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    Deutscher Bundestag 156. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung und Absetzung der Punkte 5, 9 und 10 von der Tagesordnung 8981 A Überweisung von Vorlagen der Bundesregierung an den Haushaltsausschuß 8981 B Wahl des Abg. Kater als ordentliches Mitglied sowie der Abg. Sieglerschmidt und Bartsch als stellvertretende Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt 8981 C Wahl des Abg. Dr. Schulz (Berlin) als stellvertretendes Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates 8981 D Amtliche Mitteilungen 8981 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft (Drucksachen VI/2075, VI/2284) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Abg. von Bockelberg, Gewandt, Lampersbach, Dr. Burgbacher, Schulhoff, Leicht und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache VI/2620) — Erste Beratung — Gewandt (CDU/CSU) 8982 C Koenig (SPD) 8986 D Kienbaum (FDP) 8992 C Engelsberger (CDU/CSU) 8997 D Wurbs (FDP) 9001 A Wüster (SPD) 9004 D Lampersbach (CDU/CSU) 9007 B Grüner (FDP) 9009 D Scheu (SPD) 9012 A von Bockelberg (CDU/CSU) 9015 B Offergeld (FDP) 9016 B Frau Funcke (FDP) 9017 A Dr. Frerichs (CDU/CSU) 9018 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache VI/2900) — Erste Beratung — 9019 A Fragestunde (Drucksachen VI/2914, VI/2890) Frage des Abg Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Anzahl der sich in den Kriegsgebieten von Pakistan und Indien befindlichen Bürger der Bundesrepublik Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 9019 B, C, D Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 9019 C, D II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 Frage des Abg. Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Maßnahmen zur Evakuierung der Deutschen aus den Kriegsgebieten von Pakistan und Indien Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 9019 D, 9020 C, D, 9021 B Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 9020 C, D van Delden (CDU/CSU) 9021 A Fragen des Abg. von Thadden (CDU/CSU) : Arbeit der Rechtspfleger Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär 9021 C, 9022 A von Thadden (CDU/CSU) 9021 D, 9022 A Fragen des Abg. Hussing (CDU/CSU) : Höhe der Anwerbungspauschale nach § 21 des Arbeitsförderungsgesetzes Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9022 B, D, 9023 A Hussing (CDU/CSU) 9022 D, 9023 A Fragen des Abg. Bredl (SPD) : Sozialversicherungsrechtliche Bewertung von Schonzeiten im Anschluß an Kurmaßnahmen Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9023 B Fragen des Abg. Varelmann (CDU/CSU) : Entlohnung von Frauenarbeit Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9023 D, 9024 B, C, D, 9025 A, B Varelmann (CDU/CSU) 9024 B, C, D Dr. Nölling (SPD) 9025 A Dr. Sperling (SPD) 9025 B Frage des Abg. Härzschel (CDU/CSU) : Gewährung einer zusätzlichen Leistung an Kriegsopfer nach Rückzahlung des Krankenkassenbeitrages an die Rentner Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9025 B, C, D, 9026 A, B Härzschel (CDU/CSU) 9025 C, D Dr. Nölling (SPD) 9026 A Pieroth (CDU/CSU) 9026 B Frage des Abg. Pieroth (CDU/CSU) : Anerkennung der Berufsqualifikation der Aussiedler aus Polen Dr. Ehrenberg, Staatssekretär 9026 C, D, 9027 A Pieroth (CDU/CSU) 9026 D Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9027 A Frage des Abg. Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Einrichtung eines Sonderausschusses für Territorialheere im Rahmen der Nordatlantischen Versammlung Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 9027 B Schmidt (Würgendorf) (SPD) 9027 B Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Maßnahmen gegen Soldaten wegen Teilnahme in Uniform am Parteitag der DKP Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 9027 C, D, 9028 A, B, C Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 9027 D Dr. Sperling (SPD) 9028 A Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) 9028 B Dr. Weber (Köln) (SPD) 9028 B Fragen des Abg. Geisenhofer (CDU/CSU) : Verlegung der auf dem Fliegerhorst Uetersen stationierten Ausbildungsschule für Piloten der Luftwaffe Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . 9028 D, 9029 A, B, C, 9030 A Geisenhofer (CDU/CSU) 9029 A Dr. Gleissner (CDU/CSU) 9029 B Dr. Sperling (SPD) 9029 C Dr. Probst (CDU/CSU) 9029 C Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) 9029 D Fragen des Abg. Dr. Weber (Köln) (SPD) : Auswahl der Lehrer für griechische Kinder in der Bundesrepublik Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . 9030 B, D, 9031 A, B Dr. Weber (Köln) (SPD) . 9030 D, 9031 A Dr. Sperling (SPD) 9031 A Frage des Abg. Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Festsetzung der Grenze der Belastbarkeit durch Strahlenwirkung Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär 9031 B, D, 9032 A Dr. Gleissner (CDU/CSU) . 9031 D, 9032 A Nächste Sitzung 9032 A Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 9033 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 III Anlage 2 Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 3. Dezember 1971 betr. das Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 — Wo- BauÄndG 1971) 9033 C Anlage 3 Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 3. Dezember 1971 betr. das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" 9034 A Anlage 4 Antrag Umdruck 244 zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft (Drucksachen VI/2075, VI/2284) 9034 C Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Lenzer (CDU/CSU) betr. Wartezeiten bei Rentenanträgen wegen Anerkennung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und Zahl der Anträge auf Gewährung solcher Renten 9034 D Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Enders (SPD) betr. Dauer der Entscheidung über Anträge auf Kriegsdienstverweigerung 9035 B Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Hauser (Bad Godesberg) (CDU/CSU) betr. Ablegung der zweiten Staatsprüfung durch Bundeswehrstipendiaten der Fachrichtung Geodäsie 9035 C Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Offergeld (SPD) betr. die von den Finanzämtern anzuwendenden Rahmensätze der Mittelpreise von Kantinenmahlzeiten 9036 A Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Wende (SPD) betr. Vereinbarung über das von der Rundfunkanstalt für die Übertragung des Europa- Pokal-Fußballspiels zu zahlende Sendehonorar 9036 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8981 156. Sitzung Bonn, den 8. Dezember 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adams * 10. 12. Amrehn 10. 12. Bals * 8. 12. Dr. Barzel 8. 12. Dr. Beermann 15. 1. 1972 Behrendt * 10. 12. Blank 18. 12. Blumenfeld ** 9. 12. Dr. Burgbacher 11. 12. Dasch 18. 12. Dr. Dittrich * 8. 12. Draeger *** 13. 12. Dr. Enders *** 8. 12. Faller * 12. 12. Fritsch ** 8. 12. Dr. Furler 10. 12. Gerlach (Emsland) * 8. 12. Dr. Giulini 10. 12. Dr. Gleissner 9. 12. Freiherr von und zu Guttenberg 18. 12. Haase (Kellinghusen) 10. 12. Hansen 10. 12. Frau Herklotz ** 8. 12. Dr. Hermesdorf (Schleiden) ** 10. 12. Horten 9. 12. Frau Jacobi (Marl) 18. 12. Kahn-Ackermann ** 10. 12. Dr. h. c. Kiesinger 8. 12. Dr. Kreile 8. 12. Kriedemann * 10. 12. Freiherr von Kühlmann-Stumm 8. 12. Dr. Dr. h c. Löhr * 17. 12. Looft 17. 12. Dr. Lenz (Bergstraße) 8. 12. Lücker (München) * 10. 12. Majonica 8. 12. Müller (Aachen-Land) * 10. 12. Ott 10. 12. Pöhler ** 9. 12. Rinderspacher ** 8. 12. Dr. h. c. Schmücker ** 8. 12. Schoettle 17. 12. Schwabe * 8. 12. Spilker 8. 