Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich zwei Mitgliedern des Hauses zu runden Geburtstagen gratulieren. Am 24. März hat der Abgeordnete Bartsch das 65. Lebensjahr erreicht. Ich spreche ihm namens des Hauses die Glückwünsche aus und genauso dem Abgeordneten Dr. Jungmann, der am 4. April 60 Jahre alt wurde. Ebenfalls herzliche Glückwünsche!
Alsdann gebe ich bekannt, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Tagesordnung umdie in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden soll. Das Haus ist wohl damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.Der Entwurf der Fraktion der CDU/CSU für ein Beteiligungslohngesetz wird dann unter Punkt 2 der Tagesordnung aufgerufen, so daß Punkt 2 in a) und b) unterteilt wird.Außerdem ist dem Hause bekannt, daß wir für 10 Uhr die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung erwarten, der sich eine Debatte -anschließt.Ich gebe außerdem bekannt, daß Punkt 3 der Tagesordnung — Ergänzung zum Entwurf des Bundeshaushaltsplanes 1970 — am Freitag nach der Fragestunde aufgerufen wird.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. März 1970 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt:Gesetz zu dem Vertrag vom 21. Januar 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Einziehung und Beitreibung von Beiträgen der Sozialen SicherheitGesetz über den Wegfall des von Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden BeitragsGesetz zu dem Zusatzvertrag vom 7. Februar 1969 zur Durchführung und Ergänzung des Vertrages vom 7. Mai 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über Kriegsopferversorgung und Beschäftigung SchwerbeschädigterGaststättengesetzDer Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 23. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bay, Biermann, Engholm, Waldhoff, Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Wehrersatzdienst — Drucksache VI/498 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/569 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung hat am 25. März 1970 die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Offiziere der Bundeswehr mit abgeschlossenem akademischem Studium — Drucksache VI/431 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/574 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 25. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rosenthal, Neemann, Porzner, Bredl, Folger, Dr. Nölling, Ollesch, Dr. Rutschke und Genossen betr. Information über Einkommens-und Vermögensbildung — Drucksache VI/497 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/575 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 26. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Schmitt , Draeger, von Thadden und Genossen betr. Bau eines MoselSaar-Pfalz-Rhein-Kanals — Drucksache VI/514 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/582 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 25. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Orgaß, Dr. MüllerHermann, Frau Tübler, Bremer, van Delden, Mursch und Genossen betr. Situation der deutschen Seeleute— Drucksache VI/426 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/586 verteilt.Der Chef des Bundeskanzleramtes hat am 26. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Bach, Dr. Kliesing , Dr. Marx (Kaiserslautern) und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Personalpolitik der Bundesregierung — Drucksache VI/435 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/587 verteilt.Der Staatssekretär des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung hat am 23. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller , Breidbach, Franke (Osnabrück), Vogt, Russe und Genossen betr. Bericht der Biedenkopf-Kommission— Drucksache VI/536 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/588 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung hat am 1. April 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klepsch, Ernesti, Damm, Dr. Zimmermann, Dr. Marx und der Fraktion der CDU/CSU betr. Wehrgerechtigkeit — Drucksache VI/542 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/593 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am1. April 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Schroeder , Frau Griesinger, Frau Brauksiepe, Burger, Müller (Remscheid) und Genossen betr. Umschulung in soziale und pflegerische Berufe — Drucksache VI/492 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/594 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 2. April 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Riedl , Geisenhofer, Lemmrich, Dr. Kreile, Dr. Probst, Dr. Jobst und Genossen betr. Bahnübergänge im S-Bahn-Bereich München (§ 13 Eisenbahnkreuzungsgesetz) — Drucksache VI/534 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/596 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr hat am
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2112 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
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2120 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
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2130 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Wir wollen dieser Debatte nicht vorgreifen. Aber es tut not, heute festzuhalten — zumal der Herr Bundeskanzler das nicht getan hat —, welche Tatsachen seit dem 20. März eingetreten sind, die unter der Überschrift des Themas dieses vierten Punktes heute hier festgehalten zu werden verdienen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2131
Dr. BarzelAm 20. März hatten wir die Bundesregierung gefragt:Sehen wir es richtig, daß die Bundesregierung auf dem Wege ist, die Oder-Neiße-Linie anzuerkennen, besondere Beziehungen zur DDR herzustellen, welche Merkmale der Anerkennung enthalten, der Sowjetunion gegenüber neue Verpflichtungen einzugehen, und daß es die Perspektive dieser Bundesregierung ist, zwei deutsche Staaten zu Mitgliedern der UNO zu machen? Sehen wir dies richtig? Von Gegenleistungen, von europäischen Ansätzen, von Minderheitenschutz, von Durchlässigkeit der Grenzen und von Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen sehen wir nichts.Diese Frage wurde von der Bundesregierung hier im Hause nicht beantwortet.Am 22. März stimmte die Bundesregierung in Moskau einem deutsch-russischen Kommuniqué zu. Dieses Kommuniqué markierte einen gewissen Abschluß der Gespräche zwischen Außenminister Gromyko und Staatssekretär Bahr. Dieses Kommuniqué stellt ausdrücklich fest — der Herr Bundeskanzler hat davon hier nicht gesprochen —, daß man „von der in Europa bestehenden wirklichen Lage ausgegangen" sei. Der englische Text, der aus Moskau verbreitet wurde, sprach davon, daß der Status quo der Ausgangspunkt der deutsch-sowjetrussischen Verhandlungen sei.
Von all dem haben wir hier nichts gehört.
Wir haben daraufhin die Frage gestellt — öffentlich — und haben gedacht, sie würde hier vielleicht heute beantwortet, was die Bundesregierung unter dieser Erklärung verstehe. Diese Frage wurde nicht beantwortet, auch heute hier im Parlament nicht beantwortet.Für uns gehört zum Status quo, daß die deutsche Frage mit Unterstützung der Westmächte offen ist und offen bleiben muß, und zwar offen nicht im Sinne verbaler Vorbehalte, sondern offen in der Substanz!
Der Bundeskanzler erklärte am 22. März 1970 in einem Interview, „die Umrisse eines Gewaltverzichtsabkommens zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland seien sichtbar". Selbst diese Umrisse, Herr Bundeskanzler, haben Sie bisher weder diesem Hause noch der deutschen Offentlichkeit noch in Ihrer heutigen Regierungserklärung mitgeteilt oder auch nur angedeutet.Am 1. April schrieb der Botschafter der Sowjetunion in Ostberlin, Abrassimow, im „Neuen Deutschland" einen sehr grundsätzlichen Artikel ideologischen Inhalts, der dem Gedächtnis Lenins gewidmet war. Wir wissen, und wir haben das unterstützt, daß der Bundeskanzler in seiner Eigenschaft damals als Außenminister bei Herrn Abrassimow deshalb einen Besuch gemacht hat — so wurde er begründet —, weil dieser Herr nicht nur ein großer Diplomat, sondern auch ein bedeutender Politiker mit einem hohen Rang in der KommunistischenPartei der Sowjetunion sei. Dieser Politiker schrieb am 1. April, also nach dem Moskauer Kommuniqué, im „Neuen Deutschland":Die Anerkennung der Unantastbarkeit der europäischen Grenzen, insbesondere der Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, sowie der Oder-Neiße-Grenze, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, die Ratifizierung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Aufgabe der unsinnigen und widerrechtlichen Ansprüche auf Westberlin, die Annullierung des Münchener Abkommens als ungültig von Anfang an, all das entspricht vollständig der realen Lage in Europa und stellt jenen unerläßlichen Beitrag dar, den die Bundesrepublik Deutschland zur Sache der Gewährleistung und Festigung des Friedens auf unserem Kontinent leisten kann und leisten muß.Hierzu war hier, in Bonn, nichts zu hören.Es war dann was zu hören, als der Bundeskanzler nach Washington fuhr. Er hat — und davon war ebenfalls hier im Parlament kein Wort zu hören — nicht hier vor dem Bundestag, sondern vor der Presse in Washington am 10. April zu dieser Frage folgende Erklärung abgegeben; und da die Regierung hier nicht konkret wird, müssen wir ja konkret die Texte in die Debatte einführen.
Der Bundeskanzler erklärte:Was ist unsere Konzeption? Wie die NATO eine Realität ist, wie West-Berlin mit seinen Beziehungen zur Bundesrepublik eine Realität ist, so ist auch der Warschauer Pakt, so sind es die beiden Staaten in Deutschland, so sind es die Grenzen Polens. Wir haben von diesen Realitäten auszugehen, wenn wir ein besseres Verhältnis zur Sowjetunion, wenn wir eine Versöhnung mit dem polnischen Volk, wenn wir eine Milderung der schmerzhaften Teilung unseres Landes erreichen wollen. Der letzte Krieg hat zu mancherlei neuen Realitäten geführt. Ich übersehe dabei nicht, wer diesen Krieg begonnen hatte. Ich bin nicht bereit, auf die Selbstbestimmung des deutschen Volkes oder auf irgendein anderes unserer friedlichen Ziele zu verzichten.Herr Bundeskanzler, warum sagen Sie so etwaseigentlich nicht hier im Bundestag?
Gehen Sie, Herr Bundeskanzler, von diesen Realitäten aus, um sie zu verändern oder um sie festzuschreiben, oder haben Sie die — und falls ja, worauf gegründet — Hoffnung, diese Realitäten durch Festschreiben später verändern zu können? Und was bliebe vom Selbstbestimmungsrecht, wenn diese Realitäten zunächst so festgeschrieben würden?
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2132 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. BarzelDas sind Fragen, die wir hier jetzt stellen, Herr Bundeskanzler.Es kommt hinzu, daß dieser Katalog der Realitäten mißverständlich und unvollständig ist. Zu den Realitäten in Europa gehört — und das hätten wir gern aus dem Mund des Bundeskanzlers in Washington auch gehört —, daß die deutsche Frage offen ist; daß sich die Westmächte mit uns verpflichtet haben, diese Frage offen zu halten; daß — wie in Erfurt sichtbar wurde — die Deutschen sich als ein Volk fühlen und zusammenleben wollen. Zu diesen Realitäten gehört, Herr Bundeskanzler, daß das Unrecht der Mauer, des Schießbefehls und der Spaltung 25 Jahre nach Kriegsende nicht mehr damit begründet werden kann, daß Hitler einen verbrecherischen Krieg begann.
Zu den Realitäten gehört, daß die Deutschen hüben und drüben nicht bereit sind, auf die Selbstbestimmung zu verzichten, und daß sie sie drüben nicht bekommen haben. Dazu gehört auch, daß den Weg zur Selbstbestimmung — entgegen allem Verbalismus — verbaut und endgültig zuschüttet, wer etwa die Absicht hätte, auf der Basis dieser Realitäten den Status quo anzuerkennen und festzuschreiben.
Da es, Herr Bundeskanzler, aus den Gründen, die Sie nannten und die wir natürlich akzeptieren, kein Kommuniqué über Ihren Besuch in Washington gab, waren die Informationen und die Kommentare derin- und ausländischen Presse höchst widerspruchsvoll, von den Schlagzeilen gar nicht zu sprechen. Sie haben von einigen Presseäußerungen vor Ihrem Besuch gesprochen. Nun gibt es natürlich auch Pressemitteilungen nach Ihrem Besuch.
Und die sind sehr unterschiedlich, meine Damen und Herren.So schrieb gestern die „New York Times" in einem Leitartikel — ich denke, ich brauche hier nicht zu sagen, was diese Zeitung ist —, vom 14. April 1970, ich zitiere:Die Regierung des Präsidenten Nixon hat Bonn nicht gedrängt, die Verhandlungen mit dem Osten abzubrechen. Sie hat jedoch ihre Sorge darüber geäußert, Bonn könne den diplomatischen Status Ostdeutschlands auf ein höheres Niveau heben, seine Beziehungen mit den westlichen Alliierten belasten und die rechtliche Position des Westens in Berlin schwächen, ohne das Schicksal der ostdeutschen Bevölkerung zu verbessern oder irgendwelche anderen wichtigen Ziele zu erreichen.Herr Bundeskanzler, dieses Haus hat Anspruch auf Information.
Die allgemeinen Erklärungen, die Sie hier abgegeben haben, werfen doch zusätzlich die Frage auf, wie es denn mit den konkreten Punkten konkreter Unterstützung Ihrer Politik hier bestellt sei. Wenndies konkreter wäre, wären Sie wohl auch heute hier konkreter geworden. —Der fünfte Punkt, meine Damen und Herren: die Gespräche der Bundesregierung mit der Volksrepublik Polen. Die CDU/CSU hat die Bereitschaft, Gespräche mit der Volksrepublik Polen über alle Fragen zu führen, unterstützt. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß solche Gespräche nur etwas vorbereiten können. Endgültige Regelungen sind nach demokratischem Selbstverständnis wie nach geltendem Recht nur mit Zustimmung der Beteiligten und nur in einem Friedensvertrag zulässig. Keine Bundesregierung hat das Recht, hier endgültige Schritte zu vollziehen.
Herr Bundeskanzler, wir haben in den letzten Debatten unsere Bereitschaft erklärt, an Lösungen mitzuwirken. Wir haben hier konkret bezeichnet, was wir darunter verstehen, und gedenken nichts zu wiederholen. Wir haben auch betont, daß wir bereit sind, für eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung im Interesse der Menschen und eines gesicherten Friedens Opfer zu bringen. Wir sehen diese Bundesregierung auf einem anderen Weg, auf dem Weg, eine Formel zu suchen, statt Lösungen anzustreben. Diese Politik, Herr Bundeskanzler, kann nicht mit unserer Zustimmung rechnen.
Meine Damen und meine Herren: Die Dürftigkeit der Mitteilungen des Herrn Bundeskanzlers heute vor diesem Hause wird dadurch unterstrichen, daß er vor seiner eigenen Fraktion gestern, was sein Recht ist, sehr viel konkretere Mitteilungen gemacht und durch die Pressestelle der Fraktion der Öffentlichkeit übergeben hat.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie gestern vor der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei gesagt haben, daß Staatssekretär Duckwitz nächste Woche nach Warschau reisen und dort erklären werde, man anerkenne „die territoriale Integrität aller Länder des Ostblocks", und auch das polnische Volk solle die Gewißheit haben, daß es in gesicherten Grenzen leben könne, wären Sie, Herr Bundeskanzler, es nicht nur diesem Hause schuldig gewesen, zu sagen, was das konkret heißt, sondern Sie wären es diesem Hause auch schuldig gewesen, in Ihren Mitteilungen nicht gegenüber dem zurückzubleiben, was Sie gestern abend vor der eigenen Fraktion gesagt und dann noch veröffentlicht haben.
Der sechste Punkt betrifft: Das bevorstehende innerdeutsche Treffen in Kassel. Die CDU/CSU hat das Treffen in Erfurt unterstützt und alles unterlassen, was ein Zustandekommen hätte verhindern können. Wir werden es mit Kassel ebenso halten.
Wir erwarten, daß nun konkrete Verabredungen imInteresse der Menschen in ganz Deutschland und mitDeutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2133Dr. Barzeldem Ziel auf die Selbstbestimmung hin möglich werden. Mehr sagen wir dazu heute nicht. —Meine Damen und Herren, das zu den sechs Punkten, und jetzt noch eine abschließende Bemerkung: Die CDU/CSU ist, wie sie in diesem Hause oft genug dargetan und in früheren Regierungen bewiesen hat, für Gespräche und für Verhandlungen mit Ost-Berlin, mit Polen, mit der Sowjetunion und mit anderen. Wir werden die Ergebnisse nach unseren hier festgelegten Ansichten beurteilen, die Vorgänge dort, wo es uns notwendig erscheint, kritisch begleiten und unsere Sorgen nicht verschweigen, auch dann nicht, wenn man unsere ernsthaft begründeten Besorgnisse auf die verschiedenste Weise zu verunglimpfen und zu diskreditieren sucht.
Wir werden, Herr Bundeskanzler, immer fragen: Wofür wird Entgegenkommen gezeigt? Welche Gegenleistungen stehen dem gegenüber? Hören etwa die Sowjetunion und, auf ihre Art, die DDR auf, sich Gewalt vorzubehalten und politisch offensive Ziele zu verfolgen? Ist der Weg, kommunistische Forderungen zu befriedigen, die Basis des Friedens oder die der Festigung der sowjetrussischen Vorherrschaft?Wer die deutsche Frage nicht offenhält, führt eine negative Veränderung der Lage Europas herbei.
Würde dies nicht durch erkennbare, vernünftige Gegenleistungen ausgeglichen, würde das nicht nur in Europa das Kräfteverhältnis negativ verändern, sondern jedermann, von Helsinki bis Athen und von Lissabon bis Bukarest, würde daraus seine eigenen Schlüsse ziehen, und manch einer würde wohl den Atem der' Sowjetunion als den für alle Europäer ausdauernderen empfinden. Kräfteverhältnisse, Herr Bundeskanzler, sind nicht nur Sachen militärischer oder wirtschaftlicher Bilanz. Psychologische und politische Fakten sind, wie die Geschichte beweist, noch entscheidender.Wer, meine Damen und Herren, den „Frieden sicherer machen" will, der muß zuerst die Frage beantworten: Wer eigentlich verunsichert den Frieden in Europa?
Etwa das Offensein der deutschen Frage bei gleichzeitiger Erklärung, diese Politik nur mit friedlichen Mitteln führen zu wollen? Wer verunsichert den Frieden in Europa? Die NATO etwa? Die deutsche Politik, die verfassungskräftig und völkerrechtlich wirksam auf Gewalt verzichtet hat? Etwa unsere Vertriebenen, die Ausgleich zu ihrem Programm gemacht haben? Oder waren es nicht vielmehr Breschnew und Ulbricht, die auf imperialistische Weise die Tschechoslowakei mit Gewalt zu der „Raison" zwangen, die sie drüben für richtig halten? Und wer eigentlich stört immer wieder in und um Berlin das friedliche Zusammenleben?Meine Damen und Herren: Wer den Frieden sicherer machen will, der muß sich diesen Realitäten stellen.
Wer den Frieden sicherer machen will, der darf nicht die sowjetrussische Hegemonie stärken, sondern der muß eine europäische Friedensordnung herbeiführen. Für das erste sind wir nicht zu haben. Für das zweite wären wir auch zu schmerzhaften Opfern bereit.
Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Abgeordnete von Kühlmann-Stumm. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 25 Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat es für richtig befunden, seine Ausführungen über den Anlaß der heutigen Diskussion hinaus, nämlich den Besuch des Herrn Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten, auszuweiten. Meine Damen und Herren, wir führen hier in regelmäßigen Abständen außenpolitische Debatten zu einer Zeit, wo auf vielen Ebenen mit dem Osten verhandelt wird. Diese Verhandlungen können, wie mein Herr Vorredner betont hat, essentielle Folgen für unser Land haben und werden sie wahrscheinlich auch haben. Ich glaube, es wäre klüger, wenn man diese Diskussionen in den Auswärtigen Ausschuß oder den Gesamtdeutschen Ausschuß verlegte. Denn ich fürchte, daß durch viele Ausführungen, wie sie hier gemacht werden, die Atmosphäre verschüttet werden könnte, die wir bei dem Beginn dieser wichtigen Diskussionen verspüren konnten.Mein Herr Vorredner hat von den Diskussionen in Wien und Berlin gesprochen und sie mit Recht als sehr wichtig bezeichnet. Auch ich glaube, daß die Diskussionen, wenn sie zu einem guten Ende gebracht werden können, sicher dazu beitragen werden, den Frieden in der Welt und in Europa zu festigen, wobei die Atmosphäre bei beiden Diskussionen gut zu sein scheint. Wenn diese Verhandlungen zumindest auf lange Sicht zu einem Erfolg führen könnten, so würde das sicher auch die Gespräche mit der Sowjetunion, mit Polen und auch mit der DDR positiv beeinflussen.Nun zum eigentlichen Thema. Der Herr Bundeskanzler hat in einer Rede anläßlich des Besuchs amerikanischer Parlamentarier erklärt, daß das Bündnissystem mit unseren westlichen Alliierten das Rückgrat der deutschen Außenpolitik sei. Ich glaube, sein Besuch in den Vereinigten Staaten hat dazu beigetragen, die Amerikaner und insbesondere den amerikanischen Präsidenten davon zu überzeugen, daß unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten im Rahmen dieses Bündnisses mit den westlichen Alliierten eine ganz entscheidende Rolle spielt. Dieser Besuch hat dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und
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2134 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Freiherr von Kühlmann-Stummder Bundesrepublik ganz erheblich zu festigen. Ich glaube, daß diese Beziehungen für die Zukunft eine ganz entscheidende Bedeutung haben und noch gewinnen werden.Es sind verschiedene Punkte gewesen, die diesen Besuch des Herrn Bundeskanzlers vorher und nachher gekennzeichnet haben. Es gibt zweifellos Kräfte in den Vereinigten Staaten, die der Ostpolitik der neuen Bundesregierung mit einer gewissen Reserve gegenüberstehen. Vor dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers gab es einen sehr entscheidenden Artikel in der „New York Times", in dem unter anderem sogar auf den Rapallo-Vertrag hingewiesen wurde und wo der Verfasser sagt:Instead of a secret treaty Rapallo — through which Germany broke the restraints imposed at Versailles by alliance with the Soviet Union after World War I — Mr. Brandt has pursued a policy that starts in the west."Ich möchte nicht mehr von diesem Artikel zitieren, aber wir sollten uns, glaube ich, darüber klar sein, daß in Amerika die Kräfte sehr stark sind, die unsere Ostpolitik sehr kritisch beobachten und die auch dafür eintreten, die amerikanische Truppenpräsenz in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland nicht unerheblich zu reduzieren. Sie alle wissen, was diese stufenweise Reduzierung amerikanischer Truppen für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde, wobei ich selbstverständlich meinem Vorredner folge, daß wir es sehr begrüßen würden, wenn ein stufenweiser Abbau der konventionellen Truppen in Ost und West erfolgen könnte. Dieses Thema wird ja die NATO-Außenministerkonferenz im Mai in Rom nicht unwesentlich beeinflussen. Ich hatte den Eindruck, Herr Bundeskanzler, daß die Amerikaner nicht sehr enthusiastisch dafür waren, dort in dieser Frage selbst eine Initiative zu ergreifen. Ein Gesprächspartner stellte an mich sogar die Frage, ob nicht die Bundesregierung in Rom eine solche Initiative ergreifen könnte. Es besteht aber kein Zweifel: wenn diese Truppenreduzierungen vor einem solchen Abkommen, nach dem 30. Juni 1971, in Szene gesetzt werden sollten, würde unsere Verhandlungsposition, in der wir uns zur Zeit befinden, auf den verschiedensten Ebenen ganz empfindlich beeinträchtigt.Ich zitiere einen der größten, und wie ich sagen möchte, vielleicht auch der weisesten Männer, die es auf dieser Welt gibt, nämlich den jetzigen Ostexperten und früheren amerikanischen Botschafter und auch leitenden Diplomaten George F. Kennan, der sagt:Selbst der geringste Hinweis von seiten Washingtons, daß weitere Truppenreduzierungen erwogen würden, könnte die Position von Bundeskanzler Brandt bei seinen Kontakten mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin schwächen.Ich glaube, daß Herr Professor Kennan ein unverdächtiger Zeuge ist, der nicht nur ein großer Kenner des Ostens ist, sondern auch ein Freund Deutschlands. Es gibt aber auch im Parlament und insbesondere im Senat der Vereinigten Staaten sehr maßgebliche Kräfte, die einen solchen Truppenabzug befürworten. Und, Herr Bundeskanzler, wir sollten diese Kräfte nicht unterschätzen.
Herr Sulzberger, ein recht bekannter Mann im amerikanischen Pressewesen, schreibt:NATO so far chooses to be pleased with Washington assurances that there will be no significant withdrawals from Europe for mid-1971 and professes confidence they won't be excessive when they do come. But, apart from defining how big a cut is safe, our allies perhaps misread the mood of Congress and President Nixon's ability to restrain it.
Sie sehen also, der Präsident hat eine Mehrheit im Senat gegen sich, und Senator Mansfield ist ja der Führer dieser Mehrheit, die von den Demokraten gestellt wird. Und ich glaube, die Hoffnung, daß diese Majorität in den Wahlen im Herbst 1970 beseitigt werden könnte, ist, wenn Sie einmal die Meinungskurve der Amerikaner über Präsident Nixon verfolgen, nicht unbedingt groß. Man muß also damit rechnen, daß der Präsident, der wohlwollend und guten Willens ist, bezüglich der Truppen in Europa unter Umständen von einer Majorität im Senat unterlaufen wird. Und wir werden dort Schwierigkeiten haben.Ich habe es bedauert, daß ein Minister es für richtig befunden hat, vor dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers einen Artikel in der „Washington Post" zu schreiben, in dem er den deutschen Standpunkt sehr hart darstellt. Das soll man in den Verhandlungen tun, aber nicht in der Öffentlichkeit, schon gar nicht in der „Washington Post". Dieser Artikel hat Herrn Senator Mansfield, der in einem Gespräch mit mir sehr wohlwollend war und mir gesagt hat, er werde den Herrn Bundeskanzler bei seinem Besuch in Amerika nicht enttäuschen und werde auch die amerikanische Regierung nicht enttäuschen und ärgern, wenn sie mit der Bundesregierung ein gutes Abkommen bezüglich einer Belassung der Truppen in Europa abschließen würde, so verärgert, daß er ad hoc im Senat auf die Tribüne sprang und eine sehr böse Rede gegen Deutschland gehalten hat.
Das nur am Rande. — Diese Verhandlungen über den Abzug der Truppen bzw. über das Belassen der Truppen in Europa sollten sehr frühzeitig beginnen. Da gibt es eine Fülle von Problemen, die dem Herrn Bundeskanzler bei seinem Besuch in Amerika alle vorgetragen worden sind. Wir alle wissen, daß die Voraussetzungen, unter denen das jetzt in Kraft befindliche Abkommen im Jahre 1969 gestanden hat, nicht mehr aktuell sind. Die Devisensituation in beiden Ländern hat sich geändert, .die Waffenkäufe in den Vereinigten Staaten sind weitgehend abgeschlossen. Der Aufbau der Bundeswehr — auch das sagt der Herr Bundesverteidigungsminister in diesem Artikel — ist im wesentlichen vollendet; große
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2135
Freiherr von Kühlmann-StummWaffeneinkäufe kommen nicht mehr in Frage. Auch die Frage der Schatzanweisungen mit Verzinsung — was ja ein Witz ist, unter uns gesagt — dürfte nicht mehr im bisherigen Umfang relevant sein.Man muß also neue Wege suchen, um die Truppen in Europa belassen zu können. Da gibt es Vorstellungen bezüglich der sogenannten local costs, d. h. der Kasten, die der amerikanischen Truppe hier entstehen; ich meine die Frage der Übernahme auf den Haushalt.
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2136 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Das zahlt sich nicht aus. Nachdem wir alle ein Interesse haben, daß aus politischen und optischen Gründen die amerikanischen Truppen zumindest auf übersehbare Zeit in der Bundesrepublik bzw. in Westeuropa bleiben, sollten wir alles unternehmen, keine unnützen Veränderungen in den USA herbeizuführen. Wir sollten den Herren, die die Verhandlungen im Herbst 1970 — hoffentlich mit Erfolg — führen werden, alles Gute wünschen.Wir glauben, daß der Besuch des Herrn Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten ähnlich wie sein Besuch in England dazu beigetragen hat, den Westen davon zu überzeugen, daß wir zwar eineprogressive Ostpolitik anstreben und alle Schritte dazu eingeleitet haben, daß wir diese progressive Ostpolitik aber nur fest eingebettet in die westlichen Verträge und in ein fundiertes, starkes und konstruktives Bündnis mit dem Westen und insbesondere mit den Vereinigten Staaten führen können.
Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den interessanten Ausführungen meiner beiden verehrten Vorredner muß ich mir erlauben, noch einmal auf die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zurückkommen zu dürfen. Der Bundeskanzler hat hier einen Gesamteindruck von seinen Unterredungen in den Vereinigten Staaten gegeben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt ihm für den Bericht und für das, was an Bemühungen in ihm steckt. Wir wünschen, daß diese Bemühungen Erfolg haben und daß sie weiter beharrlich geführt werden. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß seine Verhandlungen und Erörterungen dort zufriedenstellend im Geiste der Freundschaft und echter Partnerschaft verlaufen seien. Das sind natürlich gute Vorzeichen für ein weiteres gemeinsames Bemühen.Wir halten es für bedeutsam, daß dieser Gedankenaustausch vor den Wiener Gesprächen der beiden Großmächte von West und Ost stattfinden konnte, nicht um ihnen etwas vorwegzunehmen, sondern weil es zu unserem Teil natürlich von Interesse ist, unsere Gesichtspunkte über die Situation in dem Teil Europas, in dem wir leben, dem westlichen Partner dieser Wiener Gespräche noch einmal deutlich zu machen.Ich halte es auch für sehr wichtig, daß der Bundeskanzler das Thema „Europäische Gemeinschaft und Vereinigte Staaten von Amerika" zum Gegenstand von Erörterungen gemacht hat. Ich teile nicht die Befürchtungen, als ginge, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sich nun wirklich entschieden ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden könnte und würde, auf der Seite der Vereinigten Staaten vor allem das Fragen los, was es denn da an Diskriminierungen und anderen ähnlichen Unannehmlichkeiten geben könnte. Hier ist es darum gegangen — und so erblicke ich die Bemühungen des Bundeskanzlers, den amerikanischen Präsidenten vor allem auf die positiven Entwicklungen im europäischen Bereich aufmerksam zu machen —, daß deutlich gemacht wird: beide, die Europäische Gemeinschaft und die Vereinigten Staaten, müssen — hoffentlich wollen sie es auch — als Gleiche im Verhältnis zueinander miteinander umgehen. Daß sie Gleiche sind, daß sie Partner sind, das ist entscheidend.Aus diesem Grunde war es auch gut, daß ein Vorschlag in Erinnerung gebracht worden ist, der schon wiederholt eine Rolle gespielt hat, aber leider
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2137
Wehnerwegen der Entwicklung in Europa, die ja auf einen gewissen toten Punkt gekommen war, immer wieder beiseite hat gelegt werden müssen, der Vorschlag, eine Art von ständiger Einrichtung, um die Europäische Gemeinschaft und die Vereinigten Staaten miteinander im sachlichen Gespräch auf einer genügend hohen Ebene zu halten.Heute spricht Europa noch nicht übereinstimmend. Aber seit Den Haag ist jedenfalls der tote Punkt überwunden. Ich hoffe, daß man auch das, was noch an kleinen, aber bei der Eigenart dieser europäischen Entwicklungen offenbar doch gewichtigeren Schwierigkeiten überwunden werden muß, etwa eine Weinmarktordnung — wieviel Zucker und so —, noch überwinden wird, damit man hinsichtlich des Ausbaues und auch der Erweiterung der Gemeinschaft das, was in Den Haag über den toten Punkt hinweggeholfen hat, nicht wieder verplempert. Ich habe den Eindruck, daß manche der Institutionen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durchaus imstande sind, wieder zu verplempern, was eigentlich schon an Impuls und Impetus gegeben worden ist.
Der Herr Bundeskanzler hat dort weder eine Sprecherrolle für das vereinigte Europa usurpiert noch hat er dort anders gesprochen als mit den Partnern hier. Insofern möchte ich jedenfalls von seiten meiner Fraktion die Bemerkung zurückweisen, die hier der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion hinsichtlich dessen, was angeblich besser gewesen wäre, nämlich vorher mit den europäischen Partnern zu sprechen, gemacht hat. Hier hat niemand sich etwas angemaßt, sondern dort hat jemand genauso gesprochen, wie er hier mit den Partnern spricht und wie in Den Haag gesprochen worden ist. Kritik in allen Ehren, aber in diesem Falle ist sie falsch am Platze.Nun, ich habe mir diese Nacht noch einmal die Diskussion angesehen, wie sie im Wortprotokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 5. Oktober 1966 nach der Rückkehr des damaligen Bundeskanzlers und seines Außenministers aus den Vereinigten Staaten ihren Niederschlag gefunden hat. Vielleicht tut das auch noch mancher andere einmal. Ich finde es wohltuend, daß man weg ist von der Epik von Kommuniqués und von der Lyrik der diese Kommuniqués dann mit Arabesken versehenden Bemerkungen hier im Parlament.
Wenn man weiß, daß man aufeinander zählen kann, ist das natürlich bedeutsamer.Ich wollte noch einige Bemerkungen zu den Punkten machen, die Herr Kollege Barzel abgehandelt hat.Ich bin sehr im Zweifel, ob der Herr Kollege Barzel selbst hat in Zweifel ziehen wollen, was der Bundeskanzler über die Gültigkeit des bis zum 30. Juni nächsten Jahres laufenden Abkommens gesagt hat: daß man sich darauf verlassen kann, daß hier beide Seiten ein Abkommen einhalten, und daß man zu gegebener Zeit — ich glaube es richtig verstanden zu haben, wenn ich annehme: noch imspäteren Teil dieses Jahres — durch die Sachverständigen mit den Verhandlungen beginnen wird. Das wollten Sie doch wohl selber nicht, daß Sie diese Gültigkeit des Abkommens und die Notwendigkeit und die Richtigkeit dessen in Verhandlungen — —
— Um so besser! Dann habe ich Sie, wie es bei mir manchmal vorkommt, weil ich natürlich nicht so intelligent bin,
nicht ganz richtig verstanden. Aber das wird man ja nachlesen können, und dann wird die Sache viel einfacher.Sie haben hier gehört, haben Sie gesagt, daß die Bundesregierung Pläne für die NATO-Konferenz vorbereite. Wären Sie in der letzten Besprechung gewesen, die der Bundeskanzler verdienstvollerweise den Fraktionsvorsitzenden vor seiner Reise nach Washington gegeben hat — ich nehme an, Ihr Herr Kollege, der dort stellvertretend für Sie war, hätte es Ihnen auch sagen können —, dann wüßten Sie, daß der Auswärtige Ausschuß sich damit befassen wird und daß es natürlich ein Ausschußthema ist, so daß es nicht notwendig ist, hier noch einmal in aller Breite darüber zu reden. Man kann sich Redezeit dafür sparen. Aus diesem Grunde habe ich auch keine verlängerte Redezeit beantragt.
Ich muß sagen, daß ich die Meinung nicht teile, Herr Kollege Barzel, die Sie an das nun noch einmal breit vorgelesene Zitat einer Äußerung des amerikanischen Staatssekretärs Schaetzel geknüpft haben. Das habe ich schon einmal gelesen, weil Sie es kürzlich in München gesagt haben; es ist ja notwendig, alle möglichen Protokolle zu verfolgen. Ich teile die Meinung nicht, daß hier eine Gefahr ist. Aber im Ernst: Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen dem, was der Bundeskanzler gesagt hat hinsichtlich dessen, was wir heute gar nicht lösen können, sondern was andere nach uns wahrscheinlich noch zu lösen haben werden, und den Realitäten, den Wirklichkeiten?Sie werden doch auch nicht leugnen können, selbst wenn Sie es wollen, daß es auf das Überwinden des toten Punktes in der Entwicklung und Ausgestaltung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und in ihrer Erweiterung ankommt und daß es darauf ankommt, daß die Institutionen diese Aufgaben erfüllen können, die sie heute nur, ich muß sagen: mit Knirschen erfüllen können.
Ich denke an den Ministerrat und an dessen eigentümliche Vorstellungen, und ich denke daran, was sonst noch an Leerlauf ist.Wenn es auf Bekenntnisse über die politische Union ankommt, können wir natürlich in einen Wetteifer eintreten. Ich schätze es gut, daß der
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2138 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
WehnerBundeskanzler das einmal auf den richtigen Platz zurückgestuft hat.
— Ja sicher! Sicher! Denn deklamiert worden ist doch darüber eine ganze Menge,
und zwar vor allen Dingen in den Zeiten, in denen die wirkliche Entwicklung Europas auf dem toten Punkt eingerostet war. Darin waren Sie ja immer groß.
Leider hat es jahrelang politische Beteuerung an Stelle europäischer Bauarbeit gegeben. Und jetzt kommt es auf europäische Bauarbeit an.
Ich 'wehre mich ganz entschieden dagegen, daß die Auffassung ides Bundeskanzlers und die der sozialdemokratischen Fraktion in den Verdacht gebracht wird, als wollten sie mit Europa nichts Politisches. Alles hätte keinen Sinn, — —
— Ja sicher! Was glauben Sie denn, weswegen wir in diesen schwierigen Fragen — die von Anfang an schwierig waren — angetreten sind? Aber es ist ja Ihre Art, alles madig zu machen. Sie sollten sich einen anderen Namen für Ihre Union geben: „Madigmacher-Union" ; dann wäre es richtig.
Ich halte es für unter dem Niveau, hier fortgesetzt — —
— Schreien Sie! „Schrei-Union"! Das macht uns doch nicht müde, verehrte Herren. Waren Sie in München noch nicht befriedigt, oder waren Sie nicht dabei und wollen das jetzt nachholen, was die CSU dort gebracht hat? Tun Sie es gern! Es charakterisiert Sie und nicht uns.
Der Herr Kollege Barzel hat hier als dritten Punkt die Fragen, die Berlin betreffen, angebracht: ob diese Fragen in Erfurt in dem Vier-Augen-Gespräch behandelt worden seien. Ich meine — abgesehen von dem, was es da an sachlich berechtigten Fragen und Sorgen gibt —: Es ist unter Niveau, ständig darüber Beteuerungen abgeben zu sollen, wie wir es mit Berlin halten und wie wir zu Berlin stehen. Alles steht und fällt mit der Sicherung des Status quo Berlins und der Verbesserung und der Garantie der Verbesserung der Zufahrts- und der Ausfahrtswege. Das wissen Sie, das wissen wir. Was hat esfür einen Zweck, fortgesetzt dies so in Frage stellen zu wollen?
Wenn wir in diesem Punkt keine Differenz haben, dann lassen Sie dieses Thema aus Ihrer Liste künftig heraus! Dann haben wir keinen Dissens in dieser Frage. Das ist hier am 20. März schon gesagt worden. Die Platte haben Sie wieder aufgelegt — wie Sie leider zu oft immer wieder dieselbe Platte auflegen. Sie werden doch auch noch eine Auswahl haben für Ihr Repertoire.
Was den nächsten Punkt betrifft, daß Sie — und dann unter bestimmten Bedingungen und Ankündigungen — mit einer Großen Anfrage kommen werden: Ja, kämen Sie doch bitte! Sie wollen das mehrfach haben, den Reiz der Ankündigung und der Meditation und dann der nochmaligen Androhung. Das hatten wir schon gelesen. Ich hatte mich erkundigt, wo denn der Text sei. Da haben Ihre Herren gesagt, es gebe noch keinen Text. Aber in den Zeitungen waren die Schlagzeilen — vor allen Dingen in denen, die Ihnen sehr nahe stehen —, als sei das schon auf dem Tisch.Wir gehören nun nicht zu denen, die sich beklagen; wir sind von Ihnen allerlei gewöhnt. Aber die mehrfachen Wirkungen von Schlagzeilen — das sollten Sie sich für Ihre kommende Taktik überlegen — wirken auch abstumpfend. Sie werden schließlich ein Thema zu Tode schlagzeilen, das es nicht verdient, zu Tode geschlagzeilt zu werden.
Bringen Sie Ihre Anfrage ein! Wir können sie auch einbringen; wir können Ihnen das sogar vorwegnehmen, damit der Spaß ein wenig abgekürzt wird. Nichts dagegen! Aber ob diese Machart insgesamt der Sache dient, das werden Sie sich hinterher noch einmal in Ruhe etwas anders überlegen.Sie fragen, was das sei. Sie wollen hier hochnotpeinlich neue Erklärungen von der Regierung haben, was das denn bedeute in jener Moskauer Erklärung,
ausgehend von der Lage, wie sie ist.
Wovon gehen Sie denn aus, wenn Sie mit jemand anderem sprechen? Gehen Sie denn nur aus von dem, was Sie sich ausgedacht haben?
Das tun Sie doch nicht. — Ich habe Ihren Zwischenruf nicht gehört;
ich nehme an, er war so, wie 'Sie sind, und deswegen regt es mich nicht auf.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2139
WehnerVon welcher arideren Lage als der, die wirklich ist, wollen Sie denn ausgehen? Das ist doch kein Thema für inquisitionsartige Befragungen. Es geht um die territoriale Unverletztlichkeit, und es geht darum, die territoriale Integrität durch Verträge gegen Anwendung unid Androhung von Gewalt zu sichern und die Beziehungen hinüber und herüber zu verbessern. Das ist es.Ich bin der Meinung, wir sollten uns daran erinnern, daß der Bundeskanzler in seinem Bericht tam Anfang dieses Jahres — meiner Meinung nach mit Recht — sich erinnert und darauf Bezug genommen hat, daß der amerikanische Präsident jenes Wort: „von der Konfrontation zur Kooperation zu kommen suchen" ausdrücklich aufgegriffen und auch für unseren bescheidenen Teil — wir können ja nur einen bescheidenen Teil dazu leisten — uns zu eigen gemacht hat.Sie sagen nun hier, die deutsche Frage müsse offenbleiben. Wenn wir darüber reden wollten, was die Regierungen, in denen Sie das Sagen gehabt haben, getan haben, um sie ganz offen zu halten, so wäre manches zu sagen. Dazu ist hier heute nicht der Platz. Ich möchte nur sagen: manches erinnert mich an das Wort „Haltet den Dieb!".
— Natürlich, Sie wissen das ja; Sie kommen ja von dort, wo man das so macht.
Ich twill gar nicht darüber streiten, ob Sie das hätten anders machen können. Aber da Sie diese Emotionen brauchen, sage ich in aller Nüchternheit: Ich bestreite nur, daß Sie sich jetzt hier hinstellen und so tun dürfen, als wäre das, was zu Besorgnissen Anlaß geben könnte, Schuld der Bundesregierung Brandt und des Außenministers Scheel. Das sage ich Ihnen in aller Schärfe.
Ich weiß ja, wie Sie in München herumgepöbelt haben — man schämt sich für Sie! —,
wo Sie einen Mann wie den Bundeskanzler Brandt mit Neville Chamberlain verglichen haben unid wo Sie ihn dann, weil es Ihnen noch nicht genügt hat, mit Kerenski verglichen haben. Ich sage zu Ihnen: Pfui über Ihre Art, draußen mit dem innenpolitischen Gegner umzugehen! Sie werden sich dessen noch einmal schämen.
Was Ihre Bemerkungen über das angeht, was wir eigentlich mit der polnischen Regierung vorhätten, so muß ich Ihnen sagen: ich habe gern mit verantwortet, daß in der Regierungserklärung der Großen Koalition vom Dezember 1966 ausgedrückt worden ist, wir verstünden den Wunsch des polnischen Volkes, in einem Staat mit gesicherten Grenzen zu leben, und viele in unserem Volk verstünden das heute auf Grund des eigenen Schicksals besser alsfrüher. Nur möchten wir zum Unterschied von Herrn Kiesinger die Konsequenz daraus ziehen. Das ist alles.
Was Sie wollen, das merkt man. Sie wollen aufpeitschen, denn Pfingsten naht.
Mich hat die Schlußbemerkung des Herrn Kollegen Barzel nachdenklich gemacht, ob wir die sowjetische Hegemonie stärken oder zu einer Friedensordnung kommen wollten; denn Sie seien bereit, für die letztgenannte sogar schmerzhafte Opfer zu bringen. Dann muß man miteinander reden, statt sich gegenseitig in der von Ihnen gewollten Weise zu verleumden!
— „Wie Sie"? Ich spiele dabei eine recht bescheidene Rolle. Was Sie versuchen, ist das Aufpeitschen eines Restes von Nationalismus.
Aber Sie verrechnen sich, weil der in Deutschland keine Kraft mehr bedeuten wird!
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Barzel, Sie haben zu Beginn gesagt, dies sei heute nicht der Tag für eine große außenpolitische Debatte. Das ist richtig. Ich glaube, wir müssen uns daran gewöhnen, die Berichte über die Reisen des Kanzlers und Auslandsreisen von Ministern, die wir dem Hohen Hause vortragen möchten, als das zu sehen, was sie sind, als einen Bericht über die Reise selbst zur Information des Bundestages. Wenn wir das nicht richtig sehen,
dann gelingt es nicht, den Stil zu entwickeln, über alles, was im Ausland geschieht — —
— Wenn wir das nicht richtig sehen, dann gelingt es uns nicht, diesen Stil zu entwickeln, der darin besteht, diesem Bundestag über alles, was die Bundesregierung außerhalb der Grenzen tut, sofort Bericht zu erstatten. Das muß dann in einer kurzen Debatte geschehen,
wie sie Herr Dr. Barzel offenbar selber wünscht.
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2140 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel? — Bitte!
Herr Minister Scheel, haben Sie den Eindruck, daß der Bundeskanzler uns heute wirklich über alles berichtet hat — so wie Sie das soeben dargetan haben?
Herr Dr. Barzel, wenn hier ein Bericht über eine Reise gegeben wird, dann halte ich es doch für ganz ausgeschlossen, daß dieser Bericht ausgedehnt wird zu einem Bericht über die politischen Inhalte in allen Einzelheiten, die während dieser Reise besprochen worden sind. Das ist doch ganz ausgeschlossen.
Ich glaube, es ist ganz nützlich, sich einmal das Beispiel in Großbritannien zu betrachten, wo in kurzen Berichten — wie heute in wenigen Minuten — über alles, was die Regierungen tun, dem Parlament Nachricht gegeben wird. Aber das ist nur eine einleitende Bemerkung.Denn das, was Herr Barzel zu diesem Bericht gesagt hat, erfordert Bemerkungen in einzelnen Punkten, vor allem zu dem Teil, in dem er einen berechtigten Zusammenhang zwischen der Europapolitik, unserer Bündnispolitik und unserer Osteuropapolitik hergestellt hat. Wenn wir heute über die Absicht mancher Politiker in den Vereinigten Staaten diskutieren, eine Veränderung der Präsenz der USA in Europa herbeizuführen, dann fordert das von uns Überlegungen, wie wir diesen möglichen — nicht sicheren, aber möglichen — Entwicklungen mit politischen und anderen Mitteln begegnen können. Die Bundesregierung hat das getan. Sie wird — das ist soeben von Herrn Dr. Barzel erfragt worden; ich will ihm darauf antworten — in der Sitzung des NATO-Ministerrats Ende Mai in Rom von sich aus Initiativen ergreifen, politische Initiativen innerhalb des NATO-Rats im Blick auf die Möglichkeiten ausgewogener Truppenverminderungen in Europa.Das zeigt auch schon, daß die Reise nach Washington für uns eine politische Bedeutung insoweit gehabt hat, als sie uns die Sicherheit gab, daß die Regierung der Vereinigten Staaten ihre Präsenz in Europa, so wie sie jetzt ist, . über einen Zeitraum, den wir überblicken können, aufrechtzuerhalten entschlossen ist. Auf dieser sicheren Basis können wir im NATO-Rat Überlegungen anstellen, wie man zu einer ausgewogenen Reduzierung der Truppenstärken diesseits und jenseits der Demarkationslinie gelangen kann. Hierzu wird die Bundesrepublik mit Vorschlägen ihren Beitrag leisten.Herr Barzel hat auf das Verhältnis der Vereinigten Staaten zur EWG hingewiesen. Ich glaube, es ist richtig, darüber ein paar Überlegungen anzustellen, denn das Mißtrauen in den Vereinigten Staaten gegenüber der Entwlicklung der EWG hat natürlich eine gewisse Berechtigung. Wir müssen unsalle Mühe geben, unseren Partnern in den USA die Politik der EWG zu erläutern, die sich hinter den Begriffen „Assoziation" und „Präferenzabkommen" verbirgt. Die USA haben sehr viel selbst dazu beigetragen, daß es zu einer europäischen Einigung und auch zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gekommen ist, weil sie das politische Ziel dieser europäischen Gemeinschaft als ein Ziel betrachteten, das auch ihrer Politik entgegenkommen mußte, nämlich dem Ziel, einen stabilen Großraum in Europa zu begründen. Aber jetzt diskutieren wir in zunehmendem Maße nicht nur über Assoziationsabkommen mit afrikanischen Staaten, die früher mit europäischen Kolonialmächten verbunden waren, sondern auch über Assoziationsabkommen mit Griechenland und mit der Türkei, über Abkommen mit Marokko, mit Tunesien und mit Israel, über Präferenzabkommen mit Spanien, möglicherweise auch über Abkommen mit Ägypten, über Präferenzabkommen mit Jugoslawien usw.Aus der Sicht .der Vereinigten Staaten ist das Ziel, das mit dieser Politik verbunden sein könnte, nicht recht erkennbar und nicht sicher zu umreißen. Daher müssen wir für diese Handelspolitik der EWG politische Motive finden. Der Bundeskanzler hat ,das in den Vereinigten Staaten getan. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, was im Ministerrat ,der EWG seit langem Diskussionsstoff ist. Wir haben im Ministerrat praktische Vorschläge gemacht, wie man das latente Mißtrauen durch gegenseitige Information abbaut. Wenn die EWG andere Länder assoziiert und neben dem Beitritt von vier Ländern bald auch mit Osterreich, Schweden und der Schweiz über wirtschaftliche Abkommen sprechen wird, dann muß man das Endziel, auch das politische, dem amerikanischen Partner deutlicher machen, als es bisher ist.
— Nein, das ist ein anderes Problem, auf das ich nachher kommen werde.Das politische Hauptziel der Handelspolitik der EWG ist ja nichts anderes, als in ganz Europa einen wirtschaftlich und damit am Ende auch politisch stabilen Raum zu entwickeln. Das ist das Ziel, das dahintersteckt. Das ist die eine Seite, nämlich das politische Ziel, das mit der bestehenden Wirtschaftsgemeinschaft durch das in den Verträgen begründete Handeln erreicht wird.Aber daneben — und danach hat Herr Kollege Barzel speziell gefragt — gibt es die ersten erneuten Ansätze der politischen Zusammenarbeit der EWG-Partner. Hier, glaube ich, sollten wir eindeutig eine Gemeinsamkeit feststellen, nämlich: Das Endziel, .das wir mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angezielt haben, ist nicht etwa ein Interessenverband europäischer Länder, um sich gegenseitig Vorteile zu verschaffen, sondern es ist ein politisches Ziel, nämlich die politische Einheit Europas zu erreichen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2141
Bundesminister Scheel— Wenn ich hier spreche, tue ich das immer für die Bundesregierung und selbstverständlich in voller Übereinstimmung mit dem Bundeskanzler, der nie etwas ,anderes gesagt hat.
— Herr Wehner hat soeben ein Bekenntnis zu Europa abgelegt. Er hat etwas zu dem Rhythmus und zu dem realistischen Verhältnis, also zu den Möglichkeiten gesagt, auf diesem Wiege praktisch voranzukommen.
