabilität kein non-valeur ist und daß man sich um die Entwicklung der Preisindizes sorgt. Man hat im vorigen Herbst gemeinsame Beschlüsse über die maximale Entwicklung der Geldmenge gefaßt. Daran sollte bei derartigen Entscheidungen wie Airbus und anderen Dingen ruhig wieder einmal erinnert werden. Es ist nicht selbstverständlich, daß wir derart für Europa wirken, sosehr das in unserem Interesse ist und sosehr es natürlich auch im Interesse der europäischen Partner für Europa zu sein hat. Dazu gehört Leistung und Gegenleistung, stetiges Geben und Nehmen.
Was die Steuern betrifft, so wird hin und wieder immer noch gefordert — auch von Kreisen, die der CDU/CSU nahestehen —, daß man jetzt einen Konjunkturzuschlag erheben und den privaten Verbrauch drosseln müßte. Nun entwickelt sich der private Verbrauch gar nicht so stark. Man kann mit 4 °/o rechnen. Herr Jenninger fragte heute vormittag, was eigentlich für die Lebensqualität geschehe. Der private Verbrauch, der 4 0/o in diesem Jahr steigen wird, gehört zur Lebensqualität hinzu, soweit sie überhaupt meßbar ist. Auch die öffentlichen Investitionen, die zur Versorgung des privaten Verbrauchers dienen, werden steigen, nicht im Bund, aber bei den Gemeinden doch immerhin so stark, daß man mit fünf bis zehn Prozent realer Steigerung der öffentlichen Gesamtinvestitionen rechnen muß. Auch das gehört zur Lebensqualität. Aber 4 0/o sind trotz allem konjunkturell nicht gerade ein Überborden des privaten Verbrauchs. Wenn man meint, daß die gegenwärtige Lohnentwicklung von tariflich 9 bis 10 °/o und effektiv von 11. °/o bereits einen Konjunkturzuschlag für alle erfordert — das würde ja die Ausdehnung der Stabilitätsabgabe auf die kleinen Einkommen bedeuten —, kann ich mit dem nicht übereinstimmen. Der Konjunkturzuschlag wäre unter diesen Umständen geradezu ein Angriff auf die Stabilität in diesem Land.

(Beifall bei der SPD.)

Denn der Punkt, an dem sich nominale Lohnerhöhungen in Erhöhungen von Reallöhnen umschlagen, liegt derzeit bei 9, vielleicht sogar bei 9,5 %. Die Regierung ist gut beraten, wenn die Realeinkommen weiterhin zwar keine große, aber doch eine positive Zuwachsrate haben. Es sollte kein Null-Wachstum bei den Realeinkommen, keine Null-Politik an diesem Punkt geben.

(Beifall bei der SPD.)

Erst wenn aus den gegenwärtigen Diskussionen um heiße Herbste zu erkennen wäre, daß sie mehr sein sollen als Diskussionen, kann man in Abwehr überhöhter Lohnforderungen an eine Ausdehnung der Abgabe denken. Im Augenblick ist das nicht der Fall. Bei den Zuwachsraten, die effektiv geboten werden und wo tarifliche Lohnentwicklungen immer noch darunterliegen, ist diese Lage bei weitem nicht gegeben.
Nun hat Professor Erhard noch etwas zur Indexklausel gesagt. Er sagte, das sei ein schreckliches Wort. Man stelle sich vor: wir alle zappeln mit unseren Einkommen und Ausgaben an irgendwelchen Indizes. Aber sehen Sie, wir haben die Dynamisierung der Altersrente, . der Kriegsopferversorgung. Wir haben bei all denen, die in Arbeit und Brot stehen —

(Abg. Katzer: Aber doch nicht als Ausgleich für Kaufkraftverluste, verehrter Herr Kollege Arndt!)

— 11 % ist ja wohl in etwa der Anpassungssatz auf Grund der Lohnentwicklungen der zurückliegenden drei oder vier Jahre. Dieser Satz beinhaltet natürlich auch schon die inflationäre Entwicklung. Jedenfalls wird bei allen, die in Arbeit und Brot stehen, die Preissteigerung irgendwie in die Lohn- und Gewinnentwicklung eingerechnet.
Dann haben wir die Sparförderung. Sie ist natürlich nicht dazu gedacht, Preissteigerungen auszugleichen. Aber de facto ist sie doch ein Extrazins, der zu der Nominalverzinsung der 2 000 DM, die jemand auf mehrere Jahre festlegen kann, hinzukommt. An vielen, vielen Punkten haben wir also, obwohl wir das nicht so nennen, bereits Inflationsschutz.
Der Kieler Wissenschaftler Professor Giersch, den Sie ja auch gut kennen — früheres Mitglied des Sachverständigenrats —, hat neulich ein Interview veröffentlicht und meinte, das könne auch noch auf die paar Punkte ausgedehnt werden, für die die Dynamisierung noch nicht bestehe: Steuerfreibeträge und dergleichen mehr. Ich würde eine derartige Diskussion, Herr Professor Erhard, nicht per se als inflationistisch ablehnen. Ich bin eben im Unterschied zu Herrn Höcherl schon der Meinung, daß 80, wenn nicht 90 % unserer Preissteigerungen auslandsbedingt sind und wir etwas tun müssen, um unsere Bürger dagegen zu schützen. Ebenso haben wir die Bundeswehr nicht etwa, weil wir glauben, sie könne den ewigen Weltfrieden sichern, sondern für den Fall, daß uns etwas geschieht oder geschehen könnte, oder damit dies gar nicht erst geschieht. Die Bundeswehr ist da, um Unangenehmes von der Bundesrepublik Deutschland möglichst fernzuhalten. Wir werden die Welt auch in puncto Preissteigerung nicht schnell ändern können. Sie kennen ja das neue Programm des amerikanischen Präsidenten: Preisstopp, Einschränkung der Agrarexporte zu einer Zeit, in der er um die Wiedergewinnung des Zahlungsbilanzgleichgewichts kämpft. Das ist eine Politik, die man bestenfalls als prinzipienfrei betrachten kann. Das ist eine Politik der Not. Sie operiert eben von morgens bis abends und hat gar keine Gelegenheit, daran zu denken, daß am nächsten Tag wieder ein neuer Morgen bevorsteht. In dieser Welt ist es schon richtig, daß wir und die Bundesregierung unsere Burger, wenn das überhaupt möglich ist, vor den Unbilden, auch den inflationären Unbilden der übrigen Welt schützen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704507800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke (Osnabrück)?




Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704507900
Bitte sehr!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0704508000
Herr Kollege Arndt, ich möchte noch einmal auf einen früheren Satz zurückkommen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Rentendynamisierung nicht als ein Inflationsausgleich, sondern als paralleles Schritthalten der Rentner mit der Einkommenssteigerung der Arbeitnehmerschaft gedacht war?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704508100
Ja, das ist völlig richtig. Dies fällt aber glücklicherweise alles nicht unter „Indexbildung" und „Indexklausel". Ich finde das auch gut so und möchte diese Ausdrücke darauf auch nicht ausgedehnt wissen.

(Abg. Katzer: Das ist auch nicht so gemeint gewesen!)

— Nein, aber faktisch haben Sie doch in der Lohnentwicklung des Jahres 1969 — damals waren Sie noch in der Regierung —, in der Lohnentwicklung der Jahre 1970 und 1971 eine Kompensation für die Preissteigerungen, die damals schon von außen in die Bundesrepublik einsickerten, und die haben Sie jetzt drei Jahre später bei den Renten auch. Das ist doch selbstverständlich.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704508200
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704508300
Ja, gerne!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0704508400
Herr Kollege Arndt, ist Ihnen nicht mehr genau im Gedächtnis, daß wir im Jahre 1969 nur eine Preissteigerung von zirka 1 °/o hatten, und meinen Sie nicht auch, daß Sie deshalb diese „Funktion" nicht unterlegen können?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704508500
Wir hatten aber schon eine ganz kräftige Lohnsteigerung, und zwar seit dem Herbst, als die Preise eben nicht mehr nur um 1 °/o stiegen.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Das haben Sie nicht gesagt!)

- Innerhalb eines Jahres verändert sich mitunter etwas.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Für 1969 nicht!)

Der Umbruch war vor den Wahlen, noch in der Zeit der Großen Koalition, und zwar im August: wilde Streiks bei Stahlwerken, wilde Streiks bei der Müllabfuhr, wilde Streiks bei Bergarbeitern und der Beschluß, selbstverständlich Ausgleichslöhne zu zahlen.

(Abg. Franke [Osnabrück] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage.)

— Ja, bitte!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0704508600
Herr Kollege Arndt, glauben Sie nicht auch, daß die wilden Streiks damals unter anderem dadurch begründet
waren, Bali nun endlich der zugesagte „Schluck aus der Pulle" genommen werden sollte, und waren Sie als damaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zumindest nicht auch für die Formulierung mit verantwortlich, die der damalige Wirtschaftsminister Professor Schiller gebraucht hatte?

(Beifall hei der CDU/CSU.)


Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0704508700
Wir wollen Professor Schiller nicht mit Dingen belasten, die er hier an Ort und Stelle nicht selbst widerlegen kann. Ich will nur eines in diesem Zusammenhang sagen: Es hing mit der Unterlassung der Aufwertung am 9. Mai zusammen. Das wissen wir doch alle.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Darüber ist ein Wahlkampf geführt worden. Aus diesem Bereich der archaischen Währungspolitik sind wir doch heraus. Wir sind weg vom Dirigismus in der Währungspolitik. Wir sind jetzt bei einer durch Preise gesteuerten Währungspolitik. Das ist die wichtigste Voraussetzung für die Konjunktursteuerung in der nächsten Zeit, vorausgesetzt die Bundesregierung bleibt hart und übernimmt keine Dollars. Dann kann die Geldpolitik funktionieren. Dann stimmt das, was in der Regierungserklärung steht: Die erste Rolle in der Konjunkturpolitik kommt der geldpolitischen Steuerung zu. Man kann es auch so sagen: Geldstopp geht vor Lohn- und Preisstopp.
Dennoch darf man nicht übersteuern, denn zur Stabilitätspolitik — und zwar in einer vernünftigen politischen Definition des Wortes, nicht nur in der Definition, an die sich der Sachverständigenrat zu halten hat, weil dieser Begriff im Gesetz steht — gehört eben, daß man dieses Volk heil über die Nach-Vietnam-Periode hinwegbringt.
Bei Ihnen war das damals einfacher, Herr Erhard. Die USA waren damals ein Leitstern: die stabilste Währung, die stärkste Wirtschaft, die Militärmacht Nr. 1, die besten Ideale und auch ein Höchstmaß an Annäherung der Wirklichkeit an diese Ideale. Das ist nun vorbei. Die USA sind auch in der Militärpolitik kein Leitstern mehr. Wahrscheinlich hat diese Pentagon-Studie den Verteidigungsminister gestern abend so verbittert, in der zu lesen ist, daß Europa mit viel weniger Streitkräften fertig werden kann, als das früher der Fall war. Dazu sagte er, dies sei ein Schleichhandel zu Schleichpreisen. Den anderen Teil seines Vortrags kannten jedenfalls die sozialdemokratischen Mitglieder schon vom Frühlingsparteitag in Dortmund. Aber das hat den Verteidigungsminister sicherlich so bestürzt, weil es seinen Intentionen und seinen Anstrengungen zuwiderläuft. Aber die Amerikaner sind eben weder dort ein Leitstern noch in der Wirtschaftspolitik.
Die Exporterschwerungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die sie vor wenigen Tagen eingeführt haben, ist wieder nichts anderes, als daß sie ihre außenwirtschaftlichen Beziehungen großzügig vernachlässigen wollen oder müssen. Das geschieht in der Militärpolitik ebenso. Unser Problem ist dann, nicht zu beckmessern; wir sind ein Volk, das es sogar



Dr. Arndt (Berlin)

öfter geschafft hat, Kriege nicht zu gewinnen. Wir kennen das, wie einem dann zumute ist. Wir sollten vielmehr versuchen, unseren Teil dazu beizutragen, daß die wirtschaftliche Kraft der Vereinigten Staaten wieder zum Tragen und daß das Land dort innerlich in Ordnung kommt. Das ist ein langer Weg, der auch erhebliche Opfer von der Europäischen Gemeinschaft verlangen wird: Verständnis bei der Handelspolitik, Weiteröffnung in der Agrarpolitik, kein Hähnchenoder Sojabohnenkrieg, mehr Förderung für Entwicklungsländer, d. h. Übernahme eines Teils der amerikanischen Lasten für die Entwicklungspolitik; das alles wird sein müssen. Das nenne ich Stabilitätspolitik.
Denn wenn wir nach fünf oder zehn Jahren sagen: Wir sind gut über die Periode gekommen, oder — wie Professor Erhard sagte —: Wir haben noch Freiheit, und wir sind auch noch da, dann klingt das wie eine sehr bescheidene Zielsetzung; aber es ist anderen Völkern schlimmer ergangen. Wenn wir es schaffen, Freiheit und Existenz — das sehe ich als die beiden höchsten Lebensqualitäten, die man sich ausdenken kann, nämlich überhaupt zu leben und in Freiheit zu leben — auch mit Hilfe der konjunkturpolitischen Steuerung, jedoch keiner nervösen Steuerung, keiner Indexnervositäten, zu bewahren, ja zu verbessern, wird vielleicht auch in 10 oder 15 Jahren irgend jemand von irgendeiner Fraktion sagen können: Herr Brandt, Herr Scheel, Sie haben sich damals um dieses Land verdient gemacht. Ich bin schon jetzt der Ansicht.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704508800
Wir fahren in der Aussprache fort. Bevor ich Graf Lambsdorff, für den 45 Minuten Redezeit beantragt worden sind, das Wort gebe, mache ich darauf aufmerksam, daß damit die Fragestunde statt um 13 Uhr ungefähr gegen 13.30 Uhr beginnen wird, so daß sich das ganze um 30 Minuten verschiebt. Danach setzen wir die Beratung über den Einzelplan 09 fort, für die bereits eine weitere Wortmeldung vorliegt.
Graf Lambsdorff, Sie haben das Wort.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0704508900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Professor Erhard, ich spreche hier als Mitglied der heutigen FDP und ebenso als Mitglied der seinerzeitigen FDP.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein großer Unterschied!)

Sie haben geglaubt, daraus einen Unterschied konstruieren zu können. Ich glaube für mich persönlich, daß ich zu vielen guten Überzeugungen der Zeit vor 25 Jahren ebenso stehe wie heute, daß ich hoffe, in der Zwischenzeit auch in der marktwirtschaftlichen Entwicklung das eine oder andere dazugelernt zu haben, was mir nötig schien und was mir nach wie vor nötig zu sein scheint.
Wenn Sie daraus die Schlußfolgerung ziehen, Herr Prosessor Erhard, es täte Ihnen in der Seele weh usw., dann will ich nicht das alte Klagelied
singen, wie wir, wie Ihr Koalitionspartner von Ihrer Partei behandelt worden ist, sondern ich möchte die Frage stellen — ich habe sie in der Kartelldebatte schon einmal gestellt —, warum wir für die Durchsetzung eminent wichtiger marktwirtschaftlicher Vorhaben, wettbewerbswirtschaftlicher Vorhaben, heute eine andere Koalition für die richtige Koalition halten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Professor Erhard, für uns oder für mich gilt dasselbe, was Herr Arndt soeben ausgeführt hat. Wir haben Ihnen mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Sie haben uns, so meine ich, zu früh Gedächtnisschwäche vorgeworfen. Dies ist die erste Runde in der Auseinandersetzung über den Etat des Bundeswirtschaftsministers. Auf meinem Notizzettel jedenfalls stand, daß wir natürlich des Tages zu gedenken haben und gedenken wollen, an dem vor 25 Jahren die D-Mark das Licht der Welt erblickt hat. Niemand von uns, Herr Professor Erhard, wird Ihre Verdienste als Wirtschaftsminister der ersten Jahre dieser Bundesrepublik und Ihre Verdienste gerade im Zusammenhang mit der Währungsreform und der Schaffung der D-Mark, wie Sie es meinten, unter den Teppich kehren wollen. Aber wenn Sie aus der Entwicklung feststellen, damals sei im deutschen Volk Zuversicht vorhanden gewesen und heute nicht mehr,

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann stimmt's!)

so muß ich das bestreiten. Denn zumindest muß man die Frage stellen: Wie war es denn 1948? In der Tat konnte jeder nur sagen: es kann ja nur besser werden. Schlechter konnte es 1947/48 nicht mehr werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Heute heißt doch die Frage in der Bevölkerung: Was soll denn eigentlich wirklich noch entscheidend besser werden? Damit will ich nicht die eine oder andere Klage und Unzufriedenheit unter den Tisch wischen, aber insgesamt gesehen: haben wir denn wirklich berechtigten Anlaß zu breiter Klage, und wer tut es denn in unserem Lande?

(Abg. van Delden: Die Sorge, daß es rückwärts geht!)

Herr Professor Erhard, „Stamokap" heißt für uns, für mich, für meine Freunde, aber — das glaube ich sagen zu dürfen — auch für den Koalitionspartner das Lösungswort beileibe nicht. Auch andere Lösungsworte allerdings sind nach meiner Überzeugung nicht geeignet, uns weiterzuhelfen. Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen — das darf ich mit allem Freimut, bei allem schuldigen Respekt tun —, daß ich auch mit der formierten Gesellschaft nicht viel anzufangen wußte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und, Herr Professor Erhard, die Leistungsgesellschaft — Herr Arndt hat darauf hingewiesen — hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung mit einer Deutlichkeit vertreten, die ihm nicht überall Zustimmung eingetragen hat. Wir wissen, daß es in diesem Lande Menschen gibt, die sie in Zweifel ziehen. Aber Ihre Philippika in der „Frankfurter



Dr. Graf Lambsdorff
Allgemeinen Zeitung" gegen die humane Leistungsgesellschaft haben wir ebenfalls sehr gut im Ohr. Und wer die entwickelt und erfunden hat, haben Sie sehr deutlich gesagt und sehr deutlich geschrieben, in dankenswerter Offenheit und Deutlichkeit.
Darf ich an uns alle, die wir seit 25 Jahren in dieser sozialen Marktwirtschaft in all ihren Entwicklungstendenzen, bei all ihren Schwächen leben, von denen wir aber doch wissen, daß sie nichts an dem Urteil verkleinern oder herabmindern können, daß es immer noch die beste Wirtschaftsform, die freiheitlichste Wirtschaftsform ist, die Frage stellen, ob wir nicht auch darin versagt haben, den Menschen in diesem Lande klarzumachen, daß hinter diesem Wirtschaftssystem mehr als Effektivität, mehr als Leistung, mehr als Umsatz, mehr als Produktivität und mehr als Gewinn steht.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Die Formel, Herr Professor Erhard, „Wohlstand für alle" war zu der Zeit, als Sie sie geprägt haben, vielleicht noch richtig, aber für die Zukunft, für heute reicht sie doch nicht mehr. Wir müssen die moralische Wertordnung dieses Systems deutlich machen, insbesondere unserer Jugend, wir müssen die Freiheitssicherung klar aufzeigen, die in dieser marktwirtschaftlichen Ordnung liegt, und darin haben wir
— das wage ich zu behaupten — allesamt, die wir sie vertreten haben, die wir uns dafür einsetzen, nicht das Optimum geleistet.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Dr. Erhard: Wer hat als erster gemahnt?)

— Herr Professor Erhard, gemahnt haben Sie. Aber Erfolg in der Politik, Erfolg bei der Durchsetzung dieser Gedanken ist notwendig. Wir müssen Erfolg haben! Was nützt die Mahnung — wenn auch zu einem rechten Zeitpunkt —, wenn nicht mehr die Kraft dahintergestanden hat? Ich komme im Verlauf meiner Ausführungen darauf noch zurück, wann diese Kraft den Unionsparteien, deren Reformverdienste Sie gerühmt haben, in meinen Augen verlorengegangen ist. Dies läßt sich, wie ich meine, zeitlich genau eingrenzen.
Der Kollege Arndt hat hier in wie immer sehr bedenkenswerten Darlegungen seine Position klargemacht. Ich darf Ihnen, Herr Arndt, in einem Punkte widersprechen: Was die Indexklausel anbelangt, bin ich nicht Ihrer Meinung. Es bedarf noch größerer Anstrengungen, wenn Sie mich in diesem Punkte überzeugen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun aber zu dem, was wir zum Etat des Herrn Bundeswirtschaftsministers zu sagen und was wir bisher in der Rede des Herr Oppositionsführers — er ist bedauerlicherweise nicht hier — dazu gehört haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und wo ist der Bundeskanzler? — Gegenruf von der SPD: Der ist da!)

Herr Professor Carstens hat davon gesprochen, es gebe keine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik, und er hat das begründet mit den alten, in diesem
Hause schon so häufig vorgetragenen Vorwürfen und Behauptungen, leider auch mit alten Zitaten. Ich muß gestehen, es hat mich noch nie befriedigt, daß wir uns immer Zitate vorhalten, die Jahre alt sind und meistens in völlig veränderten Umständen abgegeben wurden. Es gibt ja ganze Zitat- und Wortsammlungen; die „Worte des Vorsitzenden Franz Josef Strauß" sind neulich sogar veröffentlicht worden. — Nützt das eigentlich einer Debatte
— ich meine das jetzt nicht auf Herrn Strauß bezogen —, sich immer wieder an den alten Ladenhütern zu erwärmen? Ist das nicht mehr Anregung und Material für politische Kabaretts, nicht aber für die ernsthafte Auseinandersetzung?

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Allerdings hat Herr Professor Carstens auch ein neues Zitat aufgegriffen; er hat — ich bedaure, ihm in seiner Abwesenheit diesen Vorwurf nach der Kartell-Debatte erneut machen zu müssen — ungenau zitiert. Herr Carstens hat hier vorgetragen, der Bundeswirtschaftsminister sehe ein Beschäftigungsrisiko. Der Bundeswirtschaftsminister hat aber vor einiger Zeit klar und deutlich gesagt: Wenn diese Stabilitätspolitik und die beschlossenen Maßnahmen nicht durchgehalten werden, dann kann das in einem Beschäftigungsrisiko enden.
Meine Damen und Herren, ich beklage das.

(Abg. Lemmrich: So hat er es in etwa auch gesagt!)

— Dies ist ein Unterschied! — Ich bitte um genaue Zitate. Insbesondere würden mich genaue Zitate — leider muß ich das ebenfalls in Abwesenheit von Herrn Carstens sagen — seitens eines Professors der Jurisprudenz mehr befriedigen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen: Es ist eigentlich schade, daß der Oppositionsführer — gerade weil er der neue Oppositionsführer ist und wir ihm alle mit Erwartungen entgegensehen — es nicht mit neuen Argumenten und neuen Überlegungen versucht hat.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Warum eigentlich wird hier nicht darüber gesprochen, was vor uns liegt? Warum wird von der Opposition nicht darüber gesprochen, was sie von dieser Regierung bei der Lösung der großen Aufgaben im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik erwartet, die wir in den nächsten Monaten und Jahren anzupacken haben? Herr Arndt hat es soeben getan:, Handelspolitik, GATT, Energiepolitik, Strukturpolitik! Regionale Strukturpolitik ist nach amerikanischer Auffassung ein Bestandteil von non-tariffbarriers; das gibt harte, mühseligste, schwierigste Auseinandersetzungen. Agrarpolitik im Zusammenhang mit der Handelspolitik! Das alles sind Aufgaben, die sich uns stellen und über die wir diskutieren müssen.
Es ist nicht zu übersehen — der Bundesfinanzminister hat das erfreulicherweise kürzlich in einem Vortrag klar gesagt —, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik heute von der Außen- und der Sicher-



Dr. Graf Lambsdorff
heitspolitik dieses Landes überhaupt nicht mehr zu trennen sind.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Daher muß diese Debatte geführt werden.


(Zuruf des Abg. Dr. Marx.)

— Insofern, Herr Marx, begrüße ich es, daß auch die Außenpolitiker begonnen haben, sich mit den Niederungen der Finanz- und Wirtschaftspolitik entgegenkommenderweise zu beschäftigen.

(Abg. Dr. Marx: Nicht erst begonnen! Das ist nicht neu!)

— Um so erfreulicher!

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Zu den haushaltspolitischen Argumenten, die vorgetragen worden sind, hat mein Freund Kirst gestern das Notwendige gesagt; ich will mich darauf heute nicht mehr einlassen.
Was aber hat die Opposition gegen die Stabilitäts- und Konjunkturpolitik der Regierung vorgebracht? Darf ich das salopp so sagen: Sie hat die alten Vorderlader wieder geladen und dabei dieselben Rohrkrepierer erlebt! So erging es z. B. dem Herrn Vorsitzenden der Oppositionsfraktion. Wie kommen wir weiter, wenn uns im gleichen Atemzuge erklärt wird, die Bundesregierung habe 1972 gesagt, das Geld für den Straßenbau reiche aus; jetzt aber kürze sie? Wie soll denn Stabilitätspolitik aus haushaltspolitischer Sicht betrieben werden, wenn wir nicht kürzen? Und wir müssen schmerzhaft kürzen! Das weiß doch jeder. Wie kann man das zum Vorwurf machen?

(Abg. Dr. Ritz: Das ist aber inhaltlich ein falsches Zitat!)

Lesen Sie es bitte nach! Ich habe die Ausführungen schriftlich; Ihre Pressestelle hat sie freundlicherweise rechtzeitig verteilt.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ist es denn richtig, wenn die Mittelstandsgelder für Straßenbau und Subventionen im Verkehrsbereich ausgegeben werden?)

— Herr Müller-Hermann, wenn wir kürzen wollen, bleibt nichts anderes übrig, als auch dort zu kürzen, wo es unbequem ist. Wenn — Sie haben es gelesen — die Bundesbank den heimischen Hauptinflationsstoß vom Baugewerbe her sieht, müssen wir auf diesem Gebiete ansetzen. Dann ist es doch unerläßlich, daß man Einschränkungen vornimmt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0704509000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann? — Bitte!

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0704509100
Herr Kollege Lambsdorff, halten Sie es für richtig, daß zum gleichen Zeitpunkt, zu dem diese Stabilitätsbemühungen in Gang gesetzt werden, der Bundesverkehrsminister ein gigantisches Programm verkündet, von dem jeder weiß, daß es im Bereich der Investitionen überhaupt nicht zu realisieren ist?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0704509200
Herr Kollege Müller-Hermann, das, was der Bundesverkehrsminister vorgelegt hat, ist ein Langzeitprogramm. Es entspricht, wie ich meine, seiner Verpflichtung, sich langfristig den Kopf zu zerbrechen und uns das Ergebnis seiner Überlegungen vorzulegen. Natürlich wissen wir, daß dies alles nicht aus der Westentasche bezahlt werden kann und daß dies auch nicht kurzfristig realisierbar ist.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: So wird es aber dargestellt! Das ist die Art dieser Regierung, Politik zu machen!)

— Nein, so ist es nicht dargestellt worden. Der Bundesverkehrsminister hat ausdrücklich gesagt, daß er zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage sei, über die Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit dieses Vorhabens genaue Auskünfte zu geben. Ich möchte ihm nicht unterstellen, daß er Luftblasen in die Welt gesetzt hätte.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sicher!)

Meine Damen und Herren! Herr Professor Carstens hat den Bundesbankpräsidenten mit seiner gestrigen Äußerung zitiert. Der Bundesbankpräsident findet unsere volle Zustimmung. Wir stimmen allerdings nicht der Folgerung zu, die der Oppositionsführer aus diesen Äußerungen zieht, nämlich die, diese Politik hätte die Regierung schon vor drei Jahren betreiben müssen. Ja, meine Damen und Herren, wer immer noch nicht begriffen hat — Herr Arndt hat sehr ausführlich darauf hingewiesen —, daß ohne außenwirtschaftliche Absicherung diese Konjunkturpolitik nicht betrieben werden kann und daß wir diese außenwirtschaftliche Absicherung 1969 eben nicht hatten, dem ist nicht zu helfen. Wir sind erst seit genau dem 11. März in der Lage, wirklich Stabilitätspolitik bei uns zu betreiben. Könnten wir hohe Zinsen verordnen, wenn wir eine offene außenwirtschaftliche Flanke hätten? Das wäre völlig unmöglich. Der Auslandszufluß würde jede stabilitätsorientierte Konjunkturpolitik über den Haufen werfen. Das weiß in diesem Hause jeder.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Herr Schiller hat die Regierung verlassen, weil die Koalition das nicht wollte!)

— Ich komme auf Schiller zurück, wenn auch nur noch kurz. Ich will es in einem bestimmten Zusammenhang tun.
Im übrigen sprechen wir immer über die letzten drei Jahre. Jedenfalls hat Herr Professor Carstens das bevorzugt getan. Eigentlich scheinen mir die ersten sechs Monate zur Debatte zu stehen, nämlich die ersten sechs Monate dieser Legislaturperiode. Zwischen den drei Jahren und diesen sechs Monaten liegt ein Ereignis, in dem diese Regierungspolitik eine gewisse Bestätigung erfahren hat, auch wenn Sie das gelegentlich verdrängen möchten, nämlich die Bundestagswahlen.
Es kommt darauf an, zu untersuchen, was diese Bundesregierung in ihrer bisherigen Amtszeit getan hat, und ich will das in aller Kürze tun.



Dr. Graf Lambsdorff
Sie hat zwei Währungskrisen gemeistert, und sie hat sie mit beachtlichem politischen Erfolg gemeistert, was unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anbelangt. Dies war die entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche außenwirtschaftliche Absicherung, und zwar die politische Handhabung dieses Problems, nicht die Handhabung durch Spezialisten und Techniker. Sie hat eine — hinsichlich der maßvollen Verteilung der Aufwertungsfolgen —
wirtschaftlich vernünftige Aufwertung zustande gebracht, und sie ist währungspolitisch erfolgreich gewesen; denn nach allem, was wir bisher sehen und wissen, hält dieses europäische Blockfloaten. Hier, Herr Professor Erhard, möchte ich Ihrer These widersprechen, daß dies keine gemeinsame europäische Politik sei. Im Gegenteil, wir sehen erfreulicherweise Ansätze innerhalb des Blocks, daß man sich konjunkturpolitisch auf die gleichen Pfade begibt, auf denen wir uns bewegen. Es ist natürlich eine wesentliche Voraussetzung, daß die Disparitäten nicht wieder auseinanderlaufen. Wir versuchen, unseren Teil dazu zu tun, um unsere Freunde davon zu überzeugen, daß so verfahren werden muß.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

Dann ist es eben keine Inflationsgemeinschaft. In diesem Blockfloating haben wir nun endlich erreicht, daß es keine Inflationsgemeinschaft wird. Wenn es in der Tat eine wäre, dann allerdings stünde es um den europäischen Gedanken schlecht. Aber das hängt — das wissen wir alle — nicht allein von uns ab. Die außenwirtschaftliche Absicherung — ich wiederhole es — ist die Voraussetzung Nummer Eins für den Stabilitätserfolg, und die Kreditpolitik der Bundesbank ist die Voraussetzung Nummer Zwei.
Meine Damen und Herren, ich halte es für richtig — und ich tue dies im Namen meiner Fraktion —, der Deutschen Bundesbank Dank für die konsequente Haltung auszusprechen, die sie in den letzten Monaten bewiesen hat, und für die gute Zusammenarbeit, die sie mit der Bundesregierung auf wirtschafts- und währungspolitischem Gebiet exerziert hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es läßt sich die Frage stellen, ob die Maßnahmen, die wir seinerzeit ergriffen haben, allesamt auf Dauer so aufrechterhalten werden müssen. Können wir das System der Kapitalverkehrskontrollen einmal überprüfen? Mir ist die Tatsache der sogenannten „Koffergeschäfte" zuwider, weil der Staat Verordnungen trifft, die er nicht kontrollieren und deren Durchsetzung er nicht erzwingen kann. Aber alles dies hat hinter der psychologischen Überlegung zurückzutreten, daß es jetzt keine Zeichen von Erweichen und keine Zeichen von einem Schritt zurück geben darf. Wir müssen durchhalten. Deswegen möchte ich die Bundesbank bitten, punktuelle Erleichterungen nach Möglichkeit nicht vorzunehmen. Dieser Kurs muß durchgestanden werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Diese Bundesregierung hat eine Stabilitätspolitik verabschiedet, die nach unserer Überzeugung in sich ausgewogen, mit einer richtigen Zielsetzung versehen und durch das Bundeswirtschaftsministerium und durch den Bundeswirtschaftsminister exzellent vorbereitet gewesen ist. Ich habe das hier schon einmal vorgetragen. Herr Arndt, Sie haben eben das Stichwort Krisenmanagement gegeben; hier ist es einmal, wie ich meine, auch im Bereich der staatlichen Verwaltung vorbildlich exerziert worden.
Es ist bedauerlich, daß die Verabschiedung im wesentlichen ohne Hilfe der Opposition vor sich gehen mußte. Zur Inflationsbekämpfung unterstellt uns Herr Professor Carstens erneut, daß wir in der inflationären Entwicklung der Nachbarn Trost für uns suchten. Das ist von uns niemals gesagt worden. Im Gegenteil, wir haben immer differenziert gesagt: Das ist zwar so, aber es ist für uns kein Trost.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ganze Arndt-Kolleg war ein Trost!)

— Wenn das für Sie ein Trost war, Herr Müller-Hermann — vielleicht war es auch für den einen oder anderen eine heilsame Lektion oder Belehrung —, so war es jedenfalls nicht ein Trost in dem Sinne, wie Herr Professor Carstens uns gestern zu unterstellen versucht hat.
Wir haben auch nie gesagt — Herr Professor Erhard, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie immer differenziert haben —, daß diese Inflation nun hundertprozentig und ganz allein hausgemacht war. Wir streiten uns um den Anteil daran, den wir hausgemacht produziert haben, und um den Anteil, der von außen kommt. Ich brauche auf das, was ich hier häufig genug vorgetragen habe und was Herr Arndt eben erwähnt hat, nicht noch einmal einzugehen. Ich sehe den überwiegenden Anteil dieser inflationären Entwicklung nach wie vor in den weltwirtschaftlichen Zusammenhängen. Herr Arndt, wenn ich Sie in einem Punkt verdeutlichen darf: Immer ist die Nachkriegsinflation die schlimmere gewesen als die Kriegsinflation. Das war vielleicht auf die Frage nach den Jahren 1967 und 1973 noch hinzuzufügen.
Immer wieder aber hören wir von Ihnen, meine Damen und Herren: 20 Jahre lang CDU-Regierungen, und es hat keine Inflation gegeben. Das ist jedesmal das Stichwort zum Jubel Ihrer Fraktion, wenn sie besser besetzt ist als jetzt in der Mittagsstunde.

(Abg. Dr. Marx: Sie auch!)

Dieses sind doch Argumente, die in beiden Richtungen nichts taugen. Die Gegebenheiten vor 20 Jahren — wir haben vorhin über das Stichwort Korea gesprochen — sind völlig unvergleichbar mit dem, was wir heute haben. Ich gebe Ihnen aber zu, Herr Müller-Hermann, daß ich auch von dem Argument: „20 Jahre lang waren Sie an der Regierung, und nichts ist geschehen!" wenig halte; dies alles ist zu einfach. Politik ist ein fortlaufender Prozeß. Es kommt darauf an, zur rechten Zeit das Richtige zu tun — ein Ziel, das wir vermutlich niemals völlig erreichen werden, aber ein Ziel, das man anstreben sollte.



Dr. Graf Lambsdorff
Als Ihre Partei, Herr Professor Erhard, nicht mehr die Kraft hatte, das ordnungspolitisch Richtige zu tun, ging es mit Ihrer Partei politisch bergab. Sie gerieten ordnungspolitisch in der währungspolitischen Diskussion des Jahres 1969 ins Straucheln. Es geht mir nicht um die unbeweisbare Aufwertungslösung — ja oder nein —, sondern es geht mir darum, ob zu dieser Zeit das Wort des Herrn Kiesinger, nie werde während seiner Regierungszeit eine Aufwertung zustande kommen, ordnungspolitisch richtig war. Damals hat man Ihre Mahnungen, Herr Professor Erhard, überhört; Sie wissen es sehr genau. Damals ist gegen Ihren Rat agiert worden. Sie werden immer nur dann von Ihren Freunden zitiert, wenn es denen ins Konzept paßt. Ist das nicht der Fall, hört keiner auf Sie.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Immerhin sind Ihnen in den letzten Wochen, wie ich hoffe, einige Freuden von Ihren Freunden bereitet worden.
Die Reformkraft Ihrer Partei, Herr Professor Erhard, ist in der Zeit den Berg heruntergegangen, als man ordnungspolitisch nicht mehr Klarheit hatte.

(Abg. Dr. Althammer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich gestatte Herrn Althammer schon deswegen gern eine Zwischenfrage, weil er in dieser Debatte auf dem Johannesburger-Stuhl sitzt. Bitte sehr!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704509300
Herr Kollege Lambsdorff, wenn Sie jetzt schon die Ereignisse des Jahres 1966 auch im Hinblick auf Professor Erhard hier anführen, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich auch einmal überlegt haben, wie die politische Entwicklung hätte verlaufen können, wenn Ihre Fraktion bereit gewesen wäre, wenigstens ein Zehntel von dem an Steuererhöhungen mitzutragen, was sie heute mitträgt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0704509400
Herr Althammer, in einer Zeit der Rezession, die sich uns damals schon klar abzeichnete, Steuererhöhungen mitzumachen, wäre wirtschafts- und steuerpolitisch unverantwortlich gewesen. Dieser Beschluß meiner Freunde ist seinerzeit richtig gewesen. Daß das nicht der einzige Beschluß, der einzige Anlaß zum Übergang zur Großen Koalition war, Herr Althammer, brauche ich Ihnen hier wohl hoffentlich nicht mit aller Deutlichkeit ins Gedächtnis zurückzurufen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0704509500
Herr Kollege, kennen Sie auch die volkswirtschaftliche These, daß es in Zeiten der Hochkonjunktur unratsam ist, Steuererhöhungen vorzunehmen, weil die dann sehr leicht auf die Preise überwälzt werden?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0704509600
Herr Müller-Hermann, es gibt für Steuererhöhungen zwei Gründe: zum einen stabilitätspolitische Überlegungen, die auf eine anschließende Stillegung der Einnahmen aus den Steuererhöhungen hinauslaufen — das ist konjunkturpolitisch in Ordnung und konjunkturgerecht —: zum anderen gibt es Steuererhöhungen, deren Einnahmen zur Aufblähung des Staatshaushaltes herangezogen werden sollen. Dieser Haushalt ist nicht durch solche Steuererhöhungen aufgebläht worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In diesem Zusammenhang der Ordnungspolitik, Herr Professor Erhard, muß ich sagen, ich habe den Eindruck, daß dem Herrn Vorsitzenden der Oppositionsfraktion auch jetzt noch die richtige Gewichtung für diese Begriffe fehlt. Ich meine die wirtschaftliche Ordnungspolitik, nicht die Dreggersche Law-and-order-Politik; die wird er haben.
Wie kann es möglich sein, daß in diesem Zeitpunkt bei einer Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik die Tatsache einer mit den Stimmen Ihrer Freunde verabschiedeten Verbesserung des Kartellgesetzes überhaupt unter den Tisch fällt, das ordnungspolitisch Wichtigste, was wir in den letzten Jahren getan haben — eine Fortsetzung, Herr Professor Erhard, Ihrer Arbeit und Ihrer Ideen? Mir scheint das ein ungenügendes Verhältnis zu ordnungspolitischen Vorstellungen zu sein, das ausgerechnet das — eine Leistung, an der Sie beteiligt waren; Herrn Frerichs habe ich das von dieser Stelle aus gerne bescheinigt — unter den Tisch fällt. Außerdem weiß ich nicht, ob es nicht fairer wäre, in einer solchen Darstellung der eigenen Position zu der der Regierung auch einmal zuzugeben, daß eine abgewogene und vernüftige Leistung schnell zu Wege gebracht worden ist.
Lassen Sie mich ein letztes, abschließendes Wort dazu sagen, was die CDU/CSU von der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung füglich erwartet hat. Vielleicht ist es, meine Damen und Herren, ein bißchen zu einfach, ich will das zugeben: zunächst einmal hatten Sie erwartet, daß sich die beiden zuständigen Minister handfest in die Wolle bekommen. Ihre ganze Erwartung ist darauf ausgegangen, daß die Herren Friderichs und Schmidt vor aller Öffentlichkeit einen mordsmäßigen Krach inszenieren würden. Daraus ist nichts geworden. Kooperation und — wenn ich dieses englische Wort einmal benutzen darf — efficiency sind zutage getreten. Um an ein Wort meines Freundes Walter Scheel anzuknüpfen: Die Zusammenarbeit dieser beiden Minister hat es sehr schnell fertiggebracht, daß der Name Schiller heute nur noch der eines Dichters ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was hatten Sie weiter erwartet? Herr Narjes hat uns das in seinem Beitrag zur Regierungserklärung vorhergesagt: ein kompetenzgeschwächtes Wirtschaftsministerium, das zu einer vernünftigen Konjunkturpolitik gar nicht in der Lage sein werde, weil man es ja seiner entscheidenden Bestandteile beraubt habe. Was haben Sie statt dessen erlebt? Ich darf das einmal sehr personenbezogen formulieren:



Dr. Graf Lambsdorff
Sie haben einen geistig und sachlich disziplinierten Politiker erlebt, der seine Ziele beharrlich und erfolgreich verfolgt, der in öffentlichen Äußerungen konsequent redet — am 1. Mai dasselbe wie am 2. Mai — und der vor allem ordnungspolitisch die Öffentlichkeit überzeugt. Ja, er überzeugt die Öffentlichkeit und vielleicht auch ein bißchen die Klientel, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, für sich in Anspruch nehmen, so sehr, daß es Ihnen schon etwas wehtut.
Vielleicht erlauben Sie mir abschließend die Bemerkung, daß Ihr neuer Parteivorsitzender eben auch in personellen Entscheidungen seiner Zeit manchmal voraus war. Er hat ganz gut gewußt, warum er sich Herrn Dr. Friderichs zeitweilig geholt hat. Wir wissen es auch.
Ich spreche der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung namens meiner Fraktion unsere uneingeschränkte Zustimmung aus. Wir werden dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministers zustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0704509700
Meine Damen und Herren, wir unterbrechen nunmehr die Beratung des Einzelplans 09 und treten vereinbarungsgemäß ein in die
Fragestunde
— Drucksache 71769 —
Wir kommen zuerst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal zur Verfügung.
Die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Nölling auf. Ist Herr Dr. Nölling im Saal? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Frage 42 des Abgeordneten Freiherr von Fircks. — Der Abgeordnete ist auch nicht im Saal.

(Abg. Haehser: Die Einzeletatberatung sollte bis 13.30 Uhr dauern! Deshalb ist keiner hier!)

Ich rufe die Frage 43 der Abgeordneten Frau Dr. Riedel-Martiny auf. — Sie ist ebenfalls nicht im Saal.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Fragestunde sollte um 13.30 Uhr beginnen!)

— Meine Damen und Herren, es ist sehr bedauerlich, wenn so wenig Kollegen im Saale sind.
Ich sehe, daß wir mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts weitermachen können. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Gerlach (Obernau) auf:
Auf Grund welcher fachlicher und beamtenrechtlicher Qualifikation wurde der bisherige Chefredakteur des ,.Spiegel", Günther Gaus, zum Staatssekretär unter gleichzeitiger Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ernannt?
Ravens, Parl. Staatssekretär beim 'Bundeskanzler: Herr Kollege Gerlach, Herr Gaus hat durch seine öffentliche Tätigkeit als politischer Journalist — in den letzten acht Jahren in verantwortungsvoller, leitender Position — seine Befähigung für das Erkennen und Beurteilen politischer Vorgänge nachgewiesen. Seine Tätigkeit als Programmdirektor für Rundfunk und Fernsehen einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt hat Herrn Gaus — im Rahmen der an die öffentliche Verwaltung angelehnten Arbeitsbedingungen — mit Verwaltungsaufgaben vertraut gemacht. Seine Laufbahnbefähigung wurde durch den hierfür zuständigen Bundespersonalausschuß festgestellt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704509800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerlach.

Paul Gerlach (CSU):
Rede ID: ID0704509900
Darf ich Sie, nachdem Ihre Ausführungen sehr allgemein waren, fragen: War es eine bestimmte Lebens- und Berufserfahrung des Herrn Gaus — er war ja bekanntlich ausschließlich journalistisch tätig —, die ihn der Bundesregierung für sein künftiges Amt als besonders geeignet erscheinen ließ, oder wurde er von der Bundesregierung nicht vielmehr auf Grund einer bestimmten Einstellung und Gesinnung ausgewählt?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0704510000
Herr Kollege, Sie irren in der Annahme, daß Herr Kollege Gaus nur journalistisch tätig gewesen ist. Ich wies darauf hin, daß er Programmdirektor im Rundfunk und Fernsehen gewesen ist. Er hat dort eine Verwaltung mit über 2 000 Mitarbeitern geleitet. Das ist also ein Punkt, der sicherlich auch für die verwaltungsmäßige Befähigung von Herrn Gaus spricht.
Ein Zweites. Die Bundesregierung hat Herrn Gaus berufen, weil sie davon überzeugt ist, daß er loyal und in überzeugender Weise die Interessen der Bundesrepublik vertreten kann.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704510100
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerlach.

Paul Gerlach (CSU):
Rede ID: ID0704510200
Gibt es sonst noch besondere staatspolitische oder dienstliche Interessen, auf Grund deren Herr Gaus entgegen aller sonstigen Gepflogenheit unmittelbar zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden ist?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0704510300
Herr Kollege, dies ist ein Irrtum; es ist nicht entgegen sonstigen Gepflogenheiten geschehen. Die Berufung von beamteten Staatssekretären kann nach Anhörung des Bundespersonalausschusses im Regelfall auf Lebenszeit erfolgen. Sie ist auch hier auf dem ordnungsgemäßen Wege erfolgt.




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704510400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wischnewski.

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0704510500
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß sich die Verwendung unseres früheren Kollegen Felix von Eckardt, der auch Journalist war, als Staatssekretär und als Vertreter der Interessen der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen in hervorragender Weise bewährt hat?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0704510600
Herr Kollege, ich bin mit Ihnen dieser Auffassung. Der Herr Bundeskanzler hat das auch in seinem Glückwunschtelegramm an Herrn von Eckardt anläßlich seines 70. Geburtstages zum Ausdruck gebracht.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704510700
Keine Zusatzfrage? — Dann komme ich zur Frage 56 des Abgeordneten Gerlach.

(Abg. Gerlach [Obernau] : Ich habe noch eine!)

— Nein, Sie haben nur zwei Zusatzfragen. Frage 56:
Welche Aufgaben und Funktionen innerhalb des Bundeskanzleramts wurden Staatssekretär Gaus übertragen?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten, diese Frage zu beantworten.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0704510800
Herr Kollege, Herr Gaus ist als Staatssekretär im Bundeskanzleramt derzeit mit den internen Vorbereitungen einer ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin beschäftigt. Ganz unabhängig von der Frage des Zeitpunkts, zu dem diese ständige Vertretung errichtet wird, sind schon jetzt umfangreiche Vorarbeiten notwendig.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704510900
Eine Zusatzfrage?

Paul Gerlach (CSU):
Rede ID: ID0704511000
Ich glaubte, meine beiden Fragen seien zusammengefaßt beantwortet worden.
Herr Staatssekretär, sind auf Grund der Tatsache, daß für den Leiter der ständigen Vertretung in der DDR eine B 11-Stelle bereitgestellt worden ist, Rückwirkungen auf die Bewertung von Stellen bei anderen Vertretungen zu erwarten?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0704511100
Herr Kollege Gerlach, die Bundesregierung legt großen Wert darauf — ich hoffe, auch Sie wollen dies durch Ihre Fragestellung nicht verwischen; ich gehe nämlich davon aus, daß die Opposition ebenso großen Wert darauf legt -, daß die Vertretung der Bundesrepublik bei der Regierung der DDR nicht mit anderen Vertretungen im Ausland zu vergleichen ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704511200
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerlach.

Paul Gerlach (CSU):
Rede ID: ID0704511300
Wenn das so ist,

(Parl. Staatssekretär Ravens: Es ist so!)

wäre es dann nicht für die Darstellung dieses Standpunkts, insbesondere des Standpunkts, daß die Bundesregierung an der Einheit der Nation festhält und die DDR nicht völkerrechtlich anerkennen will, überzeugender gewesen, den Leiter der ständigen Vertretung in der DDR statt dem Bundeskanzleramt dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen anzugliedern?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0704511400
Dies wäre nicht überzeugender gewesen. Überzeugend ist, daß der Vertreter der Bundesregierung dort angesetzt wird, wo die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit repräsentiert wird, d. h. beim Herrn Bundeskanzler.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704511500
Keine Zusatzfrage mehr? — Dann danke Ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, es ist etwas schwierig, in der Fragestunde fortzufahren. Ich weiß gar nicht, warum, denn normalerweise beginnt sie um 13 Uhr. Es hat sich doch nur um eine Verspätung von einer Viertelstunde gehandelt.

(Abg. Gerlach [Obernau] : Es waren 45 Minuten angekündigt!)

— Für den Redner, ja. Aber inzwischen ist doch über den Lautsprecher angesagt worden, daß die Fragestunde läuft. — Ist irgendein Fragesteller zu einem der folgenden Geschäftsbereiche schon im Saal? — Dann ziehen wir dessen Frage vor.

(Schriftführer Abg. Berger: Dr. Hupka ist anwesend!)

— Wo stehen Sie, Herr Dr. Hupka?

(Abg. Dr. Hupka: Frage 12!)

— Unter dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern?

(Abg. Dr. Hupka: Ja!)

— Herr Staatssekretär, würden Sie bitte die Frage von Herrn Dr. Hupka vorziehen. Dann könnte wenigstens diese Frage inzwischen beantwortet werden.
Ich rufe also die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Hupka aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf:
Hat die Bundesregierung die während der Fragestunde vom Bundesinnenminister freundlich aufgenommene Anregung, die ARD möge deutsche Sprachkurse für die Aussiedler einführen, der ARD übermittelt, und welche Antwort hat sie darauf erhalten?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704511600
Herr Kollege, der Bundesminister des Innern erörtert gegenwärtig mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft sowie dem Presse-und Informationsamt der Bundesregierung, welche geeigneten Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten unterbreitet werden können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704511700
Eine Zusatzfrage.




Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0704511800
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung einmal Gedanken darüber gemacht, welche Möglichkeiten man den Spätaussiedlern, die der deutschen Sprache nicht vollkommen mächtig sind und die deswegen berufliche Nachteile in Kauf nehmen müssen — das betrifft nicht nur Jugendliche, sondern natürlich auch die mittlere Generation —, überhaupt anbieten kann?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704511900
Herr Kollege, die obersten Bundes- und Landesbehörden sind gebeten worden, den Aussiedlern im Interesse ihrer zügigen beruflichen Eingliederung alle vertretbaren Erleichterungen zu gewähren, soweit für sprachabhängige Tätigkeiten der Stand der deutschen Sprachkenntnisse im Rahmen der Eignungsfeststellung besonders getestet wird. Das ist also eine solche Maßnahme, wie Sie sie im Auge haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704512000
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0704512100
Ich meine jetzt nicht Aufgaben, bei denen die deutsche Sprache gleichsam Voraussetzung ist, etwa hier bei Behörden, sondern überhaupt den Umgang mit der deutschen Sprache, weil dann die Aussiedler ja sehr benachteiligt sind; da kommen die Kinder zum Teil in die Förderschule, und in dem Augenblick, wo sie hier zusammen als Deutsche leben könnten, werden sie getrennt. Ich meine, hier sollte eine größere Offerte seitens der Bundesregierung angeboten werden, und ich frage, welche Möglichkeiten die Bundesregierung in dieser Richtung schon erwogen hat.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704512200
Herr Kollege, gerade das ist auch Gegenstand der Prüfung, von der ich am Anfang gesprochen habe.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704512300
Keine weitere Zusatzfrage. Dann danke ich Ihnen vorerst, Herr Staatssekretär.
Wir können jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit zurückkehren. — Ich rufe die Frage 43 der Frau Abgeordneten Dr. Riedel-Martiny auf:
Hält die Bundesregierung angesichts der Ergebnisse des diesjährigen Gesundheitsberichtes, demzufolge ein nennenswerter Prozentsatz der Schulkinder ohne Frühstück zur Schule geht, Maßnahmen gegen dieses Fehlverhalten für angebracht, und ist insbesondere daran gedacht, die Subvention der Schulmilch wieder aufleben zu lassen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704512400
Frau Kollegin Dr. Riedel-Martiny, die Bundesregierung hat das Ergebnis der zahlreichen Schulbrottests, nach dem etwa jedes vierte oder fünfte Kind ohne Frühstück zur Schule kommt, zum Anlaß genommen, gezielt die verantwortlichen Stellen, d. h. insbesondere die Eltern, Schulbehörden und Lehrer auf die Zweckmäßigkeit eines ernährungsphysiologisch einwandfreien Schulfrühstücks hinzuweisen. Sie wird diese Aufklärungsarbeit verstärkt fortsetzen
und hierbei berücksichtigen, daß nach den Untersuchungen des 2. Ernährungsberichts die Versorgung der Schulkinder mit Vitamin B 1 und Calcium nicht immer ausreichend ist und diesem Mangel wirkungsvoll durch die Verabreichung eines Schulbrotes in Verbindung mit einer Schulmilchspeisung abgeholfen werden könnte. Die Bundesregierung bemüht sich außerdem, die Ergebnisse des 2. Ernähnungsberichts der Öffentlichkeit zugänglich und bewußt zu machen.
Da die hohe gesundheitliche Bedeutung eines Schulmilchfrühstücks außer Frage steht, bedauert es die Bundesregierung, daß mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen alle Bundesländer die früher gewährte staatliche Beihilfe zur Schulmilchverbilligung gestrichen haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704512500
Eine Zusatzfrage!

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0704512600
Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß nach dem Absatzfondsgesetz die CMA mit vielen Millionen an Subventionen gefördert wird. Erwägt die Bundesregierung eine Umstrukturierung dieser Subventionen zugunsten beispielsweise der Schulmilchsubventionierung?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704512700
Frau Kollegin, Sie sprechen von einem Etattitel, der nicht zu dem Etat gehört — —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704512800
Es wäre nett, wenn sich hier zwei Fachleute unterhalten, wenn die anderen erfahren würden, was CMA heißt.

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0704512900
Der zentrale Absatzfonds für Agrarerzeugnisse.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704513000
Danke schön.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704513100
Frau Kollegin, Sie sprechen von einem Etattitel, der zum Etat eines anderen Ministeriums gehört, nämlich dem Landwirtschaftsminister. Dennoch ist hier natürlich eine Frage angesprochen, die unter den Gesichtspunkten der Verbraucherpolitik interessant ist, die auch für das Ministerium, das ich hier zu vertreten habe, eine gewichtige Aufgabenstellung ist. Soweit es sich um die Frage der Aufklärung handelt, fördert das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die zuständigen Institutionen, die sich redlich darum bemühen, den in Frage kommenden Verbraucherkreis — nämlich Eltern, Lehrer und Schulbehörden — zu informieren, was zu einem guten Schulfrühstück erforderlich ist.
Wegen der Subventionen müßte ich Ihnen vorschlagen, den Landwirtschaftsminister zu fragen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704513200
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Dr. Riedel-Martiny.




Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0704513300
Teilen Sie meine Ansicht, Herr Staatssekretär, daß eine Werbemaßnahme für Butter, die nicht gesund ist, weil alle zu fett essen, weit weniger sinnvoll ist als eine Werbemaßnahme für Milch?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704513400
Aus Gründen, die nicht für die Produkte, sondern für den Ernährungswert dieser beiden Dinge sprechen, möchte ich nichts gegen Butter sagen, aber vieles für Milch.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704513500
Keine Zusatzfrage. — Dann komme ich zur Frage 42 des Abgeordneten Freiherr von Fircks:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Übernahme der Kosten, die im Rahmen der Förderung jugendlicher Spätaussiedler durch die Erteilung von Volksschulunterricht in den Förderschulen entstehen, von den kommunalen Sozialhilfeträgern vielfach unter dem Hinweis darauf abgelehnt wird, daß der Besuch einer Förderschule mit dem Ziel, den Volksschulabschluß zu erreichen, nach dem Sozialhilferecht nicht als förderungswürdig anzusehen sei?
Herr Staatssekretär, darf ich bitten?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704513600
Ich möchte vorweg betonen, daß der Besuch von Förderschulen durch jugendliche Spätaussiedler, die ihren Volksschulabschluß erreichen wollen, förderungswürdig und aus öffentlichen Mitteln zu fördern ist.
Soweit zwischen den zuständigen Stellen unterschiedliche Auffassungen über die Kostenträgerschaft bestehen, wird diese Frage aber nicht zu Lasten der Förderschüler ausgetragen, gleichgültig, ob sie zunächst Leistungen nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen jugendlicher Zuwanderer, das heißt aus dem sogenannten Garantiefonds, oder von der Sozialhilfe erhalten.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat in einem Rundschreiben vom 15. Februar 1973 an die obersten Landesjugendbehörden und die obersten Landessozialbehörden die Auffassung vertreten, daß die im Rahmen der Sozialhilfe gewährte Ausbildungshilfe gemäß § 31 Bundessozialhilfegesetz auch die Kosten für den Besuch der Förderschule mit dem Ziel des Volksschulabschlusses einschließe, wenn die sonstigen Voraussetzungen der Sozialhilfe vorliegen. Die Leistungen aus dem sogenannten Garantiefonds seien deshalb nachrangig. Die obersten Landessozialbehörden meinen dagegen, daß der Gesetzeswortlaut des § 31 BSHG den Förderschulbesuch in den genannten Fällen nicht abdeckt. Diese Auslegungsschwierigkeiten können aber durch eine entsprechende gesetzliche Änderung des § 31 BSHG überwunden werden. Bei der Beratung des zur Zeit in den Bundestagsausschüssen anhängigen Gesetzentwurfs einer Dritten Novelle zum BSHG wird eine neue Formulierung zur Ergänzung des § 31 BSHG vorgeschlagen werden können.
Solange die jetzige Rechtslage besteht und auch nicht andere gesetzliche Ausbildungsbeihilfen eingreifen, werden auf jeden Fall die nach dem sogenannten Garantiefonds auch bisher schon gewährten Leistungen weiterhin erbracht.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704513700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0704513800
Herr Staatssekretär, ich verstehe Sie also richtig, daß Spätaussiedler nach Auffassung der Bundesregierung nach dem Sozialhilfegesetz zu fördern sind, auch wenn sie eine Förderschule oder sprachliche Kurse besuchen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Arbeitsaufnahme stehen, sondern deren Unterricht sich am Stoff und an den Methoden des Volksschulunterrichts mit dem Ziel einer sprachlichen Eingliederung orientiert, ohne jedoch direkt das Abschlußzeugnis der Volksschule zu erstreben, weil dies oft der strittige Punkt zwischen den Sozialämtern und den Trägern der Förderschuleinrichtungen ist?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704513900
Herr Abgeordneter, Sie verstehen mich richtig. Nach Auffassung der Bundesregierung fällt das unter die Förderungsmöglichkeiten des § 31 BSHG. Dies wird von einigen Ländern bestritten. Deswegen müssen wir eine Klärung herbeiführen, die sich letztlich durch die Änderung des § 31 BSHG erreichen läßt. In der Zwischenzeit tritt unser Garantiefonds, also Mittel aus dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, ein, um auf alle Fälle mit Förderungsmitteln zur Verfügung zu stehen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704514000
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0704514100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie nach Ihrer soeben gegebenen Auskunft zur Verdeutlichung der Dringlichkeit der gesetzlichen Neufassung, von der Sie sprachen, noch fragen, ob es die Bundesregierung auch für absolut unbefriedigend und dringend verbesserungsbedürftig hält, wenn heute noch, das heißt Ende Mai 1973, ein Oberstadtdirektor der größten Industriestadt Niedersachsens erst den Regierungspräsidenten fragen muß — ich zitiere wörtlich —,
1. ob das Land Niedersachsen weiterhin untätig bleiben will für die sprachliche und kulturelle Bildung der nicht mehr schulpflichtigen Spätaussiedler.
2. Wer ist Kostenträger für nicht mehr schulpflichtige Spätaussiedlerkinder, die in einer Förderschule den Volksschulabschluß erlangen wollen, weil sie diesen im Herkunftsland nicht erreichen konnten?
3. Wo können Spätaussiedler die unverzüglichen und zweckdienlichen Informationen sowie die individuelle Beratung über Bildungsfragen im Sinne der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz erhalten?




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704514200
Herr Kollege, wenn ich den Sinn Ihrer Fragestellung noch vom Anfang her richtig in Erinnerung habe, muß ich sagen, daß es sich um eine Auslegungsstreitigkeit zwischen einer örtlichen Behörde und einer Landesbehörde handelt. Wir liegen im Auslegungsstreit zwischen Bundes- und Landesbehörden. Lassen Sie uns uns auf diesen Teil des Streites beschränken.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0704514300
Nur sind der leidende Teil die jetzt noch nicht — —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704514400
Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks, Ihre zweite Zusatzfrage war schon sehr reichhaltig. Wir können es jetzt dabei bewenden l assen.
Herr Abgeordneter Dr. Hupka!

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0704514500
Herr Staatssekretär, plant die Bundesregierung bei der Dritten Novelle zum BSHG eine Initiative in dem Sinne, den Sie eben hier als notwendig angedeutet haben?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0704514600
Herr Kollege Hupka, das Problem ist, daß die Bundesregierung ihre Dritte Novelle bereits in den parlamentarischen Gang gegeben hat. Insofern kann es sich nur darum handeln, daß die Bundesregierung freundliche Abgeordnete findet, die sich dieser Sache annehmen, aber ich bin ganz sicher, daß ich sie auf allen Seiten des Hauses finden werde.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704514700
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Scheu auf:
Treffen Meldungen zu, daß die militant neonazistische Gruppe der „Aktion Neue Rechte" des ehemaligen Stellvertretenden NPD-Vorsitzenden Siegfried Pöhlmann im Fichtelgebirge, und zwar im Haus „Epprechtstein", ein Schulungszentrum eröffnet hat, und kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, ob sie die Absicht und Möglichkeit hat, gegen diesen Versuch vorzugehen, bei dem Kader- und Basisgruppen nach dem Vorbild der französischen Neofaschisten der „Ordre Nouveau" (Neue Ordnung) aufgebaut werden sollen und des weiteren ein Sicherheitsdienst als Schlägertruppe für Versammlungen und Kundgebungen schon zur Verfügung stehen soll, der erstmals im März dieses Jahres hei einer internationalen Faschistentagung in München aufgetreten ist?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704514800
Herr Kollege, der Bundesregierung ist über die in Ihrer Frage angesprochenen Aktivitäten der Aktion Neue Rechte — ANR — folgendes bekannt:
Die rechtsextreme ANR hat im Haus „Epprechtstein" im Fichtelgebirge ein sogenanntes Schulungszentrum für ihre Mitglieder eingerichtet. Seit Beginn des Jahres 1973 werden dort Kurse für die Mitglieder durchgeführt. Ziel dieser Schulungstätigkeit ist die Heranbildung von „Basisgruppen", „Kadergruppen" und „Kampfkadern". Die ANR hat nach dem Vorbild der französischen rechtsextremen Organisation „Ordre Nouveau" einen „Sicherheitsdienst" aufgebaut, der zum erstenmal bei der Bundesversammlung der ANR am 6.17. Januar 1973 in München in Erscheinung trat. Dabei ist es nicht zu irgendwelchen Ausschreitungen gekommen. Von einem Auftreten des „Sicherheitsdienstes" anläßlich einer internationalen Faschistentagung in München im März 1973 ist der Bundesregierung nichts bekannt.
Die Bundesregierung hat die obengenannten Erkenntnisse im wesentlichen bereits im Informationsdienst des Bundesministeriums des Innern „Innere Sicherheit" vom 10. April 1973, Nr. 16, veröffentlicht.
Diese und andere Aktivitäten der ANR werden von der Bundesregierung weiterhin sorgfältig beobachtet. Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, daß Rechtsverletzungen durch die ANR — ebenso wie durch andere rechts- und linksradikale Gruppen — nicht hingenommen werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704514900
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Scheu.

Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0704515000
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß solche Ausbildungsstätten nicht erst dann gefährlich werden, wenn die Schläger schlagen, sondern daß man sie sehr vorausschauend beobachten muß?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704515100
Die Bundesregierung ist mit Ihnen der Meinung, daß eine solche „Ausbildungsstätte" sehr sorgfältig beobachtet werden muß.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704515200
Keine weitere Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, inzwischen ist es halb zwei. Es wird sich inzwischen herumgesprochen haben, daß Fragestunde ist. Aber gerade höre ich, daß der Kollege Egert anwesend ist. Ich rufe seine Fragen hiermit auf — es sind die Fragen 8 und 9 —:
Welchen Anteil hat die Umweltforschung am Forschungsprogramm der Bundesregierung, und auf welche speziellen Gebiete erstrecken sich die Umweltforschungsvorhaben?
Inwieweit findet eine Abstimmung mit den daneben an den Universitäten laufenden Forschungsvorhaben statt?
Herr Staatssekretär, ich bitte um die Beantwortung.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704515300
Der Anteil der Umweltforschung an den Forschungsvorhaben der Bundesregierung läßt sich unter anderem deshalb nicht exakt ermitteln, weil neben Vorhaben, die ausschließlich Zwecken des Umweltschutzes und der Umweltvorsorge dienen, eine Vielzahl von Projekten gefördert wird, deren Forschungs- bzw. Entwicklungsziel unter anderem in einer geringeren Belastung der Umwelt besteht.
Auf der Grundlage des Regierungsentwurfs für den Bundeshaushalt 1973 sind für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben insgesamt rund 4,3 Milliarden DM vorgesehen. Davon entfallen bei Anlegung strenger Maßstäbe rund 75 Millionen DM unmittel-



Parl. Staatssekretär Baum
bar auf den Umweltbereich. Dies entspricht einem Anteil von rund 1,75 oho. Im weiteren Sinne entfällt jedoch ein erheblich höherer Anteil auf Forschungs-und Entwicklungsvorhaben, die für Umweltschutz und -vorsorge von Bedeutung sind.
Die Bundesregierung veranlaßt oder unterstützt im Rahmen ihres Umweltprogramms vom 29. September 1971 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in allen Umweltbereichen. Die Zielvorstellungen und Initiativen zur Umweltforschung sind im Bundesbericht Forschung IV — Bundestagsdrucksache VI/3251 — festgelegt.
Ich bin gern bereit, Herr Kollege, Ihnen nach Verabschiedung des Bundeshaushalts 1973 weitere Einzelheiten über die Forschungs- und Entwicklungsprogramme der Bundesregierung im Umweltbereich mitzuteilen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704515400
Eine Zusatzfrage.

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID0704515500
Herr Staatssekretär, meine Fragen, insbesondere die Frage 9, zielten dahin, inwieweit eine Abstimmung mit den Umweltforschungsvorhaben an den Universitäten stattfindet. Aus ihrer Antwort habe ich nur entnehmen können, was direkt von der Bundesregierung an Aufträgen in diesem Bereich vergeben wird. Gibt es dort eine Abstimmung, bzw. strebt die Bundesregierung eine Abstimmung an?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0704515600
Herr Kollege, ich komme zur Beantwortung Ihrer Frage 9. Eine Abstimmung mit den Forschungsvorhaben der Hochschulen und Universitäten ist für den gesamten Umweltbereich zur Zeit nicht gegeben. In grundsätzlichen Angelegenheiten der Umweltforschung ist jedoch eine Abstimmung durch regelmäßige Konsultationsgespräche mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft sichergestellt. Darüber hinaus ist beabsichtigt, durch Einrichtung eines Umweltforschungsregisters im Umweltbundesamt, in dem alle umweltrelevanten Forschungsvorhaben des Bundes und der Länder — einschließlich der Hochschulen — nachgewiesen und ausgewertet werden können, vorhandene Forschungskapazitäten im Umweltbereich optimal zu nutzen und überflüssige Doppelarbeit zu vermeiden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704515700
Keine Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, ich bin dafür, daß wir jetzt wie üblich verfahren. Wir kommen jetzt zu den Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Walther. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.

(Günzburg, 7 des Abgeordneten Freiherr von Fircks und 11 und 12 des Abgeordneten Büchner Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit zurück. Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Dr. Nölling. — Er ist nicht im Saal. Die beiden Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke den beiden Herren Staatssekretären, daß sie sich in der schwierigen Situation in dieser Weise zur Verfügung gestellt haben. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Lambinus auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Zulassung von Fahrzeugen, die zur gewerblichen Weitervermietung an Selbstfahrer vorgesehen sind, davon abhängig zu machen, daß Sicherheitsgurte zumindest für die Benutzer der Vordersitze angebracht sind? Bitte sehr, Herr Staatssekretär! Herr Kollege, ab 1. Januar 1974 müssen die Vordersitze von Personenkraftwagen, die von diesem Tage ab neu in den Verkehr kommen, mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sein. Das gilt selbstverständlich auch für Selbstfahrer-Vermietfahrzeuge. Die obligatorische Nachrüstung von Altfahrzeugen mit Sicherheitsgurten ist zur Zeit nicht beabsichtigt. Hiervon im Falle der Selbstfahrer-Vermietfahrzeuge abzuweichen, besteht schon deshalb kein Anlaß, weil durchweg nur neuwertige Fahrzeuge als Selbstfahrer-Vermietfahrzeuge verwendet werden. Es kann also davon ausgegangen werden, daß schon nach relativ kurzer Zeit die Vordersitze aller Selbstfahrer-Vermietpersonenkraftwagen mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sein werden. Keine Zusatzfrage. Die Frage 45 des Abgeordneten Milz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen zu Frage 46 des Abgeordneten Dr. Evers. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie und für das Postund Fernmeldewesen. Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Vahlberg auf: Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, wieviel Projekte, die mit dem Programm zur .Förderung der marktnahen Entwicklung auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung" gefördert werden, erfolglos abgebrochen werden? Bitte, Herr Staatssekretär! Herr Abgeordneter Vahlberg, die Bundesregierung fördert marktnahe Entwicklungen auf dem Gebiet der EDV in zwei Bereichen: erstens marktnahe technische Entwicklungen seit dem Jahre 1967 — bisher wurden insgesamt 220 Vorhaben gefördert — und zweitens AnwendunParl. Staatssekretär Hauff gen der EDV in der gewerblichen Wirtschaft seit dem Jahre 1970 — insgesamt wurden bisher 125 Vorhaben gefördert —. In 16 Fällen wurde die Förderung eingestellt. Die Gründe dafür waren Nichteinhaltung der Bewilligungsbedingungen, unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Realisierung und eine veränderte Marktsituation. Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Vahlberg auf: Gibt es Untersuchungen darüber, wieviel der abgebrochenen Projekte unter neuer Bezeichnung ein weiteres Mal gefördert werden? Die Bundesregierung ist ein einziger derartiger Fall bekannt. Wenn ein Vorhaben nach Änderung der Zielsetzung oder Modifikation des Lösungswegs wieder erfolgversprechend und förderungswürdig erscheint, kann es erneut in die Förderung aufgenommen werden. Keine Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 49 des Abgeordneten Schedl. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vokkenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage 1 abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Ich rufe die Frage 51 der Abgeordneten Frau Meermann auf. — Die Frau Abgeordnete ist nicht im Saal. Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Engholm auf: Ist die Bundesregierung künftig bereit, bei der Vergabe öffentlicher Mittel für die berufliche Bildung nur Ausbildungsstätten gemeinnütziger Träger zu fördern, deren Satzung die Erzielung von Gewinn ausschließt, die nicht überwiegend den spezifischen Zwecken eines Unternehmens oder Verbands dienen, die jedem freien Zugang ermöglichen und in denen eine Mitbestimmung aller Betroffenen, d. h. auch der Lehrenden, Lernenden und Gewerkschaften, gewährleistet ist? Bitte sehr, Herr Staatssekretär! Herr Kollege Engholm, Bundesmittel zur Förderung der beruflichen Bildung wurden bisher schon im wesentlichen nach den in Ihrer Frage genannten Kriterien vergeben. Offengeblieben ist die Förderungsvoraussetzung eines freien Zugangs zu den Bildungseinrichtungen sowie die Mitbestimmung oder Mitwirkung aller Betroffenen. Die Bundesregierung bereitet für die kommenden Jahre die Durchführung eines Schwerpunktprogrammes zur Behebung des dringendsten Bedarfs an überbetrieblichen beruflichen Ausbildungsplätzen vor. In noch zu erlassenden Richtlinien sollen nach Abstimmung mit allen Beteiligten die von Ihnen angesprochenen Fragen des Zugangs und der Beteiligung aller Betroffenen geregelt werden. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engholm. Herr Staatssekretär, ist damit zu rechnen, daß dieser einheitliche Kriterienkatalog ab Januar 1974 angewendet werden kann? Herr Kollege Engholm, ich kann Ihnen das sicher zusagen. Ich konnte heute vormittag an der Sitzung des Bundesausschusses für berufliche Bildung teilnehmen. Der Entwurf für diese Richtlinien ist dem Bundesausschuß bereits zugeleitet und wurde heute dort behandelt. Er wird zur Zeit mit den Bundesländern und mit anderen Ressorts abgestimmt. Ich kann Ihre Frage also mit einem klaren Ja beantworten. Eine zweite Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, wann wird die Bundesregierung dem Parlament bekanntgeben, wie ihre mittelund langfristigen Überlegungen zum Ausbau der überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen aussehen? Herr Abgeordneter, ich habe das Schwerpunktprogramm soeben schon erwähnt. Ihnen ist bekannt, daß dafür im Bundeshaushalt 1974 30 Millionen DM vorgesehen sind. Für die Jahre 1975 und 1976 sind es je 75 Millionen DM, so daß sich in den nächsten drei Jahren eine Gesamtsumme von 180 Millionen DM ergibt. Wir brauchen zunächst die Richtlinien, auf die sich Ihre Frage richtete, und sind in Abstimmung mit dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin und einer eigens dafür eingerichteten Standortforschungsgruppe dabei, die geeigneten Standorte für solche Einrichtungen festzulegen. Keine weiteren Zusatzfragen. Herr Staatssekretär, wir kommen zur Frage 51 der Abgeordneten Frau Meermann zurück. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um ein besseres Angebot für den Französischunterricht zu erreichen und den unbefriedigenden derzeitigen Zustand zu ändern, daß nur 8000 deutsche Schüler Französisch als erste Fremdsprache lernen, während eine halbe Million französischer Schüler mit Deutsch beginnen? Frau Kollegin Meermann, nach § 13 des Abkommens zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Schulwesens in der Neufassung vom 14. Oktober 1971 ist es möglich, im Gymnasium Französisch als erste Fremdsprache anzubieten. Die Durchführung im einzelnen ist Angelegenheit der Länder, zumal auch örtliche VerParl. Staatssekretär Zander hältnisse und die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen berücksichtigt werden müssen. Bei der kurzen Zeitspanne seit Inkrafttreten der Neufassung kann aber angenommen werden, daß die zunächst noch geringe Zahl der Schüler, die Französisch als erste Fremdsprache wählen, in den nächsten Jahren zunehmen wird. Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Meermann. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich einige Länder nicht an die geänderte Fassung des Hamburger Abkommens gebunden fühlen und daß andere sich zwar gebunden fühlen, daß die Wahlmöglichkeit also de jure vorhanden ist, aber andererseits diese Wahlmöglichkeit durch administrative Maßnahmen de facto häufig verhindert wird? Ja, es gibt solche Fälle, aber ich darf auch hier auf den kurzen Zeitraum seit Inkrafttreten der geänderten Fassung hinweisen. Möglicherweise sind solche Schwierigkeiten darauf zurückzuführen. Insgesamt ist die Wahlmöglichkeit erweitert worden. Keine Zusatzfrage. Wir kommen zu Frage 53 des Abgeordneten Dr. Evers. — Er ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Ziegler auf: Kann die Bundesregierung erläutern, unter welchen Gesichtspunkten einzelne Gruppen von Arbeitnehmern bevorzugt in den Genuß von bezahltem Bildungsurlaub kommen sollen, wie es der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Pressemeldungen zufolge angedeutet hat? Darf ich Sie um die Beantwortung bitten, Herr Staatssekretär. Herr Kollege Ziegler, es gibt zur Zeit in einigen Länderparlamenten Bestrebungen zur Einführung von Bildungsurlaub für jugendliche Arbeitnehmer. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat im Zusammenhang mit diesen Bestrebungen Überlegungen geäußert, die darauf abzielen, bei einer schrittweisen Einführung des Bildungsurlaubs auch andere Arbeitnehmergruppen mit in die Überlegungen einzubeziehen. Die Bildungsurlaubsbestimmungen im Betriebsverfassungsgesetz und im Entwurf eines Gesetzes über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zeigen zusätzliche Gesichtspunkte, die bei solchen gesetzlichen Einzelregelungen beachtet werden könnten. Die von mir genannten Beispiele zeigen die Richtung der Überlegungen an. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ziegler. Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort folgern, daß die Bundesregierung von sich aus nicht beabsichtigt, in absehbarer Zeit konkrete Vorschläge für weitere Gruppen von Arbeitnehmern vorzulegen? Dies können Sie daraus ganz und gar nicht folgern; denn ich sagte Ihnen, daß es Überlegungen darüber gibt, welche Gruppen in Verfolgung der Linie einzubeziehen sind, die durch das Betriebsverfassungsgesetz und das Betriebsärztegesetz gezogen worden ist. Eine zweite Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollten Sie die Regelung, die Sie im Auge haben, in erster Linie den Ländern überlassen. Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, über das, was im Betriebsverfassungsgesetz angesprochen ist, von sich aus Vorschläge zu machen. Nein, das ist nicht richtig. Ich habe darauf hingewiesen, daß es in einigen Landesparlamenten Initiativen gibt, Bildungsurlaub für jugendliche Arbeitnehmer einzurichten. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob ergänzend dazu über das hinaus, was vom Bund her im Betriebsverfassungsgesetz und im Gesetz über Arbeitssicherheit und Betriebsärzte bereits vorhanden ist, für weitere spezielle Arbeitnehmergruppen, deren Funktion und Tätigkeit von besonderem öffentlichen Interesse ist, wie etwa die Betriebsräte, zusätzlich Regelungen eingeführt werden sollen. Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Meine Damen und Herren, diese Fragestunde zeichnet sich mangels Anwesenheit von Fragestellern und mangels Elan zur Stellung von Zusatzfragen durch besondere Kürze aus. Wir sind also bereits am Ende der Fragestunde angelangt. Da die Redner für die Haushaltsdebatte noch nicht da sind, da sie sich wohl erst auf 14 Uhr eingerichtet haben, unterbreche ich die Sitzung des Deutschen Bundestages bis 14 Uhr. (Unterbrechung der Sitzung von 13.45 Uhr bis 14.07 Uhr.)

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID0704515800
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704515900
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0704516000



Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704516100
Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0704516200
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704516300
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704516400
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704516500
Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0704516600
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704516700
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704516800
Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0704516900
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704517000
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704517100
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704517200



Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704517300
Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0704517400
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704517500
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704517600
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704517700
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704517800
Erich Ziegler (CSU):
Rede ID: ID0704517900
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704518000
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704518100
Erich Ziegler (CSU):
Rede ID: ID0704518200
Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0704518300
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704518400

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704518500
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort, und zwar mit der Beratung des Einzelplans 09.
Wortmeldungen liegen nicht vor oder sind zurückgezogen. Änderungsanträge liegen ebenfalls nicht vor. Ich komme damit zur Abstimmung über den Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksache 7/729.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —



Vizepräsident Dr. Jaeger
Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/730 —
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Röhner.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704518600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Beratung des Agrarhaushalts zum Anlaß nehmen, um in der heute gebotenen Kürze einige aktuelle Probleme anzusprechen. Ich halte dies für notwendig, weil man, wenn man die derzeitige öffentliche agrarpolitische Diskussion beobachtet, den Eindruck gewinnen kann, daß in weiten Kreisen der Öffentlichkeit zunehmend die Auffassung Platz greift, unsere Agrarprobleme seien heute so gut wie gelöst. Zwangsläufig müssen sich daraus Schlüsse, nämlich falsche Schlüsse, ergeben, etwa dann, wenn die hohen Steigerungsraten bei den Nahrungsmittelpreisen diskutiert werden.
Der Herr Kollege Wehner hat gestern in einem Debattenbeitrag auf dieses Problem hingewiesen. Er sprach dabei von einer bitteren Notwendigkeit — so sagte er wörtlich — und meinte damit eine Überprüfung der Agrarpreispolitik im kommenden Herbst. Ich möchte den Herrn Bundeslandwirtschaftsminister fragen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist nicht da!)

welche Auffassung er zu der hier geäußerten Meinung des Fraktionsvorsitzenden der SPD hat. Vielleicht kann er im Verlauf der Debatte gerade zu diesem Punkt, zu diesem Agrarpreisproblem, noch seine Meinung sagen.

(Abg. Dr. Ritz: Sehr gut! — Kein Minister ist da! Hauptsache, er kommt noch!)

Ich bin außerdem der Meinung, es können auch dann falsche Schlüsse gezogen werden, wenn es um die Einführung stabilitätspolitischer Maßnahmen geht. Unsere Aufgabe kann es nicht sein, uns gerade bei Haushaltsberatungen und bei Haushaltsverabschiedung von kurzfristigen, momentan günstigen oder ungünstigen Entwicklungen täuschen zu lassen und die kurzfristigen Lösungen über die langfristigen Lösungen zu stellen. Ich bin der Meinung, gerade der Agrarbereich ist ein typisches Beispiel dafür, wie leicht man dieser Gefahr erliegen kann. Die Landwirtschaft, die viel weniger als andere Bereiche in der Lage ist, Kostensteigerungen weiterzuwälzen, hat ein besonderes Interesse daran, daß wir zu einer stabileren Preisentwicklung zurückkehren.

(Abg. Dr. Ritz: Sehr wahr!)

Wenn man hier Wertungen vornimmt, ist es aber ungut und irgendwo auch Augenwischerei, wenn man die kurzfristigen Entwicklungen eines einzigen Jahres im Agrarbereich einseitig herausstellt, den langfristigen Trend der letzten zehn Jahre übersieht
und dann stabilitätspolitische Forderungen ausgerechnet an den Agrarerzeugerpreisen aufhängen will.
Ein zweites möchte ich hier ansprechen. Der Agrarhaushalt 1973 ist gegenüber dem Agrarhaushalt 1972 mit einem Mehrbetrag von rund 900 Millionen DM ausgestattet worden. „Bravo" rufen da die einen, und ich erinnere mich noch an eine Debatte in diesem Hohen Hause vor einigen Wochen, wo, natürlich nicht mit den gleichen Worten, aber in ähnlicher Tonart der Bundeswirtschaftsminister Friderichs in dieses Horn geblasen hat. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in aller Nüchternheit feststellen: Diese Erhöhungen im Agrarhaushalt kommen ausschließlich dem Sozialbereich zugute. Erstens wird hier sichtbar, daß der Agrarbereich mehr und mehr in das allgemeine soziale System einbezogen wird. Und zweitens sollte man darüber nicht vergessen, daß diese Mehraufwendungen in der Agrarsozialpolitik weitgehend von der Landwirtschaft selbst finanziert werden, und zwar insofern, als hier die Mittel, die beim Währungsausgleich degressiv eingespart worden sind, teilweise wieder angelegt worden sind.
Lassen Sie mich dazu noch eine Bemerkung machen. In der Hauptsache kommen diese Maßnahmen — ich darf es einmal so nennen — den Inaktiven in der Landwirtschaft zugute, und das ist richtig und das ist gut so. Aber wir dürfen darüber nicht die Probleme der aktiven Unternehmer vergessen. Wenn es das programmierte Ziel der Regierung ist — siehe Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 —, eine leistungsfähige Landwirtschaft im eigenen Lande zu erhalten, dann müssen auch für die aktiven landwirtschaftlichen Unternehmer die notwendigen wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sicherlich, meine Damen und Herren, sind Einkommenskombinationen und der Übergang zum Zuerwerb eine Möglichkeit für einen Teil der landwirtschaftlichen Unternehmer, die keine Chance haben, in der Landwirtschaft zu wachsen. Wir dürfen aber auch hier nicht außer acht lassen, daß zwar viele Landwirte diesen Weg der Einkommenskombination gehen, daß aber nach wie vor dieser Weg für viele lediglich eine Übergangsphase darstellt. Wir dürfen vor allem nicht vergessen, daß im landwirtschaftlichen Bereich vom gesamten Produktionsvolumen unverändert 75 % aus den Haupt- und Vollerwerbsbetrieben stammen.
Deshalb und das soll meine dritte Bemerkung
sein — gehört es für mich zu einer mittelfristigen und zu einer langfristigen Haushaltspolitik für die Landwirtschaft, entsprechende Voraussetzungen für die investiven Maßnahmen zu schaffen. Die Bundesregierung — und die Debatte von gestern und heute drehte sich ja sehr oft um diesen Punkt — will nun im Zuge der Stabilitätspolitik eine Drosselung der Investitionen erreichen. Ich bin der Auffassung, wenn hier der Agrarbereich nicht ausgeklammert werden kann, muß zumindest die Priorität so gesetzt werden, daß garantiert ist, daß die einzelbe-



Röhner
trieblichen Initrativen des landwirtschaftlichen
Hauptunternehmers nicht beschnitten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Ich bin der Meinung, unsere landwirtschaftlichen Betriebe stehen in einem sehr harten Wettbewerb mit den Lieferanten aus den anderen EWG-Ländern. Diese EWG-Lieferanten haben bereits heute durch die unterschiedlichen Auf- und Abwertungen ganz erhebliche Wettbewerbsvorteile erhalten. Ein Beweis dafür ist z. B. das Stagnieren der Produktion in der Bundesrepublik Deutschland bei mehr oder weniger rücksichtsloser Ausdehnung der Produktion in den anderen Mitgliedstaaten, die dann wiederum mit ihren Produkten die deutsche Landwirtschaft aus dem eigenen Markt zu verdrängen versuchen.
Noch eine andere nicht uninteressante Feststellung möchte ich in diesem Zusammenhang machen. Es hat sich herausgestellt, daß die Kostenentwicklungen in den anderen EWG-Ländern trotz Abwertung oder trotz geringerer Aufwertungsrate und entgegen dem klassischen Modell nicht höher waren als in der Bundesrepublik. Daraus kann man doch nur einen Schluß ziehen: Das heißt doch schlicht und einfach, der in der Theorie — das wurde uns in diesem Hohen Haus ja auch wiederholt verkündet — erwartete größere Stabilitätseffekt der Aufwertung in der Bundesrepublik ist auch in diesem Bereich nicht eingetreten.
Damit ist, glaube ich, ein Stichwort gegeben, um ein weiteres Problem anzusprechen, das auch den Haushalt angeht. Es geht um die Frage des Aufwertungsausgleiches und um die Frage des Grenzausgleiches. Nach den EWG-Bestimmungen muß der Ministerrat im Laufe dieses Jahres darüber entscheiden, ob der Aufwertungsausgleich auch 1974 weiter gezahlt werden wird oder nicht.

(Abg. Dr. Ritz: Und in welcher Form!)

Die Bundesregierung selbst hat in ihrem Agrarbericht 1973 mehr als deutlich herausgestellt, daß die Einkommenssituation in der deutschen Landwirtschaft ohne den Direktausgleich erheblich schlechter sein müßte.
Wenn nun die Einkommensdirektzahlungen fortfallen, auf der Kostenseite keine Entlastungen, sondern im Gegenteil Erschwernisse zu erwarten sind und eintreten werden, dann muß das doch zwangsläufig die deutsche Landwirtschaft zu einer so gewaltigen Verschlechterung ihrer Einkommenslage bringen, daß sie wohl niemand in diesem Hohen Haus verantworten kann.

(Abg. Dr. Ritz: Sehr wahr!)

Dessen sollte sich nicht zuletzt auch unser Bundeslandwirtschaftsminister Ertl bewußt sein.

(Abg. Ritz: Er ist leider noch nicht da!)

Deshalb müssen wir auf die Fortführung des Aufwertungsausgleiches auch im Jahre 1974 und dar-
über hinaus bestehen. Sie ist für uns unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Ritz: Wo ist denn der Herr Bundesminister?)

Ich mochte --- auch in gebotener Kürze ---- ein weiteres Problem ansprechen, nämlich die beschlossene Erhöhung der Mineralölsteuer. Die Landwirtschaft ist über die Fläche verteilt. Beim Transport ihrer Produkte und Betriebsmittel ist sie stärker als mancher andere Wirtschaftsbereich auf das vorhandene Infrastruktur- und Verkehrsnetz, d. h. auf Lkw-Transporte, angewiesen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704518700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704518800
Ja, selbstverständlich.

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID0704518900
Herr Kollege Röhner, finden Sie es nicht eigenartig, daß der Minister nicht hier ist, obwohl sein Etat beraten wird, und meinen Sie nicht auch, daß er sich wie jeder andere Abgeordnete ebenfalls in Bereitschaft halten könnte?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704519000
Herr Kollege Schmitz, natürlich bedaure ich es, daß der amtierende Bundeslandwirtschaftsminister bei der relativ kurzen Zeitspanne, die für die Beratung des Agraretats zur Verfügung steht, offensichtlich nicht anwesend sein kann.

(Abg. Seiters: Vielleicht könnte dann der Staatssekretär hier sein!)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0704519100

Ich erkläre deshalb namens der Bundesregierung, daß wir die Probleme, die in der Landwirtschaft hier anstehen, beachten und daß wir sie an anderer Stelle, aber nicht in diesem Gesetz regeln.

(Abg. Dr. Ritz: Sehr richtig!)

Diese „andere Stelle" — Herr Staatssekretär, oder Herr Bundesfinanzminister, muß ich jetzt sagen, er ist leider auch nicht anwesend — kann doch nur der Agrarhaushalt sein, und ich entdecke in diesem Agrarhaushalt 1973 für diesen Schaden keinerlei Abbhilfe.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704519200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704519300
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.




Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704519400
Herr Kollege Röhner, wären Sie wenigstens so fair, hier zuzugeben, daß das Fernbleiben des Herrn Ministers lediglich darauf zurückzuführen ist, daß wir alle annahmen, zunächst werde noch einmal eine Runde über den Einzelplan 09 diskutiert?

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704519500
Herr Kollege Gallus, ich bin so fair, zuzugeben, daß ich nichts zugebe, was ich nicht weiß. Letzteres war mir nicht bekannt, infolgedessen kann ich hier auch keine Bestätigung aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zurück zur Mineralölsteuer. Ich entdecke, sagte ich, im Agrarhaushalt 1973 trotz dieser Inaussichtstellungen keine Abhilfe, obwohl — es geht hier nicht um die zusätzlichen Ansätze für die Dieselkraftstoffverbilligung, sondern um den sonstigen Kostenbereich — die zusätzlichen Belastungen, die aus der doppelten Erhöhung der Mineralölsteuer für die Landwirtschaft erwachsen sind, sich nunmehr auf 165 Millionen DM pro Jahr belaufen. Wenn jetzt der Herr Bundeslandwirtschaftsminister anwesend wäre, Herr Kollege Gallus, dann müßte ich an dieser Stelle sagen, daß zu diesem Punkt der mir von ihm in den letzten Tagen zugestellte Brief wegen der Mineralölsteuerbelastung im Zusammenhang mit dem LKW-Einsatz absolut unbefriedigend ist. Es ist für mich keine Lösung wenn der Minister — ich habe ihn angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten — lediglich zu antworten weiß, das gehe wegen verschiedener technischer Schwierigkeiten nicht. Hier geht es um eine zusätzliche echte Kostenbelastung, und das bedeutet eine zusätzliche Wettbewerbsverschlechterung der einheimischen Landwirtschaft gegenüber den EWG-Landwirtschaften.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte auf eine weitere Schwierigkeit hinweisen, die ich in diesem Bundeshaushalt — Einzelplan 10 — nicht berücksichtigt sehe; das ist die Frage der Landwirtschaft in den Problemgebieten. Auch aus Gründen des Umweltschutzes ist in diesen Regionen, die Beibehaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft nicht nur erforderlich, sondern sie stellt auch in wirtschaftlicher Hinsicht die billigste Lösung dar. Der EG-Ministerrat hat eine entsprechende Entschließung verabschiedet und wird in Kürze dazu Richtlinien und Verordnungen erlassen. Die Bundesregierung hat angekündigt, daß sie sich diesen Aufgaben nicht entziehen will. Dann muß aber auch für diesen Bereich, zumindest in einer mittelfristigen Finanzplanung, ein entsprechender Ansatz eingestellt, ein angemessener Beitrag bereitgestellt werden. Solche Ansätze sind notwendig, um den hier auftretenden sozialen Problemen in diesen Räumen gerecht zu werden, aber ebenso um, wie es in der Regierungserklärung heißt, die gepflegte Erholungslandschaft auch in Zukunft für Freizeiten und Urlaub geeignet zu erhalten.
Ich darf noch ein letztes Problem, das immer stärker nach einer Lösung drängt, hier aufzeigen. Es ist die Frage der Mitwirkung des Parlaments bei der Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben Agrarstruktur und Küstenschutz. Machen wir uns
nichts vor: Durch das neue Gemeinschaftsaufgabengesetz — wir haben es hier alle beschlossen — ist die Mitwirkung des Parlaments weitgehend zu einer Farce geworden.

(Abg. Dr. Ritz: Leider!)

Erst wenn sich die Exekutiven von Bund und Ländern auf ihren Mittelbedarf und auf die Einsatzpunkte geeinigt haben, wird der Bundestag und werden die Länderparlamente mit diesen Vorschlägen befaßt. Da hier ein sehr kompliziertes finanzielles Gebilde aufgebaut worden ist und Fristen zur Durchführung gesetzt sind, ist der Bundestag in einer ganz prekären Situation. Macht er nämlich von seinem Haushaltsrecht Gebrauch, dann gefährdet er praktisch für ein bis zwei Jahre die Durchführung des Vorschlags der Exekutiven. Dadurch wird der Bundestag in diesem Bereich zu einem reinen Ratifizierungsorgan herabgewürdigt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb bin ich der Meinung, daß die im Frühjahr 1973 neu gebildete Enquete-Kommission zur Verfassungsreform sich sehr ausführlich mit diesem Problem befassen muß und dabei das Ziel haben sollte, dem Bundestag in Zukunft wiederum ein stärkeres Recht zur Mitwirkung und zur Mitgestaltung im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben einzuräumen.
Meine Damen und Herren, ich sagte eingangs, daß man nach dem Verlauf der allgemeinen öffentlichen Diskussion vielfach zu der Meinung gelangen könnte, die drängenden Agrarprobleme seien heute mehr oder weniger gelöst. Die Absicht meines kur- I zen Beitrages war es, in einigen konkreten Punkten die unverändert ungelösten Existenzfragen unserer Landwirtschaft bewußt in einer Haushaltsdebatte anzusprechen. Ich verkenne nicht, daß die Agrarprobleme im Augenblick etwas in den Hintergrund getreten zu sein scheinen. Aber übersehen wir nicht: noch im Laufe dieses Jahres wird uns durch die Diskussion des Ministerrates, durch die Diskussion über die Neuorientierung der Agrarpolitik durch die Wirtschafts- und Währungsfragen, die neu vor uns stehen und einer Lösung bedürfen, allen sehr nachhaltig klargemacht werden, daß wir sehr rasch in Pflicht genommen werden und hier bald Antworten und Lösungen zu finden haben.

(Abg. Dr. Ritz: Sehr wahr!)

Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß wir zuerst und besser als bisher im Haushalt die Voraussetzungen zu schaffen haben, daß unsere Landwirtschaft, daß unsere ländliche Bevölkerung mit mehr Vertrauen und mehr Zuversicht in die Zukunft schauen kann als bisher.
Diese Voraussetzungen erfüllt nach der Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion •der vorgelegte Agrarhaushalt 1973 leider nicht. Wir werden deshalb diesem Etat unsere Zustimmung nicht geben können. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704519600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Löffler.




Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0704519700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Bemerkungen von Herrn Röhner zum Schluß seiner Ausführungen möchte ich meine Ausführungen damit beginnen, daß ich sage: Der Ihnen vorgelegte Einzelplan 10 beweist einmal mehr, mit welchem Ernst die Bundesregierung und die Fraktionen der Koalition die Verantwortung für die deutsche Landwirtschaft und für die ländlichen Räume in der Bundesrepublik Deutschland sehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Daran ändert — nebenbei gesagt, Herr Röhner — auch nichts, daß Sie versucht haben, mit einem feinen Besen einige Krümel zusammenzukehren, auf die ich später noch eingehen werde.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar zur Agrarpolitik gesagt:
Unser Ziel wird es bleiben, die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilnehmen zu lassen. Die Landwirtschaft muß zu einem gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirtschaft werden.
Das ist die programmatische Grundlage für die Agrarpolitik der sozialliberalen Koalition.
Heute liegen Ihnen in dem Einzelplan 10 einige Teile des konkreten Programmes, ausgedrückt und belegt durch Zahlen, vor. Aus der Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers ist bereits zu ersehen, daß niemand, Herr Röhner, wie Sie es von hier oben unterstellt haben, der Meinung ist, daß wir die Probleme der deutschen Landwirtschaft und der ländlichen Räume insgesamt schon gelöst hätten. Wir sind uns alle selbstverständlich bewußt, daß diese Aufgabe nicht in wenigen Jahren zu lösen sein wird. Sie wird wahrscheinlich eine ständige, eine immer-währende Aufgabe bleiben, und es wäre außerordentlich gut, wenn wir uns bei der Durchführung dieser Aufgabe etwas besser verständigen könnten.
Das agrarpolitische Ziel der sozialliberalen Koalition ist notwendig und wichtig. Jeder weiß aber auch, daß der Weg dahin außerordentlich schwer ist. Er ist schwer aus verschiedenen Gründen. Einmal ist er schwer, weil man vielleicht den heutigen Weg erst verhältnismäßig spät beschritten hat und deshalb — natürlich, Herr Dr. Ritz! — einige Entwicklungen, die jetzt mit ziemlicher Brisanz auf uns zukommen, in einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Jahren oder Jahrzehnten bewältigt werden müssen.

(Beifall bei der SPD.)

Der zweite Punkt ist, daß die Kompetenzen für den Gesamtbereich der Agrarpolitik, wie die Verhältnisse nun heute einmal sind, auf drei verschiedenen Ebenen liegen, einmal bei der EWG, einmal beim Bund und natürlich auch bei den Ländern. Das bringt eine Reihe objektiver Schwierigkeiten mit sich. Eine Schwierigkeit besteht z. B. darin, daß man einem der Kompetenzträger, nämlich dem Bund, ständig den agrarpolitischen Schwarzen Peter zuspielen möchte. Auch das, Herr Röhner, klang heute in Ihren Ausführungen an. Wir müssen uns, wenn
wir sachliche Agrarpolitik betreiben wollen, dazu bequemen, uns darüber zu verständigen, daß be- stimmte Maßnahmen in der EWG in Brüssel, andere wiederum im Lande beschlossen und durchgeführt werden. Man kann dann nicht für alle Folgeerscheinungen getroffener oder nicht getroffener Maßnahmen einseitig den Bund verantwortlich machen und gleichzeitig immer wieder die Forderung an den Bund stellen, er solle sparen, sparen, sparen. So kann man das, glaube ich, Herr Kollege Röhner und meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, nicht tun; das ist keine solide Agrarpolitik.
Sie haben hier zwei Anträge eingereicht, die dem Hause auf den Drucksachen 7/809 und 7/810 vorliegen. Wahrscheinlich wird dazu noch einiges gesagt werden müssen.
Da ich von den Kompetenzen gesprochen habe, muß man wohl feststellen, daß gerade der Bund in den letzten Jahren die ihm verbliebenen Kompetenzen so kräftig wie noch nie in der Geschichte der deutschen Agrarpolitik genutzt hat.

(Beifall bei der SPD.)

Ich darf kurz den Beweis für diese Feststellung antreten!

(Zuruf des Abg. Dr. Ritz!)

— Na, warten Sie doch erst ab, Herr Dr. Ritz! — In diesem Jahr werden für die Agrarpolitik rund 800 Millionen DM mehr als im Vorjahr aufgewendet. Diese enorme Steigerung kommt in erster Linie dem Ausbau des landwirtschaftlichen Sozialsystems zugute. Nun hat Herr Kollege Röhner gesagt: Na ja, das haben die Landwirte teilweise selber finanziert, und außerdem kommt es ja nicht mehr den aktiven, sondern den inaktiven Landwirten zugute.
Was das Argument der Selbstfinanzierung anlangt, so kann ich mich erinnern, daß es auch in früheren Jahren Ausgleichszahlungen für die deutsche Landwirtschaft gegeben hat, weil sich bestimmte europäische Regelungen für die deutsche Landwirtschaft sehr schädlich auswirkten. Nur haben sich diese Ausgleichszahlungen nicht in positiven Elementen einer anschließenden deutschen Agrarpolitik niedergeschlagen.
Was die inaktiven Angehörigen der deutschen Landwirtschaft angeht, so darf man doch nicht vergessen, daß die Altenlast, die die aktiven Landwirte tragen müssen, über 10 % des landwirtschaftlichen Einkommens beanspruchen. Wenn also für die Altenteiler einiges getan wird, dann haben auch die aktiven Landwirte davon einen Nutzen.
Um das Ausmaß dieser Entwicklung auf agrarsozialem Gebiet zu kennzeichnen, lassen Sie mich einige wenige Zahlen nennen. Von 1965 bis 1969 stiegen die Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik von 610 um 265 auf 875 Millionen DM. Im Haushaltsplan 1970 blieb es zunächst noch bei dieser Zahl. In diesem Jahr, also drei Jahre später, belaufen sich die Ausgaben für agrarsoziale Zwecke auf über 1,8 Milliarden DM, und im nächsten Jahr dürfte bereits die 2-Milliarden-DM-Grenze für diese Aufgaben überschritten werden. Das entspricht einer



Löffler
jährlichen Zunahme während der Regierung der sozialliberalen Koalition um rund 330 Millionen DM für die ländliche Sozialpolitik. Zum Vergleich nenne ich noch einmal, meine Damen und Herren von der Opposition, die Gesamtsteigerungsrate für den Vierjahreszeitraum von 1965 bis 1969: 265 Millionen DM.
Gestern hat Professor Carstens in seiner Rede die Leistungen vermißt, die den Anspruch der heutigen Bundesregierung rechtfertigen, eine Regierung der sozial Schwachen zu sein. Hier hat er eine solche Leistung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Er täte gut daran, wenn er sie sich von den Fachleuten seiner Fraktion noch näher erläutern lassen würde, damit ihm deutlich wird, welch ein großer Schritt nach vorn in der nationalen Agrarpolitik hier getan worden ist. Diese Zahlen drücken viel mehr als schöne Worte die Bereitschaft dieser Regierung aus, der Landwirtschaft zu helfen.
Dabei muß auch noch etwas anderes berücksichtigt werden, was ich hier nur in aller Vorsicht ansprechen möchte. Diese sozialen Mittel kommen den Berechtigten ungekürzt und direkt zugute. Das kann man von vielen agrarpolitischen Maßnahmen, die gefordert werden, und auch von einigen Mitteln aus den Ausgabengruppen des Einzelplans 10 nicht unbedingt sagen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß viele Forderungen, die unter Hinweis auf die Lage in der Landwirtschaft von verschiedenen Seiten erhoben werden, weniger den einzelnen Landwirten dienen als den vielen Branchen und Institutionen, die sich um die Landwirtschaft herum-ranken. Bei der Agrar- und Sozialpolitik ist das zum Glück anders. Deshalb ist es zu begrüßen, daß sich die Bundesregierung vorgenommen hat, in dieser Legislaturperiode die landwirtschaftliche Sozialsicherung weiter auszubauen. Die volle Unterstützung der Fraktionen der Koalition hat sie dabei.
In diesem Jahr ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" angelaufen. Der erste Rahmenplan für diese Aufgabe gilt seit dem 1. Januar 1973. Dieses Programm wird von der Bundesregierung mit 1,2 Milliarden DM bedient.
Bei der Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben ergeben sich einige Probleme. Auf ein Problem hat der Herr Kollege Röhner zu Recht hingewiesen. Es besteht darin, daß der von Bund und Ländern gemeinsam aufgestellte Rahmenplan dann, wenn der Bundeshaushalt beraten wird, bereits vorliegt. Änderungen wären wohl rein verfassungsrechtlich noch möglich, sind politisch aber fast undenkbar, denn jede Änderung brächte den ganzen wohlausgewogenen Plan durcheinander. Das Verhältnis zwischen Finanzzuweisung an die einzelnen Länder einerseits und den Aufwendungen für die einzelnen Maßnahmen andererseits würde durch nachträgliche Änderungen ganz empfindlich gestört werden. Man wüßte nicht, ob man den Plan noch einmal mit den nach dem Gesetz notwendigen Stimmen zustande brächte.
Der zuständige Fachausschuß und auch der Haushaltsausschuß haben sich bei den Beratungen mit diesem Problem eingehend beschäftigt und werden in Zusammenarbeit mit der Regierung bemüht sein, sich so früh wie möglich in das Planungsgeschehen einzuschalten. Wie gesagt, die entsprechenden Schritte sind bereits unternommen worden. Eines darf man aber natürlich nicht vergessen. Das Gesetz ist von diesem Bundestag beschlossen worden. Man kann nicht ein Gesetz beschließen und nachträglich sagen: Jetzt werden die Finanzkompetenzen des Bundestages, die Kontrollmöglichkeit des Bundestages eingeschränkt. Der Bundestag selbst hat die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen. Dies ist ja nicht von irgendwoher über uns gestülpt worden, sondern von uns selbst so beschlossen worden. Wir müssen uns also bemühen, mit diesem Gesetz nun so gut zu arbeiten, wie es geht, und bei einer künftigen Novellierung jene Dinge besser zu berücksichtigen, als das 1969 geschehen ist.

