Protokoll:
6060

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 60

  • date_rangeDatum: 18. Juni 1970

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:36 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 60. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 3279 A Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen VI/70, VI/ 115, VI/304, zu VI/304) ; Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 GO (Drucksache VI/892), Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache VI/873) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) . . 3279 B Dr. Kotowski (CDU/CSU) . . . . 3280 D Dr. Wichert (SPD) . . . . . . . 3221 B Dr. Schulz (Berlin) (SPD) (Erklärung zur Abstimmung) . . 3282 A Memmel (CDU/CSU) (Erklärung zur Abstimmung) . . 3282 D Dr. Kempfler (CDU/CSU) (Erklärung zur Abstimmung) . . 3283 B Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) (Erklärung zur Abstimmung) . . 3283 C Frau Geisendörfer (CDU/CSU) (Erklärung zur Abstimmung) . . 3283 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes (Abg. Dr. Stoltenberg, Dr. Martin und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache VI/ 114) ; Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 GO (Drucksache VI/893), Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (Drucksache VI/772) — Zweite und dritte Beratung — . . . . 3284 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970) (Drucksachen VI/300, zu VI/300, VI/580, zu VI/580, VI/820 bis VI/846, VI/854) ; Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung (Drucksache VI/918) — Dritte Beratung — Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 3284 C, 3304 A, 3332 B Hermsdorf (Cuxhaven ) (SPD) . . . 3289 D, 3332 A, 3334 B Kirst (FDP) . . . . . 3295 B, 3322 C, 3332 C, 3333 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister . . . 3299 D, 3302 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . . 3302 A Dr. Wörner (CDU/CSU) 3304 B Brandt, Bundeskanzler 3308 A Dr. Barzel (CDU/CSU) 3311 A Wehner (SPD) 3312 D Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 3315 A Scheel, Bundesminister 3317 D Leicht (CDU/CSU) . . . 3322 B, 3333 D, 3335 B Schulhoff (CDU/CSU) . . 3322 D, 3324 C Kulawig (SPD) . . . 3323 B, 3325 D 3323 , Dichgans (CDU/CSU) 3324 A Röhner (CDU/CSU) . . . 3325 B, 3331 C Dr. von Nordenskjöld (CDU/CSU) . 3326 B Dr. von Bülow (SPD) 3327 C Ertl, Bundesminister . . 3327 D, 3330 A Dr. Ritz (CDU/CSU) 3328 D Niegel (CDU/CSU) 3329 B Kiep (CDU/CSU) 3330 B Brück (SPD) 3331 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) 3331 B, 3332 C Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen VI/691, VI/757) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (Drucksachen V1/880, zu VI/880) - Erste Beratung - und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. April 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache V/879) - Erste Beratung - Dr. Hallstein (CDU/CSU) . . . . 3336 C Dr. Schulz (Berlin) (SPD) 3342 B Dr. Furler (CDU/CSU) 3346 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 3350 A Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . 3352 A Dr. von Bülow (SPD) . . . . . 3353 B Ertl, Bundesminister . . . . . 3354 B Scheel, Bundesminister . .. . . 3357 D Frau Klee (CDU/ CSU) . . . . . 3361 D Lange (SPD) 3363 B Dr. Rutschke (FDP) . . . . . . 3363 D Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 3364 C Blumenfeld (CDU/CSU) . . . . . 3366 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 3368 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3369 A Anlage 2 Änderungsantrag Umdruck 58 zur zweiten Beratung des Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen VI/70, VI/115, VI/304, VI/873) 3369 A Anlage 3 Änderungsantrag Umdruck 57 zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 (Drucksachen VI/300, VI/580, VI/823) 3369 B Anlage 4 Entschließungsantrag Umdruck 37 zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 (Drucksachen VI/300, VI/580, VI/827, VI/854) . . . . . . . 3369 B Anlagen 5 bis 7 Änderungsanträge Umdrucke 54 (neu), 60 und 59 zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 (Drucksachen VI/300, VI/554, VI/580, VI/828, VI/829, VI/854, VI/918) 3369 D Anlagen 8 bis 10 Entschließungsanträge Umdrucke 70, 71 und 64 zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 (Drucksachen VI/300, VI/580, VI/829, VI/837, VI/842, VI/854, VI/918) . . . . . . . . . 3371 A Anlagen 11 bis 13 Änderungsanträge Umdrucke 61, 62 und 63 zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 (Drucksachen VI/300, zu VI/300, VI/580, zu VI/580, VI/845, VI/846, VI/854, VI/918) 3371 D Anlagen 14 bis 19 Entschließungsanträge Umdrucke 38, 65, 66, 67, 68, 69 zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 (Drucksachen VI/300, VI/580, VI/845, VI/846, VI/854, VI/918) 3372 B Anlage 20 Antrag Umdruck 56 zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik (Drucksachen V1/691, V/757) . . . . . . . . 3373 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 3279 60. Sitzung Bonn, den 18. Juni 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Siehe Anlage 20 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 3369 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Bartsch 19. 6. Breidbach 19. 6. Heyen 19. 6. Dr. Lohmar 30. 6. Dr. Starke (Franken) 19. 6. Anlage 2 Umdruck 58 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes -- Drucksachen VI/70, VI/ 115, VI/304, VI/873 —. Der Bundestag wolle beschließen: Artikel I Nr. 1 erhält folgende Fassung: ,1. Artikel 38 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „ (2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt."' Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 57 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen VI/300, VI/580, VI/823 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Einzelplan 04 wird 'abgelehnt. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 4 Umdruck 37 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksachen VI/300, VI/580, VI/827, VI/854 —. Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundesrechnungshof wird ersucht, nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung dem Deutschen Bundestag über folgende Fragen zu berichten. 1. Ist bei den Zahlungen und Buchungen, die im Jahr 1970 noch zu Lasten des Bundeshaushalts 1969 erfolgt sind, ordnungsgemäß nach den bestehenden Vorschriften, insbesondere nach § 72 der Bundeshaushaltsordnung, verfahren worden? 2. Sind in den Monaten November 1969 bis Februar 1970 Zahlungen von Bedeutung zu Lasten des Bundeshaushalts 1969 vor Fälligkeit oder unter Verletzung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit oder unter Verletzung der am 22. Juli 1969 von der Bundesregierung beschlossenen Konjunktursperre geleistet worden? Der Bundesrechnungshof wird gebeten, über die Frage 1 vorweg zu berichten und wichtige Teilergebnisse, die sich bei der Untersuchung der Frage 2 ergeben, in Zwischenberichten dem Bundestag mitzuteilen. Bonn, den 3. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 5 Umdruck 54 (neu) Änderungsantrag der Abgeordneten Schulhoff, Gewandt, Stücklen, Dr. Götz, Frau Griesinger, Berding, Riedel (Frankfurt) und Genossen zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 — Drucksachen VI/300 Anlage, VI/580, VI/828, VI/554 hier: Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Der Bundestag wolle beschließen: In Kap. 09 02 — Allgemeine Bewilligungen — (Finanzhaushalt) wird 1. in Tit. 685 10 — Maßnahmen zur Förderung des Handwerks — der Ansatz von 13 250 000 DM um 5 000 000 DM auf 18 250 000 DM erhöht, 2. in Tit. 685 12 — Maßnahmen zur Förderung des Handels und des Hotel- und Gaststättengewerbes — der Ansatz von 4 750 000 DM um 1 000 000 DM auf 5 700 000 DM erhöht, 3. in Tit. 683 26 — Zuschüsse zur Erleichterung der Förderung von Kokskohle und Erzeugung von Hochofenkoks sowie zur Erleichterung des Absatzes an die Eisen- und Stahlindustrie in revierfernen Gebieten und im innergemeinschaftlichen Austausch — der Ansatz um 6 000 000 DM gekürzt. Begründung: Für das Haushaltsjahr 1970 sind nach Streichung von 1 Million DM zur Förderung des Handwerks im Titel 68510 im Haushalt des Bundesministers für 3370 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 Wirtschaft lediglich 13,25 Millionen DM vorgesehen. Für die Förderung des Handels sind im Tit 685 12 des Haushalts des Bundesministers für Wirtschaft nur 4,750 Millionen DM vorgesehen. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie die Gewerbeförderung als Instrument der Strukturpolitik betrachtet, und sich nachdrücklich dafür eingesetzt, daß im Rahmen der haushaltsmäßigen Möglichkeiten ausreichende Mittel hierfür bereitgestellt werden. Die Bundesmittel für die Gewerbeförderung sind keine Subventionen an Einzelbetriebe, sondern eine Unterstützung der Selbsthilfemaßnahmen und Einrichtungen von Handwerk, Handel und Gewerbe. Daß höhere Mittel erforderlich sind, hat seinen Grund insbesondere in den verstärkten Bemühungen des Handwerks und Handels um einen Ausbau der berufsbegleitenden Bildung. Hinzu kommt, daß das Berufsbildungsgesetz den Wirtschaftsorganisationen eine Reihe von neuen Institutionen zuweist, die erhebliche Kosten verursachen, wie unter anderem die Bildung von Berufsbildungsausschüssen und die Einstellung von Ausbildungsberatern bei den Kammern und die Einrichtung weiterer zahlreicher Übungswerkstätten. Allein die Einstellung von Ausbildungsberatern verursacht zusätzliche Kosten in Höhe von mindestens 5 Mill. DM. Eine Anhebung des Haushaltstitels 685 10 für 1970 um 5 Mill. DM und eine Anhebung des Haushaltstitels 68512 um 1 Million DM würde wenigstens dazu beitragen, den dringendsten Bedarf an Finanzierungshilfen in diesem Jahr sicherzustellen. Bonn, den 17. Juni 1970 Schulhoff Gewandt Stücklen Dr. Götz Frau Griesinger Berding Riedel (Frankfurt) Adorno Alber von Alten-Nordheim Dr. Arnold Dr. Artzinger Dr. Bach Dr. Becker (Mönchengladbach) Becker (Pirmasens) Dr. von Bismarck Bittelmann von Bockelberg Dr. Böhme Breidbach Bremm Dr. Burgbacher Dichgans Dr. Dollinger Draeger Engelsberger Dr. Freiwald Dr. Frerichs Glüsing (Dithmarschen) Dr. Gölter Haase (Kassel) Härzschel Dr. Hammans Dr. Hauser (Sasbach) Höcherl Horten Hussing Dr. Jahn (Braunschweig) Dr. Jobst Josten Kiechle Krammig Dr. Kreile Lampersbach Lemmer Lensing Lenze (Attendorn) Dr. Luda Majonica Maucher Meister Dr. Mikat Müller (Aachen-Land) Müller (Berlin) Dr. von Nordenskjöld Orgaß Ott Pieroth Frau Pieser Dr. Pinger Dr. Preiß Richarts Dr. Riedl (München) Rinsche Rock Schlee Schmitt (Lockweiler) Schröder (Sellstedt) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulze-Vorberg Dr. Schwörer Springorum Frau Stommel Storm Strauß Tobaben Unertl Dr. Unland Vehar Volmer Dr. Wagner (Trier) Frau Dr. Walz Dr. Freiherr von Weizsäcker Zink Anlage 6 Umdruck 60 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft Drucksachen VI/300, V/580, V/828, V/854, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Zu Kap. 09 02 — Allgemeine Bewilligungen (Finanzhaushalt) 1. Der Ansatz bei Tit. 683 26 — Zuschüsse zur Erleichterung der Förderung von Kokskohle und Erzeugung von Hochofenkoks sowie zur Erleichterung des Absatzes an die Eisen- und Stahlindustrie in revierfernen Gebieten und im innergemeinschaftlichen Austausch wird um 30 000 000 DM auf 115 000 000 DM gekürzt. 2. Der Ansatz bei Tit. 683 13 — Frachthilfe für die Beförderung von Steinkohle — wird um 30 000 000 DM auf 35 000 000 erhöht. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 7 Umdruck 59 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksachen VI/300, V/580, V/829, V/854 . Der Bundestag wolle beschließen: Zu Kap. 10 02 — Allgemeine Bewilligungen (Finanzhaushalt) 1. Der Ansatz bei Tit. 685 01 — Zuschüsse an Einrichtungen außerhalb der Bundesverwaltung, die nicht der Forschung dienen — wird um 80 000 DM auf 820 000 DM erhöht. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 3371 In den Erläuterungen wird als Ziffer 8 eingefügt: 8. Deutsche Welthungerhilfe, Komitee der .,Weltkampagne gegen den Hunger" der Ernäh rungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen, Bonn.' 2. Der Ansatz bei Tit. 686 01 — Beträge an internationale Organisationen mit Sitz im Ausland — wird um 80 000 DM auf 11 163 300 DM gekürzt. In den Erläuterungen wird in Ziffer 18 der Betrag für 1970 um 80 000 DM auf 10 753 600 DM herabgesetzt. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 8 Umdruck 70 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksachen VI/300, VI/580, VI/829, VI/854 — . Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag wird die Ansätze des Einzelplanes 10 Kap. 10 02 ausgehend von den Haushaltsansätzen des Jahres 1970, wie sie in der zweiten Beratung beschlossen worden sind, für 1971 entsprechend erhöhen. Der Bundestag wird für die Jahre 1972, 1973 und 1974 die Ansätze im Einzelplan 10 Kap. 10 02 entsprechend der allgemeinen Ausgestaltung des Bundeshaushalts und der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse auf der Grundlage der neuen Ansätze für 1971 anpassen. Für die Verbesserung der Agrarstruktur und der Modernisierung der betrieblichen Ausstattung sowie für den Küstenschutz sind die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß das Volumen der agrarstrukturellen Maßnahmen wegen der starken Kostensteigerungen auf dem Bausektor zurückgegangen ist. Auf dem Gebiet der Investitionsförderung sind Investitionsbeihilfen und Zinsverbilligungen einzusetzen. Die landwirtschaftliche Sozialpolitik muß entsprechend den vorliegenden Gesetzentwürfen sowohl hei der Altershilfe und der Landabgaberente sowie für die Krankenversicherung für altershilfeberechtigte Bauern finanziell ausgestattet werden. Überdies ist ein weiterer Zuschuß zur Unfallversicherung und für die Nachversicherung für Landwirte in der Rentenversicherung vorzusehen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 9 Umdruck 71 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen VI/300, VI/580, VI/837, VI/854 — . Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Zuständigkeit für die Durchführung der Kapitalhilfe dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu übertragen. Bonn, den 17. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 10 Umdruck 64 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU' CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 32 — Bundesschuld Drucksachen VI/300, \3/580, VI/842, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, mit dem zusammen mit dem Haushaltsentwurf 1971 vorzulegenden Finanzplan für die Jahre 1970 bis 1974 eine etwaige abweichende Stellungnahme der Deutschen Bundesbank zur Verschuldensplanung vorzulegen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 11 Umdruck 61 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen VI/300, zu VI/300, VI/580, zuVI/580, VI/845, VI/854, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Zu Kapitel 60 02 — Allgemeine Bewilligungen (Finanzhaushalt) 1. Der Ansatz bei Titel 919 02 — Zuführung an ein Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank —wird um 1 500 000 000 DM auf 1 600 000 000 DM erhöht. 2. Es wird ein neuer Ansatz bei Titel 972 01 mit der Zweckbestimmung: „Globale Minderausgabe" mit einem Ansatz von — 1 500 000 000 DM geschaffen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion 3372 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 Anlage 12 Umdruck 62 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen VI/300, zu VI/300, VI/580, zu VI/580, VI/845, VI/854, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Zu Kapitel 60 02 — Allgemeine Bewilligungen (Verwaltungshau shalt) Der Ansatz bei Titel 46101 — Verstärkung der Personalausgaben — wird für 1970 um 300 000 000 DM auf 1 140 000 000 DM gekürzt. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 13 Umdruck 63 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Haushaltsgesetz 1970 — Drucksachen VI/300, VI/846, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: In § 6 Abs. 2 wird folgender neuer Satz 2 eingefügt: „Eine Verstärkung der bei den Titelnummern 53101 bis 53110 veranschlagten Ausgaben nach dieser Vorschrift ist nicht zulässig" Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 14 Umdruck 38 Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen VI/300 Anlage, VI/580, VI/845, VI/854 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, den Haushaltsvollzug wie bisher konjunkturgerecht zu gestalten und alle entstehenden Haushaltsverbesserungen dem Kap. 60 02 Tit. 919 02 zuzuführen. Bonn, den 3. Juni 1970 Wehner und Fraktion Mischnick und Fraktion Anlage 15 Umdruck 65 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksachen VI/300 Anlage, VI/580, VI/845, VI/854, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, alle entstehenden Haushaltsverbessierungen dem Kap. 60 02 Tit. 919 02 zuzuführen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 16 Umdruck 66 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Haushaltsgesetz 1970 — Drucksachen VI/300, VI/846, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, in dem mit dem Haushaltsentwurf 1971 vorzulegenden Finanzplan für die Jahre 1970 bis 1974 1. nach § 50 Abs. 4 des Haushaltsgrundsätzegesetzes die von ihr vorgesehenen Investitionsschwerpunkte zu erläutern und zu begründen, 2. die Planungsgrundlagen wenigstens für die großen Ausgabenblöcke eingehend darzulegen, 3. die angenommene Entwicklung der verschiedenen bedeutenden Steuern in der Planungsperiode darzustellen. Die Bundesregierung wird ferner aufgefordert, die neue gesamtwirtschaftliche Projektion mit ausführlicheren Erläuterungen, namentlich der Verwendungsseite des Bruttosozialprodukts, zu versehen und im Finanzplan die Wechselwirkungen zwischen gesamtwirtschaftlicher Projektion und Entwicklung der Staatsausgaben deutlicher zu machen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 17 Umdruck 67 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Haushaltsgesetz 1970 — Druckachen VI/300, VI/846, VI/918 —. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Juni 1970 3373 Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Interesse der Haushaltsklarheit vom Haushaltsjahr 1971 ab die bisher durch Stellen außerhalb der Bundesverwaltung finanzierten Bundesausgaben mit den entsprechenden Einnahmen in den Haushaltsentwurf aufzunehmen und die Ermächtigungen zur mittelbaren Verschuldung (vor allem § 5 Haushaltsgesetzentwurf 1970) entfallen zu lassen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 18 Umdruck 68 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Haushaltsgesetz 1970 —Drucksachen VI/300, VI/846, VI/918 — . Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Hinblick auf die bestehende, die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigende Nachfrageausweitung nach § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft — den Bundesminister der Finanzen zu ermächtigen, zur Erreichung der Ziele des § 1 dieses Gesetzes die Verfügung über bestimmte Aus- gabemittel und namentlich den Beginn von Baumaßnahmen und das Eingehen von Verpflichtungen zu Lasten künftiger Rechnungsjahre von dessen Einwilligung abhängig zu machen, — die dadurch nach Ablauf des Rechnungsjahres freiwerdenden Mittel der Konjunkturausgleichsrücklage zusätzlich zuzuführen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 19 Umdruck 69 Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 hier: Haushaltsgesetz 1970 Drucksachen VI/300, VI/846, VI/918 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem durch die Haushaltsreform geschaffenen Institut des zweijährigen Verwaltungshaushalts die Möglichkeit einer Erprobung zu geben und keinen neuen Verwaltungshaushalt 1971 vorzulegen. Bonn, den 16. Juni 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Anlage 20 Umdruck 56 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Grollen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik — Drucksachen VI/691, VI/757 —. Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag hat die Gespräche der Bundesregierung mit den Regierungen in Moskau, Warschau und Ost-Berlin unterstützt unter der Voraussetzung, daß sie nach Vorbereitung und Durchführung eine positive Entwicklung der Beziehungen, eine Minderung bestehender Spannungen und Verbesserungen für die Menschen erwarten lassen. In solchen Gesprächen wäre die Fortsetzung der durch die früheren Bundesregierungen unter den Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger verfolgten Politik zu sehen. Der Verlauf der Kasseler Begegnung erfüllt diese Voraussetzung nicht. Der Deutsche Bundestag lehnt eine volkerrechtliche Anerkennung der „DDR" und eine Politik, die praktisch zur Anerkennung führt, ab, weil sie unserer Forderung nach Selbstbestimmungsrecht, nach menschlichen und politischen Grundrechten für die dort lebenden Deutschen entgegenstehen würde. Grundlage unserer Politik kann nur die Sicherung unserer Freiheit durch die feste Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im Nordatlantischen Bündnis und in den Europäischen Gemeinschaften sein. Ziel unserer Politik bleibt die Weiterentwicklung zum europäischen Bundesstaat. Der Deutsche Bundestag unterstützt das Bemühen um den Abschluß von Gewaltverzichtsvereinbarungen mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin. Gewaltverzicht und Aufrechterhaltung der sowjetischen Gewaltvorbehalte schließen sich jedoch aus. Die Festlegung von Grenzen bleibt einem frei vereinbarten Friedensvertrag mit Deutschland vorbehalten. Der Deutsche Bundestag wird sich daher jeder Vorwegnahme von materiellen Grenzregelungen widersetzen. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Verhandlungen zwischen den drei Westmächten und der Sowjetunion mit dem Ziele, die Lage des freien Berlin und seiner Bewohner unter Wahrung des VierMächte-Status für ganz Berlin und der gewachsenen Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik zu festigen. In diesen Verhandlungen sieht der Deutsche Bundestag einen entscheidenden Prüfstein für die Bereitschaft der Sowjetunion, auch ihrerseits einen Beitrag zur Entspannung zu leisten. Fortschritte in der Berlin-Frage sind Voraussetzung für vertragliche Regelungen mit der Sowjetunion. Bonn, den 27. Mai 1970 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
Gesamtes Protokol
Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst einige Bekanntmachungen. Die für heute 15 Uhr vorgesehene Fragestunde fällt aus. Der Ältestenrat hat gestern vereinbart, daß diese Fragestunde am Freitag um 8.00 Uhr stattfindet, eine zweite Fragestunde am Schluß der Plenarsitzung des Freitags.
Gestern habe ich schon bekanntgegeben, daß die Debatte über Punkt 16 der Tagesordnung heute etwa von 14 bis zirka 18.30 Uhr, also nach der Haushaltsberatung, fortgesetzt wird. Der Präsident hat seinen Empfang, der für 17 Uhr angesetzt war, auf 18.30 Uhr verlegt.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksachen VI/70, VI/115, VI/304, zu VI/304 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/892 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jenninger
b) Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (5. Ausschuß)

— Drucksache VI/873 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stark (Nürtingen) Abgeordneter Metzger
Abgeordneter Dr. Schmude
Abgeordneter von Thadden

(Erste Beratung 19., 33. Sitzung)

Nach einer Vereinbarung soll mit diesem Punkt begonnen werden. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Herr Dr. Stark, bitte!

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0606000100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zunächst bitte ich um Ihr Verständnis und Ihre Nachsicht, wenn ich Ihnen als Berichterstatter des Rechtsausschusses eine mündliche Ergänzung zu dem Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht bezüglich der Herabsetzung des Wahlalters gebe. Ich glaube, daß die Bedeutung des Themas und die nicht zu leugnende Tatsache, daß in manchen Teilen unserer Bevölkerung noch gewisse Vorbehalte gegen die Herabsetzung des aktiven und passiven Wahlalters bestehen, es erforderlich machen, daß wir hier im Deutschen Bundestag ganz offen unsere Gründe darlegen, warum wir für die Herabsetzung des aktiven und passiven Wahlalters sind.
Meine Damen und Herren, vorweg darf ich als Berichterstatter des Rechtsausschusses bemerken, daß der Rechtsausschuß und die mitberatenden Ausschüsse, der Innenausschuß und der Ausschuß für Familie, Jugend und Gesundheit, sich sehr intensiv mit dem Thema befaßt haben. Durch zwei informative Anhörungen wurde eine breite Basis für unsere Entscheidungen in dieser Frage geschaffen. Ich darf auch hervorheben, daß die Beratungen gründlich und in einer sehr sachlichen Atmosphäre vor sich gegangen sind.
Meine Damen und Herren, im wesentlichen sind es folgende Gründe, die nach unserer Auffassung für die Herabsetzung des Wahlalters sprechen:
1. Die 18- bis 21jährigen stehen heute weithin verantwortlich im Arbeits- und Berufsleben.
2. Im Normalfall wird der 18jährige junge Mann heute zum Wehrdienst einberufen und leistet damit einen für ihn persönlich einschneidenden staatsbürgerlichen Beitrag zum Schutz der Bundesrepublik.
3. Das politische Interesse und auch der Grad der Informiertheit sind bei den 18- bis 21jährigen in der Regel gegeben. Der Grad der Informiertheit ist nach Aussagen von Soziologen, Sachverständigen und Vertretern von Jugendverbänden in vielen Fällen sogar höher als z. B. der der 21- bis 25jährigen.
4. Mit dem Recht, bereits mit 18 wählen zu können, soll die junge Generation so frühzeitig wie möglich an die politische Mitentscheidung und Mitbestimmung herangeführt werden. Der federführende Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse erwarten davon auch eine Signalwirkung für ein frühzeitiges politisches Interesse, für einen Ausbau der politischen Bildung und für ein frühzeitiges politisches Engagement. Wenn in manchen Veröffentlichungen



Dr. Stark (Nürtingen)

behauptet wird, meine Damen und Herren, wir würden — sozusagen als das verunsicherte Establishment — hier der jungen Generation etwas geben, um sie zu beruhigen, so entspricht das in keinei Weise unseren Motiven und unserer Entscheidung. Wir haben uns in einer sehr rationalen Entscheidung nach Prüfung aller Gründe für und wider die Herabsetzung des aktiven Wahlalters für die Herabsetzung entschieden.
Bezüglich des passiven Wahlalters waren in den beiden Gesetzentwürfen, dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, unterschiedliche Grenzen vorgesehen. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion sah ursprünglich das 23. Lebensjahr als Grenze für die Erlangung des passiven Wahlrechts vor, der Entwurf der Bundesregierung das 21. Lebensjahr. Auch hier wurde nahezu einstimmig beschlossen, die Grenze für das passive Wahlrecht in Zukunft auf den Eintritt der Volljährigkeit herabzusetzen.
Die Motive dafür waren folgende. Es ist gerechtfertigt, daß der junge Staatsbürger mit Eintritt der Volljährigkeit auch passiv wahlberechtigt ist. Wer volljährig ist, dem sollte man auch — da er ja durch eine Delegiertenversammlung aufgestellt und vom Wähler gewählt werden muß — die Reife zusprechen und zutrauen, daß er auch bei relativ jungem Alter in der Lage ist, hier die Aufgaben eines Abgeordneten zu erfüllen. Wir glauben im übrigen, daß es diesem Parlament gut bekäme, wenn eine ausgleichende Verschiebung der Gewichtung der Altersgruppen nach unten einträte. Auch aus diesem Grunde sagen wir zur Herabsetzung des passiven Wahlalters auf den Eintritt der Volljährigkeit, also im Augenblick auf 21 Jahre, ja.
Diese Herabsetzung auf den Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit hat die Folge, daß in Zukunft bei einer eventuellen Herabsetzung des Volljährigkeitsalters automatisch auch die Grenze für die Ausübung des passiven Wahlrechts heruntergesetzt würde. Die Frage, ob im Zusammenhang mit der Herabsetzung des Wahlalters auch die Grenze für den Eintritt der Volljährigkeit herabgesetzt werden sollte, hat der Rechtsausschuß zwar andiskutiert, sie ist aber so umfassend, kompliziert und vielschichtig, daß es nicht richtig gewesen wäre, auch diese Frage hier mitzuregeln. Das Problem der Altersgrenze für den Eintritt der Volljährigkeit sollte auch unter Berücksichtigung der Regelungen im europäischen Rechtsraum betrachtet werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sind die Gründe, die uns bewogen haben, am Schluß einstimmig vorzuschlagen, durch eine Änderung des Grundgesetzes das aktive Wahlalter auf 18 .Jahre und das passive Wahlalter auf den Zeitpunkt, zu dem die Volljährigkeit eintritt, herunterzusetzen. Ich darf Sie namens und im Auftrag des Rechtsausschusses und der mitberatenden Ausschüsse bitten, dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen.
Herr Präsident, darf ich gleich noch einen Änderungsantrag begründen?

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606000200
Das Haus hat wohl nichts dagegen, daß der Berichterstatter auch den gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktionen hegründet.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0606000300
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf noch darauf hinweisen, daß Ihnen zu der Ausschußvorlage ein interfraktioneller Änderungsantrag vorliegt. Die Ausschußfassung ist nicht ganz zweifelsfrei. In der Ausschußfassung heißt es: „Passiv wahlberechtigt ist, wer volljährig ist." Nach dieser Fassung würde die Möglichkeit bestehen, daß, wer vorzeitig für volljährig erklärt wird -- unter Umständen mit 19 Jahren —, auch passiv wahlberechtigt ist. Ich glaube, das wollen wir nicht. Wir haben deshalb interfraktionell den Änderungsantrag gestellt, die Bestimmung wie folgt zu fassen ich sage es auswendig und hoffe, daß ich den Text richtig zitiere —: „Wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt." Ich bitte Sie, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606000400
Ich lese den Änderungsantrag vor. Die Fassung lautet:

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldung.
Ich rufe Art. I auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 58') vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer dem Antrag Umdruck 58 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen, im übrigen einstimmig angenommen.
Wir stimmen nun über Art. I in der neuen Fassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! – Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe Art. II sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Gegenstimme, im übrigen einstimmige Annahme.
Ich schließ die zweite und eröffne die
dritte Beratung.
In der allgemeinen Aussprache hat das Wort Herr Professor Kotowski.

Dr. Georg Kotowski (CDU):
Rede ID: ID0606000500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Verbindung mit dem soeben behandelten Gegenstand steht auch eine Grundgesetzänderung, deren Entwurf wir dem Hause im Dezember 1969 vorgelegt haben. Wir freuen uns, daß es gelungen ist, die Zustimmung der beiden Regierungsfraktionen zu unserer ursprünglich mit großer Skepsis betrachteten Vorlage zu gewinnen. Wir sind froh darüber, daß es nun möglich ist, der Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Län-
*) Siehe Anlage 2



Dr. Kotowski
dern den gesamten Hochschulbereich zu eröffnen. Lassen Sie mich bei der gedrängten Tagesordnung nur noch ganz wenige Worte dazu sagen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606000600
die Bundesregierung und der Bundestag dürfen ihre kulturpolitischen Kompetenzen nicht über das hinaus ausdehnen, was das Grundgesetz wirklich aussagt. Wir werden die unerläßliche Zusammenarbeit mit den Ländern niemals bekommen können, wenn dort der Verdacht besteht, daß wir sie auf kaltem Wege gleichsam mediatisieren wollen.
Das zweite Problem: Kompetenzausweitungen allein genügen nicht. Wenn der Bund nicht klar und deutlich sagen kann, welche finanziellen Lasten er den Ländern auf die Dauer abnehmen will, werden wir mit einer Kompetenzausweitung in keinem Fall eine vernünftige Lösung erreichen. Der Bund muß eine wissenschaftliche Entwicklungskonzeption vorlegen. Er muß den Ländern klar und deutlich sagen, was er an dauernden Lasten für sie übernehmen will. Erst dann können wir mit Aussicht auf Erfolg die notwendigen Entscheidungen treffen.
Eine letzte ganz kurze Bemerkung. Die Bildungskonzeption, Herr Bundesminister, ist es, die wir von Ihnen erwarten und die, so hoffe ich, in dem uns nun freilich sehr verspätet zugegangenen Bildungsbericht der Bundesregierung zugänglich wird. Auch hierzu lassen Sie mich ein Wort sagen. Sie haben vor ein paar Monaten — offenbar nach einem Blitzbesuch in Berlin — ausgerechnet das Berliner Hochschulgesetz als Modell für Westdeutschland hingestellt. Ich hoffe, daß das nichts als eine konventionelle Höflichkeit gewesen ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Denn wenn das in der Tat Ihre Auffassung sein sollte, Herr Bundesminister, dann befürchte ich, daß sich die in Berlin begonnene verhängnisvolle Lähmung des deutschen Bildungswesens in ganz Deutschland fortsetzen wird, und dazu würden wir unsere Hand nicht bieten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606000700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wichert.

Dr. Günter Wichert (SPD):
Rede ID: ID0606000800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann nicht darum gehen, bei diesem Gesetz eine kontroverse Debatte zu entfachen. Trotzdem möchte ich zur Klarstellung einige Bemerkungen zur Rede des Kollegen Kotowski machen.
Erstens. Das Bundeswissenschaftsministerium hat sich nicht gegen die Ausweitung der Hochschulbaufinanzierung auf den gesamten Hochschulbereich gewandt, weil die Ausdehnung auf den gesamten Hochschulbereich ausdrücklich in den Intentionen der Thesen zum Hochschulrahmengesetz liegt.
Punkt 2. Es geht weder der Bundesregierung noch dem Bundestag darum, die eigene Kompetenz zu Lasten oder in Konkurrenz zu den Ländern zu erweitern. Die Übernahme weiterer Leistungen kann nur in ständiger Beratung und Kooperation mit den Ländern geschehen. Dazu bietet der gemeinsame Planungsausschuß das praktisch beste Mittel.
Eine dritte Bemerkung. Es ist nicht so, daß sich in Berlin durch das neue Hochschulgesetz eine Entwicklung verschärft hat. Vielmehr läßt sich absehen, daß durch die Neuordnung der Selbstverwaltung und der Verwaltung und die Möglichkeit der Mitsprache und der Mitbestimmung eine Entwicklung eingeleitet worden ist, die auf lange Sicht zu einer grundlegenden Reform der Hochschulen führt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Wohlrabe: Mit „Roten Zellen"!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606000900
Wird weiter das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen über das Gesetz als Ganzes ab. Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Nach § 49 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat der Präsident, wenn für einen Beschluß die Zustimmung einer bestimmten Mitgliederzahl erforderlich ist, festzustellen, daß die Zustimmung der erforderlichen Mehrheit vorliegt. Dies geschieht in diesem Fall durch Auszählung.
Ich eröffne die Auszählung. Ich bitte, den Saal zu räumen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Es bestehen offenbar Zweifel, ob jetzt über beide Ziffern der Vorlage abgestimmt wird oder nur über eine. Es handelt sich um ein Gesetz, also stimmen wir in der Schlußabstimmung über beide Ziffern ab. Ich finde das unglücklich. Aber der Ausschuß hat die Vorlage nun einmal so, wie sie uns vorliegt, beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Das nach dem Grundgesetz erforderliche Quorum beträgt 330 Stimmen. Es haben abgestimmt insgesamt 451 Abgeordnete und 1.5 Berliner Abgeordnete. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben 441 mit Ja gestimmt; zehn haben sich der Stimme enthalten. Alle Berliner Abgeordneten haben mit Ja gestimmt. Damit ist die in der Verfassung vorgesehene Mehrheit erreicht.
Wir haben dann noch abzustimmen über Ziffer 2 des Ausschußantrages. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Abgeordneter Schulz (Berlin) zur Abgabe einer Erklärung.




Dr. Klaus-Peter Schulz (SPD):
Rede ID: ID0606001000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich zunächst eine kleine Korrektur des Abstimungsergebnisses bekanntgeben. Unter den 14 Berliner Abgeordneten hat sich einer der Stimme enthalten, und das war ich. Auch als langjähriger Parlamentarier kann man in diesem Hause Überraschungen erleben.
Wir haben soeben über eine Gesetzesvorlage abgestimmt, über eine Drucksache, die zwei Grundgesetzänderungen materiell völlig verschieden Charakters enthielt,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

einmal über die Herabsetzung des Wahlalters, zweitens über die mitwirkende Zuständigkeit des Bundes beim Ausbau und Neubau von Hochschulen. Ich könnte mir vorstellen, daß gleich mir auch einige andere Kollegen bei dieser Abstimmung in Verlegenheit gekommen sind. Was mich betrifft, hätte ich selbstverständlich der zweiten Grundgesetzänderung über die mitwirkende Zuständigkeit des Bundes zugestimmt. Die Grundgesetzänderung betreffend die Herabsetzung des Wahlalters hätte ich verneint. Unter diesen Umständen blieb mir nichts anderes übrig, als mich der Stimme zu enthalten.
Ich empfinde trotz alledem das Bedürfnis, meine ablehnende Haltung zur Frage der Herabsetzung des Wahlalters hier kurz durch eine Erklärung zur Abstimmung zu motivieren, und ich wäre dankbar, wenn auch die übergroße Mehrheit des Hauses, die dieser Verfassungsänderung zugestimmt hat, die Auffassung eines offenbaren Dissidenten in dieser Frage ruhig und gelassen anhören würde.
An der Debatte zur Herabsetzung des Wahlalters habe ich mich bewußt nicht beteiligt. Wer ausführlich zur Sache argumentiert, muß nach meiner Meinung von der Hoffnung ausgehen, andere, im Idealfall die Mehrheit überzeugen zu können. Bei diesem Thema stand jedoch von vornherein eine große Mehrheit aus allen Parteien das Hauses fest. Darum beschränke ich mich auf eine Erklärung zur Abstimmung, wobei ich mir darüber klar bin, daß ich meine ablehnende Auffassung nur ganz kurz und infolgedessen sehr allgemein begründen kann.
Das soeben verabschiedete Gesetz, zu einer Zeit diskutiert und beschlossen, in der überall und bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Entprivilegierung die Rede ist, privilegiert in meinen Augen die Unreife.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr gut!)

Das scheint mir ein recht erstaunlicher Vorgang zu sein. Die überwiegende Mehrheit des Deutschen Bundestages hat damit einem Phänomen Rechnung getragen, das man in der Regel als politisches Engagement der jungen Generation bezeichnet. Ich bezweifle nicht, daß ein sehr kleiner Teil unserer Jugend tatsächlich ein solches Engagement zeigt, das freilich, insbesondere nach den Erfahrungen der letzten Jahre, nicht mit politischem Sachverstand und entsprechender Urteilsfähigkeit identifiziert werden darf. Der größte Teil der jungen Generation steht, wie sich aus allen Umfragen und wissenschaftlichen Erhebungen ergibt, der Politik indifferent, oft
mit einer geradezu erschreckenden Unkenntnis gegenüber. Ein Zugewinn für unsere demokratische Ordnung ist infolgedessen von der Herabsetzung des Wahlalters nicht zu erwarten.
Viel bedenklicher erscheint es mir, daß im Zusammenhang mit dem heute vollzogenen gesetzgeberischen Akt auch schon sehr konkret eine Herabsetzung des Mündigkeitsalters diskutiert wird. Aus einer solchen Maßnahme würde nach meiner Überzeugung ein erheblicher Schaden für unsere Gesellschaft erwachsen. Ich halte daran fest, daß die häufig zu beobachtende biologische Entwicklungsbeschleunigung unserer jungen Generation, von Ausnahmefällen abgesehen, mit einer erheblichen Verzögerung der geistigen und vor allem der Verantwortungsreife einhergeht.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr wahr!)

Natürlich ist mir bekannt, daß die Wissenschaft neuerdings das Gegenteil behauptet. Ich bezweifle jedoch stärkstens die Kriterien derartiger Untersuchungen, in erster Linie deren Unbefangenheit und Vorurteilslosigkeit. Praktische Beobachtungen, die jeder im Überfluß machen kann, der viel mit jungen Menschen zu tun hat, scheinen mir jedenfalls die von mir verfochtene These weit eher zu rechtfertigen. Die Pubertät, die nach meiner Meinung heute im allgemeinen wesentlich länger dauert als in früheren Generatoinen, ist immer ein unbequemes Alter gewesen, nicht nur für die Jugend selbst. Sie hat in dieser Phase ein Lebensrecht darauf, intolerant, ungerecht, einseitig, ja aufsässig zu reagieren, weil sie anders den notwendigen Ablösungsprozeß von der älteren Generation, von deren moralischer und psychologischer Autorität kaum bruchlos zu vollziehen vermag. Nicht zuletzt aus diesem Grunde blieb der Jugend daher die volle gesellschaftliche und staatsbürgerliche Selbst- und Mitbestimmung bis zur Schwelle des Mündigkeitsalters — 21 Jahre — vorenthalten.
Gerade weil ich der Jugend ihr Lebensrecht, anders zu sein und sich anders zu wollen als ihre erwachsene Umwelt, nicht schmälern und verkürzen möchte, will ich es aktenkundig machen, daß ich gegen die Herabsetzung des Wahlalters war, weil Eigenschaften, die für den Entwicklungsprozeß des Individuums nützlich, wenn nicht notwendig sind, für die Gemeinschaft in Staat und Gesellschaft negative und schädliche Folgen haben können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606001100
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung hat der Abgeordnete Memmel.

Linus Memmel (CSU):
Rede ID: ID0606001200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erkläre, daß auch ich zu den 10 Mitgliedern gehöre, die sich der Stimme enthalten haben, und zwar deswegen, weil man mich durch die Art der Abstimmung heute gezwungen hat, zu zwei verschiedenen Vorgängen einheitlich abzustimmen. Ich halte das nicht für in Ordnung, auch nicht formell. Denn wenn Sie die Drucksache VI/873 zur Hand nehmen, so lesen Sie auf der ersten Seite:



Memmel
„Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Herabsetzung des Wahlalters)" und darunter: „Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Änderung des Artikels 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG)". Auch formell haben wir also über zwei ganz verschiedene Dinge in einem Wahlgang abgestimmt. Jeder von uns, der bei der Abstimmung irgendwie differenzieren wollte, wurde durch diese Art der Abstimmung darum gebracht, seinen unterschiedlichen Meinungen Ausdruck zu geben.
Nun habe ich den Herrn Vorsitzenden des Rechtsausschusses wegen dieser Sache angesprochen, und er hat mich, was mich als Amtsgerichtsrat „älterer Ordnung" sehr gefreut hat, belehrt und gesagt: „Wenn ich beim BGB vorn über Änderungen im Schuldrecht und hinten über Änderungen im Erbrecht abstimme, mache ich das auch einheitlich." Ich muß aber sagen, daß dieser Vergleich sehr hinkt. Denn im vorliegenden Falle haben wir über ganz getrennte Dinge abgestimmt. Wir haben zwar einen Schriftlichen Bericht — das hat der Rechtsausschuß zu verantworten —, aber wir haben zwei getrennte Gesetze. Das andere Argument des Herrn Vorsitzenden des Rechtsausschusses war: „Ja, hätten Sie halt eine Aussprache zur zweiten Lesung verlangt und hätten Sie dann in der zweiten Lesung eine getrennte Abstimmung verlangt, dann hätte man ja Ihre Meinung erkennen können." Das hätte aber nichts daran geändert, daß ich in der dritten Lesung, wo man nach dem eingeschlagenen Verfahren nur einheitlich abstimmen konnte, meiner unterschiedlichen Meinung zu den beiden Materien nicht hätte Ausdruck geben können.
Ich finde also: Dieses Verfahren ist nicht in Ordnung und anfechtbar!

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606001300
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung hat der Abgeordnete Dr. Kempfler.

Dr. Friedrich Kempfler (CSU):
Rede ID: ID0606001400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich ganz kurz fassen. Was das Formelle betrifft, stimme ich absolut mit Kollegen Memmel und Kollegen Schulz überein. Ich war in der gleichen Lage. Auch ich mußte mich der Stimme enthalten, weil ich bei dem einen Entwurf mit Ja, bei dem anderen mit Nein gestimmt hätte.
Hinsichtlich des materiellen Inhalts des Gesetzes über die Herabsetzung des Wahlalters schließe ich mich voll und ganz den Ausführungen meines Vorredners Schulz an. Ich konstatiere das Phänomen, daß einmal ein Berliner und ein Niederbayer voll übereinstimmen.

(Heiterkeit. — Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606001500
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz. — Sie sprechen als Ausschußvorsitzender.

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0606001600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist an und für sich in diesem Hause nicht üblich, daß nach der Abstimmung noch zur Sache diskutiert wird.

(Beifall.)

Nachdem dies aber hier geschehen ist, fühle ich mich verpflichtet, wenigstens drei Worte zu sagen.

(Abg. Wehner: Sie haben gesagt: „wenigstens drei"! — Weitere Zurufe.)

Das erste ist, daß wir diese beiden Änderungen ein und desselben Gesetzes in einem Gesetz zusammengefaßt haben. Dies ist normalerweise die Übung des Hauses und auch bei Grundgesetzänderungen in der vergangenen Legislaturperiode unbeanstandet so praktiziert worden.
Zweitens: Zur Sache möchte ich, nachdem vorhin keine Aussprache stattgefunden hat, nur eines sagen: Gestern abend hat das amerikanische Repräsentantenhaus das Wahlalter in den USA ebenfalls auf 18 .Jahre herabgesetzt.

(Beifall.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606001700
Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat Frau Abgeordnete Geisendörfer.

Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0606001800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte begründen, warum ich mich der Stimme enthalten habe.

(Zurufe.)

Wir haben mit der einen Grundgesetzänderung unseren jungen Mitbürgern eine frühere Verantwortung für das Schicksal von Millionen Menschen übertragen und sind nicht bereit gewesen, ihnen auch die frühere Verantwortung für ihre eigenen persönlichen Entscheidungen zu übertragen. Meine Enthaltung sollte ein Anstoß dafür sein, daß wir uns überlegen, auch das Volljährigkeitsalter, also den Zeitpunkt, mit dem auch die Verantwortung für das persönliche Leben voll übertragen wird, zu überprüfen und herabzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606001900
Meine Damen und Herren, durch die Erklärung des Abgeordneten Schulz, daß er sich der Stimme enthalten habe, bin ich darauf aufmerksam geworden, daß meine Feststellung, daß alle Berliner Abgeordneten mit Ja gestimmt hätten, nicht richtig war; erst durch diese Erklärung konnte ich erfahren, daß ein Abgeordneter sich enthalten hat. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung noch einmal bekannt. Abgestimmt haben insgesamt 451 Abgeordnete. Mit Ja haben 441 Abgeordnete gestimmt, enthalten haben sich 10 abstimmungsberechtigte Mitglieder des Hauses. Von den Berliner Abgeordneten haben 14 mit Ja gestimmt; einer hat sich der Stimme enthalten.
Damit ist die Vorlage in dritter Beratung angenommen.



Vizepräsident Dr. Schmid
Im übrigen, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine Erklärung. Ich halte das Verfahren bei dieser Vorlage nicht für glücklich.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP.)

Man sollte auf ein und derselben Vorlage dem Hause nur Bestimmungen vorlegen, die von der Sache her innerlich miteinander zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)

Das war hier nicht der Fall. Die Ausschüsse sind natürlich frei, ihre Vorlagen zu beschließen, wie sie es für richtig halten. Die hier gewählte Methode finde ich nicht glücklich.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Stoltenberg, Dr. Martin und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes
— Drucksache VI/ 114 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/893 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Enders
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (16. Ausschuß) — Drucksache VI/772 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wichert Abgeordneter Dr. Martin

(Erste Beratung 19. Sitzung)

Werden die Schriftlichen Berichte mündlich ergänzt? — Offenbar nicht.
Ich rufe in zweiter Beratung auf: Art. 1. — Wortmeldungen? -- Keine Wortmeldungen. — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich lasse noch einmal abstimmen. Wer in zweiter Beratung zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Einstimmige Annahme. Schluß der zweiten Beratung.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird das Wort gewünscht? -- Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetz zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir haben noch die Schlußabstimmung durchzuführen. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der erhebe sich von seinem Sitz. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970)

—Drucksachen VI/300, zuVI/300, VI/580, zu VI/580, VI/820 bis VI/846, VI/854
Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung
— Drucksache VI/918 —
Die Vorlagen sind ausgegeben worden. Ich erteile das Wort in der allgemeinen Aussprache zur dritten Beratung dem Abgeordneten Dr. Althammer. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0606002000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche vor der großen Sommerpause spricht dieses Parlament das Schlußwort zum Haushalt 1970. Dieser Bundeshaushalt war von seiner Aufstellung an in die große konjunkturpolitische Auseinandersetzung dieses Halbjahres 1970 einbezogen. Wenn Sie den Leitartikel in der „Welt" von heute lesen, dann sehen Sie, daß diese Auseinandersetzung unvermindert andauert.
Wenn der Bundeshaushalt 1970 heute verabschiedet wird, kann das Parlament von der Einnahmen-und Ausgabenseite des Bundes her jedenfalls keinen Einfluß mehr auf die Konjunkturentwicklung des Jahres 1970 nehmen. Aus diesem Grunde stellen sich zwei Fragen. Erstens: Hat die Bundesregierung inzwischen durch Maßnahmen außerhalb der Haushaltsgestaltung etwas Entscheidendes zur Stabilitätserhaltung oder Wiedergewinnung der Stabilität getan? Zweitens: Haben Regierung und Koalition wenigstens innerhalb des Haushaltes 1970 alle Möglichkeiten zur Konjunkturdämpfung genutzt? Die Antwort auf beide Fragen kann nur negativ ausfallen. Sie lautet: Nein.
Nun hat die SPD, voran Herr Minister Schiller, in der Konjunktur- und Haushaltsdebatte der vergangenen Woche immer wieder behauptet, es bestehe gar kein Anlaß zum Handeln. Sie steht damit im Gegensatz zu fast allen Sachverständigen, aber das scheint sie nicht zu stören. Als Bundeskanzler Brandt am 27. Februar 1970 die Konjunkturdämpfungsvorschläge der Deutschen Bundesbank, die Schiller übernommen hatte, ablehnte, erfand er einen neuen Nebenkriegsschauplatz. Er sprach plötzlich von der Gefahr der Stagnation und der Arbeitslosigkeit. Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat darauf jüngst deutlich geantwortet. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus den Aufzeichnungen eines Interviews im Zweiten Deutschen Fernsehen vom 4. Juni zitieren:
Frage: Herr Dr. Klasen, befindet sich Ihres Erachtens die Bundesrepublik zur Zeit auf einer gefährlichen Gratwanderung zwischen Inflation und wirtschaftlicher Stagnation?
Antwort: Ich möchte es so sagen: Meines Erachtens befindet sich die Bundesrepublik im Augenblick in einer schwierigen Situation, und die Gefahr der Inflation ist unmittelbarer als die



Dr. Althammer
Gefahr der Stagnation. Also es ist eine Zeit, in der wir sehr aufpassen müssen, um zu handeln, wenn es unbedingt notwendig ist.
Frage: Besteht die Problematik darin, daß, je länger eine ungesunde Konjunkturphase dauert, desto eher mit einer wirtschaftlichen Flaute zu rechnen ist?
Antwort: Genau darin haben Sie recht. Es wird immer davor gewarnt, daß wir verhindern müßten, daß eine Stagnation kommt. Tatsächlich ist es aber doch so: Wenn die Überhitzung fortdauert, wenn die Preissteigerungen sich weiter fortsetzen, dann bekommen wir ganz gewiß, wenn nicht gehandelt wird, eine wirtschaftliche Entwicklung, die die unerfreulichste von allen ist.
Das Gespenst der Arbeitslosigkeit, das der Kanzler Brandt geistern läßt, ist bei 1,7 Millionen Gastarbeitern — d. h. jeder dreizehnte Arbeitnehmer in der Bundesrepublik kommt heute aus dem Ausland --- doch überhaupt nicht aktuell, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall hei der CDU/CSU.)

Außerdem sind Vollbeschäftigung und Stabilität gleichrangige Ziele; sie müssen keinen Gegensatz darstellen. Eine zwanzigjährige erfolgreiche Politik der CDU CSU hat das bewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nur die Handlungsunfähigkeit oder Handlungsunwilligkeit der gegenwärtigen Regierung haben Kanzler Brandt dazu verleiten können, hier neuer-clings einen Gegensatz zu konstruieren. Auch zu dieser Taktik nimmt der Bundesbankpräsident in dem von. mir bereits angesprochenen Interview deutlich Stellung. Ich möchte auch diesen vorletzten Absatz mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:
Frage: Herr Dr. Klasen, halten Sie es wirtschaftspolitisch und psychologisch für sehr geschickt, daß die Bundesregierung zur Zeit stets eine Vollbeschäftigungsgarantie gibt, obwohl das Problem der Arbeitslosigkeit, das zur Zeit als Problem stark akzentuiert wird, überhaupt nicht besteht?
Antwort: Ich glaube, das erklärt sich daraus, daß die Politiker, die sich gerne um Dämpfungsmaßnahmen, von denen sie glauben, daß sie unpopulär wären, drücken möchten, als Gegenargument auf die Arbeitslosigkeit hinweisen, weil das ein Argument ist, von dem sie sich gewisse Wirkungen versprechen.
In der Konjunkturdiskussion der letzten Wochen haben die drei Landtagswahlen vom 14. Juni eine Rolle gespielt. Viele Beobachter haben die Meinung vertreten, daß diese Regierung vor den Wahlen nicht zu handeln wage. Staatssekretär Arndt hat im „Industriekurier" vom 13. März 1970 die Parole ausgegeben : „Ruhe an der Heimatfront". Von Rednern der SPD und FDP wurde uns in der letzten Sitzungswoche vorgeworfen, wir würden nur vor der Wahl von Preissteigerungen und Geldentwertung reden. Der Kollege Junghans nannte diese Themen „kalten Kaffee", und Frau Funcke sprach von einer „tibetanischen Gebetsmühle". Ich glaube, hier hat Staatssekretär Arndt wieder das Richtige getroffen, indem er in diesem gleichen Interview vom März feststellte: „Wer recht hat, wird sich bei der Landtagswahl zeigen."

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

Für die Hausfrauen und Rentner war und ist das Thema Preise und Geldwert eben kein kalter Kaffee,

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Leicht: Und für die Sparer!)

und für sie ist es, genauso wie für die Sparer, die harte Wirklichkeit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Brandt von heute.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wahlen sind vorbei. Wir sprechen wieder von Preissteigerungen und von Geldwert, von diesen großen Sorgen unseres Volkes. Wir stellen fest: entgegen allen Beruhigungsversuchen hat sich die Lage nicht gebessert.

(Abg. Leicht: Im Gegenteil!)

Es sind sogar noch einige neue deutliche Alarmzeichen hinzugekommen. Ich glaube, der neueste Bericht der Bundesbank wird dazu einiges Deutliche ausführen.
Wir fragen jetzt, nach den Wahlen, die Regierung, ob sie nun endlich handeln will. Wir fragen den Minister Schiller, ob er heute das nicht mehr gelten lassen will, was er im Jahre 1965 als Oppositionsabgeordneter festgestellt hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Zeitschrift „Vorwärts" vorn 31. August 1965 zitieren:
Frage: Zum Schluß noch schnell ein Wort zu den besonderen Sorgen der Bevölkerung: Preise und Stabilität des Geldwerts. Was kann man da, Herr Professor Schiller, von der SPD erwarten?
Antwort: Wir sind im Juli 1965 leider bei einem jährlichen Kaufkraftverlust von 4,2 % angelangt.
Ich darf einfügen: eine damals übertriebene Zahl.
Das kann so nicht weitergehen. Die SPD hat sich ein ganz präzises politisches Ziel gesetzt. Im Jahre 1966 wollen wir die Preisssteigerungen auf 3 % herunterbringen, in den folgenden beiden Jahren 1967 und 1968 auf 2 % und schließlich im Jahre 1969 auf 1 %
Schiller hatte damals ein Programm von sieben Punkten zur Erreichung dieses Ziels vorgeschlagen. Es ist vielleicht ein Zufall, daß die CDU/CSU in ihrem Stabilisierungsprogramm vom Mai dieses Jahres auch sieben Punkte aufführt, die sich allerdings untereinander deutlich unterscheiden.
Wir möchten jetzt aber doch fragen: Soll nun, im .Jahre 1970, das nicht mehr gelten, was offenbar im Jahre 1965 die neueste und richtigste Erkenntnis bei der SPD war? Damals hatte die Regierung Erhard noch nicht das Stabilitätsgesetz, das nach



Dr. Althammer
Schiller doch das Instrumentarium zu einer wirksamen Konjunkturpolitik liefern sollte. Jetzt plötzlich erklärt der Bundeskanzler Brandt, daß dieses Stabilitätsgesetz nicht anwendbar sei; es sei ein zu grobes Geschütz. Wir fragen noch einmal: Ist wenigstens jetzt die Zeit der Untätigkeit für die Regierung beendet, oder will sie weiterhin der Deutschen Bundesbank die ganze Last allein überlassen?
Auch hier ist eine Aussage des Bundesbankpräsidenten klar und eindeutig. Er sagte am Schluß seines erwähnten Interviews — ich darf dieses letzte Zitat des Bundesbankpräsidenten hier vortragen —:
Frage: Ist damit zu rechnen, daß die Bundesbank die Politik des knappen und teuren Geldes lockern wird, oder unter welchen Bedingungen wäre sie eventuell dazu bereit?
Antwort: Im Augenblick besteht nicht die Absicht, unsere Kreditpolitik irgendwie zu ändern, und ich sehe auch vorläufig keine Möglichkeit, das zu tun. Wenn die Bundesregierung ihrerseits zusätzliche Maßnahmen ergreifen würde, dann ist es sehr möglich, daß bei einem Wirken dieser Maßnahmen wir mit unserer Kreditpolitik die ersten sind, die mit einer Lockerung beginnen.
Letzte Frage: Aber diese Maßnahmen müßten dann ziemlich weitgehend sein?
Antwort: Die müßten wirksam sein.
Auch dazu hat sich der Minister Schiller in der Zeit, als er noch Oppositionsabgeordneter war, ganz eindeutig geäußert.
Er sagte am 14. August 1965 in Dortmund:
Wir werden dafür sorgen, daß die Bundesbank nicht mehr der alleinige Träger einer Antiinflationspolitik bleibt. Wir werden sie bei ihrem Bemühen um Währungsstabilität nicht im Stich lassen.
Ich frage noch einmal: Warum tut die SPD heute nicht, was sie damals angekündigt hat?
Man wird hinzufügen müssen: Es ist für die kleinen Leute und für den Mittelstand einfach unerträglich, daß die Bundesbank mit einem Diskontsatz von 7,5 % diese Last der Stabilisierungspolitik allein tragen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf meine einleitende Betrachtung der konjunkturpolitischen Landschaft zusammenfassen:
1. Die Deutsche Bundesbank konnte mit ihren scharfen Maßnahmen die Währungsstabilität nicht wiederherstellen, denn sie wurde von der Regierung bis heute im Stich gelassen.
2. Für den Herbst dieses Jahres droht eine neue große Teuerungswelle, wenn die Regierung auch jetzt nicht handelt.
3. Die derzeitige Bundesregierung hat das Angebot der CDU/CSU in den Wind geschlagen, gemeinsam Dämpfungsmaßnahmen zu beschließen. Diese Möglichkeit ist ungenutzt vertan worden, weil sich das Parlament morgen bis zum September vertagt.
Offenbar soll das Wort Wehners, man brauche die
Opposition nicht, auch für die Innenpolitik gelten.

(Abg. Wehner: Da waren doch schon so viele dran, warum sagen Sie es auch noch einmal, Herr Althammer?)

4. Der Bundesbankpräsident hat mit Recht gesagt, daß auf die Inflation die Stagnation folgt. Wenn also die Regierung weiter die Zügel schleifen läßt, kommt zu fortlaufenden Preissteigerungen und Geldwertminderungen auch Stagnation und Arbeitslosigkeit, wie es andere Industriestaaten bereits leidvoll erfahren haben.

(Abg. Leicht: Sehr richtig!)

Das ist die düstere wirtschaftspolitische Situation und der Hintergrund, vor dem der Haushalt 1970 verabschiedet werden soll.
Ich habe eingangs die Frage gestellt, ob diese Regierung, wenn sie sich bis heute in der Wirtschafts- und Finanzpolitik schon zu keinen Taten aufraffen konnte, wenigstens im Bundeshaushalt 1970 das Äußerste zur Konjunkturdämpfung veranlaßt hat. Auch diese Frage muß leider verneint werden. Zwar wurden beim Haushalt 1970 490 Millionen DM gekürzt. So mühsam das auch sein mochte, bei einem Gesamtetat von 91,4 Milliarden DM ist das natürlich keine Sensation und konjunkturpolitisch kaum spürbar.
Die Umwandlung von 2 Milliarden DM der 2,7Milliarden-DM-Sperre in Kürzungen mag zunächst beeindrucken. Man muß dazu aber wissen, daß die Bundesregierung schon vorher erklärt hatte, sie werde diese gesperrten Beträge in diesem Jahr nicht mehr freigeben. Konjunkturpolitisch bringt auch das keinen Effekt, weil die Bundesregierung bei ihrer Diskussion und Argumentation immer von der Steigerungsrate von 8,8 %, bei der diese 2,7 Milliarden DM gesperrte Beträge bereits abgerechnet waren, ausgegangen ist, so daß hier ein neuer Effekt nicht eintritt.
Nun hatten Optimisten geglaubt, daß die vielbesprochene Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes in Höhe von 1,5 Milliarden DM wenigstens eine reale Verminderung des Ausgabevolumens des Regierungsentwurfes bringen würde. Weit gefehlt! Die Rechnung sieht so aus: Nach den Steuerschätzungen des Monats April ist mit einem Steuermehraufkommen für den Bund in Höhe von 1,6 Milliarden DM im Vergleich zum Regierungsentwurf zu rechnen. Davon wurden 1,5 Milliarden DM für die Konjunkturausgleichsrücklage verwendet und 100 Millionen DM auf ein Sonderkonto bei der Bundesbank gelegt, das nicht den Einschränkungen des Stabilitätsgesetzes für eine Verwendung des Geldes unterliegt. Mit der berühmten Konjunkturausgleichsrücklage wurde also keine Verminderung der Bundesausgaben gegenüber dem Regierungsentwurf erreicht, sondern lediglich verhindert, daß ein neuer Ausgabestoß in Höhe von 1,6 Milliarden DM aus zusätzlichen Steuereinnahmen erfolgt wäre.
Auch die Reduzierung der Nettokreditaufnahme von 2,5 Milliarden DM auf 300 Millionen DM ist



Dr. Althammer
mehr optischer Natur. Sie war möglich, weil die Sperre im Betrag von 2 Milliarden DM in Kürzungen umgewandelt wurde. Da die Regierung aber die Sperren selbst nicht aufheben wollte, wäre der Kreditrahmen ohnehin in diesem Jahr nicht ausgeschöpft worden.
Inzwischen wurde aber das Kreditvolumen mit der sogenannten Bildungsanleihe wieder um 1 Milliarde DM auf 1,3 Milliarden DM erhöht. Die CDU/ CSU hat sich wegen der Dringlichkeit der Geldbeschaffung gegen diese Regierungsinitiative in letzter Minute nicht gewandt. Einige kritische Worte zur Art der Veranschlagung müssen aber hier angebracht werden.
Diese Sonderanleihe wurde bisher, soweit das ersichtlich ist, nicht ordnungsgemäß nach der Bundeshaushaltsordnung veranschlagt. Nach Auffassung der modernen Finanzwirtschaft ist es sinnwidrig, bestimmte Ausgaben mit zusätzlichen Krediteinnahmen zu verbinden. Das stellt einen Rückfall in die Systematik der alten Reichshaushaltsordnung von 1922 dar

(Abg. Leicht: Sehr richtig!)

und bedeutet in der Sache eine Wiedereinführung des außerordentlichen Haushalts, den wir mit der Haushaltsrechtsreform soeben beseitigt hatten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn diese Bildungsanleihe nicht in die Finanzierungsübersicht aufgenommen wird, verstößt das gegen Art. 110 GG und § 11 der Bundeshaushaltsordnung, der die Vollständigkeit des Haushalts vorschreibt.

(Abg. Leicht: Sehr richtig!)