Meine Damen und Herren, wir haben doch alle den Versuch gemacht, die europäische Einigung Schritt für Schritt zu erreichen. Wir sind über Streckengescheitert, gegen Gummiwände gelaufen, weil wir uns in einer nichtrealistischen Verkennung der Lage in Sackgassen verrant haben. Gerade im letzten Jahr haben wir eine Anstrengung gemacht, an der sich die Bundesrepublik Deutschland ganz wesentlich beteiligt hat, um aus der Sackgasse herauszukommen. Dazu gehörte eben, daß wir in Den Haag den Artikel XV in dass Kommuniqué aufgenommen haben. Er ist auf eine Initiative der Bundesrepublik dort hineingekommen. In diesem Artikel heißt es nämlich, daß wir neben der Vertiefung und Vollendung des Gemeinsamen Marktes und der Erweiterung um neue Mitglieder zwischen den Partnern der EWG zu einer politischen Zusammenarbeit kommen wollen. Damit haben wir begonnen.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Guttenberg?
Ja, bitte sehr!
Herr Außenminister, wir haben Anlaß zu folgender Frage. Nachdem Sie soeben gesagt haben, daß es das Ziel der Bemühungen um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und deren Erweiterung sei, eine gemeinsame europäische Politik zu entwickeln, müßten Sie auch mit uns der Meinung sein, daß es neutralen europäischen Staaten nicht möglich ist, Vollmitglied in der EWG zu werden. Ist das so?
Das ist so. Neutrale europäische Staaten werden eine besondere Form der Mitgliedschaft in oder der Zusammenarbeit mit der EWG finden müssen. Ich will das Beispiel, an das Sie vielleicht gedacht haben, Herr Kollege von Guttenberg, nennen, nämlich Schweden. Schweden ist der Überzeugung, Mitglied werden zu können, aber unter bestimmten Einschränkungen in bestimmten Punkten.
— Ja, das ist aber auch die Meinung Schwedens. DiePartner der EWG müssen sich überlegen, ob maneine Mitgliedschaft unter Einschränkung der Mitarbeit in bestimmten Punkten ermöglichen kann. Das ist aber etwas, das sehr sorgfältig diskutiert werden muß.Ich glaube, niemand in diesem Hause würde etwa aus dieser Schwierigkeit den Schluß ziehen, wir wollten die enge Zusammenarbeit auch von neutralen Ländern mit der EWG verhindern, sondern wir alle ziehen daraus den Schluß, daß alles getan werden muß, um im Interesse Europas zu einer möglichst engen Zusammenarbeit mit diesen Ländern zu kommen.
Ich darf zu diesem Bereich noch eine Bemerkung machen. Wir werden jetzt in Rom eine umfassende Diskussion zwischen den Außenministern der EWG-Partnerländer über die Möglichkeiten führen, wie man eine solche politische Zusammenarbeit in Gang setzen kann. Diese politische Zusammenarbeit, Herr Dr. Barzel, besteht nach meiner Überzeugung in der Absicht, die in der Präambel der EWG-Verträge genannte Zielsetzung zu verwirklichen, nämlich diese Zielsetzung in praktische Politik umzusetzen, allerdings parallel zu dem Prozeß der wirtschaftlichen Integration, der in den Verträgen vorgesehen ist. Davon hat der Bundeskanzler in London gesprochen: von der Parallelität von zwei Entwicklungsprozessen, dem, der im Vertrag festgelegt ist— das ist ein wirtschaftlicher Entwicklungsprozeß —, und dem politischen, der wegen der Art der Verträge nur neben den Verträgen her entwickelt werden kann. Daß das aber eine sich gegenseitig bedingende Entwicklung ist, versteht sich von selbst.
— Ich komme zur „nächsten Generation". Ich habe mir alles in der Reihenfolge aufgeschrieben, in der Sie es hier gesagt haben, Herr Dr. Barzel.
Generationen, meine verehrten Damen und Herren, sind heute schon allüberall in der Ablösung begriffen. Die Verantwortung in der Politik und die Verantwortung in der Wirtschaft gehen von einer Generation auf die andere über, und wenn man politische Maßnahmen und politische Entscheidungen von so weitreichender Art wie in der europäischen Politik trifft, muß man ohnehin in Generationen denken und anderen Generationen etwas übergeben, das sie selbst weitertreiben müssen.Aber hier geht es doch um folgendes. Wir haben, um eine politische Zusammenarbeit in Gang zu bringen, Vorschläge entwickelt, die ein Minimum an Institutionalisierung dieser Zusammenarbeit bringen, damit sie nicht, wie schon einmal geschehen, an der Diskussion über Institutionen in Wahrheit bereits zu Anbeginn scheitert. Wenn ich das aber mache, dann muß ich damit rechnen, daß sich diese Zusammenarbeit über eine weite zeitliche Strecke entwickeln kann. Da komme ich bei der Vollendung dieser Zusammenarbeit, die füglich nur eine europäische Union sein kann mit allem, was dazugehört, sicher
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2142 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Bundesminister Scheelin die nächste Generation hinein, nämlich wenn ich Generation als einen Wechsel in der Verantwortung verstehe.
Das ist meine Meinung darüber, und ich glaube, anders konnte man das, was der Bundeskanzler gesagt hat, gar nicht verstehen. Ich habe es so verstanden.
Ich darf einen weiteren Punkt erwähnen, den Herr Barzel hier soeben diskutiert hat. Das ist die Frage Berlin. Herr Barzel hat den Eindruck erweckt, als ob es möglicherweise unterschiedliche Meinungen über die Bedeutung der Sicherheit Berlins und über die Bedeutung der Bindungen West-Berlins an den Bund zwischen den Parteien hier gäbe. Die Bundesregierung hat nicht zum erstenmal klargemacht, daß für uns die Sicherheit Berlins, die Lebensfähigkeit für seine Bevölkerung, die Bindungen West-Berlins an den Bund eine unverzichtbare Grundlage aller Abmachungen sein werden, die überhaupt nur denkbar sind.
Meine Damen und Herren, der zeitliche Vorrang, der von Herrn Barzel hier erwähnt worden ist, ist, glaube ich, nicht das Entscheidende,
sondern entscheidend ist der unverzichtbare Zusammenhang zwischen Berlin, Moskau, Warschau und den innerdeutschen Gesprächen. Aber auf diesen unverzichtbaren Zusammenhang hat die Bundesregierung heute nicht zum erstenmal hingewiesen, sondern sie hat diesen Zusammenhang auch bei der Vorbereitung der Berlin-Gespräche gesehen, über die — und das darf ich doch der Ordnung halber sagen, weil hier ein falscher Eindruck entstanden sein könnte — der Auswärtige Ausschuß durch das Auswärtige Amt in jedem Falle genauestens unterrichtet worden ist, zuletzt gemeinsam mit dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen am 17. Februar. Beide Ausschüsse haben die Position der Bundesregierung, die sich mit der der drei Verbündeten deckt, in Einzelheiten vorgetragen bekommen.Nun komme ich zum letzten Punkt, den Herr Barzel genannt hat, nämlich dem Moskauer Kommuniqué und dem Rätseln darum, was denn nun „wirkliche Lage" heißen kann. Die englische Übermittlung eines Textes, in dem es „Status quo" heißt, entzieht sich sicher unserer Verantwortung. Ich nehme an, das ist die Interpretation eines Nachrichtenbürotextes.
Denn wir pflegen unsere Texte, soweit sie zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik vereinbart werden, naturgemäß nicht in englischer Sprache abzufassen, sondern für uns gültig in deutscher Sprache, und hier sprechen wir von der „wirklichen Lage".Meine verehrten Damen und Herren, zur wirklichen Lage in Europa gehört alles das, was hier soeben gesagt worden ist. Es gehört dazu die Verantwortung der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes. Es gehört dazu die Verantwortung der Vier Mächte für Berlin. Es gehört dazu die vertragliche Bindung der Bundesrepublik mit den drei westlichen Alliierten.
Es gehört dazu die Bindung der Bundesrepublik in der Allianz mit den Vereinigten Staaten und Kanada in der NATO. Es gehört dazu die Anwesenheit der Vereinigten Staaten auf europäischem Boden zur Sicherheit Europas, die ohne diese Anwesenheit nicht denkbar ist.. Das alles gehört zu dieser wirklichen Lage, von der wir ausgehen müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulze-Vorberg?
Im Augenblick nicht, Herr Präsident, vielleicht im Anschluß an diesen Gedanken.Es gehört aber auch dazu, meine Damen und Herren, daß durch die Konfrontation der großen militärischen Blöcke mitten in Europa die Sicherheit Europas einen Gefährdungsgrad hat, den es abzubauen gilt. Es gehört dazu, daß unser amerikanischer Verbündeter diese Konfrontation aus eigenem Willen mit der Phase der Gespräche zwischen den Beteiligten in eine Kooperation überleiten will. Das ist etwas, was die Vereinigten Staaten ihrerseits im bilateralen Gespräch mit der Sowjetunion schon begonnen haben.Es gehört dazu, daß aus dieser internationalen Bewegung heraus eine Konferenz über die Sicherheit in Europa nützlich sein könnte, wenn sie, sorgfältig vorbereitet und unterstützt durch alle, die heute für die Sicherheit Europas Verantwortung tragen, das Ziel einer dauerhaften Friedensordnung in Europa haben würde und darauf ausgerichtet wäre, die bestehenden Verhältnisse, soweit sie geändert werden müssen, wirklich zu ändern, d. h. die Negativa zu überwinden, mit denen wir es in Europa zu tun haben. Genau das, meine Damen und Herren, ist das Ziel, das die Bundesregierung mit ihrer Politik Osteuropa gegenüber und in Europa und mit ihrer Bündnispolitik mit den Vereinigten Staaten verfolgt.Ich glaube, es bedarf nur einer kurzen Erwähnung — damit nichts ausgelassen ist —, daß wir bei der Verfolgung dieses außenpolitischen Zieles, die uns zu Verhandlungen an den Brennpunkten der europäischen Politik geführt hat — Verhandlungen, die sehr lange dauern werden, die schwierig sein werden und deren Ergebnis man nicht absehen kann —, daß wir bei diesen Verhandlungen bestimmte Grundlagen zur unverzichtbaren Voraussetzung machen, die hier vom Bundeskanzler sowohl in der Regierungserklärung als auch in seiner Erklärung zur Lage der Nation mehrfach genannt worden sind, nämlich: Das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen wird verteidigt. Die Einheit der Nation ist ein Ziel,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2143
Bundesminister Scheeldem wir zustreben. Wir lassen nicht zu, daß irgend jemand von uns verlangen könnte, auf das politische Ziel, die Deutschen zusammenzubringen, zu verzichten.
Die deutsche Option ist ein unverzichtbares Ziel unserer Politik. — Meine Damen und Herren, die Bundesregierung erklärt das zu wiederholtem Male. Ich glaube, wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß dieses die Basis ist, auf der wir unsere Politik machen.Wenn wir dann zu einem verwirklichbaren Verhandlungsergebnis kommen sollten, das für Europa eine dauerhafte Friedensordnung, für die Deutschen eine Verbesserung ihrer Lage und mehr Kontakt miteinander bringen kann und das die Aussicht für eine bessere Zukunft eröffnen könnte, dann ist es, glaube ich, gerechtfertigt, schmerzhafte Opfer dafür in Kauf zu nehmen. Ich möchte sagen, daß dieses letzte Wort von Herrn Barzel unsere Zustimmung findet.
Herr Minister, Sie hatten vorhin eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulze-Vorberg noch nicht zugelassen. Wollen Sie sie noch annehmen?
Scheel: Bundesminister des Auswärtigen: Ich möchte urreinen Kollegen Schulze-Vorberg nicht enttäuschen.
Sehr liebenswürdig, Herr Minister!
Sie hatten eine Interpretation gegeben, was die Formulierung aus dem Moskauer Kommuniqué Ihrer Meinung nach bedeutet. Können wir davon ausgehen, daß Sie als der Bundesaußenminister der Überzeugung sind, daß diese Ihre Interpretation vollinhaltlich von der Sowjetunion gedeckt wird, oder ist zu vermuten, daß hier ein Dissenz besteht, so daß also dieses Kommuniqué in dem Punkt keine volle Übereinstimmung wiedergibt?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, niemand von uns vermag in die Interpretationen anderer hineinzuschauen.
Dieses Kommuniqué ist von mir eben ohne Widerspruch von irgend jemandem interpretiert worden, und ich möchte nur betonen, daß diese Interpretation die unwidersprochene Meinung der Bundesregierung ist. Wenn darüber irgendwelche unterschiedlichen Auffassungen bestehen oder entstehen sollten, werden wir uns darüber auf der Basis, die ich eben genannt habe, auseinanderzusetzen haben.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Stücklen hat eine Äußerung des Herrn Abgeordneten Wehner beanstandet. Ich möchte nur feststellen, daß das stenographische Protokoll dem nicht entspricht, was der Herr Abgeordnete Stücklen glaubt gehört zu haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Srtauß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider weiß ich nicht, welches das Wort des Kollegen Wehner gewesen sein soll, sonst hätte ich es — —
— Sie scheinen sich heute in einer Gemütsverfassung zu befinden, Herr Kollege Wehner, — —
— Ich glaube, Sie wären heute dankbar, wenn Sie in der meinigen wären!
— Heute haben Sie dafür gesorgt, daß das Moment des Interessanten ausschließlich bei Ihnen liegt!
Wenn es irgendein Abgeordneter wäre, Herr Kollege Wehner, dann könnte man diese Rede, die Sie gehalten haben, übergehen.
Da S i e diese Rede als Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehalten haben, hätten wir nur einen Wunsch: daß diese Rede ohne jede Kürzung optisch und akustisch dem ganzen deutschen Volke zur Kenntnis gebracht worden wäre!
Das wäre die von uns gewünschte volle politische Information der Offentlichkeit.
Ich darf nur zu ganz wenigen Punkten dieser Rede einige wenige Worte sagen. Wenn Sie sagen, Herr Kollege Wehner, die CDU/CSU könnte ja ihre Große Anfrage früher einreichen, dann könnte man den Spaß abkürzen, antworte ich: Das Interventionsrecht des Parlamentes, in Verfassung und Geschäftsordnung ausgedrückt durch die Möglichkeit Großer Anfragen, ist kein Spaß, sondern bitterer Ernst.
Wenn Sie die Rede des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU als die Wiederauflage einer alten Platte
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2144 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Straußbezeichnen, dann beweist das, Herr Kollege Wehner, daß Sie trotz Ihrer langjährigen Zugehörigkeit zu einem demokratischen Parlament noch viel zu lernen haben, um Toleranz zu üben.
Und schließlich: Wenn Sie auf einen Zwischenruf des Kollegen Jaeger sagen „Ich habe ihn nicht verstanden, aber er war sicher so, wie Sie sind", dann bringt das genau dieselbe geradezu fanatische, vehemente Intoleranz zum Ausdruck, die Sie dann am meisten bekennen, wenn Sie auf eine Kritik stoßen, die Sie im Inneren Ihres Herzens doch nicht für ganz unberechtigt halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben den Bundeskanzler, glaube ich, richtiger verstanden als sein Außenminister. Es kann ja auch ein Tauber heute kaum überhören, daß hier mit verschiedenen Zungen gesprochen wird
und daß man die Kunst einer schon beinahe verzweifelten Interpretation zu strapazieren sich bemüht, um den Gleichklang aller in Ost und West, hier und dort, von diesem oder jenem gemachten Ausführungen überhaupt noch als eine wenn auch lockere Basis einer Interessengemeinschaft, die diese Politik zusammenhalten soll, anerkennen zu können. Wir haben den Herrn Bundeskanzler richtig verstanden. Er meinte nicht eine nächste politische Generation, etwa die Ablösung dieser Regierung,
sondern er meinte dasselbe, was sein Gesprächspartner, der britische Premierminister Wilson, bei einer früheren Gelegenheit einmal auf Anfrage der Opposition im Parlament und bei anderen Interventionen — auch seiner eigenen Parteifreunde — gesagt hat: in späteren Generationen. Weil man in bestimmten Kreisen Europaas in der Frage der politischen Integration nicht mehr Farbe bekennen will!
Wir sind der Auffassung — ich darf das für die ganze Fraktion der CDU/CSU sagen —, daß der Verzicht, sei er jetzt verbal ausgedrückt oder im stillen Kämmerlein des Herzens bereits vollzogen, auf eine Politik der politischen Integration Westeuropas nichts anderes als den Bruchpunkt bedeuten würde, der den Rest Europas, der sich der politischen und menschlichen Freiheit erfreut, in einen neuen Abgrund triebe.
Selbst die vom Kollegen Barzel mit Recht betonte und vom Kollegen Kühlmann-Stumm herausgestellte Präsenz der Amerikaner, die wir hundertprozentig bejahen, schützt uns nicht davor, daß dieses Europa sich auch zu einer politischen Einheit mit einer stärkeren Verteidigungsfähigkeit zusammenfindenmuß. Worin liegt denn der amerikanische Arger begründet? Das werden Sie doch kennengelernt haben, Herr Bundeskanzler. Er liegt doch darin begründet, daß man hier ein Europa entstehen sieht, das sämtliche Vorteile des Welthandels und eines großen Wirtschaftsraumes in Anspruch nimmt, das diesen Raum sogar dauernd noch erweitern will, aber nicht fähig ist — ich spreche gar nicht von der Bereitschaft —, neben einem Handelspartner auch ein Verteidigungspartner zu sein.
Ein Verteidigungspartner sind wir nämlich in der Isolierung der nationalstaatlichen Zerrissenheit nicht.
Das ist das entscheidende Problem, um das es sich hier handelt.
Sie können nicht überhören, Herr Bundeskanzler, was man da oder dort über diese Politik sagt. Ein Ihnen sehr freundlich gesinntes amerikanisches Nachrichtenmagazin, „Newsweek", hat in der Ausgabe vom 30. März — ich habe sie jetzt nicht hier, habe die Ausführungen aber im Gedächtnis— einen Herausgeber-Artikel gebracht, in dem es heißt — sinngemäß zitiere ich genau, wörtlich mag es eine kleine verbale Abweichung geben —, daß die Politik Willy Brandts nach Osten hin im Falle eines Erfolges zu dem Ende der Politik der westeuropäischen Einigung führen kann. So steht es dort schwarz auf weiß.Wenn der Herr Bundesaußenminister sagt, er bekenne sich zu der vertraglichen Bindung an den Westen, möchte ich hier die Frage hinzufügen: zu einer unveränderten vertraglichen Bindung an den Westen? Stehen die Art. 7 und 10 des Deutschlandvertrages, wie der Bonner General-Anzeiger am letzten Samstag ohne Widerspruch von seiten der Bundesregierung geschrieben hat, bei Gesprächen, sei es in Washington, sei es in Moskau, auch nur irgendwie zur Diskussion? Auf diese Frage wollen wir ein unbestreitbares, durch keinerlei Interpretation anders auslegbares Nein hören!
Es ist gerade der Art. 7, den wir, um unsere Politik der Westbindung vor dem deutschen Volk zu rechtfertigen und auch den damals von uns ernst genommenen und nicht als Pöbelei bezeichneten kritischen Vorbehalten der damaligen Opposition gerecht zu werden, den Westmächten in den mühsamen Verhandlungen jener Jahre überzeugend eingeredet, um nicht zu sagen, fast aufgezwungen haben. Dieser Artikel kann und darf nicht zur Diskussion gestellt werden, auch wenn es zur Erleichterung von Gesprächen in der anderen Richtung von dem einen oder anderen — vielleicht auch Emissär — für wünschenswert gehalten wird.Lassen Sie mich auf die Frage des Moskauer Kommuniqués zu sprechen kommen. Herr Kollege Wehner sagte, es sei erfreulich, daß über die Ge-
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Straußspräche in Washington kein Kommuniqué herausgekommen sei. Er müßte eigentlich sagen, es sei unerfreulich, daß über die Gespräche Bahrs in Moskau eins herausgekommen ist. Das wäre logischerweise die Anwendung des gleichen Maßstabes. Was die Bewertung dieses Kommuniqués angeht, so haben wir, Herr Außenminister, Ihren von uns begrüßten, aber sehr rührend wirkenden Versuch zur Kenntnis genommen, dieses Kommuniqué so zu deuten. Ich habe aber keinen Zweifel daran, daß 'im Zweifelsfall angesichts der Pragmatik der Tatsachen, angesichts .der Verteilung der Gewichte die sowjetische Interpretation die gewichtigere sein wird. In der englischen Übersetzung von TASS — und das ist schließlich nicht irgendeine Agentur — wurde das, was Herr Abrassimow „Wirklichkeiten", die er noch herbeizuführen gedenkt, nannte, als der Status quo bezeichnet, auf den sich die Bundesregierung, in Moskau vertreten durch Staatssekretär Bahr, mit Herrn Gromyko geeinigt habe. Da setzen unsere Bedenken, da setzen unsere Zweifel und da setzt unsere Kritik an. Es wäre das Ende einer offenen politischen Aussprache, wenn solche Kritik als Pöbelei abgetan und terroristisch abgelehnt werden würde.
Was wir wollen, ist die volle Information; wenn sie nicht offen gegeben werden kann, dann in dem entsprechenden Kreis. Wir haben die volle Information bestimmt nicht bekommen. Was wir wollen, ist die Freiheit der politischen Aussprache über das, was hier an Zweifeln, an Fragen, an Besorgnissen und auch Ängsten aufgekommen ist. Ich darf sagen: Mit voller Legitimation muß dieses Haus das Forum der offenen Aussprache bleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte hier einige von vielen Sätzen wiederholen, damit sich Herr Kollege Wehner einmal davon überzeugen kann, was er als Pöbelei bezeichnet hat. Ich möchte hier nur einen Passus herausgreifen. Er heißt:Die gegenwärtige Bundesregierung kann unserer vollen und nationalen Solidarität gewiß sein, wenn sie erreicht, für eindeutige und unwiderrufliche Leistungen der Bundesrepublik ebenso eindeutige und unwiderrufliche Leistungen vergleichbarer Bedeutung von der kommunistischen Seite zu bekommen.
Das gilt im Bereich menschlicher Erleichterungen im geteilten Deutschland ebenso wie in der deutsch-polnischen Grenzfrage, wie im Bereich der Rüstungsminderung. Wir sind uns unserer Verantwortung nach jeder Richtung hin bewußt. Wir lassen es uns andererseits aber nicht nehmen, in Existenzfragen unseres Volkes der Regierung jene Kontrolle aufzuerlegen, die das Recht und die Pflicht der parlamentarischen Opposition sind.Diese in München gemachten Ausführungen wiederhole ich hier. — Ich wiederhole sie mit voller ZuStimmung — das darf ich sagen — der beiden Partner, die diese große Fraktion der CDU/CSU ausmachen.
Wir müssen jedes Wort von Ihnen ernst nehmen, Herr Bundeskanzler. Wir müssen es ernst nehmen, ganz gleich, wo es veröffentlicht wird. Gerade darum waren wir über Ihr Nicht-Wahrhabenwollen, wie Sie es im „Stern"-Interview zum Ausdruck gebracht haben, gelinde gesagt, so erstaunt — ich könnte einen noch härteren Ausdruck gebrauchen —, wenn Sie die Forderungen von Stoph auf 100 Milliarden DM herabspielen und sagen, die müßten halt auch von ihrer Argumentation wegkommen usw., wenn Sie sich gegen eine Politik des „do, ut des" aussprechen, nur für eine Politik Zug um Zug. Ja, „Zug um Zug" kann sein: Zug um Zug geben wir nach und gewinnt Moskau an Boden. Das „do, ut des" ist viel klarer als Ihr „Zug um Zug". Wenn Sie sich gegen ein „do, ut des" aussprechen, dann werden Sie sich allerdings nicht auf die Gemeinsamkeit mit uns stützen können; denn ich habe hier zum Ausdruck gebracht, daß wir für eine Politik der echten unwiderrufbaren Leistungen zu unseren Gunsten auch bereit sind, echte und unwiderrufbare Leistungen ebenfalls von unserer Seite nach „do, ut des", — „pari passu" wäre mir lieber —, gleichzeitig zu erbringen; bei dieser Politik können Sie sich auf die Unterstützung der Opposition verlassen.In einem lobpreisenden Kommentar des Westdeutschen Rundfunks, der von Herr Bender gesprochen wurde, wird gesagt: Versteht die CDU/CSU vielleicht darunter menschliche Erleichterungen, die das SED-Regime bieten soll? Dann stellt sie Forderungen auf, von denen Sie wissen muß, daß sie damit die Politik der Bundesregierung absichtlich zum Scheitern bringt.
Ich kann diesen Kommentar hier wörtlich verlesen. Ich tue es nur mit Rücksicht auf die Redezeit von 15 Minuten nicht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, über diese Fragen, von denen ich nur einige, nicht einmal die wesentlichen hier anschneiden konnte, wollen wir eine andere Auskunft haben als diese sehr dürftige Aneinanderreihung vieler unverbindlicher und nicht immer klar deutbarer Begriffe, wie wir sie heute leider von Ihnen bekommen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Temperament kann man sich streiten. Wenn unser Fraktionsvorsitzender hier eine so temperamentvolle Rede gehalten hat,
dann tut es uns deswegen leid, weil wir .nicht wollen, daß er seine Kraft, die wir so dringend brau-
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Dr. Apelchen, an so unwichtige und unwürdige Dinge verschleudert, wie sie von Ihnen in den letzten Tagen außerhalb des Parlaments vorgetragen wurden.
Herr Kollege Strauß, es wird geradezu peinlich, daß Sie draußen im Lande mit Argumenten arbeiten, die in der Tat die Substanz dieser Republik gefährden,
und hier im Parlament den feinen Max spielen. Haben Sie doch einmal Mut, einen Teil der Dinge, die Sie draußen in Vilshofen, in München und anderswo verkaufen, hier zu sagen! Dann hören -wir endlich einmal, wes Geistes Kind Sie sind.
Herr Kollege Strauß, wenn Sie meinen, sich hier über Europa unterhalten zu sollen, wenn Sie der Meinung sind, uns hier Vorhaltungen machen zu sollen, dann erinnere ich einmal an einige Vokabeln, die Sie im Vorwahlkampf und im Wahlkampf benutzt haben.
— Jawohl, derselbe Herr Strauß, der hier von der politischen Union sprach,, meinte sagen zu sollen, Agrarfinanzierung seien versteckte Reparationen des deutschen Volkes an andere. Sie machen auch hier wiederum eine zweiseitige Politik, die wir aber nicht durchgehen lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß? —
Strauß: : Ist Ihnen bekannt, daß ich mich — dazu bekenne ich mich — für keine supranationale Agrarstrukturfinanzierung in völliger Übereinstimmung mit dem Landwirtschaftsminister Ihrer Regierung ausgesprochen habe, weil bei dem jetzigen System das Doppelte von dem an Mitteln aus der Bundesrepublik hinausgeht, was in die Bundesrepublik hereinkommt?
Zweite Frage in Verbindung damit: kennen Sie die Ausführungen, die der Agrarkommissar der Hohen Kommission, Herr Mansholt, über den Sinn der europäischen Agrarfinanzierung in Strukturproblemen gemacht hat? Ich bin durch Diskretion noch verhindert, es zu sagen. Aber kennen Sie diese Ausführungen? Ich bin gerne bereit, es Ihnen unter vier Augen zu sagen.
Es muß wohl in Bayern üblich sein, daß man notfalls auf einen Schelmen anderthalbe setzt. Das muß wohl Ihre Politik sein.
Ich sage das zu Ihren Aussagen. Die Bemerkungen von Herrn Mansholt interessieren mich nicht.
Ich kenne Ihre Bemerkungen, und die habe ich hier zitiert.
Herr Kollege Strauß, nun muß ich Sie einmalallen Ernstes fragen, seit wann eigentlich die europäische Politik wieder flott ist. Doch seit der Zeit,
Zu diesen neuen Akzenten gehört auch, Herr Kollege Strauß, daß wir endlich (aufhören, im Rahmen der Europaunion und anderswo gewisse Vokabeln zu benutzen, aber die Politik selbst dann, wenn es darauf ankommt, egoistisch-nationalistisch zu machen. Wir haben im Anschluß an Den Haag eine Reihe von Opfern gebracht. Ich finde es nur klug, daß der Herr Bundeskanzler deutlich macht, daß auch noch spätere Generationen wesentliche Aufgaben im Aufbau Europas haben. Denn Sie glauben doch nicht im Ernst, daß die Fragen des Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft, der Erweiterung der EWG um England und Skandinavien Themen sind, die in den nächsten zwei bis drei Jahren zu erledigen sein werden. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß der politische Bundesstaat Europa, den wir Sozialdemokraten mit allem Nachdruck wollen — aus diesem Grunde hat ja der Herr Bundeskanzler dafür gesorgt, daß in Den Haag auch hier ein neuer Anfang versucht wird —, in den nächsten Jahren geschaffen werden kann. Das ist eine Aufgabe für Generationen. Ich finde es gut, daß diese Bundesregierung das nächste als nächstes anvisiert und auch noch dem morgigen Tage und den nächsten Jahren ihre Sorgen läßt.Ich muß hier erneut feststellen, daß Sie nicht nur an gewisse Ressentiments in unserem Lande appellieren und damit Politik machen, Herr Strauß, sondern daß Sie auch denken, die Bevölkerung sei relativ schnell vergeßlich. Wir wenden dafür sorgen, daß im Bewußtsein dieses Landes deutlich bleibt, daß mit Willy Brandt und Walter Scheel eine neue Europapolitik begonnen hat, die vorher nicht möglich war.
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Dr. ApelHerr Kollege Barzel, ich finde es in der Tat richtig, wenn sich mein Fraktionsvorsitzender darüber mokiert hat, daß Ihre Große Anfrage nicht kommt. Denn die Politik, die Sie hier betreiben, ist ja doch eine merkwürdige: Ankündigungseffekte — und dann geschieht nichts, weil Sie inzwischen auf Grund vorliegender Meinungsumfragen eingesehen haben, wie unpopulär ihre Deutschland- und Ostpolitik ist
und wie peinlich es für Sie ist, sich hier in eine gewisse Position hineinzubringen. Wir haben vor dieser Debatte, Herr Dr. Barzel, da können Sie absolut sicher sein, überhaupt keine Angst. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten bei Abstimmungen hier im Plenum und bei anderen Gelegenheiten festgestellt, daß immer dann, wenn Ihre Fraktion Muskeln zeigen mußte, wenig da war. Wir werden auch diese Runde bestehen und werden in der Lage sein, uns dann mit Ihnen sachlich auseinanderzusetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Meine Herren von der CDU/CSU, Sie haben heute in den Reden von Herrn Dr. Barzel, aber eigentlich auch in den Bemerkungen von Herrn Kollegen Strauß, erneut das zu tun versucht, was wir schon wiederholt festgestellt haben, indem Sie auch von der Bundesregierung getragene politische Forderungen in der Deutschland- und Ostpolitik wie in der Europapolitik als die Ihren darstellen und so tun, als gebe es hier fundamentale Meinungsverschiedenheiten. Wir wollen den Bundesstaat Europa, wir wollen das große Europa. Wir haben völlig klargemacht, daß es in der Ost- und Deutschlandpolitik natürlich ein do ut des geben wird.
Herr Kollege Apel, beantworten Sie mir eine Frage?
Ihnen beantworte ich eine Frage, Herr Strauß, weil Sie so nett danach fragen.
Herr Kollege Apel, ohne ein unangebrachtes Kompliment machen zu wollen: Würden Sie davon Kenntnis nehmen, daß ich Ihre europäische Einstellung in keiner Weise bezweifle, daß aber die Politik mit dem Ziel eines europäischen Bundesstaates, zu dem sich auch der Herr Außenminister bekannt hat, das der Herr Bundeskanzler „späteren Generationen" überwiesen hat, in einem diametralen Widerspruch zu den essentiellen strategischen Zielen der Sowjetunion steht und daß deshalb eine Unvereinbarkeit der einen Politik mit der anderen, wenn man nachher ein Arrangement herbeiführen will, sich sehr bald herausstellen wird?
Herr Strauß, ich kann auf Ihre Frage folgendes sagen. Der Herr Bundeskanzler und auch Herr Wehner haben immer wieder völlig klargemacht — das ist ja auch in den Bemerkungen in dieser Debatte angeklungen —, daß beide deutsche Staaten wie auch die Verhandlungspartner in Ost und West eingebettet sind in ihre Verfassungen, in ihre nationalen Notwendigkeiten, in ihre Verträge, in ihre Allianzen; daß wir die Westpolitik vorantreiben und daß es dabei für uns überhaupt keine Kompromisse gibt. Insofern kann ich Ihre Frage nach der unveränderten Bindung an den Westen nicht begreifen.
Es ist doch in allen Gesprächen mit den westlichen Alliierten deutlich geworden, daß es hier die völlige Übereinstimmung mit uns und die völlige Einbettung unserer Politik gibt.
Die Konsequenz aus meinen Bemerkungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Wenn Sie meinen, daß Herr Kollege Wehner Sie zu hart angefaßt hat,
dann sollten Sie einmal überlegen, ob Sie es in der Tat mit Ihrer Verpflichtung gegenüber dem Grundgesetz und gegenüber diesem Volk vereinbaren können, auch in Zukunft nationalistische Phänomene zu wecken und mit ihnen zu spielen aus billigen tagespolitischen Überlegungen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Amerika ist eingroßes Land; da gibt es viele verschiedene Meinungen, und ganz gewiß werden manche Meinungen dort ausgedrückt — z. B. auch in der „New York Times" —, die nicht ihre Entsprechung finden in Gesprächen zwischen den Vertretern der Regierungen. Ich will darüber jetzt nicht philosophieren; ich sage es nur als Antwort auf die Frage. Das, was diese Zeitung schreibt, was Sie zitiert haben, ist auch nicht im Sinne einer nur silbenhaften Andeutung als Meinung des Präsidenten der Vereinigten Staaten mir gegenüber zum Ausdruck gebracht worden. Ich muß mich an das halten, was der verantwortliche Chef der. amerikanischen Regierung sagt. — Punkt eins.Im übrigen, Herr Kollege Barzel und Herr Kollege Strauß, ist eine Menge über die Ostpolitik und über die Deutschlandpolitik gesprochen worden. Selbstverständlich steht es jedem frei, wenn zur Außen-
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Bundeskanzler Brandtpolitik etwas aufgerufen wird, alles Mögliche vorzubringen. Ich hatte geglaubt, mich heute darauf beschränken zu sollen, zu sagen: Was die nach Osten gerichteten oder die mögliche Zusammenarbeit mit östlichen Faktoren betreffenden Fragen angeht, können wir uns bei dem Hauptverbündeten, bei den Vereinigten Staaten, auf Verständnis, Sympathie und politische Unterstützung verlassen.Ich 'bin jetzt darauf hingewiesen worden, daß ich gestern vor meiner Fraktion — was zutrifft — auch einige Bemerkungen über Polen gemacht habe, und ich bin gefragt worden, warum ich sie nicht hier gemacht hätte. Ich mache vor meiner Fraktion zu einer ganzen Reihe von Fragen Ausführungen, die ich hier nicht mache. Das wird anderen auch so gehen.
— Ich habe, Herr Kollege Barzel, zur Sache genau das wiederholt, was hierzu in meiner Regierungserklärung vom 28. Oktober steht. Ich habe es sogar noch einmal wörtlich vorgetragen, wie mir meine Kollegen aus der Fraktion werden bestätigen können. Ich hatte auch einen Anlaß, diese Bemerkung zu machen. Ich war dort darauf hingewiesen worden, daß gestern eine große Morgenzeitung eine Meldung gebracht hat über eine Besprechung, die bei mir im Laufe des Vormittags im Amt sein sollte und die sich auf diese Sache bezog. Im übrigen haben wir morgen eine Sitzung des Auswärtigen Ausschusses. Wer also meint, in diesem Stadium etwas Näheres wissen zu sollen, wird es dort erfahren können. Es ist nicht sehr viel, was man jetzt sagen kann.Ich möchte nur ein Argument oder einen praktischen Hinweis des Kollegen Wehner aufgreifen dürfen. Herr Kollege Strauß hat noch einmal gesagt, das wichtige Instrument einer Großen Anfrage setze man nicht irgendwann ein, sondern genau dann, wenn man es für richtig halte. Was Herr Wehner gesagt hat, ist aber folgendes. Hier sehen wir unter dem 3. April in der „Süddeutschen Zeitung" nicht einen allgemeinen Hinweis, die Opposition wolle eine Anfrage einbringen, sondern acht formulierte Fragen. Und am gleichen Tage heißt es in der „Welt" : „Opposition: Noch vor Kassel Debatte über Deutschlandpolitik", drei numerierte Fragen und dann weitere. Aber sinngemäß ist es dasselbe. Und dazu hat der Kollege Wehner gesagt, daß die Fraktionen, die die Regierung tragen, sich natürlich überlegen müssen, ob sie das durchgehen lassen, Große Anfragen öffentlich vorzubringen, dann einige Wochen ins Land gehen zu lassen und sie dann einzureichen. Dann ist es unter Umständen besser, die Koalition nimmt Ihnen diese Arbeit ab. Ich kann Ihnen nur sagen — wann immer es kommt von Ihnen oder von anderen —: die Regierung würde lieber vor als nach Kassel solche Fragen beantworten, weil sie dazu die Auseinandersetzung vor dem Parlament in keiner Weise zu scheuen hat.Das einfach der Ordnung halber einmal hier klarzustellen, schien mir wichtig.
Schon gar nicht bittet die Regierung in dieser Fragedie Opposition um irgendeine Form von Entgegenkommen oder Schonung. Hier geht es einfach darum, was zweckmäßig ist. Ich sage: uns wäre das vor Kassel ebenso lieb wie danach.Was nun die Frage der amerikanischen Truppenpräsenz angeht, meine Damen und Herren, glaube ich, werden die Kollegen der Union mir doch weithin zustimmen müssen, wenn ich sage: So wichtig die Rolle der amerikanischen Truppen für den Schutz der Bundesrepublik Deutschland ist, letztlich geht es nicht nur um eine bilaterale amerikanisch-deutsche Frage, es geht um eine Frage des Bündnisses, und es geht dabei entscheidend um — jetzt nicht im odiösen Sinne des Wortes, sondern im guten Sinne des Wortes — eine gehörige Portion amerikanischen Eigeninteresses. Sollte der Zeitpunkt kommen, an dem die amerikanische Interpretation der dortigen Politik dazu führte, daß es dieser Truppen in Europa nicht bedürfte, dann würden viele Anstrengungen, die man dagegensetzen zu können oder zu müssen glaubte, vergeblich sein. Man muß ausgehen von der Interessenlage eines Staates, zumal eines so großen Staates, von der Interessenlage der Allianz, und, gestützt darauf, kommt man dann zu zusätzlichen bilateralen Regelungen.Hier ist in dem, was heute vorgeschlagen worden ist, der einzige Punkt, wo ich mit Herrn von Kühlmann nicht ganz einer Meinung bin; aber es ist eine taktische Frage, und warum soll man auch in bezug auf jede Einzelheit einer Meinung sein? Herr Kollege Schmidt und Herr Stoltenberg — der, wie ich sehe, leider nicht da sein kann — sind unterschiedlich an ein und dasselbe Problem herangegangen. Das möchte ich hier einmal klarlegen. Herr Kollege Schmidt hat in der „Washington Post" einige Tage vor unserer Operation in einem klaren, sehr abgewogenen Artikel gesagt — davon spreche ich jetzt —: Hier geht es nicht in erster Linie darum, ob uns jemand einen Gefallen tut, sondern hier geht es um die Interpretation der Interessen der Vereinigten Staaten und der Atlantischen Allianz, und es geht nicht in erster Linie darum, welche Truppen man sich leisten zu können glaubt, weil dies oder jenes dafür aufgewendet wird. Und er hat deutlich darauf hingewiesen, daß wir uns nicht übernehmen können. Er hat darauf hingewiesen — und dies ist übrigens ein Thema, das in meinen eigenen Gesprächen auch eine Rolle gespielt hat —, daß niemand die Illusion hat, in Amerika oder anderswo, als ob für zurückgezogene amerikanische Truppen eine nennenswerte Kompensation durch zusätzliche deutsche Truppen geleistet werden könnte, weil dies nicht nur auf Grund des Ost-West-Verhältnisses, sondern auch auf Grund des West-West-Verhältnisses sehr schwierig sein würde, es sei denn, man denkt an die qualitative Weiterentwicklung der Bundeswehr und den Beitrag, den die Bundesrepublik Deutschland zur atlantischen Verteidigung leistet.Herr Kollege Schmidt und übrigens auch Herr Möller — der aus anderem Anlaß in Amerika war, zunächst an der Westküste, dann auch einen Tag in Washington — haben gesagt: Natürlich werden wir zu gegebener Zeit, also nicht unmittelbar vor Frühsommer nächsten Jahres, über die praktischen
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Bundeskanzler BrandtArrangements neu sprechen, die zu treffen sind. Sie haben natürlich als Mitglieder der Regierung richtig gehandelt, daß sie keine Illusionen haben aufkommen lassen in bezug auf das, was der eine und der andere militärisch und was der eine und der andere ökonomisch kann.Herr Kollege Stoltenberg hatte mir noch, kurz bevor wir fuhren, mit auf den Weg gegeben, wir sollten etwas mehr auf solche amerikanische Stimmen hören, die sagten, wir müßten mehr leisten. Das ist keine Kunst, darauf einzugehen. Aber es ist auch keine Erleichterung von Gesprächen, wenn man den öffentlich gegebenen Rat mitbekommt: Nun geht mal möglichst rasch ein bißchen mehr auf das ein, was die von euch erwarten. Jede Bundesregierung müßte hier versuchen, das, was für die Sicherheit notwendig ist, zu erreichen, aber dabei natürlich auch auf die Bundesfinanzen zu achten. Ich denke, darüber sind wir im Grunde einer Meinung.Herr Kollege Barzel ist von einer irrigen Information ausgegangen, als er meinte, das Thema der MBFR, der ausgewogenen beiderseitigen Begrenzungen von Truppen und Rüstungen, sei ausgeklammert worden. Davon kann überhaupt keine Rede sein.
Das Thema ist in keiner Weise ausgeklammert, sondern das Thema beschäftigt uns in der Zeit bis zur Römischen NATO-Konferenz innerhalb des Rahmens der Gesamt-NATO. Es beschäftigt uns auch bilateral deutsch-amerikanisch im Rahmen des Bündnisses. Wir haben Grund anzunehmen, daß wir diese Thematik weithin übereinstimmend nicht nur mit mehreren anderen zusammen, sondern gerade auch mit den amerikanischen Bündnispartnern in Rom angehen werden. Wir haben es ja — .ansatzweise —schon einmal getan, in Reykjavik bei der NATO-Tagung im Juni 1968. Nur, das war schon so kurz vor der schrecklichen tschechoslowakischen Krise, daß daraus wirkliche weltpolitische Wirkungen nicht werden konnten.Nun zum Thema Verhältnis der EWG zu den USA! Herr Kollege Barzel hat gesagt, es wäre besser gewesen, wenn der Bundeskanzler das, was er dazu in Amerika gesagt hat, mit den europäischen Partnern abgestimmt hätte. Nein, wichtiger war, daß ich es zu Hause abstimmte, und ich habe es nicht nur mit meiner Regierung und der Koalition abgestimmt, die die Regierung trägt, sondern ich habe diesen Punkt am Tage vor meiner Reise auch im Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden, wo Kollege Stoltenberg Sie vertreten hat, völlig klargelegt. Herr Kollege Wagner war für die CSU dabei. Sonst war es natürlich nicht nur mein Recht, sondern auch meine Pflicht: So wie Herr Wilson im Januar aus seiner britischen Europasicht sich in Washington geäußert hatte, so wie Präsident Pompidou dies im Februar getan hatte, so mußte der Bundeskanzler — er durfte nicht nur, er mußte es — den deutschen Beitrag leisten,
solange es noch nicht das politisch mit einer Stimme sich äußernde Europa gibt, auf das ich gleich komme. Ich habe ja auch schon gehört, was dazu in München und anderswo gesagt worden ist. Ich habe wirklich den Eindruck, Herr Kollege Barzel, auch Herr Kollege Strauß, der in das gleiche Thema eingestiegen ist, Sie bauen hier Pappkameraden auf. Jetzt berufe ich mich nicht darauf — was ich bei früheren Gelegenheiten getan habe —, daß die Partei, deren Vorsitzender ich bin, seit 1925 die Vereinigten Staaten von Europa in ihrem Programm hat; ich berufe mich darauf nicht heute ausdrücklich. Aber ich sage: das, was als jetzt möglicher Schritt im Haag beschlossen worden ist, ist erstens doch nicht gegen uns, sondern auf Grund unseres Vorschlages beschlossen worden.
Zweitens aber — ob es uns Spaß macht oder nicht —: das, was beschlossen worden ist, ist eben nicht der europäische Bundesstaat, auf den man hin will, von dem aber alle entscheidenden Faktoren wissen, daß wir ihn jedenfalls nicht in den allernächsten Jahren kriegen. Es geht bei dem, was Wehner „zurückstufen" nennt, doch nicht um die Preisgabe eines Zieles, sondern es geht darum, daß man, statt in Spinnertum zu verhaften, sich auf die jeweils realistischen Schritte hin zu einer politischen Gesamtlösung einstellt.
Das ist doch die Aufgabe.Und in London! Ich habe kein Wort von dem zurückzunehmen. Wenn Sie selbst es sich noch einmal anschauen und es nicht voreingenommen, sondern unvoreingenommen prüfen, werden Sie herauslesen, daß ich sage: erstens Wirtschafts- und Währungsunion, — was ja nebenbei gesagt auch schon ein Stück Politik ist.
Aber das ist diese andere Begriffsbestimmung von Politik. Ich stimme mit Ihnen überein: wenn wir politische Einheit sagen, meinen wir Außen- und Sicherheitspolitik, zusätzlich zur Wirtschafts- und Währungsunion; da sind wir uns einig. Aber zur Wirtschafts- und Währungsunion sage ich ja.Jetzt sage ich zu dem anderen: wir werden noch nicht — nicht weil ich es nicht möchte, sondern weil ich weiß, wie die Welt aussieht, wie Frankreich aussieht, wie Großbritannien aussieht und wie es woenders aussieht —, wir werden noch nicht in eine Bewegung hin zu einem europäischen Bundesstaat kommen, aber wir werden hoffentlich auch nicht hängenbleiben in der altertümlichen, veralteten, altmodischen diplomatischen Beziehung zwischen den Staaten, sondern wir werden zu etwas kommen, was dazwischen liegt. Mir ist dafür nichts Besseres eingefallen; als die „qualifizierte politische Zusammenarbeit" zu nennen. Es ist aber noch nicht Bundesstaat. Nicht weil ich ihn nichtwill. Sondern ich sage Ihnen noch einmal: weil ich micheinstellen muß auf das, was erreichbar sein könnte. Qualifizierte politische Zusammenarbeit muß auch in die Richtung des Sich-Verständigens über gemeinsame
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2150 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Bundeskanzler BrandtSicherheitsanstrengungen eines so zusammenrückenden Europas gehen. Daran kann es :für mich keinen Zweifel geben.Noch eine Bemerkung wegen Berlin. Herr Kollege Barzel hat die Frage aufgeworfen, ob die Bundesregierung es nicht für möglich oder sogar für notwendig halte, das Hohe Haus über das zu unterrichten, was sie, die Bundesregierung den Westmächten an Ratschlägen oder Hinweisen für die Beratungen der Westmächte mit der Sowjetunion gegeb en habe.
— Dies wird, jedenfalls hier, aus folgendem Grund nicht möglich sein: Die Westmächte, die ,die Verantwortung für Berlin tragen, muten es ihrer eigenen öffentlichen Meinung zu, also auch der unseren, diese Verhandlungen mit der Sowjetunion ohne jede Publizität zu führen. Ich würde e,s nebenbei für durchaus überlegenswert halten, zu prüfen, ob wir uns nicht auch zutrauten, jenen Grad, des Erwachsenseins zu erreichen, der es möglich macht, bestimmte wichtige politische Sondierungsphasen so durchzustehen, wie die Westmächte glauben, es im Verhältnis zur Sowjetunion machen zu sollen.Im übrigen gilt, Herr Kollege Strauß, für jeden denkbaren Schritt der Entspannung — auch dort, wo er vertraglich festgelegt wird —, daß durch ihn andere international gültige Verträge bilateraler oder multilateraler Art nicht beeinträchtigt oder gar außer Kraft gesetzt werden können.Auf Berlin bezogen, Herr Kollege Barzel, lag Ihnen daran — wie Sie sagten, damit es noch einmal im Protokoll steht —, zu sagen, was Sie von der Freiheit West-Berlins und dessen Zusammengehörigkeit mit der Bundesrepublik halten. Da gibt es keine Meinungsverschiedenheit, solange Sie nicht den Eindruck erwecken, wie es hier und da geschehen ist, als hätten Sie hiermit eine polemische Position gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen.Wenn und wo dieser Eindruck erweckt würde, bliebe es mir nicht erspart, für die weitere Entwicklung aufzublättern. Denn ich weiß als früherer Regierender Bürgermeister von Berlin gut genug, wer dafür die Verantwortung trägt, daß in früheren Jahren manches entscheidend versäumt worden ist, um Berlin enger an die Bundesrepublik Deutschland heranzuführen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was nicht als eine Debatte gedacht und angelegt war, hat sich nun zu einer Debatte entwickelt. Wir geben unserer Genugtuung darüber Ausdruck, daß es zum erstenmal in den sechs Monaten dieser Koalition gelungen ist, den Regierungschef selbst zu veranlassen, wenigstenseinen Teil der Fragen zu beantworten, die die Opposition dieses Hauses gestellt hat.
Wenigstens einen Teil.
— Ja, glauben Sie, daß Herbert Wehner hier irgend etwas beantwortet hat: Er hat doch nur Fragen an sich selbst gestellt!Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich zu dem ernsten Problem Berlin, das Sie am Schluß angesprochen haben, ebenso ernst und ganz persönlich antworten, damit nicht Zwischenohrbläser, Herr Bundeskanzler, Ihnen falsche Informationen ins Ohr und weiter einzugeben versuchen.Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat hier in seiner Rede nach Ihrer Rückkehr aus Erfurt, anders, als es andere versucht haben, Ihnen einzureden, in aller Form — und er hat dies soeben auch getan — erklärt, daß er die Position, die Sie gegenüber Herrn Stoph in Ihrer Rede eingenommen haben, für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU in aller Form voll und ganz unterstützt. Das, Herr Bundeskanzler, ist es, was hier am 20. März wirklich gesagt worden ist, und nicht etwas anderes, das andere verbreiten. Das in seinem Gewicht nachzuvollziehen, wird das ganze Haus vielleicht nicht imstande sein. Aber es muß, nachdem der Kanzler gesprochen hat, möglich sein, dazu auch etwas zu sagen.Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, Sie haben nicht überhört, daß ich gesagt habe: Ich möchte zwei Fragen für den Ausschuß ankündigen. Ich habe sie nicht präzisiert. Aber ich denke, jedermann wird verstehen, was das bedeutet. Mehr, glaube ich, können Sie von uns nicht verlangen. Deshalb war wohl Ihr Hinweis darauf, daß solche Dinge in anderen Ländern nicht öffentlich behandelt würden, überflüssig; denn wir haben uns hier wirklich sehr zurückgehalten, meine Damen und Herren.
