Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich war eigentlich darauf vorbereitet, heute morgen eine sehr sachbezogene Diskussion anhören und führen zu können, denn die Voraussetzungen dafür waren durch die Große Anfrage meines Kollegen Gewandt und der Fraktion gegeben. Ich habe mich bis jetzt leider — bis auf zwei Beiträge — von der Koalition sehr enttäuscht gefühlt. Das, was Sie geboten haben, Herr Kollege Koenig, war sicherlich weit unter dem, was der Mittelstand draußen zu diesen Dingen erwartet. Denn der Mittelstand ist in einer Situation, in der es um Sein oder Nichtsein geht.
Herr Kollege Wüster, zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben, kann ich Ihnen nur aus den amtlichen Drucksachen belegen, daß Sie hier erneut eine falsche Darstellung der Dinge gegeben haben, die sich draußen für die mittelständische Wirtschaft abspielen.
Ach Gott, Herr Koenig, wissen Sie, das hat mich heute morgen viel mehr an eine Karnevalssitzung erinnert, was Sie hier gemacht haben.
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Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Wüster: in Tit. 09 02 unter 685 16 werden gegenüber 1971 fünf Millionen DM weniger ausgewiesen. Das ist gerade die Förderung der auf technisch-wirtschaftliche Zwecke gerichteten Forschung, Entwicklung und Erstinnovation. Es handelt sich also nicht um mehr, wie Sie vorhin behauptet haben, sondern um weniger.
Wenn Sie hier darauf anspielen, Herr Kollege Wüster, daß Sie im ERP-Programm nun für die Förderung von EDV-Anlagen 25 Millionen DM mehr ausgeben, dann müssen gleichzeitig sagen, daß der Haushaltstitel vorher von 47 Millionen auf 28 Millionen gekürzt worden ist.
Das ergibt jedoch einige ganz neue Akzente. Es wird sicherlich sehr interessant sein, die Ausführungen meines Kollegen Dr. Frerichs zum ERP-Plan zu hören. Hier kann und sollte man nicht Behauptungen aufstellen — gerade von diesem Platz aus —, die so leicht und so schnell zu widerlegen sind. Das muß das Vertrauen der Mittelständler draußen im Lande erschüttern und die berechtigte Frage aufkommen lassen, wie ernst ein solches Parlament noch zu nehmen ist.
— Das, was ich Ihnen gerade vorgetragen habe, Herr Kollege Koenig.
Herr Wüster, Sie haben hier von der Information gesprochen. Sie muß sicherlich — da sind wir alle einer Meinung — sehr viel mehr verbessert werden. Es wäre geradezu eine Sünde der Regierung, es wäre wider den Geist Ihres Auftrages, wenn sie sich nicht bemühte, ständig Verbesserungen herbeizuführen. — Herr Wüster, hat Herr Pastor Fiebig Ihnen gerade seelischen Beistand gegeben? Wir
9008 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
Lampersbach
beide, Herr Fiebig und ich, kennen uns ja schon längere Zeit.
— Auch das, ja sicher. Ich würde sagen: er ist ein sehr, sehr guter Pastor. Jetzt haben mir einige Pastöre draußen gesagt, er sei ein sehr guter Politiker. Das ist immer so eine zweifelhafte Sache, nicht wahr.
Natürlich kann man es sich leichtmachen, Herr Kollege Wüster, indem man immer seine eigene Meinung als die richtige betrachtet und sich auf sie zurückzieht. Ich glaube, hier geht es aber zunächst einmal darum, sich darüber zu unterhalten, welche Fragen wir, die Opposition, gestellt haben und welche Antwort die Regierung darauf gegeben hat.
Ich habe mich über den Beitrag des Kollegen Kienbaum, der leider nicht mehr im Saale ist, sehr gefreut. Er hat hier heute morgen in aller Nüchternheit, in aller Sachlichkeit das herausgestellt, was wir seit vielen Jahren in diesem Bereich, der ja von Emotionen frei bleiben soll, draußen zu behandeln und zu beantworten versuchen. Ich bin mit Herrn Kollegen Kienbaum der Meinung, daß das Grundproblem sicherlich die Strukturpolitik insgesamt ist. In dieser Strukturpolitik wird sich eben die Antwort auf alle die vielen Fragen, die im Detail gestellt worden sind, ausweisen müssen. Es wird sich da das zeigen müssen, was die Kollegen der SPD-Fraktion heute morgen als ihre fortschrittliche Politik bezeichnet haben.
Es ist interessant, einmal die Debatte vom 3. Juli 1969 nachzulesen. Da haben wir über den gleichen Themenkatalog gesprochen wie heute, nämlich über Mittelstandspolitik. Der damalige Bundeswirtschaftsminister, der heutige Bundeswirtschafts- und -finanzminister — es ist ja der gleiche —, hat damals gesagt, daß die Basis einer guten Mittelstandspolitik eben eine gute Konjunkturpolitik ist. Und, Herr Kollege Wüster, wenn Sie hier sagen, daß es gerade Ihre Hauptaufgabe ist, hausväterlich eine solide Haushaltspolitik zu betreiben, dann muß man sich wirklich die Frage stellen, ob Sie denn so weltfremd sind, daß Sie die Entwicklung der letzten zwei Jahre nicht zur Kenntnis genommen haben. Die mittelständische Wirtschaft hat doch ganz besonders unter der Hochzinspolitik gelitten und schwere Schläge hinnehmen müssen. Das sind unsere Sorgen, die wir auch in einer ganzen Reihe von Fragen zum Ausdruck gebracht haben. Es geht hier doch nicht darum, wie Sie fälschlicherweise darzustellen versucht haben, daß wir in der Vergangenheit eine Gießkannenpolitik für die mittelständische Wirtschaft in all ihren Bereichen betrieben haben oder sie heute durchführen wollen.