Der Nettoneuverschuldung muß dieser Betrag zugesetzt werden; sie muß auf 1,3 Milliarden DM erhöht werden, und die Zuführung einer Rücklage muß in Höhe von 1,6 Milliarden DM auf 2,6 Milliarden DM ebenfalls erhöht werden.
Zur Neuverschuldung des Bundes in der Hobe von jetzt 1,3 Milliarden DM kommen die Kreditaufnahme und der Kreditbedarf der Sondervermögen des Bundes, insbesondere Bahn und Post, die sich heute auf 4,7 Milliarden DM beziffern, so daß allein vom Bund her im Jahre 1970 eine Beanspruchung des Kreditmarktes in Höhe von rund 6 Milliarden DM zu erwarten ist. Auch das kann man wohl nicht gerade als konjunkturdämpfendes Verhalten bezeichnen.
Es kommt aber noch ein weiterer, mittelbarer Druck ait den Kapitalmarkt hinzu. durch die Soge nannten Linssubventionen des Bundes, durch che noch einmal 3 Milliarden DM auf dem Kapitalmarkt mobilisiert werden sollen. Es ist heute bereits die Tendenz erkennbar, diese Zinssubventionen weiter auszubauen. Ich denke nur an die Projekte Krankenhausfinanzierung, Städtebauförderung und ähnliches. Wer diesen bequemen Weg der Finanzierung gehen will, sollte wieder einmal nachlesen, was die Deutsche Bundesbank vor Jahren zu cien Gefahren eines solchen Verhaltens gesagt hat. Ich möchte hinzufügen; es wäre meines Erachtens dringend notwendig, daß die Deutsche Bundesbank jetzt aus aktuellem Anlaß diese ihre grundsätzlichen Bedenken gegen eine Verfälschung des Kapitalmarktes durch übermäßige Zinssubventionen erneut in aller Öffentlichkeit vorträgt und ihre Warnungen noch einmal eindringlich bekräftigt.
Weil die haushaltspolitischen Maßnahmen angesichts der Konjunkturüberhitzung völlig unzureichend waren, hat sich die CDU/CSU bemüht, konstruktiv weitere Vorschläge vorzutragen, sowohl im Haushaltsausschuß wie hier im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Haushaltsausschuß hat die CDU/CSU rund 80 Anträge gestellt, die wesentlich der Personaleinsparung und der Ausgabenkürzung dienen sollten. Das Volumen dieser Kürzungsanträge macht die runde Summe von weiteren 2 Milliarden DM aus. Nun ist es natürlich leicht, an diesen Einzelvorschlägen herumzukritteln und das eine oder andere zu bemängeln. Wir haben einen Teil dieser Vorschläge auch in der zweiten Lesung gestellt und werden diese entscheidenden Anträge in der dritten Lesung noch einmal vortragen, um auch cien Koalitionsparteien die Möglichkeit zu geben, in dieser Stunde noch einmal einen Beitrag zur Konjunkturdämpfung zu leisten.
Ich möchte noch ein Wort sagen zu den möglichen kritischen Anmerkungen zu unseren Kürzungsvorschlägen. lch erinnere mich sehr lebhaft an die Worte von Minister Schiller bei der zweiten Lesung des Haushaltes. Er hat dort gesagt, die CDU/CSU solle Roß und Reiter nennen, wenn sie hier die Regierung kritisiere. Und er hat uns beschuldigt, wir möchten zwar den Pelz waschen, aber ihn nicht naß machen. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie unsere Anträge hier auch zur dritten Lesung sehen und über sie abstimmen, wird sich herausstellen, wer in diesem Hause das Wasser fürchtet.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Ich möchte nur ein Beispiel herausgreifen, wie die SPD unsere Bemühungen, einen konstruktiven und zahlenmäßig deutlich bezitferbaren Beitrag zu leisten, in Einzelfällen bewertet und wie sie draußen agitiert. Es handelt sich hier um das Beispiel der Mittel für den Straßenbau. Ich darf in diesem Zusammenhang mit Genehmigung des Präsidenten ein kurzes Zitat aus dem Protokoll der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 26. Februar 1970 bringen. Dort heißt es:
MinDir. Soddemann teilt mit, nach Artikel 111 GG und dein Rundschreiben des Bundesministers der Finanzen über die vorläufige Haushaitsführung 1970 vom 4. Dezember 1969 dürften Neubaumaßnahmen nicht begonnen werden. In einem ergänzenden Rundschreiben des Bundesministers der Finanzen über die vorläufige Haushaltsführung vom 29. Januar 1970 wurde verfügt, daß im Haushaltsentwurf 1970 vorgesehene Verpflichtungsermächtigungen im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung grundsätzlich nur bis zu der Höhe in Anspruch genommen werden dürfen, die zur Fortsetzung von Baumaßnahmen, Beschaffungen und sonstigen Leistungen, für die durch den Haushalts-



Dr. Althammer
plan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt wurden, erforderlich sind.
In dieser Sitzung haben dann die Abgeordneten der CDU CSU den Antrag gestellt:
1. der Bundesminister der Finanzen wird ersucht, bis zur Verabschiedung des Haushalts 1970 gemäß § 6 des Stabilitätsgesetzes jeden Neubaubeginn im Inland zu untersagen.
Jetzt kommt das Entscheidende:
Ausnahmen vom Verbot des Baubeginns sind vorher dem Haushaltsausschuß mitzuteilen.
Zur Begründung wird angeführt, daß übertragbare Ausgabenreste aus dem Jahre 1969 vorhanden seien. Der Vorschlag bedeute einen Beitrag zur Stabilität der Wirtschaft und solle erreichen, daß Baumaßnahmen, die im Hinblick auf die derzeitige Konjunktur aufschiebbar seien, nicht begonnen werden sollten.
In dieser ganzen Auseinandersetzung hat der Straßenbau keine Rolle gespielt, er ist von keiner Seite angesprochen worden. Wir sind davon ausgegangen, daß im Gegensatz zu den Verfügungen des Finanzministers von diesen Ausnahmemöglichkeiten natürlich in erster Linie beim Straßenbau Gebrauch gemacht werden sollte. Wie wir das Problem des Straßenbaus gesehen haben, beweist auch ein späterer Antrag der CDU/CSU, gestellt von meinem Kollegen Albert Leicht, wonach ausdrücklich von den gesperrten 640 Millionen DM im Straßenbau 200 Millionen DM sofort freigegeben und 340 Millionen DM von der allgemeinen Kürzung ausgenommen werden sollten. Dabei wurde weiter festgestellt, daß durch die Steuermehreinnahmen bei der Mineralölsteuer weitere hohe Beträge zusätzlich dem Straßenbau zufließen. Diese Anträge wurden dann einstimmig im Haushaltsausschuß angenommen.
Was ist dann draußen passiert? Draußen gehen heute SPD-Politiker herum und erzählen, daß die CDU/CSU versucht habe, den Straßenbau zum Erliegen zu bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe hier Abschriften von Briefen, in denen das Verkehrsministerium aufgefordert wird, doch draußen deutlich zu propagieren, daß der CSU-Abgeordnete Althammer gegen den Straßenbau Stellung genommen habe und ihn zum Erliegen bringen wolle.

(Hört, Hört! bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

So sieht das draußen in der Praxis aus. Ich kann dazu nur sagen das ist eine bedauerliche politische Brunnenvergiftung. Ich möchte hoffen und meinen, daß diese Dinge mit dem, was ich hier eben ausgeführt habe, vom Tisch sein sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte noch kurz auf den wichtigsten Kürzungsantrag eingehen, den wir auch in der dritten Lesung stellen werden. Insgesamt soll hier eine Summe von 1,8 Milliarden DM eingespart werden. Einmal ist es eine Minderausgabe von 1,5 Milliarden DM und dann eine solche von 300 Millionen DM bei den Verstärkungs- und den Reservemitteln im Personalhaushalt.
Ich möchte hier noch einmal die Frage stellen, ob sich die Koalitionsparteien nicht jetzt, in dieser letzten Minute, vielleicht doch entschließen könnten, einem solchen Beitrag zur Stabilitätspolitik ihre Zustimmung zu geben. Wir haben über die Gründe für diesen Antrag ausführlich gesprochen, und der Antrag wird in dieser Debatte auch noch ganz kurz begründet werden.
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß er vor allem zwei Ziele verfolgt: Erstens einmal soll er verhindern, daß nun aus dem Gesamtetat gar keine echte Einsparung außer den 500 Millionen DM herauskommt, weil nämlich die Konjunkturausgleichsrücklage aus Steuermehraufkommen finanziert wird. Zum zweiten soll er verhindern, daß nach der Verabschiedung des Haushalts, wenn 100 °. o der bewilligten Gelder zur Verfügung stehen, ein neuer Stoß in die überhitzte Konjunktursituation von der Ausgabenpolitik des Bundes ausgeht.

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

Der Finanzminister hat soviel davon gesprochen, daß eine restriktive Haushaltsführung ein wichtiger Beitrag zur Konjunkturdämpfung sei. Er hat die Frage offengelassen, was geschehen soll, wenn im Sommer der Haushalt endgültig verabschiedet ist. Herr Bundesfinanzminister, ich bin der Überzeugung, daß jetzt nicht die Situation gegeben ist, wo man von diesem Wen durch hartes Fahren des Haushalts abgehen könnte. Ich muß auch ganz offen sagen, der Entschließungsantrag der SPD, der nur den Wunsch äußert, man möge, wenn möglich, weitere Einsparungen stillegen, ist mir zuwenig.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Parlament sollte hier ganz klar von seiner Vollmacht der Etatgestaltung Gebrauch machen und ganz konkrete und genaue Ziele stellen.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bilanz mit einem kurzen Wort abschließen, was den Haushalt 1970 betrifft. Ich werde noch ein paar Bemerkungen zu den Aussichten für den Haushalt 1971 anschließen. Die Bilanz der Regierung Brandt für das erste Halbjahr 1970 ist aus unserer Sicht absolut negativ.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es fehlt entweder der Wille oder die Fähigkeit, Entscheidendes auf dem Gebiet der Wirtschafts- und der Finanzpolitik zu tun. Es darf daher niemanden verwundern, daß die Fraktion der CDU, CSU dem Bundeshaushalt insgesamt ihre Zustimmung versagen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorverhandlungen für den Haushalt 1971 sind inzwischen in vollem Gange. Die Konjunkturüberhitzung hat sich entgegen allen beruhigenden Beteuerungen und Erklärungen weiter fortgesetzt. Die Preise steigen. Die schleichende Inflation, von der Minister Schiller 1965 als Oppositionsabgeordneter gesprochen hat, geht heute weiter.

(Abg. Leicht: OECD: 6,25 %!)




Dr. Althammer
— Ich habe schon auf den Leitartikel der „Welt" verwiesen, wo diese Dinge heute genau dargelegt werden.

(Abg. Wehner: Ein ganz zuverlässiges Organ!)

Man müßte annehmen, daß sich in den Etatverhandlungen 1971 diese prekäre Wirtschafts- und Finanzsituation widerspiegeln würde. In der mittelfristigen Finanzplanung, die uns erst in diesem Jahr vorgelegt worden ist, ist eine Steigerungsrate für 1971 in Höhe von 7 % vorgesehen. Dabei geht diese mittelfristige Finanzplanung von einer normalen Konjunkturlage aus und nicht von einer überhitzten Konjunkturlage, die Dämpfungsmaßnahmen erfordert. Wenn man also die heutige Wirtschaftssituation ernst nimmt, dürfte die Steigerungsrate keinesfalls 7 % oder mehr betragen. Sie müßte deutlich darunter liegen. Was wir aber nun aus den Vorverhandlungen hören, besagt, daß die Steigerungsrate nicht bei 7 % liegen soll. Man nennt jetzt die Zahl von rund 13 %. Hier wird sich zeigen müssen, welchen Ernst die Bundesregierung angesichts dieser schwierigen Situation den laufenden Preiserhöhungen und dem Verlust der Geldwertstabilität beimißt. Es wird sich zeigen müssen, ob der Herr Bundeskanzler bereit ist, den Bundesfinanzminister zu unterstützen, und wie sich der Bundeswirtschaftsminister in dieser Situation verhalten wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir jedenfalls, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen in solchen Steigerungsraten von 13 % ein akutes Alarmzeichen. Sollte sich das als wahr herausstellen, dann manifestiert sich hier nach unserer Meinung, daß diese Regierung offenbar von einer laufenden Geldentwertung und damit künstlich überhöhten Steuereinnahmen auf die Dauer ausgeht, um ihre sogenannten inneren Reformen zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Grassierende Inflation! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn das geschehen sollte, können wir heute schon sagen, daß diese inneren Reformen dann jedenfalls keinen Schuß Pulver wert sind, weil sie mit einer Dauerinflation einfach zu teuer bezahlt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte auch noch deutlich sagen, daß wir von der CDU CSU nicht mehr bereit sind, im Jahre 1971 etwa die gleiche Methode hinzunehmen, für die man im Jahre 1970 mit diesen Sperren vielleicht noch einiges Verständnis haben konnte wegen der drängenden Zeitnot. Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie für das Jahr 1971 unter den gegenwärtigen Gesichtspunkten einen konjunkturgerechten Haushalt vorlegen wollen, dann erinnere ich Sie an die Vorschläge, die Sie als Abgeordneter der Opposition in diesem Hause gemacht haben. Sie haben damals von einem Kernhaushalt und von einem Eventualhaushalt gesprochen.

(Abg. Leicht: Das ist mittlerweile durch das Haushaltsrecht möglich!)

Wir sind der Auffassung, daß es der saubere und
klare Weg wäre, dem Parlament ein volles Mitwirkungsrecht in der Form zu geben, daß man einen solchen Kernhaushalt, den Konjunkturbedürfnissen angepaßt, macht und allenfalls weitergehende Wünsche für einen solchen Eventualhaushalt zurückstellt, aber nicht mit einem solchen — wie es hier den Anschein hat — neuen Boom von der Einnahmen- und Ausgabenseite her die Konjunktursituation anheizt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien möchten bitte zur Kenntnis nehmen, daß nicht nur die CDU/CSU die Ernsthaftigkeit ihrer innenpolitischen Arbeit messen wird an dem konkreten Verhalten der nächsten Tage und Wochen — nicht nur hinsichtlich des Haushalts, sondern auch der sonstigen überfälligen Maßnahmen —, sondern auch — das haben wir gesehen, und wir werden es weiter sehen — die Mehrheit des deutschen Volkes diese Regierung an diesen entscheidenden Fragen mißt. Wir müssen feststellen, daß dieser Maßstab bisher ein vernichtendes Urteil für diese Regierung abgibt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606002100
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606002200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die hitzigen Wortgefechte der zweiten Lesung und auch die vergangenen Wahlwochen, unter denen die Debatte zweifellos in der vorigen Woche etwas gelitten hat, und der Wahlsonntag vorüber sind, sollten wir heute in ruhiger und sachlicher Atmosphäre den Versuch machen, den Haushalt in dritter Lesung zu verabschieden. Und da muß ich gleich dem Kollegen Althammer sagen: wir haben hier den Haushalt 1970 in dritter Lesung und nicht den Haushalt 1971 zu debattieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Ich habe keine Informationen darüber, was in dem Haushalt 1971 steht. Ich weiß nur, daß es bis zur Stunde keine Kabinettsbeschlüsse zum Haushalt 1971 gibt. Das, was Sie hier vorgetragen haben, haben Sie sicherlich aus den Zeitungen. Ich habe das auch aus den Zeitungen, aber ich habe mir inzwischen angewöhnt, ein bißchen nach dem Sprichwort zu leben :,,Entweder es steht in der Zeitung, oder es ist wahr."

(Oho-Rufe bei der CDU/CSU. — Abg. Windelen: Das gilt für den neuen „Vorwärts"!)

— Sie werden lachen, daß ich mich nicht scheue, dieses Sprichwort noch einmal zu wiederholen. Das habe ich schon in aller Öffentlichkeit gesagt. Im Gegensatz zu einigen anderen meine ich, daß die Presse ein solches Wort absolut so würdigt, wie ich es verstanden wissen will, und nicht im Sinne, den Sie unterstellen.



Hermsdorf (Cuxhaven)

Für mich als Sprecher meiner Fraktion ist es meiner Ansicht nach die Aufgabe, hier in der dritten Lesung den Versuch zu machen, einmal eine Replik zu geben auf die Kritik, die vom Kollegen Althammer und in der vorigen Woche auch von anderen Kollegen gegen den Haushalt vorgebracht worden ist, und in einem zweiten Punkt die Zusammenfassung der Zielvorstellung und der Wertung des Etats vorzunehmen.
Es hat sich gezeigt — das hat auch die Rede vom Kollegen Althammer heute morgen wieder bewiesen —, daß wir nicht umhin können, nach der Einführung des Stabilitätsgesetzes den Haushalt unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zu betrachten. Das hat mit der Einführung des Stabilitätsgesetzes angefangen, und das wird so bleiben. Wir werden auch in Zukunft den Haushalt ganz besonders unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zu betrachten haben.
Die Opposition hat nun hier den Versuch gemacht zu kritisieren, und zwar einerseits, daß der Etat 1970 nicht konjunkturgerecht sei, und andererseits, daß der Etat 1970 für wichtige politische Aufgaben nicht genügend Geld vorsehe. Nun kann man zwar, je nach dem Standpunkt des Betrachters, alternativ die eine oder andere Auffassung vertreten, wie es hier auch Angehörige der Oppositionsparteien getan haben. Beides zusammen, nämlich sowohl Erhöhungen als auch wesentliche Steigerungen, geht allerdings nicht;

(Abg. Wehner: Sehr wahr!) daraus wird kein geschlossenes Konzept.


(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Wo sind Anträge gestellt worden, die das beweisen, was Sie gesagt haben?)

Der Glaubwürdigkeit und der Aufgabe als Opposition im Bundestag haben Sie damit bisher keinen guten Dienst erwiesen.
Lassen Sie mich Beispiele für diese Ihre Inkonsequenz — so würde ich sie bezeichnen — nennen. Bleiben wir zunächst bei dem immer wieder behandelten Thema der Preissteigerungen. Die Opposition bemüht sich, alles zu tun, um hier die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Doch wie Sie das tun, darf nicht unwidersprochen bleiben. Im Hinblick auf künftige Auseinandersetzungen ist meines Erachtens eine gründliche Analyse notwendig.
Die Linie der Opposition wird besonders durch eine Formulierung des Kollegen Stoltenberg charakterisiert. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:
Dieses Kabinett ist im Begriff, als eine Regierung der einkalkulierten Inflation in die deutsche Wirtschaftsgeschichte einzugehen.

(Händeklatschen und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Diese Aussage des Kollegen Stoltenberg und
Ihr Beifall kennzeichnen die Haltung der Opposition. Sie sind einfach nicht bereit, die Diskussion sachlich zu führen, sondern Sie polemisieren nur.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Wir lernen ja von Ihnen! — Weitere Zurufe von der CDU CSU.)

Sie werfen uns und der Regierung vor, bei den Arbeitnehmern wie auch bei den Unternehmern ein Inflationshewußtsein zu wecken, weil wir ausdrücklich die Vollbeschäftigung garantieren. Die Unaufrichtigkeit Ihrer Polemik ist deutlich.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, machen sich zwar die Kritik des Sachverständigenrates zu eigen, der für weitere Dämpfungsmaßnahmen eintrat und sagte, der Kurs müsse geändert werden. Aber eines lassen Sie dabei außer acht, nämlich daß der Sachverständigenrat auch sagt, daß man das Risiko eines über die Normalisierung hinausgehenden Beschäftigungsrückganges eingehen müsse. Wenn Sie das wollen, müssen Sie auch klar sagen, daß Sie eine Rezession wollen, und dann müssen Sie auch zugestehen, daß Sie damit Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen.

(Beifall hei der SPD. -Abg. Leicht: Herr Kollege Hermsdorf, wir haben doch Überbeschäftigung und nicht nur Vollbeschäftigung! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Dabei müßten Sie eigentlich wissen, daß es solche Feinsteuerungen heute noch nicht gibt.
Wenn Sie also einer beinahe abstrakten Geldwertstabilität die erste Stelle vor der Vollbeschäftigung einräumen, dann müssen Sie eben — Sie können hier reden, was Sie wollen — Arbeitlosigkeit in Kauf nehmen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606002300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606002400
Nein! Verzeihen Sie, Herr Wörner, ich bin von dem gestrigen Fußballspiel noch völlig ruiniert. Vielleicht können wir das später machen.

(Heiterkeit. — Abg. Unertl: Ein ehrliches Eingeständnis! — Abg. Windelen: Gleichermaßen die Politik Ihrer Regierung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Schauen Sie, Herr Windelen, das ist nun wieder, unter uns gesagt, nicht ganz aufrichtig. Denn Sie wissen doch genau, daß ich damit sagen wollte, daß wir alle heute morgen nicht ganz glücklich über dieses Fußballspiel sind. Aber wenn wir schon darüber reden, sage ich Ihnen: phantastisch haben unsere Leute trotzdem gespielt.

(Beifall.)

Aber lassen Sie uns wieder zur Sache zurückkommen.

(Abg. Dr. Althammer: Ihre Regierung spielt aber ganz schlecht!)

— Ach, nun hören Sie doch auf! Man kann doch
hier wohl mal einen Witz machen. Wenn ich über



Hermsdorf (Cuxhaven)

Fußball rede, können Sie das doch nicht mit der
Regierung in Zusammenhang bringen. Sie sind doch
sonst nicht so. Was fehlt Ihnen denn heute morgen?

(Abg. Windelen: Die hat noch kein Tor geschossen, nur Eigentore! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Da irren Sie sich! Das werde ich Ihnen im Laufe der Diskussion noch beweisen. — Sie bringen mich hier nicht aus der Ruhe. Aber eines muß ich Ihnen hier noch sagen, Herr Windelen. Es hat sich alles geändert. Früher waren wenigstens die Haushaltleute bei den Beratungen noch in der Lage und gewillt zuzuhören. Heute sind sie das auch nicht mehr, da machen sie nur Krach.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Windelen: Das liegt nicht an uns!)

Wir kommen also jetzt wieder auf die sachlichen Darlegungen zurück, nämlich auf den Preisanstieg und auf das Kapitel, das hier gerade behandelt wird. Der derzeitige Preisanstieg — darüber gibt es gar keinen Zweifel, und das hat die Regierung niemals bestritten — ist uns so unangenehm wie Ihnen. Der Unterschied ist nur, daß Sie von Inflation reden und wir sagen, es ist ein Preisanstieg. Über die Ursachen sind wir uns einig. Nur über die Wege, wie wir den Preisanstieg bekämpfen sollen, sind wir unterschiedlicher Auffassung, und das muß hier wohl noch möglich sein. Nicht nur zwischen den politischen Parteien ist das so, sondern auch unter den Fachleuten gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Bekämpfung des Preisanstiegs. Das wollen Sie doch wohl auch nicht bestreiten. Machen Sie doch nicht aus jeder Sache gleich eine Weltanschauung!

(Beifall bei der SPD.)

Wir lehnen auf jeden Fall hektische Maßnahmen ab. Das wissen Sie ganz genau.

(Abg. Leicht: Wo ist denn hier noch Hektik? Seit Monaten reden wir darüber!)

— Das will ich Ihnen sagen. Die Hektik ist bei Ihnen. Sie leben nur von dem Lärm um den Preisanstieg und von nichts anderem. Genauso ist es heute morgen wieder, Herr Leicht.

(Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Wir haben hier in Ruhe Herrn Althammer angehört. Vielleicht könnten Sie das auch einmal tun.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606002500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0606002600
Herr Kollege Hermsdorf, nur eine Frage, da wir vom Preisanstieg sprechen: wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, was gerade jetzt die OECD zum Preisanstieg neu gesagt hat, nämlich 6,5 %, wenn nichts geschieht, und würden Sie vielleicht doch ernster nehmen, was Herr Klasen dazu gesagt hat?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606002700
Das ist hier im Hause immer so. Jeder zitiert gerade das, was ihm gefällt. Ich komme gleich zu Zitaten mit ganz anderen Aussagen. Sie haben ja auch gesehen, daß Daten, von welcher Seite sie auch gekommen sind, dann wieder korrigiert worden sind. Das ist nun einmal die Schwierigkeit, in der wir uns in der Volkswirtschaft befinden. Man kann nicht einfach das Steuer herumreißen: Jetzt gibt es diese Daten, jetzt muß man das tun und morgen jenes. Das ist in der Volkswirtschaft nicht möglich.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn Sie mich einmal ausreden lassen, will ich Ihnen nachweisen, was wir in dieser Frage alles getan haben. Im Anschluß daran können wir uns dann immer noch darüber unterhalten, ob wir zu einer gemeinsamen Auffassung kommen oder nicht; ich fürchte, nicht. Ich beziehe mich hier zum Beispiel auf den Ausdruck „Inflation", den Sie immer wieder in die Debatte bringen. Niemand bestreitet
— das habe ich auch gesagt —, daß es einen Preisanstieg gibt. Niemand bestreitet, daß etwas dagegen getan werden muß. Aber niemand bestreitet auch, daß das Realeinkommen der Arbeitnehmer wesentlich höher gestiegen ist als in irgendeinem anderen Jahr. Auch das muß hier einmal gesagt werden, damit klar ist, daß das Wort „Inflation" hier völlig fehl am Platz ist. Ich beziehe mich auf eine Erklärung des DGB, der gesagt hat, daß trotz einer wahrscheinlichen Preisrate von 4 % im Jahre 1970 die reale Verbesserung der Löhne wahrscheinlich bei 8 % liegt. So stark wie in diesem Jahr sind die Löhne überhaupt noch nie gestiegen, und das ist auch ein Erfolg dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Leicht: Das stimmt nicht in dieser Argumentation! — Abg. Haase [Kassel] : Und die Sparer und die Rentner? — Weitere Zurufe bei der CDU/CSU.)

— Sie bringen mich nicht aus der Fassung. Wenn Sie die Rentner erwähnen, dann lesen Sie doch einmal nach, wie die Renten in den letzten Jahren im Wege der Dynamisierung erhöht worden sind!

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Franke [Osnabrück]:: 5,5 % Rentenerhöhung und 6,5 % Preissteigerung macht minus 1! — Weitere Zurufe.)

— Was Sie sagen, ist auch nicht richtig. Sie müssen die Preissteigerung differenzieren und sehen, wie sie sich im einzelnen zusammensetzt.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Herr Präsident, ist es eigentlich möglich, hier Ausführungen zu machen, ohne daß man laufend von der Opposition unterbrochen wird?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606002800
Herr Abgeordneter, das ist durchaus möglich, wenn sich jeder im Saal an die Regeln der Geschäftsordnung hält.




Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606002900
Zur Geschäftsordnung gehört nach meiner Ansicht auch, daß man zuhört.

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606003000
Genau das hatte ich gemeint.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606003100
In dem Zusammenhang machen Sie uns einen weiteren Vorwurf, von dem Sie auch wissen, daß er nicht wahr ist. Sie sagen nämlich, es gebe einen Rückgang der Spareinlagen, und Sie lancieren diese Meldung am laufenden Band.

(Abg. Leicht: Das stimmt auch!)

— Sie wissen ganz genau, daß der Sparer inzwischen andere Wege der Geldanlage beschritten hat und daß er sich nicht nur, wie das früher der Fall war, auf das Kontensparen festlegt. Sie selbst haben die anderen Wege mit uns zusammen in diesem Hause propagiert. Das müssen Sie auch dazurechnen, wenn Sie von Spareinlagen reden, und Sie können nicht einseitig sagen, die Spareinlagen gingen zurück.
Nun kommen wir zur Frage der Haushaltssystematik hinsichtlich der Konjunkturdämpfung. Sie haben eine sehr massive Kürzung der Ausgaben urn 1,5 Milliarden DM vorgeschlagen, ohne konkret zu sagen, an welchen einzelnen Punkten diese 1,5 Milliarden DM gestrichen werden sollen. Wenn Sie das nun tun wollen, dann müssen Sie berücksichtigen: auf der einen Seite wollen Sie 1,5 Milliarden DM kürzen, dazu kommt noch Ihre Sperre mit 20 % oder die 300 Millionen DM; gleichzeitig bringen Sie aber eine Reihe von Gesetzesvorschlägen mit Kostenwirkung ein, die allein in diesem Jahr eine Mehrbelastung von rund 500 Millionen DM bedeuten, die sich bis zum Jahre 1973 verdreifacht. Dabei ist noch gar nicht eingerechnet, daß Sie einen Entwurf zum Kindergeld vorgelegt haben, der 1970 200 Millionen DM und 1971 sogar 1500 Millionen DM kosten würde. Weiter ist dabei nicht die Mehrbelastung von rund 860 Millionen DM eingerechnet, die die Einbeziehung der Selbständigen in die Sparförderung gebracht hätte. So geht das nicht. Sie können nicht auf der einen Seite 1,5 Milliarden DM kürzen, auf der anderen Seite aber kostenwirksame Gesetze einbringen, die größere Ausgaben zur Folge haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie das nun wieder nicht glauben, dann muß ich Ihnen einmal vorhalten, was Sie alles an kostenwirksamen Gesetzen vorgeschlagen haben: Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes, Fluglärmgesetz, Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes, zweimal Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes, Änderung der Kostenverteilung für die Olympischen Spiele, Änderung des Kindergeldgesetzes, Hochschulbauförderungsgesetz, Gesetz über die Altershilfe für Landwirte, Änderung des Gewerbesteuergesetzes, Nachversicherung landwirtschaftlicher Unternehmer, Ausbau und Neubau von Hochschulen, Städtebauförderungsgesetz, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, Beteiligungslohngesetz, Änderung des Einkommensteuergesetzes, Fortführung der Krankenversicherungsreform. Ich könnte die Skala fortsetzen.

(Anhaltende Zurufe von der CDU CSU,)

Sie müssen mir nur sagen, wie Sie das machen wollen: diese kostenwirksamen Gesetze zu beschließen und gleichzeitig Kürzungen vorzunehmen. Hier ist der Bruch in Ihrer Aussage, und hier ist die Unwahrhaftigkeit, mit der Sie Politik machen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Abg. Baier: Wir wollen keine Steuersenkungen!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606003200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606003300
Nein. — Anschließend will ich in diesem Zusammenhang noch auf folgende Inkonsequenz hinweisen. Sie kritisieren, daß — angeblich im Gegensatz zur Ära des Bundesfinanzministers Strauß — die investiven Ausgaben des Bundes nicht stark genug stiegen. Meine konkrete Frage an Sie lautet: Wie wollen Sie diese Steigerung gewährleisten, wenn Sie diese zwiespältige Haltung haben?
Ich könnte Ihr Sündenregister, meine Damen und Herren, in der Frage der Kursänderungen am laufenden Band fortsetzen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir uns ganz klar für Produktivität und für die Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität ausgesprochen haben. Zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität halten die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen des Bundestages es für notwendig — wie im Nachtrag zum Jahreswirtschaftsbericht 1970 dargelegt —, daß die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Dämpfung des Preisanstiegs ohne Abstriche beibehalten werden, solange keine neuen Daten vorliegen. Das gilt für die restriktive Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank, für die Konjunktursperren bei Bund und Ländern und für die Konjunkturausgleichsrücklagen ebenfalls von Bund und Ländern. Die geplanten Verbesserungen, die wir mit dem Steueränderungsgesetz 1970 verabschieden, werden im Jahre 1970 noch nicht nachfragewirksam. Zusätzliche Steuereinnahmen werden über die obligatorische Konjunkturausgleichsrücklage hinaus einer freiwilligen Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt. Das gilt ebenso — das wissen Sie genau, Herr Althammer — für Minderausgaben.
Im übrigen: So, wie Sie unseren Antrag hinsichtlich eines Sonderkontos darstellen, ist es nicht. Die Frage ist doch, ob Sie einen Auftrag an die Regierung geben wollen — und das ist der Inhalt unseres Entschließungsantrages —, restriktiv, soweit es geht, weiterzufahren und diese Mittel einem Sonderkonto zuzuführen, oder ob Sie von vornherein sagen: „Nein, wir setzen soundso viel im Betrag fest" — 1,5 Milliarden oder 500 Millionen zusätzlich, was Sie auch wollen —, aber nicht sagen, woher. Dann kann das ja irgendwie nur global erfolgen, und dann wird der Bundesfinanzminister aus der Situation heraus vielleicht sagen müssen: „Dies geht überhaupt nicht!"



Hermsdorf (Cuxhaven)

Deshalb haben wir hier keine Summe eingesetzt, sondern nur eine Aufforderung an die Regierung ausgesprochen.
Wir sind nach wie vor der Auffassung, auch wenn Sie dem widersprechen, daß der Bundeshaushaltsplan zum Zeitpunkt seiner Einbringung den konjunkturpolitischen Erfordernissen entsprochen hat.

(Abg. Baier: Da waren Sie aber allein mit dieser Auffassung!)

— Es möglich, daß wir allein sind. Aber so allein sind wir gar nicht, es gehören noch eine ganze Menge dazu; glauben Sie das, Herr Baier.

(Beifall bei der SPD.)

Das Volumen des Etats beträgt nunmehr 90,9 Milliarden. Bei Abzug der noch verbleibenden Sperren und der auf Sonderkonto stillgelegten Mittel beträgt die Steigerungsrate der Ausgaben 9,1 %. Sie liegt damit unter dem zu erwartenden nominalen Sozialproduktzuwachs von 12 %.
Mit 9,1 % bleibt nach unserer Auffassung das Wachstum des Haushalts in den Grenzen der vertretbaren öffentlichen Ausgabenpolitik.
Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt die mehrjährige Finanzplanung sehen, stellen Sie fest, daß wir aus Konjunkturgründen von der vorgesehenen 2,7-Milliarden-Sperre praktisch fast 2 Milliarden beseitigt haben, d. h. in eine Kürzung umgewandelt haben, und ich halte das für eine sehr starke restriktive Wirkung des Etats. Hier waren wir uns wenigstens einig.

(Abg. Baier: Sehr richtig!)

Ich weiß nicht, wieso das, obwohl wir uns einig waren, nun auch wieder so hingestellt wird, als sei das nichts. Ich meine, diese Kürzung um 2 Milliarden DM ist ein wesentlicher restriktiver Faktor in der Konjunkturpolitik gewesen.

(Abg. Leicht: Das ist ein Verdienst des Ausschusses, nicht der Regierung!)

— Das ganze Parlament hat das in der zweiten Lesung beschlossen.
Der nächste Punkt ist die Frage der Nettokreditaufnahme. Herr Althammer, hier stimmen die Zahlen, die Sie genannt haben, einfach nicht. Sie wußten ganz genau, daß der Voranschlag hieß, daß diese 2,5 Milliarden auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden sollen. Wir haben jetzt gekürzt. Das heißt, da praktisch nur noch 440 Millionen DM Konjunktursperre bestehen bleiben und wir wahrscheinlich weitere Steuermehreinnahmen haben, ist eine Nettokreditaufnahme im Jahre 1970 überhaupt nicht notwendig. Verdrehen Sie doch hier nicht die Tatsachen!

(Abg. Leicht: 300 Millionn!)

— Aber Entschuldigung — „300 Millionen". Nun vergleichen Sie da einmal die mittelfristige Finanzplanung. Wir haben jetzt 300 Millionen. Eingeschrieben in die mittelfristige Finanzplanung von Herrn Strauß waren für 1970 3,5 Milliarden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ist das nun ein Fortschritt, oder ist das kein Fortschritt?

(Beifall bei der SPD.)

Hier wird immer gesagt, man nehme das Stabilitätsgesetz nicht in Anspruch. Das ist völlig falsch. Wir haben eine ganze Reihe von Paragraphen des Stabilitätsgesetzes in Anspruch geommen. Im § 15 haben wir das Stabilitätsgesetz mit der Konjunkturausgleichsrücklage in Anspruch genommen, und zwar mit 1,5 Milliarden DM. Wir haben hier Steuermehreinnahmen von 1,6 Milliarden, von denen wir 1,5 Milliarden DM in die Konjunkturausgleichsrücklage und den Rest in ein Sonderkonto führen. Weiter noch zu erwirtschaftende überschüssige Gelder werden ebenfalls dem Sonderkonto zugeführt werden.
Jetzt will ich Ihnen aufführen: Wir haben nach § 4 des Stabilitätsgesetzes die D-Mark aufgewertet. Wir haben nach § 6 eine restriktive Haushaltsführung betrieben. Wir haben nach § 15 Gelder bei der Bundesbank stillgelegt. Wenn Sie jetzt noch mehr wollen, kann es sich nur um den § 26 handeln. Dann müssen Sie die Folgen sehen. Wenn Sie § 26 anwenden wollen, müssen Sie klar und konkret sagen, was Sie machen wollen; dann dürfen Sie nicht immer nur sagen: „Wir wollen ihn anwenden!", ohne zu sagen wie. Immer nur den Mund spitzen, ohne zu pfeifen — das geht nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Wer ist denn an der Regierung?—Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Sie haben uns, als wir in der Opposition waren, häufig, obwohl wir auch als Opposition sehr konkrete Vorstellungen hatten, vorgeworfen, wir hätten sie nicht. — Ich sehe gerade Herrn Erhard sitzen; der hat immer gesagt: „Ganz konkret will ich es wissen!" Und wir sind dann angetreten. Sie sind noch nicht mit konkreten Vorschlägen angetreten, das ist ganz klar.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606003400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606003500
Nein.
Schließlich soll die Bildungsanleihe 1970 in einer Größenordnung von 1 Milliarde DM aufgelegt werden. Auch das, was Sie hier gesagt haben, Herr Althammer, entspricht nicht ganz den Tatsachen. Auch Sie wissen genau — auch wenn Sie hier die Bestimmungen der Haushaltsordnung und des Haushaltsgesetzes zitieren —: es ist ganz klar ausgeführt worden, daß zu übersehen ist, daß 1970 diese Milliarde eventuell nicht voll aufkommt. Deshalb konnte man sie gar nicht haushaltsgesetzlich so verankern, wie Sie es verlangt haben. Falls sie in der genannten Höhe ausgebracht wird, kann sie in 1970 konjunkturwirksam, aber frühestens 1971 verausgabt werden.
Bei dieser konjunkturpolitischen Betrachtung des Haushalts sollte man die Zielsetzungen, die in diesem Haushalt noch vorhanden sind, nicht völlig



Hermsdorf (Cuxhaven)

überspielen, wie es hier versucht wird. Mein Kollege Seidel hat bereits hier in der zweiten Lesung den Versuch gemacht, einen Aufriß der gesellschaftspolitischen Leistungen dieser Regierung zu geben. Ich möchte dies heute noch einmal zusammenfassen. Es kann in diesem Hause nicht bestritten werden, daß Ziele nicht nur erklärt worden sind, sondern daß man auch den Versuch macht, hier schon im Haushalt 1970 diese Ziele Schritt für Schritt zu realisieren.
Erstens. Mit der Rentenanpassung in der Kriegsopferversorgung am 1. Januar 1970 und der vom Bundestag bereits beschlossenen Dynamik ab 1971 ist — das können Sie nicht bestreiten — ein Meilenstein für die sozialpolitische Gesetzgebung gesetzt worden.

(Beifall bei der SPD.)

Zweitens. Die Kindergeldleistungen, die seit 1964 der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr angepaßt wurden — ich wiederhole das, weil Sie ja lange Zeit und auch heute wieder in der Frage des Kindergeldes operieren: die sind seit 1964 nicht mehr angepaßt worden —, werden ab 1. September 1970 verbessert.
Drittens. Zum Ausgleich der Aufwertungsverluste erhält die Landwirtschaft 920 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt, 780 Millionen DM über die Mehrwertsteuerregelung. Das ist für den Haushalt ein Ausfall von Steuereinnahmen. Darüber hinaus
— auch das möchte ich sagen — haben wir trotz der zwangsläufigen Mehranforderung für die EWG-Marktordnung im Agrarhaushalt umgeschichtet, und die Beschlüsse des Haushaltsausschusses, die hier auch enstimmig gefaßt worden sind, haben eine wesentliche Verbesserung der nationalen Agrarstruktur erbracht, die zügig weiter vorangetrieben wird.
Viertens. Die Ausgaben für den Einzelplan 25
— Städtebau und Wohnungswesen — werden 1970 überdurchschnittlich gesteigert, und zwar um 25 %. Davon entfällt der größte Teil auf die Wohnungsbauprämien und das Wohngeld.
Fünftens. Kontinuierlich werden die Verkehrsausgaben für den Ausbau der verschiedenen Verkehrsträger im Hinblick auf eine optimale Verkehrsbedienung und ein ausgewogenes Verkehrswegenetz konsequent weitergeführt. Hier, Herr Kollege Althammer, haben Sie sich mit dem Beschluß des Haushaltsausschusses über die 200 Millionen DM beschäftigt, die freigegeben worden sind. Ich kenne den Briefwechsel, den sie angeführt haben, nicht. Ich habe auf jeden Fall Ihnen einen solchen Vorwurf nicht gemacht. Ich kann hier nur klarstellen, daß nach gemeinsamer Diskussion alle drei Fraktionen initiativ geworden sind, 200 Millionen DM für die konjunkturschwachen Gebiete freizugeben. Wir bitten das Finanzministerium und das Verkehrsministerium, zügig mit diesen 200 Millionen DM an die konjunkturschwachen Gebiete heranzugehen. Ich glaube, daß das eine gute Sache war, was hier das Haus beschlossen hat.
Sechstens. Eine weitere Priorität — die möchte ich nun doch ein bißchen darstellen, weil ich sie für die ernsthafteste halte, die wir nicht nur heute haben, sondern die wir in Zukunft fortsetzen müssen — betrifft den Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Der Haushaltsausschuß hat diese Zielsetzung durch seine Beschlüsse weiter verstärkt. Die Gesamtausgaben des Einzelplans 31 betragen im Soll 1970 2,8 Milliarden DM. Das ergibt gegenüber dem Ist 1969 eine Steigerungsrate von 26,6 %.
Lassen Sie mich mit Blick auf die Zukunft zum Bereich Wissenschaft und Bildung noch eine Bernerkung hinzufügen. Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche ihren in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 angekündigten Bericht zur Bildungspolitik vorgelegt. Er hat allgemeine Zustimmung gefunden, sowohl in der interessierten Öffentlichkeit als auch bei Sprechern der Opposition. Dieser Bericht gibt die Vorstellungen der Bundesregierung über Reform, Ziele und Ausbau aller Bildungseinrichtungen von der Vorschulerziehung bis zur Erwachsenenbildung wieder. Der „Volkswirt" kommentiert den Bildungsbericht der Bundesregierung mit den Sätzen: „Das Jahr der bildungspolitischen Aktivitäten erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt: zum erstenmal trägt eine Bundesregierung eine Gesamtkonzeption zur Bildungspolitik vor." Der Bericht beschönigt im übrigen nichts und weist auf die Fehlentwicklungen und Mißstände hin, die in der Vergangenheit durch unzureichende Planung entstanden sind.
Ich komme damit zu der Verpflichtung, die dieser Bericht uns Parlamentariern aufträgt. Der voraussichtliche finanzielle Bedarf der 80er Jahre beläuft sich — vorbehaltlich des noch zu erstellenden Bildungsgesamtplanes und des umfassenden Bildungsbudgets — auf jährlich 44 bis 59 Milliarden DM für Schulen und auf 26 bis 36 Milliarden DM für Hochschulen. Das sind zusammen 70 bis 95 Milliarden DM, denen gegenüber im Jahre 1969 vergleichsweise nur 23 Milliarden DM aufgewendet wurden. Es besteht für uns kein Zweifel, daß die Förderung der Wissenschaft und Bildung teuer wird.
Und damit komme ich zur Frage der Finanzierung, die zwei Wurzeln hat. Einmal ist zu fragen: Wie beteiligen sich Bund, Länder und Gemeinden an den Gesamtkosten? Zum anderen stellt sich die Frage: Wie können die erforderlichen Mittel durch Steuern und Anleihen überhaupt in dieser Höhe aufgebracht werden?
Gegenwärtig bringen die Länder und Gemeinden 84 % der notwendigen Mittel für den gesamten Bildungsbereich auf, der Bund nur 16 %. Wie diese Relation in Zukunft aussehen wird, ist eine der wichtigen Fragen, die zusätzlich zur Finanzreform gelöst werden müssen. Der zuständige Bundesminister für Wissenschaft und Bildung rechnet damit, daß der Anteil des Bundes in Zukunft ein Viertel bis ein Drittel der Aufwendungen in Höhe von nahezu 100 Milliarden DM im Jahre 1980 betragen werde. Das bedeutet für den Bund eine jährliche Ausgabensteigerung von zirka 2 Milliarden DM allein auf diesem Sektor.
Für die einzenlen Gebietskörperschaften wird dies ganz entscheidende Prioritätensetzungen in ihrer



Hermsdorf (Cuxhaven)

mittelfristigen Finanzplanung bedeuten. Außerdem werden von der Gesamtheit der öffentlichen Hände, aber vor allem von unseren Staatsbürgern erhebliche Anstrengungen, wenn nicht sogar Opfer verlangt werden. Über diese Finanzierungsmöglichkeiten wird noch eingehend zu beraten sein; darüber werden wir uns in diesem Hause noch oft Gedanken machen müssen. In der Diskussion sind bis jetzt — mehr oder weniger unverbindlich — die Erhebung einer Bildungsteuer, die Umlenkung des natürlichen Steuerzuwachses auf den Bildungsbereich und spezielle Anleihenfinanzierungen.
Sicher ist bereits heute, daß der notwendige überproportionale Ausgabenanstieg in diesem ganz wesentlichen gesellschaftspolitischen Bereich, der für die Zukunft die Produktivitätsfortschritte bestimmt, nur schrittweise verwirklicht werden kann. Als Signal, um die Bildungsreform rasch in Gang zu bringen und weiteren, nicht wiedergutzumachenden Zeitverlust zu vermeiden, hat das Parlament im Rahmen des Haushaltsgesetzes 1970 eine Ermächtigung zur Aufnahme einer ersten Bildungsanleihe bis zu einer Größenordnung von einer Milliarde DM beschlossen. Ich schließe mich dem Bildungsbericht an, in dem es heißt — ich zitiere —:
Ein Vergleich mit den erforderlichen Jahresgesamtbeträgen für den Anfang der 80er Jahre verdeutlicht, daß es sich hier nur um eine ergänzende Finanzierungsmaßnahme handeln kann.
Die Bundesregierung betreibt eine aktive, langfristige Wachstumspolitik. Es ist deshalb nicht möglich, in einer anhaltenden Hochkonjunktur das Haushaltsvolumen beliebig zu kürzen. Die Schere zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut würde sich noch weiter öffnen. Dies wäre ein Weg, den diese Regierung nach ihrer Regierungserklärung niemals gehen kann und wird. Wir, die Koalitionsfraktionen, sind entschlossen, der Bundesregierung für die erforderlichen und von ihr dargelegten inneren Reformen alle Unterstützung zu geben. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Regierung auf, ihren begonnen Weg konsequent und unbeirrt fortzusetzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0606003600
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst. Für ihn sind 30 Minuten Redezeit beantragt.

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606003700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Haushaltes 1970 in dritter Lesung- sieht in gewisser Weise auch eine Zäsur in der Arbeit dieses 6. Deutschen Bundestages dar. Immerhin, wenn wir morgen nach den Strapazen der vergangenen Wochen und Monaten in die ja wohl nicht unverdienten Ferien gehen, ist arbeitsmäßig das erste Jahr dieser Legislaturperiode praktisch abgeschlossen. Durch die Verabschiedung des Haushalts, der in der nächsten Woche wohl die Zustimmung im Bundesrat folgen wird, endet das hier häufig zitierte Kapitel der vorläufigen Haushaltsführung. Im übrigen — aber das möchte ich mir bis zum Schluß aufheben — meine ich, daß diese abschließende Haushaltsdebatte vielleicht auch eine Zäsur im Stil dieses Hauses einleiten sollte.
Ich habe im Februar bei der Einbringung des Etats zum Ausdruck gebracht, daß wir diesen Etat nach zwei Kriterien beurteilen werden: zum einen nach seiner konjunkturpolitischen Qualität und zum anderen nach den Schwerpunkten, die er setzt. Ich habe damals im Februar, als es nicht nur klimatisch kälter war, die Grenzen der antizyklischen Haushaltspolitik aufgezeigt; ich will das hier nicht wiederholen. Ich meine nur, daß auch die wochenlangen Beratungen im Ausschuß das, was ich damals dazu gesagt habe, bestätigt haben. Ich bin im Gegensatz zu dem, was hier direkt oder indirekt von anderer Seite behauptet wird, der Meinung, daß — ich betone das — auf dem Sektor der antizyklischen Haushaltspolitik das, was möglich war, geschehen ist und weiterhin geschieht.
Ich glaube, wir sollten — ich erwähne das, um-noch einmal in Erinnerung zurückzurufen, was ich damals hinsichtlich der Grenzen der Möglichkeiten gesagt habe — z. B. nicht übersehen, welche Bedeutung diese Sperren von 2,7 Milliarden DM, die dann in Höhe von 2 Milliarden DM in Kürzungen umgewandelt wurden, im Rahmen dieses Haushalts haben. Man darf als Bezugsgröße nicht das gesamte Haushaltsvolumen von rund 90 Milliarden DM nehmen. Das ist hier auch gar nicht geschehen; ich sage das nur, um es der Öffentlichkeit gegenüber noch einmal zu verdeutlichen. Wir alle wissen, wie weit dieses Haushaltsvolumen gar nicht beeinflußbar ist, weil es festgelegt ist. In dieser Hinsicht kann man praktisch nur die 15 Milliarden DM Investitionsvolumen ins Auge fassen. Wir haben im Rahmen von 2,5 Milliarden DM — 2 Milliarden Kürzungen und 500 Millionen DM weiter bestehende Sperren — konjunkturell gehandelt. Das ist doch ein ganz entscheidender Punkt.
Diese Streichungen von 2 Milliarden DM durchzuführen, war, wie ich meine, eine nötige harte und auch sehr politische Entscheidung. Sie ist, das sei noch einmal unterstrichen, im Haushaltsauschuß und auch hier in diesem Plenum einstimmig getroffen worden. Das erfordert meiner Ansicht nach auch — ich sage das bis zu einem gewissen Grade nur prophylaktisch —, daß man sich auch im einzelnen immer zu dieser Entscheidung bekennt und nicht eventuell jeweils nach Opportunität davon abrückt.
Wir haben als zweite Säule dieser antizyklischen Gestaltung des Haushalts die Konjunkturausgleichsrücklage in Höhe von 1,5 Milliarden DM, die, wie gesagt, nur das mindeste ist. Sie ist unter den sehr erschwerten Bedingungen, die für diese Konjunkturausgleichsrücklage gelten, festgelegt. Wir sind uns darüber hinaus zunächst einmal im Prinzip einig, alles, was sich an weiteren Haushaltsverbesserungen ergibt, stillzulegen. Wir sind uns in dieser Frage über den Weg nicht ganz einig.
Wir sind uns einig darin — das steht in dem Beschluß —, die heute schätzbaren weiteren Steuermehreinnahmen in Höhe von 100 Millionen DM einer freiwilligen Konjunkturausgleichsrücklage zu-



Kirst
zuführen und diese Position durch weitere Haushaltsverbesserungen — seien es nun weitere, heute noch nicht abschätzbare Steuermehreinnahmen oder andere Ursachen — zu speisen. Worin wir uns nicht einig sind — das dokumentieren die beiden unterschiedlichen Entschließungsanträge, auf die ich jetzt gleich eingehen darf, weil sie genereller Art sind —, ist die Frage der möglichen Quantifizierbarkeit. Wir sind unverändert der Meinung, daß es nicht richtig, nicht vertretbar ist, hier mit einer quantifizierten globalen Minderausgabe mit einem Ansatz von 1,5 Milliarden DM zu operieren. Wir haben darüber im Haushaltsausschuß im einzelnen diskutiert, und wir haben es ja auch in der zweiten Lesung zum Ausdruck gebracht.
Aber ganz so schlecht, Herr Althammer, wie Sie es vorhin sagten, kann ja wohl der Antrag der Koalitionsparteien auf Umdruck 38 nicht sein, denn wenn ich recht sehe, haben Sie ihn im Umdruck 65 abgeschrieben. So schlecht kann er also nun auch nicht sein.

(Abg. Leicht: Haben Sie unseren Antrag genau gelesen? Da ist ein kleiner Unterschied! — Abg. Dr. Althammer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Sie haben die Einleitung weggelassen, Herr Althammer, um Ihnen die Frage zu ersparen;

(Abg. Leicht: Das ist nicht der Kern!)

aber im Prinzip haben Sie ihn abgeschrieben. — Bitte schön!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0606003800
Herr Kollege Kirst, darf ich Sie fragen, ob Ihnen klar ist, daß wir Ihrem Antrag an sich zugestimmt hätten und keinen eigenen Antrag hätten stellen müssen, wenn in Ihrem Antrag nicht die Formulierung enthalten wäre „ .. . wie bisher konjunkturgerecht"? Das ist der Punkt, der uns gestört hat; sonst hätten wir in der dritten Lesung sogar einen gemeinsamen Antrag stellen können.

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606003900
Na, gut. Das will ich gern zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege Althammer; aber Ihre Kritik am Antrag hat sich natürlich — so war es vorhin zu verstehen — gegen die Methode gewandt.

(Abg. Leicht: Nein!)

Herr Kollege Althammer, Sie haben unter anderem vorhin gesagt — ich wäre jetzt ohnehin zu Ihnen gekommen —, der Haushaltsausschuß oder das Parlament habe überhaupt keinen Einfluß mehr auf die konjunkturgerechte Gestaltung des Haushalts. Das ist auch nur zu 50 % richtig, um es einmal so zu sagen. Es ist jedenfalls nicht korrekt, und es erweckt ein falsches Bild. Wir haben gerade vor 14 Tagen noch gemeinsam als Erfolg dieser Haushaltsberatungen festgestellt, daß, insoweit es überhaupt akut werden könnte, die noch vorhandenen Sperren zu entsperren, hier das Mitwirkungsrecht des Haushaltsausschusses festgelegt worden ist. Das wollen wir dabei nicht vergessen.
Herr Althammer, Sie haben bei Ihrer Kritik an diesem Haushalt, an der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik der Bundesregierung, die ja in Ihren Ausführungen einen sehr großen Raum eingenommen hat, einen heute in der „Welt" erschienenen Leitartikel zitiert, der anschließt an die Frontseite dieser Zeitung. Herr Althammer, um es gleich vorweg zu sagen: ich könnte den Artikel ganz vorlesen — so lang ist er nicht —; ich habe ihn ganz gelesen. Mir scheint aber doch der letzte Absatz interessant, den man dann, wenn man sich auf ihn bezieht, auch zitieren müßte. Er deckt doch im Prinzip zumindest manches von dem, was ich hier jenseits der aktuellen Problematik überhaupt grundsätzlich zur Frage einer staatlichen Konjunkturpolitik in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und in unserer internationalen Verflechtung gesagt habe. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten diese wenigen Zeilen zitieren:
In einem Lande mit frei austauschbarer Währung und festen Wechselkursen ist die autonome Bekämpfung von Preissteigerungen nahezu aussichtslos geworden, wenn die Umwelt so stark inflationiert. Wer da nach Stabilität ruft, muß ehrlicherweise zugeben, daß am Ende des konjunkturpolitischen Lateins wieder das Manipulieren mit dem Wechselkurs steht.
Ich will mich im Moment gar nicht mit dieser Schlußfolgerung identifizieren, sondern nur die generelle Feststellung, die in diesem letzten Absatz liegt, sozusagen Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen.

(Abg. Leicht: Das ist natürlich schlecht! Dann müssen Sie den ganzen Artikel zitieren!)

— Sehr geehrter Herr Leicht, ich habe ja, weil ich da erwartete, gesagt — vielleicht haben Sie nicht zugehört —, ich hätte ihn ganz gelesen und könnte ihn auch ganz vorlesen. Ich will das, was Herr Hermsdorf hier ausgeführt hat, nicht wiederholen. Man muß doch leider immer wieder feststellen, daß die CDU/CSU in ihrer Argumentation nach zwei Prinzipien verfährt. Um es einmal drastisch und hart auszudrücken: erstens nach der Parole „Haltet den Dieb!", indem sie eben ihre eigene Verantwortlichkeit für die derzeitige Situation nach wie vor ableugnet. Ich habe das hier wiederholt zum Ausdruck gebracht, ich möchte es nur der Ordnung halber noch einmal feststellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das zweite ist das „Kastanien-Prinzip", das der Herr Müller-Hermann hier vor 14 Tagen ganz offen zum Ausdruck gebracht hat. Herr Althammer, Sie haben vorhin, als Sie Herrn Minister Schiller zitiert haben — er wird sicher noch selbst darauf eingehen —, zwei Dinge durcheinandergebracht, vielleicht gar nicht in böser Absicht. Ich darf aber doch Ihr Gedächtnis ein wenig auffrischen. Sie haben gemeint, daß Ihre Anträge hier zum Haushalt eine Antwort wären auf die Frage, die wir Ihnen immer wieder gestellt haben und immer wieder stellen werden, nämlich was Sie denn konkret tun wollen. Diese konkrete Frage bezog sich ja auf das, was Sie im Rahmen der von Ihnen immer geforderten wirt-



Kirst
schaftspolitischen Maßnahmen zusätzlich zur antizyklischen Haushaltspolitik fordern. Da haben wir gesagt: Nennen Sie uns Roß und Reiter! Da haben wir gesagt: Verfahren Sie nicht nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach ihn nicht naß! Und da hat Herr Müller-Hermann — das steht ja nun im Protokoll — gesagt: Dazu sind wir nicht bereit; wir sind nicht bereit, für Sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ich mußte ihm dann sagen: Es sind ja Ihre eigenen Kastanien.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606004000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606004100
Bitte sehr!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0606004200
Herr Kollege Kirst, wären Sie, nachdem Herr Kollege Hermsdorf und Sie immer wieder diesen Punkt vorbringen, bereit, von mir die schriftliche Darlegung der sieben Punkte, die genau diese Fragen behandeln, entgegenzunehmen? Ich darf sie überreichen. —

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)


Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606004300
Vielen Dank, Herr Althammer. Ich kann das jetzt natürlich nicht lesen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Vorlesen!)

Aber wir kommen sicher darauf zurück. Ich bin sicher — weil Ihnen das so viel Spaß macht —, wir werden im September/Oktober hier weiterhin über Konjunktur reden. Notfalls reden wir eben vier Jahre darüber.

(Beifall hei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606004400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht? — Bitte!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0606004500
Vielleicht reden wir auch schon früher über die Konjunktur. Aber ich möchte eine Frage stellen, Herr Kollege Kirst: Würden Sie endlich zur Kenntnis nehmen, daß wir generell hier erklärt haben, sowohl mit unseren Anträgen als auch — wenn Sie bereit sind — mit Ihren Anträgen in dieser Situation zurückhaltend zu sein, bis andere konjunkturelle Voraussetzungen vorhanden sind, und würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, daß es für eine Opposition nicht einfach ist, in der vergangenen Woche zu beantragen und diesen Antrag morgen noch einmal zu wiederholen, auf 1 Milliarde DM Steuersenkungen zu verzichten?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606004600
Herr Kollege Leicht, Sie machen es sich ja dadurch einfach, daß Sie gleichzeitig eine Erhöhung des Kindergeldes beantragt haben und damit Ihrer Argumentation jede konjunkturpolitische Glaubwürdigkeit nehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. —Abg. Leicht: Das ist ein Deckungsvorschlag!)

Aber wir wollen nicht alles wiederholen, und wir wollen auch nach Möglichkeit nicht das, was wir morgen noch sagen werden, vorwegnehmen. Aber, Herr Leicht, ich darf ja nun auch — man mag es langsam nicht mehr immer wieder sagen;

(Abg. Leicht: Ich weiß: weil Sie so recht haben!)

das sind die tibetanischen Gebetsmühlen, die dann auf Gegenseitigkeit laufen müssen; das läßt sich nun einmal nicht ändern — das sagen, was ich Herrn Barzel hier vor vierzehn Tagen schon gesagt habe. Sicherlich, Herr Barzel hat sich hier hingestellt und hat gesagt: Wir machen diesen — ich habe es inzwischen modern formuliert — Gewaltverzicht hinsichtlich der Ausgaben. Aber im gleichen Atemzug geht Ihre Fraktion hin — Herr Hermsdorf hat angefangen, aus der Liste vorzulesen; ich habe sie auch da; ich will es Ihnen und uns ersparen, diese Liste Ihrer ausgabewirksamen Anträge vorzulesen — und stellt Anträge.

(Abg. Leicht: Das ist ihr gutes Recht! Wir können doch nicht auf Politik verzichten!)

Da liegt die Unglaubwürdigkeit und Unredlichkeit. Man kann nicht auf der einen Seite — —

(Abg. Leicht: Sie dürfen machen, wir nicht!) — Nein, Herr Kollege Leicht.


(Abg. Baier: Das ist doch ein Teil von Forderungen, die die Regierung aufgestellt hat. Das ist doch Verdummung, Herr Kirst!)

Das ist keine Verdummung, was wir machen.

(Abg. Leicht: Doch! Das ist noch mehr!)

Verehrter Herr Kollege Baier, ich halte es nun einmal für mit dem Gebot der intellektuellen Redlichkeit nicht vereinbar, auf der einen Seite als der globale Bremser erscheinen zu wollen und solche Verzichtsabkommen hinsichtlich ausgabewirksamer Entscheidungen vorzuschlagen,

(Abg. Leicht: Nehmen Sie uns doch beim Wort!)

auf der anderen Seite aber serienweise ausgabewirksame Anträge — Herr Schulhoff geht gerade spazieren, um für solche Anträge noch Stimmen zu sammeln — zu produzieren, um damit die Popularität in der Öffentlichkeit zu haben. Das ist eben auf die Dauer nicht drin.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Sie wollen uns doch gar nicht beim Wort nehmen!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606004700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baier?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606004800
Ich glaube, ich habe nicht so viel Zeit.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606004900
Wir legen die Zeit zu.

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0606005000
Herr Kollege Kirst, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen und hier bestätigen,



Baier
daß wir im Haushaltsausschuß in etwa 80 Fällen Kürzungsanträge gestellt haben, die Sie — die Regierungskoalition — abgelehnt haben?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606005100
Verehrter Herr Kollege Baier, das steht hier sogar, weil es Herr Althammer auch gesagt hat. Ich kann es vorwegnehmen. Sie haben etwa 80 Anträge gestellt.

(Abg. Leicht: Mit einem Volumen von 2,3 Milliarden DM!)

— Aber wenn wir einmal gemeinsam die Protokolle durchläsen, Herr Leicht, fänden wir zunächst einmal Dutzende von Anträgen — ich habe das schon vor 14 Tagen gesagt, aber ich kann es nicht ändern; wenn Sie immer wieder dasselbe behaupten, müssen wir immer wieder dasselbe wiederholen —,

(Abg. Leicht: Es kommt darauf an, wer recht hat!)

wo es um 10 000 oder 20 000 DM geht. Es sind Dutzende von Anträgen dabei, wo Sie eine Stelle nicht heben oder eine Stelle nicht bewilligen wollen.

(Abg. Baier: Die ganzen Verwaltungsbauten!) — Sicher!

Herr Althammer, Sie haben dann sehr geschickt gesagt, diese 80 Anträge ergäben eine Summe von 2 Milliarden DM. Herr Althammer, Sie werden mir nicht widersprechen: In dieser Summierung von 2 Milliarden DM sind natürlich die 1,5 Milliarden DM globale Minderausgaben und die 300 Millionen DM bei den Personalkosten mit drin.

(Abg. Leicht: Selbstverständlich!)

Das sind 1,8 Milliarden DM. Es bleiben also noch 200 Millionen DM. Ich sage es nur, damit nicht falsche Eindrücke entstehen.
Noch ein Wort zu dieser konjunkturellen Frage. Hier ist auch gesagt worden — und das mußte wohl so kommen —, jetzt würde vielleicht etwas geschehen. Nun, wir alle wissen nicht, wie die Dinge weitergehen. Das ist dabei ja das Problem. Ich möchte nur eines sehr deutlich sagen: Wenn — ich sage es sehr deutlich im Konjunktiv — irgend etwas be-beschlossen würde, dann nicht deshalb, weil die Wahlen vorbei sind, sondern weil sich möglicherweise — nochmals im Konjunktiv — die Daten geändert haben würden.
Ein Wort zur Bundesbank. Ich glaube, auch hier wird ein falscher Eindruck erweckt. Ich meine, man muß immer wieder betonen, daß es hier doch eine Übereinstimmung zwischen Bundesbank und Bundesregierung zumindest insoweit gibt,

(Abg. Leicht: Wo denn?)

daß diese Bundesregierung nicht wie frühere Regierungen sich öffentlich hinstellt und die Politik der Bundesbank als Fallbeil bezeichnet. So ist es ja auch geschehen.

(Abg. Leicht: War das in der Rückbetrachtung so unrecht?)