(Abg. Dr. Ritz: Da gibt es ja keinen Streit!)

Bei der aus konjunkturpolitischen Gründen vorgesehenen Streckung der Gemeinschaftsaufgaben um 10 % des Gesamtfinanzvolumens handelt es sich nicht um eine Kürzung, wie es, glaube ich, Herr Dr. Jenninger — ich habe das nicht so ganz richtig mitbekommen — heute vormittag wieder gesagt hat. Die beschlossenen Maßnahmen bleiben so, wie sie im Rahmenplan enthalten sind, stehen. Allerdings wird ein Teil von ihnen in das nächste Haushaltsjahr hinübergezogen. Dies ist, glaube ich, vertretbar. Die Ausbringung einer globalen Minderausgabe, wie sie Herr Dr. Jenninger heute vormittag gefordert hat, stellt eine Kürzung dar, die niemand will. Ich glaube, auch Sie Herr Kollege Dr. Jenninger, wollen diese Kürzung nicht.

(Abg. Dr. Jenninger: Wie schlägt sich das haushaltsmäßig nieder?)

— Das müssen wir abwarten.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch einige Bemerkungen über konjunkturgerechten Haushalt und sachpolitische Erfordernisse. Finanzpolitiker sind bekanntlich keine Wundermänner, auch wenn häufig von ihnen in schlichter Selbstverständlichkeit, und, wie ich leider hinzufügen muß, in finanzpolitischem Unverstand Wunder erwartet werden. Auf den privaten Haushalt eines jeden einzelnen übertragen, sähen diese Wunder etwa folgendermaßen aus: Statt schlichten Doppelkorns wird nur noch guter Weinbrand getrunken. Statt Butterschnitten werden nur noch feine Pasteten gegessen. Statt Hemden aus Baumwolle werden nur noch solche aus Seide getragen. Das alles wird dadurch finanziert, daß der Hausfrau das monatliche Kostgeld um 400 DM gekürzt wird. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies kann tatsächlich keine solide Finanzpolitik zuwege bringen. Ich befand mich aber in einer ganz ähnlichen Situation, als ich den Einzelplan 10 durchgearbeitet habe. Eine sehr große berufsständische Organisation, deren Name mir jetzt leider entfallen ist,

(Heiterkeit)




Löffler
hat am 9. Mai 1973 zusätzliche Forderungen in Höhe von über 460 Millionen DM an den Einzelplan 10 erhoben. Man ist als Berichterstatter sogar noch geneigt, das alles gründlich durchzuarbeiten, zu überlegen, was man da vielleicht noch aufnehmen könnte, wo man vielleicht noch Deckungsvorschläge mobilisieren könnte. Man nimmt das durchaus ernst. Aber 24 Stunden später, am 10. Mai 1973, kommt eine neue Stellungnahme dieses Verbandes zum zweiten Stabilitätsprogramm der Bundesregierung auf den Tisch. Darin lese ich folgenden bemerkenswerten Satz — ich zitiere —:
Im übrigen muß unbedingt sichergestellt werden, daß Bund, Länder und Gemeinden die notwendigen Ausgabebeschränkungen verwirklichen.
Da kann man als gutwilligster Finanzpolitiker mit großem agrarpolitischen Herzen eigentlich nur noch passen. Herr Carstens hat es sich gestern relativ einfach gemacht. Er hat gesagt: Das, was die Bundesregierung treibt, ist keine solide Finanzpolitik. Ich möchte Ihnen sagen: leider hat auch die Opposition — ähnlich wie der von mir erwähnte Verband — in früheren Jahren etwa den gleichen Weg verfolgt, insgesamt weniger, aber im einzelnen mehr zu fordern. Mein Kollege Hoppe hat heute vormittag schon darauf hingewiesen. Es sieht so aus, als ob es auch bei der diesjährigen Haushaltsberatung auf dieses Ihr wunderfinanzpolitisches Konzept hinauslaufen wird. Dazu kann ich nur sagen: das wäre dann keine solide Finanzpolitik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Regierungskoalition hat sich in Abwägung all der Risiken, all der Probleme, all der Aufgaben darum bemüht, Ihnen einen Haushalt vorzulegen, der auch vor den Angehörigen der deutschen Landwirtschaft Bestand haben kann. Ein Beweis dafür: wir haben eine Reihe von Änderungen im Einzelplan 10 eingebaut. Diese Änderungen beweisen, daß weder Regierung noch Parlament vor Problemen oder unabweisbaren neuen Erfordernissen die Augen verschließen. So wurden Mittel in Höhe von 37,5 Millionen DM für die Beseitigung der Sturmschäden in den norddeutschen Forsten bereitgestellt, um 32 Millionen DM wurde die Gasölverbilligung als zwangsläufige Folge der Erhöhung der Mineralölsteuer aufgestockt, der Fischereischutz in den isländischen Gewässern wird durch 1,2 Millionen DM verstärkt. Diese zusätzlichen Beträge werden teils durch Kürzungen bei anderen Titeln im Einzelplan 10, teils durch Umschichtungen aus dem Einzelplan 60 gedeckt.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch eine ganz kleine Verbesserung erwähnen, von der ich meine, daß sie etwas zu klein ausgefallen ist. Es wurden nämlich auch die Mittel für die Verbraucheraufklärung erhöht, und zwar um schlichte eine Million DM. Hierbei handelt es sich um eine außerordentlich wichtige Aufgabe, wenn man bedenkt, daß rund 30 % der Nettoeinkommen der deutschen Familien immer noch für Nahrungsmittel ausgegeben werden. Informationen über Preiszusammenhänge, über Qualität des reichhaltigen Angebots und saisonbedingte Preisentwicklungen haben bei dieser Sachlage eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung, die wir nicht verkennen dürfen. Solche Informationen sind auch nötig, um den freien Entscheidungsprozeß in unserer Wirtschaftsordnung zu fördern, ohne den sich unsere Wirtschaftsordnung von der Freiheit nicht zur Unfreiheit, sondern zu einer Schwester der Unfreiheit, nämlich zur Manipulation hin bewegen würde. Das wollen auch wir alle nicht, wie das heute vormittag in der Debatte zum Ausdruck gekommen ist. Insofern begrüßen wir, daß die Regierung die Verbraucheraufklärung künftig noch stärker fördern möchte.
Eine kurze Schlußbemerkung. Kein Haushalt wird alle Wünsche erfüllen können, da man von den einzelnen Gruppen nicht erwarten kann, daß sie sich so verhalten, wie es einmal ein französischer Denker geraten hat, der gesagt hat: Wer seine Wünsche zähmt, ist immer reich genug! Eine soziale Gesellschaft kann auch nicht der öffentlichen Bedürfnislosigkeit das Wort reden. Dennoch werden die Wünsche und das, was durch einen Haushalt machbar ist, selten deckungsgleich sein. Im Einzelplan 10 sind Wünsche und Machbares auf einen vernünftigen Nenner gebracht worden, der den gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen und Aufgaben im ländlichen Raum gerecht wird. Wir bitten um Annahme dieses Einzelplanes.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704519800
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704519900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Ausführungen des Herrn Kollegen Röhner noch einmal vergegenwärtigt, vor allen Dingen seinen Schlußsatz, in dem er hier angekündigt hat, daß dieser Agraretat die Erwartungen nicht erfüllt, die die Opposition und angeblich auch die deutsche Landwirtschaft in ihn setzt, und die CDU deshalb die Zustimmung verweigern muß, und sich gleichzeitig den gestrigen Tag vorstellt, nämlich die Zustimmung beim Verteidigungsetat, und das Unvermögen der Opposition bemerkt, die Ernährungssicherung im Rahmen der Verteidigung zu sehen und vielleicht von daher dem Agrarhaushalt zuzustimmen, kann man, glaube ich, hier nur die Zerrissenheit der Opposition in den Fragen, um die es in der Agrarpolitik geht, feststellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte zunächst einmal dem neuen Berichterstatter des Einzelplans 10, Herrn Löffler, für seine Sachlichkeit, aber auch für sein zähes Ringen um diesen Einzelplan 10 recht herzlich danken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich weiß auch, weshalb die Opposition hier angemeldet hat, diesen Etat ihre Zustimmung verweigern zu müssen; sie kann doch vor der deutschen landwirtschaftlichen Öffentlichkeit nicht plakatieren, daß hier eine gute Agrarpolitik mit einem Bundesminister Ertl gemacht wird.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)




Gallus
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren — gerade Sie, Herr Kollege Bewerunge —, können Sie aber nicht leugnen; denn wenn ich mir die Agrardiskussionen von vor einem Jahr und etwas früher und heute vergegenwärtige, kann ich nur sagen: die Kämpfer der agrarpolitischen Opposition sind müde geworden. Eines können Sie nicht leugnen - und das hat Herr Löffler bereits hervorgehoben —; daß dieser Agraretat eine hohe Steigerungsrate erfahren hat, eine Steigerungsrate, die sich insbesondere im agrarsozialen Bereich niedergeschlagen hat, gerade auch in dem Teil der Agrarsozialpolitik, in dem Sie geglaubt haben, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Einführung der berufsständischen Krankenkassen in der Art, wie sie gemacht worden ist, so schlecht sei. So schlecht ist sie nicht; das bestätigen Ihnen die berufsständischen Organisationen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun möchte ich gleich einen Schritt weitergehen, nämlich zu der Frage des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms, zu dem Sie, Herr Kollege Röhner, gesagt haben, daß man in diesem Bereich wohl keine Kürzungen vornehmen dürfe. Ich darf zunächst einmal eines feststellen. Beinahe zwei Jahre lang hat man sich über dieses Programm gestritten und so getan, als ob es seine Aufgabe im agrarstrukturellen Bereich nicht erfüllen könne. In der Zwischenzeit ist es, obwohl einige CDU-Agrarminister Sand in das Getriebe des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms gestreut haben, jedem klar geworden, daß diese differenzierte Agrarstrukturpolitik im agrarpolitischen Bereich keine anderen Alternativen zuläßt. Ich glaube, das müssen Sie hier bestätigen.
Herr Kollege Röhner, ich muß Sie in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß gerade wir im Ernährungsausschuß, weil wir wissen, wie wenig Einfluß das Gemeinschaftsaufgabengesetz heute in diesem Bereich noch zuläßt, mit Mehrheit eine Empfehlung beschlossen haben, nach der das einzelbetriebliche Förderungsprogramm, die Ausgaben der Marktstruktur und des Küstenschutzes nicht gekürzt werden sollen. Hier hat die Opposition nicht mitgestimmt. Sie hat im Gegenteil gesagt, die Infrastrukturmaßnahmen dürften nicht gekürzt werden. Wenn wir uns den Einzelplan 10 vornehmen, bedeutet das jedoch, daß Kürzungen in dem Bereich gerade dann vorgenommen werden müßten, wenn man unserem Antrag nicht folgt. Und Sie behaupten hier doch, daß dort nichts gekürzt werden solle. Aber wir sind ja gewohnt, daß die Dinge von der Opposition je nach Bedarf um 180 Grad gedreht werden, je nachdem, in welcher Situation man sich gerade befindet.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Gerster [Mainz] : Wir haben von der Regierung gelernt!)

In jedem Fall war unsere Haltung in diesen Fragen gradlinig; wir haben gewußt, wo wir die Bitte anbringen müssen, wo der Planungsausschuß ansetzen sollte und wo nicht.
Eines sage ich Ihnen aber auch in aller Deutlichkeit: Wenn man hier um mehr Stabilität ringt —
ich glaube, dem muß auch die Opposition zustimmen; denn sonst könnte ich die Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Jenninger von heute morgen nicht verstehen —, dann kann der agrarpolitische Bereich ebenfalls nicht ausgenommen werden. Jeder, der heute Anträge auf Erhöhung auch des Agraretats stellt, muß sich darüber klar sein, daß das nicht in die Landschaft dessen paßt, was uns die Opposition in anderthalb Tagen vorerzählt hat.

(Abg. Dr. Ritz: Sie brauchen uns hier nicht zu sagen, was in die Landschaft paßt oder nicht. Wir haben auch Entscheidungen zu treffen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Um auf das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene Gemeinschaftsaufgabengesetz zurückzukommen: Die FDP ist sich keiner Schuld bewußt:

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Seiters: Nein, grundsätzlich überhaupt nicht!)

— Ja, sicher! Sie bedauern doch, daß dieses Gesetz beschlossen worden ist, beschlossen in der Großen Koalition! Wären Sie hier dem kleinsten Partner in diesem Hohen Hause gefolgt und hätten geglaubt, was unser Bundesminister Ertl in seiner Rede —damals noch als Abgeordneter — gesagt hat, dann wäre es zu dieser Misere auf diesem Gesamtbereich überhaupt nicht gekommen!

(Dr. Ritz: Die Lösung wußte er auch nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber, meine Damen und Herren von der OppoBition, Sie haben die große Chance,

(Abg. Dr. Jenninger: Die einmalige Chance!)

die Negativentwicklung auf diesem Gebiet wenigstens zum Teil wieder zum Guten zu wenden — ich habe Ihnen das schon einmal empfohlen —, nämlich dadurch, daß Sie im Bereich des Landschaftsschutzes und der Landschaftspflege hinsichtlich der dafür vorliegenden Gesetze dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung einräumen. Hier haben Sie die Chance, das, was Sie damals falsch gemacht haben, jetzt richtig zu machen, nämlich dafür zu sorgen, daß über diesen Weg auch der Landwirtschaft entsprechende Hilfen in bestimmten, abgegrenzten Bereichen zuteil werden können. Ich bitte Sie ebenso dringend wie herzlich, sich das intensiv zu überlegen.
Wenn ich auf das zurückkommen darf, was unser Herr Kollege Röhner in bezug auf den Aufwertungsausgleich angesprochen hat, so darf ich zunächst einmal feststellen: Wenn dieser Haushalt diese Steigerungen im agrarsozialen Bereich erbracht hat, ist er doch nur zum Teil — zu einem sehr bescheidenden Teil! — über den Aufwertungsausgleich finanziert worden, und zwar mittels der degressiven Abschreibung dieser Beträge. Das muß man hier der Ehrlichkeit halber einmal feststellen, Herr Röhner. Ferner ist zu konstatieren, daß darüber hinaus noch keine Entscheidung über das weitere Schicksal dieses Ausgleichs gefällt worden ist. Ich bin guten Mutes, daß wir dann, wenn sich unser Minister Ertl dafür in Brüssel in gleichem



Gallus
Maße einsetzt wie bei der Preisgestaltung, einiges über die Runden rotten werden.

(Abg. Susset: Was denn?)

— Was? — Sie wollen, Herr Kollege Susset, alles das, was übermorgen erst sein kann, heute schon wissen;

(Abg. Susset: Ja!)

und das bringen wir selbst bis jetzt noch nicht fertig!

(Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eben Planung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Die FDP hat doch einen Bundesagrarausschuß! Der weiß doch immer alles!)

— Der Bundesargrarausschuß der FDP ist eine Einrichtung, die in ihrem Bereich aktiv tätig ist und Forderungen stellt wie jeder andere Bundesagrarausschuß. Was möglich ist, entscheidet die Regierung, in diesem Fall die EWG.
Nun hat Herr Röhner noch sehr eingehend davon gesprochen, daß eine ganze Menge ungelöster Existenzfragen für die Agrarpolitik vorhanden seien. Das bestreiten wir nicht, und wir haben es nie bestritten. Wir haben zahlreiche Probleme im Bereich der Agrarpolitik gelöst und sind, soweit das heute im Rahmen der EWG überhaupt menschenmöglich ist, dabei, die Dinge weiter voranzutreiben.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, wäre ich bei einem sehr wichtigen Punkt angelangt, nämlich bei der Frage der EWG-Agrarpolitik über-
hauet. Ich wiederhole, was ich in meiner Rede im Februar bei der großen Agrardebatte gesagt habe: daß durchaus der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem gewisse Korrekturen an der EWG-Agrarpolitik angebracht sind. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, soll keineswegs heißen, daß wir die EWG-Agrarpolitik als solche in Frage stellen wollen.

(Abg. Susset meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte schön!

Egon Susset (CDU):
Rede ID: ID0704520000
Herr Kollege Gallus, wären Sie bereit, diesem Haus eine Synthese der europäischen Agrarpolitik in der Form, wie sie Herr Bangemann im Süddeutschen Rundfunk zum Ausdruck brachte, und in der Form, wie sie vom Bundesagrarausschuß der FDP angestrebt wird, vorzutragen?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Das ist die Quadratur des Kreises!)


Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704520100
Herr Kollege Susset, auf diese Frage habe ich direkt gewartet.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Deshalb habe ich ein Wort zur EWG-Agrarpolitik gesagt. Ich glaube beinahe, daß Herr Röhner vergessen hat, zu sagen, was Sie soeben vorgetragen haben. Es ist natürlich sehr interessant, das, was in kurzen Sätzen in der Presse stand, so auszulegen, als ob unser Kollege Bangemann, der auch im Europäischen Parlament tätig ist, in vollem Gegensatz zu den agrarpolitischen Auffassungen in der
FDP stände. Da darf ich Ihnen sagen, daß das nicht der Fall ist.

(Abg. Seiters: Sie sind sich keiner Schuld bewußt!)

Er bewegt sich genau auf der Linie, die ich wiederum vorgetragen habe, wonach im agrarpolitischen Bereich der EWG Korrekturen angebracht sind. Hierin, so glaube ich, sind wir uns völlig einig.
Wenn seine Ausführungen in der Frage des Verhältnisses zu den Entwicklungsländern über den augenblicklichen Rahmen der EWG-Agrarpolitik hinausgegangen sind, so wollte er damit sicher sagen, daß diese Vorstellungen langfristig gesehen werden müssen. In der Tat ist das eine Sache, die man aus langfristiger Sicht durchaus nicht vom Tisch fegen kann.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704520200
Herr Abgeordneter Gallus, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Früh?

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704520300
Bitte!

Dr. Isidor Früh (CDU):
Rede ID: ID0704520400
Herr Kollege Gallus, ist Ihnen klar, daß Herr Kollege Susset sich nicht nur auf die kurze Notiz in den Zeitungen bezogen hat, sondern auf den Kommentar des Herrn Bangemann, in dem ausdrücklich festgestellt wird, daß es sich ausschließlich darum handelt, die Agrarpolitik künftig an den Interessen der Verbraucher und nicht einzig und allein an denen einer kleinen Gruppe von Produzenten auszurichten?

(Zuruf von der CDU/CSU: Bangemann ist ein einziges Mißverständnis!)


Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704520500
Herr Kollege Susset, ich bin der Meinung, daß es jedem Politiker offensteht, auch zu Fragen der Verbraucherpolitik Stellung zu beziehen.

(Beifall.)

Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daran erinnern, daß Sie zu einer Zeit, zu der die Agrarpreise gerade im Milchsektor noch am Boden lagen, im Bundestag die Anfrage eingebracht haben, was die Bundesregierung, als die Trinkmilchpreise freigegeben wurden, unternehmen wolle, um zu verhindern, daß der Trinkmilchpreis steigt. Das kam aus Ihrer Fraktion.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704520600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bangemann?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID0704520700
Herr Kollege Gallus, sind Sie bereit, den Kollegen, der gerade die Zwigestellt hat, darüber aufzuklären und darauf hinzuweisen, daß die Formulierung, die er hier gebraucht hat, nicht die Formulierung war, die ich in der Ansprache im Süddeutschen Rundfunk gebraucht habe, sondern daß ich im Gegenteil davon gesprochen habe, daß die Agrarpolitik von einer einseitigen Orientierung —

(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen!)




Dr. Bangemann
1 — wenn Sie hingehört hätten, hätten Sie festgestellt, daß das noch eine Frage ist — zu einer Berücksichtigung auch der Verbraucherinteressen gebracht werden muß?

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704520800
Ich kann das bestätigen, weil ich mir den Wortlaut Ihrer Rede, Herr Kollege, habe geben lassen und weil ich diese Rede im Detail gelesen habe. Deshalb beziehe ich hier entsprechend Stellung.

(Abg. Haase [Kassel] : Lesen Sie doch mal vor!)

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bringen es nicht fertig, uns in Fragen auseinanderzudividieren, in denen wir im Grunde genommen nicht so unterschiedlicher Meinung sind, wie Sie glauben, sondern in denen wir uns gemeinsam bemühen, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene vernünftige Lösungen für die Zukunft zu finden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704520900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ritz?

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0704521000
Herr Kollege Gallus, nur zur Klärung gestatten Sie mir eine Frage: Würden Sie mir zustimmen, wenn ich aus dem, was der Kollege Bangemann hier gesagt hat — Verbraucherinteressen müßten auch berücksichtigt werden — schließe, daß bisher Verbraucherinteressen in der
Agrarpolitik nicht berücksichtigt worden sind?

(V o r sitz : Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)


Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704521100
Herr Kollege, wir befinden uns derzeit in unserer gesamten Agrar- und Verbraucherpolitik in einer Situation, in der in der Öffentlichkeit durchaus der Eindruck entstehen könnte, als ob das so wäre. In Wirklichkeit war es seit Bestehen der Bundesrepublik immer so — das bestätige ich Ihnen gerne —, daß die Lebensmittelpreise, soweit sie die Preise der Landwirtschaft betreffen, entscheidend zur Stabilität beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704521200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bangemann?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID0704521300
Herr Kollege Gallus, sind Sie auch noch bereit, den Nachhilfeunterricht gegenüber der Opposition dadurch zu erweitern, daß Sie darauf hinweisen, daß ich nicht von der nationalen Agrarpolitik, sondern von der Politik in der Europäischen Gemeinschaft gesprochen habe?

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704521400
Herr Kollege Bangemann, ich bin gern bereit, Ihnen das insoweit zu bestätigen, als die Problematik, die uns heute beschäftigt, in einigen schwierigen Fragen der Agrarpolitik nicht von der nationalen Agrarpolitik der Bundesrepublik ver-
ursacht ist, sondern von anderen Bereichen der EWG. Insoweit gebe ich Ihnen recht.
Wenn wir aber schon bei den Lebensmittelpreisen und den Lebenshaltungskosten angelangt sind, gestatten Sie mir wenigstens noch folgende Bemerkung. Nach den statistischen Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, sind die Preise für Nahrungsmittel bis Mitte 1972 geringfügiger gestiegen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, daß muß man hier auch einmal offen sagen. Man darf nämlich die Landwirtschaft in der augenblicklichen Situation nicht zum Prügelknaben der Stabilität machen,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

weil durch Einflüsse, die die Landwirtschaft selbst nicht in der Hand hat, in gewissen Bereichen die Nahrungsmittelpreise überdimensional gestiegen sind.
Zum anderen berührt die große Frage, die uns ja alle bewegt, nämlich die Frage des Zuviel an Butter in der EWG, natürlich nur einen Teilaspekt in der gesamten Agrarpolitik. Allerdings bin ich der Auffassung, daß zukünftige Lösungen in diesem Bereich der EWG neben Strukturmaßnahmen auch Verbilligungsaktionen enthalten müssen. Die Probleme sollten anders gelöst werden als beim letzten Mal. Ich bin durchaus der Meinung ,daß auch der europäischer Verbraucher in den Genuß derartiger Verbilligungsmaßnahmen kommen sollte.

(Abg. Bewerunge: Auch einverstanden!)

Ich möchte darüber hinaus noch ein weiteres Wort zu der Frage der Agrarimporte sagen. Heute morgen hat hier Herr Professor Erhard gesprochen. Ich habe ihm sehr aufmerksam zugehört; er hat zur Agrarpolitik sehr wenig gesagt. Kurz gestreift: Sicher ist ihm das alles heute etwas fremd, wie diese Dinge auf EWG-Ebene funktionieren. Aber eines möchte ich hier sagen: So einfach wie zu seiner Regierungszeit, die Nahrungsmittelpreise im Inland durch Importe von außen niedrig zu halten, ist es gesamtpolitisch und gesamtwirtschaftlich heute nicht mehr.

(Beifall bei den Regierungsparteien)

ich würde sagen: agrarpolitisch, Gott sei Dank! Wir reden auch sehr viel von Entwicklungshilfe. Ich sage ganz offen: mir ist die Entwicklungshilfe, die dem Gaucho in Argentinien als Viehhirt einen gerechten Lohn über die Rinderpreise beschert, lieber, als gewisse Almosen, die die reichen Industrieländer an diese Länder verteilen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube, daß muß man in diesem Zusammenhang auch einmal ganz deutlich sagen.
Meine Damen und Herren, es stehen nun zwei Anträge zur Diskussion. Lassen Sie mich auch dazu ein paar Worte verlieren. Zu den beiden Anträgen habe ich bereits gesagt, daß die Opposition eigentlich kein moralisches Recht hat, nach dem, was hier in anderthalb Tagen zum besten gegeben wurde, den Agrarhaushalt um 22 Millionen DM erhöhen zu



Gallus
1 wollen. So berechtigt diese Anliegen sind, — wir müssen leider sagen, daß sie dem Gemeinschaftsaufgabengesetz zum Opfer gefallen sind. Die Bundesregierung kann in diesen beiden Bereichen heute nicht mehr helfen. Da sind die Länder zur Kasse gebeten, und ich freue mich, daß Schleswig-Holstein als erstes Land an der Reihe ist. Gerade aus Schleswig-Holstein hören wir immer so von dem auch in bezug auf die Bundespolitik maßgebenden Ministerpräsidenten, was hier im Bund finanziell und haushaltspolitisch alles falsch gemacht wird. Jetzt soll er es einmal auf Grund des Gesetzes richtig machen: nämlich den Landwirten aus seinem Etat diese 11 Millionen DM bezahlen. Das halte ich für richtig.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Ritz)

Der Bund kann das im Augenblick nicht tun.
Weil wir Freien Demokraten uns an Gesetze, die beschlossen sind, halten,

(Abg. Dr. Jenninger: Hört! Hört!) können wir diesen Anträgen nicht zustimmen.

Dem Herrn Kollegen Eigen darf ich, damit sich hier keine falsche Interpretation einschleicht, gleich im voraus sagen, daß wir im Ernährungsausschuß lediglich eine Empfehlung an den Haushaltsausschuß gegeben haben. Ich muß Ihnen leider sagen, Herr Kollege Eigen, daß Sie im Haushaltsausschuß von Ihren eigenen Kollegen verlassen worden sind.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

;l Kein einziger hat Ihren Antrag zu dem entsprechenden Titel im Haushaltsausschuß aufgegriffen. Lediglich der Herr Kollege Röhner — Sie brauchen gar keinen Zuruf machen, Herr Kollege Röhner, — —

(Heiterkeit — Zuruf des Abg. Röhner)

— Herr Kollege Röhner, ich habe mir heute nacht noch einmal drei Protokolle — zwei vom Haushaltsausschuß, eines vom Ernährungsausschuß — Wort für Wort durchgelesen.

(Oho-Rufe bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Weil ich mir das zu Herzen nehme, weil ich weiß, was danach kommt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Herr Kollege Röhner, Sie haben sich darauf beschränkt, im Haushaltsausschuß anzukündigen, daß jedenfalls ein Gruppenantrag aus Ihrer Fraktion kommen werde.

(Abg. Röhner: Er ist auch da!)

Aber im übrigen haben Sie diese Titel im Haushaltsausschuß nicht aufgegriffen.
Da Sie mich aber schon daran erinnern, Herr Kollege Röhner, muß ich Ihnen eines sagen: Auch Sie sind in Ihrer Gedankenführung im Haushaltsausschuß sehr widersprüchlich gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie haben nämlich das, was wir im Ernährungsausschuß als Streckung beantragt haben — diese 120
Millionen DM --, hei der Gemeinschaftsaufgabe zur Streichung beantragt.

(Abg. Haehser: So ist es! — Zurufe von der CDU/CSU.)

Jawohl. ---- Und hier haben Sie gesagt, der Landwirtschaft dürften keine Investitionsgelder abgenommen werden. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich den Herrn Vorsitzenden, der Ihrer Fraktion angehört, im Haushaltsausschuß noch einmal gefragt habe: Herr Vorsitzender, habe ich richtig gehört, hat der Herr Kollege Röhner Streichung beantragt? Dann hat er mir das bestätigt. Das müssen mir die Kollegen von der SPD hier bestätigen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704521500
Herr Kollege Gallus, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704521600
Bitte schön!

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0704521700
Sind Sie bereit zuzugeben,

(Abg. Haehser: Sie waren ja gar nicht dabei!)

daß im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ein einstimmiger Beschluß gefaßt wurde, die 11 Millionen DM Erstattung -- sprich: GrünlandErlaß --- im Haushalt wieder einzuführen, oder wird der Herr Kollege Vorsitzender, Herr Schmidt, dazu Stellung nehmen?

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID0704521800
Herr Kollege Eigen, es ist genauso, wie ich es hier gesagt habe.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Ihr Kollege Schröder (Wilhelminenhof) hat als Letzter im Ernährungsausschuß gesprochen und beantragt, diese Sache als Empfehlung dem Haushaltsausschuß zuzuleiten.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Damit bin ich am Ende. Durch Ihre Zwischenrufe ändert sich an meiner Haltung wie auch an der meiner Fraktion nichts.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704521900
Das Wort hat der Bundesminister Ertl.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0704522000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst um Entschuldigung bitten, daß ich fünf Minuten zu spät komme. Aber ich bitte darum, in Zukunft doch klare Termine abzusprechen. Ich darf hier auch für meinen Kollegen Friderichs sprechen, der noch nicht einmal die Gelegenheit hatte, hier in dieser Debatte Stellung zu nehmen.
Es war ausgemacht, daß die Debatte urn 14.15 Uhr mit dem Beitrag des Kollegen Friderichs beginnt. Herr Kollege Friderichs hatte einen wichtigen Termin mit einem britischen Kollegen. Er war um



Bundesminister Ertl
14.15 Uhr hier; doch da wurde bereits mein Einzelplan aufgerufen. Ich bitte also um Verständnis. Man muß Termine schon so absprechen, daß man sie einhalten kann, weil es sonst sehr schwierig ist, sich überhaupt an eine Zeitfolge zu halten.

(Abg. Bremm: Das Parlament arbeitet eben schneller als die Regierung!)

Ich möchte zunächst den Berichterstattern und allen Damen und Herren im Haushaltsausschuß danken und von mir aus zu einigen Fragen Stellung nehmen, die an mich gerichtet wurden. Herr Kollege Röhner hat sich ausführlich geäußert. Lassen Sie mich zunächst mit einer Feststellung beginnen, nämlich der, daß sich die Ertragslage der Landwirtschaft in den letzten zwei Jahren wesentlich verbessert hat. Ich glaube, wir können das alle mit Befriedigung feststellen. Es soll unser Ziel sein, auf Grund dieser Position künftige Politik und künftige Agrarpolitik zu betreiben.
Damit hängt die auch heute morgen von Altbundeskanzler Erhard angeschnittene Frage der EWG-Agrarpolitik eng zusammen. Ich habe das auch mit großem Interesse gehört. Dabei ist mir die Zeit ins Gedächtnis gekommen, als wir mit Ihnen, meine verehrten Herren, mit der Union, in der Koalition waren.

(Abg. Dr. Jenninger: Das waren noch Zeiten!)

Auch damals gab es Koalitionsgespräche. Ich habe als bescheidener junger Abgeordneter damals gesagt: Herr Bundeskanzler, könnte man nicht den Weg der koordinierten Marktordnungen beschreiten,
weil es vielleicht zuviel des Guten ist, am Anfang sofort mit einer gemeinsamen Marktordnung zu beginnen? Ich habe mir sagen lassen müssen, das sei eine politische Entscheidung, die auf Grund eines Kanzlergesprächs zwischen dem damaligen Bundeskanzler und seinem französischen Gesprächspartner zustande gekommen sei.

(Abg. Haehser: Wer war damals Bundeskanzler?)

Adenauer!

(Abg. Haehser: Eben!)

Und Vizekanzler war Erhard, wenn ich das zur Orientierung sagen darf.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Ich will nicht aus der Schule plaudern. Täte ich dies, müßte ich sagen, wie oft ich hören mußte, das verstünden wir sowieso alle nicht. Das war vielleicht der Fehler dieser Politik. Die Franzosen wußten, was sie wollten, und verstanden auch, Was sie wollten, während wir immer gesagt haben: Wir verstehen das sowieso nicht, drum wissen wir auch nicht, was wir wollen.

(Heiterkeit.)

Das hat sich in dieser Regierung ein klein wenig geändert. Das muß ich sagen; da spreche ich hier auch einmal für meinen Kanzler. Der versteht es, auch über solche Dinge sachverständig zu reden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich will diese Reminiszenz aufgreifen und sagen, daß man damals eben antwortete, das sei eben politisch entschieden. Es muß mit aller Deutlichkeit für Verbraucher und Produzenten gesagt werden. Es
gab zwei ungeschriebene Thesen ich sage das
ganz sachlich und nüchtern ; die eine These lautete: Die Deutschen machen das Industriegeschäft, und die Franzosen machen das Agrargeschäft.

(Abg. Wehner: Und den Moselkanal! —Heiterkeit.)

— Und den Moselkanal, jawohl. Das ist eine These gewesen, mit der man angetreten ist. Dieser Wechsel wird von den französischen Freunden und hier muß ich sogar sagen: mit Recht — immer wieder eingeklagt, weil wir ständig sagen: Wie steht es mit dieser These? Dabei müßte man heute von der ganz unterschiedlichen Betrachtung ausgehen, daß sich diese These wie so viele Thesen nicht einmal als richtig herausgestellt hat. Inzwischen sieht die Bilanz im Handelsverkehr, und zwar sowohl bei Agrargütern als auch bei Industriegütern, ganz anders aus. Die Entwicklung verläuft ganz anders.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nach Rußland!)

-- Da kann ich Ihnen nur sagen, daß Ihr Zwischenruf nicht von Sachkunde und Geist getragen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte mich hier sachlich unterhalten, es sei
denn, die Opposition hat kein Interesse, über so ein
Thema sachlich zu diskutieren; dann hören wir auf.
Schauen Sie sich doch einmal den Handelsverkehr innerhalb der alten Sechser-Gemeinschaft auf dem industriell-gewerblichen Sektor und schauen Sie sich den Handelsverkehr auf dem Agrarsektor an! Dann werden Sie feststellen, daß diese erste These in sich nicht so logisch war, wie man angenommen hat. Ich begrüße das sogar; denn gerade weil diese Entwicklung nicht eingetreten ist, werden sich die Verhältnisse möglicherweise konsolidieren, wenn sich die gesamte Wirtschafts-, Konjunktur- und Währungspolitik konsolidiert.
Die zweite These, die meiner Ansicht nach ein fundamentaler Irrtum war, lautete: Fiber den gemeinsamen Agrarmarkt kommen wir automatisch zur Wirtschafts- und Währungsunion. Ich will nichts aus den Schubladen ausplaudern; sonst könnte ich einmal vortragen, was damals alles aus dem Schoße der Verantwortlichen geboren worden ist. Aber eines will ich Ihnen sagen, meine sehr verehrten Freunde von der Opposition, die Sie ja zum Teil in diesem Berufsstand verankert sind. Ich lese Ihre Äußerungen im Berufsstand. Da heißt es z. B. immer wieder, es sollten gemeinsame Preise in nationaler Währung festgelegt werden. Sie werden es nicht glauben: genau das wollten die Franzosen. Das können Sie in den Protokollen nachlesen. Aber die Deutschen haben das nicht gewollt. Sie haben die These aufgestellt: Wenn wir eine Rechnungseinheit haben, gibt es keine Währungsänderungen mehr.
Ich will damit aber den Katalog der Irrtümer beenden.

(Abg. Wehner: Schade!)




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Darüber könnte ich — das wäre dann ein anderes Geschäft — zu gegebener Zeit Bände schreiben. Wenn wir in den 60er Jahren versucht hätten, mit größerer Aktivität und mit einer größeren Zahl eigener Vorschläge Agrarpolitik zu treiben, wäre vielleicht mancher Irrtum nicht passiert.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zu den wesentlichen Fragen. Natürlich sind die Thesen, die für den Agrarmarkt Pate gestanden haben, heute, nach drei Währungsänderungen — die Lira ist inzwischen um 30 % abgewertet worden —, falsch. Dennoch sind sie politisch relevant, weil unsere Freunde sie als politische Zusagen unsererseits einklagen wollen. Das ist das Problem. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, mit unseren Partnern in Freundschaft über diese Dinge zu reden. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Natürlich war es ein Irrtum, zu glauben, durch eine gemeinsame Agrarpolitik könnten auch die sozialen und ökonomischen Probleme in Europa gelöst werden. Natürlich wäre es auch viel sinnvoller gewesen — ich darf das hier einmal offen und deutlich ansprechen — bereits vor einem Jahrzehnt eine europäische Regionalpolitik zu betreiben und Arbeitsplätze in regional oder agrarstrukturell schwachen Gebieten zu finanzieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dann wären nämlich die Italiener — damit komme ich zu einem Passus in den Ausführungen meines Freundes Gallus — heute nicht gezwungen, z. B. die Oliven- und Zitrusproduktion um jeden Preis zu erhalten, weil es keine soziale Alternative für die Menschen dort gibt. Auch der Strukturwandel unserer Landwirtschaft wurde erst möglich, als wir soziale Alternativen anbieten konnten, und zwar in Form von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier liegt ein grobes Versäumnis der gesamten EWG-Politik vor, was zu ökonomischen Ungleichgewichten geführt hat.
Dadurch — ich komme jetzt zur Frage der Stabilität, obwohl ich meinem Kollegen Friderichs weiß Gott nicht ins Handwerk pfuschen möchte; aber diesen Satz erlaube ich mir doch zu sagen — muß beispielsweise ein Land wie Italien in der Gemeinschaft trotz einer höheren Inflationsrate, als wir sie haben, um jeden Preis Wachstumspolitik betreiben, weil eben das soziale Problem der Unterbeschäftigung verbunden mit einer zunehmenden Radikalisierung zum Kernproblem in diesem Lande geworden ist und bleiben wird. Wenn dieses Problem nicht von Grund auf gelöst wird, wird der Ansatz für eine gemeinsame Wirtschafts- und Konjunkturpolitik, die wiederum Voraussetzung für eine gemeinsame Währungspolitik ist, sehr, sehr schmal bleiben. Das ist das Problem. Aber nichts ist schwieriger, als bestehende Zustände zu ändern, insbesondere wenn es darum geht, gewisse Chancen und Vorteile zu verteidigen.
Natürlich spielt die Präferenz innerhalb der Gemeinschaft eine Rolle, und sie bietet auch unseren
Partnern Vorteile. Der Kollege Röhner hat behauptet, wir verlören ständig Marktanteile. Dazu möchte ich feststellen: Erstens gibt es in der Neunergemeinschaft keinen nationalen Markt mehr. Es ist auch nicht so, daß wir nur etwas abgeben ,sondern wir haben auch etwas gewonnen. Wir schätzen, daß das Agrarexportvolumen in diesem Jahr 7 Milliarden DM betragen wird. Das heißt, wir haben in dieser Gemeinschaft auch Marktanteile gewonnen. Also, das muß ich dann doch relativieren und objektivieren. Ich kann nicht dahergehen und sagen: Weil z. B. die Niederländer, was ja ihr gutes Recht ist, ihre Butter nach Deutschland liefern, ist das absolut gesehen ein Aufgeben von Marktanteilen. Wir haben doch in Italien erhebliche Marktpositionen gewonnen! Insgesamt, glaube ich, kann man das also nicht so vereinfacht darstellen.
Aber lassen Sie mich jetzt noch ein zweites Problem grundlegender Art anschneiden, weil ich das sehr gern tue. Ich möchte Sie nicht allzulange aufhalten. Es handelt sich um das Problem der Preise. Ich glaube, es wäre wirklich leichtfertig, wenn man nicht sagte, daß der Stand bei den Lebensmittelpreisen, wie wir ihn im Mai hatten, zu echter Besorgnis Anlaß gibt. Das muß man offen bekennen.
Nur muß ich feststellen, Kollege Gallus hat recht, wenn er erklärt, bis zum Oktober 1972 häten die Lebensmittel im Schnitt unter der durchschnittlichen Preissteigerungsrate in den anderen Bereichen für die Lebenshaltung — sei es Dienstleistung und ähnliches mehr — gelegen. Wenn Sie die Sache genau verfolgen, können Sie das auch als langfristigen Trend feststellen.
Ich will Sie nicht mit vielen Zahlen langweilen, aber ich habe hier einen langfristigen Trendvergleich, wie sich die einzelnen Preissteigerungen in den letzten zehn Jahren verteilen. Da wird jeweils der Durchschnitt von 1962 zu 1972 verglichen. Bei Dienstleistungen und Reparaturen sind es plus 71,7 %, bei Mieten plus 91,8 %, bei gewerblichen Gütern plus 30,6 %, bei Nahrungsmitteln ohne Genußmittel plus 40,3 %, bei Lebenshaltung ohne Nahrungsmittel plus 50,1 0/0, bei der Lebenshaltung insgesamt 47,2 %.

(Abg. Gerster [Mainz] : Können Sie einmal den Vergleich von 1969 zu 1972 anführen? Das wäre interessant!)

— Ich schicke Ihnen das gern, verehrter Herr Kollege. Sie werden verstehen: Solche Zahlen hat man zur Hand. Ich bin gern bereit, sie Ihnen auf Wunsch zu übersenden. Sie können jedoch auch aus dem Vergleich 1969 zu 1972 sehen, daß wir gut abschneiden. Die Kaufkraft ist auch zwischen 1969 und 1972 gestiegen, wobei sich die Ertragslage und die Einkommenssituation der Landwirtschaft wesentlich verbessert haben. Das ist nämlich der Erfolg unserer gemeinsamen Politik.
Lassen Sie mich jetzt aber auf die Preise eingehen. Wenn Sie die Nahrungsmittelpreise analysieren, werden Sie feststellen, daß es zwei neuralgische Sektoren gibt. Der eine ist der Bereich der sogenannten saisonabhängigen Nahrungsmittel. Hier spielte insbesondere die Frühkartoffel eine große Rolle. Ich



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habe die Kartoffelpreise bewußt für das heutige Datum untersuchen lassen. Am 18. Juni 1973 lagen sie mit 32 DM je 100 Kilogramm um etwa 20 % unter den Preisen des Vorjahres. Das beweist, daß unsere Prognose richtig war, daß sich mit der neuen Ernte nämlich insbesondere dieser Sektor beruhigt.
Ich kann ähnliche Zahlen nennen für Frühweißkohl, Frührotkohl, Frühwirsing und Kopfsalat. Wir stellen also fest, daß sich dieser saisonale Bereich Obst und Gemüse, mit der Ernte beruhigt. Ich kann heute auch feststellen, daß wir auf dem wichtigen Sektor Rinder immerhin im Augenblick Schlachtviehpreise haben, die mit ungefähr 7,70 DM je Kilogramm unter dem Durchschnitt des Monats April 1973 liegen. Wir können davon ausgehen, daß es sich hier wirklich nur um einen periodischen Einbruch handelt und daß sich die Situation mit dem Verlauf der Ernte, wenn sich die Verhältnisse auf dem Weltmarkt nicht grundlegend verändern, beruhigen wird.
Ich glaube, daß ist für den Verbraucher eine bedeutsame Feststellung. Ich muß allerdings in dem Zusammenhang hinzufügen -- das ist ja das Markante der berühmten Nixon-Erklärung —, daß Amerika in Erwägung zieht, Agrarexporte zu kontingentieren, weil sich die Weltmarktlage auf dem Agrarsektor bei verschiedenen Produkten grundlegend verändert hat, u. a. bei Weizen. Nach den neuesten Schätzungen des Weltweizenrates muß man auch davon ausgehen, daß ein Versorgungsengpaß oder zumindest eine sehr angespannte Lage nach der neuen Ernte eintreten wird.
Das wollte ich nur noch einmal kurz sagen. Ich glaube wirklich, bezüglich dieses Punktes mit gutem Grund vor die Verbraucher hintreten zu können und zu erklären: Das war für eine gewisse Zeit ein bedauerlicher Einbruch, aber das wird sich ausgleichen und normalisieren.

(Abg. Dr. Ritz: Das hört sich aber anders an als bei Herrn Bangemann!)

— Wissen Sie, Herr Kollege Ritz, die CDU hatte immer eine besondere Vorliebe, die einzelnen Fraktionen auseinanderzudividieren. Ich glaube, es ist höchste Zeit für Sie, daß Sie einmal Ihre eigene Position koordinieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie das einmal unsere Sorge sein; schauen Sie, daß Sie auf einen Nenner kommen! Ich könnte auch die Retourkutsche geben und sagen: Wie kommt der Herr Erhard hier ausgerechnet dazu, die Lebensmittelpreise aufs Korn zu nehmen? Er hätte doch über die industriellen Preise sprechen können. Doch darüber rede ich nicht; das spare ich mir. Das ist unter Level.

(Oho-Rufe bei der CDU/CSU.)

Jetzt kommt ein letzter Punkt: die Gemeinschaftsaufgaben, meine verehrten Freunde. Weil gerade mein Freund Richard Stücklen so charmant lächelt: Wer hat das denn gemacht, war es nicht unser lieber Freund Franz Josef?

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich frage mich: Was hat mein Freund Hermann als (4 Landwirtschaftsminister getan? Diese beiden bedeutenden Vertreter der bayerischen CSU — neben anderen — haben damals dieses Gesetz dem Parlament beschert.
Es freut einen doch, wenn man sich selbst zitieren kann. Das kann man nicht immer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr kürzt ja! — Abg. Stücklen: Ihr finanziert ja zu wenig!)

— Von wegen! Wir finanzieren viel mehr, als Ihr für möglich haltet. Wir finanzieren auf jeden Fall mehr, als vor meiner Zeit finanziert wurde. Diese Regierung leistet für die Landwirtschaft finanziell mehr, als vor meiner Zeit geleistet wurde. Das wollen wir doch einmal feststellen, damit keine Irrtümer entstehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber wissen Sie, verehrte Kollegen — ich wiederhole — nichts freut einen in der Politik mehr, als wenn man sich selbst wieder zitieren kann, und zwar mit der These, man habe recht gehabt. Jetzt will ich Ihnen einmal verlesen, was ich damals namens der Opposition zum Gemeinschaftsaufgabengesetz gesagt habe. Ich darf zitieren, Herr Präsident:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten erkläre ich, daß wir dieser Vorlage nicht zustimmen können. Damit
— jetzt passen Sie auf —
wird der Weg in die grauen Zonen der Mischverwaltungen beschritten. Das geschieht entgegen den ursprünglichen Absichten einer echten Finanzreform.
— Zu einer echten Finanzreform waren Sie nicht in der Lage!
Im übrigen haben wir starke Bedenken bezüglich des Instruments der Planungsausschüsse und der damit verbundenen weitgehenden Beeinträchtigung der parlamentarischen Rechte von Landtag und Bundestag. Diese grundsätzlichen Überlegungen machen es uns nicht möglich, der Vorlage unsere Zustimmung zu geben.
Meine verehrten Freunde, ich könnte nun auch zitieren, was mein guter Landsmann aus Bayern dazu gesagt hat. Das überlasse ich aber Ihrem Freizeitstudium. Ich kann nur sagen, daß ich davor gewarnt habe, und wir haben sogar recht behalten.
Jetzt komme ich noch einmal auf die Situation in Europa zu sprechen, weil kein Minister der Bundesregierung so zwischen allen Stühlen sitzt wie ich in dieser Frage. Dieselbe tragische Situation haben wir nämlich in Europa, solange es hier keine echte parlamentarische Kontrolle gibt.

(Beifall.)

Ich muß kraft Amtes hier mitwirken. Ich muß als Minister dort Legislativfunktion übernehmen, und die Kommission braucht nicht auf ein freigewähltes Parlament Rücksicht zu nehmen. Das bedeutet auch, daß es keine Verantwortung vor dem Volk gibt. Dies wiederum heißt, daß man im Parlament ganz



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anders reden kann als daheim, weil jedermann weiß, daß das, was man dort sagt, nicht relevant ist und keine Bedeutung hat. Aber jetzt kommt meine ganz besonders tragische Situation, die Sie auf die Dauer auch verfassungsrechtlich nicht so hinnehmen können. Man kann doch dort nicht mit elf Länderlandwirtschaftsministern verhandeln! Im Grunde genommen müßte ich sagen: das müßten eigentlich meine Kollegen tun, denn diese sind nach dem Gemeinschaftsaufgabengesetz für die Mitfinanzierung zuständig. Ich muß dennoch dort beschließen, denn wenn ich in der EWG-Agrarpolitik vorwärtskommen will, dann muß ich z. B. auch in der Strukturpolitik im Interesse der Beihilfe- und der Wettbewerbsharmonisierung Fortschritte erzielen. So sitze ich dort permanent zwischen allen Stühlen. Ich sitze zwischen den Stühlen des nationalen Parlaments, der berechtigten Wünsche der Länderminister auf diesem Sektor und meinen Verpflichtungen, in Europa unsere Interessen und auch die europäischen Interessen zu vertreten. Ich sitze auch insofern in der Frage der Gemeinschaftsaufgaben zwischen den Stühlen, als wir durch Verfassungsrecht einen Zustand geschaffen haben, daß ich mich mit den Ländern über den Plafond und die einzelnen Bedingungen zusammenraufen muß. Ich verstehe, wenn das Parlament mit Recht sagt: wir sind mehr oder weniger nicht mehr gefragt. Ich bedauere diesen Zustand; ich habe ihn nicht erfunden. Aber, meine verehrten Damen und Herren und meine lieben Freunde von der CDU/CSU, wenn Sie heute durch die Lande ziehen und sagen, das hätte diese Regierung erfunden, dann muß ich das allerdings als unrichtig zurückweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Ritz: Das tut doch niemand!)