12. Wehner 10. 12. Wiefel 10. 12. Baron von Wrangel 10. 12. Dr. Zimmermann 8. 12. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Bonn, 3. Dezember 1971 An den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 374. Sitzung am 3. Dezember 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 11. November 1971 verabschiedeten Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 - WoBauÄndG 1971) gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat ferner die aus der Anlage ersichtlichen Entschließungen gefaßt. Heiz Kühn An den Herrn Präsidenten ides Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 12. November 1971 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Heinz Kühn Entschließungen zum Gesetz zur Durchführung des langfristigen Wohnungsbauprogramms (Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 - WoBauÄndG 1971) 1. Die Bundesregierung wird gebeten, im Zusammenhang mit der in Aussicht gestellten weiteren Novellierung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 zu prüfen, inwieweit die bestehenden Regelungen für die vorzeitige Rückzahlung der für die Eigentumsbildung gewährten öffentlichen Mittel zur Erleichterung der Mobilität der Eigentümer und zur Verhinderung von Mißbräuchen umgestaltet werden können. 2. Der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen wird aufgefordert, von der ihm in § 18 a Abs. 3 des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 erteilten Ermächtigung, weitere Förderungsjahrgänge in die Zinsanhebung einzubeziehen, Gebrauch zu machen. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Verordnung sind gegeben. Die daraus aufkommenden Mittel werden dringend zur Fortführung des sozialen Wohnungsbaues benötigt. Die Mieten von Wohnungen der neu einzubeziehenden Förderungsjahrgänge werden trotz der Zinsanhebung noch 9034 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 erheblich unter den Mieten für Wohnungen der Förderungsjahrgänge seit 1969 liegen. Damit werden die durch Artikel I Nr. 12 und Artikel III § 1 Nrn. 1 und 2 Wohnungsbauänderungsgesetz 1971 verfolgten Ziele nicht beeinträchtigt. Anlage 3 Der Präsident des Bundesrates Bonn, den 3. Dezember 1971 An den Herrn Bundeskanzler Bonn Der Bundesrat hat in seiner 374. Sitzung am 3. Dezember 1971 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 4. November 1971 verabschiedeten Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" gemäß Artikel 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat außerdem die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefaßt. Heinz Kühn Bonn, den 3. Dezember 1971 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Vorstehende Abschrift wird auf Ihr Schreiben vom 6. November 1971 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Heinz Kühn Anlage Entschließung zum Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" Der Bundesrat hält eine Beteiligung der Länder an den Aufgaben der Stiftung, insbesondere an der institutionellen Förderung (Teil III), im Hinblick auf die Planungsfunktion der Länder und ihre bisherige erhebliche unmittelbare und mittelbare finanzielle Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der in Teil III genannten Art für erforderlich. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, daß die Länder in angemessenem Umfang und geeigneter Weise bei der Genehmigung der Richtlinien für die Verwendung der Mittel (§ 7 Abs. 7) und insbesondere des Vergabeplanes (§ 27) beteiligt werden. Anlage 4 Umdruck 244 Antrag der Abgeordneten Junghans, Koenig, Graaff, Kater, Mertes, Scheu, Wüster, Wurbs und der Fraktion der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelständische Wirtschaft Drucksache VI/2075, VI/2284 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechend § 6 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes ein ,den Eventualhaushalt für das Haushaltsjahr 1972 ergänzendes ERP-Investitionsprogramm bis zu 1 Milliarde DM vorzubereiten. Im Rahmen dieses ERP-Investitionsprogramms sollen — entsprechend ,der Zielsetzung des Strukturprogramms der Bundesregierung für kleine und mittlere Unternehmen (Drucksache VI/ 1666) vornehmlich kleine und mittlere Unternehmen bei ihren Investitionen zur grundlegenden Rationalisierung, Umstrukturierung und Innovation, außerdem wirtschaftsschwache Regionen sowie gemeindliche Infrastrukturinvestitionen gefördert werden. Bonn, den 7. Dezember 1971 Junghans Koenig Kater Scheu Wüster Wehner und Fraktion Graaff Mertes Wurbs Mischnick und Fraktion Anlage 5 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Ehrenberg vom 8. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Jenser (CDU/CSU) (Drucksache VI/2890 Fragen A 67 und 68) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Arbeitnehmer, die einen Rentenantrag wegen Anerkennung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit stellen, häufig lange Wartezeiten hinnehmen müssen, bis ihre Anträge rechtskräftig entschieden sind, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen? Wieviel Anträge auf Gewährung von Renten aus den genannten Gründen wurden in den letzten Jahren bei den Landesversicherungsanstalten gestellt, wieviel abgelehnt und in wieviel Fällen wurde der Rechtsweg vor den Sozialgerichten beschritten? Der Bundesregierung ist bekannt, daß Versicherte, die einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit stellen, in Einzelfällen längere Wartezeiten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihre Anträge hinnehmen müssen. Sie ist jedoch bemüht, durch Maßnahmen sowohl im organisatorisch-verwaltungsmäßigen als auch im gesetzgeberischen Bereich diese Wartezeiten soweit wie möglich abzukürzen. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9035 Soweit die Verzögerung der Rentenzahlung auf die zeitraubende Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen aufgrund der Versicherungsunterlagen zurückzuführen ist, beabsichtigt unser Haus, dem durch die Einführung eines integrierten Datenerfassungssystems in der Sozialversicherung und durch eine bestmögliche Ausnutzung von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen zu begegnen. Die Vorarbeiten auf diesem Gebiet sind schon weit fortgeschritten. Darüber hinaus strebt die Bundesregierung eine Abkürzung solcher Wartezeiten durch eine Beschleunigung der Sozialgerichtsverfahren an. Dieses Ziel verfolgt der Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der dem Hohen Hause bereits vorliegt. Verhältnismäßig enge Grenzen ist hingegen einer Abhilfe der im medizinischen Bereich begründeten Schwierigkeiten gesetzt. Wenn zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten mehrere ärztliche Gutachten erforderlich sind, werden sich Wartezeiten wohl auch in Zukunft nicht vermeiden lassen können. Das liegt z. B. daran, daß — wie Sie wissen — besonders für Spezialfragen geeignete ärztliche Gutachter nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehen, zusätzliche schwer zu gewinnen und die vorhandenen überlastet sind. Gerade auch um diese Schwierigkeit wenigstens für die letzten Jahrgänge vor Erreichen der Altersgrenze zu beseitigen, hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung die Einführung einer flexiblen Altersgrenze vorgeschlagen. Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich bemerken: Derartige Zahlen sind uns nur für die Gesamtheit aller Rentenanträge, also insbesondere einschließlich derjenigen auf Altersruhegeld, bekannt, nicht jedoch getrennt nach den einzelnen Rentenarten. Sie lassen sich erst auf Grund einer Umfrage bei den Rentenversicherungsträgern feststellen. Daher kann ich Ihnen die gewünschten Angaben heute noch nicht machen. Ich bin jedoch gern bereit, dies schriftlich nachzuholen. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom 8. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Enders (SPD) (Drucksache VI/2890 Fragen A 73 und 74) : Trifft es zu, daß Prüfungsausschüsse bei Kreiswehrersatzämtern teilweise zehn Monate und länger benötigen, um über Anträge auf Kriegsdienstverweigerung entscheiden zu können? Welche Maßnahmen sind vorgesehen, damit Kriegsdienstverweigerer noch vor der Einberufung zur Bundeswehr die Entscheidung über ihren Antrag auf Kriegsdienstverweigerung erhalten? Es trifft zu, daß Prüfungsausschüsse bei den Kreiswehrersatzämtern zum Teil längere Zeit benötigen, um über Anträge auf Kriegsdienstverweigerung entscheiden zu können. Die Bundesregierung ist jedoch bemüht, seit dem Ansteigen der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung die Zahl der Prüfungsgremien entsprechend dem vermehrten Arbeitsanfall zu erhöhen. Trotzdem läßt sich aber nicht erreichen, daß alle Antragsteller noch vor der Einberufung zur Bundeswehr beschieden werden können, schon deshalb nicht, weil viele Anträge erst kurz vor dem Einberufungstermin gestellt werden. Dieser Situation wird aber dadurch Rechnung getragen, daß das Kreiswehrersatzamt die Einberufung bis zur Entscheidung des Prüfungsausschusses aussetzen kann, wenn der Kriegsdienstverweigerungsantrag begründet erscheint. Die rechtliche Handhabe hierzu bietet § 20 Abs. 6 der Musterungsverordnung. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom 8. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Hauser (Bad Godesberg) (CDU/CSU) (Drucksache VI/2890 Fragen A 76 und 77) : Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß den Stipendiaten der Bundeswehr der Fachrichtung Humanmedizin die Medizinalassistentenzeit auf die Gesamtverpflichtungszeit angerechnet wird, und daß sie erst nach der Approbation zum Dienst in den Streitkräften einberufen werden, während die Stipendiaten der Fachrichtung Geodäsie unmittelbar nach der Diplomhauptprüfung den Dienst antreten müssen und damit die Möglichkeit verlieren, die zweite Staatsprüfung abzulegen? Ist die Bundesregierung bereit, den Bundeswehrstipendiaten der Fachrichtung Geodäsie die Möglichkeit der Ablegung der zweiten Staatsprüfung nach der Diplomhauptprüfung einzuräumen und im übrigen die Offiziere ins militärgeographischen Dienst hinsichtlich der Besoldungsgruppe und der Zulage den Sanitätsoffizieren gleichzustellen? Die Stipendiaten der Fachrichtung Geodäsie werden nicht schlechter behandelt als alle anderen Stipendiaten der Bundeswehr auch, und wir kennen davon insgesamt 22 Fachrichtungen. Um nur einige zu nennen: Maschinenbau, Elektrotechnik, Physik, Pilotologie, Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft usw. Alle Absolventen dieser Fachrichtungen werden nur bis zum ersten Staatsexamen gefördert und müssen den Dienst in der Truppe antreten. Sie werden dann nach A 11 besoldet. Die bis dahin erworbenen Kenntnisse reichen auch für die Erfordernisse im Dienst in der Truppe aus. Bei den Ärzten ist das allerdings anders. Nach dem Staatsexamen muß der Mediziner erst ein Jahr Medizinalassistentenzeit durchlaufen, bevor er als Arzt tätig werden darf. Diese Tatsache begründet auch die Einstellungsbesoldung nach A 13 und die Anrechnung der Medizinalassistentenzeit auf die Gesamtverpflichtung. Die den Ärzten gezahlte Erschwerniszulage hat einmal den Sinn, Bewerbern einen gewissen Anreiz zu bieten, um den bestehenden erheblichen und auch kritischen Mangel an Ärzten zu beheben, zum anderen um den infolge gerade dieses Mangels dauernd überlasteten Ärzten der Bundeswehr einen gewissen finanziellen Ausgleich zu geben. Es wird jedoch zur Zeit geprüft, wie die Laufbahnvorschriften für die Offiziere mit wissenschaftlicher Vorbildung insgesamt verbessert werden können. 9036 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 2. Dezember 1971 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Offergeld (SPD) (Drucksache VI/2861 Fragen A 28 und 29) : Von welchen Mittelpreisen des Verbrauchsorts sind die Finanzämter der Landeshauptstädte im ersten Halbjahr 1971 bei Anwendung des Abschnitts 15 Abs. 1 der Lohnsteuer-Richtlinien ausgegangen? Ist die Bundesregierung — unabhängig von der Überprüfung des Problems im Rahmen der Steuerreform — bereit, den Bundesländern im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu empfehlen, den Finanzämtern alljährlich für die wichtigsten Städte die Rahmensätze der Mittelpreise von Kantinenmahlzeiten mitzuteilen? Kantinenmahlzeiten, die vom Arbeitgeber unentgeltlich oder verbilligt verabreicht werden, stellen steuerpflichtige Sachbezüge dar. Sie sind für die Berechnung der Lohnsteuer mit dem ortsüblichen Mittelpreis, d. h. mit dem Betrag zu bewerten, den der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsort aufwenden müßte, wenn er sich die Mahlzeit in üblicher Form, z. B. in einer Gaststätte auf eigene Kosten verschaffen würde. Die Feststellung des Mittelpreises ist nicht Sache der Finanzverwaltung, sondern Sache des Arbeitgebers, der bei der Wertbemessung sowohl die Art und Güte der Mahlzeit, als auch die örtlichen Preisverhältnisse berücksichtigen muß. Dabei wird es aber nicht beanstandet, wenn das einzelne Unternehmen den Wert nicht täglich ermittelt, sondern einen betrieblichen Durchschnittspreis ansetzt. Von dem hiernach ermittelten Betrag bleiben 1,50 DM je Arbeitnehmer und Arbeitstag steuerfrei, der Mehrbetrag gehört zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Einheitliche Mittelpreise für bestimmte Verbrauchsorte, z. B. für die Landeshauptstädte gibt es hiernach nicht; die Mittelpreise sind vielmehr von Betrieb zu Betrieb verschieden. Die Bundesregierung hätte auch Bedenken, den Finanzministern der Länder die Festsetzung von einheitlichen Mittelpreisen zu empfehlen. Durch eine solche Maßnahme würden tatsächliche wertmäßige Unterschiede, die sich innerhalb der einzelnen Betriebe unvermeidbar ergeben, steuerlich nicht berücksichtigt. Für die Festsetzung von einheitlichen Mittelpreisen besteht auch kein praktisches Bedürfnis. Um den Arbeitgebern die Wertermittlung zu ersparen, ist bereits im Jahre 1970 aus Vereinfachungsgründen zugelassen worden, daß für eine Kantinenmahlzeit an Stelle des ortsüblichen Mittelpreises der amtliche Sachbezugswert, der für die Gewährung freier Kost bei einer Aufnahme des Arbeitnehmers in die Haus- und Verpflegungsgemeinschaft maßgebend ist, angesetzt werden darf. Da diese amtlichen Sachbezugswerte besonders niedrig sind, darf nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs von ihnen der eben erwähnte Freibetrag von 1,50 DM zur Vermeidung ungerechtfertigter Steuervorteile nicht mehr abgezogen werden. Hiernach hat der Arbeitgeber ein Wahlrecht, ob er die von ihm gewährten Mahlzeiten mit dem selbst zu ermittelnden ortsüblichen Mittelpreis unter Berücksichtigung des Freibetrags von 1,50 DM oder mit dem amtlichen Sachbezug ohne Kürzung um die 1,50 DM bewerten will. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf vom 2. Dezember 1971 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Wende (SPD) (Drucksache VI/2861 Frage B 25) : Hält es die Bundesregierung für rechtlich zulässig, daß eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ein Europa-Pokal-Fußballspiel nur unter der Bedingung zu übertragen bereit ist, daß die Umsatzsteuer für das Sendehonorar von einem der beiden an dem zu übertragenden Spiel beteiligten Vereine getragen wird, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um ein derartiges Verhalten künftig auszuschließen? Beim Abschluß der Vereinbarung über das von der Rundfunkanstalt für die Übertragung des Europa- Pokal-Fußballspiels zu zahlende Sendehonorar mußten sich die Beteiligten darüber einigen, ob in dem Honarar die Umsatzsteuer bereits enthalten ist (sog. Bruttohonorar) oder ob es sich hierbei um einen Nettobetrag zuzüglich Umsatzsteuer handelt. In dieser Frage scheint zwischen der Rundfunkanstalt und dem veranstaltenden Verein eine Einigung nicht erzielt worden zu sein. Während der Verein in seinen Vorstellungen offensichtlich von einem Nettohonorar ausging, zu dem ihm die Rundfunkanstalt noch den darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrag zu zahlen hat, war die Rundfunkanstalt offenbar der Meinung, daß das Sendehonorar die Umsatzsteuer bereits einschließt. Beide Arten der Honorarvereinbarung sind zulässig. Eine andere Frage ist, wie die Angelegenheit beurteilt werden muß, wenn sich hinterher zwischen den Beteiligten Meinungsverschiedenheiten darüber ergeben, ob der vereinbarte Betrag als ein Nettooder Bruttohonorar anzusehen ist. Hierzu vermag ich nicht Stellung zu nehmen, da es sich bei diesem Problem ausschließlich um eine Frage der Vertragsauslegung handelt, für deren Entscheidung ggf. die Zivilgerichte zuständig sind. Ergänzend möchte ich noch bemerken, daß nach der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland für die in Frage kommenden Rundfunk- bzw. Fernsehanstalten die Länder zuständig sind. Diese haben den Landesrundfunkanstalten und dem Zweiten Deutschen Fernsehen durch Gesetz bzw. Staatsvertrag weitestgehende Selbstverwaltungsbefugnisse eingeräumt und sich nur eine beschränkte Rechtsaufsicht vorbehalten. Die Bundesregierung sieht sich daher auf Grund dieser Zuständigkeitsregelung nicht in der Lage, in der aufgeworfenen Frage unmittelbar tätig zu werden.
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    Rede von Heinrich Gewandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben diese Große Anfrage seinerzeit gestellt, um zu erfahren, wie die Bundesregierung ihrerseits die Lage der mittelständischen Wirtschaft beurteilt und welche Erkenntnisse sie aus diesem Lagebericht zu ziehen beabsichtigt. Ich meine, daß es nötig ist, zu Anfang etwas klarzustellen, um Mißdeutungen auszuschließen. Die mittelständische Wirtschaft ist ein bedeutender Teil der Gesamtwirtschaft, dem 60 O/o der in Lohn und Brot stehenden Menschen ihre berufliche Existenz verdanken. Dieser Teil ist wie jeder andere Teil der deutschen Wirtschaft dem Strukturwandel unterworfen. Er hat sich in diesem Strukturwandel bewährt. Er hat bei der Anpassung an den Strukturwandel keine staatliche Hilfe bekommen, sondern aus eigener Kraft diese Leistung vollbracht. Hier sind also die Selbsterhaltungskräfte der Wirtschaft noch voll funktionsfähig.
    Ich möchte unterstreichen, daß es uns zu keiner Zeit darauf ankam, etwa einer Politik das Wort zu reden, die von Subsidien oder von einem Protektionismus ausgeht. Wir meinen, daß die Marktwirtschaft die optimale Form für den Verbraucher und für den Erzeuger ist.
    Wir haben die Große Anfrage auch eingebracht, weil sich die wirtschaftliche Lage im Bereich der mittelständischen Wirtschaft in der letzten Zeit in besorgniserregender Weise verändert hat. Alle Warnungen, die wir hier bei den vielfältigen wirtschaftspolitischen Erörterungen ausgesprochen haben, werden jetzt durch den Sachverständigenrat bestätigt. Jetzt befinden wir uns in diesem Teufelskreis oder in dieser, wie der Sachverständigenrat sagt, Dilem-
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8983
    Gewandt
    masituation, weil man uns keine Aufmerksamkeit schenkte.
    In ihrer Antwort auf die Große Anfrage geht die Bundesregierung auf die wesentlichen Fragen nicht ein. Ich werde gleich im einzelnen ausführen, daß sich die wirtschaftliche Lage in sehr besorgniserregender Weise entwickelt hat. Aber das ist nicht das einzige, was zur Sorge Anlaß gibt. Hinzu kommen jene Belastungen der mittelständischen Wirtschaft, über die im Augenblick in aller Breite diskutiert wird; hinzu kommt das Wirken jener Kräfte, die eine andere soziale Struktur unserer Gesellschaft w ünschen. Anlaß zur Besorgnis gibt z. B. die Entwicklung in der Sozialdemokratischen Partei. Die wirtschaftsfeindlichen Kräfte in unserem Lande finden Auftrieb, wenn jene Steuerpläne verfolgt werden, die unter Führung des Kollegen Eppler entwickelt worden sind, der eine Kuh melken möchte, von der wir wissen, daß sie zunächst einmal Gefahr läuft, an Auszehrung dahinzusiechen. In der Fachpresse ist darauf hingewiesen worden, daß sich der Bundeskanzler den radikalen Beschlüssen auf dem Parteitag der SPD nicht widersetzen konnte. Man schrieb, das sei der Brückenzoll zur Egalité, der wie das schräge Messer einer Guillotine über den Häuptern gerade der Bezieher mittlerer Einkommen schwebe.
    Um klarzumachen, wie die Lage beurteilt wird, möchte ich einige führende Persönlichkeiten aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft zitieren.
    Der Generalsekretär des Zentalverbandes des Deutschen Handwerks, Herr Kübler, hat gesagt, Mißtrauen, Unsicherheit und Resignation seien heute in seinem Bereich das Charakteristikum,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    und zwar nicht nur wegen der schlechten Ertragslage, sondern auch wegen der Fülle von Plänen, die stets im Raum der Utopie schwebten, die aber jetzt durch eine besondere Form der Kanalisierung offenbar auch zum Parlament Zugang gefunden hätten.
    Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, Fertsch- Röver— der nicht unserer Partei angehört —, hat gesagt, Unruhe und Unsicherheit seien die Zeichen, unter denen die Wirtschaft jetzt deutlicher als vorher leben müsse.
    Ein letztes Zitat. Herr Conzen, der Präsident der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, hat beschwörend gefragt, ob man denn bereit sei, die Prognose des Bundeswirtschaftsministers, bis 1985 würden 25 % der Unternehmer im mittelständischen Bereich ausscheiden, mit Lethargie und Fatalismus hinzunehmen. Conzen hat folgende beängstigende Fakten herausgestellt: leergefegter Arbeitsmarkt, Lohn- und Kostenexplosion, Währungsdurcheinander, Inflationsrate, dazu mangelnder, ja abnehmender Leistungswille, Verteufelung des ethischen Wertes der Arbeit.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Meine verehrten Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß uns auf diesem Hintergrund die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zu selbstgefällig erscheint; denn die Bundesregierung verschweigt die Auswirkung ihrer konjunkturellen Wechselbäder auf die Wirtschaft. Die Bundesregierung unterstellt zwar — sie befindet sich darin mit uns in Übereinstimmung , daß die beste Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik ist. Sie hätte nur hinzufügen müssen: das ist uns aber nicht gelungen.
    Wir müssen zunächst einmal beklagen, daß, weil es diese stabilitätsorientierte Politik nicht gegeben hat und die Bundesregierung nicht den Mut hatte, das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum anzuwenden, die Bundesbank wieder der einzige Hüter der Stabilität war. Aber welches Ergebnis hatte das für die mittelständische Wirtschaft? Durch die Hochzinspolitik sind erneut Wettbewerbsverzerrungen eingetreten;