Ich möchte jetzt, soweit das nicht schon geschehen ist, noch etwas zu einigen Änderungsanträgen sagen.
Der Antrag Umdruck 65 ist bereits erledigt. Praktisch ist auch die Frage der Quantifizierbarkeit im Antrag Umdruck 61 bereits behandelt. Herr Kollege Althammer, hinsichtlich der Verstärkung der Personalausgaben beziehe ich mich auf das, was wir schon in der vorletzten Woche gesagt haben. Ich darf daran erinnern, daß der Kollege Röhner, als er diesen Antrag begründete, auf Adam Riese Bezug nahm, was geographisch mit seinem Geburtsort übereinstimmt, aber sachlich in dieser Frage nicht ziehen kann.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, daß für unsere Stellung zu diesem Haushalt zwei Kriterien entscheidend sein sollten: die Konjunkturgerechtigkeit und die Schwerpunkte. Ich kann hier nur wiederholen: Es ist eine ganz klare und selbstverständliche Erscheinung, daß der Haushalt 1970 und auch der Finanzplan 1970 noch nicht in dem wünschenswerten Umfang die veränderten Schwerpunkte der neuen Regierung zum Ausdruck bringen. Das war technisch und zeitlich einfach nicht möglich. Ich habe im Februar zum Ausdruck gebracht, daß wir davon ausgehen — wir sind sicher, daß es so sein wird —, daß sich diese neue Schwerpunktsetzung von Haushalt zu Haushalt und von Finanzplan zu Finanzplan mehr niederschlagen wird.
Ich wollte in einem Punkte gern noch auf das zurückkommen, was der Kollege Leicht in der zweiten Lesung zu Einzelplan 60 gesagt hat. Er hat hier der Regierung den Vorwurf einer leichtfertigen Schuldenpolitik gemacht. Zunächst einmal ist festzustellen, daß er seine Ausführungen — ich habe sie inzwischen nachgelesen — auf dem Finanzplan basieren läßt. Da ist, wie gesagt, festzustellen, daß dieser Finanzplan im Haushaltsausschuß überhaupt noch nicht beraten worden ist. Vielleicht sollten wir das möglichst nach den Sommerferien nachholen, damit man dann auch fundierter über den Finanzplan hier sprechen kann.
Wir sollten jedenfalls davon ausgehen — das gilt auch für diese Aussage zum Finanzplan hinsichtlich der möglichen Entwicklung der Schuldenpolitik, wobei ich im Prinzip auf das verweise, was ich hier vor 14 Tagen gesagt habe—, daß ja eine solche Finanzplanung mit allen Unwägbarkeiten letzten Endes belastet ist. Die Erfahrung spricht ja wohl dafür, daß die mögliche oder nötige Nettokreditaufnahme am Ende geringer ist, als sie erst einmal angesetzt werden muß, um die Rechnung auszugleichen.
Im übrigen ist die Finanzplanung politisch beeinflußbar, möglicherweise auch unter dem Gesichtspunkt, den Herr Leicht hier angesprochen hat. Nur muß man dann auch den Mut zu Alternativen haben, und die Alternative könnte dann nur heißen: weniger Leistungen oder mehr andere Einnahmen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas sagen. Wir sollten die konjunkturpolitische und wirtschaftspolitische Bedeutung des Haushalts nicht nur in bezug auf die aktuelle konjunkturpolitische Situation sehen, sondern wir sollten die konjunkturpolitische Wirksamkeit des Haushalts auch



Kirst
mittel- und langfristig sehen. Ich darf mich hier auf das beziehen, was mein Kollege Kienbaum wiederholt zum Ausdruck gebracht hat: daß man als eine ganz entscheidende Aufgabe zur Meisterung zukünftiger konjunktureller Situationen eine Verstärkung des Angebotssektors zu sehen hat. Hier sind auf dem Wege über die Gestaltung des Haushalts — ich darf nur die Möglichkeiten der Umschichtung z. B. von Erhaltungssubventionen zu Anpassungssubventionen und zu Strukturverbesserungen nennen — sicherlich allerhand Möglichkeiten gegeben. Wir meinen, daß sich in der gegenwärtigen Situation konjunkturpolitische und strukturelle Ursachen miteinander in Wirkung zeigen. Die Arbeitsmarktlage z. B., die sicher ein entscheidender Gesichtspunkt für unsere Konjunkturpolitik ist, kann nicht nur konjunkturpolitisch, sie muß auch strukturpolitisch gesehen werden. Wir erwarten jedenfalls, daß künftige Haushalte und künftige Finanzplanungen diesen Erfordernissen Rechnung tragen.
Ich habe im Februar hier unter anderem zum Ausdruck gebracht, daß wir es auch als eine Aufgabe der Haushaltsberatung ansehen, den Haushalt zu durchforsten. Ich gebe gern zu, daß wir hier vielleicht infolge der Zeitbedrängnis über die erste Ansätze nicht hinausgekommen sind. Aber wir haben im Haushaltsausschuß gemeinsam eine ganze Reihe von Vormerkposten für die nächsten Haushaltsberatungen aufgestellt. Ich darf nur daran erinnern, daß wir z. B. das gesamte Beiratswesen einmal einer sehr gründlichen, zusammenfassenden Prüfung unterziehen möchten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas allgemein Politisches sagen. Ich habe vorhin zum Ausdruck gebracht, daß ich es wünschen würde, daß diese Haushaltsberatungen auch eine Art Zäsur im politischen Stil dieses Hauses bedeuten könnten. Ich glaube, wir sind uns einig, daß die Auseinandersetzungen der letzten Wochen und Monate weder uns noch anderen Freude bereitet haben. Aber man muß dabei natürlich sehen, daß das letzten Endes zwangsläufig gelaufen ist. Um es einmal an einem Beispiel darzulegen, daß sicher sehr aktuell ist wir hätten es lieber gehört, wenn wir in der Nacht ein anderes Ergebnis erzielt hätten —: Ich meine, man muß das, was auch in der Öffentlichkeit sehr kritisch über den Stil dieses Parlaments in den letzten Wochen gesagt worden ist, so sehen, daß eine Mannschaft — und das ist nun einmal die CDU/CSU — auf das Spielfeld gekommen ist nach der Devise, wie es so schön heißt: Erst den Mann und dann den Ball.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dann, meine Damen und Herren, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Gegenpartei — das ist die Koalition — auch nicht gerade den FairneßPreis verdienen kann. Das liegt dann so im Spielsystem. Sie sollten auch sehen, daß versteckte Fouls besonders wehtun. Ich möchte das nicht weiter ausführen. Wir sollten aber aus dem Echo in der Öffentlichkeit nicht zuletzt die Schlußfolgerung ziehen — und hier gebrauche ich einen anderen vielzitierten Begriff —, daß für uns alle die kommende Sommerpause auch eine Denkpause sein sollte.

(Abg. Leicht: Vor allem für die FDP!)

Denn, meine Damen und Herren, wir glauben, daß diese Art am Ende niemandem von uns allen nützt, aber bestimmt der Demokratie schadet. Sie schadet bestimmt auch der Funktion des Parlaments. Ich meine, die Opposition versündigt sich an der parlamentarischen Aufgabe, wenn sie durch ihre Taktik — die Reaktion ist dann zwangsläufig — die Koalition allein in die Rolle einer Schutztruppe der Regierung hineinmanövriert. Wir sind durchaus bereit — ich glaube, das darf ich für beide Koalitionsfraktionen sagen —, die doppelte Funktion des Parlaments zu sehen. Aber die Opposition versperrt diesen Weg; zur Zeit jedenfalls.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baier: Ganz schön arrogant!)

Ich meine, daß die gestrige Rede des Herrn Bundeskanzlers — es ist ja so oft von Vorleistungen gesprochen worden — eine Vorleistung für einen besseren Stil in diesem Parlament war.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Leider ist das von der CDU/CSU — ich sage einmal vorsichtig — bisher nicht honoriert worden. Ich habe die bescheidene Hoffnung, daß sich eine konservative Partei vielleicht nicht so schnell anpassen kann, daß die Wirkung aber vielleicht später noch erfolgt.
Herr Althammer hat hier mit einer negativen Bilanz dieser Regierung geschlossen. Er weiß genau, daß das nicht stimmt.

(Lachen in der Mitte. — Abg. Leicht: Da klatschen selbst Ihre Freunde nicht! — Abg. Baier: Das müssen Sie ja wissen!)

Wir werden die Geduld, die Nerven und die Ausdauer haben, bis die Erfolge dieser Regierung, die heute schon angelegt sind und von Monat zu Monat sichtbarer werden, so deutlich werden, daß auch Sie sie nicht mehr hinwegdiskutieren können.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baier: Sie sind aber ein Optimist! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606005200
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0606005300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1970, wie er sich heute zur dritten Lesung in diesem Hause darstellt, weist einige Änderungen gegenüber dem Entwurf auf, den ich am 18. Februar dieses Jahres vorgelegt habe. Ich gab damals an dieser Stelle für die Bundesregierung der Überzeugung Ausdruck, daß es uns gelungen ist, mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 1970 den Erfordernissen der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft zu entsprechen, und daß dieses Budget gleichzeitig das Startzeichen für die inneren Reformen setzt, die sich diese Regierung vorgenommen hat. Diese Kennzeichnung gilt für die jetzt zur



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Beschlußfassung anstehende Fassung des Haushaltsplans unverändert. Bei den Korrekturen, die vorgenommen wurden, besteht volle Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung und den Fraktionen der Koalitionsparteien.
Die Änderungen beruhen im wesentlichen auf der inzwischen erkennbar gewordenen Entwicklung seit Vorlage des Regierungsentwurfs. Das ist ein durchaus normaler Vorgang, der sich in jedem Jahr zwischen Einbringung und Verabschiedung des Haushalts wiederholt.
Lassen Sie mich diesen Haushalt zum Abschluß unserer Beratungen noch einmal mit wenigen Strichen charakterisieren.
Der Bundeshaushalt 1970 stand und steht unter dem besonderen Zwang, den Erfordernissen einer konjunkturellen Dämpfung der Wirtschaftsentwicklung Rechnung tragen zu müssen. Deshalb ist das Ausgabenwachstum auf das unter dem Aspekt der Leistungserfüllung gerade noch vertretbare Maß herabgedrückt worden.
Erstens. Das Haushaltsvolumen wird demgemäß lediglich um 9,1 v. H. steigen — die Aufrechterhaltung der noch vorhandenen Konjunktursperren unterstellt —, während für 1970 eine Steigerung des Sozialproduktes von 12,5 v. H. erwartet wird.
Zweitens. Überdies ist bereits in diesem Bundeshaushalt ein Finanzierungsüberschuß von 1,6 Milliarden DM ausgewiesen. Von den höheren Steuereinnahmen werden 1,5 Milliarden DM der obligatorischen Konjunkturausgleichsrücklage und 100 Millionen DM einer zusätzlichen Rücklage bei der Deutschen Bundesbank zugeführt. Die endgültige Höhe der zusätzlichen Rücklage wird sich aber erst am Jahresende ergeben und sicherlich höher sein; denn wir sind bereit, Einsparungen auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts dieser Rücklage zuzuführen.
Drittens. Ein weiteres antizyklisches Element der gegenwärtigen Finanzpolitik ist die Umwandlung von Sperren in Kürzungen, nachdem sich gezeigt hat, daß die für die Aufhebung der Haushaltssperren erforderliche konjunkturelle Situation nicht mehr zu erwarten ist. Von den ursprünglich im Haushalt gesperrten Ausgaben in Höhe von 2,7 Milliarden DM sind Maßnahmen von rund 2 Milliarden DM endgültig gestrichen worden. Nach der Freigabe von 215 Millionen DM für Anschlußaufträge im Straßenbau und Maßnahmen der Strukturförderung bleiben jetzt noch 440 Millionen DM gesperrt. Ihnen steht zur Zeit eine Kreditermächtigung von rund 300 Millionen DM gegenüber. Es ist aber anzunehmen, daß auch diese Kreditermächtigung bei Fortdauer der jetzigen Konjunkturlage nicht ausgenutzt wird.
Viertens. Der Einzelplan 60 sieht einen Leertitel vor, in dem der Ertrag der aufzulegenden Bildungsanleihe im Verlauf des Haushaltsjahres veranschlagt werden wird. Die zu erwartenden Beträge werden nicht in diesem Jahr ausgegeben werden, sondern sie stehen erst für das Haushaltsjahr 1971 zur Verfügung.
Die Bundesregierung wird diesen Haushalt, den sie konjunkturgerecht aufgestellt hat, auch konjunkturgerecht vollziehen.
Ich begrüße ausdrücklich den von den Fraktionen der SPD und FDP gemeinsam zum Einzelplan 60 eingebrachten Entschließungsantrag, wonach die Bundesregierung ersucht wird, den Haushaltsvollzug wie bisher konjunkturgerecht zu gestalten und alle entstehenden Haushaltsverbesserungen zusätzlich der freiwilligen Rücklage zuzuführen. Diese Entschließung deckt sich voll mit meinen eigenen Absichten.
Die Bundesregierung hat im Konjunkturrat und im Finanzplanungsrat auf ein gleichgerichtetes finanzwirtschaftliches Verhalten der Länder und Gemeinden hingewirkt. Der bisherige Gang der Beratungen in diesen Gremien und die bei den Ländern und Gemeinden erkennbar gewordenen Entscheidungen hinsichtlich ihrer Haushaltsführung rechtfertigen die Erwartung, daß sich die öffentliche Hand im ganzen nach dem Beispiel des Bundes konjunkturgerecht verhalten wird.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben in Reden, Anträgen und auch heute Kritik an der Durchführung des Bundeshaushalts in den ersten Monaten dieses Jahres geübt. Ich hatte wiederholt Gelegenheit, auf Ihre unberechtigten Vorwürfe einzugehen, und will deshalb nur noch folgendes erklären.
Nachdem in den ersten vier Monaten ein Finanzierungsüberschuß von 126 Millionen DM erwirtschaftet worden ist, die Konjunkturausgleichsrücklage von 750 Millionen DM aus laufenden Einnahmen finanziert wurde, zu Jahresbeginn bestehende Kassenkredite bei der Deutschen Bundesbank in Höhe von fast 1,9 Milliarden DM abgebaut werden konnten und das von Ihnen so scharf kritisierte Hinterlegungskonto für EWG-Zahlungen bei der Deutschen Bundesbank von 1,4 Milliarden DM zu Jahresbeginn auf nunmehr 445 Millionen DM reduziert wurde, haben wir am 16. Juni 1970 einen Kassenbestand von 1 816 790 000 DM bei der Deutschen Bundesbank. Wir werden deshalb auch die zweite Rate der Konjunkturausgleichsrücklage bis zum 30. Juni 1970 aus laufenden Einnahmen zahlen.
Einige Worte, meine Damen und Herren, zu dem Entschließungsantrag der Opposition auf Umdruck 37. Danach soll der Bundesrechnungshof dem Hohen Hause über die Ordnungsmäßigkeit von Zahlungen und Buchungen berichten, die im Jahre 1970 noch zu Lasten des Jahres 1969 erfolgt sind. Ich habe zu diesen Ausgaben in meiner Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Dr. Pohle und Genossen — Drucksache VI/848 — ausführlich Stellung genommen und darauf hingewiesen, daß die Zahlungen im abgelaufenen Haushaltsjahr fällig waren und demzufolge entsprechend der Vorschrift des § 72 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung gebucht wurden. Zur rechtlichen Seite des Entschließungsantrags darf ich bemerken, daß nach den Vorschriften über die Rechnungsprüfung der Bundesrechnungshof jederzeit die Befugnis hat, Angelegenheiten von besonderer Bedeutung zu prüfen



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
und darüber den gesetzlichen Körperschaften zu berichten. Hierzu bedarf es jedenfalls keines besonderen Ersuchens des Deutschen Bundestages.
Trotz der wirtschaftlich gebotenen Ausgabenbegrenzung hat die Bundesregierung bereits jetzt wesentliche Teile der von ihr angestrebten inneren Reformen in Angriff genommen. Ich will darauf verzichten, den breiten Fächer der eingeleiteten inneren Reformen erneut vor Ihnen auszubreiten, nachdem dies während der zweiten Lesung der Herr Bundeskanzler selbst getan hat. Ich möchte aber ausdrücklich darauf verweisen, daß die Bundesregierung trotz der Einengung durch die antizyklische Finanzpolitik bei wichtigen Ansätzen erhebliche Fortschritte gegenüber der Vergangenheit aufzuweisen hat.
Herr Kollege Dr. Althammer hat die Veranschlagung der Bildungsanleihe als einen Verstoß gegen den Grundsatz des Art. 110 des Grundgesetzes erklärt und darauf hingewiesen, daß nach diesem Artikel — ich zitiere — alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustellen sind. Ich meine, es ist notwendig, zu diesem neuen Vorwurf, der — jedenfalls Wissens — jetzt in der dritten Lesung zum erstenmal von seiten der Opposition erhoben worden ist, kurz Stellung zu nehmen. In dem Entwurf des Bundeshaushalts 1970 ist bei Kap. 32 01 Tit. 325 14 für Kreditaufnahmen für besondere Zwecke im Zusammenhang mit der Steigerung der Investitionen im Hochschulbereich sowie zur verstärkten Förderung der Forschung ein Leertitel vorgesehen, da nicht feststeht, ob und in welcher Höhe noch in diesem Jahre eine Bildungsanleihe aufgelegt werden kann und entsprechende Einnahmen dem Bundeshaushalt zufließen. Auf der Ausgabenseite ist bei Kap. 60 02 Tit. 919 01 für die Zuführung der Einnahmen aus der Bildungsanleihe an eine Sonderrücklage ebenfalls ein Leertitel vorgesehen mit dem Haushaltsvermerk, daß die Zuführung nur nach Maßgabe der Ist-Einnahmen aus dem vorerwähnten Titel bei Kap. 32 01 erfolgen darf. Dementsprechend sind in der Finanzierungsübersicht und im Kreditfinanzierungsplan bei der Stelle „Einnahmen aus Krediten" keine Beträge der Höhe nach angegeben. In der Finanzierungsübersicht darf nur die Kreditaufnahme betragsmäßig ausgewiesen werden, die auch im Haushaltsplan mit entsprechenden Beträgen veranschlagt ist. Wenn Sie sich über diese haushaltstechnische Frage näher informieren wollen, darf ich Sie bitten, die Positionen unter 4101 der Finanzierungsübersicht und 1102 des Kreditfinanzierungsplans nachzulesen.
Aus dem, was ich gesagt habe, folgt, deß von einem Verstoß gegen den Grundsatz des Art. 110 des Grundgesetzes, alle Einnahmen und Ausgaben zu veranschlagen, nicht gesprochen werden kann. Die Zweckbindung von Einnahmen an bestimmte Ausgaben ist in § 8 Satz 2 der Bundeshaushaltsordnung ausdrücklich vorgesehen. Das bedeutet als Ausnahme keinen Rückfall in das System der alten Reichshaushaltsordnung.
Meine Damen und Herren, ich habe Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg schon bei der zweiten Lesung darauf hinweisen müssen, daß er mit den Ausführungen des Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Emminger, nicht sehr sorgfältig umgegangen ist. Herr Dr. Stoltenberg hat dann geglaubt, einen neuen Kronzeugen gegen die Bundesregierung gefunden zu haben. Er behauptet in seinem Beitrag im „Deutschland-Union-Dienst" vom 5. Juni 1970, daß der Präsident der Deutschen Bundesbank, Herr Dr. Klasen, in einem Interview mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen die Bundesregierung nachdrücklich aufgefordert habe, die Deutsche Bundesbank bei ihren Stabilitätsbemühungen tatkräftiger zu unterstützen. Eine solche Forderung hat der Präsident der Deutschen Bundesbank in diesem Interview nicht erhoben. Er zeigte vielmehr die Gefahren der gegenwärtigen Situation auf. Wenn Sie den Nachtrag zum Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung sorgfältig lesen, finden Sie, daß auch dort auf diese Gefahren sehr eindringlich hingewiesen worden ist. Tatsächlich hat Herr Dr. Klasen ausgeführt, daß, wenn sich die Preisentwicklung wie in den vergangenen Monaten fortsetzt, unbedingt weitere Maßnahmen getroffen werden müssen.
Das ist aber, meine Damen und Herren, genau auch die Position der Bundesregierung. Nicht zuletzt die Beratungen in diesem Hohen Haus haben die Tatsachen über den Bundeshaushalt 1970 deutlich werden lassen, an die sich die Bürger unseres Landes halten sollten. Ich meine, daß die Steuerzahler, die Verbraucher und die Sparer mit dem Gesamtbild, das sich für sie aus dem Zahlenwerk des Bundeshaushalts ergibt, zufrieden sein können. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mögen es für Ihre Pflicht halten, Ihr Soll an Kritik und Ablehnung zu erfüllen. Wir, die wir die Regierungsverantwortung tragen, werden uns dadurch nicht beirren lassen. Sie werden uns nicht durch unproduktive Wiederholungen Ihrer Behauptungen und Ihrer Fehlinterpretationen klarer Fakten von dem Weg abbringen, den wir mit Besonnenheit und nach sorgfältiger Prüfung als den richtigen erkannt haben,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

den Weg finanzieller Solidität, wirtschaftlicher Stabilität,

(Oho-Rufe von der CDU/CSU)

wachsenden Wohlstandes für alle, den Weg zu sozialem und gesellschaftlichem Fortschritt durch innere Reformen, den wir mit diesem Bundeshaushalt 1970 aufgezeichnet haben und den unbeirrt weiterzugehen wir fest entschlossen sind.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß ich keine vorausschauenden Bemerkungen zum Haushalt 1971 machen kann, daß ich aber natürlich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen habe, daß Herr Kollege Althammer auf Vorstellungen zurückgegriffen hat, die ich im November 1966 hier im Hohen Hause in einer sehr kritischen Situation vorzutragen Gelegenheit hatte, als ich nämlich auf eine neue Konstruktion, den Kernhaushalt und den Eventualhaushalt, eingegangen bin.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich dem Deutschen Bundestag, insbesondere aber dem



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Haushaltsausschuß, für die zügige Beratung des Bundeshaushalts 1970 den Dank der Bundesregierung und meinen persönlichen Dank als Bundesfinanzminister aussprechen. Ich beziehe in den Dank alle ein, die dazu beigetragen haben, daß wir heute in dritter Lesung den Bundeshaushalt 1970 verabschieden können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606005400
Damit liegen zur allgemeinen Aussprache keine weiteren Wortmeldungen vor. — Eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0606005500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Finanzen hat soeben in seinen abschließenden Bemerkungen Kritik an den Ausführungen geübt, die ich hier im Deutschen Bundestag und in einer Veröffentlichung dm Deutschland-Union-Dienst über die Stellungnahme der Bundesbank zur Politik der Bundesregierung gemacht habe. Herr Bundesminister der Finanzen, ich halte meine Interpretation der Ausführungen des Präsidenten der Bundesbank in vollem Umfange aufrecht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte Ihnen aus dem zugrunde hegenden Interview vom 4. Juni im Zweiten Deutschen Fernsehen die entscheidenden Sätze verlesen. Der Präsident der Bundesbank hat in diesem Interview Verschiedenes !gesagt und nicht nur das, was Sie in einer etwas einseitigen Auswahl seinen Antworten entnommen haben. Auf die Frage, ob er es für 'sehr geschickt halte, !daß die Bundesregierung zur Zeit stets eine Vollbeschäftigungsgarantie gebe, obwohl das Problem der Arbeitslosigkeit überhaupt nicht bestehe, hat er ganz klar — ich zitiere seine Antwort — ausgeführt:
Ich glaube, das lerklärt isich daraus, daß die Politiker, die sich gern um Dämpfungsmaßnahmen, von denen sie glauben, daß sie unpopulär wären, drücken möchten, als Gegenargument auf die Arbeitslosigkeit hinweisen, weil das ein Argument ist, von dem sie sich eine gewisse Wirkung versprechen.
Ich glaube, daß das eine ungewöhnlich scharfe Kritik an der Haltung und der Argumentation der Bundesregierung ist, mit der sie sich auseinandersetzen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Er hat zum anderen sehrdeutlichgesagt:
Meines Erachtens befindet sich die Bundesrepublik im Augenblick in einer schwierigen Situation, und die Gefahr der Inflation ist unmittelbarer als die Gefahr der Stagnation.
Er hat zum dritten hinzugefügt, daß er persönlich das Mittel steuerpolitischer Maßnahmen für angemessen halte. Insofern ist es, glaube ich, richtig, wenn man diese zwar abgewogenen, aber deutlichen Ausführungen des Präsidenten der Bundesbank in
eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik
Ihrer Regierung ,so einführt, wie ich es getan habe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben zum zweien, wie neulich schon einmal in meiner Abwesenheit, Bezug genommen auf eine Äußerung von Herrn Emminger, die ich hier zitiert habe. Ich habe diese Ausführungen des Herrn Vizepräsidenten Emminger in einer unmittelbaren Replik auf Ausführungen des Kollegen Schiller auf Grund von Agenturberichten !in den Morgennachrichten angeführt. Diesen Agenturberichten zufolge hat Herr Emminger erklärt, daß wir seit 1950 die größten Gefahren für die Wirtschaftslage hätten. Ich 'stehe nicht an, Ihnen zu sagen, daß sich nach der Lektüre des Wortlautes in der Tat herausstellt, daß diese Agenturmeldungen in einem Punkte ungenau waren: Herr Emminger hat nicht von den 'größten Gefahren für die Wirtschaftslage gesprochen, sondern von den größten Gefahren für den Geldwert. Insoweit akzeptiere 'ich die Korrektur meines Zitats, das aber auf Agentur- und Zeitungsmeldungen zurückging, aus denen wir ja alle weitgehend unsere Kenntnisse ziehen müssen.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

Ich glaube, Herr Möller, daß gerade die Rede von Herrn Emminger in Kiel und die Äußerung des Präsidenten der Bundesbank wenig Anlaß geben, weiter die Haltung einzunehmen, die Sie heute hier erneut vertreten haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube auch nicht, daß Sie so sprechen sollten, ohne die heutigen Zeitungsmeldungen einzubeziehen, denen zufolge — und das ist bisher ja nicht dementiert worden — in diesen Tagen die Bundesbank und vor allem auch ihr Präsident in einer noch dramatischeren Weise als bisher Sie aufgefordert haben, aus Ihrer Untätigkeit herauszutreten und die Bundesbank zu entlasten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Es wäre gut, wenn Sie — es wird ja morgen bei der Beratung des Steueränderungsgesetzes Anlaß dazu sein — dem Hohen Hause nun ganz klar sagten, was Sie denn hinter verschlossenen Türen innerhalb der Koalition und der Regierung über Steuervorauszahlungen und -erhöhungen noch kontrovers besprechen, während Sie zu gleicher Zeit in diesem Hause Steuersenkungen vorschlagen und insoweit die tiefgreifenden Widersprüche der Politik dieser Regierung immer stärker deutlich machen.

(Beifall bei der CDU CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606005600
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0606005700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Rede von Herrn Emminger und deren Auslegung möchte ich mich nach den hier soeben von Herrn Kollegen Stoltenberg abgegebenen Erklärungen nicht noch einmal äußern.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Aber was das Interview des Herrn Präsidenten Klasen angeht, meine ich, daß man nicht versäumen sollte, aus denn Interview den Kernsatz zu zitieren, wenn man auf die augenblickliche Situation und unser Verhalten zu sprechen kommt.
Die entscheidende Frage in diesem Interview war nämlich die folgende. Ich möchte einschalten, meine Damen und Herren, daß ich mich hier auch auf den Wortlaut des Interviews beziehe, das mir von Herrn Klasen selber mit dem Hinweis übermittelt worden ist, daß wieder manches in der Öffentlichkeit falsch zitiert worden sei — im Schreiben vom 13. Juni teilte mir das Herr Klasen mit — und dadurch „das ganze Interview" — ich zitiere wörtlich — „eine falsche Akzentuierung erhalten" habe.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Der Kernsatz, meine Damen und Herren — warum zitieren Sie den eigentlich nicht? —,

(Abg. Dr. Barzel: Wir können doch nicht aus eine Sache zitieren, die nur Sie haben!)

ergibt sich aus folgender Frage:
Reichen die bisherigen Dämpfungsmaßnahmen der Regierung Ihres Erachtens aus, oder müßte sie weiteres tun, etwa weitere Haushaltseinsparungen, Steuervorauszahlungen oder die Erschwerung der steuerlichen Abschreibungen auf Investitionen?
Das ist doch eigentlich die Frage, die uns hier bewegt und die Sie ja ebenfalls heute mindestens angedeutet haben.
Die Antwort, die Herr Klasen gegeben hat, lautet wie folgt:
Ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, das soll sich ja nach dem Willen der Bundesregierung und nach deren Erklärung in den nächsten Monaten herausstellen.

(Lachen bei der CDU CSU. — Abg. Windelen: „Nach dem Willen der Bundesregierung" !)

— Meine Damen und Herren, ich zitiere Herrn Klasen. Ich habe bisher angenommen, daß Sie nicht über Herrn Klasen lachen. —
Wenn sich ergeben sollte, daß sie nicht ausreichen, dann wird man neue Maßnahmen auf Grund des Stabilitätsgesetzes ergreifen müssen — und Sie haben eben alle Maßnahmen aufgezählt, die auf Grund dieses Gesetzes möglich sind , und die wird man jede überprüfen müssen.
Das ist also der Kernsatz.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Den dritten Satz sollten Sie auch noch zitieren!)

Ja; es geht dann noch weiter: „Sie wissen, daß ich persönlich ein Anhänger einer erhöhten Steuervorauszahlung bin."

(Aha-Rufe bei der CDU, CSU.)

— Ja, warum soll er das nicht sein?

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum lesen Sie das jetzt erst vor? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich persönlich halte die Steuervorauszahlungen in einer gewissen konjunkturpolitischen Situation für ein geeigneteres Mittel als den Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ich bedaure sehr, daß wir diese Möglichkeit bisher im Stabilitätsgesetz nicht haben, daß wir eine sehr viel drakonischere Maßnahme, nämlich den Zuschlag, durch eine Rechtsverordnung einführen können, daß wir aber eine leichtere, anpassungsfähige Maßnahme im Hinblick auf die Konjunktursituation, nämlich eine Steuervorauszahlung, nur mit einem Gesetz treffen können.

(Abg. Stücklen: Vorlegen! Warum kommen Sie mit diesem Gesetz nicht?)

Also darüber soll man sich da nicht den Kopf zerbrechen.
Herr Klasen sagt:
Sie wissen, daß ich persönlich ein Anhänger einer erhöhten Steuervorauszahlung bin, mit der Maßgabe, daß diese Vorauszahlung eines Tages angerechnet wird. Ich wäre für diese Maßnahme, da ich glaube, daß sie, da sie für alle Beteiligten zurückfließt, diejenige ist, die die wenigsten Opfer erfordert, aber ganz ohne Opfer wird es natürlich für jeden einzelnen nicht ausgehen können.
So die durchaus realistische Stellungnahme des Bundesbankpräsidenten, auf die sich jeder hier im Hause bei seinen weiteren Überlegungen berufen kann.

(Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606005800
Weitere Wortmeldungen liegen zur allgemeinen Aussprache nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache und darf Ihnen jetzt zunächst zum weiteren Verfahren folgendes sagen.
Erstens. Heute mittag wird durchgetagt, und es finden auch während der Mittagspause Abstimmungen dort statt, wo bei den Einzelplänen, die aufgerufen werden, Änderungsanträge vorliegen.
Zweitens. Ich gebe noch einmal bekannt, daß die Fragestunde heute nicht abgehalten wird. Statt dessen findet morgen früh um 8 Uhr eine Fragestunde mit den heute anstehenden Fragen statt. Im Anschluß an die morgige Sitzung folgt dann die zweite Fragestunde. Morgen also zwei Fragestunden, die erste von 8 bis 9 Uhr, die zweite zum Abschluß der morgigen Sitzung.
Dann mache ich auf folgendes aufmerksam. Zu acht Einzelplänen liegen Änderungs- bzw. Entschließungsanträge vor. Nur diese Einzelpläne werden aufgerufen. Über die Änderungsanträge wird bei dem betreffenden Einzelplan abgestimmt, über die Entschließungsanträge nach Schlußabstimmung der



Präsident von Hassel
dritten Lesung. Ich darf Sie bitten, das zu beachten. Wenn Entschließungsanträge zu begründen sind, geschieht das bei dem Einzelplan, zu dem sie gehören und zu dem sie aufgerufen werden.
Ich rufe also den ersten Einzelplan auf, zu dem Änderungsanträge vorliegen. Das ist der Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt. Dazu liegt auf Umdruck 57 *) ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Zu diesem Antrag — nicht zu seiner Begründung — hat der Abgeordnete Dr. Althammer das Wort.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0606005900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine Geschäftsordnungsbemerkung dazu! Wir beantragen, den Wortlaut so zu fassen: „Der Einzelplan 04 wird gestrichen."
Der Inhalt dieser Änderung besteht in folgendem: Innerhalb der Fraktionen war ein Streit, ob unsere Fassung wird abgelehnt" Gegenstand einer Abstimmung im Hause sein könne. Wir halten nach wie vor an unserer Auffassung fest, wollen aber eine Geschäftsordnungsdebatte hierüber vermeiden und haben deshalb den Wortlaut in der angegebenen Form geändert.
Ich möchte aber mit aller Deutlichkeit bemerken, daß darin nicht etwa die Gehaltsbezüge oder sonst die Bediensteten im Bundeskanzleramt angesprochen worden sind.

(Lachen bei der SPD. -— Abg. Wehner: Seien Sie doch konsequent!)

— Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie brauchen darüber nicht zu lachen.

(Abg. Wehner: Wir brauchen nicht, aber wir dürfen!)

— Sie dürfen auch, natürlich. — Es geht nur darum, deutlich zu machen, daß wir die Politik des Herrn Bundeskanzlers hiermit ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606006000
Zur Begründung dieses Antrags hat der Abgeordnete Dr. Wörner das Wort.

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0606006100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier wird der Haushalt eines Bundeskanzlers zur Abstimmung gestellt, der in 100 Tagen Zeichen setzen wollte. Inzwischen sind acht Monate ins Land gegangen. Zeichen sind gesetzt, aber nicht die, die der Bundeskanzler selbst angekündigt und versprochen hatte, nicht die, die unser Volk erwarten durfte.

(Beifall bei der CDU/CSU —, Oho-Rufe von der SPD.)

Zeichen sind gesetzt, die weit hinter dem zurückbleiben, Herr Bundeskanzler, was Sie selbst in Ihrer Regierungserklärung als Ihren Maßstab proklamierten, nach dem Sie gemessen werden wollen. Der Herr Kollege Möller hat uns den großen Gefallen getan — wir sollten ihm dafür dankbar sein —, uns
*) Siehe Anlage 3 allen in seiner vorigen Rede noch einmal diesen Maßstab in die Erinnerung zurückzurufen.
Sie sind, Herr Bundeskanzler, auch weit hinter dem zurückgeblieben, was unsere Zeit und was die Lage unseres Volkes von Ihnen gefordert hätten und von Ihnen noch fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben Reformen in Aussicht gestellt und haben eine Politik der Gefälligkeiten getrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Finanzminister Möller, ich frage mich, und zwar höchst verwundert, woher Sie den Mut nehmen, ohne schamrot zu werden,

(Oho-Rufe und Lachen bei der SPD)

nach dieser Politik der Gefälligkeiten — und dafür werden Sie heute erneut den Beweis liefern — noch einmal so kühn von der Politik der Reformen zu reden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gab ein weiteres Zeichen nicht. Sie haben mehr Demokratie versprochen, aber Sie haben bis jetzt nur mehr Propaganda geliefert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, Sie haben unserem Volk Stabilität und Sicherheit in Aussicht gestellt. Acht Monate nach Ihrem Regierungsantritt sind Unsicherheit und inflationäre Geldentwertung Trumpf in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606006200
Wohin steuern Sie unsere Wirtschaft? Wohin treibt unsere Wirtschaft? Wohin treibt die Konjunktur, die Sie längst nicht mehr im Griff haben, wenn Sie sie überhaupt jemals im Griff gehabt haben?

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Nicht dahin, wo der Erhard hingefahren ist!)

Die Preise steigen, Herr Bundeskanzler, und der Wert des Geldes sinkt.

(Zuruf von der SPD: Die Preise fallen! — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

— Es ist ein Vorteil, daß man beispielsweise den Hausfrauen draußen mit aller Propaganda nicht vormachen kann, daß die Preise fallen, weil sie an ihrer Geldbörse ablesen können, daß sie steigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gott sei Dank wird es Ihnen trotz aller Erhöhungen der Informationstitel, trotz allen Ausbaus des Bundespresse- und Informationsamtes nicht gelingen, so etwas vorzumachen, denn in diesem Lande zählen nicht die Worte, sondern die Taten, meine Herren von der Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundesfinanzminister, ich mußte dann zu meiner Verwunderung eben wieder hören, was Sie auch unserem Volke verheißen haben: Sie wollen



Dr. Wörner
eine Politik des sozialen Fortschritts betreiben. Ich aber sage Ihnen: Ihre Politik ist unsozial!

(Lachen und Zurufe von der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU.)

— Warten Sie den Beweis ab! Geldentwertung trifft eben nicht die Großen, sondern in erster Linie die Kleinen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Hermsdorf [Cuxhaven].)

Mietsteigerungen und Baupreise, die in diesem Land fast kein Arbeitnehmer, geschweige denn ein Arbeiter mehr bezahlen kann, sprechen eine Sprache für sich; sie beweisen, wie unsozial Ihr Handeln ist, meine Herren von der Regierung.

(Beifall bei der CDU, CSU.)

7 % jährliche Inflationsrate und damit die Halbierung des Geldwertes in zehn Jahren — ist das die soziale Politik, die Sie uns in Aussicht gestellt haben?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rösing: Die Regierung handelt immer noch nicht!)

Meine verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, darüber vermag auch die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibel rages nicht hinwegzutäuschen. Diese 2,80 DM his 3,80 DM monatlich, die Sie mit der linken Hand geben, haben Sie den Leuten schon längst mit der rechten Hand — durch die Geldentwertung — aus der Tasche gezogen.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Sie wollten handeln, Herr Bundeskanzler; aber Sie reden doch nur, und Ihr Bundeswirtschaftsminister ist derjenige, der schon am längsten redet und am wenigsten handelt. Ich habe den Wortlaut eines Fernsehinterviews vom 13. Juni 1970 vor mir liegen: Auf die Frage: „Herr Minister, werden Sie nach diesem Wochenende" — gemeint war das Wochenende der Landtagswahlen — „Maßnahmen ergreifen, um die Konjunktur zu dämpfen?" antwortete der Minister — ich zitiere das aus den Mitteilungen des Bundespresse- und Informationsamtes; ich nehme an, daß das korrekt ist —:
Das Votum vom 14. Juni wird die Bundesregierung instand setzen, in voller Handlungsfreiheit weitere Maßnahmen zu ergreifen, wenn das erforderlich ist.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Wir werden erneut in naher Zukunft die konjunkturelle Lage überprüfen.

(Lachen hei der CDT/CSU.)

Also: nachdem der ganze Pulverdampf der Wahlkämpfe sich verzogen hat, werden wir feststellen, was notwendig ist.
Am Montag, dem 8. Juni, hat der Herr Bundeswirtschaftsminister abends in einer Fernsehdiskussion den Standpunkt vertreten, daß die Regierung handeln müsse, ehe die Preissteigerungsrate die 4-Prozent-Grenze erreicht habe — wieder einmal eine Ankündigung konjunkturpolitischer Aktivität für den Fall, daß ... Meine Damen und Herren, so geht das nun schon seit einiger Zeit. Es ist immer dasselbe: Wir werden handeln, wenn wir an die Regierung kommen! Wir werden handeln, wenn der Boom bis Mitte 1970 nicht zum Stehen kommt! Wir werden handeln, wenn der Boom bis Ende des Jahres 1970 nicht aufgehört hat! Wir werden handeln, wenn die von uns vorausgesagte Senkung der Lebensmittelpreise in der ersten Hälfte des Jahres 1970 nicht gelingt! Wir werden handeln, wenn die Bremswirkung der Aufwertung sich als ungenügend erweist! Wir werden handeln, wenn die Lohnexpansion über das Ziel hinausschießt!
Immer wieder das Androhen dann aber wirklich drastischer Maßnahmen, wenn ... Aber gehandelt, Herr Bundeskanzler, wird in Ihrer Regierung eben nicht!

(Lebhafter Beifall hei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606006300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wilhelm?

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0606006400
Bitte schön!

Werner Wilhelm (SPD):
Rede ID: ID0606006500
Herr Kollege Dr. Wörner, haben Ihre Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion im Jahre 1966, als unter Ihrem Kanzler Dr. Erhard die Preissteigerungsrate 4,5 % gegenüber jetzt 3,8 % betragen hat, die gleichen Inflationsreden gehalten?

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0606006600
: Es wäre jetzt außerordentlich reizvoll, Herr Kollege Wilhelm, auf die Parallelen dieser Situation einzugehen

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

und einmal zu vergleichen, wie hoch die wirklichen Preissteigerungsraten, und zwar aller Gruppen bis hin zu den lnvestitionsgütern, gewesen sind. Diesen Streit brauchen wir nicht zu scheuen. Ich will mir das verkneifen.
Ich will nur eines in Erinnerung rufen, das mir noch vor Augen ist. Damals stand der Herr Bundeswirtschaftsminister, der zu dieser Zeit noch nicht Bundeswirtschaftsminister war

(Zuruf von der SPD: Leider!)

— ich mull zugeben: eine schreckensvolle Situation —, hier an diesem Pult, und dort saß Bundeskanzler Erhard. Das ist mir noch in Erinnerung; ich war damals erst Eindreivierteljahr hier. Da stand dieser selbe Mann hier, und mit dem Ton der Empörung rief er dorthin, wo jetzt Bundeskanzler Brandt sitzt:

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal]: So war es!)

Eine Bundesregierung, die es nicht fertigbringt, eine Preissteigerung von 3 % — so sagte er damals —
auf 1 % herunterzudrücken, ist unfähig! — Das sage ich Ihnen als Antwort darauf.

(Lebhafter Beifall hei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606006700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?




Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0606006800
Ich bin zwar sehr für Zwischenfragen, aber wenn Sie mir gestatten, wenigstens noch einige meiner Gedanken anzuhängen, wird die Chance für Zwischenfragen sicher eher größer als geringer werden. Ich sage Ihnen: Das alles, was wir hier erleben, Herr Bundeskanzler, sind zwar Zeichen, aber es sind eher Alarmzeichen für unser Volk und für eine Opposition, die eben nicht schläft.
Auch in der Ost- und Deutschlandpolitik sind Zeichen gesetzt, aber Zeichen, Herr Bundeskanzler, die uns bedenklich stimmen; denn auch hier sind an die Stelle der Gewißheit und eines sicheren Kurses zunächst nur Unsicherheit und Ungewißheit darüber getreten, wie es denn mit dieser Politik weitergehen und wohin der Weg führen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der Mitte.)

Herr Bundeskanzler, wir haben Sorge — das ist, glaube ich, gestern in so überzeugender Weise von dem Kollegen Strauß zum Ausdruck gebracht worden, daß sich das Wort darüber erübrigt —,

(Lachen bed der SPD)

nicht weil Sie den Frieden suchen — Idas spricht für Sie —, sondern weil Sie glauben, diesen Frieden dadurch sichern zu können, daß Sie den sowjetischen Besitzstand in Mitteleuropa festschreiben und damit letztlich das sowjetische Übergewicht, aber nicht den Frieden in Europa sichern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Und wir haben Sorgen, nicht weil Sie Ausgleich und Entspannung suchen, sondern weil Ihre Politik das Unrechtssystem nicht zu erschüttern vermag, es eher kräftigt, die Diktatur ermutigt und die Kräfte der Freiheit in der DDR und in Osteuropa entmutigt. Das ist eine Gefahr, die wir sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unsere Sorge Ihrer Politik gegenüber gründet sich auch nicht darauf, daß Sie Bewegung und daß Sie Wandel suchen, sondern unsere Sorge gründet sich darauf — und darüber kann auch nicht das recht arrogante Auftreten Ihres Bundeskanzlerministers hinwegtäuschen —,

(Pfui-Rufe bei der SPD. — Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

daß da drüben durch Ihre Politik nichts, aber auch gar nichts bewegt wird und sich, wenn Sie so weitermachen, auch mit Sicherheit nichts bewegen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das sind ja nicht nur die Unkenrufe eines, der alles besser machen oder besser wissen will,

(Zurufe von der SPD)

sondern das 'ist die Schlußfolgerung aus dein, was gestern aus Moskau und aus Ulbrichts Munde zu hören war. Sie täten gut daran, das einmal nachzulesen, ehe Sie darauf antworten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sehen Sie, alle diese Besorgnisse könnten wir, Herr Bundeskanzler, noch hinnehmen, wenn sie auch nur — und ich greife dankbar dieses Wort von dem „Ehmke-Millimeter” auf — einen Millimeter weiterkommen oder einen Funken Hoffnung hier aussprechen könnten oder es wenigstens tun würden, daß und wo sich irgendwo etwas für die Menschen drüben an Erleichterungen, geschweige denn an Rechten oder Freiheiten ergeben hat oder in Zukunft ergeben wird. Das genaue Gegenteil ist bis jetzt !der Fall, denn die Menschen sind da drüben nach diesen Gesprächen nicht weitergekommen, sondern eher 'in ihren Hoffnungen entmutigt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Zeichen sind also da, aber es sind Warnzeichen. Ich finde die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers .angesichts einer solch dürftigen Bilanz einigermaßen keck, der uns hier erzählt, daß wir ruhig unser Oppositionssoll erfüllen könnten. Wenn Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, nach dem letzten Sonntag noch nicht begriffen haben, daß die Bevölkerung !dieses Landes in echter Sorge über das ist, was Sie an Politik treiben, wenn Sie nicht begriffen haben, wohin Sie nach der Befürchtung der Bevölkerung unsere Politik treiben, wenn Sie das noch nicht begriffen haben, dann werden Sie eben noch weitere Quittungen in diesem Lande bekommen.
Ich sage Ihnen ein Weiteres. Sie sollten — Sie waren ja selbst lange genug in der Opposition — doch genau wissen, daß — völlig unabhängig davon, daß natürlich das Klappern auch bei uns wie bei Ihnen zum Handwerk gehört,

(Zurufe von der SPD)

das wissen wir alle; ziehen wir das einmal ab —dahinter eben die Pflicht einer Opposition bleibt —vielleicht unterscheidet mich das von Ihnen, Herr von Dohnanyi —, die es mit ihrer Pflicht in diesem Staat ernst meint, auf diese Dinge hinzuweisen, um Schaden von unserem Volk abzuwenden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, dieses Nein, das wir hier zu Ihren Etats sagen, bedeutet — lassen Sie mich das zum Schluß klarmachen eines nicht, es bedeutet nicht und es soll nicht bedeuten, daß das Tor zur Gemeinsamkeit in der Zukunft zugeschlagen wird oder bleibt.

(Oho-Rufe von der SPD.)

— Wissen Sie, es wird Ihnen eben nicht erspart bleiben, daß Sie die Verantwortung für diese Gemeinsamkeit tragen, für ihr Vorhandensein oder für ihre Zerstörung.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Denn auch der raffinierte Versuch des Herrn Ehmke, einen neuen Sündenbock für die zerschlagene Gemeinsamkeit zu finden in der Gestalt des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, hat selbst eine kritische Presse nicht darüber hinwegtäuschen können, wo die wirklichen Zerstörer dieser Gemeinsamkeit sitzen: auf dieser Seite des Hauses!

(Beifall bei der CDU CSU.)




Dr. Wörner
Und wer auch nur über ein bißchen Hintergrundinformation verfügt

(Zuruf von der SPD: So wie Sie!)

— ja, ein bißchen habe ich schon —, der weiß, daß der Herr Ehmke ursprünglich selber einmal derjenige war, der meinte, man dürfe den Kurs der Gemeinsamkeit, aus welchen Gründen auch immer — ich formuliere einmal vorsichtig —, nicht besonders energisch forcieren. Er hat sich inzwischen vielleicht eines Besseren besonnen.

(Abg. Rasner: Sehr vielleicht!)

Ob er die Gemeinsamkeit jetzt noch haben kann, hängt mit von ihm ab. Nur, mit dem Theater, das er da aufgeführt hat, kann er sie sicher nicht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler — ich will das gern auch als Kritik auf uns mit beziehen —, daß die Wahlen vom Sonntag sicher nicht nur ein Signal für die Regierung gewesen sind und sicher auch nicht nur der Anlaß für billigen Triumph sein sollten. Ich glaube, daß darin zum Ausdruck kommt — ich sagte das bereits — die Sorge bei vielen Bürgern im Lande und daß darin vielleicht sogar zum Ausdruck kommt der Wunsch der Bevölkerung — wenn Sie so wollen: das ist ein Zeichen, wenn man es recht versteht —, daß wir doch in diesem Hause unabhängig von dem, was uns in polemischer Überspitzung getrennt haben mag, versuchen sollten, in den großen Fragen,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

in den großen Fragen der Außenpolitik wieder den Weg zur Gemeinsamkeit zu suchen. Oh, haben Sie keine Angst! Bei der mäßigen Politik, die Sie treiben, haben wir es gar nicht nötig, uns anzubiedern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir bieten uns höchstens an im Sinne dessen, was die Bevölkerung von uns erwartet. Sie können es ja abschlagen. Ich sage Ihnen nur, Sie werden die Quittung von unserer Bevölkerung kassieren und nicht wir. Wenn Sie nur ein bißchen mehr selbstkritische Haltung hätten, würden Sie dieses Signal nicht mißdeuten, das Ihnen die Bevölkerung gegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, keiner erwartet von Ihnen, daß Sie etwa mit der Miene des reuevollen Sünders zu Kreuze kriechen.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Nun reicht es aber bald, bald, wissen Sie! — Abg. Dr. Tamblé: Das ist eine Keckheit!)

Umgekehrt können Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nicht erwarten, daß wir unsere Sorgen unterdrücken, ohne daß bis zum letzten Klarheit geschaffen wird über Ziele und Methoden unserer Politik. Das ist die Voraussetzung jeder echten Gemeinsamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie können Ihre Blähungen ruhig loswerden! Da haben Sie recht!)

Und ich sage Ihnen ein Zweites. Sie werden auch unsere Unterstützung haben können, wenn Sie sich entschließen, zu einer Politik der Stabilität zurückzukommen. Wir werden — und wir werden das heute mittag in einer Abstimmung beweisen — auch den Preis der Unpopularität nicht scheuen, weil wir wissen, daß letztlich der Fortbestand von vielem davon abhängt, daß in diesem Volk wie bisher Sicherheit auch in der Wirtschaft Trumpf bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sagte Ihnen — und ich sage es noch einmal —: Die Verantwortung — —Abg. Wehner: Wie lange denn noch?)
— So lange, Herr Kollege Wehner, wie es mir paßt und nicht Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Ich meine das rein technisch!)

— So lange, wie es mir paßt, sage ich Ihnen das. Sie sind — ich wiederhole das — nicht derjenige, der irgendeinem in diesem Hause — weder einem von Ihnen noch einem von uns — vorzuschreiben hat, was und wie lange er in diesem Hause zu reden hat.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Natürlich!)

— Ich habe nämlich, Herr Wehner, den Eindruck, daß gelegentlich Ihre Ausbrüche weniger emotional als vielmehr gezielt sind und ablenken sollen von der Verantwortung, die Ihnen offensichtlich im Augenblick zu schaffen macht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Wagt der Herr Präsident nicht, oder was ist das eigentlich?)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606006900
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Die normale Redezeit ist 15 Minuten.

(Abg. Wehner: Für den gehobenen Status müssen es dreiviertel Stunden sein!)

Da besteht kein Zweifel. Es ist leider keine verlängerte Redezeit beantragt worden. Können wir uns darauf verständigen, daß Sie in fünf Minuten fertig sind?

Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0606007000
Herr Präsident, wir können uns nicht nur darauf verständigen, sondern auch darauf, daß ich mit drei Sätzen fertig bin. Nur leuchtet hei mir immer noch, wenn ich es recht sehe, die grüne Lampe. Das heißt für einen alten Flieger: „Bahn frei".
Ich würde also meinen — und damit lassen Sie mich also jene drei Sätze aussprechen —: Die Verantwortung liegt bei Ihnen.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Satz 1!)

Es wird Zeit, daß auf die vielen Worte aus Ihrer Ecke endlich Taten folgen.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Satz 2!)




Dr. Wörner
Wir von der CDU/CSU beantragen, damit die Haltung in diesem Hause klar und deutlich wird, namentliche Abstimmung über diesen Antrag.

(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Wehner: Aber natürlich!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606007100
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606007200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu einem kontroversen Vorgang, der zwar jetzt nicht von Herrn Kollegen Wörner, aber gestern noch einmal von anderer Seite aus den Reihen der Unionsfraktion vorgebracht wurde. Ich habe mich noch nie gescheut, mich zu korrigieren, wenn mir ein Irrtum unterlaufen ist oder wenn ich einer fehlerhaften Information aufgesessen bin. Das wird auch in Zukunft so sein. Was die Bielefelder ußerung angeht, so wird die von der CDU eingeleitete rechtliche Klärung abzuwarten sein. Wenn man sich des Mittels der einstweiligen Verfügung bedient hätte, so hätte dies zu einer noch rascheren Klärung führen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich darf auch dies hinzufügen. Einige der Herren, die sich in diesem Zusammenhang besonders ereifert hatten, müssen sich bitte sagen lassen, sich in bezug auf Wahrhaftigkeit selbst an das zu halten, was sie zu Recht von anderen erwarten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was den Einzelplan angeht, der hier zur Debatte steht, so hätte die Opposition, wie es ihr gutes Recht ist, gern die Regierung gestürzt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Vergnügen!)

Dazu hätte sie die Stimmen gebraucht, ganz abgesehen von .der Einigung auf einen Kanzlerkandidaten. Sie begnügen sich mit der bescheideneren Kraftprobe, den Haushalt zur Streichung vorzuschlagen. Es kommt hier offensichtlich nicht mehr auf Argumente an, sondern auf eine Streichung, nicht darauf, einander zu überzeugen, sondern auf die Kraftprobe. Die Opposition will, wie sich gestern und heute gezeigt hat, nicht überzeugt werden, sondern sie will über eine Streichung abstimmen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Deshalb spräche viel dafür, Zeit für alle Beteiligten zu gewinnen und dann abzustimmen.
Aber trotzdem darf ich, bevor es zu dieser Abstimmung kommt, Ihnen noch einiges in aller Offenheit sagen.
Die Führung der CDU/CSU ist dabei, mehr zu zerstören, als ihr im Augenblick klar ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Gestern ist mehr zerstört worden, als den Herren klargeworden sein kann.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wie sich gestern und auch in dem, was Herr Wörner
dazu gesagt hat, gezeigt hat, tut die Oppositionsführung so, als verlangte sie Informationen, läßt aber Informationen, die ihr gegeben werden, nicht gelten. Sie nimmt Motive der Regierung, nach denen sie fragt, nicht zur Kenntnis, Herr Kollege Strauß, sondern verdächtigt Motive.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Wer hat damit angefangen, Herr Brandt? — Weitere Zurufe und Unruhe bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, es hilft alles nichts: das müssen Sie sich anhören!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Führung der Union erweckt zunehmend den Eindruck, daß sie gar nicht Sorgen ausgeräumt sehen will, wozu die Regierung vielleicht beitragen könnte,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

sondern daß sie Unsicherheit und Angst in unserem Volk verbreiten will.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Regierung wird sich nicht

(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— nein, ich spreche jetzt zusammenhängend —

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU — Abg. Rasner: Mehr Demokratie!)

von dem Weg abbringen lassen, auf dem wir die Europapolitik zusammen mit anderen wieder in Bewegung gebracht haben,

(Zurufe von der CDU/CSU: Wo?)

nicht von dem Weg abbringen lassen, auf dem wir das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland vermehrt haben,

(Beifall bei den Regierungsparteien — Zurufe von der CDU/CSU: Wo?)

und nicht von dem Weg abbringen lassen,

(Abg. Rasner: Der Unstabilität!)

der uns die Aussicht auf Entspannung und mehr Sicherheit für unser Volk eröffnet.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Wo?)

Herr Wörner, in diesem Zusammenhang erneut die Behauptung aufzustellen, die Politik der Regierung führe dazu, das sowjetische Übergewicht in Europa zu verstärken,

(Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl!)

und dies, von allem anderen abgesehen, auf eine Politik bezogen, die mit unseren Verbündeten abgestimmt ist und von ihnen in Rom von den Größten — das sind die Amerikaner — bis zu den Kleinsten — das sind die Isländer — gestützt wurde, das heißt, Sie wollen so tun, als wären Sie klüger als die eigene Regierung und alle Verbündeten zusammen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)




Bundeskanzler Brandt
Was ist ein verbales Interesse an Gemeinsamkeit wert, Herr Kollege Wörner, wenn, wie es das Protokoll der gestrigen Sitzung ausweist, der Regierung vorher nach Strich und Faden die Preisgabe nationaler Interessen unterstellt wird? Sie halten uns doch hoffentlich nicht für Masochisten.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Aber Sie beschimpfen uns als Nationalisten, Herr Brandt!)

Nein, wir werden die Auseinandersetzung führen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Wir auch!)

hier und draußen im Lande, und wir werden sie bestehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es wird, von diesem Punkt abgesehen, auch auf dem anderen Hauptpunkt des Streites durch Wiederholung nicht richtiger, zu behaupten, diese Regierung treibe eine Inflationspolitik.

(Abg. Leicht: Die Zahlen sagen es doch!) Auch dies ist objektiv ein Spiel mit der Angst.


(Beifall bei der SPD.)

Dabei wissen Sie, aber sagen es nicht, daß sich die Bundesrepublik Deutschland unter den sieben größten Industriestaaten der Welt nicht an der Spitze, sondern am Ende der Preiserhöhungsskala befindet,

(Abg. Leicht.: Das ist noch kein Beweis! — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Eine schwache Begründung! — Abg. Windelen: OECD ist. anderer Meinung!)

ganz abgesehen davon, daß der private Verbrauch in diesem Jahr, 1970, real — also unter Ausschaltung der Preissteigerungsraten — um 8 % zunimmt. Es wird Ihnen nicht gelingen, von hier aus den Leuten einzureden, es gehe ihnen schlechter als zu der Zeit, wo ein CDU-Mitglied Bundeskanzler war.

(Beifall bei der SPD.)

Es bleibt bei dem, was Herr Schiller hier am 3. Juni gesagt hat:

(Abg. Dr. Stoltenberg: Na ja!)

„Die Regierung steht Gewehr hei Fuß".

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stoltenberg: „Gewehr bei Fuß"!? — Zurufe von der CDU/CSU: Sehr schön!)

Sie wird dann eingreifen, wenn es die Tatsachen, wenn es die Situationen erfordern. Vorschläge der Opposition dazu kenne ich nicht, Herr Stoltenberg. Sie haben heute auch keine vorgebracht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nach den bisherigen Erfahrungen muß ich damit rechnen — aber ich scheue das nicht —, daß Sie jede Maßnahme, die die Regierung ergreifen wird, gleichwohl bekämpfen werden, weil die Regierung sie ergreift.

(Beifall hei den Regierungsparteien.)

Woher nehmen Sie, Herr Wörner, das Recht oder den Mut, hier von den Baupreisen zu sprechen? Der
Mann, der vor Ihnen sitzt, Herr Kiesinger, weiß doch, daß sich der Baustahl im vorigen Sommer unter seiner Federführung im Preis verdoppelt und zum Teil verdreifacht hat.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.— Zurufe von der CDU/CSU: Schiller!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606007300
Gestatten Sie, Herr Bundeskanzler, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Röhner?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606007400
Nein, Herr Präsident.

(Zuruf des Abgeordneten Stücklen.)

— Sie wissen doch ganz genau, Herr Stücklen, welche Entscheidungen im vergangenen Jahr gefällt und welche nicht gefällt worden sind.

(Abg. Dr. Apel: Sehr richtig! — Abg. Leicht: Ist Ihnen nicht bekannt, wer diese Preise in der Stahlindustrie angefacht hat? — Zurufe von der CDU/CSU: Schiller!)

Ich sage noch einmal, ich muß nach den bisherigen Erfahrungen damit rechnen, daß die Opposition Maßnahmen, zu denen die Regierung käme, nicht zustimmt, sondern sie angreifen würde, wie wir es bisher aus dem widersprüchlichen Verhalten zur Haushalts- und Finanzpolitik ja auch gesehen haben.
Herr Kollege Wörner hat heute erneut gesagt, es gehe ihm mit den Reformen nicht schnell genug.

(Abg. Dr. Wörner: Das ist nicht korrekt zitiert!)

Versäumnisse vieler Jahre, Herr Wörner, lassen sich nicht in wenigen Monaten nachholen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber auch hier vermisse ich, Herr Kollege Wörner, daß Sie nicht einmal von einer Lesung zur anderen von dem Kenntnis nehmen, was bei Ihnen auf dem Tisch liegt, wie bei anderen Dingen auch. Noch in der zweiten Lesung haben Sie gefragt, warum die Bundesregierung dort, wo sie mit zuständig ist, nichts tue, um die Bildungspolitik voranzubringen. Jetzt liegt in der Pause zwischen der zweiten und dritten Lesung die Konzeption der Bundesregierung zur Bildungspolitik auf dem Tisch. Aber Sie haben kein Interesse daran gezeigt, hierüber noch vor den Sommerferien zu beraten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unglaublich:)

Statt dessen ist gestern ein ganzer Tag verplant worden, um zur Außenpolitik noch einmal das aufzutischen, was Sie alles schon einmal vorher gesagt haben.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Und doch keine Antwort bekommen!)

Diejenigen, die der Regierung zum Thema der Bildungspolitik vorgeworfen hatten, sie komme nicht
zügig genug voran, müssen sich jetzt sagen lassen,



Bundeskanzler Brandt
sie hatten an der Behandlung dieses Themas vor den Sommerferien kein Interesse mehr.

(Abg. Dr. Apel: Sehr wahr! — Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Das ist doch nicht wahr, Herr Brandt! — Abg. Stücklen: Sie haben doch die Mehrheit im Hause! — Abg. Strauß: Das liegt doch bei Ihnen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Der nächste Schritt wird jetzt sein, mit den Ministerpräsidenten der Länder in der nächsten Woche die Sacherörterung einzuleiten. Ich hoffe, daß am 25. Juni die Unterzeichnung des Verwaltungsabkommens mit den Ländern erfolgt,

(Abg. Rasner: Ihr habt doch die Mehrheit!)

durch das die Gemeinsame Kommission für Bildungsplanung als ein Instrument gezielter und kooperativer Reformpolitik geschaffen werden soll.

(Abg. Rasner: Ihr habt es ja nicht einmal versucht!)

Wenn von Reformen gesprochen oder behauptet wird, es gebe ein Bemühen um solche nicht, Herr Wörner, dann dürfte eine faire Opposition auch nicht übersehen, was, sei es mit dem Sozialbericht, sei es mit dem Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, auf den Weg gebracht worden ist

(Abg. Dr. Wörner: Mein Vorwurf war, daß Sie sich den Spielraum verbauen, indem Sie Steuersenkungen beschließen, statt das Geld für Reformen auszugeben!)

und wie viele Einzelmaßnahmen sich daraus in den nächsten Monaten und Jahren ergeben werden. Wenn wir im Herbst den Etat für 1971 und die damit fortgeschriebene oder auch korrigierte mittelfristige Finanzplanung vorlegen, werden Sie und wird die interessierte Offentlichkeit erkennen, daß wir die Schwerpunkte Bildung und Wissenschaft und den Schwerpunkt Infrastruktur auszubauen entschlossen sind.
Ich darf noch eine Bemerkung dazu machen, daß Herr Kollege Barzel, der Vorsitzende der Unionsfraktion, gestern beanstandet hat, daß ich in bezug auf die Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag in einem meiner Sätze die für die SPD und die FDP abgegebenen Stimmen in einem Zusammenhang gesehen hätte.

(Abg. Rasner: Addiert!)

— Addiert!

(Abg. Rasner: Einkassiert!)

— Nein! Das war nach Ihrer Polemik durchaus angebracht. Denn Ihre Polemik bezog sich darauf, was sich, wenn überhaupt, für die Bundesregierung aus dem Votum der Wähler ergebe. Ihre These war,

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: 2 % mehr als bei den Bundestagswahlen!)

die Bundesregierung habe die Landtagswahlen verloren. Das ist in mehrfacher Hinsicht nicht richtig, weder dem Inhalt noch den Zahlen nach.

(Abg. Rasner: Es ist politisch wahr!)

In den drei Ländern, in denen gewählt worden ist, haben die Sozialdemokraten 0,3 % gewonnen, die Freien Demokraten 0,4 % verloren. Das bleibt übrig, wenn man es zusammennimmt.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Die CDU hat 2 %!)

Mißverstehen Sie mich nicht! Ich wäre selbst schlecht beraten, wollte ich das Ergebnis aus meiner Sicht verniedlichen. Ich habe eher ein Interesse daran, meine Freunde und Anhänger im Lande mehr auf Trab zu bringen. Das werde ich tun, und dann sehen wir uns wieder.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber im übrigen werde ich Ihnen auch noch folgendes sagen müssen, auch wenn es Ihnen leid tut; natürlich tut es Ihnen leid. Sie werden diese Koalition nicht auseinanderdividieren. Das werden Sie nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Diese Regierung wird, wenn auch mit schwacher Mehrheit, noch manchen Sturm überstehen. Verlassen Sie sich darauf! Sie wird es auch deshalb können, weil sie sich — —

(Abg. Strauß: Wenn der Kuli nicht mehr benötigt wird! — Abg. Rasner: Die nächste Krise kommt bestimmt!)

