Protokoll:
6156

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 156

  • date_rangeDatum: 8. Dezember 1971

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:11 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 156. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung und Absetzung der Punkte 5, 9 und 10 von der Tagesordnung 8981 A Überweisung von Vorlagen der Bundesregierung an den Haushaltsausschuß 8981 B Wahl des Abg. Kater als ordentliches Mitglied sowie der Abg. Sieglerschmidt und Bartsch als stellvertretende Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt 8981 C Wahl des Abg. Dr. Schulz (Berlin) als stellvertretendes Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates 8981 D Amtliche Mitteilungen 8981 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft (Drucksachen VI/2075, VI/2284) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Abg. von Bockelberg, Gewandt, Lampersbach, Dr. Burgbacher, Schulhoff, Leicht und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache VI/2620) — Erste Beratung — Gewandt (CDU/CSU) 8982 C Koenig (SPD) 8986 D Kienbaum (FDP) 8992 C Engelsberger (CDU/CSU) 8997 D Wurbs (FDP) 9001 A Wüster (SPD) 9004 D Lampersbach (CDU/CSU) 9007 B Grüner (FDP) 9009 D Scheu (SPD) 9012 A von Bockelberg (CDU/CSU) 9015 B Offergeld (FDP) 9016 B Frau Funcke (FDP) 9017 A Dr. Frerichs (CDU/CSU) 9018 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache VI/2900) — Erste Beratung — 9019 A Fragestunde (Drucksachen VI/2914, VI/2890) Frage des Abg Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Anzahl der sich in den Kriegsgebieten von Pakistan und Indien befindlichen Bürger der Bundesrepublik Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 9019 B, C, D Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 9019 C, D II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 Frage des Abg. Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Maßnahmen zur Evakuierung der Deutschen aus den Kriegsgebieten von Pakistan und Indien Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 9019 D, 9020 C, D, 9021 B Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 9020 C, D van Delden (CDU/CSU) 9021 A Fragen des Abg. von Thadden (CDU/CSU) : Arbeit der Rechtspfleger Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär 9021 C, 9022 A von Thadden (CDU/CSU) 9021 D, 9022 A Fragen des Abg. Hussing (CDU/CSU) : Höhe der Anwerbungspauschale nach § 21 des Arbeitsförderungsgesetzes Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9022 B, D, 9023 A Hussing (CDU/CSU) 9022 D, 9023 A Fragen des Abg. Bredl (SPD) : Sozialversicherungsrechtliche Bewertung von Schonzeiten im Anschluß an Kurmaßnahmen Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9023 B Fragen des Abg. Varelmann (CDU/CSU) : Entlohnung von Frauenarbeit Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9023 D, 9024 B, C, D, 9025 A, B Varelmann (CDU/CSU) 9024 B, C, D Dr. Nölling (SPD) 9025 A Dr. Sperling (SPD) 9025 B Frage des Abg. Härzschel (CDU/CSU) : Gewährung einer zusätzlichen Leistung an Kriegsopfer nach Rückzahlung des Krankenkassenbeitrages an die Rentner Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9025 B, C, D, 9026 A, B Härzschel (CDU/CSU) 9025 C, D Dr. Nölling (SPD) 9026 A Pieroth (CDU/CSU) 9026 B Frage des Abg. Pieroth (CDU/CSU) : Anerkennung der Berufsqualifikation der Aussiedler aus Polen Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9026 C, D, 9027 A Pieroth (CDU/CSU) 9026 D Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9027 A Frage des Abg. Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Einrichtung eines Sonderausschusses für Territorialheere im Rahmen der Nordatlantischen Versammlung Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 9027 B Schmidt (Würgendorf) (SPD) 9027 B Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Maßnahmen gegen Soldaten wegen Teilnahme in Uniform am Parteitag der DKP Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 9027 C, D, 9028 A, B, C Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 9027 D Dr. Sperling (SPD) 9028 A Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9028 B Dr. Weber (Köln) (SPD) 9028 B Fragen des Abg. Geisenhofer (CDU/CSU) : Verlegung der auf dem Fliegerhorst Uetersen stationierten Ausbildungsschule für Piloten der Luftwaffe Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . 9028 D, 9029 A, B, C, 9030 A Geisenhofer (CDU/CSU) 9029 A Dr. Gleissner (CDU/CSU) 9029 B Dr. Sperling (SPD) 9029 C Dr. Probst (CDU/CSU) 9029 C Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) 9029 D Fragen des Abg. Dr. Weber (Köln) (SPD) : Auswahl der Lehrer für griechische Kinder in der Bundesrepublik Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9030 B, D, 9031 A, B Dr. Weber (Köln) (SPD) . 9030 D, 9031 A Dr. Sperling (SPD) 9031 A Frage des Abg. Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Festsetzung der Grenze der Belastbarkeit durch Strahlenwirkung Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär 9031 B, D, 9032 A Dr. Gleissner (CDU/CSU) . 9031 D, 9032 A Nächste Sitzung 9032 A Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 9033 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 III Anlage 2 Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 3. Dezember 1971 betr. das Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 — Wo- BauÄndG 1971) 9033 C Anlage 3 Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 3. Dezember 1971 betr. das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" 9034 A Anlage 4 Antrag Umdruck 244 zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft (Drucksachen VI/2075, VI/2284) 9034 C Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Lenzer (CDU/CSU) betr. Wartezeiten bei Rentenanträgen wegen Anerkennung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und Zahl der Anträge auf Gewährung solcher Renten 9034 D Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Enders (SPD) betr. Dauer der Entscheidung über Anträge auf Kriegsdienstverweigerung 9035 B Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Hauser (Bad Godesberg) (CDU/CSU) betr. Ablegung der zweiten Staatsprüfung durch Bundeswehrstipendiaten der Fachrichtung Geodäsie 9035 C Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Offergeld (SPD) betr. die von den Finanzämtern anzuwendenden Rahmensätze der Mittelpreise von Kantinenmahlzeiten 9036 A Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Wende (SPD) betr. Vereinbarung über das von der Rundfunkanstalt für die Übertragung des Europa- Pokal-Fußballspiels zu zahlende Sendehonorar 9036 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8981 156. Sitzung Bonn, den 8. Dezember 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 10. 12. Amrehn 10. 12. Bals * 8. 12. Dr. Barzel 8. 12. Dr. Beermann 15. 1. 1972 Behrendt * 10. 12. Blank 18. 12. Blumenfeld ** 9. 12. Dr. Burgbacher 11. 12. Dasch 18. 12. Dr. Dittrich * 8. 12. Draeger *** 13. 12. Dr. Enders *** 8. 12. Faller * 12. 12. Fritsch ** 8. 12. Dr. Furler 10. 12. Gerlach (Emsland) * 8. 12. Dr. Giulini 10. 12. Dr. Gleissner 9. 12. Freiherr von und zu Guttenberg 18. 12. Haase (Kellinghusen) 10. 12. Hansen 10. 12. Frau Herklotz ** 8. 12. Dr. Hermesdorf (Schleiden) ** 10. 12. Horten 9. 12. Frau Jacobi (Marl) 18. 12. Kahn-Ackermann ** 10. 12. Dr. h. c. Kiesinger 8. 12. Dr. Kreile 8. 12. Kriedemann * 10. 12. Freiherr von Kühlmann-Stumm 8. 12. Dr. Dr. h c. Löhr * 17. 12. Looft 17. 12. Dr. Lenz (Bergstraße) 8. 12. Lücker (München) * 10. 12. Majonica 8. 12. Müller (Aachen-Land) * 10. 12. Ott 10. 12. Pöhler ** 9. 12. Rinderspacher ** 8. 12. Dr. h. c. Schmücker ** 8. 12. Schoettle 17. 12. Schwabe * 8. 12. Spilker 8. 12. Wehner 10. 12. Wiefel 10. 12. Baron von Wrangel 10. 12. Dr. Zimmermann 8. 12. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Bonn, 3. Dezember 1971 An den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 374. Sitzung am 3. Dezember 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 11. November 1971 verabschiedeten Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 - WoBauÄndG 1971) gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat ferner die aus der Anlage ersichtlichen Entschließungen gefaßt. Heiz Kühn An den Herrn Präsidenten ides Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 12. November 1971 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Heinz Kühn Entschließungen zum Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 - WoBauÄndG 1971) 1. Die Bundesregierung wird gebeten, im Zusammenhang mit der in Aussicht gestellten weiteren Novellierung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 zu prüfen, inwieweit die bestehenden Regelungen für die vorzeitige Rückzahlung der für die Eigentumsbildung gewährten öffentlichen Mittel zur Erleichterung der Mobilität der Eigentümer und zur Verhinderung von Mißbräuchen umgestaltet werden können. 2. Der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen wird aufgefordert, von der ihm in § 18 a Abs. 3 des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 erteilten Ermächtigung, weitere Förderungsjahrgänge in die Zinsanhebung einzubeziehen, Gebrauch zu machen. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Verordnung sind gegeben. Die daraus aufkommenden Mittel werden dringend zur Fortführung des sozialen Wohnungsbaues benötigt. Die Mieten von Wohnungen der neu einzubeziehenden Förderungsjahrgänge werden trotz der Zinsanhebung noch 9034 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 erheblich unter den Mieten für Wohnungen der Förderungsjahrgänge seit 1969 liegen. Damit werden die durch Artikel I Nr. 12 und Artikel III § 1 Nrn. 1 und 2 Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 verfolgten Ziele nicht beeinträchtigt. Anlage 3 Der Präsident des Bundesrates Bonn, den 3. Dezember 1971 An den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 374. Sitzung am 3. Dezember 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 4. November 1971 verabschiedeten Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" gemäß Artikel 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat außerdem die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefaßt. Heinz Kühn Bonn, den 3. Dezember 1971 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 6. November 1971 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Heinz Kühn Anlage Entschließung zum Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" Der Bundesrat hält eine Beteiligung der Länder an den Aufgaben der Stiftung, insbesondere an der institutionellen Förderung (Teil III), im Hinblick auf die Planungsfunktion der Länder und ihre bisherige erhebliche unmittelbare und mittelbare finanzielle Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der in Teil III genannten Art für erforderlich. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, daß die Länder in angemessenem Umfang und geeigneter Weise bei der Genehmigung der Richtlinien für die Verwendung der Mittel (§ 7 Abs. 7) und insbesondere des Vergabeplanes (§ 27) beteiligt werden. Anlage 4 Umdruck 244 Antrag der Abgeordneten Junghans, Koenig, Graaff, Kater, Mertes, Scheu, Wüster, Wurbs und der Fraktion der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft Drucksache VI/2075, VI/2284 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechend § 6 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes ein ,den Eventualhaushalt für das Haushaltsjahr 1972 ergänzendes ERP-Investitionsprogramm bis zu 1 Milliarde DM vorzubereiten. Im Rahmen dieses ERP-Investitionsprogramms sollen — entsprechend ,der Zielsetzung des Strukturprogramms der Bundesregierung für kleine und mittlere Unternehmen (Drucksache VI/ 1666) vornehmlich kleine und mittlere Unternehmen bei ihren Investitionen zur grundlegenden Rationalisierung, Umstrukturierung und Innovation, außerdem wirtschaftsschwache Regionen sowie gemeindliche Infrastrukturinvestitionen gefördert werden. Bonn, den 7. Dezember 1971 Junghans Koenig Kater Scheu Wüster Wehner und Fraktion Graaff Mertes Wurbs Mischnick und Fraktion Anlage 5 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Ehrenberg vom 8. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Jenser (CDU/CSU) (Drucksache VI/2890 Fragen A 67 und 68) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Arbeitnehmer, die einen Rentenantrag wegen Anerkennung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit stellen, häufig lange Wartezeiten hinnehmen müssen, bis ihre Anträge rechtskräftig entschieden sind, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen? Wieviel Anträge auf Gewährung von Renten aus den genannten Gründen wurden in den letzten Jahren bei den Landesversicherungsanstalten gestellt, wieviel abgelehnt und in wieviel Fällen wurde der Rechtsweg vor den Sozialgerichten beschritten? Der Bundesregierung ist bekannt, daß Versicherte, die einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit stellen, in Einzelfällen längere Wartezeiten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihre Anträge hinnehmen müssen. Sie ist jedoch bemüht, durch Maßnahmen sowohl im organisatorisch-verwaltungsmäßigen als auch im gesetzgeberischen Bereich diese Wartezeiten soweit wie möglich abzukürzen. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9035 Soweit die Verzögerung der Rentenzahlung auf die zeitraubende Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen aufgrund der Versicherungsunterlagen zurückzuführen ist, beabsichtigt unser Haus, dem durch die Einführung eines integrierten Datenerfassungssystems in der Sozialversicherung und durch eine bestmögliche Ausnutzung von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen zu begegnen. Die Vorarbeiten auf diesem Gebiet sind schon weit fortgeschritten. Darüber hinaus strebt die Bundesregierung eine Abkürzung solcher Wartezeiten durch eine Beschleunigung der Sozialgerichtsverfahren an. Dieses Ziel verfolgt der Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der dem Hohen Hause bereits vorliegt. Verhältnismäßig enge Grenzen ist hingegen einer Abhilfe der im medizinischen Bereich begründeten Schwierigkeiten gesetzt. Wenn zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten mehrere ärztliche Gutachten erforderlich sind, werden sich Wartezeiten wohl auch in Zukunft nicht vermeiden lassen können. Das liegt z. B. daran, daß — wie Sie wissen — besonders für Spezialfragen geeignete ärztliche Gutachter nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehen, zusätzliche schwer zu gewinnen und die vorhandenen überlastet sind. Gerade auch um diese Schwierigkeit wenigstens für die letzten Jahrgänge vor Erreichen der Altersgrenze zu beseitigen, hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung die Einführung einer flexiblen Altersgrenze vorgeschlagen. Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich bemerken: Derartige Zahlen sind uns nur für die Gesamtheit aller Rentenanträge, also insbesondere einschließlich derjenigen auf Altersruhegeld, bekannt, nicht jedoch getrennt nach den einzelnen Rentenarten. Sie lassen sich erst auf Grund einer Umfrage bei den Rentenversicherungsträgern feststellen. Daher kann ich Ihnen die gewünschten Angaben heute noch nicht machen. Ich bin jedoch gern bereit, dies schriftlich nachzuholen. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom 8. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Enders (SPD) (Drucksache VI/2890 Fragen A 73 und 74) : Trifft es zu, daß Prüfungsausschüsse bei Kreiswehrersatzämtern teilweise zehn Monate und länger benötigen, um über Anträge auf Kriegsdienstverweigerung entscheiden zu können? Welche Maßnahmen sind vorgesehen, damit Kriegsdienstverweigerer noch vor der Einberufung zur Bundeswehr die Entscheidung über ihren Antrag auf Kriegsdienstverweigerung erhalten? Es trifft zu, daß Prüfungsausschüsse bei den Kreiswehrersatzämtern zum Teil längere Zeit benötigen, um über Anträge auf Kriegsdienstverweigerung entscheiden zu können. Die Bundesregierung ist jedoch bemüht, seit dem Ansteigen der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung die Zahl der Prüfungsgremien entsprechend dem vermehrten Arbeitsanfall zu erhöhen. Trotzdem läßt sich aber nicht erreichen, daß alle Antragsteller noch vor der Einberufung zur Bundeswehr beschieden werden können, schon deshalb nicht, weil viele Anträge erst kurz vor dem Einberufungstermin gestellt werden. Dieser Situation wird aber dadurch Rechnung getragen, daß das Kreiswehrersatzamt die Einberufung bis zur Entscheidung des Prüfungsausschusses aussetzen kann, wenn der Kriegsdienstverweigerungsantrag begründet erscheint. Die rechtliche Handhabe hierzu bietet § 20 Abs. 6 der Musterungsverordnung. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom 8. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Hauser (Bad Godesberg) (CDU/CSU) (Drucksache VI/2890 Fragen A 76 und 77) : Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß den Stipendiaten der Bundeswehr der Fachrichtung Humanmedizin die Medizinalassistentenzeit auf die Gesamtverpflichtungszeit angerechnet wird, und daß sie erst nach der Approbation zum Dienst in den Streitkräften einberufen werden, während die Stipendiaten der Fachrichtung Geodäsie unmittelbar nach der Diplomhauptprüfung den Dienst antreten müssen und damit die Möglichkeit verlieren, die zweite Staatsprüfung abzulegen? Ist die Bundesregierung bereit, den Bundeswehrstipendiaten der Fachrichtung Geodäsie die Möglichkeit der Ablegung der zweiten Staatsprüfung nach der Diplomhauptprüfung einzuräumen und im übrigen die Offiziere ins militärgeographischen Dienst hinsichtlich der Besoldungsgruppe und der Zulage den Sanitätsoffizieren gleichzustellen? Die Stipendiaten der Fachrichtung Geodäsie werden nicht schlechter behandelt als alle anderen Stipendiaten der Bundeswehr auch, und wir kennen davon insgesamt 22 Fachrichtungen. Um nur einige zu nennen: Maschinenbau, Elektrotechnik, Physik, Pilotologie, Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft usw. Alle Absolventen dieser Fachrichtungen werden nur bis zum ersten Staatsexamen gefördert und müssen den Dienst in der Truppe antreten. Sie werden dann nach A 11 besoldet. Die bis dahin erworbenen Kenntnisse reichen auch für die Erfordernisse im Dienst in der Truppe aus. Bei den Ärzten ist das allerdings anders. Nach dem Staatsexamen muß der Mediziner erst ein Jahr Medizinalassistentenzeit durchlaufen, bevor er als Arzt tätig werden darf. Diese Tatsache begründet auch die Einstellungsbesoldung nach A 13 und die Anrechnung der Medizinalassistentenzeit auf die Gesamtverpflichtung. Die den Ärzten gezahlte Erschwerniszulage hat einmal den Sinn, Bewerbern einen gewissen Anreiz zu bieten, um den bestehenden erheblichen und auch kritischen Mangel an Ärzten zu beheben, zum anderen um den infolge gerade dieses Mangels dauernd überlasteten Ärzten der Bundeswehr einen gewissen finanziellen Ausgleich zu geben. Es wird jedoch zur Zeit geprüft, wie die Laufbahnvorschriften für die Offiziere mit wissenschaftlicher Vorbildung insgesamt verbessert werden können. 9036 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 2. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Offergeld (SPD) (Drucksache VI/2861 Fragen A 28 und 29) : Von welchen Mittelpreisen des Verbrauchsorts sind die Finanzämter der Landeshauptstädte im ersten Halbjahr 1971 bei Anwendung des Abschnitts 15 Abs. 1 der Lohnsteuer-Richtlinien ausgegangen? Ist die Bundesregierung — unabhängig von der Überprüfung des Problems im Rahmen der Steuerreform — bereit, den Bundesländern im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu empfehlen, den Finanzämtern alljährlich für die wichtigsten Städte die Rahmensätze der Mittelpreise von Kantinenmahlzeiten mitzuteilen? Kantinenmahlzeiten, die vom Arbeitgeber unentgeltlich oder verbilligt verabreicht werden, stellen steuerpflichtige Sachbezüge dar. Sie sind für die Berechnung der Lohnsteuer mit dem ortsüblichen Mittelpreis, d. h. mit dem Betrag zu bewerten, den der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsort aufwenden müßte, wenn er sich die Mahlzeit in üblicher Form, z. B. in einer Gaststätte auf eigene Kosten verschaffen würde. Die Feststellung des Mittelpreises ist nicht Sache der Finanzverwaltung, sondern Sache des Arbeitgebers, der bei der Wertbemessung sowohl die Art und Güte der Mahlzeit, als auch die örtlichen Preisverhältnisse berücksichtigen muß. Dabei wird es aber nicht beanstandet, wenn das einzelne Unternehmen den Wert nicht täglich ermittelt, sondern einen betrieblichen Durchschnittspreis ansetzt. Von dem hiernach ermittelten Betrag bleiben 1,50 DM je Arbeitnehmer und Arbeitstag steuerfrei, der Mehrbetrag gehört zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Einheitliche Mittelpreise für bestimmte Verbrauchsorte, z. B. für die Landeshauptstädte gibt es hiernach nicht; die Mittelpreise sind vielmehr von Betrieb zu Betrieb verschieden. Die Bundesregierung hätte auch Bedenken, den Finanzministern der Länder die Festsetzung von einheitlichen Mittelpreisen zu empfehlen. Durch eine solche Maßnahme würden tatsächliche wertmäßige Unterschiede, die sich innerhalb der einzelnen Betriebe unvermeidbar ergeben, steuerlich nicht berücksichtigt. Für die Festsetzung von einheitlichen Mittelpreisen besteht auch kein praktisches Bedürfnis. Um den Arbeitgebern die Wertermittlung zu ersparen, ist bereits im Jahre 1970 aus Vereinfachungsgründen zugelassen worden, daß für eine Kantinenmahlzeit an Stelle des ortsüblichen Mittelpreises der amtliche Sachbezugswert, der für die Gewährung freier Kost bei einer Aufnahme des Arbeitnehmers in die Haus- und Verpflegungsgemeinschaft maßgebend ist, angesetzt werden darf. Da diese amtlichen Sachbezugswerte besonders niedrig sind, darf nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs von ihnen der eben erwähnte Freibetrag von 1,50 DM zur Vermeidung ungerechtfertigter Steuervorteile nicht mehr abgezogen werden. Hiernach hat der Arbeitgeber ein Wahlrecht, ob er die von ihm gewährten Mahlzeiten mit dem selbst zu ermittelnden ortsüblichen Mittelpreis unter Berücksichtigung des Freibetrags von 1,50 DM oder mit dem amtlichen Sachbezug ohne Kürzung um die 1,50 DM bewerten will. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 2. Dezember 1971 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Wende (SPD) (Drucksache VI/2861 Frage B 25) : Hält es die Bundesregierung für rechtlich zulässig, daß eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ein Europa-Pokal-Fußballspiel nur unter der Bedingung zu übertragen bereit ist, daß die Umsatzsteuer für das Sendehonorar von einem der beiden an dem zu übertragenden Spiel beteiligten Vereine getragen wird, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um ein derartiges Verhalten künftig auszuschließen? Beim Abschluß der Vereinbarung über das von der Rundfunkanstalt für die Übertragung des Europa- Pokal-Fußballspiels zu zahlende Sendehonorar mußten sich die Beteiligten darüber einigen, ob in dem Honarar die Umsatzsteuer bereits enthalten ist (sog. Bruttohonorar) oder ob es sich hierbei um einen Nettobetrag zuzüglich Umsatzsteuer handelt. In dieser Frage scheint zwischen der Rundfunkanstalt und dem veranstaltenden Verein eine Einigung nicht erzielt worden zu sein. Während der Verein in seinen Vorstellungen offensichtlich von einem Nettohonorar ausging, zu dem ihm die Rundfunkanstalt noch den darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrag zu zahlen hat, war die Rundfunkanstalt offenbar der Meinung, daß das Sendehonorar die Umsatzsteuer bereits einschließt. Beide Arten der Honorarvereinbarung sind zulässig. Eine andere Frage ist, wie die Angelegenheit beurteilt werden muß, wenn sich hinterher zwischen den Beteiligten Meinungsverschiedenheiten darüber ergeben, ob der vereinbarte Betrag als ein Nettooder Bruttohonorar anzusehen ist. Hierzu vermag ich nicht Stellung zu nehmen, da es sich bei diesem Problem ausschließlich um eine Frage der Vertragsauslegung handelt, für deren Entscheidung ggf. die Zivilgerichte zuständig sind. Ergänzend möchte ich noch bemerken, daß nach der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland für die in Frage kommenden Rundfunk- bzw. Fernsehanstalten die Länder zuständig sind. Diese haben den Landesrundfunkanstalten und dem Zweiten Deutschen Fernsehen durch Gesetz bzw. Staatsvertrag weitestgehende Selbstverwaltungsbefugnisse eingeräumt und sich nur eine beschränkte Rechtsaufsicht vorbehalten. Die Bundesregierung sieht sich daher auf Grund dieser Zuständigkeitsregelung nicht in der Lage, in der aufgeworfenen Frage unmittelbar tätig zu werden.
Gesamtes Protokol
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615600000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Abg. Stücklen: Wenigstens einer von der Regierung ist hier!)

Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt:
Erstens. Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die Tagesordnung ergänzt um die
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
Drucksache VI/2730 —.
Es ist vorgesehen, diesen Punkt am Freitag aufzurufen.
Ich gebe weiterhin bekannt, daß interfraktionell vereinbart worden ist, von der Tagesordnung dieser Woche folgende Punkte abzusetzen:
Zweite und dritte Bratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte
— das ist der Tagesordnungspunkt 5 —,
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
- das ist der Tagesordnungspunkt 9 —,
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundes-Immissionsschutzgesetzes
— das ist der Tagesordnungspunkt 10 —. Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Zweitens. Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat gemäß § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen betreffend Zustimmungen zur Leistung von über- und außerplanmäßigen Ausgaben übersandt:
Betr. Zustimmung zur Leistung von üpl. Ausgaben bei Kap. 25 02 Tit. 882 02 Hj. 1971 für Wohnungsbauprämien
— Drucksache VI/2866 —
Betr. Grundsätzliche Einwilligung zu einer weiteren apl. Ausgabe von 10 Millionen DM bei Kap. 10 03 Tit. apl. 683 98 (Erstattungen bei der Ausfuhr von pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen infolge Freigabe des Wechselkurses der Deutschen Mark ab 10. Mai 1971)

— Hj. 1971 —— Drucksache VI/2867 —.
Betr. Oberplanmäßige Ausgaben im Bereich der Kernforschung wegen Ausfalls von EURATOM-Zuschüssen
— Drucksache VI/2887 —
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung werden diese Vorlagen dem Haushaltsausschuß überwiesen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Drittens. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 30. November 1971 für den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt benannt: den Abgeordneten Kater für den verstorbenen Herrn Ohlig, Stuttgart, als ordentliches Mitglied, den Abgeordneten Sieglerschmidt für den als stellvertretendes Mitglied ausgeschiedenen Abgeordneten Kater als stellvertetendes Mitglied und den Abgeordneten Bartsch für den ausgeschiedenen Herrn Nelke aus Bonn als stellvertretendes Mitglied.
Weiterhin hat die Fraktion der CDU/CSU an Stelle des Abgeordneten Dr. h. c. Kiesinger den Abgeordneten Dr. Schulz (Berlin) als stellvertretendes Mitglied für die Beratende Versammlung des Europarates benannt.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Kater als ordentliches Mitglied, die Abgeordneten Sieglerschmidt und Bartsch als stellvertretende Mitglieder in den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt und der Abgeordnete Dr. Schulz (Berlin) als stellvertretendes Mitglied in die Beratende Versammlung des Europarates gewählt.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 3. Dezember 1971 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Achtes Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes Gesetz zur Änderung des Kaffeesteuergesetzes
Gesetz zur Sicherstellung der Leistungen der Zusatzversorgungsanstalten des öffentlichen Dienstes
Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes
8982 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Präsident von Hassel
Gesetz über amtlich anerkannte Sachverständige und amtlich anerkannte Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr (Kraftfahrsachverständigengesetz — KfSachvG —)

Zweites Gesetz zur Änderung des Bundespolizeibeamtengesetzes
Drittes Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
Drittes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Drittes Anpassungsgesetz KOV —3. AnpG-KOV —)

Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 — WoBauÄndG 1971)

Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
Zum
Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 und zum
Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
hat der Bundesrat in der gleichen Sitzung Entschließungen gefaßt, die als Anlagen 2 und 3 diesem Protokoll beigefügt sind.
In seiner Sitzung am 3. Dezember 1971 hat der Bundesrat beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 10. November 1971 verabschiedeten
Betriebsverfassungsgesetz
zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2904 verteilt.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 3. Dezember 1971 gemäß Artikel 94 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 5 Abs. 1, § 7 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht auf die Dauer von zwölf Jahren, längstens bis zur Altersgrenze, zu Richtern am Bundesverfassungsgericht gewählt:
Dr. Hans Joachim Faller in den Ersten Senat
Dr. Joachim Rottmann in den Zweiten Senat
Der Bundeskanzler hat die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates zum
Entwurf eines Gesetzes über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus
übersandt. Sein Schreiben ist als Drucksache Nachtrag zu VI/2767 verteilt.
Der Bundeskanzler hat die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates zum
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes und anderer Gesetze
übersandt. Sein Schreiben ist als Drucksache Nachtrag zu VI/2769 verteilt.
Der Bundeskanzler hat die Stellungnahme des Bundesrates zum
Haushaltsgesetz 1972
sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung zum Beschluß des Bundesrates übersandt. Sein Schreiben wird als Drucksache Nachtrag zu VI/2650 verteilt.
Der Bundeskanzler hat die Stellungnahme des Bundesrates zum Finanzplan des Bundes 1971 bis 1975
sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung zum Beschluß des Bundesrates übersandt. Sein Schreiben wird als Drurcksache zu VI/2651 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat am 2. Dezember 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Bundesbahn und Umweltschutz — Drucksache VI/2844 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2891 verteilt.
Der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen hat am 2. Dezember 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Evers, Erpenbeck, Dr. Riedl (München), Baier, Pieroth, Dr. Müller-Hermann, Susset, Biechele, Rawe, Hussing, Dr. Luda, Berding und Genossen betr. Privatisierung von Wohnungen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden — Drucksache VI/2833 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2893 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 7. Dezember 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Höcherl, Dr. Althammer, Dr. Schmidt (Wuppertal), Hauser (Bad Godesberg) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst — Drucksache VI/2646 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2911 verteilt.
Der Ausschuß für Wirtschaft hat gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Verordnungen keine Bedenken erhoben:
Verordnung des Rates (EWG) über die Regelung für Fischereierzeugnisse mit Ursprung in den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar oder den überseeischen Ländern und Gebieten
— Drucksache VI/1955 —
Verordnung des Rates (EWG) zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2164/70, 2165/70, 463/71, 1235/71 hinsichtlich
der Einfuhren von Oliveniil aus Spanien, Tunesien, Marokko und der Türkei
— Drucksache VI 2716
Verordnung (EWG) des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 des Rates vom 19. 12. 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren
— Drucksache VI 2607 —
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1078/71 des Rates vom 25. Mai 1971 zur Einführung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung und Eröffnung eines mengenmäßigen Ausfuhrkontingents der Gemeinschaft für bestimmte Bearbeitungsabfälle und Aschen von NE-Metallen (Kupfer, Blei und Aluminium)
— Drucksache VI/2608 —Verordnung des Rates zur Tilgung gewisser Waren in der Anlage zur Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung
— Drucksache VI/2609 —
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft
— Drucksachen VI/2075, VI/2284 —
Der Ältestenrat hat sich dahin gehend geeinigt, daß die Punkte 2 und 3 zwar getrennt aufgerufen werden, aber schon beim Punkt 2, der eben aufgerufen wurde, der Punkt 3 mit in die Debatte einbezogen wird. Punkt 3 wird später zur formellen Behandlung besonders aufgerufen.
Zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU hat der Abgeordnete Gewandt das Wort.

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0615600100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben diese Große Anfrage seinerzeit gestellt, um zu erfahren, wie die Bundesregierung ihrerseits die Lage der mittelständischen Wirtschaft beurteilt und welche Erkenntnisse sie aus diesem Lagebericht zu ziehen beabsichtigt. Ich meine, daß es nötig ist, zu Anfang etwas klarzustellen, um Mißdeutungen auszuschließen. Die mittelständische Wirtschaft ist ein bedeutender Teil der Gesamtwirtschaft, dem 60 O/o der in Lohn und Brot stehenden Menschen ihre berufliche Existenz verdanken. Dieser Teil ist wie jeder andere Teil der deutschen Wirtschaft dem Strukturwandel unterworfen. Er hat sich in diesem Strukturwandel bewährt. Er hat bei der Anpassung an den Strukturwandel keine staatliche Hilfe bekommen, sondern aus eigener Kraft diese Leistung vollbracht. Hier sind also die Selbsterhaltungskräfte der Wirtschaft noch voll funktionsfähig.
Ich möchte unterstreichen, daß es uns zu keiner Zeit darauf ankam, etwa einer Politik das Wort zu reden, die von Subsidien oder von einem Protektionismus ausgeht. Wir meinen, daß die Marktwirtschaft die optimale Form für den Verbraucher und für den Erzeuger ist.
Wir haben die Große Anfrage auch eingebracht, weil sich die wirtschaftliche Lage im Bereich der mittelständischen Wirtschaft in der letzten Zeit in besorgniserregender Weise verändert hat. Alle Warnungen, die wir hier bei den vielfältigen wirtschaftspolitischen Erörterungen ausgesprochen haben, werden jetzt durch den Sachverständigenrat bestätigt. Jetzt befinden wir uns in diesem Teufelskreis oder in dieser, wie der Sachverständigenrat sagt, Dilem-
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Gewandt
masituation, weil man uns keine Aufmerksamkeit schenkte.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage geht die Bundesregierung auf die wesentlichen Fragen nicht ein. Ich werde gleich im einzelnen ausführen, daß sich die wirtschaftliche Lage in sehr besorgniserregender Weise entwickelt hat. Aber das ist nicht das einzige, was zur Sorge Anlaß gibt. Hinzu kommen jene Belastungen der mittelständischen Wirtschaft, über die im Augenblick in aller Breite diskutiert wird; hinzu kommt das Wirken jener Kräfte, die eine andere soziale Struktur unserer Gesellschaft w ünschen. Anlaß zur Besorgnis gibt z. B. die Entwicklung in der Sozialdemokratischen Partei. Die wirtschaftsfeindlichen Kräfte in unserem Lande finden Auftrieb, wenn jene Steuerpläne verfolgt werden, die unter Führung des Kollegen Eppler entwickelt worden sind, der eine Kuh melken möchte, von der wir wissen, daß sie zunächst einmal Gefahr läuft, an Auszehrung dahinzusiechen. In der Fachpresse ist darauf hingewiesen worden, daß sich der Bundeskanzler den radikalen Beschlüssen auf dem Parteitag der SPD nicht widersetzen konnte. Man schrieb, das sei der Brückenzoll zur Egalité, der wie das schräge Messer einer Guillotine über den Häuptern gerade der Bezieher mittlerer Einkommen schwebe.
Um klarzumachen, wie die Lage beurteilt wird, möchte ich einige führende Persönlichkeiten aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft zitieren.
Der Generalsekretär des Zentalverbandes des Deutschen Handwerks, Herr Kübler, hat gesagt, Mißtrauen, Unsicherheit und Resignation seien heute in seinem Bereich das Charakteristikum,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und zwar nicht nur wegen der schlechten Ertragslage, sondern auch wegen der Fülle von Plänen, die stets im Raum der Utopie schwebten, die aber jetzt durch eine besondere Form der Kanalisierung offenbar auch zum Parlament Zugang gefunden hätten.
Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, Fertsch- Röver— der nicht unserer Partei angehört —, hat gesagt, Unruhe und Unsicherheit seien die Zeichen, unter denen die Wirtschaft jetzt deutlicher als vorher leben müsse.
Ein letztes Zitat. Herr Conzen, der Präsident der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, hat beschwörend gefragt, ob man denn bereit sei, die Prognose des Bundeswirtschaftsministers, bis 1985 würden 25 % der Unternehmer im mittelständischen Bereich ausscheiden, mit Lethargie und Fatalismus hinzunehmen. Conzen hat folgende beängstigende Fakten herausgestellt: leergefegter Arbeitsmarkt, Lohn- und Kostenexplosion, Währungsdurcheinander, Inflationsrate, dazu mangelnder, ja abnehmender Leistungswille, Verteufelung des ethischen Wertes der Arbeit.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Meine verehrten Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß uns auf diesem Hintergrund die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zu selbstgefällig erscheint; denn die Bundesregierung verschweigt die Auswirkung ihrer konjunkturellen Wechselbäder auf die Wirtschaft. Die Bundesregierung unterstellt zwar — sie befindet sich darin mit uns in Übereinstimmung , daß die beste Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik ist. Sie hätte nur hinzufügen müssen: das ist uns aber nicht gelungen.
Wir müssen zunächst einmal beklagen, daß, weil es diese stabilitätsorientierte Politik nicht gegeben hat und die Bundesregierung nicht den Mut hatte, das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum anzuwenden, die Bundesbank wieder der einzige Hüter der Stabilität war. Aber welches Ergebnis hatte das für die mittelständische Wirtschaft? Durch die Hochzinspolitik sind erneut Wettbewerbsverzerrungen eingetreten;

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

denn der mittelständische Unternehmer konnte sich nicht auf dem EURO-Markt bedienen, dahin ist der große gegangen. Am Rande sei allerdings erwähnt, daß die Verschuldung im Ausland, zum Teil eine kurzfristige Verschuldung, der deutschen Wirtschaft von insgesamt 30 Milliarden DM uns bedenklich stimmt. Ich meine, man sollte im Hinblick auf die Verflechtung zwischen der mittelständischen Wirtschaft und der Gesamtwirtschaft verstehen, daß dieses auch den Mittelstand mit Sorge erfüllt.
Die Bundesregierung geht in ihrer Antwort nicht auf das Problem der Investitionsfinanzierung ein. In besorgniserregendem Maße hat sich der Geldwert verschlechtert. Das bedeutet, daß heute die Abschreibungen nicht mehr ausreichen, um die Investitionen zu verdienen;

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

d. h. es müssen neue Wege für die Investitionsfinanzierung gesucht werden. Hierüber spricht die Bundesregierung nicht. Wir haben dazu einige Vorschläge zu machen.
Wir hatten gehofft, daß die Bundesregierung auf die prekäre Ertragslage einginge; sie hat es nicht getan. Wir haben gefragt: wie wirkt sich die Lohnfortzahlung für die Arbeiter im Krankheitsfalle aus und wie wirkt sich die Mehrbelastung nach dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz aus? Wir haben diese Frage nicht gestellt, um diese Maßnahmen etwa rückgängig zu machen. Das möchte ich hier ganz klar und deutlich unterstreichen. Aber wir wollten festgestellt sehen, wie groß die Leistungsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft im sozialpolitischen Bereich ist und wo die Grenze der Belastbarkeit liegt — ein Thema, das bei der Steuerreform erörtert werden muß.
Die Bundesregierung hat gemeint, man könne nicht auf eine effektive Verminderung der Unternehmenserträge schließen. Ich frage mich, ob die Bundesregierung nicht zur Kenntnis genommen hat, daß die Ertragsteuern ständig zurückgehen.
Aber nun zu der Frage der Belastung im besonderen. Die Bundesregierung führt aus, daß die Ge-
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Gewandt
samtbelastung durch die Einführung der Lohnfortzahlung 6 Milliarden DM betrage; nach den Steuern liegt sie nach Meinung der Regierung bei 3,5 %. Diese Zahlen treffen nicht zu. Nach einer Rechnung, die von einem anerkannten Institut auf der gleichen Grundlage erstattet worden ist, wissen wir, daß die Belastung der Betriebe bei 8,2 Milliarden DM lag, d. h. einer Belastung der Bruttolohnsumme von 5,6 %. Wenn Sie das gleiche Schema wie die Bundesregierung anwenden und die Steuern in Abzug bringen, kommen Sie immerhin noch auf eine Belastung, die wesentlich höher ist als die, welche die Bundesregierung angegeben hat.
Besonders leicht hat es sich die Bundesregierung bei ihrer Antwort auf unsere Frage nach der Kostenexplosion und der Gewinnkompression gemacht. Die Bundesregierung sagt: Von einer negativen Ertragsentwicklung kann nicht gesprochen werden. Das kann man nur sagen, wenn man sich seit einigen Monaten in der Lektüre der Tageszeitungen zurückgehalten hat; denn allein schon dort hätte man ein anderes Bild erhalten können. Im übrigen sagt die Bundesregierung — und ich finde das geradezu köstlich —, die Ertragslage der mittelständischen Unternehmer hätte sich gleich gut entwickelt wie die der Großunternehmen. Dazu kann man nur sagen, das ist ein ganz schlechter Trost; dann müßte man sagen „gleich schlecht", denn zu sagen „gleich gut" ist wohl ein Hohn.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie sieht es nun in Wirklichkeit aus? Ich beziehe mich jetzt auf die Quellen des Industrieinstituts und anschließend auf die Angaben, die der Einzelhandel macht. Berücksichtigt man den kalkulatorischen Unternehmerlohn, dann sind im Jahre 1970 die Unternehmensgewinne zurückgegangen, und zwar um 6,5 %. Dagegen stiegen im Jahre 1970 die Lohnstückkosten in der Industrie um 14 %, gesamtwirtschaftlich um 11 %. Diese allgemeinen Aussagen decken sich aber nicht mit der besonders schlechten Ertragslage beispielsweise im Einzelhandel. Der Facheinzelhandel, der bekanntlich immer noch sehr gut im Rennen liegt, hat heute, gemessen an den Umsätzen beispielsweise des Jahres 1962, einen erheblichen Rückgang des Reingewinns zu verzeichnen. Seinerzeit betrug die Ertragsquote noch um 7,3 % des Umsatzes, im Jahre 1970 etwas über 6 1)/10. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß das Vergleichsjahr ein Rezessionsjahr war. Wenn man nun aber die Verzinsung des Eigenkapitals und den Unternehmerlohn mit berücksichtigt — und das muß man ja tun —, dann kommt man nach Auffassung des Einzelhandels zu einem betriebswirtschaftlichen Ergebnis im Einzelhandel, das unter 1 % liegt. Das zeigt die Dilemmasituation in der wir uns befinden. Die mittelständische Wirtschaft — wir haben es gesagt — ist anpassungsfähig. Sie hat schwere Zeiten überlebt, und ich nehme an, sie wird durch ihre Anpassungsfähigkeit die derzeitige Wirtschaftspolitik ebenfalls überleben. Sie hat den Strukturwandel aus eigener Kraft bewältigt, und sie ist heute in sehr starkem Maße als Zulieferer für die Großwirtschaft tätig. Hier zeigt sich die enge Verflechtung der Wirtschaft, und daraus resultiert, daß man die einzelnen Bereiche nicht auseinanderhalten kann.
Ich darf einige Beispiele geben. Nach den neuesten Erhebungen, die Professor Albach von der Universität Köln angestellt hat, ist die Zahl der Zulieferer bei Mercedes-Benz aus dem Bereich des Mittelstandes von 14 000 im Jahre 1954 auf 17 000 im Jahre 1970 gestiegen, bei BASF sind es 10 000, bei Mannesmann
14 000, bei Siemens 30 000. Das zeigt, daß der Mittelstand immer wieder neue Wege sucht, um sich zu behaupten, daß er — das muß man sagen auch in der technischen Entwicklung eine hervorragende Rolle spielt. Wir wissen aus Berichten aus den Vereinigten Staaten, daß im Bereich der Innovation die meisten Ideen aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft kommen, und auch die Europäische Kommission hat festgestellt, daß gerade in bezug auf die Innovation im Bereich der Industrie die mittelständische Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist.
Die Bundesregierung hat nun gesagt, dieser gesamte Bereich sei von einer Ertragsschmälerung in keiner Weise betroffen. Ich möchte dem entgegenhalten, daß selbst der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor einiger Zeit im ZDF erklärt hat, daß die Gewinne eingeschränkt worden sind, und die Bundesbank — das sollte uns zu denken geben — hat folgendes deutlich gemacht: Hält die Tendenz zur Gewinnminderung aber länger an und verschärft sie sich sogar, dann wird die Investitionsneigung der Unternehmer stärker und nachhaltiger beeinträchtigt, und das muß zwangsläufig Folgen für die Beschäftigungslage haben. Das ist unsere große Sorge.
Wir haben in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Frage Nr. 4 hören müssen, daß es keine Verminderung der Unternehmenserträge durch Belastungen aus der sozialen Gesetzgebung gebe. In Punkt 8 sagt allerdings die Regierung, daß es eine zeitweilige Gewinnminderung geben könnte. Aber was sie nun empfiehlt, das, muß ich sagen, grenzt an Zynismus angesichts der Ertragslage in der Wirtschaft. Die Regierung empfiehlt, nötigenfalls auf Reserven zurückzugreifen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auf welche Reserven?)