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    denn der mittelständische Unternehmer konnte sich nicht auf dem EURO-Markt bedienen, dahin ist der große gegangen. Am Rande sei allerdings erwähnt, daß die Verschuldung im Ausland, zum Teil eine kurzfristige Verschuldung, der deutschen Wirtschaft von insgesamt 30 Milliarden DM uns bedenklich stimmt. Ich meine, man sollte im Hinblick auf die Verflechtung zwischen der mittelständischen Wirtschaft und der Gesamtwirtschaft verstehen, daß dieses auch den Mittelstand mit Sorge erfüllt.
    Die Bundesregierung geht in ihrer Antwort nicht auf das Problem der Investitionsfinanzierung ein. In besorgniserregendem Maße hat sich der Geldwert verschlechtert. Das bedeutet, daß heute die Abschreibungen nicht mehr ausreichen, um die Investitionen zu verdienen;

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    d. h. es müssen neue Wege für die Investitionsfinanzierung gesucht werden. Hierüber spricht die Bundesregierung nicht. Wir haben dazu einige Vorschläge zu machen.
    Wir hatten gehofft, daß die Bundesregierung auf die prekäre Ertragslage einginge; sie hat es nicht getan. Wir haben gefragt: wie wirkt sich die Lohnfortzahlung für die Arbeiter im Krankheitsfalle aus und wie wirkt sich die Mehrbelastung nach dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz aus? Wir haben diese Frage nicht gestellt, um diese Maßnahmen etwa rückgängig zu machen. Das möchte ich hier ganz klar und deutlich unterstreichen. Aber wir wollten festgestellt sehen, wie groß die Leistungsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft im sozialpolitischen Bereich ist und wo die Grenze der Belastbarkeit liegt — ein Thema, das bei der Steuerreform erörtert werden muß.
    Die Bundesregierung hat gemeint, man könne nicht auf eine effektive Verminderung der Unternehmenserträge schließen. Ich frage mich, ob die Bundesregierung nicht zur Kenntnis genommen hat, daß die Ertragsteuern ständig zurückgehen.
    Aber nun zu der Frage der Belastung im besonderen. Die Bundesregierung führt aus, daß die Ge-
    8984 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
    Gewandt
    samtbelastung durch die Einführung der Lohnfortzahlung 6 Milliarden DM betrage; nach den Steuern liegt sie nach Meinung der Regierung bei 3,5 %. Diese Zahlen treffen nicht zu. Nach einer Rechnung, die von einem anerkannten Institut auf der gleichen Grundlage erstattet worden ist, wissen wir, daß die Belastung der Betriebe bei 8,2 Milliarden DM lag, d. h. einer Belastung der Bruttolohnsumme von 5,6 %. Wenn Sie das gleiche Schema wie die Bundesregierung anwenden und die Steuern in Abzug bringen, kommen Sie immerhin noch auf eine Belastung, die wesentlich höher ist als die, welche die Bundesregierung angegeben hat.
    Besonders leicht hat es sich die Bundesregierung bei ihrer Antwort auf unsere Frage nach der Kostenexplosion und der Gewinnkompression gemacht. Die Bundesregierung sagt: Von einer negativen Ertragsentwicklung kann nicht gesprochen werden. Das kann man nur sagen, wenn man sich seit einigen Monaten in der Lektüre der Tageszeitungen zurückgehalten hat; denn allein schon dort hätte man ein anderes Bild erhalten können. Im übrigen sagt die Bundesregierung — und ich finde das geradezu köstlich —, die Ertragslage der mittelständischen Unternehmer hätte sich gleich gut entwickelt wie die der Großunternehmen. Dazu kann man nur sagen, das ist ein ganz schlechter Trost; dann müßte man sagen „gleich schlecht", denn zu sagen „gleich gut" ist wohl ein Hohn.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie sieht es nun in Wirklichkeit aus? Ich beziehe mich jetzt auf die Quellen des Industrieinstituts und anschließend auf die Angaben, die der Einzelhandel macht. Berücksichtigt man den kalkulatorischen Unternehmerlohn, dann sind im Jahre 1970 die Unternehmensgewinne zurückgegangen, und zwar um 6,5 %. Dagegen stiegen im Jahre 1970 die Lohnstückkosten in der Industrie um 14 %, gesamtwirtschaftlich um 11 %. Diese allgemeinen Aussagen decken sich aber nicht mit der besonders schlechten Ertragslage beispielsweise im Einzelhandel. Der Facheinzelhandel, der bekanntlich immer noch sehr gut im Rennen liegt, hat heute, gemessen an den Umsätzen beispielsweise des Jahres 1962, einen erheblichen Rückgang des Reingewinns zu verzeichnen. Seinerzeit betrug die Ertragsquote noch um 7,3 % des Umsatzes, im Jahre 1970 etwas über 6 1)/10. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß das Vergleichsjahr ein Rezessionsjahr war. Wenn man nun aber die Verzinsung des Eigenkapitals und den Unternehmerlohn mit berücksichtigt — und das muß man ja tun —, dann kommt man nach Auffassung des Einzelhandels zu einem betriebswirtschaftlichen Ergebnis im Einzelhandel, das unter 1 % liegt. Das zeigt die Dilemmasituation in der wir uns befinden. Die mittelständische Wirtschaft — wir haben es gesagt — ist anpassungsfähig. Sie hat schwere Zeiten überlebt, und ich nehme an, sie wird durch ihre Anpassungsfähigkeit die derzeitige Wirtschaftspolitik ebenfalls überleben. Sie hat den Strukturwandel aus eigener Kraft bewältigt, und sie ist heute in sehr starkem Maße als Zulieferer für die Großwirtschaft tätig. Hier zeigt sich die enge Verflechtung der Wirtschaft, und daraus resultiert, daß man die einzelnen Bereiche nicht auseinanderhalten kann.
    Ich darf einige Beispiele geben. Nach den neuesten Erhebungen, die Professor Albach von der Universität Köln angestellt hat, ist die Zahl der Zulieferer bei Mercedes-Benz aus dem Bereich des Mittelstandes von 14 000 im Jahre 1954 auf 17 000 im Jahre 1970 gestiegen, bei BASF sind es 10 000, bei Mannesmann
    14 000, bei Siemens 30 000. Das zeigt, daß der Mittelstand immer wieder neue Wege sucht, um sich zu behaupten, daß er — das muß man sagen auch in der technischen Entwicklung eine hervorragende Rolle spielt. Wir wissen aus Berichten aus den Vereinigten Staaten, daß im Bereich der Innovation die meisten Ideen aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft kommen, und auch die Europäische Kommission hat festgestellt, daß gerade in bezug auf die Innovation im Bereich der Industrie die mittelständische Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist.
    Die Bundesregierung hat nun gesagt, dieser gesamte Bereich sei von einer Ertragsschmälerung in keiner Weise betroffen. Ich möchte dem entgegenhalten, daß selbst der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor einiger Zeit im ZDF erklärt hat, daß die Gewinne eingeschränkt worden sind, und die Bundesbank — das sollte uns zu denken geben — hat folgendes deutlich gemacht: Hält die Tendenz zur Gewinnminderung aber länger an und verschärft sie sich sogar, dann wird die Investitionsneigung der Unternehmer stärker und nachhaltiger beeinträchtigt, und das muß zwangsläufig Folgen für die Beschäftigungslage haben. Das ist unsere große Sorge.
    Wir haben in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Frage Nr. 4 hören müssen, daß es keine Verminderung der Unternehmenserträge durch Belastungen aus der sozialen Gesetzgebung gebe. In Punkt 8 sagt allerdings die Regierung, daß es eine zeitweilige Gewinnminderung geben könnte. Aber was sie nun empfiehlt, das, muß ich sagen, grenzt an Zynismus angesichts der Ertragslage in der Wirtschaft. Die Regierung empfiehlt, nötigenfalls auf Reserven zurückzugreifen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auf welche Reserven?)