— Ich sagte: sehr zurückgehalten. Wollen Sie die Fragen noch einmal hören?
— Wir wollen erst einmal hören, wie die Antworten auf die Fragen ausfallen werden, die wir morgen im Auswärtigen Ausschuß stellen.Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat erklärt — das war eine bemerkenswerte Feststellung —, daß das Zitat aus der „New York Times" vom 14. April nicht mit der Meinung des Präsidenten identisch sei. Das ist eine wichtige Feststellung, die man hier und dort hören wird. Wir gehen von dem aus, was uns der Bundeskanzler sagt, und werden die weitere Entwicklung abwarten.Herr Bundeskanzler, nun haben Sie aber gestern vor ihrer Fraktion über Polen gesprochen. Ich freue mich darüber, daß Sie eingeräumt haben, daß das eigentlich auch hierher gehört hätte. Natürlich
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Dr. Barzelsagt jeder vor seiner Fraktion etwas mehr. Aber eine Mitteilung, daß Staatssekretär Duckwitz wieder nach Warschau gehen werde, und ganz konkrete Mitteilungen darüber, daß Sie sich mit dem Außenminister über eine Linie verständigt hätten, gehörten eigentlich, wenn man sie veröffentlicht, auf das Blatt des Bundespresseamtes. Vor allen Dingen gehörten sie in den Deutschen Bundestag, wenn er am Tag darauf über solche Fragen berät.
In diesem Papier, Herr Bundeskanzler, sagen Sie doch mehr als in den bisherigen Einlassungen Ihrer Regierung. Sie sagen, Sie seien dabei, mit europäischen Staaten Abkommen über einen Gewaltverzicht zu schließen. Wir haben erklärt, Gewaltverzicht sei eine gute Sache, aber es sei ein Verzicht auf Gewalt bei Aufrechterhaltung des Anspruchs auf friedliche Durchsetzung der politischen Ziele. Wir haben außerdem immer gesagt, man dürfe nicht versuchen, etwa unter dieser Überschrift friedensvertragliche Regelungen vorwegzunehmen. Jedesmal haben Herren von der Regierung geknurrt, wenn wir das gesagt haben.Nun wird gesagt, daß durch den Gewaltverzicht „die territoriale Integrität" der Länder des Warschauer Pakts gesichert werden müsse. Nachdem Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt haben, über die Große Anfrage könnten wir gern schon vor dem Kasseler Treffen debattieren, können wir auch schon vor Kassel fragen. Was heißt denn „Sicherung der territorialen Integrität" aller dieser Länder? Was heißt „Achtung der Grenzen" aller dieser Länder? Heißt das — die Frage ist doch nicht beantwortet worden — Verzicht auf die friedliche Verfolgung des Ziels einer Änderung, oder heißt das, auf dieses Ziel der friedlichen Änderung verzichten zu müssen?Das ist die erste Frage. Sie wollen eine Debatte vor der Begegnung in Kassel. Diese Frage muß man hier beantworten. Die sowjetische Antwort kennen wir .aus alten Dokumenten, die veröffentlicht worden sind. Die Antwort von Herrn Stoph habe ich hier neulich vorgetragen. Aber wie lautet die Antwort 'der Bundesregierung darauf? Was heißt „Sicherung der territorialen Integrität"? Was heißt „Achtung der Grenzen"? Bleibt die Möglichkeit einer Änderung? Was heißt das mit Blick auf den Deutschlandvertrag, den der Außenminister als unabänderlich bezeichnet hat? Was heißt dies mit dem Blick auf den Vorbehalt des Friedensvertrages? Und was, Herr Bundeskanzler — damit Sie gleich ein paar Fragen haben; Sie wollen ja vor Kassel debattieren —, heißt das Vorwegnehmen friedensvertraglicher Regelungen mit dem Blick auf das Londoner Schuldenabkommen, wo doch alle Forderungen, wenn ich mich an dieses Abkommen richtig erinnere, mit dem Vorbehalt des Friedensvertrages ausgestattet sind?Das sind :Fragen. Wir hätten sie alle und andere nach Kassel gestellt. Es ist ganz richtig: die Zusammenhänge, Herr Kollege Wehner, zwischen dem Treffen in Erfurt und den drei anderen Vorgängen — Warschau, Sondierungen über Berlin und Moskau — sind hier früher in Zweifel gezogen worden. Inzwischen bestreitet die Regierung nicht mehr, daß . das alles zusammengehört. Deshalb muß das auch im Zusammenhang gesehen undgesagt werden. Deshalb gehört die Frage Polens natürlich genauso dazu wie die Frage Berlin und wie die Frage Moskau. Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, 'dazu können Sie gern noch viele Fragen haben.Was ist also nun Ihre Politik? Ist es Ihre Politik, durch mehrere Gewaltverzichtsverträge die bekannten Forderungen der Sowjetunion in dem Umfang zu befriedigen — und welches ist dieser Umfang? —, den iSie für richtig halten? Oder ist es Ihre Absicht, etwa gar Erklärungen, die nur die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen — eigentlich nur ein wiedervereintes Deutschland und die Volksrepublik Polen — angehen, auch der Sowjetunion gegenüber rechtskräftig zu machen? Wäre dies dann ein Beitrag zur Stärkung oder zur Schwächung der sowjetrussischen Hegemonie über Osteuropa, eine Stärkung der Breschnew-Doktrin oder nicht z. B.? Sind Sie dabei, Verpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei einzugehen, die nur unsere beiden Länder angehen? Oder sind Sie bereit, eine solche Verpflichtung etwa auch gegenüber der Sowjetunioneinzugehen? Und das alles unter der Überschrift „Gewaltverzicht" ? Meine Damen und Herren, und das alles, ohne daß dieses Haus dies weiß, ohne daß die Selbstbestimmung stattfindet und der Friedensvertragsvorbehalt noch etwas wert ist?Das sind doch Fragen, die wir stellen müssen.Wenn Sie das alles vorher haben wollen, — wirhaben das alles in unserer Großen Anfrage, die Sie— ich halbe es nicht anders von Ihnen erwartet — sachlich gewürdigt haben im Gegensatz zu dem Ausrutscher, nehme ich an, von Herrn Wehner,
den Kollege Strauß mit Recht zurückgewiesen hat, angekündigt. Aber wir haben gesagt — nehmen Sie dies zur Kenntnis, wie es ist! —: Wir warten mit dem Einbringen — wir haben den Entwurf da liegen— natürlich bis zur Rückkehr des Kanzlers aus den USA. Dann haben wir gestern oder vorgestern gehört, der Bundeskanzler habe die Absicht, hier zu sprechen.
Daraufhin haben wir gesagt: Wir wollen doch keine Fragen stellen, zu denen der Bundeskanzler etwa schon vorher Antworten gegeben hat. Nun, werden wir dies sehen.Herr Bundeskanzer, ich habe noch eine Frage; die haben Sie nicht beantwortet, obwohl sie vorher— das eben war ja alles extemporiert — in meiner Erklärung der Fraktion gestellt worden war. Ich habe Sie nach Ihrer Realitäten-Erklärung von Washingtongefragt. Gehen Sie, Herr Bundeskanzler, von diesen Realitäten aus, um sie zu verändern oder um sie festzuschreiben? Oder haben Sie die - und falls ja, worauf gegründet — Hoffnung, diese Realitäten durch ,Festschreiben später verändern zu können 'und zu dürfen? Und was bliebe vom Selbstbestimmungsrecht, wenn diese Realitäten zunächst so festgeschrieben würden? Das ist eine fundamentale
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2152 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. BarzelFrage, und das ist keine methodische Frage, wie manch einer in der öffentlichen Meinung uns erklärt, weil man nämlich alles vorher weggibt, wenn man zuerst festschreibt. Deshalb haben wir natürlich Sorgen und Fragen, ob auf dem Wege Ihrer vielen Verhandlungen, die wir kritisch begleiten, vielleicht schon das eine oder andere weggegeben worden ist. Das sind ein paar der Fragen, Herr Bundeskanzler.Nun eben noch zu unserer Kontroverse über die europäische Politik. Ich habe nicht die Absicht, einen Pappkameraden hier aufzubauen, wie Sie das nannten.
Sie haben, Herr Kollege Wehner, es für richtig gehalten — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. — Herr Abgeordneter Wehner, haben Sie den Herrn Abgeordneten Dr. Barzel eben als Pappkameraden bezeichnet?
— Ich werde es im Protokoll nachlesen.
Ich stelle fest, daß der Kollege Wehner einen Zuruf macht, den hier jedermann zweifelsfrei hören konnte, und daß er diesen Zuruf auf die übliche Befragung des Präsidenten nicht aufrechterhält. Das war das Beste an Ihrer Wortmeldung eben, Herr Kollege Wehner.
Ich habe nicht die Absicht, Sie heute noch einmal in eine Situation der Explosion zu bringen, sondern ich möchte gern, daß wir hier diese Fragen erörtern. Der Bundeskanzler hat den sachlichen Charakter unserer Fragen, im Gegensatz zu Ihnen, sehr wohl erkannt, und er fängt ja an, hier zu antworten.
Bleiben wir also bei den Pappkameraden.
— Herr Kollege, was haben Sie eben für einen Zuruf gemacht? Sie haben heute Ihren — —
Herr Abgeordneter Wehner, ich rüge den Ausdruck „Schleimer"!
Herr Kollege Wehner, dies ist die Methode, die auch der Kollege Apel,
Ihr gelehriger Schüler, hier versucht hat: Wenn jemand aus ernster Besorgnis
hier seine Meinung sagt, dann zu versuchen, das zu diskreditieren durch persönliche Verunglimpfung. Sie haben versucht, die Presse einzuschüchtern, Sie haben die Beamten durcheinandergebracht; es wird Ihnen nicht gelingen, diese Opposition hier im Hause mundtot zu machen, indem Sie sie beleidigen.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie doch, Kollege Strauß hat doch vorhin dazu vorzüglich Stellung genommen.
Herr Abgeordneter Stücklen, haben Sie eben gesagt: „Das kann man in Moskau so machen!"?
— Herr Abgeordneter, ich finde, das war im Zusammenhang auch kein guter parlamentarischer Stil.
Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Ich darf auf diese wichtige europapolitische Kontroverse zurückkommen. Ich hatte Sie eingeladen, da wir seit Jahren Mitglieder des gemeinsamen Komitees sind, eine Erklärung abzugeben, die völlig auf der Linie unserer Einlassungen liegt. Sie haben daraufhin — und das ist typisch für Ihre Politik — zwei Erklärungen, die einander klar widersprechen, hier zugleich unterstützt.Sie haben die Erklärung von Den Haag unterstützt, wo es heißt, Beitrittswillige müssen nicht nur die Verträge, sondern auch die politischen Ziele der Verträge billigen. Hervorragend! Ich hatte Sie ja auch zu zweierlei aufgefordert, erstens zu Den Haag etwas zu sagen — das ist geschehen —, und zweitens hier noch einmal unsere Komiteeerklärung zu wiederholen. Das haben Sie nicht getan, im Gegenteil, Sie haben zugleich die widersprechende Erklärung, die Sie in London abgegeben haben, hier aufrechterhalten. Herr Bundeskanzler, was gilt denn nun? Sind Sie wirklich — und das sind doch Ihre Worte aus London — im Bereich der Wirtschaft für die Integration und die Union und bezüglich der Politik nur für Zusammenarbeit? Das sind Ihre Worte, und dies ist der Widerspruch, über den wir sicherlich in späteren Debatten, oder von uns aus heute, sprechen müssen.Herr Bundeskanzler, es ist Ihnen ein Mißverständnis unterlaufen. Nicht ich, sondern der Kollege Kühlmann hat, wenn ich mich recht erinnere, zu dem MBFR-Problem, also der gleichwertigen Truppenreduzierung, Stellung genommen. Ich habe nur gesagt — und ich bitte, dies wirklich nachzulesen —,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2153
Dr. Barzeldaß wir hören, es werde eigene deutsche Vorschläge geben, was wir begrüßen, so wie wir damals begrüßt haben, daß die Regierung Kiesinger in Reykjavik Vorschläge gemacht hat. Ich habe nur der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß dies in parlamentarischen Gremien vorher oder in anderer Weise erörtert wird — dies war alles —; denn das ist natürlich ein wichtiger Punkt, der in diese Gesamtdebatte gehört.Herr Kollege Apel und meine Damen und Herren von der SPD-Bundestagsfraktion, ich möchte uns alle einladen, niemandem, weder dem, der sich bemüht, etwas zu versuchen, was, wie er es versteht, im deutschen Interesse liegt, noch dem, der eben diesen Versuch wegen Informationen und Begleitumständen für lebensgefährlich hält, den guten Willen abzusprechen. Wenn dies in diesem Hause einreißen sollte, dann wäre es schrecklich.
Und nun, Herr Apel und Herr Wehner, spricht dieser Tag für sich selbst,
wer hier sachliche Sorgen und Argumente vorgetragen und wer hier versucht hat, sein eigenes Gesicht in besonderer Weise zu pflegen, Herr Kollege Wehner.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe, Herr Präsident, meine Damen und Herren, noch vier Punkte nachzutragen.Erstens heißt es in der Regierungserklärung vom 28. Oktober und nicht in irgendeinem verschlossenen Dokument des Auswärtigen Amtes oder des Bundeskanzleramtes, auf welcher Grundlage die Bundesregierung mit der Regierung der Volksrepublik Polen sprechen wolle. Es gibt einen methodischen Punkt, und es gibt dann einen inhaltlichen, der lautet:Die Politik des Gewaltverzichts, die die territoriale Integrität des jeweiligen Partners berücksichtigt, ist nach der festen Überzeugung der Bundesregierung ein entschiedener Beitrag zu einer Entspannung in Europa.Das ist vor fast sechs Monaten hier dem Haus unterbreitet worden.
Darüber ist hier debattiert worden, und dem Hohen Haus bzw. seinen Ausschüssen wird dann, wenn es soweit ist, über das Ergebnis der Sondierungsgespräche mit den in Betracht kommenden Partnerstaaten berichtet werden. Das zu diesem Gegenstand.Was Westeuropa angeht: Herr Kollege Barzel, nachdem Sie nun noch einmal das Komitee, dem wir beide angehören, hineinbringen, muß ich nun doch das sagen, von dem ich vorhin erklärt habe, daß ich es nicht sagen wollte: Ich bin Vorsitzender einer Partei, die seit 1925 in ihrem Programm auf die Vereinigten Staaten von Europa festgelegt ist,
seit 1925!
Sie sagen jetzt: Ja, aber im Haager Kommuniqué — wobei ich noch einmal hinzufüge: nicht gegen uns, sondern weithin durch uns gefördert und formuliert — steht: Die, die neu hinein wollen, die Engländer, die Norweger, die Dänen, die Iren, müssen nicht nur den Römischen Vertrag im allgemeinen und das, was seitdem geschaffen und weiterentwickelt worden ist, akzeptieren, sondern sie müssen sich auch die politische Zielsetzung — soll heißen: nach der Präambel der Römischen Verträge — zu eigen machen. — Ja, aber das ist doch kein Widerspruch. Sie und uns selbst auf diese Ziele festzulegen
heißt doch nicht, zu glauben — und ich sage Ihnen noch einmal: jeder geht an der Wirklichkeit vorbei, der das glaubt —, in diesen nächsten Jahren käme der europäische Bundesstaat.
Sie glauben es selbst nicht, und Sie tun niemandem einen Gefallen damit, wenn Sie diesen Eindruck erwecken, weil das die Schwere der Aufgabe nicht erkennen läßt; man muß sich vielmehr darauf einstellen.Gerade auf diesem Gebiet — und ich kann mich hier sogar noch an Dinge aus der Zeit der gemeinsamen Regierungsverantwortung erinnern — gehört es zu den neuen Erkenntnissen der letzten Jahre — anders als in den 50er Jahren —, daß esman mag hinzufügen: leider — keinen Automatismus gibt, der aus dem wirtschaftlichen Zusammenschluß, aus der wirtschaftlichen Integration ohne eine parallele zusätzliche Anstrengung eine politsiche Einigung werden läßt.
Um diesen Gedanken geht es doch, und darüber brauchen wir uns wirklich nicht weiter zu unterhalten. Es bleibt ja sehr viel, worüber wir in den kommenden Monaten streiten müssen. Wollen wir das nun unnötig anreichern auf einem Gebiet, auf dem es nicht erforderlich ist? Hier ist es in Wirklichkeit nicht erforderlich; es bleibt genug sonst übrig.Dabei übrigens dann noch — das hatte ich vorhin in meiner Replik vergessen — ein Wort zu dem, was Herr Strauß vorgebracht hat. Er sagt: Man kann nicht beides auf einmal wollen, Westeuropa einigen wollen und trotzdem eine Politik des Ausgleichs — ich übersetze es jetzt in meine Sprache — mit einer Macht — der Sowjetunion —, die dies genau nicht will.
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2154 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Bundeskanzler Brandt— Des Arrangements, ja. Nur, frage ich dann und bitte jedenfalls, daß wir für künftige Fälle miteinander darüber nachdenken: In welcher Art von Welt, glauben Sie, leben wir? Ist es nicht so, daß sich jemand, der sehr viel mehr weltpolitische Verantwortung als wir trägt, nämlich die USA — von diesen gingen wir durch meine Bemerkungen heute früh um 10 Uhr aus —, so wie die Welt ist, teils auf regionale und andere Formen von Bündniszusammenarbeit und zu gleicher Zeit auf einen so weiten Vorgang, wie er jetzt bei den Salt-Gesprächen in Wien in Gang kommt, einstellen muß? Dieser Vorgang wird übrigens auch nicht nach der Formel „do ut des" abzuwickeln sein, sondern es geht darum, ob zwei Mächte, die heute auf dem Gebiet der interkontinentalen Waffen in etwa gleich stark sind, miteinander — wenn zunächst auch nur auf Teilgebieten — ein Stück gemeinsamer Sicherheit neu, nicht nach der Formel „do ut des" erreichen können.Herr Kollege Strauß und Herr Kollege Barzel, ich bin und wir alle miteinander sind doch nicht deswegen für oder weniger für die wirtschaftliche und politische Einigung Westeuropas, weil die Sowjetunion dies oder jenes dazu sagt. Wir wissen ganz genau, daß wir in diesem Land und über dieses Land hinaus manches zu verfechten haben, was die Sowjetunion ganz anders sieht, was man nur in der Auseinandersetzung durchsetzen kann. Trotzdem muß man in dieser Welt erkennen — die Amerikaner haben es schwer genug gehabt, es zu erkennen —, daß man sich auf mehreren Ebenen zugleich politisch zu betätigen hat und daß es neben den Antagonismen, über ideologische und zum Teil machtpolitische Gegensätze hinweggehend, die objektiven Kriterien gibt, ,die verschiedene Mächte dazu bringen, des Überlebens der Menschheit wegen gemeinsame Lösungen zu finden. Darum geht es. Das entspricht nicht den Denkschemata der 50er Jahre, aber den Notwendigkeiten der 70er Jahre.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den zahlreichen Fragen, die wir gestellt haben und die wir aufrechterhalten, hat der Herr Bundeskanzler zu zwei Dingen etwas gesagt.
Erstens. Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung ist zwar bereits von der „territorialen Integrität" die Rede, aber das, was gestern — ich nehme doch an, mit Ihrer Zustimmung — auf dem Papier Ihrer Fraktion verlautbart ist, geht darüber hinaus. Es bezieht alle sozialitischen Länder ein. Nachdem Ihre Regierung erklärt hat, daß sie von der Existenz zweier deutscher Staaten ausgehe, bedeutet dies natürlich, ,daß auch die sogenannte DDR einbezogen ist. Herr Bundeskanzler, ich will jetzt nicht nochmals lange fragen, was „territoriale Integrität" und „Achtung von Grenzen" heißt. Bitte, kommen Sie hier herauf, und geben Sie folgende Erklärung ab.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine Anregung geben.
— Wir können doch unsere Meinung sagen. Herr Bundeskanzler, ich würde Ihnen empfehlen, folgende Erklärung abzugeben:
Die Anerkennung der territorialen Integrität und die Achtung von Grenzen nimmt der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Regierung nichts von ihrem Recht und ihrer Pflicht, ihre Politik weiter auf friedliche Veränderung durch das Selbstbestimmungsrecht zu gründen.
Geben Sie diese Erklärung ab, und wir haben zu diesem Punkt künftig keine weiteren Fragen zu stellen!
Meine zweite Bemerkung betrifft die europäische Politik. Diese ist, nachdem Herbert Wehner sie „zurückgestuft" hat, nun wieder etwas „aufgestuft" worden. Das begrüßen wir, Herr Bundeskanzler. Wir sind, wie Sie wissen, mit Ihnen der Meinung, daß es keinen Automatismus gibt. Aber wir glauben an die Zielvorstellung dieses Vertrages. Ich glaube, es wäre, nachdem Sie hier einige Erklärungen abgegeben haben, gut, sich zu bemühen, auch noch den letzten Rest zu tun, nämlich zu sagen, daß Sie, wenn irgend möglich, auch in Ihrer Generation das politische Europa wollen; dann hätten wir wieder einen Streitpunkt weniger.
Dies sind die beiden Punkte, die ich ansprechen wollte, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunkts.
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15.00 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer— Drucksache VI/601 —und nach interfraktioneller Vereinbarung den damit verbundenen Punkt:Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Beteiligung der Arbeitnehmer am
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2155
Vizepräsident Frau FunckeProduktivvermögen und zur Verbesserung der Kapitalstruktur der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes
— Drucksache VI/616 —Zur Begründung Herr Minister Arendt!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 die Eigentums- und Vermögensbildung in breiten Schichten der Bevölkerung zu einem der Schwerpunkte ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik erklärt. Sie läßt sich dabei von zwei Motiven leiten.Erstens will sie eine gerechtere Vermögensverteilung erreichen, und zweitens will sie zugleich dem einzelnen Menschen eine weitere finanzielle Grundlage verschaffen, 'die ihn auch im betrieblichen Alltag unabhängiger und freier macht. Nicht nur ich, auch andere Mitglieder dieses Hohen Hauses haben während der Kohlenkrise im Jahre 1966, vor vier Jahren, miterlebt, wie derjenige Arbeitnehmer benachteiligt ist, der nur von der Hand in den Mund leben muß, wie man so sagt. Damals haben wir sehen können, wieviel Unsicherheit beim Verlust des Arbeitsplatzes auftritt, wenn der Arbeitnehmer darauf angewiesen ist, die nächstbeste Stelle anzunehmen. Hier erhielt der Satz „Wer verkaufen m u ß , erzielt nicht den Preis, den er erzielen würde, wenn er verkaufen k a n n" eine richtige Bestätigung.Wir wollen und können gewiß nicht mit der Sparförderung und auch nicht mit dem 624-DM-Gesetz die Maßnahmen der sozialen Sicherheit und der Arbeitslosenversicherung ersetzen oder auch nur ihren weiteren Ausbau verlangsamen. Aber wir können mit unseren Maßnahmen der Sparförderung und Vermögensbildung den einzelnen Arbeitnehmer vor solchen Risiken schützen, ,die selbst durch ein noch so enges Netz der Sozialversicherung nicht aufgefangen werden können.Die Vermögensverteilung in unserem Staat ist auch nach dem Urteil eines führenden Oppositionspolitikers, des von mir geschätzten Professors Burgbacher, „skandalös". Wenn 70% des Produktivkapitals in der Hand von 1,7 % aller Familien liegt, wie das von seriösen Wissenschaftlern in der Vergangenheit ermittelt worden ist, ist das ein Sachverhalt, meine Damen und Herren, der niemanden kalt lassen kann. Dabei kommt es noch nicht einmal darauf an, ob es tatsächlich 1,7% oder 3,5% der Familien sind. Entscheidend ist, daß nach allgemeinem Urteil eine völlig einseitige Verteilung des Eigentums an Produktionsmitteln vorliegt.'
— Das ist die Sache, Herr Katzer; das ist die Sache, die Sie seit 1949 hätten ändern müssen!Die vielfach übliche Unterscheidung in der Statistik zwischen Selbständigen und Unselbständigen ist in diesem Zusammenhang völlig unwichtig. Die Handwerker, Landwirte, Einzelhändler, ja auch dieBesitzer kleiner und mittlerer Unternehmen sind natürlich nicht gemeint, wenn hier die Vermögenskonzentration angesprochen wird. Es geht vielmehr um die zehntausend Familien, die über die Mehrzahl unserer Produktionsmittel verfügen.Ein Großunternehmen, in dem über Wohl und Wehe von Tausenden von Menschen entschieden wird, kann auf die Dauer nicht mit der Elle derselben Eigentumsgrundsätze gemessen werden, wie sie aus dem römischen Recht vor über 2000 Jahren überkommen sind und früheren Agrargesellschaften angemessen schienen.So, wie uns heute kaum begreiflich erscheint, daß noch vor knapp 200 Jahren Dörfer, Städte und ganze Landstriche von Fürsten wie Privateigentum an einem Gebrauchsgegenstand verkauft wurden, wie Staatsämter vererbt wurden, so wird in nicht ferner Zeit den Menschen unverständlich sein, daß wir heute noch soziale Großgebilde, wie sie unsere Großunternehmen darstellen, nach denselben eigentumspolitischen Regeln behandeln wie etwa einen Bauernhof, ein Einzelhandelsgeschäft oder einen Handwerksbetrieb.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will nachdrücklich eine Wirtschaftsordnung mit freiem Wettbewerb, freier Berufs- und Arbeitsplatzwahl und freiem Koalitionsrecht erhalten. Wir alle sind mit der Frage konfrontiert, ob sich damit die Vermögenskonzentration vereinbaren läßt. Dabei kann es nicht nur darum gehen, durch einige Millionen „Mini-Aktionäre" das Kapital der Großaktionäre um so unangreifbarer zu machen.Wir wollen im Sinne unserer vermögenspolitischen Zielsetzung die Eigentums- und Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand stärken und ein Gegengewicht gegen die bedrohlich fortschreitende Konzentration von Vermögen schaffen.Den Oppositionspolitikern, die vereinzelt kritisieren, daß diese Regierung noch keine weitergehenden Maßnahmen auf dem Gebiet der Vermögensbildung vorgeschlagen hat, möchte ich folgendes sagen: Diese Bundesregierung war gerade vier Monate im Amt, als sie Ende Februar 1970 das erste vermögenspolitische Gesetz dieser Legislaturperiode verabschiedet hat.Das war nicht immer so, meine Damen und Herren. Früher wurden solche Gesetzentwürfe stets im Jahr der Bundestagswahl dem Parlament zugeleitet.
— Das war 1961 so, das war 1965 so, und das war 1969 so.
Lassen Sie mich das offen sagen: Dadurch geriet die Vermögenspolitik in den Geruch der Wahlgeschenke. Wir wollen das nicht!
Deshalb haben wir schon zu Beginn dieser Legislaturperiode diese Novelle zum Vermögensbildungsgesetz vorgelegt. Lassen Sie mich hinzufügen: Wir
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2156 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Bundesminister Arendtwerden nicht bis 1973 warten, bis unsere weiteren vermögenspolitischen Maßnahmen in diesem Hohen Hause zur Diskussion gestellt werden.Das geschieht noch in diesem Jahr mit der Vorlage eines Vermögensberichts. Daran arbeiten wir. Ich will jetzt nicht diesen Bericht der Bundesregierung vorwegnehmen. Aber ich kann heute schon sagen, daß die Gewinnbeteiligung zur Vermögensbildung darin eine zentrale Bedeutung haben wird. Wir hoffen — das füge ich hinzu — zuversichtlich auf die Unterstützung auch aus den Reihen der Opposition, zumal in den vergangenen Jahren vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung an Herrn Professor Krelle ein Forschungsauftrag über ein System der überbetrieblichen Ertragsbeteiligung vergeben und anschließend auch veröffentlicht worden ist. Hier, so meinen wir, sind Ansatzpunkte, die weiter zu verfolgen sind.In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir noch ein Wort an Sie, Herr Kollege Burgbacher. Wenn Sie solche Modelle zur überbetrieblichen Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer ablehnen, weil Sie sagen, der Arbeitnehmer habe dabei wegen der zwischengeschalteten Fonds keinen unmittelbaren Zugang zum Produktivvermögen, so scheint mir das wenig überzeugend. Mit dieser Begründung müßten Sie auch aus Ihrem Gesetzentwurf Investment-Wertpapiere und mittelständische Beteiligungsgesellschaften streichen; denn auch hierbei sind Fonds zwischen Unternehmen und Wertpapierbesitzer geschaltet.
Ich sehe im Gegenteil in der Risikostreuung durchsolche Fonds einen Vorteil für die Arbeitnehmer.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf machen. Die Bundesregierung will mit diesem Gesetzentwurf die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand verstärkt fördern und zugleich einen Beitrag dazu leisten, daß wir in unserem Staat mehr soziale Gerechtigkeit verwirklichen.Sie schlägt vor, ab 1970, also für dieses Jahr schon, den Begünstigungsrahmen für vermögenswirksame Leistungen von 312 auf 624 Mark zu verdoppeln und ab 1971 zu einem Zulagesystem überzugehen. Durch die neue Arbeitnehmer-Sparzulage soll die bisherige Lohnsteuer- und Sozialabgabebefreiung der vermögenswirksam angelegten Leistungen ersetzt werden. Die Sparzulage soll 30 % der vermögenswirksamen Leistung betragen; sie wird vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer gezahlt und dem Lohnsteueraufkommen entnommen.Nun wird hier und da Kritik an der Verdoppelung geltend gemacht mit der Begründung, sie begünstigte die oberen Einkommensschichten, die unteren könnten ohnehin den 624-Mark-Betrag nicht ausschöpfen.Dieses Argument verkennt Sinn und Zweck des Vermögensbildungsgesetzes. Ich glaube, wir waren uns früher in diesem Hause mit der heutigen Opposition stets darin einig, daß dieses Gesetz vor allem die Sparfähigkeit gerade der unteren Einkommensschichten der Arbeitnehmer fördern soll, indem es die Tarifparteien veranlaßt, neben dem Barlohn vermögenswirksame Leistungen zu vereinbaren.
— Ich komme noch darauf; Sie sehen ja die Reaktion draußen in der Offentlichkeit.Nur am Rande sei vermerkt, daß die vermögenswirksamen Leistungen nach der Tarifpraxis nicht etwa wie Barlöhne prozentual zum bisherigen Lohn gezahlt werden. Deshalb erhalten die Bezieher niedriger Einkommen nicht etwa weniger vermögenswirksame Zuwendungen als die Bezieher höherer Einkommen, wie das sonst beim Barlohn üblich zu sein pflegt. Sie werden vielmehr völlig gleich behandelt, so daß gerade bei diesem Gesetz der Vorwurf der Benachteiligung der unteren Einkommensschichten ungerechtfertigt ist.Im übrigen sind Sie wie ich im Augenblick Zeuge des Vorgangs, daß der neue Gesetzentwurf der Regierung die Attraktivität der Sparförderung durch Tarifverträge erhöht hat. In vielen Bereichen, für mehr als 7 Millionen Arbeitnehmer, für die Tarifverhandlungen anstehen, sind solche Forderungen ja schon erörtert worden.Von mancher Seite ist kritisiert worden, daß auch das Sparen aus dem laufenden Lohn ebenso wie die vermögenswirksamen Leistungen im Tarifvertrag in die Verdoppelung des Begünstigungsrahmens einbezogen werden soll. Aus folgenden Gründen ist es erforderlich, auch die sogenannten §-4-Fälle in den neuen Begünstigungsrahmen aufzunehmen: Für Millionen Arbeitnehmer werden keine Tarifverträge abgeschlossen, weil ihre Arbeitgeber keinem Arbeitgeberverband angehören. Diese würden, wenn man § 4 unberücksichtigt ließe, schlechter gestellt werden. Die Folge der Ausklammerung der §-4-Fälle würde doch sein, daß viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich darin einigen, den vertraglich vereinbarten Lohn um die Beträge zu kürzen, die für den Arbeitnehmer vermögenswirksam angelegt werden, und diese Beträge nach außen gegenuber dem Kreditinstitut und der Finanzverwaltung als zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers zur Vermögensbildung seiner Arbeitnehmer zu kennzeichnen. Es würde sich dann formell um Fälle des § 3, praktisch aber um Fälle des § 4 handeln. Die Arbeitgeber würden an einem solchen Verfahren interessiert sein, weil Arbeitgeber mit nicht mehr als 50 Arbeitnehmern nach § 14 sogar eine Steuervergünstigung von 30 % der vermögenswirksamen Leistung geltend machen könnten. Die Arbeitnehmer würden zu einem solchen Vorgehen bereit sein, weil sie anderenfalls die Vorteile des Vermögensbildungsgesetzes nicht in Anspruch nehmen könnten.Doch zurück zu diesem heute zu behandelnden Gesetzentwurf: Das neue Zulagesystem, das mit Wirkung vom 1. Januar 1971 eingeführt werden soll, scheint mir gesellschaftspolitisch zumindest ebenso bedeutsam zu sein wie die Verdoppelung der begünstigten Beträge. Sie kennen alle die Nach-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2157
Bundesminister Arendtteile von Steuervergünstigungen auf dem Gebiet der Sparförderung: Sie wirken bei den unteren Einkommensschichten der Arbeitnehmer — und das sind immerhin vier Millionen — überhaupt nicht und bei den oberen bringen sie Vorteile bis zu 50 %. Sie kennen ,auch die Nachteile der Sozialversichenungsabgabebefreiung vermögenswirksamer Leistungen in der Sozialversicherung. Denn eine bloße Verdoppelung würde hier natürlich auch eine Verdoppelung der Rentenminderungen für den Versicherten bedeuten.Das wollte und das will die Bundesregierung nicht, und deshalb der Vorschlag, den Übergang zu einem Zulagesystem vorzunehmen. Die neue Zulage wird alle bisherigen Nachteile der Steuer- und Sozialabgabebefreiung beseitigen und für alle Arbeitnehmer die gleiche Vergünstigung bringen. Ich hoffe gerade in diesem Punkt auf eine breite Mehrheit im Bundestag, zumal die Opposition einen ähnlichen Vorschlag diskutiert und auch akzeptiert hat.Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Ich habe die aufrichtige Bitte an das Parlament, den Gesetzentwurf zwar gründlich, aber auch zügig zu beraten. Wenn er bis Anfang Juni nicht in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet ist, kann er wegen der Sitzungstermine des Bundesrates frühestens im Oktober dieses Jahres verkündet werden. Das wäre nicht nur konjunkturpolitisch, sondern auch wegen der bereits abgeschlossenen Tarifverträge im öffentlichen Dienst sowie wegen der bevorstehendn Tarifverhandlungen in der Metallindustrie und auch in anderen Branchen unserer Wirtschaft bedauerlich.Wir streben .an, daß breite Schichten der Arbeitnehmer inkontinuierlichen monatlichen Beträgen möglichst bald von dem neuen Gesetz Gebrauch machen können. Eine Verabschiedung erst im Oktober würde vor allem auch die kleinen und mittleren Arbeitgeber, denen man für die erforderliche Verwaltungsarbeit auch nach der einschlägigen Rechtsprechung einige Wochen Zeit lassen muß, aber auch die Kreditwirtschaft vor schwierige Verwaltungsprobleme stellen. Deshalb befürworten Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und :Kreditwirtschaft einhellig eine Verabschiedung dieses Gesetzes noch vor der Sommerpause.
Ich bitte Sie deshalb um eine baldige und — wie ich hoffe — möglichst breite Mehrheit für diesen Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf.
Zur Begründung des Entwurfs der CDU/CSU hat Herr Abgeordneter Katzer das Wort. Herr Katzer, ich glaube, Sie hatten zur Begründung 45 Minuten Redezeit beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn mein verehrter Herr Amtsvorgänger meint, nach vier Mona-ten — —
— Ich bin den Dingen schon ein bißchen voraus.Wenn Herr Kollege Arendt meint, nach vier Monaten wäre die Regierung schon in der Lage, ein Gesetz vorzulegen, und das als besondere Leistung erwähnt, dann ist das ja nur deshalb möglich, weil hier in einem Gesetz ein Betrag verdoppelt wird und weil hier ein Zulagensystem eingeführt wird, das mit Recht als Verbesserung dargestellt wurde. Das möchte ich unterstreichen und werde es nachher auch noch tun. Aber da war eben einfach die Regierung der Großen Koalition in dieser Frage schon erheblich weiter als die heutige Regierung. Wenn Sie nachfragen bei Ihrem Pressereferat, werden Sie feststellen, daß der Arbeitsminister am 19. Juli 1969 eine Broschüre über die „Vermögenspolitik in einer wachsenden Wirtschaft" herausgegeben hat. Darin war das Ergebnis der Beratungen des Arbeitsministers, des Wirtschaftsministers und des Finanzministers zusammengefaßt, und darin finden Sie dieses Zulagensystem exakt als eine der wünschenswerten Neuerungen, die bei dieser Frage Platz greifen sollten.
— Vier Diskussionsmodelle.
— Vier Diskussionsmodelle in der Großen Koalition.— Aber, Herr Kollege Schellenberg, das ist eine gedankliche Vorarbeit, die es dieser Regierung sehr viel leichter gemacht hätte — ich komme noch darauf zurück —, statt nur einer Verdoppelung etwas mehr zu bringen. Das will ich jetzt begründen mit Ihrer gütigen Erlaubnis.Dabei will ich einen Satz unterstreichen, Herr Kollege Arendt. Sie haben die Opposition angesprochen und um ihre Mitarbeit gebeten. Ich spreche die Regierungsparteien an und bitte sie um ihre Mitarbeit, damit die Alternative, die die christlich-demokratische und christliche-soziale Unionsfraktion Ihnen vorlegt, bei den Beratungen genauso ernstgenommen wird wie das 624-DM-Gesetz der Bundesregierung.
— Nein, gestern nachmittag verabschiedet. Erarbeitet haben wir das vier Monate. Und ich bin sehr dankbar, daß Sie zugestimmt haben, daß wir heute diese Lesung mit der Beratung der Regierungsvorlage verbinden können.18 Jahre Diskussion und Bemühungen um die Vermögensbildung in breiten Schichten, entscheidend gestaltet von der Christlich-Demokratischen Union, sowohl im Konzept wie in den Einzelmaßnahmen haben auf dem Gebiet der Sparförderung sicherlich eine Reihe von Erfolgen erzielt. Das bestreitet niemand. Vorhin wurde Herr Kollege Burgbacher zitiert. Er ist sicherlich dankbar dafür, daß er zitiert wird. Denn dazu stehen wir. Wir halten es nicht für gut, daß noch immer 71% des Produktivkapitals unserer Wirtschaft sich in der Hand von 1,7% der Bevölkerung befinden.
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2158 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
KatzerDa sind wir der Meinung, wir müssen hier heute ein Stück mehr tun als das, was die Regierung sagt. Wir müssen eine Zwischenbilanz ziehen. Wir müssen uns das Ziel vergegenwärtigen und weitere Schritte zur Weiterentwicklung unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung tun.Dazu hat Ihnen die CDU/CSU-Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich sage noch einmal: wir sehen darin eine Alternative und bitten Sie um Ihre Mitarbeit. Ich füge hinzu: wir sind dabei offen für jede Anregung, für jede Verbesserung, von wem und von welcher Seite auch immer sie kommen mag.
Wir werden dies im Verlauf der Beratung dankbar empfinden. Denn uns geht es in dieser Frage der Eigentumspolitik nicht um den Wahltermin. Hier oder dort wird in Deutschland immer gewählt. Sondern es geht uns einfach darum — ich werde das nachher noch mit einigen Bemerkungen deutlich zu machen versuchen —, daß wir draußen in der Öffentlichkeit in der Darstellung unserer sozialwirtschaftlichen Ordnung glaubwürdig sind. Das darf uns keine Sekunde hindern, zu sagen, daß Fehlentwicklungen da sind. Es hat auch keinen Sinn, darüber zu streiten, wer dieses und jenes getan oder nicht getan hat. Wir wollen eine Politik weiterführen, die, vom Tage der Kapitulation angefangen bis heute, immerhin einen bemerkenswerten Fortschritt hin zu einer partnerschaftlichen Ordnung erzielt hat, die christlich sozialem Grunddenken entspringt und die jeden Klassenkampfgedanken von oben wie von unten überwinden will.Meine Damen und Herren, bevor ich den Entwurf im einzelnen erläutere — das wird Kollege Burgbacher anschließend noch weiter tun —, lassen Sie mich einige wenige Sätze über die bisherige Entwicklung sagen. Ich glaube, wir können drei Phasen der Entwicklung feststellen.Erstens. Die aus der Not der Nachkriegszeit geborene Förderung der Kapitalbildung in der Wirtschaft und im Wohnungsbau. Die Folgen für die Vermögensverteilung waren nicht immer — und das wissen wir nicht erst seit heute — erfreulich. Aber dennoch, an eine eigentumspolitische Feineinstellung war damals angesichts der Trümmerberge nicht zu denken. Wir mußten aus dem Gröbsten herauskommen.Zweitens. Die Weiterentwicklung dieser Politik zur Sparförderung, die breite Schichten erreichen sollte, ganz besonders die Umschichtung von der Steuerbegünstigung auf die allgemeine und auf die Wohnungsbauprämie. Ein weiteres wichtiges Element war die Privatisierung von wirtschaftlichem Vermögen der öffentlichen Hand. Ich denke an VW, ich denke an Preußag, ich denke an Veba. Ich höre jetzt, daß der Finanzminister an Plänen arbeitet, das vorhandene Industrievermögen des Bundes zusammenzufassen. Wenn da der Weg der sozialen Privatisierung, wie wir ihn begonnen haben, fortgesetzt werden wird, werden Sie selbstverständlich unsere Unterstützung dazu finden. Das ist ganz selbstverständlich.
Das Dritte ist die verstärkte Ausrichtung der Förderung auf die Arbeitnehmer, das Vermögensbildungsgesetz 1961, ein arbeitsrechtliches Gesetz, das die Vermögensbildung im Rahmen der Arbeitsverhältnisse fördern will. Dieses Gesetz wurde von unserem Kollegen Blank, dem damaligen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, eingebracht und am 27. Januar 1961 in erster Lesung hier beraten. Es ist interessant, einmal nachzulesen, was von den Sprechern der Fraktionen, insbesondere auch vom Kollegen Starke von der FDP, der im Augenblick leider nicht im Saal sein kann, damals gesagt worden ist. Es lohnt sich wirklich, das einmal nachzulesen.Dann haben wir den Versuch gemacht, das Problem über Betriebsvereinbarungen zu lösen. Wir haben erkennen müssen, daß dieser Weg nicht ging. Vier Jahre später, aus diesen Erfahrungen lernend, haben wir den Tarifvertrag eingeführt. Heute müssen wir leider sagen, daß das Ergebnis auch nicht befriedigend ist, aus welchen Gründen auch immer. Wir können also sagen: Wir haben als Ergebnis der bisherigen Politik ein Bündel von Maßnahmen, die das Sparen breiter Schichten erleichtern und langfristig sichern sollen. Man kann lange darüber streiten, ob und wieweit dieses Sparförderungssystem wirksam gewesen ist. Es ist auf einem weitem Gebiet sicherlich wirksam gewesen, aber es hat das Ziel der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital nicht verwirklichen können.Wir sind der Auffassung, daß die Richtung, die wir damals eingeschlagen haben, richtig war, daß aber die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten, um dem langfristigen Ziel einer breiten Vermögensbildung genügend Rechnung zu tragen. Diese Auffassung teilt offenbar auch die Bundesregierung, wenn ich an die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 denke und sie richtig verstehe. Aber ich glaube, an uns als Politiker, an alle Parteien und an die Regierung wird die Frage immer dringlicher gestellt. Ich sage das hier ohne jede Polemik; denn ich glaube, Polemik wäre dem Thema überhaupt nicht angemessen. Jeder von uns hat im Bundestagswahlkampf Diskussionen noch und noch geführt, und jeder von uns — ich habe das als beglückend empfunden — hat gesehen, daß Fragen der Vermögensbildung und Vermögensverteilung in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle spielen und insbesondere bei der jungen Generation Antworten darauf von uns verlangt werden. Wenn nicht alles täuscht, wird in dieser Frage die Glaubwürdigkeit des ganzen Parlaments von großen Teilen unseres Volkes einer Nagelprobe unterzogen werden.Meine Damen und Herren, die Institution des Privateigentums, die wir bejahen, würde angezweifelt, wenn sich herausstellen sollte, daß der Zugang zum Eigentum theoretisch zwar allen, praktisch aber nur einer kleinen Schicht von Personen möglich ist, die bereits Eigentümer sind.
— Ich bin sehr dankbar für Ihren Beifall. Mir gehtes nämlich — ich sage es noch einmal und werde esnachher begründen — um folgendes: Es sollte gelin-
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Katzergen — das würde dem Parlament zur Ehre gereichen —, diesen unseren Alternativvorschlag, den wir, wie Sie wissen, mit großem Zeit- und Kraftaufwand als Opposition erarbeitet haben, gemeinsam zu beraten. Er sollte in die Beschlüsse einfließen. die dieses Hohe Haus zu fassen hat.
Die Gründe dafür, warum ,das geschehen sollte,werde ich nachher noch einmal ausdrücklich dartun.Ich möchte zunächst folgendes sagen. Wir sollten die Kritik ernst nehmen. Unsere Antwort auf die hier anstehende Frage kann nur lauten: Das Eigentum muß auch unseren gesellschaftlichen Strukturen gerecht werden, es muß offen und zugänglich für alle Schichten der modernen Industriegesellschaft bleiben.
Vor hundert Jahren waren 80 % der Erwerbstätigen Selbständige, die alle ein produktiv genutztes Vermögen meist in der Landwirtschaft besaßen. Heute sind 80 % unseres Volkes Arbeitnehmer. Sie wollen und sollen vollgültig in unsere Gesellschaft, in unsere Wirtschaft integriert werden. Diese 80 % müssen 'deshalb ihren Anteil am produktiv genutzten Kapital unserer Industrie, unseres Gewerbes und unserer Dienstleistungsbereiche erhalten. Sonst stehen wir In der Fortentwicklung unserer Industriegesellschaft an einem Scheideweg. Die volkswirtschaftlich entscheidende Kapitalbildung bliebe nämlich dann Sache einer kleinen Gruppe von Kapitalgebern, und der große Teil der erwerbstätigen Bevölkerung bliebe ausgeschlossen. Gerade diesen Teil aber müssen wir doch mit in die Verantwortung hineinnehmen und dürfen ihn nicht aufs Konsumgeren beschränken.
Eine derartige Professionalisierung der Kapitalbildung können und wollen wir nicht zulassen; denn im wichtigsten Bereich der Wirtschaft, der unsere Zukunft sichert, bliebe dann eine zunehmend scharfe Trennung zwischen Kapitaleigentümern und vermögenslosen Nurkonsumenten bestehen.Das ist der Punkt, an dem wir stehen. Wir stehen vor der Aufgabe, ein Konzept vorzulegen, das verspricht, den tiefen gesellschaftlichen Gegensatz strukturell nachhaltig zu überwinden. Dabei müssen wir in logischer Fortsetzung unserer Politik in eine vierte Phase der Eigentums- und Vermögenspolitik eintreten und folgerichtig den bisherigen Weg fortsetzen, allerdings unter konsequenter Nutzung der bisherigen Erfahrungen und mit einer volkswirtschaftlichen und verteilungspolitischen Feineinstellung.Wir haben gesehen, daß die bisherigen Förderungsmaßnahmen den Vermögensbildungsprozeß nicht in der erwünschten soziologischen Breite in Gang gesetzt und vorangetrieben haben. Ihre Breitenwirkung und ihre Nachhaltigkeit sind begrenzt, weil sie bei der Sparbereitschaft und Sparwilligkeit ansetzen, ohne genügend nach der Sparfähigkeit zu fragen. Hier ist natürlich, Herr Kollege Arendt, sofort die Frage zu stellen: Wollen wir 624 DM füreinen begrenzten Personenkreis begünstigen, oder wollen wir allen Arbeitnehmern, insbesondere allen kleinen Arbeitnehmern, Zugang zum Eigentum ermöglichen, indem wir eben auf unseren Gesetzentwurf abheben?
Das ist eine der Fragen. Solange ich Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung war, habe ich — und Sie sagten vorhin, es habe Übereinstimmung bestanden; ja, ich meinte das immer — die Meinung vertreten: Ehe wir an eine Verdoppelung oder Verbesserung der Möglichkeiten für einen kleinen Personenkreis herangehen, sollten wir zuerst für eine breite Anwendung dieses Gesetzes sorgen, und dem trägt unser Gesetzentwurf nachdrücklich Rechnung.
Der Abschluß von zusätzlichen vermögenswirksamen Leistungen, der, wie die Erfahrung lehrt, unter erheblichen Erschwernissen leidet, ist nur zögernd in Gang gekommen. Von seiten der Gewerkschaften wird trotz aller Verstärkung der Bereitschaft — die ich jetzt dankbar begrüße; ich hätte sie nur gern schon sehr viel früher gesehen — auch heute eingewandt, daß man die tarifpolitischen Möglichkeiten in dieser Hinsicht nicht überschätzen sollte. Mit Recht ist vorhin darauf hingewiesen worden — das gilt gerade auch für unseren Gesetzentwurf —, daß eine Grenze für die autonome Tarifpolitik der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände auch darin zu sehen ist, daß nicht für alle Tarifverträge abgeschlossen werden können, weil es Bereiche gibt, für die Tarifverträge nicht gültig sind. Es sind immerhin etwa vier bis fünf Millionen unselbständig Beschäftigte, die nicht unter Tarifverträge fallen und die von diesem Gesetz über tarifvertragliche Regelungen nicht betroffen würden.Der Schritt, der jetzt not tut, muß mit politischem Nachdruck und mit gesetzlicher Absicherung endlich in voller Breite die Beteiligung unserer Arbeitnehmer am volkswirtschaftlichen Produktivkapital mit einer langfristigen Zwangsläufigkeit in Gang setzen. Das Ziel lautet: Verbesserung der Voraussetzungen der gesamtwirtschaftlichen Kapitalbildung und Vorsorge dafür, daß von dem jährlichen Vermögenszuwachs der Wirtschaft künftig ein wachsender Teil auf die Arbeitnehmer entfällt.Eine Vermögenspolitik, die sich ganz auf die Bedürfnisse und Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft konzentriert, geht nicht von der Vorstellung einer Umverteilung von Eigentum aus; diese Absicht geht noch von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Institution des Eigentums aus und will sie im Grunde neutralisieren. Die Vermögenspolitik der Union dagegen will die strukturellen Voraussetzungen verbessern, unter denen neues und dauerhaftes Arbeitnehmervermögen entsteht. Sie sieht deutlich eine funktionale Unzulänglichkeit in unserer gesellschaftlichen Ordnung und greift hier, indem sie einen Weg sieht, breite Bevölkerungsschichten an der in einer Marktwirtschaft unentbehrlichen Gewinnbildung zu beteiligen, zugunsten des Privateigentums ein.