— Herr Strauß, es ist intersessant, daß Sie vom „Kuli" sprechen.

(Abg. Strauß: So behandeln Sie ihn!)

— Diese Koalition ist kein Schlachtefest, wozu andere im Laufe der Jahre auch schon Koalitionen gemacht haben.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Unsere Arbeit ist getragen vom Respekt unter den
Partnern und der Loyalität der Partner zueinander.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Sie haben es nötig! — Abg. Dr. Stoltenberg: Das zeigt die Behandlung des Außenministers!)

Wir übersehen nicht die zum Teil sehr unterschiedlichen Auffassungen und Überzeugungen der beiden Parteien. Mit denen müssen wir leben. Auf den Gebieten, auf denen wir verschiedener Meinung sind, können wir nicht Gegensätze übertünchen. Aber es bleibt so viel übrig, wo es die gemeinsame Überzeugung möglich macht, Gutes für unser Volk zu erreichen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir konzentrieren uns auf das Regierungsprogramm, das Sie kennen, das wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Das werden wir durchführen, darauf können Sie sich verlassen!

(Abg. Dr. Stoltenberg: „Stabilität ohne Stagnation"?!)

Das Recht, im Lande um Zustimmung und Vertrauen zu werben, steht uns gleichermaßen zu. Ich



Bundeskanzler Brandt
werde gerade nach den Erfahrungen dieser beiden Tage und auch angesichts des Streichungsvorgangs, den Sie sich vorgenommen haben und mit dem Sie scheitern werden, die Auseinandersetzung, also den Kampf, den politischen Kampf, meine Herren, so führen, daß jeder im Lande versteht, worum es geht,

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Hoffentlich!)

und doch so, daß unser Staat nicht Schaden leidet, was ich Sie auch zu beachten bitte.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber beklagen Sie sich bitte nicht über das, wozu Sie hier herausgefordert haben, meine Herren!

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606007500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0606007600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606007700
Einen Augenblick bitte! Ich höre einen Zwischenruf vom Abgeordneten Wehner, es sei ein typischer Fall, daß seine Wortmeldung hier nicht berücksichtigt werde.

(Abg. Wehner: Sie haben nicht richtig gehört, Herr Präsident!)

— Dann bitte ich um Entschuldigung.

(Abg. Wehner: Wir können dann darüber reden! Urteilen Sie nicht, bevor Sie richtig gehört haben! — Oho-Rufe von der CDU/ CSU.)

Ich wollte nämlich nur darauf aufmerksam machen, wie ich — —

(Fortgesetzte Rufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Wehner, ich wollte nur darstellen, wie
ich hier die Rednerliste einzuteilen habe. Das steht
genau in der Geschäftsordnung. Danach verfahre ich.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: In Ordnung! — Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist der neue Stil! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0606007800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die letzten Worte des Herrn Bundeskanzlers mit der Kampfansage gehört. Wir sind bereit, sie anzunehmen,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

wie wir auch bereit gewesen wären — und dies hatten wir vor dem Sonntag erklärt —, als der Kollege Wehner versuchte, den Gedanken von Neuwahlen ins Spiel zu bringen. Wir haben jene Kampfansage angenommen, und wir nehmen diese an, die der Bundeskanzler hier heute erklärt hat. Damit ist ja wohl — nach dieser Rede Wörnersl —
klar, daß gestern mehr von Worten die Rede war als von gemeinten Taten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, der Kollege Wörner hat versucht, kritische Punkte hier anzumerken,

(Lachen und Zurufe bei der SPD)

kritische, sachliche Punkte hier anzumerken. Das ist ihm so hervorragend gelungen, daß der Bundeskanzler darauf eine Antwort gab, die die beste Begründung für unseren Antrag auf Streichung dieses Haushalts ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn wenn gestern hier gesagt wurde, Herr Bundeskanzler, Sie seien der Kanzler der falschen Alternativen, dann muß man heute noch hinzufügen: Sie sind der Kanzler der Unterstellungen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Pfui-Rufe von der SPD.)

Dies ist eine schreckliche Geschichte. Und wenn Sie so Ihre Kampfansage verstehen,

(fortgesetzte Pfui-Rufe von der SPD)

dann, meine Damen und Herren, wird man sich ja auf etwas gefaßt zu machen haben.

(Zurufe und Gegenrufe von der SPD und der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, Sie haben die Aufforderung von gestern wegen Bielefeld noch einmal zur Sprache gebracht. Wenn ich richtig unterrichtet bin, war das, was Sie heute vorschlagen, die einstweilige Verfügung, nicht möglich wegen der Erklärung von Herrn Wischnewski und der dadurch nicht vorhandenen Wiederholungsgefahr.
Aber wenn Sie uns vorwerfen, Herr Bundeskanzler, wir wollten gar nicht Argumente hören, dann möchte ich Ihnen doch hier sagen: wir fragen Sie seit dem 28. Oktober unverändert, unaufhörlich und ohne Antwort nach Ihren Perspektiven, Motiven und Gründen für die Veränderung der gemeinsamen Position, die dieses Haus hier bezogen und den Wählern gegenüber verantwortet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben Sie nach Ihren Argumenten gefragt, warum Sie in Kassel am Vormittag sagen: keine völkerrechtliche Anerkennung, und am Nachmittag Sie Herrn Stoph diese doch in Aussicht stellen und dann gestern hier wieder sagen, sie komme nicht in Betracht. Das ist ein Zickzackkurs. Und das sind nicht Unterstellungen anderer, sondern das sind Ihre Worte, Herr Bundeskanzler. Und das erzeugt doch kein Vertrauen hier oder draußen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie deshalb glauben uns vorwerfen zu müssen, wir hätten hier etwas zerstört, dann sage ich Ihnen in aller Kühle dazu: Wir haben es, als Sie die Regierung übernahmen, nicht für möglich gehalten, daß Sie in acht Monaten in der wirtschaftlichen
3312 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Junt 1970
Dr. Barzel
Substanz und in der Außenpolitik soviel nicht nur gefährden, sondern zerstören würden.

(Pfui-Rufe und Zurufe von der SPD. — Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, es wäre leicht, die gestrige Debatte wiederaufzunehmen. Ich habe nicht diese Absicht. Aber ich denke, Herr Bundeskanzler, Sie werden nachlesen, was Radio Moskau im deutschen Text zum Problem des Gewaltvorbehalts und dessen Beseitigung oder Nichtbeseitigung gesagt hat. Und sie werden nachgelesen haben, was wir heute auch Ihrem Pressespiegel entnehmen konnten, daß gestern in einer Fernsehsendung sehr weitgehende Mitteilungen über angebliche Verabredungen Ihrer Regierung mit der Sowjetunion über die veröffentlichten vier Punkte hinaus gemacht wurden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: So sind sie! — Weitere Zurufe.)

Das ist dann ja wohl das Ende der Legende von Transparenz und von mehr Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es zeigt doch, daß hier nicht einmal ein Viertel der Karten auf den Tisch gelegt wird, und das trotz unserer Fragen.

(Abg. Rasner: So ist es!)

Herr Bundeskanzler, was Sie zur Bildungspolitik und zum Bildungsbericht gesagt haben, war schlichtweg entweder unwissend oder wider besseres Wissen gesagt, und beides wäre für einen Bundeskanzler schlimm genug. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung angekündigt, der Bildungsbericht komme im Mai, dann haben Sie gesagt, er komme im Juni, und in der Tat ist seit Freitag vergangener Woche die Drucksache da. Ich bin im Augenblick nicht unterrichtet, ob er den Kultusministern zugegangen ist, was ja die Voraussetzung — —

(Zuruf von der SPD.)

— Ich sage, ich bin nicht unterrichtet, ich mache keine Unterstellung. Aber eines kann doch kein Mensch bestreiten: Diese Bundesregierung, die in diesem Hause, wie eben so stolz verkündet wurde, über eine jeweils sichere Mehrheit verfügt, hat im Ältestenrat keinen Versuch und keine Anstrengungen gemacht und keinen Antrag gestellt, die Sache hier zu behandeln.

(Beifall und Zurufe bei der CDU/CSU.)

Damit ist das, was Sie dazu gesagt haben, Herr Bundeskanzler, in der Nähe Ihrer Erklärung von Bielefeld.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606007900
Es sind nicht unsere Worte, sondern die des Sachverständigenrates, der am 9. Mai erklärt hat, wir seien in einem „inflatorischen Prozeß". Es sind die Worte des Sachverständigenrats, der sagt: „Gegenwärtig ist das Ziel der Geldwertstabilität mehr denn je gefährdet." Das sind die Worte des Sachverständigenrates. Das sind nicht Erfindungen der Opposition. Diese Worte zeigen nach der ganzen Debatte dieser Tage, daß diese Regierung eben entschlossen ist, die Zügel schleifen zu lassen, und damit steigen die Preise und werden die Arbeitplätze gefährdet in einem Ausmaß — —

(Lachen, Oho-Rufe und Zurufe bei der SPD.)

— Lachen Sie nur heute! Wir werden Sie daran erinnern. Schauen Sie sich das britische Beispiel an mit 5 % Preissteigerung pro Jahr und 600 000 Arbeitslosen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: Sozialistische Regierung!)

Herr Bundeskanzler, alle Ihre Worte können die Fakten nicht ändern. Sie können hier auch nicht den Eindruck erwecken, als seien Sie auf ökonomischem Gebiet zur Zusammenarbeit mit uns bereit gewesen. Herr Bundeskanzler, es gab keinen Versuch von Ihnen oder einem Ihrer beiden zuständigen Minister, mit der Fraktionsführung der CDU/CSU die ökonomische Lage zu erörtern und Konsequenzen abzustimmen.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Sehr wahr!)

Trotzdem haben wir immer wieder Vorschläge gemacht. Ich habe heute, und ich muß dies jetzt sagen, von mir aus Ihren beiden zuständigen Ministern gesagt: „Erstens. Dieses Haus geht jetzt in Ferien. Wenn Sie was tun wollen, müssen Sie reden. Und zweitens: Wenn Sie heute oder morgen Steuersenkungen beschließen, dann können Sie unmöglich erwarten, daß wir übermorgen mit Ihnen etwas anderes — nämlich Steuererhöhungen, Vorauszahlungen oder Ähnliches — hier unterstützen." Das haben wir von uns aus gesagt, damit Ihre Regierung weiß, woran sie mit der Opposition ist. Es wäre, wie Herr Wörner mit Recht sagt, die Pflicht der Regierung gewesen, aus ihrer Verantwortung das Gespräch mit uns zu suchen. — Dies muß hier gesagt werden, und dies mußte auch zu den anderen Punkten gesagt werden.
Herr Bundeskanzler, der einzige Punkt, in dem wir beide einig sind, war der, daß aus Ihrer Rede die Sorge um den Fortbestand — nicht um das heutige Ende; um den Fortbestand — Ihrer Regierung klang. In dieser Sorge ist die Opposition mit diesem Bundeskanzler einig; denn diese Sorge ist begründet!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606008000
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

(Oh-Rufe von der CDU/CSU. — Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0606008100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier geht es um einen Antrag, der zwar noch nicht einmal sorgfältig genug formuliert war, so daß er geändert werden mußte, um überhaupt abstimmungsfähig zu sein, der aber hier begründet worden ist. Zu der Begründung will ich mich namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kurz äußern.



Wehner
Es ist eine politische Pflichtübung, diesen Antrag einzubringen, und es ist eine politische Pflichtübung gewesen, wie die Begründung hier vollbracht worden ist. Natürlich hat die Opposition das Recht, und hier hat der Einbringer des Antrages auch gesagt, sie habe die Pflicht, zu tun, wodurch Schaden abgewendet werden müsse. Was ich gut finde an der Tatsache, daß Sie den Antrag stellen, ist, daß es hier deutlich wird, daß es in diesem Hause zwei Politiken gibt: die Ihre, die sich in der Negation erschöpft jedenfalls bis jetzt —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wünschen Sie sich nur! — Weitere Zurufe)

— nein, das wünsche ich gar nicht —, und die unsere, die sich in den Gesetzesvorlagen und in den Maßnahmen verkörpert. Das sind die beiden unterschiedlichen Politiken,

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)

und es ist gut, daß Sie Gelegenheit geben, das hier deutlich zu machen. Ich unterstreiche jeden Satz, den mein Kollege Hans Hermsdorf hier heute morgen namens unserer Fraktion in der dritten Lesung 711 dem, was sachlich-politisch zu sagen war, gesagt hat.
Mir ist allerdings eines nicht klar: was Sie eigentlich unter dem Begriff „Gefälligkeiten" verstehen. Sie haben hier die Stirn und sagen dem Bundeskanzler, er habe zwar eine Politik der Reformen in Aussicht gestellt, aber eine Politik der Gefälligkeiten präsentiert.

(Abg. Dr. Wörner: Daran halte ich fest!)

— Na ja. Das wird Ihnen noch x-mal aufstoßen, verehrter Herr Diskussionsredner, bei allen möglichen Gelegenheiten draußen. Es wird Sie am Ende, nicht getreuen, daß Ihnen das so entfahren ist.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Nein. Da geht es ja um solche Fragen wie die der Dynamisierung der Kriegsopferrenten.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

War das Gefälligkeit, oder war das Notwendigkeit? Ich habe einmal den Herrn, den ich schätze, der vor dem gegenwärtigen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung diesen Stuhl vier Jahre lang besetzt hat, gehört, wie er auf einem Verbandstag gesprochen hat; übrigens dem ersten, auf dem in der Nachkriegszeit überhaupt ein Bundeskanzler zum Kriegsopferverbandstag gewesen ist, was der zur CDU gehörende Präsident dort freimütig und fröhlich hat gestehen müssen und dürfen. Nun, dort ging es um etwas, was der vorige Minister so während seiner Regierungszeit nicht getan hat. Er streute aus den Taschen der gegenwärtigen Regierung Hände voller Versprechen und Gelder aus und redete vom Besitzstandwahren, das man eigentlich von der Regierung verlangen müßte. In der Zeit, als er selber in der Regierung war, in der vorigen, habe ich das nicht erlebt. Da ging es um die eigenen und um die Tasche des Herrn Strauß; immer nur bildlich gesprochen im Sinne derer, die das verwalten.
Da war etwa die Sache mit dem Inordungbringen der 2%igen Belastung der Rentner mit dem
Krankenversicherungsbeitrag. Eine „Politik der Gefälligkeiten" oder ein Inordnungbringen von etwas, was vorher in Unordnung gekommen war?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Wörner. — Weitere Zurufe.)

Oder was halten Sie eigentlich von dem Dritten Vermögensbildungsgesetz, dem Sie ja dann nach langem Zuckeln und Hin und Her zugestimmt haben, weil Sie auch dabei sein wollten, wenn es darauf ankam, was wir schon einige Male hier erlebt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Stoltenberg. — Weitere Zurufe.)

Das ist ein wichtiges Gesetz, nicht nur in bezug auf die 624 DM, sondern auch wegen des Zulagesystems. Die unleidlichen und vor allen Dingen die Arbeitnehmer belastenden Nachteile bei der Sozialversicherung sind endlich weg. Hier ist saubergemacht worden. Außerdem wurde für Familien mit mehreren Kindern eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen. Ich finde es großartig, daß man zum erstenmal auch hier strukturell etwas gemacht hat: endlich eine Begrenzung für das Nutzbarmachen solcher Möglichkeiten bei den Einkommen nach oben. Denn warum sollten sie, die sich auch sonst helfen können, von solchen Vergünstigungen Gebrauch machen?

(Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Diejenigen, denen geholfen werden muß, sollen durch Sparen, durch das Prämiensparen und anderes, endlich vermögensbildungswirksame Leistungen auf ihren Konten sehen. So werden wir es weitermachen.
Wir haben eine Sache, die uns noch sehr drückt, das ist die Versicherungspflichtgrenze bei den Angestellten. Da haben Sie sich sehr kurzsichtig, sehr kleinlich gezeigt, als Sie seinerzeit mit uns zusammen das in der Regierung hätten machen können. Ich erinnere mich, wie Sie damals gerechnet haben, noch dazu mit falschen Zahlen. Der Bundeskanzler von damals mußte sich vom eigenen Minister sagen lassen, die Zahlen, die er da habe, seien nicht mehr gültig, und beide Seiten seien längst übereingekommen gewesen, sich der Zahlen zu bedienen, gegen die er noch einmal losgehen wollte. Nun, von 900 auf 990 DM wollten Sie gehen. Dann haben Sie sich 1200 DM abquälen lassen. Das sind die Dinge.
Hier geht es um zwei Politiken: Ihre, wenn Sie können, mit der Gießkanne und zugleich dieses „Sowohl-Als-auch",

(Lachen bei der CDU/CSU)

nämlich sowohl eine kräftige Erhöhung im Einzelfall angesichts der Vertreter von Verbänden, aber dann Beschneidung — damit Sie sagen können, das sei eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik, die Sie, wenn auch nur verbal, betreiben —,

(Lachen bei der CDU/CSU)




Wehner
Senkung von Ausgaben. So sind Sie. Das ist etwas, was uns unter anderem unterscheidet.
Aber es gibt auch sonst noch einiges. Mich macht nachdenklich, ob der Herr Kollege Wörner, der hier den Antrag begründet hat — und dabei natürlich auch einige Töne wieder gebraucht hat, die er damals hier zu üben versucht hat, als es um 100 Tage Regierung ging; es waren in Wirklichkeit 100 Tage Opposition; da versteht man, da bläst man noch nicht so gut, wie es eine Weile später der Fall sein wird — —

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Strauß. — Weitere Zurufe.)

Wissen Sie was — Sie kommen ja alle noch dran, wenn Sie wollen —, mir ist das nicht ganz klar, wie das eigentlich im Sinne des Herrn Begründers gemeint war, nämlich ob er durch diese Pflichtübung sein eigenes, von ihm entwickeltes politisches Programm fördern wollte oder ob er mit dieser Pflichtübung hier im Blickfeld sein wollte, — bei der Auswahl der Nachfolger für bestimmte Dinge.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Dr. Wörner.)

Denn ich habe zufällig — der Zufall fügt's — einen Artikel von ihm hier. Der Herr Kollege hat in einem Artikel mit dem luziden Titel „Humane Leistungsgesellschaft — als Leitbild einer in die Opposition gedrängten Partei" damals geschrieben — Sie kennen es, Sie haben es ja selber geschrieben —:
Es kann kein aktuelles Ziel der Opposition sein, die gegenwärtige Regierung so schnell wie möglich zu stürzen. In erster Linie muß vielmehr die Entwicklung eines überzeugenden und geschlossenen gesellschaftspolitischen Konzepts stehen.

(Lachen bei der SPD.)

Die Politik der Union muß präzise formuliert und der Öffentlichkeit als Alternative zur Regierungspolitik wirksam angeboten werden. Das Ziel bleibt aber natürlich, die verlorengegangene Regierungsposition wiederzugewinnen.
Schönen Dank, es war zwar nicht überraschend, was da steht. Solche Fuhrleute wie wir wissen ja, wie das zugeht.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber es war ja doch ganz luzide. Man könnte noch mehr. Aber bleiben wir dabei. Ich gehöre ja nicht zu den Privilegierten, die dann plötzlich sagen können, für sie sei — ich weiß nicht von wem — sound-soviel Redezeit angemeldet worden.
Also: die politische Pflichtübung ist vollzogen worden. Jetzt ist die Chance da, daß man abstimmen kann. Ich begrüße das. Ich bedaure nur, daß Sie einen Mann wie den Bundeskanzler in einer zum Teil unter jeder Kritik stehenden Art angreifen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU.)

Das einzig Neue, was Sie in die wechselvolle Geschichte von Opposition und Koalition in den etwas
mehr als zwei Jahrzehnten hineingebracht haben, ist ' die Diffamierung eines Bundeskanzlers auch in der Person.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Hier ist von meinem verehrten Herrn Vorredner, dem Vorsitzenden der CDU/CSU, eine Art Soße zu dieser Begründung des Herrn Wörner gegossen worden. Ein Braten ohne Soße ist natürlich für manche nur halb so schön. Für uns ist es so glaubwürdig wie das, was Sie damals gesagt haben, Herr Kollege Barzel: Erhard war, Erhard ist, Erhard bleibt unser Bundeskanzler. — So glaubwürdig sind Sie für uns noch heute. Sie haben das damals zu einer Zeit gesagt, als Sie selbst schon sägten und als Sie die Kopfgrippe Ihrer eigenen Partei auf den Staat übertrugen und auf ihn abluden. Sie haben bestimmte Probleme — das ist mir klar.

(Abg. Rasner: Der spinnt doch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie reden hier jetzt von Gemeinsamkeit und sagen, die SPD werde die Verantwortung tragen. Dazu, ob es eine solche Verantwortung — oder wieviel davon — gibt, kann ich nur sagen: Jede Seite hat vor dem ganzen Volk zu verantworten, wie Sie es mit den Pflichten gegenüber dem ganzen Volk hält,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei den Regierungsparteien)

jenen Pflichten, die sie dem ganzen Volk gegenüber hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Althammer.)

Ich bringe hier einen guten Vorsatz des Bundeskanzlers und seiner Regierung aus der Regierungserklärung in Erinnerung, den Sie aber fortgesetzt zuschanden zu machen versuchen: „im sachlichen Gegeneinander und nationalen Miteinander". Ich bin mir sehr im Zweifel, was Sie unter nationalem Miteinander überhaupt verstehen können. Und sie zeigen hier, daß Sie unter sachlichem Gegeneinander nichts verstehen, sondern lediglich alles vergröbern.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: Sie sind es doch!)

Meine Damen und Herren, Sie sind in der zweiten Lesung in sehr vielen Abstimmungen unterlegen. Da waren die Anträge noch auf blaßrosa Papier gedruckt. Jetzt liegen sie der Prozedur nach auf blaßgrünem Papier vor, so daß man also für den, der die Anträge nochmals stellt, hoffen kann. Sie sind in jeder Abstimmung verdient unterlegen, der Sache nach und auch, weil Sie hier nicht die Mehrheit haben. Ich bringe das in Erinnerung, was Herr Kollege Wörner Ihnen selbst — jedenfalls denjenigen von Ihnen, die noch an der Zukunft Ihrer Partei beteiligt sein werden; das sind natürlich nicht alle — von dem ins Stammbuch geschrieben hat, was die Union erst alles noch werden muß und leisten muß, bis sie jenes Programm hat. Schönen Dank! Wir werden abstimmen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)





Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0606008200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kiesinger.

(Zuruf von der SPD: Schwanengesang!)


Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0606008300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag zunächst des Herrn Bundeskanzlers zu der heutigen Debatte veranlaßt mich, mich an dieser Aussprache zu beteiligen. Herr Bundeskanzler, für die ChristlichDemokratische Union weise ich mit der äußersten Entschiedenheit

(Oho-Rufe bei der SPD)

Ihre Behauptung zurück, daß die CDU/CSU gestern mehr zerschlagen hätte, als sie wüßte. Das ist wieder eines Ihrer kryptischen Worte.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Typisch!)

Was soll das heißen? Ich sage Ihnen klipp und klar, Herr Bundeskanzler: Wenn es uns gestern und in den Debatten zuvor und mit dem Erfolg dieser Landtagswahlen gelungen ist, eine Politik zu zerschlagen, die wir für lebensgefährlich für unser Volk halten, dann ist das für uns ein großer Erfolg.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das bedeutet keine Verunglimpfung Ihrer Person, Es gibt in der Politik eben sachliche Meinungsverschiedenheiten, die ausgetragen werden müssen. Herr Wehner, die Opposition hat tatsächlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich deutlich zu melden. Wenn Sie aber meinen, wir hätten irgend etwas zerschlagen, was wir gar nicht wissen können, wenn Sie meinen, im Geheimen sei irgend etwas in Trümmer gegangen, warum sagen Sie nicht, was wir angeblich zerschlagen haben, Herr Bundeskanzler?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben Sie gestern aufgefordert — ich habe es wiederholt getan —, Sie sollten das erlösende Wort sprechen. Es ist einfach nicht richtig, daß in einer so säkularen Frage wie der, über die wir gestern diskutiert haben und auch heute diskutieren, Geheimdiplomatie geboten sei. Die Herren in Moskau sind keine Mimosen, sie sind nicht ,so empfindlich, wie Sie sie immer darstellen wollen.
Es wäre gut, wenn hier in voller Breite vor dem ganzen deutschen Volk

(Abg. Rasner: Ehrlich!)

gesagt würde, um was es geht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Selbst wenn Sie das nicht wollten, hätten Sie einem kleineren Kreis von uns sagen müssen, um was es exakt geht.

(Abg. Rasner: Ehrlich sein, das ist es! — Zurufe von der SPD.)

Dann hätten wir Ihnen dort exakt sagen können, was wir akzeptieren oder nicht akzeptieren.
Für uns steht — darüber wird alles Reden nicht hinweghelfen — dieser Text in der Welt, über den wir gestern diskutiert haben. Es handelt sich um jene vier Artikel oder Punkte und auch um das, was noch unveröffentlicht dahintersteht, worüber wir gestern abend etwas Authentisches oder nicht Authentisches gehört haben. Ich kann mir nicht helfen, ich muß es wiederholen: dieser Text übernimmt voll und ganz die Terminologie der Sowjeunion, und damit laufen Sie Gefahr, nicht nur die Terminologie zu übernehmen, sondern sich auch den Forderungen der Sowjetunion zu beugen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Dann können Sie ja weiterhetzen!)

Es liegt bei Ihnen, uns diese Sorge zu nehmen. Sie sagen, es ginge uns ja gar nicht um eine redliche Auseinandersetzung, wir wollten nur unserem Volk Angst machen. Es hat, obwohl wir uns in der Sache einig waren, in der CDU gerade im Blick auf die Landtagswahlen — warum soll ich es nicht sagen? — Diskussionen darüber gegeben, wie stark wir uns in dieser Frage zu Wort melden sollten. Die einen oder anderen glaubten, ,daß es dafür zu früh sei.
Herr Bundeskanzler, obwohl diese Sorge bestand, daß das für uns vielleicht zu einem Minus bei den Wahlen führen könnte, haben wir uns — das hat Herr von Guttenberg von dieser Stelle aus deutlich genug gesagt — entschieden,

(Abg. Wehner: Alles Taktik!)

diese Frage unserer Bevölkerung vorzulegen. Wir wollten bei diesen drei Wahlen von unserer Bevölkerung hören, was sie zu Ihrer neuen Ost- und Deutschlandpolitik meint, und haben daher ununterbrochen

(Abg. Wehner: Gehetzt!)

— nicht gehetzt, sondern aufgedeckt, gefragt, noch einmal aufgedeckt, noch einmal gefragt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Gehetzt!)

Es wäre bei Ihnen gewesen, das Wort zu sprechen, das diese Sorgen beseitigt hätte. Aber offenbar können Sie dieses Wort nicht sprechen, Herr Bundeskanzler, weil Sie schon zu weit gegangen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir von „zerschlagen" sprechen — Herr Bundeskanzler, wer hat zerschlagen?

(Zurufe von der SPD: Sie!)

Ich bin der Meinung, in den letzten acht Monaten ist, von Ihrer Regierungserklärung an, in der Sie ganz unnötigerweise Vorleistungen erbracht haben, die Sie gar nicht erbringen durften, über die vielen Reden über Wiedervereinigung oder nicht Wiedervereinigung bis hin zu der Weigerung, zu sagen: Wir wollen nicht nur die nationale Einheit bewahren, sondern die staatliche Einheit wiedergewinnen, und durch so viele andere Aussagen führender Persönlichkeiten der Sozialdemokratie ist so vieles zerschlagen worden, daß ich fürchte, daß wir diese Trümmer gar nicht mehr werden zusammenflicken können.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)




Dr. h. c. Kiesinger
Das alles wäre nicht notwendig gewesen. Wenn Sie eine neue Politik betreiben wollten, dann mußten Sie sich sagen, daß Sie — ganz im Gegenteil zu dem, was Sie und Herr Wehner heute sagten —diese Politik nur mit einer großen Zustimmung unseres Volkes realisieren konnten, d. h. auch mit einer großen Majorität in diesem Hause. Sie können eine so säkulare Entscheidung nicht mit einer winzigen Zufallsmehrheit, die schon morgen in Frage gestellt sein kann, fällen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Ihre Rücktrittsbremse! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Was sollen denn solche Formeln, die Sie auch im Wahlkampf gebraucht haben, die Opposition wolle klüger sein als die Regierung und alle Verbündeten zusammengenommen?! Ich könnte zurückblicken auf Auseinandersetzungen früherer Jahre, wo wir ja auch gegeneinander standen, wo die Regierung eine Politik des Atlantischen Bündnisses gegen die Opposition verfocht und wo wir den Westen auf unserer Seite hatten. Da hätten wir auch den Vorwurf erheben können, die Opposition habe damals klüger sein wollen als die Regierung und die Verbündeten zusammengenommen. Das sind doch keine ernsthaften Argumente, Herr Bundeskanzler.
Nein, Herr Wehner, die Tätigkeit dieser Opposition erschöpft sich keineswegs in der Negation. Wir haben in der Wirtschaftspolitik — ich wiederhole, was der Fraktionsvorsitzende gesagt hat —vom ersten Augenblick an dieser Regierung angeboten, sie zu unterstützen, wenn sie Maßnahmen ergreife, die die Preise unter Kontrolle bringen können. Das war auch ein Versprechen, meine Damen und Herren, vor den Wahlen und für die Wahlen. Das hieß, die Regierung konnte sich darauf verlassen, wenn sie etwas Unpopuläres unternähme, würden wir das in den Landtagswahlen nicht gegen sie ausbeuten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

Ich glaube, fairer kann sich eine Opposition nicht verhalten.
Soll ich noch einmal wiederholen,

(Zurufe von der SPD)

was die Zustimmung unserer Verbündeten, auf die Sie sich dauernd berufen, wirklich bedeutet? Sie stimmt haargenau mit der Aussage überein, die wir, die Union, all die Monate gemacht haben: natürlich Verhandlungen mit dem Osten, um die Lage in Europa zu bessern. Wer ist denn dagegen? Ich habe selbst als Kanzler mit Ihnen als Außenminister diese Verhandlungen eingeleitet. Aber Verhandlungen müssen es sein, d. h. es muß deutlich sein, daß auch die andere Seite bereit ist entgegenzukommen. Wo nicht beide Seiten aufeinander zugehen, wo nicht beide Seiten von vornherein Signale dafür setzen, daß sie bereit sind, sich irgendwo in der Mitte — und wenn es nicht in der Mitte ist, dann entweder bei zwei Dritteln oder einem Drittel — des Weges zu treffen, dann sind es eben keine Verhandlungen, auf die man sich vernünftigerweise einlassen kann.
Was sie Negation nennen, Herr Wehner, ist unser Versuch, als Opposition mit unseren Kräften und unseren Mitteln das zu tun, was möglich ist, um eine nach unserer Überzeugung gefährliche Politik abzuwenden. Und die Gefahr dieser Politik — ich wiederhole es — beschränkt sich nicht nur auf das deutsche Volk und auf die 17 Millionen drüben;

(Abg. Wehner: Sie wollen wohl die ganze Welt mit einschließen? Sie sind nicht alternativ, sondern destruktiv!)

die Gefahr dieser Politik ist die, daß sich am Ende dieser Gespräche und Verhandlungen eine Festigung der Position der Sowjetunion ergeben wird, die für die Sowjetunion einen Schritt mehr auf dem Wege zur Hegemonie über ganz Europa bis an die Küste des Atlantik bedeuten würde.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Was Sie zur Gesellschaftspolitik gesagt haben, Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Wehner: Was wollen Sie? Der Herr Bundeskanzler selbst hat. im Wahlkampf gesagt, es habe sich die Notwendigkeit einer Phasenverschiebung für die Reformen ergeben. Man habe zwar das notwendige Geld, dürfe es aber aus konjunkturpolitischen Gründen nicht ausgeben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606008400
Herr Abgeordneter Kiesinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wichert?

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0606008500
Bitte sehr!

Dr. Günter Wichert (SPD):
Rede ID: ID0606008600
Herr Kiesinger, unterstellen Sie, wenn Sie es schon der Bundesregierung unterstellen, daß, wenn sämtliche NATO-Partner die Entspannungspolitik und die Politik zur Erreichung von Gewaltverzichtsverhandlungen und -abkommen unterstützen, es auch zu den Zielen dieser Länder, z. B. der Vereinigten Staaten gehört, die Hegemonie der Sowjetunion in Europa weiter auszubauen?

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0606008700
Das ist eine merkwürdige Frage. Zu den Zielen der Politik der Vereinigten Staaten, wenn sie ihr eigenes wohlverstandenes Interesse im Auge behalten, gehört es in der Tat, eine Hegemonie der Sowjetunion über ganz Europa zu verhindern. Sie wissen aber genausogut wie wir, daß jede Regierung von den Strömungen der öffentlichen Meinung abhängig ist, und Sie wissen, daß sich gegenwärtig in den Vereinigten Staaten angesichts der großen Schwierigkeiten, in denen sich dieses Land befindet, eine neue isolationistische Tendenz bedrohlich zeigt, daß zum erstenmal nach 20 Jahren, seitdem das atlantische Bündnis besteht, sich im amerikanischen Senat eine, wenn auch schwache Mehrheit für eine drastische Reduzierung der amerikanischen Truppen gebildet hat. Das heißt mit anderen Worten: Wir können nicht einfach mit Sicherheit darauf rechnen, daß der „große Bruder" jenseits des Atlantiks immer zu unserem Schutz dasein wird, ganz gleich, was wir tun oder nicht tun. Deswegen steht diese neue Politik



Dr. h. c. Kiesinger
der Regierung in einem offensichtlichen Zusammenhang mit unserer Westpolitik, und deswegen genügt auch in der Westpolitik genausowenig wie in der Ostpolitik das allgemeine Credo. Sowenig wie das allgemeine Credo zum Selbstbestimmungsrecht genügt, sondern konkrete Politik erforderlich ist, sowenig genügt das allgemeine Credo zur Festigung des atlantischen Bündnisses, wir brauchen konkrete atlantische und westliche Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im übrigen, Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Wehner, zur Gesellschaftspolitik sind Sie ja angetreten. Sie haben ja große Versprechungen gemacht. Sie wollten doch das moderne Deutschland schaffen,

(Zurufe von der SPD)

ein Land, das bisher offenbar auf der Stufe eines unterentwickelten Landes gestanden hat.
Und wenn schon, Herr Bundeskanzler, eine Phasenverschiebung aus konjunkturpolitischen Gründen notwendig war, was hat Sie denn daran gehindert, die Reformpläne, die sich doch über viele Jahre erstrecken, vorzulegen und zu sagen: Finanzieren werden wir das eben dann, wenn wir es können?

(Abg. Wehner: Wenn es die CDU erlaubt!)

Hier hätten Sie die Gelegenheit gehabt, zu beweisen, daß Ihnen etwas einfällt.
Es ist doch längst nicht mehr nur die Kritik der CDU, die Ihnen vorwirft, daß die Reformen ausgeblieben sind. In Blättern, die Ihnen nahestehen, können Sie es lesen: „Verwelkter Lorbeer", so stand es in einer Zeitung, die der CDU und der CSU nicht besonders hold ist. Dieser Artikel hatte nur einen Fehler, die Überschrift. Sie hätte nicht lauten dürfen, „Verwelkter Lorbeer", sondern: „Verwelkter Vorschußlorbeer", Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Herr Kollege Wörner von Gefälligkeiten gesprochen hat, so können Sie ihn auch mißverstanden haben. Sie können ihn nicht so verstanden haben, daß er etwa geglaubt hat, die Erhöhung der Leistungen für die Kriegsopfer werde von uns als Gefälligkeit bezeichnet.

(Abg. Wehner: Der arme Wörner! Jetzt müssen Sie ihn noch interpretieren!)

Auf diesem Gebiet braucht sich die CDU/CSU nicht zu verstecken.

(Beifall bei der CDU. CSU. — Zurufe von der SPD.)

Die Kriegsopfer haben sich noch allemal auf uns verlassen können.

(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Wenn sie auf die Straße gingen! — Abg. Dr. Tamblé: Fragen Sie mal Herrn Erhard! — Weitere Zurufe von der SPD!)

Und die Verdoppelung beim 312-DM-Gesetz, meine
Damen und Herren, was ist denn das schon für ein
Ruhmesblatt? Es ist die Verdoppelung eines Betrages in einem Gesetz, das vor zehn Jahren die CDU/CSU in diesem Hause durchgesetzt hat —gegen Ihren Widerstand oder gegen Ihre Gleichgültigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Wehner.)

Was Herr Kollege Wörner sagen wollte, war doch ganz einfach: Wir sehen keine Ordnung in Ihren Plänen. Wir sehen keine Prioritäten. Wir sehen den Bewegungsspielraum nicht, den Sie sich schaffen müßten.

(Zurufe von der SPD.) Sie geben kleine Gefälligkeiten.


(Abg. Dr. Tamblé: Zählen Sie doch einmal ein paar Gefälligkeiten auf! — Abg. Dr. Stoltenberg: Steuergeschenke!)

— Ich werde sie Ihnen aufzählen. Wir sind z. B. der Meinung, daß die Steuersenkung, die Sie bei der Lohnsteuer vornehmen, eine Maßnahme ist, die für den einzelnen nur ganz geringe Erfolge hat, die aber im ganzen Ihnen ein finanzielles Volumen zur Verfügung stellen würde, das Sie für größere, wichtigere, vorrangigere Aufgaben verwenden könnten.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606008800
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606008900
Herr Präsident! Herr Kollege Dr. Kiesinger, Sie haben wie in den letzten Tagen auch jetzt wieder behauptet, wir suchten nicht die Zusammenarbeit mit der Oppositionspartei in außenpolitischen und deutschlandpolitischen Fragen und wir hätten sie nicht gesucht. Ich muß nun einfach wieder einmal die Tatsachen hier erwähnen. Auch über das von Ihnen genannte Papier haben wir zum rechten Zeitpunkt mit den kleinen Kreisen auch der Oppositionspartei gesprochen. Wir haben darüber hinaus die Diskussion darüber im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages eröffnet. Wer gestern an der Diskussion im Auswärtigen Ausschuß teilgenommen hat, wird einfach nicht sagen können, daß nicht in sachlicher Weise Einzelheiten, wie das in diesem Kreise möglich ist, besprochen und diskutiert werden konnten. Das muß man doch nun endlich einmal akzeptieren.
Aber, Herr Dr. Kiesinger, eines wissen Sie ja —
und Sie werden es aus Ihrer Erfahrung als Bundeskanzler wissen — : daß man Verhandlungen in der Außenpolitik nicht auf dem offenen Markt führen kann. Es muß die Möglichkeit geben, die Dinge in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu besprechen, so wie wir es getan haben.

(Beifall bei der FDP.)

Wir sind mitten drin in den sorgfältigen Beratungen, meine Damen und Herren. Es trifft einfach nicht



Bundesminister Scheel
zu, daß hier bereits irgend etwas abgeschlossen wäre, was Ihre Verdächtigungen

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: „Sorgen"!)

rechtfertigen würde, wir würden hier etwas hergeben. Das trifft nicht zu.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606009000
Herr Minister, gestattten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0606009100
Herr Bundesaußenminister, da Sie soeben den Auswärtigen Ausschuß angesprochen haben, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zuzugeben, daß auch bei den letzten Sitzungen, etwa bei der gestrigen, eine Fülle von Fragen, die wir gestellt haben, auch Fragen, die ich z. B. gestern früh hier gestellt habe, nicht beantwortet worden sind.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Darf ich Sie bitten, dabei zugleich unseren Wunsch aufzunehmen, daß wir alsbald in einer Sondersitzung des Ausschusses diese Fragen mit Ihnen erörtern und klären können?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606009200
Herr Kollege, Sie wollen aber doch nicht den Eindruck erwecken, als ob diese Fragen nicht beantwortet worden wären, weil wir sie nicht beantworten wollten. Sie wurden nicht beantwortet, weil die gestrige Sitzung keine Gelegenheit dazu gegeben hat. Selbstverständlich werden diese Fragen beantwortet.
Herr Dr. Kiesinger hat hier gesagt — ich weiß gar nicht, woher er den Mut nimmt, das hier zu behaupten —, unsere Bemühungen um vertragliche Regelungen mit den osteuropäischen Ländern würden .die Hegemonie der UdSSR in Europa verfestigen. Meine Damen und Herren, wenn es überhaupt so etwas wie eine Hegemonie der UdSSR in Osteuropa gibt, dann war das sicherlich zuletzt die Schuld dieser Bundesregierung. Das ist viel früher entstanden, und zwar zu einer Zeit, an die wir uns erinnern sollten. Das ist das Ergebnis des letzten Krieges gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606009300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Guttenberg?

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0606009400
Herr Bundesaußenminister, um die Legende zu zerstören, daß der Auswärtige Ausschuß so gut und eingehend unterrichtet werde, frage ich Sie, ob es nicht wahr ist, daß auch gestern wieder ein ganze Zahl wichtigster Fragen drei- und viermal wiederholt werden mußten, weil Sie keine klare Antwort gegeben haben.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Scheel, Bundesminnister des Auswärtigen: Der Außenminister ist ja dafür da, daß durch Frage und Antwort eine Klärung herbeigeführt wird. Das ist geschehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606009500
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kiesinger?

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0606009600
Herr Außenminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie geglaubt haben, ich hätte soeben in meinem Diskussionsbeitrag gesagt, Ihre Politik sei nach unserer Meinung eine Verfestigung der Hegemonie der Sowjetunion in Osteuropa? Ich habe das nicht gesagt. Ich habe gesagt, sie bringe die Gefahr einer Ausdehnung ,einer Begründung einer sowjetischen Hegemonie in Westeuropa bis zur Küste des Atlantiks.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606009700
Ich möchte gern wissen, woher Sie den Mut nehmen, so etwas hier zu behaupten, Herr Dr. Kiesinger.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese vollkommen ohne Angabe von Gründen aufgestellte Behauptung, die immer wiederholt wird, soll doch nichts anderes als Angst in unserem Volk schaffen.

(Beifall hei den Regierungsparteien.)

Wenn wir, Herr Dr. Kiesinger, bei der Vorbereitung von vertraglichen Regelungen über bestimmte Tatbestände mit der Sowjetunion sprechen, so tun wir das nicht etwa, um damit ihre hegemoniale Stellung in ihrem Bereich zu verfestigen oder anzuerkennen, sondern wir tun es aus dem gleichen Grunde, aus dem wir über Tatbestände, die Deutschland als Ganzes angehen, mit unseren westlichen Verbündeten gesondert sprechen, ohne damit ausdrücken zu wollen, daß unsere Nachbarn in Europa uns weniger wert sind. Das ist eine nüchterne Grundlage dafür, und deswegen reden wir auch mit der Sowjetunion über Fragen, die osteuropäische Staaten angehen, aber nur deswegen, weil die Sowjetunion als einer der vier Alliierten in dieser Frage ganz besonders angesprochen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606009800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stoltenberg?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0606009900
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht für möglich, daß die Angst und die Unruhe in unserer Bevölkerung, von denen Sie sprachen, auch durch sehr widerspruchsvolle Äußerungen über diese Verhandlungen aus dem Lager der Regierung verursacht werden, etwa dadurch, daß der Sprecher der Bundesregierung sagt, es handle sich um ein fast reifes Ergebnis, und ein bedeutendes Kabinettsmitglied Ihrer Partei erklärt, wir stünden vor den schwierigsten und schwerwiegendsten Verhandlungen, die ein deutscher Außenminister in der Nachkriegsgeschichte überhaupt geführt habe?




Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606010000
Herr Dr. Stoltenberg, es ist nicht nur von mir, sondern von allen Mitgliedern der Regierung zum wiederholten Male gesagt worden, daß Herr Bahr über 30 Stunden Gespräche über viele Punkte geführt hat, die in Europa diskutiert werden müssen. Das Ergebnis hat er in Leitsätzen mitgebracht,

(Zurufe von der CDU/CSU)

die er mit seinem Gesprächspartner erarbeitet hat.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Das ist die Grundlage, auf der man einen Vertrag über Gewaltverzicht abschließen könnte.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wie können Sie das noch aufrechterhalten, Herr Scheel?! — Abg. Strauß: Sie bauen sich eine Tretmine nach der anderen in Ihren Garten ein! Sie verlieren jeden Spielraum für ihre Verhandlungen!)

— Ich wiederhole noch einmal: dies ist die Grundlage, auf der man einen Vertrag über Gewaltverzicht aufbauen kann, und die Vorbereitungen dieser Vertiagsverhandlungen sind im Gange. Der Auswärtige Ausschuß hat davon etwas Näheres mitgeteilt bekommen, um zu sehen — —

(Zurufe von der CDU/CSU: „Etwas"! — Abg. Strauß: „Hauch der großen Welt"!)

— Ich habe nicht die Absicht — und das kann auch gar nicht Ihr Wunsch sein —, mit dem Auswärtigen Ausschuß gemeinsam solche Verhandlungen vorzubereiten. Das ist schlechthin unmöglich. Wir wollen hier doch ein bißchen das Verhältnis von Parlament zu Regierung in der Ordnung halten, wie sich das gehört.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, Sie gebrauchen aber immer diese Behauptung, um — ich wiederhole es noch einmal — in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ginge hier etwas vor, von dem das Parlament überhaupt nichts wisse.

(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es auch!) Das stimmt einfach nicht.


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist nicht nur das Parlament, mit dem wir über diese Frage diskutieren. Ich darf hier wiederholen, daß wir von dem ersten Tage an unsere westlichen Verbündeten in jeder Gesprächsphase, worauf sie sich auch bezogen haben mag, in engster Zusammenarbeit konsultiert haben. Das ist auch der Grund, um dessentwillen unsere westlichen Verbündeten zum wiederholten Male gesagt haben, daß sie zu diesem Weg der deutschen Außenpolitik Vertrauen haben und daß sie diesen Weg unterstützen. Wir werden diese vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten fortführen, damit wir auch für die Osteuropapolitik den Erfolg erreichen können, den wir jetzt in der Westeuropapolitik praktisch vorweisen. Hier, Herr Dr. Kiesinger, muß ich Ihnen sagen, daß es doch etwas leichtfertig gewesen ist, davon zu sprechen, daß sich die Bundesregierung darauf beschränke, in der Westeuropapolitik das
Credo zu Europa und der europäischen Einigung auszusprechen. Wenn einer nur das Credo ausgesprochen hat, dann war das doch in der vergangenen Periode, in der in Westeuropa nichts geschah und nichts geschehen konnte, aber um so mehr darüber geredet worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Einiges ist immerhin doch geschehen!)

Hier ist doch ganz charakteristisch, daß in der Debatte über die Große Anfrage der Opposition zur Europapolitik, die ja im wesentlichen die Westeuropapolitik betreffen sollte, die Opposition selbst auf jeden Fall zur Westeuropapolitik bisher noch nahezu kein Wort in diesem Parlament gesprochen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich wäre froh, wenn wir uns darüber unterhalten und darüber diksutieren würden. Wir haben nicht ein Credo zur Europäischen Union vorgetragen, sondern wir haben Schritt für Schritt konkrete Etappen erreicht, von der Vollendung des Gemeinsamen Marktes über die konkreten Vorschläge zur Vertiefung, d. h. zum Ausbau auf die Wirtschafts- und Währungsunion, bis hin zu dein konkreten Datum der Eröffnung der Erweiterungsverhandlungen mit Großbritannien, mit Dänemark, Norwegen und Irland, bis zu dem Vorschlag über den Beginn einer politischen Zusammenarbeit in Europa, bis hin zu dem Bekenntnis, daß diesem Vorschlag die Überzeugung der Bundesregierung zugrunde liegt, daß das Ziel der Europapolitik die Europäische Union ist und sein muß. Das sind konkrete Schritte auf dem Wege zu Europa, und ich muß sagen, daß ich es bedauerlich finde, Herr Dr. Kiesinger, daß Sie die nicht anerkennen und mit uns gemeinsam gehen, sondern behaupten, wir hätten es beim Credo belassen.
Wenn Sie aber damit sagen wollen, Herr Dr. Kiesinger, daß es in der Frage der politischen Zusammenarbeit eines konkreten Vorschlags bedürfe, Institutionen zu schaffen,

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Jawohl!) Institutionen supranationaler Art,


(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Nein!)

mit denen man nun die europäische Politik, die gemeinsame Politik beginnen müsse,

(Abg. Dr. h. r. Kiesinger: Nein, neun, Sie unterstellen! — Abg. Strauß: Das ist doch Ihre Fiktion!)

dann behaupte ich, damit würden Sie die politische Zusammenarbeit in Europa, bevor sie überhaupt begonnen hat, schon wieder zerstören.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Institutionen brauchen nicht supranational zu sein!)

— Wir werden möglicherweise noch heute nachmittag auf diese Frage zu sprechen kommen.



Bundesminister Scheel
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal wiederholen, was ich in der gestrigen Diskussion gesagt habe. Die Bundesregierung sucht mit ihrer Politik Verträge mit osteuropäischen Staaten über einen Modus vivendi abzuschließen, den Weg zu einer Friedensordnung in Europa, die uns mehr Sicherheit und mehr Zusammenarbeit in Europa bringen soll.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ich habe aber den Eindruck, Herr Zwischenrufer,

(Zuruf von der CDU/CSU: Kollege!)

daß die Opposition es dabei beläßt hier zu sagen, daß sie für solche Verhandlungen ist, daß sie in Wirklichkeit aber solche Verhandlungen überhaupt nicht will, wie eh und je.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie können sich darauf verlassen, daß das, was der Bundeskanzler hier gesagt hat, Grundlage aller unserer Verhandlungen sein wird, nämlich daß wir bei diesen Verhandlungen die entscheidenden Grundsätze, die in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen sind, berücksichtigen. Es gibt keine Verhandlungen, die das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen einschränken würden. Es gibt keine Verhandlungen, die das Recht auf die Vereinigung der Deutschen ausschließen würden. Es gibt keine Verhandlungen, die die Position Berlins schmälern würden.
Meine Damen und Herren, nach diesen Grundsätzen werden unsere Verhandlungen geführt. Das sollte die Opposition endlich zur Kenntnis nehmen, und sie sollte das auch wahrmachen, was sie immer wieder dem Volke draußen sagt. Sie sollte ihrerseits endlich Bereitschaft zur Kooperation in den entscheidenden nationalen Fragen unserer Politik zeigen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Was hat denn der Kanzler am Schluß gesagt?!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606010100
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 57. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich gehe davon aus, daß der Antrag hinreichend unterstützt ist.
Das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck 57 liegt vor. Insgesamt haben 494 und 20 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Mit Ja haben 242 und 8 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 250 und 12 Berliner Abgeordnete; enthalten haben sich 2 Abgeordnete. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU abgelehnt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen : 494 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 242 und 8 Berliner Abgeordnete Nein: 250 und 12 Berliner Abgeordnete Enthalten: 2 Abgeordnete
Gierenstein
Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing (Dithmarschen)

Dr. Gölter Dr. Götz Gottesleben
Frau Griesinger
Dr. Gruhl
Freiherr von und zu Guttenberg
Haase (Kassel)

Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. Hallstein
Dr. Hammans
Hanz
von Hassel
Hauser (Bad Godesberg)

Dr. Hauser (Sasbach)

Dr. Heck
Hein (Salzgitter)

Frau Dr. Henze
Dr. Hermesdorf (Sehleiden) Höcherl
Hösl
Horstmeier
Horten
Dr. Hubrig
Hussing Dr. Huys Frau Jacobi (Marl)

Dr. Jaeger
Dr. Jahn (Braunschweig)

Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Katzer
Dr. Kempfler
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee Dr. Klepsch
Dr. Kley
Dr. Kliesing (Honnef)

Klinker Köppler Köster
Krammig Krampe Dr. Kraske
Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht
Lemmrich Lensing Dr. Lenz (Bergstraße)

Lenze (Attendorn)

Lenzer
Link
Dr. Löhr Dr. Lude Lücke (Bensberg)

Lücker (München)

Majonica
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Adorno
Dr. Aigner Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Artzinger Dr. Bach
Baier
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher (Pullach)

Dr. Becker (Mönchengladbach)

Becker (Pirmasens)

Berberich Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. Birrenbach
Dr. von Bismarck
Bittelmann Blank
Blumenfeld
von Bockelberg
Dr. Böhme
Frau Brauksiepe
Breidbach Bremer
Bremm
Dr. Burgbacher
Burger
Dr. Czaja Damm
Dasch
van Delden Dichgans
Dr. Dittrich Dr. Dollinger Draeger
von Eckardt Ehnes
Engelsberger Dr. Erhard
Erhard (Bad Schwalbach) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke (Osnabrück)

Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach (Obernau)

Gewandt



Dr. Martin
Dr. Marx (Kaiserslautern) Maucher
Meister Memmel Mick
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Dr. Müller (Aachen-Land) Müller (Niederfischbach) Müller (Remscheid)
Dr. Müller-Hermann
Mursch Niegel Dr. von Nordenskjöld
Orgaß Ott
Petersen Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger
Dr. Pohle
Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Preiß
Dr. Probst
Rainer Rasner Rawe
Reddemann
Dr. Reinhard
Richarts
Riedel (Frankfurt)

Dr. Riedl (München)

Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Roser
Ruf
Russe
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Schlee
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt (Wuppertal) Schmitt (Lockweiler)
Dr. h. c. Schmücker Schneider (Königswinter) Dr. Schneider (Nürnberg) Dr. Schober
Frau Schroeder (Detmold) Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Sellstedt) Schröder (Wilhelminenhof) Schulhoff
Schulte (Schwäbisch Gmünd) Dr. Schulze-Vorberg
Ih-. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke
Spilker Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark (Nürtingen)

Stein (Honrath)

Steiner
Dr. Stoltenberg
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Stücklen
Susset
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Unertl
Dr. Unland
Varelmann
Vehar Vogel Vogt
Volmer
Wagner (Günzburg)

Dr. Wagner (Trier)

Frau Dr. Walz
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber (Heidelberg)

Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn Benda
Dr. Gradl
Dr. Kotowski
Lemmer
Müller (Berlin)

Frau Pieser
Wohlrabe
Nein SPD
Adams
Dr. Ahrens
Dr. Apel
Arendt (Wattenscheid)

Dr. Arndt (Hamburg)

Baack Baeuchle
Bäuerle Bals
Barche
Dr. Bardens
Batz
Bauer Bay
Dr. Bayerl
Dr. Bechert (Gau Algesheim) Becker (Nienberge)
Dr. Beermann
Behrendt
Bergmann
Berkhan
Berlin Biermann
Böhm Börner Frau von Bothmer
Dr. Brand (Pinneberg) Brandt
Brandt (Grolsheim)

Bredl Brück Brünen
Buchstaller
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Corterier Cramer
Dr. von Dohnanyi Dröscher
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Frau Eilers Dr. Enders Engholm Dr. Eppler Esters
Faller
Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke (Hannover) Frehsee
Frau Freyh
Fritsch
Geiger
Gerlach (Emsland) Gertzen
Dr. Geßner
Glombig Gnädinger Grobecker Dr. Haack
Haage (München) Haar (Stuttgart)
Haase (Kellinghusen) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Dr. Hein Henke
Frau Herklotz Hermsdorf (Cuxhaven) Herold
Hirsch
Höhmann (Hessisch Lichtenau)

Hörmann (Freiburg) Hofmann
Horn
Frau Huber
Dr. Hupka Jahn (Marburg) Jaschke
Junghans Junker
Kaffka
Kater
Kern
Killat-von Coreth
Dr. Koch Koenig
Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck Dr. Lauritzen
Lautenschlager
Frau Lauterbach
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maibaum Marquardt
Marx (München)

Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke (Hamburg) Meinike (Oberhausen) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller (Mülheim)

Dr. Müller (München) Müller (Nordenham)
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Dr. Nölling
Offergeld Frau Dr. Orth
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters (Norden)

Pöhler Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Richter
Dr. Rinderspacher
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer (Tübingen)

Frau Schanzenbach
Scheu
Dr. Schiller
Schiller (Bayreuth)

Frau Schimschok
Schirmer
Schlaga
Dr. Schmid (Frankfurt) Schmidt (Braunschweig)
Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)
Dr. Schmidt (Krefeld) Schmidt (München)
Schmidt (Niederselters) Schmidt (Würgendorf)
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte (Unna)

Schwabe Seefeld Seibert Seidel Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Frau Strobel
Strohmayr



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm Tönjes
Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber (Köln) Wehner
Welslau Wende Wendt Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand Wilhelm Wischnewski
Dr. de With Wittmann
Wolf
Wolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt (Berlin) Bühling
Frau Krappe
Liehr
Löffler
Mattick
Dr. Schellenberg Frau Schlei
Dr. Schulz (Berlin) Dr. Seume Sieglerschmidt
Meine Damen und Herren, nach den Verfahrensregeln ist damit gleichzeitig der Einzelplan 04 gebilligt.
Zu den Einzelplänen 05, 06 und 07 liegen Änderungsanträge und Entschließungsanträge nicht vor.
Zu Einzelplan 08 liegt auf Umdruck 37 *) ein Entschließungsantrag vor.

(Anhaltende Unruhe)

— Meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis für den Wunsch zum Gespräch nach einer Abstimmung. Ich bitte aber um Verständnis dafür, daß die Verhandlungen des Hauses weitergeführt werden müssen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Gespräche nach draußen verlegten.
Entschließungsanträge werden üblicherweise in der dritten Lesung begründet und nach der Entscheidung über den Haushalt in der dritten Lesung zur Abstimmung gestellt. Ich frage, ob zum Umdruck 37 das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Leicht!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0606010200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung zu diesem Entschließungsantrag wurde bereits in der zweiten Lesung von mir gegeben. An dieser Begründung ändert sich auch durch die Aussagen des Herrn Bundes-
*) Siehe Anlage 4 finanzministers von heute vormittag nichts. Es ist uns nun einmal durch die neue Haushaltsordnung das Recht gegeben, solche Fälle so zu erledigen. Der Streit in den Auffassungen zu dieser Frage ist nach Wie vor vorhanden. Ich meine, man sollte die Möglichkeit ,schaffen, daß diese Streitfrage objektiv geklärt wird. Das soll mit dem Antrag erreicht werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606010300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Über den Antrag wird nach Abschluß der dritten Lesung abgestimmt. — Wollen Sie dazu dn dritter Lesung sprechen? — Bitte, Herr Abgeordneter Kirst!

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606010400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte um Verzeihung: damit nichts unterlassen bleibt, möchten wir für diesen Antrag Überweisung an den Haushaltsausschuß beantragen — ich weiß nicht, ob das auch noch vor der Abstimmung beantragt werden kann —; ich darf das kurz begründen.
Im Prinzip halten wir den Antrag, Herr Leicht, so wie er gestellt ist, für falsch. Insbesondere ist ,die Bezugnahme auf § 99 der Bundeshaushaltsordnung falsch; der regelt ganz ,andere Dinge. Da wir aber meinen, daß diese Regierung in dieser Frage nichts zu verbergen hat, sind wir der Meinung, daß diese Dinge durchaus im Haushaltsausschuß bzw. — nach weiterer Verweisung — im Rechnungsprüfungsausschuß klargelegt werden könnten. Wir beantragen daher Überweisung an den Haushaltsausschuß.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606010500
Meine Damen und Herren, dazu kommen wir nachher.
Ich rufe nunmehr den Einzelplan 09 auf. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor. Zunächst Änderungsantrag der Abgeordneten Schulhoff, Gewandt, Stücklen, Dr. Götz, Frau Griesinger, Berding, Riedl (Frankfurt) und Genossen Umdruck 54 (neu) *). Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Schulhoff!

Georg Schulhoff (CDU):
Rede ID: ID0606010600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen ist so viel von dem Versuch gesprochen worden, Gemeinsamkeiten herzustellen. Der Antrag Umdruck 54 (neu), bei dem es sich um 850 000 junge Leute handelt, die als Lehrlinge in Arbeit stehen, könnte man doch so eine Gemeinsamkeit, Herr Wehner, herstellen. Es handelt sich schlicht um eine Erhöhung der Gewerbeförderungsmittel für das Handwerk, den Handel und Hotel- und Gaststättengewerbe von 13,25 bzw. 4,75 Millionen DM um insgesamt 6 Millionen DM. Meine Damen und Herren, Sie haben wiederholt gehört, daß die Bundesregierung erklärt hat, daß die Gewerbeförderung ein Instrument der Strukturpolitik ist und sie sich nachdrücklich dafür einsetzt, daß im Rahmen der haushaltsmäßigen Mög-
*) Siehe Anlage 5
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Dahrendorf
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Ertl
Frau Funcke
Geldner Genscher
Graaff Grüner Helms Jung
Kienbaum
Kirst
Kleinert
Krall
Logemann
Dr. Mende
Mertes Mischnick
Moersch
Ollesch
Peters (Poppenbüll)

Dr. Rutschke
Scheel
Schmidt (Kempten)

Wurbs
Berliner Abgeordnete Borm
Enthalten FDP
Frhr. von KühlmannStumm
Zoglmann



Schulhoff
lichkeiten ausreichende Mittel dafür bereitgestellt werden.
Wir alle haben nun damals in schöner Eintracht das Berufsbildungsgesetz verabschiedet. Dieses Gesetz stellt aber eine ganze Reihe Forderungen an die Organisationen des Handwerks und des Handels. Es werden darin z. B. neue Ausbildungsberater gefordert. Allein schon die Einstellung des ersten Teils dieser Ausbildungsberater würde einen Betrag von 5 Millionen DM erfordern. Außerdem sollen zahlreiche neue 'Übungswerkstätten errichtet werden. Wir, das Handwerk, sind durchaus dazu bereit. Wir sind auch bereit, unseren Anteil zu zahlen. Aber wir möchten, wenn der Bundestag so etwas beschließt, daß er dem auch Rechnung trägt, indem er die Gewerbeförderungsmittel um den lächerlichen Betrag von 5 Millionen bzw. 6 Millionen DM erhöht.
Ich bitte Sie, sich nicht daran zu stoßen, daß der Antrag erst jetzt kommt. Ich habe versucht, ihn in der zweiten Lesung zu stellen. Aber leider war der Antrag noch nicht gedruckt. Deswegen hat der jetzt amtierende Präsident mich auf die dritte Lesung verwiesen.
Seien Sie mir auch bitte nicht böse, daß der Antrag nicht schon im vorigen Jahr gestellt worden ist. Im vorigen Jahr kannten wir die Auswirkungen des Berufsbildungsgesetzes nicht und wußten nicht, daß die Gewerbeförderungsanstalten und die Übungswerkstätten, die wir bauen sollen, wegen der allgemeinen Teuerung 30 bis 40 % teurer werden würden. Auch die Bundesregierung hat nicht voraussagen können, daß die Preise sich nicht beruhigen würden.
Ich bitte Sie herzlich, meine Damen und Herren, ich bitte die Damen und Herren aller Parteien, sich hier nicht so sehr an eine Fraktionsdisziplin zu halten, sondern nach ihrem Herzen zu stimmen. Ich kann mir nicht denken, daß hier ein einziger sitzt, gleichgültig bei welcher Partei er zur Zeit sich befindet,

(Heiterkeit)

der sich dagegen ausspricht, daß ein Betrag von 8 Mark pro Jugendlichem im Jahr ausgegeben wird, um diese Jugend besser auszubilden.

(Beifall bei Abgeordneten in der Mitte.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606010700
Das Wort hat der Abgeordnete Kulawig.