Sie sagt, erst dann würde sich herausstellen, ob existenzgefährdende Substanzverluste eingetreten seien.
Meine Damen und Herren, wie steht es denn mit den Rücklagen, mit den Reserven, von denen die Regierung spricht? Wir haben durch die Wissenschaftliche Abteilung des Bundestages, der Dank dafür gebührt, einmal feststellen lassen, wie hoch die Rücklagenquote ist. Man ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie bei den Großgesellschaften etwa
15 % der Bilanzsumme beträgt. Das ist nicht üppig, aber immerhin. Bei den Personengesellschaften beträgt diese Quote jedoch weniger als 2 %, und bei den Einzelkaufleuten ist sie noch geringer. Wie man angesichts dieser Situation den Unternehmern empfehlen kann, sie mögen auf ihre Reserven zurückgreifen, ist unverständlich. Man kann seine
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Substanz nicht verzehren müssen, nur weil die Konjunkturpolitik der Regierung nicht stimmt.

(Abg. Josten: Sehr wahr!)

Wir haben fernerhin festzustellen, daß als Ergebnis dieser konjunkturpolitischen Wechselbäder dieser Regierung nicht nur die Ertragslage sich verschlechtert hat, sondern daß auch die Zahlungsschwierigkeiten zunehmen und daß vielen bereits der Atem ausgegangen ist. Im Jahre 1970 war ein Anstieg der Konkurse um nahezu 9 % zu verzeichnen. Die Zahlungseinstellungen im Dienstleistungsgewerbe und im Handel sind überdurchschnittlich groß. Die Zahl der Konkurse im Einzelhandel hat sich bedauerlicherweise um 18 % erhöht. Wenn Sie die neuesten Ergebnisse der Entwicklung im Jahre 1971 betrachten, die das Statistische Bundesamt nachgeliefert hat, stellen Sie fest, daß sich die Konkursstatistik noch wesentlich verschlechtert hat.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Als Grund für diese negative Entwicklung gibt das Statistische Bundesamt die erheblich verschlechterte Ertrags- und Liquiditätslage der Unternehmen an und, damit zusammenhängend, harten Wettbewerbsdruck auf allen Märkten, hohes Zinsniveau, sinkende Rendite, steigende Löhne. Hier beginnt ein Ausleseprozeß, der nicht mehr mit dem Marktgeschehen zu rechtfertigen ist, sondern der zu einem unwiederbringlichen Substanzverlust führt. Als wir bei unserem Mittelstandskongreß darauf hinwiesen, hat die Regierung das als Polemik abgetan.
Aber die Wirtschaft leidet nicht nur unter dem Sinken der Erträge. Wir haben festzustellen, daß das Nachwuchsproblem — darauf wird hier im einzelnen noch eingegangen — immer gravierender wird. Auch dies ist nach meiner Auffassung das Ergebnis einer systematischen Verketzerung der gewerblichen Ausbildung. Wir wollen den Ausbau der Universitätsausbildung und ihre Förderung. Aber das bedeutet doch nicht, daß man im gewerblichen Bereich die Ausbildung vernachlässigen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn wohin kommen wir, wenn im mittleren Bereich niemand mehr da ist, wenn z. B. niemand mehr unsere Dächer deckt? Wenn man einmal die zukunftsorientierten Handwerke heraussucht, Bauschlosser, Maurer, Dachdecker, Straßenbauer — also alles Sparten, die auch in einer dynamischen Gesellschaft eine Aufgabe wahrzunehmen haben —, und feststellt, daß dort die Leerquoten bei den ausgewiesenen Lehrstellen zwischen 60 und 75 % liegen, fragt man sich: Wer soll hier in der Zukunft eigentlich noch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden, wenn dieser Mittelbau, der uns gerade in eine günstige Situation gebracht hat, heute systematisch ausgezehrt wird?

(Abg. Kater: Ist das erst seit zwei Jahren der Fall?)

— Die Verketzerung? Nein, die gibt es schon lange von Ihrer Seite.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Was uns besonders besorgt, weil wir Mittelstandspolitik immer als eine Politik der Produktivitätssteigerung betrachtet haben, ist der besorgniserregende Rückgang der Produktivität in Deutschland. Er hat im Jahr 1970 den niedrigsten Stand seit 1956 erreicht; er beträgt nur noch 2 %. Wir sind das Schlußlicht in der Produktivitätssteigerung geworden. Das stimmt uns bedenklich.
In diesem Zusammenhang müssen wir deutlich machen, daß die Bundesregierung nichts getan hat, um die Produktivität zu steigern und anzuregen. Im Gegenteil, sie hat eine Blockade für den Produktivitätsfortschritt verhängt. Die Haushaltsansätze, die der Steigerung der Produktivität dienen — Entwicklung der Forschung, Innovation, ja sogar die Gewerbesteuer —, wurden durch den Haushaltsführungserlaß vom 5. März zunächst erheblich reduziert. Erst unter dem massiven Druck der Opposition und der öffentlichen Meinung hat man hier dann eine andere Politik eingeschlagen. Es ist bedauerlich, daß die Bundesregierung immer dann den Rotstift anzusetzen bereit ist, wenn es um zukunftsorientierte Maßnahmen geht.
Meine Damen und Herren, wenn gefragt wird, was die Bundesregierung für die Mittelstandspolitik unternimmt, dann kann man hier den Bundeskanzler zitieren. Er hat vor dem Zentralverband des Deutschen Handwerks mitgeteilt, daß in diesem Jahr 1 Milliarde DM für zinsverbilligte Kredite ausgegeben wird. Das ist in der Tat sensationell. Dabei muß man nur sagen, daß es eine Maßnahme ist, die es eigentlich immer gegeben hat. Die Hälfte trägt die Bundesanstalt für Wiederaufbau. 360 Millionen DM kommen aus dem ERP-Vermögen. 140 Millionen DM tragen die Länder. Den Rest trägt die Bundseregierung; und diese wollte davon noch einen Teil einbehalten.
Im übrigen hat der Herr Bundeskanzler — ich kann das verstehen; er muß ja auch deutlich machen, daß sein Herz für den Mittelstand schlägt — auch gemeint, daß zur Förderung der beruflichen Ausbildung jährlich 1 Milliarde DM ausgegeben werden. Damit hat er völlig recht. Aber die Bundesregierung hat damit nichts zu tun; denn das Geld kommt von der Bundesanstalt aus Nürnberg.
Ich habe auf die schrumpfenden Gewinne hingewiesen. Ich habe darauf hingewiesen, daß in den Unternehmen angesichts der Steuerpläne, die ich hier skizziert habe, die Resignation wächst und daß eine Verbesserung der Eigenkapitalbildung angesichts der Ertragsentwicklung nicht möglich ist, so daß man mit Sorge in die Zukunft sehen muß. Hinzu kommt, daß für Nettoinvestitionen — auch das muß einmal gesagt werden — noch im Jahre 1967 von 100 DM 33 DM auf dem Kreditweg beschafft werden mußten. Heute beläuft sich dieser Betrag auf 59 DM.

(Abg. Josten: Hört! Hört!)

Angesichts dieser Situation ist der Expansionsspielraum in diesem Bereich der Wirtschaft natürlich außerordentlich eng gezogen. Wir wissen schon seit langer Zeit, daß sich die Eigenkapitalquote verschlechtert hat. Aber es gibt keine Reaktion seitens der Regierung.
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Gewandt
Der Eigenkapitalanteil in der Wirtschaft geht ständig zurück. Unsere internationalen Wettbewerber befinden sich hier in einem Vorteil. Wir können sagen, daß wir deshalb im Schnitt wesentlich schlechter gestellt sind, weil das Eigenkapital in anderen Staaten — Holland, England usw. — das Anlagevermögen immerhin noch um 20 % überschreitet. Bei uns haben wir einen Verschuldungsgrad von etwa 60 % festzustellen. Die Bundesregierung hat keinerlei Auskünfte darüber gegeben, was sie zu tun gedenkt, um die Investitionsmöglichkeiten zu verbessern.
Unsere Wirtschaft ist überwiegend mittelständisch strukturiert. Das hat nicht nur eine Bedeutung für die im Wettbewerb befindlichen mittelständischen Unternehmen, sondern es spielt für die Volkswirtschaft insgesamt eine Rolle. Wenn in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Frankreich immer wieder strukturelle Schwierigkeiten für eine negative wirtschaftliche Entwicklung wesentlich ausschlaggebend sind, dann liegt das nicht primär daran, daß die betreffenden Regierungen nicht über nötiges Instrumentarium verfügten, sondern an der mangelnden Preisbeweglichkeit, an der mangelnden Mobilität der Arbeitskräfte, also an jenen spezifischen Funktionen, die bei uns die mittelständische Wirtschaft wahrzunehmen in der Lage ist.
Meine Damen und Herren, entscheidend für die Wiederherstellung des Vertrauens — und ich glaube, daß wir uns in einer Vertrauenskrise befinden — ist eine stetige, eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik der Regierung. Deshalb müssen klare Entscheidungen mit folgenden Schwerpunkten getroffen werden:
Erstens. Bei einer Steuerreform müssen die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit beachtet werden, d. h. die Besteuerung muß an der Leistungsfähigkeit und der Wettbewerbsneutralität ausgerichtet sein.
Zweitens. Bei der Novellierung der Mehrwertsteuer ist zumindest die Kleinbetriebsregelung systemgerecht umzugestalten und in ihrer Größenordnung den geänderten Verhältnissen anzupassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mehr kann man angesichts dieser vertrackten Finanzlage, in die uns die Regierung gebracht hat, in bezug auf eine Mehrwertsteuerreform nicht erwarten.
Drittens. Durch geeignete steuerliche Maßnahmen — und dazu werden wir einen Gesetzentwurf einbringen — muß die unzureichende Eigenkapitalbildung der mittelständischen Wirtschaft verbessert werden, damit die Leistungsfähigkeit dieses wichtigen Bereiches ausgebaut und gestärkt wird.
Viertens. Die Gewerbesteuerreform darf nicht ad calendas graecas verschoben werden.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Fünftens. Die Bildungspolitik muß der beruflichen Aus- und Fortbildung endlich die nötige Priorität einräumen.

(Abg. Josten: Vorrangig!)

Sechstens. Die Gewerbeförderung muß als zukunftsorientiertes Instrumentarium bedarfsgerecht ausgebaut werden.
Siebtens. Die Bundesregierung muß von ihrer Ankündigung, Strukturpolitik aus einem Guß zu betreiben, endlich einmal nicht nur reden, sondern sie verwirklichen.
Abschließend darf ich folgendes sagen. Für uns sind die mittelständische Wirtschaft und die leitenden Angestellten die Avantgarde des Fortschritts. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ständig weiter gestärkt, aber auch die Ansprüche an Staat und Gesellschaft ungewöhnlich steigen lassen. Leider gibt es Vorstellungen vom Fortschritt, die dahin gehen, daß sich dieser automatisch entwickeln könne und daß man ohne eigene Leistung an ihm partizipieren könne. Die Leistungsunwilligkeit nimmt in Deutschland leider zu.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Deshalb ist es erforderlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Leistung wieder zu fördern, denn sie sichert wirtschaftlichen Fortschritt und ist die Basis des sozialen Rechtsstaates. Leistungsprinzip, Leistungsgesellschaft und Leistungsgedanke werden in Frage gestellt. Zwar möchte niemand auf die Früchte der Leistungsgesellschaft verzichten. Es besteht die Gefahr, daß sich unsere Leistungsgesellschaft zu einer Anspruchsgesellschaft entwickelt. Hier liegt nach meiner Auffassung die Hauptgefahr für den sozialen Rechtsstaat, der sicherlich Mängel hat, der aber immerhin noch die optimale und humanste Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist.
In dieser Gesellschaftsordnung ist die mittelständische Wirtschaft ein wichtiger Faktor. Und gerade weil mehr Ansprüche an den Staat gestellt werden, muß die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gesteigert werden. Dazu brauchen wir wieder eine gesunde Basis für eine langfristige, optimale Entwicklung. Das heißt, das Hauptziel muß die Wiederherstellung einer gesunden wirtschaftlichen Basis sein. Das wäre der beste Beitrag für eine zukunftsorientierte Mittelstandspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615600200
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koenig. Für ihn hat die SPD-Fraktion eine Redezeit von 40 Minuten beantragt.

Peter-Michael Koenig (SPD):
Rede ID: ID0615600300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Anfang möchte ich Ihnen auf Umdruck 244 t) vorliegenden Entschließungsantrag

(Abg. Vogel: Ein Propaganda-Antrag!)

der Fraktionen der SPD und FDP begründen. Sie ersehen aus ihm, daß die Koalitionsfraktionen der Auffassung sind, daß das Bemühen, die im Stabilitätsgesetz vorgeschriebenen Ziele zu erreichen, in
*) Siehe Anlage 4
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8983
Koenig
nächster Zeit zwar nach wie vor den Versuch beinhalten muß, ein Abklingen des Preisauftriebs zu erreichen; aber darüber hinaus müssen vorbeugende Überlegungen in bezug auf rezessive Tendenzen angestellt werden Diesem Ziel dient der Ihnen vorliegende Antrag. Für den Fall, daß wir mit dem Eventualhaushalt gegensteuern müssen, weil es gilt, die Konjunktur rechtzeitig wieder zu beleben, schlagen wir eine Ergänzung des Eventualhaushalts durch ein Investitionsprogramm in Höhe von 1 Milliarde DM vor. Das Neue an diesem Vorschlag ist, daß hier zum erstenmal nicht ausschließlich Maßnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufträge vorgesehen sind, wie es in den Jahren 1967/68 im damaligen ERP-Investitionshilfeprogramm der Fall war. Hier wird die Bundesregierung vielmehr konkret aufgefordert, ein Programm vorzubereiten, indem auch die Finanzierung von Investitionsvorhaben kleiner und mittlerer Unternehmen gefordert wird, und zwar von Vorhaben zur grundlegenden Rationalisierung, Umstrukturierung und Innovation im Rahmen des Aktionsprogramms zu Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen. Außerdem wird die Förderung wirtschaftsschwacher Regionen sowie gemeindlicher Infrastrukturinvestitionen verlangt. Das ist ein völlig neuer Ansatz, Herr Kollege Gewandt. Daraus ersehen Sie — wie im übrigen auch aus dem Strukturprogramm der Bundesregierung insgesamt —, wieviel diese Bundesregierung zur Förderung der Produktivität gerade im Bereich der mittelständischen Wirtschaft, also der kleinen und mittleren Unternehmen, zu tun bereit ist.

(Abg. Lemmrich: Auf dem Papier!)

— Das steht nicht nur auf dem Papier, meine Damen und Herren, sondern das ist, wie ich soeben ausgeführt habe, heranzuziehen, wenn die Konjunktur es erlaubt. Wir bitten um Zustimmung zu diesem Entschließungsantrag.
Mir ist heute früh zu Beginn der Debatte aufgefallen, daß Sie, Herr Kollege Gewandt — sicherlich mit Recht —, auf einige aktuelle Probleme des Mittelstands abgehoben haben. Darüber hinaus sind Sie aber nicht zu grundsätzlichen Überlegungen über eine Strategie für den Mittelstand gekommen. Das hätte ich eigentlich von Ihnen erwartet.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Frerichs: Dann haben Sie nicht zugehört! — Abg. Lampersbach: Das hat er ganz deutlich gesagt!)

— Die CDU/CSU, Herr Kollege Lampersbach, befindet sich hier in einer schwierigen Situation, für die wir Verständnis haben; denn sie hat nicht nur einen Mittelstandskreis, sondern auch einen Wirtschaftsrat, der nun einmal andere Interessen, nämlich die der Industrie, vertritt.

(Abg. Dr. von Bismarck: Woher wissen Sie das? — Abg. Stücklen: Wer sagt das?)

Das sind zwei Paar Stiefel, mit denen man nicht im Gleichschritt marschieren kann. Das ersehe ich u. a. aus dem Verlauf Ihres Mittelstandstages in Bremen, wo es Ihnen ebenfalls nicht gelungen ist,
die Interessen dieser beiden Vereinigungen zu harmonisieren.

(Abg. Lampersbach: Herr Koenig, Sie können nicht nur nicht zuhören, sondern auch nicht sehen!)

— Außerdem stellen wir fest, Herr Lampersbach, daß bei Ihnen der Wirtschaftsrat immer den Ton angibt.

(Abg. Stücklen: Und ihr macht die Musik!)

Das führt natürlich zu gewissen Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung anderer, z. B. mittelständischer Interessen.

(Abg. Lampersbach: Schlecht hören kann er gut!)

Ich möchte mir deshalb erlauben, einige grundsätzliche Ausführungen zur Situation der mittelständischen Wirtschaft, der kleinen Unternehmer, zu machen, um das noch etwas zu verdeutlichen.

(Abg. Lampersbach: Jetzt wird es sehr interessant!)

Zu Beginn der Debatte muß die Frage erlaubt sein, welchen Zweck sie erfüllen soll. Sie erfüllt für die mittelständische Wirtschaft nur dann ihren Zweck, wenn wir zu einer Analyse der Position kleiner und mittlerer Unternehmen in der heutigen wirtschaftlichen Landschaft vordringen und, ausgehend von dieser Analyse, die Selbständigenpolitik der Bundesregierung kritisch und konstruktiv würdigen. So ist auch das Strukturprogramm der Bundesregierung in seiner Dreiteilung angelegt. Es besteht erstens aus einer Analyse, zweitens aus einer Darstellung von Grundsätzen und drittens aus einem konkreten Aktionsprogramm zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Betriebe.
Jede Mittelstandspolitik muß rational, ökonomisch begründet werden. Daraus ergibt sich die Frage: lohnt sich der Mut zum unternehmerischen, zum Selbständigenrisiko? Jede Mittelstandspolitik muß auf eine positive Beantwortung dieser Frage ausgerichtet sein, wenn sie wirkungsvoll sein soll.

(Abg. Lampersbach: Lehrsatz!)

Richtig. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben diese Fragestellung noch nicht genügend erkannt.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich werde Ihnen das begründen. Wenn Sie auf Ihrem Mittelstandstag in Bremen ausführen, daß zu diesem mittelständischen Bereich auch die leitenden Angestellten gehören, so sehen Sie das zu ideologisch, und das ist genau das, was einer ökonomischen Betrachtung entgegensteht.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615600400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gewandt?

Peter-Michael Koenig (SPD):
Rede ID: ID0615600500
Bitte schön, Herr Gewandt!

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0615600600
Herr Kollege, sind Sie nicht der Auffassung, daß die gleichen soziologischen und steuerlichen Probleme, die der Frei-
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Gewandt
berufler und der gewerbliche Selbständige haben, auch auf den leitenden Angestellten zutreffen, der beispielsweise wie der Freiberufler nach einer langen Ausbildung in relativ kurzer Zeit relativ viel Geld verdient und dessen Arbeitsplatz in besonderer Weise gefährdet ist? Sehen Sie da nicht eine Übereinstimmung?

Peter-Michael Koenig (SPD):
Rede ID: ID0615600700
Herr Kollege Gewandt, die Angehörigen der freien Berufe gehören selbstverständlich zum selbständigen Bereich, zur Gruppierung der Selbständigen. Das ist bei uns gar keine Frage. Ich habe hier davon gesprochen, daß die leitenden Angestellten, die durchaus politisch vertreten werden sollen, wie alle anderen Berufsgruppen in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung vertreten werden müssen, nicht in den Bereich des selbständigen Mittelstandes gehören; denn dann würden Sie das Problem ideologisch von der Einkommenssituation her betrachten und nicht von der Notwendigkeit her, das Selbständigenrisiko zu erhalten. Darum geht es uns doch.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie ideologisch etwas für diesen selbständigen Mittelstand tun müssen, müssen Sie mit einer Selbständigenpolitik genau hier ansetzen.
Uns geht es darum, meine Damen und Herren, daß wir hier nicht dieses ständische Moment oder mittelständische Moment wie in der Biedermeierzeit in eine Zukunft forttragen, die mehr und mehr vom technologischen Fortschritt bestimmt sein wird. Es geht nicht um die Vertretung eines Standes, sondern es geht um die ökonomische Vertretung einer Berufsgruppe, nämlich des selbständigen Mittelstandes.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615600800
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Pinger?

Peter-Michael Koenig (SPD):
Rede ID: ID0615600900
Bitte schön!

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID0615601000
Herr Kollege, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß die leitenden Angestellten jedenfalls im Wirtschaftsleben die gleiche unternehmerische Funktion und Aufgabenstellung haben wie die Selbständigen im mittelständischen Bereich und daß sie insofern eine gleiche Bewußtseins- und Interessensituation haben?

Peter-Michael Koenig (SPD):
Rede ID: ID0615601100
Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil ich nämlich glaube, daß es bei dieser Betrachtungsweise gleichzeitig darum geht, klarzustellen, daß wir nicht zu einem weiteren Trugschluß kommen dürfen, der immer wieder gemacht-wird, daß nämlich selbständige Tätigkeit auch durchaus selbständig sein muß. Wir wissen, daß große Bereiche der selbständigen mittelständischen Wirtschaft, kleine und mittlere Unternehmer, in großer wirtschaftlicher Abhängigkeit von großen Nachfragern und großen Anbietern sind. Auf der anderen Seite wissen wir auch, daß es im Angestelltenbereich Positionen gibt, in denen sehr viel selbständiger entschieden werden kann, als das viele, ich möchte sagen, als das die Mehrheit der Selbständigen tun kann. Darum geht es uns nicht, das ist für uns eben kein ideologisches Problem, sondern ein rein ökonomisches Problem. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns in diesem Hause darauf einigen könnten, bei dieser Problematik in Zukunft immer vom selbständigen Mittelstand zu sprechen.
Nun, Herr Kollege Gewandt, Sie haben in einigen Reden draußen im Lande immer so von den utopischen Vorstellungen unserer Fraktion zur Politik für den selbständigen Mittelstand gesprochen. Deswegen jetzt einige grundsätzliche Überlegungen hierzu: In 25 Friedensjahren hat unsere Wirtschaft einen langen Weg zurückgelegt, nämlich den Weg von einer regional abgeschlossenen zu einer europäischen Wirtschaft, die in die Weltwirtschaft integriert ist. Sie muß den richtigen Weg in den offenen Weltwirtschaftsmarkt finden. Diese Politik hat auch oder vielleicht gerade für kleine und mittlere Unternehmer neue Daten gesetzt:
Erstens. Regional abgeschirmte Märkte sind weithin verschwunden. An ihre Stelle traten Märkte mit intensiven Konkurrenzbeziehungen. In vielen Fällen bildeten sich Kontinental- und Weltmärkte heraus. Kleinere und mittlere Unternehmen sehen sich auf ihren traditionellen Märkten verstärkter Konkurrenz ausgesetzt, häufig Konkurrenz von Großunternehmen.

(Abg. Vogel: Das hört sich an wie eine Einführung in die Volkswirtschaft!)

Wenn sie nicht stagnieren wollen, müssen sie deshalb oft neue Märkte erschließen und werden somit in die Expansion hineingedrängt, in eine Expansion, die teuer ist und in der optimale Betriebsgrößen zunächst aufgegeben werden müssen.
Zweitens. Im Zuge der Internationalisierung der Märkte hat sich die Palette des Marktangebots ständig erweitert. Die Ansprüche des Marktes sind gestiegen. Das Angebot in Produktions- und Dienstleistungsbereichen ist differenzierter geworden. Der Diversifikationsprozeß schreitet somit fort. Das bedeutet: Handelsunternehmen müssen ihr Sortiment erweitern. Kleine Industrieunternehmen haben diesen Diversifikationsprozeß zu verkraften, was mit einer gewissen Erweiterung der Produktgruppe und daher mit einer Expansion verbunden ist, oder aber sie müssen sich spezialisieren. In allen diesen Fällen stellt sich die Aufgabe der strukturellen Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung.
Hinzu kommt noch, daß sich die Marktverhältnisse schnell wandeln. Der Wettbewerb hat sich im Zuge der Integration der Märkte in vielen Fällen intensiviert. Im Handel setzen sich neue Vertriebsformen durch. In der Industrie wird der Wettbewerb zu einem großen Teil heute technologisch ausgetragen. Produkte und Produktionsverfahren können dabei schnell veralten.
Die Märkte entwickeln sich somit erstens in ihrer räumlichen Dimension, zweitens in ihrer sachlichen Dimension und drittens in ihrer zeitlichen Dimension dynamisch. Diese dynamische, langfristige Entwick-
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Koenig
lung stellt gerade an kleine und mittlere Unternehmen hohe Anforderungen.
Meine Damen und Herren, wer diese objektiven ökonomischen Probleme des selbständigen Mittelstandes ideologisch umfunktionieren will, ist böswillig, oder er versteht von der Sache nichts.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wer will das denn?)

Der selbständige Mittelstand ist nicht der Zopfträger unserer Wirtschaft. Die gerade in dieser wirtschaftlich angespannten Zeit zu beobachtende vergleichsweise größere Stabilität in der Entwicklung in der Bundesrepublik gegenüber anderen Staaten des Westens ist nicht zuletzt daraus zu erklären, daß wir über eine ausgewogenere Wirtschaftsstruktur in unserem Land verfügen. Wenn wir auch die größeren Unternehmenseinheiten in ihrer Bedeutung durchaus richtig würdigen, müssen wir doch darauf hinweisen, daß die großen Fortschritte vor allem durch diese ausgewogene Struktur unserer Wirtschaft zu erklären sind. Hieraus erklären sich auch die in der Analyse des Strukturprogramms beobachtete größere Preisbeweglichkeit, die schnellere Anpassung an technische Veränderungen und die größere Beweglichkeit auf den Außen- und Binnenmärkten sowie schließlich die größere Mobilität der Arbeitskräfte. Die goldenen Zeiten der 20er Jahre sind längst vorbei, meine Damen und Herren, und ob sie überhaupt jemals golden waren, mag dahingestellt sein.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich möchte darauf hinweisen, daß der wirtschaftliche Wachstumsprozeß sich heute mit doppelter Geschwindigkeit im Vergleich zu früher vollzieht.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie auch einige grundsätzliche Überlegungen hier angestellt hätten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon 1955 getan!)

Den selbständigen Mittelstand gilt es also in seiner Risikobereitschaft zu unterstützen. Die Marktwirtschaft unserer Prägung lebt vom Wettbewerb, und dieser Wettbewerb ist ohne selbständigen Mittelstand nicht denkbar.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Wettbewerb ist deshalb kein Selbstzweck, sondern dient letztlich dem Konsumenten, dem Verbraucher. Somit dient der selbständige Mittelstand den Interessen des Verbrauchers.

(Sehr gut bei der CDU/CSU.)

Dies, meine Damen und Herren, ist — da gebe ich Ihnen recht — ein politisches Bekenntnis.

(Zurufe von der CDU/CSU: Möge es sich ausbreiten bei Ihren Kollegen! — Logisch, schlüssig und sehr alt!)

Ökonomisch ist jetzt die Frage zu stellen, welche Chancen kleine und mittlere Unternehmen in unserer Zeit und in Zukunft der Großwirtschaft gegenüber haben. Nur wenn sie eine Chance haben, können wir es politisch verantworten, diesen kleinen und mittleren Unternehmen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen, um sich dem Strukturwandel anzupassen. Da, Herr Kollege Gewandt, gehen wir einig; denn Sie haben auch darauf hingewiesen, daß diese Chancen in unserer Wirtschaft für den selbständigen Mittelstand durchaus bestehen.
Nun ein kurzes Wort zu den anstehenden Fragen der Steuerreform. Ich möchte sie unter folgenden Aspekt stellen. Erstens. Wenn wir ehrlich das Prinzip der Leistungsfähigkeit innerhalb der Vorstellungen zur Steuerreform durchkonstruieren wollen, so bedeutet das, daß derjenige, der einen hohen Gewinn erzielt, im Gegensatz zu demjenigen, der einen niedrigen Gewinn erzielt, mehr Steuern zahlen muß. Nun ist auf dem Sonderparteitag meiner Partei ein Spitzensteuersatz von 60 % gefordert worden, der aber nur — und das möchte ich betonen — auf 0,3 % der Steuerpflichtigen zu beziehen ist. Was uns hier beschäftigen sollte, sind die Entlastungen in den unteren Bereichen im Hinblick auf die Eckdaten der Bundesregierung, die hier genannt worden sind. Ich weise z. B. darauf hin, daß der Gewerbesteuerfreibetrag durch Anhebung der Freigrenze auf 12 000 DM 300 000 weitere Selbständige freistellt.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Lampersbach: Sie haben doch 24 000 DM gefordert)

Das kostet 550 Millionen DM. — Herr Kollege Lampersbach, das ist ein erster Schritt, da gebe ich Ihnen recht. Aber darf ich Sie einmal darauf hinweisen, daß Ihre Fraktion seit dem Jahre 1961 überhaupt nichts in dieser Frage erreicht hat!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Gewandt: Denken Sie mal an die Finanzverfassungsreform von Herrn Strauß, die Sie abgelehnt haben!)

Außerdem kostet die Abschaffung der Kleinbetriebsregelung den Fiskus ebenfalls 80 Millionen DM. Das muß man im Zusammenhang mit dem ansteigenden Tarif auf der anderen Seite sehen.
Ich darf außerdem darauf hinweisen, daß auch die Ergänzungsabgabe im Zuge des Ansteigens des Tarifs wegfallen wird.

(Lachen und ironische Zurufe von der CDU/ CSU. — Zurufe: Ist ja toll! — Wird eingebaut!)

Die Investitionssteuer ist von 8 % im Jahre 1961 bereits auf 4 % gesunken und wird im Jahre 1972 auslaufen.
Es ist ganz nützlich, dabei einmal zu betrachten, wie denn die Gewinnzone der Selbständigen aussieht und welche Bereiche nach den Eckwerten der Bundesregierung entlastet werden; denn das gilt es doch einmal festzustellen. Bedauerlicherweise ist es so, daß die Einkommensteuerstatistik in dieser Beziehung bekanntlich der Zeit etwas nachhinkt und daß die Umsatzsteuerstatistik aktuellere Werte er-
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gibt. Aber aus den Umsätzen können Sie ja auch die Gewinne ablesen.

(Abg. Schulhoff: Wieso kann man aus den Umsätzen die Gewinne ablesen?)

— Herr Kollege Schulhoff, ich sage das deswegen etwas grob, weil die Umsätze so gering sind, wie ich Ihnen jetzt aufzeigen werde, daß die Gewinne, ganz egal, in welcher prozentualen Höhe sie liegen sollten, so gering sein dürften, daß sie in jedem Fall unter die Entlastungen dieser Eckwerte fallen werden. Von 400 000 Einzelhandelsgeschäften in der Bundesrepublik haben nämlich 200 000 Einzelhandelsgeschäfte einen Umsatz von weniger als 100 000 DM im Jahr. Im Hotel- und Gaststättengewerbe mit rund 200 000 Unternehmungen haben 95 % aller Betriebe Jahresumsätze unter 250 000 DM. Wir fühlen uns als sozialdemokratische Fraktion für diese niedrig verdienenden Selbständigen in besonderem Maße verantwortlich; sie sind der zahlenmäßig weitaus größte Teil der Selbständigen in unserem Lande.
Wenn Sie es jetzt im Zusammenhang sehen wollen: die Entlastung wird praktisch in drei Stufen anzusetzen sein. Erstens geht es um den Freibetrag der Gewerbesteuer, der jetzt auf 12 000 DM angehoben werden soll, zweitens um die Vermögensbildung im Betrieb analog der Vermögensbildung bei Arbeitnehmern in den Grenzen 24 000 DM für Ledige, 48 000 DM für Verheiratete, drittens um die Werte bei der Einkommensteuer mit bis zu 50 000 DM für Ledige und bis zu 100 000 DM für Verheiratete.
Nun ein Wort zu dem, was die Bundesregierung zur Produktionssteigerung zu tun gedenkt. Wir wissen, daß die kleinen und mittleren Unternehmen vor allen Dingen auf zwei Gebieten gefordert sind, und zwar erstens auf dem Gebiet der Finanzierung und zweitens auf dem Gebiet der Unternehmensführung. Zum ersten ist festzustellen, daß angesichts der permanenten Investitionsanforderungen die Finanzierungsdecke kleinerer und mittlerer Unternehmen, insgesamt gesehen, dünn ist. Dies ist bekanntlich ein spezifisch europäisches Problem. Wir wissen, daß sich in den Vereinigten Staaten dieses Problem nicht so stellt, weil man dort von ganz anderen Voraussetzungen, ganz anderen Beleihungsgrundsätzen ausgeht als bei uns. Auch wir müßten fordern, daß sich die deutsche Kreditwirtschaft mehr an eine Beurteilung der Umsatz-und Ertragsentwicklungen anschließt und die Steigerungsraten in diesem Bereich mehr berücksichtigt, als das bisher geschehen ist. Die Hilfestellungen der öffentlichen Hand können nämlich diese Lücke nur zum Teil schließen. Mein Kollege Wüster wird auf die Anstrengungen dieser von Sozialdemokraten und Freien Demokraten getragenen Bundesregierung sowohl im Hinblick auf neue Initiativen als auch im Hinblick auf die Bereitstellung von Finanzmitteln eingehen. Wir benötigen in der Bundesrepublik neben den öffentlichen Mitteln auch eine neue, risikofreundliche Finanzierungsstrategie der Kreditinstitute für selbständige mittelständische Unternehmungen.
Mit den Prinzipien, die den Förderungsmaßnahmen zugrunde liegen, welche das Strukturprogramm der Bundesregierung zur Produktivitätssteigerung vorsieht, folgt dieses Strukturprogramm auch Überlegungen, die auf seiten unseres Koalitionspartners, der FDP, immer wieder betont worden sind, nämlich die Forschung, Entwicklung und Innovation zu verstärken, die Information zu vergrößern, die Beratung auszubauen und Kooperation und Berufsbildung zu Schwerpunkten zu machen.
Zur Berufsbildung darf ich erwähnen, daß der Wirtschaftsausschuß, Herr Kollege Gewandt, am 5. November dieses Jahres, also im letzten Monat, beschlossen hat, daß die berufliche Bildung zu einem Kernpunkt der Strukturpolitik gemacht werden muß.
Allerdings, meine Damen und Herren, ist es etwas schwierig, wenn man da mit verschiedenen Zungen redet. Ich erinnere mich sehr genau, daß Kollege Lampersbach in Bremen erklärt hat, diese Hektik der Bundesregierung in bezug auf ihre Bildungsreform sei eigentlich schwer verständlich und sogar gefährlich, während Sie, Herr Kollege Gewandt, mit Recht darauf hinweisen, daß wir noch sehr viel mehr tun und sehr viel schneller handeln müssen, als das in den letzten 20 Jahren geschehen ist.

(Abg. Lampersbach: Sie haben das nicht gelesen, Herr Kollege Koenig!)

