Rede von
Matthias
Engelsberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU — und der Sprecher der SPD hat sich dem angeschlossen — ein so rosiges Bild vom deutschen Mittelstand gemalt, daß man glauben könnte, daß in dieser wichtigen Wirtschaftsgruppe alles zum Besten stünde, man könnte sogar meinen, unter dieser Bundesregierung wäre für den Mittelstand ein goldenes Zeitalter angebrochen. Der Sprecher der FDP hat sich hierzu sehr viel differenzierter ausgedrückt, und aus unserem Beifall war zu erkennen, daß er mit der Antwort der Bundesregierung nicht in allem einverstanden war und daß er insbesondere die Zukunftsaussichten für den deutschen Mittelstand wesentlich skeptischer beurteilt.
Der deutsche Mittelstand ist nicht nur durch die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entwicklung in der Bundesrepublik verunsichert. Nicht nur die hohen Preissteigerungen, die Kostenexplosion in den Betrieben und eine mögliche bevorstehende Stagflation haben den Mittelstand verunsichert. Es sind vor allen Dingen Wurzeln, die tiefer liegen, die den Mittelstand zu dieser Skepsis veranlassen.
8998 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Engelsberger
Stimmen aus einer bestimmten Ecke der Regierungsparteien, die die Umwandlung unserer bewährten und leistungsfähigen sozialen Marktwirtschaft in eine sozialistische Gemeinwirtschaft fordern, müssen den Leistungswillen der mittelständischen Unternehmer beeinträchtigen, auch wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort zur Großen Anfrage ein Bekenntnis zu unserer marktwirtschaftlichen Ordnung ablegt. In der Antwort auf die Frage II. C.1 heißt es unter anderem—ich zitiere —:
Die Bundesregierung hält es aus wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gründen für notwendig, daß unsere Volkswirtschaft eine ausgewogene Struktur von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben aufweist. Sie ist der Auffassung, daß die Fortentwicklung unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung u. a. dadurch sicherzustellen ist, daß der Zugang zu den Märkten für eine große Zahl von Selbständigen offengehalten wird. Voraussetzung hierfür ist, daß die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen erhalten bleibt.
In der Einleitung zur Antwort auf die Große Anfrage wird das Bekenntnis der Bundesregierung zur marktwirtschaftlichen Ordnung als eine unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende mittelständische Wirtschaft wiederholt.
Diese Aussagen sind zu begrüßen. Wir müssen aber die Frage stellen, ob dieses Bekenntnis der Bundesregierung zu unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht bloß ein Lippenbekenntnis darstellt und die Möglichkeit eines Widerrufs beinhaltet. So hat der Sonderparteitag der SPD den deutschen Mittelstand insgesamt aufhorchen lassen.
Was eine Mehrheit der Delegierten an Forderungen und Zielen hinsichtlich der Steuerreform zum Ausdruck gebracht hat, muß den Eindruck verstärken, daß unsere marktwirtschaftliche Ordnung in Gefahr ist, wenn diese Ziele durchgesetzt werden könnten, nämlich dann, wenn dieser Partei 1973 ein Wahlsieg beschieden sein sollte.
Nur mit einer dünnen Mehrheit und unter Hinweis darauf, daß es doch gelte, an die Bundestagswahl 1973 zu denken, konnten Parteitagsbeschlüsse verhindert werden, die durch noch exorbitantere Steuererhöhungen der Funktionsfähigkeit unserer Marktwirtschaft ein schnelles Ende bescheren würden.
Nach den sogenannten Eckwertbeschlüssen der Bundesregierung wird die Ertragsteuer auf 56 % erhöht. Der Parteitag der SPD hat 60 % beschlossen, wodurch in Verbindung mit erhöhter Vermögenbesteuerung, steigender Gewerbesteuer und einer Anhebung der Einheitswerte eine Gesamtbelastung des erwirtschafteten Gewinns — in der Spitze — von zwischen 80 und 85 % erreicht werden würde. Würde dann den größeren Unternehmen noch eine nicht abzugsfähige Vermögensbildungsabgabe in Höhe von 10 % des steuerpflichtigen Gewinns aufgebürdet, so würde sich die Gesamtbelastung des
Gewinns auf etwa 90 % belaufen. Wenn das Unternehmen die Abgabe in Geld leistet — und das würde für die mittelständischen Kapitalgesellschaften typisch sein —, müßte man mit einer Gesamtsteuerlast in dieser Größenordnung rechnen. Besonders deutlich wird dabei der rasche prozentuale Anstieg der Gesamtsteuerlast bei rückläufiger Ertragsentwicklung, was auf den konstanten Anteil der nicht gewinnabhängigen Steuern zurückzuführen ist. Es wäre dann mit einer Mehrbelastung gegenüber dem jetzigen Steuersatz in der Größenordnung von 20 bis 25 % zu rechnen.