Alwin Kulawig (SPD):
Rede ID: ID0606010800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die genannten Abgeordneten der CDU/ CSU-Fraktion haben auf Umdruck 54, wie Sie eben hörten, beantragt, die Ansätze für die Maßnahmen zur Förderung des Handwerks um 5 Millionen auf 18,25 Millionen DM und die Maßnahmen zur Förderung des Handels und des Hotel- und Gaststättengewerbes um 1 Million auf 5,75 Millionen DM zu erhöhen. Die Deckung für diesen Betrag soll durch entsprechende Einsparungen bei Tit. 09 02 — Zuschüsse zur Stabilisierung des Absatzes von Kokskohle an die Eisen- und Stahlindustrie — erreicht werden.
Ich möchte für die Fraktionen der SPI) und FDP für die Ablehnung dieses Antrags plädieren und darf das in aller Kürze begründen.
Im Haushalt 1969 waren für die Förderung des Handwerks einschließlich eines Ausgabenrestes aus dem Jahre 1968 von 3,7 Millionen DM rund 17,4 Millionen DM ausgebracht worden. Ausgegeben wurden im Jahre 1969 11,8 Millionen DM. Die Förderungsmittel für Handel, Hotel- und Gaststättengewerbe betrugen einschließlich des Ausgabenrestes aus 1968 im Jahre 1969 4,7 Millionen DM. Ausgegeben wurden rund 3,7 Millionen DM.
Wir haben nun im Haushaltsplan für das Jahr 1970 einen Betrag einschließlich des Ausgabenrestes aus 1969 von 16,75 Millionen DM vorgesehen, also eine wesentliche Steigerung gegenüber dem Betrag aus dem Jahre 1969. Auf der Seite der Förderungsmittel für Handel, Hotel- und Gaststättengewerbe beträgt der zur Verfügung stehende Betrag plus Ausgabenrest aus 1969 5,5 Millionen DM. Das ist also ebenfalls eine wesentliche Steigerung gegenüber 1969. 1970 können daher nach den bisher vom Haushaltsausschuß gebilligten Ansätzen für das Handwerk rund 16,7 Millionen DM und für den Handel und das Gaststättengewerbe rund 5,5 Millionen DM verausgabt werden. Hinzu kommen noch Verpflichtungsermächtigungen, die weitere Zusagen an das Handwerk in Höhe von 3 Millionen, an Handel und Gaststättengewerbe in Höhe von 700 000 DM ermöglichen. Daraus ergibt sich, daß zusätzliche Mittel im Jahr 1970 nach dem derzeitigen Stand für die Durchführung der vom Handwerk und vom Handel und dem Gaststättengewerbe geplanten Maßnahmen nicht erforderlich sein werden.
Vielleicht interessiert Sie auch zu erfahren, daß jetzt, nämlich am 15. Juni 1970, cl. h. nachdem die Hälfte des Haushaltsjahres bereits vorüber ist, die verausgabten Mittel im Bereich des Handwerks 2,3 Millionen DM betragen, daß aber, wie ich Ihnen dargelegt habe, nach dem Entwurf des Haushaltsplans 16,7 Millionen DM zur Verfügung stehen. Für die Förderung des Hotel- und Gaststättengewerbes wurden bisher 1,7 Millionen DM ausgegeben; 5,5 Millionen DM stehen zur Verfügung. Man kommt zu der Schlußfolgerung, daß diesem Antrag die reale Grundlage fehlt und daß es lediglich um ein Votum zum Fenster hinaus geht. Ich glaube, das belegen die Zahlen ganz eindeutig.
Erlauben Sie mir noch einige wenige Bemerkungen zu dem Deckungsvorschlag, der gemacht worden ist. Es wird vorgeschlagen, die im Titel für die Kokskohlenhilfe veranschlagten Mittel um den Betrag von 6 Millionen DM zu kürzen. Diese Mittel sind in voller Höhe für die Stabilisierung des Kokskohlenabsatzes notwendig, wie ich hier bereits in der zweiten Lesung dargelegt habe. Von diesen Mitteln kann also nichts für die Gewerbeförderung abgezweigt werden. Der der Kommission der Europäischen Gemeinschaften bereits genannte Beihilfesatz für die Bundesrepublik, der von der vollen Ausschöpfung der im Regierungsentwurf beantragten Mittel ausgeht, ist inzwischen in Brüssel genehmigt worden. Eine Reduzierung der Kokskohlemittel
3324 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — (u). Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 18. Juni 1970
Kulawig
würde im übrigen die jetzt getroffene Kohlepreisregelung für Hausbrand und Kleinverbrauch in Frage stellen, denn die Ruhrkohle hat mit Wirkung vom 1. Juni 1970 ihre Kokspreise wesentlich erhöht, und zwar von 99,50 DM auf 128 DM je Tonne. Das hat vor allem den Hausbrandverbraucher hart getroffen. Auf der anderen Seite war die Ruhrkohle im Preis gegenüber der Stahlindustrie bis zum Jahresende gebunden. Die Stahlindustrie hat sich, wie Sie wissen, Ende Mai bereit erklärt, bereits mit Wirkung vom 1. Juni eine Erhöhung ihres Abnahmepreises für Kokskohle in Kauf zu nehmen. Die der Ruhrkohle dadurch zusätzlich zufließenden Mittel werden von der Ruhrkohle für die Verbilligung der Kohle im Haushrandbereich verwendet. Diese bessere Lastenverteilung der Kohlepreiserhöhung hat allerdings, wie ebenfalls in der zweiten Lesung dargelegt, zur Voraussetzung, daß die Kokskohlenbeihilfe in voller Höhe zur Auszahlung kommt. Aus den dargelegten Gründen möchte ich Sie bitten, den Antrag abzulehnen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606010900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0606011000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich halte die Förderung des Handwerks für nützlich und notwendig, und ich habe den Antrag auch mit unterschrieben. Als ich ihn unterschrieben hatte, war allerdings noch kein Deckungsvorschlag gemacht. Gegen den Deckungsvorschlag muß ich nun Bedenken erheben, und zwar die gleichen, die ich auch gegen den Deckungsvorschlag zu Umdruck 60 zu erheben habe. In der Europadebatte, die wir heute nachmittag führen wollen, werden alle Redner übereinstimmend erklären, wir brauchten mehr Europäisierung.

(Abg. Wehner: Das ist wahr!)

Was wir jetzt tun sollen, wäre jedoch ein Rückschritt in der Europäisierung. Wir haben die Kokskohlenbeihilfe auf Grund einer europäischen Richtlinie eingeführt. Die Bundesregierung hat den von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorgesehenen Satz von 1,5 Dollar je Tonne bereits auf 1,3 Dollar gekürzt. Wollen wir ihn jetzt weiter kürzen?
Gewiß geht es der Stahlindustrie im Augenblick nicht schlecht. Es geht ihr allerdings nicht so gut, wie die Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers über die Verdoppelung der Baustahlpreise vielleicht glauben machen könnten. Die Baustahlpreise sind im vergangenen Jahr in der Tat sehr stark gestiegen, weil eine plötzliche Knappheit zu hohen Einfuhren zwang. Die Marktwirtschaft hat sich hier aber mit schulmäßiger Perfektion geholfen. Die Produktion wurde rasch erhöht, und die Preise fielen. Die Preise liegen heute etwa auf dem Niveau von 1960. Wenn das überall der Fall wäre, hätten wir keine Preissorgen. Wie gesagt, der Stahlindustrie geht es nicht schlecht. Aber ich habe schwere grundsätzliche Bedenken, daß wir mit unserer Forderung nach mehr Europäisierung unglaubwürdig würden, wenn wir, um eine taktische Schwierigkeit zu beseitigen, Mittel aus einem Topf entnähmen, die der Ausführung europäischer Richtlinien dienen. Herr Schulhoff, ich bedauere sehr, daß ich das sagen muß, weil ich in der Sache völlig Ihrer Meinung bin, übrigens auch im Hinblick auf die Frachtbeihilfe, um die es im Umdruck 60 *) geht. Aber ich glaube nicht, daß die vorgeschlagene Deckung akzeptabel ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606011100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

(Abg. Schulhoff meldet sich zu Wort.)

— Herr Kollege, Sie haben sich leider nicht rechtzeitig gemeldet.

(Abg. Schulhoff: Doch, der Schriftführer hat es gesehen!)

— Das ist richtig! Bitte. Dann erteile ich Ihnen das Wort.

(Abg. Schulhoff: Ich werde nicht lange reden!)

Herr Kollege, Sie werden Ihren Antrag auch durch sehr lange Ausführungen in dieser Stunde nicht sehr fördern.

(Heiterkeit.)


Georg Schulhoff (CDU):
Rede ID: ID0606011200
Herr Präsident, ich kann aber doch nicht falsche Angaben im Raum stehen lassen; ich hätte sonst kein Wort gesagt, Es ist hier von meinem Vorredner von angeblichen Ausgaberesten gesprochen worden. Das, was Sie ausgeführt haben, stimmt nicht. Von den 13,2 Millionen DM, die im vorigen Jahr im Haushaltsplan standen, sind 2,5 Millionen DM unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten gekürzt worden. Davon haben Sie kein Wort gesagt. Die anderen 3,1 Millionen DM sind einfach nicht zur Auszahlung gekommen; das wird erst dieses Jahr geschehen.

(Abg. Sücklen: Hört! Hört!) So sieht das alles ganz anders aus.

Im übrigen habe ich hier ein Papier mit dem Titel „Finanzplanung 1969/1972, Finanzplanung des Wirtschaftsministeriums, Gewerbeförderung des Handwerks, Gesamtübersicht über Bedarfsanmeldung und verfügbares Finanzvolumen". Dieses Papier können Sie sich ja besorgen; vielleicht hat es sogar der Kollege. Aus dieser Ubersicht geht hervor, daß schon damals festgestellt worden ist, daß bis 1972 ein Minus von 18 Millionen DM zu erwarten ist, d. h. daß in die mittelfristige Finanzplanung 18 Millionen DM weniger aufgenommen wurden, als an Ausgaben zu erwarten ist.
Im übrigen dart ich noch einmal darauf hinweisen, daß wir den Antrag nicht etwa einbringen, um hier eine Schau abzuziehen. Dann hätte ich mir das bestimmt nicht für die dritte Lesung aufgespart; denn ich weiß genau, wie schwierig es ist, hier einen sachlich begründeten Antrag durchzubringen. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht — ich tue es jetzt noch einmal —, daß Sie das Berufsausbildungsgesetz verabschiedet haben. Damals konnte man nicht
.1 Siehe Anlage 6

Schulhoff
voraussehen — vor allem 1969 nicht —, wieviel Kosten das Gesetz verursachen würde. Allein die
Übungswerkstätten für die Lehrlinge im ersten Lehrjahr im Handwerk würden 111 Millionen DM kosten.
Ich habe mit einigen von Ihnen gesprochen — ich habe Freunde in allen Parteien , und einer von Ihnen hat gesagt — diesen Ausdruck hat Herr Minister Schmidt einmal verwandt, deswegen darf ich ihn wiederholen —: Was, nur sechs Scheiß-Millionen? Das ist doch gar nichts! — Meine Herren, man darf doch einen Antrag nicht deswegen ablehnen, weil er sich in bescheidenem Rahmen bewegt.
Ich habe auch mit Freunden von der FDP gesprochen. Dort sitzt z. B. der Präsident der Handswerkskammer Kassel, der zuerst begeistert sagte: Aber selbstverständlich, da müssen wir etwas tun! —Dann habe ich Herrn Kienbaum gesprochen, der früher ein gestandener Mittelständler war. Er sagte: Aus Grundsatz können wir es nicht machen!
Sehen Sie, man wirft den Abgeordneten des Bundestages vor, daß sie in Wirklichkeit nicht dafür stimmten, wozu ihr Herz und ihr Verstand sie drängten, sondern sich der Fraktionsdisziplin unterwürfen. Hier muß ich Ihnen, vielleicht zu meiner Schande, gestehen: Ich habe, als ich den Antrag zum erstenmal zu Papier brachte, meine Fraktion überhaupt nicht gefragt; sie hat das erst in einem sehr späten Stadium vernommen. Ich bin zuerst zu meinem Handwerkskollegen in der FDP gegangen und habe gedacht: Die werden doch für einen Antrag zugunsten des Handwerks ein Herz haben! — Aber ich habe mich geirrt. Dann habe ich mich reumütig wieder in die Arme der Fraktion der CDU/CSU zurückbegeben und habe dort meine Schläge, aber auch Unterstützung bekommen.

(Heiterkeit.)

Schliefilich habe ich mit dem Haushaltsexperten der FDP eine Wette abgeschlossen, der sagte: Ihre eigenen Leute werden nicht mitstimmen! — Ich habe um 20 Mark gewettet; helfen Sie mir, daß ich sie gewinne!

(Heiterkeit.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606011300
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag 54 (neu). Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. —

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit FDP!)

Danke. Gegenprobe! — Das letztere ist eindeutig die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Antrag Umdruck 60 auf. Das Wort hat Herr Abgeordneter Röhner.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0606011400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unverändert steht die CDU/ CSU-Fraktion zu den Gründen, die sie bereits bei der zweiten Lesung zur Stellung des Antrages auf Wiederherstellung der Kokskohlefrachthilfe veranlaßt hat. Ich verweise insofern auf meine diesbezüglichen Ausführungen bei der zweiten Lesung und füge ergänzend hinzu, daß die Kohlefrachthilfe nach unserer Ansicht unverändert nicht nur eine kohlepolitische, sondern auch eine strukturpolitische Maßnahme ist. Wenn die Regierung und wenn die Regierungskoalition heute glauben, daß eine veränderte kohlepolitische Situation den Wegfall dieser Frachthilfe gestatte, müssen wir darauf aufmerksam machen, daß das bedeutet, daß entsprechende Förderungen in anderen Bereichen, im Bereich der Stahlindustrie, der Elektrizitätswirtschaft, der Eisenindustrie, aufrechterhalten und zum Teil vergrößert werden, aber zu Lasten und auf Kosten der revierfernen strukturellen Problemgebiete. Denn die Einstellung der Frachthilfe bedeutet — ich stelle das noch einmal ausdrücklich fest — eine Belastung der kohle-verbrauchenden revierfernen Wirtschaft und verschlechtert zusätzlich deren Versorgungslage und deren Wettbewerbssituation. Jeder, der sich in diesem wirtschaftlichen Bereich einigermaßen auskennt, weiß, daß damit vor allem die mittelständische Industrie in den strukturschwachen Gebieten betroffen ist.
Zu dem Argument, der Verbilligungssatz je Tonne transportierter Kohle sei so gering, daß damit kein besonderes Unheil verbunden sei, wenn die Frachthilfe fortfalle, muß gesagt werden, daß die Wirtschaft im süddeutschen Bereich unter anderem derzeit eine Erhöhung der Strompreise infolge des Wegfalls der Frachthilfe ernsthaft befürchtet.
Ich darf auf ein Beispiel hinweisen. In Bayern erhöhte sich 1969 der Bezug von Steinkohleprodukten um rund 7 % auf etwa 4,7 Millionen t. Bei einem bisherigen durchschnittlichen Frachtkostensatz von etwa 22 DM je Tonne ergibt sich nunmehr bei einer Einstellung der Frachthilfe ein Mehraufwand für Steinkohlefrachten von rund 8 Millionen DM im Jahre 1970. Betroffen sind in Bayern — in den anderen Ländern verhält es sich in etwa ähnlich — die eisenschaffende Industrie, die Papier- und Pappenindustrie, die Textilindustrie und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen.
Ich darf vielleicht noch ein Beispiel anführen, das etwas mehr ins einzelne geht. Allein im Regierungsbezirk Oberpfalz, einer Region, die Grenzgebiet ist, einem Gebiet, das zu den schwierigsten Strukturgebieten überhaupt in der Bundesrepublik gehört, würde das einen Ausfall von nahezu 1 Million DM bedeuten.
Wir wünschen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Ihre Strukturpolitik glaubwürdig wird. Dazu gehört nach unseren Vorstellungen, daß die Hilfen für strukturelle Problemgebiete gerade in einer Zeit der Hochkonjunktur und der Überkonjunktur durchgehalten werden. Wann sollte diesen Problemgebieten sonst geholfen werden?
Aus diesem Grund bitte ich namens der CDU/ CSU-Fraktion, dem Umdruck 60 Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606011500
Das Wort hat der Abgeordnete Kulawig.

Alwin Kulawig (SPD):
Rede ID: ID0606011600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, mir die Belobigung des Herrn



Kulawig
Präsidenten zuzuziehen, wenn ich darauf verweise, daß wir diese gesamte Diskussion anläßlich der zweiten Lesung gehabt haben. Ich könnte die Gegengründe, die gegen die Begründung von Herrn Kollegen Röhner vorzubringen sind, wiederholen, ich könnte einige hinzufügen, einige andere weglassen. Fest steht, seit der letzten Diskussion hat sich nichts verändert.
Ich unterstreiche im übrigen, was ich über die benötigten 145 Millionen DM für die Kokskohlenhilfe bei dem vorigen Antrag gesagt habe, und bitte Sie, den Antrag des Kollegen Röhner bzw. der Kollegen der CDU/CSU-Fraktion abzulehnen.

(Abg. Stücklen: Das ist gar nicht freundlich gegenüber Bayern! — Abg. Lemmrich: Wenn man so auf der Kohle sitzt wie Sie!)

Ich hoffe, bei anderer Gelegenheit meine Sympathie für Bayern zum Ausdruck bringen zu können.

(Beifall hei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606011700
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 60. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. -- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Meine Damen und Herren, damit ist der Antrag abgelehnt. Das beinhaltet gleichzeitig nach der bisherigen Übung die Annahme des Einzelplans 09.
Ich rufe den Einzelplan 10 auf. Hier liegt zunächst ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP auf Umdruck 59 *) vor. Ich frage, ob das Wort gewünscht wird: — Das Wort wird nicht gewünscht.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 59 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? -- Gegen einige Stimmen bei einigen Stimmenthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Wer dem Einzelplan 10 in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Gegen einige Stimmen hei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich würde vorschlagen, daß wir entsprechend der bisherigen Übung noch den Entschließungsantrag auf Umdruck 70 ") begründen lassen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Nordenskjöld.

Dr. Günter von Nordenskjöld (CDU):
Rede ID: ID0606011800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Landwirtschaft befindet sich zur Zeit in einem starken Strukturwandel. Damit verbunden ist eine Kapitalumschichtung größten Ausmaßes, und im Zusammenhang damit hat sich in aller Stille eine Bevölkerungsbewegung vollzogen, wie man sie nie für
*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8 möglich gehalten hat. Mehr als 2 Millionen Menschen sind in den letzten Jahren aus der Landwirtschaft herausgegangen. Dieser Strukturwandel hält an. Er ist von allen Leuten anerkannt, so schmerzlich er den einzelnen vielleicht auch trifft. Er hilft, daß die Landwirtschaft ihre Probleme, mit denen sie seit Jahren belastet ist, lösen kann. Man kann aber der Landwirtschaft die Lösung dieser Probleme nicht allein überlassen.
Es ist wenig sinnvoll, die Landwirtschaft dauernd zum Strukturwandel aufzufordern, ohne diesen Vorgang entsprechend zu unterstützen. Es geht nicht an, nur Nutzen aus diesem Vorgang zu ziehen, indem man die frei werdenden Arbeitskräfte in die Wirtschaft übernimmt.
Die CDU/CSU-Fraktion ist deswegen der Ansicht, daß ein finanzieller Einsatz beim Strukturwandel sich unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus lohnt. Hiermit wird eine bessere Ausnutzung produktiver Kräfte in ländlichen Regionen möglich.
Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung warme Worte für die Landwirtschaft gefunden. Wir sind mit dieser Absichtserklärung der Bundesregierung einverstanden. Wir müssen aber feststellen, daß diese Worte im Widerspruch zu den bisherigen Taten stehen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Denn der Haushaltsentwurf des BML, wie er von der Bundesregierung vorgelegt war, sah weniger finanzielle Mittel für Strukturwandel vor als im Jahre 1969. Erst hier im Parlament wurden die Mittel fast auf die Vorjahrshöhe wieder aufgefüllt. Ich sage das ausdrücklich, damit endlich einmal der Legendenbildung, der in dieser Beziehung auf dem Lande und teilweise auch in der Presse Vorschub geleistet wird, ein Riegel vorgeschoben wird.
Auch der Finanzplan der Bundesregierung für die Jahre 1969 bis 1973 sieht eine Senkung der Mittelansätze ab 1971 vor. Auch das scheint mir eine augenscheinliche Diskrepanz zur Regierungserklärung zu sein. Wir halten das für äußerst bedauerlich, meinen aber, daß sich das noch ändern läßt; denn wir verfallen nicht in den Fehler, die mittelfristige Finanzplanung als etwas Unabänderliches anzusehen.
Innerhalb der Landwirtschaft gibt es natürlich auch Schwierigkeiten, die eine Entschließung in dieser Richtung erfordern. Dazu ist zu sagen: die Eigenfinanzierungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft werden wegen der ungünstgen Preis-Kosten-Konstellation immer geringer. Die agrarstrukturellen Vorhaben sind zum großen Teil mit hohen Aufwendungen für bauliche Maßnahmen verbunden. So sind z. B. bei Wasserwirtschaft, Flurbereinigung und Wirtschaftswegebau in großem Maße Tiefbumaßnahmen notwendig, die immer teurer geworden sind. Die hohen Preissteigerungsraten in diesem Sektor vermindern das Volumen der Maßnahmen zur Zeit teilweise schon um 30 bis 50 %. Damit — ob man will oder nicht — wird der Effekt wesentlich geringer.



Dr. von Nordenskjöld
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Ansicht, ,daß die Maßnahmen der Bundesregierung für den Strukturwandel der Landwirtschaft zur Zeit zu einseitig ausgerichtet sind; sie sind zu sehr abgestellt auf diejenigen, die aus der Landwirtschaft .ausscheiden wollen. Auch im sozialen Bereich ,sind im Gegensatz zu vielfältigen Erklärungen der Bundesregierung im Finanzplan keine wachsenden Beträge eingesetzt. Sofern also der Strukturwandel in der Landwirtschaft zügig vorangehen soll, müssen sowohl Maßnahmen ergriffen werden, die den in der Landwirtschaft Verbleibenden den Aufbau und die Verbesserung ihrer Produktionsstätten ermöglichen, als auch solche, die im sozialen Bereich liegen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist daher der Ansicht, daß die Ansätze des Finanzplans wesentlich erhöht werden müssen. Die im vorliegenden Entschließungsantrag angesprochenen Förderungsmaßnahmen sind ,alle darauf ausgerichtet, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu fördern. Wir haben uns dabei von dem Gedanken leiten lassen, daß bei den agrarstrukturellen Maßnahmen wenigstens das bisherige Volumen erhalten bleiben muß.
Weiterhin steht im Vordergrund, daß gerade die strukturschwachen Gebiete, die benachteiligten Gebiete, die Zonenrandgebiete usw. der vermehrten Aufmerksamkeit bedürfen.
Beim Landarbeiterwohnungsbau sollten zusätzlich Mittel angesetzt werden, um auch den sogenannten Betriebshelfern in der Landwirtschaft über dieses Förderungsprogramm helfen zu können. Allerdings sollte das — das sage ich auch wieder ausdrücklich — nicht zu Lasten der Flurbereinigung geschehen, wie es leider in diesem Hause vor 14 Tagen passiert ist, wo wir, obwohl bessere und realisierbarere Deckungsvorschläge gemacht wurden, niedergestimmt worden sind. Das ist draußen, meine Damen und Herren, ganz schlecht angekommen, nachdem bei der Flurbereinigung schon 10 Millionen DM gekürzt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die in der Vergangenheit bewährten Investitionsbeihilfen sollten weiterhin gewährt und durch die Zinsverbilligung ergänzt werden. Zu überlegen wäre dabei, ob der bisherige Zinsverbilligungssatz von 4 auf 5 °/o angehoben werden könnte. Man könnte dabei vorsehen, daß die untere Zinsgrenze für ,den Endkreditnehmer nicht unter 3 °/o iabsinkt, wenn die Zinssätze an den Kreditmärkten welter so hoch bleiben.
Die unter der landwirtschaftlichen Sozialpolitik angeführten Maßnahmen ,dienen der sozialen Sicherung der in der Landwirtschaft Beschäftigten oder der aus ihr Ausscheidenden. Auch von diesen Maßnahmen geht ein erheblicher struktureller Effekt aus.
Aus diesen Gründen bitte ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion um Überweisung unseres Entschließungsantrags an den Ernährungs- und den Haushaltsausschuß.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Jetzt aber gleich das Manuskript an die Presse!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606011900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0606012000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle auch bei diesem Antrag wieder den äußerst zwiespältigen Eindruck fest, den die Opposition mit ihren verschiedenen Politiken verfolgt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Sie hat für 1970 globale Haushaltskürzungen von 1,5 Milliarden DM gefordert und fordert sie auch jetzt noch. Es steht völlig außer jedem Zweifel, daß von diesen 1,5 Milliarden DM auch die Landwirtschaft betroffen sein muß, insbesondere auch das Strukturprogramm.

(Zurufe von der CDU/CSU: Warum? — Das ist nicht wahr!)

Dieser Entschließungsantrag der CDU/CSU bezieht sich nicht auf diesen Haushalt, sondern auf 1971. Ich bin der Meinung, daß wir jetzt nicht die Wünsche jeder Gruppe hier formuliert vorgetragen bekommen sollten. Wir sollten erst einmal abwarten, was die Regierung an Vorschlägen für die künftige Strukturpolitik in der Landwirtschaft unterbreitet. Dann sollten wir das diskutieren und sehen, wie es sich finanzieren läßt. Wir lehnen es ab, jetzt schon entsprechende Bindungen einzugehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man eigentlich sinnvoll Haushaltspolitik und überhaupt Politik betreiben kann, wenn jede Gruppe schon vor der Einbringung des Haushalts irgendwelche Vorschläge vorbringt.

(Beifall bei der SPD.)

Ein Teil der Vorschläge, die Sie hier unterbreitet haben, Herr von Nordenskjöld geht ja durchaus konform mit dem, was die Regierung will. Wir warten deren Vorschläge ab und diskutieren dann auf rationaler Basis. Wir lehnen es aber ab, derartige Fenstervorschläge zu behandeln.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606012100
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606012200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Nordenskjöld beinahe eine agrarpolitische Debatte eingeleitet hat, fühle ich mich doch verpflichtet, auf einiges hinzuweisen.
Zunächst, damit auch wiederum für Wahrheit und Klarheit gesorgt wird: die Bundesregierung hat im Herbst eine Finanzplanung der alten Bundesregierung übernommen, in der die Mittel für Struktur-, Sozial- und Marktmaßnahmen um über 500 Millionen DM gekürzt waren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Das ist das Faktum gewesen. Dafür trägt immer
noch die Regierung des Kanzlers Kiesinger mit dem



Bundesminister Ertl
Finanzminister Strauß die Verantwortung. Ich verwahre mich hier immer wieder dagegen, daß die Dinge auf den Kopf gestellt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Bitte, Herr Kollege!


Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0606012300
Herr Minister, darf ich fragen, ob Sie denn nicht diese Finanzplanung übernommen und diesem Hause vorgelegt haben.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606012400
Wir haben diese Finanzplanung sogar zugunsten der Landwirtschaft verbessert, nicht nur übernommen, sondern verbessert.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Althammer: Aufwertungsverlust!)

Wir haben sie nämlich bei den Beratungen um 389 Millionen DM verbessert, mit 50 Millionen DM Sperren versehen. Ich bedanke mich noch einmal bei diesem Hohen Haus, insbesondere beim Haushaltsausschuß, daß über die Deckungsfähigkeit von 10 03 und 10 02 — wofür allerdings auch meine Politik ein klein wenig Ursache war, weil ich einige Marktordnungen hinausgeschoben habe; auch das gehört zur Klarheit und Wahrheit — dieser Spielraum überhaupt möglich wurde.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dafür muß ich mir von Herrn Bundeskanzler Kiesinger sagen lassen, ich machte Europapolitik mit einem Credo. Sie müssen mit einer Zunge reden und nicht mit vielen Zungen. Das ist das, was mich an der ganzen Sache immer stört. Das ist das, was mich irritiert, wenn ich hier lese, ich sei zufrieden, daß die Agrarpreise auf ,dem alten Niveau blieben, und gleichzeitig heute früh der Kollege Wörner hergeht und sagt: Die Preise steigen zu fest. Nein, da muß auch einmal die Opposition sagen, wie sie es mit den Agrarpreisen hält, und zwar bei den Erzeugern und bei den Verbrauchern, und nicht bei der einen Seite so und bei der anderen Seite so.

(Beifall bei den Regireungsparteien.)

Im Grundsatz kann ich nur sagen, ich werde den Weg beschreiten — und ich habe dem, was Herr von Bülow gesagt hat, nichts hinzuzufügen —, daß das von mir in meinem Hause ausgearbeitete Programm in der Diskussion auch mit diesem Hohen Hause fertiggestellt wird. Dabei wird es nicht nur darum gehen, wie ich jenen helfe, die ausscheiden, sondern darum, wie ich auch jenen helfe, die in der Zukunft bleiben wollen und bleiben müssen, weil wir in der Zukunft eine auf individueller Basis sichergestellte Landwirtschaft haben wollen, allerdings eine moderne Landwirtschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Niegel: 10 % noch!)

— Also, Herr Niegel, wissen Sie, Sie müssen erst einmal Betriebslehre lernen, damit Sie nicht dauernd Brunnenvergiftung betreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was Sie schlichtweg behaupten, ist unwahr, Herr
Niegel. Es wird höchste Zeit, daß Sie sachliche Be-
weise liefern und nicht draußen Brunnenvergiftung betreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich sage hier ein ernstes Wort auf den heutigen Tag. Dieser Tag heute hat bei mir eine tiefe Bestürzung ausgelöst, weil, wenn mit dieser Methode — und das gilt für alle in diesem Hohen Haus — weiterhin diskutiert wird, die Verteufelung des einzelnen beginnt. Dann beginnt die Operation mit der Unwahrheit, und am Ende steht wieder Weimar, was ich verhindern möchte.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Das sagen Sie Ihrem Chef! Bielefeld!)

Dazu gehört auch, Herr Niegel, daß Sie wider besseres Wissen solche Behauptungen in den Raum hineinstellen. Das ist nicht fair. Man kann durchaus sachliche Kritik üben. Ich bin der letzte, der sachliche Kritik nicht verträgt. Ich bitte sogar um sachliche Kritik. Deshalb stelle ich dieses Programm zur Diskussion. Aber wer freiweg eine solche Behauptung, wie sie eben hier gemacht worden ist, aufstellt, der tut das wider besseres Wissen, und ich fordere Sie auf, das hier zu beweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, ich hätte das nicht gesagt, wenn man nicht wiederum den Versuch gemacht hätte, einfach die Dinge auf den Kopf zu stellen. Darauf können Sie sich verlassen: solange ich hier Mitverantwortung trage, werde ich immer dafür sorgen, daß Wahrheit Wahrheit bleibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606012500
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritz.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0606012600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte vielmals um Verzeihung; aber wenn hier von Wahrheit und Klarheit von einer Seite die Rede ist, dann scheint es mir notwendig zu sein, in aller Ruhe und Sachlichkeit, Herr Minister, einige Worte dazu vorzutragen.
Auch durch ständige Wiederholung wird der Vorwurf nicht richtiger, daß wir die mittelfristige Finanzplanung so schlecht ausgestattet haben. Sie wissen, Herr Miniser — und es ist allgemein bekannt —, daß die frühere Bundesregierung mit Rücksicht auf die Bundestagswahl ganz bewußt die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung 1970 nicht vorgenommen hat, um eine neue Bundesregierung nicht zu präjudizieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es hat von meiner Fraktion und von den Führern meiner Fraktion wiederholt Aussagen vor der Bundestagswahl gegeben, daß kein Zweifel daran bestehen könnte, daß gerade die Maßnahmen der nationalen Agrarpolitik um 500 Millionen DM aufgestockt werden müßten. Sie haben vom Herrn Finanzminister 389 Millionen DM erhalten, und den



Dr. Ritz
Rest, wenn man so will, hat dieses Parlament in seinen Ausschüssen korrigiert. Das ist der Tatbestand, und das sollte man in aller Deutlichkeit sehen.
Herr von Bülow, ich bin nicht der Meinung, daß es sich hier um Fenstervorschläge oder -anträge handelt, wie Sie formuliert haben.

(Zuruf von der SPD.)

Es geht in diesem Entschließungsantrag um Maßnahmen, über deren Notwendigkeit, wie ich meine, sich alle Seiten dieses Hauses voll im klaren waren. Es bestand kein Zweifel darüber und besteht, so hoffe ich, kein Zweifel darüber, daß wir z. B. die Frage der Krankenversicherung für Landwirte klären müssen. Man kann nicht immer nur sagen: Wir wollen dies tun, wenn man dann nicht auch die finanziellen Konsequenzen deutlich macht. Darum geht es; das wollten wir mit diesem. Antrag sichtbar machen.

(Abg. Haehser: 17 .Jahre haben sie das nicht getan!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß vieles von dem, was uns hier einseitig an Polemik unterstellt worden ist, einfach nicht den Tatsachen entspricht. Wir stehen in einer Haushaltsberatung, und ich meine, verehrter Herr von Bülow, nicht nur die Regierung hat das Recht, Vorschläge für den Haushalt des nächsten Jahres zu machen, sondern es muß auch diesem Parlament vorbehalten bleiben, von sich aus Vorschläge für die Ausgestaltung des Haushaltes zu machen. Ich weiß also gar nicht, warum Sie die Verantwortung so einseitig verschieben wollen. Das meinte ich, hier in aller Deutlichkeit sagen zu sollen, und ich darf Sie aus diesem Grunde bitten, dem Entschließungsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606012700
Meine Damen und Herren, wir gehen nicht in die Ferien, ohne daß noch eine agrarpolitische Debatte stattgefunden hat. Es hat sich Herr Kollege Niegel zu Wort gemeldet.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0606012800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte nicht das Wort ergriffen, wenn mich der Herr Bundesernährungsminister nicht herausgefordert hätte. Ich glaube, Herr Bundesernährungsminister, ich muß etwas zur Klarstellung sagen.

(Zuruf von der SPD: Betriebslehre!)

— Über Betriebslehre können wir uns auch unterhalten, meine Herren Kollegen.
Ich habe vor 14 Tagen in diesem Hause eine Anfrage gestellt, die Ihr Herr Parlamentarischer Staatssekretär sehr ausweichend beantwortet hat. Ich habe dieselbe Rechnung vor 14 Tagen aufgemacht; er hat darauf keine Einzelheiten zu sagen gewußt. Da Sie gesagt haben, meine Zahlen stimmten nicht und ich verstünde nichts von der Betriebslehre — ich sage noch dazu: auch von der Statistik —, darf ich nun folgende Rechnung aufmachen. Sie gehen bei Ihrem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm davon aus, daß — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606012900
Herr Kollege Niegel, hier wird der Entschließungsantrag der CDU/CSU, Umdruck 70, behandelt. Der Herr Minister hat Sie in einer Nebenbemerkung angesprochen. Ich habe Ihnen daher das Wort erteilt. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie in dem weiteren Verlauf der Ausführungen hier von diesem Thema nicht so weit abwichen, daß ich daraus Konsequenzen ziehen müßte.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0606013000
Herr Präsident, ich bin gern bereit, dem zu folgen. Ich wollte nur diese Rechnung zu meiner Entlastung durchführen; das darf ich, glaube ich, tun.
Der Herr Bundesernährungsminister geht bei seinem Programm davon aus, daß künftig Betriebe gefördert werden sollen, die ein bereinigtes Betriebseinkommen von 24 000 DM erreichen. Das bereinigte Betriebseinkommen beträgt zur Zeit 1032 DM pro ha. Wenn man das auf die 24 000 DM umrechnet, kommen rund 24 ha heraus. Da kann ein jeder in Deutschland berechnen, wieviel Betriebe über 24 ha noch vorhanden sind, die das erreichen können. Das sind, in Prozenten ausgedrückt, im Bundesgebiet 14 %, und in Bayern sind es 10 %. Das wollte ich ganz klar sagen.
Diese Rechnung habe nicht nur ich, sondern hat auch der Bayerische Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Dr. Eisenmann, aufgemacht.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.)

Ich meine, daß die Zahlen, die Dr. Eisenmann genannt hat, nämlich daß in Bayern im Höchstfall noch 30 000 bis 35 000 Betriebe für eine Förderung in Frage kommen, auf jeden Fall im Raum stehen dürften, wenn Sie schon meine Zahlen ablehnen, Herr Bundesernährungsminister. Wir wollen hier noch ein gehöriges Wort mitreden und diesen Plan nicht im Raum stehenlassen; denn er hätte eine radikale Gesundschrumpfung ,der Landwirtschaft zur Folge und würde sich vom Mansholt-Plan nicht unterscheiden.
Herr Bundesernährungsminister, wenn Sie diesen Plan durchführen, sind Sie Mansholt II in der deutschen Agrarpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Da haben Sie einen Popanz! — Oh-Rufe von der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606013100
Herr Kollege Niegel, ich habe Ihnen, nachdem der Minister Sie angesprochen hatte, das Wort gegeben. Ich muß aber wirklich sehr darum bitten, daß wir uns in der weiteren Beratung an die Entschließungsanträge halten. Herr Dr. von Nordenskjöld, auch Sie hatten den Rahmen schon etwas gesprengt. Ich werde in Zukunft genau darauf achten, damit nicht erneut sehr langwierige Diskussionen hier ausgelöst werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das Wort hat der Herr Bundesminister.




Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606013200
Herr Präsident, es tut mir furchtbar leid. Ich hätte nicht Stellung genommen, wenn nicht der Versuch gemacht worden wäre, mit nicht den Tatsachen entsprechenden Behauptungen eine agrarpolitische Debatte einzuleiten.

(Abg. Dr. Althammer: Das haben Sie doch getan!)

Herr Kollege Niegel, ich muß hier folgendes feststellen. Sie haben, obwohl Sie es besser wissen, gesagt, es würde nur ein Betrieb gefördert, der das bereits erreichte. Sie wissen ganz genau, daß es hier heißt: Er soll diese Zielschwelle in vier Jahren, gegebenenfalls in sechs Jahren, erreichen. Auch wenn er sie nicht erreicht, kann er, wenn persönliche Qualifikation vorliegt, gefördert werden. Das ist die Situation. Dennoch behaupten Sie hier wahrheitswidrig etwas ganz anderes, weil es schon wieder in den Wahlkampf für Bayern hineinpaßt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Ich muß Ihnen ganz offen sagen, Herr Kollege Niegel: Das ist ein Stil, den ich in diesem Hause erst im letzten halben Jahr erlebt habe.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Sie tragen auch in Zukunft die Verantwortung dafür, wenn dabei die Demokratie Schaden leidet.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606013300
Meine Damen und Herren, ich rufe den Einzelplan 15 auf. Hier liegt ein Antrag des Ausschusses auf Drucksache VI/834 vor:
2. die Bundesregierung legt dem Bundestag im ersten Jahr jeder Wahlperiode einen Bericht über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland vor.
Ich nehme nicht an, daß das noch begründet wird. Darüber wird nachher nach der Verabschiedung des Haushalts abgestimmt.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 23 und den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 71 *) auf.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiep.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0606013400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte mich heute eigentlich nicht zu Wort melden, um diesen Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, zu begründen, und zwar erstens deshalb nicht, weil wir in der Sache, wie wir wissen, alle einer Meinung sind, und zweitens, weil ich ihn in der zweiten Lesung bereits sachlich begründet habe.

(Abg. Wehner: Ganz uneigennützig!)

— Der einzige Grund dafür, Herr Kollege Wehner,
daß ich mich jetzt noch einmal zu Wort gemeldet
habe, ist, daß Sie, Herr Wehner, und der Bundes-
*) Siehe Anlage 9 kanzler in Ihren Ausführungen vorhin dazu Veranlassung gegeben haben. Sie, Herr Kollege Wehner, haben nämlich gesagt, daß die Regierungskoalition, die Mehrheit in diesem Hause, die Anträge der Opposition deshalb ablehne, weil sie sachlich nicht begründet seien,

(Abg. Wehner: Ja, ja!)

und der Bundeskanzler hat gesagt, die Opposition lehne die Anträge der Regierungsparteien einfach deshalb ab, weil sie von der Regierung kämen. Ich glaube, beide Äußerungen, Herr Kollege Wehner, stimmen in dieser Sache nicht.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Deshalb, glaube ich, ist es ganz gut, dazu noch etwas zu sagen.
Der Herr Bundeskanzler kann in der Frage, um die es geht, ohne die Schwierigkeiten, die sonst auf anderen Gebieten, wie wir auch heute morgen gehört haben, bestehen, Versprechungen und Ankündigungen aus der Regierungserklärung wahrmachen. Es gibt hier keine Konjunkturprobleme, es gibt hier keine Haushaltsprobleme, es gibt hier keine Probleme, die ihn etwa dazu verpflichten, auf irgendwelche bestimmte Gruppen Rücksicht zu nehmen. Es gibt auch keinen Koalitionspartner, auf den er Rücksicht nehmen müßte; denn der ist in der Frage der gleichen Ansicht wie wir. Es gibt auch keine Landtagswahlen, die bevorstehen und die etwa eine Entscheidung in dieser Frage erschweren könnten, meine Damen und Herren. Es kommt lediglich darauf an, daß der Bundeskanzler in Ausübung seiner Richtlinienkompetenz eine Entscheidung fällt und im Kabinett diese Entscheidung durchsetzt.
Sollen wir etwa aus der Ablehnung durch die Regierung schließen, daß in dieser. Frage Herrn Schiller sozusagen eine kleine Entschädigung für sein Unterliegen in der Konjunkturdebatte dargebracht wird?

(Widerspruch bei der SPD. — Abg. Wehner: Laßt ihn doch! Reden Sie mal noch eine Weile weiter! Dann wird mancher denken: Dem stimme ich nicht zu!)

Wenn das der Fall ist, dann möchte ich nur sagen, es kann sich höchstens um einen Trostpreis handeln. Wenn Sie mich dazu auffordern, wäre ich gerne bereit, Ihnen einmal zu berichten, wie das unter früheren Bundesregierungen lief. Der Kollege Wischnewski hat ja damals verschiedentlich versucht, den Kollegen Schiller zu einer Neuordnung der Kompetenzen zu veranlassen, und ist dabei gescheitert, ebenso wie der Kollege Eppler, der leider nicht da ist, bei seinen Bemühungen gescheitert ist. Warum hier nicht einer allgemein anerkannten Tatsache dadurch Rechnung getragen wird, daß die Zuständigkeiten in einem Haus zusammengelegt werden, bleibt völlig unerfindlich.
Gerade wenn wir heute lesen, daß der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine neue Entwicklungsstrategie vorschlägt und demnächst auf einer internationalen Tagung vortragen wird, ist man an das englische Sprichwort erinnert, das vor-



Kiep
schlägt: Die Wohltätigkeit beginnt im eigenen Hause. Eine Koordinierung der internationalen Anstrengungen auf diesem Gebiet wäre sicherlich wirkungsvoller, wenn erst im eigenen Hause die notwendige Koordinierung stattgefunden hätte.

(Abg. Wehner: Dann fangen Sie mal bei der CDU an!)

Ich bitte Sie, diese Frage durch Überweisung unseres Antrages an den zuständigen Ausschuß in der Diskussion zu halten und uns Gelegenheit zu geben, sie noch einmal ohne den Druck, unter dem Sie offensichtlich im Augenblick stehen, in Sachlichkeit und Ruhe zu diskutieren. Ich bin überzeugt davon, daß Sie dann zu der gemeinsamen Meinung kommen, die Sie ja heute schon vertreten, aber offensichtlich hier nicht öffentlich darlegen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606013500
Das Wort hat der Abgeordnete Brück.

(Zuruf von der SPD: Wir kriegen noch eine Entwicklungsdebatte!)


Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0606013600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kriegen keine Entwicklungsdebatte. Ich darf den Kollegen beruhigen.
Ich will jetzt nicht zur Sache sprechen. Über die Sache ist in der zweiten Lesung gesprochen worden. Ich will aber auch deshalb nicht zur Sache sprechen, weil es der Opposition in ,diesem Falle gar nicht I um die Sache geht.

(Abg. Wehner: Sehr wahr! — Zuruf von der CDU/CSU: Unterstellung!)

Das ist in der Debatte heute morgen mit aller Deutlichkeit klargeworden. Es geht darum, der Regierung Schwierigkeiten zu machen. Wir machen das nicht mit. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Althammer: Das ist sehr bequem!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606013700
Ich rufe den Einzelplan 32 auf. Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 64 *) vor. Ich frage, ob das Wort dazu gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich den Einzelplan 60 auf. Hierzu liegen zunächst zwei Änderungsanträge vor. Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Herr Kollege Haase!

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0606013800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Änderungsantrag Umdruck 63 *) ist folgendes zu bemerken. Hinter der Bestimmung des § 6 Abs. 2 des Haushaltsgesetzes verbirgt sich der Versuch der Bundesregierung, neben einer bereits erfolgten umfangreichen Erhöhung der Informationsetats durch den ganzen
*) Siehe Anlage 10 **) Siehe Anlage 13
Haushalt, durch alle Einzelpläne hindurch noch die Möglichkeit von Aufstockungen zu erhalten.

(Abg. Dr. Tamblé: Herr Haase, wir beraten den Einzelplan 60! Sie sind schon beim Haushaltsgesetz!)

— Pardon, war es nicht das Haushaltsgesetz?

(Widerspruch.)

— Ich bitte um Entschuldigung.

(Abg. Wehner: Es ist doch immer der Igel, der schon da ist, und nicht der Hase! — Heiterkeit.)

— Herr Wehner, man wird sich doch hier auch einmal irren können.

(Abg. Wehner: Ja, doch!) Das ist doch auch Ihnen schon passiert.


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606013900
Herr Kollege Leicht, gehe ich mit Recht davon aus, daß zum Einzelplan 60 zu den beiden Änderungsanträgen nicht mehr gesprochen werden soll?

(Abg. Leicht: Doch!)

— Dann hat das Wort der Abgeordnete Röhner.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0606014000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 61 *) folgendes bemerken. Das Ziel dieses Antrages war es bei der zweiten Lesung und ist es für die dritte Lesung geblieben, erstens eine konjunkturelle Ausgleichsrücklage zu bilden und zweitens die zu erwartenden Mehreinnahmen bei der Bundesbank stillzulegen und aus dem Kreislauf herauszunehmen. Wir sind unverändert der Meinung, daß diese Maßnahme dringend notwendig und auch möglich ist. Ich darf noch einmal auf den .Jahreswirtschaftsbericht vom Januar 1970 verweisen. Dieser Jahreswirtschaftsbericht schlug angesichts der damaligen Konjunkturprognose und der damaligen Steuervorausschätzung vor, eine Rücklage von 1,5 Milliarden DM zu bilden. In der Zwischenzeit ging die Entwicklung weiter. Inzwischen steht fest, daß z. B. der nominelle Zuwachs des Sozialprodukts wesentlich, etwa um 4 %, höher ist. Inzwischen steht aber auch durch die neue Steuerschätzung fest, daß mit Steuermehreinnahmen in Höhe von — ich möchte sagen: mindestens — 1,6 Milliarden DM zu rechnen sein wird. Aus diesen Gründen müssen wir an unserer Auffassung festhalten, daß die beantragte globale Minderausgabe in Höhe von 1,5 Milliarden DM im Interesse eines ruhigeren Konjunkturablaufs zur Regressierung der Inflationsquote und zur Wiederherstellung der Stabilität unabdingbar erforderlich ist. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag Umdruck 61 Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

*) Siehe Anlage 11




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606014100
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606014200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich die Anträge Umdruck 61 und 62 *) zusammen behandle, weil sie im Grunde dasselbe Problem ansteuern. Ich verweise auf meine Ausführungen heute morgen, die sich eine halbe Stunde lang der Sache nach mit diesen beiden Anträgen beschäftigt haben. Ich möchte das Haus nicht aufhalten und nichts wiederholen. Ich bitte, beide Anträge abzulehnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606014300
Zum Antrag Umdruck 61 wird das Wort nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Antrag Umdruck 61 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wird zu dem Antrag Umdruck 62 noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag Umdruck 62 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Es liegen nun noch der Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Umdruck 38 **) und ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 65 ***) vor.
Ich frage zunächst, ob zu dem Antrag Umdruck 38 das Wort gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich frage sodann, ob zu dem Antrag Umdruck 65 das Wort gewünscht wird. — Das Wort hat der Abgeordnete Althammer.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0606014400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie vorher mein Kollege Röhner begründet hat, hätten wir es natürlich als einen sehr großen Vorteil empfunden, wenn unser Antrag, eine weitere Reduzierung des Etats in Höhe von 1,5 Milliarden DM vorzunehmen, angenommen worden wäre. Nachdem das nicht geschehen ist, gibt es zwischen den beiden Anträgen Umdruck 65 und Umdruck 38 eigentlich nur eine einzige Differenz. In dem SPD-FDP-Antrag finden sich nämlich noch die Worte „wie bisher". Ich habe schon bei den Vorbesprechungen gesagt, wenn diese beiden Worte hätten entfallen können, hätten wir hier gemeinsam etwas annehmen können. Aber in der Sache ist klar, was gewollt ist, nämlich wenn schon das aus unserer Sicht Bessere nicht erreichbar ist, dann jedenfalls das eine zu tun, alles, was im Ablauf des Haushaltsjahres noch an Geld stillgelegt werden kann, zur Konjunkturdämpfung auf diesen
*) Siehe Anlage 12 **) Siehe Anlage 14 ***) Siehe Anlage 15
Sondertitel bei der Deutschen Bundesbank zurückführen.

(Zuruf von der SPD: Wie bisher!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606014500
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606014600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sollten nichts wiederholen. Da ich davon ausgehe, daß der Antrag Umdruck 38 angenommen wird, brauche ich gar nicht zu bitten, den Antrag Umdruck 65 abzulehnen, denn der hat sich dann erledigt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606014700
Die Entschließungsanträge werden erst am Schluß zur Abstimmung gestellt.
Ich rufe nunmehr das Haushaltsgesetz in dritter Beratung auf. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung auf Umdruck 63 vor. Wird das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Haase.

(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt Ihr Auftritt, Al Mundy!)


Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0606014800
Meine Damen und Herren! Hinter der Bestimmung des § 6 Abs. 2 des Haushaltsgesetzes verbirgt sich der Versuch der Bundesregierung — und das zur Kenntnis zu nehmen, auch außerhalb dieses Hauses, ist sehr interessant —, neben den bisher in großem Umfange erfolgten Aufstockungen von Mitteln für Informationszwecke weitere Erhöhungen der Ausgaben für Informationen bewirken zu können.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wir betonen hier noch einmal: wir sind nicht dagegen, daß eine Regierung ausreichend Mittel zur Verfügung hat, zu informieren und die Bevölkerung zu unterrichten. Es muß eine sachliche Unterrichtung sein, sie darf aber nicht dazu führen, parteipolitische Meinungsbildung zu fördern.

(Abg. Haehser: Sehr gut! Das, was Sie gemacht haben, setzt diese Regierung nicht fort!)

Ich will hier nicht, verehrte Damen und Herren, die Debatte über Kap. 04 03 wieder aufgreifen. Der Kollege Reddemann hat sehr vortrefflich darauf hingewiesen, — —

(Zuruf von der SPD: Ausgerechnet der!)

— Ja, der hat das sehr vortrefflich gemacht, und ich habe auch bemerkt, daß seine Ausführungen bei Ihnen nachgewirkt haben.

(Zuruf von der SPD.)

Er hat darauf hingewiesen, wie wenig den Anforderungen an eine sachliche Informationspolitik in den Bemühungen des Presse- und Informationsamtes Rechnung getragen worden ist, und dargelegt, daß die bisherigen informationspolitischen Initiativen der Bundesregierung nicht darauf schließen lassen, daß die dafür vorgesehenen Mittel tatsächlich in



Haase (Kassel)

angemessener Weise nur der Information und nicht der Propaganda nutzbar gemacht worden sind. Nur zwei kurze Hinweise seien mir gestattet! Erinnern Sie sich bitte an Ihr Inserat im Zusammenhang mit der Preisentwicklung. Sie hatten tatsächlich den Mut, in einer Situation sich überschlagender Preissteigerungen der deutschen Bevölkerung in Insertionskampagnen weismachen zu wollen, daß die Preisentwicklung im Grunde genommen doch nach unten tendiere. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur parteipolitische Propaganda, das ist Fehlinformation, die Sie der Bevölkerung vermitteln.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und denken Sie an die Insertion letzte Woche angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen. Da haben Sie sich nicht gescheut, angesichts der Überbeschäftigung, die uns allen großen Kummer bereitet, der Bevölkerung als das höchste Ziel der Bemühungen der Bundesregierung in diesem Moment die Erhaltung der Vollbeschäftigung vorzutragen.

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, wenn wir im Augenblick etwas brauchen, dann ist es Stabilität, durch die dafür gesorgt wird, daß die Vollbeschäftigung langfristig erhalten bleibt. Sie setzen die Vollbeschäftigung aufs Spiel durch eine Gefährdung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Ihre Inflationspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Wir haben heute morgen in diesem Zusammenhang genug gehört..
Wenn die Bundesregierung nun die Möglichkeit erhält, ihre Mittel, die sie nicht sachgerecht nutzt, weiter zu verstärken, steht zu befürchten, daß in den kommenden Monaten eine Welle, eine Sturzflut von Propaganda über dieses Land hereinbrechen wird, die lediglich dazu geeignet erscheint, von den Fehlleistungen dieser Regierung abzulenken und uns über ihre Unterlassungen hinwegzutäuschen; ein Verfahren, meine Damen und Herren, das durch nichts gerechtfertigt ist.
Deshalb bitte ich, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606014900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0606015000
Herr Kollege Haase, je später die Stunde würde ich sagen, desto weniger überzeugend die Ausführungen der Opposition. Das war doch nun wirklich nichts.
Herr Haase, ich habe Ihnen vor 14 Tagen schon gesagt, daß es hier wirklich ein unangebrachtes Verfahren ist, mit Ihrer allgeminen Kritik, die Sie ja im übrigen in der Ihnen gemäßen Art betreiben mögen, zu kommen.

(Abg. Leicht: Das ist ja nicht wahr, Herr Kirst!)

Es geht hier um eine ganz einfache haushaltsrechtliche und haushaltstechnische Vorschrift. — Herr Leicht, es geht ja zunächst einmal darum, daß die Deckungsfähigkeit, die Sie abschaffen wollen,

(Abg. Dr. Althammer: War noch nie da!)

eine gegenseitige ist, d. h. also: theoretisch ist es genauso möglich, daß, wenn in anderen von dieser Deckungsfähigkeit betroffenen — —

(Abg. Dr. Althammer: Das glauben Sie ja selber nicht!)

— Herr Althammer, warten wir doch erst einmal ab, was die Haushaltsrechnung ausweist —, wenn in anderen in diese Deckungsfähigkeit einbezogenen Positionen die Ausgaben stärker steigen als vorhergesehen, auch zu Lasten dieser von Ihnen so kritisierten Öffentlichkeitsarbeit Beträge eingesetzt werden können.

(Abg. Dr. Althammer: Jetzt wird es lustig!) Wir werden mal sehen, wie die Rechnung läuft.

Eines möchte ich Ihnen allerdings sagen: wenn Sie so weitermachen, müssen wir, glaube ich, damit die Öffentlichkeit nicht unausgesetzt mit Unwahrheiten gefüttert wird, die Öffentlichkeitsmittel noch mehr verstärken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606015100
Ich schlage vor, daß wir noch die Begründung der Anträge 'auf den Umdrucken 66 bis 69 *) hören. Kann ich sie gemeinsam aufrufen, Herr Abgeordneter Leicht?

(Abg. Leicht: Ja, ich bitte darum!) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.


Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0606015200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar, daß Sie die Anträge Umdrucke 66 bis 69 gemeinsam behandeln lassen; es dient sicherlich auch der Arbeitsökonomie dieses Hauses.
Zu dem Antrag Umdruck 66 darf ich mich auf zwei Sätze beschränken. Zum Teil wird daranerinnert, daß nach § 50 Abs. 4 des Haushaltsgrundsätzegesetzes der Bundesregierung nunmehr gewisse Verpflichtungen aufgegeben sind, im Finanzplan auch die Investitionsschwerpunkte zu lerläutern und zu begründen. Das ist eine Forderung, die insbesondere, Herr Kollege Hermsdorf, Sie bereits 1968 in diesem Hause vorgebracht haben. In den Ziffern 2, 3 und im letzten Absatz werden ,darüber hinaus von der Bundesregierung für das Parlament weitere Unterlagen verlangt, die notwendig sind, wenn wir unsere Beratungen recht durchführen wollen.
Zu 'dem Antrag Umdruck 67 lassen Sie mich bitte folgende Feststellung treffen. Ichhabe bereits in der zweiten Lesung den Entschließungsantrag angekündigt, der hier vorliegt. Durch ihn soll erreicht werden, daß die außerhalb des Bundeshaushalts sich in Masse bewegenden, insbesondere durch
*) Siehe Anlagen 16 bis 19



Leicht
Kreditaufnahmen gefütterten Ausgaben, die mittelbar allein vom Bund zu verantworten sind, in Zukunft auch so erfaßt werden, daß wir insbesondere im Bereich der Verschuldung klare Verhältnisse haben.
Umdruck 68! Mit diesem Antrag versuchen wir, dem Bundesfinanzminister für seine Haushaltsführung auch nach der Verkündung des Haushaltsgesetzes gewisse Möglichkeiten zu geben, um auch konjunkturdämpfend weiterzuwirken. Das ist meiner Meinung nach auch notwendig, damit durch das Fahren des Haushalts in dieser Situation vielleicht dasselbe geschaffen wird wie im vergangenen Jahr 1969, wo am Schluß, ohne daß es die breite Offentlichkeit gemerkt hat oder ohne daß es mit großen Opfern verbunden gewesen wäre, wodurch die Öffentlichkeit es hätte merken können, der Haushalt so gefahren wurde, daß am Ende eine große Zahl von Ausgaben nicht getätigt werden mußte. Diese Möglichkeiten, die das alte Haushaltsgesetz gab und die zum Teil im Stabilitätsgesetz enthalten sind, werden hier erneut aufgegriffen. Ich meine, der Bundesfinanzminister sollte dafür dankbar sein.
Umdruck 69! Hier wird auf das Institut des zweijährigen Verwaltungshaushalts Bezug genommen, der zum erstenmal in diesem Haushalt 1970 eingeführt worden ist, der allerdings bei den Beratungen, wie es deutlich geworden ist, durch die Nachschiebung von Ergänzungshaushalten praktisch illusorisch geworden ist.
Es hat sich folgendes herausgestellt. Wir haben die Ansätze für 1970 auf Grund der Vorlage der Regierung geändert. Wir haben die Ansätze des Verwaltungshaushalts 1971 in der Regel nicht geändert, so daß die Regierung praktisch gezwungen sein wird, 1971 erneut einen Verwaltungshaushalt vorzulegen. Ich selber habe am Anfang den Vorschlag gemacht, man sollte darauf verzichten, den Etat 1971 zu beraten. Es waren insbesondere die Koalitionsfraktionen, die dem widersprochen haben. Ich meine deshalb, es wäre konsequent, wenn die Koalitionsfraktionen jetzt dem Antrag Umdruck 69 zustimmten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606015300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606015400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich, ebenso wie der Kollege Leicht, diese Anträge im Zusammenhang, alle nacheinander, behandle.
Herr Kollege Leicht, es ist durchaus richtig, daß ich in der ersten Lesung mehr Information auf diesen drei Gebieten, die in den einzelnen Ziffern des Antrags Umdruck 66 angesprochen sind, gewünscht habe. Zu diesem Wunsch und zu dieser Forderung stehe ich auch heute noch. Sie bringen meine Freunde und mich mit diesem Antrag in folgende Schwierigkeit. Mit den in den Ziffern 1 und 3 zum Ausdruck gebrachten Anliegen — im Grunde genommen wird diesen Anliegen ja im Gesetz Rechnung getragen, und es wird schon entsprechend verfahren — gehen wir selbstverständlich einig. In Ziffer 2 wird aber eine so weitgehende Festlegung gefordert, daß ich dieser Ziffer keinesfalls zustimmen kann. Ich sage der Regierung hier noch einmal — und das in aller Deutlichkeit , daß auch wir das, was in den Ziffern 1 und 3 des Umdrucks 66 gefordert wird, verlangen. Das steht aber bereits im Gesetz, d. h. der Antrag wäre in diesen Punkten gar nicht nötig. Wir sind der Auffassung, daß z. B. der Finanzplan nicht genug Auskünfte über die in diesen beiden Ziffern genannten Gebiete gegeben hat; er ist hinsichtlich der Auskünfte über diese beiden Gebiete hinter dem Finanzplan des Vorjahres zurückgeblieben. Ziffer 2 kann ich, wie gesagt, nicht folgen.
Ich würde den Antrag Umdruck 66 von meiner Seite aus nicht einfach ablehnen. Ich schlage im Ein- vernehmen mit den Koalitionsfraktionen vor, diesen Antrag dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
Zu Umdruck 67. Ich mache Sie nochmals darauf aufmekrsam, daß — allerdings war das meine Schuld — in der zweiten Lesung hierzu ein anderer Antrag vorlag. § 5 war dort gestrichen. Ich habe dann zu diesem Punkt gesprochen. Ich muß es auch heute ablehnen, daß wir hier im Haushalt auf der Schuldenseite die bisherig außerhalb des Haushalts zur Verfügung stehenden Finanzierungsquellen
z. B. Öffa — mit ausweisen. Sonst würde sich plötzlich ein ganz neues Bild ergeben. Man würde plötzlich sagen, der Bund sei um soundso viel höher verschuldet, was gar nicht stimmt, denn diese Finanzierungsquellen sind bisher im Einzelplan 32 nicht ausgewiesen gewesen. Wenn man das weiterdenkt, Herr Leicht, würde man sogar noch dazu kommen müssen, hier eventuell auch Hermes-Bürgschaften mit aufzuführen. Wir können dem Antrag Umdruck 67 deshalb nicht zustimmen und müssen ihn ablehnen.
Zu Umdruck 68. Ich verweise auf die Diskussionen im Haushaltsausschuß und auf die Erklärungen der Regierung hinsichtlich der restriktiven Haushaltsführung. Wir haben auch hier keinen Anlaß, an den Erklärungen der Regierung zu zweifeln. Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen.
Schwierig ist die Sache bei Umdruck 69. Herr Leicht, vielleicht können wir uns darauf verständigen, diesen Antrag gemeinsam anzunehmen; aber dann muß eine Klarstellung erfolgen. Ich möchte hier namens meiner Fraktion, völlig unabhängig von Umdruck 69, ein paar Bemerkungen zum Verwaltungshaushalt 1971 machen. Es ist richtig, was in diesem Antrag gesagt wird: Es war die einheitliche Auffassung des Haushaltsausschusses, daß man den zweijährigen Verwaltungshaushalt beibehalten sollte, um ihn sozusagen zu erproben und um sagen zu können, was für die Zukunft besser sei. Nun hat uns die Regierung in dieser Frage insofern ein bißchen in Schwierigkeiten gebracht, als sie selbst den Verwaltungshaushalt 1971 im Ergänzungshaushalt nicht berücksichtigt hat.

(Zuruf des Abg. Leicht.)

Wir stellen hier noch einmal fest, daß auch wir, die Koalitionsfraktionen, an dieser Praxis festhalten. Ich erkläre aber jetzt für meine Fraktion, daß es



Hermsdorf (Cuxhaven)

ganz klar ist, daß ein Verwaltungshaushalt, der für zwei Jahre gilt, automatisch die Konsequenz einschließt, daß es einen Ergänzungshaushalt gibt; denn Sie werden automatisch wegen der Tarifpolitik und anderer Dinge nachschieben müssen, weil der Ansatz z. B. durch einen neuen Tarifvertrag oder durch eine neue Besoldungsverhandlung völlig verändert wurde. Aus diesem Grunde wird es notwendig sein, hier auch in Zukunft einen Ergänzungshaushalt vorzusehen.
Es ist untereinander ein bißchen über die Praxis gesprochen worden, also darüber, wie die Regierung das durchführen sollte und wie es am klarsten sein wird. Darüber sollte man sich noch einmal in einem Gespräch verständigen. Ein Ergänzungshaushalt wird kommen müssen. Nur warne ich jetzt — diese Warnung gebe ich an alle Ressorts weiter, und ich hoffe, daß mich die Kollegen aller Fraktionen im Haushaltsausschuß unterstützen werden —: Die Ressorts sollen nicht der Auffassung sein, daß sie durch den Ergänzungshaushalt im Verwaltungshaushalt noch einmal eine Personalanforderung hohen Ausmaßes durchsetzen könnten. Wir wären dann entschlossen, die für 1971 gefaßten Beschlüsse überrollen zu lassen. Ich hoffe, daß dies hier klar verstanden wird.
Herr Leicht, wenn Sie hier erklären könnten, daß man bereit sei, darüber, wie man bezüglich des Ergänzungshaushalts verfahren wolle, zu sprechen, könnte ich diesem Antrag zustimmen; wenn nicht, müßte ich ihn ablehnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606015500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0606015600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der Hauptgründe dafür, zu einem zweijährigen Verwaltungshaushalt zu kommen, war, daß man insbesondere im Personalhaushalt dadurch Luft bekommt, daß man nur in einem Jahr beraten muß und in dem anderen Jahr Zeit hat, um sich mehr dem schwergewichtigen Investitionssektor im Bundeshaushalt zuzuwenden.
Wenn ich es so verstehen kann, Herr Kollege Hermsdorf, daß sich ein Ergänzungshaushalt, soweit es den Verwaltungshaushalt angeht, auf, wie ich sagen möchte, in Einzelfällen sicherlich notwendige Ergänzungen beschränken muß, die sich daraus ergeben, daß infolge Ablaufs oder neuer Konstellationen das eine oder andere notwendig ist, dann bin ich mit Ihrer Auffassung einverstanden: Beschränkung auf ein Minimum insbesondere im Personalsektor, weil der Grund des zweijährigen Haushalts eben direkt von dorther gekommen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606015700
Herr Kollege Leicht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hermsdorf?

