Rede von
Richard
Wurbs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In Ergänzung der Ausführung meines Kollegen Kienbaum möchte ich die Haltung der FDP-Fraktion zu diesem Problem noch in einigen Punkten darlegen. Meine Freunde und ich sind und waren von jeher der Auffassung, daß die Funktionsfähigkeit einer prosperierenden Gesamtwirtschaft einer großen Bandbreite von kleineren und mittleren Betrieben bedarf. Der Bestand und die Sicherung der kleineren und mittleren Betriebe stellt nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit dar, sondern vielmehr auch eine politische. Die Bundesregierung hat dieser Auffassung in ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 Rechnung getragen und ausdrücklich erklärt, künftig in verstärktem Maße eine wachstumsorientierte Strukturpolitik zu betreiben. Es sind seitens der Bundesregierung in dieser Hinsicht Initiativen erfolgt, auf die ich bzw. meine Kollegen im Verlauf der Debatte noch eingehen werden.
Zunächst möchte ich aber zu einiger Kritik der Opposition Stellung nehmen. Die Kritik, die von der Opposition in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit erhoben wurde, daß das von der Bundesregierung vorgelegte Aktionsprogramm ein Programm ohne Aktionen sei, ist nach meiner Auffassung nicht stichhaltig. Von Ihnen werden Maßnahmen kritisiert, die Sie damals als Regierungspartei zum Teil selbst beschlossen haben. Zum anderen gibt die Opposition auch ihre Versäumnisse der Vergangenheit selbst zu. Ich darf hier mit Genehmigung des Präsidenten aus einem Schreiben des CDU-Mittelstandskreises vom 31. März 1971 zitieren:
Im Bereich der Mittelstandspolitik stehen wir in einer ähnlichen Situation wie in der zurückliegenden Legislaturperiode: Die Fraktion hat sich rund eineinhalb Jahre nach Beginn dieser Legislaturperiode noch nicht dazu entschließen können, sich auch nur eine einzige der von uns vorgelegten Gesetzesinitiativen zu eigen zu machen.
Meine Damen und Herren, ich will hier keineswegs bestreiten, daß von allen bisherigen Regierungen für den Mittelstand mehr hätte getan werden müssen.
Es hat also keine Partei das Recht, anderen Versäumnisse vorzuwerfen, wenn sie sich nicht den Vorwurf gefallenlassen will, selbst nicht alles getan zu haben. Ich glaube, man sollte auch nicht einen ideologischen Streit darüber entfachen, wie der Begriff „Mittelstand" auszulegen ist. Wer wäre heute in der Lage, den Begriff „Mittelstand" klar zu definieren; nicht die laufende Verwendung dieser Vokabel ist entscheidend, sondern deren Ausfüllung, um die wir uns alle hier bemühen sollten.
Voraussetzung für eine funktionsfähige Wirtschaft und damit auch für den gewerblichen Mittelstand, den Handel, das Handwerk, die Industrie, das Verkehrsgewerbe — um nur einige zu nennen -- ist ein weitgehendes Maß an Stabilität. Dieses Ziel hat sich die Bundesregierung auch gesteckt; die Verwirklichung allerdings hängt nicht allein von uns ab, was wohl auch von der Opposition nicht mehr bestritten wird.
Es ist nicht zu bestreiten, daß unsere Wirtschaft einem ständigen Strukturwandel unterworfen ist. Dies kommt besonders im Bereich des Handwerks deutlich zum Ausdruck. Die zunehmende Automatisierung, Technisierung, die Mechanisierung, der sich laufend verstärkende Verkehr, die fortschreitende Entwicklung der Datenverarbeitung, um nur einige Faktoren zu nennen, machen deutlich, welchen Wandlungen die Wirtschaft unterworfen ist. Diese Strukturänderungen, die sich sowohl im sektoralen wie im regionalen Bereich vollziehen, werden sich künftig weiterhin verstärken. Aus dieser Erkenntnis heraus sind Maßnahmen erforderlich, um künftighin die Wettbewerbsfähigkeit und die Chancengleichheit kleiner und mittlerer Betriebe zu gewährleisten.
Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs wird durch die fortschreitende wirtschaftliche Konzentration bedroht. Ein funktionsfähiger Leistungswettbewerb gehört zu den Grundelementen der sozialen Marktwirtschaft. Die Einschränkung des Wettbewerbs durch Konzentration bedeutet aber nicht nur eine Einbuße an volkswirtschaftlicher Produktivität. Sie gefährdet vielmehr auch die Erhaltung einer freiheitlichen und sozial befriedigenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Zu einer solchen Ordnung gehören u. a. eine Vielzahl leistungsfähiger frei und selbstverantwortlich entscheidender Unternehmer.