Es wäre gut, wenn man da die politische Aussage nach draußen parteipolitisch etwas koordinierte.
Das Strukturprogramm der Bundesregierung sieht erstens Erleichterungen bei der Aufnahme von Beteiligungskapital vor, zinsgünstige Kredite für strukturpolitisch gezielte Schwerpunktmaßnahmen und Kreditbürgschaft. Es sieht zweitens Maßnahmen zur Leistungssteigerung vor, wie ich sie gerade vorgetragen habe, drittens Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung und schließlich viertens eine Überprüfung der Geseztgebung.
Wir wissen ja, daß die Gesetzgebung insofern sehr leicht zu Ungerechtigkeiten führen kann, weil kleine und mittlere Unternehmen meistens nicht in der Lage sind, den ganzen Radius der Steuergesetzgebung so auszuschöpfen, wie das Großunternehmen mit ihren geteilten Stäben des Managements tun können. Das sind Fragen der Steuergesetzgebung, die überprüft werden müssen, Fragen des Wettbewerbsrechts, der Sozialgesetzgebung und der Vermögensbildung.
Zur Frage der Unternehmensführung ist folgendes zu sagen. Der schnelle Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse erfordert auch eine bewegliche und mutige Unternehmensführung. Kollege Scheu von meiner Fraktion wird sich dieser Problematik gleich noch besonders annehmen. Wenn es stimmt, daß heute manche selbständigen Unternehmen bei Großunternehmen Schlange stehen, um sich anzulehnen oder aber um zu verkaufen, dann dürfte dies nicht nur eine Frage mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten sein, sondern auch eine Frage der Führung selbst sein. Es ist die ökonomische Großwetterlage, die den selbständigen Unternehmer heute in die Bewährungsprobe stellt. In dieser Situation benötigen wir eine Gegenstrategie, und zwar erstens eine aktive Selbständigenpolitik und zweitens eine
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Koenig
optimistische Wirtschaftsphilosophie. Mit Pessimismus und mit Schwarzmalerei dienen Sie niemandem,

(Abg. Gewandt: Aber mit Tatsachen!)

am wenigstens denjenigen, meine Damen und Herren von der Opposition, denen zu helfen Sie vorgeben.

(Beifall bei der SPD.)

Das Strukturprogramm der Bundesregierung ist das erste geschlossene Programm, das von einer Bundesregierung überhaupt vorgelegt wurde. Es steht nicht nur auf dem Papier, wie Sie zu Anfang in einem Zwischenruf glaubten ausdrücken zu müssen, sondern es wird auch bereits realisiert. Wir werden von unserer Seite aus Schritt für Schritt und Jahr für Jahr dafür sorgen, daß es weiter verwirklicht wird.

(Abg. Lampersbach: Bis nichts mehr übrigbleibt!)

Unsere Wirtschaftsphilosophie — damit komme ich zu II — gründet sich auf das marktwirtschaftliche Bekenntnis des Godesberger Programms. Trotz aller Verteufelungen auch in diesem Bereich: Sozialdemokraten pflegen sich an ihre programmatischen Beschlüsse zu halten.

(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Haben Sie denn auf die Gretchenfrage eine Antwort: Können Sie mir einen liberaleren Wirtschaftsminister als Professor Karl Schiller in der westlichen Welt nennen?

(Abg. Seiters: Deshalb wird er ja auch angegriffen! — Abg. Lampersbach: Er ist so liberal, daß er gar nicht da ist!)

Sie können sich ja einmal darum bemühen, einen zu finden. Meine Damen und Herren, unsere Wirtschaftspolitik hat die geringsten dirigistischen Charakteristiken. Wir haben weder ein Preisdiktat wie in Amerika noch Importsteuern wie in anderen Ländern noch irgendwelche dirigistischen Einflußnahmen auf die Devisenbewirtschaftung wie z. B. in Frankreich.

(Abg. Lampersbach: Immer feste auf die USA, immer feste druff!)

Ich brauche Ihnen das ja hier nicht alles im einzelnen aufzuzählen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie tun Ihr Möglichstes, um durch Verdächtigungen der SPD wirtschaftliche Unsicherheit zu erzeugen, um auf dem Wege der ideologischen Verunsicherung der selbständigen Unternehmer Unsicherheitsmomente zu schaffen.

(Abg. Lampersbach: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben, Herr Koenig?)

Das tut niemandem gut, auch nicht Ihnen.
Nun zu einem Beispiel, das die ganze Wirksamkeit der Mittelstandsvereinigung und der Mittelstandspolitik der Opposition zeigt. Ich wage heute hier die Behauptung, daß in diesem Bundestag die Kartellnovelle gegen die Stimmen der CDU und der CSU verabschiedet werden wird.

(Abg. Lampersbach: Ach nee!) Wann haben denn in der CDU und CSU jemals die Interessen der Großindustrie nicht den Ausschlag gegeben? Die Wettbewerbsnovelle der Bundesregierung sieht drei Regelungen von zentraler Bedeutung vor: erstens eine Fusionskontrolle für Zusammenschlüsse, an denen Großunternehmen beteiligt sind, zweitens eine wirksamere Gestaltung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und drittens gesetzliche Kooperationserleichterung für kleine und mittlere Unternehmen mit dem Ziel, durch Zusammenarbeit die Leistungsfähigkeit zu steigern und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Ich weiß, daß auch Herr Kollege Gewandt genau diese Forderungen auf Ihrem Mittelstandstag in Bremen erhoben hat. Ich weiß, daß Herr Kollege Dr. Frerichs als Vorsitzender Ihres Arbeitskreises „Wettbewerbspolitik" ebenfalls ein sehr brauchbares Modell in dieser Richtung entwickelt hat.


(Abg. Gewandt: Das sollte Sie doch froh stimmen!)

Auf der anderen Seite muß ich natürlich auch darauf hinweisen, daß Herr Kollege Lampersbach in Bremen ausführte, die Entwürfe der Bundesregierung seien wirklichkeitsfremd. Auch das, Herr Kollege Lampersbach, paßt nicht in den Zusammenhang hinein.

(Abg. Lampersbach: Sie haben die falsche Zeile erwischt!)

— Nein, das habe ich nicht. Ich habe das sogar
schriftlich bei mir; ich kann es Ihnen gleich zeigen. Einen Entwurf Ihrer Fraktion gibt es allerdings nicht!
Die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen stellt einen Gegenzug gegen die Vermachtung der Märkte dar, einen Beitrag zur Sicherung der Marktwirtschaft, und eröffnet für kleine und mittlere Unternehmen eine zusätzliche Chance zur Behauptung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Sozialpolitik. Ich erinnere daran, daß diese Bundesregierung — das wurde bereits in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers angedeutet — die Rentenversicherung auch für Selbständige öffnen will. Viele soziale Probleme in diesem Bereich werden damit gelöst, soziale Friktionen werden vermieden, gerade für diejenigen Selbständigen — und das ist der größte Teil —, die um ihre Alterssicherung wirklich Sorge haben müssen. Bedauerlich ist nur, daß die CDU/CSU im Jahre 1956 den Selbständigen diese Möglichkeit genommen hat und wir erst jetzt im Jahre 1971 diese Problematik wieder anreißen konnten. In der nächsten Woche werden wir Gelegenheit haben, über die Rentenreform und die Öffnung der Rentenversicherung für die Selbständigen zu diskutieren. Aus diesem Grunde möchte ich mir heute weitere Ausführungen dazu ersparen und nur diese Möglichkeit im Grundsatz erwähnt haben, damit sie nicht bei dem Gesamtkonzept unter den Tisch fällt. Ich habe mich gewundert, daß Herr Kollege Gewandt nicht auch darauf zu sprechen gekommen ist.
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Die kleinen und mittleren Unternehmen haben sich in der fünften Wachstumsperiode der Nachkriegszeit zufriedenstellend entwickelt, und sie werden in der sechsten Wachstumsperiode unter der Politik von Professor Karl Schiller gut fahren. Vor Beginn der Wachstumsperiode, deren Endphase wir jetzt durchlaufen, erlebten wir die Rezession. Die Rezession der Jahre 1966/67, von Schmücker als Mittel der Konjunkturpolitik herbeigeführt, traf die selbständigen Unternehmer, die zumeist nur eine dünne Kapitaldecke haben, besonders hart. In den Wachstumsjahren 1968, 1969 und 1970 haben dagegen die kleinen und mittleren Unternehmer an der wirtschaftlichen Entwicklung, auch an der Gewinnentwicklung, voll teilgenommen.
Konjunkturpolitisch gesehen sprang diese neue Regierung im Oktober 1969 auf einen Wagen, der sich bereits in rasender konjunktureller Fahrt befand. Daß sie nun diesen Wagen nicht zu Bruch fuhr, sondern ihn langsam auffing und jetzt mehr und mehr unter Kontrolle bringt, ist das Verdienst dieser sozial-liberalen Regierung.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Schulhoff: Eine kühne Behauptung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Gestatten Sie mir ein Beispiel. Wenn wir — wovon ich anfangs sprach — uns nicht mehr in einem Binnenmarkt tummeln und wenn sich der selbständige Mittelstand damit abfinden muß, daß sich der Markt europäisiert, internationalisiert, zu einem offenen Weltmarkt wird, müssen wir auch in unserer Strategie zu neuen Überlegungen kommen. Es nützt nichts, daß die Unternehmen der mittelständischen Wirtschaft dieses, ich möchte einmal sagen, Weltmeer mit kleinen Binnenbooten befahren, die mit einem Hilfsmotor — aus Subventionen; das kann man natürlich in der Steuergesetzgebung tun — betrieben werden, sondern wir helfen Ihnen nur, wenn wir ihre Boote verstärken, wenn wir sie dazu bringen, andere Schiffsplanken einzusetzen, größere Segel zu setzen, d. h. ihre Produktivität zu steigern.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Genau auf diese Zielsetzung müssen alle Maßnahmen, die die Bundesregierung in dieser Situation im Rahmen ihres Strukturprogramms trifft, ausgerichtet sein.
Bitte betrachten Sie diese Entwicklung doch auch als positiv. Seit 1958, seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft, hat sich der Binnenhandel dieser Gemeinschaft um das Fünffache gesteigert. Nur so ist doch unser Wirtschaftswachstum — global gesehen — zu erklären, und jeder ist Nutznießer dieser Entwicklung.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion sagt ja zur Politik dieser Regierung im Interesse des selbständigen Mittelstandes. Diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt und unter Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller ist der beste Garant des selbständigen Mittelstandes. Aber das, meine Damen und Herren von der Opposition, paßt Ihnen natürlich nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615601200
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Kienbaum. Für ihn hat die Fraktion der FDP eine Redezeit von 40 Minuten beantragt.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Schulhoff: Na, wenn er was Gescheites sagt!)


Gerhard Kienbaum (FDP):
Rede ID: ID0615601300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedauere die einleitende Feststellung treffen zu müssen, daß die Große Anfrage der CDU/CSU am Kern der Probleme des selbständigen Mittelstandes vorbeigeht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Die Antwort!)

Nun haben Sie doch Geduld.

(Abg. Dr. Jobst: Die Antwort geht am Kern der Probleme vorbei! — Zuruf von der CDU/CSU: Er hat ja 40 Minuten Zeit!)

Die Große Anfrage hat diesen Kern deshalb nicht getroffen, weil sie sich, wie mir scheint, zunächst mit einem Teilbereich beschäftigt, mit Belastungen, die gegenüber einer zurückliegenden Periode, und zwar für alle Unternehmen und nicht nur für die mittelständischen, sichtbar geworden sind, und weil sie sich allzusehr mit der Frage beschäftigt, ob die Veränderungssätze dieser Belastungen 2,3 oder 4,6 oder auch 5,7 % ausmachen. Insbesondere in einer hochindustrialisierten Wirtschaft — sicher aber auch in einer in der Entwicklung sich befindenden Wirtschaft — ist das Entscheidende, was von Unternehmern, gleichgültig ob sie groß oder klein sind, erwartet wird, daß sie einen Beitrag zum Fortschritt leisten durch ihre Fähigkeit, neue Kombinationen in einer sich stets verändernden Wirtschaftslandschaft zu entwickeln, und zwar zunächst einmal unabhängig davon, wie die äußeren Randbedingungen der Binnenwirtschaft oder der Außenwirtschaft aussehen.
Das Problem für die kleinen und mittleren Selbständigen ist ihre Befähigung zur Bewältigung der Flut von Veränderungen, die ständig über uns hereinbrechen.

(Abg. Lampersbach: Richtig!)

Das sind Veränderungen, die nur zu einem sehr bescheidenden Teil durch die politischen Maßnahmen, insbesondere die Maßnahmen in Bonn und in jüngster Zeit auch die Entscheidungen in Brüssel, beeinflußt werden, und die nur zum Teil konjunkturelle und nur zu einem sehr geringen Teil sozialpolitische Belange betreffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

Das Problem lautet, sich passiv auf diese Veränderungen durch Anpassung einstellen zu können, es lautet allerdings auch, die Befähigung zu besitzen oder zu entfalten, aktiv selbst solche Veränderungen einzuleiten.

(Abg. Lampersbach: Einverstanden!)

Nur in diesem Zusammenhang können die von der CDU/CSU vorgebrachten Fragestellungen als Teilkomplex eingeordnet werden. Die Folgerung daraus aber ist, daß Lösungen dieses Kernproblems nicht
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Kienbaum
— das sollten wir in den vergangenen 25 Jahren gelernt haben - über ein noch so fein gesponnenes Netz von Schutzmaßnahmen für eben diesen Mittelstand möglich sind, sondern daß die Lösungschance ausschließlich in dem Bemühen um die Förderung der Befähigung dieser immer noch über 2 Millionen selbständigen, Risiko in ihre Berufstätigkeit einbringenden, kleinen und mittelgroßen Unternehmer liegt.
Von wem reden wir? Es ist meines Erachtens notwendig, das einmal kurz in diese Debatte einzublenden. Wir reden z. B. beim Handwerk vom dienstleistenden Friseur, der ganz geringe Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung besitzt, wir reden zu gleicher Zeit aber auch von solchen Handwerkern, bei denen der Einsatz von Kapital über technische Anlagen durchaus eine Steigerung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit zur Folge hat. Das gilt insbesondere in den Handwerksbereichen, die produktiv zum Hoch- und Tiefbau beitragen. Wir reden auch vom Handel, ob er sich mit Feinkostgüterangebot oder mit der Innenausstattung von Wohnungen und Gebäuden, mit dem Haushaltsund Eisenwarenverkauf beschäftigt; an die modische Bekleidung will ich im Augenblich gar nicht erinnern. Dazu gehören auch die Händler für arbeitserleichternde Geräte für die Hausfrau, z. B. die Elektrogerätehändler. Bei allen handelt es sich um unterschiedliche Aufgabenstellungen mit ständig sich verändernden Randbedingungen und mit einem wachsenden Bedürfnis, sich auf die Nachfrage der jeweiligen Zielgruppen einzustellen.
Daneben reden wir, wenn wir vom Mittelstand der selbständig Tätigen sprechen, auch von den kleineren Betrieben der Industrie, z. B. von den Industriebetrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern. Dabei denke ich an den Bauunternehmer in meiner Heimat, der wegen der Klimalage, wegen der geologischen Situation nicht in gleicher Weise das ganze Jahr über arbeiten kann und mit anderen Belastungen zu rechnen, sich aber in der Kombination seines Leistungsangebots dieser Situation zu stellen hat und der nur dann, wenn er fähig ist, sie zu bewältigen, unabhängig von den Belastungen, Berechtigung hat, seine selbständige Unternehmenstätigkeit aufrechtzuerhalten. Ich denke an den Spezialisten für die Produktion chirurgischer Instrumente, z. B. in Tuttlingen, mit 95 % Exportanteil und an seine Probleme, die sich durch Veränderungen auf dem Weltmarkt ergeben, z. B. durch die 10%ge Importbelastung, verkündet durch den amerikanischen Präsidenten am 15. August dieses Jahres, mit denen er sich herumschlagen muß. Ihm und seinen drei oder vier Mitarbeiter umfassenden Betrieb steht grundsätzlich aus der Globaltätigkeit politischer Akteure, zu denen wir ja rechnen, überhaupt keine Lösung ins Haus.

(Abg. Schulhoff: Wie wollen Sie dem helfen? Nur durch eine neue Regierung?)

— Ich würde dann vorschlagen, daß Herr Schulhoff in dieser Regierung das Amt für Hilfe für diese Unternehmen übernimmt.

(Abg. Lampersbach: Sehr guter Vorschlag!)

Ich denke an den Entwicklungsbetrieb für Elektronik, der neue Applikationen und Lösungen für den Einsatz dieser neuen Technologie ermöglicht. Ich denke an den Gastronomen im Harz, der ein anderes Leistungspaket anbieten muß, damit er im Bereich der Naherholung eine entsprechende Nachfrage erreicht. Ich denke aber auch an das Druckunternehmen in Friesland, das plötzlich vor der Situation steht, mit einer veränderten Technologie, mit einem bislang überhaupt nicht dagewesenen Investitionsrisiko fertig werden zu müssen, damit dem Änderungsimpuls in seinem Wirtschaftszweig entsprochen werden kann.
Ich glaube, ich habe mit diesen Beipielen genügend deutlich gemacht, wie differenziert die Problematik und damit die Einzelaufgabenstellung für ein Unternehmen mit drei oder fünf, mit fünfzig, hundert oder gar fünfhundert Mitarbeitern ist.
Es lohnt sich doch wohl die Frage, was denn das gemeinsame Kennzeichen für alle diese Selbständigen ist. Gibt es überhaupt bei der Differenzierung und bei der Zunahme der Differenzierung ein solches gemeinsames Kennzeichen? Ich meine, man kann diese Frage mit Ja beantworten. Das Kennzeichen, das ich in über zwei Jahrzehnte währender Beschäftigung mit diesem Thema — ich will nicht sagen entdeckt — festgestellt habe, ist, daß die Inhaber dieser Unternehmen fast alle einseitig als Experten und Fachleute eines bestimmten Tätigkeitsbereichs ausgebildet sind. Das gilt für die Handwerker wie für die Handelsunternehmer, aber auch für die Industriellen. Fast jeder dieser Selbständigen, von denen wir heute sprechen, hat seine Berufsausbildung auf dieses Fach, auf die Facherfahrungen und Fachkenntnisse angelegt und hat diese Kenntnisse in seiner selbständigen Tätigkeit weiterhin als die vorrangige Aufgabe angesehen. Er arbeitet in der Regel selber in diesem Unternehmen und wiederum in seinem Fach. In der Regel ist er aber nicht darauf vorbereitet — und das ist das Kernstück aller Probleme mittelständischer Selbstständigkeit —, z. B. Verwaltungsaufgaben, für seine Aufgabenstellung zugeschnitten, zu erledigen oder zu gestalten. Er hat selten etwas von aggressivem Marketing gehört und erst recht keine praktischen Erfahrungen damit gesammelt. Er kann einfach aus zeitlichen Gründen die Vielfalt der Beschaffungsmärkte und ihre Ausweitung in der Regel nicht beobachten, ganz zu schweigen von den hier dauernd angeführten und schon immer in den Programmen der Mittelstandsförderung enthaltenen Finanzierungsproblemen. Er ist in der Regel gar nicht in der Lage, die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten, die schon heute geboten werden, miteinander zu vergleichen und abzuwägen, was für ihn richtig ist. Steuerauswirkungen im voraus zu berücksichtigen ist fast ausgeschlossen, schon deshalb, weil unsere Steuergesetzgebung viel zu kompliziert ist.

(Abg. Schulhoff: Die Berater sind zu teuer!)

— Ja, da müssen Sie mal in Ihrer Kammer nachfragen.

(Heiterkeit.)

Das Problem, Veränderungen des Marktes, in dem
noch mehr Unwägbarkeiten enthalten sind, voraus-
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Kienbaum
schauend zu begegnen, erscheint vielfach unlösbar, und neue Organisationsformen etwa selbst einzuführen, übersteigt seine eigenen zeitlichen Einsatz- und die Verwertung seiner Ausbildungsmöglichkeiten.
Wie ist, wenn diese Betrachtung, die natürlich noch vertieft und verbreitert werden könnte, und meine Bewertungen richtig sind, die Chance für eine Problembewältigung zu bewerten? Wie sind die Grenzen für eine solche Problembewältigung anzusetzen? Es ist zunächst notwendig, festzustellen — und darüber geben auch eine Reihe von Untersuchungen, die das Ministerium in der jüngsten Zeit in Auftrag gegeben hat und deren erste Ergebnisse vorliegen, bereits Auskunft —, in welchem Umfang diese Flut von Anforderungen denn eigentlich bewältigt wird. Das Urteil ist leider nicht sehr ermutigend. Es wird von den verschiedensten Betrachtungsstandorten aus einhellig festgestellt, daß die Anforderungen von der Mehrzahl der über 2 Millionen Selbständigen derzeit nicht bewältigt werden. Welche Anforderungen speziell nicht? Anforderungen, die in einer modernen und differenzierten Leistungsgesellschaft einfach zum Tagesgeschäft dazugehören. Da wird erwähnt der Mangel an Erfolgsplanung, der Mangel an Bereitschaft zur Veränderung des eigenen Leistungsprogramms im Anpassungswege, das zeitweilige völlige Fehlen von Finanzpositionen, das Fehlen von Marketing, Unterlassen von Verwaltungsstraffung, ganz zu schweigen von Konkurrenzbeobachtung. Überall leuchtet durch die Bestandsaufnahme durch: Information und Erkenntnisse fehlen, erst recht aber deren Nutzung.
Wo liegen also nach einer solchen Analyse, deren Richtigkeit bis heute von keiner Seite angezweifelt wird, die Chancen zur Problembewältigung? Offensichtlich doch wohl zunächst einmal im Schließen von Lücken der Information, des Wissens, der Erkenntnisse, und zwar nicht auf dem ursprünglichen Fachgebiet, sondern in den Bereichen, in denen sich der Unternehmer zusätzlich zu seiner Fachausbildung befähigen und ausbilden muß. Das Schließen von Lücken kann aber nicht bei Wissen und Erkenntnissen enden, sondern muß die Befähigung einschließen, solche Erkenntnisse auch umzusetzen und damit flexible Anpassung an Veränderungen im Markt zu ermöglichen.
Bei Umstellungen gilt es, Chancen zu nutzen. Auch hier bedarf der kleine und mittlere Selbständige der Unterstützung. Er ist nicht in der Lage, im Falle einer Stadtsanierung die Aufgabe etwa nur durch eigene Leistung, durch Einsatz eigenen Vermögens zu bewältigen, genauso wenig wie bei der Eröffnung einer unternehmerischen selbständigen Aktivität in einer neuen Siedlung. Deshalb ist das Gewähren von Starthilfen wie in der Vergangenheit sicher weiterhin erforderlich, jedoch mit einer veränderten Zielsetzung.
Chancen, die in der CDU/CSU-Anfrage überhaupt nicht angesprochen wurden, liegen, so will mir scheinen, in der unternehmerischen Nutzung von Arbeitsteilung und Kooperation sowie in ihrer bewußten Förderung, über deren Ausgestaltung allerdings noch zu sprechen sein wird. Chancen liegen schließlich in der Steigerung des Angebots an neuen Lösungen, die der kleine und mittlere Selbständige in der Regel nicht selbst von Grund auf entwickeln kann, sondern wo das Nebenprodukt der Forschung, der staatlich geförderten Entwicklung für ihn nutzbar gemacht werden kann, d. h. zugriffsbereit, dokumentiert und abrufbar gehalten werden müßte. Gemeint ist also eine Steigerung des Angebots in der Technologie, in neuer Organisation und in anderen Bündelungen von Leistungspaketen. Ich darf hier als Beispiel erwähnen, daß es einfach notwendig ist, solche Nebenergebnisse aus den vielfachen Forschungs-und Entwicklungsförderungen des Staates aufzuspüren, zu sammeln, zu dokumentieren, aber auch das Ergebnis im Markt zu präsentieren und dafür zu werben.
Ich will das letzte Paket der Chancen nicht unerwähnt lassen: die Vermehrung der praxisbezogenen — ich wiederhole: der praxisbezogenen — Aus- und Weiterbildung. Ich spreche hier ausdrücklich nicht die berufliche Grundausbildung an; dazu wird ein Kollege speziell Stellung nehmen.

(Abg. Stücklen: Wer?)

Die Darstellung von Chancen ließe sich beliebig ausbauen. Ich verzichte darauf, will aber statt dessen die Frage stellen: Welchen Beitrag kann zur Nutzung dieser Chancen die Politik, insbesondere die Wirtschaftspolitik in Bonn, bieten? Welchen Beitrag kann sie bei der Analyse und welchen bei der Therapie bieten? Die von der Bundesregierung vorgelegten Papiere, insbesondere das Papier, das die Grundsätze und Richtlinien umreißt, schaffen mit wiederkehrender Ergänzung und Überarbeitung — das ist in dem Papier ausdrücklich als Methode dargelegt worden — Transparenz sowohl für die Situation wie für den in der Kette der Jahre sichtbar werdenden Trend. Es sollte die Möglichkeit geschaffen und genutzt werden, so wie es die Untersuchungen ungeschminkt zum Ausdruck bringen, auch die Schwächen in Situation und Trend der kleinen und mittleren Selbständigen aufzudecken. Damit wird niemand beleidigt; es gibt dabei kein Tabu zu zerstören. Die wiederholte Überarbeitung allerdings, meine Damen und Herren, ist das entscheidende systematische Element. Eine einmalige Momentaufnahme reicht nicht aus. Sie bietet den Politikern auch nicht die ausreichende Möglichkeit, eingeleitete Maßnahmen in Richtung und Stärke zu verändern und zu berichtigen.
Lassen Sie mich ein Drittes feststellen. Zur Analyse gehört auch die regelmäßige Veröffentlichung in einer Sprache, die es ermöglicht, daß die betroffenen kleinen und mittleren Selbständigen das, was in Untersuchungen und Bewertungen ausgesagt wird, verstehen sowie ihre Ansatzpunkte und Möglichkeiten erkennen können.
Der Beitrag der Politik zur Therapie kann nur — das wird wohl auch hier im Hause von keiner Seite bestritten — in einer Hilfe zur Selbsthilfe bestehen. Deshalb war das Festlegen von Grundsätzen und Richtlinien notwendig, nachdem bis zu diesem Zeitpunkt eine Fülle von Einzelmaßnahmen unkoordiniert nebeneinander entwickelt worden sind und nachdem dadurch ein Zugehen auf das Ziel einer
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8995
Kienbaum
Kontrolle der Ergebnisse und der Erfolge bislang nicht möglich war.
Der Beitrag der Politik zur Therapie muß sich natürlich auch in Aktionen niederschlagen. Lassen Sie mich hier die Frage aufwerfen, ob beispielsweise der Bund in der Lage sein kann und jemals in der Lage sein wird, das ganze Volumen der hier dargestellten Aufgaben durch eigene Maßnahmen zu bewältigen oder auch nur die geldliche Unterstützung in ausreichendem Umfange zu bieten. Ich halte das für ausgeschlossen und sehe deshalb die Aufgabe der Politik, insbesondere die des Bundes, darin, Beispielprojekte zu fordern, an diesen Beispielprojekten durch eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit die Möglichkeiten positiver Ergebnisse herauszustellen und mit dieser Öffentlichkeitsarbeit auch die zwei Millionen, die als Selbständige Verantwortung und Risiko tragen, aber auch ihre Mitarbeiter und möglicherweise sogar die Teile der Bevölkerung, die zu diesen zwei Millionen in einer engeren Beziehung stehen, davon zu überzeugen, daß vielfältige Chancen da sind. Und ich darf Ihnen aus meiner Beurteilung und Kenntnis sagen: diese Chancen sind gewachsen. Sie sind insbesondere gewachsen, seit wir das Mehrwertsteuersystem an die Stelle der Allphasen-Umsatzsteuer gesetzt haben. Seitdem gibt es die Chance einer Renaissance für die Selbständigen in kleinen und mittleren Unternehmensgrößen.

(Beifall auf allen Seiten.)

Ich darf nicht verschweigen, meine Damen und Herren, daß zu den Aktionen — von der Politik her gesehen — natürlich auch die Motivation der zwei Millionen Selbständigen und ihrer Mitarbeiter gehört. Es darf nicht unwidersprochen bleiben, wenn in unserer gesellschaftspolitischen Diskussion die Leistungsbereitschaft und die Leistungsgesellschaft als Grundprinzipien unseres Zusammenlebens in Frage gestellt werden.

(Erneuter Beifall.)

Daß muß auch in diesem Plenum zum Ausdruck gebracht werden, damit Gruppen, die außerhalb des Parlaments Widerstand gegen diese Grundlagen der Ausgestaltung unserer Gesellschaft leisten, ja diese Gesellschaft unterminieren wollen, deutlich wissen: hier gibt es ein Parlament, daß diese Grundfesten nicht erschüttern läßt.

(Beifall.)

Was aber heißt das in der Praxis? Das heißt auch, daß die Politik in Bonn die Motivation so verstehen muß, daß die Grenzen der erwarteten Belastungen definiert werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Deshalb widersprechen die Freien Demokraten mit Nachdruck Überlegungen, die es unsinnig erscheinen lassen, noch eigene Leistungsbereitschaft und eigenes Engagement in wirtschaftlich selbständige Tätigkeit zu stecken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Und von diesen Äußerungen gibt es ja leider in der jüngsten Zeit mehr als genug.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Gewandt: Sie schauen immer in die falsche Richtung, Herr Kollege! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

— Herr Gewandt, Sie haben offenbar nicht genau bemerkt, daß ich als alter Handballspieler mit meinem Blick immer das ganze Spielfeld überstreiche.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) Der Ball kann ja auch von dort kommen.


(Heiterkeit in der Mitte. — Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das auch Herrn Maihofer?)

— Selbstverständlich! Der ist hier nur jetzt nicht betroffen.

(Zuruf von der SPD: Nur nicht schielen dabei!)

— Wenn einer ein Weitwinkelobjektiv hat, ist das nicht nötig.

(Heiterkeit. — Abg. Lampersbach: Das war ein Hattrick von Herrn Scheu!)

Darf ich nadi diesen Feststellungen über die Möglichkeiten eines Beitrags zur Politik zu den Folgerungen kommen. Bei der Erörterung von Situationen und Trendentwicklungen, gleichgültig, auf welchem Gebiet, darf, wie mir scheint, nie vergessen werden, die Klärung der Größenordnungen mit in das Gespräch einzuführen. Dazu ist es erforderlich, bei der Politik für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere bei der Strukturpolitik, von der Zahl der betroffenen selbständigen Unternehmen auszugehen. Über 2 Millionen Unternehmen gehören zu diesem Bereich. Das ist der weit überwiegende Teil der Unternehmen in der Bundesrepublik überhaupt. Damit kein falscher Eindruck entsteht oder kein leicht widerlegbares Gegenargument Gewicht gewinnt, will ich hinzufügen, wie es um die Zahl der betroffenen unselbständig Beschäftigten bestellt ist. Hier sind, da es sich nicht nur um die Industrie, sondern auch um Handel, Handwerk und zusätzlich um die Dienstleistungen handelt, weit mehr als zwei Drittel der unselbständig Beschäftigten in der Bundesrepublik betroffen, d. h. der entscheidende Wertschöpfungsfaktor, den unsere Volkswirtschaft besitzt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Daher ist, wenn ich die Größenordnungen zu klären versuche, schon von der Zahl her gesehen das Schwergewicht der wirtschaftspolitischen Bemühungen eindeutig hier anzusetzen.
Es gibt einen zweiten Grund dafür, warum das notwendig ist; ich meine das Tempo und das Ausmaß oder, anders ausgedrückt, den Umfang der Änderungen, die sich tagtäglich vollziehen. Tempo und Ausmaß der Änderungen sind, insbesondere nach dem letzten Krieg, von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen. Damit wächst auch der Anforderungspegel an jeden, der in einer solchen wirtschaftlichen Aktivität Verantwortung
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trägt, vor allem an diejenigen, die sich mit eigenem Risiko, nämlich mit eigenem Geld, mit der eigenen Existenz, in diesem Geschäft engagiert haben.
Wenn Sie mir in dieser Betrachtung zustimmen, werden Sie mir, wie ich hoffe, auch darin folgen, daß es angesichts dieser Fesstellungen zwingend erforderlich war, zugleich auch zu klären, wie die realen Erfolgsgrößen, d. h. die Erfolge und Ergebnisse der bisherigen politischen Bemühungen zur Förderung kleiner und mittlerer Selbständiger, aussehen.

(Abg. Gewandt: Kosten-Nutzen-Analyse!)

— Das haben Sie wunderbar formuliert. Aber ich lege Wert darauf, daß man das auch draußen versteht. Deshalb darf ich sagen: ich möchte klären, wie das, was in den letzten 20 Jahren an Mittelstandspolitik betrieben worden ist, aussieht. Ich selbst war in diesem Geschäft viereinhalb Jahre lang sozusagen mit dem Namen im Firmenschild, als Mittelstandsminister in Düsseldorf, tätig. Meine Feststellung: Die Erfolge sind weder qualitativ noch quantitativ ausreichend. Das muß klar gesehen werden. Dabei hat sicherlich der Umstand eine Rolle gespielt, daß die verschiedenen Teilmaßnahmen nicht aufeinander abgestimmt und integriert waren. Es hat allerdings auch eine Rolle gespielt, daß wir über die tatsächliche Situation nicht genug wußten. Aus diesem Grunde ist es zu begrüßen, daß nach zeitweilig starkem Drängen — dazu hat auch der Wirtschaftsausschuß einiges beigetragen — Untersuchungen zur Aufhellung der Tatbestände, zur Schaffung größerer Transparenz, durchgeführt worden sind.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Dennoch bleibt es bei der Feststellung, daß die Erfolge bisher eingesetzter Ressourcen — Geld und Menschen — qualitativ und quantitativ unzureichend sind. Daher sind neue Wege erforderlich. Ich begrüße es, daß mit den Vorlagen der Bundesregierung in jedem Fall die Möglichkeit besteht, von einer anderen Wissenplattform ausgehend, die für die Zukunft notwendige Schritte zu definieren.
Noch einmal darf ich daher feststellen: die Kombination von Maßnahmen und deren Integration ist das, was für die Zukunft zwingend geboten ist. Einzelmaßnahmen, mögen sie lauten wie immer sie wollen, auf sozialpolitischem, auf steuerpolitischem, möglicherweise auf dem Gebiet der Investitionshilfe, reichen, wie die jetzt vorliegenden Untersuchungen eindeutig bewiesen haben, nicht aus.
Lassen Sie mich deshalb noch ein wenig Zeit darauf verwenden, einen Vergleich zwischen Aufgaben und Maßnahmen zu ziehen. Die bisherige Aufgabenstellung ist durch die neuen Erkenntnisse berichtigt. Wir wissen, daß ein größeres Problemvolumen dahintersteckt und die bisherigen politischen Maßnahmen daher der Aufgabenstellung nicht ausgeglichen gegenüberstehen. Eine Verstärkung der Maßnahmen und — ich wiederhole es — eine Verbesserung der Motivation ist dringlich.
Meine Damen und Herren, wenn das alles richtig ist, kommen wir allesamt in diesem Parlament und insbesondere jene Ausschüsse, die sich von der Aufgabe her mit diesem Problemkreis zu beschäftigen haben, nicht daran vorbei, uns darüber auseinanderzusetzen, welche Stelle diese Aufgabe im Vergleich zu anderen wichtigen Aufgaben, denen sich das Parlament gegenübersieht, in der Rangfolge erhält. Ich habe einige Fragen zur Änderung dieser Rangfolge. Sie sind nicht etwa demagogisch oder etwa mit dem Ziel gestellt, niemals eine Antwort zu bekommen. Ich habe die Frage, ob wir uns zusätzliche Mittel — die Größenordnungen sind im Vergleich zur Größe des Bundeshaushalts im Grunde ganz bescheiden — für entsprechende Maßnahmen z. B. dadurch beschaffen können, daß wir wirklich entschlossen an den Abbau von Subventionen auf den verschiedenen Gebieten gehen. Ich habe weiter die Frage zu stellen — es gibt nämlich noch andere Quellen , ob wir nicht auch mehr Mittel durch Verzicht auf die Vergütungsexplosion im öffentlichen Dienst oder durch einen Teilabstrich in diesem Bereich erhalten könnten,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU.)

Mir scheint, hier sind zwei bedeutende Reservequellen angesprochen, und wir sollten uns im Verlaufe der Haushaltsberatungen darüber unterhalten, ob uns nicht ein weniges weniger auf den beiden genannten Gebieten die Chance zur Ausschöpfung von bedeutenden Reserven zur Steigerung der Produktivität und Stärkung des Angebots schaffen könnte.
Ich möchte zusammenfassen und stelle fest: Es kann in diesem Hause und draußen überhaupt niemanden geben, der die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen überschätzen könnte. Ich habe soeben die Zahlen der Selbständigen und ihrer Mitarbeiter erwähnt. Ich bin oft genug an dieser Stelle mit dem Hinweis aufgetreten, daß gerade kleine und mittlere Unternehmen angesichts der vermehrten Möglichkeiten zur Arbeitsteilung durch die Mehrwertsteuer einen bedeutenden Beitrag zur Innovation und zum Fortschritt leisten. Daß die große Zahl der Beschäftigten den entscheidenden Beitrag zum volkswirtschaftlichen Ertrag leistet, daß in diesem Falle die Zahl der kleinen und mittleren Selbständigen immer wieder zum hohen Beschäftigungsstand unserer Volkswirtschaft entscheidend beitragen muß und daß sie schließlich vom Gewicht her auch den entscheidenden Beitrag zum Wachstum leistet, ist so klar bewiesen, wie mir scheint, daß eine detaillierende Begründung überflüssig ist. Damit aber ist wiederholt dargestellt, welches das Problem ist :die Befähigung zu steigern, und zwar durch ein sich gegenseitig ergänzendes und unterstützen-das Paket von Einzelmaßnahmen mittels politischer Willensbildung und politischer Aktionen.
Ich habe die Chancen der Bewältigung an Beispielen aufzuzeigen versucht. Es verbleibt mir, nochmals darauf hinzuweisen, daß die Voraussetzung allerdings der Wettbewerb ist, die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, die Schaffung von Wettbewerb dort, wo er nicht in ausreichendem Maße existieren sollte.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8997

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615601400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten van Delden?

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0615601500
Herr Kollege Kienbaum, würden Sie mir zustimmen, daß es den Bund nichts kosten würde, wenn wir beispielsweise bei der Beratung .der Kartellnovelle die Mißbrauchsaufsicht etwa bei der Versicherungswirtschaft oder die Nachfragemacht der großen Konzerne — alles Dinge, die den Mittelstand berühren — in die Beratungen einbezögen? Wenn ja, liege ich richtig in der Annahme, daß gerade Ihre Fraktion die Mißbrauchsaufsicht bei der Versicherungswirtschaft aus dem ursprünglichen Referentenentwurf gestrichen haben wollte?

Gerhard Kienbaum (FDP):
Rede ID: ID0615601600
Ich bin nicht in der Lage, Ihnen in der Formulierung zuzustimmen, die Sie jetzt gerade in Ihrer Frage verwendet haben. Ich bin bereit und als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses auch gehalten, jede Frage, die in Verbindung mit der Beratung des Gesetzentwurfs von Ihnen aufgeworfen wird, zu behandeln. Ich bin allerdings nicht wie Sie der Auffassung, daß eine Novellierung des Kartellgesetzes unter dem Gesichtspunkt entgegengesetzter Interessenlagen von verschiedenen Größenstrukturen zu sehen ist, sondern ich meine, sie ist unter der vorrangigen Interessenlage zu sehen, welchen Nutzen der Wettbewerb überhaupt bringt und welchen Nutzen der Verbraucher als der Hauptbeteiligte unserer Wirtschaft davon ziehen kann.