— Oh doch, oh doch, verehrte Freunde! Ich bin gern bereit, Ihnen entsprechende Erklärungen abzugeben. Ich muß auch sagen, daß herr Kollege Röhner immer großes Geschick hat, über etwas zu reden, wie wenn das alles die böse Regierung gemacht hätte, und der gesagt hat, wie schlimm das mit dem Gemeinschaftsaufgabengesetz ist, und ähnliches mehr. Ich gebe zu, das ist keine ideale Lösung. Aber das ist ein verfassungsrechtlich verankertes Erbe.

(Abg. Stücklen: Schaffen wir es einfach ab!)

— Darüber läßt sich reden. Aber Sie haben im Augenblick keinen Grund, das zu kritisieren. Sie können höchstens sagen: Wir sind die Sündigen. Und dann kann ich sagen. Ich vergebe euch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es schmerzt mich, daß Sie meinem Haushalt nicht zustimmen können. Aber ich werde das mit Würde tragen. Ich glaube jedoch mit gutem Grund noch auf einen Punkt hinweisen zu müssen: Die sozialen Leistungen dieser Regierung können kritische Maßstäbe aushalten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie sind Maßnahmen, die letzten Endes den betroffenen Menschen auf dein Lande - ich darf das unterstreichen, was Herr Kollege Löffler gesagt hat - voll zugute kommen. Sie entlasten auch den aktiven Betriebsleiter. Dabei denke ich daran, daß wir für
die Altenteiler die vollen Kosten der Krankenversicherung übernommen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Obwohl heute von seiten der CDU/CSU über die Indexklauseln geschimpft wurde, sind wir, wie ich sagen muß, sogar noch so waghalsig — selbst ich als Liberaler mache es mit --, die Dynamisierung der Altershilfe ab nächstem Jahr und die Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer zu verwirklichen.
Im Laufe der ersten vier Jahre dieser Regierung ist die nationale Sozialpolitik auf dem Gesetzgebungsweg so zurr Abschluß gekommen, daß ich mit gutem Grund sagen kann: Es ist die Weiche für die soziale Gleichstellung der Menschen auf dem Lande mit der übrigen Bevölkerung gestellt worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704522100
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und rufe den Änderungsantrag Drucksache 7/809 auf. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Röhner das Wort.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0704522200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag Drucksache 7 809 beantragen wir als Zuweisung zur Förderung von Naturparken und Landschaftsschutzmaßnahmen einen Ansatz von 10 Millionen DM. Auf der Drucksache ist eine Begründung enthalten. Ich darf sie mit ganz wenigen Worten ergänzen.
Erstens. Wir verkennen durchaus nicht die etatrechtlichen Aspekte, die zur Zeit mit dieser Förderungsmaßnahme verbunden sind. Andererseits beweisen aber doch die Entwürfe für ein Landschaftspflegegesetz, sowohl der Entwurf der Bundesregierung als auch derjenige meiner Fraktion, daß im Grunde genommen Einigkeit darüber besteht, daß für den Landschaftsschutz, also auch für die Naturparke, Bundeshilfen bereitzustellen sind.
Zweitens berücksichtigen Sie doch bitte, daß die Verwaltungsarbeit in den Naturparken bis heute zum großen Teil ehrenamtlich geleistet wird. Für die Naturparke in den finanzschwachen Ländern ergäbe sich daher bei Nichtausbringung dieses Titels eine schwere, unerträgliche Situation.
Drittens geht es um die Kontinuität der bisherigen Maßnahmen auf diesem Gebiet. Die Kontinuität würde nicht nur unterbrochen, sondern es würde zwangsläufig auch noch Schaden an dem bisher Geleisteten eintreten müssen.
Das alles zusammen sollte uns dazu veranlassen, hier gemeinsam zu votieren. So könnten die begonnenen, umweltfreundlichen Maßnahmen, die der einzelne Bürger nicht zu leisten vermag, auch im Jahre 1973 kontinuierlich fortgesetzt werden. Ich bitte Sie deshalb alle, dem CDU/CSU-Antrag auf der genannten Drucksache Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Wir kommen zur Abstimmung. Wer dein Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. -Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zu dem Änderungsantrag Drucksache 7/810. Zur Begründung hat der Abgeordnete Schröder Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen zahlreicher Kollegen der CDU, CSU-Fraktion den Antrag Drucksache 7/810 zu begründen. Der Antrag hat das Ziel, die Erstattung der Lastenausgleichsabgabe für bestimmte Betriebe in den nordwestdeutschen Niederungsgebieten auch für das Jahr 1973 sicherzustellen. Diese Erstattung kommt seit dem Jahre 1956 einer großen Gruppe von Betrieben in den Grünlandmarschen zugute, die in ihrer landwirtschaftlichen Entwicklung durch ihre besondere Lage seit jeher gefährdet ist. Die damalige Bundesregierung und das Parlament haben mit ihrer Entscheidung folgenden Besonderheiten in diesen Betrieben Rechnung getragen. Erstens. Die Einheitswerte der Betriebe in diesen Gebieten sind übermäßig hoch, und sie stehen in einem krassen Mißverhältnis zu dem tatsächlichen Ertragswert. Die Festsetzung der Lastenausgleichsabgabe ging daher bei diesen Betrieben von vornherein von falschen Bewertungsmaßstäben aus. Zweitens. Die Betriebe in den nordwestdeutschen Grünlandmarschen haben sehr hohe Deichund Wasserlasten zu tragen. In allen übrigen Teilen der deutschen Landwirtschaft sind solche Lasten entweder überhaupt nicht in einem vergleichbaren Umfang zu tragen. Drittens. Die wirtschaftliche Situation dieser Betriebe war wegen ihrer besonders schwierigen Lage und der besonderen Probleme, die ich genannt habe — hinzu kommt noch die Marktferne dieser Betriebe —, seit jeher gefährdet. Wenn man nun die Entwicklung dieser Betriebe bis heute verfolgt, so muß man feststellen — auch der letzte Agrarbericht weist das wieder aus --, daß diese Betriebe immer noch das Schlußlicht in der landwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik sind. Meine Damen und Herren, das bedeutet logischerweise, daß die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Hilfe auch heute noch gegeben sind. Die Bundesregierung will diese Mittel jetzt erstmalig nicht mehr bereitstellen. Es scheint mir, daß die Bundesregierung vom Grundsatz her die Notwendigkeit der Fortführung dieser Maßnahmen anerkennt. So liegt mir z. B. ein Schreiben des Ministers Ertl an den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes vom 8. März 1973 vor, in dem er ausdrücklich die sachliche Notwendigkeit einer Entlastung der Grünlandbetriebe in den Marschen anerkannt. Ich verweise hier auch auf die Antwort des Staatssekretärs Hermsdorf auf eine mündliche Anfrage des Kollegen Eigen. In dieser Antwort, in der der Standpunkt der Bundesregierung dargelegt wird, heißt es ich zitiere --: Die Streichung der Erstattung der Lastenausgleichsabgaben der Grünlandbetriebe in bestimmten Niederungsgebieten im Bundeshaushalt 1973 beruht allein auf Gründen der verfassungsrechtlichen Aufgabenabgrenzung zwischen Bund und Ländern. Der Staatssekretär beruft sich dabei auf Art. 30 in Verbindung mit Art. 104 a Abs. 1 des Grundgesetzes und kommt zu dem Schluß, daß allein die Länder für die Fortführung der Erstattung zuständig sind. Die Länder machen dagegen geltend, daß es sich bei dem Lastenausgleichsgesetz um ein Bundesgesetz und bei dem Grünlanderlaß um eine Entscheidung des damaligen Bundeskabinetts handelt, die als kostensenkende Maßnahme auf Grund des § 1 des Landwirtschaftsgesetzes anzusehen ist. Meine Damen und Herren, Sie werden mir recht geben, wenn ich sage: Wir alle sind sicher nicht in der Lage, zu entscheiden, welche Auffassung hier nun die richtige ist. Ich glaube, eine solche Entscheidung kann nur vom Bundesverfassungsgericht getroffen werden. Ich habe aber die große Sorge, daß bei den gegensätzlichen Auffassungen von Bund und Ländern die Marschbauern an der Küste letztlich die Leidtragenden sind. Ich meine, das darf auf keinen Fall geschehen und wäre auch von keinem hier in diesem Hause zu verantworten. Es kann doch nicht angehen, daß man diesen Betrieben, die gerade anfangen, sich etwas zu erholen das räume ich gern ein —, wieder diese unzumutbare Belastung aufbürdet, die sie in ihrer Entwicklung entscheidend zurückwerfen würde. Gerade dies muß ich jedoch befürchten, wenn ich an die Finanzsituation der beiden betroffenen und, wie ich glaube, hinreichend als finanzschwach bekannten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen denke. Lassen Sie mich noch auf einige Ausführungen des Kollegen Gallus eingehen. Herr Gallus, Sie haben versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei der Ernährungsausschuß nur halben Herzens seinem Antrag gefolgt. Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich möchte hier klarstellen: wir haben nur eine Empfehlung an den Haushaltsausschuß gegeben, weil wir wegen des unerträglichen Zeitdrucks in den Haushaltsberatungen nicht mehr in der Lage waren, Kontaktgespräche mit den Berichterstattern zu führen und gemeinsam mit ihnen Deckungsvorschläge zu machen, wie das seriöserweise für einen Antrag der Fall sein sollte. Das war die Ursache. Aber auch die Haltung des Ernährungsausschusses war einmütig, daß man diesem Begehren folgen solle. Wenn der Haushaltsausschuß dem nicht gefolgt ist, so geschah das ebenfalls wegen dieser Hektik in der Beratung, da die Berichterstatter in dem Moment nicht mehr angesprochen werden konnten. So sieht es aus. Schröder Herr Gallus, im übrigen muß ich Ihnen folgendes sagen. Nach den Ausführungen, die Sie gemacht haben, scheint es mir so zu sein, daß es Ihnen gar nicht so sehr darum geht, den Menschen in diesen Gebieten zu helfen, sondern in erster Linie darum, dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten eins auszuwischen. Das mußte man Ihren Ausführungen entnehmen! Ich möchte an Sie alle den dringenden Appell richten: stellen Sie solche Überlegungen zurück und denken Sie in erster Linie an die betroffenen Menschen! Nehmen Sie ihnen die Sorge um die künftige Entwicklung ihrer Existenz! Ich darf an alle, insbesondere auch an den Flügel zur Linken, die Bitte richten: reden Sie nicht nur über soziale Gerechtigkeit, sondern stellen Sie in diesem Fall einmal die Sorge um einen sozial schwachen Teil unserer Bevölkerung über Ihre Fraktionsdisziplin! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin bereits ausgeführt, daß im Gesamtbereich der Agrarpolitik ein Kompetenzwirrwarr besteht. Hier haben wir ein klassisches Beispiel, welche Auswirkungen ein solcher Kompetenzwirrwarr dann nachher in der Praxis anrichten kann. Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Schröder Ich glaube nicht, daß Herr Kollege Gallus mit besonderer Boshaftigkeit den Herrn Stoltenberg bedenken wollte. Aber das, was Sie hier gesagt haben, können Sie natürlich in Kiel an den Mann bringen; denn dort ist man ansonsten sehr geneigt, auf die agrarpolitische Welle zu hopsen, insbesondere wenn man glaubt, daß man damit dem Bund eins auswischen kann. (Abg. Dr. Ritz: Sie wissen, daß es auch um Hannover geht und nicht nur um Kiel!)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704522300



Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0704522400

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


(Zustimmung bei der CDU/CSU.)





(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704522500
Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0704522600
— Herr Dr. Ritz, das mußte in diesem Zusammenhang einmal gesagt werden, zumal den Ländern lange Zeit bekannt war, daß der Bund von diesem Jahr an keine verfassungsrechtlichen Möglichkeiten hat, diese Zahlungen zu tätigen. Es geht nicht an, daß das Finanzsystem in einem föderalistischen Staat nach der Devise geregelt wird: Kompetenz ist gut, aber Geld ist besser, und die Länder zwar nichts von ihren Kompetenzen abgeben wollen, aber immer die Hand aufhalten, wenn etwas hereinzubekommen ist, und dabei noch den Bund ständig auffordern, zu sparen.
Herr Dr. Jenninger, Sie ja sind unter den Finanzpolitikern ein reiner. Sie werden mir recht geben: jeder Akt der Sparsamkeit im finanzpolitischen Sinne beginnt zunächst erst einmal damit, daß man sehr sorgfältig prüft, ob man diese Ausgaben überhaupt tätigen muß, ob man einen Rechtstitel dafür hat. Hier ist die Situation tatsächlich klar. Ich muß deshalb zu meinem größten Bedauern für meine Fraktion erklären, daß wir diesem Antrag nicht zustimmen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704522700
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID0704522800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Problem, das dieser Antrag verdeutlicht, wird offenbar nur einer ,der Mängel des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben sichtbar, deren es heute wohl unbestritten —das hat die Debatte des heutigen Tages ergeben — eine ganze Reihe weiterer gibt. Diese Mängel — darauf möchte ich noch einmal in aller Bescheidenheit hinweisen — haben seinerzeit die FDP-Fraktion veranlaßt, als einzige gegen dieses Gesetz zu stimmen. Dabei — insoweit gebe ich dem Kollegen Schröder (Wilhelminenhof) recht — besteht das akute Problem, das zu der Erstattung der Lastenausgleichsabgaben in bestimmten Grünlandgebieten Veranlassung gegeben hat, auch heute uneingeschränkt fort.
Ich persönlich werde daher, obwohl ich die rechtliche Schwierigkeit der heute gegebenen Situation respektiere, dem Gruppenantrag Drucksache 7/810 zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich tue das vor allen Dingen, unabhängig von dem möglichen Ergebnis der Abstimmung, auch deswegen, weil ich diesen Antrag als Veranlassung für die Bundesregierung und die betroffenen Länderregierungen ansehe, die Fragen der Kompetenzen und der eindeutigen Abgrenzungen erneut zu überprüfen. Aus dem Ergebnis, meine Damen und Herren, sollte nicht nur für den sogenannten Grünland-Erlaß, sondern unter Umständen auch für eine meines Erachtens notwendige Verbesserung des gesamten Komplexes der Gemeinschaftsaufgaben Folgerungen abgeleitet werden.
Ich halte es dabei insbesondere für angebracht, auch zu prüfen — ich sage das auch in Richtung auf das Bundesfinanzministerium —, ob für den Grünland-Erlaß eine Weiterführung auf der Basis der Gemeinschaftsaufgabenfinanzierung 60 zu 40 % möglich sein könnte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704522900
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Drucksache 7/810. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Damit sind gleichzeitig das gilt auch für
Drucksache 7/809 die entsprechenden Deckungsanträge zu Kap. 60 06 erledigt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung über den Einzelplan 10 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wer dem Einzelplan in der vorgelegten Fassung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und wenigen Gegenstimmen ist der Einzelplan angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesminister für Verkehr
— Drucksache 7/732
Berichterstatter: Abgeordneter Müller (Nordenham)

Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Müller (Nordenham).

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704523000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Verkehrshaushalt schließt mit einer Gesamtausgabe von rund 16,524 Milliarden DM ab. Hinzu treten noch Kreditfinanzierungen bis zu 600 Millionen DM, und zwar 350 Millionen DM für Maßnahmen des Fernstraßenbaus und 250 Millionen DM für Wasserbauvorhaben.
Weiter sind im Einzelplan 32 für den Kapitaldienst von Kapitalaufstockungsanleihen der Deutschen Bundesbahn 218 Millionen DM und für Kredite zur teilweisen Finanzierung von Wasserbauvorhaben 90 Millionen DM veranschlagt.
Gegenüber dem Soll von 1972 ist dies ein Mehr von rund 12,2 %, jedoch gegenüber dem Ist von 1972 ein Mehr von nur 2%. Diese geringe Steigerungsrate von 2 % gegenüber dem Ist von 1972 ist insbesondere auf die überplanmäßige Ausgabe von 1,17 Milliarden DM Liquiditätshilfe an die Deutsche Bundesbahn zurückzuführen.
Für die Deutsche Bundesbahn sind folgende Leistungen vorgesehen:
1. Abgeltungsleistungen für politische und betriebsfremde Lasten 4 696 Millionen DM; 1972 waren es 3 466 Millionen DM.
2. Liquiditätszuwendungen für den Verlustausgleich 1 794,3 Millionen DM gegenüber rund 1 801 Millionen DM im Jahre 1972.
3. Investitionszuschuß zur Aufstockung des Eigenkapitals der Deutschen Bundesbahn 525 Millionen DM; im vergangenen Jahr waren es 500 Millionen DM.
Insgesamt erhält die Deutsche Bundesbahn 7 015,3 Millionen DM aus dem Einzelplan 12 für 1973.
Ein Wort zu den Abgeltungsleistungen für 1973! Sie setzen sich wie folgt zusammen:
1. Abgeltung von Belastungen im Schienenpersonenverkehr: 1 542 Millionen DM.
2. Ausgleich für die von der Deutschen Bundesbahn zu leistenden Kinderzuschläge zur Gleichstellung mit ihren Wettbewerbern: 107 Millionen DM.
3. Ausgleich in Höhe von 50 v. H. der Kosten für den Betrieb und ,die Erhaltung höhengleicher Kreuzungen mit Straßen aller Baulastträger: 335 Millionen DM.
4. Ausgleich für die von der Deutschen Bundesbahn zu tragende Tbc-Fürsorge zur Gleichstellung mit ihren Wettbewerbern: 4 Millionen DM.
5. Ausgleichsleistungen nach § 28 a des Bundesbahngesetzes: 21 Millionen DM.
6. Ausgleich für ,die von der Deutschen Bundesbahn zu tragende Zusatzversorgung für Arbeiter, ebenfalls zur Gleichstellung mit ihren Wettbewerbern: 164 Millionen DM.
7. Ausgleich von betriebsfremden Versorgungslasten: 502 Millionen DM.
8. Ausgleich von strukturell bedingten überhöhten Versorgungslasten: 1 184 Millionen DM.
9. Abgeltung von Zinsaufwendungen für Fremdmittel zur Finanzierung von Sachanlagen — erstmalig in diesem Haushalt —: 837 Millionen DM.
Trotz dieser Abgeltungsleistungen rechnet die Deutsche Bundesbahn nach ihrem fortgeschriebenen Wirtschaftsplan für 1973 mit einem Verlust von voraussichtlich rund 2,25 Milliarden DM. Der Verlust wird damit etwa um 200 Millionen DM unter dem des Vorjahres liegen.
Zu dieser von der Deutschen Bundesbahn erwarteten Entwicklung ist im Vergleich zu 1972 im einzelnen zu vermerken:
Im Personen- und Expreßgutverkehr Zunahme der Erträge um 276 Millionen DM aus Verkehrszuwachs und Tariferhöhungen zum 28. Januar 1973 um durchschnittlich etwa 10%.
Beim Güterverkehr Ertragsverbesserungen um 703 Millionen DM aus Verkehrszuwachs und Tariferhöhung zum 15. April 1973 um je 6 % bei Stückgut und Regeltarif Wagenladungen sowie durchschnittlich 3 5 bei Ausnahmetarifen Wagenladungen und der ganzjährigen Auswirkung der Tarifmaßnahmen von 1972.
Die höheren Abgeltungsleistungen des Bundes resultieren im wesentlichen aus der erstmaligen Abnahme von Zinsen in Höhe von 837 Millionen DM für die Altschulden von rund 13 Milliarden DM.
Die Deutsche Bundesbahn erwartet insgesamt Ertragssteigerungen um 2 300 Millionen DM auf einen Ertrag von insgesamt 18 450 Millionen DM. Die Aufwendungen werden demgegenüber nur um 1 842 Millionen DM auf 20 435 Millionen DM steigen.
Die Zunahme der Personalausgaben um 1 541 Mil, lionen DM auf 14 749 Millionen DM beruht auf der



Müller (Nordenham)

beabsichtigten Erhöhung des Personalbestandes an Dienstkräften auf 407 000 Personen, den Überhängen und Vorbelastungen aus Besoldungs- und Lohnmaßnahmen früherer Jahre und den Lohn- und Gehaltserhöhungen ab I . Januar 1973.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe eine Aufstellung über die Personalentwicklung von 1957 bis zum 30. April 1973 bei der Deutschen Bundesbahn, die das Personal ohne Nachwuchskräfte im Jahresdurchschnitt erfaßt. Darin werden für 1957 512 159 Personen und am 30. April 1973 404 395 Personen verzeichnet!
Betrieb und Anlagen erfordern einen Mehraufwand von 157 Millionen DM. Die Zinsen sind brutto mit 1 285 Millionen DM veranschlagt. Durch die Ausgleichsleistung des Bundes in Höhe von 837 Millionen DM bleibt der Deutschen Bundesbahn eine Belastung von 448 Millionen DM.
Schwerpunkte des Investitionsprogramms der Deutschen Bundesbahn im Jahre 1973 mit einem Gesamtvolumen von 3,9 Milliarden DM sind folgende: Erhöhung der Sicherheit, insbesondere durch Verbesserung des Oberbaus, Fortsetzung der Rationalisierungsmaßnahmen in der Zugförderung und im Signalwesen, Verbesserung der Leistungsangebote, vor allem durch Anpassung der Fahrzeugbeschaffung an Kundenwünsche und Beteiligung an Nahverkehrsprojekten in den Ballungsräumen, Finanzierung von Ausgaben für eine erste Neubaustrecke von Hannover nach Elze mit einem Ansatz von 25 Millionen DM.
Zur Sicherstellung dieser dringend notwendigen Investitionen ist im Entwurf des Einzelplans 12 ein Investitionszuschuß zur Kapitalaufstockung von 525 Millionen DM vorgesehen. Weiterhin soll die Investitionstätigkeit der Deutschen Bundesbahn durch Bundesmittel zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden mit 370 Millionen DM unterstützt werden.
Außer den Abschreibungen von rund 1,5 Milliarden DM werden Baukostenzuschüsse Dritter von rund 0,5 Milliarden DM erwartet, so daß an Fremdmitteln wie im Vorjahr rund 1 Milliarde DM aufzunehmen sein werden.
Das sogenannte 250-Millionen-DM-Programm zur Förderung des kombinierten Verkehrs und des Gleisanschlußverkehrs ist 1972 ausgelaufen. Hierzu erwartet das Parlament einen Erfolgsbericht der Bundesregierung zum Frühjahr nächsten Jahres.
Für die Bundesfernstraßen sind 5 510 Millionen DM und für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden einschließlich der Betriebsbeihilfen für den öffentlichen Personennahverkehr 2 340 Millionen DM veranschlagt. Das bedeutet eine Steigerung bei der letzten Position um 331/3 %.
Wesentliche Mehrausgaben fallen ferner in folgenden Bereichen an: Wasserbau mit rund 60 Millionen DM, Luftfahrt mit über 50 Millionen DM, insbesondere für Flugsicherung einschließlich Luftfahrtbundesamt und Bundesbeteiligung am Flughafen München 2, Umweltschutz der Küstengewässer und der See sowie der Luft. Erstmalig sind Ausgaben für die Errichtung einer Versuchsanlage für Verkehrstechnik ausgebracht.
Wichtigste Veränderung innerhalb des Verkehrshaushaltes dürfte jedoch die Erweiterung der Zweckbindung des bisher für den Bundesfernstraßenbau gebundenen Aufkommens aus der Mineralölsteuer auf sonstige verkehrspolitische Zwecke im Bereich des Bundesministers für Verkehr sein. Diese Änderung ist in § 22 des Haushaltsgesetzes 1973 ausgebracht.
Die sich im Bundesfernstraßenbau im Jahre 1973 hierdurch rein rechnerisch ergebenden Einschränkungen von rund 700 Millionen DM können jedoch mit Hilfe der bereits freigegebenen Ausgabereste von gut 300 Millionen DM bis auf einen Betrag von rund 400 Millionen DM ausgeglichen werden.
Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte, die auf den internationalen Märkten nach wie vor besonderen Wettbewerbsverzerrungen, Diskriminierungen und Risiken ausgesetzt ist, zu stärken, enthält der Bundeshaushalt 1973 wiederum Ansätze für die Gewährung von Neubauhilfen in Form von Zuschüssen für Handelsschiffe.
In Fortführung des verkehrspolitischen Programms sowie auf Grund des Beschlusses der Bundesregierung über schiffahrtspolitische Leitsätze und Maßnahmen vom 31. Oktober 1972 ist zur Fortsetzung und Ergänzung der Förderungsmaßnahmen nach den Grundsätzen für die Förderung der deutschen Seeschiffahrt vom 17. 5. 1965 für 1973 eine Verpflichtungsermächtigung von 250 Millionen DM vorgesehen, die in Höhe von 100 Millionen DM für das allgemeine Neubauförderungsprogramm 1973/74 und in Höhe von 150 Millionen DM für ein unter energieversorgungspolitischen Gesichtspunkten aufzustellendes, besonderes Großtankerförderungsprogramm in Anspruch genommen werden soll.
Die Beratung des Einzelplans 12 fand am 17. Mai dieses Jahres im Haushaltsausschuß ihren Abschluß. Danach wurden zur Verkehrspolitik vorgelegt: erstens die neue verkehrspolitische Konzeption des Bundesverkehrsministers vom 8. Juni 1973 „Der Mensch hat Vorfahrt" als Kursbuch für die Verkehrspolitik, zweitens der Bericht des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn vom 24. Mai 1973 zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage der Deutschen Bundesbahn, drittens die Große Anfrage der Opposition vom 23. Mai 1973. Die Generaldebatte über die Verkehrspolitik dieser Regierung und der sie tragenden Koalition soll deshalb bei der Beantwortung der Großen Anfrage der Opposition nach der Sommerpause stattfinden.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Heute nicht?) — Heute auch!

Dabei wird sicherlich die Frage der Verkehrssicherheit gebührend behandelt werden. Nach mehr Sicherheit im Verkehr wird immer lauter und immer dringlicher gefragt. Hier werden wir alle eine befriedigende Antwort finden müssen. Darauf zielt auch der Entschließungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/834 ab, der für künftige Haushalte mehr Mittel für den Deutschen Verkehrssicherheits-



Müller (Nordenham)

I rat fordert. Das wollen Bundesregierung und Koalition auch. Pikant ist in diesem Zusammenhang, daß der Mitberichterstatter, der Kollege Dr. Jenninger, bei der Beratung des in Frage kommenden Titels die Kürzung um 500 000 DM auf den Vorjahresansatz beantragte,

(Abg. Dr. Jenninger: Sie wissen auch, warum!)

was die Koalition selbstverständlich nicht mitmachen konnte. Es bleibt bei dem Regierungsentwurf. Der Tit. 532 06 hat die Bezeichnung „Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle". Es werden 6 Millionen DM bereitgestellt, davon 4,5 Millionen DM für den Deutschen Verkehrssicherheitsrat, der jetzt schon an die Arbeit gehen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, Ihnen mit diesem verhältnismäßig kurzen Bericht über den Verkehrshaushalt 1973 einige Schwerpunkte erläutert zu haben. Ich bitte um Annahme des Einzelplans 12.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704523100
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Schulte (Schwäbisch Gmünd).

Dr. Dieter Schulte (CDU):
Rede ID: ID0704523200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im April dieses Jahres die erste Lesung des Bundeshaushalts
') 1973 und des Finanzplans 1972 bis 1976 stattfand, war es aus Zeitgründen nicht möglich, den Verkehrsbereich zu diskutieren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion meint, daß die zweite Lesung nicht vorbeigehen dürfe, ohne daß die derzeitige verkehrspolitische Situation durchleuchtet wird, weil die Bedeutung der Verkehrspolitik bei dem herrschenden Bedarf an Mobilität ständig steigt, weil in kaum einem anderen Wirtschaftssektor eine derartige Abhängigkeit vom Haushaltsgebahren der öffentlichen Hand gegeben ist, weil von der Bundesregierung scheinbar spektakuläre neue Aussagen zum zukünftigen verkehrspolitischen Kurs in die Öffentlichkeit getragen werden, aber auch weil damit Hoffnungen, Erwartungen und Besorgnisse geweckt wurden, die hier einmal auf ihre Berechtigung auszuloten sind.
Seit Anfang des Jahres wird von einer neuen Verkehrspolitik gesprochen. Es muß deshalb die Frage gestellt werden, was „neu" ist. Das ist dann mit dem zu vergleichen, was vor dieser sogenannten neuen Verkehrspolitik Gültigkeit hatte. Denn fest steht doch, daß wir seit 1966 als Bundesverkehrsminister Sozialdemokraten hatten.

(Abg. Haehser: Gott sei Dank!)

— Wenn sich jetzt das Erfordernis für eine neue Verkehrspolitik zeigt, so ist doch damit, Herr Kollege, ein eindeutiges Urteil über diese sechseinhalb Jahre gesprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Haehser.)

Aber, meine Damen und Herren, es gibt in der Tat Neuheiten in der Verkehrspolitik. Neu ist weniger die Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pfennig. Denn die gleiche Koalition hat es schon im Vorjahr geschafft, an dieser Steuer um 4 Pfennige zu drehen. Aber die Verminderung des Bundesfernstraßenbaues, die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Deutschen Bundesbahn, die Diskussionen um den Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs, vor allem aber der Rückgang im Investitionshaushalt — das sind Dinge, über die hier gesprochen werden muß.
Neu ist jedoch, daß nunmehr jede Regierungsrede zur Verkehrspolitik von einem gesellschaftspolitischen Glaubensbekenntnis eingeleitet wird. Wenn der Herr Bundesverkehrsminister seine Rede jetzt nicht noch schnell umschreibt, werden wir auch hier sofort das gleiche erleben.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Mit Sicherheit!)

Hat denn die Bundesregierung vorher nicht erkannt, daß Verkehrspolitik auch Gesellschaftspolitik ist? Oder gibt es hier für die starke theoretische Untermauerung eines höchst praktischen Teils unserer Politik andere Motive? Ohne die gesellschaftspolitischen Auswirkungen, ja Weichenstellungen zu leugnen, die durch die Verkehrspolitik erfolgen, darf wohl gesagt werden, daß die Bundesregierung die gesellschaftspolitische Komponente bei der Verkehrspolitik just in dem Augenblick auf den Laufsteg geschickt hat, als die Folgen einer verfehlten Bundesbahn-Politik dem Bürger mit nüchternen Zahlen und Argumenten nicht mehr zu servieren waren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Union ist der Auffassung, daß die Verkehrspolitik mit eine entscheidende Voraussetzung für die Gestaltung der Lebensbedürfnisse und des Freiheitsraums der Menschen ist, daß die Verkehrspolitik zu den Grundlagen der Raumordnung gehört, daß über die Verkehrspolitik eine Partnerschaft zwischen den verschieden strukturierten Räumen, also zwischen Ballungsraum und ländlichen Gebieten, hergestellt werden kann, daß mit der Verkehrspolitik über die Zukunft unserer Städte, unserer Umweltbedingungen und unserer Freizeit entschieden wird. Aber das alles, meine Damen und Herren, doch nicht als Entschuldigung für eine verfehlte Bundesbahn-Politik, sondern als ursprüngliches Motiv für unser politisches Handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wunschvorstellungen und Wirklichkeit können sich auch in der Politik stoßen. Dies wird aber erst dann bedenklich, wenn der Gegensatz nicht aufgedeckt, sondern zugeschüttet wird. Gerade in der Verkehrspolitik finden wir solche Vorgänge, wenn wir einmal die realen ökonomischen und finanziellen Möglichkeiten mit den regierungsamtlich gemachten Ankündigungen oder mit dem von der Regierung geschaffenen Problembewußtsein vergleichen.
Das Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen gilt immer noch. Aber wir wissen nicht, ob die drei Dringlichkeitsstufen bis zum Jahre 2000 reali-



Schulte (Schwäbisch Gmünd)

siert sind und ob 150 Milliarden DM dafür ausreichen.

(Abg. Dr. Jenninger: Die erste!)

Für den öffentlichen Personennahverkehr wurde ein Investitionsbedarf von zirka 50 Milliarden DM bis zum Jahre 1985 angekündigt. Die Deutsche Bundesbahn braucht nach ihren eigenen Berechnungen im gleichen Zeitraum für Investitionen 80 Milliarden DM, und die Bundesregierung hat bei vielen Eisenbahnern die Hoffnung geweckt, daß die Investitionssumme bewältigt werden könne. Schließlich -das ist das letzte Beispiel, das ich hier erwähnen möchte — will sich die Bundesregierung auch verstärkt um neue Verkehrstechnologien bemühen.
Wo sind hier die Prioritäten? Wo sind die Ansätze in diesem Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung, über die wir mitberaten? Wie lange ist es ausgerechnet noch Aufgabe der Opposition, die Regierung auf das Realisierbare hinzuweisen? Es drängt sich doch allmählich der Eindruck auf, daß die Regierung auf eine ganz besondere Art und Weise eine Arbeitsteilung anstrebt. Sie verkündet die großen Programme, macht die populären Versprechungen und will es der Opposition überlassen, das unpopuläre Geschäft zu betreiben, auf die Realitäten hinzuweisen.
Meine Damen und Herren, die Situation bei der Deutschen Bundesbahn verlangt nach einem umfassenden Konzept, soll die Verkehrspolitik in der Zukunft nicht nur noch vom Finanzminister und vom Haushaltsausschuß gemacht werden. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat vor wenigen Wochen seine Vorstellungen über eine langfristige Unternehmenskonzeption vorgelegt, und der Herr Bundesverkehrsminister ist mit seinem Kursbuch zur Verkehrspolitik gefolgt. Wenn aber der Vorstand der Deutschen Bundesbahn dieses Kursbuch so interpretiert, daß das DB-Konzept nunmehr grünes Licht habe, andere öffentliche Interpretationen aber deutlich machen, daß das Kursbuch vom DB-Konzept erheblich abweicht, mag man daraus entnehmen, daß wir hier noch viel Licht in Dunkel bringen müssen.
Die Union ist hier der Auffassung, daß die Deutsche Bundesbahn ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Verkehrswesens bleiben muß und daß der Bund als Eigentümer der DB den politischen und finanziellen Rückhalt geben muß, damit sie ihre systembedingte Stärke voll ausspielen kann. Wir werden deshalb in der dritten Lesung einen Entschließungsantrag einbringen, mit dem sichergestellt werden soll, daß in Zukunft die Mittel für das Streckenausbauprogramm im Haushalt wie auch in der mittelfristigen Finanzplanung gesondert ausgewiesen werden.
Eines ist jedenfalls klar, und der Herr Bundesverkehrsminister hat es bei der Veröffentlichung seines Kursbuches auch zugegeben: der hier zu beratende Haushalt für 1973 und die hier zu beratende mittelfristige Finanzplanung bis 1976 bieten keinerlei finanzielle Basis dafür, daß die im DB-Konzept geforderte Investitionsphase bei der Deutschen Bundesbahn in Angriff genommen werden kann. Der Bundesverkehrsminister ist hier aufgefordert, für
den Bereich der Deutschen Bundesbahn die populären wie die unpopulären Maßnahmen und nicht nur die ersteren vorzutragen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs ist nicht erst seit 1973 ein zentrales verkehrspolitisches Anliegen. Auf Initiative der CDU/CSU liegt seit 1964 ein Sachverständigenbericht über die Sanierung des innerstädtischen Verkehrs vor. Damals, zu der Zeit, war es noch die SPD, die eine hundertprozentige Zweckbindung der Mineralölsteuer verlangte.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wenn aber heute der Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs, die Regelung der innerstädtischen Verkehrsprobleme so stark betont werden, so sind von uns drei Anmerkungen zu machen. Die erste Anmerkung ist die, daß der öffentliche Personennahverkehr in der Hauptsache das Instrument der Städte und des 'Ballungsraums ist, daß sich die Verkehrsprobleme in ländlichen Räumen aber anders darstellen. Meine 'Damen und Herren, das muß gesagt werden, weil 'der Bundesverkehrsminister in seinen ersten Einlassungen zu diesem Problem nicht differenziert hat.
Es muß zweitens gesagt werden, daß trotz der von der Bundesregierung propagierten Vorrangstellung des öffentlichen Personennahverkehrs bisher keine Mark für das Jahr 1973 in diesen Investitionsbereich fließen sollte. Sowohl die Reduzierung der Mittel aus dem Bundesfernstraßenbau als auch die für dieses Jahr erwarteten zweckgebundenen Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Mineralölsteuer, sollten — so war die Aussage der Bundesregierung im Verkehrsausschuß — im wesentlichen für den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher und defizitärer Leistungen der Deutschen Bundesbahn verwendet werden. Aber draußen wurde es doch anders vernommen. Draußen haben wir den Jubel über eine vermeintlich neue Politik gehört.
Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich drittens sagen, daß Priorität, daß Vorrangstellung für die CDU/CSU heißt: finanzierte Priorität.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb kündigen wir schon heute für den Fall der Erhöhung der Mineralölsteuer an, daß wir dafür sorgen werden, daß der zweckgebundene Teil investiert wird. Wir denken dabei an eine Hilfe für die Gemeinden in Höhe von 2 Pf.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Ausbauplan für die Bundesfernstraßen sagen. Angesichts des Haushaltsentwurfs 1973 und der Finanzplanung 1972 bis 1976 hält die Opposition eine Antwort auf die Frage für fällig, was nun eigentlich das Schicksal des Ausbauplans für Bundesfernstraßen sein soll. Gilt noch der Satz Georg Lebers, daß sich diese Bundesregierung nicht damit begnügen wolle, der Motorisierung nachzulaufen, sondern daß man die Motorisierung überholen wolle? Gilt noch die Aussage, daß der Bürger im Jahre 1985 im



Schulte (Schwäbisch Gmünd)

Umkreis von 10 km die nächste Autobahn erreichen könne? Oder hat Georg Leber vielleicht geahnt, daß er einmal Bundesverteidigungsminister werden würde? Denn solche falschen Straßenkarten sind vortrefflich geeignet, den Feind zu verwirren.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sollte sagen, was sie hier vorhat. Hoffnungen hat sie jedenfalls genug geweckt. Jeder von uns, der tagtäglich Briefe von Bürgermeistern, Oberkreisdirektoren und Landräten zu bearbeiten hat, weiß, was hier in die Welt gesetzt wurde.

(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Eine Fata Morgana!)

Ich glaube, daß wir hier endlich Klarheit brauchen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch ein Wort zu der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausweitung der Zweckbindung sagen. Sie erscheint in § 22 des Haushaltsgesetzes. Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU ist die jetzige Regelung der Zweckbindung der Mineralölsteuer kein Dogma. Für die Union ist aber eine Ausweitung der Zweckbindung nur dann vertretbar, wenn sichergestellt ist, daß damit an Prioritäten orientierte Verkehrsinvestitionen getätigt werden. Das ist doch der Unterschied zwischen dem, was wir jetzt bei dieser Bundesregierung erleben, und dem was der Autofahrer draußen versteht, dem also, was wir im Sinne einer langfristigen Verkehrspolitik brauchen.
Die Union ist aber andererseits der Meinung, daß wir eine fatale verkehrspolitische Entwicklung einleiten würden, wenn die Zweckbindung vornehmlich zu dem Zweck aufgehoben würde, in verstärktem Maße nicht kostendeckende Verkehrsleistungen bezuschussen zu können. Die Tatsache, daß der Investitionsanteil im Verkehrshaushalt von 53 % im Jahre 1970 auf 47% im Jahre 1973 zurückgegangen ist, sollte allen ein warnendes Beispiel sein.
Die Sicherung des Investitionsspielraums im Verkehrshaushalt ist ein Problem, das über Erfolg und Mißerfolg zukünftiger Verkehrspolitik unweigerlich entscheidet. Die Union meint deshalb, daß es allerhöchste Zeit wird, eingehend die Frage zu überdenken, bis zu welcher Grenze gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen von der öffentlichen Hand bezuschußt werden können, wenn wir gleichzeitig die großen Investitionsprogramme realisieren wollen. Es ist erstaunlich, daß bisher überhaupt nicht darüber gesprochen wurde, daß jede Investition im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs erhebliche gemeinwirtschaftliche Folgeleistungen produziert. Deshalb ist nach Auffassung der Union ein Nahverkehrskonzept erst dann in sich geschlossen, wenn es diese Folgeleistungen quantifiziert und aussagt, wer von den Beteiligten dafür aufkommen soll.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung hat sich zu weit in das Spannungsfeld zwischen Wunschvorstellungen und Wirklichkeit begeben. In einem jüngst erschienenen Kommentar heißt es:
Hier wurden Nägel ohne Köpfe gemacht. „Der Mensch hat Vorfahrt", heißt der Leitgedanke, den Lauritzen über sein Verkehrskursbuch stellte. Man kann ihm nur antworten: Der Mensch wird die Vorfahrt kaum nutzen können, da eine Reihe von Zügen aus diesem Kursbuch überhaupt nicht verkehren; ihnen fehlt der Treibstoff.
Der Haushaltsplan 1973 und die mittelfristige Finanzplanung 1972 bis 1976 sprechen eine ganz andere Sprache als die von der Bundesregierung veröffentlichten Broschüren und Programme zur Verkehrspolitik. Wir lehnen deshalb den Verkehrshaushalt ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704523300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller (Nordenham).

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704523400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden die Generaldebatte über die Verkehrspolitik nun doch nach der Sommerpause hier haben. Herr Schulte hat bedauert, daß wir am 15. März bei der Beratung des Jahreswirtschaftsberichts und am 5. April bei der ersten Lesung des Haushalts keine Zeit gehabt haben, uns mit der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung zu beschäftigen. Er hat auch noch einmal die Zusammenhänge zwischen dem Verkehr und der Mobilität herausgestellt. Er hat das unterstrichen, was wir seit langem wissen und verfolgen: daß Verkehrspolitik gleichzeitig Gesellschaftspolitik ist. Er hat gemeint, diese Verkehrspolitik, die wir Sozialdemokraten seit sechseinhalb Jahren zu vertreten haben, sei fatal. Dann kommt natürlich das alte Lied von Herrn Dr. Warnke vom 15. März und von Herrn Seiters vom 5. April mit der Gegnerschaft oder mit der Partnerschaft zwischen den ländlichen Räumen oder der Fläche und den Verdichtungsräumen oder den Ballungsgebieten, wenn das Aufkommen aus der Mineralölsteuer nun auch für sonstige Zwecke der Verkehrspolitik eingesetzt werden soll.
Ich darf für meine Fraktion sagen, daß der Straßenbau weitergehen wird.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wie?)

Das hat der Bundeskanzler in der Regierungserklärung klipp und klar gesagt.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich will die Zahlen nicht wiederholen; ich habe sie addiert. Auch in diesem schönen Jahr 1973 haben wir für den Straßenbau einschließlich der Bundeszuschüsse von 60% auf die Baumaßnahmen der Kommunen mehr als 7 Milliarden DM an Bundesmitteln zur Verfügung. Das ist eine beachtenswerte Summe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Bundesverkehrsminister hat am 15. März in der
Aussprache von einer weiteren Regionalisierung im
Einsatz der Mittel nach dem Gemeindeverkehrs-



Müller (Nordenham)

finanzgesetz gesprochen. Sie haben zugestimmt. Er hat weiter gesagt — ich zitiere —:
in den Ballungsgebieten mehr für den öffentlichen Personennahverkehr, in den anderen Randzonen in unterstrukturierten Gebieten mehr für den Straßenbau.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts davon zu merken!)

— Ich werde Ihnen das jetzt vorführen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das müssen wir einmal sehen! — Haben Sie auch einen Rechenschieber mit?)

Der Kollege Dr. Warnke hat die Behauptung aufgestellt, die Menschen in den Fördergebieten würden dadurch benachteiligt, daß die gesetzlich zweckgebundenen Mittel aus dem Mineralölsteueraufkommen für Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend verwendet würden. Sie sollen nach seiner Auffassung für andere verkehrspolitische Zwecke herangezogen werden. Darauf komme ich noch zurück.
Jetzt möchte ich mich mit dem Kollegen Seiters beschäftigen. Er blies kräftig in das Horn des Kollegen Dr. Warnke. Beinahe kommen mir die Tränen, wenn ich daran denke, wie der Kollege Seiters den Bundeskanzler aufforderte, in die Fläche zu gehen, zum Beispiel in das Emsland. Der Bundeskanzler war vor dem 19. November 1972 in den Randgebieten, in den ländlichen Gebieten, und Sie wissen, mit welchem Erfolg für unsere Partei.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Lemmrich: Habt ihr ihm dort potemkinsche Dörfer vorgeführt?)

Herr Kollege Seiters als einer Ihrer parlamentarischen Geschäftsführer hat gestern wieder kräftig danebengetreten. Ich frage mich, ob er etwas gegen den Bundeskanzler hat.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Nicht nur er! Wir alle!)

Ich darf ihn zitieren aus dem Protokoll über die Sitzung am 5. April 1973. Da heißt es:
Ich darf Sie einmal bitten, in die strukturschwachen ländlichen Gebiete zu gehen, wo der Arbeitnehmer auf sein Auto angewiesen ist, wo er nicht vom öffentlichen Nahverkehr Gebrauch machen kann, wo er teilweise 35 und 40 km zu fahren hat, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Angesichts dieser Umstände finde ich es sehr bemerkenswert und eigenartig, wenn sich die Bundesregierung in einer derartigen Weise einläßt, wie sie es getan hat.
— Beifall auf Ihrer Seite. —
Der Bundeskanzler spricht auch in diesem Punkt von mehr Lebensqualität und mehr Chancengleichheit. .

(Abg. Lemmrich: „Spricht"! Das ist aber auch alles!)

Dazu jetzt von mir etwas aus der Fläche. Ich habe hier Ausschnitte aus der regionalen Presse, aus der Nordwest-Zeitung, die immerhin eine Auflage von 100 000 Exemplaren hat, aus der Nordsee-Zeitung und aus anderen lokalen Zeitungen. Da heißt es aus Anlaß des zwanzigjährigen Bestehens der Emsland-GmbH wie folgt — ich zitiere:
In knapp zwei Jahrzehnten hat sich das Emsland vom früheren deutschen „Sibirien" in eine blühende Region verwandelt. Jetzt beginnt auch die Großindustrie das Emsland zu entdecken. Manager und Ingenieure schätzen neben den wirtschaftlichen Standortvorteilen auch den hohen Freizeitwert ihres neuen Arbeitsplatzes,
— jetzt, meine Herren, bitte passen Sie auf —
wo vor den Fabriktoren noch zur Hasenjagd geblasen wird

(Heiterkeit)

und erschlossenes Bauland in den Städten für 15 DM pro Quadratmeter und weniger gehandelt wird.
In der Nordwest-Zeitung vom 17. April dieses Jahres heißt es zu der Fläche, die angeblich benachteilig ist:
In Meppen wurde die modernste Musikschule in Norddeutschland gebaut.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nach Meppen kann keiner fahren!)

— Nein? Da fahren Sie alle mit dem Auto hin. Ich komme noch darauf.
In den oft erstaunlich gut ausgestatteten Theatern der Städte gastieren bei in der Regel ausverkauften Häusern selbst internationale Tourneetheater. Das Angebot an weiterführenden Schulen ist gut, und in den Innenstädten haben sich die Geschäftsleute der veränderten Kundenkaufkraft mit ihrem Sortiment angepaßt.
Die Summen, die an Bundesmitteln in das Emsland geflossen sind, will ich Ihnen hier nicht in Erinnerung bringen. Es sind zwei Drittel der einen Milliarde DM, die dort in den letzten zwanzig Jahren investiert worden ist, davon in sechseinhalb Jahren unter unserer Mitwirkung. Es gibt vergleichsweise das Nordprogramm in Schleswig-Holstein und das Programm für die Zonenrandgebiete. In den Zeitungsberichten heißt es weiter:
Noch immer aber liegt nach Angaben der niedersächsischen Landesregierung das Bruttoinlandsprodukt um 7 % unter dem Landesdurchschnitt. Attraktive Industrie- und Gewerbearbeitsplätze für qualifizierte Fachkräfte und Hochschulabsolventen sind weiterhin Mangelware.



Müller (Nordenham)

Jetzt kommt es, meine Herren, passen Sie bitte auf:
Busweise fahren Woche für Woche Facharbeiter über die gut ausgebauten Nord-Süd-Verkehrswege in die nordrhein-westfälischen Industriezentren.
Das ist die Verkehrssituation bei uns in den Randgebieten, in den Flächengebieten. Ich kann aus eigener Erfahrung guten Gewissens sagen

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ich komme auch aus einem Randgebiet —: Bei uns macht das Autofahren noch Spaß.

(Abg. Dr. Jobst: Ich dachte, Sie reiten!)

Nun zu Ihren Befürchtungen wegen des zweckgebundenen Teiles aus dem Mineralölsteueraufkommen. Alle Mitglieder dieses Hauses, die sich ernsthaft mit der Materie befaßt haben, wissen, daß die Ausweitung der Zweckbindung des Mineralölsteueraufkommens auf andere verkehrspolitische Zwecke, wie sie § 22 des Haushaltsgesetzes vorsieht, nicht die zweckgebundenen 6-Pfennig-Mittel für Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden erfaßt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704523500
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seiters?

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704523600
Gerne.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0704523700
Herr Kollege Müller, würden Sie zunächst meine Entschuldigung entgegennehmen dafür, daß ich bei einem Teil Ihrer Rede nicht hier war? Ich habe aber Ihre Rede — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704523800
Herr Kollege, bitte eine Zwischenfrage!

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0704523900
Ich wollte nur diese Entschuldigung gerne vorwegschicken.
Herr Kollege Müller, könnten Sie sich die Tatbestände, die Sie dargestellt haben, nicht so erklären, daß wir von 1950 bis 1969 durch eine Regierung der CDU/CSU in Bonn eine systematische Aufbauarbeit im Emsland betrieben haben und daß der systematische Abbau der Leistungen jetzt durch die Maßnahmen beginnt, die vom Bundesverkehrsministerium und vom Bundeswirtschaftsministerium in Gang gesetzt worden sind?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704524000
Herr Kollege Seiters,

(Abg. Wehner: Fragen Sie doch einmal, ob das eine Verleumdung war! — Abg. KrollSchlüter: Seit wann sind Tatsachen Verleumdungen?)

daran waren wir auch beteiligt. Der Kollege Schulte sprach ja davon, daß wir für den Verkehrsausbau in diesen Gebieten seit 61/2 Jahren voll verantwortlich sind. Gerade in den letzten Jahren ist im Ems-
land viel, viel mehr geschehen als in den voraufgegangenen 13 1/2 Jahren.

(Beifall bei der SPD.)

Ich komme zurück zu den 6-Pfennig-Mitteln. Diese werden genau nach den Buchstaben des Gesetzes verwandt, und zwar zu 50 Prozent für Maßnahmen des öffentlichen Personennahverkehrs und zu 50 Prozent für den kommunalen Straßenbau, wobei der Einsatz der Mittel für den kommunalen Straßenbau — ich möchte sagen: leider — weitgehend der Entscheidungsmitwirkung des Bundes entzogen ist.

(Zuruf von der SPD: Leider!)