Somit wird eine entscheidende Aufgabe der Wirtschaftspolitik deutlich: Damit das ökonomisch gerechtfertigte Wettbewerbskonzept nicht zerstört wird, muß der Staat versuchen, die Markttranzparenz zu erhöhen, allgemein die Anpassungsfähigkeit der Unternehmer zu verbessern und zuweilen Korrekturen anzubringen, deren Notwendigkeit er oft selbst verursacht hat. An dieser Stelle muß auch gesagt werden — und ich möchte das ausdrücklich betonen —, daß große Unternehmen, die das Leistungsprinzip gelten lassen, die sich im Markt bewähren, ohne ihre marktwirtschaftliche Macht mißbräuchlich einzusetzen, keinesfalls benachteiligt werden sollen.
Ziel unserer Mittelstandspolitik ist es, Wettbewerbsnachteile, die sich als Auswirkung der allge-
9002 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971
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meinen Gesetzgebung, z. B. im Steuerrecht, im Gesellschaftsrecht, Patentrecht, im Wettbewerbsrecht oder im Arbeits- und Sozialrecht ergeben, zu beseitigen. Formalrechtlich gleiche Regelungen können sich in der Anwendung bei kleineren und mittleren Unternehmen auf Grund ihrer Eigenart ungünstiger als bei großen Unternehmen auswirken. Soweit dies der Fall ist, würden Großunternehmen leistungsfremde Vorteile erhalten, die mit den Grundsätzen eines fairen Wettbewerbs nicht zu vereinbaren sind.
Staatliche Aktivität im Rahmen der Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen soll also nicht die mittleren und kleineren Unternehmen vor den Anstrengungen des Wettbewerbs schützen, sondern Wettbewerbsnachteile ausgleichen, die ihre Ursache nicht in ökonomischen, sondern in institutionellen Gegebenheiten haben. Der Mittelstand will keinen besonderen Status innerhalb der Wirtschaft haben, er versteht sich als integrierter Bestandteil der Gesamtwirtschaft.
Was tut nun die sozial-liberale Koalition für die kleinen und mittleren Unternehmen, die doch tagtäglich mit den eben genannten strukturellen Besonderheiten konfrontiert werden?
— Lieber Kollege Stücklen, der lapidare Einwurf „Nichts" ist doch, glaube ich, etwas zu billig.
— Das wollte ich Ihnen ja gerade sagen.
— Der wird ja möglicherweise nach mir noch drankommen. Ich kann ja nicht darüber bestimmen, wann der Minister hier sprechen wird. Aber das war auch bei Ihnen so. Auch Ihre Minister haben gesprochen, wann sie wollten.
Zum einen hat diese Bundesregierung eine Bestandsaufnahme über die Maßnahmen, die sie bereits ergriffen hat, und über die Maßnahmen, die sie noch ergreifen will, um die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zu stärken, durchgeführt. Nur auf dieser Basis kann ein systematisches und klares Konzept erarbeitet werden. Zum andern wurde ein Aktionsprogramm zur Leistungssteigerung dieser Unternehmen beschlossen. Beides, die Bestandsaufnahme und das Aktionsprogramm, wurde von der Bundersegierung Ende Dezember 1970 dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Die Systematisierung der Maßnahmen und die Transparenz der zur Verfügung stehenden Mittel ist ein echter Fortschritt gegenüber früher.
Die Bundesregierung hat darüber hinaus neue Maßnahmen ergriffen, so z. B. erstens die Erleichterung der Aufnahme von Beteiligungskapital durch kleine und mittlere Unternehmen. Erstmals wird seit 1970 die Kapitalbeteiligung an kleinen und mittleren Unternehmen durch eine Verbilligung der Refinanzierungsmöglichkeiten aus ERP-Mitteln und die Gewährung von Rückbürgschaften und Haftungsdarlehen durch die öffentliche Hand gefördert.
Zweitens ist die Förderung der beruflichen Bildung zu nennen. Zu Detailfragen der beruflichen Bildung wird mein Kollege Grüner noch Ausführungen machen. Nennen möchte ich an dieser Stelle nur die Förderung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten, der überbetrieblichen Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter, der Verbesserung der Qualifikation von Ausbildern und Ausbildungsberatern und schließlich der Aus- und Fortbildung der Unternehmer und der Führungskräfte. Meine Damen und Herren, wir werden in Abstimmung mit den Kollegen der beiden anderen Fraktionen, insonderheit den Kollegen Koenig und Schulhoff, den Antrag im Haushaltsausschuß stellen, die Gewerbeförderungsmittel erheblich anzuheben, um künftig auf dem Gebiet der Gewerbeförderung noch mehr tun zu können.
Drittens: Berücksichtigung der Interessen der Selbständigen bei der Steuerreform. Hierbei ist an die Reformierung der Gewerbesteuer, der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer gedacht. Auch hierzu wird meine Kollegin Funcke noch einiges zu sagen haben.
Viertens: Erleichterung der Kooperation im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen. Ich glaube, auf diesem Gebiet müssen wir alle gemeinsam Anstrengungen unternehmen, um auf diesem Weg erstens die Leistungsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft zu verbessern, zum anderen aber auch, um ein echtes Gegengewicht gegen die Konzentration der Großwirtschaft zu bilden.