(Abg. van Delden: Darum geht es!)

— Bitte stellen Sie, da wir ja heute nachmittag anfangen, die entsprechenden Fragen. Wir werden sicher ausreichend Zeit haben, möglicherweise in Sondersitzungen, diese Themen zu behandeln.
Ich hatte gerade das Thema der Voraussetzungen für alle diese Bemühungen mit der Feststellung abgeschlossen, daß die Voraussetzung der Wettbewerb ist, Schaffung von Wettbewerb, wo er nicht existiert, ausreichende Verschärfung des Wettbewerbs, wo eine Beschränkung vorliegt.
Deshalb darf ich abschließend auf das Gesetz, das uns nun in der nächsten Zeit besonders beschäftigen wird, eingehen, hier allerdings mit dem Ziel, herauszustellen, daß es uns darauf ankommt, kleinere und mittlere Selbständige in ihrer Wettbewerbsposition zu stärken. Die Möglichkeit dazu gibt die Behandlung eines der drei Schwerpunkte dieses Gesetzes, der Verbesserung von Kooperationsmöglichkeiten; denn diese, meine Damen und Herren, werden sowohl den Wettbewerb dort, wo er nicht ausreichend sein sollte, verschärfen als auch die Möglichkeit bieten, die unternehmerischen Kombinationsfähigkeiten, die unternehmerische Leistungsfähigkeit und das Engagement kleiner und mittlerer Selbständiger zu steigern und ihren Ertrag zu verbessern.
Lassen Sie mich zum Abschluß feststellen: wir werden als Parlament nach dieser Debatte mit dem richtiggestellten Programm gegenüber Unzulänglichkeiten vergangener Bemühungen zu handeln haben. Ich sehe als Parlamentarier meine Aufgabe darin, die Regierung zu einer Vorwärtsstrategie anzuregen. Dabei, so will ich hoffen, wird die heutige Debatte helfen. Allerdings sehe ich meine Aufgabe zusätzlich darin — damit folge ich Ihnen, Herr Gewandt —, die Ergebnisse in angemessenen Zeitabständen zu kontrollieren, aus ungenügenden Ergebnissen dann allerdings Folgerungen zu ziehen und mit berichtigtem Kurs erneut zu handeln.

(Beifall bei allen Fraktionen.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0615601700
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort in der Aussprache weitergebe, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Geschäftslage folgendermaßen aussieht. Wir haben zur Zeit noch zehn weitere Wortmeldungen. Die ursprüngliche Absicht, bis 13 Uhr fertig zu werden, werden wir kaum verwirklichen können; es müßte dann morgen früh weitergehen. Ich möchte nur bitten, daß man sich darauf einstellt.
Vielleicht gelingt es, daß wir uns in der Redezeit sehr knapp fassen. Die bisherigen ersten Sprecher der Fraktionen sind alle unter ihrer Redezeit geblieben. Ich glaube, Sie gehen mit mir darin einig, daß wir versuchen wollen, alle weiteren Redner mit 15 Minuten anzusetzen. Wenn Sie etwas überziehen — das ist eine zweite Frage —, dann sind wir großzügig. Eine einzige Wortmeldung mit längerer Redezeit ist für den Herrn der CDU/CSU beantragt worden, der den Punkt 3 begründet. Nur dort ist eine längere Redezeit von 30 Minuten beantragt worden, bei zwei anderen von 20 Minuten; die Herren wissen, um wen es sich handelt. Meine Bitte geht dahin, auch in diesen Fällen eine Redezeit von 15 Minuten einzuhalten.
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Engelsberger.

Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID0615601800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU — und der Sprecher der SPD hat sich dem angeschlossen — ein so rosiges Bild vom deutschen Mittelstand gemalt, daß man glauben könnte, daß in dieser wichtigen Wirtschaftsgruppe alles zum Besten stünde, man könnte sogar meinen, unter dieser Bundesregierung wäre für den Mittelstand ein goldenes Zeitalter angebrochen. Der Sprecher der FDP hat sich hierzu sehr viel differenzierter ausgedrückt, und aus unserem Beifall war zu erkennen, daß er mit der Antwort der Bundesregierung nicht in allem einverstanden war und daß er insbesondere die Zukunftsaussichten für den deutschen Mittelstand wesentlich skeptischer beurteilt.
Der deutsche Mittelstand ist nicht nur durch die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entwicklung in der Bundesrepublik verunsichert. Nicht nur die hohen Preissteigerungen, die Kostenexplosion in den Betrieben und eine mögliche bevorstehende Stagflation haben den Mittelstand verunsichert. Es sind vor allen Dingen Wurzeln, die tiefer liegen, die den Mittelstand zu dieser Skepsis veranlassen.
8998 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Engelsberger
Stimmen aus einer bestimmten Ecke der Regierungsparteien, die die Umwandlung unserer bewährten und leistungsfähigen sozialen Marktwirtschaft in eine sozialistische Gemeinwirtschaft fordern, müssen den Leistungswillen der mittelständischen Unternehmer beeinträchtigen, auch wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort zur Großen Anfrage ein Bekenntnis zu unserer marktwirtschaftlichen Ordnung ablegt. In der Antwort auf die Frage II. C.1 heißt es unter anderem—ich zitiere —:
Die Bundesregierung hält es aus wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gründen für notwendig, daß unsere Volkswirtschaft eine ausgewogene Struktur von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben aufweist. Sie ist der Auffassung, daß die Fortentwicklung unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung u. a. dadurch sicherzustellen ist, daß der Zugang zu den Märkten für eine große Zahl von Selbständigen offengehalten wird. Voraussetzung hierfür ist, daß die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen erhalten bleibt.
In der Einleitung zur Antwort auf die Große Anfrage wird das Bekenntnis der Bundesregierung zur marktwirtschaftlichen Ordnung als eine unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende mittelständische Wirtschaft wiederholt.
Diese Aussagen sind zu begrüßen. Wir müssen aber die Frage stellen, ob dieses Bekenntnis der Bundesregierung zu unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht bloß ein Lippenbekenntnis darstellt und die Möglichkeit eines Widerrufs beinhaltet. So hat der Sonderparteitag der SPD den deutschen Mittelstand insgesamt aufhorchen lassen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Was eine Mehrheit der Delegierten an Forderungen und Zielen hinsichtlich der Steuerreform zum Ausdruck gebracht hat, muß den Eindruck verstärken, daß unsere marktwirtschaftliche Ordnung in Gefahr ist, wenn diese Ziele durchgesetzt werden könnten, nämlich dann, wenn dieser Partei 1973 ein Wahlsieg beschieden sein sollte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Nur mit einer dünnen Mehrheit und unter Hinweis darauf, daß es doch gelte, an die Bundestagswahl 1973 zu denken, konnten Parteitagsbeschlüsse verhindert werden, die durch noch exorbitantere Steuererhöhungen der Funktionsfähigkeit unserer Marktwirtschaft ein schnelles Ende bescheren würden.
Nach den sogenannten Eckwertbeschlüssen der Bundesregierung wird die Ertragsteuer auf 56 % erhöht. Der Parteitag der SPD hat 60 % beschlossen, wodurch in Verbindung mit erhöhter Vermögenbesteuerung, steigender Gewerbesteuer und einer Anhebung der Einheitswerte eine Gesamtbelastung des erwirtschafteten Gewinns — in der Spitze — von zwischen 80 und 85 % erreicht werden würde. Würde dann den größeren Unternehmen noch eine nicht abzugsfähige Vermögensbildungsabgabe in Höhe von 10 % des steuerpflichtigen Gewinns aufgebürdet, so würde sich die Gesamtbelastung des
Gewinns auf etwa 90 % belaufen. Wenn das Unternehmen die Abgabe in Geld leistet — und das würde für die mittelständischen Kapitalgesellschaften typisch sein —, müßte man mit einer Gesamtsteuerlast in dieser Größenordnung rechnen. Besonders deutlich wird dabei der rasche prozentuale Anstieg der Gesamtsteuerlast bei rückläufiger Ertragsentwicklung, was auf den konstanten Anteil der nicht gewinnabhängigen Steuern zurückzuführen ist. Es wäre dann mit einer Mehrbelastung gegenüber dem jetzigen Steuersatz in der Größenordnung von 20 bis 25 % zu rechnen.
Dazu kann man feststellen, daß in all diesen Vorhaben eine eminente Widersprüchlichkeit steckt. Einerseits bemüht sich der Bundeskanzler immer wieder darum, der Bevölkerung und insbesondere den Gewerkschaften Zusicherungen hinsichtlich der Vollbeschäftigung zu geben, ferner propagiert man Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung an Produktivvermögen, und andererseits ist man dabei, die Wirtschaft in einen ertraglosen Zustand zu versetzen. Allen anderen Absichtserklärungen zum Trotz wird weiterhin eine inflationäre öffentliche Ausgabenpolitik betrieben und über die weiter laufende Steigerung der Preise und Lebenshaltungskosten dem vorher so geförderten Sparer der größte Teil seines Vermögenszuwachses wieder abgenommen.
Noch im vergangenen Jahr hieß es im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung:
In der Bundesrepublik hat sich die Marktwirtschaft als grundlegendes wirtschaftspolitisches Ordnungssystem bewährt. Die Bundesregierung wird deshalb im Jahre 1970 die mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz und seiner Anwendung sowie der Modernisierung der Strukturpolitik eingeleitete Reform und Modernisierung der Wirtschaftspolitik durch Maßnahmen zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung fortsetzen.
Heute ist es für den Mittelstand alarmierend, daß solchen Feststellungen kaum mehr Glauben geschenkt werden kann. Im Gegenteil, es scheint alles getan zu werden, damit die Fundamente der Marktwirtschaft und damit letzten Endes auch die Voraussetzungen für die Steigerung des allgemeinen Wohlstandes unterminiert sowie dem Mittelstand wirtschaftlich und finanziell die Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten werden und dann noch zusätzlich die unternehmerische Bewegungsfreiheit durch eine bürokratisch-formalistische Gesetzgebung zur Mitbestimmung über das zulässige und vernünftige Maß hinaus eingeschränkt wird.
Wenn dann die Marktwirtschaft, die in der Effizienz nicht einfach durch Demokratisierung zu ersetzen ist, nicht mehr funktionieren kann, so wird der Grund nicht in einer verfehlten Politik gesucht, sondern man wird lautstark verkünden, daß die soziale Marktwirtschaft ein untaugliches System ist, das durch ein sozialistisches ersetzt werden muß.

(Abg. Stücklen: Die Jusos!)

Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8999
Engelsberger
So schreibt ein bekannter Kolumnist in einer der Bundesregierung nahestehenden Illustrierten am 28. November 1971 — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Ich fürchte, die Krise
— gemeint ist die augenblickliche Wirtschaftskrise —
liegt im System. Es ist eine Krise der Marktwirtschaft, die sich wieder einmal überall ankündigt. Die Marktwirtschaft ist eben doch nicht der Stein der Weisen.

(Abg. Stücklen: Wer hat das gesagt?)

— Das hat Sebastian Haffner im „stern" geschrieben.

(Abg. Stücklen: Ja, das habe ich mir schon gedacht!)

Er kommt zu der Schlußfolgerung — meine Damen und Herren, passen Sie auf —:
Mir scheint, die gegenwärtigen Krisensignale bedeuten, daß es Zeit wird für weniger Marktwirtschaft und mehr Gemeinwirtschaft.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Je schneller wir das begreifen, um so kürzer
und schmerzloser wird der Übergang sein.
Über eine solche Gesinnung braucht man sich nicht zu wundern, wenn man bedenkt, daß bestimmte Massenmedien und politische Gruppen in der Bundesrepublik in immer stärkerem Maße die Gewinne verteufeln, die aus selbständiger Arbeit erzielt werden und die nun einmal für das Funktionieren unserer Marktwirtschaft notwendig sind. Die Unternehmer in Klein-, Mittel- oder Großbetrieben werden pauschal als skrupellose, in Saus und Braus lebende Ausbeuter dargestellt, die nur das eine Ziel hätten, sich auf Kosten anderer Bürger zu bereichern.

(Abg. Stücklen: Das ist Klassenkampf!)

Das Streben nach neuen Marktchancen, nach Umsatz und Gewinn ist jedoch eine der wichtigsten Triebkräfte der unternehmerischen Wirtschaft. Wer daran Anstoß nimmt, hat entscheidende wirtschaftliche Zusammenhänge entweder nicht begriffen oder er zielt bewußt auf die Zerstörung unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man mag das Gewinnstreben, den Motor unseres Wirtschaftssystems, als wenig ideal ansehen — es gewährleistet aber die größte Effektivität und bringt den größten Nutzen für alle.

(Abg. Stücklen: Sehr richtig!)

Wenn versucht wird, durch eine übermäßige Besteuerung des Gewinns den Anreiz zu nehmen und die von den Gewinnen abhängige Investitionsneigung zu beschränken, hat das verhängnisvolle Folgen. Die gelähmte Investitionstätigkeit und das rückläufige Wachstum schmälern dann unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. Ein funktionierender Export ist für den Ausgleich unserer Zahlungsbilanz jedoch unabdingbar. Wenn die Investitionen sinken, läßt das Wirtschaftswachstum nach, und das wiederum führt zu einem Rückgang der Beschäftigung, zu Arbeitslosigkeit. Es bedeutet gleichzeitig, daß die Quellen, aus denen Reformen — ich erinnere nur an die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und anderes mehr — bezahlt werden sollen, immer mehr austrocknen.
Es könnte nun der Einwand kommen, Investitionen könnten ja auch aus Krediten finanziert werden. Meine Damen und Herren, wer aber wäre bereit, in Betriebe, die auf die Dauer keinen Gewinn machen, seine Ersparnisse zu investieren? Das würden diejenigen, die heute die Gewinne so verteufeln am allerwenigsten tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie die Dinge hier wirklich liegen, machte dieser Tage der ehemalige Staatssekretär Dr. Arndt, der vorhin hier anwesend war — ich sehe ihn jetzt nicht mehr —, deutlich. Er führte aus, daß sich die Gewinnlage der deutschen Unternehmen in nächster Zeit erheblich verbessern müsse, eben weil sie so schlecht sei.

(Abg. Stücklen: Unsere Meinung!)

Das heiße natürlich auch, daß die Lohnquote nicht weiterhin in dem Ausmaß der letzten zwei oder drei Jahre wachsen könne.
Demgegenüber führt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage — Herr Gewandt hat das ja bereits gesagt — aus:
Bei starker Gewinnkompression können die Unternehmen gezwungen werden, auf Reserven zurückzugreifen . . .
Ich glaube, das ist purer Hohn.
Im vorletzten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank wird festgestellt, daß die Gewinne, genauer gesagt: das Einkommen der Privaten aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im ersten Halbjahr 1971 trotz kräftiger Preis- und Umsatzsteigerungen nur um nominal 2 % höher sind als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Professor Kloten hat gestern ein Bild gezeichnet, aus dem sich ergibt, daß die Unternehmergewinne in diesem Jahr insgesamt rückläufig sein werden, wenn das zweite Halbjahr mit eingerechnet wird. Das ist ein Beweis dafür, daß die augenblicklichen Kostensteigerungen nicht den Unternehmern anzulasten sind, sondern andere Ursachen haben. Im ersten Halbjahr 1971, stiegen nämlich die Lohn- und Gehaltsaufwendungen um rund 15 %, obwohl sich das Sozialprodukt nur um 3 bis 4 % erhöht hat. Diese Zahlen zeigen, wo die Ursachen der Preissteigerungen in Wirklichkeit liegen.
In Schweden — und schwedische Verhältnisse sind ja das erstrebenswerte Vorbild der deutschen Sozialdemokraten, meine Damen und Herren — glaubte man die Unternehmer immer kräftiger zur Ader lassen zu können. Das Ergebnis war vorauszusehen. Die stark überhöhten Kosten, Steuern und Sozialaufwendungen zwingen immer mehr Unternehmen, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind, ihre Produktion einzuschränken, teilweise sogar den Be-
9000 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Engelsberger
trieb stillzulegen. Arbeitslosigkeit und Preise steigen in alarmierendem Ausmaß. Selbst bisher relativ gut verdienende Arbeitnehmer müssen staatliche Sozialbeihilfe in Anspruch nehmen, und die Regierung sieht sich zu einem kostspieligen Arbeitsbeschaffungsprogramm und zur Subventionierung von Unternehmen gezwungen, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen.

(Abg. Stücklen: Dahin führt der Sozialismus!)

Dahin führt diese Politik.
In dieser Situation hat der schwedische Gewerkschaftsbund einen bemerkenswerten Sinneswandel vollzogen. Auch mir war das völlig neu. Auf dem großen Landeskongreß, der vor kurzem in Stockholm stattfand, wurde die sich auf private Unternehmen gründende liberale Wirtschaftsordnung einhellig befürwortet. Alle „plötzlichen und durchgreifenden Veränderungen des Wirtschaftssystems", die Sozialisierung von Unternehmen und die Mitbestimmung wurden mit großer Mehrheit abgelehnt — im Gegensatz zu unseren Verhältnissen hier in der Bundesrepublik.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schneider [Nürnberg] : Häufiger nach Schweden fahren!)

Ebenso erging es allen Anträgen, die eine weitere Beschneidung der Gewinne und deren Überführung an die Arbeitnehmer verlangten.

(V o r sitz : Vizepräsident Dr. Jaeger)

Schweden aber hat einen Spitzensteuersatz von 53 % und nicht von 56 oder 60 %, wie er bei uns jetzt in der Bundesrepublik gefordert wird.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Sprecher der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen erklärten vielmehr, es müsse sich lohnen, eine industrielle Tätigkeit zu betreiben. Der Unternehmergewinn könne nicht fehlen sonst würden keine weiteren Investitionen vorgenommen. Gerade hohe Gewinne seien meist ein Indiz dafür, daß die betreffenden Unternehmen besonders gut und rationell geführt würden, was auch im Interesse der Arbeitnehmer liege.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Muß es auch in der Bundesrepublik zu einer ähnlichen Wirtschaftsentwicklung kommen wie in Schweden, wo die Zahl der registrierten Arbeitslosen inzwischen auf etwa 115 000 gestiegen ist und rund 40 000 Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms der Regierung zu einem nicht geringen Teil sich mit einer berufsfremden Beschäftigung zufriedengeben müssen? Muß es so weit kommen, bevor sich sachbezogene Erkenntnisse über Unternehmer und Gewinne bei uns durchsetzen?
Ich sehe die rote Lampe aufleuchten. Herr Präsident, ich habe 20 Minuten angemeldet und bitte, um ein paar Minuten überziehen zu dürfen.

(Zuruf von der SPD: Verkürzen Sie es bitte!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615601900
Herr Abgeordneter, Sie haben 20 Minuten angemeldet; es stehen Ihnen noch vier Minuten zu, Wie ich sehe, war das hier falsch eingestellt.

(Abg. Stücklen: Die Uhr dort funktioniert nicht immer!)


Matthias Engelsberger (CSU):
Rede ID: ID0615602000
Wenn man schon einer gerechten Besteuerung auch in den unteren und mittleren Bereichen das Wort redet, um einen als ungerecht empfundenen Vermögenseffekt zu mildern, muß man — das fordern wir — steuerlich zwischen den dem privaten Verbrauch dienenden — „entnommenen" — und den dem Risiko der Wirtschaft ausgesetzten „nicht entnommenen" Gewinnen unterscheiden.
Mit einer stärkeren Eigenkapitalbildung für kleinere und mittlere Unternehmen würde sich vor allem der Anteil der Fremdfinanzierung verbessern. Neue Wege der Finanzierung von Investitionen müssen gesucht und beschritten werden, etwa über die Förderung von Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Die bisherige Entwicklung auf diesem Gebiet ist völlig unzureichend, wenn man bedenkt, daß 1970 ein Beteiligungsvolumen von etwas über 13 Millionen DM für die gesamte Wirtschaft und eine Obergrenze im Beteiligungsfall von 300 000 DM festgelegt worden sind.
Hier besteht ein Widerspruch zwischen der Erkenntnis von notwendig größeren Betriebseinheiten mittelständischer Unternehmen einerseits und den Maßstäben ihrer Förderung andererseits. Diese Förderung ist auf Betriebsgrößen abgestellt, deren Existenzmöglichkeit man in gewissen Bereichen in Frage stellt. Aber gerade hier liegt eine der größten Gefahren für mittlere Unternehmen mit relativ hohem Kapitalbedarf, die Gefahr nämlich, daß sich der Schrumpfungsprozeß bei mittleren Unternehmen bis zu einem Punkte fortsetzt, wo die Folgen für unser Wirtschaftssystem nicht ausbleiben können.
Die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik hat noch eine andere Komponente, die für ihre Weiterentwicklung entscheidend ist. Das ist die psychologische Einstellung zum wirtschaftlichen Trend. So wie der Sparer als notwendige Voraussetzung für seinen Konsumverzicht Vertrauen in die Stabilität der Währung haben muß, so muß der mittelständische Unternehmer von einer gesunden Weiterentwicklung unserer Wirtschaft — frei von zweifelhaften Experimenten — überzeugt sein.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Ohne den risikobereiten Unternehmertyp funktioniert unser auf Leistung begründetes freiheitliches System nicht. Der Kollege Koenig hat ja dem Herrn Gewandt vorgeworfen, wir hätten nicht auf die Frage geantwortet, ob sich heute das Risiko für
den mittelständischen und den kleinen Unternehmer noch lohnen würde. Unsere Antwort ist, daß eine freie soziale Marktwirtschaft, in der Leistung, Wettbewerb und Eigentum die Grundlagen sind,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9001
Engelsberger
die beste Gewähr für den Einsatz in mittelständischen Bereichen der Zukunft ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gerade um der sozialen Gerechtigkeit in unserem Lande willen — es soll allen möglichst gut gehen —
muß die Bundesregierung entschiedener und glaubhafter deutlich machen, daß wir uns von Ideologien und Utopisten unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigen lassen wollen. Sonst erreichen wir die soziale Gerechtigkeit in der Form, daß es uns allen gleich schlecht geht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615602100
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs. Für ihn sind ebenfalls 20 Minuten angemeldet.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0615602200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In Ergänzung der Ausführung meines Kollegen Kienbaum möchte ich die Haltung der FDP-Fraktion zu diesem Problem noch in einigen Punkten darlegen. Meine Freunde und ich sind und waren von jeher der Auffassung, daß die Funktionsfähigkeit einer prosperierenden Gesamtwirtschaft einer großen Bandbreite von kleineren und mittleren Betrieben bedarf. Der Bestand und die Sicherung der kleineren und mittleren Betriebe stellt nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit dar, sondern vielmehr auch eine politische. Die Bundesregierung hat dieser Auffassung in ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 Rechnung getragen und ausdrücklich erklärt, künftig in verstärktem Maße eine wachstumsorientierte Strukturpolitik zu betreiben. Es sind seitens der Bundesregierung in dieser Hinsicht Initiativen erfolgt, auf die ich bzw. meine Kollegen im Verlauf der Debatte noch eingehen werden.
Zunächst möchte ich aber zu einiger Kritik der Opposition Stellung nehmen. Die Kritik, die von der Opposition in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit erhoben wurde, daß das von der Bundesregierung vorgelegte Aktionsprogramm ein Programm ohne Aktionen sei, ist nach meiner Auffassung nicht stichhaltig. Von Ihnen werden Maßnahmen kritisiert, die Sie damals als Regierungspartei zum Teil selbst beschlossen haben. Zum anderen gibt die Opposition auch ihre Versäumnisse der Vergangenheit selbst zu. Ich darf hier mit Genehmigung des Präsidenten aus einem Schreiben des CDU-Mittelstandskreises vom 31. März 1971 zitieren:
Im Bereich der Mittelstandspolitik stehen wir in einer ähnlichen Situation wie in der zurückliegenden Legislaturperiode: Die Fraktion hat sich rund eineinhalb Jahre nach Beginn dieser Legislaturperiode noch nicht dazu entschließen können, sich auch nur eine einzige der von uns vorgelegten Gesetzesinitiativen zu eigen zu machen.
Meine Damen und Herren, ich will hier keineswegs bestreiten, daß von allen bisherigen Regierungen für den Mittelstand mehr hätte getan werden müssen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Es hat also keine Partei das Recht, anderen Versäumnisse vorzuwerfen, wenn sie sich nicht den Vorwurf gefallenlassen will, selbst nicht alles getan zu haben. Ich glaube, man sollte auch nicht einen ideologischen Streit darüber entfachen, wie der Begriff „Mittelstand" auszulegen ist. Wer wäre heute in der Lage, den Begriff „Mittelstand" klar zu definieren; nicht die laufende Verwendung dieser Vokabel ist entscheidend, sondern deren Ausfüllung, um die wir uns alle hier bemühen sollten.

Voraussetzung für eine funktionsfähige Wirtschaft und damit auch für den gewerblichen Mittelstand, den Handel, das Handwerk, die Industrie, das Verkehrsgewerbe — um nur einige zu nennen -- ist ein weitgehendes Maß an Stabilität. Dieses Ziel hat sich die Bundesregierung auch gesteckt; die Verwirklichung allerdings hängt nicht allein von uns ab, was wohl auch von der Opposition nicht mehr bestritten wird.
Es ist nicht zu bestreiten, daß unsere Wirtschaft einem ständigen Strukturwandel unterworfen ist. Dies kommt besonders im Bereich des Handwerks deutlich zum Ausdruck. Die zunehmende Automatisierung, Technisierung, die Mechanisierung, der sich laufend verstärkende Verkehr, die fortschreitende Entwicklung der Datenverarbeitung, um nur einige Faktoren zu nennen, machen deutlich, welchen Wandlungen die Wirtschaft unterworfen ist. Diese Strukturänderungen, die sich sowohl im sektoralen wie im regionalen Bereich vollziehen, werden sich künftig weiterhin verstärken. Aus dieser Erkenntnis heraus sind Maßnahmen erforderlich, um künftighin die Wettbewerbsfähigkeit und die Chancengleichheit kleiner und mittlerer Betriebe zu gewährleisten.
Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs wird durch die fortschreitende wirtschaftliche Konzentration bedroht. Ein funktionsfähiger Leistungswettbewerb gehört zu den Grundelementen der sozialen Marktwirtschaft. Die Einschränkung des Wettbewerbs durch Konzentration bedeutet aber nicht nur eine Einbuße an volkswirtschaftlicher Produktivität. Sie gefährdet vielmehr auch die Erhaltung einer freiheitlichen und sozial befriedigenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Zu einer solchen Ordnung gehören u. a. eine Vielzahl leistungsfähiger frei und selbstverantwortlich entscheidender Unternehmer.
Somit wird eine entscheidende Aufgabe der Wirtschaftspolitik deutlich: Damit das ökonomisch gerechtfertigte Wettbewerbskonzept nicht zerstört wird, muß der Staat versuchen, die Markttranzparenz zu erhöhen, allgemein die Anpassungsfähigkeit der Unternehmer zu verbessern und zuweilen Korrekturen anzubringen, deren Notwendigkeit er oft selbst verursacht hat. An dieser Stelle muß auch gesagt werden — und ich möchte das ausdrücklich betonen —, daß große Unternehmen, die das Leistungsprinzip gelten lassen, die sich im Markt bewähren, ohne ihre marktwirtschaftliche Macht mißbräuchlich einzusetzen, keinesfalls benachteiligt werden sollen.
Ziel unserer Mittelstandspolitik ist es, Wettbewerbsnachteile, die sich als Auswirkung der allge-
9002 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Wurbs
meinen Gesetzgebung, z. B. im Steuerrecht, im Gesellschaftsrecht, Patentrecht, im Wettbewerbsrecht oder im Arbeits- und Sozialrecht ergeben, zu beseitigen. Formalrechtlich gleiche Regelungen können sich in der Anwendung bei kleineren und mittleren Unternehmen auf Grund ihrer Eigenart ungünstiger als bei großen Unternehmen auswirken. Soweit dies der Fall ist, würden Großunternehmen leistungsfremde Vorteile erhalten, die mit den Grundsätzen eines fairen Wettbewerbs nicht zu vereinbaren sind.
Staatliche Aktivität im Rahmen der Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen soll also nicht die mittleren und kleineren Unternehmen vor den Anstrengungen des Wettbewerbs schützen, sondern Wettbewerbsnachteile ausgleichen, die ihre Ursache nicht in ökonomischen, sondern in institutionellen Gegebenheiten haben. Der Mittelstand will keinen besonderen Status innerhalb der Wirtschaft haben, er versteht sich als integrierter Bestandteil der Gesamtwirtschaft.
Was tut nun die sozial-liberale Koalition für die kleinen und mittleren Unternehmen, die doch tagtäglich mit den eben genannten strukturellen Besonderheiten konfrontiert werden?

(Abg. Stücklen: Nichts!)

— Lieber Kollege Stücklen, der lapidare Einwurf „Nichts" ist doch, glaube ich, etwas zu billig.

(Abg. Stücklen: Ich möchte wissen, was sie tut!)

— Das wollte ich Ihnen ja gerade sagen.

(Abg. Stücklen: Das hätte ich gern vom Minister gehört!)

— Der wird ja möglicherweise nach mir noch drankommen. Ich kann ja nicht darüber bestimmen, wann der Minister hier sprechen wird. Aber das war auch bei Ihnen so. Auch Ihre Minister haben gesprochen, wann sie wollten.
Zum einen hat diese Bundesregierung eine Bestandsaufnahme über die Maßnahmen, die sie bereits ergriffen hat, und über die Maßnahmen, die sie noch ergreifen will, um die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zu stärken, durchgeführt. Nur auf dieser Basis kann ein systematisches und klares Konzept erarbeitet werden. Zum andern wurde ein Aktionsprogramm zur Leistungssteigerung dieser Unternehmen beschlossen. Beides, die Bestandsaufnahme und das Aktionsprogramm, wurde von der Bundersegierung Ende Dezember 1970 dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Die Systematisierung der Maßnahmen und die Transparenz der zur Verfügung stehenden Mittel ist ein echter Fortschritt gegenüber früher.
Die Bundesregierung hat darüber hinaus neue Maßnahmen ergriffen, so z. B. erstens die Erleichterung der Aufnahme von Beteiligungskapital durch kleine und mittlere Unternehmen. Erstmals wird seit 1970 die Kapitalbeteiligung an kleinen und mittleren Unternehmen durch eine Verbilligung der Refinanzierungsmöglichkeiten aus ERP-Mitteln und die Gewährung von Rückbürgschaften und Haftungsdarlehen durch die öffentliche Hand gefördert.
Zweitens ist die Förderung der beruflichen Bildung zu nennen. Zu Detailfragen der beruflichen Bildung wird mein Kollege Grüner noch Ausführungen machen. Nennen möchte ich an dieser Stelle nur die Förderung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten, der überbetrieblichen Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter, der Verbesserung der Qualifikation von Ausbildern und Ausbildungsberatern und schließlich der Aus- und Fortbildung der Unternehmer und der Führungskräfte. Meine Damen und Herren, wir werden in Abstimmung mit den Kollegen der beiden anderen Fraktionen, insonderheit den Kollegen Koenig und Schulhoff, den Antrag im Haushaltsausschuß stellen, die Gewerbeförderungsmittel erheblich anzuheben, um künftig auf dem Gebiet der Gewerbeförderung noch mehr tun zu können.
Drittens: Berücksichtigung der Interessen der Selbständigen bei der Steuerreform. Hierbei ist an die Reformierung der Gewerbesteuer, der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer gedacht. Auch hierzu wird meine Kollegin Funcke noch einiges zu sagen haben.
Viertens: Erleichterung der Kooperation im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen. Ich glaube, auf diesem Gebiet müssen wir alle gemeinsam Anstrengungen unternehmen, um auf diesem Weg erstens die Leistungsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft zu verbessern, zum anderen aber auch, um ein echtes Gegengewicht gegen die Konzentration der Großwirtschaft zu bilden.
Fünftens: Ermöglichung einer ausreichenden Altersversorgung für die Selbständigen. Durch die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und freiberuflich Tätige sollen alle Selbständigen das Recht erhalten, der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig beizutreten.
Zur Konjunkturpolitik, zur Finanzierungsmögkeit und zu Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen kurz noch dies. Der Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen dient am wirksamsten eine auf Stabilität gerichtete Wirtschaftspolitik. Daher besteht einerseits die Notwendigkeit, daß die Tarifpartner bei den stattfindenden und kommenden Verhandlungen mehr die wahrscheinliche Entwicklung des nächsten Jahres in ihre Entscheidungen mit einbeziehen als die augenblickliche Situation mit den hohen Preissteigerungen. Andererseits muß der Haushalt der öffentlichen Hand flexibel gestaltet werden. Ein frühzeitiges Umschalten der Fiskalpolitik auf Expansionskurs insbesondere im Bereich des privaten Verbrauchs durch Rückzahlung des Konjunkturzuschlags ist noch nicht angebracht. Jedoch kann nicht auf ein endgültiges Abflauen der hohen Preissteigerungsraten beim Verbrauch gewartet werden, da in einigen Bereichen der Erzeugerstufe die konjunkturelle Beruhigung schon weit fortgeschritten ist und fiskalpolitisehe Maßnahmen erst mit einer Zeitverzögerung von mehreren Monaten am Markt wirksam werden.

(Abg. Stücklen: Das ist schon das Vorzimmer des Konkursverwalters!)

Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9003
Wurbs
Zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten werden kleinen und mittleren Unternehmen von Jahr zu Jahr steigende Mittel aus dem ERP-Sondervermögen zur Verfügung gestellt. So waren es 1969 185 Millionen DM, 1970 342 Millionen DM, und 1971 sind es 360 Millionen DM. Für das Jahr 1972 sind 384 Millionen DM vorgesehen. Die Schwerpunkte bei den Steigerungsraten der Mittel des ERP-Haushalts liegen mit 100 % bei den Kredit- und Garantiegemeinschaften, mit 25 % bei der Förderung der elektronischen Datenverarbeitung, — um nur einige Zahlen zu nennen. Ich darf in diesem Zusammenhang auch an den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen erinnern, den vorhin mein Kollege Koenig bereits begründet hat.
Weiterhin werden die Finanzierungsmöglichkeiten der kleinen und mittleren Unternehmen aus Mitteln des Bundeshaushalts verbessert. Hierfür wurden 1969 58,6 Millionen DM 1970 rund 62 Millionen DM bereitgestellt. In diesem Jahr sind es bereits 91 Millionen DM. Dieser Ansatz soll auch für das Jahr 1972 Gültigkeit haben. Diese Mittel werden gezielt für die Förderung von Rationalisierung, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie für die Förderung von Information, Beratung und Kooperation eingesetzt.
Die Mittel zur Förderung des Handwerks z. B. wurden von 1970 auf 1971 um 43 % gesteigert, woran die Einführung der Förderung der Kooperationsvorhaben einen maßgeblichen Anteil hatte. Auch sollte erwähnt werden, daß diese Mittel für die Gewerbeförderungsvorhaben trotz der Stabilisierungsmaßnahmen der Bundesregierung frei geblieben sind und nicht einer Sperrung unterlagen. Eine Erhöhung dieser Mittel scheint mir für die Zukunft unerläßlich zu sein.
Auch bei der Eigenkapitalversorgung der mittelständischen Wirtschaft müssen wir uns neue Wege einfallen lassen. Die Eigenfinanzierung ist der Engpaß bei den kleineren und mittleren Unternehmen. Herr Kollege Gewandt, es ist ja nicht so, daß die Eigenkapitalsituation im mittelständischen Bereich erst in den letzten zwei Jahren schlecht geworden ist,

(Abg. Stücklen: Besonders schlecht!)

sondern wir haben unter dieser Mangelsituation schon die ganzen Jahre zu leiden gehabt. Diesen Mangel der jetzigen Regierung anzuhängen ist also nicht gerechtfertigt.

(Abg. Stücklen: Die Regierung will doch alles besser machen!)

Vielfach konnten bei diesen Unternehmen Rationalisierungsinvestitionen nicht durchgeführt werden, weil die Eigenkapitalbasis zu gering war und Fremdkapital wegen fehlender Sicherheit nicht beschafft werden konnte. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, auch den Unternehmen, die sich nicht des Kapitalmarkts bedienen können, Möglichkeiten zu eröffnen, zu einer besseren Kapitalausstattung zu kommen.

(Abg. Stücklen: Investitionsrückstellungen z. B.!)

Hierzu sind Kapitalbeteiligungsgesellschaften notwendig

(Widerspruch in der Mitte)

— selbstverständlich! —, die zu fördern unsere Aufgabe ist. Die Maßnahmen der Kapitalbeteiligungsgesellschaften — ich deutete es vorhin schon an —müssen selbstverständlich zu Konditionen genutzt werden können, die für den mittelständischen Bereich tragbar sind. Es ist heute zum Teil so, daß die Konditionen der Kapitalbeteiligungsgesellschaften bei 10 und 11 % liegen. Diese Konditionen sind für den mittelständischen Bereich nicht tragbar und nicht dazu geeignet, die Kapitalverbesserung zu ermöglichen. — Bitte sehr.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615602300
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Pieroth.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0615602400
Wie hat die Regierung in den letzten zwei Jahren Kapitalbeteiligungsgesellschaften gefördert?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0615602500
Durch ERP-Mittel! Und wir haben jetzt einen Vorschlag unterbreitet — —

(Abg. Pieroth: Nein, in den letzten zwei Jahren!)

— Durch die Vergabe von ERP-Mitteln an diese Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Und ich habe eben gesagt, daß die Ausstattung mit ERP-Mitteln für diese Maßnahmen zu gering ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615602600
Eine weitere Zwifrage, Herr Abgeordneter Pieroth.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0615602700
Wie ist die Höhe dieser ERP-Mittel, und sind Beträge mit einem Volumen von weniger als 250 000 DM von Kapitalbeteiligungsgesellschaften an mittelständische Betriebe gegeben worden?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0615602800
Die Ausstattung mit ERP-Mitteln für die Kapitalbeteiligungsgesellschaften — das sagte ich Ihnen — hat nicht ausgereicht. Es ist so, daß die Anträge das vorhandene Volumen wesentlich überstiegen haben. Wir müssen also — das sagt ja auch dieser Antrag — die Möglichkeiten wesentlich verbessern, und wir müssen vernünftige Konditionen bieten. Ob das nun im Wege von Zinssubventionen geschehen soll, ist zu klären. Das ist eine Möglichkeit; darüber müßten wir uns noch unterhalten. Vielleicht gibt es die andere Möglichkeit, nicht Subventionen zu gewähren, sondern irgendwelche Direktzuwendungen, denn wir wollen ja im allgemeinen von den Subventionen wegkommen. — Die genaue Zahl kann ich Ihnen aber im Augenblick nicht nennen; das wird nachher die Regierung sagen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615602900
Eine weitere Zwischenfrage. Bitte!
9004 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0615603000
Ich bitte, die zweite Hälfte meiner Frage zu beantworten: Wurden in den letzten zwei Jahren von Kapitalbeteiligungsgesellschaften auch Kapitalien von weniger als 250 000 DM an mittelständische Unternehmen gegeben?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0615603100
Ja. Ich kann das aus meiner eigenen Praxis sagen. In meinem Kammerbereich sind Beträge bis zu 30 000 DM an mittelständische Betriebe gegeben worden. Ich kann dazu im Augenblick aus dem Stegreif natürlich nichts Genaues sagen, aber ich kann Ihnen den Nachweis erbringen.