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KatzerDabei ist der Name des Gesetzes, wenn Sie ihn dem Vorschlag der Regierung gegenüberstellen, ein Programm. Dieser Entwurf heißt „Entwurf eines Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und zur Verbesserung der Kapitalstruktur der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes". Ich werde mir dazu noch einige wenige Bemerkungen erlauben. Lassen Sie mich versuchen, den Inhalt kurz darzustellen. Ich sagte schon, daß Herr Kollege Burgbacher das nachher besonders nach der finanziellen Seite hin ergänzen, vertiefen und verbreitern wird.Zunächst, meine Damen und Herren, glauben wir, daß die Förderung der Sparwilligkeit durch die Förderung der Sparfähigkeit ergänzt werden muß, und zwar der Sparfähigkeit für alle Arbeitnehmer, wie dies in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist, unabhängig von betrieblichen oder tariflichen Gegebenheiten. Auch unser Entwurf — das lassen Sie mich gleich bemerken — räumt der Vereinbarung durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Priorität ein. Wo Tarifverträge oder Vereinbarungen in dem Ausmaß dieses unseres Gesetzes abgeschlossen werden, ist der Gesetzesauftrag erfüllt. Ich möchte das hier auch deshalb nachdrücklich sagen, weil in der Öffentlichkeit der eine oder andere Irrtum in dieser Richtung passiert ist.Diese gesetzliche Grundförderung, wie ich sie nennen möchte, soll die Arbeitnehmer zur Beteiligung am Produktivkapital unserer Volkswirtschaft führen, sowohl an Kapital, das in der privaten Wirtschaft arbeitet, wie auch an dem Kapital, das für Gemeinschaftsaufgaben einschließlich Bildungsaufgaben benötigt wird. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, daß die enormen Investitionen, die in den nächsten Jahren im Hochschulbau notwendig sein werden, zum Teil auch von privatrechtlichen Trägern erbracht werden, an deren Kapital sich breite Schichten unseres Volkes beteiligen können. Das gleiche gilt für Zukunftsindustrien, wie etwa die Ausnutzung der Meeresschätze, die auf lange Sicht besondere Erträge versprechen. Zu überlegen wäre dabei die Durststrecken, die bei derartigen Zukunftsprojekten zu überwinden sind, durch Bürgschaften der öffentlichen Hand abzusichern.Ich wiederhole und betone, meine Damen und Herren: Die gesetzliche Förderung schließt nicht die Eigeninitiative der Tarifvertragsparteien und Betriebe aus, im Gegenteil, wir sind sehr dafür, daß sie Vorrang haben, wenn sie der Mindestnorm der Vermögensbildung gerecht werden.Die Grundförderung soll auch weiterhin durch die bisherige Sparförderung ergänzt werden. Wir werden aber überlegen müssen — und deshalb, Herr Kollege Schellenberg, meine nachdrückliche Bitte um Alternativberatung —, wenn die 624 DM — —
— Herr Kollege Schellenberg, ich polemisiere nicht.Sie hören doch mein Bemühen, in dieser Frage möglichst gemeinsam einen Schritt weiterzukommen,und da helfen uns doch nicht irgendwelche Geschichten von früher. Wir wollen nach vorne blicken. Das ist der Punkt, auf den es mir ankommt.
— Herr Kollege, ich will der Regierung ja helfen, ich will dem Finanzminister helfen. Das mögen Sie nicht glauben, aber es ist so. Sie werden doch am Ende des Jahres, wenn Sie den vermögenspolitischen Bericht vorlegen, zwei Möglichkeiten haben: entweder Sie stellen fest, daß letztlich alle die, bei denen Sie es gerne hätten, von den 624 DM Gebrauch gemacht haben oder, daß sie einbezogen sind. Aber dann haben wird doch über den Haushalt solche Summen an Prämien zu zahlen, daß das Haushaltsprobleme noch und noch aufwirft. Ich glaube, das muß man jetzt und hier parallel sehen, denn auch von Ihrer Seite ist doch schon der Vorschlag gemacht worden, zu überlegen,: ob es bei den Sparprämien nicht Einkommensgrenzen geben muß. Das muß doch alles mit hineingenommen werden. Meine Damen und Herren, ob es Ihnen recht ist oder nicht: das verstehe ich unter einer konstruktiven Oppositionsarbeit, hier einen Beitrag zu leisten, über den Sie nicht einfach hinweggehen können.
Herr Kollege Katzer, es tut mir sehr leid, Sie gerade an dieser Stelle unterbrechen zu müssen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber wir haben einen besonderen Anlaß. In diesen Tagen, nämlich gestern und heute, tagten in Bonn zwei Ausschüsse der Beratenden Versammlung des Europarates und der Versammlung der Westeuropäischen Union, und zwar der Ausschuß für die Verbindung mit den nationalen Parlamenten und der Öffentlichkeit des Europarates und der Ausschuß für die Beziehungen mit den nationalen Parlamenten der Westeuropäischen Union. Ich habe die Ehre, meine Herren und Damen Mitglieder dieser Ausschüsse, Sie namens des ganzen Hauses herzlich zu begrüßen.
Ich verbinde damit die Hoffnung, daß Ihre Beratungen hier in Bonn sehr erfolgreich gewesen sind.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege Katzer. Bitte, fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, die Frage der Benachteiligung der lohnintensiven und kleineren und mittleren Betriebe. Wir haben das ja bei unserer Diskussion über die Lohnfortzahlung für Arbeitnehmer leidvoll erfahren. Ich möchte deshalb hier gleich eine Offerte, ein Angebot machen, damit wir uns unsere Beratungen nicht erschweren, sondern erleichtern. Wir meinen, die Vermögensbildung darf keine Benachteiligung der lohnintensiven kleineren und mittleren Betriebe
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Katzermit sich bringen. Wir haben den Versuch gemacht — das werden wir noch im einzelnen darzulegen haben —, durch ein Konzept aufeinander abgestimmter verschiedener Maßnahmen dieser Gefahr zu entgehen. So ist die vermögenswirksame Anlage bei Kapitalbeteiligungsgesellschaften vorgesehen, die sich an mittelständischen Unternehmungen beteiligen. Wir werden parallel zu den Beratungen dieses Gesetzes einen entsprechenden Gesetzentwurf zu forcieren haben. Das Gesetz ist daher geeignet, die chronische und oft beklagte Unterkapitalisierung unserer mittelständischen Wirtschaft zu beseitigen. Allerdings wird die Realisierung dieses Ziels von Zahl und Wirksamkeit solcher Kapitalbeteiligungsgesellschaften abhängen, wobei zu prüfen sein wird, ob hierfür die bestehenden Rechtsformen ausreichen. Ich glaube es nicht; deshalb habe ich erklärt, daß wir entsprechende Initiativen, die dieses Gesetz begleiten, einleiten sollten.Wir haben ferner vorgesehen, daß mittelständische Unternehmungen mit weniger als 50 Arbeitnehmern die vermögenswirksamen Leistungen in einem bestimmten Umfang bei ihrer Steuerschuld absetzen können. Die gleiche Regelung enthält bereits das Zweite Vermögensbildungsgesetz.
Erstmals haben wir Selbständige mit einem Einkommen von bis zu 36 000 DM jährlich einbezogen. Wir beschreiten mit dieser Bestimmung Neuland. Aber ich glaube, meine Damen und Herren, sie ist die Konsequenz daraus, daß viele der sogenannten kleinen Selbständigen heute soziologisch nicht weniger. der Sicherung bedürfen als viele der Arbeitnehmer. Und aus dieser Tatsache haben wir hier in diesem Gesetzentwurf die Schlußfolgerung gezogen.
Gleichzeitig mit der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital unserer Volkswirtschaft müssen Maßnahmen getroffen werden, die das Angebot an Beteiligungswerten nachhaltig und strukturell erhöhen. Deshalb habe ich die Ankündigung, die vorhin aus dem Finanzministerium betreffend VIAG kam, sehr begrüßt. Wir sollten darüber hinaus eingefrorene Wertpapiere mobilisieren. Die Betriebe müssen daran interessiert werden, an Stelle von Fremdfinanzierung Eigenkapital hereinzuholen. Das gilt übrigens auch für den Staat, der sich daran gewöhnt hat, kapitalintensive Zukunftsaufgaben genauso wie die herkömmlichen Verwaltungsaufgaben aus dem Steuertopf zu finanzieren. Auch der Staat sollte Einstiegsmöglichkeiten für die Vermögensbildung der Arbeitnehmer bieten, und zwar unter Bedingungen, die mit den Neuemissionen der Privatwirtschaft konkurrieren können.Das ist der Weg, wie wir ihn jetzt vor uns sehen, auf dem die bisherige Spardörderung zu einer gesellschaftspolitischen Strukturpolitik als fundamentalem Bestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft weiterentwickelt wird.Einige wenige Bemerkungen noch zu dem heute von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Vermögensbildungsgesetzes. DieserEntwurf enthält im wesentlichen zwei Neuerungen. Die eine ist die Erhöhung von 312 auf 624 DM; ich habe dazu schon eine Bemerkung gemacht. Die andere ist der Übergang von der Abgabefreiheit zum Zulagensystem. Ich habe bereits dargestellt, daß das von uns schon in der Großen Koalition vorgesehen war,Ich glaube, eine Damen und Herren, alle großen Worte täuschen nicht .darüber hinweg, daß sich auch die Regierung darin einig ist, daß die Verdoppelung des begünstigten Betrages kaum als vermögenspolitische Tat gewertet werden kann.
— Nein, Herr Kollege Schellenberg, das glaube ich nicht. Sehen Sie, da haben Sie unseren .Gesetzentwurf — das ist allerdings zu entschuldigen, weil er erst sehr spät auf den Tisch kam — —
— Jawohl, das gebe ich zu. Ich wollte nur vor voreiligen Schlußfolgerungenwarnen. Dann haben Sie noch nicht genügend Zeit gehabt, die Formulierung zu lesen;
denn das wäre eine völlige Fehlinterpretation, die Sie spätestens im Verlauf der Ausschußberatungen bitter bereuen würden. Sie werden feststellen, daß dies hier ein ganz neues Element ist, das in der Vermögensbildungsdiskussion bis heute noch nicht
— Herr Kollege, auch dazu werde ich Ihnen, dem Sozialdemokraten, der bei der Sozialversicherung ja mit Recht über den Zwang nie gestolpert ist, nachher gerne noch ein Stichwort liefern.
Aber es ist mehr als merkwürdig, das aus Ihrem Munde zu hören.Was ist nun das Neuartige und Wegweisende, Herr Kollege Schellenberg? Die Arbeitnehmerbeträge kann man sehr schnell erhöhen; das haben Sie gesehen. Es war aber eine gewaltige Arbeit bis zur Einbringung des 312-DM-Gesetzes im Jahre, 1961 und bis zum Ausbau dieses Gesetzes im Jahre 1965. Auch Sie haben sich ja bemüht. Lesen Sie nach, was der Kollege Junghans im Januar 1961 bei der ersten Lesung sagte. Damals sagte er: Wir werden sofort nach den Wahlen ein umfassendes Konzept vorlegen. Das ist Ihnen nicht gelungen. Es soll doch hier keiner so tun, als ob wir alle das Patentrezept in der Tasche hätten. Wir haben eis — auch in diesem Fall — nicht in der Tasche. Dies ist aber ein weiterer struktureller Versuch, zu neuen Ufern zu kommen. Diesen Weg sollten wir gehen, und wir sollten ihn uns nicht durch Bemerkungen, wie sie hier gemacht wurden, verbauen Lassen.
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2162 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
KatzerMan kann natürlich auch hier eine Menge Kritik üben. Wir haben gestern den ganzen Nachmittag in der Fraktion über unseren Entwurf beraten. 20 Diskussionsredner haben sich damit auseinandergesetzt. Auch ich habe natürlich eine ganze Menge, Kritisches dazu zu sagen. Wo gibt eis das denn nicht? Wir wissen doch, daß man überall Kritik anbringen kann. Deshalb kommt es nicht von ungefähr, daß ich sage: Laßt uns einen Weg gehen, der es ermöglicht, daß wir in den Beratungen gemeinsam das Beste aus dieser Sache machen. Das kann Ihnen doch nur dienlich sein. Sie haben am Ende dieses Jahres ja auch noch einen vermögenspolitischen Bericht zu geben.Aber, meine Damen und Herren, man kann natürlich auch Kritik am Regierungsentwurf üben. Da wird auf die konjunkturelle Lage hingewiesen. Die konjunkturelle Lage — das kennen wir ja — paßt meistens nie, wenn sozialpolitische Gesetze zur Entscheidung anstehen. Das haben wir sehr oft erlebt. Ich glaube, zukunftweisende vermögenspolitische Konzepte können nicht allein unter konjunkturellen Aspekten gesehen werden. Weiterhin glaubt doch niemand — das wird Ihnen jeder Sachverständige bestätigen —, daß etwa Ihr 624-DM-Gesetz auf den jetzigen Konjunkturzyklus noch irgendeinen Effekt ausüben könnte.Man kann am Regierungsentwurf Kritik üben und fragen: Verdoppelung des Betrages für wen? Wer wird davon besonders Gebrauch machen? Welcher Mehraufwand des Staates ist erforderlich? Wie ist die Effizienz, wie ist der Nutzeffekt für den einzelnen? Das alles muß natürlich in Betracht gezogen werden. Ich weiß noch, wie gerade der Kollege Schiller — den Namen darf man ja neuerdings hier gar nicht mehr nennen; er war in der Großen Koalition aber an all diesen Dingen beteiligt — in der letzten Besprechung, bevor wir, der Kollege Schiller, der Kollege Strauß und ich die Broschüre, die ich vorhin erwähnte, in der wir die vier Modelle darstellten, herausgaben, sehr für eine große Lösung plädierte. Er hat darauf gedrängt. Die letzte Regierung hatte auf dem sozialpolitischen Feld so viel zu tun, daß wir zur Regelung dieser mir persönlich am meisten am Herzen liegenden Frage leider nicht mehr gekommen sind, weil wir dem Arbeitsförderungsgesetz und anderen Dingen den Vorrang gegeben haben, was ich nachträglich auch für richtig halte. Wir sollten allerdings jetzt nicht wieder von vorne anfangen, sondern auf dem, was schon ist, aufbauen. Die Union befindet sich also nicht in der Verlegenheit, in der sich die Regierungsparteien befinden. Ich will. jetzt auch nicht das zur Sprache bringen, was der Koalitionspartner früher zu dieser Frage gesagt hat. Wir lassen uns von dieser Verlegenheit auch nicht beeinflussen. Wir wollen unseren Weg weitergehen und lassen diesen Weg auch nicht durch das Wort „Zwangssparen" diffamieren.Der technische Fortschritt und das Wachstum unserer Wirtschaft erfordern ein ständig steigendes Volumen an Investitionen. Wenn es nicht zur inflationären Finanzierung der Investitionen über die Preise kommen soll, müssen auch die Arbeitnehmer mehr sparen. Sind sie zu freiwilligem Mehrsparen nicht bereit, so ist eine gewisse Sparverpflichtung auch deswegen gerechtfertigt, weil sonst die inflationäre Finanzierung des Wachstums die Arbeitnehmer ebenfalls zum Sparen zwingen würde. Das Ungerechte an diesem Sparprozeß ist allerdings, daß er sich über die Preise vollzieht, und sich eigentumsmäßig bei ganz anderen Leuten als bei den Arbeitnehmern niederschlägt.
So leicht dürfen wir es uns also mit diesem Punkt nicht machen. Dieses Argument ist natürlich auch in unserer Fraktion vorgebracht worden. Wir nehmen es nicht leicht und haben es keine Sekunde leichtgenommen. Aber da muß ich schon das Ziel sehen, das ich anpeilen soll, und fragen, ob das Mittel hierzu paßt.Tarifverträge schließt nicht der einzelne ab, sondern sie werden in seinem Namen abgeschlossen. So kommt es schließlich auch zu Zwangslöhnen und was weiß ich, wie man das nennen möchte.
— Aber, entschuldigen Sie! Für den einzelnen ist es doch ganz deutlich.Wir wollen durch Gesetz jedem Eigentum zukommen lassen, während Sie nur die vom Tarifvertrag Erfaßten begünstigen wollen, und dann auch nur da, wo Tarifverträge abgeschlossen werden. Das ist der Unterschied Nummer eins zwischen Ihrer und unserer Konzeption. Wir möchten uns nach zehn Jahren nicht wieder vorwerfen lassen, daß wir nicht alles angewandt hätten, um die einseitige Vermögensverteilung wenigstens einen kleinen Millimeter zu verbessern. Das ist der Inhalt und der Sinn dessen, was wir hier vorlegen.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern zum Schluß nachdrücklich nur sagen — das ist keine Floskel, sondern dazu steht unsere Fraktion nach langem Ringen, so wie ich es jetzt hier sage —: Wir nehmen jeden, aber auch jeden Beitrag, den Sie uns liefern, jedes Argument, das Sie dagegen sagen, und jedes, das — hoffentlich — dafür spricht, an.
— Von jedem, aus dem eigenen Bereich, aus den Verbänden der Wirtschaft und — lassen Sie mich auch das sagen — —
— Nein, gar nicht zu großzügig. Entschuldigen Sie, wir kennen doch die politische Landschaft. Wir wissen doch, daß die organisierten Interessen, aus welchen Gründen auch immer, für unseren Gesetzentwurf gar nicht solche Begeisterung haben wie für Ihren. Sie sollten einmal darüber nachdenken, woran das liegt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2163
Katzer— Ja, das ist einmalig. Wir sollten vielleicht einmal gemeinsam darangehen, den Betroffenen zu sagen, worum es geht, damit der einzelne selbst sehen, urteilen und erkennen kann, ob das, was wir tun, ihm hilft oder ob das, was vermeintlich in seinem Interesse getan wird, richtig ist.Ich habe die herzliche Bitte, daß Sie an unserem Gesetzentwurf in diesem Sinne konstruktiv mitarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Rosenthal.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist für mich eigentlich ein guter Tag — vorausgesetzt, ich erzähle Ihnen hier jetzt kein Blech —,
nicht weil draußen Frühling ist; hier drinnen ist's auch verhältnismäßig licht. Ich frage mich manchmal, ob das, was wir hier diskutieren, für die Ost-West-Auseinandersetzung nicht mindestens so wichtig ist wie das, was wir vorher diskutiert haben.
Es wird Frühling in der Vermögensreform.Ich glaube, es gibt schreckliche Vereinfachungen. Es gibt aber auch notwendige, und zwar weil es eben auch schreckliche Komplizierungen gibt, die Sachen nicht klarlegen, sondern behindern. Hier sind ein paar Vereinfachungen am Platz.Es ist Tatsache, daß eine größere Mehrheit in diesem Saal grundsätzlich für die Vermögensreform ist — so möchte ich es nennen; denn das Wort „Vermögensbildung" hat immer noch so einen Nachgeruch von Trostpflästerchen der Kapitalisten —, wohl deshalb, weil sie sich darüber einig ist, daß das, Eigentum einen Funktionswert hat, wenn es auch kein irgendwie heiliges Dogma ist, weil sie sich darüber einig ist, daß das Eigentum nicht Gemeinschaftsaufgaben lösen kann, aber daß auch nicht alles gemeinwirtschaftlich gelöst werden kann.Ich glaube sogar, daß sich diejenigen, die die Vergesellschaftung als den richtigen Weg ansehen, darüber klar geworden sind, daß eigenes, disponibles Vermögen, mit dem der einzelne auch einmal warten und seinen Job heraussuchen kann, auch ein Teil der Freiheit ist. Sogar diejenigen, die glauben, der derzeitige Status quo, bei dem die einen fast alles und die anderen fast nichts haben, sei irgendwie von Gott gegeben, werden auch langsam so realistisch, zu wissen, daß derartige Vermögenskonzentrationen genauso unstabil sind wie beispielsweise in Südamerika der Großgrundbesitz in wenigen Händen; da ist der Weg zur Kolchose sehr kurz.Manchmal wundere ich mich, wie bei dieser Frage einer Umverteilung des Vermögenszuwachses bei irgendwie ins Gewicht fallenden Maßnahmen sofort geredet wird von „Enteignung", „konfiskatorisch" und von einer „Bremse auf die Investitionen". In den letzten dreißig Jahren haben wir 50 % des damaligen Vermögens umverteilt, nämlich im Lastenausgleich, nur deshalb, weil einige das Glück hatten, ihren Besitz hier im Westen zu haben, und die anderen das Unglück, ihren Besitz im Osten verloren zu haben. Das haben wir über dreißig Jahre mit einer vernünftigen Stundung umverteilt, und kein Mensch hat von Konfiskation und von Angriff auf das Eigentum gesprochen. Im Gegenteil, das ist mit der Zustimmung aller über die Bühne gegangen, weil es als gerecht empfunden worden ist. Was ist jetzt der Unterschied zwischen dem Zufall, daß die einen im Westen und die anderen im Osten gesessen sind, und dem Zufall, daß die einen mit den Produktionsmitteln starteten und die anderen nicht? Ich sehe da keinen Unterschied.Ich will versuchen, die Vermögensbildung aus dem Knäuel, in den sie verstrickt war, herauszuholen. Das Erfreulichste an der heutigen Situation ist, daß sie langsam aus diesem Knäuel herauskommt und wir imstande sind, anständige Muster und Modelle zu stricken.Da ist einmal die Frage der Verbindung mit der Mitbestimmung. Jetzt wird langsam klar, daß die Vermögensbildung die Mitbestimmung weder ersetzen kann noch sie verhindert. Denn wenn die Arbeiter ein Vermögen ansammeln, ist ihnen damit keine Mitbestimmung, jedenfalls keine ins Gewicht fallende Mitbestimmung, bei der Kontrolle der Unternehmen gegeben. Auch für den kleineren Aktionär — das wissen wir alle — gibt es bei der Kontrolle der Unternehmen fast keine Mitbestimmung. Auf der anderen Seite ist die Vermögensbildung auch kein Hindernis für die Mitbestimmung. Denn der Arbeiter, der ein disponibles Vermögen hat, wird sich deshalb nicht scheuen, weiterhin die Mitbestimmung in seinem Unternehmen zu verlangen. Es ist gut, daß beides einmal auseinandergehalten wird.Das Zweite ist die Frage der Nominallöhne. Allen wird jetzt immer mehr klar, daß durch die Steigerung von Nominallöhnen allein eine Umverteilung nicht möglich ist, weil das, was über den Produktivitätsfortschritt und den Preisverfall hinaus gegeben wird, von den Unternehmern auf die Preise abgewälzt werden kann. Umgedreht scheint ebenfalls klarzuwerden, daß vermögenswirksame Leistungen nicht auf die Preise abgewälzt werden. Zwar sagt man auf der Unternehmerseite: Das sind Kosten, und natürlich sind es Kosten. Aber wenn die Kaufkraft nicht gleichzeitig durch leere, nicht durch Produktivitätssteigerung gedeckte, Nominallöhne aufgestockt wird, dürfte eine Abwälzung der vermögenswirksamen Leistungen auf die Preise im großen und ganzen nicht möglich sein.Langsam wird auch klar — das ist das vorletzte Argument in dieser Reihe —, daß die Vermögensbildung aus demselben Grunde auch ein konjunkturstabilisierender Faktor ist.Nun zu der Angst derer, die ich die Wachstumsfetischisten nenne. Sie glauben, daß die Unternehmer, wenn wir in irgendeiner vernünftigen Form an die Erträge der Unternehmen herangehen, sofort aufhören zu investieren. Ich weiß nicht, ob Ihnen be-
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2164 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Rosenthalkannt ist, daß Deutschland mit einer Selbstfinanzierungsquote von 62% noch erheblich über dem internationalen Durchschnitt liegt, von einer Selbstfinanzierungsquote in Japan in Höhe von 38% überhaupt nicht zu reden.Nun zu unserem Gesetz. Von Ihnen wird gesagt: Das ist ja weiter nichts als eine Verdoppelung — der Name sagt es schon — eines Gesetzes, das schon besteht. Ich möchte Ihnen aber mit einem Beispiel aus dem Fußball sagen, daß es beim Toreschießen nicht allein auf die Vorlage, sondern auch auf den richtigen Partner und den richtigen Moment ankommt.
— Auf den Schiedsrichter kommen wir auch noch zu sprechen; keine Angst!
— Die Torwarte sind diejenigen, die zuviel haben und denen man ein bißchen wegnehmen will. Wenn Sie tatsächlich das meinen, was Sie zu Ihrem Gesetz gesagt haben, dann müssen Sie ebenfalls dieser Ansicht sein.Aber diese Regierungsvorlage kommt deshalb im richtigen Moment, weil nämlich heute die Mitspieler, die Gewerkschaften, nicht mehr „abseits stehen", um in der Fußballsprache zu bleiben.
Das ist deshalb so, weil die Gewerkschaften mit der Änderung auf Zulagen von Spielern im Abseits zu Stürmern geworden sind. Da liegt der große Unterschied zwischen der heutigen Gesetzesvorlage und dem 312-Mark-Gesetz von damals.
Wenn man vergleicht, was dieses Zulagensystem bedeutet, stellt man fest, daß früher, als es von der Steuer abgesetzt werden konnte, der Arbeitnehmer bei einem Monatseinkommen von 700 DM überhaupt keine steuerlichen Vorteile hatte. Wenn er 2500 DM verdiente, trug der Staat von den 312 DM schon 104 DM. Um aber alle Sparvorteile ausnutzen zu können, mußte man 18 000 DM monatlich verdienen.Nun zu dem Vorwurf der Unionsparteien, wir hätten in der Vermögensbildung ja auch nicht so viel getan. Dazu muß ich Ihnen leider erstens sagen, daß wir in den letzten 20 Jahren, in denen sich diese Vermögensverteilung gezeigt hat, nicht an der Regierung waren.
Zweitens muß ich Ihnen sagen, daß wir nicht diejenigen waren, die die Vermögensverteilung jahrelang als Vereinsmotto auf ihre Fahnen geschrieben haben. Bei uns hat ein gewisser Sinneswandel stattgefunden.
Ein Sinneswandel ist immer eine gute Sache.
Er ist besser, als daß wir jetzt zum letzten Mal seit 20 Jahren dieses schöne Wort von einer besseren Vermögensverteilung hören. Dabei ist es in 20 Jahren Unionsherrschaft tatsächlich dazu gekommen, daß — wenn Gleitze richtig zitiert und wenn er auch nicht ganz richtig liegen sollte — der Anteil der Arbeitnehmer am Gesamtvermögen in den Jahren 1950-61 von 40,5 % auf 23,9 % gefallen ist!
Nun zum Plan der CDU. Zunächst: die Partner spielen nicht mit,
weder die Gewerkschaften noch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände; denn auch diese haben sich im Gegenteil mehrmals ausdrücklich zu der tarifautonomen Regelung bekannt. Da beißt die Maus keinen Faden ab!Sie haben vorhin die Schiedsrichter zitiert; ich akzeptiere das zwar nicht, aber nehmen wir einmal die Banken als Schiedsrichter!
Die Banken werden Ihnen gesagt haben, daß in Deutschland solche Papiere überhaupt nur im Wert von jährlich 2 Milliarden DM ausgegeben werden und daß es völlig unmöglich ist, Papiere im Wert von 6 Milliarden DM, wie es in ihrem Plan steht, unterzubringen.
Ich gestehe Ihnen, daß ich selbst, der ich mich ja jahrelang mit diesem Problem herumgeschlagen habe, am Anfang auch etwas an die sofortige Beteiligung an den Produktionsmitteln gedacht habe. Ich bin aber darauf gekommen, daß eine so schnelle Heranführung der Arbeiter
— im großen ganzen — an Anteilspapiere, die, wie wir ja gesehen haben, im Wert so schnell wechseln, nicht der richtige Anfang für die Vermögensbildung ist. Ein kleiner Aktionär unsererseits fängt auch nicht mit den Aktien an.
— Wir wollen es ändern, indem der Arbeitnehmer zunächst einmal, wenn der Tarif für ihn von den Gewerkschaften, die jetzt für diese Sache sind, abgeschlossen worden ist, die Freiheit hat. Ich garantiere Ihnen — Sie werden es sehen —: da kommen ganz andere Zahlen heraus. Ich bin nicht sicher, ob Alex Möller nicht noch einmal Angst kriegen wird, welche Zahlen da herauskommen.
— Lieber Herr Burgbacher, ich schätze nicht nur Sie, sondern ich schätze viele Leute in Ihrer Fraktion, weil ich aus der Beschäftigung mit dieser Sache
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Rosenthalgenau weiß, daß in Ihrer Fraktion viele Leute dieses Problem gesehen und sich bemüht haben. Aber in einer solchen Frage muß man eine Partei nicht nach dem beurteilen, was einzelne denken, sondern nach dem, was die Partei tut.
An ihren Früchten müßt ihr sie erkennen. Und die Früchte der sogenannten Vermögensbildung haben in der Vergangenheit so hoch gehangen, daß nicht nur der kleine, sondern auch der mittelgroße Mann nicht drankommen konnte.
Herr Burgbacher, ich weiß, welche Aufstellungsschwierigkeiten Sie in diesem Fußballspiel — ich darf das Bild weiterhin beibehalten — für Ihre Mannschaft hatten, um dies durchzuziehen. Ich wäre gestern gern als Lauscher dabeigewesen,
um zu sehen, wie Sie meine Landsleute aus der CSU dazu gebracht haben. Wahrscheinlich haben die sich nur deshalb entschlossen mitzuspielen, weil ihnen klargeworden ist, daß auf ihr Tor sowieso nicht geschossen wird.
— Dann will ich es noch einmal sagen: Ich bin der Ansicht, daß, wenn die Sozialdemokratie nicht mit einem solchen Druck dabei wäre, jetzt in letzter Minute im Schnellbackverfahren ein Gesetz herauszubringen, Professor Burgbacher bei Ihnen den Job des Trainers wahrscheinlich schon verloren hätte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott? — Bitte schön!
Herr Kollege Rosenthal, können Sie mir angesichts dieser Ihrer Ausführungen erklären, aus welchen Gründen das Vermögen des DGB in den letzten zwanzig Jahren so angewachsen ist, ohne Verschulden der Bundesregierung?
Weil der DGB nach dem Motto jedes Managers eines jeden Unternehmens handelt und versucht, für sein Unternehmen den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Sie können keinem Unternehmer vorwerfen, daß er die notwendigen Gewinne macht. Die Frage ist, wie von außen kontrolliert wird, wo diese Gewinne hingehen.
Ich will es jetzt nicht lang machen. Ich finde es immer besser, man redet kürzer als die gegebene Zeit. Wenn es notwendig ist, können wir ja noch einmal darüber reden.
Zum Schluß: Ich habe am Anfang schon gesagt: Dies ist im letzten Ende — Herr Katzer und Herr Burgbacher haben es auch gesagt — nicht eine Sache, die allein zwischen den Fraktionen steht. Auch ich wäre dafür, dahin zu kommen, daß wir uns zusammenraufen
und eine Nationalmannschaft bilden. Nur, Kapitän und Spieler bei dieser Nationalmannschaft sind die Gewerkschaften und die SPD.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt . Es ist eine Redezeit von zwanzig Minuten beantragt.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Herr Kollege Rosenthal hat an den Anfang seiner Ausführungen die Feststellunggestellt, daß heute ein vermögenspolitischer Frühlingstag sei, und ich möchte dies für die Freien Demokraten unterstreichen. Ich möchte es deshalb unterstreichen, weil plötzlich sogar ein zweiter Vorschlag für Vermögensbildung auf den Tisch des Hauses gekommen ist, allerdings in letzter Minute — ich werde dazu gleich noch einiges sagen —, vor allen Dingen aber deshalb, weil heute deutlich geworden ist, daß die von der SPD und uns getragene Bundesregierung 'in Erfüllung ihrer Regierungserklärung, in Erfüllung ihres Regierungsprogramms,
in dem es heißt, Herr Kollege Stücklen — ich darf zitieren —:Zu den Schwerpunkten der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregierung gehört das Bemühen um eine gezielte Vermögenspolitik ...bereits ein halbes Jahr nach Bestehen erneut eine wesentliche gesellschaftspolitische Gesetzesvorlage auf den Tisch gelegt hat.
- Diese „ollen Kamellen", wenn Sie es so nennen wollen, Herr Müller-Hermann, müssen Sie dann auf sich nehmen.
Diese Gesetzesvorlage stellt zweifellos nur einen Teil dessen dar, was notwendig isst, um den auch vom Kollegen Katzer genannten und, wie ich glaube, gemeinsam von diesem Haus getragenen Vorstellungen einer zukünftigen Vermögensbildung ganz gerecht zu werden.
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Schmidt
Natürlich ist das nur ein Teil. Darüber sind wir uns alle im klaren. Der Herr Bundesarbeitsminister hat bereits eingangs deutlich gemacht, daß durch den in absehbarer Zeit zu erwartenden Vermögensbericht der Bundesregierung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen die weiteren Schritte in diese Richtung kommen werden. Dabei gehen wir Freien Demokraten davon aus, daß alle diese vermögenspolitischen Überlegungen den starken Vermögenszuwachs in den nächsten Jahren betreffen und diesen in breitere Bahnen und auf möglichst viele Schultern verteilen und daß die bisherige Vermögenssituation oder Eigentumssituation nicht durch Umverteilungspläne korrigiert wird.
Ich glaube, da besteht auch Übereinstimmung.
Nun haben wir zwei Vorlagen. Lassen Sie mich, ehe ich auf die Regierungsvorlage eingehe, einige wenige Sätze zu Ihnen, Herr Kollege Katzer, und zu dem Vorschlag ,der CDU/CSU sagen, heute Beteiligungslohngesetz genannt, früher, Herr Kollege Burgbacher, Burgbacher-Plan genannt. Insofern ist es natürlich, Herr Kollege Müller-Hermann, eine „olle Kamelle". Vielleicht meinten Sie das vorhin. Bloß, daß diese „olle Kamelle" plötzlich gestern ad hoc über die Bühne ging.
— Herr Kollege Mick, ich hätte mir vorstellen können, daß solche Dinge vielleicht vor sechs oder acht Jahren — da sprach man nämlich auch schon von einem Burgbacher-Plan — zur Diskussion interessant gewesen wären,
weil die Situation damals noch nicht so wie heute war; heute haben wir endlich erreicht, daß die Frage der Vermögenspolitik in den Bereichen der Tarifpartner angesprochen und stärker angenommen wird, als das ursprünglich der Fall war.
— Herr Kollege Härzschel, ich werde nachher gern darauf zurückkommen.Lassen Sie mich .ein Zweites sagen, was mich und meine Freunde etwas skeptisch macht, ob dieser Entwurf des Beteiligungslohngesetzes, die Vorlage der CDU/CSU, denn eine so fundierte Entscheidung war. Den zeitlich kurzen Weg habe ich schon angesprochen. Aber es ist interessant — und vielleicht wäre dazu von Ihnen noch etwas zu sagen —, daß heute bereits Mitteilungen auftauchen, daß bei Ihnen, bei einem Ihrer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, ein vermögenspolitischer Stab gebildet worden ist und daß der sich nun mit Vermögenspolitik befassen soll. Wenn das so ist — es sind bereits einige Pressemitteilungen, einige Ondits darüber vorhanden —, dann ist das hier eigentlich nur noch schnell vorgelegt, weil diese Bundesregierung in Erfüllung ihres Regierungsprogramms heute einen solchen Vorschlag auf den Tischgelegt hat. WennSie bereits heute anscheinend ein ganz anderes Konzept überlegen, dann ist Ihr Entwurf nur Schau, um heute etwas auf den Tisch gelegt zu haben.
Lassen Sie mich noch zwei weitere Bemerkungen zum Inhalt machen; auf 'die anderen Dinge — — Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Kollege, wenn Sie so im einzelnen informiert sind über die Vorgänge in der CDU/CSU-Fraktion, ist Ihnen dann auch bekannt, daß die Eigentumsgruppe in der Fraktion seit Monaten an diesem Gesetzentwurfarbeitet?
Es ist mir auch seit Monaten bekannt, daß diese Eigentumsgruppe eine Sachverständigenanhörung durchgeführt hat, in der dieser Entwurf von den Sachverständigen mehr oder weniger zerrissen wurde,
und daß bis vor wenigen Tagen, eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, ,an dem klar war, daß die Regierung ihre Aufgabe, wie sie im Regierungsprogramm vorgesehen war, sehr rasch erfüllen würde, noch sehr viele Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion, mit denen ich zusammenkam, eine ganz andere Meinung über Vermögenspolitik hatten — ich muß hier auch wieder an meine Landsleute aus Bayern denken — als ausgerechnet das, was jetzt hier vorgelegt worden ist und so plötzlich — fasteinstimmig, wie man hört — verabschiedet wurde. Oder, Herr Kollege Höcherl, haben wir nicht auf dem Parteitag in München zu diesen Fragen noch etwas andere Dinge gehört? Ich war zwar nicht dabei,
aber ich habe auch so wieder einiges läuten hören. Also: es scheint doch noch etwas an unterschiedlicher Meinung zu sein.
Aber man hat sich gesagt: „Jetzt müssen wir etwas fabrizieren, hier ist es."
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Burgbacher? —
Herr Kollege Schmidt, da Sie sich so freundlich und angelegentlich für die inneren Vorgänge in unserer Fraktion interessieren —selbstverständlich gibt es bei jedem Gesetz solche und solche Meinungen —, wäre es eigentlich für uns in der CDU/CSU-Fraktion einmal sehr interessant, von Ihnen zu hören, wie die internen Verhandlungen zwischen der SPD und Ihrer Fraktion gerade über dieses Thema abgelaufen sind.
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Herr Kollege Burgbacher, ich bin Ihnen sehr dankbar, denn das isst an sich das, was ich mir hier zu sagen vorgenommen hatte.
Die Vorbemerkungen geschahen ja nur auf Grund der heute auf den Tisch gekommenen Vorlage, auf die vielleicht später noch einmal einzugehen ist; denn Sie werden ja dazu sicher noch einige Ausführungen machen.
Aber nun lassen Sie mich zu dem kommen, was meine Aufgabe ist: zu der Regierungsvorlage Stellung zu nehmen, von der ich vorhin bereits sagte, daß wir sie als einen Teilschritt im Rahmen eines vermögenspolitischen Programmes ansehen.
Wir begrüßen die mit der Verdoppelung verbundenen Möglichkeiten des verstärkten Sparens.
— Wir können uns ja noch darüber unterhalten. Immerhin zunächst einmal für die fünf Millionen, die ,das bisherige Gesetz bereits in Anspruch nahmen, darüber hinaus für alle die, für die in nächster Zeit Tarifverträge abgeschlossen werden.
Sie konnten heute die Pressemitteilung der IG Metall lesen. Das ist immerhin ein verhältnismäßig großer Personenkreis. Und es gilt sicher auch — dazu werde ich nachher noch etwas sagen — für einen weiteren Personenkreis, der vielleicht noch im Gesetz mit verankert werden sollte.
Wir begrüßen jedenfalls diese Verdoppelung. Wir begrüßen auch, daß dadurch — auf Grund der verdoppelten Summe — die langfristigen Sparperspektiven, die natürlich an dieses Gesetz angeknüpft werden können, auf zehn oder fünfzehn Jahre auch noch bessere Möglichkeiten ergeben, wenn man die Dinge länger fortführt.
— Wir haben noch nie etwas gegen Tarifverträge gehabt, entschuldigen Sie einmal! Wir haben etwas gegen zuviel Zwang gehabt. Und den Zwang haben Sie in Ihrem Entwurf in einem wesentlich größeren Maße, als er in dieser Novelle ist.
— Das habe ich gesagt, ich habe damals dazu gesprochen; ich reiß es noch sehr genau.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, die FDP habe nichts gegen Tarifverträge. Wie können Sie diese Ansicht vereinbaren mit dem Einspruch der FDP gegen den ursprünglichen Plan der Bundesregierung, die zweiten 312 DM nur über Tarifverträge,- Betriebsvereinbarungen und Einzelverträge abschließen zu lassen?
Sie nehmen mir alles vorweg. Ich war ja zunächst einmal bei der Einleitung. Das nächste steht bei mir zu § 4 auf dem Zettel, damit ich eingermaßen in der Reihenfolge bleibe. Ich komme gleich darauf.Aber lassen Sie mich zunächst noch antworten. — —
Wir haben die Tarifautonomie, also die Möglichkeit, über Tarifverträge etwas zu regeln, immer als eine Selbstverständlichkeit und als eine vom Grundgesetz her selbstverständliche Sache angesehen.
— Sie werden keine dem entgegenstehende Äußerung von uns finden. Wir haben auch immer und auch bei dieser Novelle Wert darauf gelegt, daß die Möglichkeiten, die bisher von einem wesentlich größeren Teil der Sparer genutzt wurden, nämlich die Möglichkeiten des § 4, ebenfalls verdoppelt werden. Darauf haben wir ebenfalls Wert gelegt. Das ist in dieser Novelle dankenswerterweise— wir begrüßen es sehr — auch niedergelegt worden. Wir waren immer der Meinung, daß man auf beiden Gleisen fahren muß und daß nicht nur die, die unter Tarifverträge fallen, sondern auch solche, bei denen bisher keine Tarifverträge zustande gekommen sind, in der Lage sein sollten, von dem Gesetz Gebrauch zu machen. Deshalb begrüßen wir, daß der Betrag des § 4 ebenfalls verdoppelt wurde.Wir begrüßen auch und halten es für eine gerechtere Lösung, daß das Zulagensystem die bisherigen steuerlichen Möglichkeiten und die der Abgabenfreiheit ersetzt hat. Ich kann mich hier auf wenige Worte beschränken, denn das ist schon mehrmals gesagt worden: einmal, weil das bisherige System einfach eine Ungerechtigkeit für alle darstellte, die überhaupt keine Steuer zu zahlen und damit also keine Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Begünstigung hatten; zum zweiten aber auch, weil der vorhandene Vorteil in der Progression uns im Rahmen dieses Gesetzes, das ein Gesetz für die breiten und gerade für die nicht so sehr gut verdienenden Schichten unserer Bevölkerung sein sollte, nicht gerecht erschien.
Deshalb begrüßen wir diese Umpolung auf das Zulagensystem.Wenn auch der tatsächliche Rentennachteil nicht so hoch ist, wie es manchmal zu sein scheint, glauben wir doch, daß das Mißtrauen, daß bei manchen be-
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stand, auf diese Weise ihre Rentensituation zu verschlechtern, nunmehr abgebaut werden kann und wieder die Möglichkeit eines verstärkten Anreizes geboten wird.Wir sind allerdings der Meinung, daß diese Art des Zulagensystems nur für diese Form der Sparförderung, das heißt für diesen Problemkreis gelten und kein Präjudiz darstellen sollte, daß es also im Rahmen der Steuerreform nicht nachgeahmt werden sollte. Wir sind der Meinung, daß es für diesen Problemkreis das richtige Zulagensystem ist, aber nicht ein Präjudiz für gewisse Überlegungen, die wir im Rahmen der Steuerreform anstellen müssen.Wir sind allerdings auch der Meinung, daß es heute in unserer Bevölkerung unter den Selbständigen und Freiberuflichen sehr viele gibt, die in ihrer Einkommenssituation nicht anders liegen als ein mittel- oder besser verdienender Arbeitnehmer. Wir glauben, daß parallel dazu ebenfalls bessere Sparmöglichkeiten für den nicht sehr hoch verdienenden Kreis der Selbständigen und Freiberuflichen in absehbarer Zeit, spätestens im Rahmen der Steuerreform, geschaffen werden sollten. Wir würden es begrüßen, wenn hier von der Bundesregierung entsprechende Initiativen erfolgten. Ich erinnere daran, daß auch in der Regierungserklärung beispielsweise die Frage des Sparens im eigenen Betrieb angesprochen worden ist.In diesem Zusammenhang haben wir zwei besondere Anliegen. Hier werden wir uns bei den Schlußberatungen mit unseren Vorstellungen noch melden. Das ist einmal die Überlegung, ob die in § 14 für den Kreis der lohnintensiven mittelständischen Betriebe bestehende Freigrenze bis zu 3000 DM, die von der Steuerschuld abgesetzt werden können, wenn ein mittelständischer Betrieb solche vermögenswirksamen Leistungen gibt, im Rahmen dieser Verdoppelung der Sparbeträge auch erhöht werden muß, um hier wieder gleichzuziehen. Das wird eine Frage sein, die wir im Ausschuß prüfen müssen und auf die wir zurückkommen werden.Schließlich haben wir noch einen Wunsch. Schon bei der Verabschiedung des 312-DM-Gesetzes und in der Zwischenzeit bei entsprechenden Novellen haben wir immer einen Zusatz zu diesem Gesetz als notwendig angesehen. Wir sind der Meinung, daß der Anlagenkatalog um den Bereich der Lebensversicherungen erweitert werden sollte, um auch diese Art des Sparens und die damit verbundenen Überlegungen zur Altersversorgung für den betroffenen Personenkreis mit einzubeziehen. Auch dazu werden wir im Rahmen der Ausschußsitzungen noch mehr sagen.Wir sind der Auffassung, daß der Stellungnahme des Bundesrates, die mit dem Gesetz verbundenen Steuereinbußen allein dem Bund aufzubürden, nicht gefolgt werden kann. Bisher war im Rahmen des Gesetzes die Verteilung der Lasten durch Steuermindereinnahmen zwischen Bund und Ländern gleichmäßig. Der bisherige Schlüssel sollte auch in Zukunft beibehalten bleiben. Wir sollten uns der Meinung der Bundesregierung zu dieser Frage anschließen.Meine Damen und Herren, wir werden nachher noch einmal über den Burgbacher-Plan diskutieren.Lassen Sie mich jetzt zur Regierungsnovelle, zum Vorschlag der Bundesregierung, abschließend noch folgendes sagen. Wir Freien Demokraten haben es sehr begrüßt, daß diese Novelle mit einer ganzen Reihe von Vorstellungen, die von uns immer als wichtig angesehen worden sind — z. B. § 4 —, so schnell auf den Tisch dieses Hauses gekommen ist. Wir stimmen der Novelle in ihrer Grundform, in ihrer Tendenz zu. Wir werden die von mir für die FDP angemeldeten Anliegen im Ausschuß zur DeDebatte stellen und hoffen dabei auf Ihre Unterstützung. Wir glauben, daß mit dem ersten Schritt, dem nach der Aussage des Bundesarbeitsministers und der Regierungserklärung, für die auch wir geradestehen, nach dem Vermögensbericht weitere Schritte folgen werden, eine Weichenstellung erreicht durch die auf alle Fälle die zur Zeit nicht sehr glückliche Relation zwischen der Vermögensmasse und den wenigen sie Besitzenden verbessert und in den nächsten Jahren Vermögen in breiterer Fächerung in unsere Bevölkerung gebracht wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Burgbacher. Für ihn sind 45 Minuten beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist hier von einem „Frühling" in ,der Vermögensbildung gesprochen worden. Bei allem Verständnis für frühlingsartige Gefühle, die auch ich habe, möchte ich sagen, daß das eigentlich nur für unsere Vorlage und nicht für die der Regierung gilt.
— Die Vorlage der Regierung ist nichts weiter als eine
wenig soziale Verlängerung der bisherigen Eigentumspolitik. Die bisherige Eigentumspolitik befindet sich vielleicht in einer Art Sommer. Der „Frühling" der bisherigen Eigentumspolitik hat durch uns vor 20 Jahren begonnen.
Das, was Sie jetzt machen, ist eine Fortsetzung unserer alten Eigentumspolitik.
Damit es nun keinen Irrtum gibt bei der Schärfe der Kritik, die speziell ich an der Vermögensverteilung des Produktivkapitals geübt habe und übe, möchte ich klar und deutlich sagen, daß auf dem Gebiet der Vermögensbildung außerhalb der Beteiligung am Produktivkapital durch unsere Eigentumspolitik der letzten 15 Jahre wesentliche Fortschritte erzielt worden sind,
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Dr. Burgbacherdie — ich wage das zu behaupten — einzigartig in der Welt sind.
— Sie scheinen nichts anderes zu kennen als Zwang. Danken Sie Gott dafür, daß Sie durch Zwang zur Schule gegangen sind! Sonst säßen Sie nämlich nicht hier.
— Ich schätze Herrn Schellenberg sehr. Ich schätze auch seine Kenntnisse auf ,dem Gebiet ,der Sozialpolitik. Aber er scheint auf dem Gebiet der Sozialpolitik das zu sein, was die SPD sonst nicht sein will, nämlich konservativ.
— Nein. Unser Freund Rosenthal hat mit seinem „Fußballspiel" begonnen. Man muß schließlich nicht alles mit tierischem Ernst machen;
man kann trotzdem ernst sein.
Rosenthal hat ein bißchen auf „Kreisligaebene" gespielt; ich bin in der „Bundesliga".
— Junghans, wenn das stimmt, daß Sie gegen die Teilprivatisierung, die Möller gewollt hat, gestimmt haben, dann werden Sie es mit uns zu tun bekommen.
Ich möchte zur Einleitung nur klarstellen, daß die tätige Reue, die wir auf dem Gebiet der Verteilung des Produktivkapitals alle notwendig haben, nicht den Irrtum hervorrufen darf, daß bisher auf dem Gebiet der Vermögenspolitik nichts geschehen sei. Da ist sehr viel geschehen mit sehr großem Erfolg. Es ist nicht so, lieber Kollege Rosenthal, wie Sie einmal auf dem SPD-Parteitag gesagt haben, daß die Unselbständigen so geringe Vermögen gebildet hätten. Ich möchte Ihnen sagen, daß die unselbständig Beschäftigten seit der Währungsreform — es ist sehr schwer klar zu sagen — zwischen 100 und 200 Milliarden DM Vermögen gebildet haben. Sie sagen, der Prozentsatz sei stark gefallen. Nun, es ist möglich, daß ein Prozentsatz fällt, daß aber der absolute Betrag wesentlich größer ist als bei dem alten, höheren Prozentsatz. Das hängt nämlich davon ab, was auf den anderen Gebieten dazukommt.