Ich glaube, es wäre fair, Herr Kollege Koenig, wenn Sie meine Beiträge in Bremen nachläsen, um festzustellen, daß ich auch gesagt habe, daß wir nicht bereit sind, auch nur einen einzigen aus der Verantwortung seiner unternehmerischen Tätigkeit zu entlassen, sondern jedem sagen: Wer sich unternehmerisch betätigt, trägt unter Umständen das Risiko des Existenzverlustes.
— Ich komme auf Ihr Zitat zurück. — Weil wir das so wollen, müssen wir auf der anderen Seite selbstverständlich verlangen, daß auch die Chancen in einem ausgewogenen Verhältnis zu diesem Risiko stehen. Das ist unsere Mittelstandspolitik, die wir seit über 17 .Jahren betrieben haben. Wir sind auch heute nicht bereit, diesen Grundtenor unserer Mittelstandspolitik zu ändern.
Herr Kollege Koenig, Sie haben heute morgen gesagt, wenn ich von einer Hektik in der Bildungspolitik spreche, so stehe das im Widerspruch zu dem, was der Kollege Gewandt gesagt hat. Auch dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß das nicht zutreffend ist. Ich habe ganz bewußt — und zwar nicht nur in Bremen, sondern schon vor mehr als einem Jahr in Ansbach — darauf hingewiesen, daß der Bildungspolitik in Zukunft gerade für die mittleren und kleineren Unternehmungen eine entscheidende Bedeutung zukomme und daß eine Hektik, wie sie zum Teil in der Bildungspolitik zu verzeichnen ist, nicht zu dem Ausbildungsstand führen könne, den wir nun einmal dringend brauchen. Ich habe hier ganz bewußt gesagt, daß die Hektik, die zur Zeit in vielen Bereichen zu verzeichnen ist — ich erinnere an die Diskussion über die verschiedenen Schulsysteme, an die Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man die Ausbildung in den einzelnen Bildungsbereichen betreiben soll oder will, an die Frage der Gestaltung des berufsbildenden Schulwesens, die auch von Ihnen noch nicht klar dargestellt wird —, zu einer minderen Information und zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung der bildungspolitischen Aufgaben führt. Ich habe gesagt, daß wir in dieser Hinsicht allerdings große Bedenken haben und daß wir größten Wert darauf legen, daß die Bundesregierung und die Länderregierungen, die für diesen Bereich ja weitgehend zuständig sind, endlich zu klaren Absprachen und Aussagen kommen.
Wir bedauern auch, daß die Fragen im Hinblick auf die Finanzierung der Mittel für die Gewerbeförderung bis heute immer noch nicht so beantwortet worden sind, wie wir das eigentlich erwarten könnten. Herr Kollege Professor Dr. Schachtschabel, wir haben diese Debatte vor gut acht Tagen ja schon einmal in anderem Zusammenhang geführt. Wir konnten auch damals diese vielen subtilen Fragen, um die es geht, nicht so klären, daß wir obwohl es eine scheinbare grundsätzliche Übereinstimmung zwischen uns gibt — zu einer umfassenden Darstellung gekommen wären. Herr Kollege Koenig, es handelt sich doch schlichtweg darum, daß die Masse der Ausbildungskosten von der mittelständischen Wirtschaft getragen wird. Der Ansatz für das Gewerbe sollte wenigstens um 10 Millionen DM erhöht werden. Das ist natürlich immer noch zuwenig, wäre aber — wir müssen ja auch die Gesamtsituation des Haushalts berücksichtigen — sicherlich schon ein Fortschritt. Die Mittel sind einfach noch nicht ausreichend, wenn Sie sie zu den Mitteln in Vergleich setzen, die für andere Bildungsbereiche, z. B. die Hochschulbildung, vorgesehen sind. Betrachten Sie etwa den Haushaltstitel der
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Berliner Universität. Pro anno sind 500 Millionen DM angesetzt. Der Nutzeffekt dieser Mittel — ich sage das im Blick auf die gegenwärtige Situation — ist doch sicherlich bei weitem nicht mit dem vergleichbar, was eigentlich für die rund 1,3 Millionen gewerblicher Lehrlinge erbracht werden müßte. Das ist doch das Problem, vor dem wir stehen. Im Handel und Handwerk gibt es nach wie vor fast 900 000 Auszubildende. Eine spezifisch tiefergehende Ausbildung in der Zukunft ist nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern darüber hinaus auch für die gesamte Wirtschaft, wie Kollege Gewandt es heute morgen dargestellt hat, von existenzieller Wichtigkeit und Bedeutung. Deswegen wundere ich mich, daß man hier so lapidar über diese Frage hinweggeht. Herr Kollege Koenig, ich nehme es Ihnen gar nicht übel, wenn Sie das draußen tun. Ich wundere mich aber, daß man auch hier in dieser Debatte den Eindruck erweckt, als wenn es um polemische Steitigkeiten ginge, bei denen der eine den Hut vielleicht etwas höherstecken kann als der andere.
Ich bin gern bereit, eine Frage zu beantworten.