(Abg. Stücklen: Aber insgesamt: Note „unbefriedigend" !)

— Wir werden diese Möglichkeiten und Maßnahmen zu verstärken haben — das ist ganz klar —, um die Kapitalsituation der mittelständischen Wirtschaft zu verbessern. Das ist ja auch mit ein Ziel der von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen. Ich meine, deutlicher kann das wohl nicht zum Ausdruck kommen als in dem Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben. Und wir wollen erst einmal die Auswirkungen dieser Maßnahmen abwarten. Ich glaube, daß wir damit zu einer wesentlichen Verbesserung der Kapitalsituation beitragen werden.
Meine Damen und Herren, die Kapitalbeteiligungsgesellschaften begünstigen zum Teil leider nur Unternehmungen mit überdurchschnittlicher Rendite; nur bei diesen Unternehmen tragen sie zur Förderung der Eigenfinanzierung bei. Es ist wohl auch gerade der Punkt, den Sie, Herr Kollege Pieroth, mit angeschnitten haben, daß wir eben die Betriebe gleichfalls bedenken wollen, die nicht über eine so günstige Gewinnsituation verfügen.
Aber ich möchte eines hier ganz klar zum Ausdruck bringen: Die Mittel, die hier eingesetzt werden sollen, sollen zur Strukturverbesserung beitragen; sie sollen den Betrieben zugute kommen, die durch Strukturänderungen in eine Notlage geraten sind. Sie sollen aber nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden und solche Betriebe begünstigen, die nicht mehr leistungsfähig sind. Ich glaube, dadurch kämen wir in eine ähnliche Situation, wie wir sie in einem anderen Bereich schon haben; wir würden künstlich Betriebe am Leben erhalten, an deren Existenz wir zum Teil nicht interessiert sind.

(Abg. Stücklen: O, das ist ein hartes Wort!)

— Ich sagte doch: Betriebe, die auf Grund von Strukturänderungen -- nicht durch eigene Schuld —in diese Situation gekommen sind, die also sonst gesund sind, sollten auch unterstützt werden. Aber Betriebe, die durch eigenes Verschulden in eine Notsituation geraten sind, sollte man auf keinen Fall mit diesen Mitteln bedenken.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

— Ich glaube, auf dieser Linie könnten wir uns treffen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615603200
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0615603300
Herr Präsident, darf ich darum bitten, daß mir die Zeit, die ich für diesen Dialog aufwenden mußte, abgezogen wird?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615603400
Ich habe Ihnen schon zwei Minuten zugegeben; eine können Sie noch haben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0615603500
Gut, dann breche ich ab.

(Abg. Stücklen: Eine vorweihnachtliche Stimmung!)

Zum Abschluß möchte ich mich noch auf eine Passage des Jahresgutachtens zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beziehen. Ich glaube, es ist wichtig, diese Sätze hier noch zu zitieren, denn sie decken sich durchaus mit unserer Auffassung hinsichtlich der Funktion der mittelständischen Wirtschaft. Sie lauten:
Wettbewerb ist eng mit dem Ziel der individuellen Freiheit verknüpft ... Jeder Käufer, ob Unternehmer oder Konsument, soll grundsätzlich zwischen mehreren Lieferanten, jeder Verkäufer zwischen mehreren Abnehmern wählen können. Jeder Arbeitnehmer soll die Freiheit der Wahl zwischen einer ausreichenden Zahl voneinander unabhängiger Arbeitgeber haben. Auch die wirtschaftliche Selbständigkeit sollte für diejenigen, die danach streben, nicht unerreichbar sein. Dieser Wahlfreiheit muß ... in einer Marktwirtschaft ... Priorität eingeräumt werden. Andernfalls würde die marktwirtschaftliche Ordnung ... in Frage gestellt.
Wir Freien Demokraten unterstützen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Verbesserung der Situation der mittelständischen Wirtschaft nachdrücklich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615603600
Das Wort hat der Abgeordnete Wüster.

Kurt Wüster (SPD):
Rede ID: ID0615603700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für mich war es erfreulich, über die neuerliche Verbreitung der Mittelstandsideologie der Opposition hinaus die rationalen Argumente des Kollegen Kienbaum zu hören. Die vorliegende Große Anfrage der Opposition bietet der SPD-Fraktion Gelegenheit, ihre konkreten Vorstellungen von einer fortschrittlichen Strukturpolitik für kleine und mittlere Betriebe zu erläutern. Das Aktionsprogramm, das wir konzipiert haben, ist dabei, wie es auch heute morgen schon gefordert wurde, eine Hilfe zur Selbsthilfe in einem geschlossenen Konzept einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Das gilt nach wie vor.
Der Grund für die Große Anfrage scheint uns allerdings weniger in der Sorge um die mittelständische Wirtschaft zu liegen, die das Strukturprogramm im übrigen positiv beurteilt, als in der Befürchtung der Opposition, im Jahr 1973 in punkto
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9005
Wüster
Mittelstandspolitik mit leeren Händen in den Wahlkampf ziehen zu müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Ihre Große Anfrage hat deutlich gemacht, daß Sie sich einerseits mittelstandspolitisch zu profilieren versuchen — dies haben Sie, meine ich, auch nötig —,

(Abg. Stücklen: Ach du liebe Zeit!)

daß Sie jedoch andererseits das Strukturprogramm der Bundesregierung im Grundsatz trotz aller Krittelei im einzelnen akzeptieren. Ich möchte Sie zu dieser Einsicht beglückwünschen. Dieses Programm ist das erste geschlossene, selbständige politische Konzept, das in der Bundesrepublik vorgelegt wurde.

(Abg. Gewandt: Verbalismus!)

Es ist langfristig konzipiert und zieht einen Schlußstrich unter die unsystematische Subventionswirtschaft.

(Abg. Gewandt: Langfristige Inflation!)

Das Strukturprogramm für kleine und mittlere Unternehmen befindet sich nun in der Realisations-phase. Seine Finanzierung für die Jahre 1971 und 1972 ist dabei voll gesichert. Selbstverständlich werden wir auch in den Folgejahren die Bereitstellung adäquater Finanzmittel sicherstellen.
Die Rechtfertigung staatlicher Förderung liegt deshalb in der Beseitigung von Hemmnissen, etwa bei der Information, der Finanzierung sowie der Forschung und Entwicklung. Die Bundesregierung stellt ihre Fördermaßnahmen daher auf die Erhöhung der Leistungsfähigkeit ab, was auch Sie gefordert haben. Im Jahre 1969 sind dazu die Mittel des ERP-Programms für die gewerbliche Wirtschaft erheblich aufgestockt worden. In diesem Jahr stehen 360 Millionen DM zur Verfügung, und 1972 werden es 384 Millionen DM sein.

(Abg. Stücklen: Das ist der Inflationszuschlag!)

- Innerhalb von vier Jahren ist das eine Steigerung von 38 %, Herr Kollege Stücklen.

(Abg. Stücklen: Das ist der Teuerungszuschlag!)

- Von dem Inflationszuschlag müssen Sie den internationalen, externen Faktor abziehen. Wenn Sie ihn abziehen, ergeben sich Raten, die Sie sehr wahrscheinlich an die Zeit von 1966 erinnern werden, Herr Kollege Stücklen.

(Abg. Stücklen: Das waren noch goldene Zeiten, mein Lieber!)

Schwerpunkte dieser Mittelvergabe sind bei uns Kredite für Existenzneugründung und Betriebseinrichtungen in neuen Wohngebieten. Für diesen Zweck wurden 1971 85 Millionen DM zur Verfügung gestellt; 1972 werden es 97 Millionen DM sein. Gerade dieser Titel aber gibt den Nachwuchskräften eine Chance zur Gründung selbständiger Existenzen.
Große Bedeutung kommt der Finanzierung von Investitionen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung zu, denn in vielen Betrieben kann erst durch EDV-Einsatz eine größere Wirtschaftlichkeit erreicht werden. Dafür stehen aus dem ERP-Fonds 1971 — auch das kann ich hier konkret belegen — 20 Millionen DM und 1972 25 Millionen DM zur Verfügung.
Erstmals werden auch im Rahmen des ERP-Wirtschaftsplans 1970 Mittel für Kapitalbeteiligungsgesellschaften bereitgestellt, über die der Kollege Wurbs schon sprach. Über Kapitalbeteiligungsgesellschaften hat die CDU/CSU zwar jahrelang diskutiert; sie hat jedoch nie gehandelt. Die Förderung solcher Finanzierungsinstitute wird erst jetzt von dieser Bundesregierung konkret realisiert. Die Anlaufphase war natürlich schwierig. Gleichwohl bin ich der Meinung, sie ist geglückt. Durch zinsgünstige Refinanzierungsmöglichkeiten und verbilligte Garantien werden sich Kapitalbeteiligungsgesellschaften auch mit kleineren Summen engagieren, Herr Kollege Pieroth, und damit den kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt öffnen.
An dieser Stelle sollen auch die Mittel für die Kredit- und Beteiligungsfinanzierung erwähnt werden, die 1972 mit 4 Millionen DM aus dem ERP-Plan veranschlagt sind und vorwiegend Kooperationszwecken dienen sollen. Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat darüber hinaus zur Finanzierung des Strukturprogrammes für kleinere und mittlere Unternehmen im vergangenen Jahr auch eine neue Finanzierungsstrategie konzipiert, die sich in diesem Jahr erfolgreich bewährt hat und auch in den Folgejahren fortgesetzt wird. Diese Finanzierungsstrategie aktiviert Mittel des Bundesministeriums für Wirtschaft, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Lastenausgleichsbank für denselben Zweck. Im vorgesehenen Rahmen werden für die Selbständigen im Jahre 1971 rund 1 Milliarde DM und im Jahre 1972 aller Voraussicht nach 1,15 Milliarden DM bereitgestellt. Meine Fraktion erwartet, daß diese Finanzierungspolitik weiterhin konsequent fortgesetzt wird.
Im Einzelplan 09 des BMWF summieren sich die im Jahre 1971 für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen bereitgestellten Mittel auf 91 Millionen DM. Für 1972 sind es 89 Millionen DM. Die solide Haushaltsführung des Bundes am Ende dieser Wachstumsperiode

(Lachen bei der CDU/CSU)

läßt hier leider keinen Zuwachs zu. Demgegenüber stellt die KfW für 1971 erstmals niedrig verzinsliche langfristige Darlehen aus Eigenmitteln zur Mitfinanzierung des Strukturprogrammes für kleine und mittlere Unternehmen bereit. Hier möchte ich einmal das M-1-Programm hervorheben. Für mittlere Unternehmen wurden 300 Millionen DM dotiert, und wegen der regen Inanspruchnahme konnte dieses Programm zwischenzeitlich um 100 Millionen auf 400 Millionen DM aufgestockt werden. Im Rahmen des M-2-Programms für kleinere Unternehmen wurde ein Kreditvolumen von 200 Millionen DM bereitgestellt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau
9006 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Wüster
hat fest zugesagt, auch im Jahre 1972 ein Kreditvolumen anzubieten, das dem der beiden Programme 1971 entspricht. Auch die LAB wird ihr Engagement bei der Bereitstellung niedrig verzinslicher langfristiger Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen beträchtlich ausweiten.
Zur Finanzierung des vorhin genannten Strukturprogramms der Bundesregierung, in das sich die ERP-Programme nahtlos einfügen, trägt die Lastenausgleichsbank 1971 aus eigenen Mitteln mit rund 40 Millionen DM bei. Die Bank ist bestrebt, in den Jahren 1972 und 1973 ein zusätzliches Kreditvolumen von 300 bis 360 Millionen DM bereitzustellen. Dies wird möglich sein, sobald die LAB dem BMWF eine klar konzipierte Finanzierungsvorstellung unterbreitet.
Dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Ihnen vorliegt, können Sie entnehmen, daß auch das für 1972 in Aussicht genommene ERP-Investitionsprogramm bis zu einer Höhe von 1 Milliarde DM zu einem wesentlichen Teil der strukturellen Anpassung kleinerer und mittlerer Unternehmen dienen wird. Schließlich wollen wir die technologische Lücke zwischen den kleinen und großen Unternehmen abbauen. Dazu bedarf es keiner Aufforderung. Wir werden alles in unserer Kraft Stehende tun, um Schritt für Schritt diesem Ziel näherzukommen. Ein großzügiges und umfassendes Finanzierungsangebot liegt vor. Zu überlegen ist, auf welchem Wege die Informationen an die in Frage kommenden Unternehmen besser herangebracht werden können. Denn eine Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung über die Information und das Verhalten mittelständischer Unternehmer im Bereich der betrieblichen Finanzierung ergab die Tatsache der fehlenden Bereitschaft, Fremdkapital aufzunehmen. Im Bereich des Handwerks z. B. hatte die Hälfte aller Befragten noch nie mit mit Krediten gearbeitet. In der Industrie zeigte sich dagegen der Umgang mit Fremdmitteln als selbstverständlicher, jedoch wollten auch hier ein Fünftel der Befragten lieber mit eigenen Geldern arbeiten. Ich bin auch der Ansicht, daß man den Hausbanken nicht allein die Aufklärungsarbeit überlassen sollte; denn bei Finanzierungsfragen gibt es Interessenkollisionen. Außerdem müssen dynamische Unternehmen mehr gefördert werden, auch wenn sie nicht immer über die banküblichen Sicherheitskriterien verfügen. Formelle Bilanzkennziffern allein reichen hier nicht aus. Rentabilität und Wachstumsquoten sollten ebenso in die Beurteilung einbezogen werden. Anderenfalls führt es dazu, daß bereits leistungsfähige Unternehmen gefördert werden, obwohl gerade sie in der Lage wären, Kredite zu normalen Konditionen aufzunehmen.
Immer wieder muß betont werden, daß die kleinen und mittleren Unternehmen nur dann mit den großen konkurrieren können, wenn sie Initiativen ergreifen und eine Spezialisierung und Optimierung in Produktion, Kooperation, Vertrieb und Werbung finden. Hier helfen oft nur gemeinschaftliche Lösungen. Akquisition, fremdsprachliche Kataloge, hohe Kosten für die Teilnahme an Messen und
Ausstellungen übersteigen meistens die Leistungskraft einzelner kleiner Unternehmer. Auch wird die Notwendigkeit einer stark marktorientierten, offensiven Geschäftspolitik vielfach nicht erkannt.
Allerdings stehe ich auch nicht an, die Überprüfung der Kriterien für Fördermaßnahmen zu fordern. Meiner Meinung nach sind die Kriterien zu eng gefaßt. Es reicht nicht aus, daß die Förderung hauptsächlich auf das Vorhandensein einer unausgeglichenen Branchenstruktur oder eines unterdurchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts abhebt. So sind beispielsweise die Monostruktur der kleinen und mittleren Unternehmen im bergisch-märkischen Raum und die Einengung der Betriebe in städtischen Bereichen sowie die schwierige Topographie des Gebietes ein Hemmschuh für die weitere Expansion. Das Zurückbleiben solcher Regionen hinter der durchschnittlichen Wirtschaftsentwicklung sollte Anlaß geben, rechtzeitig Strukturkrisen zu erkennen und zu bekämpfen, um größere volkswirtschaftliche Verluste zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zur Auftragsvergabe sagen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage sehr überzeugend belegt, daß sie bei ihren Auftragsvergaben gezielt eine Politik der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen verfolgt. Es hat in diesem Lande noch keine Regierung gegeben, die mit der Vergabe öffentlicher Aufträge so bewußt und gezielt Mittelstandspolitik betrieben hat. Ich will das beweisen. Aufgegliedert nach den einzelnen Bundesressorts wurde präzise angegeben, welche Auftragswerte an kleine und mittlere Unternehmen gingen. Ich will diese Zahlen nicht im einzelnen wiederholen. Ich möchte aber festhalten, daß das Auftragsvolumen 1970 immerhin die stattliche Summe von 38 Milliarden DM erreichte. Dies alles sind Bestellungen, in denen mittelbare Aufträge an Zu- und Unterlieferanten noch nicht einmal enthalten sind. In den Jahren 1971 und 1972 wird dieses Auftragsvolumen des Bundes im Dienste der Selbständigenpolitik die 40-Milliarden-DM-Grenze wesentlich überschreiten. Ich darf namens meiner Fraktion erklären, daß wir diese Maßnahmen der Bundesregierung begrüßen und unterstützen. Die mittelstandsfreundliche Vergabepolitik der einzelnen Bundesressorts ist die beste „small business administration".
Die Finanzierung des von Freien Demokraten und Sozialdemokraten getragenen Strukturprogramms der Bundesregierung für kleine und mittlere Unternehmen im Jahre 1971 sowie 1972 ist fest gesichert. Dies habe ich mit nüchternen Zahlen belegt. Zahlen sind Fakten, und an diesen Fakten kann niemand, der objektiv ist, vorübergehen. Wesentlich ist folgendes, meine Damen und Herren: Die sozial-liberale Koalition hat nicht nur die Mittel für kleine und mittlere Unternehmen beträchtlich aufgestockt, sie hat nicht nur die Quanten erhöht, sie hat auch qualitativ im Rahmen ihrer Selbständigenpolitik neue Akzente gesetzt. Die Informationsmöglichkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen, insbesondere auf dem Wege der Betriebsberatung, werden laufend verbessert. Die berufliche Bildung wird konsequent
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9007
Wüster
ausgebaut. In Berlin wurde bereits das Bundesinstitut für Bildungsforschung geschaffen.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Das ist nicht mehr zum Aushalten! — Weiterer Zuruf: Da wird alles besser!)

In Vorbereitung ist ein Schwerpunktprogramm für die Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten für die gewerbliche Wirtschaft. Auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes sind neue Ausbildungsverordnungen in Vorbereitung. Ein weiterer Schwerpunkt dieser Strukturpolitik

(erneute Zurufe und Unruhe bei der CDU/ CSU — Zuruf: Dieser Weihrauch!)

ist die Förderung der Gemeinschaftsforschung und der Entwicklung sowie der Erstausstattung kleinerer Unternehmen mit neuen Technologien, damit die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gesteigert wird —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615603800
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Kurt Wüster (SPD):
Rede ID: ID0615603900
— ich komme zum Schluß — und der Anpassungsprozeß an die ökonomische und technische Entwicklung gelingt.
Der technische Fortschritt und das Hineinwachsen in größere Wirtschaftsräume geben auch im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen die Optimierung der Produktivität und der Entwicklungstendenzen vor. Das kann auch hier und da seinen marktwirtschaftlichen Tribut fordern. Die Konsequenzen sind leider oftmals hart; das ist zuzugeben. Sie sind aber nicht unanwendbar, wenn man sich rechtzeitig darauf einstellt. Unsere Selbständigenpolitik entspricht den Erfordernissen der heutigen wirtschaftlichen Welt. Sie entscheidet sich für Leistung und Fortschritt und fördert sie, wo immer es möglich ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615604000
Der Abgeordnete Wüster hat soeben seine erste Rede in diesem Hohen Hause gehalten, wozu ich ihm gratulieren darf.

(Beifall. — Abg. Stücklen: An die Rede werden wir ihn noch einige Male erinnern!)

Das Wort hat der Abgeordnete Lampersbach.

(Weitere Zurufe des Abg. Stücklen.)

— Herr Abgeordneter Stücklen, ich darf Sie doch bitten, dem neuen Redner zuzuhören.

(Heiterkeit.)


Egon Lampersbach (CDU):
Rede ID: ID0615604100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich war eigentlich darauf vorbereitet, heute morgen eine sehr sachbezogene Diskussion anhören und führen zu können, denn die Voraussetzungen dafür waren durch die Große Anfrage meines Kollegen Gewandt und der Fraktion gegeben. Ich habe mich bis jetzt leider — bis auf zwei Beiträge — von der Koalition sehr enttäuscht gefühlt. Das, was Sie geboten haben, Herr Kollege Koenig, war sicherlich weit unter dem, was der Mittelstand draußen zu diesen Dingen erwartet. Denn der Mittelstand ist in einer Situation, in der es um Sein oder Nichtsein geht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Wüster, zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben, kann ich Ihnen nur aus den amtlichen Drucksachen belegen, daß Sie hier erneut eine falsche Darstellung der Dinge gegeben haben, die sich draußen für die mittelständische Wirtschaft abspielen.

(Abg. Koenig: Manche Kritik tut weh, Herr Lampersbach!)

Ach Gott, Herr Koenig, wissen Sie, das hat mich heute morgen viel mehr an eine Karnevalssitzung erinnert, was Sie hier gemacht haben.

(Zuruf von der SPD: Nur bei Ihren Beiträgen) !

Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Wüster: in Tit. 09 02 unter 685 16 werden gegenüber 1971 fünf Millionen DM weniger ausgewiesen. Das ist gerade die Förderung der auf technisch-wirtschaftliche Zwecke gerichteten Forschung, Entwicklung und Erstinnovation. Es handelt sich also nicht um mehr, wie Sie vorhin behauptet haben, sondern um weniger.

(Abg. Stücklen: Hört! Hört!)

Wenn Sie hier darauf anspielen, Herr Kollege Wüster, daß Sie im ERP-Programm nun für die Förderung von EDV-Anlagen 25 Millionen DM mehr ausgeben, dann müssen gleichzeitig sagen, daß der Haushaltstitel vorher von 47 Millionen auf 28 Millionen gekürzt worden ist.

(Abg. Stücklen: Hört! Hört!)

Das ergibt jedoch einige ganz neue Akzente. Es wird sicherlich sehr interessant sein, die Ausführungen meines Kollegen Dr. Frerichs zum ERP-Plan zu hören. Hier kann und sollte man nicht Behauptungen aufstellen — gerade von diesem Platz aus —, die so leicht und so schnell zu widerlegen sind. Das muß das Vertrauen der Mittelständler draußen im Lande erschüttern und die berechtigte Frage aufkommen lassen, wie ernst ein solches Parlament noch zu nehmen ist.

(Abg. Koenig: Welche Behauptungen meinen Sie?)

— Das, was ich Ihnen gerade vorgetragen habe, Herr Kollege Koenig.

(Abg. Stücklen: Ich bitte, das auf die Koalition zu beschränken!)

Herr Wüster, Sie haben hier von der Information gesprochen. Sie muß sicherlich — da sind wir alle einer Meinung — sehr viel mehr verbessert werden. Es wäre geradezu eine Sünde der Regierung, es wäre wider den Geist Ihres Auftrages, wenn sie sich nicht bemühte, ständig Verbesserungen herbeizuführen. — Herr Wüster, hat Herr Pastor Fiebig Ihnen gerade seelischen Beistand gegeben? Wir
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Lampersbach
beide, Herr Fiebig und ich, kennen uns ja schon längere Zeit.

(Zuruf von der SPD.)

— Auch das, ja sicher. Ich würde sagen: er ist ein sehr, sehr guter Pastor. Jetzt haben mir einige Pastöre draußen gesagt, er sei ein sehr guter Politiker. Das ist immer so eine zweifelhafte Sache, nicht wahr.
Natürlich kann man es sich leichtmachen, Herr Kollege Wüster, indem man immer seine eigene Meinung als die richtige betrachtet und sich auf sie zurückzieht. Ich glaube, hier geht es aber zunächst einmal darum, sich darüber zu unterhalten, welche Fragen wir, die Opposition, gestellt haben und welche Antwort die Regierung darauf gegeben hat.
Ich habe mich über den Beitrag des Kollegen Kienbaum, der leider nicht mehr im Saale ist, sehr gefreut. Er hat hier heute morgen in aller Nüchternheit, in aller Sachlichkeit das herausgestellt, was wir seit vielen Jahren in diesem Bereich, der ja von Emotionen frei bleiben soll, draußen zu behandeln und zu beantworten versuchen. Ich bin mit Herrn Kollegen Kienbaum der Meinung, daß das Grundproblem sicherlich die Strukturpolitik insgesamt ist. In dieser Strukturpolitik wird sich eben die Antwort auf alle die vielen Fragen, die im Detail gestellt worden sind, ausweisen müssen. Es wird sich da das zeigen müssen, was die Kollegen der SPD-Fraktion heute morgen als ihre fortschrittliche Politik bezeichnet haben.
Es ist interessant, einmal die Debatte vom 3. Juli 1969 nachzulesen. Da haben wir über den gleichen Themenkatalog gesprochen wie heute, nämlich über Mittelstandspolitik. Der damalige Bundeswirtschaftsminister, der heutige Bundeswirtschafts- und -finanzminister — es ist ja der gleiche —, hat damals gesagt, daß die Basis einer guten Mittelstandspolitik eben eine gute Konjunkturpolitik ist. Und, Herr Kollege Wüster, wenn Sie hier sagen, daß es gerade Ihre Hauptaufgabe ist, hausväterlich eine solide Haushaltspolitik zu betreiben, dann muß man sich wirklich die Frage stellen, ob Sie denn so weltfremd sind, daß Sie die Entwicklung der letzten zwei Jahre nicht zur Kenntnis genommen haben. Die mittelständische Wirtschaft hat doch ganz besonders unter der Hochzinspolitik gelitten und schwere Schläge hinnehmen müssen. Das sind unsere Sorgen, die wir auch in einer ganzen Reihe von Fragen zum Ausdruck gebracht haben. Es geht hier doch nicht darum, wie Sie fälschlicherweise darzustellen versucht haben, daß wir in der Vergangenheit eine Gießkannenpolitik für die mittelständische Wirtschaft in all ihren Bereichen betrieben haben oder sie heute durchführen wollen.
Ich glaube, es wäre fair, Herr Kollege Koenig, wenn Sie meine Beiträge in Bremen nachläsen, um festzustellen, daß ich auch gesagt habe, daß wir nicht bereit sind, auch nur einen einzigen aus der Verantwortung seiner unternehmerischen Tätigkeit zu entlassen, sondern jedem sagen: Wer sich unternehmerisch betätigt, trägt unter Umständen das Risiko des Existenzverlustes.

(Abg. Koenig: Etwas anderes habe ich auch nicht behauptet!)

— Ich komme auf Ihr Zitat zurück. — Weil wir das so wollen, müssen wir auf der anderen Seite selbstverständlich verlangen, daß auch die Chancen in einem ausgewogenen Verhältnis zu diesem Risiko stehen. Das ist unsere Mittelstandspolitik, die wir seit über 17 .Jahren betrieben haben. Wir sind auch heute nicht bereit, diesen Grundtenor unserer Mittelstandspolitik zu ändern.

(Abg. Koenig: Da stimmen wir ja überein, Herr Lampersbach!)

Herr Kollege Koenig, Sie haben heute morgen gesagt, wenn ich von einer Hektik in der Bildungspolitik spreche, so stehe das im Widerspruch zu dem, was der Kollege Gewandt gesagt hat. Auch dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß das nicht zutreffend ist. Ich habe ganz bewußt — und zwar nicht nur in Bremen, sondern schon vor mehr als einem Jahr in Ansbach — darauf hingewiesen, daß der Bildungspolitik in Zukunft gerade für die mittleren und kleineren Unternehmungen eine entscheidende Bedeutung zukomme und daß eine Hektik, wie sie zum Teil in der Bildungspolitik zu verzeichnen ist, nicht zu dem Ausbildungsstand führen könne, den wir nun einmal dringend brauchen. Ich habe hier ganz bewußt gesagt, daß die Hektik, die zur Zeit in vielen Bereichen zu verzeichnen ist — ich erinnere an die Diskussion über die verschiedenen Schulsysteme, an die Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man die Ausbildung in den einzelnen Bildungsbereichen betreiben soll oder will, an die Frage der Gestaltung des berufsbildenden Schulwesens, die auch von Ihnen noch nicht klar dargestellt wird —, zu einer minderen Information und zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung der bildungspolitischen Aufgaben führt. Ich habe gesagt, daß wir in dieser Hinsicht allerdings große Bedenken haben und daß wir größten Wert darauf legen, daß die Bundesregierung und die Länderregierungen, die für diesen Bereich ja weitgehend zuständig sind, endlich zu klaren Absprachen und Aussagen kommen.
Wir bedauern auch, daß die Fragen im Hinblick auf die Finanzierung der Mittel für die Gewerbeförderung bis heute immer noch nicht so beantwortet worden sind, wie wir das eigentlich erwarten könnten. Herr Kollege Professor Dr. Schachtschabel, wir haben diese Debatte vor gut acht Tagen ja schon einmal in anderem Zusammenhang geführt. Wir konnten auch damals diese vielen subtilen Fragen, um die es geht, nicht so klären, daß wir obwohl es eine scheinbare grundsätzliche Übereinstimmung zwischen uns gibt — zu einer umfassenden Darstellung gekommen wären. Herr Kollege Koenig, es handelt sich doch schlichtweg darum, daß die Masse der Ausbildungskosten von der mittelständischen Wirtschaft getragen wird. Der Ansatz für das Gewerbe sollte wenigstens um 10 Millionen DM erhöht werden. Das ist natürlich immer noch zuwenig, wäre aber — wir müssen ja auch die Gesamtsituation des Haushalts berücksichtigen — sicherlich schon ein Fortschritt. Die Mittel sind einfach noch nicht ausreichend, wenn Sie sie zu den Mitteln in Vergleich setzen, die für andere Bildungsbereiche, z. B. die Hochschulbildung, vorgesehen sind. Betrachten Sie etwa den Haushaltstitel der
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Lampersbach
Berliner Universität. Pro anno sind 500 Millionen DM angesetzt. Der Nutzeffekt dieser Mittel — ich sage das im Blick auf die gegenwärtige Situation — ist doch sicherlich bei weitem nicht mit dem vergleichbar, was eigentlich für die rund 1,3 Millionen gewerblicher Lehrlinge erbracht werden müßte. Das ist doch das Problem, vor dem wir stehen. Im Handel und Handwerk gibt es nach wie vor fast 900 000 Auszubildende. Eine spezifisch tiefergehende Ausbildung in der Zukunft ist nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern darüber hinaus auch für die gesamte Wirtschaft, wie Kollege Gewandt es heute morgen dargestellt hat, von existenzieller Wichtigkeit und Bedeutung. Deswegen wundere ich mich, daß man hier so lapidar über diese Frage hinweggeht. Herr Kollege Koenig, ich nehme es Ihnen gar nicht übel, wenn Sie das draußen tun. Ich wundere mich aber, daß man auch hier in dieser Debatte den Eindruck erweckt, als wenn es um polemische Steitigkeiten ginge, bei denen der eine den Hut vielleicht etwas höherstecken kann als der andere.
Ich bin gern bereit, eine Frage zu beantworten.

Peter-Michael Koenig (SPD):
Rede ID: ID0615604200
Herr Kollege Lampersbach, sind Sie nicht der Auffassung, daß man im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Berufsbildung nicht von Verwirrung und Hektik reden sollte, wenn wir uns gerade bemühen — das folgt auch aus dem, was Sie gerade ausgeführt haben —, die Chancengleichheit, die heute gesellschaftspolitisch gefordert wird, sowohl in der Berufsausbildung wie in der theoretischen Ausbildung herzustellen? Daß sich dabei natürlich ein großer Wandel in der Berufsbildung insgesamt vollziehen muß, ist doch selbstverständlich.

Egon Lampersbach (CDU):
Rede ID: ID0615604300
Aber, Herr Kollege Koenig, ich habe ja diesen Akzent heute morgen nicht in die Diskussion hineingebracht. Ich habe hier ganz bewußt einmal das kritisiert, was mir an Ihrer Rede unangenehm aufgefallen ist. Deswegen habe ich eingangs gesagt, ich hätte von den Beiträgen aus Ihrer Fraktion etwas mehr Sachlichkeit zu diesem Thema erwartet und auch verlangen können.

(Abg. Dr. Luda: Sehr richtig!)

Jetzt kommen Sie her und machen mir plötzlich einen Vorwurf daraus, daß ich versuche, die Dinge in der Öffentlichkeit wieder geradezurücken. Ich hätte mich sehr gern mit Ihnen über die Frage der beruflichen Bildung und Bildungsförderung — Drucksache VI/925 — unterhalten. Bei diesem Punkt kommt es doch wesentlich darauf an, wie wir den Titel 1114 ausfüllen, ob die insgesamt eingesetzten 32,2 Millionen DM ausreichend sind oder nicht. Das ist doch die Frage bei dieser Erörterung. Ich komme zu dem Schluß: sie werden eben nicht ausreichend sein. Wir werden uns sehr darum bemühen müssen, hier weitere Aufstockungen vorzunehmen. Sonst werden wir eben dem Anliegen der mittelständischen Wirtschaft nicht gerecht.
Meine Zeit läuft ab. Ich möchte noch zu einigen anderen Dingen kurz Stellung nehmen. Hier ist die Frage II A 2 der Großen Anfrage mit aufgegriffen worden. Sie geht weit über den Rahmen der allgemeinen Mittelstandspolitik hinaus. Herr Kollege Gewandt hat von der „Kosten-Nutzen-Analyse" gesprochen. Wir müssen leider feststellen, daß ein eindeutiges Bekenntnis der Bundesregierung zu diesem sinnvollen Prinzip bis heute noch fehlt. Wie an vielen anderen Stellen werden auch hier Ergebnisse demnächst einmal in Aussicht gestellt. Ich bedauere, daß Herr Minister Schiller nicht anwesend ist.

(Abg. Dr. Schellenberg: Er ist entschuldigt! Er ist in Frankfurt!)

— So wie ich manchmal in Ihren Ausschußsitzungen, Herr Kollege; nur stellen wir das dann nicht so negativ dar.
Ich bedauere, daß Herr Minister Schiller nicht hier ist; denn er hat sehr viel Sinn für Humor. Mit ist nämlich ein kleiner Vergleich eingefallen. Ich möchte eigentlich die Antwort der Bundesregierung
— ich nehme an, daß sie von Herrn Schiller stammt
— mit einem Textilbekleidungsstück, einem Bikini vergleichen, der zwar sehr, sehr viel verspricht, aber manchmal sehr, sehr wenig hält.

(Heiterkeit. — Abg. Stücklen: Und das sagt ein christlicher Demokrat!)

— Ich sage das ja zu Herrn Minister Schiller. Außerdem: ich bin frei! Westfalen-Lippe, Herr Stücklen!

(Abg. Stücklen: Bravo!)

Hier wird mit eine der Grundfragen angeschnitten — Herr Kollege Kienbaum wird mir da wohl in vollem Umfang zustimmen —, nämlich wie man über diesen Weg Mittelstandspolitik sachlich, vernünftig und richtig betreiben kann.
Meine Zeit ist leider abgelaufen. Ich fasse zusammen. Wir werden mit unseren bohrenden Fragen im Bereich der Mittelstandspolitik nicht aufhören, auch wenn Ihnen das mißfällt. Nach unserer Auffassung ist eben die Anlage der gesamten Politik dieser Regierung völlig falsch. Ich möchte mit einem Zitat schließen: Wieviel erlaubte Intelligenz ist im Laufe der Geistesgeschichte darin investiert worden, nachzuweisen, daß die Details einer Theorie stimmen, die insgesamt aber völlig falsch war.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Wir haben ein geschlossenes Konzept!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615604400
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0615604500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die heutige Debatte wäre sicher unvollständig, wenn nicht aus der Sicht der Freien Demokraten noch einmal ein Gebiet herausgestellt würde, das hier in einigen Diskussionsbeiträgen schon eine Rolle gespielt hat. Ich meine das Gebiet der beruflichen Ausbildung und seine Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit der mittleren und kleineren Unternehmen. Ich glaube, daß wir gerade für die Erörterung dieses Themas sehr klar sehen müssen, daß
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Grüner
alle die Diskussionsbeiträge, die etwa unter dem Tenor: Verketzerung der gewerblichen Ausbildung, Hektik in unserem Bildungswesen stehen, einseitig sind und eigentlich nicht dem Rechnung tragen, was unser gemeinsames Anliegen sein sollte, nämlich der Förderung und Angleichung der beruflichen Ausbildung in der Wertigkeit auch im Verständnis unserer Gesellschaft einen Dienst zu erweisen.

(Zustimmung bei der FDP.)

Herr Kollege Koenig hat mit Recht darauf hingewiesen, daß keine Diskussion über Reformen an der Notwendigkeit von Veränderungen vorbeigehen kann. Jeder aber, der die Veränderungen mit dem Etikett „Hektik" versieht, tut der Diskussion einen schlechten Dienst — ohne daß ich damit etwa der Kritik an Plänen und Überlegungen ihre Berechtigung absprechen will. Ich halte es jedoch nicht für sinnvoll, etwa in der Diskussion über die berufliche Ausbildung mit der Frage zu beginnen: Sind Sie für oder gegen das duale System? Wer auf diese Frage mit Ja oder Nein antwortet, hat damit nach unserer Ansicht seine Inkompetenz oder Befangenheit auf diesem Gebiet bewiesen.

(Abg. Schulhoff: Das bestreite ich aber!)

— Ja, Herr Schulhoff, ich weiß, daß Sie das bestreiten. Ich versuche gerade, Sie zu überzeugen.

(Abg. Schulhoff: Wovon?)

— Das kommt jetzt. Hinter dieser Fragestellung verbergen sich nämlich zwei Auffassungen, die in ihren Maßnahmen und Forderungen zwar völlig konträr sind, die jedoch in ihrer Wirkungsweise ziemlich ähnlich sein werden. Die eine Gruppe will das bisherige Berufsausbildungssystem so belassen, wie es heute ist. Dies kann — gewollt oder ungewollt — dazu führen, daß die Ungleichheit der Chancen von Lehrlingen in großen, mittleren und kleineren Betrieben weiterhin bestehenbleibt, daß, anders ausgedrückt, Lehrlinge gerade in dem Bereich, über den wir hier sprechen, manchmal Gefahr laufen, nichts anderes zu sein als billige Arbeitskräfte oder — aus der Sicht des Betriebes — daß diese Betriebe Gefahr laufen, im Wettbewerb um den Nachwuchs zu unterliegen, nämlich keinen Nachwuchs mehr zu bekommen.

(Abg. Schulhoff: Das hängt aber vom Gesetzgeber ab!)

Die andere Gruppe kritisiert zwar zu Recht gewisse Mißstände in unserem Ausbildungssystem, will sie aber durch die totale und ausschließliche Einführung des Prinzips der überbetrieblichen Lehrwerkstätten ersetzt. Damit wird im Grunde genommen das gleiche erreicht. Schon aus rein finanziellen Gründen, von anderen Gründen ganz zu schweigen, wird die Reform der Berufsausbildung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Der Effekt beider Positionen ist derselbe: es bleibt alles beim alten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615604600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Josten?

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0615604700
Bitte sehr!

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0615604800
Herr Kollege, mich würde folgendes interessieren: Bekennen Sie sich nach wie vor zum dualen System, oder gehören Sie zu denen, die davon abweichen wollen?

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0615604900
Ich habe gerade versucht, deutlich zu machen, daß es unsere Diskussion nicht fördert, wenn wir von einem dualen System sprechen, unter dem die verschiedenen Gruppen ganz unterschiedliche Dinge verstehen, unter dem manche Gruppen auch die Beibehaltung der bisherigen Mißstände verstehen. Wir meinen, daß unser System der beruflichen Ausbildung eine praxisnahe, aber gleichzeitig auch stärker als bisher mit theoretischem Wissen ausgestattete Berufsausbildung sein muß. Wenn Sie das unter einem dualen System verstehen wollen,

(Abg. Schulhoff: Ja eben!)

und wenn Sie das, was ich zu diesem System noch auszuführen gedenke, bejahen, würde ich sagen, bejahe ich auch ein duales System.