    Sie sagt, erst dann würde sich herausstellen, ob existenzgefährdende Substanzverluste eingetreten seien.
    Meine Damen und Herren, wie steht es denn mit den Rücklagen, mit den Reserven, von denen die Regierung spricht? Wir haben durch die Wissenschaftliche Abteilung des Bundestages, der Dank dafür gebührt, einmal feststellen lassen, wie hoch die Rücklagenquote ist. Man ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie bei den Großgesellschaften etwa
    15 % der Bilanzsumme beträgt. Das ist nicht üppig, aber immerhin. Bei den Personengesellschaften beträgt diese Quote jedoch weniger als 2 %, und bei den Einzelkaufleuten ist sie noch geringer. Wie man angesichts dieser Situation den Unternehmern empfehlen kann, sie mögen auf ihre Reserven zurückgreifen, ist unverständlich. Man kann seine
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    Gewandt
    Substanz nicht verzehren müssen, nur weil die Konjunkturpolitik der Regierung nicht stimmt.

    (Abg. Josten: Sehr wahr!)

    Wir haben fernerhin festzustellen, daß als Ergebnis dieser konjunkturpolitischen Wechselbäder dieser Regierung nicht nur die Ertragslage sich verschlechtert hat, sondern daß auch die Zahlungsschwierigkeiten zunehmen und daß vielen bereits der Atem ausgegangen ist. Im Jahre 1970 war ein Anstieg der Konkurse um nahezu 9 % zu verzeichnen. Die Zahlungseinstellungen im Dienstleistungsgewerbe und im Handel sind überdurchschnittlich groß. Die Zahl der Konkurse im Einzelhandel hat sich bedauerlicherweise um 18 % erhöht. Wenn Sie die neuesten Ergebnisse der Entwicklung im Jahre 1971 betrachten, die das Statistische Bundesamt nachgeliefert hat, stellen Sie fest, daß sich die Konkursstatistik noch wesentlich verschlechtert hat.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Als Grund für diese negative Entwicklung gibt das Statistische Bundesamt die erheblich verschlechterte Ertrags- und Liquiditätslage der Unternehmen an und, damit zusammenhängend, harten Wettbewerbsdruck auf allen Märkten, hohes Zinsniveau, sinkende Rendite, steigende Löhne. Hier beginnt ein Ausleseprozeß, der nicht mehr mit dem Marktgeschehen zu rechtfertigen ist, sondern der zu einem unwiederbringlichen Substanzverlust führt. Als wir bei unserem Mittelstandskongreß darauf hinwiesen, hat die Regierung das als Polemik abgetan.
    Aber die Wirtschaft leidet nicht nur unter dem Sinken der Erträge. Wir haben festzustellen, daß das Nachwuchsproblem — darauf wird hier im einzelnen noch eingegangen — immer gravierender wird. Auch dies ist nach meiner Auffassung das Ergebnis einer systematischen Verketzerung der gewerblichen Ausbildung. Wir wollen den Ausbau der Universitätsausbildung und ihre Förderung. Aber das bedeutet doch nicht, daß man im gewerblichen Bereich die Ausbildung vernachlässigen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn wohin kommen wir, wenn im mittleren Bereich niemand mehr da ist, wenn z. B. niemand mehr unsere Dächer deckt? Wenn man einmal die zukunftsorientierten Handwerke heraussucht, Bauschlosser, Maurer, Dachdecker, Straßenbauer — also alles Sparten, die auch in einer dynamischen Gesellschaft eine Aufgabe wahrzunehmen haben —, und feststellt, daß dort die Leerquoten bei den ausgewiesenen Lehrstellen zwischen 60 und 75 % liegen, fragt man sich: Wer soll hier in der Zukunft eigentlich noch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden, wenn dieser Mittelbau, der uns gerade in eine günstige Situation gebracht hat, heute systematisch ausgezehrt wird?

    (Abg. Kater: Ist das erst seit zwei Jahren der Fall?)