— Das ist ja unser Thema, daß die Verteilung des jährlichen Zuwachses am Wirtschaftskapital zwischen 30 und 40 Milliarden DM nicht nach denGrundsätzen geschieht, die eigentlich wir alle — und wir, wenn es uns mit dem „C" in der CDU besonders ernst ist, ganz besonders — zu vertreten haben.
In dem 312-DM-Gesetz — das ist schon gesagt worden — sind jetzt ungefähr fünf Millionen drin. Nun meinen Sie — ich spreche Ihnen den guten Willen gar nicht ab; ich kann mir sehr gut vorstellen, daß in Ihrer Koalition nichts anderes zu machen war —, wenn ein Viertel der unselbständig Tätigen in einem Gesetz mit 312 DM ist, dann würden Sie eine große soziale Tat vollbringen, wenn Sie sagen: Jetzt sind es nicht 312 DM, die möglich sind, jetzt sind es 624 DM. Entschuldigen Sie gütigst, Sie sollten die zweiten 312 DM eigentlich erst geben, wenn unser Volk von den ersten 312 DM Gebrauch gemacht hat und Gebrauch hat machen können. Was Sie jetzt machen, das ist, daß Sie den Besserverdienenden noch eine Chance geben,
ohne das Kernproblem der großen Masse der unselbständig Tätigen, die keinerlei Zugang zum Produktivkapital haben, aus subjektiven und objektiven Gründen, manchmal aus gar nicht berechtigten Gründen, zu lösen. Denn was machen die mit zweimal 312 DM? Gar nichts.Immerhin, wir werden den Gesetzentwurf wie unseren an die Ausschüsse überweisen. Es ist schon gesagt worden — dafür bin ich dem Kollegen Rosenthal dankbar, und das unterstreiche ich —: Wir sollten versuchen, uns zu einer konstruktiven Lösung zusammenzuraufen. Denn es kommt uns darauf an, für die Masse der unselbständig Tätigen den Durchbruch zu den Produktionsmitteln der Wirtschaft absolut sicherzustellen durch das, was sie Zwang und was wir Pflicht nennen.
— Darf ich Sie mal fragen, wie unser Leben ohne Pflichten aussehen würde? Ich habe eben schon scherzhaft gesagt: Unser Kollege Schellenberg und wir alle säßen nicht hier, wenn es keine Schulpflicht gäbe. Dann hätte es nämlich davon abgehangen, ob wir bei der Wahl unserer Eltern vorsichtig waren oder nicht; sonst hätten wir nichts davon. Außerdem haben wir die Steuerpflicht und die Sozialversicherungspflicht. 24 % gehen von den Masseneinkommen für Sozialversicherung drauf, und da wollen Sie von einem unerträglichen Zwang reden, wenn wir vorschlagen, 2 % für den Beginn der Lösung eines gigantischen sozialen Problems durch Gesetz sicherzustellen? Dann wollen Sie mit dem Begriff der Freiheit dagegen revoltieren? Wissen Sie nicht, daß Pflichten die Freiheit erweitern? Meinen Sie, Pflichten würden Freiheiten verengen? Ohne Pflichten gäbe es keine Freiheit, meine Damen und Herren und liebe Kollegen.
Es ist zuzugeben, daß die Kostenberechnung zur Regierungsvorlage schwierig ist. Es ist einmal schwierig, weil man nicht weiß, wieviel Arbeit-
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Dr. Burgbachernehmer davon Gebrauch machen, und dann schwierig, weil man nicht weiß, mit welcher Sparsumme sie hineingehen. Machen Sie das aber ruhig. Wir wollen nur eins nicht, wir wollen nicht im Herbst, wenn ja wahrscheinlich alle Gespräche im Gange sind und wenn die Regierung mit ihrer Vermögensreform oder ihrem Vermögensbericht kommt, hören, daß wegen des Zweimal-312-DM-Gesetzes die Mittel für eine wirkliche soziale allgemeingültige Lösung blockiert sind.
Daß sich die. Regierung selbst bei der Geburt — so will ich einmal sagen — dieses Gesetzentwurfs nicht wohlgefühlt hat, ergibt sich daraus, daß sie das als ersten Schritt bezeichnet hat. Ich habe schon in einer Korrespondenz mit dem verehrten Arbeitsminister Arendt in der „Rundschau" übereinstimmend festgestellt, daß „erster Schritt" nicht heißen soll erster Schritt überhaupt, sondern erster Schritt der neuen Regierung nach den 20 oder 25 Schritten unserer vorhergehenden Regierungen. Dieser erste Schritt der neuen Regierung ist ein Kinderspiel und eineabsolut nicht soziale Tat, gemessen an den früheren Gesetzen zur Eigentums- und Vermögensbildung.
— Nein! — Wir wollen Ihnen und uns aber helfen, deshalb haben wir diese Vorlage gebracht,
die heißt: „Entwurf eines Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und zur Verbesserung der Kapitalstruktur der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes."
Diese Bezeichnung ist wohlüberlegt gewählt, weil wir der Meinung sind, daß eine öffentliche Mittel erfordernde Vermögensbildung, Beteiligungslohn, nur dann richtig sein kann, wenn gleichzeitig mit den dann auf den Markt kommenden Mitteln eine volkswirtschaftlich richtige Lösung gefunden wird, d. h. wenn die Unterkapitalisierung unserer Wirtschaft an Eigenkapital gegenüber den anderen Ländern bei dieser Gelegenheit verbessert wird. Das heißt, daß wir ganz besonders den mittelständischen Unternehmen eine besondere, privilegierte Position bei dieser Gelegenheit einräumen wollen,
nicht nur .durch die Kapitalbeteiligungsgesellschaften, über die noch ein Gesetz verabschiedet werden muß, nicht nur über die Einbeziehung selbständig Tätiger mit Einkommen unter 36 000 DM jährlich, nicht nur durch die Rückvergütungen an die Mittelstandsunternehmen bis 50 Belegschaftsmitglieder, die von dem Gesetz über den Beteiligungslohn Gebrauch machen, wobei ich für die Anregung von der FDP-Seite, die 3000-DM-Grenze auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, durchaus Verständnis habe. Das Wesentliche unserer Vorlage ist in der Tat zunächst einmal die gesetzliche Pflicht. Es ist ein neuartiges Denken; es ist genauso neuartig, wieetwa die Einführung der dynamischen Rente neuartig war und genauso von Gott weiß wem angegriffen worden ist.
— Sie war aber einmal neu!
Außerdem ist in unserer Vorlage der Respekt vor der Freiheit der Tarifpartner absolut gewahrt: nicht nur daß das Gesetz erfüllt ist, wenn die Tarifpartner einen Investivlohn nach diesem Gesetz vereinbaren, sie können sogar statt der 240 DM mit der gleichen Prämie von 30'0/o, die wir Vermögensbildungszulage nennen — wir haben uns auch einmal bescheiden auf dem Gebiet der Wortschöpfung betätigt —, mehr vereinbaren, als das Gesetz vorschreibt. Allerdings sind wichtig die Personenbezogenheit des Vermögens aus dem Beteiligungslohn, die freie Wahl der Bank oder Kasse — was er wählt, ist seine Sache —, die er braucht, durch den einzelnen und die freie Wahl der Anlagewerte.Es ist ganz richtig, daß ein schwieriger Punkt die Ausgeglichenheit zwischen Angebot und Nachfrage ist. Kollege Rosenthal hat mit Recht darauf verwiesen, daß das ein schwieriges Thema ist. Wenn Sie unsere Vorlage aufmerksam studieren, werden Sie sehen, wie wir versucht haben, sicherzustellen, daß eine Ausgeglichenheit zwischen Angebot und Nachfrage besteht. Wir haben bei den Investments neben 60% eigentlichen Beteiligungswerten 40% festverzinsliche vorgeschlagen. Wir haben die Beteiligungswerte auf das Gebiet des Gemeinsamen Marktes ausgedehnt, um eben auch hier einen Beitrag zum Zusammenwachsen des Gemeinsamen Marktes, unserer Europäischen Gemeinschaft, zu leisten. Die Frage, wieweit man ausländische Werte noch zuläßt, ist, wie alle anderen Fragen außer den essentiellen, absolut offen. Wir haben alles mögliche — z. B. durch die Privilegierung von Kapitalerhöhungen bei Aktiengesellschaften dahingehend, daß die Dividenden daraus wie Unkosten behandelt werden, wenn die neuen Wertpapiere den Beteiligungslohnempfängern angeboten werden — versucht, um den Anlagewertkatalog zu erweitern.
Aber es ist gar keine Frage, daß die Nachfrage nach Eigenkapital in der deutschen Wirtschaft in den nächsten Jahren nach aller menschlichen Voraussicht rapide wachsen wird und wachsen muß.Was sicher umstritten sein wird, ist — ich wiederhole es — die gesetzliche Pflicht. Ich habe eben schon auf die anderen Pflichten verwiesen und habe dabei hinzugefügt, daß alle anderen uns inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Pflichtenkreise von einem viel größeren Gewicht sind als die 2 % des Einkommens zum Einstieg in die Beteiligung am Produktivkapital. Ich habe möglicherweise hier im Hause schon einmal Webers Definition der Freiheit aus seinem Dichtwerk „Dreizehnlinden" dargestellt:
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Dr. BurgbacherFreiheit sei der Zweck des Zwanges: Wie man eine Rebe bindet, daß sie, statt im Staub zu kriechen, frei sich in die Lüfte windet.Und außerdem: Muß nicht auch in einer Demokratie der Versuch gemacht werden, eine bessere Ausgewogenheit zwischen Recht und Pflicht herzustellen, um den Sinn der Demokratie nicht allein nur in Rechten zu sehen, denen Pflichten nicht entsprechen?Das Geldsparen soll dadurch nicht behindert werden. Es muß sogar jeder Geld spanen, bevor er an Beteiligungswerte geht. Aber nur an Geldsparen zu denken, löst das Problem nicht. Im Gegenteil, je höher das Kreditkapital, das der Wirtschaft zur Verfügung gestellt wird, durch die Sparprozesse wird, desto größer werden die Vermögensdissonanzen am Produktivkapital. Warum? Die Wirtschaft, die das Geldaufnimmt, zahlt dafür die Zinsen. Was darüber ist, ist Gewinn an Produktivkapital, und dieser Gewinn an Produktivkapital fließt, wenn wir nichts tun, nur dahin, wo sich das Produktivkapital jetzt als Eigentum befindet. Die tragische Konsequenz ist, daß ein sehr großes Sparkapital die Dissonanzen, die wir alle beklagen, vergrößert. Deshalb muß etwas geschehen, um allen unselbständig Beschäftigten den Zugang zum Produktivkapital zueröffnen.
— Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Zunächst einmal hätten ja auch Sie in den 20 Jahren Initiativen vorlegen können. Außerdem: alles zu seiner Zeit; man kann nicht alles auf einmal anfassen wollen.
— Das kann man auch nicht. In diesen 20 Jahren ist auf den Gebieten des Aufbaus der Wirtschaft, der Entwicklung der Masseneinkommen, der Sparprozesse, der Altersversorgung, der Sozialversicherung so unendlich viel geschehen, daß man nicht anfangen konnte, Schwächen zu beseitigen, bevor der Prozeß in einer gewissen Abschlußphase der Entwicklung war. Das heißt aber nicht, daß deshalb, weil in den 20 Jahren auf dem Gebiet der Beteiligung am Produktivkapital für die Masse unseres Volkes nichts geschehen ist — wobei ich mit mir darüber reden lasse, ob nicht schon vor zwei oder drei Jahren etwas hätte geschehen können —, auch heute nichts zu geschehen braucht.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß wir aus unserer Sicht jede Umverteilung legal erworbenen Eigentums ablehnen. Deshalb ist die Manövriermasse nur der jährliche Zuwachs am Wirtschaftskapital, (der zwischen 30 und 40 Milliarden DM beträgt, nicht aber der Gesamtzuwachs am Volksvermögen, der zwischen 70 und 90 Milliarden DM beträgt. Nach unserem Vorschlag werden zur Zeit 7 Milliarden DM im Jahr erfaßt. Wenn Sie voneinem ungefähren Durchschnittszuwachs in Höhevon 35 Milliarden DM pro Jahr ausgehen,bedeutet das, daß nur 20 % von diesem Zuwachs in die Kanäle für alle geleitetwerden.Man kann mit Recht fragen: warum nur 2 % vom Lohn, warum nur 20% von diesem Zuwachs? Erstens leinmal, weil dieser Weg auf gesetzlicher Grundlage neu ist. In einem solchen Fall ist man behutsam. Zweitens ist die Belastbarkeit der Wirtschaft nicht unbegrenzt, obwohl 2 % Beteiligungslohn bei 20 % Steuern, bei 24% Sozialverpflichtungen für jeden Bürger, bei 10 bis 40% übertariflicher Bezahlung in der deutschen Wirtschaft natürlich nicht dramatisiert werden können.Ein weiterer Grund für den bescheidenen Anfang — wir haben das eben im Zusammenhang mit den Anlageproblemen schon gesagt — ist folgender. Man kann nur mit so viel Geld nach Beteiligungswerten nachfragen, wie voraussichtlich solche oder ähnliche vorhanden sind, weil man sonst Kurssteigerungen provoziert, die nicht in der Sache begründet sind.
Die Arbeiten an unserem Entwurf haben insgesamt über zwei Jahre gedauert. Bei denjenigen, die gemeint haben, der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, hätte in wenigen Tagen geboren werden können, möchte ich mich dafür bedanken, daß sie ein solch gigantisches Vertrauen in unsere geistige Kapazität haben. Zu glauben, daß diese Vorlage in wenigen Tagen hätte entstehen können, ist heller Wahnsinn. Nach dem Timing — ich lade Sie ein, es in meinen Akten nachzulesen — sollte der Gesetzentwurf am 30. April vorgelegt werden. Daß er vom 30. auf den 15. April vorgezogen wurde, ist in der Tat eine Beschleunigung. Der Grund für diese Beschleunigung ist darin zu sehen, daß Ihre Vorlage eben jetzt schon vorliegt. Wir wollten nicht zwei Jahre lang arbeiten, um dann den Eindruck zu erwecken, wir hätten nichts anzubieten. Wir haben etwas anzubieten und immer etwas Besseres als Sie.
Bei diesen Arbeiten sind wir auch auf das Problem der Doppelbesteuerung der Aktien gestoßen. Es ist ein ganz wesentliches Problem. Seine Lösung ist unser gemeinsames Anliegen. Das sagt der StützelPlan, wie man das beseitigen kann. Es ist eine Frage der großen Reform. Diese dauert Jahre. Deshalb mußten wir in dieser Vorlage mit einigen Hilfslösungen arbeiten, z. B. mit derjenigen, daß bei Kapitalerhöhungen, was ich schon erwähnte, die Dividende auf die neuen Aktien, wenn sie in den Beteiligungslohn kommen, als Unkosten behandelt wird. Weiter geht es darum, den Ertrag aus Beteiligungslohn für die Dauer der Sperre von sechs Jahren steuerfrei zu lassen.Daß diese 20 DM pro Monat plus 30% wieder 312 DM ergeben, ist ein freundlicher rechnerischer Zufall, und daß sie — ich sagte es schon — eine erträgliche Mehrbelastung darstellen, ist auch klar. Die Mehrbelastung beträgt bei 22 Millionen Arbeit-
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Dr. Burgbachernehmern etwas über 5 Milliarden DM. Dazu kommen 30 % Prämien, so daß wir zu etwa 7 Milliarden DM gelangen.Bei der Regierungsvorlage geht es um 624 DM: Die 240 DM machen hiervon etwa 40 % aus. Die Vermögensbildungszulage beträgt in beiden Fällen 30 %. Das ist übrigens das einzige Gute an dem Gesetzentwurf. Aber diese 30% sind in unseren ersten Presseinterviews über Beteiligungslohn bereits als unser Gedanke veröffentlicht worden. Wenn solche politischen Gedanken patentfähig wären, hätten wir den Patentschutz darauf, sozusagen durch die Vorveröffentlichung. Der Gedanke stammt also von uns.Nun ist folgendes zu sagen. Was bei Ihnen ein Mitbürger bei 624 DM kostet, das kosten bei uns zweieinhalb Mitbürger bei 240 DM, d. h. daß die Wirkung der eingesetzen öffentlichen Mittel im Sinne der Sozialwirkung unter Einbeziehung aller, die Sie nicht haben, wesentlich größer ist. Wir können beide Gesetze nur vergleichen, wenn wir unterstellen, daß es bei beiden um 22 Millionen Arbeitnehmer geht. Wenn bei Ihnen mangels Masse aus den vorhandenen 5 Millionen nur 7,8 oder, wenn es hoch kommt, 10 Millionen werden, dann haben Sie das Problem ja nicht gelöst, dann haben Sie zu den vorhandenen 5 Millionen noch einmal 5 Millionen Besserverdienende mit öffentlichen Mitteln subventioniert, während mindestens 50 bis 70 % der unselbständig Beschäftigten völlig außerhalb der Aktion bleiben.
Wenn Sie so ein kleines Ding gebären und die Kosten für 1974 angeben, dann rechnen Sie mit einem geradezu schneckenhaften Tempo. Wenn Sie mit einer schnelleren Entwicklung rechneten, hätten Sie in Ihre Kostentabelle ganz andere Zahlen einsetzen müssen. Wenn Sie für das Jahr 1974 den Betrag von 1 1/4 Milliarde DM einsetzen — ich habe versucht, durch Rückrechnung etwas zu finden —, dann sind im Maximum zwischen 4 und 6 Millionen Arbeitnehmer neu in dem Gesetz drin, d. h. die Lösung des Gesamtproblems ist nicht einmal annähernd angesprochen.Wenn bei uns durch Gesetz gleich alle 22 Millionen hineinkommen, dann wird das natürlich teurer als bei Ihnen; das ist gar nicht zu ändern. Nach der Vergleichsrechnung, wenn bei beiden Gesetzen alle 22 Millionen Unselbständigen erfaßt sind, ist Ihr Gesetz zweieinhalbmal so teuer wie unseres. Sie rechnen nur damit — es ist interessant, daß Sie das tun —: In unser Gesetz gehen ja wenige hinein, in unser Gesetz gehen nur die Besserverdienenden — das sind 3, 4, 5 Millionen —, und die anderen können sehen, wo sie bleiben. Nach unserer Meinung dürfen sie nicht sehen, wo sie bleiben, und dürfen auch wir es nicht ihnen überlassen, wo sie bleiben.
Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß endlicheinmal jeder Bürger dieses Volkes, ob er die Postausträgt, ob er Schienen putzt, ob er Friedhofswärter ist, ob er hochintelligenter Facharbeiter ist, weiß: In diesem Staat habe auch ich Zugang zum Wirtschaftskapital.
Darum geht es. Das ist der Punkt, über den wir nicht mit uns reden lassen. Über Details, über die Ausführung, über all solche Dinge lassen wir mit uns reden.
— Was Sie mit Ihrer kleinen Mehrheit schließlich erzwingen können, das wissen wir. Aber ich warne Sie, Herr Schellenberg, Sie unterschätzen das Öffentlichkeitsgewicht des Gesichtspunktes, ob nur Privilegierte und Besserverdienende oder ob alle Bürger unseres Volkes einen Schutz durch dieses Gesetz bekommen.
— Wenn Sie solange brauchen, dauert es natürlich 20 Jahre. Aber Sie werden sie ja nicht erleben, inzwischen hat ja die Regierung schon gewechselt.
Wichtig ist die volkswirtschaftliche Seite. Seit Jahren stehen meine Freunde und ich auf dem Standpunkt, daß in unserem Sinne nur das gut ist, was sowohl gesellschaftspolitisch wie wirtschaftspolitisch richtig ist. Nur auf einem der beiden wichtigen Gebiete richtig zu sein, langt nicht, weil das zum Schaden des anderen geht. Vor allem darf nichts geschehen, was die Produktionskraft unserer Wirtschaft behindert oder schwächt.Wir nehmen nichts aus dem Kreislauf der Wirtschaft heraus, weil alles wieder in Beteiligungswerten der Wirtschaft angelegt wird. Bei Ihrem Gesetz besteht keine Gewähr, ob die 624 DM aus dem Kreislauf der Wirtschaft herausgenommen werden oder ob sie darin bleiben. Bei uns ist die Gewähr, daß sie im Kreislauf der Wirtschaft bleiben und deshalb die Kraft der Produktion nicht behindern.Bei der Herbstreform, die die Regierung ankündigt, werden wir natürlich über die Gesamtkosten unserer Vermögenspolitik zu sprechen haben. Wir sind ansprechbar für Ersparnisse bei Besserverdienenden, wenn damit sichergestellt wird, daß alle unselbständig Beschäftigten in den Genuß der Eigentumspolitik kommen.
— Sie können sich ja ein Protokoll in Reserve kaufen und es im Terminkalender vormerken.Mit dieser Bereitschaft habe ich nicht gesagt, daß es die Notwendigkeit ist. Denn sehen Sie einmal folgendes. Die öffentlichen Hände haben in den letzten sechs Jahren 230 Milliarden DM neues Vermögen, verstaatlichtes Vermögen in Ihrem Sinne, aus laufenden Steuern gebildet. Es ist also Staatsvermögen
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Dr. Burgbachergebildet worden. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn gleichzeitig auch Personenvermögen gebildet wird. Wenn aber diese Politik zu Lasten der Bildung von Personenvermögen geht, haben wir dazu sehr viel zu sagen. Wenn z. B. das Beteiligungslohngesetz schon sechs Jahre gültig gewesen wäre, hätte die Vermögensbildung in öffentlicher Hand nicht 230 Milliarden DM betragen, sondern 24 Milliarden DM — sechs mal 4 Milliarden DM Kosten geschätzt — weniger. Dafür hätten die öffentlichen Hände einen entsprechend höheren Kredit aufnehmen oder etwas von den Investitionen weglassen müssen. Der Erfolg wäre gewesen, daß sich die Vermögensbildung in den öffentlichen Händen von 230 Milliarden DM auf etwa 200 Milliarden DM reduziert hätte, daß sich aber durch die Dynamik dieses Gesetzes in dieser Zeit mit 5 % Zinsen und 5% Wachstum ein Eigenturn von 50 Milliarden DM in den Händen der unselbständig Beschäftigten gebildet hätte. Wollen Sie bitte einmal über diese nicht zu widerlegenden Zahlen nachdenken!Wer freilich als politisches Ziel hat, daß möglichst viel Eigentum in öffentlichen Händen und möglichst wenig Eigentum in Personenhänden ist, der muß das — und noch verstärkt — weitermachen. Wir aber wollen jetzt, auch aus diesen Überlegungen heraus, dafür sorgen, daß der Vermögenszuwachs nicht in solchem Maße in die öffentlichen Hände, sondern auch in die Hände unserer Bürger kommt.Nun höre ich manche mit Tränen in den Augen sagen, das Risiko, das in den Beteiligungswerten liege, könne man nicht vorschreiben. Das ist zweifellos ein Argument, über das man nachdenken muß. Risiko liegt natürlich in jeder Beteiligung am Wirtschaftsprozeß. Das zu erkennen, ist auch keine staatsbürgerliche Weisheit. Aber was liegt auch drin? Es liegt das Wachstum drin, die Chance des Wachstums.In dieser Woche habe ich bei einer Besprechung, in der auch Kapitalisten wie ich und andere anwesend waren,
zu denjenigen, die auch mit Tränen im Knopfloch über das Risiko geweint haben, gesagt: Nun wollen wir einmal unter uns Kapitalisten reden!
Nun wollen wir einmal feststellen, ob wir in den letzten 15 Jahren an den Wertapieren, die wir besaßen oder gekauft haben, per Saldo verloren oder nicht in Wirklichkeit riesige Gewinne steuerfrei gehabt haben! — Schweigen, Schweigen!
Das sind natürlich in der Wachstumswirtschaft, die wir eigentlich seit hundert Jahren haben, nämlich seit dem Beginn der Industrialisierung, der Energetisierung, der Automation usw., und die wir auch in aller Zukunft haben werden, graduell nicht immer 7 oder 8 %. Es sind auch einmal 4 %, vielleicht einmal 1 %, vielleicht sogar einmal minus 2 %.Aber die Erfahrung lehrt: Wer sich in Beteiligungen am Produktionskapital engagiert und nicht nur spekuliert und wegen der Kurszettel verrückt wird, sondern seine Papiere behält, hat immer daran gewonnen, weil er am Wachstumsprozeß der Volkswirtschaft beteiligt war.
Es ist unser Wunsch, das allen Bürgern zu sichern.Wir haben im Berliner Programm der CDU den gesetzlichen Beteilgungslohn fast einstimmig beschlossen, und auf dem jetzigen Münchner CSU-Parteitag ist der Beteiligungslohn ebenfalls im Forum V im Bericht erwähnt worden.
— Da war gar nichts dagegen drin.
Ich hoffe, daß ich kein Geheinmnis verrate, wennich sage, daß Herr Kollege Strauß mitgestimmt hat.— Haben Sie gehört?
Sie müssen dem Kollegen Strauß sehr viele gute Gedanken zutrauen. Daß er diese hat, beweist er ja laufend zu Ihrem Ärger.
Da meine Zeit zu Ende geht, möchte ich am Schluß noch einmal auf die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten hinweisen, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß der Besitz an Beteiligungswerten den personenbezogenen Freiheitsbegriff nicht einengt, sondern erweitert.Herr Schellenberg, denken Sie einmal über den Satz „Der Zwang erweitert die Freiheit" nach!
Schließlich: Was ist eigentlich Politik, der wir alle verpflichtet sind? Politik ist der ewige Versuch— das ist meine Definition; ich hoffe, daß- es nicht schon woanders steht —, Freiheit mit Gerechtigkeit zu verbinden.
Und wer auf dem Gebiete des Wirtschaftskapitals aus mehr oder weniger durchsichtigen Gründen glaubt, nur die absolute Freiheit auf diesem Gebiet führe zur Gerechtigkeit, der verkennt die lapidare Erkenntnis, daß zwar der objektive Begriff der Freiheit für alle gleich ist, daß aber der subjektive Nutzwert der Freiheit nicht für alle gleich ist und wir deshalb bei diesem Gesetz dazu beitragen wollen, daß sie etwas gleicher werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Nölling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ausgerechnet die führenden
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2174 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. NöllingSozialpolitiker der SPD als konservativ zu bezeichnen
— und das müssen uns auch noch die Eigentumspolitiker der CDU sagen —, das ist ein starkes Stück.
Hier ist soeben die Rede davon gewesen, daß von Herrn Strauß in irgendeinem Arbeitskreis in München irgend etwas zur Vermögensverteilung gesagt worden sei. Ich habe das Konzept der Rede hier und darf das, bevor ich mit den Ausführungen, die ich beabsichtige, systematisch fortfahre, doch eben zur Kenntnis bringen.Die Vermögensbildungsdiskussion beschäftigt sich mit drei Initiativen: mit dem Burgbacher-Plan, dem 624-DM-Gesetz und dem Höcherl-Plan.
Alles, was dann Herr Strauß im Anschluß an diese Aufzählung sagt, beschäftigt sich nicht mit dem Burgbacher-Plan, sondern mit dem 624-DM-Gesetz. Das nur einmal zur Information am Beginn.
Wir begrüßen, meine Damen und Herren — nun vielleicht etwas Positives —, die Einbringung eines Gesetzentwurfs durch die CDU/CSU-Fraktion.
Wir hätten es außerordentlich bedauert, wenn wir die heutige Debatte unter Ausschluß der Opposition hätten führen müssen. Denn darauf wäre es ja wohl hinausgelaufen.
Es sieht allerdings so aus, als ob die Auseinandersetzung in Ihren Reihen, die sich in den letzten Wochen ja bereits zugespitzt hatte, beendet zu 'sein scheint; wollen wir es einmal so formulieren.
Ich bin sehr froh, daß Sie, nachdem Sie ein Kontrastprogramm zur Ostpolitik und zur Deutschlandpolitik entwickelt haben, nun auch ein Kontrastprogramm innenpolitischer Art haben, nämlich Ihr Vermögensbildungsprogramm.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Thadden?
Bitte schön!
Herr Kollege, haben Sie, wenn Sie von Ihrem Standort aus nach links zu Ihrer eigenen Fraktion hinüberschauen, nicht den
Eindruck, daß Sie eine Debatte unter Ausschluß der Öffentlichkeit Ihrer eigenen Fraktion führen?
Wir führen hier eine Debatte — wenn Sie schon diese Frage stellen — auch unter Ausschluß der Öffentlichkeit Ihrer Fraktion.
Es hat aber wenig Sinn, dem einen etwas vorzuwerfen, was man selber schlecht verhehlen kann.
Wie gesagt, meine Damen und Herren, wir begrüßen es, daß dieses Kontrastprogramm vorliegt. Ich meine aber, wir sollten mit dem Beschönigen und dem Reden: wenn das gewesen wäre, dann wäre das ientstanden, und hätten wir dies gemacht, dann wäre das öffentliche Vermögen anders verteilt worden, usw., heute hier aufhören.
Es geht nicht darum, wie Herr Kratzer das versucht hat, sich hier hinzustellen und zu sagen, dieser Staat leidet bei der jungen Generation an Glaubwürdigkeit, und dann so zu tun, .als ob das, was in 20 Jahren versäumt worden ist, gar keine Rolle mehr spiele.
Wir wollen heute eine Grundsatzdiskussion führen, und wir wollen fragen, inwieweit die Kritik an der bisherigen Vermögensbildungspolitik der CDU im Rahmen dieser Grundsatzdiskussion einmal vorgebracht werden muß. Ich werde dann anschließend fragen, wieweit die beiden Entwürfe tatsächlich einen Fortschritt darstellen.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Bitte sehr!
Herr Kollege Nölling, nachdem Sie hier gerade behauptet haben, daß in der Vermögenspolitik 20 Jahre Versäumnisse vorgekommen seien, möchte ich Sie doch herzlich bitten und fragen, ob Sie nicht in der Lage sind, das Parlament darüber aufzuklären, was die SPD in den 20 Jahren an konstruktiven Vorschlägen zur Aufhebung dieser angeblichen Versäumnisse erbracht hat.
Herr Kollege Breidbach, ich habe dieses Parlament nicht aufzuklären. Das haben die Eigentumspolitiker heute an dieser Stelle schon selbst getan. Die Eigentumspolitiker der CDU —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2175
Dr. NöllingHerr Katzer an der Spitze — haben heute erklärt, daß die Versäumnisse so groß sind, daß man sie bedauern muß.
— Ich werde gleich darauf zurückkommen, wenn Sie es gestatten.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Ja, selbstverständlich!
Herr Abgeordneter Nölling, glauben Sie denn, daß 20 Jahre Opposition die SPD enthoben hätten, eine kluge Idee zu haben, die Sie erst jetzt in der Regierung zu haben glauben?
Herr Müller, das ist doch nur eine Wiederholung dessen, was eben gesagt worden ist.
— Ja, habe ich denn nicht versprochen, sie Ihnen
zu geben? — Vielleicht können Sie doch die Geduld
aufbringen, dies anzuhören. Ich weiß nicht, warum
,) Sie 'schon zu Beginn einer kritischen Auseinandersetzung mit 20 Jahren Vermögenspolitik der CDU so empfindlich sind. Das muß man sich doch erst einmal anhören können, dann kann man immer noch wild werden.
Erstens. Angesichts der enormen und fast unvorstellbar hohen Vermögensbildung von fast 900 Milliarden DM von 1950 bis 1968 in der Bundesrepublik ist die Aufgabe einer breiteren Vermögensstreuung immer unterschätzt, gleichwohl das Fehlen einer Lösung immer tief beklagt worden. Das ist ein Widerspruch, den wir seit 1952 in allen programmatischen Äußerungen der CDU wiederfinden können. Man hat in der Tat den Eindruck, wenn man diese 20 Jahre einmal verfolgt, daß zwei gegensätzliche Kräfte innerhalb der CDU/CSU — man könnte sagen, einmal der Katzer-Flügel hier und zum anderen der Gerstenmaier-Flügel — im Widerstreit gelegen haben, daß aber für einige Zeit die Gerstenmaier-Aussagen von 1957 und 1958 das bestimmt haben, was vermögenspolitisch geschehen ist. Sie liefen darauf hinaus, daß allmählich die Grenze erreicht sei, wo wir in den Zwangsstaat gerieten — wie Herr Gerstenmaier sagte —, der alles fordere, alles lenke und alles nehme, und wir stünden auf der äußersten Grenze, die den Sozialstaat vom Wohlfahrtsstaat unterscheide. So ist das 1957 und 1958 gesagt worden.
Herr Dr. Burgbacher hat 1961 in diesem Hause erklärt, daß man das Problem der Vermögensbildung
innerhalb von zehn Jahren in den Griff bekommen
könne. Heute, fast zehn Jahre später, muß er wie andere zugeben, daß dies ausgerechnet der CDU nicht gelungen ist.
Zweitens. Obwohl die CDU immer erklärt hat, daß die Eigentumspolitik das Kernstück ihrer Gesellschaftspolitik sei, ist das Ziel dieser Politik nie klar definiert worden. Man hat von breiter Eigentumsstreuung, Eigentum für alle, Eigentum in Arbeitnehmerhand usw. .gesprochen.- Das erlaubte jede Interpretation zugunsten der 'weiteren Eigentuznsbildung schon Besitzender. Welche Verteilungsrelationen gelten sollten, ist nie geklärt worden.
Drittens. Die Steuerpolitik der Vergangenheit hat zu den Vermögenskonzentrationen in hohem Maße beigetragen, wie wir alle 'wissen. Die sozialen Ungerechtigkeiten unseres Steuersystems tragen jeden Tag erneut dazu bei, daß Einkommen und Vermögen einseitig verteilt werden. Ich meine, daß auch dieser Tatbestand mit aller Deutlichkeit klargestellt werden müßte, daß Maßnahmen ergriffen worden sind, deren Nebenwirkungen diese Bedeutung gehabt haben.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sieeine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Nölling, nachdem Sie unter Punkt zwei Ihrer Ausführungen dargelegt haben, daß die CDU/CSU in ihren eigentumspolitischen Vorstellungen nie gesagt hat, wie ihre Verteilungsrelationen aussehen, darf ich Sie fragen, wie die Verteilungsrelationen bei dem 'Gesetzentwurf aussehen, den Ihre Fraktion zur Zeit mit zu tragen beabsichtigt?
Die Verteilungsrelationen, die einmal .deutlich gemacht werden müßten, 'müssenprojiziert werden, und wir werden —
— Selbstverständlich, sie müssen projiziert werden. Ich komme darauf noch zurück, weil nämlich Ihr Entwurf zu dieser Frage nichts sagt, weil Sie da wieder in bezug auf die Zielsetzung der Eigentumspolitik genauso verschwommen sind, wie das in der Vergangenheit gewesen ist.Vierter Punkt. Die Maßnahmen, die diesen Prozeß der Konzentration der Einkommen zugunsten der vermögenslosen Arbeitnehmer auflockern sollten, Id. h. die Förderung des privaten Sparens durch den Staat, haben nach übereinstimmender Auffassung aller Sachverständigen, aller Wissenschaftler, die sich mit dem Problemkreis beschäftigt haben, bestätigt, daß gerade diese Zielgruppe verfehlt worden ist. Gerade idiese Maßnahmen haben dieses Ziel nicht erreicht. Wir ,haben 'Sonderausgabenregelungen, Bausparprämien, 'Sparprämien ,gehabt, die ganz
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2176 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. Nöllingüberwiegend von denjenigen genutzt worden sind, die schon ein überdurchschnittlich hohes Einkommen bezogen
und schon in der Lage waren zu sparen.
—Entschuldigen Sie mal, Sie können das nachlesen. Ich kann Ihnen die Quellen nennen. Widerspruch gibt es hier nicht.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Bitte schön!
Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage: Haben Sie die Mängel der bisherigen Förderungsmaßnahmen als Begründung dafür aufgeführt, daß Sie sie mit Ihrer Regierungsvorlage fortsetzen wollten?
Ich bin nicht der Meinung, daß die Unterstellung, die in Ihrer Frage enthalten ist, berechtigt ist.
Ich bin der Meinung, daß, wenn wir die Tarifautonomie der Gewerkschaften ernstnehmen,. wir das Ergebnis nicht zu haben brauchen.
Eine zweite Frage! Sie waren so liebenswürdig, zu erwähnen, daß ich vor zehn Jahren gesagt habe, in zehn Jahren würden wir das Ding im Griff haben. Wenn Sie das sosagen, wird es so sein; es klingt auch sehr glaubhaft. Ist Ihnen bekannt, daß wir im Jahr 1965 gegen harte Widerstände die Tariffähigkeit des 312-DMGesetzes durchgesetzt haben in der Hoffnung, daß dann die Tarifpartner sich dieses Problems annehmen, und können Sie nicht mit mir feststellen, daß die restlos, und zwar beide, versagt haben?
Gegen die harten Widerstände, Herr Kollege Burgbacher, von wem? Wer hat die harten Widerstände aufgebaut?
— Nein, Herr Kollege, weder die noch die SPD. Schon 1961 hat der Herr Kollege Junghans von meiner Fraktion die Meinung vertreten, daß das Gesetz nicht funktionieren könne, wenn man die Tarifvertragssache nicht mit hineinnehme. — Auf diesen Punkt möchte ich, Herr Kollege Burgbacher, an dieser Stelle nicht weiter eingehen — obwohl es mich reizen würde, dazu etwas zu sagen — weil der Herr Kollege Zander dazu noch das Wort nehmen möchte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön!
Sind Sie also etwa im Gegensatz zu den Ausführungen des Kollegen Rosenthal der Auffassung, daß die Gewerkschaften bisher nicht abseits gestanden hätten?
Wie gesagt, ich habe meine Meinung zu dieser Frage, .soweit es möglich war —
— Ja nun, was wollen Sie? Habe ich nicht soeben erklärt, daß ich idem Kollegen Zander das nicht wegnehmen möchte? Hören Sie dann zu, wenn er dazu etwas sagt!
Ich habe hier nur zu wiederholen: ich bin auch deshalb der Meinung, daß wir das ernstnehmen müssen — diesen vierten Punkt der Kritik —, auch unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit, weil, wie Föhl es einmal ausgedrückt hat, die Staatskasse in unserem Staate in erster Linie von denjenigen, die sowieso sparen konnten, dazu in Anspruch genommen worden ist, weiter Vermögen zu bilden. „Wer hat, dem wird gegeben" ; das hat Herr Föhl festgestellt.In den letzten Wochen wird in der Öffentlichkeit nicht mehr so fein über diese Dinge gesprochen: Sie wissen, daß davon gesprochen wird, daß eine Plünderung der öffentlichen Kassen zugunsten der Reichen stattgefunden hat. Ich meine, wir müssen uns auch mit diesem Argument auseinandersetzen. Wir müssen einmal die Frage stellen, wohin die 12,3 Milliarden DM, die in diesem Jahr 1970 für die Vermögensförderung im Staatshaushalt eingesetzt sind, ein Betrag, der höher ist als das, was wir in die Rentenversicherung als Zuschüsse geben, gelaufen sind. Nur deshalb stelle ich diese Frage.
Der fünfte Punkt, meine Damen und Herren, der damit eng zusammenhängt. Wir haben in der Vergangenheit die Vermögensbildung in ihren Größenordnungen zwar im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufgezählt, aber wir haben keine Aufschlüsselung nach den Empfängern, die die Vermögenstitel erhalten haben, und keine Wirkungsanalyse in bezug auf die staatlichen Sparförderungsmaßnahmen gehabt.Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Herr Strauß auch zu diesem Problem auf dem CSU-Parteitag einige Vorstellungen entwickelt hat. Seine innenpolitischen Vorstellungen sind ja inzwischen bekanntgeworden. Er hat eine Kommission und eine Enquete gefordert, die die Wirkungen der bisherigen vermögensbildenden Maßnahmen aufzeigen sollen. Leider steht in dem Entwurf nichts darüber drin. Das besagt nicht, daß man es nicht
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Dr. Nöllingmachen sollte. Man hat nur das Gefühl, daß Herr Strauß sich in diesem Falle einmal nicht durchgesetzt hat.
Meine Damen und Herren, soweit es bisher zur Ansammlung bescheidener Geldvermögen in den Händen der Arbeiterschaft gekommen ist, ist dies in erster Linie eine Folge der aktiven Lohnpolitik und der hierdurch hervorgerufenen Einkommenssteigerungen gewesen. Dadurch ist die Sparfähigkeit, wenn überhaupt, der Schichten, um die es uns geht, gesteigert worden. Wir wissen aber auch, daß für viele Millionen Arbeitnehmer — —
— Ich bin nicht der Meinung, Herr Kollege Katzer. Wissen Sie, schon deshalb nicht, weil ich, wenn ich mich der Kritik an Ihrem Entwurf anschließe, zu einer Beurteilung und zu einer Darlegung dessen komme, was wir weiterhin machen wollen.Meines Erachtens ist die bisherige Förderung der Vermögenspolitik in den Händen der eigentumslosen Teile dieser Bevölkerung so unerfreulich wie die Vermögensverteilung selbst. Ich glaube, daß man zu diesem Urteil kommen muß. In der Privilegierung der Produktionsmittelbesitzer durch die Steuerpolitik einerseits und der Gießkannenpolitik staatlicher Sparförderungsmaßnahmen andererseits liegen die Versäumnisse der Vergangenheit begründet.Nun, meine Damen und Herren, was bringt der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion? Sind Konsequenzen aus der bisherigen Entwicklung gezogen worden? Diese Frage muß man stellen. Ich meine, daß das im wesentlichen nicht der Fall ist, daß die Konsequenzen, die man hätte ziehen müssen, in diesem Entwurf nicht gezogen worden sind. Im Gegenteil, dieser Entwurf bringt neue Probleme mit sich.
— Ich darf es noch zu Ende führen, das ist sozusagen ein Vorspann. Ich meine, er bringt auch neue Ungewißheiten und Ungerechtigkeiten mit sich.Erstens. Entgegen allen Erkenntnissen aus der verteilungstheoretischen Diskussion wird die Lösung des Eigentumsproblems in den siebziger Jahren und darüber hinaus in einer Maßnahme gesehen, die zudem als endgültige Lösung deklariert wird.
.
Mehr ist nicht zu erwarten, was den Lösungsweg betrifft. So verstehe ich Ihren Gesetzentwurf. Das ist die Wunderwaffe, die Sie entwickelt haben.Zweitens. Die Größenordnungen der Nettoinvestitionen und der hier beabsichtigten Beteiligung der Arbeitnehmer an diesem jährlichen Zuwachs klaffen soweit auseinander wie bisher. Wenn Sie von 5 bis 7 Milliarden DM sprechen, so müssen Sie, Herr Kollege Burgbacher, dies meines Erachtens nicht unbedingt zu 40 Milliarden DM in Beziehung setzen, sondern zu der gesamten Vermögensbildung in derVolkswirtschaft. Sie selbst sind es ja gewesen — —
— Nun, man müßte wissen, was hier nicht Produktivkapital ist. Man kann jedenfalls sehr wohl anderer Auffassung über die Relation sein. — Nun, bitte schön!
Herr Kollege Nölling, darf ich noch einmal auf Ihren vorletzten Punkt zurückkommen. Sie haben gerade behauptet, daß der Gesetzentwurf der CDU/CSU die letzte Antwort unserer Fraktion auf die vermögenspolitischen Probleme sei. Sie haben diese Behauptung aber nicht begründet. Würden Sie mir die Begründung sagen.
Ich entnehme es dem Entwurf, ich entnehme es der Begründung des Entwurfs, und Sie haben bis heute, soweit ich der Debatte zu folgen vermochte, darüber hinaus keine weiteren Maßnahmen angekündigt; ich meine Maßnahmen, die irgendeine substantielle Änderung methodischer Art dieses Vorschlags beinhalten.
Darf ich Sie auf die Art. 2 bis 5 unseres Gesetzentwurfs hinweisen, nach denen noch eine große Zahl vermögenspolitisch wirksame Maßnahmen ausgearbeitet werden müssen.
Ich weiß nicht, ob das Dinge sind, die sich methodisch von Ihrem Hauptvorschlag unterscheiden.
Das ist meines Erachtens, wie Sie bestätigen, nicht der Fall.
Ich gebe zu — darauf komme ich sofort —, daß Ihr Modell entwicklungsfähig ist. Deshalb auch meine Frage in diesem Zusammenhang: Warum ausgerechnet 20 DM,
warum nicht 15, warum nicht 25 DM? Wie soll man sich das „Herantasten" an den „wirtschaftlich tragbaren" Wert, von dem Sie sprechen, in der Zukunft vorstellen? Wann soll . das übrigens geschehen? Wann will man beispielsweise einen solchen Schritt tun? Hier also, meine ich, bleibt das Ziel, das Sie ansteuern wollen, verschwommen. Man muß sogar
— Darf ich den Satz zu Ende führen? Vizepräsident Dr. Jaeger: Selbstverständlich!
Man muß sogar den Verdacht haben — das ist mir bei der Durchsicht dieses Entwurfs aufgefallen; jedenfalls kann man das nicht ohne weiteres abtun —, daß Sie dazu beitragen wollen, daß die Gewinnrelation, d. h. die Renta-
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Dr. Nölling
bilitätsverhältnisse, wie sie heute in der Wirtschaft gegeben sind, zementiert werden. Das ist eine Frage, die wir prüfen müssen. Denn Sie betonen, daß die Gefahr neuer Verteilungskämpfe bestünde, wenn man andere Methoden einführte. Meines Erachtens wollen Sie also mit diesem Gesetzentwurf nur die bisherigen Gewinnrelationen beibehalten.
Drittens. Sie wollen zur Verteidigung der freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, von der Sie sprechen, das Mittel des Zwangs empfehlen. Herr Kollege Burgbacher, ich habe sehr genau zugehört, als Sie sagten: Es gibt Pflichten, es gibt gesetzliche Pflichten. Ich meine, das ist ein zentraler Punkt, und Sie können nicht so tun, als ob es sich hier nicht um eine Zwangsinstitution handle. Wäre das nicht der Fall, müßte man fragen: Warum steht es denn in Ihrem Gesetzentwurf?
Daß ein Element des Zwangs in unsere Sozialordnung hineinkommt, das wir gerade auf dem Gebiet der Tarifautonomie bisher nicht kennen, ist unbestreitbar.
Meine Frage lautet an dieser Stelle: Wird dieser Zwangslohn nicht die Gewerkschaften in ihrer Marktsituation schwächen? Das ist ein sehr ernst zu nehmende Frage, und zwar auch im Zusammenhang mit der Frage, ob nicht ein solcher Zwangslohn dazu führt, daß letzten Endes deshalb keine zusätzlichen Leistungen gewährt werden, weil die Unternehmer sagen: Bitte schön, das haben wir per
Gesetz dekretiert bekommen; mehr gibt es nicht! Ich meine, man muß diese Frage sehen. Das kann zur Aushöhlung der Tarifautonomie nicht nur auf dem Gebiet der Vermögensbildungspolitik, sondern der allgemeinen Einkommenspolitik führen.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, es liegt ganz in Ihrer Hand, ob und wann Sie Zwischenfragen annehmen. Aber jetzt haben sich bereits zwei Kollegen gemeldet.
Darf ich fragen, wieviel Zeit ich noch habe.
Ich gebe Ihnen selbstverständlich zehn Minuten dazu, weil Sie, so oft unterbrochen worden sind.
Ja, bitte schön!
Wir gehen der Reihe nach. Wer hat. sich zuerst gemeldet? — Herr Breidbach war der erste. Bitte sehr!
Herr Kollege Nölling, da Sie befürchten, daß die Marktgeltung der Gewerkschaften dadurch in Gefahr gerät, daß wir das Beteiligungslohngesetz eingebracht haben, darf ich Sie fragen, ob nicht die Marktgeltung der Gewerkschaften durch dieses Beteiligungslohngesetz gerade deshalb steigen kann, weil sich nun ihre Argumentationsbasis im Hinblick auf zukünftige Leistungen auf eine völlig andere Höhe, nämlich 240 DM, bei zukünftigen Tarifverhandlungen stellt.
Ich sehe keinen Zusammenhang zu dem, was Sie vielleicht glauben, nämlich daß sich auf diese Weise etwa ein Zwang zur Mitgliedschaft in den Gewerkschaften ergäbe. Liegt das in Ihrer Frage?
— Dann habe ich Sie falsch verstanden.
Jetzt kommt als nächster Herr Abgeordneter Müller.
Herr Kollege Nölling, haben Sie übersehen, daß in dem Entwurf sogar ein Anreiz dafür geboten ist, tarifvertraglich bis 360 DM vermögenswirksame Leistungen abzuschließen, um so dem Zwang, den Sie fürchten, entgehen zu können?
Ich habe das selbstverständlich nicht übersehen. Ich habe es gelesen; ich hatte ja Zeit dazu heute. Nein; nur ändert das doch nichts an den grundsätzlichen Einwänden, die ich gemacht habe, daß dieses Element in unsere Sozialordnung hineinkommt, das wir bisher nicht hatten, wie Sie zugeben. Nur das wollte ich dazu sagen.
Nun kommt der Abgeordnete Dr. Burgbacher mit einer Zwischenfrage, falls Sie sie annehmen.
Bitte schön.
Ich achte die Sachlichkeit Ihres Vortrags sehr, Herr Kollege Nölling, und will Sie mit der Frage jetzt bestimmt nicht ärgern oder verletzen; aber ich muß sie stellen. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände — für mich sind die in dieser Beziehung im gleichen Boot aus verschiedenen Motiven, aber - mit demselben Ergebnis — hatten fünf Jahre Zeit, tarifvertragliche Vereinbarungen zu treffen, und für eine Million ist dabei etwas herausgekommen, die Hauptsache durch Leber, der diese Fragen — —
Herr Abgeordneter Dr. Burgbacher, ich bitte Sie, eine Frage zu stellen. Sie haben jetzt schon drei Sätze im Indikativ gesprochen.
Sind Sie der Meinung, - daß trotz dieser Erfahrung und obwohl drei bis fünf Millionen Arbeitnehmer nicht unter Tarifverträge fallen, die Stärkung der Macht der Gewerkschaften wichtiger ist als die Lösung der Gesamtfrage für alle unselbständig Beschäftigten?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2179
Ich habe nicht von der Stärkung der Macht der Gewerkschaften, sondern von ihrer Schwächung gesprochen.