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0606015800
Um es zu verdeutlichen: Es ist klar, daß auch ein Ergänzungshaushalt in personalen Fragen die Notwendigkeiten für die innere und die äußere Sicherheit und die Prioritäten, z. B. die Wissenschaft und den Schleusenwärter, berücksichtigen muß.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0606015900
Selbstverständlich, Herr Kollege Hermsdorf, da waren wir uns einig.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606016000
Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Anderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 63. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Haushaltsgesetz 1970 in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Ich stelle fest, daß das erste die Mehrheit war. Das Haushaltsgesetz ist angenommen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag auf Umdruck 37 auf, der sich auf Einzelplan 08 bezieht. Es wird vorgeschlagen, den Antrag dem Haushaltsausschuß zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 70 — Einzelplan 10 — auf. Es wird vorgeschlagen, ihn dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß der Antrag des Haushaltsausschusses zum Einzelplan 15 — Familienbericht — unmittelbar angenommen werden soll. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren, der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 71, der von dem Abgeordneten Kiep begründet worden ist, soll nach dem Vorschlag der Antragsteller dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiesen werden. Oder wird ein anderer Antrag gestellt?

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Die Ausschußüberweisung geht vor.

(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven]: Ablehnung!) — Hier wird Ablehnung beantragt.

Meine Damen und Herren, wer dem Antrag auf Ausschußüberweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. In der Gegenprobe ist die Ablehnung beinhaltet. Sind wir uns einig? — Wer so verfahren will, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Stimmenthaltungen? —
Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Soll über den Entschließungsantrag Umdruck 64 zu Einzelplan 32 abgestimmt werden?

(Abg. Dr. Althammer: Annnahme!)

Annahme! Es soll also abgestimmt werden. Meine Damen und Herren, wer dem Entschließungsantrag Umdruck 64 zu Einzelplan 32 zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag zu Einzelplan 60 auf Umdruck 38 auf. Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Entschließungsantrag Umdruck 65 auf. Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun noch zu den Entschließungsanträgen auf den Umdrucken 66 bis 69 im Zusammenhang mit dem Haushaltsgesetz.
Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag Umdruck 66 auf. Hier ist gemeinsam Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 67. Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Bei Umdruck 68 wird ebenfalls um Abstimmung gebeten. Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1970 auf Umdruck 69 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen für die Mitarbeit danken. Wir sind damit am Ende der Beratungen des Bundeshaushalts 1970.
Wir treten nunmehr wieder in die unterbrochene Beratung zur Deutschland- und Europapolitik ein:
a) Forsetzung der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
betr. Deutschland-, Ost- und Europapolitik — Drucksachen VI/691, VI/757 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaastaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften
— Drucksachen VI/880, zu VI/880 —
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. April 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften
— Drucksache VI/879 —
Das Wort nach der Liste der Wortmeldungen hat Herr Professor Hallstein. Die Fraktion der CDU/ CSU hat 45 Minuten Redezeit angemeldet.

Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606016100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Thema der Europapolitik hat für uns höheren Rang als die politische Einheit. Sie ist das Endziel, die Ratio allen europäischen Bemühens. Die letzten Motive für dieses Bemühen waren immer politisch: der Friede innerhalb dieses vereinigten Europa, seine Sicherheit nach außen und die Rückgewinnung der in zwei Weltkriegen verlorenen Teilhabe an der Weltpolitik. Der wirtschaftliche Nutzen, so sensationell er ist, war ein Mittel zu diesem Zweck, ein Zwischenziel.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

Die Vollendung der politischen Einheit Europas ist notwendig, und sie ist eilig.

(Anhaltende starke Unruhe.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606016200
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner bitten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606016300
Es gibt kein einziges politisches Problem von einiger Bedeutung mehr, das vernünftig und dauerhaft ohne diese Einheit gelöst werden könnte, angefangen bei einer konstruktiven Ostpolitik über das ganze weite politische Feld bis hin zu einer modernen Gesellschaftspolitik.
Als Endform dieser Einheit war stets ein Bundesstaat gedacht, seit Winston Churchill im Jahre 1946 in der Zürcher Universität von den „Vereinigten Staaten von Europa" sprach und Robert Schuman in der Magna Charta der europäischen Integration vom 9. Mai 1950 von der Föderation. Beide behandelten sie als Aufgabe dieser Generation.
Herr Bundeskanzler, Sie haben im Zusammenhang mit dem Bemühen um eine baldige Föderation einmal von Spinnertum gesprochen.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Hört! Hört!)

Es war Ihnen sicher nicht bewußt, daß Sie damit
zuerst die beiden großen Europäer trafen, die am



Dr. Hallstein
Anfang unseres Weges waren. Deshalb war diese
Äußerung unbedacht. Sie war es nicht nur deshalb.
Die föderale Formel galt von Anfang an, nicht aus einem institutionellen Dogmatismus, sondern weil sie die einzige Denkform ist, die es erlaubt, zwei europäische Notwendigkeiten miteinander zu vereinigen, einerseits den Fortbestand der Staaten, die sich zusammenschließen, andererseits die Bildung einer übergeordneten politischen Gewalt durch Zusammenlegung von Souveränitätselementen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb ist diese Formel auch das Grundmodell der
Teillösungen geworden, die wir bisher in der Form
der Europäischen Gemeinschaft verwirklicht haben.
Der erste Satz des Römischen Vertrages erklärt daher den festen Willen — nicht nur die Absicht —, die Grundlagen nicht nur die Gelegenheit — für einen immer engeren Zusammenschluß — und nicht nur für eine Zusammenarbeit — der europäischen Völker zu schaffen. Jedes Wort in diesem Satz ist gründlich überlegt und sorgfältig beraten. Ich bekunde das als Zeuge.
Auch das Kommuniqué der Haager Gipfelkonferenz hält sich mit eindruchsvollen Worten an die politische Zielsetzung, und die Konferenz beauftragte die Außenminister, die Frage zu prüfen, wie in der Perspektive der Erweiterung am besten Fortschritte auf dem Gebiet der politischen Einigung — nicht Zusammenarbeit — erzielt werden können, und dazu vor Ende Juli dieses Jahres Vorschläge zu machen.
Ungenügend informiert über den Fortgang und beunruhigt durch die vielerörterte Londoner Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über die Vertagung wichtiger Fragen auf die kommenden Generationen, haben wir deshalb die Bundesregierung in einer Großen Anfrage unter anderem gefragt, ob sie dem Endziel des europäischen Bundesstaates verpflichtet und bereit sei, einen verbindlichen, präzisen und datierten Stufenplan für eine politische Union vorzuschlagen, die die Außen- und Verteidigungspolitik mit umfaßt. Dies sind Fragen, auf die, so meinten wir, mit Ja oder Nein leicht zu antworten ist. Die Bundesregierung hat weder das eine noch das andere getan. Sie hat die Hauptfrage, die nach dem föderalen Ziel, umgangen. Sie ist also jedenfalls nicht positiv behandelt.
Über ihre Rolle bei der Vorbereitung der Vorschläge der Außenminister hat sie zwar einige Verfahrensmitteilungen gemacht, besonders die, daß sie durch ein Aide-mémoire besonderen Einfluß auf den Inhalt dieser Vorschläge genommen habe. Aber über das Wichtigste, den Inhalt dieses Aide-mémoires, fanden wir in der Antwort der Bundesregierung kein Wort.
Meine Damen und Herren, kein diplomatisches Gesetz erlegte der Bundesregierung diese Geheimniskrämerei auf.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Sie ist in europapolitischen Angelegenheiten ganz
unüblich. Mit Recht ist hier auch der deutsche Entwurf eines Stufenplans für die Wirtschafts- und Währungsunion veröffentlicht worden. Die Bundesregierung war frei, sich in einer`Angelegenheit, die an politischer Bedeutung an den Schuman-Plan vom 9. Mai 1950 heranreicht, vor der Offentlichkeit der Welt und Europas zu engagieren.
Inzwischen wissen wir mehr, aber im wesentlichen aus der Presse, nicht — ich bedaure, es sagen zu müssen — aus der gestrigen Erklärung des Herrn Außenministers. Noch immer wissen wir freilich nicht alles. Sollte ich also im Tatsächlichen irren, so ist es nicht meine Schuld. Ich sage gleich, daß niemand froher sein kann als ich, wenn im Verlaufe dieser Debatte noch bessere Kunde kommt.
Um das, was wir nunmehr wissen, zu bewerten, ist zunächst ein Wort darüber vonnöten, was die politische Union ist. Der Begriff ist weder gesetzlich noch vertraglich geprägt. Er ist in der politischen Diskussion entstanden und hat seinen Umriß in der Gegenüberstellung zur sogenannten wirtschaftlichen Integration gefunden. Danach ist die politische Union ein Doppeltes: einmal die Erweiterung der Sachbereiche gemeinsamer Politik, besonders der Außen- und der Verteidigungspolitik, sodann der Ausbau der unterentwickelten organisatorischen Struktur der bestehenden Gemeinschaft, aus der auch die politische Union organisch herauswachsen soll. Durch beides würde Europa in den Stand gesetzt werden, nach innen und außen mit einer Stimme zu sprechen. Die politische Union ist also die letzte Stufe vor der Vollendung der Föderation, die ihrerseits aus der Verschmelzung der sogenannten wirtschaftlichen und der sogenannten politischen Gemeinschaft entstehen soll.
Messen wir daran, worüber man sich in Viterbo einig geworden ist, so ist folgendes festzustellen.
Erstens. Es sollen Konsultationen zwischen den Außenministern an zwei Tages jedes Jahr stattfinden. Meine Damen und Herren, es ist schwer, zu begreifen, wie Praktiker der Außenpolitik glauben können, an einem Tage alle sechs Monate könne es gelingen, auch nur über wenige der zahlreichen und schweren Fragen, die sich für eine europäische Außenpolitik stellen, eine wesentliche Annäherung, geschweige denn Übereinstimmung herbeizuführen.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!)

Zudem haben wir darin, wieviel ein solches Verfahren an Einheit bringen kann, schon eine europäische Erfahrung. Im November 1959 haben die Außenminister der sechs Gemeinschaftsländer vierteljährliche Zusammenkünfte verabredet. Bis zur ersten Gipfelkonferenz im Februar 1961 in Paris haben drei stattgefunden. Ich habe daran teilgenomme und kann bestätigen, daß der Ertrag für die Herbeiführung einer gemeinsamen Außenpolitik gleich Null war.
Zweitens. Es ist auch nicht daran gedacht, selbst diesen bloßen Gesprächsrhythmus durch einen Vertrag verbindlich zu machen. Eine Erklärung soll das Ganze tragen. Es gibt also keine Konsultationspflicht. Alles bleibt freiwillig.
Drittens. Der Zusammenhang dieser Gesprächsrunde mit der Europäischen Gemeinschaft ist



Dr. Hallstein
äußerst dünn. Die stärkste Verbindung besteht noch in der Identität des Mitgliederkreises. Dies wenigstens halten wir mit der Bundesregierung für richtig. Aber die Organe der Gemeinschaft sind nur mangelhaft beteiligt. Dabei treffen sich die Außenminister der Mitgliedsregierungen doch ohnedies in immer kürzeren Zeitabständen im Rat }der Gemeinschaft. Sie verfügen dort über einen Apparat, über ein vorzüglich funktionierendes Generalsekretariat, über ständige Vertreter, die zur Elite des politischen Beamtentums in der Europäischen Gemeinschaft gehören. Schon bei den Sondierungen über }die politische Zusammenarbeit hat man jedoch diese Organisation gemieden wie die Sünde. Man spricht nur von Parallelität der Wirtschaftsintegration auf der einen Seite und 'der politischen Zusammenarbeit auf der anderen. Parallelen berühren sich bekanntlich erst im Unendlichen.
Das Europäische Parlament andererseits soll einmal im Jahr einen Bericht bekommen. Aber nur in Ausschüssen sollenallenfalls Aussprachen mit den Ministern stattfinden. Erinnern Sie sich, Herr Bundesaußenminister, aus den Kolloquien zwischen dem Ministerrat und dem Parlament der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an die Sterilität solcher Berichte, in denen alles verpönt ist, was auch nur entfernt kontrovers und daher interessant ist? Wir haben doch gemeinsam jahrelang darunter gelitten. Erst in der öffentlichen Debatte gewinnen sie mühsam ein gewisses Leben. Es ist daher viel verlangt, wenn wir Ihnen, Herr Minister, darin zustimmen sollen, }daß Sie das als Erfüllung des demokratischen Gebots auf dem Gebiet der politischen Union bezeichnen.
Viertens. Als Sachbereich der politischen Zusammenarbeit wird zunächst nur die Außenpolitik genannt. Erst später soll vielleicht die Verteidigungspolitik dazukommen. Warum diese Einschränkung?
Fünftens. All dies soll nun auch noch festgeschrieben werden; denn erst für Ende 1971 kann durch einen neuen Beschluß der Minister den politischen Direktoren der Außenministerien der Auftrag erteilt werden, neue Vorschläge zu machen, und auch das offenbar nur über bestimmte Themen, die einbezogen werden sollen. Das Datum ist übrigens interessant. Ende 1971 ist etwa das Ende der Beitrittsverhandlungen, und auch im Licht einer europäischen Sicherheitskonferenz kann der Tag bedeutsam sein. Bis dahin }also offenbar keine Fortschritte.
Meine Damen und Herren, hätten die Außenminister geschwiegen, so wäre das ein Nichts gewesen. Was wir gehört haben, ist noch weniger; denn es nimmt das Thema für lange vom Tisch und blockiert damit den nötigen kräftigen Fortschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Noch dürftiger sind die Auskünfte zum zweiten Kapitel der politischen Union, dem Ausbau der Institutionen. Wir erfahren nur auf eine ausdrückliche Frage, daß die Bundesregierung für eine Stärkung des Europäischen Parlaments sei und daß sie in den Beratungen über direkte europäische Wahlen „eine aktive Rolle" gespielt habe. Dürfen wir fragen, mit welchem Inhalt und mit welchem konkreten Ergebnis? Wir sind interessiert an der Antwort. Denn wir behalten uns vor, die Frage der direkten Wahl zum Europäischen Parlament wieder aufzugreifen, eventuell im nationalen Rahmen. Die gleichgerichteten italienischen, belgischen und nunmehr auch niederländischen Initiativen sind bekannt. Darüber hinaus aber machen die Fortschritte der Integration, besonders die Wirtschafts- und Währungsunion, eine allgemeine Stärkung der Institutionen ebenso unabweislich wie die zu erwartende Vermehrung der Mitgliederzahl. Es geht hier außer um die direkte europäische Wahl um Themen wie die Erweiterung der Gesetzgebungsbefugnisse des Parlaments, die Mitwirkung des Parlaments bei der Bestellung der Mitglieder der Europäischen Kommission, die Rückkehr zu der vertraglich gebotenen Praxis der Mehrheitsabstimmung im Ministerrat und schließlich die Gewährleistung der Funktionen der Europäischen Kommission. Nichts davon, von der Schaffung der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments abgesehen, ist eingeleitet.
Das Ergebnis von Viterbo ist also im ganzen und im einzelnen eine schwere Enttäuschung. Fortschritte auf die politische Einheit fordert die Entschließung vom Haag, und es ist mir unbegreiflich, Herr Minister, wie Sie gestern ein solches Ergebnis als einzigartig, als etwas preisen konnten, was in der ganzen Welt seinesgleichen suche.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Es war ironisch gemeint!)

Die Bundesregierung macht zwei Versuche der Rechtfertigung.
Der erste ist unecht und bedarf kaum der Widerlegung. Er steckt schon in dem Satz der schriftlichen Erwiderung: „Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, daß perfektionistische Pläne für eine politische Union zum Hindernis konkreter Fortschritte werden können". Auf die Frage, aus welcher Vergangenheit Sie das gelernt haben, haben Sie, Herr Minister, eine Antwort gegeben, von der ich nicht glauben kann, daß Sie sie bei erneutem Nachdenken aufrechterhalten können. Sie haben an die Pläne für eine politische Union erinnert, die im Anschluß an die Bonner Gipfelkonferenz von 1961 entworfen worden sind. Aber jedermann in diesem Hohen Hause weiß doch, daß sie nicht deshalb gescheitert sind, weil sie perfektionistisch waren; sie waren im Gegenteil, der europapolitischen Lage entsprechend, mit einer großen Selbstbeschränkung konzipiert. Sie sind gescheitert, weil eine der sechs Regierungen eine für gemeinsame Politik organisierte, also eine gemeinschaftlich verfaßte politische Union nicht wollte, sondern nur eine intergouvernementale Zusammenarbeit. Es mutet seltsam an, wenn heute deutsche Sozialdemokraten und deutsche Liberale sich zu verspäteten Vollstreckern einer Gedankenschule machen, die in ihrem Ursprungsland selbst mehr und mehr überwunden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Erst vor wenigen Tagen ist in Frankreich von den
Unabhängigen Republikanern, der Partei des Herrn
Giscard d'Estaing, einer Partei, die dort in der



Dr. Hallstein
Regierungsverantwortung steht, ein Programm für einen europäischen Bund vorgelegt worden, der sich mit bemerkenswerter Konsequenz aus der Europäischen Gemeinschaft entwickelt.
Der Vorwurf des Perfektionismus entpuppt sich also als etwas, was gar nicht Begründung ist, sondern Begründungsersatz von der billigsten Sorte, ich bin versucht zu sagen: ein Madigmachen, wenn ich ein Wort gebrauchen darf, das in die Terminologie dieses Hohen Hauses neu eingeführt worden ist. Wir werden wahrscheinlich noch ähnliche Wörter zu hören bekommen.
Die zweite Rechtfertigung der Bundesregierung lautet, daß es sich zunächst nur um eine erste Phase der Entwicklung zu einer politischen Union handele. Im Lichte der Erfahrung und der Entwicklung eines solidarischen politischen Verhaltens, so heißt es, „werden wir schrittweise neue Beschlüsse zur Intensivierung der Zusammenarbeit in Richtung auf das angestrebte Endziel fassen müssen. Insofern", so heißt es weiter, „kann man von einem Stufenplan sprechen, auch wenn die einzelnen Etappen sowie die Zeitpunkte ihrer Verwirklichung nicht definiert sind." Meine Damen und Herren, uns das als einen Stufenplan verkaufen zu wollen, ist, gelinde gesagt, eine Zumutung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sachlich offenbart sich in den Argumenten ein doppelter Irrtum.
Der erste ist, daß wir nicht im Jahre Null, sondern im Jahre 20 der europäischen Einigungspolitik stehen. Die politische Union ist nicht ein Neubeginn, sie ist eine Fortsetzung, sie ist die Vollendung, die Vervollständigung dessen, was wir mit der Gemeinschaft begonnen haben. Die Europäische Gemeinschaft hat die europäischen Realitäten bereits stark verändert, hat sie europäisiert. Sie hat tief verwurzelte europäische Gemeinsamkeiten bloßgelegt und andere neu geschaffen. Mehr noch, die Gemeinschaft ist nicht nur ein erprobtes Modell, sie ist auch ein tauglicher Organisationsrahmen für alles Wei-tore. Selbst das ungenügende Konsultationsprojekt, von dem wir hier heute sprechen, kann nicht daran vorbeigehen.
Zweitens steckt in dem Vertrauen auf die Entwicklung eines solidarischen Verhaltens, von dem die Bundesregierung spricht, im Grunde nichts anderes als der fatalistische Glaube an den Automatismus der Entwicklung zur europäischen Einheit, wenn man sich nur darüber unterhält. Ich weiß, daß die Bundesregierung das nicht wahrhaben will, und ich will ihren guten Glauben dabei nicht in Zweifel ziehen. Aber ich muß Ihnen sagen, daß jene Erfahrung und jene Entwicklung eines solidarischen Verhaltens eine einzige Enttäuschung für Sie sein werden, wenn Sie sie nicht organisieren. Auch die europäische Einheit muß durch verbindliche Verfahren erzwungen werden, und dazu brauchen wir Institutionen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Behrendt: Dann zwingen Sie mal die anderen! Das wissen Sie doch ganz genau!)

Der Drang zur europäischen Einheit mull Organe erhalten, die ihn befähigen, sich zu formulieren, zu präsentieren, zu verteidigen und im Kampf mit den Widerständen durchzusetzen. Die politische Union ist keine Heilsarmee; sie ist ein Organismus für praktische Politik des einen Europa, das wir verwirklichen wollen. Für ein geschlossenes europäisches Verhalten reicht eben die bloße intergouvernementale Zusammenarbeit nicht aus. Auch das ist eine Erfahrungstatsache aus der Geschichte etwa des Europarats oder der OEEC.
Um zusammenzufassen: Wer sagt: erst Einigkeit in der Sache, dann Institutionen, der spannt den Karren vor das Pferd. Wir haben mit dem Vertrag von Rom eine verhältnismäßig dichte Organisation aufgebaut, nicht weil wir über den Inhalt einer europäischen Wirtschaftspolitik einig waren, sondern um es zu werden und zu bleiben. Sie haben einen Stufenplan für die Wirtschafts- und Währungsunion nicht ausgearbeitet, weil über den Inhalt dieser Union Einigkeit besteht, sondern um diese Einigkeit herbeizuführen und zu bewahren. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.
So weit gekommen, sehen wir uns dem Einwand ausgesetzt, die Vergemeinschaftung von Außen- und Verteidigungspolitik sei wesentlich schwerer als die der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Meine Damen und Herren, das ist eine ebenso sorgfältig gepflegte wie gänzlich unbewiesene Zweckbehauptung.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig! — Beifall bei der CDU/CSU.)

Sicher wird es sehr schwer sein, die letzte Hürde vor der Vollendung der vollen politischen Einheit zu nehmen. Aber die größten Schwierigkeiten liegen hier doch im Emotionalen. Im Sachlichen ist der Spielraum verzweifelt eng, nicht nur in der Verteidigungspolitik, und es ist kaum ein Anliegen zu finden, wo das individuelle Interesse eines Mitgliedstaats nicht mit dem europäischen Gemeininteresse zur Deckung gebracht werden könnte. Und was den Vergleich mit dein Erreichten anlangt, so nennen Sie mir doch ein einziges wesentliches Ergebnis der bisherigen Integration, das nicht mit unendlicher Mühe erkämpft worden ist!

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr gut!)

Niemals haben wir uns die Bequemlichkeit einer Gefälligkeitspolitik erlaubt.
Wir verlangen von der Bundesregierung gewiß keine Erfolgsgarantie, aber sie ist verantwortlich für das, was sie selbst gelan und unterlassen hat. Was hat sie selbst zu dem Ergebnis beigetragen, nicht nur am Anfang, sondern auch im Laufe der Verhandlungen, und was davon ist noch auf der Tagesordnung? Ist um eine gute Lösung wirklich gekämpft worden? Oder hat man hier eine Politik des geringsten Widerstands getrieben? Hat man in der bloßen Erwartung von Widersprüchen einzelner Partner Konzessionen vorweggenommen?
Natürlich müssen wir ferner auch hier davon ausgehen, daß der Fortschritt nur in Etappen zu vollziehen ist, in einer Mehrzahl von einanderfolgenden Schritten. Aber der erste Schritt darf doch nicht



Dr. Hallstein
zu klein sein. Die erste Phase muß sogar besonders rasch und kräftig durchmessen werden; denn das Gelände ist keineswegs von den alten Minen geräumt. Und daß dem ersten Schritt der zweite, dem zweiten der dritte folgen wird, das darf nicht nur ein Wunsch oder eine Hoffnung sein. Es muß eine Gewißheit sein. Noch einmal: dazu braucht man eine Organisation, und zwar eine ziemlich feste, nämlich eine solche, die auch vor dem selbstauferlegten Zwang zu Marathons nicht zurückschreckt. Es ist unnötig zu sagen, daß diese Evolution auch mit der Schaffung der Föderation nicht endet. Unser eigener Staat ist dafür seit hundert Jahren ein klassisches Beispiel.
Warum also hat man nicht die Schubladen aufgezogen, in denen sich die Entwürfe für eine Politische Union aus den frühen sechziger Jahren befinden — der Plan Rene Plevens aus dem Europäischen Parlament oder der davon inspirierte gemeinsame Vorschlag von fünf Regierungen —, gewiß, ich wiederhole es, maßvolle Vorstellungen? Warum ist z. B. der Gedanke eines Generalsekretärs mit einem unabhängigen Initiativrecht verworfen worden, der sich dort findet und der selbst in den lockersten multilateralen intergouvernementalen Verbindungen seinen Platz hat? Ich erwähne nur die OEEC und die OECD. Was wäre ungezwungener gewesen, als bei den Beratungen die Frage an die einen zu richten, ob sie noch zu jener alten Gemeinsamkeit stehen, und an den anderen, ob er ihr heute beitreten will?
Ich komme zum letzten Argument, dessen sich die Bundesregierung bedient. Sie sagten, wir seien „nicht zur Eile verurteilt". Nun, wenn das wahr wäre, warum haben Sie sich dann nicht die Zeit genommen, auf unsere Gemeinschaftspartner einzuwirken? Schlechter, als sie jetzt ist, konnte die Sache doch nicht mehr werden. Warum haben Sie sich nicht zunächst auf Verfahrensvorschläge beschränkt, vielleicht für eine Gipfelkonferenz, wie das der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU hier einmal angeregt hat, um sich die Möglichkeit offenzuhalten, auf Ihre Gesprächspartner einzuwirken mit dem Gewicht guter Gründe und auch des Ansehens, das uns eine redliche Europapolitik verschafft hat? Sie wären dabei nicht allein geblieben.
Aber es ist gar nicht wahr, daß wir nicht zur Eile verurteilt sind. Im Gegenteil, von allen Irrtümern ist das der größte und gefährlichste.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es kann ein tragischer Irrtum werden. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, man könne die Fragen, die jetzt nicht mit der einfachen Formel der Bundesregierung beantwortet werden, den nach uns kommenden Generationen überlassen. Woher wissen Sie, Herr Bundeskanzler, daß eine der Generationen nach uns, sei es die erste, die zweite oder die dritte, noch die Chance haben wird, die wir heute, die Sie, die Bundesregierung, heute haben?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Alle Zeichen der Zeit stehen dagegen. Wenn diese
Generation ihre Schuldigkeit nicht tut, wenn sie die
europäische Einheit nicht vollendet, so werden die
nächsten Generationen aller menschlichen Voraussicht nach andere Sorgen haben als diese. Wenn man die Dinge aber so sieht wie der Herr Bundeskanzler, sollte man wenigstens nicht sagen, daß man den Bundesstaat wolle. Etwas wollen heißt — mindestens in der Politik — etwas tun wollen, selber tun wollen. Wenn man das Tun von anderen erwartet, z. B. von späteren Generationen, ist das allenfalls ein Wunsch.
Ich sage also: die Sache eilt, und ich nenne drei Gründe dafür. Es sind der Reifegrad der schon verwirklichten Integration, die Wirkungen eines Verzugs nach außen und der Zusammenhang mit der Erweiterung der Gemeinschaft.
Erstens. Je umfassender die wirtschaftliche Integration wird, z. B. durch das Konzept der Währungsunion, desto deutlicher wird, daß die Teilintegration nicht lebensfähig ist. Man muß die allgemeinen politischen Bedingungen bedenken, die doch auf alle Gebiete der wirtschafts- und sozialpolitischen Integration immer stärker einwirken, von der Handelspolitik angefangen bis zur Sozialpolitik hin. Wer die Wirtschafts- und Währungsunion jedenfalls will, muß die Politische Union wollen.
Zweitens. Wer sich am Verzug der politischen Einigung mitschuldig macht, ärgert die Amerikaner und ermutigt die Russen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben die europäische Einigungspolitik viele Jahre hindurch unterstützt, weil sie von einer politischen Einheit eine größere Stabilität in Europa erwarteten. Jetzt sind sie besorgt. Ich bestätige aus fortgesetzter enger Fühlung mit den Amerikanern nachdrücklich das, was Herr Kollege Kiesinger gestern hier gesagt hat: Es ist fünf Minuten vor zwölf. Eine bloß wirtschaftliche Einheit Europas bringt den Vereinigten Staaten ihr weltwirtschaftliches Konzept durcheinander und läuft vielen ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen zuwider. Wir sollten die Kontroverse mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich im GATT aufgetan hat, sehr ernst nehmen.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr gut!)

Und die Sowjets? Müssen sie sich in ihrem Bestreben nach Hegemonie über Europa nicht bestärkt fühlen, wenn das politische Entscheidungszentrum in Westeuropa, das ihnen ein Dorn im AUge ist, nicht zustande kommt? Es ist doch niemandem entgangen, mit welcher Befriedigung die „Prawda" jüngst feststellte, immer breitere Kreise in Westeuropa setzten sich statt des politischen Blocks für eine allgemeine, gesamteuropäische Zusammenarbeit ein. Unseren Hinweis auf die Sorge, die Ostpolitik könne von der konkreten europäischen Integrationspolitik wegführen, beantwortet die Bundesregierung mit dem etwas sibyllinischen Satz, der „Zusammenhang zwischen Ost- und Westpolitik" sei für die Bundesregierung kein Verhandlungsgegenstand, er werde auch in Zukunft nicht aufgegeben oder eingeschränkt werden. Was der Herr Bundeskanzler gestern hier gesagt hat, erlaubt, das so zu verstehen, daß in den Ostverhandlungen keinerlei Opfer aus



Dr. Hallstein
der Substanz der europäischen Einigungspolitik gebracht werden.
Drittens. Die Staaten, die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft werden wollen, machen sich zum Teil Hotfnungen, um die Teilnahme an einer integrierten Politischen Union herumzukommen. Diese muß daher verbindlich eingeleitet sein, wenn die neuen Mitglieder eintreten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind befriedigt von der Antwort der Bundesregierung, daß, von pragmatischen Übergangslösungen abgesehen, die politische Einheit auch von den Beitretenden unwiderruflich bejaht sein muß. So haben wir den Beitritt immer gewollt. Deshalb aber muß es ausgeschlossen sein, daß die Erreichung unseres Endziels auf irgendeiner späteren Stufe durch ein Veto eines neuen Mitgliedes blockiert wird. Wenn diese Notwendigkeit gelegentlich, nicht ohne Schuld der Bundesregierung, in ein Zwielicht getaucht worden ist, so ist das ebenso unaufrichtig wie gefährlich. Zweideutigkeit ist niemals gut.
So bleibt denn die Frage offen: Warum nur, wenn die Gründe nicht verfangen, die sie selber dafür angibt, betreibt die Bundesregierung in der Schicksalsfrage der europäischen Union eine Politik so ohne Mut, ohne Größe, ohne die Kraft, die nur eine echte Überzeugung verleiht? Die Bundesregierung verweist auf ihre Verdienste an den Ergebnissen der Haager Gipfelkonferenz. Sie sind unbestritten. Aber um so auffälliger ist doch die Lauheit, mit der die Politische Union betrieben wird. Und noch krasser wird das Mißverhältnis, wenn man sie mit der Energie und Beharrlichkeit vergleicht, die die Bundesregierung in der Ostpolitik an den Tag legt.
„Politische Kleingeisterei besteht im Bemänteln dessen, was ist," hat der Herr Bundeskanzler gestern gesagt. Wir wollen nicht gern in den Geruch von Kleingeistern kommen und bemänteln deshalb nichts. Am 8. Mai hat der Europa-Korrespondent einer großen Tageszeitung aus Brüssel berichtet — ich zitiere —:
In Brüssel ist aufgefallen, daß die deutschen Vertreter im sogenannten d'Avignon-Ausschuß der EWG bisher nur unbedeutende Vorschläge für eine politische Integration der Westeuropäischen Gemeinschaft angeboten haben. Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautete, sollen die deutschen Vertreter in dem Ausschuß auf die laufenden Gespräche zwischen Bonn und Moskau verwiesen haben; außerdem müßte man auf Großbritannien Rücksicht nehmen, das sich in der Frage einer politischen Zusammenarbeit sehr zurückhaltend zeige. Politische Kreise in Brüssel verweisen darauf, daß bei den Deutschen an die Stelle der einstigen Pläne für eine politische Integration nur bescheidene Koordinierungsgedanken getreten seien. Eine echte politische Autorität Westeuropas werde sich wegen der mageren Bonner Beiträge in dieser Frage nicht entwickeln können."
Ich zitiere diese Meldung nicht als Quelle für das,
was die Bundesregierung will. Darüber hat uns die
Bundesregierung selbst zu informieren. Aber eine solche Deutung wie diese ist doch für sich selbst ein politisches Faktum. Nur durch eindeutige Taten kann sie widerlegt werden, nicht durch Worte.
Ich füge hinzu: 1st nicht auch die Form des Vorgehens, ist nicht die Ebene der Verhandlungen symptomatisch? Denn die Wahl der Form ist natürlich auch ein Politikum. Aber hier steht Routine im Westen — und ich meine das Wort jetzt nicht pejorativ — gegen eine außergewöhnliche Bemühung im Osten. Im Westen Diplomatie, und zwar eine recht zart besaitete;

(Abg. Wehner: Na!)

nur im Osten Politik. Und das soll die Welt nicht sehen?
Die Frage ist in aller Munde, ob denn die westeuropäische Politik für die Deutschen nur noch Mittel der Ostpolitik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Unglaublich, daß Sie das sagen!—Unglaublich, daß Sie das sagen!)

Dabei sind die Risiken einer kühnen Europapolitik unvergleich geringer und ihre Chancen unvergleichlich größer, wie wir es doch erlebt haben, ihre Chancen auch für eine gemeinsame Ostpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Wehner: Sie würden das alles im Handumdrehen machen, Sie Meister!)

Und wenn es wahr ist, was man munkelt, daß die Schwierigkeit in Frankreich liegt oder in den Niederlanden — warum fährt der Herr Bundeskanzler, so gut wie er sich mit Herrn Stoph trifft, nicht einmal selber nach Paris oder Den Haag,

(Zurufe von der SPD: Unglaublich! — Pfui! Zuruf des Abg. Dr. Apel)

um mit der Eindringlichkeit, deren er fähig ist, Freunden klarzumachen — ja, Freunden! —, wieviel hier auf dem Spiel steht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Apel: Bare Unterstellungen!)

Im Blick auf solche Unterschiede sprechen wir in der Tat von Vernachlässigung der Europapolitik.

(Abg. Wehner: Alter Doktrinär! — Abg. Dr. Apel: Nicht einmal das!)

Ich weiß, daß Sie diesen Vorwurf nicht gelten lassen, und habe Ihre Verwahrung dagegen wohl gehört. Aber eine Regierung haftet nun einmal nicht nur für das, was sie will, sie haftet vor allem für das, was sie anrichtet.

(Abg. Wehner: Wenn Sie nicht Professor Hallstein wären, würde ich meinen, das sei eine Gemeinheit!)

Meine Damen und Herren, man sagt uns, daß in der Sache der Politischen Union noch nichts verbindlich vereinbart sei. Noch scheint eine Umkehr, scheinen Veränderungen, Verbesserungen des Besprochenen möglich. Es wäre unverzeihlich, wenn die Bundesregierung eine solche Möglichkeit nicht im äußersten Umfange nutzte.



Dr. Hallstein
Wir warnen die Bundesregierung. Dafür, daß sie überhaupt auf der Haager Konferenz initiativ wurde, verdient sie Lob. Aber sie hat damit zugleich große europäische Verantwortung übernommen. Dieser Verantwortung hat sie in der Sache der Politischen Union nicht genügt. Täuschen Sie sich nicht! Wir werden in dieser Sache nicht nachgeben, wir werden nicht resignieren.

(Abg. Wehner: Wir zittern schon!)

Wir werden uns nicht mit Lippenbekenntnissen abspeisen lassen,

(Abg. Dr. Apel: Schön gelesen!) und wir werden nicht allein sein.


(Abg. Wehner: Pensionierter Europäer!)

Vor einigen Wochen hat in den sechs Ländern der Gemeinschaft und in Großbritannien eine Meinungsumfrage stattgefunden. Die erste Frage lautete: „Sind Sie dafür oder dagegen, daß sich die EWG zur Politischen Gemeinschaft eines vereinten Europa entwickelt?" Dafür waren in Deutschland 69 % der Befragten, in Frankreich 67 %. Die letzte Frage lautete: „Angenommen, es kommt zu den Vereinigten Staaten von Europa, an deren Spitze ein Präsident steht, der von den Bürgern gewählt ist. Würden Sie auch für einen Kandidaten stimmen, der kein Landsmann ist, wenn er Ihnen nach seinem persönlichen Eindruck und von seinem politischen Programm her besser gefällt, oder würden Sie das nicht?" Die Befragten sagten in Deutschland mit 69 0/o ja, in Frankreich mit 61 %.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wir fordern von der Bundesregierung auch in dieser Sache eine Politik, die klar ist und jede Mißdeutung ausschließt; die nicht in Worten besteht, sondern in Taten; die dynamisch ist und sich nicht mit den traditionellen Praktiken der Diplomatie begnügt; die folgerichtig ist, indem sie auf den geschaffenen Realitäten aufbaut; die die Gunst der Stunde nutzt, einer Stunde, die der europäischen Entwicklung einen neuen Elan verliehen hat; die unseren wahren Interessen dient, nicht nur den europäischen, sondern auch den nationalen, indem sie mutig in die Zukunft baut.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606016400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulz (Berlin).

Dr. Klaus-Peter Schulz (SPD):
Rede ID: ID0606016500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als mein Herr Vorredner mit seinen Ausführungen begann, habe ich innerlich aufgeatmet: Gott sei Dank, jetzt kommt jemand aus den Reihen der Opposition, der eine seit gestern weitgehend verfremdete Debatte zu ihrem eigentlichen Thema zurückführen und damit versachlichen wird. Ich habe das Erscheinen von Herrn Professor Hallstein auf dieser Rednertribüne begrüßt, weil ich in ihm einen Mann sehe, der nicht nur als früherer Präsident, als erster Präsident der Europäischen Kommission, sondern auch als überzeugter europäischer Föderalist seiner) Platz in der Geschichte hat. An meinem bescheidenen Platz bin ich ein genau so überzeugter europäischer Föderalist wie er selber. Ich hatte gehofft, wir würden unter diesen Voraussetzungen eine relativ sachliche Debatte führen können, ausgehend davon, daß es viele Unterschiede geben mag in der Taktik oder in der Methodik, wie wir zu Europa kommen, daß wir uns aber in der Zielsetzung weitgehend einig sind.
Im ersten Teil seiner Ausführungen hat Herr Professor Hallstein auch eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, von Anregungen gegeben oder an Tatsachen erinnert, mit denen er bei den Regierungsparteien weitgehend offene Türen einrennt. Über all diese Fragen hätte man sich, wie gesagt, im Gegensatz zu der gestern sehr verfremdeten Debatte, auf die ich auch noch zu sprechen kommen muß, sachlich unterhalten können. Aber leider ist er am Schluß — das muß ich in aller Eindeutigkeit feststellen — einem anscheinend übermächtigen Sog erlegen, der die letzten beiden Tage charakterisiert hat: immer dann, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie auf die Ostpolitik der Bundesregierung zu sprechen kommen, direkt oder indirekt, unterliegen Sie einer Tendenz zur Selbstvergiftung.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie sollten dieses Phänomen einmal ganz sachlich überprüfen und auf den Gegenstand beziehen über den wir uns heute zu unterhalten haben.
Wenn ich mir die kritischen Bemerkungen von Herrn Professor Hallstein vergegenwärtige und auch die reichlich lakonischen Andeutungen, die gestern der Herr Kollege Kiesinger und der Herr Kollege Strauß zum Thema Europapolitik gemacht haben, dann habe ich mir immer wieder gesagt: es lohnt sich offenbar wieder, im Deutschen Bundestag über so große Gegenstände wie Politische Union, Integration, europäische Föderation zu debattieren.
Herr Professor Hallstein, Sie waren noch nicht Mitglied des Deutschen Bundestages in der 5. Legislaturperiode. Aber wenn Sie auch nur vor einem Jahr oder gar vor anderthalb oder vor zwei Jahren hier eine solche Rede gehalten hätten, wären Sie von Ihren eigenen Fraktionskollegen großenteils nicht verstanden worden.

(Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, ich gedenke diesen Vorhalt zu belegen; Sie können gerne nachher darauf eingehen.
Aber eines ist klar, und hier muß ich Herrn Professor Hallstein am leidenschaftlichsten widersprechen. Er hat davon gesprochen, was denn aus Europa werden solle, wenn wir die großen Aufgaben der nächsten Generation überließen, wenn nicht bereits diese Generation ihre Schuldigkeit täte. Nun muß ich etwas sagen, was gestern schon öfter angeklungen ist. Ich wiederhole es ich wiederhole es bewußt —, weil ich der Auffassung bin, daß gewisse fundamentale Wahrheiten nicht oft genug erörtert werden können, damit sie sich dem Bewußtsein der Öffentlichkeit genügend einprägen. Wenn in dieser Generation in einer schwierigen Situation, in einer



Dr. Schulz (Berlin)

Entscheidungssituation beweisbar einer seine Schuldigkeit getan hal, dann war das der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Willy Brandt, in Den Haag Anfang Dezember des vergangenen Jahres.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht bestritten worden!)

All das, was heute zur Debatte steht, was wieder aktuell geworden ist, wäre ohne den Durchbruch, der in Den Haag erzielt worden ist, gar nicht möglich gewesen. Die Haltung des deutschen Bundeskanzlers hat zu diesem Durchbruch Entscheidendes beigetragen. Sie ist für mich daher heute kein Gegenstand kontroverser politischer Polemik mehr, sondern eine Realität der jüngsten Zeitgeschichte. Wie hätten wir dagestanden, was wäre denn bei allen zugegebenermaßen doch skeptischen Erwartungen, die wir alle, Herr Professor Hallstein, mit der Gipfelkonferenz in Den Haag verbunden haben, aus dieser Konferenz geworden, wenn der deutsche Bundeskanzler nicht in diesem entscheidenden Augenblick den Automatismus der Dinge, von dem Sie gesprochen haben, durchbrochen hätte?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Vergegenwärtigen wir uns einmal, was in Den Haag und von dort fortwirkend bis zum heutigen Tage, wo wir im Deutschen Bundestag über die Ratifizierung einer noch so unvollkommenen Finanzverfassung der Gemeinschaften debattieren, die immerhin ein wichtiges Kernstück für die weitere europäische Einigung ist, erreicht wurde. Überprüfen wir im Lichte der Haager Konferenz und ihrer Auswirkungen einmal, was das für die wirtschaftliche und politische Integration unseres Kontinents bis heute bedeutet. Man kann das allerdings nur dann gerecht beurteilen, wenn man sich keine Beckmesserbrille aufsetzt. Verehrter Herr Professor Hallstein, prüfen Sie doch einmal, ob nicht auch Ihre Sicht einige Beckmesserelemente enthält.

(Zustimmung bei der SPD.)

Man kann das erreichte Resultat unmöglich beurteilen, wenn man den Maßstab utopischer Zukunftsperspektiven aus dem Jahre 2000 anlegt. Man kann dem Ergebnis von Den Haag nur dann gerecht werden, wenn man es an den Enttäuschungen, Rückschlägen und Gefährdungen der europäischen Ideen in den 60er Jahren mißt, die wir doch alle gemeinsam, Sie in erster Reihe und in erster Linie, Herr Professor Hallstein, erlebt haben. Sie haben davon gesprochen, wir befänden uns nicht im Jahre Null, sondern im Jahre 20 der eüropaischen Entwicklung. Das ist zwar chronologisch richtig, aber bedenken Sie auch einmal, was es in den 60er Jahren an Rückschlägen gegeben hat. Haben wir denn alle schon vergessen, daß wir damals gemeinsam an der Klagemauer der Ohnmacht gestanden haben und daß alle Wünsche, Vorstellungen und alle politische Dynamik gebunden, ja neutralisiert waren vor der unüberwindlichen Hürde, die da hieß „Erweiterung der Gemeinschaften" ? Haben wir vergessen, daß alles liegenblieb, daß auch die Debatte um die Zukunft der Gemeinschaften, die Debatte uni die
Politische Union praktisch nicht fortgeführt werden konnte, weil sie in dieser Zeit blockiert war?
Meine verehrten Damen und Herren, ich habe weiß Gott nicht das Talent zu einem Splitterrichter. Ich möchte nicht lange in der Vergangenheit herumwühlen, aber doch noch einmal sagen, das Ergebnis von Den Haag unterstreichend, daß kein Bundeskanzler, den Sie aus Ihren Reihen gestellt haben, in den 60er Jahren in der Lage war, dem Bundestag ein solches europäisches Ergebnis vorzulegen, wie es Willy Brandt Anfang Dezember vergangenen Jahres getan hat.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will fairerweise hinzufügen: vielleicht konnte das auch kein Bundeskanzler unter den Konstellationen, die damals gegeben waren und die nicht von einer Regierung, von einem Land allein willkürlich beeinflußt werden konnten.
Aber — hier muß ich doch einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit unternehmen — was für Konsequenzen sind damals Mitte der 60er Jahre aus der europäischen Krise gezogen worden? Welche Vorstellungen sind seinerzeit von prominenten Persönlichkeiten gerade aus dem Lager der CDU/CSU entwickelt worden? Ich frage Sie, meine verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, ich frage insbesondere Herrn Professor Erhard, der leider nicht im Saale ist — insofern muß diese Frage, wie man so schön sagt, im Raum stehenbleiben —, ob es richtig ist, daß er Anfang September 1966 als Bundeskanzler während eines Aufenthaltes in Skandinavien, als auf dem Höhepunkt der Krise der Gemeinschaften von ihren Beziehungen zur EFTA die Rede war, wörtlich gesagt hat:
Ich glaube nicht, daß wir bemüht sein sollten, die politische Integration der EWG zu fördern, weil ich glaube, je stärker die EWG in den Augen der übrigen Welt und vor allem der freien Nationen Europas ein politisches Gehäuse hat und ein politisches Instrument wird, um so schwieriger wird die Verständigung sein.
Mir ist dieses Zitat deswegen so interessant, weil ich mich daran erinnere, daß ich in denselben Tagen die Ehre hatte, vor der Gemeinsamen Versammlung des Europäischen Parlaments und der Beratenden Versammlung in Straßburg meine Jungfernrede zu halten. Damals bin ich Ihnen, Herr Professor Hallstein, begegnet. Wir haben als europäische Föderalisten gegenseitig eine Art Rütlischwur geleistet. Ich weiß noch, daß meine Rede, die ich damals hielt, ganz im Gegensatz zu dem, was der damalige Bundeskanzler in Skandinavien erklärte, den Charakter eines trotzigen Optimismus hatte.
Ich habe mir damals gesagt: Sehr wahrscheinlich sind die Ziele, die du jetzt proklamierst, nicht; aber du wenigstens glaubst daran; man muß das jetzt durchstehen, man muß diese Durststrecke gemeinsam überwinden. — Ich gebe gern zu, daß es ein kleines Häuflein europäisch engagierter Parlamentarier aus allen Reihen und Parteien des Deutschen Bundestages war, die damals für die Politisierung



Dr. Schulz (Berlin)

der EWG, für die Zukunft Europas, über die wir heute debattieren, gestanden haben.

(Beifall bei der SPD.)

Was wäre denn daraus geworden, wenn Herr Professor Erhard mit seinem Vorschlag recht behalten hätte, man solle nach Möglichkeit die politische Integration der EWG nicht fördern?

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Ich erinnere mich an eine andere Episode, die vielleicht zwei oder zweieinhalb Jahre zurückliegt. Herr Kollege Dr. Kiesinger war damals Bundeskanzler der Großen Koalition. Ich habe ihm damals zu demselben Thema eine Reihe bohrender, eindringlicher, konkreter, besorgter Fragen über die Zukunft Europas gestellt. Die Art und Weise, wie er geantwortet hat — sehr vorsichtig, sehr subtil, sehr ausweichend in der Sache —, hat durchscheinen lassen, daß ihm eigentlich mehr ein Europa der Vaterländer vorschwebe als ein Europa der Völker. Diese Antwort hat mich damals nicht mir beunruhigt, sondern geradezu deprimiert.
Lassen wir damit mit der Vergangenheit Schluß sein. Wenn diejenigen, die ich zitiert habe, und andere aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der Opposition, im Zusammenhang mit dem Thema, das wir hier erörtern, und für die Zukunft Europas im Hinblick auf damalige Äußerungen endgültig und unwiderruflich umgelernt hätten, wäre niemand froher als ich und meine politischen Freunde.
In einem Punkt stimmen wir durchaus überein, nämlich daß auch das Ergebnis von Den Haag keine Veranlassung gibt zur Selbstzufriedenheit oder gar zu der Haltung, sich ein wenig auf den Lorbeeren auszuruhen. Bei dieser Gelegenheit darf ich vielleicht eine Gewissensfrage, die gestern der Herr Kollege Strauß an die Regierung und an die Koalitionsparteien gestellt hat, noch einmal beantworten. Der Herr Bundesaußenminister hat es schon getan; ich möchte es noch einmal für mich tun, und ich bin anspruchsvoll genug, für diese Äußerung auch die Regierung und die sie stützenden Parteien in Anspruch zu nehmen. In unserer unbeugsamen Entschlossenheit — nun beachten Sie bitte genau die Akzente, die ich dabei setzen werde —, die Integration der Länder, die objektiv integrationsfähig und subjektiv potentiell integrationsbereit sind — denn darauf kommt es doch an, wenn wir von Realitäten sprechen wollen —, voranzutreiben, werden wir uns von niemandem übertreffen lassen.
Ich bitte Sie, mich in einigen Jahren darin beim Wort zu nehmen. Insbesondere mag das der Herr Kollege Strauß tun, falls wir beide in einigen Jahren, wie ich hoffe, noch am Leben sind. Wir sind, glaube ich, ein und derselbe Jahrgang. Ich würde mich in diesem Zusammenhang ganz besonders freuen, wenn der Herr Kollege Strauß das flammende Bekenntnis zur europäischen Integration, zur Notwendigkeit der Überwindung nationaler Egoismen und nationaler Ressentiments mit demselben Temperament und mit derselben Überzeugungsstärke, wie er sie gestern hier im Bundestag gezeigt hat, auch einmal in seiner engeren Heimat und vor einem mehr agrarischen Publikum ablegen würde.

(Beifall bei der SPD.)

Lassen Sie mich drei konkrete Bemerkungen über die Aufgaben machen, die aus meiner Sicht für die nächste Zukunft mit besonderer Dringlichkeit und nach Möglichkeit in enger Gemeinsamkeit von uns allen betrieben wendensollten.
Erstens. Auch ich, ich habe es schon gesagt, sähe eine politische Union, einen europäischen Bundesstaat lieber heute als morgen. Darum bin ich schon außerordentlich froh, ich empfinde eine Genugtuung darüber, daß nach der Entwicklung, wie sie sich in den letzten Monaten angebahnt hat, der politische Ausgangspunkt für ein solches Werk feststeht, anders gesagt, daß wir schon deutlicher die Grenzen sehen, die ein zu vereinigendes Europa einschließen. Dieses Europa wird auf absehbare Zeit das Europa der Zehn sein, der Länder der heutigen Gemeinschaft und der vier Beitrittskandidaten.
Warum, könnte man fragen, ist nicht die Präsenz demokratisch verfaßter und regierter Staaten beispielsweise in der ältesten europäischen Institution, im Europarat, größer? Nun, wenn wir uns die Südflanke vergegenwärtigen, Malta, Zypern, die Türkei, Griechenland — wenn es hoffentlich eines nicht allzu fernen Tages wieder zur Demokratie zurückkehrt —: mit diesen Ländern wird man eine größtmögliche Annäherung anstreben müssen. Sie werden aber nach menschlicher Voraussicht noch auf längere Zeit das Tempo der wirtschaftlichen Dynamik und der industriellen Expansion in einem solchen föderierten oder zu föderierenden Kerneuropa, selbst wenn sie es wollten, nicht durchhalten können.
Es gibt drei andere Staaten, die das durchaus könnten, wenn sie es wollten: die drei neutralen Staaten. Man stellt Erwägungen darüber an, ob nicht, vom Sonderfall Osterreich abgesehen, auf den ich hier nicht näher einzugehen brauche, die historische Neutralität Schwedens und der Schweiz obsolet geworden ist. Ich selbst neige dazu, solche Betrachtungen anzustellen. Solange aber die Neutralität tief in den Traditionen dieser Länder und Völker verwurzelt ist, können wir nichts daran ändern.
Wir müssen also vom Europa der Zehn ausgehen, das mutatis mutandis eine analoge ökonomische Struktur aufweist und daher auch die Gesellschaftsprobleme im wesentlichen gemeinsam hat.
Auch was die Sicherheitspolitik anbetrifft — hier komme ich auf Ihre Frage nach Außenpolitik und Sicherheit, Herr Professor Hallstein —, sitzen diese zehn Staaten praktisch heute schon alle im gleichen Boot. Mit Ausnahme Irlands, das zwar nicht bündnisgebunden ist, aber auch nicht neutral, gehört von den vier Kandidaten, die den 'Beitritt zu den Gemeinschaften erstreben, England bereits heute zur Westeuropäischen Union; Dänemark und Norwegen gehören der NATO an.
Alle Überlegungen, wie und vor allen Dingen wie rasch wir über eine politische Zusammenarbeit zu



Dr. Schulz (Berlin)

einer politischen Union und schließlich zu einer Föderierung finden, müssen auf 'dieses Kerneuropa konzentriert, müssen an diesem Kerneuropa orientiert sein.
Zweitens. Der Herr Kollege Kiesinger hat schon gestern von der Notwendigkeit neuer Institutionen gesprochen. Sie, Herr Professor Hallstein, haben den Faden aufgegriffen. Für ,die europäisch tätigen Parlamentarier, ganz unabhängig davon, ob sich die Notwendigkeit solcher Institutionen sachlich begründen läßt oder nicht, ist damit zunächst einmal — entschuldigen Sie — eine Art „Gänsehaut" verbunden. Wir stehen heute schon vielfach unter dem Gesetz des double emploi, wir überlegen uns, ob man nicht Institutionen, die vorhanden sind, konzentrieren müßte, statt neue zu schaffen. Hier mag eine Meinungsverschiedenheit zwischen uns liegen, aber man sollte darüber sachlich diskutieren. Ich meine, man sollte die vorhandenen Institutionen nützen. Man sollte gemeinsam überlegen, wie man sie ausbauen, wie man sie schlagkräftiger machen, wie man ihr Instrumentarium verbessern kann. Aber in erster Linie, glaube ich, muß man sich darum bemühen, das Vorhandene — in der Projektion, wie ich sie entwickelt habe — aufeinander zuzuordnen.
Hier denke ich ganz besonders an die erweiterte Gemeinschaft der Zukunft — hoffentlich der nahen Zukunft — und die eventuell auch zu erweiternde WEU. Denn über eines sind wir uns einig: auf die Dauer kann es kein zeitliches Nebeneinander oder auch Nacheinander der wirtschaftlichen und politischen Integration in diesem Kontinent geben. Hier vollziehen sich jetzt schon Prozesse von innerer Logik, die sich vielfältig gegenseitig durchdringen. Es wird also darauf ankommen, in welcher Form, wie rasch und wie wirksam wir die Institutionen, die vorhanden sind, den Prozessen anpassen, die die Zukunft bringen wird und die zum Teil heute schon angelaufen sind.
Und nun der dritte und wichtigste Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die siebziger Jahre werden entweder die Demokratisierung und damit die Parlamentarisierung der europäischen Institutionen bringen, oder wir haben unsere Aufgabe abermals verfehlt. Hier, glaube ich, sind wir uns völlig einig.
Ich möchte in diesem Zusammenhang kein Wort der billigen Kritik sagen in bezug auf jene, die man sachlich berechtigt, aber immer mit einem Unterton von Abschätzung als Bürokraten und Technokraten bezeichnet. Ich glaube, für die europäische Vereinigung haben gerade die Bürokraten und die Technokraten eine großartige, eine exemplarische Leistung vollbracht. Ich wünschte nur, manche Parlamentarier nähmen sich an dieser Leistung ein Bespiel.
Aber wir können dabei nicht stehenbleiben. Wir wollen ja nicht, daß das europa im Jahre 1980 in seiner Atmosphäre von einem merkwürdigen Neoabsolutismus bestimmt ist, sei es der Exekutiven oder auch der Technokraten. Wir wollen, daß dieser Kontinent sich parlamentarisiert. Die Schritte, die wir auf diesem Gebiete tun, werden zu einer Bewährungsprobe des demokratischen Systems überhaupt werden.
Ein erster, winziger Schritt zur Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments ist getan worden. Aber selbstverständlich bedarf es der Ergänzung der wachsenden Kontrollbefugnisse durch echte Gesetzgebungsbefugnisse.
Meine Damen und Herren, ich darf in diesem Zusammenhang Ihre Aufmerksamkeit auf eine verblüffende Zahl lenken. In der 5. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages sind 4695 Drucksachen durch unsere Hände gegangen. Davon — die fleißige Wissenschaftliche Abteilung des Deutschen Bundestages, der ich dafür an dieser Stelle Dank sagen möchte, hat es mir ausgerechnet — waren nicht weniger als 405, also bereits ein knappes Zehntel, Drucksachen, die von den Europäischen Gemeinschaften kamen und nur noch als Unterrichtungsgegenstand das nationale Parlament beschäftigten. Nun will ich gern zugeben, daß die überwiegende Mehrzahl dieser Drucksachen Gegenstände behandelte und Materialien regelte, die auch bei nationaler Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Verordnungswege erledigt worden wären. Aber wenn wir die Überlegungen, die mit dem Aufbau einer Wirtschafts- und Währungsunion konkretisiert werden müssen, ernst nehmen, können wir konstatieren, daß sich im nächsten Jahrzehnt auch in der Sphäre der eigentlichen Legislative eine deutliche Verarmung vollziehen wird, eine deutliche Verarmung von Befugnissen unseres nationalen Parlaments, der nationalen Parlamente überhaupt zugunsten der Europäischen Gemeinschaft.
Nun bin ich als überzeugter Anhänger des demokratischen parlamentarischen Systems jederzeit bereit, meine Zuständigkeiten einem Kollegen zu opfern und in die Hände zu geben, der mit den gleichen Befugnissen im europäischen Rahmen ausgestattet ist. Aber es muß sich um eine parlamentarische Körperschaft handeln, die diesen Namen verdient.
Wenn ich mit einem tiefen Stoßseufzer und mit einem Blick nach allen Seiten noch eines hervorheben darf: Ein europäischer Gesetzgeber im eigentlichen Sinne des Wortes kann ja nur der sein, der nicht jederzeit Gefahr laufen muß, von den verehrlichen nationalen Fraktionsvorständen jederzeit wieder einkassiert zu werden, weil es in der Heimat wichtige Entscheidungen zu fällen gibt.
Schon daraus ergibt sich, daß in den siebziger Jahren auch die Frage nach allgemeinen Wahlen zu einem europäischen Parlament immer mehr in den Vordergrund rücken wird und nach meiner Auffassung gelöst werden muß. Ich will mich da gar nicht auf die vieldiskutierte Frage einlassen, ob man damit nicht warten müsse, bis die Gesetzgebungsbefugnis eines solchen Organs befriedigend festgestellt worden sei. Mir geht es vielmehr darum, daß wir endlich die eingeschlafene Öffentlichkeit in unseren Ländern wieder für die europäische Sache und damit für die europäische Zukunft gebührend interessieren, damit wir den Eindruck endlich verwischen, als gehe es in Europa nur um Zollpräfe-



Dr. Schulz (Berlin)

renzen, Abschöpfungsbeträge und andere noch so wichtige ökonomische Quisquilien, von denen der Mann auf der Straße nichts oder doch nur wenig versteht. Wir müssen die Offentlichkeit mit dem Bewußtsein erfüllen, daß in Zukunft mehr und mehr in Straßburg und Brüssel Politik gemacht wird. Der Bürger unseres Staates und anderer europäischer Staaten muß mehr und mehr begreifen: Es geht um dein Schicksal, es geht um deine Wohlfahrt und deine Sicherheit. Dann werden wir hoffentlich europäische Wahlen mit dem gleichen Engagement und der gleichen Leidenschaft haben, hoffentlich nicht mit den gleichen, etwas absurden und überzogenen Nebenerscheinungen, wie sie die drei letzten Wahlen am 14. Juni in drei Ländern der Bundesrepublik aufgewiesen haben.
Wir können uns aber diesem Ziel nicht nähern, wenn wir immer nur das Ideal, das uns vor Augen schwebt, mit der unzulänglichen Wirklichkeit konfrontieren, wie sie heute besteht, sondern wenn wir Schritt für Schritt vorangehen und uns über die Bandbreite und die Richtung dieser Schritte rechtzeitig und verantwortungsvoll verständigen.
Nur dann, meine Damen und Herren, wird in absehbarer Zeit das Gespräch mit der jungen Generation in Europa überhaupt noch möglich sein. Wie es heute schon erschwert ist, davon haben sich die Beobachter ein Bild machen können, die an dem Jugendkolloquium der EWG in Brüssel teilgenommen haben.
Ich meine aber, wenn wir uns gemeinsam darum bemühen, die siebziger Jahre mit europäischen Taten statt wie bisher weitgehend mit europäischen Deklamationen auszufüllen, dann haben wir es nicht nur mit der ideologisch festgelegten Jugend zu tun, die über Europa gar nicht sprechen will, sondern mit den viel größeren Teil der Jugend, die prinzipiell gesprächsbereit ist, wenn man ihr eine entsprechende Thematik und auch den politischen Willen anbietet, der hinter der Thematik jeder Zeit stehen muß.
Gerade die Diskussion mit der Jugend offenbart ein Problem, von dem ich persönlich glaube, daß man es nicht ernst genug nehmen kann. Seit gut 20 Jahren besteht die Bundesrepublik. Wir haben in dieser Zeit einen stürmischen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, einen stets wachsenden Wohlstand, eine stets wachsende Produktivität, ein stets wachsendes Sozialprodukt. Aber nun, nach 20 Jahren, stehen wir hier doch alle gemeinsam aus verschiedener Sicht vor dem gleichen Problem: Wie sorgen wir angesichts dieses sehr umfangreich gewordenen Kuchens für eine gerechtere Vermögensverteilung? Meine Damen und Herren, was für ein gigantisches, wenn nicht unlösbares Problem würde entstehen, wenn wir von dem Anspruch auf eine gerechtere Vermögensverteilung im europäischen Rahmen überrascht würden und uns nicht alle rechtzeitig konstruktive Gedanken machten, wie wir auch dieses Problem in unsere Überlegungen einbeziehen und einer Lösung entgegenführen.
Ich schließe ab mit einem Appell der europäisch tätigen Parlamentarier an ihre Kollegen in den nationalen Parlamenten. Wir kommen uns manchmal vor wie die Schwerarbeiter im Steinbruch von Carrara. Wir mühen uns ab um ein schwieriges Werk, ohne Dank zu ernten oder auch zu erwarten, aber auch ohne rechtes Verständnis, ohne Resonanz in der Öffentlichkeit, die natürlich auf sichtbare und handfestere Dinge aus ist. Erhalten Sie uns Ihre Solidarität, verstärken Sie Ihre Solidarität mit uns, und lassen Sie uns alle einig sein in dem Bewußtsein, daß man zu keiner großen politischen Aufgabe sagen soll, die Zeit sei nicht reif für irgendwelche Lösungen. Die Zeit allein ist keine moralische oder intellektuelle Institution. Sie hat nur eine Allmacht: zu vergehen, und zwar immer gerade dann besonders schnell, wenn man sie aufhalten möchte. Reif oder unreif, etwas zu tun oder zu vollbringen, ist immer nur der politische Wille. Aber hier kann es sich nicht nur um den politischen Willen einzelner handeln, auch nicht um den politischen Willen von Regierungen und Ministern, sondern es handelt sich um den politischen Willen all derer, die vor ihrem Volk und vor den europäischen Völkern Verantwortung tragen.