    — Die Verketzerung? Nein, die gibt es schon lange von Ihrer Seite.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Was uns besonders besorgt, weil wir Mittelstandspolitik immer als eine Politik der Produktivitätssteigerung betrachtet haben, ist der besorgniserregende Rückgang der Produktivität in Deutschland. Er hat im Jahr 1970 den niedrigsten Stand seit 1956 erreicht; er beträgt nur noch 2 %. Wir sind das Schlußlicht in der Produktivitätssteigerung geworden. Das stimmt uns bedenklich.
    In diesem Zusammenhang müssen wir deutlich machen, daß die Bundesregierung nichts getan hat, um die Produktivität zu steigern und anzuregen. Im Gegenteil, sie hat eine Blockade für den Produktivitätsfortschritt verhängt. Die Haushaltsansätze, die der Steigerung der Produktivität dienen — Entwicklung der Forschung, Innovation, ja sogar die Gewerbesteuer —, wurden durch den Haushaltsführungserlaß vom 5. März zunächst erheblich reduziert. Erst unter dem massiven Druck der Opposition und der öffentlichen Meinung hat man hier dann eine andere Politik eingeschlagen. Es ist bedauerlich, daß die Bundesregierung immer dann den Rotstift anzusetzen bereit ist, wenn es um zukunftsorientierte Maßnahmen geht.
    Meine Damen und Herren, wenn gefragt wird, was die Bundesregierung für die Mittelstandspolitik unternimmt, dann kann man hier den Bundeskanzler zitieren. Er hat vor dem Zentralverband des Deutschen Handwerks mitgeteilt, daß in diesem Jahr 1 Milliarde DM für zinsverbilligte Kredite ausgegeben wird. Das ist in der Tat sensationell. Dabei muß man nur sagen, daß es eine Maßnahme ist, die es eigentlich immer gegeben hat. Die Hälfte trägt die Bundesanstalt für Wiederaufbau. 360 Millionen DM kommen aus dem ERP-Vermögen. 140 Millionen DM tragen die Länder. Den Rest trägt die Bundseregierung; und diese wollte davon noch einen Teil einbehalten.
    Im übrigen hat der Herr Bundeskanzler — ich kann das verstehen; er muß ja auch deutlich machen, daß sein Herz für den Mittelstand schlägt — auch gemeint, daß zur Förderung der beruflichen Ausbildung jährlich 1 Milliarde DM ausgegeben werden. Damit hat er völlig recht. Aber die Bundesregierung hat damit nichts zu tun; denn das Geld kommt von der Bundesanstalt aus Nürnberg.
    Ich habe auf die schrumpfenden Gewinne hingewiesen. Ich habe darauf hingewiesen, daß in den Unternehmen angesichts der Steuerpläne, die ich hier skizziert habe, die Resignation wächst und daß eine Verbesserung der Eigenkapitalbildung angesichts der Ertragsentwicklung nicht möglich ist, so daß man mit Sorge in die Zukunft sehen muß. Hinzu kommt, daß für Nettoinvestitionen — auch das muß einmal gesagt werden — noch im Jahre 1967 von 100 DM 33 DM auf dem Kreditweg beschafft werden mußten. Heute beläuft sich dieser Betrag auf 59 DM.

    (Abg. Josten: Hört! Hört!)

    Angesichts dieser Situation ist der Expansionsspielraum in diesem Bereich der Wirtschaft natürlich außerordentlich eng gezogen. Wir wissen schon seit langer Zeit, daß sich die Eigenkapitalquote verschlechtert hat. Aber es gibt keine Reaktion seitens der Regierung.
    8986 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
    Gewandt
    Der Eigenkapitalanteil in der Wirtschaft geht ständig zurück. Unsere internationalen Wettbewerber befinden sich hier in einem Vorteil. Wir können sagen, daß wir deshalb im Schnitt wesentlich schlechter gestellt sind, weil das Eigenkapital in anderen Staaten — Holland, England usw. — das Anlagevermögen immerhin noch um 20 % überschreitet. Bei uns haben wir einen Verschuldungsgrad von etwa 60 % festzustellen. Die Bundesregierung hat keinerlei Auskünfte darüber gegeben, was sie zu tun gedenkt, um die Investitionsmöglichkeiten zu verbessern.
    Unsere Wirtschaft ist überwiegend mittelständisch strukturiert. Das hat nicht nur eine Bedeutung für die im Wettbewerb befindlichen mittelständischen Unternehmen, sondern es spielt für die Volkswirtschaft insgesamt eine Rolle. Wenn in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Frankreich immer wieder strukturelle Schwierigkeiten für eine negative wirtschaftliche Entwicklung wesentlich ausschlaggebend sind, dann liegt das nicht primär daran, daß die betreffenden Regierungen nicht über nötiges Instrumentarium verfügten, sondern an der mangelnden Preisbeweglichkeit, an der mangelnden Mobilität der Arbeitskräfte, also an jenen spezifischen Funktionen, die bei uns die mittelständische Wirtschaft wahrzunehmen in der Lage ist.
    Meine Damen und Herren, entscheidend für die Wiederherstellung des Vertrauens — und ich glaube, daß wir uns in einer Vertrauenskrise befinden — ist eine stetige, eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik der Regierung. Deshalb müssen klare Entscheidungen mit folgenden Schwerpunkten getroffen werden:
    Erstens. Bei einer Steuerreform müssen die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit beachtet werden, d. h. die Besteuerung muß an der Leistungsfähigkeit und der Wettbewerbsneutralität ausgerichtet sein.
    Zweitens. Bei der Novellierung der Mehrwertsteuer ist zumindest die Kleinbetriebsregelung systemgerecht umzugestalten und in ihrer Größenordnung den geänderten Verhältnissen anzupassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mehr kann man angesichts dieser vertrackten Finanzlage, in die uns die Regierung gebracht hat, in bezug auf eine Mehrwertsteuerreform nicht erwarten.
    Drittens. Durch geeignete steuerliche Maßnahmen — und dazu werden wir einen Gesetzentwurf einbringen — muß die unzureichende Eigenkapitalbildung der mittelständischen Wirtschaft verbessert werden, damit die Leistungsfähigkeit dieses wichtigen Bereiches ausgebaut und gestärkt wird.
    Viertens. Die Gewerbesteuerreform darf nicht ad calendas graecas verschoben werden.

    (Beifall bei der CDU CSU.)

    Fünftens. Die Bildungspolitik muß der beruflichen Aus- und Fortbildung endlich die nötige Priorität einräumen.

    (Abg. Josten: Vorrangig!)

    Sechstens. Die Gewerbeförderung muß als zukunftsorientiertes Instrumentarium bedarfsgerecht ausgebaut werden.
    Siebtens. Die Bundesregierung muß von ihrer Ankündigung, Strukturpolitik aus einem Guß zu betreiben, endlich einmal nicht nur reden, sondern sie verwirklichen.
    Abschließend darf ich folgendes sagen. Für uns sind die mittelständische Wirtschaft und die leitenden Angestellten die Avantgarde des Fortschritts. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ständig weiter gestärkt, aber auch die Ansprüche an Staat und Gesellschaft ungewöhnlich steigen lassen. Leider gibt es Vorstellungen vom Fortschritt, die dahin gehen, daß sich dieser automatisch entwickeln könne und daß man ohne eigene Leistung an ihm partizipieren könne. Die Leistungsunwilligkeit nimmt in Deutschland leider zu.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Deshalb ist es erforderlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Leistung wieder zu fördern, denn sie sichert wirtschaftlichen Fortschritt und ist die Basis des sozialen Rechtsstaates. Leistungsprinzip, Leistungsgesellschaft und Leistungsgedanke werden in Frage gestellt. Zwar möchte niemand auf die Früchte der Leistungsgesellschaft verzichten. Es besteht die Gefahr, daß sich unsere Leistungsgesellschaft zu einer Anspruchsgesellschaft entwickelt. Hier liegt nach meiner Auffassung die Hauptgefahr für den sozialen Rechtsstaat, der sicherlich Mängel hat, der aber immerhin noch die optimale und humanste Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist.
    In dieser Gesellschaftsordnung ist die mittelständische Wirtschaft ein wichtiger Faktor. Und gerade weil mehr Ansprüche an den Staat gestellt werden, muß die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gesteigert werden. Dazu brauchen wir wieder eine gesunde Basis für eine langfristige, optimale Entwicklung. Das heißt, das Hauptziel muß die Wiederherstellung einer gesunden wirtschaftlichen Basis sein. Das wäre der beste Beitrag für eine zukunftsorientierte Mittelstandspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koenig. Für ihn hat die SPD-Fraktion eine Redezeit von 40 Minuten beantragt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Peter-Michael Koenig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Anfang möchte ich Ihnen auf Umdruck 244 t) vorliegenden Entschließungsantrag