(Abg. Schulhoff: Na also! — Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615605000
Eine weitere Zwischenfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0615605100
Ist Ihnen bekannt, daß auch die Bundeskultusministerkonferenz das duale System durchaus begrüßt, selbstverständlich mit der Einschränkung, daß Verbesserung und Modernisierung der gesamten beruflichen Bildung auch auf dem Sektor „Schule und Betrieb" gesehen werden müssen?

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0615605200
Ich bin durchaus Ihrer Meinung, und in diesem Sinne begrüße ich auch ein duales System. Ich habe nur in ,der Verwendung dieses Ausdruckes einige Bedenken, weil mir meine Erfahrung zeigt, daß unterschiedliche Dinge 'darunter verstanden werden. Deshalb möchte ich sagen, was wir unter einem sinnvollen Ausbildungssystem verstehen wollen, und möchte mich nicht mit einem Etikett festnageln lassen, das unter Umständen unterschiedliche Reaktionen und unterschiedliche Verständnis beinhaltet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich noch einen Moment im Bereich der Verallgemeinerung bleiben, die ja notwendig ist, um die hier vom Herrn Kollege Josten angesprochene grundsätzliche Position klarzumachen. Uns geht es bei der Reform des Ausbildungssystems nicht darum, den praktischen Teil unseres Bildungssystems abzuschaffen und sozusagen nur noch theoretische schulische Ausbildung zu betreiben. Uns geht es vielmehr darum, die einseitig theoretische ausgerichtete schulische Ausbildung mit mehr Praxis anzureichern und die einseitig praktisch ausgerichtete berufliche Ausbildung, die zum Teil auch auf zu engen Berufsbildern beruht, mit mehr theoretischen Kenntnissen zu versehen. Das heißt also:
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Grüner
schulische und berufliche Ausbildung müssen einander so angenähert werden, daß sie ein durchlässiges System bilden, in dem jeder Schüler bis zum zehnten Schuljahr ohne Nachteile in der Ausbildung und ohne Zeitverlust entscheiden kann, ob er sich in der Sekundarstufe II für die Studienvorbereitung oder die Berufsausbildung entschließt.
Ohne jetzt im einzelnen auf unsere Vorstellungen zum Berufsausbildungsprogramm einzugehen, möchte ich doch einige Positionen zum größeren Verständnis vortragen.
Erstens. Wir halten eine gemeinsame Orientierungsstufe für Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien für notwendig. Es ist in vielen Debatten über die Mängel unseres heutigen Bildungssystems schon genügend darüber gesprochen worden, daß einer der ganz grundlegenden Mängel darin zu suchen ist, daß der Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem im Grunde genommen nach wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber auch nach praktischen Erfahrungen die Schüler noch nicht in der Lage sind, sich zu entscheiden, sich klar darüber zu werden, welchen Berufsweg sie einschlagen wollen. Aus diesem Grunde kann die Einführung einer zweijährigen gemeinsamen Orientierungsstufe dazu dienen, eine objektive Entscheidung der Schüler, Eltern und Lehrer über den weiteren Ausbildungsweg zu treffen. Grundbedingung für diese gemeinsame Orientierungsstufe ist allerdings, daß in ihr die Lehrer aller drei Schultypen gemeinsam unterrichten, daß nach Abschluß der zweijährigen Orientierungsstufe ein gemeinsamer Lehrerkonvent über die Einstufung der Schüler in Hauptschule, Realschule und Gymnasium entscheidet. Aber auch nach dieser Entscheidung sollte es nach unserer Auffassung für jeden Schüler möglich sein, sich auch noch zu einem späteren Zeitpunkt vom Gymnasium in die Hauptschule oder umgekehrt versetzen zu lassen.
Zweitens. Einführung eines zehnten freiwilligen Hauptschuljahres, das mit der Fachoberschulreife endet.
Drittens. Einrichtung von Fachoberschulen in allen Ländern. In Baden-Württemberg z. B. gibt es noch keine Fachoberschulen, obwohl auch Baden-Württemberg ein entsprechendes Abkommen, der Länder unterzeichnet hat.
Viertens. Einführung eines Berufsgrundschuljahres im elften Schuljahr.
Fünftens. Die Lehrpläne aller Schulformen der Sekundarstufe I müssen so angenähert werden, daß die Abschlüsse der Klassen 10 aller Schulformen der Sekundarstufe I den gleichwertigen und gleichberechtigten Zugang zu allen Formen der Sekundarstufe II ermöglichen.
Wir leiten diese Forderungen und Prinzipien aus unserer Vorstellung von der Chancengleichheit ab.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen Akzent setzen, den ich für wichtig halte. Das heutige Schulsystem führt, nicht zuletzt wegen des Fehlens einer pädagogisch orientierten Vorschulerziehung, dazu, daß wir Gefahr laufen, in den
Hauptschulen oder später in der Berufsausbildung eine negative Auslese vorzufinden. Unsere Absicht ist es nun nicht etwa, wie das gelegentlich mißverstanden wird, aus allen heutigen Lehrlingen Abiturienten und damit Studenten und später Akademiker zu machen. Unsere Absicht ist es vielmehr — lassen Sie mich das noch einmal ganz nachdrücklich betonen —, durch die Gleichwertigkeit von schulischer und beruflicher Ausbildung zu erreichen, daß der Übergang von der schulischen Ausbildung zur beruflichen Ausbildung nicht mehr als Prestigeverlust, ja sogar als Abstieg empfunden und von der Gesellschaft auch so gewertet wird. Das ist ein ganz entscheidender Punkt bei der Frage, ob es uns gelingen wird, eine Gleichwertigkeit und eine gleiche Bewertung von beruflicher und schulischer Ausbildung zu erreichen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615605300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Josten?

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0615605400
Herr Kollege, glauben Sie nicht, daß es zweckmäßig wäre, daß wir uns hier auch dem Gedanken der Kultusministerkonferenz anschlössen, die nicht nur eine Gleichwertigkeit, sondern sogar — wie sie betont hat — eine Vorrangigkeit der Berufsausbildung für angebracht hält?

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID0615605500
Herr Kollege Josten, so wie ich das im Augenblick sehe, ist das ein Streit um Worte. Denn aus meinen Ausführungen ging doch klar hervor, daß ich davon ausgehe, daß die Gleichwertigkeit noch lange nicht erreicht ist. Insofern kann man sicher von einer besonderen Vordringlichkeit der Frage der Berufsausbildung sprechen.

(Beifall bei der FDP.)

Diese Berufsausbildung hat jedoch nur dann eine Chance, wenn sie nicht in eine Sackgasse führt. Deshalb noch eine Bemerkung zum Problem der überbetrieblichen Lehrwerkstätten. Die Vorstellung, daß die heutige berufliche Ausbildung gänzlich durch überbetriebliche Lehrwerkstätten übernommen werden könnte, habe ich schon als nicht durchführbar — auch unter finanziellen Gesichtspunkten — charakterisiert. Aber sie ist vor allem bildungspolitisch nicht erstrebenswert. Eine Ausbildung, die nur in überbetrieblichen Lehrwerkstätten stattfinden würde, würde sich von der beruflichen Praxis sehr rasch entfernen und damit auf andere Weise gewisse negative Erscheinungen unseres heutigen schulischen Bildungssystems wiederholen.
Ich möchte im Blick auf die Redezeit darauf verzichten, den gangbaren Weg hier noch in Einzelheiten darzulegen. Ich habe mir das hier zwar fein säuberlich notiert und verzichte nur schweren Herzens darauf. Aber ich hoffe, daß Sie das verstehen werden.
Ohne eine Reform der Berufsausbildung, die mit einer Reform des gesamten Bildungssystems sinnvoll verbunden sein muß, sind kurz- und mittelfristig die Schwierigkeiten der mittleren und kleinen
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Grüner
Betriebe nicht zu beheben. Ich möchte hier nicht so weit gehen, zu behaupten, daß alle Probleme unserer mittelständischen Wirtschaft etwa durch eine Reform der Berufsausbildung behoben werden können. Ohne eine Reform der Berufsausbildung wäre jedoch das Paket der Maßnahmen gerade zugunsten dieses Bereichs unserer Wirtschaft nach Auffassung der Freien Demokraten nicht vollständig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615605600
Das Wort hat der Abgeordnete Scheu.

Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0615605700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht in die einzelnen problematischen Dinge dieses Vormittags noch weiter eingreifen, sondern mich in dieser Debatte auf ein besonderes Wort der Sozialdemokraten zur Lage der selbständigen Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft beschränken. Das sollte nicht fehlen.
Wir Sozialdemokraten sprechen gern von Selbständigen. Wir sind bereit, die politische Betrachtung zu erweitern auf die meisten Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, soweit sie nicht emissionsfähig sind und sofern sie unter persönlicher Leitung und Verantwortung des Inhabers oder der Inhaber stehen. Dabei sind wir bezüglich der Größenordnung gar nicht kleinlich. Ich meine persönlich nicht nur die Betriebe zwischen 10 und 500 Beschäftigten ich glaube, die rechnen auch Sie gedanklich zu dem hier angesprochenen Kreis —, sondern ich bin nicht kleinlich und sage: Auch ein Betrieb mit 1000 Beschäftigten und noch mehr ist unter diesem Gesichtswinkel der selbständigen Unternehmensführung zu sehen. Das soll der Schwerpunkt meiner Bemerkungen sein, die ich so kurz wie möglich zu bringen versuche.
Ich habe eine Menge Zahlen aus dem Jahr 1969 kombiniert, will Sie aber damit nicht langweilen. Ich lege die ganzen Zettel auf die Seite und beschränke mich auf eine Zusammenfassung.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Die Zusammenfassung besagt wenn ich mich
einmal auf die Betriebsgrößen von 10 bis 500 Beschäftigten beschränke —, daß 95 % aller gewerblichen Betriebe 38 % aller Beschäftigten und 35 % des gesamten Umsatzes haben. Dabei sind Handel und übrige Selbständige nicht inbegriffen; das ist nur die gewerbliche Wirtschaft — oder, in absoluten Zahlen ausgedrückt 31/4 Millionen Beschäftigte mit einem Umsatz von 177 Milliarden DM. Nimmt man die Betriebe zwischen 500 und 2500 Beschäftigten dazu, so kommt man auf 62 % aller Beschäftigten oder 5,2 Millionen Arbeitnehmer und 58 % des Umsatzes oder 292 Milliarden DM. Das sind Zahlen, meine Damen und Herren, bei denen man deutlich sieht, welchen Stellenwert dieser Teil der gesamten Industrie innerhalb der Volkswirtschaft hat.

(Abg. Lammersbach: Woher haben Sie die Zahlen?)

— Ich habe sie kombiniert und aus Angaben des Statistischen Bundesamts und ähnlichen Unterlagen
zusammengestellt. Ich habe versucht, sie sozusagen mit der eigenen Rechenmaschine ein wenig zu straffen.

(Abg. Lampersbach: Also Quelle: Scheu!)

— Ja, Herkunft Scheu, wenn Sie so wollen, Herr Lampersbach.
Aber nun will ich auch auf die besonderen Schwierigkeiten hinweisen, vor denen gerade die mittleren und kleineren selbständigen gewerblichen Betriebe stehen. Die Bundesregierung hat sehr deutlich gemacht, daß sich die selbständigen Unternehmen im Wettbewerb mit Großunternehmen durchaus behaupten können. Im beziehe mich dabei auf die sehr bemerkenswerten Ausführungen des Kollegen Kienbaum von heute morgen.
Natürlich gibt es dabei eine Reihe besonderer Hemmnisse. Ich will nur einige erwähnen: bei der Finanzierung der Investitionen, bei der Beschaffung von Informationen, bei der Innovation neuer Produkte und Verfahren infolge mangelnder Finanzkraft, bei der Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte, infolge fehlender Bildungschancen, Aufstiegsmöglichkeiten und Sozialleistungen für die Mitarbeiter in den mittelgroßen und kleineren Betrieben, durch einen Mißbrauch von Markt- und Kapitalmacht durch Großunternehmen und durch Benachteiligungen, die sich aus nicht vorhergesehenen und vorhersehbaren Auswirkungen von mancherlei Gesetzes- und Verwaltungsmaßnahmen im Einzelfall durchaus ergeben können. Das ist unabhängig von der Zusammensetzung der augenblicklichen Regierung; es wird bei jeder Regierung der Fall sein, daß man manche Auswirkungen von Maßnahmen erst hinterher ganz deutlich erkennt.
Auf diesen Erkenntnissen beruht die Strukturpolitik dieser Bundesregierung für kleinere und mittlere Betriebe. Das darf aber keine Subventionspolitik sein. Ich habe mich gefreut, daß heute morgen auch von der Opposition keine Forderungen in dieser Richtung gestellt wurden. Daß das keine Subventionspolitik sein darf, darüber muß man sich völlig klar sein. Man kann nicht das Lied des freien Unternehmers singen und immer dann, wenn irgendwie eine kritische Situation eintritt, nach der Hilfe des Staates schreien.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Herr Lampersbach, ich kann es mir nicht ersparen, zu sagen, daß Ihre Formulierung, die mittelständische Wirtschaft stehe vor der Frage von Sein oder Nichtsein, einfach nicht stimmt. Warum muß man das so formulieren?

(Abg. Lampersbach: Das ist Ihnen unangenehm, ich weiß!)

— Nein, das ist mir nicht unangenehm. Es ist eine
Situation, vor der die Mittelbetriebe im Grunde schon seit Jahren stehen. Sie haben schärfer zu kämpfen; sie haben es schwerer. Das ist gar keine Frage. Aber von Sein oder Nichtsein kann man doch nicht reden, solange die Dinge noch so laufen wie im Augenblick. Das halte ich einfach für eine Übertreibung. Noch etwas anderes. Ich beziehe mich dabei auf Herrn Fertsch-Röver, den Vorsitzenden
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Scheu
der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer, nicht: sozialdemokratischer Unternehmer! Er sagt dies, indem er zwischen zwei verschiedenen Geisteshaltungen von Unternehmern differenziert. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich wörtlich:
Jene, die das Risiko nicht scheuen, die optimistisch veranlagt sind und auf die Kraft des Individuums bauen, stehen jenen gegenüber, die nur von Sicherheit wissen wollen, für die jedes Detail berechenbar sein muß, bevor sie die „Entscheidung" wagen.
So differenziert ein Mann, der sich ja wohl einigermaßen in der Struktur der Führung selbständiger Unternehmen auskennt. Ich komme darauf noch zurück.
Nach meiner Meinung müssen die betroffenen selbständigen Unternehmen Dinge beachten, die moderne selbständige Unternehmer schon seit Jahren in ihr Kalkül einbezogen haben. Gewiß kann und darf die Gewinnlage der Unternehmen auf die Dauer nicht auf dem diesjährigen Niveau bleiben. Darüber sind wir, glaube ich, auch einig. Das muß und das wird sich wieder bessern. Die Unternehmen müssen die Kraft haben, die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Lande zu fördern und für Investierungen zu sorgen. Aber ist eine vorübergehende Gewinnflaute denn gleich Grund zum Verzweifeln? Seit wann ist ein einzelnes Jahresergebnis der Maßstab für Modernisierung und Weiterentwicklung eines Betriebes,

(Sehr richtig! bei der SPD)

für die Höhe der Investitionen, die doch auf Jahre im voraus geplant werden müssen und die sich nach dem Markt und nicht nach der momentanen Gewinnlage zu richten haben? Etwas weniger Nervosität und ein Schuß wirklichen Unternehmerwagnisses scheint mir das Gebot der Stunde zu sein.
Es genügt auch nicht, wenn die Bundesregierung das Ihre tun will, um die Kooperation zwischen Unternehmen zu fördern. Mit der Novellierung des Wettbewerbsgesetzes wird zwar ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan, aber es wird da vielleicht noch einiges zu verbessern sein. Ich bin zusammen mit anderen durchaus gedanklich dabei und bin bereit, da auf diejenigen zu hören, die mit diesen Dingen praktisch und im Alltag des Betriebs zu tun haben.
Aber das allein, meine Damen und Herren, genügt nicht. Ist bei den selbständigen gewerblichen Unternehmen mittlerer Größe denn überhaupt auf breiter Front der Wille zu wirklicher Kooperation vorhanden? Wie sieht es denn in Wirklichkeit mit der Bereitschaft dazu aus? ist nicht gerade bei Betrieben, die es auf Grund ihrer Größe besonders nötig hätten, zu kooperieren, ein altmodisches, betriebsegoistisches Denken noch weit verbreitet? Dabei gibt es heute schon so viele Möglichkeiten für wagemutige unternehmerische Schritte. Aber es gibt in vielen Fällen einfach keine Bereitschaft, die Chancen z. B. zu gemeinsamer technischer Entwicklung oder zu gemeinsamer Auswertung von Patenten, zur Aufteilung und Ausweitung der Produktion, zu gemeinsamem Vertrieb — oder was es auch immer sein mag — wahrzunehmen. Was tut die breit gestreute Verwandtschaft in den noch gesunden Familienbetrieben unserer Industrie?
Aus meiner Praxis — erlauben Sie mir, dafür ein Beispiel zu gehen — kenne ich einen Fall, in dem ein Dutzend Familienbetriebe bereit war, Angaben über die Fertigungsstückzahlen, über die Umsätze usw. usw. auf den Tisch zu legen. Dann hat man festgestellt, daß alle zwölf Betriebe, jeder für sich, bei allen Produkten alle einzelnen Typen fertigten. Daß sie dabei natürlich keine bedeutenden Stückzahlen erreichten, ist selbstverständlich.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615605800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulhoff?

Georg Schulhoff (CDU):
Rede ID: ID0615605900
Herr Kollege, sind Sie der Ansicht, daß die Kooperation ein Allheilmittel ist, um aus diesen schwierigen finanziellen Zuständen herauszukommen?

Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0615606000
Nun, ich habe in meinem Arzneischrank mehrere Heilmittel. Dies ist eines; ich komme noch auf ein paar weitere.

Georg Schulhoff (CDU):
Rede ID: ID0615606100
Verzeihung, ich habe Sie doch sicher richtig verstanden: Sie sprachen davon, daß man nicht verzweifeln solle, wenn man vorübergehend in eine kleine Flaute kommt. Daher meine zweite Frage: Glauben Sie, daß die Aussichten, aus dieser Flaute bald herauszukommen, für uns besonders gut sind?

Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0615606200
Ich bin guter Hoffnung. Seien Sie es auch, Herr Kollege!

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Frerichs: In welchem Monat? — Erneute Heiterkeit. — Abg. Lampersbach: Über neun wird es prekär!)

— In welchem Monat? Nun ja, lassen wir das. Ich bin schließlich kein Arzt.

(Abg. Dr. Frerichs: Die Sache muß ja Hand und Fuß haben!)

Ich hoffe, daß es sehr bald zu einer Neugeburt und zu einem neuen Aufstieg der wirtschaftlichen Situation kommt. Das freudige Ereignis wird hoffentlich in nicht allzu weiter Ferne liegen.

(Beifall. — Zuruf von der CDU/CSU: Jedenfalls mit Lust und Liebe! — Abg. Lampersbach: Wir schicken Blumen!)

— Danke schön! — Aber lassen Sie mich zur Kooperation und zu meinem Beispiel noch etwas sagen. Man hat also gesehen, wie unwirtschaftlich und wie unsinnig die Zersplitterung dieser zwölf Unternehmen war. Man hat gesehen, daß man diese zwölf mittelgroßen Familienbetriebe — mit zwischen 200 und 800 Beschäftigten — so sortieren könnte, daß sich jeder für sich auf eine große Stückzahl von besonderen Produkten spezialisieren könnte. Bis dahin
9014 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Scheu
ist der Intellekt dieser Unternehmer freudig mitgegangen. Aber als es dann nach sechs- oder siebenmonatigen Verhandlungen zum Schwur kommen sollte, verließ einige plötzlich der Intellekt, und sie zogen sich auf ihre familiären Emotionen zurück, weil irgendeine Tante, die Kommanditistin ist, oder eine Großmutter gesagt hat: Aber nein, das geht doch nicht; wir haben diese Artikel doch immer alle finanziert, und jetzt sollen wir nur noch einen Teil machen. — Die Sache ist jedenfalls an emotionellen Dingen kaputtgegangen. Man war nicht bereit, sich dem zu stellen, was von der Sache her notwendig war.

(Abg. van Delden: Das passiert in der Politik auch manchmal!)

— So geht es in der Politik auch manchmal, das ist wahr; ich bin aber immer dagegen. Man sollte die Dinge vom Intellekt her möglichst sauber durchziehen und das Gefühlsmäßige, die Emotionen, mehr auf den privaten Bereich beschränken.

(Abg. Lampersbach: Dann aber nachhaltig!)

Ich sage manchem Unternehmer, der sich hier sträubt, er solle sich doch einmal die Dinge in den Ostblockländern angucken. Da wird das nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen gemacht, und da werden solche Dinge gar nicht schlecht gemacht. Da werden einfach vier Betriebe auf andere Artikel umgestellt, und ein Betrieb produziert für die gesamten Ostblockländer ausschließlich einen Artikel. Dann kommen natürlich Leistungen zustande, und dann kann man sogar in einzelnen Fällen mit dem Westen konkurrieren.

(Abg. Schulhoff: Das ist aber ein schlechter Vergleich! — Abg. Lampersbach: Das möchten Sie aber doch nicht, Herr Scheu!)

— Beileibe nicht! Das wissen Sie aber.

(Abg. Lampersbach: Weil Sie das so betonen!)

— Ich sage das nur denjenigen Unternehmern, die nicht bereit sind, solche Schritte freiwillig zu unternehmen.
Meine Damen und Herren, je weniger wir freiwillig mutige unternehmerische Schritte in diese Richtung machen, desto schwerer wird es sein, den jungen Menschen in allen Parteien und in allen Lagern dieses Landes deutlich zu machen, daß wir das gesündere System haben. Das wollen wir doch alle verteidigen. Aber das können wir nur verteidigen, wenn wir hier mutige Schritte nach vorn tun.
Lassen Sie mich noch ein anderes Problem anschneiden oder, wenn Sie so wollen, ein anderes „Arzneimittel" nennen, nämlich die Frage der Führungsaufgaben der Unternehmer. Ist es richtig, daß der Vermögenserbe automatisch auch die Fähigkeiten zu unternehmerischem Tun in den 70er und 80er Jahren hat? Oder hat nicht der selbständige Unternehmer in meinem Wahlkreis Wuppertal recht, der nach Wegen sucht, um hier eine Automatik auszuschalten? Ich weiß zwar nicht, wie das funktionieren soll; aber daß man darüber nachdenkt, scheint mir doch wichtig zu sein. Da lobe ich mir das Beispiel eines großen Familienunternehmens, von dem ich in diesen Tagen las. Sie erlauben mir, das wörtlich zu zitieren. Ich lasse nur die Namen weg. Einige werden aber vielleicht dahinterkommen, um wen es sich handelt:
Der junge Nachwuchs wird alles andere als weichlich behandelt, und der Sohn oder Neffe kann nicht automatisch ohne Rücksicht auf Können und Status die Nachfolge des Vaters oder Onkels antreten. Man will sicher sein, daß die Firmenleitung dem wirklich Befähigten reserviert bleibt. Wer eine Position in der Geschäftsführung anstrebt, muß nachweisen: ein vollendetes Studium, die Beherrschung der englischen und französischen Sprache, die Ausbildung und den Aufstieg zum Prokuristen oder Direktor in einer fremden Firma.
So weit das Zitat. Das ist eine vorbildliche Haltung in der Frage, wer in den selbständigen Unternehmen Führungsaufgaben übernehmen sollte.
Noch eine Bemerkung, meine Damen und Herren, die in dieselbe Richtung geht, nämlich zu dem Unfug der Kommanditistenbeteiligungen in vielen Familienbetrieben, wo die Vettern und Basen, die Nichten und Neffen, die Tanten und Großmütter alle irgendwo mitzureden haben — das ist auch eine Form von Mitbestimmung —, statt daß man die besten Fachleute heranzieht. Unser Kollege Herr Kienbaum hat hier kürzlich bei anderer Gelegenheit einmal von einem „Kaffeekränzchen" gesprochen, das in vielen Betrieben durch Fachleute ersetzt werden sollte. Ich glaube, Herr Kienbaum, ich habe Sie richtig verstanden.
Lassen Sie mich aber jetzt zu einem Dollpunkt kommen, der die Unternehmer mittlerer Größe heute besonders — —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615606300
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0615606400
Ich mache es so kurz wie möglich.

(Heiterkeit.)

Aber ich muß hier noch ein trostreiches Wort — —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615606500
Herr Abgeordneter, das liegt nicht in Ihrem Belieben. Ich kann Ihnen das Wort entziehen. Ich gebe Ihnen noch eine Minute Zeit.

Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0615606600
Wenn es nur eine Minute ist, kann ich das Schönste meiner Rede nicht mehr vortragen; dann will ich es nur andeuten.

(Heiterkeit.)

Das Betriebsverfassungsgesetz, das ein so schrecklicher Dollpunkt für viele selbständige Unternehmer ist, ist nach meinen 20jährigen Erfahrungen für die Mittelbetriebe und für die Kleinbetriebe geradezu ein Heilmittel, wenn man es richtig anpackt. Es gibt Tausende von modernen Unternehmern, von modernen Führern von Familienbetrieben, die gerade deshalb, weil sie schon lange einen Betriebsrat haben, mit ihren Mitarbeitern weiter kommen als andere, die glauben, sie könnten ohne diese segensreiche
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9015
Scheu
Einrichtung auskommen. Meine Damen und Herren, all den Unternehmern, die bisher stolz darauf waren, keinen Betriebsrat nötig zu haben, will das Betriebsverfassungsgesetz nun ein bißchen auf die Sprünge helfen und, wie ich glaube, helfen zum Glück.
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen. Ich hoffe, es sind noch zehn Sekunden Zeit. Wir Sozialdemokraten sind äußerst interessiert an einem engen Kontakt mit allen Verbänden. Wir sind aber der Meinung, im Augenblick gibt es da eine konzertierte Aktion, über die man noch einmal nachdenken sollte. Nicht alles, was heute an miesen Dingen geunkt wird, ist Wirklichkeit. Man sollte sich in der Diskussion über die wirkliche Lage und über eine Abhilfe verständigen, damit unsere gesamte Wirtschaft gesund bleibt. Das ist das Ziel dieser Regierung, das ist das Ziel der die Regierung unterstützenden Parteien, und das muß auch Ihr Ziel sein. Und deshalb, Herr Lampersbach, lassen wir doch dieses Alles-oder-Nichts, dieses Schwarz-Weiß-
Malen um unserer Wirtschaft willen, die nicht nur materielle Hilfe, sondern auch psychologische Hilfe braucht.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615606700
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten von Bockelberg, Gewandt, Lampersbach, Dr. Burgbacher, Schulhoff, Leicht und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
—Drucksache VI/2620 —
Ich verbinde die Aussprache mit der zu Punkt 2 der Tagesordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete von Bockelberg.

Helmut von Bockelberg (CDU):
Rede ID: ID0615606800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den von der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf, der als Punkt 3 auf der Tagesordnung steht, zu begründen.
In den Grundsätzen einer Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen vom 29. Dezember 1970 — Drucksache VI/ 1666 — hat die Bundesregierung zutreffend zum Ausdruck gebracht, daß es eine Reihe von Hemmnissen gibt, die es kleinen und mittleren Unternehmen erschweren, sich technischen und wirtschaftlichen Veränderungen anzupassen. Im Rahmen der Steuerreform sollten auch die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen überprüft werden. In der Antwort auf die Große Anfrage unserer Fraktion vom 9. Juni 1971 hat die Bundesregierung betont, daß der Forderung nach Wettbewerbsneutralität Rechnung getragen werden sollte.
Als Vorschlag für eine etwaige Neuregelung im Zweiten Steuerreformgesetz hat meine Fraktion im Hinblick auf die besonderen Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Investitionen diesen Gesetzentwurf als eine Hilfe eingebracht. Das derzeitige Einkommensteuergesetz erlaubt Absetzungen für Abnutzung nur für bereits angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens. Dadurch wird lediglich die teilweise Finanzierung der Wiederbeschaffung möglich. Die Finanzierung kann aus den Abschreibungen deshalb nur zum Teil vorgenommen werden, weil wegen des stetig anhaltenden Preisauftriebs die Wiederbeschaffungskosten die ursprünglichen Anschaffungskosten eines Wirtschaftsgutes weit übersteigen.
Zur Erläuterung eine Zahlenreihe. Der Lebenshaltungskostenindex, den wir im Jahre 1950 auf 100 festsetzen, hat im Jahre 1960 120 und im Jahre 1970 157 betragen. Der Maschinenindex betrug auf der Basis 1950 100 1960 144 und 1970 191; der Gebäudeindex ebenfalls auf der Basis 1950 = 100 1960 168 und 1970 242. Dies zum Beleg dafür, ,daß die Wiederbeschaffungen nicht aus den Abschreibungen gedeckt werden können.
Eine Finanzierung von Erstanschaffungen im Rahmen von Erweiterungs-, Modernisierungs- oder Rationalisierungsinvestitionen ist nur aus bereits vorher versteuerten Gewinnen oder mit Hilfe von Fremdmitteln möglich. Der Kapitalmarkt — das haben Sie heute morgen bereits gehört — bleibt den kleinen und mittleren Unternehmen jedoch verschlossen. Durch die zumeist unzureichende Ausstattung mit Eigenkapital mangelt es auch an einem Kreditsicherungsfaktor für die Aufnahme von Fremdkapital.
Daher erscheint das Einschlagen eines neuen Weges der Eigenfinanzierung dringend geboten. Neu ist dieser Weg allerdings nur hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Im Ausland wurde er bereits eingeschlagen. Zur Lösung dieser Probleme bietet sich als Mittel das Institut der Investitionsrücklage, welches, wie ich bereits erwähnt habe, im Ausland praktiziert wird. Auch der vorliegende Entschließungsantrag aus den Reihen der SPD und der FDP unterstreicht, daß in dieser Hinsicht, nämlich für Erweiterungs-, Modernisierungs- und Rationalisierungsinvestitionen, etwas getan werden muß.
Die von uns konzipierte Investitionsrücklage hat folgende Vorteile: Den kleinen und mittleren Unternehmen wird es durch die Bildung dieser Investitionsrücklage, die den steuerlichen Gewinn mindert, ermöglicht, Eigenmittel für Investitionszwecke anzusparen. Bei Vornahme der Investition wird der entsprechende Teil der Rücklage auf das angeschaffte Wirtschaftsgut übertragen und vermindert somit die künftigen Abschreibungen, erhöht also die künftigen Gewinne. Folglich tritt kein endgültiger Steuerausfall ein. Weiterhin ist durch die Einführung eines Zinszuschlages für nicht verbrauchte Rücklagen eine Manipulation mit erheblichem Risiko belastet und daher auch weitgehend uninteressant. Die Frist zur Investitionsvornahme soll für die jeweilige Rücklage fünf Jahre betragen. Die Begrenzung der Rücklage auf einen jährlichen Höchstbetrag von 25 000 DM oder 25 v. H. des Gewinns und die Beschränkung des Kreises der Berechtigten auf kleine und mittlere Unternehmen bieten die Garantie, daß nur förderungswürdige Steuerpflichtige
9016 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
v. Bockelberg
I das Mittel der Investitionsrücklage in Anspruch nehmen können.
Die Möglichkeit, für künftige Investitionen eine begrenzte Rücklage zu bilden, bildet weiterhin für Unternehmen, die in der Preisgestaltung nicht autonom sind, einen Ausgleich für die Besteuerung von Scheingewinnen. Diese Scheingewinne unterliegen mit geringer Ausnahme der Ertragsbesteuerung, und dies führt damit zu einer Besteuerung der Substanz. Das Ergebnis widerspricht aber dem Grundgedanken der Ertragsbesteuerung. Substanzerhaltung sollte wichtigstes Anliegen der Steuerpolitik sein.
Meine Damen und Herren, Sie werden mir jetzt entgegenhalten, daß bei allen solchen Abzügen von der Bemessungsgrundlage bzw. vom Gewinn diejenigen Unternehmen am meisten begünstigt werden, die in der Progression am höchsten liegen. Ich fürchte, das ist eine falsche Argumentation. Denn es geht darum, den Unternehmen das Geld, welches sie für die Investitionen brauchen, zu erhalten. Das führt zum Abzug von der Besteuerungsgrundlage. Denn wenn jemand einem hohen Steuersatz unterliegt, muß ihm eine gleich hohe Rücklage eingeräumt werden wie jemandem, der einem niedrigen Steuersatz unterliegt. Dies wirkt sich dann kapitalerhaltend aus.
Im übrigen darf ich abschließend noch der Hoffnung Ausdruck geben, daß die systematische Anwendung gesunder betriebswirtschaftlicher Grundsätze bei Ihnen, meine Damen und Herren, wenn Sie das Wohl der nationalen Volkswirtschaft im Auge haben, auf fruchtbringenden Boden fällt. Wir sind uns darüber klar, daß dieser Vorschlag eine Anregung ist, der in den Ausschußberatungen noch moduliert werden wird und moduliert werden kann. Ich könnte mir z. B. denken, daß die Berechnungsgrundlage für die Rücklage nicht der Gewinn schlechthin, sondern beispielsweise der nicht entnommene Gewinn ist; denn dies liegt im Sinne des Gesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615606900
Ich danke dem Redner, der ursprünglich 30 Minuten sprechen wollte, dafür, daß er sich so kurz gefaßt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Offergeld.

Rainer Offergeld (SPD):
Rede ID: ID0615607000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich namens meiner Fraktion beantragen, den Antrag auf Umdruck 244 dem Wirtschaftsausschuß — federführend — und dem Haushaltsausschuß, und zwar sowohl zur Mitberatung als auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung, zu überweisen.
Nun aber ein paar Bemerkungen zu dem Antrag auf Änderung des Einkommensteuergesetzes, der soeben von Herrn von Bockelberg begründet worden ist. Das Anliegen ist alt: Förderung der Eigenkapitalbildung bei kleinen Betrieben. Zunächst geisterte ja immer der Vorschlag im Raum herum, den nicht entnommenen Gewinn steuerlich zu begünstigen. Das haben Sie in Ihrem Antrag jetzt etwas abgewandelt, indem Sie die technische Regelung dem schwedischen System angepaßt haben, Herr von Bockelberg; das so viel gelästerte Schweden kommt auf einmal bei Ihnen erstaunlicherweise zu Ehren.
Ich darf gleich in der ersten Lesung ein paar Bedenken anmelden. Wir sehen das Anliegen, das hinter dem Antrag steht, und selbstverständlich werden wir den Antrag im Ausschuß sorgfältig mitberaten und versuchen, daraus etwas zu machen. Es ist ja keine endgültige Begünstigung, wie Sie sehr richtig ausgeführt haben. Es tritt im Endergebnis steuerlich ein Stundungseffekt ein. Sie bilden eine Rücklage, und um diese Rücklage wird im Endergebnis die Abschreibung später gemindert; deswegen nur Stundungseffekt. Gleichwohl kann natürlich ein Gesichtspunkt nicht außer Betracht bleiben, nämlich der der Haushaltsausfälle. Darüber sind Sie etwas salopp hinweggegangen.. Ich nehme an, es ist Ihnen bekannt, daß das, was Sie in Ihrer Begründung des Gesetzentwurfs ausführen, nicht die Ausfälle sind, die tatsächlich entstehen werden. Selbst bei vorsichtigen Berechnungen — ich nehme, wie gesagt, an, daß sie Ihnen bekannt sind —, gibt es allein im ersten Jahr — auf das Entstehungsjahr 1974 gerechnet — Steuerausfälle von weit über 2 1/2 Milliarden DM. Ähnliches gilt auch für das zweite Jahr. Wenn man über diesen Entwurf diskutiert, muß man natürlich aufzeigen, woher das Geld kommen soll, wie man diese Ausfälle wettmachen will. Das gehört zu einer soliden und ernst zu nehmenden Politik und hätte meines Erachtens auch zu einer soliden Begründung gehört: die Äußerung darüber, wie man das finanziell auffangen soll. Das ist Punkt eins.
Ein zweites Bedenken haben Sie bereits angeschnitten: die Progressionswirkung, die doch den Effekt hat, daß dieser Vorteil jenen wieder am meisten zugute kommt, die es an und für sich am wenigsten notwendig haben, gerade wenn wir das Ziel der verstärkten Eigenkapitalbildung im Auge haben.
Ein dritter wesentlicher Punkt — ich darf es angesichts der vorgerückten Zeit stichwortartig machen ist meines Erachtens die große Verwaltungsarbeit, die in der Finanzverwaltung zweifelsohne entstehen wird. Wir sind uns ja alle darüber einig, daß die Finanzverwaltung entlastet werden muß. Hier bürden wir ihr eine neue Aufgabe auf, die sehr, sehr arbeitsintensiv ist. Denken Sie an die Überwachungen innerhalb des Vierjahreszeitraums. Alle diese Dinge werden der Steuerverwaltung sehr viel Mühe machen, wenn diese Möglichkeit in großem Maße genutzt wird; und davon müssen wir j a ausgehen.
Schließlich muß ich mich auch fragen, ob das alles wirtschaftspolitisch sehr sinnvoll ist. Es entsteht am Ende des starren Vierjahreszeitraums ein Zwang zur Investition. Der Zwang, den Sie ja u. a. auch wollen, um Mißbräuche zu verhindern, löst nach vier Jahren, wenn das im großen Rahmen geschieht, Investitionen aus, die in diesem Zeitpunkt aus den verschiedensten Gründen unerwünscht sein können. Sie können einmal konjunkturpolitisch unerwünscht sein, wenn nämlich die Konjunktursituation so ist, daß gedämpft werden sollte. Sie können zum anderen aber auch betriebswirtschaftlich, vom Einzelbe-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9017
Offergeld
trieb her gesehen, ungünstig sein, und der Betrieb steht dann angesichts des ihm drohenden Strafzuschlags von 25 % vor der nahezu unumgänglichen Notwendigkeit, zu investieren.
Es besteht also eine ganze Reihe von Bedenken, die ich hier nur stichwortartig anreißen kann. Wie gesagt, wir stimmen der Überweisung an die Ausschüsse zu und sichern unsere intensive Mitberatung bei diesem Gesetzentwurf zu.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0615607100
Ich danke auch Ihnen für die Kürze, mit der Sie gesprochen haben. — Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0615607200
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist hochinteressant, wenn man lange genug in diesem Hause ist, festzustellen, wie die CDU jetzt laufend Dinge beantragt, die sie vorher, als sie noch in der Regierung war, abgelehnt hat.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Das war so bei dem Gewerbesteuerfreibetrag. Als wir 1969 die Erhöhung beantragten, wurde der Antrag nicht einmal behandelt. Jetzt laufen Sie mit dem gleichen Antrag landauf, landab herum und machen Propaganda, obwohl Sie gleichzeitig Stabilitätsmaßnahmen fordern, die diesem Antrag widersprechen. Sie fordern in den Fragestunden und in vielen Einzelanträgen die Anhebung von Freigrenzen und Freibeträgen, die Sie vorher in ihrer Höhe festgesetzt und verteidigt haben. Sie — ich sage nicht: die Fraktion — stellen immer wieder in Anträgen und Reden draußen Forderungen zum nicht entnommenen Gewinn, obwohl in Ihrem hier vorliegenden Antrag steht, daß das nicht verfassungskonform wäre. Auch die Steuerfreiheit der Überstundenvergütung wird partiell und landschaftlich gezielt — wo immer es paßt — gefordert, obwohl Sie sie als Regierungspartei immer abgelehnt haben.
Ich würde sagen, dieser Antrag ist mit ein Zeichen der Resignation der CDU, ein Zeichen dafür, daß sie glaubt, wahrscheinlich nicht sobald wieder in die Regierung zu kommen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Fünf müde Prozent bringen Sie kaum auf die Beine! Gnädige Frau, Sie belieben heute zu juxen!)