(Beifall bei allen Fraktionen.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606016600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Furler.

Dr. Hans Furler (CDU):
Rede ID: ID0606016700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte mich noch kürzer fassen, als ich es tue. Aber ich glaube, die Entwicklung dieser Debatte in den beiden Tagen hat es notwendig gemacht, daß ich noch ein paar sehr konkrete Worte sage.
Ich will zunächst erklären: Ich befasse mich mit der Politik der Europäischen Gemeinschaften und unserer deutschen Politik in diesen Europäischen Gemeinschaften und hier vor allem mit den besonders akuten Themen ihrer Erweiterung, die sehr wesentlich ist, und ihrer Stärkung, die wir auch gerade für ein Vereinigtes Europa dringend brauchen. Ich werde nicht auf allzuviel Einzelheiten eingehen. Ich möchte nur sagen, daß ich da mit manchen meiner Vorredner im wesentlichen übereinstimme, vor allem mit denen, die gestern schon ein Programm hierzu vorgetragen haben.
Sicher sind wir in der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften nach einem schrecklichen Rückstand vorwärtsgekommen. Noch haben wir sie nicht, meine Kolleginnen und Kollegen. Aber die Verhandlungen sind eingeleitet, die erste gemeinsame Sitzung wird schon am 30. Juni stattfinden; ein Tatbestand, den wir noch vor einem Jahr oder vor zwei Jahren für unmöglich gehalten hätten, nicht aus unserer Schuld, nicht aus der Schuld irgendeiner unserer Fraktionen. Ich werde noch darauf zurückkommen.
Wesentlich aber für diese Erweiterung, für die Stärkung scheint mir zu sein, daß einige Grundelemente eingehalten werden. Ich glaube, über diese Grundelemente sind wir in diesem Hause auch einig.
Das erste Grundelement ist, daß bei der Erweiterung der großen und wichtigen Europäischen Wirt-



Dr. Furler
schaftsgemeinschaft der politische Gehalt, der in den Römischen Verträgen niedergelegt ist, von allen Beitretenden akzeptiert wird. Schon bei den früheren Verhandlungen und auch jetzt haben die Beitretenden grundsätzlich diese Erklärung abgegeben.
Ich möchte dabei betonen, daß nicht nur in der Präambel von der Schaffung des immer engeren Zusammenschlusses der europäischen Völker durch die EWG die Rede ist, sondern daß auch die Haager Gipfelkonferenz diese Grundlagen mit noch härteren und klareren Worten in den Vordergrund gestellt hat. Die Teilnehmer der Haager Gipfelkonferenz haben ihren Glauben an die politische Zielsetzung der Gemeinschaft und ihre Entschlossenheit bekräftigt, diese politische Zielsetzung zu Ende zu führen. Sie sagten ferner — und das halte ich für außerordentlich wichtig —, daß die Europäische Gemeinschaft unbestritten der Urkern ist, aus dem sich die europäische Einheit entwickelt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Eine zweite wesentliche Grundlage ist folgendes, was gerade Herr Hallstein in der Zeit, da er um die Europäischen Gemeinschaften kämpfte und vorbildlich um sie kämpfte — als er noch Präsident der Kommission war —, gesagt und immer wieder betont hat, und auch ich und wir alle haben es betont: Es handelt sich bei den Gemeinschaften nicht um einen großen Konzern oder um Wirtschaftsdinge, es handelt sich um Politik, und zwar in der ganzen Gemeinschaft ausschließlich um Politik. Außenhandelspolitik ist Sache der Gemeinschaft, sie ist Stück der Außenpolitik. Agrarpolitik, Konjunkturpolitik, Währungspolitik, Energiepolitik, Verkehrspolitik und die werdende Wirtschafts- und Währungsunion als wichtigste Politik. Nur die Außenpolitik, die Verteidigungspolitik und die Konjunkturpolitik sind ausgenommen. Wenn wir heute von einer politischen Union sprechen, dann laufen wir immer Gefahr, daß wir uns mißverstehen. Politische Union im heutigen Sinne heißt ja nur, daß auch die Außenpolitik und die Verteidigungspolitik — für die Kulturpolitik haben wir den Europarat —irgendwie vergemeinschaftet werden sollen.
Das große Ziel — ich möchte es auch wegen der verbalen Fassung sagen — unserer europäischen Politik ist nicht diese letzte Teilintegration auf dem außenpolitischen Feld, sondern das große Ziel ist die europäische Politische Gemeinschaft überhaupt, das Zusammenfügen aller Politiken, von denen für die heutige Situation der Staaten in der modernen Welt die Wirtschafts- und Währungspolitik, die Zoll- und Energiepolitik doch zu den Wesenselementen gehören. Die haben wir schon in diesen Gemeinschaften zusammengefaßt, und wir sind dabei, dies weiterzuführen.
Ein weiteres Element: Die Beitretenden müssen und werden — das ist ganz sicher — nicht nur das, was in der Präambel steht, oder das, was die Staatsoder Regierungschefs in ihrem Haager Kommuniqué niedergelegt haben, akzeptieren, nein, sie müssen die ganze bisherige Weiterentwicklung — auch die Sozialpolitik ist ausdrücklicher Gegenstand der Gemeinschaften —, die bisher eingetreten ist, akzeptieren. Sie müssen auch den erneut beschlossenen Weg hin auf eine gemeinsame Wirtschafts-, Kon-j unktur- und Währungspolitik anerkennen.
Meine lieben Freunde, eine gemeinsame Währungspolitik — und wir sind auf dem Wege dahin, sie zu bekommen, auch mit denen, die beitreten — ist eine ungeheure politische Verbindung in dieser westlichen Integration. Dazu darf ich noch ein ganz kurzes Wort sagen. Mir liegen die verschiedenen Studien und Pläne vor. Auf diesem Gebiet bin ich der Meinung — und wir sollten uns dazu auch bei der Regierung bekennen —, daß der dort vorliegende Stufenplan zeitlich nicht ganz offen sein sollte, daß man nicht nach zwei Jahren aufhören kann, nein, daß da gewisse Zeitzwänge drinstehen. Wie gut war es bei der EWG, daß wir solche Zeitzwänge hatten, Herr Hallstein. Manches wäre ja einfach nicht weitergegangen, wenn da nicht Fristen gewesen wären, wenn nicht am Schluß selbst noch so Unwillige

(Beifall)

— ich meine nicht uns hier, sondern andere Unwillige — gezwungen gewesen wären, weiterzumachen, selbst wenn sie versucht haben, dabei Sondervorteile zu erreichen, was sie reichlich taten, zu unseren Lasten. Wir haben uns tapfer gewehrt; aber wir wollten Europa vorwärtsbringen und nicht über eine Weinmarktordnung oder irgendwelchen anderen Dingen Europas scheitern lassen.
So ist das heute wieder. Ich bin also der Meinung, diese gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik ist gut und politisch ungeheuer wichtig, wobei ich allerdings auch der Meinung bin — und da gebe ich dem deutschen Plan recht —, daß es sehr wesentlich ist, vor der gemeinsamen Währung einige wirtschaftspolitische Punkte gemeinschaftlich festzulegen, sonst gerät diese Währung auf einen Kurs, den wir alle nicht wollen.

(Beifall.)

Wir schreiten also vorwärts, und wir wollen nicht auf eine Freihandelszone zurück. Das behauptet heute niemand mehr, das wissen auch die Engländer. Sie wissen nach all den Erfahrungen, daß eine Freihandelszone für sie gar keinen Wert hätte. Sie wissen auch ganz genau, daß sie in ihrer Situation — sie kommen ja nicht nur wegen europäischer Gefühle, sondern aus Realitäten heraus — nur dann mit Erfolg beitreten, wenn diese Gemeinschaft stark ist und im Innern immer stärker wird; denn sonst nützt ihr Beitritt überhaupt nichts. Nur die gute Entwicklung der Gemeinschaft kann ihre Attraktivität aufrechterhalten.
Zu dieser Stärke gehören nicht nur die Währung lind andere Dinge, sondern dazu gehört vor allem eine Verstärkung der Institutionen. Ich will das nicht lange behandeln. Dazu gehört, daß die Kommission eine gute Position hat und nicht von hinten national „angeschossen" wird, und zwar dann von zehn statt von sechs. Dazu gehört auch, daß das Europäische Parlament eine bessere Situation bekommt.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr gut!)




Dr. Furler
Wir werden nachher beschließen, daß es mehr Rechte bekommen soll. Sie genügen noch nicht. Wir sind erst in einem Entwicklungsprozeß. Aber immerhin: ein Stück ist schon einmal erreicht; der grundsätzliche Durchbruch ist gemacht. Was wir noch brauchen, ist ein Gesetzgebungsmitwirkungsrecht. Mehr wollen wir gar nicht. Wir wollen nicht das alleinige Gesetzgebungsrecht. So weit ist es mit dem Europäischen Parlament noch nicht. Aber wir wollen — das muß ich doch erwähnen; es gehört nämlich zu den Grundpunkten, und ich glaube, daß wir hier auch eine gemeinsame Aktion aller Parteien durchführen müssen —, daß die in den Verträgen vorgesehenen Mehrheitsbeschlüsse auch und erst recht gegenüber den Zehn erhalten bleiben. Wenn nämlich jeder von den Zehn ein Vetorecht hat, verschlechtert das die Gemeinschaft. Das kann nicht der Sinn unserer Politik sein.
Dann muß man auch mit der etwas lauen Praxis aufhören, die, um die EWG zu retten, in Luxemburg stillschweigend begonnen wurde. Man hat dort nicht die Mehrheitsbeschlüsse abgeschafft. Die laue Praxis bestand darin, daß keiner mehr den Mut hatte, es auf einen Mehrheitsbeschluß ankommen zu lassen, weil jeder fürchtete, der andere würde darüber die EWG kaputtmachen. Auch das wird, glaube ich, aufhören, weil die Kräfte, die diese Angst hervorriefen, heute wohl nicht mehr bestehen.

(Abg. Behrendt: Aber Herr Ertl „hat sich überstimmen lassen"!)

— Ja, gut, das ist eine vorbildliche Haltung, und ich freue mich darüber. Gut, schön, er hat sich überstimmen lassen. Es sind inzwischen sogar Mehrheitsbeschlüsse gegen Frankreich durchgeführt worden, allerdings nicht in entscheidenden, aber immerhin in wichtigen Fragen. Auch Frankreich hat sich im letzten Jahr wiederholt überstimmen lassen. Ich glaube, wir müssen hier wieder zu einer fortschrittlichen Praxis, wie sie die Verträge vorsehen, kommen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Nun zur Erweiterung noch ein zweiter Punkt: das sind die Assoziationen. Es gibt noch mehr Staaten — Herr Schulz hat darauf mit Recht hingewiesen —, die wirtschaftlich durchaus reif wären, der Gemeinschaft beizutreten, die aber politische Bedenken haben: die neutralen Staaten Schweiz, Österreich, Schweden und andere; ich will sie nicht alle behandeln. Aber auch hier sind Fortschritte erzielt worden, und es werden Verhandlungen aufgenommen, um zu sehen, wie man sich mit diesen Staaten arrangieren kann. Letzthin hat der schweizerische Bundesrat Prugger vor der Presse erklärt, die Schweiz habe drei Möglichkeiten und müsse jetzt handeln. Die erste Möglichkeit sei ein Beitritt mit Neutralitätsvorbehalt. Er sagte, das werde wohl nicht gehen, das wolle man nicht. Die zweite Möglichkeit wäre ein Sondervertrag, und die dritte: ganz fernbleiben. Dies gehe nicht; man will Sonderabkommen.
Aber eines muß ich sagen: Man sollte die Verträge so gestalten, daß ein Beitritt möglich bleibt, wenn es die Neutralitätslage gestattet. Die Welt kann sich auch ändern. Wir können nicht irgendwelche Dinge von uns aus blockieren und sagen: der Beitritt bleibt für alle Ewigkeit ausgeschlossen. Meiner Meinung nach könnten diese Länder heute schon beitreten. Aber gut, ich will darüber gar nicht streiten; das müssen diese Staaten selbst entscheiden. Aber wenn sie beitreten, müssen sie auch die politischen Bedingungen akzeptieren und über die Neutralitätshemmungen hinwegkommen. Ich glaube, daß das immer noch deutlicher wird.
Eines möchte Lich wegen einer gemeinsamen Haltung noch sagen. Es kann nicht sein, daß die Neutralen zwar an den Integrationsfortschritten teilnehmen, allerdings keine unmittelbare Verantwortung haben, aber ein endgültiges Mitbestimmungsrecht erhalten. Das geht nun nicht.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das geht auch nicht!)

Sosehr ich für die Einigung Europas bin: das kann man nicht. Man kann nicht draußen bleiben, alles nehmen, aber keine Verantwortung übernehmen und dann noch mitbestimmen wollen. Hier muß man eine Lösung finden, die dem neuen Europa dient.
Zum Schluß noch zwei grundlegende Bemerkungen. Die eine befaßt sich mit der Gemeinsamkeit unserer Haltung. Aber vorweg muß ich noch ein kurzes Wort dergeschichtlichen Wahrheit wegen sagen, um Mißverständnisse zu vermeiden und um vor allem das gegenseitige Hineinhetzen in Erfolgsfragen, in Erfolgsprobleme zu vermeiden. Ich möchte eine Legendenbildung verhindern. Sicher — das entspricht meiner Überzeugung — hat die Bundesregierung in Den Haag gut und richtig gehandelt und mit der Aktivität, wie sie in diesem Augenblick möglich und notwendig war. Aber es darf nicht so aussehen, als sei es nun der Initiative der Bundesregierung gelungen, die neuen Fortschritte zu erzielen. Wir waren Jahre hindurch gerade wegen unseres Nachbarlandes, an dessen Freundschaft uns soviel liegt, in einerschwierigen Situation. Hätte sich nicht vor einem Jahr in Frankreich ein grundlegender Wandel vollzogen und wäre de Gaulle auf der Gipfelkonferenz gewesen und nicht Pompidou, dann wären auch Herr Brandt und Herr Scheel — nehmen Sie es bitte nicht übel — in der Frage der Erweiterung, in der Frage der Vertiefung nicht weitergekommen als die vorhergehenden Regierungen. Sie haben Ihre Pflicht getan. Aber wir wollen auch vermeiden, anzunehmen, daß nun von uns hier neue Bewegungen kamen, die das durchsetzen konnten. Nein, es hat sich in der Gemeinschaftslage gerade in dem von mir behandelten Punkte eine sehr harte und sehr persönliche Politik aufgelockert, und man hat diesen Zeitpunkt mit Recht benutzt, hier weiterzukommen. Das ist ja auch geschehen.

(Abg. Behrendt: Also sagte Hallstein etwas Falsches?)

— Ich habe mich mit Herrn Hallstein hier nicht auseinanderzusetzen. Ich will nur eines sagen, nur da-



Dr. Furler
mit nicht Differenzen gegenseitig hochgespielt werden.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Es ist auch hier oft Falsches gesagt worden, wenn man nämlich sagte, es sei dieser Regierung zu verdanken!)

— Ich will ja nur eine Legendenbildung verhindern. Es gibt viele Äußerungen, die auf eine Legendenbildung hingehen. Ich will hier nicht sagen, daß der Herr Außenminister sie eben wollte. Er hat ja deutlich dieses Element — die französische Haltung —als wesentlich bezeichnet.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ihn muß man dabei ausdrücklich ausnehmen!)

Aber es gibt viele Stimmen, die heute so tun, als wäre da ein Wandel leingetreten, der nicht auf jene Ursache, sondern ,auf einen Wandel in der deutschen Politik zurückgeht. — Bitte schön. —

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0606016800
Herr Kollege Furler, können Sie sagen, von wessen Legendenbildung Sie jetzt eigentlich sprechen?

Dr. Hans Furler (CDU):
Rede ID: ID0606016900
Ich spreche von der Legendenbildung, die auch in den Debatten oft aufgetaucht ist, indem man den Wandel in Frankreich etwas in den Hintergrund schiebt und in den Vordergrund trägt die unbestreitbaren Fortschritte, die in der europäischen Integrationspolitik, vor allem der möglichen Erweiterung, der möglichen Vertiefung, eingetreten sind, und indem man dann aus, ich möchte einmal sagen: etwas uneuropäischen Gründen den Eindruck entstehen läßt, als hätten die früheren Regierungen etwa jahrelang nichts fertiggebracht und jetzt habe man es fertiggebracht. Ich will nur diese Legenden verhindern, weil sie unnötig böses Blut machen und weil die objektiv Denkenden genau wissen, wie die Dinge liegen. Deshalb wollen wir uns auch zu ihnen bekennen. Ich will gleich noch ein paar andere Worte in diesem Zusammenhang sagen. — Bitte, Herr Schulz!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606017000
Herr Dr. Schulz zu einer Zwischenfrage!

Dr. Klaus-Peter Schulz (SPD):
Rede ID: ID0606017100
Herr Kollege Furler, können Sie mir bestätigen — Sie können das notfalls auch gern im Stenogramm nachlesen im Zusammenhang mit dem Begriff „Legendenbildung" —, daß ich in meiner Rede gesagt habe: In Den Haag ist ein entscheidender Durchbruch erreicht worden, und die Haltung der deutschen Bundesregierung, des deutschen Bundeskanzlers, hat dazu wesentlich beigetragen?

Dr. Hans Furler (CDU):
Rede ID: ID0606017200
Ich will Ihnen gern bestätigen, daß Sie zu der Legendenbildung nicht beigetragen haben. Sie sind dafür auch zu lange und zu objektiv in der europäischen Politik tätig. Aber ich kann es Ihnen wörtlich nicht bestätigen. Entschuldigen Sie, ich habe, weil ich sehr müde war, in drei Minuten eine Tasse Kaffee getrunken. Wahrscheinlich haben Sie den Satz gesagt, als ich draußen war. Ich glaube Ihnen aber auch, ohne daß ich ihn gehört habe.
Nun komme ich zu den notwendigen Gemeinsamkeiten in unserer Haltung hier. Meine Freunde, ich will nun gar nicht mehr auf die verschiedenen Debatten von heute und gestern eingehen. Ich will nur folgendes feststellen und dies auch als Europäer erklären. Ich möchte nicht sagen, daß die Gemeinsamkeiten in unserer politischen Haltung in der Europäischen Gemeinschaft schon zerbrochen sind. Deshalb brauche ich auch gar nicht zu sagen: wir wollen sie wieder aufnehmen, wir machen Angebote und mehr. Ich glaube, sie bestehen noch, und ich lege größten Wert darauf, auch für die Durchsetzung unseres deutschen Standpunktes in der EWG und unserer allgemeinen Europa-Politik, die auf ein einiges Europa hinzielt, daß sie bestehen bleiben, so wie wir im Europäischen Parlament trotz mancher Meinungsverschiedenheit — Agrarpreis hin, Agrarpreis her — in den großen Linien in allen drei Fraktionen diese Gemeinschaft hatten. Einige Punkte habe ich schon genannt, es gibt noch einige. Ich bin überzeugt, daß auch Sie es gar nicht anders wollen, nicht wollen können und nicht wollen dürfen. Ich möchte Sie auf all das festlegen, was Herr Brandt sowohl wie der Außenminister oder auch Frau Staatssekretär Focke — eine europäische Hoffnung seit langem — schriftlich und mündlich gesagt haben: daß nämlich die westliche Integrationspolitik weder in ihrer Erweiterung noch in ihrer Vertiefung in der heutigen Form in irgendeiner Weise durch eine irgendwie geartete Ostpolitik beeinträchtigt oder geschwächt wird. Das darf nicht sein, das haben Sie zugesagt, und ich gehe davon aus, daß es dabei bleibt. Man hat sogar sehr deutlich gesagt: das wird niemals und in keinem Punkte Gegenstand von Verhandlungen werden; darüber verhandeln wir gar nicht, denn wir sind im Westen und treiben vom Westen aus östliche Politik. Man hat sich darüber ja eingehend ausgesprochen, man wird sich noch weiter über diesen Punkt aussprechen; aber ich gehe davon aus, daß diese Politik, wie auch immer sie sei, in keiner Weise die westliche Integrationspolitik berührt oder beeinträchtigt.
Zweitens wollen wir dabei bleiben, daß wir diese Gemeinschaft stärken, wie wir sie nur stärken können. Nun haben wir gehört, wie schwierig das auf dem Gebiet der engeren politischen Union mit der gemeinsamen Außenpolitik oder mit der gemeinsamen Verteidigungspolitik sein könnte. Ich habe mich immer dahin geäußert: lassen wir das mit der Verteidigungspolitik; im Moment ist das überhaupt nicht zu schaffen; wir haben ganz andere Sicherungen, nämlich die Atlantische Gemeinschaft und unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. — Also Stärkung unserer Gemeinschaft und damit auch Stärkung unserer Position in der Welt nach allen Richtungen, wie ich das betone und wie auch Sie es immer betonen.
Nun kommt die Zeitfrage. Ich habe vorhin gesagt: natürlich, wir müssen aktiv sein, wir müssen schnell handeln. Aber man soll die Dinge auch nicht drama-



Dr. Furler
tisieren. Wer sagt denn, daß es in der Europapolitik fünf Minuten vor zwölf ist?

(Abg. Dr. Rutschke: Das hat Herr Kiesinger gesagt! — Zuruf von der SPD: Herr Hallstein!)

— Ja, ich sage es auch zu Ihnen, Herr Hallstein. — Wir wollen miteinander rasch arbeiten; aber wir wollen auch nicht sagen, es ist fünf Minuten vor zwölf. Vielleicht in der politischen Teilunion — ich weiß es nicht, ich glaube auch das nicht; aber Europa wird ja nicht an einem Tag gebaut. Wir müssen nur ernsthaft dabei bleiben

(Beifall bei der SPD)

und jede Situation ausnutzen, um vorwärtszukommen — wir Europäer, die wir dieses vereinigte Europa ja nicht machen oder wenigstens glücklich gemacht haben aus Angst vor den Russen, nein, aus der Überzeugung, daß allein dieses zusammengewachsene Europa uns nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch unsere soziale Ordnung und unsere Freiheit garantiert. Für diese kämpfen wir, wir haben das immer getan, und ich hoffe, daß wir es weiter zusammen tun werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606017300
Das Wort hat der Abgeordnete Dröscher.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0606017400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Furler dankbar für das, was er gerade an dieser Stelle gesagt hat. Es macht mir die Auseinandersetzung mit dem, was Herr Hallstein ausgeführt hat, recht leicht. Herr Hallstein hat nun einmal den Feldherrnhügel mitten in der Schlacht räumen müssen, und was Herr Furler hier gesagt hat, das war nicht aus der Perspektive des Feldherrnhügels, von der hohen Warte herunter gesehen, sondern aus der Sicht des Kärrners, der viele Jahre im Parlament die Schubkarren geschoben hat, wenn ich so sagen darf. Das gibt sicher eine andere Sicht der Dinge. Sie hätten, Herr Hallstein, vielleicht vieles von dem, was Sie heute hier an Kritik gesagt haben, auch nicht so gesagt, wenn Sie allein schon in den letzten Monaten im Europäischen Parlament den Umschwung der Stimmung mitgemacht hätten, den wir erleben durften, sicher — da gebe ich Herrn Furler völlig recht — objektiv auch durch eine Veränderung der Lage, aber doch auch unterstützt durch das energische Zugreifen und Nachstoßen der neuen Regierung, die in Den Haag von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, die ihr gegeben waren.
Das, meine Damen und Herren, scheint mir, nachdem wir früher, in den vergangenen Jahren, Monate um die Probleme der Vertiefung, der Vollendung, der Erweiterung diskutiert hatten, doch jetzt klar zu sein: daß die Würfel gefallen sind, daß dank dieser Veränderung in Den Haag es in eine neue Phase der gemeinschaftlichen Arbeit hineingeht, in der nun zwar die Politische Union als Erfordernis im Vordergrund steht und als Zielvorstellung da ist, in der aber nun eine neue Phase des Zusammenwachsens verwirklicht wird, und daß gleichzeitig die Erweiterung in Gang gebracht wird, die das Europa dann doch eigentlich erst schafft, das mit „einem Mund" und mit „einer Stimme" sprechen soll, damit es in der Welt gehört wird.
Wir wissen auch, daß die Probleme nur gelöst werden können, indem Stein auf Stein gesetzt wird, indem man pragmatisch weitergeht und dann, wenn die Gunst der Stunde winkt, diese Gunst wahrnimmt, so wie das im letzten Herbst geschehen ist.
Wir sehen in unserer Kärrnerarbeit wirklich, wie die ökonomische Basis dieser europäischen Gemeinschaft in einem stürmischen Tempo wächst, einem Tempo, das uns mit Sorge bedenken läßt, ob dem Zusammenwachsen der wirtschaftlichen Kräfte auch die soziale, soziologische und die politische Struktur Westeuropas nachkommen kann. Denn hier ergibt sich ja ein neues Spannungsverhältnis. Es fehlt noch der politische Überbau für das, was ökonomisch schon weitgehend im Gange ist.
Meine Damen und Herren, wir sind da sicher auf einem langen Marsch, der uns über eine gemeinsame Außenhandelspolitik zwingend auch zu einer gemeinsamen Wirtschafts-, Konjunktur- und eines Tages Außenpolitik bringen wird. Sie haben, Herr Furler, zwar die „Verteidigungspolitik" ausgeklammert — sicher, das sagt der Vertrag —; aber jeder, der in dieser Arbeit steht, weiß doch, daß, wenn die Erweiterung kommt, eines Tages einmal ernsthaft darüber gesprochen werden muß, wie man eine gemeinsame Außenpolitik auch in dieser Richtung abstützt. Es wäre an der Wahrheit vorbeigesehen, wenn man das völlig außer Betracht ließe, und auf weite Sicht muß auch darüber, glaube ich, einmal gesprochen werden.
Wir, die wir als Abgeordnete in den beiden Häusern unsere Arbeit zu tun haben, können uns ja nur freuen, daß der Bundestag sich heute nach langer Zeit wieder einmal Gelegenheit, nimmt, die Dinge einigermaßen gründlich zu besprechen. Wir leiden ja darunter, daß wir, bei den Sitzungen in Brüssel und Straßburg oder in irgendeiner anderen europäischen Hauptstadt arbeitend, vielfach nicht den ständigen Kontakt mit unseren Fraktionen haben und schaffen können, der zur gegenseitigen Durchdringung mit dem politischen Wissen um die Sorgen des anderen notwendig ist. Das ist eine der großen Schwierigkeiten der Arbeit im Europäischen Parlament. Einfach das Nichtdabeiseinkönnen, wenn entscheidend diskutiert wird, macht uns schon Schwierigkeiten: Um das darzustellen, was in Europa geschieht und eigentlich in diesem Parlament, im Bundestag, seinen ständigen Widerhall finden müßte, ist ein permanenter Kontakt zwischen den Parlamenten notwendig, der in unseren Personen zwar gegeben ist, aber infolge der Schwierigkeit der technischen Arbeit immer wieder neue Sorgen macht. Auch das sollte einmal hier gesagt sein.
Noch eine andere Sorge darf ich in diesem Zusammenhang hier einmal auf den Tisch legen. Können wir es uns eigentlich auf die Dauer erlauben, ein Spannungsverhältnis zwischen dem, was in die-
. sem Hause gesagt wird, und dein, was im Euro-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 18. Juni 1970 3351
Dröscher päischen Parlament von denselben politischen Kräften gesagt wird, fortzuführen? Ich glaube, wir müssen stärker auf die Gleichheit der Aussage hinkommen. Natürlich bietet sich da ein so schwieriges Gebiet wie etwa die Politik, in der schon weitgehend die europäische Gemeinschaft funktioniert, an, nämlich die Landwirtschaftspolitik. Wir sehen immer wieder, daß ganz abgesehen von den Aussagen, die von der hohen Warte, Herr Professor Hallstein, gemacht werden hier im Alltagskampf versucht wird, Stimmung zu machen gegen das, was da in Brüssel geschieht, wie in den Anfragen hier, etwa in der Fragestunde, geforscht wird, herumgedreht wird an den Dingen, die da in Brüssel gemacht werden, mit dem Ziel, Schwierigkeiten zu bereiten bei notwendigen Übereinkünften. Wenn ich jetzt nach dem mühsamen Zustandekommen der Weinmarktordnung und im Wissen um die unerhörten Anstrengungen, die die Minister Ertl, Scheel, Schiller und all die, die dabei beteiligt waren, gemacht haben, anschließend in deutschen Zeitungen — von Kollegen aus diesem Haus und von der konservativen Seite ausgesprochen — lese „Die Zeche zahlt der deutsche Winzer", dann kann ich nur sagen: hier wird völlig falsch argumentiert, hier wird gegen Europa argumentiert. Hier wird etwas getan, was sich letztlich in einer Unglaubwürdigkeit dieses Hauses ausdrücken muß,

(Zustimmung bei den Regierungsparteien)

denn die Zeche zahlt nicht der deutsche Winzer. Hier ist europäische Politik gemacht worden, und wir alle, die wir Verantwortung daran mit tragen, haben versucht, unseren Teil dazu beizutragen, daß vernünftige Kompromisse gefunden worden sind.

(Abg. Richarts: Der Europa-Verschnitt, Herr Dröscher!)

- Herr Richarts, wir können uns ja detailliert darüber unterhalten. — Ich will nur deutlich machen, daß man mit solchen differenzierten und entgegenstehenden Aussagen zwischen Straßburg und etwa dem Mainzer Raum nicht bestehen kann. Dann wird Europa unglaubwürdig. Wer diesem Hause angehört und über die Dinge informiert ist, der muß auch draußen in der Öffentlichkeit das mit zu tragen bereit sein, was Europa auf der anderen Seite für uns kostet.

(Beifall bei der SPD.)

In dein Zusammenhang müssen wir uns auch darüber im klaren sein, daß unsere Verbraucherpolitik, die Politik der Agrarpreise, immer im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Die Steuerzahler in Europa bringen über 10 Milliarden DM — wir Deutschen davon bis 35 % — auf, um die Agrarmarktordnungen zu tragen. Wenn wir sehen, daß sich das nicht mindert, weil man nicht den politischen Mut und die Entschlossenheit findet, die Überschüsse abzubauen, dann müssen wir dafür die Verantwortung tragen und sagen: Bitte, weil wir das eine nicht können, müssen wir das andere tun. Aber auch da ist es notwendig, daß wir intellektuell redlich sind und dann als Haus gemeinsam das tragen, was nicht zu ändern ist.
Ich hatte eigentlich nur ein paar Bemerkungen aus der Praxis unserer Arbeit vortragen wollen. Ich möchte zum Schluß noch eine Bemerkung machen, die sich auf das bezieht, was in den letzten Tagen bei dem Jugendkolloquium in Brüssel geschehen ist. Die Jugend ist in der Tat durch dieses Europa herausgefordert. Aber wir sollten es uns nicht so einfach machen, daß wir glauben, dieser unruhigen Jugend in Europa sagen zu können: begnügt euch mit dem, was wir wollen, begnügt euch damit, daß wir den Kontinent einen, daß wir die Staaten zusammenaddieren. Diese Jugend hat in der Tat einen Anspruch darauf, daß wir sie ernst nehmen, wenn sie sagt: wir wollen nicht nur die Staaten addieren, sondern wir wollen auch einiges ändern in Europa. Was zu ändern ist, was geschieht, darüber müssen wir reden. Wir sollten nicht so tun, als ob wir das nicht hören wollten. Wir können die junge Generation für diesen großen Veränderungsprozeß in Europa nur gewinnen, wenn wir ihr klarmachen, daß es auch transnational, über die Grenzen hinweg, Fragen gleicher politischer Bedeutung, denen wir uns gemeinsam verpflichtet fühlen, in den Ländern gibt, etwa Fortschritt über die Grenzen hinweg und diese auch angepackt werden.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Das meinen wir ja alle! Europa ist mehr als die Summe seiner Teile!)

— Europa ist mehr als die Addition seiner Teile, das ist ganz klar. Aber gerade deshalb sollten wir auch wissen, daß wir nicht nur hier sprechen können etwa davon, daß wir für europäische Wahlen sind, aber gleichzeitig dann — ich werfe es niemandem hier persönlich vor und werfe es auch keiner Partei vor — der Versuchung erliegen, in unseren heimatlichen Wahlkreisen eine Politik zu machen, die diejenigen, die dann einmal für das Europäische Parlament kandidieren, in die Gefahr bringt, nicht gewählt zu werden, weil sie eine supranationale, eine europäische Politik machen und die Nationalisten das Bett für sich bereitet haben.

(Beifall bei der SPD.)

Auch das muß man sehen, auch das steht dabei im Raum. Das ist sicher noch nicht heute und morgen notwendig, aber wenn wir hier so klar und präzise von allen unseren Bestrebungen, europäische Wahlen zu schaffen, sprechen, müssen wir auch diese Seite sehen. Ich bin überzeugt davon — das sage ich, nachdem ich jetzt schon fünf Jahre im Europäischen Parlament mitgearbeitet habe , daß die europäische Sache sehr viel besser steht, daß wir sehr viel mehr Zuversicht haben können — das hat die heutige Aussprache [a eigentlich auch gezeigt als es gemeinhin draußen den Anschein hat, und daß wir auf die europäische Fraktion in diesem Haus damit meine ich weit mehr als die Parlamentarier, die in Straßburg in den europäischen Gremien vertreten sind — vertrauen können. Wir hoffen, daß es bald und schnell vorwärtsgeht.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606017500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wagner (Trier).




Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0606017600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, einige Bemerkungen zur ersten Lesung der beiden Vorlagen betreffend die Ersetzung der Beiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften und die Abänderung des Haushaltsverfahrens der Europäischen Gemeinschaften zu machen. Es handelt sich hier um ein sehr konkretes Problem mit einigen Ecken und Kanten. Ich bitte daher von vornherein um Verständnis, wenn das eine oder andere, was ich hier zu sagen habe, aber in Sachlichkeit zu sagen gedenke, etwas kantiger klingt als das, was vielleicht in den letzten Interventionen hier angeklungen ist.
Die beiden Vorlagen, die wir vor uns haben, beinhalten einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften. Sie sehen eigene Einnahmen der Gemeinschaften vor. Sie befreien die Gemeinschaften damit aus dem Zustand, in dem sie sich heute noch befinden: finanziell ausschließlich Kostgänger der Staaten zu sein. Dies ist vom Prinzipiellen und vom Praktischen her ein Durchbruch, den wir selbstverständlich begrüßen. Meine Damen und Herren, das bedeutet aber noch nicht, daß wir diese beiden Vorlagen in allen ihren Einzelheiten begrüßen.
Vorweg muß ich sagen, daß uns die Bundesregierung ungewöhnlich dürftige Unterlagen zur Untermauerung dieser beiden Vorlagen gegeben hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

insbesondere im Hinblick auf die Frage, wie sich diese Ersetzung der Beiträge der einzelnen Staaten durch eigene Einnahmen für die Bundesrepublik und für die anderen Länder der Gemeinschaft in den kommenden Jahren finanziell auswirken wird. Im Hinblick auf diese wichtige Frage finden wir lediglich ein paar knappe, dürftige Zahlen für die Zeit bis 1974. Was die Zeit nach 1974 angeht, so finden wir in der Begründung der Bundesregierung die lakonische Feststellung, für diese Zeit seien keine Schätzungen möglich.
Was heißt das, Herr Bundesaußenminister? Soll das etwa heißen, daß die Bundesregierung ihren Beschluß gefaßt hat und uns diese Texte zur Ratifizierung vorlegt, ohne eine auch nur ungefähre Vorstellung davon zu haben, welche neuen Lasten, und zwar in Milliardenhöhe, nach 1974 auf die Bundesrepublik zukommen? Ich hoffe nicht, daß dies der Fall ist. Ich hoffe, daß die Bundesregierung zumindest eine ungefähre Vorstellung von den finanziellen Belastungen hat. Wenn das so ist, muß ich annehmen, daß die Bundesregierung aus irgendeinem Grunde der Auffassung ist, es sei angemessen, dem Bundestag als Grundlage für seine Beratungen und damit auch der Öffentlichkeit das, was sie weiß, hier nicht im einzelnen mitzuteilen. Ich komme um so mehr zu dieser Überzeugung, als nach meiner persönlichen Einsicht in die Dinge Schätzungen auch für die Zeit nach 1974 möglich sind. Ich habe solche Schätzungen in der ersten Lesung des Haushaltes 1970 hier vorgetragen. Ich habe keinen Anlaß, von diesen Schätzungen abzuweichen. Die Bundesregierung gibt dazu sicher keinen Anlaß, da sie keine Unterlagen liefert. Auch sonst finde ich nirgends Grund hierzu. Ich halte also bis zum Beweis des Gegenteils — und dieser Beweis wird, glaube ich, schwer sein — daran fest, daß der deutsche Finanzierungsanteil an den Gesamtausgaben der EWG dann, wenn die letzte Bremse fällt, also 1978, etwa 38 % betragen wird. Gleichzeitig ist es nicht gelungen, von der Ausgabenseite her eine Begrenzung zu schaffen, obwohl das zunächst ein Ziel der deutschen Delegation war. Die Möglichkeit dazu hätte, so meine ich, im Zusammenhang mit dieser Regelung der Einnahmen wohl bestanden. Aus dieser Regelung werden sich im Laufe der nächsten Jahre sehr beträchtliche zusätzliche Nettobelastungen für den Bundeshaushalt ergeben.
Es läßt sich gegen diese Feststellung auch nicht einwenden, daß der englische Beitritt und der Beitritt anderer Staaten völlig neue Verhältnisse schaffen werde. Dieser Beitritt ist ja noch nicht sicher; sicher ist im Moment nur, daß die Verhandlungen beginnen, und für diesen Beginn der Verhandlungen hat die Bundesrepublik von sich aus sehr viel bezahlt.
Wir sind auch nicht der Auffassung, daß das, was hier an institutionellen Fortschritten erreicht worden ist, zufriedenstellen kann. Die finanzielle Regelung stellt eine entscheidende Wende in der Finanzierung der Gemeinschaften dar. Sie bedeutet die Abkehr von Finanzierungsprinzipien, wie sie in völkerrechtlichen Organisationen üblich sind, hin zu einer Finanzierung rein nach der ökonomischen Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitglieder. Dies ist nicht ein Prinzip völkerrechtlicher Organisationen, sondern dies ist ein Prinzip föderativer Natur, ein föderatives Prinzip, das wir als solches bejahen, das aber selbstverständlich nur vertretbar ist, wenn die ganze Entwicklung eine föderative ist, d. h. wenn nicht nur Finanzierungsquellen vergemeinschaftet werden, sondern wenn die Gesamtentwicklung in eine föderative Richtung geht.
Ich möchte es so formulieren: wenn wir uns in diesem Europa auf den Bundesstaat hin orientieren wollen — das wollen wir —, dann werden wir auch das wollen müssen, was hier angelegt ist, nämlich den Anfang eines Bundeshaushalts. Was hier vorgelegt wird, ist aber, so meinen wir, der Bundeshaushalt ohne Bund.
Dies zeigt sich besonders in den zu geringen Rechten, die das Europäische Parlament bekommen hat. Natürlich: gewisse zusätzliche Rechte bekommt das Parlament. Es bekommt das Recht, einen Teil des Haushaltsvolumens der Gemeinschaften in Zukunft selbständig zu verabschieden. Zu einem großen Teil ist es aber an das Finanzrecht der Gemeinschaften gebunden. Dieser Teil beträgt etwa 96 % des Gesamtvolumens der Gemeinschaftsausgaben. Das Recht des Europäischen Parlaments, das wir in seiner grundsätzlichen Bedeutung nicht verkennen, muß daher auf seinen rechten Maßstab und auf seine rechte Bedeutung zurückgeführt werden. Jedenfalls halten die erreichten institutionellen Fortschritte in



Dr. Wagner (Trier)

keiner Weise Schritt mit den finanziellen Zugeständnissen, die hier gemacht worden sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Man wird sagen können: Gehen wir diesen Schritt, anderes wird nachkommen! — Das ist eine Politik; wir werden darüber diskutieren. Diese Politik ist risikoreich; auch das wissen wir. Viele haben lange geglaubt, daß etwa das Vorpreschen in der Agrarpolitik andere wirtschaftliche Bereiche, andere Sektoren, nach sich ziehen würde. Wir wissen, daß dies dann nicht so gewesen ist, sondern daß die europäische Agrarpolitik in einer im übrigen noch weitgehend nationalstaatlich bestimmten Wirtschaft mit den Schwierigkeiten, die wir kennen, allein dagestanden hat.
Wir glauben deswegen, daß über diese Dinge sehr nachgedacht werden muß. Wir nehmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß der Rat sich angesichts dieses fundamentalen Ungleichgewichts zwischen finanziellen Zugeständnissen auf der einen Seite und institutionellen Fortschritten auf der anderen Seite verpflichtet hat, neue Vorschläge der Kommission zu prüfen, die innerhalb von zwei Jahren vorzulegen sind und eine weitere institutionelle Verbesserung der Gemeinschaftsstruktur zum Inhalt haben sollen. Diese Selbstverpflichtung des Rats der Gemeinschaften ist für uns mit ein Element, mit ein Teil des Gesamtzusammenhangs, in dem wir diese Vorlage prüfen und über ihre Ratifizierung entscheiden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606017700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0606017800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier zu dem Beschluß des Rates der EWG vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften einige wenige Ausführungen machen und insbesondere zu dem Stellung nehmen, was Dr. Wagner hier ausgeführt hat.
Das Ziel des Kompromisses, der jetzt in der EWG-Finanzierung und den Beschlüssen von Den Haag erreicht worden ist, ist die Erweiterung der Gemeinschaft. Die Zustimmung dazu ist erreicht worden, dem Europäischen Parlament eigenes Budgetrecht einzuräumen. Außerdem gelang es, das Interesse der EWG-Staaten, insbesondere Frankreichs und Italiens, an einer dauerhaften Agrarfinanzierung zu befriedigen und gleichzeitig die deutschen Interessen auf eine Begrenzung dieser Agrarausgaben durchzusetzen.
Was jetzt erreicht worden ist, zeichnet sich zum Teil schon im EWG-Vertrag ab. Daß die Zölle und Abschöpfungen einstmals auf die EWG übergehen sollen, ist bereits im EWG-Vertrag zugestanden, obwohl auch hier, wenn wir etwa die Zölle nehmen, wo wir einen Anteil von 42 O/) haben, im Grunde genommen, wenn man so sagen will, bereits eine Benachteiligung Deutschlands gegeben ist. Die Zölle und Abschöpfungen werden nach und nach auf die
EWG übertragen. Es wird Schluß gemacht mit der unbegrenzten Nachschußpflicht, die bisher die nationalen Haushalte in einer unerträglichen Weise getroffen hat. Ich glaube, daß das ein entscheidender Vorteil ist.
Auch die Höhe der Zuschußpflicht — 32,9 % —
die für die Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 1971 bis 1975 festgelegt ist, ist ein Kompromiß, den man als fair anerkennen muß; denn wir müssen ja, Herr Dr. Wagner, Einnahmenseite und Ausgabenseite auseinanderhalten.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Ist mir klar!)

Wir müssen das auseinanderhalten: die Einnahmenseite richtet sich nach allgemeinen steuerpolitischen Grundsätzen, und da gilt der Grundsatz, daß jeder nach seiner Leistungsfähigkeit leisten muß.

(Abg. Dr. Wagner 'Trier]: Bisher galt das nicht!)

— Das hatten wir bisher nicht, aber darauf läuft es auf die Dauer hinaus, so sind sämtliche Steuersysteme bei uns festgelegt.
Das läuft darauf hinaus, ,daß wir als Maßstab, wie es die Kommission vorgeschlagen hat, das Bruttosozialprodukt oder irgendeine Abwandlung nehmen. Auch die Berechnung nach der Mehrwertsteuer

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Bundeshaushalt!)

geht auf die Grundlage des Bruttosozialprodukts oder des anteiligen Verhältnisses der Bruttosozialprodukte der einzelnen Länder zurück. Wir lägen bei 36 bis 38 %, wenn man davon ausginge. Da in dieser Richtung die Vorstellungen von fast allen Mitgliedstaaten — außer uns — gelegen haben, ist der gewogene Durchschnitt von 32,9 % in den Jahren von 1971 bis 1975 für uns keine schlechte Lösung.
Natürlich läuft das auf die Dauer, so wie die Klausel formuliert worden ist, darauf hinaus, daß wir auf das Bruttosozialprodukt bzw. die Mehrwertsteuerregelung hinkommen, und da steigen unsere Ausgaben an.
Der Webfehler liegt im Grunde genommen auf der Ausgabenseite. Es liegt an dem Gestrüpp von Agrarordnungen, von denen wir nicht mehr herunterkommen und wo jede Nation ihr Interesse hat, das nun weiter durchzuhalten; weder wir sind bereit nachzugeben, noch sind die Italiener bereit nachzugeben, noch sind die Franzosen bereit nachzugeben. Man muß einfach fairerweise anerkennen, daß das Strickmuster dieser Agrarausgaben unter einer Regierung festgelegt worden ist, der wir nicht angehört haben. Wir müssen mit dieser Situation fertig werden. Ich bin weit davon entfernt, zu sagen, wir hätten uns gegen dieses Strickmuster wehren können, Sie können aber dieser Regierung jetzt nicht anlasten, daß sie in dieser Automatik drinsteckt. Wenn wir in Europa überhaupt irgendeinen Fortschritt erzielen wollen, kommen wir nicht darum herum, auf Grund dieses Strickmusters weiterzuarbeiten. Dadurch sind hier die enormen Agrarausgaben zustande gekommen.
Auch die Tabak- und Weinmarktordnung trägt zu den großen Kosten bei. Sie ist bereits von frü-



Dr. von Bülow
heren Regierungen zugesagt. Auch davon kommen wir nicht herunter. Auf die Dauer werden wir ein besseres System nur erreichen, wenn wir bei den Ausgaben, bei den einzelnen Marktordnungen ansetzen. Wir können aber nicht auf der anderen Seite, weil diese Agrarmarktordnungen bestehen, auf der Einnahmenseite besondere Vorteile, die fern von der normalen Steuerlogik liegen, durchsetzen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606017900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wagner?

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0606018000
Ja, bitte!

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0606018100
Herr Kollege von Bülow, da Sie von der Tabakmarktordnung und von der Weinmarktordnung gesprochen haben, möchte ich fragen: Ist Ihnen nicht bekannt, daß zwar Grundsatzbeschlüsse aus früheren Jahren vorlagen, denen zufolge solche Marktordnungen zustande kommen sollten, daß aber eine Inhaltsbestimmung dieser Marktordnungen in keiner Weise vorlag und daß die Fixierung der deutschen Position auf die Annahme in bestimmter Frist eben im Zusammenhang mit den Finanzierungsbeschlüssen erfolgt ist, dadurch nämlich, daß die Italiener ihr Junktim für Tabak und Wein auch noch an die französische Forderung der Finanzierung angehängt haben, daß wir also zu den großen finanziellen Lasten in den Dezember- und Februar-Beschlüssen noch diese beiden Junktims — Tabak und Wein — zusätzlich akzeptiert haben?

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0606018200
Ja, das ist völlig richtig. Nur stehen wir ja jedesmal in dem europäischen Rahmen vor der ganz einfachen Frage: Sind wir bereit nachzugeben, oder wird uns z. B. die Erweiterung der EWG verweigert. Das sind doch die knallharten Verhandlungen, die in Brüssel gepflogen werden. Wir werden ständig blockiert in unserem ganzen europäischen Streben, und der ganze Idealismus hat im Grunde keinen Sinn, weil ja knallharte Interessen dahinterstehen. Das ist die ganze Schwierigkeit. Angesichts dieser Interessen bin ich der Meinung, daß das, was die Bundesregierung in Brüssel ausgehandelt hat, anerkennenswert ist, daß es ein fairer Vorschlag ist, dem wir — wenn auch mit einem weinenden Auge — zustimmen müßten.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606018300
Das Wort hat der Herr Bundesminister Ertl.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606018400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind ja mit Europa wieder in einer sachlicheren Atmosphäre; das ist wohltuend.
Herr Kollege Wagner, lassen Sie mich zu Ihrem letzten Beitrag etwas sagen. Ich darf eine Frage an Sie stellen. Hätten Sie namens der deutschen Delegation beispielsweise die Stellung eingenommen und auf ihr bestanden, notfalls die Finanzregelungen einfach nicht zu akzeptieren und das Junktim zwischen Wein und Tabak, das mir sicherlich nicht gepaßt hat, was ich in aller Form und deutlich gesagt habe, auch scheitern zu lassen und zu sagen: Das akzeptiere ich nicht — mit dem Risiko, daß dann eine ernste europäische Krise eingetreten wäre? Das wäre natürlich die mögliche Alternative gewesen. Dabei nehme ich an, daß Ihnen die Texte des Europäischen Parlaments zu dieser Frage bekannt sind. Ich glaube, von mir sagen zu können, daß ich viel stärker verhandelt habe, als sich das Europäische Parlament verhalten hat, und weiter gegangen bin, als das Europäische Parlament von sich aus zu gehen bereit war.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606018500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0606018600
Da ich mich in einem Konflikt zwischen der an mich gerichteten Frage und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer Antwort und der sich aus der Geschäftsordnung ergebenden Pflicht befinde, meinerseits nur Fragen zu stellen, will ich versuchen, die Antwort dergestalt zu formulieren, daß ich Sie frage, Herr Minister, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß die Bundesregierung bei den Verhandlungen sowohl über die Finanzierung als auch dann anschließend über Tabak und Wein ihre Bereitschaft, für die Eröffnung von Verhandlungen mit Großbritannien und den anderen beitrittswilligen Staaten zu zahlen, bereits von vornherein zu deutlich gemacht hat und dadurch bei den anderen Partnern den Eindruck erweckt und gefestigt hat, daß sie angesichts dieser Bereitschaft von der Bundesrepublik eben entsprechende Zugeständnisse herausholen könnten.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606018700
Herr Dr. Wagner, ich bin in der Tat ganz anderer Meinung. Erstens hat es die Bundesregierung nicht so gemacht, wie Sie es darstellen. Zweitens darf ich darauf hinweisen, daß gerade die Vorredner aus Ihrer Fraktoin der Bundesregierung immer unterstellen, sie belasse es nur beim Credo und komme nicht zur Aktion. Den Haag war eine Aktion. In dieser Aktion war ein wesentlicher Punkt die Verabredung bezüglich der gemeinsamen Finanzregelung mit den anderen wesentlichen Fakten, die auf uns zukamen: Erweiterung der Rechte für das Europäische Parlament. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Bedenken ein Partnerstaat hat, welcher schwierigen Verhandlungen es bedurft hat.
Weiter nenne ich die Beitrittsverhandlungen. Dabei hat die italienische Delegation zur Bedingung gemacht, daß sie das nur akzeptiert und dem Ergebnis zustimmt, wenn bis dahin — das können Sie nachlesen, Herr Kollege Wagner, auch das muß ich hier richtigstellen — die im Jahre 1962 beschlossene Weinmarktordnung, die mit Ratsentschließung längst zugesagt wurde, verabschiedet ist. Lesen_ Sie die Verordnung über den Weinmarkt nach. Sie war sehr weit vorpräzisiert. Es war nicht möglich, mei-



Bundesminister Ertl
nen Vorschlag aufzugreifen, nach § 40 b vorzugehen, nämlich, sagen wir, mehr oder weniger koordinierte Wettbewerbsregeln aufzustellen; denn die frühere Bundesregierung hatte einer gemeinsamen Weinmarktordnung bereits zugestimmt.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das muß man zur historischen Wahrheit und Bewältigung beitragen, damit hier nicht immer wieder mit Argumenten operiert wird, die einfach nicht zutreffen. Das wurde mir auch seitens der Kommission vorgehalten. Man kann es in den entsprechenden Dokumenten nachlesen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606018800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Richarts (CDU):
Rede ID: ID0606018900
Herr Bundesminister, ist Ihnen das Memorandum des Herrn Bundesministers Höcherl zur EWG-Weinmarktordnung bekannt, in dem er genau wie Sie den Standpunkt vertreten hat, daß man die nationalen Weingesetze anerkennen und den Weinmarkt liberalisieren sollte?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606019000
Das Memorandum ist mir sehr wohl bekannt. Aber Herr Bundesminister Höcherl hat genauso wenig Erfolg gehabt wie ich, weil nämlich die frühere Bundesregierung im Jahre 1962 einer Weinmarktordnung zugestimmt hat. Das war sogar eine Bundesregierung, wo wir mit Ihnen in der Koalition waren. Ich muß auch das sogar sagen. Ich bin immer für Klarheit und Wahrheit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Man sollte sich nicht immer aus einer Politik einfach davonschleichen wollen. Das verstehe ich darunter. Mansollte nicht immer den permanenten Versuch machen wollen, einerseits permanent prinzipiell zu sagen: Diese Bundesregierung will gar keine politische Union, sie will keine Wirtschaftsunion, keine Währungsunion. Jedermann weiß, welche Schwierigkeiten wir in der Konjunkturpolitik haben und dergleichen 'mehr. Dann aber den Vorwurf zu machen: „Ihr hättet der Weinmarktordnung nicht zustimmen dürfen", das verstehe ich nun wirklich nicht. Da muß ich nun schon sagen: hier muß ich ein klein wenig die Notwendigkeiten und die Zusammenhänge im richtigen Ausmaß berücksichtigen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606019100
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Zusatzfrage?

Hans Richarts (CDU):
Rede ID: ID0606019200
Herr Bundesminister, ist Ihnen klar, daß es einen Unterschied zwischen der Zustimmung zum Prinzip und dem Inhalt gibt? Darum ,geht es ja.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606019300
Oh ja, das ist mir sehr wohl klar. Das ist im übrigen auch allen anderen sehr klar, die inzwischen das Ergebnis kennen. Wie ich inzwischen erfahren konnte, wurde es dort mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen. Das ist das Ergebnis.

(Abg. Richarts: Von einigen Weinfabrikanten!)

— Das will ich nicht ,sagen. Ich will Ihnen mal mein Heimatland Bayern nennen. Bei mir hat sich der Vorsitzende des Winzerverbandes laus Franken bedankt. Ich könnte Ihnen noch ein paar andere zitieren. Aber wir wollen über dieses Thema lieber nicht reden. Seien wir froh, daß wir dieses Thema abgeschlossen haben! Wir wollen ja in Zukunft dafür sorgen, daß unser Wein wieder in einer guten Position ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606019400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kriedemann?

Herbert Kriedemann (SPD):
Rede ID: ID0606019500
Herr Bundesminister, glauben Sie, daß es der deutschen Position und der Glaubwürdigkeit der hier so oft beschworenen Credi gedient hätte, wenn Sie etwa so verfahren wären, wie man es Ihnen hier vorschlägt, zu sagen: Wir haben nur dem Grundsatz zugestimmt, um dabei den Eindruck zu erwecken, daß wir sehr großzügig und sehr energisch sind, wenn es sich um die Marktordnungen und die damit verbundenen Kosten der Produkte handelt, an denen wir und einige nördliche unserer Nachbarn interessiert sind. Dann will man anfangen zu sparen und anfangen, sehr zurückhaltend zu sein, wenn es sich um die Produkte handelt, ,die z. B. für Italien von lebenswichtiger Bedeutung sind.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606019600
Herr Kollege Kriedemann, ich würde dazu folgendes sagen. Ich vertrete das Prinzip der Partnerschaft, cl. h. die Vor- und Nachteile sollten angemessen im Gleichgewicht sein. Das gilt für alle. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang aber aus meiner Erfahrung sagen: Bis jetzt habe ich ausgesprochene europäische Nächstenliebe bei Verhandlungen in Brüssel nicht gespürt. Auch das muß ich hier einmal sagen, weil da so oft der Eindruck entsteht: Man braucht sich nur zu umarmen, dann gibt jeder sehr nach. Hier geht es darum, daß man vielleicht den Versuch macht, durch Wahrung der eigenen Interessen zu einem günstigen Kompromiß für alle zu kommen.
Herr Kollege Dr. Wagner, ich stimme Ihnen sogar in einem weiteren Punkt zu; Sie sehen, wie sehr ich mit der Opposition oft übereinstimme. Ich bin mit Ihnen der Meinung — und das sage ich hier in diesem Hohen Hause nicht zum erstenmal; das habe ich das letztemal auch im Ministerrat gesagt —: das sechste Jahrzehnt war in der EWG-Politik ein Jahrzehnt europäischer Agrarmarktpolitik — man sollte es immer beim Namen nennen —, erfreulicherweise gekoppelt mit dem Abbau der gewerblichen Zölle, aber nicht mehr. Darüber hinaus ist im sechsten Jahrzehnt nichts erreicht worden,



Bundesminister Ertl
und das wird man nicht unbedingt der neuen Bundesregierung in die Schuhe schieben dürfen.

(Abg. Dr. Ritz: Das hat niemand getan!)

Ich bin überzeugt, wir können uns ein weiteres Jahrzehnt, in den siebziger .Jahren, mit nur Agrarmarktpolitik nicht leisten.

(Beifall.)

Das ist die ganz nüchterne Frage, vor der wir stehen.
Nun möchte ich mich nicht in das Gebiet meines Kollegen Schiller hineinbegeben.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist auch gefährlich!)

Ich will nicht auf fremder Weide grasen, nachdem inzwischen das Grünland wieder grün ist.

(Abg. Dr. Wagner [Trier]: Er wäre vielleicht froh!)

Aber einer der entscheidenden Punkte für die Wirtschafts- und Währungspolitik ist doch letzten Endes die Abstimmung der konjunkturpolitischen Zielsetzung.

(Abg. Dr. Burgbacher: Na, und wie!)

Wir hatten in der letzten Woche eine sehr starke Dollarspekulation. Die hatten wir doch offensichtlich nicht deshalb, weil unsere D-Mark so schwach ist, sondern weil sie so stark ist, weil wir in einem allgemeinen europäischen Geleitzug mitfahren, wobei unsere Kaufkraftverlustrate oder unsere Preisanstiegsrate gottlob noch die geringere ist. Ich sage das nicht aus Freude oder zur Selbstverherrlichung, sondern ich sage das nur zur Darstellung, wobei ich betone, daß die Bundesregierung bei allen Diskussionen gesagt hat und insbesondere auch mein Kollege Schiller darauf hingewiesen hat, daß diese Gemeinschaft nur bestehen kann, wenn sie sich konjunkturpolitisch zu einer Stabilitätsgemeinschaft und nicht zu einer Inflationsgemeinschaft hin entwickelt.

(Abg. Dr. Burgbacher: Schnell! 10 Jahre!)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, 10 Jahre lang gab es einen Präsidenten Hallstein, und ich frage: Wo blieben die Aktivitäten?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir fangen doch jetzt erst an mit dem Geschäft. Ich fange jetzt erst an.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein bißchen billig!)

Sie haben mir zugestimmt — und ich freue mich,
daß hier in diesem Hohen Hause Übereinstimmung besteht : Eine agrarpolitische Gemeinschaft allein kann im nächsten Jahrzehnt nicht bestehenbleiben, sondern wir brauchen Fortschritte in der Wirtschafts- und Währungsunion und der Erweiterung.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist nicht ganz neu!)

Dann müssen Sie uns mindestens erst Zeit für die
Arbeit lassen und dürfen uns nicht haftbar machen
— ich klage niemanden an — für etwas, was in den vergangenen zehn Jahren nicht geschehen ist. Das stelle ich nüchtern und sachlich fest.
Nun noch zu der Frage der Finanzregelung. Ich gebe zu, Herr Kollege Dr, Wagner, das ist ein sehr schwieriges Problem. Selbst ich muß es immer wieder an Hand der Zahlen nachlesen. Man kann nicht alles behalten. Wir haben natürlich verschiedene Phasen. Wir haben die Phase 1971/1974 als Zwischenphase; die können wir einigermaßen übersehen, weil in ihr nämlich die Abschöpfungen voll übertragen werden, wobei man auch diese Summe nicht ganz genau berechnen kann, weil sich die Abschöpfungen je nachdem verändern können. Wir wissen, daß eine stufenweise Übertragung der Zölle erfolgt, und zwar 1971 50 %, 1972 62,5 %, 1973 75 %, 1974 87,5 %. Der Rest wird durch Finanzbeiträge nach einem besonderen Schlüssel finanziert.
Nun kommt die schwierige Frage, die Sie mit Recht gestellt haben: Was wird nach 1975? Da ergibt sich folgendes: volle Übertragung der Abschöpfungen, Zuckerabgaben und Zölle, Übertragung eines Anteils an der harmonisierten Mehrwertsteuer, der höchstens 1 % des Mehrwersteueraufkommens entspricht, Restfinanzierung. Das ist ein sehr schwer berechenbarer Zustand. Das werden Sie mir doch zugeben. Die Spannweite für diesen Beitrag ist außerordentlich groß. Einen Schlüssel gibt es nicht mehr. Ein Regulativ gibt es nur noch für drei Jahre — 1975 bis 1977 — in der Weise, daß die Belastung der Mitgliedstaaten jährlich um nicht mehr als 2 % steigen oder absinken darf. Das ist die Lage. Insoweit können wir mit gutem Grund, glaube ich — heute nicht genau sagen, welche endgültige Belastung wir im Jahre 1978 haben. Im übrigen sind bis dahin auch die Beitrittsverhandlungen, und in denen wird sicherlich auch der Schlüssel neu verteilt — darüber gibt es gar keinen Zweifel —, weil sich mit dem Beitritt zwangsläufig auch die Frage der Neufinanzierung stellt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606019700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner?

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0606019800
Herr Bundesminister, wenn es richtig ist, daß wir die Belastung etwa im Jahre 1978 heute nicht genau berechnen können, so möchte ich doch fragen: Glauben Sie nicht, daß man heute doch schon ungefähr sagen kann, welchen Anteil am Bruttosozialprodukt der Gemeinschaft wir 1978 haben werden, auch welchen Anteil an der Gesamteinfuhr aus Drittländern, d. h. dann an den Zöllen, wir insgesamt haben werden, und daraus dann unsere ungefähre anteilige Belastung ausrechnen könnte, und glauben Sie nicht, daß es dann gut gewesen wäre, zumindest diese ungefähre anteilige Belastung dem Deutschen Bundestag in der Begründung zu dieser Vorlage mit vorzutragen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606019900
Nein, Herr Dr. Wagner, es tut



Bundesminister Ertl
mir sehr leid. Ich kann die Entwicklung des Bruttosozialprodukts nicht vorausberechnen, ich kann nur schätzen.

(Zurufe von der SPD: Und die neuen Mitglieder! Abg. Dr. Wagner [Trier] : Prognos sagt: 38!)

— Ja, ich weiß. Aber ich glaube, wir würden im Augenblick mit Zahlen operieren, die sicherlich rein spekulativ sind. Und da die Beitrittsfrage auch bis dahin aktuell ist,

(Sehr richtig! bei der SPD)

was soll es dann, jetzt spekulative Zahlen herauszugeben? Ich kann nur sagen, wir können mit Sicherheit davon ausgehen, daß der deutsche Anteil bis zum Jahre 1974 im Durchschnitt 32,67 %beträgt. Das muß auch einmal gesagt werden, weil da ja ganz kuriose Zahlen im Raume schwirren.
Herr Dr. Wagner, Sie haben die Frage mit Recht gestellt. Das wäre eine sehr interessante Diskussion. An und für sich sagen 32 oder 35 %gar nichts, denn entscheidend ist natürlich, von welchem Gesamtfinanzierungsvolumen. Aber ich glaube nicht, daß Ihre Fraktion mich gelobt hätte, wenn ich gesagt hätte, ich hätte dann die Mansholtsché These übernommen, die Preise zu senken und die agrarischen Einkommen zu senken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Da hätten mir Ihre Kollegen gesagt: Das ist eine schlechte europäische Politik, die Sie machen. Aber daraus ergibt sich ein gewisser Sachzwang für die Finanzierungskosten. Als Europäer, lieber Herr Dr. Wagner, müssen wir diesen Sachzwang sehen, und die CDU kann sich nicht erlauben, hier auf der agrarischen Seite das eine zu fordern, auf der europäischen Seite das andere zu fordern und auf der finanziellen Seite das Dritte zu fordern. So einfach geht es nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Daß die Opposition das tut, ist ihr gutes Recht; dieses Recht spreche ich ihr nicht ab. Aber sie muß auch damit rechnen, daß wir ihr in der gleichen Form erwidern. Das ist der normale Zustand. Ich hoffe, daß ich damit einiges zur Aufklärung beigetragen habe.
Ich freue mich über den Optimismus, der heute für Europa herausgekommen ist.