    (Abg. Vogel: Ein Propaganda-Antrag!)

    der Fraktionen der SPD und FDP begründen. Sie ersehen aus ihm, daß die Koalitionsfraktionen der Auffassung sind, daß das Bemühen, die im Stabilitätsgesetz vorgeschriebenen Ziele zu erreichen, in
    *) Siehe Anlage 4
    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 8983
    Koenig
    nächster Zeit zwar nach wie vor den Versuch beinhalten muß, ein Abklingen des Preisauftriebs zu erreichen; aber darüber hinaus müssen vorbeugende Überlegungen in bezug auf rezessive Tendenzen angestellt werden Diesem Ziel dient der Ihnen vorliegende Antrag. Für den Fall, daß wir mit dem Eventualhaushalt gegensteuern müssen, weil es gilt, die Konjunktur rechtzeitig wieder zu beleben, schlagen wir eine Ergänzung des Eventualhaushalts durch ein Investitionsprogramm in Höhe von 1 Milliarde DM vor. Das Neue an diesem Vorschlag ist, daß hier zum erstenmal nicht ausschließlich Maßnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufträge vorgesehen sind, wie es in den Jahren 1967/68 im damaligen ERP-Investitionshilfeprogramm der Fall war. Hier wird die Bundesregierung vielmehr konkret aufgefordert, ein Programm vorzubereiten, indem auch die Finanzierung von Investitionsvorhaben kleiner und mittlerer Unternehmen gefordert wird, und zwar von Vorhaben zur grundlegenden Rationalisierung, Umstrukturierung und Innovation im Rahmen des Aktionsprogramms zu Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen. Außerdem wird die Förderung wirtschaftsschwacher Regionen sowie gemeindlicher Infrastrukturinvestitionen verlangt. Das ist ein völlig neuer Ansatz, Herr Kollege Gewandt. Daraus ersehen Sie — wie im übrigen auch aus dem Strukturprogramm der Bundesregierung insgesamt —, wieviel diese Bundesregierung zur Förderung der Produktivität gerade im Bereich der mittelständischen Wirtschaft, also der kleinen und mittleren Unternehmen, zu tun bereit ist.

    (Abg. Lemmrich: Auf dem Papier!)

    — Das steht nicht nur auf dem Papier, meine Damen und Herren, sondern das ist, wie ich soeben ausgeführt habe, heranzuziehen, wenn die Konjunktur es erlaubt. Wir bitten um Zustimmung zu diesem Entschließungsantrag.
    Mir ist heute früh zu Beginn der Debatte aufgefallen, daß Sie, Herr Kollege Gewandt — sicherlich mit Recht —, auf einige aktuelle Probleme des Mittelstands abgehoben haben. Darüber hinaus sind Sie aber nicht zu grundsätzlichen Überlegungen über eine Strategie für den Mittelstand gekommen. Das hätte ich eigentlich von Ihnen erwartet.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Frerichs: Dann haben Sie nicht zugehört! — Abg. Lampersbach: Das hat er ganz deutlich gesagt!)

    — Die CDU/CSU, Herr Kollege Lampersbach, befindet sich hier in einer schwierigen Situation, für die wir Verständnis haben; denn sie hat nicht nur einen Mittelstandskreis, sondern auch einen Wirtschaftsrat, der nun einmal andere Interessen, nämlich die der Industrie, vertritt.

    (Abg. Dr. von Bismarck: Woher wissen Sie das? — Abg. Stücklen: Wer sagt das?)

    Das sind zwei Paar Stiefel, mit denen man nicht im Gleichschritt marschieren kann. Das ersehe ich u. a. aus dem Verlauf Ihres Mittelstandstages in Bremen, wo es Ihnen ebenfalls nicht gelungen ist,
    die Interessen dieser beiden Vereinigungen zu harmonisieren.

    (Abg. Lampersbach: Herr Koenig, Sie können nicht nur nicht zuhören, sondern auch nicht sehen!)

    — Außerdem stellen wir fest, Herr Lampersbach, daß bei Ihnen der Wirtschaftsrat immer den Ton angibt.

    (Abg. Stücklen: Und ihr macht die Musik!)

    Das führt natürlich zu gewissen Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung anderer, z. B. mittelständischer Interessen.

    (Abg. Lampersbach: Schlecht hören kann er gut!)

    Ich möchte mir deshalb erlauben, einige grundsätzliche Ausführungen zur Situation der mittelständischen Wirtschaft, der kleinen Unternehmer, zu machen, um das noch etwas zu verdeutlichen.

    (Abg. Lampersbach: Jetzt wird es sehr interessant!)

    Zu Beginn der Debatte muß die Frage erlaubt sein, welchen Zweck sie erfüllen soll. Sie erfüllt für die mittelständische Wirtschaft nur dann ihren Zweck, wenn wir zu einer Analyse der Position kleiner und mittlerer Unternehmen in der heutigen wirtschaftlichen Landschaft vordringen und, ausgehend von dieser Analyse, die Selbständigenpolitik der Bundesregierung kritisch und konstruktiv würdigen. So ist auch das Strukturprogramm der Bundesregierung in seiner Dreiteilung angelegt. Es besteht erstens aus einer Analyse, zweitens aus einer Darstellung von Grundsätzen und drittens aus einem konkreten Aktionsprogramm zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Betriebe.
    Jede Mittelstandspolitik muß rational, ökonomisch begründet werden. Daraus ergibt sich die Frage: lohnt sich der Mut zum unternehmerischen, zum Selbständigenrisiko? Jede Mittelstandspolitik muß auf eine positive Beantwortung dieser Frage ausgerichtet sein, wenn sie wirkungsvoll sein soll.

    (Abg. Lampersbach: Lehrsatz!)

    Richtig. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben diese Fragestellung noch nicht genügend erkannt.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich werde Ihnen das begründen. Wenn Sie auf Ihrem Mittelstandstag in Bremen ausführen, daß zu diesem mittelständischen Bereich auch die leitenden Angestellten gehören, so sehen Sie das zu ideologisch, und das ist genau das, was einer ökonomischen Betrachtung entgegensteht.