Selbst wenn ich unterstellte, die vom Landkreistag und von Kollegen Ihrer Fraktion zitierte Auffassung sei zutreffend, daß von den Mitteln für den kommunalen Straßenbau etwas mehr als die Hälfte für den Verkehrsausbau in den Verdichtungsräumen durch die Länder eingesetzt würden — was ich im übrigen nach sorgfältiger Prüfung bestreiten muß —, so würden immerhin noch über 40 Prozent der Mittel für den Verkehrsausbau in den Randgebieten eingesetzt. Bei der Abwägung aller Interessen dürfte das wahrscheinlich schon ein durchaus angemessenes Verhältnis sein.
Darüber hinaus sollte doch niemand vergessen, daß auch die Maßnahmen des öffentlichen Personennahverkehrs in vielen Fällen den Kommunen zugute kommen wie viele andere Maßnahmen im Bundesfernstraßenbau. Lassen Sie mich nur die Verbesserung der Ortsdurchfahrten, den Bau von Ortsumgehungen, die nicht unerhebliche Zahl von Aufstufungen von Landstraßen zu Bundesstraßen, den Bau von neuen Bundesstraßen mit den mannigfaltigen Anbindungen an das vorhandene Straßennetz von Land-, Kreis- und sonstigen Straßen nennen. Auch der aus anderen Mitteln geförderte Verkehrsausbau in den Randgebieten, wie z. B. aus dem Grünen Plan, darf dabei nicht vergessen werden.
Insgesamt gesehen — das kann doch niemand ernsthaft bestreiten — hat der Verkehrsausbau in den Gebieten, in denen kein oder ganz geringer Bedarf an öffentlichen Verkehrsmitteln besteht, jetzt eine verstärkte Förderung erhalten, die nicht nur beachtlich, sondern fast beispielhaft zu nennen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704524100
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Warnke?

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704524200
Bitte schön!

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID0704524300
Herr Kollege Müller, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Mittel für den kommunalen Verkehrsausbau in einer Weise verteilt worden sind, die dazu geführt hat, daß in den letzten fünf Jahren — laut Berechnung des Deutschen Landkreistages, einer neutralen Institution — allein in den Fördergebieten Mittel in Milliardenhöhe von den dortigen Steuerzahlern aufgebracht worden sind, um den Verkehrsausbau der



Dr. Warnke
Großstädte zu finanzieren, und halten Sie eine solche Lösung für gerecht?

(Abg. Haehser: Der hat keine blasse Ahnung!)


Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704524400
Herr Kollege Dr. Warnke, ich muß dieser Auffassung widersprechen.

(Abg. Haehser: Er produziert sich als Fachmann!)

Ich war immerhin 16 Jahre Landrat in Niedersachsen. Ich kenne die Fläche. Ich glaube nicht, daß diese Ihre Behauptung sich aufrechterhalten lassen wird. Auf Grund meiner persönlichen Erfahrung bin ich der Meinung bzw. komme zu der Vermutung, daß die Menschen in den Ballungsgebieten in der Vergangenheit den Verkehrsausbau bei uns in der Fläche gefördert haben, nicht aber umgekehrt. Gehen Sie doch bitte einmal nach Nordwestniedersachsen, oder gehen Sie nach Schleswig-Holstein. Jeder grüne Weg ist dort betoniert. Dort kann man beruhigt mit dem Auto fahren.

(Abg. Lemmrich: Das ist doch auf Grund des Grünen Plans so! Hier bringen Sie etwas durcheinander!)

Alle Bundesfernstraßen sowie Kreis- und Gemeindestraßen sind hervorragend ausgebaut. Leider gilt das nicht immer auch für Landesstraßen. Ich behaupte also: Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Herr Dr. Warnke. Wir werden uns über dieses Thema künftig sicherlich noch unterhalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704524500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0704524600
Herr Kollege Müller, Sie haben die vielen asphaltierten Wege im ländlichen Raum erwähnt. Glauben Sie nicht, daß dies ein Erfolg und ein Verdienst der Politik im Agrarbereich — Stichwort: Förderung des Ausbaus der Wirtschaftswege — ist, wie wir sie über 20 Jahre lang betrieben haben?

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704524700
Selbstverständlich. Ich halte von dem Ausbau der Wirtschaftswege sehr viel und habe bei der Förderung dieses Ausbaus auch kräftig mitgemacht. Ich habe diesen Ausbau als ein Beispiel für den Verkehrsausbau gerade in der Fläche mit erwähnt.
Ich möchte namens meiner Fraktion abschließend folgendes sagen. Wir stimmen dem Einzelplan 12 zu. Wir erwarten, daß der Einzelplan 12 im Jahre 1974 eine Zuwachsrate erhält, die größer ist als jene von 2 % in diesem Jahr. Im übrigen werden wir uns in der Generaldebatte nach der Sommerpause über die Verkehrspolitik sicherlich eingehender und tiefschürfender unterhalten, als es heute möglich war.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704524800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704524900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen ein Wort des Kollegen Schulte aufnehmen. Der Kollege Schulte hat hier sinngemäß ausgeführt, es sei wie in der Vergangenheit die Aufgabe der Opposition — und es sehe so aus, als ob dies auch in Zukunft so sein müsse —, Vorschläge für eine vernünftige Verkehrspolitik zu machen oder sich für eine vernünftige Verkehrspolitik einzusetzen. Wenn ich mir allerdings die Anträge ansehe, die die Opposition bei den Beratungen im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages, aber auch hier bei der Einzelberatung der Haushalte eingebracht hat, so muß ich feststellen, daß Sie im Grunde genommen mit der Verkehrspolitik im großen und ganzen doch zufrieden sein müssen,

(Zustimmung des Abg. Haehser)

denn Sie haben im Verkehrsausschuß ja nur gefordert, daß beispielsweise der Informationstitel gekürzt wird und daß der Betrag einem bestimmten, neu zu schaffenden Titel zugeführt wird. Sie haben weiter daran erinnert, daß im Zuge der angestrebten Sanierung der Bundesbahn nun die Altschulden einmal übernommen und getilgt werden müßten. Damit waren Ihre Anregungen beendet. Weiter haben Sie zum Verkehrshaushalt nichts gesagt. Auch hier im Plenum beziehen Sie sich, Herr Kollege Schmidt, nur auf den Leertitel für den Saarkanal und machen zur dritten Lesung einige Anmerkungen bezüglich der Arbeit des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. So schrecklich falsch kann die Verkehrspolitik gar nicht gewesen sein, und sie kann bisher — wir werden darauf achten, daß es auch in Zukunft gar nicht anders sein wird — nicht sosehr von gesellschaftspolitischen Aspekten bestimmter Art bestimmt worden sein; denn eine wohlverstandene Verkehrspolitik hat dafür zu sorgen, daß sie den Verkehrsträgern Verkehrsmittel in ausreichender Zahl zur Bewältigung der Anforderungen an die Verkehrsleistungen zur Verfügung stellt, also den Verkehrserfordernissen entspricht, und daß sie Verkehr erzeugt; denn die Verkehrspolitik ist auch ein Mittel einer Strukturveränderung im positiven Sinne. Sie wissen, daß die wirtschaftlich unterstrukturierten Gebiete zur Zeit angesichts der Kürzung von Straßenbaumitteln über den anfangs beabsichtigten Ansatz hinaus erhebliche Sorgen haben, daß ihre ungünstige Struktur möglicherweise nicht verbessert wird.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich teile die Sorge dieser Gemeinden, und ich werde mich bemühen, meine Damen und Herren, vor allem von der Opposition, in praktischer Arbeit und nicht in verbalen Erklärungen diese Sorgen dort zu zerstreuen, wo sie aufgetreten ist.

(Abg. Lemmrich: Aber auch Sie haben der Mineralölsteuererhöhung zugestimmt!)

Gerade wir Freien Demokraten haben uns — das ist nachweisbar — in den letzten Jahren mit Erfolg in dieser Richtung bemüht. Herr Kollege Lemmrich, Sie werden mir das nicht bestreiten können!




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704525000
Herr Abgeordneter Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jobst?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704525100
Ja, bitte!

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0704525200
Herr Kollege Ollesch, stimmen Sie mir zu, daß die Mineralölsteuererhöhung gerade die kraftfahrenden Bürger in den ländlichen Räumen erheblich stärker trifft als die in den Ballungsgebieten, und haben Sie im Verkehrsausschuß deshalb nicht für die Mineralölsteuererhöhung gestimmt?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704525300
Aber Herr Kollege, Sie wissen, daß ich sogar hier im Plenum des Deutschen Bundestages meine Bedenken und meine Ablehnung vorgetragen habe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Von daher braucht diese Frage gar nicht mehr gestellt zu werden; denn sie ist, wie Sie wissen, allerdings gegen meinen und auch gegen Ihren Willen — das muß ich Ihnen konzedieren — entschieden.

(Abg. Dr. Ritz: Es ging nur um die Motive, Herr Kollege Ollesch!)

Ich habe sie aus bestimmten Gründen abgelehnt.
Sie wissen, warum die Kürzung der Straßenbaumittel vorgenommen wird. Sie wissen, daß wir uns bemühen müssen, uns stabilitätskonform zu verhalten als ein Gesetzgeber, der durch seine Ausgabenpolitik erheblichen Einfluß auf die Konjunktur in unserer Wirtschaft nehmen kann. Da wir uns nur im investiven Bereich zurückhalten können, müssen wir das dort tun. Wo sollten wir das wohl sonst tun? Meistens sind wir durch gesetzliche Maßnahmen zu Ausgaben bestimmter Art verpflichtet. Deshalb müssen wir hier zu einem Zeitpunkt kurz treten, der sich aus unserer wirtschaftlichen Situation heraus ergibt.
Meine Damen und Herren, der Kollege Schulte von der Opposition hat auf angeblich spektakuläre Aussagen der Bundesregierung hingewiesen und gefragt, ob nunmehr eine neue Verkehrspolitik eingeleitet würde. Zur Einleitung einer neuen Verkehrspolitik besteht nach Meinung der Freien Demokraten kein Anlaß, sondern wir leben mit der Zeit und in der Zeit, und es gibt Erfordernisse, die uns angeraten erscheinen lassen, die Akzente etwas zu verschieben. Sie wissen, daß wir hier in der Vergangenheit längere Auseinandersetzungen über ein Spezialproblem in unserer Verkehrspolitik gehabt haben, über den öffentlichen Personennahverkehr. In Verfolg und in Vollzug der Regierungserklärung, in der mit der Zustimmung der Freien Demokraten erklärt wurde, daß der öffentliche Personennahverkehr in den Ballungsgebieten Priorität gegenüber dem Individualverkehr haben müsse, werden hier nunmehr für dieses Jahr und für die nächste Zeit — und wir werden entscheiden, für wie lange — die Akzente verschoben. Dabei ist es unsere Absicht, notwendigen Fernstraßenbau nicht zu vernachlässigen.
Aber, meine Damen und Herren, haben Sie sich nicht oft gefragt, ob wir es uns auf die Dauer leisten können, was den Finanz- und auch den Raumbedarf angeht, Fernstraßen weiterhin so kostenaufwendig wie bisher zu bauen, und ob nicht hier eine Verschiebung der Akzente auf Verbesserung vorhandener Fernstraßen beispielsweise durch vermehrte Ortsumfahrten geschehen muß?
Wir sind der Ansicht, daß das letztere, daß die Verbesserung bestehender Fernstraßen durch Beseitigung von Engpässen in den Orten mit geringerem Mitteleinsatz erheblich zur Verbesserung der Verkehrslage beitragen kann; höherer Effekt bei geringeren Mitteln.
Es wurde vom Rückgang der Investitionen gesprochen. Ich habe erklärt, daß wir, wenn wir uns konjunkturgerecht verhalten wollen, an dieser schmerzlichen Operation nicht vorbeikommen. Gestatten Sie mir aber einige Worte zu der angeblich verfehlten Bundesbahnpolitik. Herr Kollege Schulte, Sie wissen, daß die Bundesbahn ein Schmerzenskind aller Verkehrspolitiker nicht erst seit heute, nicht erst seit Bestehen der sozialliberalen Koalition, sondern seit einer Reihe von Jahren ist.
Ich frage mich nur: Was will die Opposition denn anderes tun, als wir zu tun beabsichtigen?

(Abg. Dr. Jenninger: Da wollte doch einer aus dem Defizit heraus!)

Ich habe bisher in allen Auseinandersetzungen um die Deutsche Bundesbahn praktikablere Vorschläge als die, die nunmehr als Maßnahmen durchgeführt werden, nicht zur Kenntnis nehmen können. Denn, Herr Kollege Schulte, wenn wir sagen, es muß eine Trennung der Verkehre zwischen den wirtschaftlich orientierten und den gemeinwirtschaftlich betriebenen in dem Nachweis der Bundesbahn durchgeführt werden, dann hilft uns das ja alles noch nicht von dem Defizit herunter und nicht von der hohen Zuschußleistung des Bundes, die in der letzten Zeit Jahr für Jahr gestiegen ist.
Wir bemühen uns nunmehr nach unserem Vermögen, mit erheblichem Mitteleinsatz der Bundesbahn zu helfen, sie nicht weiter über Gebühr auf den Kapitalmarkt zu bringen.
Was das eigene Konzept der Deutschen Bundesbahn anbelangt, den Vorstandsbericht an die Bundesregierung über die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Deutschen Bundesbahn, da werden wir zu entscheiden haben, ob wir dem Vorschlag des Vorstandes folgen können. Aus der Sicht des Vorstandes heraus mußten diese Vorschläge so ausfallen. Aber uns bleibt die Entscheidung, welche Verkehre wir als vom Bund her förderungswürdig ansehen, welche Verkehre die Bundesbahn eigenwirtschaftlich betreiben muß und welche Verkehre abgestoßen werden müssen, weil das Unternehmen I Deutsche Bundesbahn, im Gegensatz zu anderen, aus der ganzen Konstruktion der Bundesbahn heraus sie nicht kostendeckend betreiben kann. Das wird unsere Entscheidung hier im Hause sein.
Die Freien Demokraten sind bereit, bei der Auseinandersetzung über dieses Konzept eine dahin



Ollesch
gehende Entscheidung zu treffen. Nicht alles fällt unter den Begriff Daseinsvorsorge, was bestimmte Kreise darunter sehen möchten. Das möchte ich hier für die Freien Demokraten in aller Deutlichkeit sagen.
Nun bleibt das Problem des öffentlichen Personennahverkehrs. Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß die geforderte Priorität geschaffen werden sollte. Ich warne allerdings vor der Annahme, wir könnten das Problem des Individualverkehrs, die Probleme, die die gestiegene Motorisierung uns bringt, nur mit einer Verstärkung der Finanzmittel oder allein mit besonderen Hilfen für den öffentlichen Personennahverkehr aus der Welt schaffen. Ich warne auch davor, nun in eine ÖPNV-
Euphorie zu verfallen und den Individualverkehr zu verdammen; er wird notwendig sein in den Gebieten, in denen es uns trotz aller Anstrengungen nicht gelingen wird, erforderliche Verkehre mit Massenverkehrsmitteln zu bewältigen, weil sich der Einsatz von Massenverkehrsmitteln in menschenleeren Gebieten einfach nicht lohnt.
In den Ballungsräumen aber werden wir etwas mehr tun als bisher. Die ersten Schritte sind wir gegangen, leider gegen Ihren Widerstand, meine Damen und Herren von der Opposition; denn mit dem Verkehrsfinanzgesetz von 1971 haben wir versucht, den Gemeinden und den Trägern, die öffentlichen Personennahverkehr betreiben, eine wirksame Hilfe durch die Mineralölsteuerrückgewähr und die Veränderung des Aufteilungsverhältnisses bei den Beträgen, die für den Gemeindeverkehrswegebau und für Einrichtungen des öffentlichen Personennahverkehrs gedacht waren, zuteil werden zu lassen.

(Abg. Lemmrich meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Kollege Lemmrich. Bitte schön!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704525400
Herr Kollege Lemmrich, der Herr Kollege Ollesch läßt Ihre Zwischenfrage zu.
Ollesch: (FDP) : Ich wollte nur den Satz zu Ende führen.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0704525500
Danke sehr! — Herr Kollege Ollesch, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie der Meinung waren, daß die Einführung von Zuschüssen für den Verkehrsausbau in den Gemeinden gegen uns geschehen sei?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704525600
Nein. Die Einführung von Zuschüssen für den Verkehrswegebau ist nicht gegen Ihren Willen geschehen. Die erste wirksame Hilfe für den öffentlichen Personennahverkehr war die Mineralölsteuerrückerstattung, nachdem jahrelang nur über mögliche Hilfsmaßnahmen geredet wurde. — Das ist die Tatsache, Herr Kollege Lemmrich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704525700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Lemmrich?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704525800
Bitte sehr.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0704525900
Ist Ihnen vielleicht entgangen, daß auf unsere Initiative hin die Kraftfahrzeugsteuer den Betrieben des öffentlichen Personennahverkehrs zurückerstattet wurde und ebenfalls auf unsere Initiative hin, gegen die Sie sehr Stellung genommen hatten, den öffentlichen Personennahverkehrsbetrieben beim Ausbau ihrer Infrastruktur durch die Erhöhung der Mineralölsteuer eine entscheidende Hilfe zuteil wurde?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704526000
Herr Kollege Lemmrich, das ist mir nicht entgangen. Das war wohl zur Zeit der Großen Koalition; da gab es eine Kfz-Steuerbefrei-
ung für Betriebe des öffentlichen Personennahverkehrs. Ich speche jetzt aber von den Auseinandersetzungen um die Durchführbarkeit der Verkehre, und der erste Schritt nach diesen Auseinandersetzungen war die Mineralölsteuerrückerstattung, die eine wirksame Hilfe für private und öffentliche Träger bedeutete.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704526100
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704526200
Bitte sehr.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0704526300
Sehr verehrter Herr Kollege Ollesch, darf ich Sie daran erinnern, daß die erste wirklich wirksame Hilfe für den öffentlichen Nahverkehr die Anhebung der Mineralölsteuer um 3 Pf im Jahre 1966 war, gegen die Sie heftigst opponiert haben und deretwegen Sie sogar eine bestehende Koalition platzen ließen?

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0704526400
Herr Kollege Müller, auch das ist mir bekannt; aber dies war nicht die erste wirksame Hilfe für die Durchführung von Verkehren. Wir finanzieren nunmehr die Durchführung der Verkehre unter anderem durch die Rückgewähr der Mineralölsteuer, und im Lande Nordrhein-Westfalen wird unter einem FDP-Verkehrsminister sogar das rollende Material mit erheblichen Investitionszuschüssen bezuschußt. Das sind wirksame Hilfen, wie wir sie meinen!
Meine Damen und Herren, ich sehe, meine Zeit läuft ab. Lassen Sie mich abschließend nur noch folgendes sagen. Sie haben sich bisher immer — das war Ihr gutes Recht — mit dem jeweiligen Verkehrsminister gerieben. Ich nehme an, daß Sie dies weiter tun werden. Das ist ein Relikt aus Ihrer unbewältigten Vergangenheit aus der Zeit der Großen Koalition,

(Abg. Dr. Jobst: Sie doch auch, Herr Kollege Ollesch, während der Großen Koalition, ebenso wie die Union!)

als Sie sich, Herr Kollege Dr. Müller-Hermann, mit
dem damaligen Bundesverkehrsminister Leber auseinandersetzten. Ich will nur hoffen, meine Damen



Ollesch
und Herren, daß Sie sich nicht mit den personellen Auseinandersetzungen begnügen,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Die hat es nie gegeben!)

daß Sie mehr als in der Vergangenheit in den zuständigen Ausschüssen mit uns gemeinsam über praktische Verkehrspolitik nachdenken, über Maßnahmen, die sofort oder in absehbarer Zeit wirkliche Hilfe bedeuten, und zwar im notwendigen Fernverkehr, ohne den unsere Wirtschaft nicht bestehen kann, in der Sanierung der Deutschen Bundesbahn, in der Lösung des Problems Individualverkehr in den Ballungsräumen und im notwendigen Einzelverkehr in den Räumen, in denen es einen öffentlichen Personennahverkehr mit Massenverkehrsmitteln einfach nicht geben kann. Wenn wir die Verkehrspolitik weniger ideologisch bestimmt und mehr auf das Praktische bezogen sehen, werden wir viel mehr Gemeinsamkeiten in diesem Bereich der Politik finden, als es sich heute durch Ihre Stellungnahme zum Einzelplan 12 ausgedrückt hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704526500
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704526600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn der für den Verkehr verantwortliche Minister ein neues Konzept der Bundesregierung vorlegt, ist es doch wohl nur natürlich, daß darüber eine lebhafte Diskussion entsteht, eine Diskussion, die wir alle begrüßen sollten; denn uns allen muß daran gelegen sein, für Verständnis in der Öffentlichkeit und auch für Verständnis bei denen zu werben, die politische Entscheidungen in diesem Bereich zu fällen haben. Dieses Konzept, von dem ich spreche und von dem auch heute schon gesprochen worden ist, baut ganz bewußt auf den Vorarbeiten, die unter meinem Amtsvorgänger, Herrn Kollegen Leber, geleistet worden sind, sowie auf der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 18. Januar dieses Jahres auf. Dieses Konzept konkretisiert und vertieft die dort gemachten Aussagen.
Mit Recht — ich habe das dankbar begrüßt — hat ein Diskussionsteilnehmer darauf hingewiesen, daß wir seit 1966 sozialdemokratische Verkehrsminister haben. Ich füge hinzu: In dieser Zeit hat die Verkehrspolitik auch ein entscheidend anderes Gesicht bekommen.

(Beifall bei der SPD.)

Die Verkehrspolitik ist damit unmittelbar in die Mitte der Gesellschaftspolitik gerückt worden.
Ein solches Konzept, wie es vor kurzem - — am 8. Juni — vorgelegt worden ist, hat natürlich Kritik positiver und negativer Art gefunden, und ich darf, wenn ich mir die ganze Diskussion in der Öffentlichkeit und in der Presse ansehe, mit aller Bescheidenheit feststellen, daß die positive Kritik weit überwiegt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Oder sind Sie anderer Meinung?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704526700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke, Herr Minister?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0704526800
Herr Minister, Sie haben soeben gesagt, die Verkehrspolitik sei in den Mittelpunkt der Gesellschaftspolitik gerückt. Darf ich Sie fragen, ob Sie denn künftig bereit sind, gewisse Verkehrsverbände auch finanziell zu unterstützen, z. B. den Verkehrsverbund Hannover?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704526900
Ich möchte vorschlagen, daß ich zunächst meine Gedanken vortrage und daß die Disposition meiner Rede nicht von Ihren Zwischenrufen bestimmt wird. Ich komme noch zum Nahverkehr. Darüber ist lange gesprochen worden. Sie scheinen besonders an Hannover interessiert zu sein. Darum darf ich Ihnen sagen, daß gerade mit dem Großraumverband und mit der Hauptstadt Hannover sehr eingehende Verhandlungen geführt worden sind, die zum Ziele haben, den Einheitstarif im Jahre 1973 zu erhalten. Wir bemühen uns auch, den Einheitstarif für 1974 zu erhalten. Ob wir ihn allerdings auf die Dauer halten können, weiß ich nicht.

(Abg. Dr. Waffenschmidt meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Meine Herren, darf ich nicht erst ein paar Dinge sagen? — Bitte, Herr Waffenschmidt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0704527000
Ich habe Ihnen erst Zeit zur Beantwortung geben wollen, damit der Herr Kollege dann seine Frage stellen kann.
Dr. Waffenschmidt (CDU, CSU) : Herr Minister Lauritzen, da Sie gerade von dem Programm sprechen, das Sie vor einigen Tagen veröffentlicht haben, möchte ich Sie fragen: Teilen Sie meine Ansicht, daß dieses Programm einen realen politischen Wert für uns alle erst dann bekommt, wenn Sie sagen, wie es konkret finanziert werden kann?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704527100
Herr Waffenschmidt, sind Sie wirklich der Meinung, daß ich zu diesem Thema nichts sagen werde? Das ist doch dauernd angesprochen worden, aber es gehört nun nicht in die Einleitung. Zuerst muß ich doch einmal etwas zu meinem Konzept sagen, dann werde ich auch zu der Finanzierungsfrage etwas sagen. Ich möchte nur eine Antwort schon jetzt sehr deutlich geben: Ich warne vor dem Glauben, man könne bis zum Jahre 1980, 1985 oder 1990 Prioritäten quantifizieren und finanzieren, wie es Herr Dr. Schulte gemeint hat. Alle derartigen Zahlen waren nach spätestens drei oder vier Jahren überholt, und dann mußte man mit der Rechnung wieder von vorne anfangen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Aber die mittelfristige Finanzplanung!)

-- Die geht aber nur über fünf Jahre. Das ist der wesentliche Unterschied, Herr Müller-Hermann. Viel-
leicht haben Sie doch nicht ganz gesehen, was mit-



Bundesminister Dr. Lauritzen
telfristige Finanzplanung bedeutet. Hier geht es um langfristige Vorstellungen, und das ist ganz etwas anderes als eine mittelfristige Finanzplanung.
Ich stelle also mit Befriedigung fest, meine Damen und Herren — Sie werden mir das nicht verdenken —, daß die öffentliche Kritik an diesem Verkehrskonzept überwiegend positiv gewesen ist. Ich denke hier nur an die Presseverlautbarungen und die Verlautbarungen von Verkehrs- und Wirtschaftsverbänden, insbesondere des Güterfernverkehrs, des Nahverkehrs, des Deutschen Industrie-und Handelstages, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Das sind Organisationen, auf deren Urteil Sie bisher doch immer großen Wert gelegt haben.
Negativ und, wenn Sie wollen, auch etwas polemisch haben im Grunde genommen zwei Gruppen Stellung genommen: der die Interessen der Automobilisten vertretende Verband der Automobilindustrie und die CDU/CSU-Fraktion. Herr Schulte hat ja schon, kaum war das Konzept auf dem Tisch — ich weiß gar nicht, ob er schon Zeit hatte, es zu lesen —, eine schnelle Stellungnahme abgegeben, und in der heutigen Argumentation hat er manches davon wiederholt — leider, meine Damen und Herren. Daß die Opposition so negativ reagiert hat, darüber wundert sich wohl niemand. Aber sie muß sich dann auch an die Zahlen halten.
Zwei Argumente aus Ihrer ersten Stellungnahme vom 8. Juni haben Sie, Herr Dr. Schulte, nicht wiederholt, und ich kann verzichten, darauf einzugehen.
Zwei Argumente aber haben Sie heute wiederholt.
Das eine war, die Investitionen im Verkehrshaushalt seien rückläufig. Absolut gesehen, meine Damen und Herren, steigen die Investitionen von 1972 auf 1973 um 94 Millionen DM. Aber es wäre doch eine Illusion, anzunehmen, daß dann, wenn eine Bundesregierung und die sie tragende Koalition ein Stabilitätsprogramm vorlegen und zu Einsparungen und Kürzungen im Haushalt übergehen müssen, der Verkehrshaushalt ungeschoren bleibt. Bei meinem Haushalt für 1973 ist bewußt ein Beitrag zur Stabilitätspolitik geleistet worden. Ich bin dem Herrn Berichterstatter des Haushaltsausschusses sehr dankbar dafür, daß er schon angedeutet hat, daß das im Jahre 1974 hoffentlich nicht wieder notwendig sein wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist doch das Entscheidende dabei.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)


Dr. Dieter Schulte (CDU):
Rede ID: ID0704527200
Herr Bundesminister, würden Sie zugeben, daß sich bei den Ausgaben des Bundes für Verkehr insofern eine Verlagerung ergeben hat, als der Teil, der in den Konsum geht, größer geworden ist, nicht aber der Teil, der in Investitionen geht?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704527300
Wo geht denn im Verkehr etwas in den Konsum?

(Abg. Dr. Müller-Hermann: In die Subventionen!)

— Das ist doch nicht Konsum. (Abg. Dr. Müller-Hermann: Aber natürlich!)

— Ich 'bitte Sie! Wenn Sie die Subvention an die Bundesbahn als Konsum betrachten, haben Sie aber eine etwas weitergehende Vorstellung von Konsum als ich. Das kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist eine sehr wacklige Argumentation!)

— Vorläufig stehe ich hier noch fest auf beiden Beinen, Herr Müller-Hermann. Diese, wie ich glaube, etwas schiefe Argumentation vermag ich nicht zu akzeptieren.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Das zweite, meine Damen und Herren: Die Behauptung, für den öffentlichen Personennahverkehr, der nach der Erklärung der Bundesregierung Vorrang haben solle, werde kein Pfennig zusätzlich bereitgestellt, ist schlicht unrichtig. Die Ausgaben für den öffentlichen Personennahverkehr steigen nach der mittelfristigen Finanzplanung, von der ich auch noch immer erwarte, daß sie, wie Herr Müller (Nordenham) gesagt hat, nächstes Jahr besser wird, von 1972 bis 1976 um rund 50 %. Damit wird deutlich, wie wir den Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs realisieren wollen.

(Abg. Lemmrich: Herr Minister, das können Sie uns so nicht erzählen! Das sind doch die 6 Pf, die normal wachsen! Die sind doch gesetzlich festgelegt!)

— Die gehen doch in den Nahverkehr hinein. Und jetzt kommt eine Erhöhung der Mineralölsteuer dazu. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben.

(Abg. Lemmrich: Das ist ein Wort!)

— Na bitte, meine Meinung dazu kennen Sie doch. Die habe ich im Verkehrsausschuß deutlich zum Ausdruck gebracht.

(Abg. Lemmrich meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Das wird anscheinend ein Dialog, Herr Präsident.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0704527400
Herr Minister, kann ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß Sie sich mit aller Kraft dafür einsetzen werden, daß von den 5 Pf Mineralölsteuererhöhung im kommenden Jahr ein bestimmter Teil für den Verkehrsausbau in den Gemeinden zweckgebunden abgezweigt wird?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704527500
Herr Lemmrich, ich pflege meine Wünsche dem Finanzminister zunächst persönlich und nicht in der Öffentlichkeit zu sagen, damit er es in der Zeitung liest.

(Beifall bei der SPD.)

Wir haben uns für Ende Juni, noch vor der Sommerpause, verabredet, um über den Verkehrshaushalt des Jahres 1974 zu sprechen. Und eines sage ich Ihnen heute: Dieser Punkt wird dabei eine wesentliche Rolle spielen.

(Abg. Lemmrich: Danke schön!)




Bundesminister Dr. Lauritzen
Was nun die Finanzierung angeht, meine Damen und Herren, so habe ich mich bewußt darauf beschränkt, in dem Verkehrskonzept zu sagen: Es handelt sich um Maßnahmen mittel-, zum Teil langfristiger Natur, die nur schrittweise im Rahmen der jährlichen Haushaltspläne und der Finanzplanung realisiert werden können. Wer Geld vom Finanzminister haben will, der muß zunächst einmal deutlich machen — in einer überzeugenden Darstellung seiner Absichten —, wofür.

(Beifall bei der SPD.)

Ich meine, der Finanzminister hat heute morgen mit Recht gesagt, daß er dafür Verständnis hat. Ich habe damit nur eine gute Basis für das Gespräch Ende Juni schaffen wollen. Aber das ist das wesentliche Anliegen jetzt: den Finanzierungsrahmen für den Haushalt 1974 und die mittelfristige Finanzplanung abzustecken und die Raten festzulegen, um die es uns dabei geht.
Nun hatte ich mir noch so einen schönen Satz zur „gesellschaftspolitischen Phrase" aufgeschrieben. Aber Herr Schulte hat das nicht wiederholt; ich will also davon absehen, darauf zu sprechen zu kommen.
Nur, ich möchte eines sagen, meine Damen und Herren: Wir, die Bundesregierung, sehen Verkehrspolitik nun wirklich nicht nur unter technischen oder finanziellen Aspekten. Deswegen haben wir gesagt, der Mensch hat Vorfahrt. Was bedeutet das? Wir meinen, die Lösung unserer technischen und verkehrspolitischen Probleme hat eben in erster Linie dem Menschen zu dienen; das ist für uns ein entscheidendes gesellschaftspolitisches Anliegen.

(Abg. Dr. Probst: Bisher für Hunde?)

— Ja, dann verstehe ich nicht das Wort von der „gesellschaftspolitischen Phrase", das neulich Herr Schulte gebraucht hat. Entweder gilt das eine oder es gilt das andere. Mal so oder so, wie es gerade paßt — oder wie machen Sie Politik?

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Besser!)

— Davon habe ich noch nichts gemerkt.
Nun ist in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, immer wieder von einer „Verteufelung des Autos" gesprochen worden. Das ist doch nichts anderes als schlicht und einfach eine Verdrehung. Es geht doch beileibe nicht um eine AntiAuto-Politik. Es geht vielmehr um eine gesellschaftspolitisch sinnvolle und, was noch wichtiger ist, ökonomisch und städtebaulich vertretbare Nutzung des Autos unter angemessener Berücksichtigung der Allgemeinheit und der Vekehrsteilnehmer.

(Abg. Lemmrich: Das ist alles gar nicht neu und ist im Sachverständigengutachten zu lesen!)

— Wenn das nichts Neues ist, dann sollten Sie auch nicht von einer Verteufelung des Autos sprechen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Lemmrich: Das haben wir auch nicht gemacht! Da unstellen Sie uns etwas!)

— Herr Lemmrich, ich wende mich gegen diejenigen, die das bisher in Gesprächen immer wieder versuchen.

(Abg. Lemmrich: Wir haben das hier nicht gesagt!)

— Ich darf aber auch einmal von dieser Stelle auf öffentliche Kritik antworten, die an anderer Stelle laut geworden ist, weil es nach meiner Meinung in diesen Zusammenhang gehört.
Öffentlicher Personennahverkehr hat Vorrang vor dem Individualverkehr. Es geht hierbei wirklich um die Frage, wie wir die Lebensbedingungen in unseren Verdichtungsgebieten nachhaltig verbessern können. Diese Überzeugung setzt sich doch immer mehr durch. Ich habe auch die bisherigen Diskussionsbeiträge nicht anders als so verstanden, wie das realisiert werden soll.
Der öffentliche Personennahverkehr hat deswegen Vorrang, weil er flächensparend und umweltfreundlich ist und weil er die Aufgaben eines humanen Städtebaus und eines wirksamen Umweltschutzes zu lösen hilft.
Mit den Zahlen, die ich soeben genannt habe, habe ich deutlich gemacht, wie in der mittelfristigen Finanzplanung das Mehr für den öffentlichen Personennahverkehr aussieht. Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß wir auf Anregung der Länder vorgesehen haben, daß die Aufteilung der Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz den Ländern die Möglichkeit geben soll, in Ballungsräumen 10% mehr für den öffentlichen Personennahverkehr einzusetzen. Ich bitte hier noch einmal um Verständnis, daß in einer Zeit, in der auch der Verkehrshaushalt für die Stabilitätspolitik ein Opfer bringen muß, im Jahre 1973 dafür keine größeren Mittel zur Verfügung stehen.
Lassen Sie mich nun auf das andere Mißverständnis zu sprechen kommen, zu dem ich mich an dieser Stelle am 15. März dieses Jahres sehr nachdrücklich geäußert habe. Aus dem Vorrang für den öffentlichen Personennahverkehr darf man nun nicht ableiten, daß die Gebiete zwischen den Ballungsräumen — und die sind in der Bundesrepublik erfreulicherweise noch recht groß — im Straßenverkehr Nachteile haben sollen. Wir müssen einfach sehen, daß das Verkehrsbedürfnis regional sehr unterschiedlich ist. In den Ballungsräumen muß der öffentliche Personennahverkehr, den Vorrang haben, in den anderen Räumen der Straßenbau. Hier heißt es also nicht entweder oder, sondern sowohl als auch nach dem jeweiligen regionalen Bedürfnis, sehr einfach formuliert: mehr öffentlicher Nahverkehr in den Ballungsräumen, mehr Straßenbau in den anderen Gebieten. Dabei denke ich insbesondere an die sogenannten Randzonen und die verkehrlich unterstrukturierten Gebiete. Ich wiederhole das, was ich am 15. März hier nachdrücklich gesagt habe.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704527600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke?




Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID0704527700
Herr Bundesminister, haben Sie sichergestellt, daß die 750 Millionen DM Kürzungen im Straßenbau nicht die Räume außerhalb der Ballungsgebiete betreffen, und in welcher Form haben Sie das sichergestellt?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704527800
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Warnke, der Herr Berichterstatter hat schon darauf hingewiesen, daß zwar im Haushalt in den Straßentiteln um 740 Millionen DM gekürzt worden ist, daß aber Haushaltsreste in Höhe von 340 Millionen DM zur Verfügung stehen, so daß die effektive Kürzung 400 Millionen DM beträgt. Ich habe mir genau angesehen, wie die Verteilung auf die einzelnen Länder vollzogen worden ist. Dabei werden die Gebiete, von denen ich eben gesprochen habe, möglichst weitgehend geschont. Ich glaube, das muß die Politik sein.
Nun zur Deutschen Bundesbahn, die mit Recht in der bisherigen Diskussion eine große Rolle gespielt hat. Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung sagt, die Bedeutung des Schienenverkehrs wird weiter zunehmen, weil hier einfach ein Verkehrsträger zur Verfügung steht, der umweltfreundlich ist, volkswirtschaftlich leistungsfähig und für die Gemeinschaft unserer Bürger unentbehrlich ist. Der Herr Berichterstatter hat im einzelnen auf die Zahlen zum Bundeshaushalt in bezug auf die Bundesbahn hingewiesen. Ich kann es mir ersparen, sie zu wiederholen. Alle diese Zahlen machen doch aber eines deutlich, meine Damen und Herren: daß wir alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Ertragslage der Deutschen Bundesbahn nutzen müssen. Das hat der Herr Bundeskanzler sehr deutlich herausgestellt, indem er sagte: „Die Bundesregierung wird der Bahn vor allem beim Ausbau und bei der Modernisierung des Schienennetzes zu helfen haben."
Nachdem der Vorstand der Deutschen Bundesbahn seinen Vorschlag zur Verbesserung der Ertragslage der Bahn vorgelegt hat, werde ich nun — und das ist in dem verkehrspolitischen Konzept schon gesagt worden — gemeinsam mit dem Vorstand der Bundesbahn die Ziele und die Prioritäten setzen, die zur Verwirklichung dieser Maßnahmen notwendig sind. Worum geht es dabei? Wir werden das Schienennetz der Bundesbahn durch Knotenpunktverkehr und Stillegung unrentabler Strecken zu konzentrieren haben. Wir werden dieses Netz ausbauen und weiter aufbauen müssen, und zwar an den Strecken, die bekannt sind, und auf neuen Ergänzungsstrecken. Wir werden beim Wagenladungs- und Personenfernverkehr vor allem darauf achten, daß kostendeckende Leistungen erbracht werden. In den Ballungsgebieten — darüber haben wir gesprochen -- wird der Schienen-Personennahverkehr den Vorrang haben. Schwierig bleibt nach wie vor das Problem des Kleingutverkehrs. Ich meine, daß wir das noch einmal sehr genau prüfen müssen.
In meinem Konzept ist aber sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden, daß wir dabei auch zu einer Umschichtung des Personals in die produktiveren Bereiche der Bundesbahn kommen müssen. Es wird dabei nicht zu vermeiden sein, die Personalintensität zu vermindern und damit zu einer Reduzierung des Personalkostenanteils zu kommen, ohne daß deswegen soziale Härten auftreten müssen. Der natürliche Abgang wird das zulassen.
Aber eines darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang doch noch sagen. Wer hier glaubt von einer verfehlten Bundesbahnpolitik sprechen zu müssen, sollte sich einmal ansehen, wie die Entwicklung der Bundesbahn in den letzten Jahren verlaufen ist. Seit dem Jahre 1957 steigen die Aufwendungen des Bundes für die Bundesbahn Jahr für Jahr. Sie erreichten im Jahre 1966 fast 3 Milliarden DM und sind dann weiter gestiegen. Das heißt, wir haben eine Entscheidung zu treffen, die langfristiger Natur ist. Es kann uns kaum trösten, daß die Entwicklung in den europäischen Nachbarländern gleichförmig ver, Auch die Schweiz, Herr Müller-Hermann, ge- rät dieses Jahr in die roten Zahlen. Im übrigen ist die Schweiz der große Verschiebebahnhof Europas, und deswegen ist die Situation dort etwas anders als bei uns. Das muß man auch sehen.

(Abg. Dr. Jenninger: Da wollte doch jemand aus dem Defizit herausfahren!)

— Wenn Sie sich einmal das Konzept der Hauptverwaltung der Bundesbahn ansehen, Herr Jenninger, werden sie —

(Abg. Dr. Jenninger: Ich meinte Ihren Vorgänger! Der wollte aus dem Defizit herausfahren!)

— Wir sind dabei, das zu versuchen. Nur muß ich Ihnen die Illusion nehmen — vielleicht haben Sie sie auch gar nicht gehabt —, daß das in zwei, drei Jahren zu schaffen wäre. Das ist vielmehr ein langfristiges Programm. Ich meine, die Ansätze, die das Konzept der Bundesbahn und das von mir vorgelegte Konzept aufweisen, sind ein geeigneter Weg. Ich bin mir allerdings darüber im klaren, daß dazu erhebliche Aufwendungen erforderlich sein werden.
Beim Bundesfernstraßenbau — ich habe schon einiges dazu gesagt — ist unverkennbar ein Beitrag zur Stabilität geleistet worden. Wenn ich mir den Bedarfsplan ansehe, stelle ich fest, daß in den vergangenen Jahren alle darin vorgesehenen Termine eingehalten worden sind. Teilweise war das sogar früher der Fall, als im Bedarfsplan vorgesehen ist.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Wir werden noch darüber sprechen. Ich will es Ihnen im Verkehrsausschuß gern nachweisen.

(Abg. Lemmrich: Herr Minister, wir haben ja bereits im Ausschuß darüber gesprochen, daß Sie sich selbst bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage in den Zahlen nicht so ganz auskannten!)

Das Volumen für den Straßenbau des Bundes beträgt im Jahr immer noch fast 6 Milliarden DM. Wenn in diesem Jahr eine effektive Kürzung um 400 Millionen DM hinzunehmen ist, so ist das bei einem so großen Volumen durch eine gewisse Streckung durchaus zu verkraften. Schließlich kommt auch der Verkehrshaushalt nicht an einem Beitrag



Bundesminister Dr. Lauritzen
zur Stabilitätspolitik vorbei. Das muß man doch anerkennen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zum Konzept sagen. Mir ging es, als dieses Konzept erarbeitet und vorgelegt wurde, darum, einen Überblick über die Gesamtaufgaben im Bereich der Verkehrspolitik zu schaffen, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aufgabenbereichen darzustellen und die Prioritäten aufzuzeigen. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, und zwar sowohl in der Kommunalpolitik als auch in der Landes- und Bundespolitik — ich habe es vorhin schon gesagt —, daß eine zu weitgehende Quantifizierung für 10 oder 15 Jahre im voraus relativ wenig Erkenntniswert vermittelt. Das muß man einfach sehen. Viel weiter als über eine mittelfristige Finanzplanung sollte man nicht hinausgehen.

(Abg. Dr. Jobst: Sie wollten doch etwas zur Finanzierung sagen!)

Was muß getan werden? Zunächst einmal muß die Richtung festgelegt werden, in die die Verkehrspolitik gehen soll.

(Abg. Lemmrich: Dagegen hat ja keiner etwas? Nur sollte sie stimmen!)

— Die Richtung stimmt schon.

(Abg. Dr. Jobst meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich bin gleich so weit; einen Satz noch, bitte! — Wir brauchen eine Ubersicht über die Aufgaben und die Prioritäten. Aufgabe des jeweiligen Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung wird es bleiben, festzulegen, in welchen Zeitabschnitten und Jahresraten eine solche Konstruktion verwirklicht werden soll.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0704527900
Herr Minister, Sie haben auf eine entsprechende Frage des Kollegen Lemmrich hin angekündigt, Sie würden etwas zur Finanzierung Ihres Verkehrskonzeptes sagen. Darf ich Sie bitten, sich, bevor Sie abtreten, dazu noch zu äußern.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0704528000
Ich hatte nicht die Absicht, abzutreten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) Aber ich habe Sie schon verstanden.

Ich habe nicht die Absicht — und ich habe das sowohl in dem Konzept wie bei der Darlegung vor der Presse zum Ausdruck gebracht —, etwa zu versuchen, den Gesamtfinanzrahmen eines solchen Konzepts bis zum Jahre 1985 zu quantifizieren, weil ich mir nichts davon verspreche. Welchen Erkenntniswert sollen diese Zahlen vermitteln? Entscheidend ist mir, daß man sich über die Richtung verständigt und sich dann gemeinsam bemüht, in den Abschnitten, die finanziell darstellbar sind, diese Vorschläge zu realisieren. Wenn Sie das nicht tun würden, meine Damen und Herren, kämen Sie doch in die schwierige Situation, dann von der jeweils gegebenen finanziellen Möglichkeit her von einer Möglichkeit zur anderen zu stolpern, ohne dabei zu wissen, in welcher Richtung sich die ganze Verkehrspolitik vollziehen soll. Ich halte es nur so für möglich, langfristige Zielvorstellungen zu entwickeln, dann allerdings auch in der Öffentlichkeit und hier bei Ihnen dafür zu werben, daß das allgemeine Überzeugung wird, und dafür zu arbeiten, daß solche Zielvorstellungen Anerkennung finden und daß sie dann in der jeweiligen Haushaltsberatung und vor allen Dingen in der Finanzierung und in der Finanzierungsplanung in gebührender Weise berücksichtigt werden. So stelle ich mir jedenfalls Politik vor.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jobst: Sehr einfach!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704528100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0704528200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst liegt mir einmal einmal daran, festzustellen, daß die Verkehrspolitik, die wir in diesem Hohen Hause debattiert haben, mit Sicherheit nicht beeinflußt worden ist von persönlichen Mißstimmigkeiten oder Rivalitäten. Wir haben in weiten Bereichen der Verkehrspolitik quer durch alle Fraktionen dieses Hohen Hauses zusammengearbeitet, etwa auf dem Gebiete der Verkehrssicherheit oder wenn es um die Fragen der Schiffahrt ging oder — soweit die Verkehrspolitiker betroffen waren — wenn es darum ging, bei den übrigen Kollegen dieses Hohen Hauses Verständnis für die Wichtigkeit und Zukunftsbedeutung gerade der Investitionen im Verkehrsbereich i zu finden. Es hat Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze dort gegeben, wo nach unserer Auffassung die Verkehrspolitik auf die falsche Bahn zu geraten drohte, und diese Auseinandersetzung war nötig, und sie wird, wo sie sich heute erneut anbietet, auch erneut von uns ausgetragen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte eigentlich die Debatte jetzt auf den Kern dessen hinführen, was heute für uns zur Entscheidung ansteht, wenn wir an die Verabschiedung des Einzelplans für den Verkehrsminister gehen. Das erste ist doch folgendes: Herr Minister Lauritzen, Prioritäten sind notwendig, vor allem wenn wir realistisch davon ausgehen, daß die zur Verfügung stehenden Finanzmittel begrenzt sind und begrenzt bleiben werden. Ich glaube, es ist auch nichts Neues, daß sich die Prioritäten mit der Zeit ändern. Ich würde z. B. auch heute festhalten, daß die starke Ausstattung eines Straßenbaufinanzierungsprogramms in den 50er Jahren eine auf Grund der damaligen Situation richtige Entscheidung gewesen ist. Das wird vielleicht auch noch dadurch unterstrichen, daß die Sprecher der SPD über die Zweckbindungsvorschläge der damaligen Koalition noch immer weit hinausgingen, und einer der größten Vorkämpfer für die totale Zweckbindung der Mineralölsteuer war der heutige Bundesfinanzminister Helmut Schmidt. Heute müssen wir die Prioritäten etwas anders setzen. Daß bei dem Investitionsbedarf der Bundesbahn etwa für Neubaustrecken oder noch deutlicher bei den Investitionen für die öffent-



Dr. Müller-Hermann
lichen Verkehrsmittel im Nahbereich sehr viel früher etwas Entscheidendes hätte getan werden müssen, das war doch die ständige Forderung gerade der Unionsfraktion, und wir sind damals auf die nicht genügende Bereitschaft des Herrn Verkehrsministers Leber gestoßen, der die These vertreten hat, wir im Bund sind verantwortlich für den Bundesfernstraßenbau, die Probleme des öffentlichen Nahverkehrs in den Ballungsgebieten sind eine Sache, die in erster Linie die Länder und die Gemeinden angeht. Wenn wir hier von einer Verlagerung der Prioritäten sprechen, so glaube ich, haben wir auf seiten der Union durchaus ein gutes Gewissen.
Herr Minister Lauritzen, als wir vor der Bundestagswahl in einen Wettbewerb um die Verkehrskonzeption der Zukunft traten, da waren wir bereit, wie Sie nachlesen können, die Zweckbindung entsprechend dem Bedarf zu modifizieren, der auch an anderer Stelle mit neuen Prioritäten auftrat. Wir haben nur damals darauf hingewiesen, daß sich diese Verlagerung aus den Zuwachsquoten der Mineralölsteuer ergeben müsse, und wir haben sehr deutlich gemacht, daß wir die Zweckbindung auf jeden Fall für den Investitionsbedarf, der im Verkehr anfällt, erhalten wissen wollen, während Sie heute die Zweckbindung auflockern und praktisch einen vermehrten Anteil — ich spreche es wieder aus — in den Konsum leiten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Denn, sehr verehrter Herr Minister, schon ein simples volkswirtschaftliches Kolleg zeigt, daß das, was nicht in die Investitionen geht, auf dem einen oder anderen Wege eine Subventionierung von Konsum bedeutet. Das ist auch die Entscheidung, die heute ansteht und wo wir rechtzeitig warnend unsere Stimme gegenüber dem Weg erheben, den offenbar Regierung und Koalition für die Zukunft zu gehen geneigt sind.
Das zweite. Sehr verehrter Herr Minister Lauritzen, nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich hier wiederum den Verdacht äußere, daß das, was Sie als verkehrspolitisches Programm jetzt der Öffentlichkeit verkaufen, vielleicht ohne Ihre Absicht, sehr viel Schaum enthält.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Bei diesen Kürzungen muß man sagen: gebremster Schaum!)

Meine Damen und Herren, wir haben es doch gerade in den Zeiten der bestehenden Regierungskoalition wiederholt erlebt, daß man mit immer neuen Schauprogrammen — mal rin in die Kartoffeln mal wieder raus — aufwartete. Einmal wurde ein Programm entwickelt, mit dem die Bahn aus den roten Zahlen herauskommen sollte; dann hat man ein Programm entwickelt — das ist noch gar nicht lange her, meine Damen und Herren — mit dem Herr Leber der deutschen Öffentlichkeit versprach, alle 15 Kilometer von jeder Ortschaft sollte ein Autobahnanschluß gebaut sein. Wir sind es doch gewesen — und wir tun heute das gleiche, Herr Minister und meine Damen und Herren aus der Koalition —, die davor warnten, Erwartungen zu wecken, die sich

( realistischen und soliden Politik. (Abg. Haehser: Er kann es nicht verwinden, daß er nie Verkehrsminister wurde!)

— Das hat doch damit gar nichts zu tun!

(Abg. Dr. Marx: Das ist ein Zwischenruf aus dem Keller gewesen!)