Das war mein Hauptargument. Das ist etwas anderes in diesem Zusammenhang. Im übrigen, Herr Kollege Burgbacher, habe ich eben betont — und das haben Sie mir zugegeben —, welche Geschichte diese Tariffähigkeit hatte. Wir haben im Jahr 1966 eine Regierungskrise mit einer anschließenden Wirtschaftskrise gehabt; das kann man nicht bestreiten. Das hat doch nicht dazu beigetragen, daß die Gewerkschaften in die Auseinandersetzung um vermögenswirksame Leistungen hineinkonnten. Darum ging es doch damals nicht. Damals ging es darum, die Arbeitsplätze zu sichern. Das ist das Hauptargument gewesen. Diese beiden Argumente, warum es nicht dazu gekommen ist, müssen wir doch mit in Rechnung ziehen.
Auch ich will hier nicht übermäßig scharf werden. Aber Sie müssen doch zugestehen, daß beide Punkte nicht gerade von den Gewerkschaften oder von den Sozialdemokraten zu verantworten waren.
Nachdem eine so reichliche Anzahl offizieller Zwischenfragen gestellt worden sind, wird es für den Redner kaum noch möglich sein, inoffizielle Zwischenfragen zu beantworten.
Aber der Abgeordnete Ott hat jetzt noch um eine offizielle Zwischenfrage gebeten. Wollen Sie auch die annehmen?
Ja, selbstverständlich.
Bitte sehr!
Herr Kollege, da Sie vorhin von einer sogenannten Wirtschaftskrise im Jahre 1966 sprachen: Ist Ihnen bekannt, daß der frühere Vorsitzende des DGB, Herr Rosenberg, in der „Abendzeitung" in München vor zwei Jahren erklärt hat, daß es sich überhaupt nicht um eine Wirtschaftskrise gehandelt habe, sondern um eine Rezession?
Na ja, das ist ein Spiel mit Worten, wie Sie es definieren wollen. Wir hatten, wenn Sie so wollen, wirtschaftliche Schwierigkeiten. Aus denen entstanden politische Schwierigkeiten, wie Sie wissen. Deshalb haben wir heute ein anderes Verhältnis zwischen Regierung und Opposition.
Jetzt kam eine Zwischenfrage von links. Oder sind Sie noch nicht mit der Antwort fertig? — Bitte sehr!
Herr Kollege Nölling, ist es Ihnen auf Grund Ihres Studiums der Vorgänge möglich, den Herrn Kollegen Burgbacher daran zu erinnern, daß beim ersten Vermögensbildungsgesetz 1961 ursprünglich die Möglichkeit der Vereinbarung durch Tarifverträge in der Regierungsvorlage enthalten war und daß diese dann im Ausschuß auf Antrag von CDU/CSU-Abgeordneten mit Mehrheit gestrichen worden ist? Es ist dann lediglich noch die Möglichkeit verblieben, Werkstarifverträge abzuschließen. Auch diese Möglichkeit ist dann im Plenum des Bundestages auf Antrag der CDU/CSU herausgestrichen worden. Erst nachdem man sich davon überzeugt hatte, daß 'damit das Vermögensbildungsgesetz praktisch wirkungslos geblieben war, hat man sich 1965 dann damit einverstanden erklärt, die Tarifverträge wieder hineinzunehmien.
Herr Kollege Folger, das ist so gewesen. Ich weiß nicht, ob der Herr Kollege Blank noch hier ist. Er hat damals diese Dinge hier vorgetragen. Es ist nicht nur diese Klausel im Ausschuß gestrichen worden, sondern auch die Klausel, die er damals vorhatte, nämlich eine Einkommensbegrenzung einzuführen, mit einer Begründung, die wir heute nur als lächerlich empfinden können. Ich glaube, Sie haben sie in Erinnerung. Es wurde gesagt, man dürfe Einkommensgrenzen deshalb nicht einführen, weil diejenigen, die dann darunter leiden würden, kein Interesse hätten, diese Maßnahmen zu propagieren.
Herr Abgeordneter Stücklen, auch Sie können sich ans Mikrophon begeben.
Sehr verehrter Kollege, ich möchte Sie nicht in die Verlegenheit bringen, hier wegzugehen, ohne Ihr Wort einzulösen und zu sagen, welche Initiativen die SPD in den 20 Jahren Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiete der Vermögensbildung vorbereitet, vorgelegt oder gar durchgesetzt hat.
Meine Damen und Herren, das geht jetzt ein bißchen weit. Die Zwischenfragen kommen seit zehn Minuten. Man darf es auch nicht übertreiben.
Herr Kollege Stücklen, man kann nicht daran vorbeisehen, daß die Vermögenspolitik in der Bundesrepublik mit dem Geburtsfehler der Währungsreform behaftet ist. Aus dieser Tatsache, daß damals einseitig Sachwertbesitzer begünstigt worden sind, haben sich doch unsere Probleme ergeben.
Daran hat doch auch eine SPD und eine Gewerkschaftsbewegung in den 50er Jahren nichts ändernkönnen. Sie wollen doch wahrscheinlich zugeben, daß
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2180 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. Nöllingdamit eine Entscheidung gefallen ist, die kurz- und mittelfristig nicht korrigiert werden konnte. Die weiteren Überlegungen und Vorschläge, die von der Sozialdemokratischen Partei entwickelt worden sind, sind natürlich Sparförderungsmaßnahmen gewesen. Darüber wissen Sie besser Bescheid als ich. Wir haben aber immer die Meinung vertreten, daß man beispielsweise das unsoziale Steuersystem reformieren müßte — eine .ganz wichtige Frage in bezug auf die ,Einkommensverteilung, wie wir wissen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diesen Punkt bitte im Zusammenhang abschließen, weil sonst immer wieder Fragen hineinkommen, die ablenken. Was mich .an diesem Gesetzentwurf der CDU/CSU mehr belustigt hat, ist, daß man davon ausgeht, man könne mit diesem Gesetz in der Zukunft die Verteilungskämpfe in der Bundesrepublik beseitigen. Meine Damen und Herren, dieses Denken, was dahintersteckt, ist es, was mich dazu bewogen hat, diesen Zwangscharakter und seine Problematik so stark zu betonen, dieses Denken, das .dahintersteht, daß man annimmt, mit ein paar Mark Produktivkapital in den Händen der Arbeitnehmer — mehr wird es in Relation zur gesamten Vermögensmasse wohl in absehbarer Zeit gar nicht sein können —
— na, ja, in zehn Jahren; wir sprechen uns wieder, was in zehn Jahren sein wird — könnten die Verteilungskämpfe mit diesem Gesetz allmählich aus der Welt geschafft werden. Das sind Überlegungen, die Sie schon 1965 auf dem Düsseldorfer Parteitag angestellt haben, als Sie sagten, daß die CDU in der Bundesrepublik die Klassen überwunden habe. Ich weiß nicht, wie Sie das gemeint haben.Vierter Punkt. Meine Damen und Herren, idas ist ein ganz wichtiger kritischer Punkt in der Argumentation Ihres Gesetzentwurfs. Der Entwurf der CDU/ CSU unterstellt in der Begründung ausdrücklich eine Inflationsrate in unserer Volkswirtschaft, die höher ist als jede
— ich darf es erläutern, dann bekommen Sie es im Zusammenhang mit — Preissteigerung in der Vergangenheit. Es wind davon ausgegangen, daß die Anlage vermögenswirksamer Leistungen auf Sparkonten oder auch das Sparen generell bei den Sparkassen etwas für die ganz Dummen ist, denn die „Preissteigerungen werden die zu erwartenden Zinsen bestenfalls nur aufzehren", wie Sie in der Begründung sagen.
— Das ist eine schöne Unterstellung! Vergleichen Sie bitte die Preissteigerungsraten, wenn Sie schon solche Aussagen in Ihrem Entwurf machen, angesichts der Tatsache, daß immerhin 100 Milliarden DM Sparkapital bei Sparkassen festliegen. Und dann wollen Sie die Vorschläge, die wir machen,
mit dem Argument beseitigen, die Preissteigerungen in dieser Gesellschaft seien so groß, daß sogardie Nominalvermögen angetastet bzw. aufgezehrtwürden. Ich meine, wir sollten uns alle einig sein, daß das bisher in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen ist, daß idas heute nicht der Fall ist und daß wir alle dazu beitragen müssen, Preissteigerungen zu bekämpfen und nicht als unvermeidbar hinzunehmen.
In Ihrem Entwurf aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wird ja diese Annahme aufgegeben. Lesen Sie es doch bitte noch einmal unter diesem Gesichtspunkt nach.
Mein fünfter Punkt. Würde die CDU-Regelung in Kraft treten, so würden wir für eine lange Übergangszeit neue Verteilungsungerechtigkeiten bekommen. Die bereitstehenden Beträge von 5 oder 7 Milliarden DIVI, von denen Sie sprechen, stoßen auf einen Markt, dessen Angebot an Beteiligungszertifikaten einfach — man kann fast sagen — klein ist Verhältnis zu dem, was in der Vergangenheit an Aktien auf den Markt gebracht worden ist.
Wie Sie das durch Ihre „Sofortmaßnahmen" sozusagen über Nacht ändern wollen, das ist die große Frage. Sie müssen es ja machen, sonst steht am Anfang Ihres Planes eine Kurssteigerung an den deutschen Aktienmärkten, die alles in den Schatten stellt, was wir bisher gehabt haben. Damit würde eine Eigentumsumverteilung wiederum nicht zugunsten dieser wenigen in Kraft treten, sondern zugunsten anderer, d. h. der Aktienbesitzer.Und ebenfalls in diesem Zusammenhang darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie in Ihrem Entwurf erneut Steuervorteile aufbauen wollen, obwohl wir der Meinung sind, es wäre an der Zeit, sie 'allmählich abzubauen. Ich darf Sie nur daran erinnern, daß Sie den § 6 b ides Einkommensteuergesetzes in diese Regelung mit hineinnehmen wollen, und ich möchte nur einmal kurz zitieren, was der Bundesrichter beim Bundesfinanzhof Littmann zu dem § 6 in diesem Zusammenhang sagt:Die Vorschrift führt zu einer ungeheuren steuerlichen Vergünstigung der Steuerpflichtigen, die sie in Anspruch nehmen können. Sie enthält eine einseitige Bevorzugung zugunsten der begünstigten Wirtschaftskreise, die diesen das Unternehmerrisiko einseitig abnimmt.Und Sie wollen nun mit diesem Vorschlag weiter dazu beitragen, daß der schon jetzt vorhandene, im Finanzbericht und im Haushalt ausgewiesene Steuerausfall von 260 Millionen DM wegen dieser Maßnahme noch vergrößert wird. Ich meine, wenn wir von Einkommensverteilung und Gerechtigkeit sprechen, muß man auch dies sehen, denn diese Maßnahme führt nicht auf diesen Weg. Das ist meine feste Überzeugung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Darf ich Sie fragen, welche Steuervergünstigungen Sie in diesem Falle meinen, die also Ihres Erachtens nicht gewährt werden sollten.
Ich bin nicht der Meinung, daß man den Kreis dessen, was dort jetzt begünstigt ist, bei der Auflösung von stillen Reserven noch erweitern sollte, sondern ich meine, daß man dazu kommen sollte, diesen Kreis zu verengen, so wie es ja damals, als das Gesetz eingeführt wurde, auch nicht auf Dauer geschah. Man sagte damals vielmehr: wir müssen nach einiger Zeit prüfen, wie das läuft. Inzwischen können Sie in den Berichten über die Steuerausfälle nachlesen, was mit diesem Gesetz erreicht worden ist.Ich meine, wenn Sie jetzt zu einer Ausdehnung der Zertifikate kommen wollen, ist es die große Frage, ob Sie das mit diesen Maßnahmen erreichen. Und man kann mindestens rhetorisch doch die Frage stellen, ob nicht ein Zwang, den Sie an einer Stelle eingebaut haben, an einer anderen Stelle zu einem weiteren Zwang führt, nämlich zum Zwang, dann emittieren zu müssen. Und ich glaube, dies wären interessante Beispiele für eine Neuauflage des bekannten Buches von Hayek „Der Weg zur Knechtschaft", das Sie wahrscheinlich so gut kennen wie ich.
Sechster Punkt, meine Damen und Herren. Über die auf den Staatshaushalt zukommenden Belastungen schweigt sich der Entwurf an den wichtigsten Stellen aus. Sie haben darauf hingewiesen, daß es schwierig ist. Aber ein Finanzminister kann mit Ihrem Gesetz nichts machen. Sie müssen schon, wenn Sie ein solches Gesetz vorlegen, die elementarsten Regeln für die Aufstellung solcher Positionen beachten und Annahmen machen, wie wir es in unserem Gesetzentwurf auch getan haben.
Sonst können wir die mittelfristige Finanzplanung mit diesen Beträgen nicht belasten. Das geht überhaupt nicht.
— Ich möchte jetzt, wenn Sie erlauben, keine weiteren Fragen mehr zulassen. Ich bin dieser Auffassung — —
- Ich glaube nicht, daß Sie mir den Vorwurf machen können, daß ich nicht bereit gewesen sei, darauf zu antworten. Sollte dies ein Problem sein, können wir es im Ausschuß besprechen.
Meine Damen und Herren! Wir haben den Eindruck, daß Sie der Regierung den Rang ablaufen wollen.
— Das ist Ihr gutes Recht, selbstverständlich. Sie wissen, daß das Ziel populär ist — das ist gesagt worden —, und wir haben den Eindruck, daß Sie die Stimmung, die in der Bevölkerung ist und die durch unseren Gesetzentwurf jetzt entstanden ist, auffangen und abfangen wollen. Ich glaube, wenn Sie heute in der Regierungsverantwortung wären, hätten Sie dieses Gesetz gar nicht in der Form eingebracht. Ich bin sicher, daß es sehr viel länger gedauert hätte.
— Na ja, angekündigt. Was immer von Ankündigungen zu halten ist, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben — —
Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß kommen mit einer kurzen positiven Würdigung des Gesetzes, das wir vorlegen. Wir stimmen mit ihnen, mit den Kollegen von der Opposition, darin überein, daß die Sparfähigkeit vor allem der weniger gut verdienenden Arbeitnehmer verbessert werden muß.
— Na selbstverständlich! Das ist doch das Grundproblem! Darauf haben Sie aber doch in der Vergangenheit — das ist ja meine Kritik — nicht genügend Wert gelegt.
Nach unserer Auffassung soll dieses Ziel auf verschiedenen Wegen erreicht werden: einmal durch Lohnsteigerungen — die Problematik der Tarifautonomie ist angesprochen worden —, durch die zusätzlichen tarifvertraglichen Leistungen nach dem 624-DM-Gesetz und dann — meine Damen und Herren von der Opposition, vielleicht können Sie sich dazu auch einmal äußern — durch eine gerechtere Verteilung der Steuerlasten. Sie wissen so gut wie ich, daß immer mehr Arbeitnehmer der unteren Einkommensklassen in die Steuerprogression hineinwachsen, in die sie nach der Absicht der Einkommensteuergesetzgebung nicht hineingehören.
— Sind Sie etwa dagegen, Herr Stücklen?
— Das ist ja wunderbar. Wir sind der Meinung gewesen, daß man eben zu gewissen Zeiten, wenn es konjunkturell notwendig ist — —
— Da gibt es gar nichts zu lachen. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn Sie früher hin und wieder auch einmal unpopuläre Maßnahmen ergriffen hätten.
Meine Damen und Herren, zum Abschluß möchte ich an Hand von vier Punkten kurz darlegen, warum ich den Gesetzentwurf der Regierung für besser halte als den Ihren.
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Dr. NöllingErstens. Mit diesem Gesetzentwurf wird jetzt ein Signal gegeben, daß diese Regierung handelt und nicht nur redet. Wir wollen mit dem Programm einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung Ernst machen. Es geschieht in der Sache etwas, und zwar ein halbes Jahr, nachdem diese Regierung zusammengetreten ist. Im Gegensatz zu Ihrer Grundvorstellung stellt dieses Gesetz nur einen Schritt dar, aber nicht die endgültige Lösung des Eigentumsproblems in unserer Gesellschaft. Das muß ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Wir werden nach Vorlage des Vermögensberichts im Herbst weiter über dieses Problem diskutieren. Dann können wir vielleicht Ihren Gedanken aufgreifen und überlegen, inwieweit man durch Zwang zu einer Gewinnbeteiligung, aber nicht zu einer Beeinträchtigung der Tarifautonomie der Gewerkschaften — das sind zwei ganz verschiedene Dinge — kommen kann.Zweiter Punkt. Das Zulagensystem usw. ist ausreichend gewürdigt worden. Ich will nichts weiter dazu sagen.Der dritte Punkt scheint mir wichtig zu sein. Von diesem Gesetz werden Anstoßwirkungen auf Reformen in anderen Bereichen ausgehen.
Ich meine Anstoßwirkungen in der Reform der Sparförderung, Anstoßwirkungen bei der Steuerreformund auch bei der Reform des Familienlastenausgleichs, wo wir meines Erachtens die sozial nicht vertretbare Koppelung von staatlichen Förderungsleistungen an die Steuerprogression nicht weiter aufrechterhalten können. Dieses Zulagensystem macht zum erstenmal mit der besseren Behandlung der Bezieher von höheren Einkommen Schluß.Viertens. Wir werden versuchen, im Ausschuß zu einer Klärung darüber zu kommen, ob die Festsetzung von Einkommensgrenzen und eine Verbesserung der Zulagen, vielleicht in einer differenzierteren Form als bisher, möglich sind.Meine Damen und Herren, ich möchte gerade mit dem Blick auf die Auseinandersetzung mit Ihrem Gesetzentwurf, den Sie ja für so viel besser als das, was wir anzubieten haben, halten, den Sozialwissenschaftler Mackenroth zitieren. Er sagt: „Wir kommen mit guten Maßnahmen nie zu spät. Wohl aber kann man mit gesetzgeberischen Frühgeburten die besten Ideen kompromittieren." Ich befürchte, daß das mit Ihrem Gesetzentwurf geschehen könnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Weigl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte für meine Freunde und mich zu Beginn meiner Ausführungeneine Feststellung treffen, die nicht selbstverständlich ist. Ich möchte sie vor allem deshalb hier anbringen, weil mein Vorredner so getan hat, als wäre in den letzten 20 Jahren auf dem Gebiet der Vermögensbildung in breitesten Volksschichten nichts geschehen. Ich möchte die Feststellung treffen, daß nach unserer Überzeugung in den letzten 20 Jahren ein in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands einmaliger Durchbruch zur Vermögensbildung in breiten Volksschichten gelungen ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte, um nur ein Beispiel herauszustellen, daran erinnern, daß über 50 % von den über 11 Millionen neu erbauten Wohnungen im sozialen Wohnungsbau erstellt worden sind. Die Privatisierung des Bundesvermögens kam zirka 2,6 Millionen Kleinaktionären zugute. Die Vergünstigungen über Wohnungsbauprämien bzw. Steuererleichterungen betragen von 1950 bis 1969 zirka 36 Milliarden DM. Man muß diese Zahlen auch einmal nennen. Die Vergünstigungen über die Inanspruchnahme des Sparprämiengesetzes betragen 1959 zirka 7 Milliarden DM. Die Steuermindereinnahmen auf Grund von Lebensversicherungen und sonstigen Sonderausgaben müssen auch erwähnt werden.Obwohl die Förderung aller Arten der Vermögensbildung durch den Staat allein im Jahr 1970 auf zirka 12 Milliarden DM anwachsen wird, sind meine Freunde und ich mit der bisherigen Entwicklung nicht zufrieden, weil die Sparförderungsmaßnahmen vielfach an der Sparfähigkeit der Bezieher kleiner Einkommen gescheitert sind. Auf eine Verbesserung der Vemögensbildung in diesen Schichten unseres Volkes, meine Damen und Herren, müssen wir uns konzentrieren. Deshalb bedauern meine Freunde und ich, daß Sie hier eine Vorlage der Regierung bringen, die ich — in aller Vorsicht — als fantasielos bezeichnen möchte.Kollege Schmidt und auch Kollege Nölling haben vorhin gesagt: Diese neue Bundesregierung ist ja sehr aktiv geworden. Dazu möchte ich mir die kleine Bemerkung erlauben: In diesem Jahr stehen ja einige Landtagswahlen an. Darauf richtet die Regierung natürlich auch ihren Blick.
Meine Damen und Herren, wir müssen sagen, daß diese Regierung offensichtlich keine Gesamtkonzeption zur Vermögensbildung hat. Sonst hätte sie mit diesem Vorschlag nicht einen „großen Wurf" — aus ihrer Sicht — vorbringen wollen, der in Wirklichkeit gar keiner ist.Man braucht kein Prophet zu sein, wenn man voraussagt, daß die im Regierungsentwurf vorgesehenen Verbesserungen höchstens 30 bis vielleicht 40 oder 50 °/o der Arbeitnehmerschaft erreichen dürften. Das ist uns zu wenig; denn heute ist an dieser Stelle bereits mehrfach festgestellt worden, daß über Tarifverträge bisher nur 1 bis 2 Millionen Arbeitnehmer erfaßt worden sind und eine Reihe von Arbeitnehmern gar nicht erfaßt werden kann, weil es für sie keine Tarifverträge gibt. Mehrfach
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Weiglist auch bereits festgestellt worden — um einmal in der Sprache meines Vorredners zu reden —, daß es sich hier nicht um eine Frühgeburt handelt, wenn wir über Vermögensbildung sprechen. Ich möchte meinen, es ist eine späte, vielleicht schon sehr, sehr späte Geburt.Sachlich ist zu sagen, daß der Vorschlag des Kollegen Burgbacher, der Vorschlag unserer Fraktion, den Tarifpartnern auch in der Zukunft die Möglichkeit gibt, das Ihre zu tun. Wir hoffen sehr, daß in erster Linie der Deutsche Gewerkschaftsbund von diesen Möglichkeiten Gebrauch macht.Die Kritik an Ihrem Vorschlag, meine Damen und Herren, setzt daran an, daß wiederum Millionen von Arbeitnehmern nicht erreicht werden, vor allem jene Arbeitnehmer, die z. B. als Alleinverdienende mit größerer Familie am meisten der Förderung bedürfen. Das kann man heute schon voraussagen. Man muß sich bei dem jetzigen Stand der vermögenspolitischen Diskussion also darüber klar sein, daß der Beteiligungslohn die beste Lösung darstellt, wenn man allen — ich betone ausdrücklich: allen — Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft, im öffentlichen Dienst und auch den Selbständigen, so wie wir es vorgesehen haben, zur Vermögensbildung verhelfen will.Ich darf aber auch hier sagen, daß wir die Bedenken der mittelständischen Wirtschaft gegen den Beteiligungslohn sehr ernst nehmen. Es wird deshalb unsere Aufgabe sein, gerade die Aufgabe der CSU — Herr Professor Burgbacher, wir sind überzeugt, daß wir uns da immer wieder mit Ihnen treffen können —, für die künftige Diskussion aus unseren Reihen Vorschläge einzubringen, die in besonderer Weise auf die Einwände der lohnintensiven Wirtschaft Rücksicht nehmen.
Ich darf auch hier ganz klar vom Grundsätzlichen her sagen, meine Damen und Herren, daß bei einer langfristigen Konzeption der Lohn allein nicht der Maßstab sein darf. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht Mittel und Wege finden, andere Bezugsgrößen zu berücksichtigen.
Man muß der lohnintensiven Wirtschaft auch zugestehen, daß es die harte Konkurrenz in einigen Branchen in manchen Fällen eben nicht erlaubt, die Vermögensbildung über die Preise zu finanzieren.Ich möchte hier einen Gedanken aussprechen, von dem wir uns innerhalb der CSU klar sind, daß er Schwierigkeiten in sich trägt, der aber diskutiert werden muß. Es ist die Frage, ob nicht auf Sicht die kapitalintensiven Unternehmen der Wirtschaft die durch die Vermögensbildungsmaßnahmen entstehenden großen Belastungen der lohnintensiven Unternehmen im Ausgleichswege mittragen sollen. Wir haben ja ein Modell, das bei der Lohnfortzahlung entwickelt wurde.
Die Erbringung vermögenswirksamer Leistungen an die Arbeitnehmer ist für mittelständische Betriebe, die oft selbst nicht über ein ausreichendes Kapital verfügen, ungleich schwieriger als für Großunternehmen. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Weil wir uns in dieser Frage einig sind, schlagen wir vor, .daß auch die Arbeitnehmer in diesen Betrieben vermögenswirksame Leistungen erhalten können, aber nur dann, wenn die in § 11 vorgesehene steuerliche Begünstigung im Laufe der Beratungen verbessert wird. Um es konkret zu sagen: die Steuervergünstigung sollte 35% betragen statt 30%, wie Sie vorgeschlagen haben, Herr Professor Burgbacher, und sollte 5000 DM statt 3000 DM ausmachen. Das ist der Vorschlag meiner Freunde und mein Vorschlag.Angesichts der im mittelständischen Bereich zum Teil vorhandenen Ablehnung des Beteiligungslohnes möchte ich hier noch einen Gesichtspunkt erwähnen, der uns besonders bedeutsam erscheint. Die mittelständische Wirtschaft hat die größten Sorgen, Nachwuchs zu gewinnen. Gerade deshalb, weil die mittelständische Wirtschaft Sorgen um den Nachwuchs hat, darf man sie in ihrem ureigensten Interesse nicht aus dem Beteiligungslohn ausschließen. Ein Ausschluß der mittelständischen Wirtschaft würde zur Folge haben, ,daß die Nachwuchssorgen noch größer werden.Meine Freunde von der CSU und ich meinen, daß der Beteiligungslohn natürlich auch das Problem aufwirft, ob man nicht durch ein Paket von Maßnahmen mehr unternehmen sollte, um die Eigenkapitalbildung in mittelständischen Unternehmen zu verstärken.Weil die CSU heute bereits mehrfach angesprochen wurde, darf ich Ihnen ganz offen sagen: wir verhehlen nicht, daß es in der Frage des Zwangs beim Beteiligungslohn unterschiedliche Meinungen und Auffassungen in der Christlich-Sozialen Union gibt.
- Ich darf aber darauf hinweisen, Herr Professor Dr. Schellenberg, daß es sich um ernst zu nehmende Leute handelt, die da fragen, ob über gesetzlichen Zwang erworbenes Eigentum zu einer Bindung an unsere Eigentums- und Gesellschaftsordnung führt. Man darf diese Leute nicht übergehen, auch wenn sie Mahner und zum Teil unbequeme Mahner sein sollten. Für meine Freunde und mich darf ich aber auch ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß die praktische Erfahrung, z. B. die gesamte Entwicklung .der Sozialgesetzgebung, dafür spricht, ,daß der Mensch dann und wann zu seinem Glück gezwungen werden muß.
Darauf zielt im Grunde genommen der jetzt von unserer Fraktion vorgeschlagene Beteiligungslohn.Wir halten auch an dem Grundsatz fest, daß Vermögenspolitik auf lange Sicht ohne die Erbringung einer Eigenleistung durch die Begünstigten nicht zum gewünschten Ziele, zur Förderung des Verständnisses für das Eigentum, führt. Die Ausnahme
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Weiglbildet allerdings der Nichtsparfähige. Auf den Nichtsparfähigen zielt nun der „Burgbacher-Plan", wie er genannt wird. Deshalb unterstützen wir ihn.Ich darf für meine Freunde und mich in dieser Debatte noch die Frage nach dem Gesamtkonzept dieser Regierung in vermögenspolitischen Fragen stellen. Wenn das Gesamtkonzept nicht vorgelegt wird, werden wir unsere eigenen Überlegungen selbst präzisieren. Wir werden neben dem Burgbacher-Plan eine Harmonisierung der Sparförderungsmöglichkeiten vorschlagen. Wir werden, weil hier mehrfach darauf eingegangen wurde, .auch eine Ausweitung der Begünstigungen auf Versicherungs-, Ausbildungs- und Aussteuersparen in Erwägung ziehen, wenn das Beteiligungskapital nicht ausreicht. Aber ich darf ausdrücklich sagen: Wir ziehen diese Dinge dann in Erwägung, wenn, was hier mehrfach geäußert wurde, nicht genügend Beteiligungspapiere zur Verfügung stehen. Denn primär kommt es uns darauf an, daß der Arbeitnehmer, vor allem der wenig sparfähige Arbeitnehmer, an Produktivkapital herangeführt wird.Ich darf mir die kurze Bemerkung erlauben, daß wir hinsichtlich der Sperrfrist für die Jugend und für die junge Familie in allen vermögenspolitischen Gesetzen Ausnahmen, Verkürzungen eingebaut haben möchten, weil wir der Auffassung sind, daß es von besonderer Wichtigkeit ist, den jungen Menschen an das Sparen heranzuführen.Um es kurz zu machen: Ich darf Ihnen sagen, daß wir — meine Freunde und ich — im Sinne einer konstruktiven Oppositionspolitik vorschlagen, daß folgende Ziele der Vermögenspolitik angesteuert werden: Erstens. Die Beseitigung der Doppelbesteuerung für Aktien, damit die Diskriminierung des Kleinaktionärs aufhört. Zweitens. Eine Erhöhung der Einkommensgrenzen bei den Zusatzprämien; darüber könnte man viel reden, vor allem was die Benachteiligung der Familien anlangt. Drittens. Eine weitere Streuung und Privatisierung des ertragsbringenden Vermögens der öffentlichen Hand. Viertens. Ein sehr wichtiger Punkt, den wir hier zur Diskussion stellen möchten, ist folgender.
- Wir wollen nur ergänzen, Herr Kollege Liehr.Der vierte Punkt betrifft die Einschränkung der Gemeinnützigkeit für Wohnungsbauunternehmen, wenn diese nicht einen größeren Anteil der Wohnungen als Eigentumswohnungen und Eigenheime an sozial Schwächere anbieten. Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln muß nach unserer Meinung an eine Anbietungspflicht gebunden werden, um zu verhindern, daß sich unter dem Deckmantel des sozialen Wohnungsbaus Großvermögen ansammeln.
Zusammenfassend darf ich für meine Freunde und mich folgendes feststellen. Diese Regierung ist mit dem Ziel der inneren Reformen angetreten. Gerade bei der Vermögensbildung, bei der wichtigsten Aufgabe dieses Jahrzehnts — das darf man doch wohl sagen —, vermissen wir bereits heute eine Ansteuerung dieses Ziels. Mit Deklamationen und sehr bequemen Vorschlägen, die keinesfalls auf großen Ideenreichtum schließen lassen, kommen wir nicht weiter.Wenn unsere Gesellschafts- und Eigentumsordnung erhalten bleiben soll, müssen wir in erster Linie den kleinen Mann an die Vermögensbildung heranführen. Daß es ein schwieriges Unterfangen ist, daß hier noch viel Aufklärungsarbeit betrieben werden muß, darüber, meine Damen und Herren, sind wir uns alle in diesem Hause einig. Aber dieser Einsatz aller Kräfte lohnt sich.Abschließend darf ich feststellen, daß die CSU-Landesgruppe es bei den Beratungen in diesem Hause nicht an Vorschlägen fehlen. lassen wird und daß wir alles tun werden, an Maßnahmen mitzuarbeiten, die zu einer gerechteren und besseren Vermögensstreuung führen, wenn diese Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, daß sie zielstrebig, vernünftig und übersichtlich gestaltet werden, damit der Erfolg nicht ausbleibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Zander.
Meine Damen und Herren, wer gesellschaftspolitische Reformen will und sie unter so anspruchsvollen — ich möchte sagen: mit Recht anspruchsvollen — Titeln serviert, wie Sie das in Ihrer Begründung tun, in der Sie feststellen: „Die Verteilungskämpfe und der Gegensatz zwischen Arbeitnehmern und Kapitaleignern werden mehr und mehr aufgehoben", wenn diese Vorschläge von Ihnen Realität würden — so kann man diesen Text wohl nur verstehen —, muß sich darüber klar sein, daß gesellschaftspolitische Reformen auch eine Frage des Zeitpunkts sind. Daß sie eine Frage des Zeitpunktes sind, lehren zahlreiche Beispiele in der Geschichte und lehrt auch die Geschichte der Vermögensbildung in der Bundesrepublik. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen wohl ganz eindeutig, daß vor allen Dingen in den Zeiträumen, in denen Sie bewußt, und zwar von 1961, vom ersten Vermögensbildungsgesetz an, die Gewerkschaften aus dem Prozeß der Vermögensbildung auf diesem Sektor herausgedrängt haben, auch nichts Ernsthaftes geschehen list.Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, einmal an Hand weniger Zahlen vor Augen führen, daß der Zeitpunkt für eine Verbesserung einer Vermögensbildungsgesetzgebung im Sinne der Regierungsvorlage noch niemals so günstig war wie jetzt. Ich möchte Ihnen an Hand von in Verhandlung befindlichen Verträgen, an Hand von abgeschlossenen Verträgen und an Hand von Forderungen der Gewerkschaften zeigen, was im Augenblick auf diesem Felde tarifpolitisch in Bewegung ist. Abgeschlossen sind folgende Tarifverträge: im privaten Versicherungsgewerbe — betroffen etwa 110 000 Beschäftigte, in der Gummi-Industrie — 70 000 Beschäf-
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Zandertigte —, im öffentlichen Dienst — 1,6 Millionen Beschäftigte —. 'Wenn man den öffentlichen Dienst ausnimmt, bestehen jetzt bereits 50 Tarifverträge, die vermögenswirksame Leistungen vorsehen und eine Beschäftigtenzahl von zwei Millionen Arbeitnehmern umfassen. Gespräche über Vermögensbildung werden — der Bundesarbeitsminister hat bereits daran erinnert — zur Zeit in der Metallindustrie geführt — hier sind etwa vier Millionen Beschäftigte betroffen —, ferner in der Eisen- und Stahlindustrie mit einer Beschäftigtenzahl von etwa 230 000. Gefordert werden vermögenswirksame Leistungen, und zwar in diesem Jahr, in der Steine- und Erdenindustrie — betroffen etwa 200 000 Beschäftigte — und in ,der Chemie — betroffen 650 000 —.Fazit: Für zirka 8,6 Millionen Arbeitnehmer sind vermögenswirksame Tarifverträge entweder abgeschlossen, in Verhandlung oder für dieses Jahr gefordert. Ich meine, das zeigt eindeutig, daß die Bereitschaft der Tarifvertragsparteien zur Ausnutzung des Spielraums, den der Gesetzgeber ihnen gibt, sehr stark gewachsen ist. Herr Kollege Katzer, ich meine, man kann bei dieser Größenordnung nicht sagen, dieser Konjunkturzyklus werde davon völlig unbeeinflußt sein. Niemand von uns weiß, wie weit der Konjunkturzyklus reicht, und jeder von uns muß sich doch darüber klar sein, daß das Größenordnungen sind, die ins Gewicht fallen.Ich meine, das ist mit ein Erfolg der Signalwirkung, die von der Regierungserklärung ausging, in der eine Ausweitung des Begünstigungsrahmens, die Beseitigung des Abgabensystems und die Einführung des Zulagensystems angekündigt wurde. Die Realisierung ist ja verhältnismäßig schnell erfolgt, zumindest in der Form, daß die Regierungsvorlage heute hier in erster Lesung diskutiert wird.Das, meine Damen und Herren, ist in meinen Augen ein Beweis für eine gesellschaftspolitgesellschaftspolitischeische Reform in dem Zeitpunkt, in dem sie in die Landschaft paßt. Selbstverständlich ist das — niemand von uns hat es als eine soziale Großtat angekündigt, wie Herr Professor Burgbacher hier sagte — für uns ein erster Schritt, dem weitere Schritte folgen müssen.Die CDU/CSU hat dm Grunde bis zum Jahre 1961, bis zum ersten Vermögensbildungsgesetz, in unvorstellbarer Weise die Großvermögen begünstigt und gefördert. Mein Kollege Dr. Nölling hat mit der Währungsreform, die allerdings unter der Verantwortung der Alliierten stand, angefangen. Man könnte sehr viele Einzelheiten Ihrer politischen Entscheidungen in dieser Zeit hinzufügen. Es ergäbe sich ein Bild, das Ihre Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik in den Jahren bis 1961 als einseitig an den Interessen der Großvermögen orientiert auswiese.Im Jahre 1961 dann, als sich etwas zu ändern begann, haben Sie ein Gesetz verabschiedet, das zwei wesentliche Mängel hatte. Der erste Mangel ist, daß die Gewerkschaften draußen blieben, daß tarifvertragliche Regelungen ausdrücklich ausgeschlossen waren. Und dann wundern Sie sich und stellen sich hierher und sagen: Die Gewerkschaftenhaben zuwenig getan! — .die Gewerkschaften, die man zunächst einmal, bis 1965, kraft Gesetzes überhaupt von der Möglichkeit ausschloß, Tarifverträge mit vermögenswirksamem Inhalt abzuschließen.
— Es ist nicht wahr, ,daß die Tarifverträge im Jahre 1961 ausgeschlossen waren? — Na, ich würde vorschlagen, das diskutieren Sie einmal im Ausschuß; da können Sie die Texte nachlesen. Das ist doch wohl nicht strittig unter Damen und Herren, die Ahnung von der Materie haben, daß es 1961 ausgeschlossen war, Tarifverträge abzuschließen.
Herr Abgeordneter Zander, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Tarifvertragsparteien schon seit urdenklichen Zeiten vermögenswirksame Leistungen in Tarifverträgen hätten vereinbaren können? Was wegen der Entscheidung von 1961 nicht möglich war, das war die steuerliche Begünstigung und die Vergünstigung im Rahmen der Sozialversicherung. Aber vermögenswirksame Leistungen konnten schon früher abgeschlossen werden.
Das ist nicht strittig. Was ich sage, ist nur: wozu macht man denn ein Gesetz, das Begünstigungen vorsieht, wenn man nicht Vermögensbildung über Begünstigungen anreizen will? Und dann sage ich Ihnen: ohne diesen Anreiz war es nicht attraktiv, Tarifverträge labzuschließen, und als der Anreiz kam, wurden Tarifverträge ausdrücklich ausgeschlossen.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie klagen darüber — mein Kollege Nölling hat angekündigt, ich würde dazu etwas sagen —, daß bisher zu geringe Abschlüsse vorliegen. Was 'im Augenblick diskutiert und verhandelt wird, dazu habe ich Ihnen einiges gesagt.Aber nun zu der Frage: Ist es ein Zufall, daß ab 1965, seit die Tariffähigkeit solcher Abkommen vorgesehen war, so wenig Tarifverträge abgeschlossen worden sind? Das ist doch kein Zufall. Das liegt aber nicht, wie Sie vielleicht vermuten möchten, etwa an ideologischen Barrieren bei den Gewerkschaften. Ich werde Ihnen sagen, woran das in meinen Augen liegt: 1961 erstes Vermögensbildungsgesetz, Ausschluß der Gewerkschaften aus dem Prozeß der Vermögensbildung; 1965 Einbeziehung in die Tariffähig-knit, Aufnahme — ich darf das in Klammern dazu sagen — auch von Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Dann kam 1966, ein Jahr später, die Rezession, die den Gewerkschaften ganz andere Aufgabengebiete aufgezwungen hat, als vermögenswirksame Leistungen abzuschließen. Sie mußten 'Einkommen sichern,
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Zanderdie durch die Wirtschaftspolitik, die die Rezession herbeigeführt hat und die Sie zu verantworten haben, gefährdet waren. Sie mußten Arbeitsplätze sichern, die durch diese Rezession gefährdet w a re n.
— Ich behaupte nicht, daß das jemandallein gemacht hat, Herr Kollege Katzer; ich sage: die gewerkschaftliche Tarifpolitik mußte in dieser Zeit diese Zielsetzungen in den Vordergrund stellen. Sie mußten auch Sozialleistungen erhalten, die der Gnade .der Stunde der Angst zum ,Opfer fallen sollten. Die Gewerkschaften haben in diesem Jahr die negative Lohnpolitik bekämpfen müssen; da war kein Spielraum für vermögenswirksame Leistungen.Dann kam der Aufschwung, und dann gab es auch bei den Gewerkschaften, die ja mit den Wünschen ihrer Mitglieder korrespondieren müssen, den völlig verständlichen Wunsch, auch lohn- und gehaltspolitisch gegenüber der Phase .der Vergangenheit aufzuholen, und zwar in einer Phase, in der, um den Aufschwung sicherzustellen, die Investitionen sehr stark begünstigt wurden. Die CDU/CSU hat die Gewerkschaften seit 1966 in eine Lage manövriert, in der sie keine vermögenswirksamen Leistungen abschließen konnten.
Der beste Beweis dafür ist, daß zur Zeit auf diesem Gebiet sehr viel in Bewegung ist.Gerade in ,einer solchen Zeit, ;in der die Handlungsunfähigkeit. der Gewerkschaften auf tarifpolitischem Gebiet für vermögenswirksame Leistungen abklingt, gerade nachdem jetzt der Rahmen erweitert werden soll, nachdem das Zulagensystem eingeführt werden soll, kommen Sie mit Ihrer Alternative unter dem Stichwort „Burgbacher-Plan" zu dem hochtrabenden Anspruch, die Verteilungskämpfe, die Gegensätze zwischen Arbeitnehmern und Kapitaleignern würden mehr und mehr aufgehoben. Dazu kann ich wirklich nur sagen: ich finde es ein bißchen sozialromantische Vorstellung, zu glauben, die Gegensätze zwischen Kapitaleignern und Arbeitnehmern reduzierten sich auf einen Betrag von 20 DM im Monat. Hier geht es nicht nur um materielle Dinge, hier geht es um 'mehr.
Lassen Sie mich noch kurz sagen — die Zeit schreitet voran —, welche Einwände ich Ihrem Gesetzentwurf gegenüber habe, sozusagen in erster Lesung; mehr ist ja zeitlich nicht möglich. Ich meine, es ist Zwangssparen, was Sie vorschlagen, Herr Kollege Katzer hat hier davon gesprochen, daß zwei Elemente, die Sparwilligkeit und die Sparfähigkeit, zusammenkommen müßten. Ich meine, nach diesem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist nach der Sparwilligkeit überhaupt nicht mehr gefragt. Vor Tisch klang das bei Ihnen wesentlich anders. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich einige Zitate aus Ihren vermögenspolitischen Postulaten vorlesen. In dem Bericht des Unterausschusses „Eigentum" der CDU/CSU-Fraktion des 3. Bundestages — Unterschrift „Dr. Burgbacher" — heißt es unter „Grundsätze":Der Eigentumserwerb soll der freien Entscheidung des einzelnen überlassen bleiben.Und weiter:Irgendwelche Formen des Zwangssparens kommen nicht in Frage.
Herr Dr. Burgbacher, Sie selbst haben bei der Beratung des Ersten Vermögensbildungsgesetzes — —
— Darf ich noch einmal wiederholen: ich zitiere aus dem Bericht des Unterausschusses „Eigentum" der CDU/CSU-Fraktion des 3. Bundestages, Thema „Grundsätze", Unterschrift „Dr. Burgbacher".Und nun, Herr Professor Burgbacher, Sie wörtlich bei der ersten Beratung:Daß Eigentum sich nicht durch Zwang bilden kann, wissen wir alle.So klang es — —
Herr Abgeordneter Zander, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Bitte sehr!
Sie können sogar noch mehr sagen — —
Ich bitte um eine Frage und nicht um eine Aussage.
Ist Ihnen vielleicht auch bekannt, daß in den ersten Grundsätzen, die ich einmal für die Fraktion aufgestellt habe, Ziffer 5 lautet: „Jeglicher Zwang bei der Eigentumsbildung ist ausgeschlossen" ? Und wissen Sie auch, warum es jetzt nicht mehr so ist? Weil die Tarifpartner kläglich versagt haben und auf diesem Wege die Lösung nicht möglich ist; deshalb muß sie durch Gesetz erfolgen. -
Herr Professor Burgbacher, ich habe den Eindruck, über dieses Thema reden wir. Sie haben dazu gesprochen, und ich habe dazu meinen Standpunkt dargelegt. Alles, was Sie von früheren Postulaten Ihrer Partei hier zitieren, stützt doch im Grunde den Standpunkt, den ich hier vortrage, nämlich daß Sie davon abgewichen sind mit diesem Entwurf und Zwangssparen vorsehen, was Sie früher abgelehnt haben.Ein kurzes Wort, Herr Professor Burgbacher, zu diesen Philosophien über Zwang und Pflicht und „Es gibt auch andere Zwänge" und „Wo wären wir überhaupt ohne Pflicht und Zwänge und die Frei-
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Zanderheit?" usw. Ich meine, auf diesem Niveau hört doch wirklich der Spaß auf. Können wir nicht unterscheiden zwischen gesellschaftspolitischen Zielen, die unverzichtbar sind, und solchen, die wünschenswert sind? Unverzichtbar ist, daß der Mensch eine Schulausbildung bekommt. Unverzichtbar ist, daß er eine soziale Sicherung bekommt. Wünschenswert ist allerdings, daß er auch Vermögen besitzt. Aber das in einen Topf zu werfen, ist nicht möglich; es sind doch verschiedene Dinge. Es ist nicht möglich, in dieser modernen Gesellschaft zu leben ohne eine entsprechende qualifizierte Schulbidung. Gerade in diesen Jahren wissen wir doch, welche Rolle dieses Problem spielt. Es ist unmöglich, in dieser Gesellschaft zu leben, ohne gegen die Risiken des Lebens gesichert zu sein, ohne eine ausreichende soziale Sicherung zu haben. Aber es ist sehr wohl möglich, in dieser Gesellschaft ohne Vermögen zu leben.
Darum unterscheide ich zwischen solchen Dingen, die unabdingbar, und solchen, die wünschenswert sind.
— Ich will so unterscheiden. Aber ich halte es für selbstverständlich, daß meine Fraktion ebenso wie Sie — das hat sich doch in der Vergangenheit gezeigt, das hat sich doch in diesem Entwurf gezeigt — Vermögensbildung breiter Schichten für wünschenswert hält, aber nicht für unverzichtbar.
— Herr Professor Burgbacher, über die Größenordnung können wir uns unterhalten. Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion jedenfalls lehnt ein Zwangssparen ab.Ich meine weiter — das ist ein zweiter Einwand —, dieser Gesetzentwurf gefährdet die Tarifautonomie. Ich meine, daß die Tarifautonomie wie andere Elemente dieser Gesellschaftsordnung nicht teilweise eingeschränkt und teilweite erhalten bleiben kann. Sie muß uneingeschränkt erhalten bleiben. Wir Sozialdemokraten lassen nicht daran rütteln.Es ist doch wohl unzweifelhaft — um noch eine Bemerkung zu dem zu machen, was in der Diskussion von Ihnen schon gesagt wurde —, daß die Festlegung eines bestimmten Betrages, der dann als Kosten in den Unternehmen in den Tarifverhandlungen sozusagen als Vorbelastung wieder auf den Tisch kommt, eine Einschränkung der Tarifautonomie bedeutet.Ich möchte aber noch einen dritten Gesichtspunkt erwähnen, warum ich Ihren Entwurf für ungeeignet halte. Ich meine, er ist ein sehr starres Instrument, das keinerlei Möglichkeiten läßt, aus konjunkturpolitischen Gründen oder aus sozialen Gründen oder aus branchenmäßigen Gründen zu differenzieren. Ich meine, wir sind gut beraten mit dem Regierungsentwurf, der als erster Schritt, wie er da steht, den autonomen Tarifvertragsparteien über- läßt, ob sie in einer gegebenen konjunkturellen Lage oder in einer bestimmten Branche den Konsumlohn erhöhen wollen oder die Vermögensbildung fördern wollen. Aber das alles auf einen Leisten zu spannen, halte ich für unzulässig. Ich halte es auch für unklug. Es gibt zahlreiche Gesichtspunkte, die Arbeitgeberverbände genauso wie Gewerkschaften veranlassen können, in bestimmten Zeiten und in bestimmten Branchen den Konsum und nicht die Vermögensbildung zu fördern. Ihr Entwurf ist in dieser Hinsicht völlig undifferenziert und starr. Das gilt im Grunde auch für die Anlageform, die praktisch nur Wertpapiere vorsieht. Die Frage, woher Sie sie nehmen wollen, ist hier bereits gestellt worden, ohne daß wir bisher auch nur eine einigermaßen befriedigende Antwort darauf bekommen haben. Zu ,der Frage des Konsumierens und der vermögenswirksamen Leistungen darf ich wieder einmal aus 'den Grundsätzen der Eigentumsbildung der CDU/CSU aus dem Jahre 1961 zitieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, wenn ich dieses Zitat zu Ende geführt habe. Es hieß im Jahre 1961, eine Überbetonung des Sparens zu Lasten des Konsums sei unter allen Umständen zu vermeiden, da eine solche Entwicklung durch den Nachfrageausfall auf dem Konsumgütermarkt zwangsläufig das Ende unseres volkswirtschaftlichen Aufschwungs bedeuten würde. — Bitte Ihre Frage.
Herr Kollege, gestehen Sie zu, daß, wenn eine branchenmäßig unterschiedliche Vermögensbildung geschieht, die Gefahr der Abwälzung viel größer ist, daß insbesondere in den Branchen, in denen eine Konsumnachfrage durch eine Erhöhung des Konsumlohns erfolgt, die Uberwälzungsmöglichkeit besteht, während bei einer gesetzlich einheitlichen Lösung die Uberwälzungsmöglichkeit jedenfalls nicht in diesem Maße vorhanden sein würde?
Herr 'Kollege, Sie haben mit Recht gesagt, die Uberwälzungsmöglichkeit sei eine Frage des Marktes, und zwar des Absatzmarktes und der dort herrschenden Nachfrage. Infolgedessen ist in jedem Einzelmarkt das dort herrschende Verhältnis von Angebot und Nachfrage für die Überwälzbarkeit ausschlaggebend. Wir haben das doch in der Bauindustrie erlebt, wo eine günstige Konjunkturlage die Überwälzung erlaubt hat. Ich möchte dafür plädieren, daß es den Branchen und den dort verantwortlichen autonomen Tarifvertragsparteien selbst überlassen bleibt, diese Frage zu entscheiden. Das schließen Sie aus.Eine kurze Schlußbemerkung. Sie sollten wissen, daß die sozialdemokratische Fraktion Ihren Entwurf ablehnt, weil er die Tarifautonomie beeinträchtigt und weil ihm die notwendige Flexibilität fehlt. Er ist ungeeignet, und er widerspricht Ihren eigenen vermögenspolitischen Postulaten. Er bringt den
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ZanderArbeitnehmern 20 DM pro Monat und nimmt ihnen dafür die eigene Entscheidung und ein Stück Tarifautonomie.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich sollte nach unserer Geschäftsordnung die erste Lesung mehr den Grundsätzen gelten. Manchmal hatte ich heute das Gefühl, daß wir schon sehr stark in die Details eingedrungen sind, was nicht unbedingt immer falsch sein muß. Ich möchte mich aber bemühen, mich in einer Viertelstunde auf die Grundsätze der Überlegungen zu beschränken, die uns heute bei der Vorlage dieses Gesetzentwurfs bewegen.Mit Recht hat Herr Kollege Rosenthal davon gesprochen, daß man jetzt eine Art Frühling der Eigentumsbildung vermerken könne. Mir scheint heute die Feststellung ein wenig zu kurz gekommen zu sein, daß wir so weit sind — und zwar alle Mitglieder dieses Hauses, quer durch alle Fraktionen —, die Eigentumsbildung als etwas Wünschenswertes und Förderungswürdiges anzusehen. Das war nicht immer so.