Dazu kann man feststellen, daß in all diesen Vorhaben eine eminente Widersprüchlichkeit steckt. Einerseits bemüht sich der Bundeskanzler immer wieder darum, der Bevölkerung und insbesondere den Gewerkschaften Zusicherungen hinsichtlich der Vollbeschäftigung zu geben, ferner propagiert man Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung an Produktivvermögen, und andererseits ist man dabei, die Wirtschaft in einen ertraglosen Zustand zu versetzen. Allen anderen Absichtserklärungen zum Trotz wird weiterhin eine inflationäre öffentliche Ausgabenpolitik betrieben und über die weiter laufende Steigerung der Preise und Lebenshaltungskosten dem vorher so geförderten Sparer der größte Teil seines Vermögenszuwachses wieder abgenommen.
Noch im vergangenen Jahr hieß es im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung:
In der Bundesrepublik hat sich die Marktwirtschaft als grundlegendes wirtschaftspolitisches Ordnungssystem bewährt. Die Bundesregierung wird deshalb im Jahre 1970 die mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz und seiner Anwendung sowie der Modernisierung der Strukturpolitik eingeleitete Reform und Modernisierung der Wirtschaftspolitik durch Maßnahmen zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung fortsetzen.
Heute ist es für den Mittelstand alarmierend, daß solchen Feststellungen kaum mehr Glauben geschenkt werden kann. Im Gegenteil, es scheint alles getan zu werden, damit die Fundamente der Marktwirtschaft und damit letzten Endes auch die Voraussetzungen für die Steigerung des allgemeinen Wohlstandes unterminiert sowie dem Mittelstand wirtschaftlich und finanziell die Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten werden und dann noch zusätzlich die unternehmerische Bewegungsfreiheit durch eine bürokratisch-formalistische Gesetzgebung zur Mitbestimmung über das zulässige und vernünftige Maß hinaus eingeschränkt wird.
Wenn dann die Marktwirtschaft, die in der Effizienz nicht einfach durch Demokratisierung zu ersetzen ist, nicht mehr funktionieren kann, so wird der Grund nicht in einer verfehlten Politik gesucht, sondern man wird lautstark verkünden, daß die soziale Marktwirtschaft ein untaugliches System ist, das durch ein sozialistisches ersetzt werden muß.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8999
Engelsberger
So schreibt ein bekannter Kolumnist in einer der Bundesregierung nahestehenden Illustrierten am 28. November 1971 — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Ich fürchte, die Krise
— gemeint ist die augenblickliche Wirtschaftskrise —
liegt im System. Es ist eine Krise der Marktwirtschaft, die sich wieder einmal überall ankündigt. Die Marktwirtschaft ist eben doch nicht der Stein der Weisen.
— Das hat Sebastian Haffner im „stern" geschrieben.
Er kommt zu der Schlußfolgerung — meine Damen und Herren, passen Sie auf —:
Mir scheint, die gegenwärtigen Krisensignale bedeuten, daß es Zeit wird für weniger Marktwirtschaft und mehr Gemeinwirtschaft.
Je schneller wir das begreifen, um so kürzer
und schmerzloser wird der Übergang sein.
Über eine solche Gesinnung braucht man sich nicht zu wundern, wenn man bedenkt, daß bestimmte Massenmedien und politische Gruppen in der Bundesrepublik in immer stärkerem Maße die Gewinne verteufeln, die aus selbständiger Arbeit erzielt werden und die nun einmal für das Funktionieren unserer Marktwirtschaft notwendig sind. Die Unternehmer in Klein-, Mittel- oder Großbetrieben werden pauschal als skrupellose, in Saus und Braus lebende Ausbeuter dargestellt, die nur das eine Ziel hätten, sich auf Kosten anderer Bürger zu bereichern.
Das Streben nach neuen Marktchancen, nach Umsatz und Gewinn ist jedoch eine der wichtigsten Triebkräfte der unternehmerischen Wirtschaft. Wer daran Anstoß nimmt, hat entscheidende wirtschaftliche Zusammenhänge entweder nicht begriffen oder er zielt bewußt auf die Zerstörung unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ab.
Man mag das Gewinnstreben, den Motor unseres Wirtschaftssystems, als wenig ideal ansehen — es gewährleistet aber die größte Effektivität und bringt den größten Nutzen für alle.
Wenn versucht wird, durch eine übermäßige Besteuerung des Gewinns den Anreiz zu nehmen und die von den Gewinnen abhängige Investitionsneigung zu beschränken, hat das verhängnisvolle Folgen. Die gelähmte Investitionstätigkeit und das rückläufige Wachstum schmälern dann unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. Ein funktionierender Export ist für den Ausgleich unserer Zahlungsbilanz jedoch unabdingbar. Wenn die Investitionen sinken, läßt das Wirtschaftswachstum nach, und das wiederum führt zu einem Rückgang der Beschäftigung, zu Arbeitslosigkeit. Es bedeutet gleichzeitig, daß die Quellen, aus denen Reformen — ich erinnere nur an die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und anderes mehr — bezahlt werden sollen, immer mehr austrocknen.