Das dritte, meine Damen und Herren, ist ein Hinweis auf die mittelfristige Finanzplanung.
Sehr verehrter Herr Minister Lauritzen, Sie haben sicherlich völlig zu Recht gesagt, man könne mit den Planungen und vor allem mit den Finanzplanungen ebenso wie mit den Bedarfsplanungen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag blicken, sondern müsse sich im Rahmen eines überschaubaren Zeitplans halten. Das ist eben die mittelfristige Finanzplanung. Meine Damen und Herren, im Jahre 1970 sah die mittelfristige Finanzplanung dieser Bundesregierung für das Jahr 1973 einen Betrag von 3,4 Milliarden DM als Bundesleistung an ,die Bundesbahn vor. Im Jahre 1973 werfen wir für die Bundesbahn — aus welchen Gründen auch immer — einen Betrag von 7,5 Milliarden DM aus. Heute sieht die mittelfristige Finanzplanung, erstellt im Jahre 1973, für den gleichen Zweck, projiziert auf das Jahr 1976, einen Betrag von 7,6 Milliarden DM vor, also etwa das gleiche, was die Bundesbahn heute aus dem Bundeshaushalt 1973 bekommt. Meine Damen und Herren, wer die Entwicklung sieht und richtig einschätzt, der muß doch sagen, daß hier Illusionen geweckt werden. Das sind doch Luftblasen! Deswegen muß ich an der Finanzplanung und vor allem an dem Realismus der mittelfristigen Finanzplanung schärfste Kritik üben. Sie ist Augenwischerei und hat mit Realitäten nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das vierte, meine sehr verehrten Damen und Herren, betrifft das Unternehmenskonzept der Bundesbahn, über deren weitere Entwicklung wir uns seit langem und auch heute sicherlich gemeinsam Sorgen machen, wobei wir — ich meine, das muß bei jeder Gelegenheit unterstrichen werden — respektieren, welche gewaltigen Leistungen und Anstrengungen vor allem die Eisenbahner selbst erbringen. Ich sage das hier nicht nur für meine eigene Fraktion; das ist, glaube ich, ein Ausspruch, den ich für alle Fraktionen tun kann.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, Herr Minister Lauritzen, ich stimme dem zu, was Sie heute hier zum Unternehmenskonzept der Bundesbahn gesagt haben. Ich vermisse bloß die gleiche Deutlichkeit der Aussage in dem Unternehmenskonzept selbst, das die Leitung der Bundesbahn vorgelegt hat. Denn, meine Damen und Herren, ohne eigene Anstrengungen auch der Bahn helfen eben der weitere Ausbau der Bundeszuweisungen und die Bereitstellung zusätzlicher Investitionsmittel nicht, um die wir uns sehr bemühen, auch wenn die mittelfristige Finanzplanung, wenn wir sie realistisch sehen, Herr Minister Lauritzen, gerade auch aus dem Blickwinkel der Bundesbahn Optimismus eigentlich nicht rechtfertigt. Wo soll denn bei den sehr, sehr bescheide-



Dr. Müller-Hermann
nen Zuwachsquoten, die der gesamte Verkehrshaushalt vorsieht, das herkommen, was die Bahn für ,die Abdeckung ihres Defizits zusätzlich brauchen wird, und zugleich auch das, was zur Deckung ihres gewaltigen Investitionsbedarfs nötig ist?
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen hier einen Zusammenhang herstellen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, wie sich die Personalintensität der Bundesbahn in sicherlich besorgniserregendem Maße für alle und für die Bundesbahn selbst ausgeweitet hat. Wir müssen daher nicht nur bei der Bahn, sondern auch bei uns große Anstrengungen unternehmen, damit sich die Investitionen, die wir tätigen, auch in einem Abbau der Personalintensität ausdrücken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier, meine Damen und Herren, vermisse ich, offen gestanden, die Deutlichkeit in der Aussage und in der Ansprache in dem Unternehmenskonzept der Bundesbahn, das hier einen Schwarzen Peter hin-und herzuschieben versucht und worin gesagt ist: Unsere eigenen Anstrengungen werden einmal später — in ,der zweiten oder dritten Phase — kommen. Zunächst soll einmal nur der Schwarze Peter dem Bund zugeschoben werden: er soll investieren. Herr Minister Lauritzen hat ebenso wie Herr Minister Schmidt hier bisher nicht sagen können, woher diese Investitionsmittel kommen können.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als Konzept der Union für die Sanierung der Bundesbahn so stark die Unterscheidung und Klarstellung der Verantwortlichkeiten auf beiden Seiten hervorgehoben. Die Leitung der Bundesbahn muß eine ganz klare Verantwortlichkeit haben, nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu arbeiten und zu investieren, soweit sie das kann. Dort, wo die Bahn in einem sicherlich sogar wachsenden Umfang öffentliche Leistungen anbieten muß, muß sie auch einen öffentlichen Auftrag bekommen. Was hier an Kostendeckung und an Investitionen fehlt, muß dann der Bund in seiner Verantwortung bereitstellen und vorhalten. Das wäre eine ganz klare Konzeption, für die wir uns immer engagiert haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Bei dem jetzigen Wischi-Waschi, das Ihr sogenanntes Verkehrskonzept und das Unternehmenskonzept der Bundesbahnleitung anbieten, werden wir mit den Problemen der Bundesbahn mit Sicherheit nicht fertig werden.
Ich komme damit zu einer kurzen Schlußbetrachtung. Meines Erachtens bietet die Bundesregierung und bieten auch Sie, Herr Bundesminister Lauritzen, bei allem persönlichem Respekt keine in sich geschlossene, solide auch finanziell abgesicherte Konzeption für die Aufgaben der Verkehrspolitik. Deshalb müssen wir Ihren Haushalt ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704528300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0704528400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht mehr in den Einzelheiten auf das eingehen, was Herr Kollege Müller-Hermann eben nochmals zum Verkehrsetat ausgeführt hat. Vielleicht nur soviel: daß wir uns davor hüten sollten, eine allgemeine Rivalität des Straßenbaus einerseits und des Ausbaus öffentlicher Verkehrsmittel andererseits in diesem Land herbeizuführen.

(Abg. Lemmrich: Sehr richtig!)

Was sich hier noch sehr zahm und sehr gemäßigt anhört, nimmt draußen im Lande bei den Diskussionen ganz andere Formen an. Hier wird sehr massiv gearbeitet, und zwar, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht ganz ohne Ihre Mithilfe und häufig durchaus zu Ihrem Wohlgefallen. Hier versucht man völlig zu Unrecht, etwa unter sozialen Aspekten die Menschen gegen die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung aufzubringen.
Wir kommen dadurch in einen sehr gefährlichen Konflikt, weil man hier versucht, den Menschen in ländlichen Gebieten klarzumachen, daß sie benachteiligt würden, was einfach nicht zutrifft, und dabei Kräfte zu mobilisieren gegen Maßnahmen, Herr Kollege, die beim Ausbau der Nahverkehrsmittel für die Ballungsgebiete ganz einfach existenznotwendig sind. — Aber ich möchte es dabei belassen.
Ich wollte noch eine andere Frage ansprechen. Im Einzelplan 12 sind Darlehensmittel für die Fluggesellschaften, u. a. auch für einen Zweitflughafen München, ausgewiesen. Damit ist ein haushaltsrechtlicher Bezug gegeben für die kritischen, wenn auch ganz kurzen Bemerkungen, die ich machen möchte.
Auf seiten des Bundes wird die finanzielle Belastung bei diesem Komplex in den nächsten Jahren ganz erheblich steigen, wenn man erst an den Ausbau der Großflughäfen gehen wird. Dabei ist die Bereitstellung dieser Mittel dringend erforderlich. Wir benötigen ein Konzept, das die Bevölkerung als Anwohner von Flughäfen endlich von einer Belästigung freistellt, die bereits seit Jahren unerträgliche Formen angenommen hat. Die andere Frage ist nur, ob die derzeitige Konzeption zu einer befriedigenden Lösung führt.
Die These, an der wir immer noch festhalten, ist doch die, daß auch ein Großflughafen nicht mehr als 30 Kilometer vom Zentrum des Hauptverkehrsaufkommens entfernt sein dürfe. Ich muß sagen, daß ich diese These einfach für falsch halte und daß diese These, würde sie verwirklicht, die Voraussage gestattet, daß wir alsbald nach Fertigstellung eines derartigen Großflughafens mit ähnlichen Problemen — nur in einer größeren Dimension — konfrontiert wären wie heute und zudem ganz erhebliche Gelder weitgehend unnötig ausgegeben hätten.
Ich habe die Äußerungen der Bundesregierungen in der 5., 6., und 7. Wahlperiode verfolgt, wie sie sich zu dieser Frage in den Fragestunden dargeboten haben. Das drängt den Schluß auf, daß wir es auf diesem Gebiet mit sicherlich sehr schwierigen Koordinationsfragen zwischen Bund und Ländern zu tun haben, aber auch mit einer ganz augenscheinlichen Schwäche des kooperativen Föderalismus. Wir müssen sicherlich auch im Rahmen der Bundes-



Engelhard
regierung zu einer stärkeren Koordination in dieser Frage kommen; zwischen dem Bundesministerium für Verkehr als dem Fachressort einerseits und — aus übergeordneten Gesichtspunkten — dem Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau andererseits und ganz sicherlich — das liegt im Trend unserer Gesetzgebung — auch verstärkt unter Berücksichtigung der Belange des Landschafts- und Naturschutzes und vor allem des Umweltschutzes.
Die Konsequenz, die ich daraus eigentlich nur ziehen kann, ist, daß die Bundesregierung aus ihrer Zurückhaltung, die sie bisher bei der Respektierung von Standortentscheidungen der einzelnen Bundesländer an den Tag gelegt hat, stärker heraustreten müßte und wegen ihrer übergeordneten Aufgabe der Koordination hierzu deutlich Stellung beziehen müßte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704528500
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt (Lockweiler).

Josef Schmitt (CDU):
Rede ID: ID0704528600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich begründe den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/811 wie folgt.
Am 30. Mai 1973 hat die Bundesregierung beschlossen, die Saar bis zur Mosel zu kanalisieren, und sie strebt dabei auch eine Verbindung mit dem französischen Wasserstraßennetz an. Dieser Kabinettsbeschluß hat eine sehr lange und schillernde Vorgeschichte. Befürchten Sie nicht, daß ich Sie damit hier heute vertraut machen will!

(Abg. Dr. Marx: Das füllt ja ganze Bände!)

Am 30. Mai hat nun die Bundesregierung einen zweiten Beschluß gefaßt, nachdem bereits vorher, am 11. Februar 1969, in der Sache zum erstenmal insofern entschieden wurde, als die Bundesregierung und danach der Deutsche Bundestag das „Ob" in der Frage entschieden haben. Es ist also beschlossen worden, daß die Struktursorgen an der Saar durch einen Wasserstraßenanschluß behoben werden sollen. Offen geblieben ist, wie das geschehen soll, und dieses „Wie" ist nun mit dem Beschluß der Bundesregierung am 30. Mai 1973 entschieden worden.
Sie sehen, es sind fast vier Jahre zwischen der Entscheidung des „Ob" und der Entscheidung des „Wie" vergangen. Um weitere Verzögerungen beim Beginn des für die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Struktur des Saarlandes unabdingbaren Wasserstraßenanschlusses zu vermeiden, ist daher die Ausbringung des Leertitels zum Bau einer Saar-Wasserstraße nach unserer Meinung unerläßlich. Die Dringlichkeit der Durchführung der von der Bundesregierung beschlossenen Saar-Kanalisierung wird dadurch unterstrichen, daß durch Beschluß der hohen Behörde in Brüssel die Sonderregelung der Tarife für die saarländische Wirtschaft demnächst ausläuft. Mit unserem Antrag, sich nur auf die Ausbringung eines Leertitels im Haushaltsplan 1973 zu beschränken, will die CDU/CSU-Fraktion den Erfordernissen
der derzeitigen konjunkturellen Lage Rechnung tragen. Auf diesen Antrag kann sie allerdings nicht verzichten, da die Vorbereitung und die Realisierung eines solchen Projektes mehrere Jahre in Anspruch nimmt.
Sie, meine verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, werden unserem Antrag besonders gern zustimmen, da die Bundesregierung bereits vor zirka 14 Tagen dem Haushaltsausschuß einen gleichlautenden Antrag vorgelegt hat und, wie man heute der „Saarbrücker Zeitung" entnehmen kann, die Fraktion der SPD am vergangenen Sonntag beschlossen hat, es zu begrüßen, daß die Bundesregierung so entschieden hat,

(Abg. Dr. Marx: Hic Rhodos, hic salta!)

und die Bundesregierung aufzufordern, im Haushalt 1974 die erforderlichen Mittel aufzubringen. Ich freue mich, daß das ganze Haus in dieser Frage weiterhin einer Meinung zu sein scheint.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704528700
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Nordenham).

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0704528800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den Beratungen des Einzelplanes 12 im Haushaltsausschuß am 17. Mai wurde von Ausschußmitgliedern beantragt, für den Ausbau der Saar für 1973 einen Leertitel einzustellen und eine Verpflichtungsermächtigung von 20 Millionen DM vorzusehen. Gleichzeitig wurde von Ausschußmitgliedern beantragt, auch für die Vertiefung der Unterelbe auf 13' 2 in über dem mittleren Niedrigwasser einen Leertitel für 1973 einzustellen und eine Verpflichtungsermächtigung von 350 Millionen DM zu beschließen.
Eine Regierungsvorlage dazu lag nicht vor. Deshalb forderte der Haushaltsausschuß einstimmig den Bundesfinanzminister auf, bis zum 5. Juni dieses Jahres eine Finanzvorlage für den geforderten Ausbau beider Wasserstraßen vorzulegen. Diese Finanzvorlage haben wir erhalten. Sie trägt das Datum vom 4. Juni 1973.
Der Haushaltsausschuß war sich in seiner großen Mehrheit darin einig, daß diese Vorlage nicht ausreichte, um die gewünschten Beschlüsse zu fassen. Wir haben deshalb auch mit Zustimmung der Opposition im Haushaltsausschuß folgenden Beschluß gefaßt:
Der Haushaltsausschuß begrüßt, daß die Bundesregierung über einen Wasserstraßenanschluß des Saarlandes eine Entscheidung getroffen hat. Der Haushaltsausschuß hält die Angelegenheit für das Haushaltsjahr 1973 für noch nicht etatreif. Er erwartet, daß die von der Bundesregierung beschlossene Prüfung von sonstigen Infrastrukturmaßnahmen alsbald abgeschlossen wird und damit ein Gesamtüberblick über die notwendige Strukturverbesserung für das Saarland und die Westpfalz vorliegt.



Müller (Nordenham)

Diesen Beschluß des Haushaltsausschusses hat sich die Koalition zu eigen gemacht. Sie hat auf Drucksache 7/838 einen Entschließungsantrag für die dritte Lesung morgen vorgelegt.
Ich beantrage deshalb namens der Koalition, den Antrag der Opposition auf Drucksache 7/811 abzulehnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht zu glauben! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704528900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ollesch.

(Abg. Ollesch: Ich verzichte!) -- Er verzichtet.

Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/811. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme damit zur Abstimmung über den Einzelplan 12. Wer dem Einzelplan 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 12 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 7/735 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Carstens (Emstek) Abgeordneter Schröder (Lüneburg)
Wünscht ein Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Carstens (Emstek).

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID0704529000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der kürzlichen Äußerung des Bundesbankpräsidenten Klasen, daß eine durch Inflation entstehende Vermögensumverteilung das unsozialste sei, das man sich denken könne, wäre es sehr reizvoll, eine längere Debatte über die Familienpolitik der Bundesregierung zu führen. Aus zeitlichen Gründen müssen wir hierauf leider verzichten.
Bevor ich jedoch den Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Drucksache 7/826 begründe — ich bitte um Genehmigung, Herr Präsident, es gleichzeitig tun zu dürfen —, möchte ich an einigen Punkten beispielhaft aufzeigen, warum wir den Einzelplan 15 — Jugend, Familie und Gesundheit — ablehnen werden. Nach der Sommerpause werden wir dann sicherlich die Gelegenheit haben, auf die einzelnen Mängel des Etats näher einzugehen.
Meine Damen und Herren, in der vorletzten Sitzungswoche haben wir die Erhöhung des Kindergeldes vom vierten Kind an beantragt und die Finanzierung im Rahmen der jetzigen Haushaltsansätze nachgewiesen.

(Abg. Burger: Sehr richtig!)

Die Herren der SPD/FDP-Koalition haben abgelehnt.
Das geht nun schon seit Jahren so und immer wieder mit der Begründung, daß das nötige Geld hierfür nicht vorhanden sei. Meine Damen und Herren, wie sah es in den vergangenen Jahren aus? 1970 ging es um rund 100 Millionen DM, Ende des Jahres blieben ca. 104 Millionen DM übrig. 1971 und 1972 war es ähnlich, und im Jahre 1973 wird es sicher nicht anders sein.
Daraufhin hat in der Plenarsitzung vor zwei Wochen Herr Staatssekretär Westphal hier im Bundestag von „unseriösen Überlegungen" und von „nicht seriöser Rechnung" gesprochen. Das hat auch schon Frau Minister Strobel 1970 in ähnlicher Form getan, als sie von „billigen Äußerungen der verehrten Kollegen von der CDU/CSU" sprach.
Meine Damen und Herren, es ist eine unverantwortliche Art der Argumentation, uns dies hier vorzuwerfen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Diese Vorwürfe weise ich schärfstens zurück; denn nicht wir, sondern Sie haben mit bestechender Sicherheit — so möchte ich sagen — jedes Jahr die falschen Zahlen gehabt, und ich möchte Ihre Vorwürfe als unseriös bezeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Wenn Sie es, meine Damen und Herren von der Koalition, ehrlich meinen, dann sollten Sie jedenfalls jetzt zusagen, daß Sie der Erhöhung des Kindergeldes vom vierten Kind an spätestens im Oktober oder November dieses Jahres zustimmen werden, nämlich wenn es sich dann in den Vorausberechnungen auch für Sie als ganz sicher herausstellt, daß das Geld für das Jahr 1973 da ist.
Meine Damen und Herren, diese und andere Beispiele zeigen, daß es Regierung und Koalition mit der Erhöhung des Kindergeldes und mit anderen dringlichen Entscheidungen im Bereich dieses Etats „Jugend, Familie und Gesundheit" nicht ernst meinen. Denn 'wenn man sich den Etat ansieht, findet man vielleicht einmal eine neue Position „Planung" oder „Versuchsprogramm" und ähnliches; wesentlich Neues ist jedoch nicht vorhanden.
Die Zuwachsprozentsätze in diesem Einzeletat beweisen das, was ich soeben sagte, in besonderer Weise: Der Zuwachs beträgt nicht einmal ganz 1 %. Setzt man dies in Beziehung zu den Inflationsraten, stellt man fest, daß effektiv ein Rückgang zu verzeichnen ist. Und, meine Damen und Herren, da kann man doch nicht seit Jahren und für Jahre auf die Steuerreform 1976 hinweisen. Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang auch nicht mit Stabilitätsgründen; denn dann muß ich sagen, daß dies bei weitem nicht mehr unter die Rubrik „stabilitäts-

Carstens (Emstek)

orientiert" fällt; vielmehr handelt es sich um reinen sozialen Abbau, und deswegen lehnen wir diesen Einzeletat ab.
Gestatten Sie, daß ich nun den Änderungsantrag meiner Fraktion Drucksache 7/826 (neu) begründe
— einen Änderungsantrag, der keine zusätzlichen Ausgaben mit sich bringt, dessen Inhalt aber wesentliche Bedeutung zukommt.
Während der Haushaltsberatung des Einzelplans 15 stellte mein Kollege Krampe, als über die Reform des § 218, soziale Indikation und anderes gesprochen wurde, den Antrag, für flankierende Maßnahmen zur Reform des § 218 StGB Mittel in Höhe von ca. 2 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel sollten für direkte Hilfen — also ohne viel Bürokratismus — an werdende Mütter verwandt werden; das sollte vor allem über Verbände — freie Wohlfahrtsverbände und andere freie gemeinnützige Träger — erfolgten.

(Abg. Frau Stommel: Sehr richtig!)

Der Haushaltsausschuß war sich einig; er stimmte dem Antrag einstimmig zu und beauftragte die Regierung, eine entsprechende Vorlage zu machen. Von der Regierungsvorlage war unsere Gruppe dann allerdings sehr enttäuscht — und von der unveränderten Annahme durch die Kollegen der SPD und der FDP noch sehr viel mehr! Denn dem eigentlichen Anliegen, unvermittelt werdenden Müttern zu helfen, war in keiner Weise entsprochen worden. Das Geld soll nun vielmehr — wenn heute keine Änderung erfolgt — fast vollständig für Maßnahmen der Familienplanung, insbesondere für Aufklärungsschriften und Informationsmaterial, verwandt werden.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, das ist zu allererst Papierkrieg und weiterhin ein staatliches Einwirken in einen vornehmlich weltanschaulichen Bereich. Es ist jedenfalls ein Beschluß, der an den anfänglichen protokollarisch festgehaltenen Feststellungen des Haushaltsausschusses völlig vorbeigeht. Im übrigen lehnen wir es ab, in diesem Zusammenhang
— also im Zusammenhang mit werdenden Müttern — von Familienplanung zu reden. Aber in diesem Zusammenhang, nämlich im Zusammenhang mit diesem flankierenden Werk zu § 218, ist diese Maßnahme zu sehen, und aus diesem Grunde ist sie damals im Haushaltsausschuß beschlossen worden.
Der Änderungsantrag der CDU/CSU jedenfalls soll gewährleisten, daß die besagten 2 Millionen DM den Frauen, die durch Schwangerschaft in eine Konfliktsituation geraten sind, schnelle und wirksame Hilfe und Beratung bringen, und zwar soll dies durch Einrichtungen erfolgen, die es bereits gibt, die seit Jahren auf diesem Gebiet tätig sind und die umgehend mit der zusätzlichen Arbeit beginnen können.

(Zuruf von der SPD: Und zusätzliches Personal dafür einstellen sollen!)

— Wir sind gerne bereit — im nächsten Jahr einer guten Vorlage der Regierung auf dem Gebiet der Familienplanung zu entsprechen; aber die muß erst
für 1974 erarbeitet werden. Meine Damen und Herren, das ist gemeint: direkte Hilfe und Beratung und nicht zentrale Familienplanung für werdende Mütter durch den Staat. Ich möchte Sie herzlichst bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704529100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0704529200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Carstens (Emstek), natürlich werden wir Ihrem Antrag nicht folgen.

(Abg. Burger: Warum natürlich?)

Bevor ich das im einzelnen begründe, lassen Sie mich ein paar allgemeine Bemerkungen zum Haushalt machen und meine Verwunderung darüber ausdrücken, daß Sie diesen Einzelplan so pauschal ablehnen wollen. Darin stehen 3,84 Milliarden DM, von denen 3,24 Milliarden DM, also der große, dicke Brocken, für das Kindergeld sein sollen, und Sie sagen: Weil uns das nicht genügt, lehnen wir ab! Dabei verfahren Sie wieder einmal — Sie tun mir in dieser Rolle geradezu leid, Herr Carstens — nach dem üblichen Motto, das wir seit den Haushaltsberatungen 1970 hier im Hause kennen. Wirtschafts-und Stabilitätspolitiker rufen: Spart, spart, spart!, und Ihre Kollegen aus den anderen Fachbereichen sagen: Verpflichtet euch gleichzeitig zu Mehrausgaben! Dieses Verfahren führen Sie uns heute wieder vor!

(Beifall bei der SPD.)

Ich leugne nicht: Auch die SPD-Fraktion — das ist in der letzten Debatte deutlich geworden — würde gern das Kindergeld für das vierte Kind erhöhen. Wir würden auch gern das Kindergeld für die weiteren Kinder erhöhen; aber wir sind skeptisch, ob in diesem Haushalt die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen, und wir werden nicht das Risiko eingehen, Ausgabeverpflichtungen zu übernehmen, von denen wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen müssen, daß sie das Ausgabevolumen dieses Haushalts überschreiten werden. Bisher sind bestenfalls 38 Millionen DM übrig, und wenn Sie das Kindergeld für die vierten Kinder um 10 DM erhöhen wollen, kostet das 80 Millionen DM oder sogar etwas mehr.
Dabei ist noch völlig unklar, in welchem Ausmaß im Laufe des Herbstes ausländische Arbeitnehmer in die Bundesrepublik kommen werden und zu finanzierende Kinder entweder mitbringen oder in ihren Heimatländern haben werden. Sollte die Stabilitätspolitik schnell greifen, ist diese Gefahr geringer; sollte sie langsamer greifen, ist sie größer. Diesem Unsicherheitsfaktor werden wir nicht dadurch gerecht, daß wir sagen: Wir verpflichten uns zu Mehrausgaben!
Herr Carstens, wenn Sie sagen, dies sei nur ein Beispiel, dann fürchte ich, daß die anderen Beispiele, die Sie in diesem Bereich nennen könnten, nicht sonderlich anders aussehen werden; denn wenn Sie sich darauf berufen, daß es .in den einzel-

Dr. Sperling
nen Ausgabetiteln dieses Etats nur zu unzulänglichen Steigerungen käme, dann deuten Sie damit erneut an, daß Sie wieder einmal mehr ausgeben wollen. Dazu muß ich sagen: Es gibt erhebliche Mehransätze, die über ein Prozent ausgehen. Ich habe mir das während Ihrer Rede noch einmal angesehen. Real gibt es eine Ausgabensteigerung_ im Programm für ältere Menschen von 9 auf 15 Millionen DM und im Programm für Behinderte praktisch auch von 9 auf 15 Millionen DM. Ich verzichte auf die Beweisführung für die einzelnen Zahlen; Sie können das aber sehr schnell aufschlagen und sich das anschauen. Real erhöhen sich praktisch auch alle anderen Ansätze in diesem Ressort um mehr als das eine Prozent. Wenn Sie also so argumentieren, will ich Ihnen nicht viel Vorwürfe machen; aber sonderlich seriöser als Ihr Fraktionsvorsitzender gleichen Namens — der wie der alte Fraktionsvorsitzende wirkt — haben Sie nicht argumentiert.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun zu Ihrem Antrag gegen Familienplanung.

(Abg. Carstens [Emstek]: Nicht gegen Familienplanung! — Zuruf von der CDU CSU: Können Sie nicht sachlich reden?)

— Dagegen richtet sich doch Ihr Antrag. Er gehört zu den zwei Anträgen, die Sie stellen und von denen ich annehme, daß sie die eigentlichen Druckstellen für Ihre Ablehnung des Haushalts sind. Das erinnert mich an ein Märchen,

(Abg. Burger: Schon wieder ein Märchen!)

das Märchen von der Prinzessin auf der Erbse. — Hören Sie zuerst mal zu Ende. Die Prinzessin auf der Erbse war so etepetete, daß sie durch ein dickes Matratzenlager hindurch noch Druckstellen bekam.

(Abg. Dr. Althammer: Ist bekannt!)

— Das kennen Sie, Herr Althammer? Dann wenden Sie sich einmal an Ihren Kollegen; es handelt sich diesmal nicht um einen Prinzen, sondern um den Bürger Schröder (Lüneburg). Der hat die Druckstellen, und er hat diese Anträge auch in Ihrer Fraktion durchgesetzt.

(Beifall bei der SPD.)

Es handelt sich um zwei Druckstellen. Das eine ist die Familienplanung, das andere kriegen wir morgen in der dritten Lesung; es sind die Studentenverbände.
Die Druckstelle Familienplanung ärgert Sie — merkwürdigerweise. Denn was soll man in Verbindung mit der Reform des § 218 denn anderes und Gescheiteres tun, als Familienplanung zu betreiben? Sie verstehen Familienplanung offensichtlich ganz eng, so wie Sie die Reform des § 218 zu einem guten Teil verstehen, nämlich als Verzicht auf jede Änderung der Praxis.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung! Was soll das?)

Allerdings habe ich ein bißchen den Verdacht, daß Sie nur in der Theorie gegen Familienplanung sind. Praktisch werden Sie doch dafür sein.

(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr. Marx: So etwas Dummes!)

Das, was Sie gegen die Familienplanung haben, ist aber genau das, was nötig wäre, um wirklich sinnvolle begleitende Maßnahmen zu dem § 218 zu machen. Zur Familienplanung gehört auch, dafür zu sorgen, daß eine werdende Mutter ihren Arbeitsplatz und ihr künftiges Leben planen kann, daß sie überlegen kann, ob sie, wenn sie das eine Kind haben will, noch mehr Kinder haben will.
Machen wir uns nichts vor: Wir wollen nicht nur eine kinderfreundliche Gesellschaft; vor diese müßte auch noch eine mütterfreundliche Gesellschaft treten. Für Mütterfreundlichkeit mit diesem Geld zu sorgen, gehört auch zur Familienplanung.

(Beifall bei der SPD.)

Es gehört zur Familienplanung, werdenden Müttern zu ermöglichen, das Leben für sich und ihre Familie überhaupt planen zu können. In dieses Programm könnte auch hineingehören — und das sehen die bisherigen Familienverbände leider nicht —, Arbeitsplätze für werdende Mütter zu finden, auf denen sie in Ruhe arbeiten können und wo sogar Rücksicht auf das Kind genommen wird. Die Mütterfeindlichkeit dieser Gesellschaft dokumentiert sich ja darin, daß man ein Mutterschutzgesetz braucht. So ist es doch. Hier können wir manches über Leistungsgesellschaft reden; aber die geht halt auf Kosten der Kinder- und der Mütterfreundlichkeit.
Wenn man dies sieht und sich fragt, was die Familienverbände bisher denn so getan haben, muß man sagen: Auch diese Familienverbände sind ja viel weitherziger als Sie, sie sind ja für Familienplanung im weitesten Sinne. Da brauchen Sie vor Ihren Lobbygruppen gar keine Angst zu haben. Es steht unwidersprochen im Gesundheitsbericht der Regierung aus der vergangenen Legislaturperiode, daß sowohl das Katholische Zentralinstitut für Ehe-und Familienfragen als auch die Konferenz für Evangelische Familien- und Lebensberatung e.V. als auch weitere Verbände für die Familienplanung eintreten und sich auch an internationalen Programmen beteiligen.

(Abg. Frau Stommel: Sie haben doch soeben gesagt, sie machten das nicht!)

Hier wurden die Mittel so angesetzt — und das ist auch korrekt so —, daß in dieser Politik neue Akzente gesetzt werden können. Wir wollen nicht die alten Beete mit der alten Gießkanne begießen, sondern wir wollen dazu kommen, daß die Gießkanne auch neue Beete fruchtbarer macht.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704529300
Herr Abgeordneter Sperling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstens?

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID0704529400
Herr Kollege Dr. Sperling, können Sie mir jedenfalls bestätigen, daß bei der Diskussion im Haushaltsausschuß daran



Carstens (Emstek)

gedacht war, direkte Hilfen für werdende Mütter zu geben, und wollen Sie in diesem Zusammenhang das Wort „Familienplanung" aufrechterhalten?

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0704529500
Ja. Es gibt noch einen anderen Grund — den nenne ich Ihnen jetzt auf Ihre Frage —, warum dies mit der Formulierung, die Sie gewählt haben, gar nicht so gut geht. Denn so leid mir das tut: ich wäre ja auch noch dafür, so etwas zu entwickeln. Nur kann man dann nicht gleichzeitig die Koordinierung der öffentlichen Finanzen so skandalisieren, wie es manche tun.
Der Bund hat leider keine Finanzierungskompetenz — auch nicht durch irgendwelche Verbände hindurch —, Gelder direkt in ein Portemonnaie zu zahlen, ohne daß es da vernünftige gesetzliche Grundlagen gäbe; die haben wir nicht. Wenn Sie direkt in das Portemonnaie von Menschen hineinzahlen wollen — nicht als Almosen —, dann brauchen Sie eine andere Grundlage dafür als eine Erläuterung im Haushaltsplan, Herr Carstens.

(Beifall bei der SPD.)

Gerade weil aus dieser Erläuterung nichts würde als eine berechtigte Beanstandung des Bundesrechnungshofs — wenn das Ministerium dem nachkäme, was Sie wünschten —, können wir das auch nicht machen. Wir müssen uns also da schon ein bißchen an Recht und Gesetz halten und trotzdem das tun, was Absicht ist: werdenden Müttern zu helfen.
Wenn es einer Reihe von Verbänden gelänge, z. B. ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm aufzustellen, z. B. Ärztekammern und Kirchenverwaltungen zu überzeugen, daß man Arbeitsplätze für werdende Mütter in besonderer Weise bereithalten und ausgestalten sollte und mehr Arbeitgeber zu finden, die dazu auch bereit sind, dann hilft dies werdenden Müttern. So etwas erwarten wir als neue Programme unter dieser Erläuterung,

(Zuruf von der CDU/CSU: Vor allem brauchen wir eine bessere Regierung!)

gemacht und gefördert durch die Bundesregierung. Darum sollte man Ihren Antrag getrost ablehnen. Denn es nützt mehr, mit dieser Erläuterung zu arbeiten, wie wir sie vorgeschlagen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704529600
Liegt noch eine Wortmeldung vor? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/826 (neu). Kann ich im ganzen abstimmen lassen? — Ja. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. -- Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzelplan 15 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 15 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
--- Drucksache 7/738
Berichterstatter: Abgeordneter Esters
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Herr Abgeordneter Esters, bitte sehr!

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID0704529700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit will ich mich auf die wesentlichen Punkte beschränken, die im Rahmen der Haushaltsberatungen beim Einzelplan 23 zur Debatte gestanden haben.
Im Einzelplan 23 finden Sie im wesentlichen die öffentlichen Leistungen der deutschen Entwicklungshilfe wieder. Wenn man über diesen Einzelplan spricht, so wird meist erwartet, daß bestimmte Prozentzahlen, die dann am Bruttosozialprodukt gemessen werden, oder prozentuale Steigerungsraten der VE genannt werden. Dies hat verständlicherweise im Haushaltsausschuß eine nur untergeordnete Rolle gespielt. Ich bin mir allerdings darüber im klaren, daß man im Laufe der Aussprache auf diese Dinge noch eingehend zurückkommen wird.
Ich möchte hier nur punktuell auf das eingehen, was im Haushaltsausschuß Anlaß zu einer Art Grundsatzdiskussion bot. Dies waren vor allem Fragen der Effizienz, der parlamentarischen Kontrolle und der Organisation der deutschen Entwicklungshilfe.
Mit zunehmendem Haushaltsvolumen für den Einzelplan 23 wächst kontinuierlich auch der Finanzbeitrag an multilaterale Organisationen, die sich nachgewiesenermaßen unserer parlamentarischen Kontrolle, aber auch unserer Rechnungsprüfung entziehen. Hier wird in Zukunft das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit darauf zu achten haben, daß die effektiven Entwicklungshilfeleistungen an die Empfängerländer unter Ansetzung eines möglichst niedrigen Verwaltungskostenaufwands weitergeleitet werden.
Aber auch im bilateralen Bereich unserer technischen Hilfe im engeren Sinne zeichnen sich in den letzten Jahren Tendenzen ab, die einer eingehenden Durchleuchtung unterzogen werden müßten. Auf der einen Seite steht eine erkennbar werdende Expertenmüdigkeit einzelner Entwicklungsländer, auf der anderen Seite sehen wir in diesem Bereich in zunehmendem Maße erforderlich werdende Aufstockungs- oder Verlängerungsmaßnahmen. Es liegt sicherlich nicht in unserer Absicht, die Expertentätigkeit in einem Land der dritten Welt zu einer Art Lebensstellung auszubauen.
Dies alles führt zwangsläufig dazu, daß der Zusageplafonds in der technischen Hilfe, wenn nicht erhebliche Aufstockungsmaßnahmen erfolgen, immer geringer wird und neue Projekte nur noch in immer geringer werdendem Umfang in Angriff genommen werden können.



Esters
Bei der Abwicklung der technischen Hilfe bedient sich das BMZ der 1969 geschaffenen Bundesstelle für Entwicklungshilfe in Frankfurt und der GAWI, der Deutschen Förderungsgesellschaft für Entwicklungsländer, oder wie die Abkürzung heißt, der Garantieabwicklungsgesellschaft. Der Verwaltungskostenanteil dieser Gesellschaft an den Leistungen der technischen Hilfe ist in den letzten Jahren prozentual ständig gestiegen. Da die GAWI als Tochtergesellschaft der Treuarbeit ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes, vom Bund unabhängiges Unternehmen ist, haben weder BMZ noch Parlament zur Zeit Möglichkeiten, auf das Verwaltungsgebaren Einfluß zu nehmen, wie es eigentlich erforderlich wäre.
Aus diesem Grund hat der Haushaltsausschuß Bundesregierung und Bundesrechnungshof ersucht, durch geeignete organisatorische Maßnahmen diesen Bereich zu rationalisieren und die Effizienz zu steigern. Dabei sollte nach einhelliger Auffassung des Haushaltsausschusses geprüft werden, ob es nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung nicht sachgerecht ist, die GAWI in die BfE zu integrieren. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung bei der Beratung des Haushalts 1974 über die von ihr eingeschlagenen Wege berichtet.
Die mangelnde Kontrollmöglichkeit des Parlaments im Bereich der Entwicklungspolitik erstreckt sich allerdings nicht nur auf die technische Hilfe, sondern auch auf die Kapitalhilfe, für die ja nach der Regierungsbildung das BMZ endlich die volle Zuständigkeit bekommen hat. Ich möchte hier allerdings nicht unerwähnt lassen, daß die Bemühungen des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Wust von interministeriellen Referentenausschüssen und Lenkungsgremien weitgehend abbauen konnten.
Obwohl das BMZ in den letzten Jahren für eine Reihe von Ländern länderbezogene Hilfeprogramme, die mit den nationalen Entwicklungsplänen dieser Ländern abgestimmt sind, erstellt hat, wurde für die Mitglieder des Haushaltsausschusses noch nicht so recht deutlich, daß man hier von der Finanzierung einzelner Projekte zu einer Programmfinanzierung übergeht. Dieser sinnvolle Übergang wird für die Zukunft finanzwirtschaftlich bedeuten, daß wir einzelnen Ländern im Rahmen ihrer nationalen Entwicklungspläne einen mehrjährigen Zusagerahmen verfügbar machen müssen. Hier wird zu überlegen sein, ob dafür nicht im Haushalt 1974 eine eigene Titelgruppe auszubringen sein wird. Mit dem Moment nämlich, wo dies Wirklichkeit wird, bekommt das Parlament im Rahmen eines mehrjährigen Belegungsplanes die Möglichkeit einer effektiven Kontrolle des gesamten Instrumentariums unserer entwicklungspolitischen Maßnahmen. Dies liegt im Interesse der Länder der dritten Welt, aber auch im Interesse dieses Parlaments.
Wir werden dann sicherlich auch mit dem Problem besser fertig werden können, auf das ich zum Schluß noch hinweisen möchte. Da sich die erwähnte Programmfinanzierung inhaltlich und finanzwirtschaftlich über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren erstrecken sollte, kann der für diesen Zeitraum erforderliche Mittelbedarf weitaus realistischer geschätzt und veranschlagt werden, als das im Augenblick bei der Einzelprojektfinanzierung möglich ist.
Nicht umsonst schieben wir im Augenblick einen Verpflichtungsberg von 9,2 Milliarden DM vor uns her. Davon entfallen allein 5,6 Milliarden DM auf die Kapitalhilfe. Das vom Haushaltsausschuß dem BMZ und dem BMF empfohlene Verfahren, also der Übergang zur Programmfinanzierung, wird ein weiteres Anwachsen des Verpflichtungsberges verhindern. Mittelfristig wird es ermöglichen, den vorhandenen Berg abzubauen, den Wünschen vieler, sicherlich nicht aller Empfängerländer entgegenkommen und dem Parlament wieder eine bessere Kontrollmöglichkeit an die Hand geben. Schließlich werden die in schöner Regelmäßigkeit jährlich wiederkehrenden Regierungsverhandlungen über Finanzhilfezusagen dann nur noch alle fünf Jahre stattfinden müssen.
Ich bitte die Kollegen, dem Antrag des Haushaltsausschusses auf Drucksache 7/738 ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704529800
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Picard.

Walter Picard (CDU):
Rede ID: ID0704529900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir wenige Bemerkungen in meiner Eigenschaft als Mitberichterstatter, nicht für meine Fraktion, obwohl es natürlich reizvoll wäre, über den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Entwicklungshilfe zu sprechen. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Es hat einmal in diesem Hause einen Streit darüber gegeben, ob wir mit dem Anspruch, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben, einverstanden seien. Ich erlaube mir, die Feststellung zu treffen, daß wir dieses Ziel bei weitem noch nicht erreicht haben.
Lassen Sie mich daran anknüpfend und in Fortführung dessen, was der Kollege Esters gesagt hat — darin stimmen wir überein —, folgende Bemerkung machen. Man sollte mehrjährige Programme für die Entwicklungshilfe vorlegen, die die Kontroll-und Einflußmöglichkeiten des Parlaments und des Haushaltsausschusses verbessern. Das ist vielleicht die Hauptkritik aus der Sicht des Haushaltsausschusses. Wir haben nämlich den Eindruck, daß der Haushaltsausschuß und damit das Parlament nicht in der Lage sind, z. B. die Zahlen bei der Kapitalhilfe — es handelt sich um fast 2 Milliarden DM — zu durchschauen, damit die Entwicklungshilfe zu kontrollieren und sich ein Urteil über die Effizienz dessen zu bilden, was in der Entwicklungshilfe geschieht. Das hat nichts damit zu tun, daß auch der Haushaltsausschuß der Entwicklungshilfe mit außerordentlich großer Sympathie und mit großem Interesse gegenübersteht, sondern es hat etwas damit zu tun, daß wir glauben, solche Mengen Geldes, für die wir schließlich dem deutschen Steuerzahler gegenüber



Picard
Verantwortung tragen, nur dann mit gutem Gewissen ausgeben zu können, wenn wir in der Lage sind, die Dinge zu durchschauen, d. h. zu kontrollieren und sie damit auch gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Öffentlichkeit ist gespalten, und zwar in eine Gruppe, die Entwicklungshilfe mit großer Sympathie verfolgt, und in eine Gruppe, die gerade deshalb, weil es so ist, wie ich es soeben gesagt habe, Entwicklungshilfe mit Distanz, mit Skepsis oder gar ablehnend betrachtet.
Lassen Sie mich noch eine zweite Bemerkung machen, nämlich zu der Schwierigkeit — auch damit beschäftigt sich der Haushaltsausschuß —, die wir als Parlamentarier empfinden, die verschiedenen Funktionen der unterschiedlichen Stellen, die in der Entwicklungshilfe tätig sind, zu erkennen und uns ein Urteil darüber zu bilden, ob die gegenwärtige Konstruktion sinnvoll ist. Der Kollege Esters hat hier ein herausragendes Beispiel angeführt, nämlich die Zusammenarbeit der Bundesstelle für Entwicklungshilfe und der sogenannten GAWI, der Deutschen Förderungsgesellschaft für Entwicklungsländer. Wenn wir nach dem Informationsstand, den wir haben, die gegenwärtige Situation betrachten, kann man das möchte ich ganz deutlich sagen — zu der Auffassung kommen, daß die jetzige Konstruktion nicht beibehalten werden sollte. Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung und auch vom Bundesrechnungshof — das sage ich mit Nachdruck — die baldige Vorlage eines Berichts, der es uns ermöglicht, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob wir beide Stellen oder nur eine integrierte Stelle benötigen, um die Durchführung der technischen Hilfe zu gewährleisten.
Eine Bemerkung zur Kapitalhilfe. Wir haben immerhin eine vertrauliche Vorlage darüber bekommen, die uns über die Einzelbeträge für die verschiedenen Länder in Kenntnis gesetzt hat. Wir haben volles Verständnis dafür, Herr Minister, daß man Kapitalhilfe nicht auf dem offenen Markt aushandeln kann. Aber ich meine, es muß eine Möglichkeit gefunden werden — hier sind die Regierung und Ihr Haus ja im Wort —, dem Parlament, zumindest dem Haushaltsausschuß — wenn schon nicht dem ganzen Ausschuß, so doch einem Teil des Ausschusses —, offen darzulegen, wie bei der Kapitalhilfe von Jahr zu Jahr verfahren wird, damit wir nicht nur mit Sympathie, sondern auch wirklich mit gutem Gewissen auf Grund hinreichender Sachkenntnis zu dem ja sagen können, was im Augenblick geschieht, insbesondere aber dazu, daß, wie wir hoffen, in den nächsten Jahren in diesem Bereich noch mehr getan wird. Ich darf ergänzen, daß das im wesentlichen auch für die technische Hilfe gilt.
Eine Bemerkung zu den Programmen. Auch hier hat der Kollege Esters schon davon gesprochen — und es ist erstaunlich, daß wir, wenn wir Entwicklungshilfe aus der Sicht des Haushaltsausschusses betrachten, weitgehend in Übereinstimmung sind, weil es uns um die Durchführung der Entwicklungshilfe und um die höchstmögliche Effizienz geht ---, daß Entwicklungshilfe vielleicht, und das ist ja in der öffentlichen Diskussion, stärker konzentriert werden sollte auf bestimmte Regionen, auf be-
stimmte Länder, die von ihrem eigenen Bedarf her unseres Mitwirkens, unserer Hilfestellung bedürftiger sind als andere. Ich persönlich habe kein Verständnis dafür, daß wir Entwicklungshilfe in Länder leiten, die auch ohne daß wir Vergünstigungen gewähren, wie sie in der Entwicklungshilfe z. B. beim Entwicklungshilfesteuergesetz gegeben werden, durchaus Kapitalzuflüsse erfahren würden, weil es dort interessant ist, Kapital zu investieren, während andere Länder, die weniger oder gar nicht interessant sind, einer stärkeren Unterstützung unsererseits bedürftig wären. Ich glaube, das kann man hier ändern.
Eine Bemerkung, die nicht falsch verstanden werdeen soll: Wir meinen — wiederum aus der Sicht des Haushaltsausschusses —, daß wir ein großes Interesse an Leistungen der Entwicklungshilfe der Bundesrepublik mit einer höchstmöglichen Effektivität haben müssen, d. h. mit einem möglichst geringen Aufwand an Sachkosten und Personalkosten, die sich schließlich im Projekt nicht niederschlagen. Da scheint die Erfahrung immer noch dafür zu sprechen, daß die bilaterale Entwicklungshilfe wesentlich effektiver ist und auch der deutschen Bevölkerung gegenüber eher und leichter und einsichtiger zu vertreten ist als multilaterale Hilfe. Das hat den Haushaltsausschuß beschäftigt, und wir sind vorerst doch, glaube ich, übereinstimmend der Auffassung gewesen, wir sollten multilaterale Hilfe nicht über das notwendige Maß hinaus verstärken, sondern sollten eher bei der bilateralen Hilfe zulegen.
Das mag sich ändern, vielleicht muß sich das sogar im Laufe der nächsten Jahre ändern; ich denke an den Eintritt in die UNO, Herr Minister. Aber dann muß das Bemühen der deutschen Bundesregierung mit allem Nachdruck dahin gehen, in der multilateralen Hilfe für eine möglichst große Effektivität zu sorgen. Hier sind wir interessiert, von Ihrem Hause, Herr Minister, eine entsprechende Auskunft, vielleicht auch eine Versicherung zu erhalten.
Lassen Sie mich diese ergänzenden Bemerkungen damit abschließen; denn es waren ja Bemerkungen als Mitberichterstatter, und sie sind getragen von dem Interesse des Parlaments, des Haushaltsausschusses.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704530000
Herr Abgeordneter, ich bedauere sehr, daß in meinen Unterlagen von einem Mitberichterstatter im Unterschied zu anderen Haushalten nichts vermerkt ist. Vielleicht gehen Sie der Angelegenheit nach.

(Abg. Picard: Es ist aber so, Herr Präsident!) Das Wort hat der Abgeordnete Holtz.


Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0704530100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat in der letzten Zeit die Bundesregierung aufgefordert, erklärtermaßen vom 0,7 %-Ziel abzuweichen. Diese Aufforderung kann nur als Anstiftung zu außenpolitischem Unfug verstanden werden.

(Zurufe des Abg. Wohlrabe.)




Dr. Holtz
Eine Zurücknahme des 0,7%-Ziels — von den Niederlanden z. B. erreicht — würde international auf kein Verständnis stoßen, mit Recht. Bei den Entwicklungsländern besteht ohnehin der allgemeine Eindruck, daß die Bemühungen der Industriestaaten, insbesondere der satten Bundesrepublik, noch lange nicht ausreichen. Wir teilen diese Auffassung. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie Ziel und Wirklichkeit nicht noch weiter auseinanderfallen läßt. Wir erwarten, daß sie prüft, ob und wie Mittel aus der Stabilitätsrücklage nicht in den Reißwolf geworfen werden, wie heute Mittag von einem Kollegen gefordert wurde, sondern für öffentliche Entwicklungshilfe eingesetzt werden können, ohne daß sie die inländische Konjunktur anheizen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Die klassische Entwicklungshilfepolitik der westlichen Industriestaaten befindet sich im Umbruch. Die erste Entwicklungsdekade der UN wurde mit deprimierenden Ergebnissen abgeschlossen; der Mißerfolg der zweiten zeichnet sich schon wieder ab.
Die meisten Entwicklungsländer, die in ihren Beziehungen zu den Industriestaaten die koloniale, die Freihandels- und die Imperialismusperiode gekannt haben, sind zwar heute politisch selbständig und z. B. in der UNO politisch gleichberechtigt. Nur: die Industrieländer beherrschen den Welthandel. Sie, die zahlenmäßig Unterlegenen, aber wirtschaftlich Mächtigeren bestimmen das Weltwährungssystem. Eine einseitige internationale vertikale Arbeitsteilung, ein schweres koloniales Erbe überläßt den Entwicklungsländern weiterhin die Rolle des Rohstofflieferanten. Die Industrieländer kontrollieren die Preise und die Mengen auf dem Weltmarkt. Sie durchdringen wirtschaftlich und auch kulturell die Entwicklungsländer. International operierende Konzerne besitzen entscheidende Machtpositionen und suchen durch politische Einmischung die Innenpolitik mancher Entwicklungsländer nach ihrem Gusto zu gestalten. Die kürzlich vorgelegte EKD-Denkschrift konstatiert nüchtern:
Das gegenwärtige System der Weltwirtschaft verursacht eine Fortdauer der durch den politischen und wirtschaftlichen Kolonialismus begründeten Abhängigkeit.
Dem haben wir nichts hinzuzufügen.
Die deutsche Entwicklungspolitik hat unter der Union — unter Ihnen also — dazu beigetragen, das marktwirtschaftlich orientierte Modell unserer Gesellschaft in die Entwicklungsländer zu exportieren und gleichzeitig die Entwicklungshilfe als Vehikel zur Durchsetzung der deutschlandpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung in der Welt zu benutzen.

(Abg. Haase [Kassel] : Was haben Sie denn gegen die Wettbewerbswirtschaft?)

Nur allzu oft verband sich die deutsche Entwicklungshilfe mit dem reaktionären Establishment der Entwicklungsländer.
Dieser Interessencharakter der deutschen Entwicklungshilfe wurde schon unter Bundesminister Wischnewski in Frage gestellt und unter Bundesminister Eppler völlig aufgegeben. Das ist eine Leistung sozialliberaler Entwicklungspolitik.

(Zustimmung bei der SPD.)

In der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesrepublik vom 11. Februar 1971 heißt es deshalb folgerichtig:
Entwicklungspolitik taugt nicht als Instrument kurzfristiger außenpolitischer Erwägungen. Die Bundesregierung versucht nicht, den Partnerländern politische sowie gesellschafts- oder wirtschaftspolitische Vorstellungen aufzudrängen.
Wir Sozialdemokraten können bestimmte Programme nur dann unterstützen, wenn sie nicht nur einer kleinen Minderheit in einem Entwicklungsland zugute kommen, sondern breiten Bevölkerungskreisen nützen. Die untrennbare Verflechtung von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt, der Wille, das wirtschaftliche und soziale Gefälle sowie unwürdige Abhängigkeiten beseitigen zu helfen, scheinen mir das spezifisch Sozialdemokratische an unserer Entwicklungspolitik zu sein. Wir verstehen Entwicklungshilfe als solidarischen Beitrag der Bundesrepublik zur Verbesserung der sozio-ökonomischen Verhältnisse in Entwicklungsländer.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704530200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heiner Möller (CDU):
Rede ID: ID0704530300
Herr Kollege Holtz, entschuldigen Sie, daß ich auf einen vorherigen Satz zurückkomme. Verstehen Sie die Zusagen von einem Darlehen in Höhe von 300 Millionen DM an Jugoslawien nur als Entwicklungshilfe oder nicht vielleicht auch als ein Instrument der Außenpolitik?