(Zuruf von der SPD: Bis auf Hallstein!)

Wir alle wissen, daß dieser europäische Optimismus notwendig ist. Ich würde mich allerdings unehrlich fühlen, wenn ich Ihnen in diesem Zustand nicht sagen und das Hohe Haus davon in Kenntnis setzen würde, daß ich noch viele Hürden vor mir sehe, die zu überwinden sind, und daß man allein mit europäischer Euphorie die Dinge nicht bewegen kann, sondern 'daß man mit sehr kühlem Verstand in dieser Frage Stein auf Stein bauen muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist meine Auffassung. Das hat auch nichts damit zu tun, daß diese Bundesregierung etwa nicht
weiß, wie notwendig die europäische Zusammenarbeit für ihre Ostpolitik ist. Denn nur dann, wenn die europäische Zusammenarbeit klapp, ist die Basis für eine Ostpolitik gegeben.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Dr. Jahn [Braunschweig].)

— Ja, Herr Kollege Jahn, ich hätte heute gern manches gesagt, aber ich sage nur eines. Ich lese auch ab und zu ein bißchen. Da habe ich in den letzten Tagen einen interessanten Passus aus der Rede eines CDU-Politikers gelesen. Der hat gesagt: „Auf dem Boden eines wiedervereinigten Deutschland könnte im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems auch Platz für Truppen der Sowjetunion bleiben". Das war für mich eine interessante Komponente der Verquickung von europäischer und Ostpolitik. Sie sehen, daß die Zusammenhänge zwischen Europa und Osten von manchem Kollegen auch schon früher gesehen wurden. Nur heute sieht er es vielleicht anders. Dieser Zusammenhang besteht in meinen Augen in der Tat. Wir müssen für Europa zu soviel Zusammenarbeit und zu soviel politischer Gemeinsamkeit kommen wie nur gerade möglich, aber dürfen dabei nicht vergessen, daß der Frieden auch durch gesichert wird, wenn wir eines Tages in Gesamteuropa entspannte und friedliche Verhältnisse haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606020000
Das Wort hat Herr Bundesaußenminister Scheel.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606020100
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich auf einige Bemerkungen derjenigen Kollegen antworten, die zur europäischen Zusammenarbeit gesprochen haben. Zunächst zu einem Komplex, den Herr Furler in den Vordergrund seiner Betrachtungen gestellt hat, als er sagte, daß die politische Zusammenarbeit in Europa, wie wir sie jetzt anstreben, den falschen Eindruck erwecken könnte, als ob die Zusammenarbeit, wie sie sich jetzt in Europa entwickelt habe, gar nicht politisch wäre. Sie haben vollkommen recht; ich teile Ihre Meinung: die Zusammenarbeit in Europa ist an sich politisch. Damit ist der Herr Kollege Professor Hallstein immer mißverstanden worden, wenn er gesagt hat: „Die Zusammenarbeit in der EWG ist Politik", und wenn er dann dahin gehend übersetzt worden ist, als gebe es einen Automatismus von der wirtschaftlichen zur politischen Zusammenarbeit. Das gibt es nämlich nicht. Denn automatisch entwickeln sich aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, wie sie in der Zollunion begründet worden ist, noch nicht einmal eine Wirtschafts-und Währungsunion.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Richtig!)

Dazu bedurfte es in der Tat eines neuen politischen Impulses, den wir in Den Haag zusammen mit unseren europäischen Partnern selber ausgelöst haben, Gott sei Dank die Gunst der Stunde nutzend.
Es gibt auch keinen Automatismus für den Übergang von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,



Bundesminister Scheel
selbst der Wirtschaftsunion, zur weiteren politischen Zusammenarbeit. Es bedarf dazu wieder neuer Anstöße. Wir haben sie in Den Haag gegeben und dann in den nächtelangen Verhandlungen, die von meinem Kollegen Ertl, der nicht mehr hier ist, in der farbenfrohesten Weise geschildert werden könnten, wie es die übrigen Teilnehmer gar nicht vermöchten, Politik gemacht, wirklich Politik gemacht und eigene Einnahmen der Gemeinschaft beschlossen. Wer hätte denn vor ein paar Jahren je daran gedacht, daß die EWG einmal eigene Einnahmen haben und ganz auf sich selbst gestellt sein würde? Das ist beschlossen worden.
Wir haben ferner die Agrarmarktordnungen beschlossen. Wir haben sie, nebenbei bemerkt, mit halbem Herzen beschlossen, nicht weil wir nur zaghaft europäisch gefühlt und gedacht hätten, sondern weil die Sache selbst sehr viele Mängel hat. Wir haben schließlich Pläne für eine Währungs- und Wirtschaftsunion entwickelt und damit praktisch die Entscheidung vorbereitet, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von sechs Mitgliedstaaten auf zehn erweitert werden kann. Diese Entscheidung ist, wie gesagt, vorbereitet worden, so daß das Datum der Aufnahme von Verhandlungen heute feststeht: der 30. Juni dieses Jahres.
Ein Wort, Herr Professor Furler, zu den Fragen, die sich bei der Verwirklichung der Wirtschafts- und der Währungsunion ergeben. Ich teile Ihre Meinung — das möchte ich ausdrücklich betonen —, daß man die Reihenfolge sehr vorsichtig aufeinander abstellen muß. Denn wenn man etwa einen Währungsfonds mit automatischen Ziehungsrechten und I, allem, was dazugehört, schaffte, könnte es passieren, daß die Wirtschaftsunion weit weniger schnell zustande kommt, als wenn man konjunkturpolitische Gemeinsamkeiten mit der allmählichen Entwicklung einer Währungsunion sozusagen etappenweise verbände.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606020200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606020300
Bitte sehr!

Dr. Fritz Burgbacher (CDU):
Rede ID: ID0606020400
Herr Bundesminister, das mag so sein. Aber glauben Sie, daß wir im Gemeinsamen Markt noch acht bis zehn Jahre Zeit haben, um mit Akribie, Geduld und allen möglichen guten Eigenschaften eine europäische Konjunktur-und Währungspolitik auf die Beine zu stellen? Woher wollen Sie die acht bis zehn Jahre bei der gegenwärtigen Lage nehmen?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606020500
Herr Professor Burgbacher, ich habe jetzt nicht zum Zeitfaktor gesprochen, sondern nur zur Aufeinanderfolge von währungs- und wirtschaftspolitischen Elementen bei der Schaffung einer Wirtschaftsunion. Wie es mit dem Zeitablauf wird, das werden nicht zuletzt auch die Umstände bestimmen,

(Sehr wahr! bei der SPD) wie das auch schon in der Vergangenheit der Fall war, wo wir ja die gesetzten Fristen weit unterschritten haben, weil wir das so wollten und weil die Umstände es erzwungen haben.

Zu der in Gang gekommenen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Währungspolitik kommt jetzt die gewollte Zusammenarbeit in den übrigen politischen Bereichen. Denn politische Zusammenarbeit, so wie wir sie jetzt schaffen müssen, heißt ja nicht etwa Zusammenarbeit in der Außenpolitik allein. Zunächst ist es die Außenpolitik, und da kann man sich noch darüber unterhalten, ob es Außenpolitik im weiteren oder im engeren Sinne ist. Ich zähle zur Außenpolitik im weiteren Sinne die Sicherheitspolitik hinzu.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. —Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist eine Funktion!)

Ich bin davon überzeugt, daß die Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Außenpolitik sehr bald die sicherheitspolitischen Vorstellungen einschließen muß. Aber zunächst wollen wir mit der Außenpolitik beginnen. In Viterbo haben wir darüber gesprochen.

(Abg. Behrendt: Für den Hallstein ist das alles nichts!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606020600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hallstein?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606020700
.Ta, bitte sehr!

Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606020800
Herr Bundesminister, wenn nicht von einem Automatismus, müssen Sie doch den Übergang zur Verteidigungspolitik oder die Erweiterung um sie von irgendeinem Zwang erwarten, der im Verfahren liegt oder in materiellen Verpflichtungen, die übernommen worden sind. Worin besteht dieser Zwang? Ich werde dieselbe Frage nachher verallgemeinern.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606020900
Ich komme darauf, weil ich jetzt damit beginnen will, was wir tun. Ich spreche jetzt von Viterbo, wo wir uns darüber unterhalten haben, wie man politische Zusammenarbeit in Gang setzen kann. Ich will zunächst einmal sagen, daß wir natürlich alle Pläne, die es früher gegeben hat, geprüft haben. Aber wir haben auch geprüft, warum diese Pläne gescheitert sind. Ich gebe Ihnen recht, daß Pläne, z. B. die hier in Bonn entstandenen, gescheitert sind, nicht etwa weil alle Partner des Gemeinsamen Marktes sie nicht akzeptieren wollten, sondern weil e i n Partner sie nicht wollte. Aber das war ausgerechnet ein sehr wichtiger Partner. Wenn wir jetzt etwas Neues beginnen wollen, müssen wir genauso sorgsam prüfen, ob alle unsere Partner, und jetzt sage ich dieses berühmte Wort: „in der Perspektive der Erweiterung des Gemeinsamen Marktes" bereit und in der Lage sind, die politische Zusammenarbeit auf einer Basis zu beginnen, die Sie offenbar zur Grundlage



Bundesminister Scheel
machen wollen. Herr Professor Hallstein, Ihnen ist das, was wir jetzt beginnen wollen, nicht gelungen.
Nun muß ich sagen, wenn Sie mir diesen Einschub erlauben, ich habe vor Ihnen, Herr Professor Hallstein, hohen Respekt nicht nur wegen Ihrer Verdienste um Europa, sondern auch wegen Ihrer Leidenschaft für Europa, aus beiden Gründen. Ich bin etwas enttäuscht gewesen über das Maß an Polemik, mit dem Sie heute Ihre Beiträge hier gewürzt haben. Ich bin nur etwas enttäuscht gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Behrendt: Das waren infame Unterstellungen!)

Man könnte darauf ebenso polemisch antworten, was ich aber nicht tun will. Wenn überhaupt, dann will ich nur eines sagen: um die politische Zusammenarbeit in Europa in Gang zu bringen, sollen wir, wie Sie uns empfohlen haben, bei unseren Freunden von Land zu Land herumreisen, um bei ihnen dafür zu werben, mit uns gemeinsam diesen großen Schritt, den sie nun visonär vor sich sehen, zu tun. Ich darf jetzt noch etwas erwähnen, was hier schon gesagt worden ist: Im Jahre 1962 sind Kollegen voll mir -- ich war damals Mitglied der Bundesregierung — bei unseren Freunden herumgereist und haben dort sehr gebremst, was die politische Zusammenarbeit angeht. Ich kann Ihnen versprechen, daß wir nicht bremsen, überhaupt nicht bremsen, ganz im Gegenteil, daß wir uns Mühe gegeben haben, von uns aus unseren Partnern Anregungen zu geben, die es möglich machten, praktisch mit der Zusammenarbeit zu beginnen. Aber ich zitiere Sie selbst: Das Gelände ist noch nicht, auch heute noch nicht, von allen Minen geräumt, und wir müssen mit einer gewissen Behutsamkeit vorgehen, wenn wir überhaupt erwarten wollen, einmal damit zu beginnen.
Und wir wollen zunächst nichts anderes als damit beginnen. In einer ersten Phase möchten wir nämlich zu politischen Konsultationen kommen. Hier komme ich auf etwas zurück, was der frühere Bundeskanzler Dr. Kiesinger heute vormittag gesagt hat: gemeinsame Institutionen brauchen gar nicht supranational zu sein, sie können natürlich auch entstehen, wenn man eine Koordinierung nationaler Institutionen vornimmt. Genau das wollen wir tun. Denn wir wollen da Konsultationen einleiten, die wir mit einem neu geschaffenen Wort „gehaltvolle" -- das ist eine Übersetzung von „qualifizierte" — Konsultationen nennen, d. h. solche, die in derselben Weise durch die technischen Dienste vorbereitet sind, wie man eine politische Entscheidung in einer nationalen Regierung vorbereitet. Das würde bedeuten, daß zu solchen gehaltvollen Konsultationen eine Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinaus zwischen den Beteiligten nicht institutionalisiert würde, aber de facto doch entstehen und bestehen müßte.
Das ist die erste Phase. Aus dieser Phase heraus würde sich dann die Verdichtung der Zusammenarbeit entwickeln. Denn es ist ja klar, daß zum Gegenstand der Konsultationen nicht nur die aktuellen politischen Fragen gemacht werden, sondern auch die Verbesserung des Verfahrens der Konsultationen selbst. Ja, ich vermute, wenn ich das hier einmal erklären darf, daß in der ersten Periode der Konsultationen überhaupt das Verfahren, d. h. das Institutionelle, im Vordergrund der Diskussionen stehen wird. Aber ich will erst einmal durch Regierungsbeschluß formell in die politischen Konsultationen eintreten, und das kann ich nur, wenn ich mit so wenig Institutionellem beginne wie überhaupt nur möglich.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606021000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hallstein?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606021100
Bitte sehr!

Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606021200
Herr Bundesminister, sehen Sie nicht, daß gerade das Automatismus ist, was Sie hier beschrieben haben? Sie erwarten von der bloßen Tatsache, daß zweimal im Jahr je ein Tag über außenpolitische Fragen geredet wird, die Entwicklung eines Entschlusses, diese Art der Zusammenarbeit zu verändern, nämlich zu verbessern und zu vertiefen. Das ist doch Automatismus. Sehen Sie nicht, daß unsere ganze Erfahrung in den europäischen Dingen beweist, daß wir so nicht weiterkommen?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606021300
Sie haben mich gefragt, ob das Automatismus ist. Das ist eben kein Automatismus,

(Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Sehr richtig! — Aber Realismus!)

sondern das ist die realistische Einschätzung der Möglichkeiten, verbunden mit dem Willen, der dahinter steht, dem Willen, zur europäischen Einheit zu kommen; das ist das Entscheidende.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Hallstein: Eben der reicht. nicht!)

Nun möchte ich zum nächsten Punkt kommen, der von beiden Herren, von Herrn Professor Furler und Herrn Professor Hallstein, hier erwähnt worden ist. Das ist die Rolle des Europäischen Parlaments in der europäischen Entwicklung. Ich weiß, daß das, was wir bisher dort beschlossen haben — insgesamt jetzt, über die Jahre weg —, noch nicht ideal ist. Es ist eben nicht die Ablösung der Souveränität der nationalen Parlamente durch die Souveränität eines europäischen Parlaments. Aber auch hier sind wir immer nur so weit vorwärts gekommen, wie — und in diesem Falle geht es gar nicht anders — der letzte der Partner bereit war, unter dem Druck der anderen — ohne Druck der anderen wäre überhaupt nichts passiert — mitzugehen. Zu denen, die gewaltig gedrückt haben — nicht mit Sporen, aber vielleicht mit anderen Mitteln —, gehörte an der Spitze sicher die Bundesrepublik. Denn wir sind der Meinung, daß, wenn wir schon Souveränitäten aufgeben, diese Souveränitäten in einer demokratischen Struktur in Europa hinüberwachsen müssen in ein europäisches Parlament, das auch vollen demokratischen und vollen parlamentarischen Einfluß haben muß. Aber es ist noch nicht so weit. Immerhin sind



Bundesminister Scheel
wir etwas weitergekommen. Es gibt jetzt schon einen besseren Dialog durch das, was Ihnen vorliegt. Die Haushaltsbefugnisse sind immerhin schon um einen Schritt konkret erweitert worden. Es ist aber nicht zu vergessen, daß der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auch eine Entscheidung getroffen hat, in zwei Jahren dieses Problem noch einmal zu diskutieren, mit dem ausgesprochenen Ziel, dann dem Parlament zusätzliche Befugnisse zu geben. Die direkten Wahlen werden von allen Partnerstaaten bisher als Ziel immer noch verteidigt, wenn auch einige Partner — „einige" ist sozusagen Camouflage, möchte ich fast sagen — nicht so recht heran wollen.
Ich habe mir mal Mühe gegeben, im Rat durch einen Vermittlungsvorschlag einen Schritt weiter zu kommen. Ich habe vorgeschlagen, man möge die Wahl der Parlamentarier zum Europäischen Parlament nach zwei verschiedenen Methoden vornehmen: die Hälfte der Parlamentarier, so viel wie jetzt, 142 sind es wohl, aus den nationalen Parlamenten zu entsenden, die andere Hälfte direkt zu wählen. Der Vorschlag ist diskutiert worden, er wurde auch als erwägenswert empfunden. Aber wir sind noch nicht weiter gekommen. Das hängt mit so vielen Dingen zusammen, etwa damit, ob in Italien Wahlen sind oder nicht, oder mit anderen Dingen in den verschiedenen Partnerländern. Man muß immer weiter mit Zähigkeit an dieser Sache arbeiten. Wir wollen das tun.
Jetzt kommt das Verhältnis „politische Zusammenarbeit und Europäisches Parlament", das Sie, Herr Professor Hallstein, mit Recht hier erwähnt haben. Sie haben auf die Sterilität von Berichten hingewiesen. Man muß ja wissen, daß Berichte, wenn es sich um politische Zusammenarbeit handelt, vorher eben unter den beteiligten Regierungen in einer Ministerkonferenz besprochen werden müssen. Das ist ja nicht Teil des Vertrages, was wir in der politischen Zusammenarbeit machen. Also: wir müssen das dort besprechen. Den Bericht, der da herauskommt, kann ich mir natürlich lebhaft vorstellen. Aber lebhaft ist er nicht; darauf können Sie sich mit Sicherheit verlassen. Das ist ein Bericht, der — es gibt einen klassischen Ausdruck, den ich jetzt unterdrücke — wirklich steril ist, möchte ich einmal sagen. Da müssen wir eine andere Methode zu finden versuchen. Es hat sich in der Vergangenheit erwiesen, daß die Kolloquien mit dem Parlament in den Fachausschüssen des Parlaments zu mehr Gedankenaustausch führen, als solche Berichte an Gedankenaustausch provozieren. Aber das ist im übrigen noch nicht beschlossen, sondern das sind im Augenblick Vorschläge, die noch beraten werden. Denn die Minister der sechs Partnerstaaten haben ihren Bericht an die Regierungschefs noch nicht abgegeben, auch noch nicht zu Ende beraten und noch keinen Beschluß darüber gefaßt.
Nächster Punkt wäre die Frage — die Herr Professor Furler hier aufgebracht hat — der Sonderverträge mit den EFTA-Ländern, die nicht der EWG beitreten. Wir haben damals ja schon in Den Haag erklärt, daß wir nach der Eröffnung der Verhandlungen mit den vier beitrittswilligen Ländern auch eine
Gesprächsrunde mit den anderen EFTA-Staaten beginnen wollen, weil es als unerträglich erscheint, daß durch den wünschenswerten Beitritt von vier Ländern zur EWG in Europa selbst ein neuer Zollgraben aufgerissen wird. Wir müssen also, um das zu vermeiden, weil wir ja die europäische Einheit insgesamt wollen,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

den Versuch machen, mit diesen anderen EFTA-Ländern sofort zu sprechen, um die Probleme mit ihnen zu erörtern, die dadurch entstehen, daß die vier die EFTA verlassen.
Dann kommt das Problem: Sondervertrag oder Beitritt? Schweden hat erklärt, es wolle der EWG beitreten; aber Schweden ist ein neutrales Land, durch eigenen politischen Willen ein neutrales Land, und das gibt Komplikationen. Ich meine, ohne jetzt in diese Einzelheiten eindringen zu wollen, wir sollten unser Handeln in dieser Frage ganz klar danach ausrichten: die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft so, wie sie mit ihrer politischen Finalität gegründet worden ist, wozu sich die vier beitrittswilligen Länder heute klar bekannt haben, zu Ende zu führen, auf diesem Wege weiterzugehen, aber in Europa selbst so viel Zusammenarbeit wie überhaupt nur möglich zu entwickeln, auch mit solchen Ländern, die wegen der politischen Finalität oder der politischen Struktur der Partnerstaaten nicht direkt Mitglied werden können. Ich habe jetzt schon einen anderen mit genannt, wie Sie unschwer erkannt haben. Ich bin aber der Meinung, daß man auch mit diesen Ländern ein sehr dichtes Verhältnis entwickeln muß, wenn man überhaupt an die Notwendigkeit der europäischen Zusammenarbeit für ganz Europa denkt.
Nun kommt der letzte Punkt, der von den beiden Herren erwähnt worden ist, nämlich die Frage, ob unsere Osteuropapolitik nicht die Integration im Westen behindert. Ich habe hier schon mehrfach gesagt, daß für die Bundesregierung Westeuropapolitik oder, wenn Sie wollen, die europäische Integrationspolitik auf der einen Seite und die Politik den osteuropäischen Ländern gegenüber auf der anderen Seite ein unauflösliches Ganzes einer Konzeption sind. Ich habe gestern, glaube ich, in der Diskussion in diesem Zusammenhang noch einmal betont, daß nach unserer Auffassung die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in ihrem jeweiligen Integrationsgrad, und zwar in ihrem wachsenden Integrationsgrad das Element für eine europäische Friedensordnung ist, wie sie einmal entstehen könnte. Es ist also ganz abwegig, zu denken, die Konferenz über europäische Sicherheit könnte am Ende die Zerschlagung der Integrationsbereiche in Europa zur Voraussetzung machen, damit eine europäische Friedensordnung entsteht. Das ist eine abstruse Idee.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wenn wir eine Konferenz über europäische Sicherheit einmal haben werden, dann wird die EWG in ihrem Integrationsgrad das Element sein müssen, über das man beim Zustandekommen einer europäischen Friedensordnung reden wird. Das wollte ich hier noch einmal sagen. Es gibt also hier keine



Bundesminister Scheel
Alternative, sondern wir sind gezwungen, das bei allem, was wir tun, zu berücksichtigen. Aber wir tun es nicht aus Zwang, sondern weil wir davon überzeugt sind, daß Europa nur leben wird, wenn wir auf dem Wege der Integration weitergehen, auf dem wir begonnen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606021400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606021500
Bitte sehr, Herr Abgeordneter!

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0606021600
Herr Bundesaußenminister, haben Sie zur Kenntnis genommen — ich unterstelle es , daß die von Ihnen als abstrus qualifizierte Idee eines Gegensatzes zwischen westeuropäischer Integration und Zustandekommen einer gesamteuropäischen Friedensordnung offenbar eine Idee ist, die von maßgeblichen sowjetischen Kreisen nicht für abstrus gehalten; sondern als politisches Prinzip hingestellt wird, und daß etwa in Artikeln in der „Prawda", die offenbar inspiriert waren, eben diese Unvereinbarkeit zwischen dem, was man dort Blockbildung im Westen nennt, und gesamteuropäischer Friedensordnung behauptet worden ist?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0606021700
Lassen Sie mich dazu zwei Dinge sagen. Zunächst einmal: Das habe ich nicht zur Kenntnis genommen, aber das liegt vielleicht daran, daß wir unterschliedliche Auffassungen über maßgebliche sowjetische Kreise haben.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das steht in der „Prawda" !)

Zweitens geht es in unserem Fall ja ausschließlich darum, wonach wir unser Handeln ausrichten. Das, was wir wollen, sage ich hier ja, also nicht etwa unter Ausschluß der Öffentlichkeit; ich sage es hier ganz öffentlich. Jetzt muß ich unsere Ziele nur noch bei meinem Handeln berücksichtigen. Ich versichere Ihnen, es gibt — das habe ich heute morgen gesagt — keine Gespräche oder Verhandlungen mit osteuropäischen Ländern, die unsere Bewegungsfreiheit im Westen einengen könnten oder die das Zusammenwachsen Europas beeinträchtigten. Solche Gespräche gibt es einfach nicht. Das muß ja nun endlich einmal als gemeinsame Grundlage der Politik auch in diesem Hause anerkannt werden und gültig sein.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, es gibt keine Alternative zwischen diesen beiden Politiken, zwischen Integrationspolitik und Osteuropapolitik, sondern wir geben uns alle Mühe, und wir verwenden alle Energie darauf, auf beiden Gebieten gleichmäßig vorwärtszukommen. Beide Gebiete — Herr Professor Furler, ich gebe Ihnen recht — erfordern nicht nur Energie, sondern sie erfordern auch Festigkeit und Geduld. Auf keinen Fall darf man eine solche Politik hektisch betreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Was für Osteuroa gilt, gilt auch für Westeuropa. Auch da ist es nicht fünf Minuten vor zwölf; das ist es in der Politik fast nie.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und wenn es dort fünf Minuten vor zwölf wäre, müßte der frühere Bundeskanzler etwa gegen elf Uhr geschlafen haben.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Ich will der intellektuellen Redlichkeit halber noch etwas sagen, weil Sie, Herr Professor Furler, diesen Punkt angesprochen haben. Ich habe nie etwas anderes gesagt als dies: Die Bundesregierung nimmt nicht für sich in Anspruch, daß sie etwa von sich aus die europäische Entwicklung in Westeuropa hätte in Gang setzen können. Die Bundesregierung hat vielmehr darauf hingewiesen — ich habe das gestern getan —, daß die Veränderungen in Frankreich dabei sehr wohl eine große Rolle gespielt haben.

(Abg. Dr. Jahn [Braunschweig] : Eine sehr große Rolle!)

Herr Professor Hallstein — das möchte ich abschließend sagen —, Sie haben mich getadelt, weil ich gesagt habe, daß wir Einzigartiges erreicht haben. Herr Professor Hallstein, ich habe nicht gesagt, daß diese Bundesregierung Einzigartiges erreicht habe. Ich möchte diese Passage, damit es klar wird, jetzt zitieren, obgleich ich mich nicht gern selbst zitiere. Ich habe folgendes gesagt:
Was wir in Europa bis jetzt geschaffen haben, ist viel, ist sogar einzigartig. Nirgends sonst in der Welt gibt es ein solches Ausmaß an Zusammenarbeit und Integration.
Ich glaube, das ist die reine Wahrheit. Dafür, daß das so weitergeht, wollen wir uns, so glaube ich, gemeinsam einsetzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606021800
Das letzte Wort hat Frau Abgeordnete Klee.

Marie-Elisabeth Klee (CDU):
Rede ID: ID0606021900
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas aus der Sicht der WEU sagen, denn die WEU stand gerade im Interesse aller, als hier die Ministerratssitzung stattgefunden hat. Frankreich nahm zum erstenmal daran teil, und damit war auch das Ministerkomitee wieder aktionsfähig. Im Anschluß daran äußerte der Bundespressechef:
Die Bundesregierung stellt mit Befriedigung fest, daß diese Politik von den Mitgliedstaaten der WEU voll gebilligt und unterstützt wird.
Gemeint waren mit dieser Politik — ich zitiere wörtlich — „die Verhandlungen mit der Sowjetunion



Frau Klee
und anderen Staaten des Warschauer Paktes inklusive der DDR". In Wirklichkeit bezeichneten die WEU-Minister die derzeitige Ostpolitik Bonns und ihre Methoden als „mutige Politik". Sie behielten sich aber die endgültige Wertung bis zum Herbst vor, weil es unmöglich sei, die Substanz bereits jetzt zu beurteilen.
Auch die WEU-Versammlung, der 89 Parlamentarier aus den sechs EWG-Ländern und Großbritannien angehören, steht fälschlicherweise in dem Ruf der sehr positiven Einstellung und Reaktion auf die neue Bonner Ostpolitik.

(Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)

Wie sieht es damit in Wirklichkeit aus? Wenn am 3. Juni eine Empfehlung angenommen wurde, in der die Bemühungen der Bundesregierung um den Abschluß konkreter Abkommen mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin begrüßt werden, so nur, weil in derselben Resolution gesagt wird, daß sämtliche Gespräche und Verhandlungen mit den kommunistischen Ländern nur dann gebilligt werden können, wenn sie von westlicher Seite aus mit Nüchternheit und vor allem ohne vorherige Verpflichtung geführt werden.

(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

Um noch einem Mißverständnis vorzubeugen: Nachträglich könnte der Passus in dieser Empfehlung vom 3. Juni, daß die Bemühungen der Bundesregierung um den Abschluß konkreter Abkommen mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin begrüßt werden, so verstanden werden, als ob es sich um Teile des erst am 12. Juni bekanntgewordenen Bahr-Papiers oder konkrete Kenntnis der Verhandlungen in Warschau gehandelt habe. Das ist nicht der Fall. Im Kreis der europäischen Parlamentarier war am 3. Juni natürlich die Tatsache der Verhandlungen, nicht aber deren Substanz bekannt. Ich will nicht im Detail auf die zahlreichen Äußerungen in den Ausschüssen und im Plenum eingehen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606022000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0606022100
Frau Kollegin, könnten Sie sich vorstellen, daß es — bei aller Würdigung dieser Arbeit — nicht so sehr entscheidend ist, ob zu diesem Zeitpunkt ein Parlamentarierausschuß der WEU im einzelnen über den Stand der Konsultationen der Bundesregierung mit den östlichen Staaten informiert ist, sondern daß vielmehr die Tatsache entscheidend ist, daß der Bundesaußenminister unsere Verbündeten auf diplomatischem Weg auch über den Stand im einzelnen so informiert hat, daß sie in der Lage sind, ein politisches Urteil als Regierungen der befreundeten Staaten zu fällen?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Marie-Elisabeth Klee (CDU):
Rede ID: ID0606022200
Herr Kollege, Sie reden parallel an mir vorbei. Ich habe gesagt, daß diese Resolution, die wir in der WEU-Versammlung gefaßt haben, niemals auf die Substanz dieser Verhandlungen angewendet werden kann. Es genügt, wenn man die wirkliche Meinung der WEU-Versammlung kennen will, die Protokolle zu lesen; denn darin gibt es eine Menge sehr kritischer Äußerungen. Man muß aber die Empfehlungen der WEU-Versammlung mit großer Aufmerksamkeit berücksichtigen; denn in ihnen kommt die Meinung der Parlamentarier aus sieben Ländern und damit die öffentliche Meinung ihrer Völker zum Ausdruck. Resolutionen können nämlich nur einstimmig per Akklamation oder in namentlicher Abstimmung verabschiedet werden.

(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

Die WEU ist zur Zeit das einzige im eigentlichen Sinn europäische Instrument für die ständige Beratung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung und der Politik. Trotzdem wird zur Zeit häufig die Frage gestellt, ob sich die WEU durch die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen der Gemeinschaften mit Großbritannien und drei weiteren Ländern nicht von selbst überlebt habe. Das kommt daher, daß manche die Aufgabenstellung der WEU nur in der Klammer zwischen den sechs EWG-Ländern und Großbritannien sehen. Ich schließe mich in diesem Fall Ihrer Meinung, Herr Bundesaußenminister, an, daß die WEU noch eine ganze Weile sehr nützliche Dienste leisten kann. Diese Organisation ist ein viel zu wertvolles Instrument, als daß man einfach darauf verzichten könnte. Jahrelang konnte sie jederzeit und ohne jede Vorbereitung zur Bewältigung schwierigster Probleme genutzt werden; ich erwähne z. B. die Lösung der Saarfrage, die Minderung des Grabens zwischen EFTA und EWG. Der niederländische Außenminister Luns nannte sie deshalb den ständig bereiten Katalysator für alle europäischen Fragen. Sollte sie nicht auch in Zukunft für sehr Schwieriges nutzbar sein? Insbesondere für uns Deutsche ist die WEU von besonderer Bedeutung. Nur auf der Basis des Vertrauens, das aber ständig durch offene umfassende Konsultationen gepflegt werden muß und dadurch eine möglichst enge Verklammerung mit den Verbündeten ermöglicht, ist eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik durchführbar. 'Das gilt sowohl für die Fragen, dié ausschließlich den Westen berühren, wie die Zusammenarbeit der Europäer in der NATO, wie auch die Bewältigung ihrer Aufgaben gegenüber der Dritten Welt, die technologische und wissenschaftliche Zusammenarbeit, die allein die führende Stellung Europas auch in kommenden Jahrzehnten sichern kann.
Aber auch in der Ostpolitik kann die Bundesregierung gar nicht eng genug mit unseren WEU-Partnern zusammenarbeiten.

(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Tut sie doch, Frau Kollegin! — Abg. Fellermaier: Das sind doch Selbstverständlichkeiten, was Sie da sagen!)

— Die Zusammenarbeit könnte noch enger sein. Wir können ja mit ihnen gemeinsam sehr viel wirksamer den Interventionsanspruch Rußlands angehen, denn die WEU hat immer in aller Entschiedenheit Stellung genommen und die Doktrin der sogenannten eingeschränkten Souveränität zurückgewiesen, bis jetzt immer wieder. Die WEU-Versammlung und das Ministerkomitee haben sich aber auch



Frau Klee
absolut eindeutig zur Entspannung geäußert, daß sie nämlich immer auf Gegenseitigkeit und auf die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, beruhen muß.
Zur Verhandlungstaktik verlangen unsere Partner seit jeher, daß keine Vorleistungen erbracht werden, die zu einer Schwächung des Westens führen. Das ist das eigene Interesse unserer Freunde, das zu wahren wir verpflichtet sind.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Gemeinsames Interesse!)

Doch Sinn und Zweck der WEU, dieser Gemeinschaft europäischer Länder, die sich für 50 Jahre zur automatischen Beistandspflicht bekannt und zur Solidarität verpflichtet haben, kommt in einem Satz des Vertrages zum Ausdruck, der in der Formulic rung Konrad Adenauers übernommen wurde:
Die Vertragspartner sind entschlossen, die Einheit Europas zu fördern und sich für eine fortschreitende Integration Europas einzusetzen.
In diesem Sinne wollen wir mit aller Energie arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606022300
Meine Damen und Herren, ich hatte Frau Klee das letzte Wort erteilt, weil mir mitgeteilt wurde, daß interfraktionell der Schluß für 18 Uhr vorgesehen sei. Nun hat sich herausgestellt, daß die noch Nachfolgenden sich alle sehr kurz fassen wollen, und so meine ich, sollten wir bei dem ursprünglichen Endtermin um 18.30 Uhr bleiben. Ich wäre nur dankbar, wenn sich alle, die jetzt noch kommen, möglichst kurz faßten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0606022400
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier auf einen Punkt zurückkommen. Die Bundesregierung — das scheint mir uneingeschränkt anerkannt zu sein — hat in Den Haag mit anderen etwas bewerkstelligt, was die europäische Frage wieder in Gang gebracht hat. Wir haben zweitens in der Europäischen Gemeinschaft eine Grundlage, von der aus die weitere Integration wirtschaftlicher und politischer Art vorwärtsgetrieben werden kann. Jetzt wird die Bundesregierung aktiv. Wir haben vier Stufenpläne vorliegen, die aussagen, in welcher Weise die Wirtschaftsunion vollendet werden kann.

(Abg. Dr. Burgbacher: Zehn Jahre!)

— Ob zehn Jahre benötigt werden — dazu möchte
ich das unterstreichen, was dei Bundesaußenminister gesagt hat —, das wird sich aus der weiteren Entwicklung ergeben. Ich möchte aber mit Nachdruck unterstreichen, daß ich es für dringend erforderlich halte, daß so, wie es auch vom Bundeswirtschaftsminister im Rahmen der EWG vorgeschlagen ist, die Konjunkturpolitik, die allgemeine Wirtschaftspolitik mit allem, was dazugehört, an den Anfang gestellt wird. Dabei dart man dann die Frage stellen, ob die Geschichte mit der Währung — sprich: die Bandbreiten — zu einem früheren
Zeitpunkt möglicherweise verändert werden könnte. Ich wollte also nur darauf hinweisen: Die Bundesregierung wird aktiv. Hier wird jetzt beklagt, daß sie aktiv wird, genauso, als wenn sie nicht aktiv wäre. Wir sollten uns darüber einig sein, von diesem Parlament her die Entwicklung zu fördern.

(Beifall bei der SPD.)

Zum anderen sollten wir von hier aus auch den Vertragswillen noch einmal bekräftigen und betonen, daß wir alle miteinander bereit sind — und mir scheint, die Bundesregierung tut das auch —, nationale Zuständigkeiten in zunehmendem Maße an die europäischen Institutionen unter den hier genannten Voraussetzungen, die ich nicht zu wiederholen brauche — abzutreten. Ich meine, meine Damen und Herren, auf dieser Basis könnten wir uns hier verständigen, und auf dieser Basis kann auch dieses Parlament, wenn Sie so wollen, ohne einen formalen Beschluß votieren und den Kollegen, die in Europa, insonderheit im Europäischen Parlament, tätig sind, die notwendige Rückendeckung auch für ihre Absichten, für ihr Verhalten, für ihre Tätigkeit geben. Ich meine also, man sollte hier der Bundesregierung nicht irgendwelche Vorwürfe machen, sonst muß ich annehmen, daß bei unserer verehrten Opposition eine gewisse Schizophrenie besteht, daß sie nicht ganz genau weiß, wohin sie eigentlich marschieren will. Insoweit müßte dieses Parlament das unterstützen, was hier seitens der Bundesregierung vorgetragen und als Absicht und Ziele dargestellt worden ist vom Bundeskanzler, vom Außenminister, vom Wirtschaftsminister und vom Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

(Abg. Dr. Wagner [Trier]: Wer kritisiert, ist schizophren?!)

Ich würde also empfehlen, in dieser Richtung weiterzugehen und mit Nachdruck — das werden wir im Europäischen Parlament und seinen Ausschüssen tun — die Unterhaltung über die Stufenpläne fortzusetzen, so daß wir auch das, was der Vertrag erfordert, die Wirtschaftsunion, in absehbarer Zeit vollenden können — mit der aufgestockten Währungsunion.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606022500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0606022600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich kurzfassen; denn ich hatte bereits gestern die Ehre, die Auffassung der FDP zu diesem Fragenkomplex darzulegen. Ich darf daher nur noch auf zwei Punkte eingehen, insbesondere auf die Rede von Herrn Prof. Dr. Hallstein.
Meine Damen und Herren! Ich gehöre seit langen Jahren dem Europarat in Straßburg an. Was die Arbeit im Europarat in Straßburg besonders liebenswert macht so möchte ich fast sagen , ist die Objektivität unter uns Mitgliedern der deutschen Delegation. Da spielt es wirklich keine Rolle bei der Behandlung sachlicher Fragen, ob ich der
3364 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn Donnerstag, den 18. Juni 1970
Dr. Rutschke
FDP angehöre, der SPD oder der CDU, sondern wir haben eine gute Zusammenarbeit. Ein besonders leuchtendes Beispiel hat auch Herr Prof. Furler heute an diesem Tische hier abgegeben, als er diese Objektivität auch in diesen Raum hier getragen hat. Sehr abgestochen haben Sie, Herr Prof. Dr. Hallstein. Sie haben hier als strammer Parteiredner gesprochen, so im Stil von Herrn Wörner.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Keine Spur! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun sind Sie doch eigentlich als ehemaliger Präsident — —

(Zuruf e von der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich das doch auch einmal sagen! Oder empfinden Sie es schon als so schrecklich, wenn man sich erlaubt, zu kritisieren, daß hier eben nicht objektiv geredet wird? Das haben wir drei Tage lang erlebt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn ein Mann wie Prof. Furler objektiv ist, muß man doch sagen können, wenn ein Mann nicht objektiv ist.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Stimmt aber nicht!)

Es ist alles widerlegt worden. Was er beanstandet hat, ist vom Bundesaußenminister und vom Landwirtschaftsminister widerlegt worden. Es ist einfach nicht so.
Nun sagten Sie, Herr Prof. Furler, daß hier eventuell eine Legendenbildung stattfinden könnte. Ich glaube, weder der Außenminister noch einer von der Koalition hat verkannt, daß es in der Vergangenheit sicherlich durch die Haltung Frankreichs für den deutschen Bundeskanzler schwierig gewesen ist, in der Frage der europäischen Integration weiterzukommen. Ich weiß allerdings nicht, ob der Bundeskanzler Kiesinger, wenn er, sagen wir, auch noch in Den Haag tätig gewesen wäre, diesen Erfolg hätte haben können.

(Sehr wahr! bei der SPD.) Das muß ich begründen.


(Abg. Dr. Wagner [Trier] : In der Tat, das müssen Sie! Das ist ja märchenhaft!)

Ich denke daran, daß Herr Bundeskanzler Kiesinger, als er mit den Engländern über die Erweiterung der Gemeinschaft sprach, für ihre Haltung Verständnis zeigte. Er fuhr anschließend nach Frankreich. Da wurde ihm der Standpunkt der Franzosen vorgetragen. Auch dafür hatte er Verständnis. Aber beide Forderungen schlossen sich gegenseitig aus.
Meine Damen und Herren, das kommt mir so vor wie bei dem Richter, der die Einvernahme der Parteien vornimmt und zur ersten Partei sagt: Jawohl, Sie haben recht. Dann sagt er der nächsten Partei: Ja, auch Sie haben recht. Schließlich sagt ein Anwalt: Hören Sie einmal, Herr Richter, wie können Sie dieser Partei und der anderen Partei recht geben? Darauf sagte der Richter: Auch Sie haben recht.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]: Das ist ja so trivial! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

Das war doch im wesentlichen die Europapolitik in dieser Richtung. Das müssen Sie doch sehen. Ich glaube, daß, wenn Herr Kiesinger in Den Haag erschienen und auf den Außenminister von Herrn Pompidou getroffen wäre, dieser dann wahrscheinlich etwas anders reagiert hätte, nachdem er wußte, daß Herr Kiesinger empfohlen hatte, nicht Herrn Pompidou, sondern Herrn Lecanuet zu wählen. Ich meine, daß war ein diplomatisches Meisterstück. Aber auch das wollen wir hier dabei betrachten und nicht ganz außer acht lassen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Bringen Sie das doch in Ihren Memoiren unter!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606022700
Das Wort hat Frau Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Focke.

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0606022800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann genau da anschließen, wo Herr Rutschke eben aufgehört hat. Auch ich habe diese Diskussion hier heute nachmittag als wohltuend empfunden, im Unterschied zu dem, was wir hier in der letzten Zeit erlebt haben. Es war eigentlich sogar eine Diskussion unter europäischen Freunden und Verbündeten über die Parteischranken hinweg.
Der einzige kleine Mißklang — erlauben Sie, daß auch ich das noch einmal sage —

(Zuruf von der SPD: Ein großer Mißklang!)

war Ihr Beitrag, Herr Professor Hallstein. Da ich Sie in vielen Jahren der europäischen Zusammenarbeit im Grunde als einen objektiven Mann mit einem scharfen analytischen Verstand in der Beurteilung von Dingen, Motiven und Situationen kennengelernt habe, möchte ich doch noch einmal versuchen, mit drei oder vier kleinen Argumenten zu Dingen Stellung zu nehmen, wo ich wirklich glaube, daß Sie an der sachlichen Beurteilung der Situation vorbeigeschossen haben.
Da ist einmal Ihre Forderung nach dem Stufenplan für die politische Zusammenarbeit. Herr Hallstein, Sie müssen eigentlich wissen, daß zwischen einem Stufenplan für wirtschaftliche Zusammenarbeit und einem solchen für politische Zusammenarbeit ein außerordentlich großer Unterschied besteht. Es hat noch niemand — auch nicht die europäische Bewegung, die ja nun von diplomatischen und anderen Rücksichten frei ist und deren Präsident Sie sind — fertiggebracht, ein Modell für einenStufenplan für die europäische Zusammenarbeit wirklich bis hin zum Ende eines europäischen Bundesstaats zu entwickeln. Ich glaube, diese Forderung — lassen Sie uns das hier doch alle eingestehen — ist wirklich unrealistisch.

(Zuruf von der SPD: Wirklichkeitsfremd!)

— Sie ist wirklichkeitsfremd. Sie ist auch, wie ich unterstreichen möchte, in der Zeit der FouchetPläne absolut nicht erfüllt worden. Aber gerade deswegen bin ich froh, daß wir da nicht wieder anknüpfen, daß wir überhaupt diesmal das Ganze



Parlamentarischer Staatssekretär Frau Dr. Focke
nicht in die Form eines feierlichen Vertrags mit dem Anspruch, idles sei schon die politische Union, kleiden, sondern daß wir uns mit einem ersten Schritt begnügen, der an frühere regelmäßige Treffen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft anknüpft.
Dies heißt nicht, daß wir nicht die Notwendigkeit der Entwicklung oder ,das Ziel des europäischen Bundesstaats sehen, zu dem dies hinführen muß.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606022900
Frau Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hallstein?

Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606023000

(daß die Pläne, auf die ich selber Bezug genommen habe, Idle nach 1961 entworfen worden sind, ,alles Stufenpläne sind, daß eine Einigung von fünf Regierungen über solche Stufenpläne bereits bestanden hat und sogar eine Chance da war, wie wir nachträglich wissen, daß sich diese Pläne bei den Sechs hätten durchsetzen können? Herr Hallstein, die Pläne habe ich damals wirklich alle sehr gut verfolgt. Ich würde sie alle nicht mit „Stufenplan" kategorisieren. Sie haben etwas mehr institutionelles Korsett eingezogen, z. B. in Form eines eventuellen Generalsekretariats. Ich gebe Ihnen auch recht, daß wir das brauchen. Aber es ist nicht unbedingt nötig, daß wir das heute beim ersten Schritt beschließen. Ich hoffe, das kommt sehr bald nach. Ich bin dafür, daß das in diesem Parlament auch gefordert wird. Diese Regierung hat das vorgeschlagen; sie ist im Grunde für das Generalsekretariat. Aber es war keine Einigung zu erzielen, und wenn man vor der Frage steht: gar nichts oder ein Anfang, so sollten wir diesmal den Weg des Anfangs gehen, um so mehr ,als wir dies nicht in eine Vertragsform kleiden, sondern als das bezeichnen, was es ist: einen ersten Schritt. Ich möchte auch noch einmal zu der Frage der Generationen Stellung nehmen. Herr Hallstein, der Bundeskanzler hat dies nicht — und es ist wirklich eine Unterstellung, es so darzustellen — als ein Alibi dafür gesagt, daß man jetzt nichts tun müsse. Er hat selbst bewiesen — und das beweist auch die Regierungskoalition, die ihn unterstützt —, daß er gewillt ist, jetzt alles in seiner Kraft Stehende zu tun. Aber das schließt nicht aus, daß man gleichzeitig einsieht, daß man nicht alles in einer Generation schaffen wird. In der wirtschaftlichen Entwicklung, wo wir nun schon 12 Jahre dabei sind und wahrscheinlich noch 8 Jahre brauchen, um die Wirtschaftsund Währungsunion zu vollenden, haben wir schon eine Spanne von 20 Jahren. Wir erhoffen Sie sich, daß wir mit der politischen Zusammenarbeit bis zum europäischen Bundesstaat eigentlich in sehr viel kürzeren Fristen vorankommen sollten? Es ist nur realistisch, aber nicht Ausdruck von Defätismus und Mangel an Einsatz, wenn man heute mit einer gewissen Zeitspanne vor Augen an die Arbeit geht. Sie haben im übrigen, was das Ziel des Bundeskanzlers, nämlich den europäischen Bundesstaat, betrifft, Zweifel angemeldet. Ich kann nicht verstehen, daß Sie ernsthaft solche Zweifel anmelden, nicht zuletzt wenn ich Ihr eigenes Argument betrachte, daß die Wirtschaftsund Währungsunion und die Entscheidung dafür, die in Den Haag gefallen ist, eigentlich die Bewegung auf den Bundesstaat hin nun endgültig erzwingt. Gerade für diese Entscheidung hat sich dieser Bundeskanzler nach Kräften eingesetzt. Frau Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Hallstein? Ja, gern. Warum hat, wenn das so ist, die Bundesregierung auf die Frage nach der Haltung der Bundesregierung nicht mit einem klaren Ja zum Bundesstaat geantwortet? Ich habe das aus der Antwort auf die Große Anfrage durchaus herausgelesen, Herr Professor Hallstein. Der Herr Bundeskanzler hat hier in diesem Haus bei einer der letzten außenpolitischen Diskussionen noch einmal sehr deutlich dieses sein Ziel genannt und den Hinweis damit verbunden, daß das im übrigen seit 1925 im Programm der Sozialdemokratischen Partei steht. Ich glaube, gewisse Dinge müssen doch einmal außerhalb des Zweifels stehen. Das ist, wenn ich es so sagen darf, eigentlich mein Hauptärgernis an Ihrem Diskussionsbeitrag heute. Ich verstehe, wenn Abgeordnete hier — wie gegenüber jeder Regierung — sagen: ihr macht es nicht schnell genug, und ihr müßt mehr tun. Das ist das gute Recht jedes Parlaments. Das ist übrigens ein Recht, das sich auch das Europäische Parlament der Europäischen Kommission gegenüber, als Sie noch Präsident waren, herausgenommen hat. Da haben Sie das von der anderen Seite der Barrikade auch immer zu hören bekommen, Herr Professor Hallstein. (Abg. Dr. Hallstein: Wir haben ja hier keine Mehrheit dafür!)

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0606023100

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606023200
Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0606023300
Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606023400
Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0606023500
— Hier gibt es durchaus Gemeinsamkeit zwischen den Abgeordneten aller Fraktionen. Die ist hier heute nachmittag, glaube ich, sehr deutlich geworden: daß man eben mehr und Schnelleres will, daß man sich da in gewissen Vorstellungen durchaus trifft, übrigens in Vorstellungen, die auch diese Bundesregierung mitträgt; nur daß wir durch gewisse Dinge, die nun einmal mit der Tätigkeit einer Regierung im Unterschied zu den Forderungen eines Parlaments zusammenhängen, gehindert sind, ganz so schnell voranzugehen, wie wir uns das selber auch erhoffen dürfen.
Aber was ich nicht verstehe, Herr Hallstein, ist, daß Sie falsche Alternativen aufstellen und aus der Tatsache heraus, daß bestimmte Dinge nicht sofort



Parlamentarischer Staatssekretär Frau Dr. Focke geschehen, die Motive und die Zielsetzung überhaupt in Zweifel ziehen.

(Abg. Dr. Hallstein: Aber das habe ich nicht getan!)

— Doch, das haben Sie in bezug auf diese Bundesregierung, insbesondere in bezug auf den Bundeskanzler, heute hier getan, und das ist etwas, was mir im Zusammenhang mit dem, was an westeuropäischer Initiative in den letzten Monaten hier erfolgt ist, und im Zusammenhang mit vielen Taten und Äußerungen dieses Bundeskanzlers in der Vergangenheit unverständlich ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606023600
Frau Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Walter Hallstein (CDU):
Rede ID: ID0606023700
Haben Sie überhört, Frau Kollegin, daß ich das Gegenteil ausdrücklich gesagt habe, mit den Worten nämlich, daß eine Bundesregierung nicht nur für das haftet, was sie will, sondern auch für das haftet, was sie anrichtet, was sie tut?

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0606023800
Herr Professor Hallstein, es kann sein, daß das auch angeklungen ist. Aber dann gibt es eben gewisse Widersprüche in dem, was Sie hier heute getan haben. Insgesamt habe ich leider den Eindruck, daß Ihr Diskussionsbeitrag im Unterschied zu allem, was sonst hier heute erfolgt ist, weniger von dem Bemühen um eine sachliche Erörterung des Standes der Europapolitik getragen war, als daß er hinüberfärbte zu der Kontroverse, die dieses Haus in bezug auf die Ostpolitik trennt, und von daher hat Ihr Beitrag einen falschen Ton bekommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir nicht. so empfunden!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606023900
Das Wort hat der Abgeordnete Blumenfeld.

Erik Bernhard Blumenfeld (CDU):
Rede ID: ID0606024000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Kollege Rutschke das Wort genommen hat, muß ich hier leider noch einmal eine Qualifikation aussprechen. Ich wollte an sich den Bogen schlagen zu dem Beginn unserer Debatte um 15 Uhr, wo Herr Kollege Professor Hallstein durchaus im Namen und mit Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion eine von seiner tiefen Sorge erfüllte und getragene Rede gehalten hat und eine scharfsinnige Analyse nicht nur der europäischen Situation, sondern insgesamt der Politik dieser Bundesregierung — geliefert hat, von der ich nur sagen kann, daß sie auch noch für die Zukunft genügend Stoff bietet — ich wende mich an die Regierungsbank —, um sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Aber, Herr Kollege Rutschke, die zarte Pflanze der Gemeinsamkeit, die sich heute nachmittag hier wieder ein bißchen entwickelt hat, haben Sie nun mit einem Ruck begossen und haben uns polemische
Ausführungen vorgeworfen. Wie dünnhäutig sind j Sie eigentlich im Laufe der letzten 24 oder 48 Stunden geworden, Herr Kollege Rutschke,

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das hat seine Gründe, Herr Blumenfeld!)

daß Sie das, was hier von den einzelnen Kollegen und insbesondere von Professor Hallstein gesagt worden ist, als Polemik abqualifizieren.

(Abg. Dr. Rutschke meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Kollege Rutschke, ich habe mit Genehmigung der Frau Präsidentin nur wenige Minuten und muß Sie bitten, Ihre Frage deswegen zurückzustellen.
Insbesondere die Regierungsbank ist heute sehr liebenswürdig behandelt worden, so habe ich den Eindruck. Denn, insgesamt gesehen, war doch das, was wir, Herr Minister Scheel, hier heute vorgebracht haben, ein Drängen der Opposition und der einzelnen für die Europapolitik engagierten Abgeordneten dieses Hauses, ein Mahnen und ein Drängen darauf, nun endlich von Ihnen, von der Regierung, in den wesentlichen und wichtigen Schritten, die vor uns stehen und die unmittelbar getan werden müssen, etwas mehr zu hören als nur eine —verzeihen Sie, wenn ich das sage; aber wir kennen uns so lange, daß Sie es mir nicht übel nehmen —liebenswürdige Plauderei über die europäische Zukunft.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Herr Minister Scheel, wenn Sie für sich und der Bundeskanzler für sich in Anspruch nehmen, daß Ihre Regierung in diesen letzten sechs Monaten einen einzigartigen, einen gewaltigen Schritt nach vorn in der europäischen Politik getan hat, einen Schritt, der überhaupt nicht zu vergleichen ist mit den Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre, dann müssen Sie doch darauf gefaßt sein, daß man sie fragt: Was ist denn eigentlich das Resultat? Sie verweisen auf das Fernziel der Politischen Union. Der Bundeskanzler verweist, auch wenn eben noch einmal versucht worden ist, das hier etwas zu interpretieren, auf die Aufgabe der kommenden Generationen. Sie, Herr Bundesaußenminister, verweisen auf Viterbo, auf das großartige substantielle Ergebnis der letzten Konferenz der Außenminister der EWG. Dabei ist nicht mehr herausgekommen als ein Dämmerschoppen, den die Außenminister zweimal im Jahre mit ihren anderen Kollegen veranstalten wollen. Das ist nicht mehr.

(Zuruf von der SPD: Wie war es denn früher unter Ihrem Außenminister? — Weitere Zurufe von der SPD.)

Wir wünschen Konsultationen im Anschluß an eine vorbereitete Konferenz der EWG-Minister mit ihrem ganzen Apparat. Konsultationen sozusagen beim Whisky am Kaminfeuer sind nicht mehr als ein politischer Dämmerschoppen und kein substantieller Schritt in die politische Zukunft Europas.

(Zurufe.)




Blumenfeld
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Europapolitik — wenn ich von unserer Europapolitik spreche, meine ich diejenige, die die CDU/CSU geführt hat —

(Abg. Fellermaier: Und die nichts geleistet hat ! — Weitere Zurufe von der SPD)

hat in den letzten 20 Jahren die Integrität und die Sicherheit des westeuropäischen und westdeutschen Raums garantiert. Sie hat die Anstrengungen der Sowjetunion, ihren Einfluß auf Westeuropa auszudehnen, zumindest bislang zur Erfolgslosigkeit verurteilt,

(Zuruf des Abg. Behrendt.)

Sie hat die Vereinigten Staaten, von denen unsere Sicherheit entscheidend abhängt, dazu ermutigt, unserem Kontinent ihre Unterstützung und ihr Engagement nicht zu entziehen. Unsere Europapolitk hat den osteuropäischen Nachbarn, Herr Kollege Wehner, die Friedfertigkeit unserer Bemühungen demonstriert und sie auch dazu bestimmt, neues Vertrauen zu uns zu fassen. Sie hat den Völkern in ganz Europa die Hoffnung auf eine europäische Friedensordnung vermittelt, indem sie eine solche Friedensordnung in Westeuropa exemplarisch verwirklicht.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat uns in seinen verschiedenen Beiträgen im Laufe der letzten zwei Tage auch über unsere Ziele befragt. Ich darf sie in wenigen Punkten zusammenfassen, und zwar auch unter der Sorge, die ich hier noch einmal wiederholen möchte, daß wir, wie wir meinen, keine Zeit mehr zu verlieren haben, wobei ich nicht darüber streiten will, ob wir fünf oder zehn Minuten vor Zwölf stehen. Aber wenn ich mir ansehe, wie sich das Verhältnis Europas zu Amerika auf ökonomischem Gebiet, auf dem Gebiet der Außenbeziehungen, was die Wirtschaft anlangt, in den letzten sechs Monaten entwickelt hat — —

(Abg. Fellermaier: Herr Blumenfeld, wen wollen Sie eigentlich hier anklagen?!)

— Ich sage nur, daß es notwendig ist, sehr schnell zu arbeiten und sehr schnell voranzumachen. Es ist unsere Aufgabe als Opposition, das zu sagen, und wir werden aus unserer Verantwortung heraus die Regierung immer wieder daran erinnern, daß hier etwas zu tun ist.
Wenn wir über Außen- und Sicherheitspolitik sprechen, brauchen wir nur einmal in den Mittelmeerraum zu schauen, um klar demonstriert zu bekommen, daß es in der Tat zehn, wenn nicht gar fünf Minuten vor Zwölf ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, Herr Kollege, daß die Außenminister nichts anderes zustande gebracht haben, als in einer solchen Situation zu beschließen, zweimal im Jahr zu einer Plauderei über Außenpolitik und gegebenenfalls über Sicherheitspolitik zusammenzukommen;

(Abg. Behrendt: Ist die EWG für den Mittelmeerraum zuständig?)

das ist nicht das, was wir von der Bundesregierung erwarten.
Ich möchte den Herrn Außenminister stellvertretend für den Bundeskanzler fragen: Warum entwickeln Sie denn hier nicht, statt immer nur über Fernziele und über Schwierigkeiten zu sprechen, warum demonstrieren Sie nicht einmal hier vor diesem Haase und vor der europäischen Offentlichkeit, was Sie konkret, Schritt für Schritt, in der Entwicklung von Stufenplänen und echten Vertragspositionen im Hinblick auf die Entwicklung zur Politischen Union tun wollen, Herr Außenminister? Wer hindert Sie denn daran, nachdem General de Gaulle nicht mehr da ist, so etwas hier auszubreiten? Warum tun Sie das nicht? Die Flexibilität in der europäischen Politik ist erst eingetreten, nachdem ein Regierungswechsel in Frankreich stattgefunden hatte.

(Abg. Fellermaier: Und in der Bundesrepublik! — Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das ist doch lächerlich! — Weitere Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU.)

Warum tun Sie nicht einmal so, als ob Frankreich nicht da wäre? Warum entwickeln Sie nicht eine Politik, die wirklich einmal eine Führungsidee und eine Führungsaufgabe der deutschen Bundesregierung demonstriert,

(Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU. — Ahg. Wagner [Trier] : Ihr müßt uns etwas über Europa erzählen!)

die Sie im übrigen bei der Frage der Verabschiedung der Finanzordnung vernachlässigt haben? Bei der Verabschiedung der Finanzordnung wäre es möglich gewesen, meine Damen und Herren, uns bei unserem politischen Gewicht durchzusetzen, wenn wir, d. h. die Bundesregierung, ein klares Ziel vor Augen gehabt hätten. Das wäre möglich gewesen, und das haben Sie versäumt.
Ich will in wenigen Punkten, Frau Präsidentin, noch schnell aufzählen, was unsere Forderungen sind. Wir fordern einen verbindlichen Vertrag über die Politische Union.

(Abg. Wehner: Von wem fordern Sie das?)

— Das fordern wir von der Bundesregierung. Wir fordern, daß sie das in Europa durchsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Aha-Rufe von der SPD.)

— Herr Wehner, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich habe von Ihnen in den letzten Jahren in diesem Hause noch nie ein substantielles politisches Wort zu Europa gehört. Von Ihnen noch nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Wehner: Das gehört zu dem Stricken einer Legende! — Weitere Zurufe von der SPD.)

-- Nein, das ist keine Legendenbildung. Ihr Engagement für Europa habe ich bisher in diesem Hause nicht vernehmen können.

(Abg. Wehner: Ich kann doch nicht dafür, daß so ein Mensch nur ganz hohen Herren zuhört!)




Blumenfeld

(Abg. Wehner: Das weise ich zurück! Das ist Ihre Erfindung! Abg. Fellermaier: Sie sind ein Demagoge, Herr Blumenfeld! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Ich bin lange genug in der Hamburger Politik gewesen, um zu wissen, was ich von solchen Zwischenrufen sozialdemokratischer Kollegen halten soll.

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

— Polemik? Sind Sie wirklich so dünnhäutig, daß Sie das noch nicht einmal hören können?

(Abg. Fellermaier: Das ist Demagogie, was Sie uns da zum Vorwurf machen!)

-- Das ist keine Demagogie. Scheinbar haben immer nur Sie ein Anrecht darauf, dem Abgeordneten der anderen Fraktion etwas vorzuhalten, und zwar in scharfen Worten. Wenn wir dann in etwa derselben Sprache entgegnen, nennneu Sie es Polemik. Meine Damen und Herren, mich läßt das wirklich ganz ruhig und ganz kalt. Das interessiert mich gar nicht. Ich bin dabei, unsere Punkte aufzuzählen. Vielleicht hören Sie zu.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606024100
Ich bitte doch! Wir hatten gegenseitig vereinbart, nach einer halben Stunde nun wirklich Schluß zu machen. Ich wäre dankbar, wenn Sie sich daran halten wollten.

Erik Bernhard Blumenfeld (CDU):
Rede ID: ID0606024200
Jawohl, aber die Zwischenrufe! Ich bin sofort zu Ende, Frau Präsidentin.
Dieser Vertrag muß abgeschlossen werden, bevor die Gemeinschaft erweitert wird. Nur solche Staaten können der Gemeinschaft als Vollmitglieder beitreten, die ihre politische Finalität akzeptieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Behrendt: Das haben wir schon gehört!)

Die Zuständigkeit der Gemeinschaft muß auf weitere Sachgebiete ausgedehnt werden, so Außen- und Verteidigungspolitik. Auch für die neuen Sachbereiche ist ähnlich wie für den wirtschaftlichen Bereich eine Institutionalisierung unerläßlich. Unverbindliche Konsultationen sind völlig unzureichend.
Hinsichtlich der weiteren Entwicklung der EWG sind die bisher vernachlässigten Gebiete, insbesondere die Handels-, Sozial- und Verkehrspolitik, energisch voranzutreiben und ist der Immobilismus in der Agrarpolitik zu überwinden.

(Lachen bei der SPD.)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich kann nur sagen, ich bedaure, daß die Kürze der Zeit es mir nicht erlaubt hat, noch eine Reihe von weiteren Punkten, insbesondere das sehr gefährlich sich entwickelnde Problem von Euratom und der Verifikationskontrolle hier im Hohen Hause noch einmal zu diskutieren. Wir behalten uns vor, dies bei der nächsten Parlamentssitzung zu tun. Zu diesem Zeitpunkt ist im übrigen auch schon die Vertragsfrist abgelaufen. Wir sind sehr neugierig, von der Bundesregierung zu erfahren, wie sie sich in den kommenden Wochen und Monaten verhalten wird, nachdem sie — ich sage das hier ganz bewußt —, ohne unter Zeitdruck zu stehen und ohne sich die Dinge wirklich genau überlegt zu haben, unterschrieben hat und nunmehr mit den Partnern gemeinsam in einer Situation steht, wo wir einer gefahrvollen Entwicklung, besonders für unsere Industrie, aber auch für die Sache insgesamt, entgegensehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0606024300
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Auf Umdruck 56 *) liegt uns ein Antrag der Fraktion der CDU/CSU vor. In interfraktioneller Vereinbarung ist vorgeschlagen worden, ihn dem Auswärtigen Ausschuß als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zur Mitberatung zu überweisen. Wer diesem Vorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Dann steht noch an die Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften, Drucksache VI/880. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Finanzausschuß als mitberatenden Ausschuß. Wer diesem Vorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Schließlich der Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. April 1970 zur Änderung bestimmter Haushaltsvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrags zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Haushaltsausschuß. Wer diesem Vorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Beratung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 19. Juni 1970, 8 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.