— Bei uns war das schon immer so. — Natürlich, Herr Kollege Katzer. Auf den Zwischenruf habe ich gewartet.
Jetzt zeigen Sie wieder einmal, daß Sie aus dem Gedächtnis verloren haben, was der Kollege Wildermuth als Wohnungsbauminister z. B. in der Richtung der Wohnungsbauprämien usw. schon getan hat, um Eigentumsbildung in besonderer Weise zu fördern. Wenn Sie einmal den Hauptausschußbeschluß der Freien Demokraten von 1952 nachlesen, werden Sie finden, daß darin von „breitgestreutem Eigentum" zu einer Zeit die Rede ist, wo der Widerstand in Ihren eigenen Reihen dagegen noch sehr stark war. 1952 war die CDU/CSU insgesamt von Eigentumsbildung nicht so begeistert. Das ist erst später gekommen. Insofern freuen wir uns, daß auch Sie diesen Weg mitgegangen sind.Wir sind uns im klaren darüber, daß das, was hier heute mit dem 624-DM-Gesetz vorliegt, nur ein erster Schritt sein kann, wobei es aber darauf ankommt, daß man sich über die Grundsätze einig ist, nach denen man überhaupt Vermögensbildung treiben will. Wir gehen davon aus, daß das fünf Hauptpunkte sind: erstens Förderung der privaten Vermögensbildung, zweitens Chancengleichheit bei der Vermögensbildung, drittens Beteiligung aller am Wertzuwachs der Wirtschaft, viertens Verbesserung der Finanzstruktur der Unternehmen und fünftens Stärkung der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung. Das muß alles nach unserer Meinung gemeinsam gesehen werden. Darüber, daß das nicht mit einem Gesetzentwurf auf einen Hieb geschehen kann, sind wir uns völlig im klaren. Deshalb wollen wir auch den Bericht der Bundesregierung abwarten und daraus weitergehende Schlüsse ziehen sowie entsprechende Vorlagen von seiten der Regierung einbringen, wenn die notwendigen Vorarbeiten abgeschlossen sind.Wir sollten aber nun nicht nur diese Frage im Auge behalten, sondern vorher das, was an Möglichkeiten besteht, ausschöpfen, wie es mit der Verdoppelung des Begünstigungsrahmens von 312 DM auf 624 DM geschieht. Wir hätten es allerdings gern gesehen, wenn man auch noch eine Reihe anderer Überlegungen einbezogen hätte. Ich darf daran erinnern, daß wir Freien Demokraten schon mehrfach den Vorschlag gemacht haben, bei einer ganz speziellen Vermögensbildung — ich erinnere an das Bausparen — auch die Tilgung der Bauspardarlehen in die Prämiierung mit einzubeziehen. Denn hier hat der Betreffende, der eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim erworben hat, den Beweis dafür geliefert, daß er eine echte Vermögensbildung betreibt. Das ist aber auch nur ein Mittel innerhalb des Gesamtrahmens der Leistungen, nicht die Lösung des grundsätzlichen Problems.
— Lieber Herr Kollege Burgbacher, die Wirtschaftskraft wird dadurch nicht überstrapaziert. Wenn das ein Gesichtspunkt wäre, müßte auch manche andere Maßnahme sehr genau durchleuchtet werden.Ich darf weiter daran erinnern — Kollege Rosenthal hat schon darauf hingewiesen —, daß wir durch den Lastenausgleich auch einen Beweis geliefert haben, indem wir versucht haben, verlorenes Eigentum durch Lastenausgleich wieder zu ersetzen. Vielleicht wäre es eine überlegenswerte Idee, in dem Augenblick, wo der Lastenausgleich ausläuft, zu prüfen, ob nicht die Vermögensteueranteile, die bisher in diesen Bereich geflossen sind, für Vermögensbildungsmaßnahmen mobilisiert werden können. Denn das sind Einnahmen, die dann vielleicht zusätzlich für diese Dinge verwendet werden könnten. Über diesen Punkt braucht man nicht heute zu entscheiden; aber in langfristige Überlegungen sollte man ihn mit einbeziehen.Vielleicht wäre es überhaupt eine erwägenswerte Idee, die Vermögen- und Erbschaftsteuer hauptsächlich dafür zu verwenden, um damit zu erreichen, daß die Mittel, die beim Staat eingehen, wieder für diejenigen verwendet werden, von denen sie ursprünglich gekommen sind, wenn ich das einmal so sagen darf. Vielleicht lassen sich hier neue Möglichkeiten schaffen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas anderes zu den grundsätzlichen Überlegungen sagen. Wir haben die Sorge, daß viele Vorschläge, die darauf abzielen, die Eigentumsbildung voranzutreiben, heute zu sehr auf diejenigen Teile unserer Beschäftigten abgestellt sind, die, wenn ich so sagen darf, im Produktivbereich der Wirtschaft tätig sind. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, daß wir eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft bekommen.
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Mischnick— Ich freue mich darüber, daß wir hier völlig übereinstimmen. Nur habe ich das Gefühl, daß Ihr Gesetzentwurf, wenn auch in § 2 Abs. 3 alles einbezogen ist, noch keine Lösung enthält, wie man sie nach unserer Überzeugung auf die Dauer finden müßte.Sie haben gesagt, Sie seien für jeden Vorschlag dankbar. Ich glaube, das Wichtigste in Ihrem Vorschlag überhaupt ist der Hinweis darauf, daß Sie ihn für verbesserungswürdig und verbesserungsfähig halten. Wir werden ihn gern zu einem Zeitpunkt in die allgemeine Diskussion einbeziehen. Wir sind aber genauso wie die Sozialdemokraten der Meinung, daß ein Zwangssparen nicht richtig wäre, weil wir immer der Auffassung gewesen sind— dieser Auffassung waren Sie früher auch, Herr Kollege Burgbacher, heute jedoch nicht mehr —,
daß Eigentum durch Zwang nicht Eigentum im eigentlichen Sinne ist. Es wird nie als gleichwertig mit dem anerkannt werden, was man selbst erarbeitet und wozu man selbst beigetragen hat. Das ist eine alte Erfahrung. Herr Kollege Burgbacher, mich hat es sehr interessiert, daß Sie das hier so deutlich gesagt und Ihren Standpunkt geändert haben. Denn aus Ihren Reihen wird doch immer gegen die Freien Demokraten der Vorwurf erhoben, sie seien von ihrer liberalen Auffassung abgegangen. Wir stellen hier fest, daß die CDU/CSU von liberalen Grundsätzen, die sie früher gehabt hat, weggegangen ist und jetzt zu Zwangsmaßnahmen kommt. Genau dagegen sind wir.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Burgbacher, ich würde nicht sagen, daß das, was Sie heute gesagt haben, unbedingt dem „C" verpflichtet sein muß; denn dann würde ich manches der christlichen Lehre falsch verstanden haben. Da steht nach meiner Kenntnis nichts davon, daß wir solche Maßnahmen gesetzlich treffen müssen. Das ist eine weite Auslegung, die ich nicht für zweckdienlich halte.
Meine Damen und Herren, mit diesem Vorschlag, zwangsweise zu sparen, ist auch verbunden, daß dem betreffenden Arbeitnehmer — und der Kollege Burgbacher hat darauf hingewiesen — praktisch ein Risikopapier gegeben wird, dem er sich nicht entziehen kann. Gleichzeitig ist gesagt worden: Wir wollen aber auch die Sparfähigkeit oder die Möglichkeit der Vermögensbildung bei dem Geringerverdienenden erhöhen. Nun vermag ich nicht ganz einzusehen, 'wie eine solche Zwangsmaßnahme, durch die praktisch Lohnteile festgelegt werden sollen, für die Geringerverdienenden insgesamt gesehen ein Schritt vorwärts sein soll; denn seine Sparfähigkeit wird dadurch, daß ich einen Teil des Lohns festlege, nicht erhöht. Sie bleibt die gleiche. Hier scheint mir eine Schwäche in diesen Überlegungen zu sein, die deutlich macht, daß es eben doch nicht bis zum letzten durchdacht ist.Es ist von den Kollegen der CDU/CSU davon gesprochen worden, daß sie auch die Doppelbesteuerung der Aktie beseitigt wissen wollen. Wir freuen uns, daß Sie aus der Wahlplattform der Freien Demokraten diese Forderung übernommen haben. Wir werden, wenn es soweit ist, auf ihre Unterstützung hoffen.Ich kann aber einen Punkt, der schon von Herrn Kollegen Dr. Nölling erwähnt worden ist, nicht ganz vorübergehen lassen. Wenn man die Begründung, warum keine Anlegung in Form von Spargeld möglich sein soll, auf Seite 9 liest, wo es wörtlich heißt, daß dann Preissteigerungen die Folge wären, kann man nur sagen: Wenn Sie den Sparvorgang, also das Festlegen von Geld bei den Sparkassen, als preissteigernd ansehen, dann möchte ich einmal sehen, wie Sie das mit Ihren Überlegungen vor Jahren und auch noch in der jüngsten Zeit, als wir über konjunkturpolitische Maßnahmen sprachen, in Einklang bringen, daß man nämlich gerade den Sparanreiz stärken müsse. Hier ist doch ein Widerspruch. Ich habe das Gefühl, daß unter dem Motto, schnell zu handeln, dabei etwas schiefgegangen ist. Man sollte das sehr schnell berichtigen, was hierin steht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind bereit, an allen Überlegungen mitzuarbeiten, die die Grundsätze, die ich genannt habe, verwirklichen helfen. Ich halte es auch für notwendig, daß sorgfältig abgewogen wird, ob nicht durch zwangsweise Maßnahmen insgesamt gesehen die Bereitschaft zur Eigentumsbildung geringer wird.Wir haben heute mit Befriedigung feststellen können, daß bei den 'Gewerkschaften die Bereitschaft vorhanden ist, auf tarifvertraglicher Ebene mehr zu tun als in der Vergangenheit. Als wir, Kollege Katzer, zusammen in einer Koalition waren, da war die Bereitschaft der Gewerkschaften, die Tarifverträge auf diesen Sektor auszudehnen, gering. Auch als Sie mit ,der SPD in der Koalition waren, war sie gering. Seitdem SPD und FDP in einer Koalition sind, steigt die Bereitschaft, die Tarifvertragsfähigkeit dieser Dinge anzuerkennen. Das scheint mir ein wesentlicher Schritt voran zu sein, genau zu den Reformen, die wir wollen. Es beweist sich an diesem Beispiel, daß ,wir hier schon eingutes Stück vorangekommen sind. Genau diesen Weg wollen wir nicht durch Zwangssparen, wie es Ihr Gesetzentwurf vorschreibt, abgeschnitten wissen. Wir wollen im Gegenteil diese freiwilligen Möglichkeiten weiter ausgebaut wissen. Deshalb werden wir das 624-DM-Gesetz — mit den Punkten, die wir verbessert wissen wollen — unterstützen, aber Ihren Vorschlag in dieser Form ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete von 'Bismarck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich an das Wart — es fiel Rahmen der Debatte über die
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2190 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. von BismarckRegierungserklärung — .eines bedeutenden Mitglieds dieses Hohen Hauses erinnert, das zu unserer Seite gewandt danach fragte, wo denn unsere 50 Gerechten seien, dann ist man in Versuchung — ich bin es heute mehrfach gewesen —, die Seiten zu zählen. Ich habe festgestellt, daß wir nur zeitweise zusammen die 50 Gerechten zusammengebracht haben. Ich würde sagen, das, was Herr Mischnick soeben gesagt hat, was Herr Rosenthal gesagt hat, was der Kollege Nailing gesagt hat, sollte Uris doch noch einmal zu der Frage anleiten, ob es nicht eigentlich unsere gemeinsame Aufgabe ist, in diesem Augenblick — der eine spricht vom Frühling, der andere von einer besonders geeigneten Stunde für die Vermögensbildung — einen gemeinsamen Ansatz gerade auf diesem Gebiet zu versuchen. Die Regierung hat uns in der Regierungserklärung gesagt, ihr Selbstbewußtsein befähige sie zur Toleranz. Es fällt mir schwer, das nach dem heutigen Vormittag zu wiederholen, aber ich finde, es ist nie zu spät, hier einen neuen Ansatz zu machen. Ich meine, daß uns dieser Tag nicht ohne die ernste Erwägung entlassen sollte, ob wir nicht eine ganze Menge Dinge gefunden haben, ,die wir in Zukunft in dieser Sache zum Wohle all derer, die begünstigt werden sollen,besser gemeinsam machen.
Es ist sicherlich für die alten Hasen dieses Hauses — wenn ich mich .so salopp ausdrücken darf — sehr amüsant, ihre Kollegen auf das hinzu reisen, was sie vor fünf oder zehn Jahren gesagt haben. Für mich ist ein Fisch lebendig, solange er ständig gegen den Stromschwimmt. Wenn man Maßstäbe setzt, so stehen sie zu jeder Zeit mit den Tatbeständen, die zu der Zeit vorhanden sind, in einem Widerspruch. Es gibt keinen Maßstab, der nicht ein Zu-klein oder Zu-groß hervorbringt, denn das ist sein Zweck. Ich halte es aber für sehr unfruchtbar, wenn wir unsere Zeit — wir haben heute schon viel Zeit verbracht — vor allem damit ausfüllen, festzustellen, was wir bei den anderen bisher an Unterlassungen gesehen haben.An diesem Punkte möchte ich eine Bemerkung machen, die mir um der Wahrheit willen erforderlich erscheint. Es ist mehrfach gesagt worden, daß die Stunde jetzt so günstig sei, weil die Gewerkschaften neuerdings der Problematik der Vermögensbildung aufgeschlossener gegenüberstehen. Es ist richtig zitiert worden — ich glaube, Herr Kollege, die Zahl ist sogar noch größer —, daß eine große Zahl von Tarifverträgen dieses Problem jetzt anfaßt. Wir haben aber bei den sehr sorgfältigen, sehr zahlreichen und sehr interessanten Anhörungen auch der Gewerkschaften aus dem Munde eines sehr ehrenwerten und bekannten Herrn des Deutschen Gewerkschaftsbundes gehört, daß 'er uns als erstes die Eloge machen müsse, daß der vor kurzem herausgekommene Erlaß bzw. die Äußerung des Gewerkschaftsbundes, der bereits die IG Metall beeinflußt habe, nur deswegen zu dieser Zeit herausgekommen sei, weil der Burgbacher-Plan bereits so weit fortgediehen sei.Meine Herren, Sie brauchen sich über diese Bemerkung jetzt nicht zu ärgern, sondern meine Freunde und ich sehen das Einbringen des Burgbacher-Plans, dieses Gesetzentwurfs, heute als eine Impfung an. Es geht nicht darum, daß wir etwa gemeint hätten — und nirgendwo steht das —, daß der Gesetzentwurf, wie er heute steht, unveränderlich sei, perfekt sei oder gar das letzte. Viele von Ihnen haben an solchen Plänen mitgewirkt und wissen, daß sie bei jeder Beratung, bei jeder Frage, die sie stellen, auf neue Probleme stoßen und jedem Mitbürger dankbar sind, der ihnen hilft, die richtige Lösung zu finden. Ich glaube, es gehört wenig Prophetengabe dazu, zu sagen, daß ein solches Gesetz erstens nicht schnell gemacht werden kann und zweitens auch nicht perfekt werden kann.Ich bin etwas erstaunt über das gewisse Glück gewesen — aus manchen Beiträgen klang das heraus —, daß nun dieses 624-DM-Gesetz so schnell in dieses Haus gekommen sei; denn erstens ist es eine Frucht der Vorarbeiten der Großen Koalition, und zweitens bringt es eben tatsächlich fast nichts Neues bis auf die Tatsache der Verdoppelung. Und es erstaunt mich, daß in dieser Sache jetzt der Hauptwind, der uns entgegenweht, mit dem Schlagwort „Freiheit" begründet wird.
— Ja, Zwangssparen.
— Ja, ja. Man wirft uns vor, Zwangssparen wäre deswegen falsch, weil Sie die Freiheit wollten. Meine verehrten Damen und Herren, wenn man dem, was der Minister vorgetragen hat, aufmerksam zugehört hat,
— dann hörte man, Herr Minister, daß Ihnen daran läge, den einzelnen Arbeitnehmer in seiner Entscheidung gegenüber dem Arbeitgeber durch diese Vermögensbildungsabsichten, die Sie hier verfolgen, unabhängiger, freier, dispositionsfähiger zu machen. Ein volles Ja dazu.Aber Sie haben zweitens etwas gesagt, das mich stutzig gemacht hat: Sie wollten nicht ein paar Millionen Mini-Aktionäre. Diese Wendung findet sich an einer sehr merkwürdigen Stelle wieder, nämlich in dem Papier der Jungsozialisten, das sie vom 5. bis 7. Dezember in München beschlossen haben:
Ziel einer sozialistischen Vermögensverteilungspolitik— ich darf das zitieren —kann nicht ein Volk von Kleinkapitalisten sein. Ich weiß nicht, aber es kommt einem hier die Versuchung, zu fragen, ob das Betonen der Freiheitlichkeit nicht doch nur der Bikini ist, unter dem die Sozialdemokratische Partei die sozialistische Blöße verdecken möchte.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970 2191
Dr. von BismarckIch möchte Ihnen ein zweites Zitat vorlesen. Es heißt Ida auf Seite 11 dieses Papiers:Vermögensstreuung ist sinnlos, denn die Funktion, die das Vermögen in der kapitalistischen Gesellschaft für die Reichen hat, wird in der somialistischen Gesellschaft durch die Sozialpolitik erreicht.Ich glaube, bei den Beratungen, die vor unsstehen, sollten wir uns über den Sinn 'dieser Worte und ihre Bedeutung in Ihrer Partei unterhalten dürfen.Die Situation, vor der wir stehen, verlangt, so scheint es mir, daß wir uns alle bemühen, daß wir dieses Gesetz, daß Sie jetzt einbringen, nicht, Herr Minister, mit so großer Eile durchzupeitschen suchen, daß es noch im Juni fertig wird. Ich verstehe gut, warum, ohne daß das hier ausgesprochen sein muß. Aber ich frage doch: Ist der Ernst der Sache, nachdem wir nun doch die Bereitschaft dieses Hauses bemerken, in summa und als ganzes diesen Dingen näherzutreten, wirklich richtig gewertet, wenn wir jetzt auf das Tempo drücken? Ich meine, all die Anregungen, die wir hier gehört haben, sollten uns ermutigen, in den Ausschuß zu gehen
und mit den beiden Ansätzen, die wir hier vor uns haben, mit den Signalen, die wir hier gesetzt und die wir hier heute gehört haben, ein Gesetz zu machen, das wirklich nicht nur dem Teil der bereits sparfähigen, nicht nur dem Teil der in Tarifverträgen gebundenen, sondern allen deutschen Mitbürgern Eigentum an Produktivvermögen schafft.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schachtschabel.
Herr Präsident! Meine Damen 'und Herren! Es besteht kein Zweifel daran — und wir haben viel heute nachmittag davon gehört —, daß in der Gegenwart das zentrale gesellschafts- und damit sozialpolitische Problem die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ist. Denn es ist eine bekannte Tatsache, daß mit der marktwirtschaftlichen Ordnung — und darüber ist auch befunden worden — zwar ökonomische Aufgaben bewältigt werden können, daß aber das für den Bestand einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung grundlegende Verteilungsproblem — bislang zumindest — nicht in ausreichender Weise gelöst worden ist.Meine Damen und Herren, diese Feststellung muß sich vor allem die jetzige Opposition entgegenhalten lassen, obwohl sie in ihrer früheren Stellung als Regierungspartei ausreichend Gelegenheit gehabt hat, dieses Problem zu lösen. Wir übersehen dabei keineswegs, daß fallweise gewisse Maßnahmen getroffen worden sind, die von der Volksaktie bis zu den bestehenden gesetzlichen Grundlagen der Vermögensbildung wie etwa Sparprämiengesetz oder Wohnungsbauprämiengesetz reichen. Doch zu einer grundlegenden Konzeption einer Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand mit durchschlagenden gesellschaftspolitischen Wirkungen ist es bislang nicht gekommen.Auch in diesem Zusammenhang soll nicht übersehen werden, daß in CDU/CSU-Kreisen Vermögensbildungspläne entwickelt worden sind, etwa der sogenannte Burgbacher-Plan. Doch ist es auch nicht zu einer Verwirklichung dieses Planes gekommen, als die CDU/CSU dazu reichlich Gelegenheit hatte.Diese Vorgänge mußten mit wenigen Worten in die Erinnerung gerufen werden. Denn vor diesem Hintergrund nimmt es sich merkwürdig aus, daß gerade in dem Augenblick, in dem die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer ansteht, die Opposition mit einem Gesetzentwurf über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und zur Verbesserung der Kapitalstruktur der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, aufwartet.Dieser Tatbestand ist um so merkwürdiger, als dieser Entwurf der Öffentlichkeit erst in den heutigen Morgenstunden vorgelegt worden ist.
Daraus kann doch nur geschlossen werden, daß es die CDU/CSU auf einmal sehr, sehr eilig hat, der Initiative der Regierung mit einem eigenen Entwurf entgegenzutreten.
Allerdings muß deutlich vermerkt werden, daß die CDU/CSU offenbar überhastet gearbeitet hat, denn schon eine oberflächliche Einsichtnahme in den vorgelegten Entwurf läßt erkennen, daß er wenig inhaltsvoll abgefaßt worden ist und teilweise unübersehbare Widersprüche enthält, die keineswegs einer fundierten und ausgewogenen Arbeit entsprechen.
Dabei sollte doch vor allem berücksichtigt werden, daß es sich bei der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand um eine gesellschaftspolitische Maßnahme weittragender und durchgreifender Art handelt, die sorgfältig erarbeitet und nach allen Seiten hin durchdacht werden muß. Diesen Erfordernissen trägt der vorgelegte Entwurf so gut wie gar nicht Rechnung. Vielmehr wird in einer selbstgerechten Art und Weise über eine Problematik befunden, die, wie wir meinen, viel zu ernst und zu gewichtig ist, als daß sie mit der von der CDU/CSU praktizierten Hast und Eile gelöst werden könnte.
— Warten Sie ab, Herr Kollege Burgbacher, wir kommen auf Ihre entsprechenden Einwände und Hinweise gern zurück.Die Zeit war wahrlich zu knapp, um den vorliegenden Entwurf eingehend beurteilen zu können, so daß wir uns eine genaue und eingehende Analyse vorbehalten müssen. Sie wissen, ich bin auch beruflich beauftragt und verpflichtet, eine solche Analyse vorzunehmen; ich tue das gern in Seminaren, zu denen ich Sie einladen möchte, wenn Sie diese Ge-
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Dr. Schachtschnabellegenheit wahrnehmen wollen. Hier können und sollen daher nur einige Punkte herausgegriffen werden.1. Das Prinzip des CDU/CSU-Entwurfs ist der Beteiligungslohn. Diese Auffassung findet sich bereits in dem sogenannten Burgbacher-Plan, ebenso im Entwurf der Arbeitsgruppe „Eigentum" der CDU/ CSU-Fraktion vom 4. Dezember 1969. Sie können daraus auch entnehmen, mit welcher Aufmerksamkeit ich die Entwicklung Ihrer Überlegungen — in erster Linie auch aus beruflichem Anlaß — verfolgt habe.
Beteiligungslohn heißt aber nicht überbetriebliche Vermögensbildung, sondern grundsätzlich betriebsorientierte Vermögensbildung, womit einerseits die Mobilität der Arbeitskräfte begrenzt und andererseits eine spezifische Konzentration gefördert werden kann. Beides ist aber weder yolks- noch marktwirtschaftlich zu begrüßen. Ich glaube, ich brauche Ihnen die Autoren dafür nicht zu nennen — Sie kennen sie sehr gut —, die das in allen Einzelheiten durchleuchtet und analysiert haben.2. Ferner ist bedenklich — und darauf muß ich noch einmal zu sprechen kommen —, daß nach der vorliegenden Begründung der Arbeitgeber auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen für jeden Arbeitnehmer monatlich 20 DM als vermögenswirksame Leistung zu zahlen hat, wodurch praktisch, was wir noch einmal herausstellen müssen, ein gesetzlicher Zwang der Arbeitnehmer zum Sparen festgelegt wird. ich will all die Argumentationen, die vorhin darüber gebracht worden sind, beiseite lassen, aber betonen, daß eine solche Bestimmung keineswegs dem Prinzip einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung entspricht. Denn es handelt sich beim Zwangssparen nachweislich um eine ordnungsinkonforme Maßnahme. Abgesehen davon wird das Zwangssparen — das ist beweisbar — durchaus zu Recht von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt.Ich will mich auf die vielen Diskussionen, die an dieser Stelle vorgetragen worden sind, nicht einlassen. Aber auf einen Punkt, von dem ich meine, daß er noch nicht hervorgehoben worden ist, darf ich vielleicht noch eingehen. Das wesensgemäße Kriterium der Marktwirtschaft ist die freie Initiative, aber auch die Freiheit des Einkommensempfängers, meine Damen und Herren, über die ihm durch seine Arbeit zufließende Kaufkraft entscheiden zu können. Wenn das tangiert wird, dann wird auch das marktwirtschaftliche Gefüge in seinem grundlegenden Element beeinträchtigt.3. Weiter ist es gerade bedenklich, daß von einer obligatorischen Festlegung neuer vermögenswirksamer Leistungen durch Tarifvertrag, vor allem aber durch Gesetz gesprochen wird. Dieses Ansinnen gefährdet zweifellos die Tarifvertragsfreiheit, indem hier eine Aushöhlung eingeleitet wird, die Grundprinzipien tarifpartnerschaftlicher Verhältnisse in Frage zu stellen. Darüber ist aus gewerkschaftlicher Sicht befunden worden .4. Es bedarf gewiß weiterer analytischer Befunde. Doch können wir uns jetzt schon des Eindrucks nicht erwehren, als ob bei den immer wiederkehrenden Argumenten, die Unternehmergewinne auf alle Fälle zu schonen, nach dem Prinzip argumentiert wird: Wasch mich, aber mach nicht naß!Dieser Hinweis, meine Damen und Herren, besagt nicht, daß wir nicht die Bedeutung der Unternehmergewinne zu beurteilen wissen. Aber die auffällige Sorge stimmt nachdenklich. Denn was heißt es, wenn gesagt wird, daß sich eine Verringerung von Unternehmergewinnen in Grenzen halten müsse, wobei der Staat — ich zitiere wörtlich — „behilflich" sein könnte! So heißt es auf Seite 8 des Entwurfs. Dazu die ergänzende Bemerkung, daß die Arbeitnehmer den Unternehmen — wieder zitiert —„qualitativ gleichwertige Finanzierungsmittel, d. h. risikotragendes Eigenkapital", zur Verfügung zu stellen haben! Oder was heißt es, wenn von der „Herstellung einer steuerlichen ,Chancengleichheit' für die Eigenfinanzierung" geredet wird! Wir fragen, meine Damen und Herren, was denn dahintersteckt und was das bedeutet.Nur am Rande sei noch erwähnt, daß in dem Entwurf auch hervorgehoben wird, das Angebot an Beteiligungswerten sei entscheidend zu erhöhen, wobei sich die Frage stellt, warum dafür steuerrechtliche Änderungen vorgeschlagen werden; siehe etwa Anderung des Körperschaftsteuergesetzes, Änderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes sowie des Einkommensteuergesetzes. Auch das ist als eine, ich möchte sagen, ernste Frage gestellt.5. Schließlich soll unter Berücksichtigung der Einwirkungen auf den volkswirtschaftlichen Kreislauf nur noch erwähnt werden, daß die überbetriebliche Gewinnbeteiligung geschäftspolitisch allgemein als unbedenklich anerkannt wird, während eine vermögenswirksame Lohnpolitik etwa in Form des vorgesehenen Beteiligungslohnes volkswirtschaftliche Gleichgewichtsstörungen hervorrufen kann. Es ist hier nicht der Ort, die in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesene Wirkung des Beteiligungslohnes darzulegen. Doch sollte bekannt sein, daß eine derartige Maßnahme vor allem dann bedenklich erscheint, wenn ihre Einführung bei vollbeschäftigter Wirtschaft vorgesehen wird. Darüber sollte sich jeder Vertreter des BeteiligungslohnSystems vor allem in der jetzigen Situation konjunktureller Entwicklung im klaren sein. — Soweit nur einige Punkte, wie sie mir bei flüchtiger Durchsicht des Entwurfs gerade aufgefallen sind.Fassen wir zusammen, und ich bitte, diese Zusammenfassung nicht polemisch zu werten. Ich meine, ich habe auch die Pflicht und die Aufgabe,meinen Eindruck von diesem Entwurf hier kundzutun. Es handelt sich um einen Entwurf, so meine ich, der den altbekannten, aber auch überholten Harmonieglauben impliziert. Hier wird in patriarchalischer Weise eine Zuteilung an Arbeitnehmer vorgesehen, ohne daß die Bereitschaft besteht, vom Arbeitgeber die Beteiligung an einer gesellschaftspolitischen Aufgabe zu erlangen, an deren Lösung er im
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Dr. SchachtschnabelSinne der Sicherung seiner Position am ehesten interessiert sein sollte.
Demgegenüber hat der Entwurf der Bundesregierung den großen Vorteil, daß aus sozial- wie konjunkturpolitischen Gründen unmittelbar und schnell wirksam ein Schritt getan wird, der als sach- und zielgerecht zu kennzeichnen ist.
Es handelt sich um eine Maßnahme, die gerade auch wegen der konjunkturellen Situation schnell und unverzüglich getroffen werden muß, um als konjunkturpolitisches Mittel einen Beitrag zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Konjunktur zu leisten.Es sollte auch eine bekannte Tatsache sein, daß es sich dabei um einen ersten, aber nicht um einen letzten Schritt handelt. Denn es ist fast selbstverständlich, daß eine so weittragende gesellschaftspolitische Maßnahme wie die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand auf der Grundlage eines ausgearbeiteten und gesicherten Konzeptes entwickelt werden muß. Die Vorbereitungen dafür sind getroffen. Im weiteren Vollzug dieser Vorarbeiten sollte es darauf ankommen, die bislang erlassenen einzelnen gesetzlichen Maßnahmen zur Vermögensbildung sinnvoll zu koordinieren und damit eine Flurbereinigung zu ermöglichen — diese Bitte richten wir auch an die Bundesregierung —, die dazu dient, vermögenspolitische Maßnahmen übersichtlich und zweckmäßig zu koordinieren wie zu dokumentieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage 'des Abgeordneten Pieroth? —
Wäre es Ihnen möglich, zu diesen Vorbereitungen einigeweitere Andeutungen zu machen? Das könnte nämlich unsere Beratungen wesentlich erleichtern.
Meine Damen und Herren, ich bin gerne bereit, wenn Sie noch einige Stunden Zeit haben, Ihnen aus meiner eigenen Arbeit unter Berücksichtigung der inzwischen vor sich gegangenen Diskussion mit meinen Freunden einige grundsätzliche Ausführungen zu machen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß ich selber einen Vermögensbildungsplan entwickelt habe, der die freie Beteiligung vorsieht und die entsprechende Entscheidung in die Hand des Einkommensempfängers legt. Ich bin gerne bereit, Ihnen dies 'darzulegen. In dieser Broschüre finden Sie — es tut mir leid, daß ich das hier selber andeuten muß — auch eine Ubersicht über alle bisher entwickelten Pläne. Sie können sicher sein, daß es jetzt — darf ich es einmal, ohne damit ein Präjudiz zu schaffen, so sagen; ich habe es eben schon so ausgedrückt — auf eine sinnvoll zusammengefaßte, koordinierte
Ausrichtung vermögenspolitischer Konzeptionen ankommt, in der die Prinzipien, die wir in Ihrem Entwurf beanstandet haben, ganz gewiß nicht enthalten sein werden, vor allem nicht die Beeinträchtigung der Tarifautonomie einerseits und zum anderen auch nicht das Prinzip des Zwangssparens.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Verstehe ich Sie also richtig, daß das überwiegend Ihre eigenen Vorstellungen sind und nicht etwa die der SPD-Fraktion?
Ich nehme an, daß Sie sich schon genügend im parlamentarischen Leben umgetan haben, um zu wissen, daß es immer darauf ankommt, erst einmal die Meinungen auf den Tisch zu legen und dann im Sinne der demokratischen Entscheidungen mit den Freunden zusammen darüber zu entscheiden.
Sie können sicher sein, meine Damen und Herren, daß ich unter diesen Gesichtspunkten auch meine Auffassungen geltend machen werde. Wieweit sie sich dann im Sinne einer demokratischen Willensbildung als Ergebnis niederschlagen, muß ich dem Prozeß dieser Willensbildung überlassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Natürlich; ich habe Zeit, Herr Präsident.
Herr Kollege, dürfen wir dann damit rechnen, daß hier außer den — das meine ich ernst — interessanten wissenschaftlichen Vorlesungen, die wir eben gehört haben, ein legislativer Entwurf vorgelegt wird? Denn wir haben 'bei unserer Arbeit gelernt, daß der Teufel darin steckt, abstrakte Theorien in legislative Praxis umzusetzen.
Herr Kollege Burgbacher, darf ich für meine berufliche Sparte, .als Theoretiker, sagen: es wäre manchmal gar nicht schlecht, wenn man sich auch als Politiker mit den theoretischen Grundlagen etwas intensiver 'befassen würde, als das üblicherweise geschieht.
Dann wäre manches vorhin — seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich Ihnen und auch den übrigen das einmal persönlich sage — im gegenseitigen Verständnis 'schneller zu einer Klarheit gekommen, als dies in den vielzähligen unterschiedlichen Diskussionen zum Ausdruck gekommen ist.
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2194 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. SchachtschnabelSeien Sie auch in dieser Hinsicht gewiß, daß ich der Meinung bin, daß wir uns sehr viel schneller verständigen können, wenn wir uns in diesem unserem Sachgebiet eine einigermaßen verständliche Sprache angewöhnen. Seien Sie mir bitte auch nicht böse, wenn ich hinzufüge: es wurde von Ihrer Seite moniert, daß hier zu wenige von den Zuhörern, die sich um vermögenspolitische Probleme bemühen, anwesend seien. Meine Damen und Herren, ich habe es in diesem Hohen Hause bei Sachdebatten bisher noch nie anders erlebt, weil es eben eine Sachdebatte ist und weil es eine Angelegenheit ist, die in erster Linie denjenigen angeht, der sich unmittelbar damit befaßt. Ich will meine Arbeit gern in die Kategorie der politischen Kärrnerarbeit einordnen, wenn Sie das so ausgedrückt wissen wollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Wir sind überzeugt davon, daß es bei der vorgesehenen Ausarbeitung eines umfassenden Vermögensbildungsplans der Regierung auch um die von mir eben erwähnten Anliegen geht. Damit möchte ich global die Antwort auf die beiden Fragen gegeben haben.Insofern ist der Regierungsentwurf als ein wesentlicher Ansatz zu begrüßen, der unmittelbar und konjunkturorientiert seine Wirkungen zeigen wird. Mit der Verabschiedung einer derartigen Maßnahme wird ganz gewiß die notwendige Zeit — ich betone: die notwendige Zeit; ich kenne es aus meiner beruflichen Arbeit — dafür gefunden werden, ein weittragendes, durchgreifendes Konzept der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand von nachhaltiger gegesellschaftspolitischer Effizienz zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich zur Vermeidung von Zweifeln noch darauf hinweisen, daß die Punkte 3, 4, 7 und 8 der Tagesordnung erst am Freitag behandelt werden.
Außerdem hat man mir mitgeteilt, daß eine interfraktionelle Vereinbarung besteht, Punkt 5 der Tagesordnung — Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Förderung sozialer Hilfsdienste von der Tagesordnung abzusetzen und erst nächste Woche zu behandeln. — Widerspruch erfolgt nicht; dann ist so beschlossen.
Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich entnehme dem bisherigen, Verlauf der Debatte, daß alle Fraktionen dieses Hauses mit der Verteilung des produktiven Kapitals der Wirtschaft nicht zufrieden sind. Es kommt deshalb bei der Bewertung der vorliegenden Entwürfe darauf an, welcher der 'beiden Entwürfe das Ziel erreicht, breite Schichten der Bevölkerung am produktiven Kapital der Wirtschaft zu beteiligen.
Das Kernproblem, das sich dabei stellt, ist die Frage, wie es uns gelingt, Einkommensteile den abhängig Beschäftigten zu vermitteln, Einkommensteile, die zum Erwerb von Beteiligungswerten dienen. Meine Damen und Herren vor allem von der SPD-Fraktion, genau diese zentrale Frage hat Minister Leber in einer Rede in Rom gestellt. Vielleicht wäre eis gut gewesen, wenn diese zentrale Frage nicht nur in Rom, sondern auch in Ihrer Fraktion gestellt worden wäre: es muß ein Einkommensteil geschaffen werden, der zum Erwerb von Beteiligungswerten dient. Und in dieser Hinsicht gibt Ihr Gesetzentwurf keine Antwort.
Ihr Gesetzentwurf setzt voraus, daß entweder der Arbeitnehmer schon sparfähig ist oder daß neue Tarifverträge abgeschlossen werden. Nach den bisherigen Erfahrungen aber haben die abgeschlossenen Tarifverträge mit vermögenswirksamen Leistungen nicht zum Erwerb von Beteiligungswerten geführt. Gerade darauf aber kommt es uns mit dem Entwurf der CDU/CSU an. Wir wollen nicht, daß durch die Vermögensbildungsmaßnahmen nur neue Gläubigerpositionen geschaffen werden, sondern Teilhaberpositionen.
Die Vorredner meiner Fraktion haben schon darauf hingewiesen, daß der Gesetzentwurf über den Beteiligungslohn keineswegs vollständig an die Stelle des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes tritt. Die weitere Bildung von Sparvermögen auch über Tarifverträge ist nach unserem Entwurf möglich. Unser Entwurf schafft nur eine Basis dafür, daß die abhängig Beschäftigten, und zwar alle, sich am produktiven Kapital unserer Wirtschaft beteiligen können.
— Sie sagen „müssen". Ich darf auf das Argument des „Zwanges" zurückkommen, auch unter einem anderen Gesichtspunkt, von dem ich hoffe, daß wir ihn in den parlamentarischen Beratungen weiter aufgreifen können.
Der Kollege Rosenthal hat am 14. März an einem Podiumsgespräch in Gummersbach teilgenommen, das von der Theodor-Heuss-Akademie veranstaltet war. Dort ist er gefragt worden, was er denn von der Passage der Regierungserklärung halte, die Regierung sei gegen gesetzliches Zwangssparen, weil das mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung unserer Gesellschaft nicht vereinbar sei. Die „Kölnische Rundschau" weiß zu berichten, daß ihm bei der Beantwortung dieser Frage das Wort „Quatsch" aus dem Munde gekommen sei. Ich sage das nicht, weil ich meine, hier Meinungsverschiedenheiten bei Ihnen feststellen zu müssen, sondern ich sage das, weil offenbar die Frage des „Zwanges" auch in Ihrer Fraktion nicht ganz so einhellig beurteilt wird, wie das in der Debatte hier dem äußeren Anschein nach der Fall ist.
Ich glaube, daß gerade ein Unternehmer wie Herr Rosenthal weiß, daß das Wort „Zwang" in diesem Zusammenhang nicht brauchbar ist; denn er als Unternehmer steht ja gerade in dem Zwang des Marktes,
zu sparen und Vermögen zu bilden.
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Vogt
Dieser Zwang ist für ihn vielleicht härter als der Zwang, den der Gesetzgeber ausüben kann.
Weiterhin muß ich fragen, wieso denn eine gesetzliche Verpflichtung durch den Staat weniger freiheitlich ist als eine Vereinbarung, die die Tarifpartner treffen. Aus der Sicht des Arbeitnehmers, glaube ich, besteht in beiden Fällen kaum ein Unterschied. Ich wehre mich auch als Gesetzgeber dagegen, daß das, was wir hier beschließen, unfreiheitlicher sei als das, was Tarifvertragsparteien vereinbaren.
Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Es wurde in der Debatte gesagt, die großen gesellschaftlichen Gruppen seien gegen den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Natürlich, die Spitzenverbände der Gewerkschaften und der Arbeitgeber haben die gesetzliche Verpflichtung abgelehnt. Aber ich muß doch hier die Frage stellen, ob wir uns in der Gesellschaftspolitik — auch in der Eigentumspolitik — in dem Maße, in dem wir voranschreiten, am langsamsten Schiff orientieren sollen, das es in unserer Gesellschaft gibt.
Ich glaube, daß es gerade auch in der Verantwortung der Politiker liegt, den Lernprozeß der gesellschaftlichen Gruppen zu fördern. Die Politiker haben auch gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen eine Führungsfunktion; und ich glaube, daß in der Frage der Eigentumspolitik die politische Führungsinitiative bei der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union liegt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häussler.
— Der Herr Kollege Vogt hat soeben seine erste Rede gehalten. Ich darf ihm dazu gratulieren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, daß die Stunde so weit fortgerückt ist, daß man sich grundsätzliche Anmerkungen eigentlich ersparen sollte. Ich möchte mich deshalb auf einige flankierende Maßnahmen beschränken, von denen ich glaube, daß sie in einer solchen Grundsatzaussprache erwähnt werden müssen. Ich denke zunächst einmal an die flankierende Maßnahme für das notwendige Kapitalmehrangebot, das heute schon in verschiedener Weise angesprochen wurde. Wenn wir rechnen, daß nach unserem Gesetzentwurf 240 DM für 24 Millionen Arbeitnehmer jährlich eine Mehrnachfrage nach Kapitalanteilen in Höhe von etwa 6 bis 7 Milliarden DM notwendig machen, dann ist es sicher, daß ein solches Kapitalangebot bei einer Kumulierung in zehn Jahren wohl die Summe von 100 Milliarden übersteigt, wenn man Zinsen, Sparprämien, die 30 %ige Vermögensbildungsprämie usw. hier in Betracht zieht. Hierfür muß nun das notwendige Mehrangebot möglichst bald geschaffen werden, und ich habe mit Befriedigung festgestellt, daß der Bundesarbeitsminister eine künftige Privatisierung in Aussicht gestellt hat.Ich möchte die Bundesregierung mit einer Anregung versehen und sagen, daß sie .aus diesem Wort Ernst, und zwar zügig Ernst machen sollte. Denn neben die steuerlichen Maßnahmen für die Emission weiterer Aktien von Privatbetrieben und die kommenden Kapitalanlagesellschaften tritt auch die Vermehrung des Angebots und muß die Vermehrung des Angebots durch Privatisierung der öffentlichen Hand treten. Ich selber — und sicher viele meiner Parteifreunde — denke dabei an ein generelles Verfahren, durch das die Grundlage für die Privatisierung als laufenden Vorgang auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens gesetzlich geregelt wird.
Ich glaube, daß hier ein wertvoller Fundus an Kapitalangebot für die breiten Schichten entstehen kann und wir damit eine ganz andere Lösung als bis jetzt finden, d. h. eine Lösung, die über die seitherige Regelung und auch die Privatisierung hinausgeht.Als zweite flankierende Maßnahme erscheint es mir im Interesse einer Ertragssteigerung von Arbeitnehmerkapital reformbedürftig, daß dem Arbeitnehmer, wenn er Aktienkapitalerträge bezieht, dafür heute noch der Steuersatz von 51 % Körperschaftsteuer und von 25 % Kapitalertragsteuer einbehalten wird. Es wird Aufgabe des Bundestags sein, diese Ungereimtheit so bald wie möglich zu beseitigen, zumal dann, wenn der künftige Arbeitnehmer-Aktionär die ihm erlassene Körperschaftsteuer mit dem Kapital lanlegen und damit kumulieren kann. Auch erlassene Steuern helfen auf diese Weise, das Kap.italansammlungstempo in einer Weise zu beschleunigen, daß der Arbeitnehmer sehr bald nicht nur Arbeitnehmer im seitherigen Sinn, sondern auch ein achtbarer Kapitalbesitzer mit Kapitalertrag ist und damit die gesellschaftspolitische Umwandlung erfolgt, der wir alle zustreben.Als dritte flankierende Maßnahme muß die heute auch schon angesprochene Frage der Stimmrechtsausübung aus Kapitalbesitz durch den Arbeitnehmer mindestens erwogen werden; sie bedarf einer künftigen Überlegung. Es ist nämlich der Überlegung wert, daß der Arbeitnehmer, wenn er schon Kapitalanteile erwirbt, dann auch das Stimmrecht hieraus erhält und daß er dies künftig besser als bisher wirksam ausüben kann. Er muß dieses Stimmrecht haben, denn er muß mit dessen Hilfe für die bestmögliche Verwaltung seiner Anlage mit Sorge tragen. Über die Einzelheiten der dazu notwendigen Änderungen im Aktienrecht wird sich das Nachdenken lohnen. Sicher werden meine Freunde und ich das in hinreichender Form tun. Ich erwähne ausdrücklich, daß das keine Konkurrenz zur Mitbestimmung in ihren verschiedenen Formen, sondern ein davon unabhängiges Recht ist, das dem Arbeitnehmer genauso zusteht wie dem Selbständigen, wenn er Aktien erwirbt. Auch der Investmentaktionär darf bei größe-
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Häusslerrem Investmentkapitalvermögen auf die Dauer hinsichtlich des Stimmrechts nicht schlechter gestellt sein, als der einzelne Aktionär es ist.Als vierte flankierende Maßnahme zur Erleichterung des Erwerbs von Wertpapieren möchte ich die folgende nennen. Es müßte geprüft werden, ob dem Arbeitnehmer so, wie es auch bei dem Unternehmer geschieht, Starthilfe in Form von Krediten und Bürgschaften gegeben werden sollte.
Damit hätten wir eine Startbeschleunigung, und wir müßten Kapital, wie es sich etwa durch das ERP-Vermögen oder andere Quellen anbietet — man könnte an die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit denken, die ja auch mit als Existenzgründungskapital eingesetzt werden können —, in Anspruch nehmen. Wenn diese Quellen in Anspruch genommen werden können, wird auch die Startbeschleunigung für den Arbeitnehmer möglich sein.Ich möchte, um die Zeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, als letzten Punkt nur noch die flankierenden Maßnahmen auf dem Gebiet der Statistik und Tarifberichterstattung erwähnen. Ob und in welchem Umfang an welche Arbeitnehmergruppen und über welche Vertragsdauer die Arbeitnehmer vermögenswirksame Leistungen tarifvertraglich erhalten, muß mehr als bisher amtlich einwandfrei erfaßt werden. Nur dann kann Ihre Behauptung, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß dies ausreichend freiwillig möglich sei, auch nachgewiesen werden. Auf jeden Fall sind unsere Zweifel bis zur Stunde nicht beseitigt. Sicher muß es eine Registrierungsmöglichkeit durch die Tarifpartner geben. Die Bundesregierung sollte veranlaßt werden, künftig alle zwei Jahre einen klaren Vermögensbildungsbericht zu geben, damit offenkundig ist, was es mit der Behauptung, die Tarifpartner würden schon das Nötige vereinbaren, tatsächlich auf sich hat.
Mit diesen flankierenden Maßnahmen — zusammengenommen — werden wir die gesellschaftspolitische Weiterentwicklung entsprechend beschleunigen können. Das ist im Interesse der Erhaltung unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Eigentumsordnung notwendig. Diese Maßnahmen werden von uns begrüßt und sollten durchgeführt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage unserer Fraktion bringt eine Neuerung auf einem Gebiet, das heute etwas weniger behandelt worden ist: für den Bereich der so wichtigen mittelständischen Wirtschaft. Die Vorlage schafft zugleich für das Gesamtgebiet der Vermögenspolitik ein tragfähiges Fundament. Zu beiden Punkten möchte ich auch zu dieser späten Stunde noch etwas sagen.Sinnvolle Neuerungen zu erbringen und als Anfang die Entwicklung kommender Jahrzehnte mitzugestalten, einzuleiten und in die richtigen Bahnen zu lenken, das macht das Wesen einer wahren Reformpolitik aus. So ist unser Entwurf ein Beitrag zu einer wirksamen Gesellschaftspolitik, zu einer Gesellschaftspolitik der Reformen, zu einer Gesellschaftspolitik für die Zukunft. Bei aller Orientierung an der Zukunft bemühen wir uns, die wertvolle Erfahrung zu berücksichtigen, die wir in der Vermögenspolitik der letzten zehn und fünfzehn Jahre gemacht haben.Im Gegensatz zum Entwurf der Regierungsfraktionen meinen wir, daß es nicht genügt, nur die Sparneigung zu erhöhen, solange es in unserem Staat noch Menschen gibt, die nicht sparfähig sind.
Und das ist bei dem Entwurf der Regierungsfraktion nicht der Fall. — Ich bin dankbar, daß auch ein Mitglied dieser Fraktion mit applaudiert.-Zweitens meinen wir, daß es ganz sinnvoll ist, unsere Maßnahmen punktuell auf das Produktivvermögen zu richten, schon deshalb, weil Teilhabe am Produktivvermögen bedeutet, daß man an den Wachstumsgewinnen der Wirtschaft teilhat, weil aber Teilhabe am Geldvermögen allzu leicht Teilhabe am Geldwertschwund bedeutet. Und das ist gerade in diesen Tagen und in dieser Regierung ein besonders aktuelles Thema.
Ich meine außerdem, daß eine solche Neuerung, die wir für den mittelständischen Bereich vorhaben, eigentlich doch aus der Situation der Bundesrepublik nach dem Kriege resultiert. Diese Situation der Bundesrepublik nach dem Krieg brachte es mit sich, daß die Vermögensbildung, soweit sie staatlich beeinflußt war, vorwiegend den beiden fast extremen Polen unserer Bevölkerung zugute kam. Zuerst war es nötig, die Bildung auch großer Vermögen in der Wirtschaft zu erleichtern, damit Arbeitsplätze entstanden und die Schicht der Unvermögenden überhaupt Einkommen erzielen konnte, das sie auch in die Lage versetzen sollte, Ersparnisse und Vermögen zu bilden. Es gab damals Politiker, die radikal umverteilen wollten. Es ist gut, daß diese Politiker sich nicht durchsetzen konnten. Sonst hätten sie vielleicht gemerkt, daß man keinen Kuchen verteilen kann, bevor er überhaupt da ist.
— Sie hören es nicht gern, wenn ich etwas von vor Godesberg sage. Dafür habe ich absolutes Verständnis.