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0704530400
Jugoslawien zählt in allen internationalen Statistiken als Entwicklungsland.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung Abschied von dem alten Kleckersystem genommen hat, das darin bestand, allen hundert Entwicklungsländern etwas und eigentlich doch nichts zu geben.

(Abg. Dr. Marx: Kleckersystem? In diesem Bereich hattet ihr lange die Verantwortung!)

An seine Stelle sind langfristige, integrierte und zum Teil international koordinierte Programme getreten, die ihre exemplarische Verdichtung in sogenannten Länderhilfeprogrammen erfahren. In den Ländern, in denen Entwicklungspläne bestehen, sollten wir nach sorgfältiger Prüfung mehr und mehr zur Programmfinanzierung kommen. Sie dürfte für uns Abgeordnete auch besser zu kontrollieren sein.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704530500
Herr Abgeordneter Dr. Holtz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mikat?

Dr. Paul Mikat (CDU):
Rede ID: ID0704530600
Herr Kollege Holtz, würden Sie denn wenigstens noch zugeben, daß die Marktwirtschaft, von der Sie offenbar seltsame Vor-



Dr. Mikat
stellungen haben, die Voraussetzungen geschaffen hat, daß wir überhaupt Entwicklungshilfe leisten können?

(Abg. Wohlrabe: Er ist ja ein Juso!)


Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0704530700
Es gibt auch andere Staaten in der Welt, die nicht marktwirtschaftlich orientiert sind und ebenfalls Entwicklungshilfe leisten.

(Abg. Dr. Marx: Wir reden doch von uns! — Abg. Wohlrabe: Wir sind doch hier nicht an einer Uni! Weitere Zurufe von der CDU 'CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704530800
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mikat?

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

-- Moment! Zur Zusatzfrage spricht Herr Abgeordneter Dr. Mikat, nicht das halbe Haus.

Dr. Paul Mikat (CDU):
Rede ID: ID0704530900
Herr Abgeordneter, wenn ich an Sie noch eine zweite Frage richten darf: Würden Sie mir denn wenigstens zugeben, daß die Leistungen, die wir erbringen, ungleich höher sind als die von Ländern mit Gesellschaftsordnungen, wie Sie sie im Auge haben?

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0704531000
Um es deutlich zu sagen: Ich möchte das sozial-marktwirtschaftliche Modell nicht abschaffen, sondern ich habe nur deutlich gemacht, daß wir dieses Modell nicht weiterhin als Export-
artikel in die Entwicklungsländer exportieren wollen,

(Abg. Dr. Mikat: Wir auch nicht!)

sondern wir vollen ihnen die Gelegenheit geben, ein System sowohl gesellschaftlich-wirtschaftlich als auch staatlich so aufzubauen, wie sie es wünschen.

(Beifall bei der SPD.)

Sicherlich hat Ivan Illich zu stark und einseitig pointiert, wenn er beklagt: Der Weg zur Armut in den Entwicklungsländern ist mit technischer Hilfe gepflastert. Aber dennoch ist die technische Hilfe als Mittel unserer Politik — immerhin beansprucht sie ein Viertel des Entwicklungsetats — revisions- bzw. erneuerungsbedürftig.
Trotzdem sollten wir die Vorzüge der deutschen Entwicklungspolitik auch klar unterstreichen. Ich meine, die Qualität unserer Hilfe ist gut. Sie wird international gewürdigt. Wir vergaben 1972 26% unserer öffentlichen Hilfe multilateral und haben damit das international gesetzte Ziel hinter uns gelassen. Wir gewähren unsere Kapitalhilfe zu günstigen Kreditkonditionen. Das durchschnittliche Zuschußelement bei der Kapitalhilfe belief sich auf 60 % und das rechnerische Zuschußelement aller Zusagen der öffentlichen Hilfe sogar auf 85 "'o. Die Verwaltungskosten sind niedrig. Der Abbau der gebundenen Hilfe, d. h. der Hilfe, bei der vertragliche Bindungen Lieferungen aus der Bundesrepublik vorschreiben, hat weiterhin zur Image-Aufbesserung der deutschen Hilfe beigetragen. Die Bundesrepublik hat sich damit im internationalen Vergleich an die Spitze gesetzt.
Was bleibt zu tun? Wir erwarten analog zur vollzogenen Steigerung der Qualität der deutschen Entwicklungshilfe die Steigerung der Quantität. Dabei denken wir mehr an das 0,7-%-Ziel als an das 1-%-Ziel, welches besagt, daß 1 % des Bruttosozialprodukts — öffentliche wie private Hilfe zusammengenommen — für die Entwicklungsländer bereitgestellt wird. Denn es fällt schwer, einzusehen, warum private Investitionen, die ja nicht aus altruistischen Motiven getätigt werden, in jedem Fall als Hilfe anzusehen sind.
Bei der Kapitalhilfe sollte der Anteil der Soforthilfe, z. B. Warenhilfe zur Ausnutzung der Produktionskapazitäten, erhöht werden. Auch für die Warenhife sollte die Lieferbindung fallen. Langfristig ist haushaltstechnisch auch die Unterscheidung zwischen technischer und Kapitalhilfe zu überwinden.
Die Anstrengungen für die am wenigsten entwickelten Länder, die durch eine extrem niedrige Rate der Industrialisierung und des Pro-Kopf-Einkommens sowie durch eine hohe Analphabetenrate charakterisiert sind, müssen verstärkt werden.
Vielleicht ist es im Zuge einer sich verstärkenden Kooperation auch mit den Ländern Osteuropas, etwa Polen, möglich, auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik zu gemeinsamen Anstrengungen zu kommen. Der Eintritt der Bundesrepublik in die UN bedeutet zugleich die Aufforderung, sich in Stellungnahmen zu weltpolitisch kontroversen Fragen durch die Teilnahme an Abstimmungen zu exponieren. So könnte man z. B. erwarten, daß die Bundesregierung die am 14. November 1972 von der Vollversammlung verabschiedete Resolution mittragen wird, in der alle Regierungen aufgefordert werden, der Bevölkerung in befreiten Gebieten jede moralische und materielle Unterstützung zu gewähren.
Zum Schluß noch einige überfällige Bemerkungen zu den äußeren, den externen Ursachen für die Unterentwicklung der Dritten Welt, die ich in dem die Entwicklungsländer stark benachteiligenden Welt-wirtschafts- und -handelssystem lokalisiere. Hier bedarf die entwicklungspolitische Konzeption auch verschiedener Korrekturen bzw. Ergänzungen.
1. Wir haben grundsätzliche Bedenken gegen Rohstoffabkommen als Mittel der Entwicklungspolitik, weil diese die Monokulturen in Entwicklungsländern eher festigen als abbauen und daher kaum geeignet sind, die Strukturprobleme zu lösen. Außerdem tragen Preisgarantien vermutlich wenig zum Ausgleich der sozialen Unterschiede in den betreffenden Entwicklungsländern bei, weil häufig eine kleine Schicht von Eigentümern der Rohstoffquellen davon profitieren wird.
2. Das Problem der progressiven Verschuldung der unterentwickelten Länder muß gelöst werden.
3. Die Bundesregierung sollte sich weiterhin be- mühen, Schritt für Schritt zu einer europäischen Entwicklungspolitik zu gelangen, und dabei Möglichkeiten für eine Koordinierung und Harmonisierung der bilateralen Entwicklungspolitik der Mitgliedstaaten zu nutzen. Jedoch darf sich eine gemeinschaftliche Entwicklungspolitik nicht als Kar-



Dr. Holtz
tell zur Stabilisierung postkolonialer Verhältnisse verstehen. Gerade das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zu den assoziierten afrikanischen Staaten ist noch allzusehr durch vertikale Arbeitsteilung, Spaltung der afrikanischen Staaten untereinander und wirtschaftliche und kulturelle Durchdringung gekennzeichnet, als daß wir den Vorwurf eines kollektiven Kolonialismus der Gemeinschaft gegenüber den assoziierten Drittländern überhören könnten. Deshalb wäre die Bundesregierung gut beraten, wenn sie sich innerhalb der Gemeinschaft für eine weltweite, nicht kontinentbegrenzte, die Interessen der Entwicklungsländer beachtende Politik einsetzen würde. Ein Auslaufen des Jaunde-Abkommens wäre eine mögliche Konsequenz.
4. Die Bundesregierung sollte die Bestrebungen der Entwicklungsländer, am Welthandel gleichberechtigt teilzunehmen, in dem Wissen aktiv unterstützen, daß weltweiter offener Handel oft bessere Hilfe bedeuten kann als die sogenannte Entwicklungshilfe.
5. Die Reform des Weltwährungssystems darf nicht auf dem Rücken der Entwicklungsländer ausgetragen werden. Die Bundesregierung sollte sich für eine Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer an den zusätzlich geschaffenen Währungsreserven und für eine Verbindung von Sonderziehungsrechten und Entwicklungshilfe einsetzen.
6. Wir — hier hoffen wir auch auf die verständnisvolle Unterstützung aus der Arbeitnehmerschaft — haben der Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß internationale Arbeitsteilung und „Zusammenarbeit" — so der sich im Titel des Ministeriums ausdrückende Anspruch — für uns bedeuten müssen, daß sich die Bundesrepublik bald von verschiedenen Produktionszweigen zu trennen und sie den Entwicklungsländern zu überlassen hat.
Gerade die von mir genannte Forderung nach Gleichberechtigung auf währungs- und handelspolitischem Gebiet zeigt, daß Entwicklungshilfe nicht nur Sache des Staates und der Parlamentarier, sondern auch Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist. Die Kirchen in der Bundesrepublik — sicher eine der wichtigen Lobbys der Entwicklungsländer —, die vielfältigen Stiftungen, die Gruppen und Vereine, die Wirtschaft, die Schulen und Universitäten, die Medien beschäftigen sich unter unterschiedlicher Motivation mit der dritten Welt. Wir möchten den unterentwickelten Ländern noch mehr Publizität — und zwar nicht nur Sensationspublizität —, Unterstützung und partnerschaftliche Sympathie von seiten unserer Bevölkerung wünschen. Die meisten Entwicklungsländer waren oder sind wirtschaftspolitisch, oft auch innen- und außenpolitisch immer noch fremdbestimmt.
Wir müssen bereit sein, die ökonomische und soziale Unterentwicklung zu überwinden und die vormundschaftliche Abhängigkeit der dritten Welt zu beseitigen. Dies ist nicht nur ein außenpolitisches Ziel, sondern auch innenpolitisch bedeutend. Denn wer Normen wie Menschenrechte, Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit nicht für alle Menschen,
I sondern nur für unsere Gesellschaft durchsetzen will, verliert an Glaubwürdigkeit

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0704531100
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID0704531200
Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Entwicklungshilfe ist unseres Erachtens eine politisch langfristige Aufgabe, zu der es keine echte Alternative gibt. Der Einzelplan 23 verdeutlicht in Umfang und Struktur die Mitwirkung der Bundesregierung im Jahre 1973 an der Lösung dieses weltweiten und, wie ich meine, auch epochalen Problems. Es handelt sich in der Tat um ein weltweites Problem, das in seiner Bedeutung für alle Menschen kaum zu überschätzen ist. Vielleicht mag es hilfreich sein, sich vor Augen zu führen, daß von zirka 3,5 Milliarden Menschen auf unserem Globus etwa zwei Drittel in Ländern leben, die man üblicherweise als Entwicklungsländer zu bezeichnen pflegt, deren ökonomisches Merkmal ein außerordentlich geringes Bruttosozialprodukt ist.
Damit ist, wie ich meine, das Ausmaß eines Problems angedeutet, das von Sachkennern als d a s soziale Problem des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. Wird diese Situation nicht gemeistert, sind auch unübersehbare negative Folgen für alle Industrieländer nicht auszuschließen. Etwas fassungslos, so meine ich, muß man darum die Kluft zwischen dem, was Menschen können, und dem, was Menschen tun, sehen. Das globale Problem ist im Kern ein Verteilungsproblem. Ich meine, es sind genügend Rohstoffe, genügend Menschen und auch genügend technisches Wissen vorhanden, wie nicht nur die Erfolge der Raumfahrt und anderer großer organisatorischer und technischer Leistungen beweisen, um allen Menschen wenigstens das Lebensnotwendigste zu sichern. Dennoch geschieht es nicht, trotz aller politischer Gefahren, die damit verbunden sind.
Die Ursachen der unzureichenden Entwicklung sind zahlreich und in wenigen Sätzen kaum zu umreißen. Mir scheint aber sicher zu sein, daß diese Aufgabe nicht ohne Hilfe zur Selbsthilfe der unterentwickelten Staaten zu lösen ist. Das ist eine Herausforderung an alle Industriestaaten, an Industriestaaten in Ost und in West, und auch eine Herausforderung an die Bundesrepublik als den Industriestaat mit dem viertgrößten Bruttosozialprodukt in der Welt.
Diese Aufgabe wird im Grundsatz auch gesehen, bejaht und wahrgenommen. Nur müssen wir auch eingestehen, daß das Volumen des Einzelplans 23 im Jahre 1973 nach internationalen Maßstäben nicht voll befriedigend ist. Internationale Zielgröße ist, etwa ein Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe zu verwenden, verteilt auf 0,7 % öffentliche und 0,3 % private Hilfe.
Mit einem Betrag von rund 2,8 Milliarden DM wird die öffentliche deutsche Entwicklungshilfe wie im Vorjahr den Satz von 0,35 % des Sozialprodukts



Zywietz
allerdings kaum überschreiten. Die Bundesrepublik nimmt damit unter den europäischen Geberländern den vorletzten Platz ein. Mag auch ein wenig statistische Definitionskunst mit dabeisein, ist auch das noch kein ausreichender Trost für uns. Wenn auch insbesondere die Konjunkturlage noch stabilitätsfördernde Spielräume für einen weiteren Kapitalexport gibt, die unseres Erachtens nutzbar zu machen wären, darf andererseits im Kernbereich Entwicklungshilfe nicht zur ersten konjunkturpolitischen Streichgröße bei einer wirtschaftlichen Abflachung degradiert werden. Denn konjunkturpolitische „Brosamen", konjunkturpolitische „Reste" werden in der dritten Welt kaum als überzeugende Hilfe angesehen werden.
So zahlreich die Motive der Entwicklungshilfe sind - etwa politische, wirtschaftliche, humanitäre, soziale und auch kulturelle Motive —, so zahlreich sind auch die Formen, die Träger und auch die Methoden der Entwicklungshilfe, wie das auch in diesem Haushalt wieder sehr deutlich wird. Es werden öffentliche Finanzhilfen, technische Hilfen, Handelshilfen, privatwirtschaftliche Leistungen gewährt, die sowohl auf bilateralem als auch auf multilateralem Wege geleistet werden können. Ich möchte vorweg sagen, daß diese Wege und Träger alle ihre Berechtigung haben. Für eine gute Praxis kommt es nur darauf an, eine optimale Mischung dieser Möglichkeiten durchzusetzen.
Die internationale Komponente der Entwicklungshilfe ist in diesem Haushalt bereits betont, und wir sind sicher, daß der internationale Aspekt für die Entwicklungshilfe in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird und dann auch haushaltsmäßig seinen Niederschlag finden muß. Der Beitritt zu den Vereinten Nationen eröffnet hier zweifelsohne ein weites Betätigungsfeld. Wir empfinden das nicht als eine Belastung, sondern vielmehr als eine Möglichkeit, die wir nachdrücklich begrüßen.
Unter dem Stichwort „international abgestimmte Entwicklungshilfe" wage ich auch, mit gedämpftem Optimismus und auf weitere Sicht an eine Zusammenarbeit bei dieser Aufgabe zwischen östlichen und westlichen Industrieländern zu hoffen. Mir scheint eine Vorbereitung darauf ratsam zu sein.
Näher liegt allerdings die Aufgabe, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu einer koordinierten Entwicklungspolitik zu gelangen. Die FDP würde das sehr begrüßen. Diese Aufgabe würde eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Konzeption wie auch in der Ausgestaltung der Instrumente und der Organisation voraussetzen. Leider haben die bisherigen Verhandlungen ergeben, daß die Europäische Gemeinschaft von einer gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik bedauerlicherweise noch ein gutes Stück entfernt ist.
Für die deutsche Seite geht es hierbei um einen beachtlichen Einsatz. Sie sollte ihre entwicklungspolitische Konzeption, die auf der Grundlage des Strategiedokuments der Vereinten Nationen für die zweite Entwicklungsdekade verabschiedet wurde, nicht aufgeben. Auch die Europäische Gemeinschaft muß sich weltweit an den Bedürfnissen der Entwicklungsländer ausrichten und sollte nicht zugunsten bestimmter Präferenzregionen einzelner Mitglieder übermäßig verzerrt werden.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft muß eine weltoffene Position anstreben. Auch in diesem Bereich wird die Europäische Gemeinschaft sich noch mehr als bisher beweisen müssen. In diesem Zusammenhang wird die Zollsenkungsrunde, das GATT, für die Entwicklungsländer von erheblicher Bedeutung sein in dem Sinne, inwieweit ihnen „aid by trade" ermöglicht werden kann. Die Strukturen weltweiter Arbeitsteilung werden dadurch zwangsläufig beeinflußt. Wir halten das für richtig.
Für nicht nur vorteilhaft würden wir allerdings für alle Beteiligten den Wert von Rohstoffabkommen bezeichnen, da durch Absatzgarantien Preise und vor allem Wirtschaftsstrukturen festgeschrieben werden. Die Ausschaltung des Wettbewerbs müswir als bedenklich bezeichnen.
Ich will auch nicht verhehlen, daß es bedenklich erscheint, die anstehende Reform des Weltwährungssystems dadurch zu belasten, daß auf Grund der Vorstellungen einer Vielzahl von Entwicklungsländern zu großzügige Möglichkeiten zur Überwindung von Liquiditätsengpässen eröffnet werden. Ein solcher Weg der indirekten, der verschleierten Subventionen — so könnte man es bezeichnen — hätte für das gesamte Weltwährungs- und damit Weltwirtschaftssystem von einem neuen Start weg erhebliche Fußangeln.

(Sehr wahr! bei der FDP.)

In diesem Punkte muß ich den Ausführungen des Herrn Kollegen Holtz widersprechen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Vielmehr sollten wir den Mut zur offenen und begründeten Unterstützung der Entwicklungsländer in Zukunft stärker als bisher haben und dies auch den Bürgern dieses Landes nicht so sehr entschuldigend, sondern vielmehr als notwendige Aufgabe begründet darstellen. Darin liegt eine politische Führungsaufgabe im guten Sinne, die noch von sehr viel mehr Politikern wahrgenommen werden könnte.
Außerdem sollte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit durch entsprechende Haushaltsdotierung selbstverständlich die Möglichkeit erhalten, für eine breite und positive Öffentlichkeitsarbeit zu sorgen, damit in der Öffentlichkeit nicht diejenigen ihrer Entwicklungshilfe das größte Ausmaß beimessen können, die es von der Sache her nicht geleistet haben.
Aber wirksame Entwicklungshilfe wird nicht nur nach ihrem Umfang, sondern auch wesentlich nach ihrer Qualität und ihrer ökonomischen Effizienz zu beurteilen sein. Wir müssen peinlich genau daran mitwirken, daß alle Mittel sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich so überlegt und auch so rationell wie nur möglich eingestzt werden. Dazu bedarf es einer guten Abstimmung zwischen Geber- und Nehmerland.
Was die Bundesrepublik dabei anbelangt, scheint mir eine Überprüfung erforderlich zu sein, ob nicht



Zywietz
in geeigneten Fällen statt Projekthilfe häufiger Programmhilfe geleistet werden sollte, wie es auch von den Vorrednern angedeutet wurde.
Wir fragen uns auch, ob künftig die bisher so exakt aufrechterhaltene Abgrenzung zwischen Kapitalhilfe und technischer Hilfe beibehalten werden sollte oder ob es nicht realistischer und zweckmäßiger wäre, beide Hilfsformen durchlässiger und flexibler zu gestalten oder nur noch generell zwischen Zuschüssen und Darlehen zu unterscheiden. In diese Richtung, so meinen wir, sollte eine allgemeine Überprüfung des Gesamtinstrumentariums der Entwicklungshilfe gehen.
Erst wenn durch öffentliche Entwicklungshilfe eine hinreichend attraktive infrastrukturelle Basis geschaffen worden ist, kann man davon ausgehen, daß sich auch privatwirtschaftliche Initiative entfalten wird. Privatwirtschaftliches Engagement, das selbstverständlich mit der Zielsetzung der Gewinnerzielung eingegangen wird, hat, wie ich meine, zumeist einen förderlichen Einfluß auf die volkswirtschaftliche Gesamtentwicklung. Was dem einen guttut, muß dem anderen nicht unbedingt schaden; das ist ein Charakteristikum guter Geschäfte, und die sollte es auch im Rahmen der Entwicklungspolitik geben.
Jede Investition bedeutet auf der einen Seite Schaffung von Arbeitsplätzen und damit von Einkommen und auf der anderen Seite ein Mehr an Leistungs- und Güterangebot. Unter dem Entwicklungsaspekt halten wir bei Privatinvestitionen insbesondere die Gründung von Partnerschaftsunternehmen mit teils in-, teils ausländischem Kapital für sehr wirksam, wie sie von der Deutschen Entwicklungsgesellschaft unterstützt werden. In Gemeinschaftsunternehmen werden mit der Zurverfügungstellung von Kapital auch Kooperation und die Vermittlung von technischem Wissen sehr unmittelbar und darum besonders überzeugend praktiziert.
Der Förderung von Privatinvestitionen in Entwicklungsländer stehen wir positiv gegenüber, wenn wir auch selbstkritisch einsehen müssen, daß die Erwartungen, die in das Entwicklungshilfe-Steuergesetz gelegt worden sind, sich nicht allgemein erfüllt haben. Die Ergebnisse dieses Gesetzes haben gezeigt, daß eine breite Förderung von Investitionen in Entwicklungsländern leider nicht erzielt worden ist. Der Investitionsstrom hat sich vielmehr in die Entwicklungsländer gewandt, in denen auch ohne besondere steuerliche Anreize vermutlich investiert worden wäre. In die ärmsten der armen Länder sind dabei nur sehr geringe, unbedeutende Investitionsmittel geflossen. Diese Entwicklung kann ganz gewiß nicht als entwicklungspolitisch positiv bezeichnet werden und bedarf in Zukunft der Änderung. Es bleibt dahingestellt, ob die bisherige Form des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes geeignet ist oder aber andere gesetzliche Regelungen gefunden werden müssen. Uns kommt es dabei mehr auf den Inhalt als auf die Etikettierung an.
Was den Inhalt angeht, müßte es sich um eine Investitionsförderung handeln, die nach dem Entwicklungsstand des Empfängerlandes differenziert und die auch die bestehende Benachteiligung der
arbeitsintensiven Investitionen abbaut. Arbeitskraft ist zumeist der einzige Reichtum der Entwicklungsländer, Ein Förderinstrumentarium sollte darum zum Ziel haben, diesen Reichtum besser wirksam werden zu lassen.
Dies gilt ebenfalls für südeuropäische Länder; auch hier bedarf es der Schaffung weiterer Arbeitsplätze durch Aufbau zusätzlicher Produktionen, um die Arbeitsuchenden möglichst erst gar nicht zu Gastarbeitern werden zu lassen — mit all den damit verbundenen uns bekannten Problemen.
Entwicklungshilfe ist wohl keine Garantie dafür, daß wir einer konfliktfreien Zukunft entgegensehen können. Wir meinen, daß Entwicklungshilfe die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß es in unterentwickelten Ländern mit meist auch sehr starren Gesellschaftsformen zu einer evolutionären Entwicklung und nicht zu Revolutionen oder gar noch zu Schlimmerem kommt. Es gibt mehrere Beispiele dafür -- und ich scheue mich nicht, hier zu erwähnen, daß Indochina eines ist —, daß an die Möglichkeiten der Entwicklungshilfe häufig zu spät und, wie ich meine, auch zu halbherzig gedacht wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn auch der diesjährige Einzelplan 23 nicht allen unseren Vorstellungen entspricht, wollen wir ihm zustimmen, weil er der Ausdruck des guten Willens ist, an einer wesentlichen Aufgabe nach Kräften teilzunehmen, einer Aufgabe, die wir sehr offensiv, sehr bewußt angehen sollten und die wir trotz aller möglichen Unzulänglichkeiten nicht als eine lästige Abgabe von unserem Sozialprodukt betrachten dürfen. Einen solchen Kardinalfehler können wir uns nicht leisten!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704531300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Todenhöfer.

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID0704531400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mit großem Interesse die zum Teil recht heftige Kritik des SPD-Abgeordneten Dr. Holtz an der Politik in der Entwicklungshilfe wahrgenommen und darf Herrn Dr. Holtz daran erinnern, daß dieses Ressort seit sieben Jahren in Händen der Sozialdemokraten liegt und noch länger in Händen der Sozialliberalen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Da war doch von Flickschusterei die Rede!)

Wer immer sich mit sozialdemokratischer Politik befaßt, steht vor jener bemerkenswerten Diskrepanz von Worten und Taten. In kaum einem Ressort aber klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie in Ihrem, Herr Minister Eppler. Ständig werden neue Höchstleistungen deutscher Entwicklungshelfer angekündigt; doch den Versprechungen folgt nur selten ihre Verwirklichung.

(Abg. Dr. Marx: Im Plänemachen ist er groß!)

Jeder aber, der es wagte, an die cm den Himmel gemalten Pläne zu erinnern, wird von Ihnen als Kritikaster gebrandmarkt, der nicht einsichtig genug



Dr. Todenhöfer
sei, in die Begrenztheit aller Politik Einsicht zu nehmen. 1970, als der Umfang der öffentlichen deutschen Entwicklungshilfe 2,2 Milliarden DM betrug, sagten Sie, Herr Minister Eppler, mit bewundernswerter Selbstgläubigkeit: Was sind schon 5 Milliarden DM Entwicklungshilfe bei einem Bruttosozialprodukt von 680 Milliarden DM! 1972 — also zwei Jahre später — aber sank der Anteil der deutschen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt auf den Negativrekord von 0,31 °,'o, und 1971 — ein Jahr später — verkündeten Sie mit staatsmännischer Verbindlichkeit, der Anteil der öffentlichen deutschen Entwicklungshilfe werde auf 0,7 % verdoppelt werden. Auch in diesem Jahr, im Jahr 1973, aber wird der Mittelabfluß kaum über 0,3% liegen. Vor wenigen Wochen nun kündete Ihr Staatssekretär Dr. Sohn der staunenden deutschen Öffentlichkeit für 1976 eine Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 6 Milliarden DM an. Als aber vor 14 Tagen das Kabinett diese Erhöhung beschließen sollte, nahm man schnell diesen Punkt wieder von der Tagesordnung,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

weil man sah, daß man hierfür keine Mehrheit gefunden hätte. Wieder einmal, Herr Minister Eppler, fand der von Ihnen laut angekündigte „große Sprung nach vorn" nicht statt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was sind die Gründe dafür, daß den Ankündigungen Minister Epplers so selten die Verwirklichung folgt? Ist es nicht mehr wichtig, daß unser Land jenen unspürbaren Verzicht leistet, um den Entwichlungsländern zu helfen, jene Durststrecke — wie Minister Eppler sagte — bis zum Stopp des Bevölkerungswachstums zu überwinden? Oder aber meint die Bundesregierung schon selbst, daß diese Ankündigungen ihres zuständigen Ministers nur leichtfertige Sonntagsworte sind? Dann hätte sich diese Regierung endlich einmal in einem ganz wichtigen Punkt ganz realistisch offenbart: programmatisch ganz vorn, pragmatisch ganz hinten!
Es muß aber noch einen anderen Grund geben. Wenn die Bundesrepublik diesen unspürbaren Verzicht nicht leistet, dann liegt es wohl auch daran, daß diese Regierung mit der landläufigen Kritik an der Entwicklungshilfe nicht fertig geworden ist. Diese Kritik erhebt sich innerhalb der SPD von zwei Seiten. Von der einen Seite wird Entwicklungshilfe als Faß ohne Boden und als wirkungslose Wohlfahrtsgabe zur Beruhigung eines sozialen Gewissens angesehen; von der anderen Seite, Herr Minister, aber wird Entwicklungshilfe als Neokolonialismus gebrandmarkt. Die Bundesregierung scheint mit Rücksicht auf ihre Wähler zu glauben, daß sie diesen beiden extremen Kritiken der Entwicklungshilfe nicht entschieden entgegentreten könne, auch wenn Sie persönlich, Herr Minister, diese Kritik grundsätzlich zurückweisen mögen. Aber man kann ja jenen Wählern, die Ihr Herr Bundeskanzler durch großartige Sozialprogramme zur politischen Euphorie verführt hat, in der Tat nicht ohne weiteres erklären, warum man soziale Verbesserungen in anderen Ländern fordert, wenn es im eigenen Lande noch so
stark an der Verwirklichung versprochener sozialer Reformen fehlt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: So ist es!)

Auf der anderen Seite kann man den Vorwurf des Neokolonialismus nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß man wie Sie, Herr Eppler, sagt: Bisher hat mir noch niemand beweisen können, daß ein kapitalistisches System ex definitione nichts anderes als Ausbeutung betreiben könne. Denn Ihnen, Herr Minister, wie einem großen Teil Ihrer linken Parteifreunde ist ja das kapitalistische System, in welcher gewandelten historischen Form auch immer, nicht nur ex definitione, sondern auch realiter ein abschaffungswürdiges System. Deshalb wird Ihre soeben zitierte Verteidigung der deutschen Entwicklungshilfe mit einem gewissen Recht von Ihren linken Kritikern als bloß taktische Aussage bewertet und damit nicht beachtet.
Welches auch immer der Grund sein mag, warum Ihren Worten so selten die Verwirklichung folgt: Hier muß einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß diese Politik der großen ungehaltenen Versprechen zutiefst unseriös ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es schadet nicht nur Ihnen, sondern uns allen, wenn uns im Ausland im Bereich der Entwicklungspolitik keiner mehr ernst nimmt, weil Sie auch dort für Ihre großen Pläne die Werbetrommel geschlagen haben. Ihre Stärke, Herr Minister, mag darin bestehen, große Pläne zu machen; in der Entwicklungspolitik aber ist dies eher eine Schwäche.
Und, Herr Minister, kaum einer ist bei seinem Amtsantritt mit so viel Vorschußlorbeeren bedacht worden wie Sie. Kaum einer aber hat mit diesem Vertrauensvorschuß politisch so wenig anzufangen gewußt wie Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Minister Eppler, wir streiten hier nicht darüber, ob Entwicklungshilfe geleistet werden soll oder nicht, sondern darüber, auf welche Weise sie geleistet werden soll. Dies gilt im übrigen nicht nur in der Entwicklungspolitik, sondern auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaftspolitik. Das sei einmal ganz ausdrücklich den sozialdemokratischen Mitgliedern der Regierung gesagt, die sich so gern in der Vorstellung sonnen, sozial fortschrittliche und reformerische Politik sei Domäne der Sozialisten. Zur sozialen Transformation unserer Nachkriegsgesellschaft hat nicht die SPD, sondern unleugbar die CDU/CSU und die FDP die entscheidenden Verwirklichungsschritte unternommen.

(Lachen bei der SPD.)

Die CDU/CSU wird noch in dieser Legislaturperiode eine geschlossene neue entwicklungspolitische Konzeption vorlegen, die für uns Anlaß sein wird, eine Generalüberprüfung Ihrer Entwicklungspolitik vorzunehmen. Wir tun dies nicht, um lediglich etwas Neues zu bieten. Solch oberflächliche Neuheitssucht, solche Neophilie, ist viel zu weit ins politische Denken eingedrungen, seit Sie an der



Dr. Todenhöfer
Regierung sind, und würdigt Politik allzu oft auf die Stufe unwürdiger Verkaufstechniken herab.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Wir tun dies vielmehr deshalb, weil immer deutlicher erkennbar wird, daß wir mit den bisherigen Instrumenten unserer Entwicklungspolitik nicht weiterkommen, und weil wir glauben, daß sehr bald eine Kurskorrektur erforderlich sein wird.
Die CDU 'CSU sagt heute wie schon vor zwanzig Jahren ein klares Ja zur Hilfe für die dritte Welt. Wir wissen, daß wir alle Teile einer Weltgemeinschaft sind, deren gegenseitige Abhängigkeit ständig wächst. Innerhalb dieser weltweiten Gemeinschaft haben die Entwicklungsländer heute die Positionen, die etwa 1880 in Deutschland die Arbeitnehmer hatten. Heute wie damals geht es darum, Unterprivilegierte in die Gesamtgesellschaft zu integrieren. Heute wie damals geht es darum, zu erkennen, daß Freiheit und Gleichheit entweder für alle oder für keinen gelten.
Akzeptiert man diese Analogie der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts zur heutigen Situation der Entwicklungsländer und akzeptiert man, daß die Entwicklungsländer deshalb mit Recht den gleichen Zielen nacharbeiten wie einst die Arbeiterschaft in den westlichen Industriestaaten, dann bleibt noch immer die Frage nach den Wegen zu entscheiden.
Unser Lösungsvorschlag kann nach den Erfahrungen der letzten 100 Jahre nur der demokratische und nicht der revolutionäre sein, dem Sie und die Linke Ihrer Partei, Herr Minister Eppler, leider nie genug mit Entschiedenheit entgegengetreten sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Den demokratischen Kern unserer Lösung, unserer Versuche zur Lösung unserer sozialen Probleme auf die Entwicklungspolitik übertragen heißt fordern: gewerkschaftsanaloge Selbstorganisation der Entwicklungsländer untereinander, damit sie als Partner im sozialen Prozeß Verhandlungsstärke und den Zwang zur Selbstverpflichtung entwickeln.
Sicherlich wäre es auch nützlich, wenn die Entwicklungsländer nicht alle Stufen unserer industriestaatlichen Entwicklung zu durchlaufen brauchten. Sie müßten davon profitieren können, daß ihre Entwicklung bereits von anderen durchlaufen wurde.

(Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

Da wir — dies sollten wir auch mit Offenheit sagen — selbst noch nicht am Ende unserer Entwicklung angekommen sind, könnten entwickelte Industriestaaten und Entwicklungsländer gemeinsam Experimente auf zukünftige Entwicklungen einleiten. Die Entwicklungsländer hätten so die Chance, selbst zur Avantgarde der Entwicklung — gemeinsam mit den Industriestaaten — zu werden. Dies würde ihrem Selbstbewußtsein und der Freisetzung ihrer Kräfte äußerst förderlich sein.
Lassen Sie mich diesen grundsätzlichen Anmerkungen einige konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Qualität unserer Entwicklungspolitik hinzufügen.
Heute konzentrieren sich zwei Drittel der öffentlichen deutschen Entwicklungshilfe auf 15 Länder. Wir begrüßen diese Konzentration, schlagen jedoch darüber hinaus vor, den Zuwachs — ich wiederhole: den Zuwachs — der entwicklungspolitischen Ausgaben der nächsten Jahre noch stärker auf einige ganz wenige Länder zu konzentrieren, um langfristig eine modellartige Förderung dieser Länder zu erreichen. Diese Sonderförderung weniger Partnerländer im Rahmen der bilateralen Hilfe wäre auch für die genannten partnerschaftlichen Sozialexperimente von besonderem Wert. Sie wäre auch innenpolitisch wertvoll. Denn die psychologische Bereitschaft unserer Bevölkerung, Entwicklungspolitik voll zu akzeptieren, würde entscheidend verbessert, wenn die Wirkung steuerlicher Opfer an wenigen Modellstaaten deutlicher sichtbar würde.
Dabei ist natürlich anzustreben, daß auch andere Industriestaaten andere Programme in ähnlicher Verwirklichung der Konzentration durchziehen, wie dies schon heute teilweise geschieht. Die Wirkungsbreite der deutschen Entwicklungshilfe würde hierdurch nicht eingeengt, sondern ausgedehnt werden. Denn durch gleichzeitige Verstärkung der supranationalen Selbstorganisation der Entwicklungsländer untereinander wäre eine befriedigende Übertragungsleistung erfolgreich durchgeführter Entwicklungsmodelle zu erreichen.
Solche partnerschaftlichen Sonderbeziehungen, partnerschaftlich und frei von jeder Mißbrauchsmöglichkeit organisiert, müßten darauf angelegt sein, untereinander als Alternativ-, ja als Konkurrenzmodelle betrachtet zu werden, wobei der größte Erfolg den Ausschlag für die schließliche Übernahme durch andere Entwicklungsländer, andere Geberländer und schließlich durch die Europäische Gemeinschaft geben müßte.
An dieser Stelle ein Wort zu Europa. Wir treten weiterhin für eine verbesserte Koordinierung der europäischen Entwicklungspolitik als Vorstufe einer Einbeziehung bilateraler Entwicklungsprogramme in eine arbeitsteilig entwickelte, demokratisch organisierte Europäische Gemeinschaft ein. Die Entwicklungspolitik sollte sich zum Schrittmacher der Bildung eines europäischen Bundesstaates machen. Dieses Europa ist keine Utopie, es ist auch nicht, wie Bundeskanzler Brandt einmal gesagt hat, eine Aufgabe nur für spätere Generationen; denn wer Europa morgen will, muß heute darum kämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe bei der SPD.)

Schon heute sind wir für eine weitere Öffnung der Märkte der Europäischen Gemeinschaft für Waren der Entwicklungsländer. Entwicklungsförderung bleibt so lange unwirksam und unglaubwürdig, als den Entwicklungsländern die europäischen Märkte in bisherigem Maße verschlossen bleiben.
Wir treten ferner ein für eine verstärkte Koordinierung der Entwicklungsförderung auf internationaler, übereuropäischer Ebene. Aber eines muß hier gesagt werden: Herr Minister, eine undifferenzierte Flucht in die Multilateralität sollte vermieden wer-

Dr. Todenhöfer
den. Auch bierfür werden wir konkrete Leitlinien vorlegen.
Wir treten weiterhin für schnelle und umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Verschuldungssituation der Entwicklungsländer ein. Wir können, anders als die Regierung es meint, nicht warten, bis weitere Verschuldungskrisen kommen. Deshalb werden vorbeugende multilaterale, aber auch bilaterale Umschuldungsaktionen unvermeidbar sein.
Und nicht nur weil Ihnen, Herr Minister, das Wort Qualität auch noch nach vier Jahren sozialdemokratischer Politik so leicht und so erstaunlich über die Lippen kommt, ein Wort zur Qualität Ihrer Entwicklungspolitik. Ich meine, wir sind noch weit entfernt von einem befriedigenden qualitativen Niveau unserer Entwicklungshilfe. Auch hier ist es Ihnen nicht gelungen, die deutsche Entwicklungshilfe aus der Mittelmäßigkeit herauszuführen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Ihre Rede auch nicht!)

Hierüber ließe sich stundenlang sprechen, und die Enttäuschung mancher Ihrer engagierten Zuhörer und Anhänger wäre sicherlich sehr groß, wenn man ihnen einmal detailliert darlegte, wie stark auch hier Schein und Wirklichkeit auseinanderfallen.
Ich will hier nicht einmal von dem Wirrwarr im Durchführungsbereich sprechen, sondern nur auf die ständigen erheblichen Abweichungen der Projektausführung von der Projektplanung eingehen. Etwas mehr Kontrolle Ihrer Entwicklungspolitik, Herr Minister, durch das Parlament würde hier sicher von großem Nutzen sein. Ich fordere daher die Bundesregierung auf, in Zukunft vor jeder Haushaltsberatung dem entwicklungspolitischen Ausschuß einen Bericht über alle wesentlichen Abweichungen größerer Projekte vorzulegen. Wir wollen damit die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe verbessern; denn Entwicklungshilfe verdient ihren Namen nur, wenn sie wirklich hilft und nicht durch falsche Planung und durch falsche Ausführung immer wieder wirkungslos versickert.
Ich meine ferner, daß das Gastarbeiterproblem innerhalb unserer Entwicklungspolitik größere Beachtung finden sollte. Gastarbeiterpolitik ist gleichzeitig Entwicklungspolitik. Ich denke hier nicht nur an eine Verbesserung der Rückgliederungshilfen für Gastarbeiter, die sich in ihrer Heimat selbständig machen wollen, sondern auch an die Möglichkeit, innerhalb einer verbesserten europäischen Strukturpolitik arbeitsintensive deutsche Industrien in die Heimat der Gastarbeiter zu verlagern und, europäisch vereinbart, gleichzeitig die Zahl der Gastarbeiter in Deutschland auf einem bestimmten Stand einzufrieren.
Das Problem der Förderung deutscher Privatinvestitionen in der dritten Welt wird dieses Haus noch in diesem Jahre beschäftigen. Ich fordere die Regierung auf, in dieser Frage ohne ideologische Scheuklappen an eine zügige Reform des Gesetzes zu gehen. Lassen Sie uns, Herr Minister Eppler, bald ein Gesetz machen, das auf der Basis dessen, was sich bewährt hat, eine zusätzliche Förderung arbeitsintensiver und exportintensiver Investitionen vorsieht. Lassen Sie uns Zusatzprämien für Investitionen in den am wenigsten entwickelten Ländern und Regionen beschließen. Lassen Sie uns kleine mittelständische Betriebe, die bereit sind, in der Dritten Welt zu investieren, besonders fördern. Aber hören Sie endlich mit der Ideologisierung dieses Problems auf, weil Sie damit den erklärten Interessen der Entwicklungsländer nicht nützen, sondern schaden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Vielleicht darf ich die Regierung an dieser Stelle auch zu etwas mehr Ehrlichkeit in der Argumentation aufrufen. Wenn Sie immer wieder darauf hinweisen, daß über 80 % der geförderten Investitionen in Spanien und Teneriffa getätigt wurden, dann informieren Sie die Öffentlichkeit falsch, dann führen Sie sie hinters Licht. Denn Sie wissen ganz genau, daß seit einem halben Jahr, seit der Novellierung des Entwicklungshilfesteuergesetzes, Investitionen im touristischen Bereich — deswegen besonders in Spanien und Teneriffa — einer besonderen Bestätigung der Förderungswürdigkeit bedürfen. Warum sagen Sie das hier nicht in der Öffentlichkeit? Warum sind Sie hier statistisch nicht etwas ehrlicher? Ich kann es mir so erklären, daß Ihre Argumentationskette im Entwicklungshilfesteuergesetz nicht übermäßig stark zu sein scheint.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will mich auf die Darstellung einiger Vorschläge beschränken.
Wir werden die Regierung überall dort unterstützen, wo diese Unterstützung Hilfe für die Dritte Welt bedeutet. Die Regierung wird jedoch leidenschaftliche Gegner in uns finden, wenn sie den Versuch unternehmen sollte, die Interessen der Dritten Welt zugunsten ostpolitischer Interessen und Zusagen zu vernachlässigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden insbesondere jeden Versuch bekämpfen, durch Kapitalhilfe oder andere, etwa handelspolitische Abmachungen Wiedergutmachung zu Lasten der Entwicklungsländer zu leisten. Wir stellen unsere Aufgabe als Opposition unter das Motto: Kooperation, wo möglich, Kritik, wo nötig. Wenn wir heute den Etat 23 ablehnen, dann geschieht dies, Herr Minister, um die Unzulänglichkeit Ihrer Politik mit aller Deutlichkeit zu demonstrieren.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch folgendes sagen. Gerade weil das, was diese sozialdemokratische Regierung trotz ihrer großen Versprechungen für die Dritte Welt tut, so beschämend unzureichend und enttäuschend ist, möchte ich an dieser Stelle vor allem an die Jugend in unserer Bevölkerung die Bitte zu mehr tätigem Engagement in der Entwicklungspolitik richten. Was die sozialdemokratische Regierung nicht leistet, wird diese Jugend von Ihnen erzwingen müssen.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

Wir dürfen in Zeiten des Wohlstands nicht in
Selbstgefälligkeit absinken, und wachsender Wohl-
stand — das wissen Sie genauso wie ich; aber Ihr

Dr. Todenhöfer
Minister und Ihr Kabinett ziehen hieraus nicht die Konsequenz — bringt wachsende Pflichten. Wenn die soziale Frage die Herausforderung des 19. Jahrhunderts war, so heißt eine der großen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts Entwicklungspolitik. Wir alle müssen mithelfen, um diese Herausforderung zu meistern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704531500
Das Wort hat Herr Bundesminister Eppler.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0704531600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde sicherlich keine fünf Minuten brauchen, weil ich weiß, daß Sie noch andere Pläne behandeln wollen. Ich hatte mich darauf gefreut, daß hier ein neuer Sprecher der Opposition eine neue Chance haben würde, wirklich etwas Konstruktives zu diesem Thema zu sagen. Diese Chance ist vertan worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. – Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir haben wieder exakt die gleiche sterile Polemik gehört, die wir seit vier Jahren in diesem Hause hören, und sonst nichts.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Gerster [Mainz] : Widerlegen Sie doch mal die Behauptungen!)

Bei dem, was Sie, Herr Kollege Todenhöfer, als neues Konzept angekündigt und heute der staunenden Öffentlichkeit im „General-Anzeiger" vorgeführt haben, ich garantiere Ihnen, da gibt es keinen einzigen Satz, der eine Fachdiskussion mehr als eine halbe Stunde überleben wird.

(Beifall bei der SPD.)

Das werden wir alles im Ausschuß dann durchsprechen. In dieser Rede sind so viele Dinge enthalten, die ein Fachmann zuerst einmal gar nicht versteht, und wenn er sie dann versteht, nicht ernst nimmt.

(Abg. Picard: Das ist eine Platte, die Sie jedes Jahr neuauflegen! — Abg. Gerster [Mainz] : Bringen Sie doch nur ein Beispiel hier in der Öffentlichkeit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Zweiter Punkt: Ich gehe deshalb im Augenblick — wir sind gern bereit, einmal eine Fachdebatte zu führen —

(Abg. Gerster [Mainz] : Hier in der Öffentlichkeit!)

nur auf einen ganz wichtigen Sachvorschlag in dieser Debatte ein, für den ich dem Haushaltsausschuß an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte, nämlich den Vorschlag des Haushaltsausschusses an die Bundesregierung — auch an den Bundesminister der Finanzen —, uns in Zukunft die Möglichkeit für mehrjährige Zusagen zu geben, weil dies, Herr Kollege Esters und Herr Kollege Picard — der Dank gilt also beiden Fraktionen —, uns endlich die Chance gibt, mit dem Instrument der länderbezogenen Hilfsprogramme und mit dem Instrument, das Sie auch
immer vermißt haben und über das wir jetzt auch verfügen, nämlich Zusammenfassung von Kapitalhilfe und technischer Hilfe, nun tatsächlich mit den Entwicklungsländern über langfristige Programme im einzelnen diskutieren zu können. Dies ist jedenfalls für die Entwicklungsländer unendlich viel wichtiger als alles, was in der Todenhöferschen Rede heute gesagt worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Gerster [Mainz]: Das war aber dünn! — Zurufe von der CDU/CSU: Armselig! — Der stärkste Eppler!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704531700
Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zum Einzelplan 23. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer dem Einzelplan 23 in zweiter Lesung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
-- Drucksache 7/739 —
Berichterstatter: Abgeordneter Simpfendörfer
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? --Bitte schön!

Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704531800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter für den Einzelplan 25 -- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau -- habe ich zunächst möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, die nach der Lektüre der Drucksache 7/739 entstehen könnten. Sie könnten nämlich verführt sein zu glauben, der Haushaltsausschuß habe Stellen vermehrt und die Erhöhung einer Reihe von Titeln beschlossen. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Berichterstatter und der Ausschuß haben nämlich während der Beratung die in der Regierungsvorlage unvollständig durchgeführte Umsetzung von Stellen und Ansätzen aus anderen Einzelplänen vollends durchgeführt, wie sie sich aus der Neuorganisation der Bundesregierung ergaben.
Das gilt auch für den Titel 531 01. Das ist der Titel für die Öffentlichkeitsarbeit, von dem die Opposition glaubte, er solle um 70 000 DM gekürzt werden, um die 70 000 DM, die aus dem Einzelplan des Innenministeriums erst wieder herübergekommen waren. Im übrigen ist der Einzelplan 08 betroffen. Die Bauabteilung wurde in das Ministerium hereingenommen, ebenso die Abteilung Raumordnung aus dem Innenministerium.
Lassen Sie mich nun etwas sagen zu den Leistungen des Bundes für das Wohnungswesen im abgelaufenen Haushaltsjahr 1972, damit wir eine Vergleichsgrundlage für den Haushalt 1973 haben. Die IstAusgaben 1972 für den Wohnungsbau betrugen 1,43 Milliarden DM. Zu diesen Aufwendungen kommen weitere Leistungen für das Wohnungswesen



Simpfendörfer
hinzu: der Bundesanteil am Wohngeld mit 600 Millionen DM, der Bundesanteil für die Wohnungsbauprämien mit 1,250 Milliarden DM und die steuerliche Begünstigung von Bausparbeiträgen mit ungefähr 420 Millionen DM. Rechnet man die sonstigen steuerlichen Begünstigungen im Bereich des Wohnungsbaues hinzu — ohne die degressive Abschreibung allerdings —, die 494 Millionen DM ausmachen dürften, so kommt man auf ein Gesamtergebnis von 4,117 Milliarden DM. Ohne die Leistungen der Länder und der Gemeinden schmälern zu wollen, kann man sicher sagen: Der Bund hat sich 1972 die Förderung des Wohnungswesens etwas kosten lassen.
1973 ist das nicht anders, meine Damen und Herren. Es sind 1 054 Millionen DM für den Wohnungsbau vorgesehen. Davon finden Sie allerdings ungefähr 380 Millionen DM nicht im Einzelplan 25, sondern im Einzelplan 14 bei der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr. Insgesamt bedeutet das eine Zuwachsrate von 10 %. Wenn wir davon ausgehen, daß durch die stabilitätspolitischen Maßnahmen, die wir beschlossen haben, ohne ganz damit glücklich zu sein, der Anstieg der Wohnbaukosten auch in diesem Jahr im Rahmen des allgemeinen Anstiegs der Lebenshaltungskosten gehalten werden kann, dann können wir mit der Zuwachsrate von 10 % immerhin ein Mehr an echter Leistung für den Bürger erbringen.
Ich will damit keineswegs verschleiern, daß wir uns mit dem sozialen Wohnungsbau in einer kritischen Phase befinden, und das gewiß nicht nur deshalb, weil auch 1972 das angepeilte Ziel fertigzustellender Sozialwohnungen nicht erreicht werden konnte. Immerhin hat das langfristige Wohnungsbauprogramm wieder deutliche Zuwachsraten gebracht. Auch dazu einige Vergleichszahlen. 1966 bis 1970 wurden im Durchschnitt jährlich 534 000 Wohnungen fertiggestellt, davon 178 000 im sozialen Wohnungsbau. 1970 für sich genommen waren es nur 137 000, 1971 waren es 148 000 und 1972 wieder 165 000 bei insgesamt 659 000 fertiggestellten Wohnungen. Dieser Zuwachs darf allerdings nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Kollege Vogel, der neue Bundesbauminister, hat sich mit ihnen befaßt, und inzwischen arbeiten drei Bund-Länder-Kommissionen und beschäftigen sich mit der Zukunft des sozialen Wohnungsbaus.
Natürlich wird das auch haushaltspolitisch Folgen haben. Auf der Einnahmenseite geht es um den Vorschlag der Länder, eine Zinsanhebung für die öffentlichen Darlehen bis 1962 durchzuführen, sowie um die Einführung einer flexiblen Ausgleichszahlung. Auf der Ausgabenseite steht die stärkere Förderung der Modernisierung von Altbauwohnungen an. Auch die Verstärkung der Eigentumsmaßnahmen im sozialen Wohnungsbau wäre mit mehr Geld leichter zu machen. In die mittelfristige Finanzplanung haben solche Überlegungen allerdings noch keinen Eingang gefunden. Dort sind Kassenmittel von jeweils knapp 1,5 Milliarden DM vorgesehen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige Sätze zu den weiteren Schwerpunkten des Einzelplans. Das Wohngeld ist aus kleinen Anfängen zu einer tragenden Säule der Wohnungspolitik geworden. Alle Vergleiche mit früheren Produktionsrekorden im sozialen Wohnungsbau müssen das berücksichtigen. Der Bundesanteil ist mit 600 Millionen DM veranschlagt. Das entspricht den lst-Ausgaben des Vorjahres. Der Vorjahresansatz von 675 Millionen DM war zu hoch. Es könnte aber durchaus passieren, daß der diesjährige Ansatz zu knapp bemessen ist. Von Januar bis April flossen schon 203,6 Millionen DM ab. Auf das ganze Jahr berechnet ergäbe das 610,8 Millionen DM. Unwägbarkeiten allerdings sind darin enthalten, so daß eine exakte Vorausschätzung nicht möglich ist. Die wünschenswerte Erhöhung der Mietobergrenzen ist allerdings mit diesem Ansatz von 600 Millionen DM nicht zu finanzieren, sicher auch nicht 1974, so daß hier eine Aufstockung des Titels um 25 bis 30 Millionen DM notwendig wäre. Meine Fraktion hat die Absicht, 1974 das zu tun.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ein Blick auf die tatsächlichen Ausgaben für die Bausparprämien zeigt ein rasantes Wachstum: 1971 1 070 Millionen DM, 1972 1 252 Millionen DM, 1973 1 473 Millionen DM, das heißt wir haben in diesem Jahr einen Zuwachs von 17,6 Prozent veranschlagt. Kollege Baier von der Opposition ist allerdings der Auffassung, das sei auch nicht genug. Er schätzt, man würde noch 80 Millionen DM mehr brauchen. Ein Streit darüber lohnt sich nicht, weil Vorausschätzungen hier sehr schwer möglich sind.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt betrifft das Städtebauförderungsgesetz und seine finanziellen Folgen. In diesem Jahr ist der Verpflichtungsrahmen von 150 auf 200 Millionen DM aufgestockt worden. Zweifellos handelt es sich sich hier um eine der bedeutenden Zukunftsaufgaben, die uns noch 10, 20, 30 Jahre beschäftigen wird. In diesem Jahr sollen 344 Sanierungs- und 33 Entwicklungsmaßnahmen gefördert werden, die überwiegend der Strukturverbesserung von Innenstadtgebieten und der Schaffung leistungsfähiger Dorfkerne dienen.
Die wichtige Aufgabe der Wohnberatung wird in Zukunft auf Bundesebene durch die neu gegründete Arbeitsgemeinschaft für Wohnberatung e. V. wahrgenommen, die dafür einen Bundeszuschuß von 100 000 DM erhält.
Zum Thema Forschung möchte ich mir einige kritische Bemerkungen erlauben. Trotz der Erhöhung des Ansatzes für die Bauforschung von 7,5 auf 10 Millionen DM und 2,5 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für 1974, denen der Haushaltsausschuß seinerseits weitere 2,5 Millionen DM für das Jahr 1975 hinzugefügt hat, muß man davon ausgehen, daß diese Mittelansätze der Bedeutung der Aufgabe nicht gerecht werden. Wenn man hinzunimmt, daß für die Forschung im Raumordnungsbereich auch nur 1,6 Millionen DM und 800 000 DM Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen sind, dann zeigt sich ein gewisses Mißverhältnis noch deutlicher. Nach meiner Auffassung muß die Bundesregierung überlegen, ob sie in Zukunft nicht eindeutigere Prioritäten setzen will.