Denn dann müßten Sie das einlösen, was Sie hier versprechen. Und dabei, meine Herren und Damen, würden Sie auf die Schwierigkeiten stoßen, die Herr Offergeld hier soeben schon aufgezeigt hat,

(Abg. Haase [Kassel] : Gnädige Frau, Sie belieben heute zu juxen!)

und auf einige weitere ganz erhebliche Schwierigkeiten.
Herr von Bockelberg, ich habe bisher gemeint, Sie seien ein Steuerfachmann. Aber was hier steht, ist meines Erachtens steuerrechtlich einigermaßen fragwürdig. Es bringt eine bedenkliche Ungleichbehandlung gleicher Tatbestände. Denn Sie wollen die Kapitalgesellschaften von der Vergünstigung ausschließen, obwohl — wir sprechen hier von Mittelstand — eine 20 000-DM-GmbH die mittelständische Größenordnung keineswegs überschreitet. Die Notwendigkeit, betrieblich zu investieren, ist für eine solche GmbH um kein bißchen anders als für einen kleinen oder mittelständischen Betrieb in Personenhand.

(Abg. Lampersbach: Dann ergänzen Sie es doch! Nehmen Sie die doch mit hinein!)

— Auf diesen Einwand habe ich mich gefreut.

(Abg. Lampersbach: Ich wollte Ihnen etwas Freundliches sagen!)

Denn dann kommen Sie doch in die Schwierigkeit, den Steuergewinn zu machen. Wie behandelt man den Unternehmerlohn einer Personengesellschaft dem Steuergewinn der Kapitalgesellschaft vergleichbar? Sie müßten nämlich einen angemessenen Unternehmerlohn vom Gewinn des Einzelunternehmens oder der Personengesellschaft abziehen.
Meine Herren und Damen, dieser Antrag — und damit komme ich auf eine andere Schwierigkeit — setzt doch voraus, daß Sie die Betriebsteuer einführen müßten. Dann könnten wir alle solche Dinge ohne Konkurrenzschwierigkeiten machen. Denn wie wollen Sie sonst die Ungleichheit bei unterschiedlicher Unternehmerzahl ausgleichen? Ihr Antrag bedeutet nämlich, daß ein Handwerksmeister, der für sich allein im Betrieb ist, nur bei einem Gewinn bis zu 125 000 DM die Vergünstigung der Investitionsrücklage in Anspruch nehmen kann. Setzt er seinen Sohn halbe halbe ein, kann er bis zu 300 000 DM verdienen und immer noch den gleichen Vorteil in Anspruch nehmen. Hat er gar zwei Söhne, kann der Betrieb bis zu 450 000 DM Jahresgewinn den Vorteil geltend machen, weil eben bei der Einkommensteuer nicht der Betriebsgewinn, sondern das persönliche Einkommen des einzelnen maßgeblich ist. Das wissen wir doch, Herr von Bockelberg; das brauche ich Ihnen doch nicht zu erzählen. Sie schaffen hier absolut ungleiche und ungerechte Tatbestände. Dies müßten Sie doch eigentlich gesehen haben, wenn Sie nicht nur einen Propagandaantrag stellen,

(Abg. von Bockelberg: Das trauen Sie mir doch hoffentlich nicht zu?)

sondern einen sachlichen Beitrag leisten wollten, Herr Kollege.
Auf der einen Seite sagen Sie: wir wollen das Eigenkapital der Betriebe stärken, und auf der anderen Seite sagen Sie: das ist überhaupt kein Eigenkapital; denn hinterher wird es ja wieder durch Mehrsteuern abgenommen. Was ist es nun? Ist es Eigentumsbildung? Das ist es nicht. Wenn es aber nur eine Verschiebung der Steuerbelastung ist, ist es keine Eigentumsstärkung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Erleichterung der Investitionen bildet von allein Eigenkapital!)

Sie müßten Ihre Anträge in der Tat etwas mehr
präzisieren und diese nicht nur aus Gründen der
9018 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Frau Funcke
Propaganda stellen. Sonst müssen wir das halt widerlegen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Steuerreform sagen. Wir sprechen hier über den Mittelstand, und dazu stellen Sie einen die Steuern senkenden Antrag, der zu einer Minderung der Staatseinnahmen führt. Wir wären sehr interessiert, von Ihnen einmal etwas über Ihre Vorstellungen zur Gesamtsteuerreform zu hören. Aber man hört von Ihrer Seite so gar nichts darüber, obwohl Sie die Steuerreform gefordert haben. Ihr Beitrag besteht offensichtlich darin, sporadisch Anträge zu einzelnen Bereichen zu stellen, die Steuermindereinnahmen mit sich bringen, aber dem Wähler nicht zugleich zu sagen, an welcher Stelle dann Mehrbelastungen zu erwarten sind bzw. wo Sie Haushaltseinsparungen oder Subventionskürzungen vornehmen wollen. Irgendwo müssen ja die Enden aneinander kommen. Sie bringen nur propagandistisch wirksame Einzelanträge und fragen nicht danach, wie die Finanzierung im einzelnen aussieht. Wir wüßten wirklich gerne, wie Sie die Steuermindereinnahmen, die die Fülle Ihrer Steueränderungsvorschläge mit sich bringen, eines Tages im Gesamtkonzept ausgleichen wollen.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Schmid.)

Herr Gewandt zieht nun durch das Land und erzählt den Leuten — so steht es in der „Welt am Sonntag" —, daß mit den Kabinettsbeschlüssen zur Steuerreform „praktisch die Sozialisierung erreicht sei". Meine Herren und Damen, da müssen wir doch nun wirklich fragen: Herr Gewandt, wie kann denn eine Sozialisierung erreicht sein, wenn die Eckwerte erst in zwei Jahren in Kraft treten sollen? Sie haben in diesem Zusammenhang die Großaktiengesellschaften angesprochen, die einem hohen Spitzensteuersatz unterliegen; hier sind aber ganz sicherlich nicht die Leute, über die wir heute sprechen, betroffen. Wir haben in den Eckwerten gerade für den Mittelstand Erhebliches erreicht. Wir wünschten, daß Ihre Beschlüsse, wenn es einmal solche geben sollte, dies dann auch voll decken. Wir haben gegen schwerwiegende Einwendungen erreicht, daß das Ehegattensplitting in voller Höhe beibehalten wird. Wir haben die Proportionalzone mit den 20% Steuerbelastung von 16 000 DM auf 24 000 DM ausgeweitet. Der Grundfreibetrag wird erhöht. Die Sonderausgaben werden nahezu verdoppelt. Kindergeld wird bereits vom ersten Kind an gezahlt. Der Gewerbesteuerfreibetrag wird angehoben. Die Freibeträge bei der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer werden erheblich erhöht. Die Vermögensteuer wird auf 0,7 % herabgesetzt. Für Selbständige wird ein besonderer Altersfreibetrag eingeführt. Meine Herren und Damen, wir wünschen, daß Sie eines Tages im Rahmen Ihrer Steuerreformpläne auch solche Schwerpunkte zur Entlastung des Mittelstandes aufweisen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615607300
Das Wort hat der Abgeordnete Frerichs.

Dr. Göke D. Frerichs (CDU):
Rede ID: ID0615607400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz wenige Sätze zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen auf Umdruck 244 sagen, der uns heute morgen vorgelegt worden ist. Verehrte Frau Kollegin Funcke, Sie haben eben mehrfach das Wort „Propagandaantrag" in den Mund genommen. Ich möchte für meine Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, zum Ausdruck bringen, daß wir nicht hoffen, daß dieser Antrag der Koalitionsfraktionen, im Eventualhaushalt 1972 zur Ergänzung der ERP-Investitionsvorhaben bis zu 1 Milliarde DM vornehmlich für die mittleren und kleineren Unternehmen für grundlegende Rationalisierung, für die Förderung der Innovationen usw. einzubringen, ein Propagandaantrag ist. Verehrte Kollegin, wir werden ja im Wirtschaftsausschuß und im Haushaltsausschuß noch genügend Gelegenheit haben, im einzelnen zu prüfen, wie ernst Sie es mit diesem Antrag meinen. Unter der Voraussetzung, daß Sie es ernst meinen, begrüßen wir von der CDU/CSU diesen Antrag der Koalitionsfraktionen.
Aber wir bemerken hierzu gleichzeitig, daß schon in der Begründung wieder eine gewisse Einschränkung vorgenommen worden ist. Sie schreiben — ich zitiere wörtlich —:
... vornehmlich kleine und mittlere Unternehmen bei ihren Investitionen zur grundlegenden Rationalisierung, Umstrukturierung und Innovation, außerdem wirtschaftsschwache Regionen sowie gemeindliche Infrastrukturinvestitionen gefördert werden.
Es heißt also „außerdem", und dann werden die beiden anderen Zwecke angeführt. Wir hoffen, daß diese Milliarde nicht außerdem in großen Teilbeträgen in diese schwachen Regionen abfließen wird, die ohnehin im Rahmen des ERP-Plans, genauso wie Gemeindeinfrastruktur, gefördert werden.
Unser Anliegen ist es, die einzelnen Titel zur Förderung der mittleren und kleineren Unternehmen im ERP-Plan ergänzend aufzustocken, zusätzlich neue Wege zu finden und die Summe bis zu einer Milliarde DM für die mittelständische Wirtschaft freizustellen. Wir wollen doch keine falschen Hoffnungen mit einem Antrag erwecken — ich spreche nicht von einem „Propagandaantrag" — der draußen in der mittelständischen Wirtschaft irgendwelche großen Blütenträume entstehen läßt, die dann nicht erfüllt werden können.
Sie wissen, daß die ERP-Mittel jedes Jahr bereits Mitte Juli, Anfang August vergeben sind und die Mehrzahl der Anträge überhaupt nicht bedient werden kann. Das muß sich ändern. In diesem Sinne begrüßen wir den Antrag, und wir hoffen, daß der Betrag ganz für die mittleren und kleineren Unternehmen verwendet werden kann, und daß die gemeindlichen Infrastrukturinvestitionen und die wirtschaftsschwachen Regionen ebenfalls, aber aus einem anderen Topf, im Rahmen des Eventualhaushalts gefördert werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615607500
Wird zu den Punkten 2 und 3 noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9019
Vizepräsident Dr. Schmid
Zu Punkt 2 liegt folgender Antrag vor:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechend § 6 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes ein den Eventualhaushalt für das Haushaltsjahr 1972 ergänzendes ERP-Investitionsprogramm bis zu 1 Milliarde DM vorzubereiten.
Im Rahmen dieses ERP-Investitionsprogramms sollen . . .
Sind Sie damit einverstanden, daß der Antrag Drucksache VI/2620 an den Finanzausschuß — federführend an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO und der Antrag Umdruck 244 an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden? — Die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetze
— Drucksache VI/2900 —
Nach Mitteilung des Ältestenrats soll keine Aussprache stattfinden. Ist das Haus damit einverstanden, daß der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen wird? — Die Überweisung ist beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache VI/2890 und VI/ 2914 —
Ich rufe zunächst die erste Dringlichkeitsfrage des Abgeordneten Dr. Meinecke — Drucksache VI/2914 — auf:
Wie groß ist die Anzahl der sich noch in den Kriegsgebieten von Pakistan und Indien befindlichen Staatsbürgern der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Kampfhandlungen unmittelbar bedroht sind (einschließlich der Besatzungen von unmittelbar bedrohten Handelsschiffen)?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615607600
Ich beantworte die erste Frage wie folgt.
Bei Ausbruch der Kampfhandlungen zwischen Pakistan und Indien befanden sich ca. 50 Deutsche in Ost-Pakistan, rund 850 in West-Pakistan, rund 1700 in Indien; davon befanden sich 24 im Grenzgebiet zwischen Indien und West-Pakistan.
Zur Zeit halten sich in Bombay und in Kalkutta je ein deutsches Handelsschiff auf mit einer Besatzung von jeweils 30 Mann. Diese beiden Schiffe sind nicht gefährdet. Deutsche Schiffe haben Karachi und Chittagong unbehelligt verlassen. Unmittelbar bedroht sind die deutschen Staatsangehörigen, die sich zur Zeit noch in Ost-Pakistan, in Karachi sowie im Grenzgebiet zwischen Indien und West-Pakistan aufhalten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615607700
Eine Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0615607800
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der unmittelbaren Bedrohung derjenigen Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland, die sich dort noch aufhalten, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten — wenn der nächste Versuch, sie auszufliegen, nicht gelingen sollte — sich theoretisch oder praktisch ergeben, in Dacca oder in Ostpakistan eine Art neutralen Platz zu finden, um dort für die nächste Zeit eine Aufenthaltsmöglichkeit unter relativ sicheren Umständen zu erreichen.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615607900
Herr Abgeordneter, in der Antwort auf die zweite Frage werde ich Ihnen Zahlen nennen. Im Moment sind noch acht Angehörige des Generalkonsulats in Dacca, insgesamt 38 Personen. Wir bemühen uns gegenwärtig — die Verbindungen sind insofern intakt —, einen Ort außerhalb von Dacca zu finden, der geschützt ist. Das ist aber nicht ganz im Sinne der Betroffenen. Die Betroffenen haben jetzt vorgeschlagen, ,daß sie sich in einem internationalen Hotel als neutralem Ort versammeln. Überlegungen darüber sind im Gange. Es ist auch ein Bemühen im Gange, durch Hubschraubertransporte ,diejenigen, die jetzt heraus wollen — es gibt auch welche, die nicht heraus wollen, weil sie in der Krankenpflege und anderswo tätig sind —, herauszubekommen. Ein Ergebnis liegt dazu zur Stunde nicht vor. Es ist nur ziemlich sicher, daß jedenfalls heute Verkehrsmaschinen auf dem Flughafen Dacca nicht landen können, weil das Rollfeld durch Angriffe beschädigt ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615608000
Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0615608100
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der Zahl derjenigen Angehörigen der Bundesrepublik Deutschland, die sich in Westpakistan vor Ausbruch der Kampfhandlungen befunden haben, ist aus Pressemeldungen hervorgegangen, daß sich eine nicht geringe Zahl vorher auf Grund eigener Initiative z. B. in Richtung Afghanistan abgesetzt haben. Liegen Nachrichten darüber vor, ob diese Afghanistan, Kabul oder andere in der Nähe liegende Territorien unversehrt erreicht haben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615608200
Ja, Herr Abgeordneter; ich hatte dieses Thema in der Antwort auf Ihre zweite Frage im einzelnen vorgesehen. Vielleicht darf 'ich nachher noch einmal auf Ihre Frage zurückkommen und jetzt Idle zweite Frage beantworten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615608300
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Welche Evakuierungsmaßnahmen hat die Bundesregierung bisher erfolgreich unternehmen können, und welche sind bei einer Ausweitung der Kriegshandlungen vorgesehen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615608400
Herr Abgeord-
9020 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
neter, im März 1971 wurden 270 deutsche Staatsangehörige sowie 134 Ausländer in drei Flügen aus Dacca evakuiert. Die Bundesrepublik Deutschland war das erste Land, das diese Maßnahme ergriffen hatte, als es zu diesen damaligen Unruhen und Schwierigkeiten kam. Von den sich zur Zeit noch in Ostpakistan aufhaltenden deutschen Staatsangehörigen sollen, soweit uns die genauen Zahlen vorliegen, 38 Personen — einschließlich der acht Angehörigen des Generalkonsulats in Dacca — im Rahmen einer Evakuierungsaktion der Vereinten Nationen ausgeflogen werden, falls die Umstände dies zulassen. Die Umstände habe ich soeben geschildert. Für den Fall, daß das Rollfeld nicht instand gesetzt werden kann und keine Garantie gegeben ist, daß die Flugzeuge wirklich unbeschädigt landen können, d. h., daß sie nicht angegriffen werden, bemüht man sich jetzt um Hubschrauber.
Das Motorschiff „Falkenfels" von der Hansa-Linie hatte seinen Aufenthalt im Hafen von Chittagong verlängert, um notfalls deutsche Staatsangehörige aufnehmen zu können. Das Schiff verließ Chittagong am 5. Dezember 1971. Von der gebotenen Möglichkeit der Evakuierung haben keine Deutschen Gebrauch gemacht. Wir haben das jedenfalls angeboten. Dagegen haben sechs deutsche Staatsangehörige am 7. Dezember mit dem Motorschiff „Stolzenfels" Karachi verlassen.
In Westpakistan war den deutschen Staatsangehörigen, die sich in besonders gefährdeten Grenzgebieten aufhielten, bereits Anfang November, also vor Ausbruch des jetzigen Konflikts, empfohlen worden, diese Gebiete zu verlassen. Viele Deutsche haben sich daraufhin nach Karachi und Kabul begeben. Heute wurden aus Karachi selbst etwa 350 Deutsche mit vier Maschinen der Bundeswehr nach Teheran evakuiert. Die erste Maschine ist bereits dort angekommen und soll um 14.15 Uhr weiterfliegen. Die Evakuierung konnte erst durchgeführt werden, nachdem Pakistan und Indien eine Sicherheitszusage für einen Aufenthalt in Karachi von zwei bis drei Stunden gegeben hatten. Die nach der empfohlenen Vorevakuierung in den Räumen Lahore, Multan und Peshawar verbliebenen Deutschen befinden sich zur Zeit auf dem Wege nach Kabul in Afghanistan. Inzwischen sind dort zirka 70 Personen eingetroffen; man rechnet insgesamt mit 200 bis 400 Flüchtlingen. Zur Zeit wird geprüft, ob und auf welchem Wege die deutschen Staatsangehörigen im Raum Islamabad evakuiert werden können.
Sich in Indien aufhaltende Deutsche sind, abgesehen von einigen Einzelfällen im Grenzgebiet zwischen Indien und Westpakistan, bis jetzt nicht gefährdet. An eine generelle Evakuierung wird vorerst nicht gedacht. Es unterliegt ihrem freien Willen, da die Verkehrsmittel noch funktionieren, das Land eher mit Flugzeugen zu verlassen.
Die Bundesregierung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um auch nach einer eventuellen Ausweitung der Kriegshandlungen die Sicherheit der deutschen Staatsangehörigen zu gewährleisten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615608500
Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0615608600
Wenn bei solchen Evakuierungsmaßnahmen Sicherheitszusagen der beiden kriegführenden Mächte gegeben werden, verbunden mit dem Versprechen, eine Feuerpause einzulegen, stellt sich politisch die Frage: Wer gibt solche Sicherheitsgarantien, und ist dabei die Gewähr gegeben, daß solche Feuerpausen auch eingehalten werden? Die Ereignisse in Dacca haben ja wohl bewiesen, daß die kämpfenden Truppen sich um diese Feuerpause überhaupt nicht kümmern.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615608700
Herr Abgeordneter, Sie sprechen ein Problem an, das uns in der Tat große Sorge macht, weil in dem Zustand, in dem sich das Land und auch die Kämpfenden befinden, Garantien für die Sicherheit nicht mit voller Überzeugung gegeben werden können. Wir haben uns bei den betreffenden Regierungen bemüht, diese Garantien zu erhalten, und man ist auch, soweit ich das von hier aus erkennen kann, an die Militärkommandeure herangetreten. Weiterhin haben wir Kontakt zu befreundeten Staaten aufgenommen, um durch gemeinsame Aktionen, etwa für einen bestimmten Evakuierungsplatz, ein möglichst hohes Maß an Sicherheit für unsere Staatsangehörigen zu gewährleisten. Vielleicht wird die Entscheidung der Vollversammlung der Vereinten Nationen — das darf ich hinzufügen — einen Ansatz bieten können, um wenigstens die Nichtbetroffenen, die Nichtkombattanten in diesem Gebiet mehr zu schützen, als es bisher möglich war.
Ich darf hinzufügen, daß die deutschen Beamten, die dort tätig sind, und vor allem auch die Angehörigen der Bundesluftwaffe, die diese Evakuierungsaktion jetzt vorgenommen haben, ein Höchstmaß an Umsicht bewiesen haben. Ich glaube, wir dürfen den hieran Beteiligten dafür dankbar sein.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0615608800
Ich für meine Person teile natürlich diese große Dankbarkeit. Aber ich habe hier nicht für das Haus zu sprechen, sondern nur für mich selber.
Unbeschadet der Verpflichtung der Vereinten Nationen, in diesem Konflikt politische Lösungen anzubieten und der Situation Herr zu werden — das ist aber nicht unser Thema — frage ich: Welche Möglichkeiten haben die Vereinten Nationen, in Zusammenarbeit mit den einzelnen Ländern, wie der Bundesrepublik, die bereit sind, sich aktiv durch Zurverfügungstellung von Flugzeugen an den Evakuierungsmaßnahmen zu beteiligen, die Dinge zu koordinieren und die kriegführenden Mächte zu drängen, ihre Kampfhandlungen und Bombardierungen erst dann fortzusetzen, wenn die unbeteiligten Ausländer herausgebracht worden sind?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615608900
Zunächst muß ich ergänzend hinzufügen, daß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz auch hier maßgebend und hilfsbereit tätig ist und daß wir, etwa im Rahmen der Besprechungen, die heute in Brüssel stattfinden, versuchen, für die dort beteiligten europäischen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9021
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
Staaten eine gemeinsame Marschroute auch für diese Thematik zu finden. Bisher ist das, glaube ich, durchaus gelungen, so daß eine Abstimmung mit befreundeten Staaten bei der Hilfe für ihre Staatsangehörigen erfolgen kann. Das geht u. a. auch daraus hervor, daß von deutscher Seite in diesen Tagen und Stunden auch Angehörigen anderer Staaten geholfen werden konnte. Ich weise nur darauf hin, daß zwei Boeing 707 der Bundesluftwaffe heute morgen 388 Personen nach Teheran geflogen haben. Dazu kommen noch zwei Transall-Flugzeuge mit 26 und 11 Passagieren, die in Persien noch nicht gelandet, aber nach den uns vorliegenden Nachrichten dorthin gestartet sind. Unter diesen Passagieren befinden sich über 40 Ausländer, darunter amerikanische, britische, jordanische und iranische Staatsangehörige, die wir im Zuge dieser Zusammenarbeit mit unseren Flugzeugen evakuieren konnten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615609000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten van Delden.

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0615609100
Herr Staatssekretär, sollte man nicht, nachdem Sie sich vorhin zu Recht skeptisch über die Einhaltung des Waffenstillstands geäußert haben, die Deutschen, die es vorziehen, an Stelle einer vielleicht vorher vereinbarten Evakuierung aus Dacca an einen sicheren Ort in ein internationales Hotel zu ziehen, darauf hinweisen, daß sie dies auf eigene Gefahr tun? Wenn sie einen „Evakuierungsanspruch" an die Bundesregierung stellen, müssen sie sich auch einer gewissen Weisung unterstellen, damit nicht nachher die Bundesluftwaffe unnötig in Gefahr gebracht wird, wenn sie diejenigen, die ein solches gefährdetes Hotel freiwillig bezogen haben, evakuieren soll.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0615609200
Herr Abgeordneter, ich glaube, da handelt es sich um ein kleines Mißverständnis. Die Überlegung, ein Hotel zu nehmen, ist von unserem dortigen Generalkonsul, der bisher umsichtig war und gut gearbeitet hat, angestellt worden, weil dieser Platz möglicherweise einen größeren Schutz biete und weil in dem zunächst vorgesehen gewesenen, außerhalb der Stadt liegenden Ort vielleicht auch noch andere Gefahren drohen. Das kann ich von hier aus nicht beurteilen. Das Hotel liegt — das ist ein gewisser Nachteil, wie ich mir von einem Kollegen habe sagen lassen — nicht allzu weit vom Flughafen entfernt. Aber das wiederum ist der Punkt, um den es hier geht. Man will für einfliegende Flugzeuge und Hubschrauber relativ leicht erreichbar sein und nicht erst gesucht werden müssen. So ganz einfach ist das in einem fremden Land sicherlich nicht. Wir haben also diejenigen, die evakuiert werden wollen, aufzufordern, sich an dem Platz zu versammeln, an dem sich alle Ausländer, die evakuiert werden wollen, versammeln sollen, damit die Hilfsmaßnahmen, die von außen eingeleitet werden, die Betroffenen auch erreichen können. Das ist, glaube ich, die Frage. Aber wir sind nicht in der Lage, von hier aus irgendwelche Hinweise oder Anweisungen zu geben. Das müssen wir den am Ort verantwortlich tätigen Beamten überlassen. Da der Verantwortliche es bisher richtig gemacht hat, wie Sie sehen — es sind glücklicherweise keine Menschenverluste auf unserer Seite eingetreten —, sollte man ihm auch weiterhin die Beurteilung der Lage überlassen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es sich bei dem Hotel um einen Ort in der Nähe des Flughafens handelt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615609300
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, Frage 1 des Abgeordneten von Thadden:
Sind bereits Auswirkungen des Beschlusses der Rechtspfleger des Landesverbands Saar erkennbar, die Arbeit der Rechtspfleger nur nach intensiverer Prüfung und längerer Bearbeitungszeit mit geringerem persönlichen Risiko durchzuführen?

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615609400
Herr Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615609500
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten von Thadden auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob eine solche Aktion der Rechtspfleger auch in anderen Bundesländern stattfinden soll, und wie beurteilt sie die Gründe für die erhebliche Unruhe unter den Rechtspflegern?

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615609600
Herr von Thadden, nach dem Wortlaut der mir vorliegenden Entschließung des Landesverbandes Saar e. V. des Bundes Deutscher Rechtspfleger vom 26. November 1971 handelt es sich bei dem von Ihnen angesprochenen Beschluß nur um die Erwägung, daß notfalls auch „Arbeit mit geringerem persönlichen Risiko" —z. B. intensivere Prüfung und längere Bearbeitungszeit gerichtlicher Vorgänge — als Maßnahme der Rechtspfleger in Betracht kommen könnte. Auswirkungen hat die Entschließung soweit ich sehen kann, bisher noch nicht gehabt.
Nach Auskunft der Landesjustizverwaltungen sind ähnliche Aktionen der Rechtspfleger in anderen Bundesländern nicht geplant. Soweit eine Unruhe unter den Rechtspflegern festgestellt werden kann, liegen die Gründe in der Besorgnis, daß das Besoldungsrecht dem tiefgreifenden Funktionswandel, der bei den Beamten des gehobenen Justizdienstes mit der Übertragung weiterer Aufgabengebiete durch die Rechtspflegergesetze in den Jahren 1957 und 1969 eingetreten ist, nicht hinreichend Rechnung trägt. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in der Verordnung zu § 5 Abs. 6 Satz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes, die allerdings noch der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zwar nicht alle Wünsche der Rechtspfleger erfüllen konnte, aber eine wesentliche Verbesserung der Stellenpläne für die Rechtspfleger in den Bundesländern ermöglicht hat.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615609700
Eine Zusatzfrage.

Franz-Lorenz von Thadden (CDU):
Rede ID: ID0615609800
Herr Staatssekretär, hält das Bundesjustizministerium ebenso wie die Konferenz der Justizminister der Länder an der Auf-
9022 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
von Thadden
fassung fest — die dann in einem gewissen Gegensatz zur Haltung des Innenministeriums stehen würde —, daß eine Sonderlaufbahn für Rechtspfleger gerechtfertigt ist?

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615609900
Wir halten nach wie vor aus rechtspolitischen Überlegungen an dieser Auffassung fest.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615610000
Eine weitere Zusatzfrage.

Franz-Lorenz von Thadden (CDU):
Rede ID: ID0615610100
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Ansicht ich bin aus eigener Beobachtung allerdings der Meinung, daß es sich bei dem angesprochenen Vorgang in Saarbrücken um mehr als nur eine Meinungsäußerung handelt, nämlich um einen Beschluß —, daß eine Gefährdung für die Rechtsuchenden eintreten könnte, wenn sich ein solcher Beschluß ausbreitet? Ich gehe davon aus, daß das der Fall sein könnte.

Dr. Alfons Bayerl (SPD):
Rede ID: ID0615610200
In dem Beschluß heißt es wörtlich, daß solche Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Bis jetzt sprechen keine Tatsachen dafür, daß das eine Gefährdung der Rechtspflege bewirken könnte.
Im übrigen, Herr Kollege, hoffe ich darauf, daß die vorgesehene Ämterneubewertung in Zusammenhang mit den bereits jetzt beschlossenen Vergünstigungen im Hinblick auf die Stellenpläne der Rechtspfleger diese von Ihnen angesprochene Sorge nicht so groß werden läßt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615610300
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, Fragen 138 und 139 des Abgeordneten Dr. Wagner. — Der Fragesteller hat gebeten, daß ihm die Fragen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Frage 62 des Herrn Abgeordneten Hussing:
Kann die Bundesregierung mitteilen, um welchen Betrag die Bundesanstalt für Arbeit die Anwerbungspauschale -- wie sie nach § 21 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes zur Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer von den Arbeitgebern erhoben werden kann — erhöhen will?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615610400
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 62 und 63 gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615610500
Einverstanden. Ich rufe auch die Frage 63 des Abgeordneten Hussing auf:
Welche Gründe haben die Organe der Bundesanstalt für Arbeit veranlaßt, die Anwerbungspauschale zu erhöhen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615610600
Herr Abgeordneter, die nach § 21 des Arbeitsförderungsgesetzes von der Bundesanstalt für Arbeit erhobene Gebühr liegt erheblich unter den für die Vermittlung ausländischer Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Aufwendungen. Sie ist für die Vermittlung italienischer Arbeitnehmer entsprechend den im Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seit 1960 geltenden Sonderregelungen auf 60 DM und für jeden vermittelten türkischen, jugoslawischen, spanischen, griechischen, portugiesischen, marokkanischen und tunesischen Arbeitnehmer im Jahre 1965 auf 165 DM festgesetzt worden. In der Zwischenzeit sind die mit der Vermittlung zusammenhängenden Kosten, insbesondere die Kosten für die Bahn- und Schiffsreise sowie für die ärztlichen Untersuchungen der ausländischen Arbeitnehmer, beträchtlich angestiegen. Hinzu kommt, daß seit dem Frühjahr 1970 ein großer Teil der aus der Türkei vermittelten Arbeitnehmer, insbesondere alle Frauen, auf dem Luftweg in das Bundesgebiet einreisten.
Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß die Aufwendungen der Bundesanstalt für Arbeit die Gebühren im Jahre 1970 um 11,5 Millionen DM überstiegen. Der Bundesrechnungshof hat daher dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit empfohlen, die Frage einer Gebührenerhöhung zu prüfen.
Die Organe der Bundesanstalt beraten zur Zeit die Frage und das Ausmaß der Gebührenerhöhung. Da die Beratungen wahrschienlich in diesem Jahr nicht mehr abgeschlossen werden können, bitte ich um Verständnis, daß ich bei den laufenden Beratungen über die Höhe des Betrages jetzt noch keine Angaben machen kann.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615610700
Zusatzfrage.

Dieter Hussing (CDU):
Rede ID: ID0615610800
Darf ich daraus schließen, Herr Staatssekretär, daß auch über die Höhe der Einnahmemehrerwartung keine Auskunft gegeben werden kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615610900
Es kann jedenfalls keine exakte Auskunft gegeben werden, weil es noch unterschiedliche Vorstellungen über die endgültig festzusetzenden Sätze gibt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615611000
Zweite Zusatzfrage.

Dieter Hussing (CDU):
Rede ID: ID0615611100
Herr Staatssekretär, wäre es, wenn dieses Defizit besteht, nicht notwendig und wünschenswert, daß künftig ein größerer Teil der ausländischen Arbeitnehmer durch die Bundesanstalt für Arbeit angeworben werden könnte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615611200
Das wird bei der Bundesanstalt auch geprüft.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615611300
Zusatzfrage.

Dieter Hussing (CDU):
Rede ID: ID0615611400
Können Sie sagen, wieweit diese Bemühungen gediehen sind?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9023

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615611500
Es wird darüber beraten. Ich rechne damit, daß wir in den ersten Monaten des kommenden Jahres mehr darüber wissen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615611600
Zusatzfrage.

Dieter Hussing (CDU):
Rede ID: ID0615611700
Können Sie auch keine Auskunft über die Organisation geben, also darüber, wie das vonstatten gehen soll?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615611800
Jetzt und hier nicht. Ich bin aber gern bereit, Ihnen darüber mehr zu schreiben, wenn Sie es wünschen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615611900
Die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Schneider (Nürnberg) wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Bredl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf die Träger der Sozialversicherung einzuwirken, Schonzeiten im Anschluß an Kurmaßnahmen als Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zu bewerten, da der Begriff „Schonzeiten" versicherungsrechtlich unbekannt ist und Quelle erheblicher Rechtsstreitigkeiten darstellt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615612000
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 65 und 66 gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615612100
Einverstanden. Ich rufe auch die Frage 66 des Abgeordneten Bredl auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eine entsprechende klarstellende gesetzliche Regelung vorzubereiten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615612200
Herr Abgeordneter, der Begriff der Schonungszeit ist gesetzlich nur im Lohnfortzahlungsgesetz geregelt. Hier hatten sich die Gerichte damit zu befassen, inwieweit eine ungleiche Behandlung der Arbeiter gegenüber den Angestellten gerechtfertigt sei. Zu diesem Problem darf ich Sie auf die Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde in der Fragestunde vom 20. Oktober 1971 zu einer entsprechenden Frage des Abgeordneten Geisenhofer hinweisen, wo der Parlamentarische Staatssekretär Rohde darlegte, daß unser Haus beabsichtigt, diese Frage im Rahmen des Entwurfs eines Zweiten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes aufzugreifen und die Schlechterstellung der Arbeiter im Rahmen dieses Gesetzes zu beseitigen. Der Entwurf soll noch in dieser Legislaturperiode den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden.
Darüber hinaus spielt der Begriff der Schonungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit eine Rolle, als die Versicherungsträger im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen auf Grund autonomer Richtlinien längstens bis zu 14 Tagen eine Schonungszeit bewilligen, d h. auch Schonungsgeld für diese Zeit zahlen können. Hierbei schreiben die Richtlinien in der Regel vor, daß Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegen darf — also kein Krankengeld gezahlt wird — und auch der Lohn nicht fortgezahlt wird, vom Arzt aber Arbeitsruhe noch verordnet ist. Unserem Hause ist nicht bekannt, daß diese Regelung zu Rechtsstreitigkeiten geführt hat. Sollten Ihnen solche Fälle bekannt sein, wäre ich für eine Mitteilung dankbar, damit wir der Angelegenheit nachgehen können.
Im übrigen wird unser Haus auch bei der Vorlage des Entwurfs eines Rehabilitations-Angleichungsgesetzes nochmals prüfen, ob die Regelung über die Gewährung einer Geldleistung während einer ärztlich verordneten Schonungszeit, insbesondere durch eine eindeutige Abgrenzung der leistungspflichtigen Träger, der Klarstellung bedarf. Dieses Gesetz wird in Kürze dem Hohen Hause zugeleitet werden.

(Abg. Bredl: Vielen Dank!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615612300
Die Fragen 67 und 68 des Abgeordneten Lenzer werden auf Antrag des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 69 des Abgeordneten Varelmann auf:
War die frühere harte Kritik der Gewerkschaften an dem Lohnunrecht. daß Frauen auf den gleichen Arbeitsplätzen wie die der Männer geringer entlohnt wurden, voll gerechtfertigt und zusätzlich auch die Kritik an der allgemeinen Unterentlohnung?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615612400
Auch hier, Herr Präsident, würde ich darum bitten, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu können.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615612500
Sind Sie einverstanden, Herr Kollege?