Fünftens: Ermöglichung einer ausreichenden Altersversorgung für die Selbständigen. Durch die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und freiberuflich Tätige sollen alle Selbständigen das Recht erhalten, der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig beizutreten.
Zur Konjunkturpolitik, zur Finanzierungsmögkeit und zu Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen kurz noch dies. Der Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen dient am wirksamsten eine auf Stabilität gerichtete Wirtschaftspolitik. Daher besteht einerseits die Notwendigkeit, daß die Tarifpartner bei den stattfindenden und kommenden Verhandlungen mehr die wahrscheinliche Entwicklung des nächsten Jahres in ihre Entscheidungen mit einbeziehen als die augenblickliche Situation mit den hohen Preissteigerungen. Andererseits muß der Haushalt der öffentlichen Hand flexibel gestaltet werden. Ein frühzeitiges Umschalten der Fiskalpolitik auf Expansionskurs insbesondere im Bereich des privaten Verbrauchs durch Rückzahlung des Konjunkturzuschlags ist noch nicht angebracht. Jedoch kann nicht auf ein endgültiges Abflauen der hohen Preissteigerungsraten beim Verbrauch gewartet werden, da in einigen Bereichen der Erzeugerstufe die konjunkturelle Beruhigung schon weit fortgeschritten ist und fiskalpolitisehe Maßnahmen erst mit einer Zeitverzögerung von mehreren Monaten am Markt wirksam werden.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Dezember 1971 9003
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Zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten werden kleinen und mittleren Unternehmen von Jahr zu Jahr steigende Mittel aus dem ERP-Sondervermögen zur Verfügung gestellt. So waren es 1969 185 Millionen DM, 1970 342 Millionen DM, und 1971 sind es 360 Millionen DM. Für das Jahr 1972 sind 384 Millionen DM vorgesehen. Die Schwerpunkte bei den Steigerungsraten der Mittel des ERP-Haushalts liegen mit 100 % bei den Kredit- und Garantiegemeinschaften, mit 25 % bei der Förderung der elektronischen Datenverarbeitung, — um nur einige Zahlen zu nennen. Ich darf in diesem Zusammenhang auch an den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen erinnern, den vorhin mein Kollege Koenig bereits begründet hat.
Weiterhin werden die Finanzierungsmöglichkeiten der kleinen und mittleren Unternehmen aus Mitteln des Bundeshaushalts verbessert. Hierfür wurden 1969 58,6 Millionen DM 1970 rund 62 Millionen DM bereitgestellt. In diesem Jahr sind es bereits 91 Millionen DM. Dieser Ansatz soll auch für das Jahr 1972 Gültigkeit haben. Diese Mittel werden gezielt für die Förderung von Rationalisierung, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie für die Förderung von Information, Beratung und Kooperation eingesetzt.
Die Mittel zur Förderung des Handwerks z. B. wurden von 1970 auf 1971 um 43 % gesteigert, woran die Einführung der Förderung der Kooperationsvorhaben einen maßgeblichen Anteil hatte. Auch sollte erwähnt werden, daß diese Mittel für die Gewerbeförderungsvorhaben trotz der Stabilisierungsmaßnahmen der Bundesregierung frei geblieben sind und nicht einer Sperrung unterlagen. Eine Erhöhung dieser Mittel scheint mir für die Zukunft unerläßlich zu sein.
Auch bei der Eigenkapitalversorgung der mittelständischen Wirtschaft müssen wir uns neue Wege einfallen lassen. Die Eigenfinanzierung ist der Engpaß bei den kleineren und mittleren Unternehmen. Herr Kollege Gewandt, es ist ja nicht so, daß die Eigenkapitalsituation im mittelständischen Bereich erst in den letzten zwei Jahren schlecht geworden ist,
sondern wir haben unter dieser Mangelsituation schon die ganzen Jahre zu leiden gehabt. Diesen Mangel der jetzigen Regierung anzuhängen ist also nicht gerechtfertigt.
Vielfach konnten bei diesen Unternehmen Rationalisierungsinvestitionen nicht durchgeführt werden, weil die Eigenkapitalbasis zu gering war und Fremdkapital wegen fehlender Sicherheit nicht beschafft werden konnte. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, auch den Unternehmen, die sich nicht des Kapitalmarkts bedienen können, Möglichkeiten zu eröffnen, zu einer besseren Kapitalausstattung zu kommen.
Hierzu sind Kapitalbeteiligungsgesellschaften notwendig
— selbstverständlich! —, die zu fördern unsere Aufgabe ist. Die Maßnahmen der Kapitalbeteiligungsgesellschaften — ich deutete es vorhin schon an —müssen selbstverständlich zu Konditionen genutzt werden können, die für den mittelständischen Bereich tragbar sind. Es ist heute zum Teil so, daß die Konditionen der Kapitalbeteiligungsgesellschaften bei 10 und 11 % liegen. Diese Konditionen sind für den mittelständischen Bereich nicht tragbar und nicht dazu geeignet, die Kapitalverbesserung zu ermöglichen. — Bitte sehr.