Simpfendörfer
Zu diesem Thema einige Vergleichszahlen. Für Forschung zur Meerwasserentsalzung haben wir 11,57 Millionen DM eingesetzt, für astronomische Forschung in der südlichen Hemisphäre 7,6 Millionen DM. Zur Förderung der Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung in der gewerblichen Wirtschaft wollen wir 14 Millionen DM ausgeben. Die Erforschung der Sonnenwinde und anderer solarer Phänomene lassen wir uns 69 Millionen DM und die Raumflugtechnologie 29,8 Millionen DM kosten.
Ich meine, hier stellt sich einfach die Frage, ob angesichts des wachsenden Problemdrucks in unseren Städten und ihrer zunehmenden Unwirtlichkeit und der immer größer werdenden Dringlichkeit einer wirksameren Regional- und Strukturpolitik bisher schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, die Wissenschaft und Forschung für die Lösung dieser Probleme zu bieten haben.

(Beifall bei der SPD.)

Gerade in diesen Bereichen wird ganz unmittelbar über die Lebensqualität für unsere Kinder entschieden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß die Koalitionsmehrheit im Ausschuß dem Ministerium 13 neue Stellen bewilligt hat, 13 Stellen aus jener inzwischen berüchtigt gewordenen Nachschiebeliste von 822 Stellen. 16 Stellen waren angefordert. Minister Vogel hat nach unserer Auffassung überzeugend dargetan, daß die neu gestellten Aufgaben des Bodenrechts, des Bewertungsrechts und der Stadtentwicklungsforschung anders nicht zu bewältigen seien. Da die Koalition in diesem Bereich einen Hauptschwerpunkt dieser Legislaturperiode sieht und diese Reform will, haben wir nach genauer Prüfung zugestimmt. Die Opposition lehnte ohne Prüfung im einzelnen aus grundsätzlichen Erwägungen ab.
Die Koalition geht davon aus, daß Minister Vogel, nunmehr mit den gewünschten Stellen für die geforderten Spezialisten ausgestattet, bald Ergebnisse vorlegen kann. Ein Referentenentwurf zum Bundesbaugesetz liegt ja schon vor.
Ich bin überzeugt: Ohne eine umfassende Reform des Bau- und Bodenrechts werden wir die Probleme der Stadtentwicklung und auch des sozialen Wohnungsbaus nicht lösen. Minister Vogel und sene Mitarbeiter werden ihre Aufgabe erfüllen; dessen bin ich sicher. Deshalb stimmt die Koalition für den Einzelplan 25.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704531900
Ich danke dem Berichterstatter.
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Einzelberatung und damit zu dem Änderungsantrag Drucksache 7/827. Zur Begründung Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0704532000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU Drucksache 7/827 vor. Es geht darum, in Kap. 25 03 eine Fußnote dahingehend zu ändern, daß die Verpflichtungsermächtigung von 14 Millionen DM auf 17 Millionen DM erhöht wird. Es handelt sich hier um die Förderung von Wohnungsbaumaßnahmen für Facharbeiter und Schlüsselkräfte im Zonenrandgebiet.
Eine Erhöhung der Mittel ist nach Ansicht der Fraktion der CDU CSU dringend nötig. Bereits 1971 stand unter derselben Erläuterung als Verpflichtungsermächtigung ein Betrag von 17 Millionen DM. Jetzt sind nur noch 14 Millionen DM ausgewiesen. Wir wollen zumindest den Zustand von 1971 wiederherstellen. Man muß den Ansatz für die Förderung des Arbeitnehmerwohnungsbaus im Verhältnnis zu den anderen Mitteln im gleichen Etat sehen. Nehmen wir z. B. den Ansatz für Darlehen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Rahmen des langfristigen Wohnungsbauprogramms. 1971 standen hierfür 88 Millionen DM zur Verfügung. Im Vergleich dazu: Als Verpflichtungsermächtigung waren 17 Millionen DM für den Arbeitnehmerwohnungsbau ausgewiesen. Das ist, prozentual gesehen, ein Anteil von 19,1 % Demgegenüber beträgt der Ansatz für Darlehen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in diesem Jahr 117 Millionen DM, während für den Arbeitnehmerwohnungsbau im Zonenrandgebiet nur 14 Millionen DM eingesetzt sind. Der Anteil beträgt in diesem Haushalt also nur noch sage und schreibe 11,9%. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Ansätze und der Entwicklung sowie des Zuwachses des Gesamtansatzes ergibt sich für den Arbeitnehmerwohnungsbau im Zonenrandgebiet eine Benachteiligung von fast 40 %. Belassen wir es bei dem alten Ansatz, so bedeutete das generell eine Verschlechterung der Stellung der Arbeitnehmer im Zonenrandgebiet.
Außerdem ist noch die Teuerung, die Inflation zu berücksichtigen. Die Inflation macht ja im Zonenrandgebiet nicht halt. Im Gegenteil! Legt man bei den Baupreisen eine Teuerungsrate von 15 5, wie sie in den letzten Jahren unstreitig zu verzeichnen war, zugrunde, so ergibt sich, daß der Ansatz von 1971, wollte man auf dem gleichen Stand bleiben, um 45 °/o erhöht werden müßte. Das bedeutet, es wäre — 17 Millionen DM plus 7,65 Millionen DM — ein Ansatz von 24,65 Millionen DM notwendig.
Wie stellen sich die Dinge nun aber dar? Der Ansatz ist, gemessen an den allgemeinen anderen Zuwächsen, gegenüber 1971 zurückgegangen und gegenüber 1972 gleichgeblieben. Selbst wenn man die Argumentation, die Herr Staatssekretär Haack in Berichtigung einer nicht ganz richtigen Aussage auf meine Frage im Plenum des Bundestages in einem Brief mitteilt — dieser Argumentation kann ich allerdings nicht beitreten --, gelten lassen will, daß nämlich der Ansatz von 17 Millionen DM 1971 nur aus Gründen der gleichzeitigen Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung auf 180 Millionen DM zustande gekommen sei, so wäre in Anbetracht der dargestellten Situation dennoch eine Erhöhung notwendig.



Niegel
Selbstverständlich ist die von uns beantragte Erhöhung um 3 Millionen DM nicht ausreichend, um wirksam mithalten zu können. Deswegen haben wir morgen zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes einen Antrag eingebracht, der darauf abzielt, den Ansatz für Darlehen in Kap. 27 02 — Zonenrandförderung — um 10 Millionen DM zu erhöhen. Auch dies ist nur eine Verschiebung innerhalb des Einzelplans.
Nun zu der konkreten Frage, die haushaltspolitisch interessant ist. In den Haushalt braucht keine Mark mehr eingesetzt zu werden. Die Gesamtsumme wird nicht erhöht. Die Erhöhung des erwähnten Ansatzes soll durch eine Verschiebung innerhalb des Einzelplans erreicht werden.
Wem also die Förderung des Zonenrandgebietes ein ernstes Anliegen ist, wer diese Förderung als echte strukturpolitische und auch politische Aufgabe ansieht, wer die Arbeitskräfte im Zonenrandgebiet halten und fördern will — diese Förderung trägt auch zur Verhinderung von Ballungen bei —, wer also eine ausgewogene Entwicklung im Zonenrandgebiet befürwortet, möge unserem Antrag zustimmen.
Ich möchte hier noch erwähnen, daß gerade auch die Arbeitnehmer im Zonenrandgebiet, die sich jetzt ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung schaffen wollen, von der Aussetzung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes besonders betroffen sind. Es ist noch offen, ob es diese 7 b-Abschreibung ab 1. Mai nächsten Jahres in der bisherigen Form wieder geben wird oder nicht.
Die Arbeitnehmer des Zonenrandgebietes werden auf jeden Fall gespannt sein, ob auch die Kollegen der SPD und FDP, die aus dem Zonenrandgebiet stammen, unserem Antrag zustimmen. Ich appelliere auf jeden Fall daran, und wir werden es ganz genau merken und registrieren. Im Interesse der Verhinderung einer passiven Sanierung des Zonenrandgebietes bitte ich um Annahme unseres Antrags.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704532100
Das Wort hat der Abgeordnete Simpfendörfer.

Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704532200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Antrag bitte ich im Namen der Koalition abzulehnen.

(Beifall bei der SPD.)

Aber das geschieht natürlich nicht ohne Begründung. Das Interessante an diesem Antrag ist, daß es sich offensichtlich um einen Schnellschuß handelt. Weder in der Arbeitsgruppe Haushalt der CDU/CSU noch im Fachausschuß wurde die Frage überhaupt behandelt; das kam jetzt geschwind ins Plenum. Ich kritisiere dieses Verfahren, daß über solche Anträge nicht auf dem ordnungsgemäßen Weg über den Haushaltsausschuß oder über den Fachausschuß verhandelt wird.

(Abg. Niegel: Nur formell?)

— Dies ist nur die formelle Kritik, die ich anbringen möchte.
Jetzt zur sachlichen. Es handelt sich hier um Erläuterungen, d. h. es geht hier gar nicht darum, daß wir etwas rechtsverbindlich beschließen können. Herr Minister Vogel hat mir mitgeteilt, er sei bereit, mit den Ländern darüber zu reden, ob sie bereit seien, einer solchen Regelung zuzustimmen; denn es handelt sich hier um eine Sache, die nur gemeinsam mit den Ländern erledigt werden kann. Die Vereinbarungen sind getroffen, sie laufen, und eine Änderung der Verteilung muß mit den Ländern besprochen werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704532300
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704532400
Bitte schön!

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID0704532500
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr Kollege Niegel die Angelegenheit im zuständigen Ausschuß wiederholt zur Sprache gebracht hat, daß ihm aber beide Male eine falsche Auskunft von der Bundesregierung zuteil geworden ist,

(Abg. Dr. Jenninger: Hört! Hört!)

und sind Sie bereit, in Anbetracht dieses Umstandes Ihren Vorwurf, die Sache sei nicht rechtzeitig am gegebenen Ort erörtert worden, zurückzunehmen?

Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704532600
Ich habe hier niemandem einen Vorwurf gemacht; ich habe nur festgestellt, was ist. Ich nehme an, daß diese Feststellung auf Grund von Informationen, die ich erhielt, richtig war.

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704532700
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Henke?

Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704532800
Bitte!

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0704532900
Herr Kollege Simpfendörfer, ist Ihnen bekannt, daß der Fachausschuß sich sehr ausführlich mit diesem Problemkreis beschäftigt hat und daß 26 der 27 Mitglieder dieses Ausschusses mit der Auskunft, die die Bundesregierung gegeben hat, einverstanden waren und die Dinge verstanden haben?

(Beifall bei der SPD.)


Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704533000
Ich danke für die weitere Information und Aufklärung, die mir hier zuwächst.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704533100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?

(Zurufe von der SPD: Nein!)


Hansmartin Simpfendörfer (SPD):
Rede ID: ID0704533200
Wir sollten in dieser Sache, die wirklich nicht von so großer Bedeutung ist, das Haus in seinen Geschäften nicht aufhalten.



Simpfendörfer
Ich bin der Auffassung, daß es noch Dringenderes zu tun hat.

(Beifall bei der SPD.)

Deswegen noch einmal: Minister Vogel ist bereit, mit den Ländern darüber zu reden, und wenn darüber eine Vereinbarung mit den Ländern zustande kommt, dann kann das gemacht werden. Das ist seine Aussage. Im übrigen weise ich noch einmal darauf hin: Selbst wenn wir das hier beschließen sollten, beschließen wir eine Änderung der Erläuterungen, die keinerlei Rechtsverbindlichkeit hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Niegel: Warum schreiben Sie sie dann überhaupt hinein?)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704533300
Wir kommen zur Abstimmung über den Abänderungsantrag auf Drucksache 7/827. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Gesamtabstimmung über den Einzelplan. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; er ist damit angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
— Drucksache 7/741 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Aussprache hat Herr Bundesminister Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0704533400
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor, mich bei Gelegenheit der Haushaltsdebatte etwas grundsätzlicher über Forschungspolitik zu äußern. Alle drei Fraktionen haben mich gebeten, mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit jetzt darauf zu verzichten. Ich tue das auch gerne, weil wir doch nicht genügend Aufmerksamkeit dafür hätten. Ich bitte aber um Verständnis dafür, daß ich Ihnen meine Überlegungen auf anderem Wege morgen zur Verfügung stellen werde.

(Beifall.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704533500
Zur allgemeinen Aussprache liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Nunmehr kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/828. Das Wort hat der Abgeordnete Schröder.

Dr. Horst Schröder (CDU):
Rede ID: ID0704533600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Nicht nur angesichts der vorgeschrittenen Zeit hätten wir es ungewöhnlich gefunden, wenn Sie als erster das Wort ergriffen hätten. Das entspräche nämlich nicht den Usancen parlamentarischer Haushaltsberatungen.

(Zurufe von der SPD: Na, na!)

Aber wir sind es ja gewöhnt, daß Sie zu Stilfragen dieses Hauses ein etwas individuelles Verhältnis haben.
Lassen Sie mich vier Punkte zur Begründung des Antrages vorbringen.
Zunächst einmal eine allgemeine Bemerkung. Der Sektor Meeresforschung und Meerestechnik scheint das Stiefkind der Forschungspolitik der Bundesregierung geworden zu sein. Ich meine, gerade der Sektor Meeresforschung und Meerestechnik ist wiederum ein besonders markantes Beispiel dafür, wie weit Programme und Versprechungen auf der einen Seite und Einhaltung auf der anderen Seite auseinanderklaffen. Sah noch das Meeresforschungs- und Meerestechnikprogramm der Bundesregierung, im September 1972, wenige Wochen vor der Wahl vorgetragen, 324 Millionen DM vor, so enthielt die mittelfristige Finanzplanung, die uns nach der Wahl vorgelegt wurde, nur noch ein Haushaltsvolumen von 239 Millionen DM, und sah das Programm einen Haushaltsansatz von 72 Millionen DM vor, so findet sich im vorgelegten Haushaltsplan nur noch ein Ansatz von 37 Millionen DM. Also ein besonders markantes — ich meine, ein extremes — Beispiel für das Auseinanderklaffen von Programm und Programmrealisierung.
Die Erhöhung des Ansatzes für die Meeresforschung, die meine Fraktion beantragt, soll vorrangig zur Förderung der Rohstoffgewinnung aus dem Meer dienen. Die Lagerstätten von Roh- und Energiestoffen aus dem Meeresgrund gewinnen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche Staaten haben durch umfangreiche Meeresforschungsprogramme die Bedeutung der Meeresforschung und insbesondere auch der Meerestechnik herausgestellt. Wir selber, die Bundesrepublik Deutschland, fördern die Manganknollenforschung beispielsweise in der Südsee. Ich finde es grotesk, wenn demgegenüber auf der anderen Seite beispielsweise unsere eigenen Erdöl- und Erdgasvorkommen in der deutschen Nordsee meerestechnisch nicht unterstützt werden.
In Anbetracht der Energie- und Rohstoffabhängigkeit der Bundesrepublik muß die Rohstoffgewinnung aus dem Meer in Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft gefördert werden. Die Entwicklung neuartiger Techniken der Rohstoffgewinnung aus dem Meer ist zur Zeit noch nicht in dem notwendigen Umfang durch Privatinitiative gewährleistet, weil die Risiken unabsehbar sind. Aus diesem Grunde halten wir eine stärkere staatliche Unterstützung für gerechtfertigt.
Lassen Sie mich zum Schluß auf die haushaltstechnische Begründung eingehen, Ihnen 8 Millionen DM zu Lasten des Tit. 683 20 als Ausgleich vorzuschlagen. Wir können diese Ansatzreduzierung bei der neuen Technologie rechtfertigen, weil wir — das haben die Berichterstatterberatungen und auch die



Schröder (Lüneburg)

Haushaltsausschußberatungen sehr deutlich gezeigt - es hier mit einer Fülle bisher noch unausgegorener Pläne und unausgefüllter Haushaltsansätze zu tun haben. Daher dürfte die neue Technologie bei einer Ansatzreduzierung von 8 Millionen DM keinerlei Schaden nehmen.
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen bitten wir Sie im Interesse einer annäherungsweisen Verwirklichung des von der Bundesregierung selbst vorgelegten Programmes „Meeresforschung und Meerestechnik" und im Sinne einer ausgewogenen Forschungsprogrammatik, die alle vier Programme gleichermaßen umfaßt, um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704533700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0704533800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nehme an und hoffe sehr, daß der Herr Kollege Schröder im Laufe dieser Legislaturperiode in Stilfragen noch einiges hinzulernen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.—Abg. Wehner: Die Hoffnung trügt!)

— Ich gebe zu, die Hoffnung mag trügen; aber bisher bleibt sie noch bei mir.
Die Koalitionsfraktionen werden den Antrag auf Erhöhung der Ausgaben für Meeresforschung um 8 Millionen DM ablehnen. Ich könnte Ihnen, Herr Schröder, zahlreiche Positionen im Haushalt für Forschung und Technologie nennen, bei denen wir ebenfalls 3 oder 4 oder 8 oder 12 Millionen DM zusätzlich sinnvoll ausgeben könnten. Dies erscheint hier nicht sinnvoll. Das Ist-Ergebnis für 1972 lag bei 20,8 Millionen DM. Der Ansatz, der jetzt ausgebracht ist, macht etwa 37,0 Millionen DM aus. Dies stellt eine angemessene Erhöhung der Ausgaben für die Meeresforschung dar. Außerdem habe ich mich heute nachmittag über den Mittelabschluß bei der Meeresforschung erkundigt; er ist bis Mitte dieses Jahres — so weit sind wir schon fortgeschritten — durchaus mäßig zu nennen.
Den Deckungsvorschlag bei dem Ansatz für neue Technologien halten wir für nicht seriös; die Mittel in diesem Bereich sind weitgehend gedeckt. Sie finden dort, wenn Sie genau hinschauen, keine Lücke, wo Sie die 8 Millionen hineinpacken könnten. Deshalb sind wir der Meinung, daß der Antrag abgelehnt werden muß.

(1 wir ablehnen. Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 7/828. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen damit zur Gesamtabstimmung über den Einzelplan 30. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erstere war die Mehrheit; Einzelplan 30 ist angenommen. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksachen 7/742, 7/791 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? —Das ist nicht der Fall. — Wird das Wort zur Gesamtaussprache gewünscht? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Althammer. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf für meine Fraktion erklären, daß wir vorhatten, bei diesem Etat auch eine Aussprache zu führen; unser Kollege Waigel, der sich sehr gut vorbereitet hatte, sollte hier seine Jungfernrede halten. Aber auch wir sind in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit bereit, das bei anderer, günstigerer Gelegenheit in anderem Rahmen nachzuholen. Vielen Dank, Herr Kollege Althammer, im Interesse des Geschäftsablaufs. Das Wort wird weiter nicht mehr gewünscht; wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 31. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 31 ist angenommen. Ich rufe nun auf: Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 7/743 — Berichterstatter: Abgeordneter Blank Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/829 vor. Wird er begründet? — Herr Kollege Althammer! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist offenbar im Plenum wie im Haushaltsausschuß so, daß, wenn die Milliardenbeträge zur Diskussion stehen, die Zeit für eine ausführliche Debatte fehlt. So ist es auch in diesem Bereich. Ich möchte mich also jetzt auf eine ganz knappe Begründung unseres Antrages beschränken. Der Antrag zu Einzelplan 32 in seinen beiden Ziffern steht im Zusammenhang mit unseren Anträgen zu Einzelplan 60. Das ist das, was wir vielleicht morgen bei der dritten Lesung noch näher erläutern können, nämlich die Alternativen der Opposition in den Fragen der Haushaltspolitik, insbesondere in den Fragen der Einsparungen. Wie Sie aus dem Änderungsantrag ersehen, wäre unser Vorschlag hier eine Herabsetzung der Nettokreditaufnahme des Bundes von dem Betrag, der jetzt bei etwa 1,9 Milliarden DM liegt, auf Null. Das hängt damit zusammen, daß unser Antrag zu Einzelplan 60 dahin geht, sowohl die Einnahmeseite um 1,2 Milliarden DM wie die Ausgabenseite um 2,4 Milliarden DM zu erhöhen. Ich muß also dazu sagen, daß unsere Anträge zu den anderen Punkten und dieser Antrag, die Nettokreditaufnahme auf Null zu senken, voneinander abhängen. Der zweite Punkt betrifft den Bereich Hochschulbau. Hier steht die sogenannte Bildungsanleihe zur Diskussion. Im Haushaltsausschuß ist auf Befragen erklärt worden, daß man nicht beabsichtige, im Haushaltsjahr 1973 die erste Tranche der Bildungsanleihe, die aufgenommen ist und stilliegt, fortzusetzen, so daß es eigentlich im Sinne der Haushaltswahrheit und -klarheit berechtigt ist, diesen Ansatz zu streichen. Unser Antrag ist also die Konsequenz aus der Absicht, eine Bildungsanleihe nicht aufzunehmen. Der letzte Punkt, um den es geht, ist das Problem der Verzinsung der aufgenommenen Schulden, der Schuldendienst. Hier schlägt die Opposition vor, 260 Millionen DM abzusetzen. Im Haushaltsjahr 1972 war eine Minderausgabe von 280 Millionen DM veranschlagt; tatsächlich waren dann im Vollzug des Haushalts bei den Schuldzinsen 578 Millionen DM eingespart worden. Wenn Sie dem Antrag der Opposition in diesem Jahr folgten, wäre der Ansatz bei dieser Position immer noch um 10 % höher als im Vorjahr. Wir sind deshalb der Meinung, daß das ein realistischer Kürzungsvorschlag ist. Wir bitten, die Ziffern I und II unseres Antrags, Ziffer I mit den Ziffern 1 und 2, anzunehmen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Blank. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Koalitionsfraktionen beantrage ich, diesen Antrag abzulehnen, und zwar aus folgenden Gründen. Zunächst einmal scheint die Minderung der Nettokreditaufnahme auf Null auf einer etwas überoptimistischen Steuereinnahmeschätzung zu beruhen. Sie wissen, daß der Steuerschätzungsausschuß bereits eine Minderung empfohlen hat, und wir sind der Auffassung, daß über diese Minderung hinaus eine weitere Minderung nicht möglich sein dürfte; 2,4 Milliarden DM sind bereits gestrichen worden. Eine weitere Streichung dürfte wahrscheinlich nicht möglich sein. Die beantragten globalen Minderausgaben bei den Personalausgaben — Kap. 60 02 — erscheinen ebenfalls nicht möglich. Bei dieser Position wäre vielleicht eine Aufklärung erforderlich, über die gestern angelegentlich der Rede des Herrn Abgeordneten Glombig gesprochen worden ist. Hier waren insofern Widersprüche aufgetreten, als einmal die Mindereinnahme, die bei Einzelplan 60 zu veranschlagen wäre, als Deckung angeboten wurde. -Dann ist jetzt dieser Antrag in der gleichen Angelegenheit nachgeschoben worden. Er betrifft, wenn ich das recht sehe, den gleichen Antrag. Insofern war die Sache meines Erachtens nicht so ganz seriös. Schließlich kommen noch die Hilfsanträge zu Tit. 972 02 Weiterhin beantragt die Opposition, Tit. 325 14 —er betrifft die Kreditaufnahme für besondere Zwecke im Zusammenhang mit der Steigerung der Investitionen im Hochschulbereich sowie zur verstärkten Förderung der Forschung — zu streichen. Nach Ansicht meiner Freunde — entsprechend wurde auch im Haushaltsausschuß mit Mehrheit entschieden — kann man diesem Antrag nicht folgen. Er würde nach unserer Auffassung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit beinhalten. Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, ist die Bundesregierung nach § 2 Abs. 3 des Haushaltsgesetzes 1972 nach wie vor ermächtigt, ,die restierenden 740 Millionen DM für Bildungsanleihen aufzunehmen. Dieser Rechtslage widerstreitet die von Ihnen beantragte Kürzung und die Streichung des Leertitels. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Bundesregierung nach der derzeitigen Erkenntnis überhaupt daran denkt, diese Ermächtigung in Anspruch zu nehmen. Entscheidend ist, daß sie das Recht dazu hat. Wenn dieses Recht in Anspruch genommen würde, müßte sonst ein entsprechender Einnahmenund Ausgabentitel geschaffen werden. Schließlich beantragt die Opposition eine globale Minderausgabe von 260 Millionen DM bei den AnBlank sätzen für den Schuldendienst. Über diesen Antrag ist im Haushaltsausschuß bereits eingehend gesprochen worden. Es hat auch ein Papier seitens der Regierung vorgelegen, das die Errechnung dieser Zinsmittel darstellt. Ich glaube aber, es würde jetzt zu weit führen, das im einzelnen darzutun. Jedenfalls war die Mehrheit des Haushaltsausschusses der Meinung, daß diese zur Verfügung stehenden 260 Millionen DM durchaus benötigt werden, um die durch Neuverschuldung und bereits bestehende Verschuldung erforderlichen Schuldendienstleistungen erbringen zu können. Nach alledem bitte ich, den Antrag Drucksache 7/829 abzulehnen. Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir stimmen ab über den Antrag auf Drucksache 7/829. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen in zweiter Lesung nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 32. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Er ist angenommen. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 7/747 — Berichterstatter: Abgeordneter Haehser Abgeordneter Dr. Dübber Abgeordneter Hoppe Abgeordneter Löffler Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. — Auch in der allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht gewünscht. Es liegen Änderungsanträge auf den Drucksachen 7/830 und 7/831 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Althammer! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Änderungsantrag auf Drucksache 7/830 hat in seinen einzelnen Ziffern zum Inhalt, die Gelder, die auch nach Auffassung der Regierung stillgelegt werden sollen, so zu binden, daß sie wirklich nur im Fall der Anwendung des Stabilitätsgesetzes und in dem Fall, der nach der Vereinbarung mit dem Bundesrat abgesprochen wurde, wieder aktiviert werden können. Uns ist bekannt, daß auch innerhalb der SPD sehr ernsthaft Überlegungen angestellt worden sind, ob es nicht doch vertretbar oder zweckmäßig sei, hier dem zu folgen, was im Vermittlungsausschuß mit dem Bundesrat vereinbart worden ist. Uns ist nicht verständlich und erkenntlich, warum man hier nicht das vollzieht, was dort beschlossen worden ist. Wenn das hier verweigert wird — genauso wie es im Haushaltsausschuß verweigert worden ist —, dann drängt sich natürlich der Verdacht auf, daß man diese Gelder eben doch nicht in jedem Falle so lange stillegen will, wie die Konjunkturlage eine Stillegung gebietet, sondern daß man hier unter Umständen im Sinne hat, diese Gelder im geeigneten Fall für unerwartete oder andere Ausgaben einzusetzen. Genau das wollen wir nicht. Wir sind also der Auffassung, daß dann, wenn hier Konsequenz und Klarheit in der Frage der Stabilitätspolitik hergestellt werden soll, auch im Haushalt zum Ausdruck kommen müßte, was in der Öffentlichkeit von der Regierung erklärt und verkündet worden ist und was auch in der Absprache mit dem Bundesrat in den entsprechenden Gesetzen vereinbart ist. Deshalb bitten wir sehr herzlich, daß diese Anträge auf Drucksache 7/830 angenommen werden. Die Drucksache 7/831 bringt nun den zweiten und sehr viel wesentlicheren Teil unserer Vorschläge auf der Einnahmeund auf der Ausgabenseite. Ich möchte also alle diejenigen Kollegen der Koalition, die immer so heftig rügen, daß die Opposition keine Alternativvorschläge habe, doch herzlich bitten, sich diese einzelnen Positionen anzusehen und hier festzustellen, daß wir in der Tat — und zwar dem Volumen nach sehr erhebliche — Alternativvorschläge haben. — Ja, das sagen Sie natürlich immer, daß das die falschen seien. Die erste Position betrifft eine Erhöhung der Steuermehreinnahmen. Ich gebe zu, es ist ein etwas ungewöhnlicher Vorschlag, wenn wir sagen, man solle über die Steuerschätzung, die nun vorliegt und die ihrerseits eine sehr wesentliche Steuererhöhung gebracht hat, in Höhe von 1,2 Milliarden DM hinausgehen. Wir berufen uns dabei allerdings auf die Daten, die das Sondergutachten der Sachverständigen hier zugrunde gelegt hat. Ich glaube, ich darf hinzufügen, daß eigentlich alle Sachkenner heute davon aus gehen, daß die Steuerschätzungen der Kommission vom letzten Schätzungstermin bereits wieder — man muß sagen: leider — durch die inflatorische Entwicklung überholt sind. Es wäre also auch im Sinne einer Stabilitätspolitik sicherlich richtig, eine stärkere Festlegung von mehr Steuern durchzuführen und nicht zu sagen: Wir warten einmal ab, was an Mehrsteuern hereinkommt, und behalten uns vor, dann unter Umständen diese Steuermehreinnahmen für sonstige Ausgaben zu verwenden. Wenn man dem Antrag folgte, so würde das bedeuten, daß mögliche, unerwartete Mehrausgaben eben aus dem Etat abzudecken wären und nicht durch Steuermehreinnahmen abgedeckt werden könnten. — Das hat in der Tat etwas damit zu tun. — Das ist der Teil, der die Einnahmen betrifft. Dr. Althammer Der zweite Teil betrifft die Ausgaben. Hier ist die erste Position diejenige — das hat, glaube ich, mein Kollege von der SPD vorhin etwas verwechselt —, die gestern bei der Kriegsopferversorgung zur Debatte stand: eine globale Minderausgabe bei den Personalausgaben in Höhe von 450 Millionen DM. Sie haben inzwischen unseren Antrag zur dritten Lesung des Haushalts 1973 betreffend die Kriegsopferversorgung vorliegen. Hier weisen wir erneut darauf hin, daß wir aus diesem Bereich 390 Millionen bereitstellen würden, wenn die Vorziehung der Kriegsopferversorgung zum 1. Juli 1973 erfolgen könnte. Ich habe hier die Einzelunterlagen darüber, wie sich diese hier mögliche Kürzung in Höhe von 450 Millionen DM begründen und rechtfertigen läßt. Ich will Ihnen dies angesichts der fortgeschrittenen Zeit heute abend nicht mehr im Detail vortragen. Ich darf nur noch in Erinnerung rufen, daß wir im letzten Jahr die gleiche Diskussion geführt haben. In der damaligen Diskussion sagte mein Kollege Albert Leicht ebenfalls, daß hier eine Reserve von 300 Millionen DM enthalten sei. Die Koalition hat das heftig bestritten und zum Jahresende festgestellt, daß hier in der Tat eine derartige Einsparung vorhanden war. Ich glaube also, daß dieser Vorschlag ausgesprochen realistisch ist. Die zweite Position, die hier Minderausgaben beinhaltet, ist ein Gesamtbetrag von 1,73 Milliarden DM. Er setzt sich aus drei Positionen zusammen. Zwei dieser Positionen sind von der Regierung ausdrücklich als Einsparungen anvisiert worden und haben heute vormittag bei der Debatte bereits eine Rolle gespielt. Es handelt sich um die verbindliche Erklärung der Bundesregierung, sowohl bei den allgemeinen disponiblen Ausgaben 700 Millionen DM, das sind 5 %, einzusparen und darüber hinaus durch eine Streckung der Gemeinschaftsaufgaben noch einmal 330 Millionen DM einzusparen. Wir von der Opposition möchten hier nur die Konsequenz aus der Regierungserklärung ziehen und sagen: Wenn die Regierung diese Einsparungen schon in der Öffentlichkeit als feststehend verkündet hat, wäre es nur folgerichtig, sie auch zu etatisieren. Wenn das nicht geschieht, kann man wohl in der Öffentlichkeit daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Es bleibt dann noch ein Rest von 700 Millionen DM. Bei diesen 700 Millionen DM schlägt die Opposition in der Tat einen weiteren Schritt vor, nämlich nicht nur 5 % der disponiblen Ausgaben im Verlaufe des Haushaltsjahres einzusparen, sondern 10%. Das wären dann statt 700 Millionen DM 1,4 Milliarden DM. — Das ist die Zusammensetzung dieses Betrages insgesamt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, als wir diesen Änderungsantrag entwarfen, gingen wir davon aus, daß vielleicht im Plenum des Bundestages noch eine Möglichkeit bestände, differenziert darüber abzustimmen und so, wie das im Haushaltsausschuß geschehen ist, zu sagen: Wir wollen zuerst eine Abstimmung über die Gesamtsumme von 1,73 Milliarden DM. Wenn das abgelehnt worden wäre, wollten wir wenigstens eine Abstimmung darüber erreichen, ob die Regierung nicht wenigstens den Teilbetrag, den sie selber fest zur Einsparung vorgesehen hat, in den Haushalt einsetzen will. Nachdem wir schon im Haushaltsausschuß darüber belehrt worden sind, daß die Koalition nicht bereit ist, diesen Schritt zu gehen, möchte ich jetzt in Änderung dieses Antrages, Frau Präsidentin, vorschlagen, daß wir über den Antrag auf Drucksache 7/831 insgesamt abstimmen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haehser. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und meine Herren! Zum Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/830 möchte ich folgendes feststellen. Zunächst bitte ich darum, daß der Antrag abgelehnt wird. Es bestehen in der Tat unterschiedliche Stillegungsvorschriften bei der Zuführung von Rücklagen im Rahmen des Stabilitätspakets. Ich darf sie hier kurz darstellen. Die Investitionsteuer wird einer Konjunkturausgleichsrücklage nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes zugeführt, d. h. Entnahme nur für zusätzliche Ausgaben bei Abschwächung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates. Ich darf an die kurze Debatte von heute vormittag erinnern, an das Hilfsangebot der CDU/CSU, ausgebracht durch den Kollegen Jenninger. Wir hatten dieses Hilfsangebot akzeptiert. Hier ist auch noch die Sicherung durch den Bundesrat gegeben. Es kann nichts passieren. Deswegen bitten wir, davon Kenntnis zu nehmen, wie wir es zu machen gedenken. Der Stabilitätszuschlag wird einer Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt, die durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates entnommen werden kann, und zwar nur zur Förderung der Ziele des § 1 des Stabilitätsgesetzes, wobei keines dieser gleichzeitig zu erreichenden Ziele, nämlich Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum, durch die Freigabe beeinträchtigt werden darf. Bei den Steuermehreinnahmen schließlich ist Überweisung auf ein Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank vorgesehen, wobei über die Entnahme — das ergibt sich daraus, daß spezielle Vorschriften nicht bestehen — erst in einem späteren Haushalt zu entscheiden ist. Bei der Stabilitätsanleihe ist Stillegung auf einem Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank vorgesehen. Hier sind Stillegungsvorschriften entbehrlich, weil diese Mittel nach acht Jahren an die Gläubiger zurückgezahlt werden. Es ist keine Zwischenverwendung in Aussicht genommen. Diese Abstufung ist wohlüberlegt. Wir bitten, es dabei zu belassen und demzufolge den Antrag abzulehnen. Ich möchte dann noch etwas zu dem Antrag auf Drucksache 7/831 sagen und das bestätigen, was der Kollege Dr. Althammer gesagt hat. Hier haben wir Haehser es mit der Absicht der CDU/CSU zu tun, 1,2 Milliarden DM von ihr erwarteter zusätzlicher Steuermehreinnahmen stillzulegen. Ich habe dazu heute morgen einen Beitrag geliefert und darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine relativ neue Steuerschätzung durch ein von der Bundesregierung unabhängiges Gremium handelt. Ich habe gesagt, Steuermehreinnahmen über diese neue Steuerschätzung, die im Haushalt berücksichtigt ist, hinaus in einer Größenordnung von 1,2 Milliarden DM anzunehmen, sei wie aus dem Hut gezaubert. Wir sehen uns, was dies angeht, nicht in der Lage, Ihrem Vorschlag zu folgen. Unter Ziffer II geht es um die Veranschlagung einer globalen Minderausgabe im Zusammenhang mit den Personalverstärkungsmitteln. Damit hier nichts unklar bleibt: ich habe im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages als Berichterstatter für den Einzelplan 60 ein Schreiben über die in diesem Einzelplan ausgebrachten Personalverstärkungsmittel in Höhe von rund 1,8 Milliarden DM verteilen lassen. Diese werden wie folgt verwandt: 1. 1029,5 Millionen DM nach dem Zweiten Besoldungserhöhungsgesetz, 2. 537,1 Millionen DM auf Grund der Erhöhung der Angestelltenvergütungen und Arbeiterlöhne, 3. für Unterhaltszuschüsse, und zwar a)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704533900
Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704534000

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704534100



Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704534200
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704534300
Bertram Blank (SPD):
Rede ID: ID0704534400

(Abg. Dr. Althammer: Nicht diese Position!)


(Zustimmung bei der SPD.)





(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704534500
Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704534600

(Zuruf von der FDP: Die falschen!)


(Zuruf von der FDP.)





(Beifall bei der CDU/CSU.)

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704534700
Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704534800



Unter „Sonstige Maßnahmen" finden Sie dann noch folgendes: 1. die Kosten, die mit der Änderung des Personalvertretungsgesetzes in Zusammenhang stehen, in Höhe von 12 Millionen DM, 2. die Änderung des Umzugskostengesetzes — 12 Millionen DM --, 3. Änderung des Reisekostengesetzes - 21
Millionen DM Als „Sonstige Mehrausgaben" bleiben dann l00 Millionen DM übrig. Darüber könnte man allenfalls disponieren. Aber bei einem Ansatz der Personalverstärkungsmittel in Höhe von 1,8 Milliarden DM scheint uns diese zusätzliche Verstärkung unter „Sonstige Maßnahmen" in Höhe von 100 Millionen DM angebracht zu sein.
Zu II. 2. b): Hier haben wir es mit der geforderten globalen Minderausgabe zu tun, die Sie alternativ zunächst in den genannten Größenordnungen zur Disposition gestellt hatten. Ich kann hierzu nur' sagen: die Koalitionsparteien haben sich gerade im Hinblick auf die 700 Millionen DM, die als letzte der möglichen Alternativen genannt worden sind, die Arbeit nicht leicht gemacht und darüber gestern mittag noch einmal Überlegungen angestellt. Wir sind aber zu der Auffassung gelangt, daß wir es bei den im Haushaltsausschuß gefaßten Beschlüssen belassen sollten.
Ich wäre deshalb -- so leid es mir tut, das zu sagen – dankbar, wenn die beiden Anträge abgelehnt würden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704534900
Wird das Wort zur Aussprache noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich zunächst abstimmen über den Abänderungsantrag auf Drucksache 7/830. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt ab über den Abänderungsantrag 7/831, zunächst in der Fassung II. 2. a).

(Abg. Dr. Althammer: Ich hatte mündlich erklärt, daß wir gemeinsam abstimmen können!)

— Also über alle Alternativen wird gleich mitabgestimmt. Gut.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Mehrheit ist sowieso brutal!)

Wir stimmen also über alle Alternativen gleichzeitig ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Ich stelle die Ablehnung fest.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den gesamten Einzelplan 60. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun das Haushaltsgesetz als solches auf. Hierzu liegen zwei Abänderungsanträge vor. Möchte der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Gesamtaussprache gewünscht? -- Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Ich rufe dann die Abänderungsanträge Drucksache 7/832 und 7/833 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? --- Herr Abgeordneter Althammer!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704535000
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der erste Abänderungsantrag 7/832 beschäftigt sich mit der Frage der Stellenbewilligungen. Das ist ein Thema, das auch schon heute vormittag eine Rolle gespielt hat. Die Opposition möchte durch ihren Abänderungsantrag erreichen, daß während des Haushaltsjahres die Stellenneubewilligung auf ein absolutes Minimum beschränkt wird. Ich darf — nur um des Kontrastes willen, uni Ihnen zu zeigen, wie die Dinge bisher gelaufen sind --- zwei Fakten gegenüberstellen. Zum einen ein wörtliches Zitat aus der 15-Punkte-Programm-Erklärung von Minister Schmidt vom 27. Oktober 1972. Dort heißt es — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin
Um der in den letzten Jahren auch bei der Bundesverwaltung eingetretenen Personalvermehrung für die Zukunft entgegenzuwirken, sollen die im Entwurf des Haushaltsgesetzes 1972 entsprechend dem Stand nach Abschluß der Beratungen des Haushaltsausschusses im September l972 vorgesehenen Planstellen im Bundeshaushalt 1973 in keinem Einzelplan vermehrt werden und darüber hinaus im Jahre 1973 uni insgesamt 2000 Stellen verringert werden.

(Hört! Hört! bei der CDU CSU.)




Dr. Althammer
Was ist Tatsache gewesen? Die Regierung hat in insgesamt acht Vorlagen 1193 neue Stellen beantragt. Sie hat sie — das muß ich zur Ehre der Koalition sagen — nicht alle bekommen. Man hat einen wesentlichen Teil reduziert. Aber immerhin, es bleibt trotzdem noch ein sehr erkleckliches Maß an neuen Stellen übrig.
Der Nebeneffekt dieses Verfahrens, in den Haushaltsplan der Regierung keine neuen Stellen einzusetzen, in der Öffentlichkeit zu erklären, man mache einen Personalüberrollungsetat, spare darüber hinaus noch 2000 Stellen ein, um dann im Haushaltsausschuß nach § 15 des Haushaltsgesetzes bisher — nach dem neuen Haushaltsgesetz § 16 — Stellen nachzuschieben, ist der, daß unter Umständen in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, die Regierung habe ja keine neuen Stellen gewollt, aber das Parlament habe in seiner Großzügigkeit Hunderte von neuen Stellen bewilligt. Deshalb waren wir uns im Haushaltsausschuß bei allen Fraktionen einig, daß dieses Verfahren nicht die Regel werden, sondern daß die Regierung die Stellen, die sie haben will, gefälligst auch im Haushaltsplan beanspruchen sollte. Man hat auch sehr darüber diskutiert, ob hier ein Weg zur Einschränkung der Ermächtigung nach § 16 führt. Die Koalitionsfraktionen haben sich nach einer längeren Debatte nicht in der Lage gesehen, eine solche Einschränkung vorzunehmen. Wir möchten trotzdem aus den angeführten Gründen darum bitten, daß die Ermächtigung, während des Haushaltsjahres neue Stellen zu bewilligen, entsprechend dem Umdruck 7/832 begrenzt wird.
Ich darf nun den zweiten Änderungsantrag begründen, Antrag Drucksache 7/833. Dieser betrifft das berühmte und bekannte Problem der sogenannten Schattenhaushalte. Ich darf daran erinnern, daß wir uns darüber sowohl im vorigen Jahr wie auch dieses Jahr in der ersten Lesung und dazwischen auch noch in einer sehr hitzigen Kurzdebatte unterhalten haben. Die Koalitionsfraktionen haben uns immer in Aussicht gestellt, daß beim nächsten Etat dieses Problem behandelt und so, wie wir hofften, auch gelöst werden könnte. Wir haben also in weihnachtlicher Erwartung, wenn es jetzt auch in die Sommerzeit gefallen ist, darauf gehofft, daß hier etwas passiert. Und siehe da, es ist auch etwas geschehen: Von einem Gesamtvolumen von rund 2 Milliarden DM hat man einen Schattenhaushalt aufgelöst, nämlich die Olympiamünze mit einer Summe von 3,7 Millionen DM.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704535100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haehser?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704535200
Ja, weil es so schön ist, gerne, Herr Haehser.

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0704535300
Herr Kollege Dr. Althammer, haben Sie übersehen, daß wir einen zweiten sogenannten Schattenhaushalt aufgelöst haben, den Schattenhaushalt über den Jugendmarkenerlös?

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0704535400
Vielleicht würden Sie die Summe auch noch nennen, Herr Kollege?

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Sperling: Können Sie sie nennen? 5,2 Millionen DM!)

— 5,2 Millionen DM! Sensation!
Ich komme jetzt zu den großen Positionen, die in unserem Antrag in den Ziffern 1, 2 und 3 stekken.
Da sind einmal die sogenannten Öffa-Kredite in Höhe von 600 Millionen DM, eine Sache, die seit sehr vielen Jahren und auch schon in der Zeit der CDU/CSU-Regierung geübt wurde. Die zweite Position betrifft die Krankenhausfinanzierung, die auch schon in diesem Hause in der Debatte eine Rolle gespielt hat, Summe: 1 Milliarde DM. Das ist die Position, bei der der Vertreter der Bundesregierung in sehr ernst zu nehmenden Ausführungen gesagt hat, auch die Bundesregierung sehe hier die Gefahr, daß ein Weiterwälzen dieser Form der Finanzierung nicht möglich ist, weil die Finanzierung dann umkippt, wenn man das einfach dem freien Kapitalmarkt überläßt und nur die Zinsen und Tilgungen bewilligen will. Ich habe den Eindruck, daß auch die Koalitionsfraktionen die Problematik der gegenwärtigen Finanzierung ganz klar sehen, und wir haben die Hoffnung, daß sie vielleicht im Haushalt 1974 dieser Sache nähertreten werden.
Die dritte Position betrifft das Problem der Saarbergwerke: Schuldbuchforderungen über 300 Millionen DM. Ich möchte dazu noch eines sagen, weil das heute vormittag gefragt worden ist, und man seitens der Koalition gemeint hat, die Opposition habe hier keine Äußerung abgegeben. Ich möchte für die CDU/CSU hier erklären: Wenn wir diese Schattenhaushalte auflösen, dann können Sie davon ausgehen, daß wir selbstverständlich diese Summen nicht als eine neue Etaterhöhung mit entsprechender Prozentansatzbewertung einsetzen werden. Das ist, glaube ich, ein Gebot der Fairneß, und nur auf dieser Basis läßt sich hier etwas tun, weil ein großer Teil dieses Schattenhaushalts auch bereits jetzt sozusagen verdeckt mitgeführt wird. Aber wenn ich diese Erklärung abgebe, dann verbinde ich damit die ernste Hoffnung, daß, wenn dieser Antrag heute nicht angenommen wird — wovon nach den Haushaltsberatungen auszugehen ist —, wir dann — das geht jetzt an die Bundesregierung — bereits beim Regierungsentwurf 1974 versuchen sollten, dieses Problem sehr ernsthaft anzupacken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704535500
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0704535600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen bitte



Hoppe
ich Sie, die Änderungsanträge zum Haushaltsgesetz abzulehnen.
Was den Antrag Drucksache 7/832 betrifft, so kann man sagen, daß einschränkende gesetzliche Tatbestände nach dem ersten Anschein etwas für sich haben; aber was hier geschieht — auch mit dem dramatischen Hinweis auf die Ausuferung unserer Stellenpläne —, das ist das Angebot eines Korsetts für dieses Parlament selbst. Denn nach § 16 des Haushaltsgesetzes kann die Bundesregierung zusätzliche Stellen außerhalb eines Haushaltsplans nur mit Zustimmung des Haushaltsauschusses dieses Parlaments schaffen. Meine Damen und Herren, nur wenn wir selbst schwach werden, kann die Bundesregierung jene Sünden begehen, über die Sie klagen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Da wir miteinander darüber einig sind, die begonnenen guten und einschränkenden harten Praktiken dieser Haushaltsberatung künftig fortzusetzen und zu verbessern,

(Beifall bei den Regierungsparteien. —Abg. Jenninger: Das wollen wir mal sehen!)

kann dieses Parlament auf die uns hier vorgeschlagene Änderung verzichten. Wir sollten in der Praxis härter sein; dann brauchten wir uns diese bekümmernden Reden hier anschließend gar nicht mehr zu leisten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Was den zweiten Antrag, den zu den Schattenhaushalten, betrifft, so möchte ich die Debatte, die wir dazu in der Sache geführt haben, jetzt nicht mehr verlängern. Zu dieser Stunde sind im übrigen
die Schatten, die über der Haushaltsberatung liegen, so lang, daß wir sie nicht auch noch mit Diskussionen über die Schattenhaushalte verlängern sollten. Aber ich sage Ihnen zu, Herr Kollege Althammer — das hat auch schon die Beratung im Haushaltsausschuß gezeigt —, daß wir diesen Vorgang als ein vor uns stehendes ernstes Problem ansehen und gemeinsam mit der Opposition lösen wollen, möglichst im Zusammenhang mit dem Haushaltsplan 1974.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0704535700
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir stimmen dann über den Änderungsantrag Drucksache 7/832 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über den Änderungsantrag Drucksache 7/833 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr in zweiter Beratung über das Haushaltsgesetz als Ganzes ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen angelangt.
Ich berufe das Haus auf morgen, 20. Juni 1973, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.