(Abg. Varelmann: Einverstanden!) Dann rufe ich zusätzlich Frage 70 auf:

Da in der Rentenberechnung noch Lohnleistungen aus der Zeit von vor 50 Jahren und damit indirekt ein Unrecht der Vergangenheit stecken, wäre es nicht an der Zeit, dies zu beseitigen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615612600
Herr Abgeordneter, die frühere harte Kritik der Gewerkschaften, daß Frauen auf den gleichen Arbeitsplätzen geringer entlohnt würden als Männer, war gerechtfertigt. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung — erstmals im Januar 1955 -aus Art. 3 Abs. 2 GG den Grundsatz der Lohngleichheit von Männern und Frauen abgeleitet. Seitdem sind in zunehmendem Maße in den Tarifverträgen noch vorhandene spezielle Frauenlohngruppen bzw. Lohnabschläge für Frauen beseitigt worden, so daß gesagt werden kann, daß der Grundsatz der Lohngleichheit in der Bundesrepublik insoweit als verwirklicht angesehen werden kann.
Wenn die Gewerkschaften heute trotzdem noch von einer Diskriminierung der Frauen hinsichtlich des Lohns sprechen, so meinen sie damit, daß die in zahlreichen Tarifverträgen verschiedener Wirtschaftszweige noch vorhandenen Leichtlohngruppen im Sinne einer Diskriminierung der Frauenarbeit gehandhabt werden.
9024 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Staatssekretär Dr. Ehrenberg
Die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit den Tarifpartnern die Absicht, hier einen größeren Forschungsauftrag zu vergeben. Dabei sollen Untersuchungen in Betrieben der Wirtschaftszweige, in denen es noch Leichtlohngruppen gibt, durchgeführt werden. Eine Reihe von Voruntersuchungen, die der Klärung methodischer Fragen dienten, wird in Kürze abgeschlossen sein. Wir können damit rechnen, daß der Auftrag für die Hauptuntersuchung zu Beginn des kommenden Jahres vergeben werden kann.
Was Ihre zweite Frage betrifft, so ist es richtig, daß bei einem heute eintretenden Versicherungsfall der Rentenberechnung Löhne und Gehälter aus Zeiten zugrunde gelegt werden, die bis zu 50 Jahre zurückliegen können. Damit ist für die heutigen Rentner jedoch im allgemeinen kein Unrecht verbunden, weil für die Rentenberechnung nicht die absolute Höhe der Löhne und Gehälter maßgebend ist, sondern das Verhältnis, in dem der Arbeitsverdienst des einzelnen zum jeweiligen Durchschnittsverdienst aller Versicherten gestanden hat.
Allerdings hat es in der Vergangenheit in einigen Branchen und in unterstrukturierten Gebieten auch ungerechtfertigt niedrige Löhne gegeben. Außerdem mußten Frauen in der Vergangenheit vielfach Lohnabschläge hinnehmen. Die hieraus resultierenden Nachteile bei den heutigen Renten sollen nach dem Willen der Bundesregierung beseitigt werden, in dem von uns vorgelegten Entwurf eines Rentenreformgesetzes stellt ein Punkt — die Anhebung der niedrigen Renten durch eine Rentenberechnung nach Mindesteinkommen bei langjähriger Versicherungszeit — gerade auf diesen Tatbestand ab. Mit dieser Strukturmaßnahme wird das Problem der trotz eines erfüllten Arbeitslebens bestehenden Kleinrenten gezielt einer Lösung zugeführt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615612700
Eine Zusatzfrage, Herr Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0615612800
Herr Staatssekretär, hat die Regierung geprüft, in welchem Umfang die Rentner von den Vorhaben der Regierung in bezug auf die kleinen Renten betroffen werden? Sind es bei den Männerrenten nicht weniger als 1 °/o, und bedeutet dies nicht, daß bei den Witwenrenten, die zum großen Teil sehr unzureichend sind, keinerlei echte Aufbesserung eintritt? Zusätzlich steht auch noch fest, daß von den Frauenrenten nur etwa 3 % betroffen sind. Ist damit das Vorhaben der Regierung nicht von nur sehr begrenzter Auswirkung?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615612900
Herr Abgeordneter, die Zahlen liegen in dem verabschiedeten Gesetzentwurf im Detail vor. Die Vorhaben sind nicht von begrenzter Auswirkung, sondern es werden alle von dieser Regelung erfaßt, die mehr als 35 Versicherungsjahre hinter sich gebracht haben, und das ist die überwiegende Mehrzahl aller Versicherten, die ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich haben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615613000
Eine zweite Zusatzfrage.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0615613100
Im öffentlichen Dienst wird bei den Beamten nach 35 Versicherungsjahren bereits die höchste Versorgung gewährt, in Ihren Planungen wollen Sie bei 35 Versicherungsjahren für die Rentner die unterste Stufe wählen. Ist zusätzlich bekannt, daß ein sehr hoher Anteil gerade der Frauen keine 35 Versicherungsjahre erreicht? Ist damit die gewählte Zahl der Jahre nicht sehr unbefriedigend? Und steht nicht zusätzlich fest, daß bei einer Bemessungsgrundlage von 70 % weitgehend noch nicht einmal die Leistungen der Sozialhilfe erreicht werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615613200
Herr Abgeordneter, mit diesem Programm und der gezielten Anhebung der Renten eines erfüllten Arbeitslebens durch Berechnung der Renten nach Mindesteinkommen werden die strukturellen Mängel der Rentenneuregelungsgesetze von 1957 dort beseitigt, wo es notwendig ist. Da Sie speziell die Frauenrenten ansprachen, möchte ich Sie darauf hinweisen, daß dieses Rentenreformgesetz speziell für Frauen noch einen anderen Punkt enthält, nämlich die Anrechnung eines zusätzlichen Versicherungsjahres für jedes Kind einer versicherten Frau, wodurch auch hier ein strukturell gezielter Ausgleich geschaffen wird.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615613300
Eine weitere Zusatzfrage.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0615613400
Herr Staatssekretär, hat es nicht in den Berufssparten, aus denen die vielen kleinen Rentner kommen, wesentliche Lohnaufbesserungen gegeben, so daß von den Angehörigen dieser Berufssparten heute relativ beachtliche Beiträge gezahlt werden? Wäre es deshalb nicht gerechter, wenn das Lohnunrecht der Vergangenheit in größerem Umfang wiedergutgemacht würde, als es von der Regierung geplant ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615613500
Herr Abgeordneter, wir beseitigen die strukturellen Mängel in dem Maße, wie es die Finanzen der Rentenversicherung zulassen. Jede Ausweitung würde eine Veränderung der Finanzgrundlage und damit möglicherweise eine zusätzliche Beitragserhöhung bedeuten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615613600
Eine letzte Zusatzfrage.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0615613700
Herr Staatssekretär, beachtet die Regierung, daß den heutigen Spitzenrenten seit 1957 keine vergleichbaren Beiträge gegenüberstehen und die Höchstbeiträge in den vergangenen Jahren nur einen Wert hatten, der zwischen 154 und 179 DM lag? Bedeutet das nicht, daß die kleinen Rentner für die Spitzenrentner Not leiden
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9025
Varelmann
müssen? Ist das gerechtfertigt, oder was gedenkt die Regierung zu tun, um das zu beseitigen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615613800
Herr Abgeordneter, ich kann dieser Frage nicht folgen. In dieser Beziehung hat sich an der Rentenformel seit 1957, als sie von Ihrer Partei verabschiedet wurde, nichts geändert. Ich glaube nicht, daß Sie damals eine sozial ungerechtfertigte Regelung von Klein-und Höchstrenten beabsichtigt haben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615613900
Herr Abgeordneter Nölling.

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0615614000
Herr Staatssekretär, können Sie dem Kollegen Varelmann bestätigen, daß die Bundesregierung im Rahmen der geplanten Rentenreform wahrscheinlich noch mehr tun würde, um die Probleme in Angriff zu nehmen oder zu beseitigen, wenn die Berechnungen der Opposition zuträfen, daß bis 1985 tatsächlich etwa 200 Milliarden DM an Überschüssen in der gesetzlichen Rentenversicherung entstehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615614100
Die Bundesregierung würde das sehr gern in größerem Ausmaß und auch sehr gezielt tun, wenn diese Rechnung stimmte. Leider ist das nicht der Fall. Ich muß darauf hinweisen, daß in der vergangenen Woche der seit langem angekündigte Besuch eines Herrn von der CDU-Planungsgruppe in unserem Hause stattgefunden hat. Leider ist es diesem Herrn nicht möglich gewesen, uns die Rechnungsgrundlagen für die 200 Milliarden DM vorzulegen, so daß ich annehmen muß, daß sich diese Zahl in Nebel auflösen wird.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615614200
Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0615614300
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir einen Punkt noch einmal bestätigen, nämlich daß Frauen das sogenannte erfüllte Arbeitsleben auch durch „Babyjahre" erbringen können?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615614400
Für die Vergangenheit nicht, für die Zukunft ja.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615614500
Frage 71 des Abgeordneten Härzschel:
Beabsichtigt die Bundesregierung, nach dem Beschluß, den Rentnern den Krankenkassenbeitrag zurückzuzahlen, auch den Kriegsopfern eine zusätzliche Leistung zu gewähren?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615614600
Herr Abgeordneter, erlauben Sie mir zunächst die Klarstellung, daß nicht die Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Rückzahlung der Krankversicherungsbeiträge der Rentner vorbereitet, sondern daß es sich hierbei um einen von den Koalitionsfraktionen angekündigten Initiativantrag handelt. Nach diesem Antrag steht nur die Rückzahlung von Krankenversicherungsbeiträgen und nicht eine zusätzliche Leistung sozialrechtlicher Art zur Diskussion. Da im übrigen Kriegs- und Wehrdienstopfer im Zusammenhang mit ihrem Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz keine Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen haben und auch nicht hatten, stellt sich hier die Frage der Beitragserstattung nicht.
Soweit allerdings Versorgungsberechtigte nach dem Bundesversorgungsgesetz — was bei einer großen Anzahl der Fall ist — zugleich Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung sind, würden sie nach denn genannten Initiativantrag selbstverständlich ebenfalls in den Genuß einer Beitragserstattung kommen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615614700
Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0615614800
Herr Staatssekretär, darf ich zunächst annehmen, daß sich die Regierung hinter diese Anträge stellen wird, und darf ich Sie weiter fragen, ob Sie nicht der Meinung sind, daß die Kriegsopfer durch die damalige Finanzsituation des Bundes auf ihre Anpassung verzichten mußten und daß sie ebenfalls ein Opfer gebracht haben, was man damals den Rentnern in Form eines Beitragsanteils zur Krankenversicherung abverlangt hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615614900
Herr Abgeordneter, ich kann mir nicht vorstellen, daß die vergangene Bundesregierung die Kriegsopfer bei den notwendigen Anpassungen vernachlässigt hat. Bei diesem Initiativantrag handelt es sich ausschließlich um die Rückzahlung von geleisteten Beiträgen, die unserer Meinung nach im System der Rentenversicherung keinen Platz hatten. So wie die Bundesregierung zu Beginn des Jahres 1970 als erste Maßnahme die Zahlung dieser systemfremden Beiträge abgeschafft hat, will sie jetzt, da es die Finanzierungsgrundlagen für das Jahr 1972 erlauben, diese in den zwei Jahren gezahlten Beiträge zurückzahlen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615615000
Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0615615100
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie also richtig verstanden habe, sind Sie der Meinung, daß die Kriegsopfer in der damaligen Finanzsituation nicht benachteiligt worden sind, sondern daß für sie die Anpassung richtig erfolgt ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615615200
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe die Vermutung ausgesprochen, daß sie die damalige Bundesregierung entsprechend berücksichtigt haben wird. Im übrigen haben wir gleichzeitig mit der Dynamisierung der Kriegsopferrenten im Jahre 1970 eine sehr wesentliche lineare Erhöhung und noch stärker strukturelle Verbesserungen, die im Jahre 1970 z. B. bei den Witwenrenten eine Anhebung bis zu 25 % zur Folge hatten, durchgeführt. An diesem durch gezielte
9026 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Staatssekretär Dr. Ehrenberg
Maßnahmen erreichten Niveau orientieren sich jetzt die an die Rentenformel der Rentenversicherung angehängten und von Jahr zu Jahr erfolgenden Anpassungen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615615300
Abgeordneter Nölling zu einer Zusatzfrage.

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0615615400
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß der Kollege Härzschel Dinge miteinander vergleicht, die nicht vergleichbar sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615615500
Ich würde mir über die Vergleichbarkeit von Dingen, die ein Abgeordneter hier vorträgt, kein Urteil gestatten.

(Heiterkeit.)


Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0615615600
Darf ich eine weitere Frage stellen?

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615615700
Dann stellen Sie aber eine sachliche Frage.

Dr. Wilhelm Nölling (SPD):
Rede ID: ID0615615800
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es bisher nicht zu den Sorgen der Opposition gehört hat, bei dem Vorschlag, die Renten linear zu erhöhen, auch an die Kriegsopfer zu denken, wie wir daraus entnehmen können, daß sie keine Auswirkungen auf den Bundeshaushalt je genannt hat oder je gezeigt hat, wie diese Auswirkungen finanziert werden könnten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615615900
Das muß ich bestätigen, weil gleichzeitig im Deutschen Bundestag wie auch im Bundesrat bei den Anträgen auf eine vorzeitige Anpassung die sehr erheblichen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt nicht nur nicht berücksichtigt, sondern im Regelfall gleichzeitig auch noch pauschal Haushaltskürzungen gefordert worden sind.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615616000
Zusatzfrage.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0615616100
Herr Staatssekretär, verdienen die Kriegsopfer nicht den gleichen Teuerungszuschlag?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615616200
Die Bundesregierung zahlt keinen Teuerungszuschlag, weder für Kriegsopfer noch für andere.

(Abg. Härzschel: Das ist doch einer! — Abg. Dr. Nölling: Sie haben doch immer bestritten, daß Sie einen verlangen!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615616300
Frage 72 des Abgeordneten Pieroth:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um die Berufsqualifikation der Aussiedler aus Polen in der Bundesrepublik Deutschland entsprechend anzuerkennen, um damit den Aussiedlern die Aufnahme geregelter Tätigkeit zu erleichtern?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615616400
Herr Abgeordneter, durch das Erste Flüchtlingshilfe-Änderungsgesetz vom 10. Mai 1971 ist § 92 des Bundesvertriebenengesetzes neu gefaßt und damit die Rechtsposition der Aussiedler hinsichtlich der Anerkennung von Prüfungen und Befähigungszeugnissen wesentlich verbessert worden. Danach sind Prüfungen und Befähigungsnachweise, die vor dem 8. Mai 1945 im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 abgelegt oder erworben wurden, anzuerkennen und Prüfungen, die vor dem 8. Mai 1945 in Gebieten außerhalb des Deutschen Reiches nach dem obengenannten Gebietsstand oder nach dem 8. Mai 1945 in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik abgelegt oder erworben wurden, anzuerkennen, wenn sie den entsprechenden Prüfungen oder Befähigungsnachweisen in der Bundesrepublik gleichwertig sind.
Spezialregelungen enthalten § 43 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes und § 40 Abs. 2 der Handwerksordnung; danach ist der fachlich zuständige Bundesminister im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ermächtigt, die außerhalb des Geltungsbereichs des Berufsbildungsgesetzes bzw. der Handwerksordnung erworbenen beruflichen Befähigungszeugnisse den entsprechenden deutschen Zeugnissen durch Rechtsverordnung gleichzustellen.
Die Bundesregierung hat sich bei den zuständigen Landesbehörden und Organisationen der Wirtschaft dafür eingesetzt, daß die entsprechenden Vorschriften nach einheitlichen Maßstäben großzügig angewandt werden. Daher ergab sich auch keine Notwendigkeit, von den Ermächtigungen Gebrauch zu machen, zumal nennenswerte Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Eingliederung von Aussiedlern bisher nicht bekanntgeworden sind.
Wegen weiterer Einzelheiten darf ich auf die Antwort der Bundesregierung vom 24. März 1971 auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU —Bundestagsdrucksache VI/2013 —, insbesondere zu Nr. 8, verweisen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615616500
Zusatzfrage.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0615616600
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß auch nach dieser Änderung vom Mai nach wie vor größere Schwierigkeiten bei der Anerkennung der beruflichen Qualifikation bestehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615616700
Herr Abgeordneter, wir haben uns ausdrücklich noch einmal bei den zuständigen Organisationen und bei den Landesbehörden informiert. Das ist uns nicht bestätigt worden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615616800
Zusatzfrage.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0615616900
Herr Staatssekretär, wären Sie dann so freundlich, sich beim Deutschen Roten
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9027
Pieroth
Kreuz hier in Bonn zu erkundigen und mir Bericht zu erstatten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615617000
Das will ich gern tun.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615617100
Zusatzfrage.

Dr. Hans Edgar Jahn (CDU):
Rede ID: ID0615617200
Herr Staatssekretär, will die Bundesregierung bei den Landesregierungen darauf hinwirken, daß die Berufsqualifikationen, auch akademische Befähigungsnachweise, voll anerkannt werden, um den Aussiedlern die Möglichkeit der unmittelbaren Eingliederung in alle Bereiche von Staat und Wirtschaft zu geben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0615617300
Wir werden die entsprechenden Gespräche mit den Landesbehörden führen. Wir haben es auch schon getan. Wieweit sich das in jedem Einzelfall durchführen läßt, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615617400
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Dr. Enders auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 74 desselben Fragestellers. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Schmidt (Würgendorf) auf:
Wird die Bundesregierung den Vorschlag der Nordatlantischen Versammlung in ihrer Entschließung über Heimatschutzkräfte vom 28. September 1971 unterstützen, wonach im Rahmen der Nordatlantischen Versammlung ein Sonderausschuß für die Territorialheere gebildet und mit der Aufgabe betraut werden soll, gemeinsame Richtlinien für die Ausbildung und den Einsatz dieser Einheiten auszuarbeiten?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615617500
Herr Präsident! Herr Kollege Schmidt, die Einrichtung eines Sonderausschusses für Territorialheere im Rahmen der Nordatlantischen Versammlung entspricht den Vorstellungen der Bundesregierung und erweitert ihre bisherigen Bemühungen auf bilateraler Ebene. Da für erfolgreiches Zusammenwirken der Heimatschutzkräfte der NATO-Partner die Übereinstimmung hinsichtlich des Konzepts für Einsatz und Ausbildung sowie Ausrüstung wichtig ist, wird der Einrichtung des Sonderausschusses für Territorialheere und seiner Arbeit ein erheblicher Wert beigemessen.

Hermann Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0615617600
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in dieser Richtung Initiativen ergreifen oder Initiativen anderer NATO-Partner nachdrücklich unterstützen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615617700
Herr Abgeordneter, wir werden die Initiativen anderer Partner nachhaltig unterstützen, und wir arbeiten in allen Gremien der NATO mit, so daß ich davon ausgehe, daß die zuständigen Offiziere auch von sich aus initiativ werden, soweit sie es für notwendig erachten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615617800
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Hauser auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 77 desselben Fragestellers. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider (Nürnberg) auf:
Welche disziplinarischen Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung gegen die Soldaten zu ergreifen, die an dem Parteitag der DKP in Uniform teilnahmen, und wie will die Bundesregierung für die Zukunft die Teilnahme von Soldaten in Uniform an vergleichbaren Veranstaltungen verhindern?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615617900
Herr Präsident! Herr Kollege Dr. Schneider, die Soldaten, die entgegen dem ihnen bekannten Verbot des Tragens der Uniform bei politischen Veranstaltungen § 15 Abs. 3 des Soldatengesetzes — am DKP-Parteitag in Uniform teilgenommen haben, haben ein Dienstvergehen begangen. Dieses Dienstvergehen ist von den zuständigen Disziplinarvorgesetzten alleinverantwortlich zu würdigen. Der Bundesminister der Verteidigung kann auf diese disziplinare Würdigung keinen Einfluß nehmen.
Die Bundesregierung sieht außer laufenden Belehrungen über die gesetzlichen Bestimmungen und die sie ergänzenden Erlasse und der disziplinaren Würdigung der Dienstvergehen keine weiteren Möglichkeiten, eine Teilnahme an politischen Veranstaltungen in Uniform zu verhindern. Sie ist sich dabei darüber im klaren, daß sich Mitglieder bestimmter Organisationen durch Belehrung und Bestrafung auch in Zukunft nicht davon abhalten lassen werden, dem Verbot zuwiderzuhandeln.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615618000
Zusatzfrage.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0615618100
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in der Zugehörigkeit von Kommunisten zur Bundeswehr eine Schwächung der Verteidigungskraft der Bundeswehr?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615618200
Herr Kollege Dr. Schneider, der Begriff „Kommunisten" ist sehr weit. Wenn ich ihn in meiner Antwort auf Mitglieder der DKP eingrenzen darf, so kann ich dazu nur sagen, daß die DKP eine in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Partei ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615618300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0615618400
Herr Staatssekretär, haben vor den Ereignissen in Düsseldorf schon andere Angehörige der Bundeswehr in Uniform an solcherlei Parteiveranstaltungen linksextremer Gruppierungen teilgenommen?
9028 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615618500
Jawohl, Herr Dr. Schneider, an linksextremen und, wenn ich richtig informiert bin, auch an rechtsextremen Veranstaltungen. Dort, wo das bekanntgeworden ist, ist jeweils eine disziplinare Würdigung vorgenommen worden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615618600
Eine Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0615618700
Herr Staatssekretär, um auf die Fragestellung zurückzukommen: ist unter dem Gesichtspunkt der Fragestellung ein CDU-Parteitag eine einem DKP-Parteitag vergleichbare Veranstaltung?

(Abg. Dr. Riedel [München] SPD: Da müssen Sie das Grundgesetz lesen!)


Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615618800
Das ist richtig, Herr Kollege Dr. Sperling, aber nicht nur ein CDU-Parteitag, sondern auch ein SPD-Parteitag. Nur derjenige Soldat, der als offizieller Vertreter der Bundeswehr die Bundeswehr als Institution vertritt, hat das Recht und zum Teil auch die Pflicht, zu solchen Veranstaltungen in Uniform zu erscheinen. Ansonsten ist das Tragen von Uniformen laut Gesetz und laut auslegendem Erlaß bei allen politischen Veranstaltungen verboten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615618900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Hans Edgar Jahn (CDU):
Rede ID: ID0615619000
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, in welcher Form disziplinare Maßnahmen bisher ergriffen worden sind? Gibt es dort ein gewisses Gleichmaß bei allen Vergehen, die dann bestraft worden sind?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615619100
Die disziplinare Würdigung liegt ausschließlich bei den Disziplinarvorgesetzten, und, Herr Dr. Jahn, Sie wissen, daß das Disziplinarrecht im Gegensatz zum Strafrecht eine andere Handhabung hat. Es ist ein Opportunitätsprinzip, welches dort Platz greift. Daher vermag ich Ihnen weder aus dem Stegreif eine Antwort zu erteilen, noch bin ich eigentlich willens, in Einzelfällen überall nachzufragen, wie diese Würdigung vorgenommen wurde. Denn es steht der politischen Führung des Ministeriums nicht gut an, in die disziplinare Ordnung und in die Handhabung der disziplinaren Ordnung durch die Disziplinarvorgesetzten einzugreifen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615619200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0615619300
Herr Staatssekretär, stimmen Sie aber mit mir darin überein, daß die Teilnahme von Soldaten, gleichgültig ob sie an DKP-Parteitagen oder an rechtsgerichteten Veranstaltungen teilnehmen, nicht unterschiedlich betraft werden soll?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615619400
Herr Kollege, dies ist eine Frage des Opportunitätsprinzips. Wir müssen unterscheiden, ob jemand als Mitläufer oder ob jemand als Anstifter angesehen wird. Daher kann ich ihre Frage hier nicht in Bausch und Bogen mit Ja oder mit Nein beantworten, sondern man müßte jeden einzelnen Fall untersuchen. Und auch im Disziplinarrecht gilt der Satz: Im Zweifelsfall zugunsten des Beschuldigten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615619500
Wir kommen zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Geisenhofer.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615619600
Darf ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten, Herr Kollege Geisenhofer?

(Abg. Geisenhofer: Einverstanden!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615619700
Dann rufe ich die Fragen 79 und 80 gemeinsam auf:
Treffen Informationen zu, nach denen die seit 1957 auf dem Fliegerhorst Uetersen, Kreis Pinneberg, stationierte „Anfängerschule" für alle Piloten der deutschen Luftwaffe auf Beschluß des Bundesverteidigungsministeriums bis Ende des Jahres 1972 nach Neubiberg bei München verlegt wird?
Hält es, bejahendenfalls, die Bundesregierung für sinnvoll, daß ein derartig starker Flugbetrieb in die Nähe eines dichtbesiedelten Gebiets wie München verlegt wird, und glaubt die Bundesregierung nicht vielmehr, daß es für die Sicherheit und Gesundheit der Münchener Bevölkerung dringend notwendig wäre, diese zusätzliche Gefährdung und Lärmbelästigung zu verhindern?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615619800
Ja, Herr Kollege Geisenhofer, Ihre Informationen sind richtig.
Die Verlegung eines Teiles des Fluganwärterregiments von Uetersen nach Neubiberg hat bereits begonnen und wird bis zum 1. April 1972 abgeschlossen sein. Wir werden jedoch dort keine Anfängerschulung, sondern die fliegerische Vorauswahl der künftigen Strahlflugzeugführer durchführen.
Das in Ihrer zweiten Frage angeschnittene Problem wurde gründlich untersucht. Wir haben mit Rücksicht auf die Bevölkerung von der ursprünglich geplanten Verlegung eines Hubschrauberverbandes nach Neubiberg abgesehen. Statt dessen erfolgt eine Belegung des Platzes mit Schulflugzeugen des Typs Piaggio. Der Geräuschpegel dieser Flugzeuge ist wesentlich geringer als der Geräuschpegel von Hubschraubern, zumal sie mit Schalldämpfern ausgerüstet sind. Darüber hinaus darf ich Sie darauf hinweisen, daß — im Gegensatz zum Flugbetrieb eines Hubschrauberverbandes — weder in der Nacht noch an Wochenenden Ausbildungsflugbetrieb stattfinden wird. Wir haben am 1. Dezember 1971 Vertretern der Landes- und Kommunalbehörden, der Parteien und der Interessenverbände den künftigen Flugbetrieb demonstriert. Nach meinen Informationen zeigten die Damen und Herren Verständnis für unser Vorhaben und haben keine Einwände erhoben.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9029

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615619900
Zusatzfrage.

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0615620000
Herr Staatssekretär, finden Sie diese Maßnahme angesichts der starken gesundheitlichen Gefährdung und Lärmbelästigung der Münchener Bevölkerung richtig? Und darf ich weiter fragen: Sind außer der Verlegung des genannten Flughorstes noch weitere Verlegungen und Zentralisierungsmaßnahmen in München vorgesehen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615620100
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Das kann ich hier aus dem Stegreif nicht beantworten. Die Frage wird ja im Protokoll erscheinen; wir werden das prüfen, und ich werde Ihnen einen Brief schreiben.
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Geisenhofer: Wenn wir uns entschieden haben, eine Luftwaffe zu haben, dann müssen wir dieser Luftwaffe auch Gelegenheit zum Üben geben.

(Abg. Geisenhofer: Und das alles im Ballungsraum München!)

Sehen Sie, dies ist eine Unterstellung, die ich wirklich mit Entschiedenheit zurückweisen muß. Leidgeprüft, wie ich hier bin, kann ich Ihnen nur sagen: Ich bekomme aus der ganzen Bundesrepublik Briefe und Anfragen von Kollegen und Kolleginnen dieses Hauses, die mich darauf aufmerksam machen, daß bei ihnen der Lärm besonders groß sei. Hier haben wir besonders viel Rücksicht genommen, und zum Dank dafür höre ich nun von Ihnen: Sie legen alles nach München.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615620200
Herr Abgeordneter Gleissner zu einer Zusatzfrage.

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0615620300
Herr Staatssekretär, sollten nicht von allen Bundesstellen und Bundesministerien — auch vom Bundesverteidigungsministerium — Überlegungen angestellt werden, den in jeder Hinsicht — durch Zuzug, Lärm, Verkehrssituation, Verkehrsnöte überlasteten Raum München zu entlasten, statt ihn mit immer neuen Bundesprojekten auch von Ihrem Hause zu belasten?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615620400
Herr Kollege, ich bin nicht dafür verantwortlich, daß die Flugplätze so liegen, wie ich sie bei Antritt meines Amtes vorgefunden habe. Wir können leider den Flugplatz Neubiberg nicht aufgeben, es sei denn, Sie geben mir einen Rat oder eine Gelegenheit, irgendwo anders einen Bleichgroßen brauchbaren Flugplatz zu installieren. Ich sehe einmal ganz von den Kosten ab, die die Infrastruktur verursachen würde.

(Abg. Dr. Gleissner: Es ist nicht nur Ihr Haus gemeint!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615620500
Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0615620600
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß mit dieser Verlegung sogar eine Verminderung der Lärmbelästigung der Bevölkerung erreicht wird, weil man lärmstärkere Verbände dort abzieht?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615620700
Sie haben mich nicht ganz richtig verstanden. Wir haben an die Stelle eines Hubschrauberverbandes, der ursprünglich vorgesehen war, einen anderen Verband gelegt, der weniger Geräusch macht. Der Platz selbst muß aber genutzt werden. Ich bin zur Zeit überfragt, was im Moment in Neubiberg liegt. Dort ist in den vergangenen Jahren ein sehr starker Wechsel vorgenommen worden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615620800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Probst.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID0615620900
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß sämtliche Flugzeuge mit Schalldämpfeinrichtungen ausgestattet werden? Und zweitens: Sind damit nunmehr die Voraussetzungen geschaffen, daß Lärmschutzzonen nach dem neu erlassenen Bundesgesetz festgelegt werden?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615621000
Das sind zwei Fragen. Zum zweiten Teil kann ich nur sagen: wir werden das prüfen lassen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Bundeswehr in dieses Gesetz so einbezogen wird, wie Sie das hier in Ihrer Frage feststellen;

(Abg. Dr. Probst: Das ist unbestritten!)

denn die Bundesluftwaffe hat ja ohne Zweifel einen hoheitlichen Auftrag und ist anders zu behandeln als beispielsweise Flugzeuge, die Sommergäste an die Adria befördern.
Nun zum ersten Teil Ihrer Frage: Es werden alle Schulflugzeuge vom Typ Piaggio, die dort stationiert sind, mit Schalldämpfern ausgestattet. Das schließt nicht aus, daß es möglich ist, daß von Zeit zu Zeit dort ein Versorgungsflugzeug landen muß, welches keine Schalldämpfer hat, weil es sie nicht verträgt. Jeder Schalldämpfer bedeutet Leistungsabfall.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615621100
Herr Abgeordneter Riedl!

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0615621200
Herr Staatssekretär, ich bin kein Anhänger des Prinzips vom Heiligen St. Florian und bitte deshalb, meine Frage auch nicht so zu verstehen. Aber wie erklären Sie sich die Tatsache, daß kürzlich die Regierung von Oberbayern in unmittelbarer Nähe des Militärflughafens Neubiberg den Bau eines Altersheims genehmigt hat mit der ausdrücklichen Bestätigung, daß die Bundeswehr ihr die Auskunft gegeben habe, der Flughafen Neubiberg werde eines Tages aufgelöst?
9030 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0615621300
Ich will nachprüfen lassen, wer solche Auskünfte gegeben hat. Auf jeden Fall waren bei der allgemeinen Beratung über die Belegung des Fliegerhorstes Neubiberg mit Piaggio-Flugzeugen ein Oberregierungsrat und ein Regierungsdirektor der Regierung Oberbayerns dabei. Auch ein Landrat war dabei. Die zuständigen bayerischen Behörden wurden also durchaus über das ins Bild gesetzt, was dort vor sich geht.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615621400
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Ich rufe die. Frage 108 des Abgeordneten Dr. Weber (Köln) auf:
Hält es die Bundesregierung mit Artikel 7 des Grundgesetzes für vereinbar, ausländische Lehrer „im Einvernehmen mit den Schulbeamten der fremden Vertretungen" einzustellen, ohne durch eigene Prüfungen sicherzustellen, ob die ausländischen Lehrer die Grundsätze eines freiheitlich demokratischen sozialen Rechtsstaats vertreten und im Unterricht vermitteln?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615621500
Herr Präsident, darf ich die Fragen 108 und 109 zusammen beantworten?

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615621600
Einverstanden! Dann rufe ich noch die Frage 109 des Abgeordneten Dr. Weber (Köln) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das griechische Militärregime die Lehrer griechischer Kinder in der Bundesrepublik Deutschland nach politischen Gesichtspunkten auswählt, keine politischen Gegner des Militärregimes in den Schuldienst einstellt und durch diese Lehrkräfte und den Inhalt der Lehrbücher in der Bundesrepublik Deutschland geltende demokratische Grundsätze mißachtet?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615621700
Nach Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes hat der Staat grundsätzlich die Aufsicht über das gesamte Schulwesen. Sie erstreckt sich auch auf die dienstrechtlichen Verhältnisse ausländischer Lehrer an deutschen öffentlichen Schulen. Durch Art. 7 Abs. i des Grundgesetzes wird aber nicht bestimmt, wie die Schulaufsicht in diesem Bereich von den dafür zuständigen Ländern im einzelnen auszugestalten ist.
Nach der Vereinbarung ,der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder vom 14./15. Mai 1964 werden die ausländischen Lehrkräfte für die Kinder ausländischer Arbeitnehmer durch die diplomatischen Vertretungen der Heimatländer an die zuständigen Länderverwaltungen vermittelt. Dieses Verfahren stellt unter anderem sicher, daß den Ausländerkindern über die Lehrgegenstände, welche die Auslandslehrer vermitteln — z. B. Muttersprache, Geschichte, Religion —, im Herkunftsland anerkannte Zeugnisse für den Fall ihrer Reintegration ausgestellt werden. Das entspricht außerdem dem Verfahren, das von der Bundesrepublik bei der Benennung von deutschen Lehrern im Ausland geübt wird. Ein Verstoß gegen Art. 7 des Grundgesetzes ist dabei also nicht ersichtlich.
Sollten sich in der dienstlichen oder außerdienstlichen Tätigkeit der nach diesem Verfahren vermittelten griechischen Lehrer Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zeigen, so werden die zuständigen Behörden selbstverständlich auf Grund der vorhandenen Gesetze — Schulgesetze der Länder, Ausländergesetz — sofort tätig werden.
Es ist aber so, Herr Kollege Weber, daß die Tatbestände, die Sie hinsichtlich der Auswahl der Lehrer aufführen, der Bundesregierung in diesem Sinne nicht als erwiesen bekannt sind. Die Frage, ob ausländische Lehrer durch eigenes Tun oder durch Benutzung von ausländischen Schulbüchern gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen, ist gerade im Hinblick auf diese Fälle in diesem Jahr mehrmals geprüft worden. In meiner Antwort auf die Mündliche Frage des Kollegen Hansen am 18. März habe ich im Hinblick auf die griechischen Schulbücher gesagt, daß sich ein staatliches Vorgehen nach verfassungsrechtlicher Prüfung nicht rechtfertigen läßt. Zum Problem der griechischen Lehrer habe ich im September auf Grund einer Petition beim Deutschen Bundestag festgestellt, daß den zuständigen deutschen Behörden, auch den Verfassungsschutzbehörden, nur ein Fall von politischer Agitation eines griechischen Lehrers bekannt ist, der dann durch disziplinarrechtliche Maßnahmen sofort geahndet wurde. In diesem Fall ist außerdem von der zuständigen Staatsanwaltschaft sofort ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Das sind die Sachverhalte.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615621800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0615621900
Herr Staatssekretär, würden Sie und die Bundesregierung einen solchen unzulässigen verfassungsrechtlichen Eingriff annehmen, wenn nachgewiesen wird, daß die Griechen die Aufteilung in Schulsektoren und Schulbezirke vornehmen, die Aufsichtspflichten an regimetreue Lehrer übertragen sowie einen griechischen Schulrat in Bonn einsetzen und diesem die Führung der Lehrer, wie es in einem Erlaß des griechischen Schulrates heißt, auf die wachsame Beobachtung der christlichen und naturnahen Erziehung der Schüler übertragen, weil diese Maßnahmen gegen Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen — denn nach dem Grundgesetz ist das gesamte Schulwesen unter die Aufsicht des Staates gestellt —?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615622000
Herr Kollege, ich möchte noch einmal wiederholen, daß die Auswahl der Lehrer und gewisse Grundsätze der Lehrinhalte nicht Gegenstand des Art. 7 in diesem Sinne sind. Die griechischen Lehrer können eben durch die entsprechenden diplomatischen Vertretungen benannt werden. Nur wenn sich innerhalb dieses Verfahrens eine Verletzung des Grundgesetzes zeigt, könnte die zuständige Landesbehörde hier eingreifen und würde selbstverständlich auch von seiten der Bundesregierung das im Rahmen der Zuständigkeit der Bundesregierung Liegende unternommen werden.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9031

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0615622100
Ich habe noch eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär. Stimmen Sie mir darin zu, daß es wichtiger und auch allein verfassungskonform ist, nur solche griechischen Lehrkräfte an Schulen einzustellen, die die Grundsätze unseres Grundgesetzes über Menschlichkeit und soziale Demokratie auch im Unterricht vermitteln, und daß sich bei einem Interessenkonflikt zu einem militärischen Partnerland die Einstellung von Lehrern, die zu dem griechischen Militärregime in politischer Gegnerschaft stehen, nur an Art. 7 des Grundgesetzes und nicht an militärischen Überlegungen zu orientieren hat?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615622200
Herr Kollege, es besteht überhaupt gar kein Zweifel, daß das Grundgesetz uneingeschränkt und uneinschränkbar gilt, und zwar für alle Kinder, die in diesem Lande zur Schule gehen, gleichermaßen. Ich kenne die Stellungnahme des Auswärtigen Amts, die Sie hier zitiert haben, nicht, kann mir aber nicht vorstellen, daß sie zu der von mir soeben getroffen Feststellung im Widerspruch steht.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615622300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0615622400
Herr Staatssekretär, die griechischen Lehrer unterrichten doch sicher an deutschen Schulen. Ist klargestellt, daß sie auch das Recht der Koalitionsfreiheit haben? Wäre es nicht sinnvoll, unter Umständen die diplomatische Vertretung des Landes Griechenland auf die grundrechtlich verbrieften Freiheiten für Lehrer in unserem Lande aufmerksam zu machen?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615622500
Ich glaube, Herr Kollege Sperling, daß diese grundrechtlich verbrieften Freiheiten den beteiligten Regierungen bekannt sind. Aber ich bin gern bereit, darauf hinzuwirken, daß sie noch einmal bekanntgemacht werden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615622600
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Geldner auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 111 der Abgeordneten Frau von Bothmer wird das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit beantworten.
Ich rufe die Frage 112 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Trifft es zu, daß in den USA die Sicherheitsvorschriften bei Kernkraftwerken wesentlich verschärft wurden, indem die Belastbarkeitsgrenze für Strahlenwirkung auf ein Hundertstel der bisherigen Höhe herabgesetzt wurde, und gedenkt die Bundesregierung ähnliche Maßnahmen zu ergreifen?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615622700
Herr Kollege Gleissner, die in den USA allgemein gültigen Höchstgrenzen der zusätzlichen
Strahlenbelastung für Teile bzw. für die Gesamtheit der Bevölkerung entsprechen nach wie vor den Empfehlungen der Internationalen Kommission für Strahlenschutz. In der Frage, die Sie aufgeworfen haben, werden Empfehlungen der amerikanischen Atomenergie-Kommission angesprochen, die folgendes Ziel verfolgen: Die Hersteller und Betreiber von Kernkraftwerksanlagen sollen durch diese Empfehlungen dazu angehalten werden, unter voller Ausschöpfung der durch den inzwischen erreichten Stand der Technik gebotenen Möglichkeiten die zusätzliche Strahlenbelastung der Bevölkerung so niedrig wie möglich zu halten, um dadurch zusätzliche Schutzreserven zu mobilisieren. Die empfohlenen Richtwerte liegen in der Tat, wie Sie mit Recht angeführt haben, zwei Größenordnungen, d. h. rund ein Hundertstel unter denen der Internationalen Kommission für Strahlenschutz, haben aber den Charakter von Konstruktions- und Auslegungswerten für die Reaktorgebäude selbst und andere Anlagenteile. Sie sollen nicht etwa — das wird vielfach und offenbar auch hier mißverstanden — die Werte für die biologisch-physiologisch zulässigen Höchstgrenzen der Strahlenbelastung nach den internationalen Übereinkommen ersetzen. Da es sich hier also um in ihrer Bedeutung und Definition nicht vergleichbare Werte handelt, kann man die amerikanischen Empfehlungen auch nicht, wie dies in der Frage geschehen ist, in engerem Sinne als eine Verschärfung der Sicherheitsvorschriften ansehen.
Die von der amerikanischen Atomenergie-Kommission empfohlenen Werte werden — das ist theoretisch und experimentell nachgewiesen — durch den gegenwärtigen Stand der Eindämmungstechnik noch beträchtlich unterschritten. Zum Vergleich soll darauf hingewiesen werden, daß den Auslegungen von Kernkraftwerksanlagen in der Bundesrepublik auf Grund einer entsprechenden Empfehlung der Fachkommission „Strahlenschutz und Sicherheit" der Deutschen Atomkommission bereits seit 1969 Richtwerte zugrunde liegen, die größenordnungsmäßig den neuerlich von der amerikanischen Atomenergie-Kommission empfohlenen niedrigeren Richtwerten entsprechen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615622800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0615622900
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß Versicherungsgesellschaften nur unter sehr extremen Bedingungen und nur sehr ungern einen Unfall- und Rechtsschutzvertrag für Schäden abschließen, die durch die Errichtung von Kernkraftwerken entstehen?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615623000
Wie Sie wissen, Herr Kollege Gleissner, gibt es für bestimmte Unfallvorgänge eine entsprechende Garantie durch den Bund. Insofern wird den Versicherungen hier für größere Unfälle Hilfe geleistet. Die Einzelheiten hierzu will ich Ihnen gern noch schriftlich zukommen lassen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615623100
Eine Zusatzfrage.
9032 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0615623200
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Bund für solche Schäden eine Haftungsübernahme bis zu 500 Millionen DM für den einzelnen Schadensfall gewährt?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0615623300
Das war die Antwort zu Ihrer ersten Zusatzfrage. Ja, es trifft zu,

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0615623400
Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde beendet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 9. Dezember, vormittags 9 Uhr, ein und schließe die heutige Sitzung.