Es könnte nun der Einwand kommen, Investitionen könnten ja auch aus Krediten finanziert werden. Meine Damen und Herren, wer aber wäre bereit, in Betriebe, die auf die Dauer keinen Gewinn machen, seine Ersparnisse zu investieren? Das würden diejenigen, die heute die Gewinne so verteufeln am allerwenigsten tun.
Wie die Dinge hier wirklich liegen, machte dieser Tage der ehemalige Staatssekretär Dr. Arndt, der vorhin hier anwesend war — ich sehe ihn jetzt nicht mehr —, deutlich. Er führte aus, daß sich die Gewinnlage der deutschen Unternehmen in nächster Zeit erheblich verbessern müsse, eben weil sie so schlecht sei.
Das heiße natürlich auch, daß die Lohnquote nicht weiterhin in dem Ausmaß der letzten zwei oder drei Jahre wachsen könne.
Demgegenüber führt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage — Herr Gewandt hat das ja bereits gesagt — aus:
Bei starker Gewinnkompression können die Unternehmen gezwungen werden, auf Reserven zurückzugreifen . . .
Ich glaube, das ist purer Hohn.
Im vorletzten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank wird festgestellt, daß die Gewinne, genauer gesagt: das Einkommen der Privaten aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im ersten Halbjahr 1971 trotz kräftiger Preis- und Umsatzsteigerungen nur um nominal 2 % höher sind als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Professor Kloten hat gestern ein Bild gezeichnet, aus dem sich ergibt, daß die Unternehmergewinne in diesem Jahr insgesamt rückläufig sein werden, wenn das zweite Halbjahr mit eingerechnet wird. Das ist ein Beweis dafür, daß die augenblicklichen Kostensteigerungen nicht den Unternehmern anzulasten sind, sondern andere Ursachen haben. Im ersten Halbjahr 1971, stiegen nämlich die Lohn- und Gehaltsaufwendungen um rund 15 %, obwohl sich das Sozialprodukt nur um 3 bis 4 % erhöht hat. Diese Zahlen zeigen, wo die Ursachen der Preissteigerungen in Wirklichkeit liegen.
In Schweden — und schwedische Verhältnisse sind ja das erstrebenswerte Vorbild der deutschen Sozialdemokraten, meine Damen und Herren — glaubte man die Unternehmer immer kräftiger zur Ader lassen zu können. Das Ergebnis war vorauszusehen. Die stark überhöhten Kosten, Steuern und Sozialaufwendungen zwingen immer mehr Unternehmen, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind, ihre Produktion einzuschränken, teilweise sogar den Be-
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trieb stillzulegen. Arbeitslosigkeit und Preise steigen in alarmierendem Ausmaß. Selbst bisher relativ gut verdienende Arbeitnehmer müssen staatliche Sozialbeihilfe in Anspruch nehmen, und die Regierung sieht sich zu einem kostspieligen Arbeitsbeschaffungsprogramm und zur Subventionierung von Unternehmen gezwungen, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen.
Dahin führt diese Politik.
In dieser Situation hat der schwedische Gewerkschaftsbund einen bemerkenswerten Sinneswandel vollzogen. Auch mir war das völlig neu. Auf dem großen Landeskongreß, der vor kurzem in Stockholm stattfand, wurde die sich auf private Unternehmen gründende liberale Wirtschaftsordnung einhellig befürwortet. Alle „plötzlichen und durchgreifenden Veränderungen des Wirtschaftssystems", die Sozialisierung von Unternehmen und die Mitbestimmung wurden mit großer Mehrheit abgelehnt — im Gegensatz zu unseren Verhältnissen hier in der Bundesrepublik.
Ebenso erging es allen Anträgen, die eine weitere Beschneidung der Gewinne und deren Überführung an die Arbeitnehmer verlangten.
Schweden aber hat einen Spitzensteuersatz von 53 % und nicht von 56 oder 60 %, wie er bei uns jetzt in der Bundesrepublik gefordert wird.
Sprecher der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen erklärten vielmehr, es müsse sich lohnen, eine industrielle Tätigkeit zu betreiben. Der Unternehmergewinn könne nicht fehlen sonst würden keine weiteren Investitionen vorgenommen. Gerade hohe Gewinne seien meist ein Indiz dafür, daß die betreffenden Unternehmen besonders gut und rationell geführt würden, was auch im Interesse der Arbeitnehmer liege.
Muß es auch in der Bundesrepublik zu einer ähnlichen Wirtschaftsentwicklung kommen wie in Schweden, wo die Zahl der registrierten Arbeitslosen inzwischen auf etwa 115 000 gestiegen ist und rund 40 000 Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms der Regierung zu einem nicht geringen Teil sich mit einer berufsfremden Beschäftigung zufriedengeben müssen? Muß es so weit kommen, bevor sich sachbezogene Erkenntnisse über Unternehmer und Gewinne bei uns durchsetzen?
Ich sehe die rote Lampe aufleuchten. Herr Präsident, ich habe 20 Minuten angemeldet und bitte, um ein paar Minuten überziehen zu dürfen.