Dann wurde die Ersparnis- und Vermögensbildung der unvermögenden Schicht der Arbeitnehmer durch die Sparprämiengesetze, durch das erste und das zweite Vermögensbildungsgesetz gefördert.Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, wo es die Erfolge dieser Politik möglich machen, nicht nur die Arbeitnehmer nachhaltiger am Produktivvermögen, am Vermögen der Gesamtwirt-
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Pierothschaft überhaupt zu beteiligen, sondern auch die Gruppe, die zwischen Arbeitnehmern und Großunternehmen existieren muß: den Bereich der mittelständischen Wirtschaft. Das ist in unserem Entwurf in doppelter Hinsicht geschehen. Vor allem wird berücksichtigt, daß die Eigenkapitalversorgung dieser mittelständischen Bereiche mehr als dürftig ist. Wir berücksichtigen auch die Situation, die Kollege Rosenthal am 17. Februar hier von diesem Platze aus so zutreffend umschrieben hat, daß ich ihn mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren möchte:Unter den Selbständigen sind die armen Handwerker, die armen Eifelbauern und die Pleite gegangener Tante-Emma-Geschäfte, und bei den Arbeitnehmern sind die Minister und der Herr Philip Rosenthal.
An diese Beschreibung binden wir jetzt praktische Konsequenzen. Die „armen Eifelbauern" und „Tante Anna"
— nein, in diesem Fall geht es um die „Anna" — sind in unserem Gesetzentwurf, nicht jedoch in Ihrem Entwurf, in dem 624-DM-Gesetz, berücksichtigt. Wir leisten damit auf unsere Art und Weise einen Beitrag zu einer klassenlosen Gesellschaft.
— Ich soll doch sicherlich Ihr Lachen nicht so interpretieren, daß Sie für den Mittelstand nichts übrig hätten. Das meinen Sie doch gewiß nicht.
— Lieber 20 DM im Monat für alle als 624 DM und noch viel mehr für diejenigen Schichten, die schon privilegiert sind, die Sie aber als Rand- und Wechselwähler für die nächsten Landtagswahlen brauchen. Das ist doch die Wahrheit.
Herr Rosenthal hat auch am 15. April, nämlich heute, hier in diesem Hause gesprochen. Es fiel dabei das Wort von dem „Kapitän", der heute in der Vermögenspolitik die Gewerkschaften und die SPD seien. Interessant: die Gewerkschaften und die SPD! „Die SPD und die Gewerkschaften" hätte sich schon etwas anders angehört. Wenn Sie nicht den Vergleich mit dem Fußballspiel gebracht, sondern einen anderen Kapitän gemeint hätten, hätte ich jetzt gefragt: Was machen Sie mit Ihrem Koalitionspartner, mit den „Leichtmatrosen" auf diesem Gebiet? Machen die hier auch mit?
Das ist schon fraglicher.
Aber darauf kommt es mir weniger an. Sie sprachen nämlich vom „Abseitsstehen" der Gewerkschaften in früheren Zeiten. Jetzt stehen die Gewerkschaften nicht mehr abseits. Nun, das ist erfreulich. Sie sollten die Zeit wirklich nutzen, solange .die Gewerkschaften nicht abseits stehen, um umfangreiche Maßnahmen durchzuführen, denn wenn sich die nicht mehr vorhandene Abseitsstellung ebenso leicht wie auf dem Fußballfeld rückgängig machen ließe, wenn also die Bundesregierungen so schnell wechselten, hätten wir die Gewerkschaften bald wieder gegen uns. Vorher muß man aber gehandelt haben.
Bei unseren Maßnahmen handelt es sich eigentlich um zwei Maßnahmenbündel. Zum einen bemühen wir uns darum, daß die Kapitalströme durch unser Gesetz nicht zwangsläufig von der mittelständischen Wirtschaft weggeleitet werden. Wäre uns hierzu nichts eingefallen, wäre das der Fall. Deshalb haben wir § 3 Buchstabe e eingeführt, wonach eine direkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn und damit auch am Vermögen der Betriebe ermöglicht wird. Auf diese Art und Weise werden Kapitalmittel dem Betrieb also nicht entzogen, sondern sie können im Unternehmen bleiben.Aus Kreisen der mittelständischen Wirtschaft wird uns versichert, daß diese Form der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand sicherlich eine große Zukunft haben werde, was schon dadurch gewährleistet ist, daß auch in anderen Fraktionen darüber heute positiv nachgedacht wird. Wir machen hier jedenfalls Ernst mit unserer Vorstellung von der Arbeitspartnerschaft, von der Partnerschaft der Arbeitnehmer und der Unternehmer, allerdings auf freiwilliger Basis. Beide Seiten sollen das wollen.
— Ja, wir sind auf dem besten Wege dazu, wenn wir bald wieder dran sind.
Nach § 3 d müssen Unternehmen, die eine Direktbeteiligung der Arbeitnehmer nicht wünschen, nicht etwa gezwungenermaßen indirekt die Großindustrie finanzieren. Durch § 3 d werden die Kapitalbeteiligungsgesellschaften ausdrücklich in den Anlagekatalog aufgenommen. Bei voller Wahrung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit ist hier die Möglichkeit gegeben, daß Beteiligungskapital über diese Kapitalgesellschaften aufgenommen wird, so daß ein Rückfluß von Kapital, das der Mittelstand aufbringt, zum Mittelstand gewährleistet ist. Außerdem läßt sich diese Form der Kapitalbildung gezielt mit einem wirksamen Programm einer Mittelstandspolitik kombinieren.Das zweite Maßnahmebündel ist hier eingehend geschildert worden. Es besteht aus dem § 12, wonach Selbständige bis zu einem bestimmten Einkommen den Arbeitnehmern erstmalig gleichgestellt werden sollen — die Eifelbauern, Tante Anna und Tante Emma —, und aus dem § 11, wonach Betrieben bis zu 50 Arbeitnehmern eine Steuererleichterung in Höhe von 30 % gewährt wird. Sie sehen, daß unser Entwurf auf diese Art für den Mittelstand wesentliche Erleichterungen bringt. Das ist bei dem, was die Regierungsseite vorbringt, absolut nicht festzustellen.
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2198 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
PierothMeine Damen und Herren, ich sprach davon, daß durch unseren Entwurf eine Grundlage für eine zukunftsträchtige Vermögenspolitik geschaffen wird. Die SPD spricht von einem ersten Schritt. Ich verstehe das; es ist ja auch ihr erster Schritt. Auf zwei Fragen des Herrn Kollegen Breidbach und auf die Frage des Herrn Stücklen konnte heute Herr Dr. Nölling nicht sagen, was die SPD bisher in über 20 Jahren vorzuweisen hatte, ja, man konnte noch nicht einmal sagen, was man für die Zukunft vorhat.
Wir wundern uns eigentlich nur, warum dieser erste Schritt so zaghaft, so scheu erfolgt, warum Sie die 80 °/o, die bisher nach dem 312-DM-Gesetz nicht sparen konnten, nicht auch in den Genuß von Produktivkapital bringen wollen. Warum wollen Sie das nicht? Sind Sie in diesem Bereich doch noch nicht ganz in Godesberg angekommen, oder geht es Ihnen nur um die nächsten Wahlen? Ich hätte jedenfalls erwartet, daß man, bevor man denen, die schon etwas haben, mehr einräumt — was auch sehr schön ist —, zunächst einmal diese überwiegende Mehrheit begünstigt, die heute noch nicht sparen kann. Das verstehe ich unter einer sozialen Politik.
— Na, mir kommen vielleicht nicht so viel Gedanken wie Ihnen, Herr Wehner. Aber ab und zu kommt mir vielleicht auch einmal einer, und deshalb gebe ich auch gern Antwort darauf. Wir haben dieses Gesetz eingebracht, damit alle Arbeitnehmer zu Produktivvermögen kommen können, genau deshalb. Es wäre nach fast fünf Stunden eigentlich zu erwarten, daß man diesen Grundgedanken verstanden hätte.Meine Damen und Herren, das Ziel dieser Gesamtkonzeption einer Vermögenspolitik, für die unser Entwurf eine Grundlage für die Zukunft bieten soll, ist, ganz klar ausgedrückt, die wirksame Verteilung des Zuwachses — des Zuwachses! — am Produktivvermögen auf breiteste Schichten unseres Volkes. Im einzelnen habe ich das noch kurz zu erläutern.Erstens. Bis jetzt existierende Vermögen werden als Eigentum nicht angetastet. Hierzu besteht wohl in diesem Hause eine überwiegende Ztimmung, genauso wie dazu, daß eine sozial gerechtere Verteilung des Zuwachses angestrebt werden muß. Die christliche Eigentumslehre — das sollte nicht unterschlagen werden — war schon seit jeher etwas abgewogener in der Stellungnahme zum Eigentum. Sie anerkannte seine Individualnatur, d. h. seine Notwendigkeit für die Entwicklung des Individuums, betonte aber auch die Sozialnatur des Eigentums, seine Verpflichtung gegenüber dem Wohl der menschlichen Gemeinschaft. Liberalismus und Sozialismus haben sich nur sehr zögernd zu dieser Einstellung fortenwickelt. Das gilt zumindest für den politisch ernst zu nehmenden Liberalismus, und für den politisch ernst zu nehmenden Sozialismus in der Bundesrepublik gilt das wohl auch. Ich kann hier nur die Hoffnung aussprechen, daß der politisch ernst zu nehmende Sozialismus, wie er in der linken Hälfte dieses Hauses vertreten ist, diesen abgewogenen Standpunkt in der Eigentumsfrage gegenüber seinen linken Flügelmännern und den Jungsozialisten aufrechterhalten und verteidigen kann. Das ist das, was uns Sorge macht.
Sie sehen, daß wesentliche Grundzüge, die ein umfassendes vermögenspolitisches Programm für die Zukunft heute aufweisen muß, in unserem Gesetzentwurf enthalten sind. Niemand kann dieses Konzept hier und heute schildern. Es ist allenfalls möglich, noch kurz in drei Minuten einige Orientierungsmarken aufzustellen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist längst um.
Dann will ich schnell zum Schluß kommen, wenn Sie mir einen Jungfernzuschlag von zwei Minuten gewähren.
Ich werde Ihnen Gelegenheit geben, sich weiter zu üben. Fahren Sie fort.
Ich habe mich bemüht, wenigstens einige Grundzüge einer modernen Vermögenspolitik aufzuzeigen. Diese Grundzüge verlieren nur an Wirksamkeit, wenn sie vereinzelt und nicht in Kombination miteinander angewandt werden; sie verlieren auch an Wirksamkeit, wenn sie nur für den nächsten Tag oder für die nächsten Landtagswahlen gemacht werden. Deshalb benötigen wir in der Vermögenspolitik eine langfristige Zielprojektion. Diese vermissen wir bisher in der so reform- und projektionsfreudigen neuen Bundesregierung. Wir werden diesem Mangel weiterhin abhelfen, uns zu gegebener Zeit wieder melden. Wir werden diesem Mangel so abhelfen, wie es heute durch diesen unseren Entwurf geschehen ist.
Meine Damen und Herren, Sie haben aus meinen Worten gemerkt, daß es sich um eine Jungfernrede gehandelt hat.
Ich gratuliere dem Redner und bin überzeugt, es wird das nächstemal noch besser gehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur zu den Ausführungen. des Herrn Kollegen Rosenthaleinige Bemerkungen machen. Herr Kollege Rosenthal, ich nehme an, daß Sie in Ihrem Betrieb Zahlenmaterial besser geprüft haben, als Sie es heute bei Ihren Angriffen auf die
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Ott20jährige Regierungspolitik der CDU/CSU getan haben, denn sonst wären sie längst pleite gegangen. Das sind Sie nicht — das stelle ich fest —, so daß ich annehmen muß, daß in Ihrem Betrieb die Zahlen eine bessere Aussagekraft haben als die Zahlen, die Sie heute genannt haben. Sie haben behauptet, daß an der angeblichen nachteiligen Veränderung des Anteils der Unselbständigen am Gesamtvermögen die CDU/CSU-Fraktion schuld sei, und haben hier Zahlen genannt, die 'eigentlich für diesen Zweck nicht verwertbar sind. Ich darf nur eine Zahl nennen. Es stimmt gar nicht, was Sie sagen. Die Vermögen-steuerpflichtigen, also die, die über Vermögen verfügen können, sind in der Regierungszeit von 1953 bis 1966 um ganze 25 000 weniger geworden. Es waren 1953 479 000, 1966 454 000, also sind sogar einige ärmer geworden. Vielleicht ist das ein Teil der Mittelständler, von denen der Kollege Pieroth eben gesprochen hat, wogegen Sie als unselbständiger Arbeitnehmer sicherlich zu den Vermögensteuerpflichtigen gehören.Nun will ich Ihnen auch sagen, weshalb man die zur Verfügung stehenden Zahlen nicht verwerten kann. Was Sie an Zahlen zur Verfügung haben, ist die heutige Vermögensteuerstatistik. Daß die Vermögensteuerstatistik keine Aussage über die wirklichen Vermögenswerte und über die Aufteilung ermöglicht, wissen Sie sicherlich so gut wie ich.
—Eben! sehen Sie. Wenn Sie überall die wirklichen Werte einsetzen könnten, kämen Sie erstens auf eine wesentlich größere Zahl und zweitens auf ganz andere Anteile am Gesamtvermögen. Es ist also dringend notwendig, daß wir einmal eine Statistik bekommen, die über die wirklichen Werte, nicht die überholten Einheitswerte, auch etwas aussagt.
— In keiner Weise, Herr Kollege Rosenthal! Nein, durchaus nicht. Das waren die Dinge, die mit der Landwirtschaft und mit der EWG zusammenhängen, ja, ja.
— Ach nein, 'das können Sie ja nicht machen. Sie können doch nicht Einheitswerte für Grundstücke vom Jahre 1935 genauso bewerten wie sonstiges Vermögen, Sparguthaben usw.Ich will also die Geschichte nicht weiterführen. Wir sind bei den Einheitswerten vom Grundbesitz. Hiersind die Werte von 1935; auf der anderen Seite sind die Werte vom Jahre 1966. Das zusammengemischt gibt keinen Kuchen.Im übrigen ist 'festzustellen, daß wir 11/2 bis 2 Millionen Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungenhaben und daß wir auf der anderen Seite noch eine Vielzahl von Vermögen haben, die in der Statistik überhaupt nicht in Erscheinung treten, weil die Betreffenden 'entweder unter dem normalen Vermögensteuerfreibetrag liegen und hier gar nicht zählen oder weil sie auf der anderen Seite, obwohl sie über 'entsprechendes Vermögen verfügen, durch die entsprechenden Freibeträge ,ausscheiden. Hier gibt es doch die vielen Freibeträge für den Ehegatten, für die Kinder; es kommen die besonderen Freibeträge auf Grund des Alters, und es kommen wieder andere Freibeträge beim sonstigen Vermögen hinzu.Sie können also, Herr Kollege Rosenthal, mit dem Kuchen das Porzellan nicht kitten, das Sie heute zerschlagen haben, weil das, was Sie anführten, keine Grundlagen sind, um eine Aussagekraft zu haben, in welcher Weise sich Vermögen bei uns verschoben und gebildet hat oder überhaupt nicht bewertungsfähig ist. Ich würde bitten, daß wir uns, wenn wir darüber einmal sprechen, zunächst auf echte Aussagen von Zahlen stützen können und daß wir nicht das Material nehmen, das überhaupt keine Aussage gibt. Das war das Anliegen.
— Ich bin bereits am Ende. Das geht mich nichts an. Ich bin für Hessen nicht zuständig; da sind Sie zuständig.
Ich habe keine Wortmeldungen mehr. Die Beratungen zu Punkt 2 sind abgeschlossen.
Die Vorlagen sind nach den Vorschlägen des Ältestenrates zu überweisen an den Ausschuß für Arbeit undSozialordnung als federführenden, an die Ausschüsse für Wirtschaft und Finanzen sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Ist Idas Haus einverstanden? — Dann ist sobeschlossen.
Ich rufe als nächsten Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Durchführungsgesetzies zum Gesetz über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft
— Drucksache VI/602 — Herr Minister Ertl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landwirtschaft hatte infolge der Aufwertung durch die Bindung der Erzeugerpreise im Rahmen der EWG-Marktordnungen an dem sogenannten Grünen Dollar Einnahmeverluste von 1,7 Milliarden DM. Dank des weitgehenden Verständnisses, das die Landwirtschaft in ihrer schwierigen Situation nach der D-Mark-Aufwertung in diesem Hohen Hause und auch im Bundesrat gefunden hat, ist es gelungen, das Aufwertungsausgleichsgesetz im Dezember vorigen Jahres zu verabschieden und damit einen Teil der Aufwertungsfolgen für die Landwirtschaft abzufangen. Denn der umsatzsteuerliche Teil des Aufwertungsausgleichsgesetzes vom
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Bundesminister Ertl23. Dezember 1969 ermöglicht mit Sofortwirkung vom 1. Januar dieses Jahres an einen Teilausgleich für die von diesem Zeitpunkt an eintretenden Preissenkungen und mildert damit in einem den plötzlichen Preisbruch. Damit ist der Landwirtschaft eine sicherlich unbestritten notwendige Soforthilfe zuteil geworden. Dafür schulde ich diesem Hohen Hause einen ganz besonderen Dank, den ich ausdrücklich hier noch einmal abstatten möchte.Das Aufwertungsausgleichsgesetz bestimmt nun u. a., daß jährlich zusätzlich 920 Millionen DM zum Zwecke des weiteren Aufwertungsausgleichs für die Landwirtschaft in den Bundeshaushalt eingestellt werden. Mit diesen Mitteln sollen die Aufwertungsfolgen für die Landwirtschaft ausgeglichen werden, die mit der Vergünstigung auf Grund der Veränderung des Umsatzsteuerrechts im Aufwertungsausgleichsgesetz nicht abgedeckt sind. Nach Art. 6 des Aufwertungsausgleichsgesetzes ist die Verwendung dieser 920 Millionen DM durch ein besonderes Durchführungsgesetz zu regeln. Den Entwurf dieses Gesetzes lege ich Ihnen hiermit in Drucksache VI/602 vor.Gestatten Sie mir nur einige wenige Bemerkungen, mit denen ich Ihnen die besonderen Schwierigkeiten des Direktausgleiches von Aufwertungsfolgen für die Landwirtschaft vor Augen führen möchte. Die Verteilung von direkten Einkommenshilfen für bestimmte Bevölkerungsschichten wird sicherlich immer problematisch sein, denn es müßte ein möglichst gerechter Ausgleich der Einkommenseinbußen gefunden werden, ohne daß dabei jedoch die Notwendigkeit eines praktikablen Verfahrens und damit einer möglichst schnellen Auszahlung der Entschädigung vernachlässigt wird.Angesichts des schwierigen Verteilungsproblems habe ich daher von Anfang an größten Wert auf den Rat und die Erfahrungen kompetenter Sachverständiger aus Wissenschaft und Praxis gelegt. In diesen Bemühungen habe ich die volle Unterstützung auch des Ernährungsausschusses des Deutschen Bundestages gefunden — ich bedanke mich dafür —, der zur Frage der Verteilung der 920 Millionen DM ein Hearing veranstaltet hat, bei dem Vertreter der landwirtschaftlichen Praxis, der Wissenschaft, der berufsständischen Organisationen und der Verbände ihre Auffassungen darlegen konnten. Um einen möglichst verursachungsgerechten Ausgleichsmodus zu finden und den einzelnen Produktionszweigen gerecht zu werden, ist weiterhin ein Praktikerausschuß einberufen worden. Ferner sind die Länder frühzeitig in die Beratungen einbezogen worden. Ich glaube, daß die Auswertung der umfangreichen Erörterungen die wesentliche Grundlage war, um für den Direktausgleich einen zweckgerechten und aúsgewogenen Weg zu finden. Auf Einzelheiten brauche ich an dieser Stelle nicht einzugehen.Gestatten Sie mir jedoch einige Bemerkungen zum Verteilungsschlüssel. Die Aufwertungsverluste in der Landwirtschaft sind je nach Art der Bodennutzung unterschiedlich. Landwirtschaftlichen Erzeugnissen, bei denen die Aufwertung in voller Höhe des Aufwertungssatzes auf die Verkaufserlöse durchschlägt, stehen andere mit einer geringeren Aufwertungsinzidenz gegenüber. Diese Unterschiede ließen sich bei dem umsatzsteuerlichen Teilausgleich auf Grund des Aufwertungsausgleichsgesetzes nicht berücksichtigen. Andererseits ist nach der Verordnung 2464/69 des Rates der EWG der mehrwertsteuerliche Ausgleich auf den Gesamtausgleich anzurechnen. Eine einzelbetriebliche Verrechnung und ein umsatzbezogener Gesamtausgleich je Betrieb wäre, so wünschenswert er auch ist, nur an Hand von Buchführungsunterlagen der Betriebe möglich, über die aber nur ein geringer Teil aller Landwirte verfügt. Die Masse der landwirtschaftlichen Betriebe ist daher nicht in der Lage, ihre Verluste und den darauf erfolgten umsatzsteuerlichen Teilausgleich zu erfassen und auszuweisen.Um dennoch ein möglichst gerechtes und zügig durchführbares Ausgleichsverfahren zu finden, wurde eine größere Zahl möglicher Verteilungsschlüssel in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Praxis geprüft. Die in diesen Beratungen ausgesprochenen Empfehlungen liefen einheitlich darauf hinaus, einen Ausgleichsmodus zu finden, der nicht nur gerecht, sondern praktikabel und schnell durchführbar ist. Darüber hinaus muß das Verfahren natürlich EWG-konform sein. Die Notwendigkeit, einen gerechten Ausgleich unter diesen Bedingungen zu finden, gaben dem Problem des Direktausgleichs den Charakter eines magischen Vierecks, bei dem die absolute Priorität einer Forderung immer zu Lasten einer anderen geht. Auf der Grundlage der umfangreichen Erörterungen mit der Praxis und Wissenschaft stellte sich nach Abwägung aller Vor-und Nachteile heraus, daß sich die genannten Forderungen mit einem differenzierten Flächenschlüssel weitgehend erfüllen lassen und daß die Verteilung über einen differenzierten Flächenschlüssel am geeignetsten ist. Diesem Gesichtspunkt trägt dieser Gesetzentwurf Rechnung.Um dem immer wieder von seiten der Praxis hervorgehobenen Erfordernis einer schnellen und einheitlichen Auszahlung der Ausgleichsmittel möglichst zu entsprechen, sieht der Entwurf vor, daß die Mittel durch die landwirtschaftlichen Alterskassen ausgezahlt werden. Denn die landwirtschaftlichen Alterskassen, die bereits 1965 die Anpassungshilfen durchgeführt haben, verfügen über eine günstige technische und organisatorische Voraussetzung und können für rund 92 v. H. der voraussichtlich anspruchsberechtigten Nutzfläche das zeitsparende Amtsverfahren anwenden.Meine Damen und Herren, ich möchte nochmals betonen, daß der Gesetzentwurf auf einen möglichst gerechten, praktikablen und schnell durchführbaren Ausgleich hin angelegt ist und angesichts der umfangreichen Erörterungen mit Wissenschaft und Praxis ein in dieser Beziehung ausgewogenes Verfahren bringt. Sicher bestehen in einzelnen Punkten unterschiedliche Meinungen. Das wird sicher auch bei den Beratungen in den Ausschüssen von Bundestag und Bundesrat zum Ausdruck kommen. Das ist aber angesichts einer so komplizierten Problemlage auch wohl kaum anders zu erwarten. Dennoch meine ich, daß unter Berücksichtigung des Datenkranzes
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Bundesminister Ertlmit dem Ihnen vorliegenden Regierungsentwurf der zweckmäßigste Weg gefunden worden ist.Bei den Beratungen in diesem Hohen Haus sollte bedacht werden — und ich darf sehr herzlich darum bitten —, daß eine schnelle Lösung und eine schnelle Beratung dieses Gesetzentwurfs von besonderer Bedeutung sind. Denn gerade zur Jahresmitte hin werden die Aufwertungsfolgen besonders spürbar und wird sich die Liquiditätslage der landwirtschaftlichen Betriebe verschlechtern. Zu diesem Zeitpunkt ist die Landwirtschaft daher gerade auf die Ausgleichszahlungen angewiesen. Ich glaube auch, daß die vom ganzen Hause völlig unbestrittene Notwendigkeit des vollen Ausgleichs der Aufwertungsverluste unserer Landwirtschaft die Verpflichtung impliziert, mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften dafür zu sorgen, daß die Ausgleichsmittel der Landwirtschaft möglichst schnell zugute kommen.In diesem Sinne darf ich das Hohe Haus bitten, die Beratung des vorgelegten Entwurfs zügig vorzunehmen und ihn so bald wie möglich zu verabschieden, damit die Ausgleichsmittel der Landwirtschaft möglichst noch vor der Ernte zugute kommen.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Bewerunge.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Durchführungsgesetzes zum Gesetz über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark .auf dem Gebiet der Landwirtschaft vorgelegt. Der Inhalt dieses Entwurfs zeigt im Zusammenhang mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Geschehen in der Bundesrepublik mit aller Deutlichkeit das wirtschaftliche Fehlverhalten im agrarpolitischen und wirtschaftlichen Bereich.Das von Herrn Schiller viel gepriesene Allheilmittel der Aufwertung der D-Mark als einziges Instrument der Konjunktursteuerung, ohne den Mut zu beweisen, ergänzende Maßnahmen zu ergreifen, hat offensichtlich versagt.
— Herr Kollege Wehner, ich komme noch auf Zahlen zurück; ich hoffe, dann werden Sie überzeugt. — Der deutschen Landwirtschaft ist durch die Schillersche Währungspolitik, die vom jetzigen Landwirtschaftsminister, so muß ich leider sagen, unterstützt worden ist, infolge Preissenkungen schwerer Schaden zugefügt worden. Die Verbraucher sind getäuscht worden;
denn für sie sind die Nahrungsmittelpreise nicht, wie es Herr Schiller versprochen hat, gesunken, sondern wesentlich höher geworden. Das ist in wenigen Worten zusammengefaßt, das traurige agrarpolitische Ergebnis der Arbeit einer nur wenige Monate im Amt befindlichen linksliberalen Regierung.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung einen Teil des Verlustes der deutschen Landwirtschaft, .der durch die Aufwertung entstanden ist, ausgleichen. Sie wendet dabei Methoden an, die sehr gut verdeutlichen, welche Einstellung sie gegenüber der Landwirtschaft hat. Denn 1970 und 1971 sollen jährlich 920 Millionen DM als direkter Ausgleich gewährt werden. Aber schon 1972 und 1973 werden diese Mittel um 110 bzw. 220 Millionen DM gekürzt. Ab 1974 gibt es nach dem Willen der Bundesregierung dann gar keine unmittelbaren Ausgleichszahlungen mehr. Die Ausgleichsmittel fließen dann nur noch Struktur- oder strukturbeeinflussenden Sozialmaßnahmen zu.Für die deutschen Bauern sind dies wahrhaft deprimierende Aussichten. Sie müssen erkennen, daß diese Regierung sie in einer Umwelt steigender Preise nach wenigen Jahrein die Folgen der Aufwertung durch Preissenkung ohne unmittelbaren Ausgleich spüren läßt.
— Unsere Haltung zur Aufwertung ist Ihnen bekannt.Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, wenn sie auf die im Hearing vor dem Ernährungsausschuß von Wissenschaftlern und anderen bekannten Fachleuten aus dem Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft geäußerten Bedenken gehört hätte. Die Ausgleichszahlungen hätten ihren Sinn verfehlt, wurde von den Wissenschaftlern gesagt, wenn sie für andere Zwecke als für den unmittelbaren Einkommensausgleich verwendet würden.Die in dem vorliegenden Gesetzentwurf erkennbaren Tendenzen wiegen um so schwerer, wenn man berücksichtigt, daß der Bundeskanzler selbst und mehrere Mitglieder der 'Bundesregierung sich immer für einen vollen Einkommensausgleicheingesetzt haben. In Ziffer 1 der Begründung dieses Entwurfs steht wörtlich ebenfalls — wenn ich zitieren darf —:Die Bundesregierung hat daher in ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 die Zusage gegeben, die als Folge der Aufwertung der Deutschen Mark um des Gemeinwohls willen hinzunehmende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage der deutschen Landwirtschaft durch geeignete Maßnahmen voll auszugleichen.Die Gegenüberstellung 'der Worte und Taten macht abermals deutlich, was man von der agrarpolitischen Konzeption dieser Bundesregierung halten kann.Es soll noch einmal ins Gedächtnis zurückgerufen werden, daß der Gesamtverlust der deutschen Landwirtschaft mit 2,2 Milliarden DM errechnet wurde.
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2202 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Bewerunge780 Millionen DM sollten durch die Mehrwertsteuer ausgeglichen werden, 920 Millionen DM durch die Ausgleichszahlungen, und es wurde errechnet, daß die Einsparungen beim Einkauf verbilligter Betriebsmittel 500 Millionen DM .ergäben.Zu dem letzten möchte ich doch .einiges sagen. Sicher lassen sich erst nach einem Jahr die tatsächlichen Einkommensverluste ermtitteln. Eines zeichnet sich jedoch heute schon sehr deutlich ab. Die früher von der Bundesregierung auf 500 Millionen DM geschätzten Ersparnisse beim Einkauf von. Betriebsmitteln werden auf Grund der von Schiller zu verantwortenden Inflationspolitik .auf keinen Fall eintreten.
— Die Bundesbank, Herr Kollege Wehner, eine durchaus seriöse Quelle, rechnet für 1970 mit einer Steigerung der Effektivlöhne um 15 %, die wir sogar schon in drei Monaten dieses Jahres erreicht haben. Die Kosten je Produktionseinheit, heißt es, werden um 7 bis 8 % steigen. Die industriellen Erzeugerpreise steigen um 9 % , und die Lebenshaltungskosten haben sich schon bis März um 3,7 % erhöht. Ich will kein Optimist und kein Pessimist sein. Wenn die Bundesregierung nicht handelt, ist zu erwarten, daß diese Erhöhung 5 bis 6 % erreichen wird.Für die Landwirtschaft, die sich infolge ihrer engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der gesamten Volkswirtschaft dieser Entwicklung gar nicht entziehen kann, hat dies schwerwiegende Folgen. Kurzfristige Kredite werden mit 11 bis 14 % zur Verfügung gestellt. Bei stark steigenden Kasten auf den Sektoren Baumaßnahmen, Maschinenbeschaffung und -reparaturen ist vielfacheine ordnungsgemäße Wirtschaftsführung bei sinkenden Agrarpreisen gar nicht mehr möglich. Die Preisentwicklungen auf idem Baumarkt sind geradezu katastrophal. Die Preisauftriebstendenzen sind höher als 1962, als man in diesem Hause — —
Herr Abgeordneter, ist es Ihnen nicht möglich, in freier Rede zu sprechen?
Einverstanden! Mir wurde gesagt, daß es Erklärungen sein sollten.
— Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Kollege.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur können aus den vorgenannten Gründen kaum noch durchgeführt werden. Sie wissen, daß zinsverbilligte Mittel keinen Sinn haben, wenn man zwar von einem nominellen Zinssatz von 7,5 % ausgeht, aber der Auszahlungskurs nur 88 % ist.
Wir sollten uns einmal die gesamte Strukturpolitik überlegen. Ist die Schaffung von Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft die einzige Maßnahme, die wir durchzuführen haben? Wie sieht es aus, Herr Minister Ertl, wenn die Investitionsbeihilfen im gewerblich-industriellen Bereich bei 15 %, teilweise sogar bei 25 % liegen, in der Landwirtschaft aber einfach gestrichen sind?
Herr Minister Ertl, ich muß Sie fragen, wie kommen Sie dazu, auch hier im Plenum fast immer beschwörend zu sagen: Reden Sie bitte nicht über die Ausgleichszahlungen für die Landwirtschaft; denn bei näherer Prüfung sind die Verluste gar nicht 'so hoch! Ich glaube, in bezug auf die 500 Millionen DM, die 'die Wissenschaft errechnet hat, werden Sie mir zugeben, daß es geradezu eine Illusion ist, 'zu glauben, daß diese Verluste nicht so hoch sind; vielmehr weitaus höher.
Im sozialen Bereich — darin hat die Regierung sehr viel versprochen — stellen wir fest, daß nach Ihren Unterlagen der Etat für das Altersgeld — diejenigen ausgenommen, die die Landwirtschaft verlassen — um 34 Millionen DM gekürzt ist.
Nun hat dieser Gesetzentwurf in sich eine erhebliche — —
— Ich meine, das paßt gut ins Protokoll: Die Landwirte zahlen auch nicht viel! Das ist also Ihre grundsätzliche Einstellung; ich nehme das gern zur Kenntnis.
Dieser Gesetzentwurf enthält eine Menge von Ungereimtheiten. Das darf ich aus der Kenntnis der Statistiken von ungefähr 80 000 Betrieben in Westfalen-Lippe sagen. Sie werden mir zugeben, Herr Minister Ertl, daß es die Tragik aller tüchtigen Landwirte ist, daß sie hierbei erhebliche Verluste erleiden, weil man einen landwirtschaftlichen Betrieb einfach nicht normieren kann und weil die Unterschiede innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe zu groß sind.
— Herr Dr. Schmidt, ich habe eine ganze betriebswirtschaftliche Abteilung. Wir gehen nach den verschiedenen Bodennutzungssystemen. Sie als praktizierender Landwirt wissen genau wie ich, daß nicht nur die Bodennutzungsart das Betriebsergebnis bringt beeinflußt, sondern gerade die Stärke der Veredelung. Wenn Sie es nachrechnen wollen, kann ich es Ihnen gleich schwarz auf weiß zeigen.
Herr Abgeordneter Schmidt [Gellersen], Sie können Zwischenrufe machen, aber nicht einen Dialog führen.
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Bewerunge .: Ich stelle nur fest, daß selbst Herr Minister Ertl gesagt hat, daß diese Verteilung von 920 Millionen DM ein recht problematisches und gar nicht einfaches Unterfangen sei.Herr Dr. Schmidt, Sie werden mir zugeben, wenn wir beispielweise einen Ausgleich für Handwerker nach Quadratmeter Werkstattfläche berechnen wollten, würde uns jeder als albern bezeichnen. Wir gehen mit der Bodennutzung einen Weg, der einfach unverantwortlich ist; aber wir wissen, wie schwierig das ist.
— Nein, das ist kein merkwürdiger Vergleich. Wirhaben uns daran gewöhnen müssen, daß die Landwirtschaft dauernd in dieser Form behandelt wird.Wir haben uns die Stellungnahme des Bundesrates angesehen. Wir werden uns Mühe geben, den Gesetzentwurf zügig zu behandeln. Wir wollen versuchen, soweit das möglich ist, ihm die Ungereimtheiten zu nehmen. Ich darf aber feststellen, daß uns die Stellungnahme des Bundesrats bezüglich der ausschließlichen Auszahlung über Alterskassen schon einmal beschäftigt hat, und zwar aus rechtssystematischen Gründen. Wir empfehlen, diesen Gesetzentwurf auch dem Rechtsausschuß zu überweisen, damit solche Schwierigkeiten nicht eintreten können.Ansonsten kann ich nur sagen: Wir wollen versuchen, angesichts der Schwierigkeit das Beste daraus zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt [Gellersen] zur Abgabe einer Erklärung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich für meine Freunde folgendes erklären. Mit dieser Vorlage auf Drucksache VI/602 löst die Bundesregierung in konsequenter Fortsetzung die anläßlich der D-Mark-Aufwertung gegebenen Zusagen ein. Der durch die Veränderung des Mehrwertsteuergesetzes notwendig gewordene Ausgleich wurde als erster Schritt termingerecht am 1. Januar dieses Jahres wirksam. Das läuft zur vollen Zufriedenheit.
In diesem Zusammenhang möchte ich einen Hinweis geben, und zwar in erster Linie an die Adresse der Länderfinanzminister und der ihnen unterstellten Finanzämter, nämlich daß die Erstattung der Mehrwertsteuererhöhung wesentlich zügiger als bisher vor sich gehen muß; denn sonst könnte es noch dazu kommen, daß die Landwirtschaft nicht in den vollen Genuß der 3 %igen Erhöhung kommt.
Zum vorliegenden Gesetzentwurf haben wir durch eine Anhörung am 22. Januar dieses Jahres wesentliche Vorarbeiten für diesen Regierungsentwurf und für die Beurteilung der gesamten Materie geleistet.
Die Vorlage, die jetzt dem Ausschuß überwiesen wird, ist sicherlich nicht die Ultima ratio der Gerechtigkeit, die es bei dieser schwierigen Situation und Lage wohl auch nicht geben kann.
Den Aufwertungsverlust — das an Ihre Adresse gesagt, Herr Bewerunge — auf einige Quadratmeter Blumenzwiebeln herunterzurechnen, erscheint doch unmöglich. Es muß uns um eine unter Würdigung aller Aspekte optimale Lösung gehen. Die Regierungsvorlage zeigt nach unserer Meinung den richtigen Weg. Wir sollten im Grundsatz daran festhalten.
Ich will in diesem Augenblich nicht auf Einzelheiten dieses Entwurfs eingehen, will aber hinzufügen, daß der Ausschuß möglicherweise zu einer anderen Bewertung der Kulturen kommt. Die Einlassungen der Verbände und der Offentlichkeit sind vielschichtig und weit gespannt. Sie reichen von Vorschlägen über ein — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nachher, wenn ich zu Ende bin. Einen Moment!Die Einlassungen der Verbände und der Offentlichkeit sind vielschichtig und weit gespannt. Sie reichen von Vorschlägen über ein völlig anderes Verfahren bis zu einer sehr groben Steuerung der Mittel. Aber wir haben bereits morgen im Ausschuß ausreichend Gelegenheit, das zu diskutieren.Auch hinsichtlich des Durchführungsweges möchte ich der Regierungsvorlage den Vorzug geben.Lassen Sie mich dabei noch auf einen besonderen Aspekt hinweisen. In § 1 Abs. 4 ist festgelegt, daß die Mittel des Einkommensausgleichs über das Jahr 1973 hinaus für Maßnahmen der Sozial- und Strukturpolitik verwendet werden sollen. Bereits in den beiden Jahren davon ist durch Beschluß des EWG-Ministerrats, an den wir gebunden sind, meine Herren, festgelegt, daß der Einkommensausgleich schrittweise mit sozialen und strukturpolitischen Maßnahmen zu verbinden ist.
Diese Verbindung sollten wir elastisch halten. Im Ausschuß werden wir das näher erläutern.Abschließend noch eine Bemerkung allgemeiner Art: Uns geht es darum, daß dieser Einkommensausgleich in vollem Umfang und so schnell als möglich der Landwirtschaft zur Verfügung steht. Es ist deshalb unfruchtbar und ein unnötiger Streit — den haben Sie heute wieder entfacht, Herr Kollege Bewerunge —, ob der Gesamtbetrag des Ausgleichs richtig oder falsch angesetzt ist. Ich halte ihn für richtig.
Wir lassen daran auch nicht rütteln. Ich kann abernur davor warnen, dieses Zahlenspiel um die Höhedes Ausgleichs auch in den kommenden Wochen
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2204 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Dr. Schmidt
fortzusetzen. Das könnte in der Tat ins Auge gehen. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die sowohl hier im Hause als auch draußen im Lande den Bauern eine Situation vorgaukeln, die jenseits jeder Realität ist. Dazu gehören auch Ihre soeben gemachten Ausführungen, Herr Bewerunge.
Sie scheinen in den letzten Wochen nichts hinzugelernt zu haben. Und durch die Wiederholung alter Kamellen — lassen Sie mich das ganz offen sagen — wird die Sadie nicht richtiger.Meine Damen und Herren! Die Vorlage dieses Gesetzentwurfs stellt sicher, daß bei energischer Arbeit und Zusammenarbeit in diesem Hause das Gesetz bereits im kommenden Monat verabschiedet werden kann, so daß die Landwirtschaft schon im Sommer in den Genuß des Ausgleichs gelangt.Mit der vom Ältestenrat vorgeschlagenen Ausschußüberweisung erklären wir uns einverstanden.
Herr Abgeordneter Dr. Schmidt, Sie sind Herrn von Thadden noch eine Antwort schuldig. Er will Sie etwas fragen.
Dr. Schmidt ,(SPD) : Bitte sehr!
Herr Kollege, würden Sie jemandem, der als Neuling in die parlamentarischen Geheimnisse eindringen möchte, einmal erklären, warum Sie für diese Ihre Ausführungen die feierliche Bezeichnung „Erklärung" gewählt haben, warum ,das also nicht eine ganz normale Rede gewesen ist?
Diese Erklärung ist mit meinen Freunden und den zuständigen Arbeitskreisen abgestimmt.
— Die habe ich für meine Freunde abgegeben. Das lernen Sie aber noch.
Herr Abgeordneter von Thadden, ich habe Ihrem Lebenslauf entnommen, ,daß Sie Jurist sind. Ich nehme an, daß Sie einen Satz des römischen Rechts kennen: „Falsa demonstratio non nocet". Muß ich übersetzen?
— Herr Peters, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab. Die Bundesregierung hatte in ihrer Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 der Landwirtschaft versprochen, Einkommensminderungen aus der Aufwertung der DM voll auszugleichen. Der Einkommensverlust aus der Aufwertung wegen der Bindung der EWG-Marktordnungspreise an die Rechnungseinheit ist auf 1,7 Milliarden DM geschätzt.
Die Preisentwicklung für landwirtschaftliche Erzeugnisse ergibt, daß die Schätzung der Preisrückgänge auf Grund der Aufwertung nicht zu niedrig gehalten war. Durch das Aufwertungsausgleichsgesetz vom 23. Dezember 1969 ist ein Ausgleich über die Mehrwertsteuer von zusätzlich 3 '°/o gleich 780 Millionen DM und ein Ausgleich über Haushaltsmittel in Höhe von 920 Millionen DM beschlossen worden. Die Mehrwertsteuerregelung trat am 1. Januar 1970 in Kraft und hat sich voll bewährt.
— Das sage ich, Herr Bewerunge. Sie können dem widersprechen.
Jetzt liegt dem. Deutschen Bundestag der Entwurf eines Durchführungsgesetzes zum Gesetz über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der DM auf dem Gebiet der Landwirtschaft vor. Durch dieses Gesetz soll die Verteilung der Haushaltsmittel in Höhe von 920 Millionen geregelt werden. Als unmittelbare Ausgleichszahlungen für 1970 und 1971 je 920 Millionen DM, für 1972 810 Millionen DM und für 1973 700 Millionen DM vorgesehen. Für 1972 sollen zusätzlich 110 Millionen und für 1973 zusätzlich 220 Millionen für sozialpolitische Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, so daß wie versprochen, Herr Bewerunge, der Ausgleich ohne Degression erfolgt.
Die Regierungsvorlage geht davon aus, daß über den Mehrwertsteuerausgleich hinaus der Barausgleich nach einem differenzierten Flächenschlüssel erfolgt. Dieser differenzierte Flächenschlüssel berücksichtigt den unterschiedlichen Umsatz der landwirtschaftlichen Erzeugung. Andererseits ist die Einteilung in drei Gruppen — erste Gruppe Getreide-und Futterbau, zweite Gruppe Hackfrucht und dritte Gruppe Obst und Gemüse — so einfach, daß ein zügiges Verwaltungsverfahren gewährleistet ist. Für die drei Gruppen sind die Flächenmultiplikatoren 1, 11/2 und 4 vorgesehen.
Unverständlich ist uns, daß der Agrarausschuß des Bundesrates statt dieser drei Gruppen nur zwei Gruppen vorschlägt, also die Hackfruchtgruppe der ersten Gruppe zuteilen möchte. Damit würde erheblich von dem immer wieder betonten Prinzip abgewichen, daß der tatsächliche Verlust möglichst gerecht ausgeglichen werden soll. Wir können zwar verstehen, daß die Bundesländer bereit sind, die Flächenausgleichsbeträge über ihre Dienststellen zu verteilen. Die Bundesregierung wünscht jedoch die Verteilung über die landwirtschaftlichen Alters-
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Peters
kassen, um eine gleichmäßige und die schnellste Verteilung zu gewährleisten. Die FDP stimmt dem zu.
In der letzten Phase der Gesetzgebung über den Ausgleich für Folgen der Aufwertung der DM stellt die FDP fest: Die Aufwertung der DM war unvermeidlich. Durch die Aufwertung wurde das Unterlaufen der landwirtschaftlichen Marktordnungspreise in der Bundesrepublik beendet, das der Landwirtschaft einige hundert Millionen Schaden zugefügt hatte. Durch die Aufwertung wird eine bedauerliche Kostensteigerung gebremst. Die Bundesregierung gewährt der Landwirtschaft den vollen Ausgleich. Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise belegt, daß der geschätzte Währungsverlust mindestens voll erfaßt ist. Die Lage der Landwirtschaft hat sich durch die Aufwertung und durch die Ausgleichsmaßnahmen nicht verschlechtert, sondern verbessert.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. — Wollen Sie noch eine Erklärung abgeben, Herr Dr. Schmidt ?
Nein, eine Bemerkung. Es ist mir völlig unerklärlich, was die Vorlage im Rechtsausschuß soll, weil es dabei Rechtsprobleme nicht gibt. Das bedeutet nur eine Verzögerung. Aber die verantworten Sie.
Ich stelle fest, der Ältestenrat — —
— Bitte!
Wenn wir beschließen, daß wir uns durch ein internes Rechtsgutachten erklären lassen können, daß die Auszahlung über die Alterskassen nicht verzögert wird — Sie wissen genau, Herr Dr. Schmidt, daß es eine verfassungsrechtliche Frage geworden ist —, sind wir einverstanden. Wir wollen in keiner Weise verzögern. Aber es wäre doch schlimm, wenn wir nachher wieder die Schwierigkeiten hätten, wie wir sie schon mal gehabt haben. Das wissen Sie ganz genau.
— Die Frage stammt nicht von mir, sie stammt vom Bundesrat, der das festgestellt hat.
— Der Rechtsausschuß soll dan gutachtlich gehört werden. Wir denken nicht daran, zu verzögern.
Ich versuche, die Anträge zu entwirren. Der Ältestenrat hatte vorgeschlagen: Überweisung an den Ausschuß fürErnährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend —, an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Nun wollen Sie noch den Rechtsausschuß gutachtlich hören?
— Nur gutachtlich hören. Besteht Einverständnis?— Dann ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir den Rest der Tagesordnung erledigen. Es sind lauter Punkte ohne Aussprache.Punkt 7 ist für Freitag vorgesehen, Punkt 8 ist ebenfalls für Freitag vorgesehen.Ich schlage Ihnen vor, die Punkte 9 bis 13 — erste Beratungen — gemeinsam zu erledigen. Die Punkte 9 bis 13 sind hiermit aufgerufen — es handelt sich um Gesetzentwürfe, die von Mitgliedern des Hauses und von der Bundesregierung vorgelegt sind —:Erste Beratung des von der Fraktion der SPDeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überdie Befugnisse von Enquete-Kommissionen— Drucksache VI/ 546 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz
— Drucksache VI/ 584 —Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften— Drucksache VI/ 560 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Schlachtgewichtsstatistik— Drucksache VI/ 566 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 und zum Protokoll zur Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964— Drucksache V1/567 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Somit sind überwiesen: Punkt 9 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — federführend — sowie an den Rechtsausschuß, Punkt 10 an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung, Punkt 11 an den Innenausschuß, Punkt 12 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Innenausschuß, Punkt 13 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
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2206 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. April 1970
Vizepräsident Dr. Schmid Punkt 14:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kaffeesteuergesetzes und des Teesteuergesetzes— Drucksache VI/ 396 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/ 607 — Berichterstatter:-Abgeordneter Dr. Häfele
Wünscht der Herr Berichterstatter seinen Bericht mündlich zu erstatten? — Das ist nicht der Fall.Dann rufe ich in der zweiten Beratung die Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme in zweiter Beratung.Ich rufe zurdritten Beratungauf. Wer dem Gesetz als Ganzem zustimmen will, der möge sich erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Mai 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über zoll- und paßrechtliche Fragen, die sich an der deutsch-österreichischen Grenze bei Staustufen und Grenzbrücken ergeben— Drucksache VI/ 305 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI /590 —Berichterstatter: Abgeordneter Baeuchle
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, —Einleitung und Überschrift.—Keine Wortmeldungen. Es handelt sich um ein Zustimmungsgesetz; wir brauchen keine dritte Beratung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Punkt 16:Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. September 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern bei den Unternehmungen der Luftfahrt— Drucksache VI/ 397 — Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/ 585 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Auch hier wird der Bericht nicht mündlich erstattet.Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift. Auch hier handelt es sich um ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Punkt 18 der Tagesordnung:Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den Antrag der Fraktionen der SPD, FDPbetr. Vorlage eines Entwurfs für ein Verwaltungsverfahrensgesetz— Drucksachen VI/ 409, VI/ 579 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schneider
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ausschuß schlägt dem Haus vor, den Antrag anzunehmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Es ist so beschlossen.Punkt 19 der Tagesordnung:Beratung der Ubersicht 3 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache VI/ 562 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lenz
Auch hier wird kein Bericht erstattet. Der Antrag des Ausschusses lautet, der Bundestag wolle beschließen, von einer Äußerung und einem Verfahrensbeitritt zu den aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Wer einverstanden ist, möge das Handzeichen geben. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe hiermit die Punkte 20 bis 23, die wir zusammenfassen können, auf:20. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates für die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über schädliche Abgase von Kraftfahrzeugmotoren mit Fremdzündung— Drucksachen VI/ 72, VI/ 529 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Vizepräsident Dr. Schmid21. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EG- Kommission für einea) Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in der Bundesrepublik Deutschland dienstlich verwendet werdenb) Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden— Drucksachen VI/ 408, VI/ 576 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
22. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eineVerordnung des Rates zur Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für SpinnfasernVerordnung des Rates zur Ausdehnung der für Ölsaaten geltenden Preisregelung auf Leinsamen— Drucksachen V/4689, VI/ 592 — Berichterstatter: Abgeordneter Sander23. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für einea) Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1014/68 zur Festlegung der Grundregeln für die öffentliche Lagerhaltung von Magermilchpulverb) Verordnung des Rates zur Änderung (EWG) Nr. 1043/68 über die Grundregeln zum Ausgleich der Auswirkungen der Berichtigungsbeträge, die auf die Interventionspreise gewisser Milcherzeugnisse angewandt werden— Drucksachen VI/ 203, VI/ 284, VI/599 — Berichterstatter: Abgeordneter KiechleEs handelt sich um Berichte der Ausschüsse zu Vorschlägen der Kommission der EWG. Die Ausschüsse empfehlen Kenntnisnahme der Vorschläge und ,darüber hinaus die Annahme von Entschließungen. Wünscht einer der Herren -Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam, das heißt en bloc .abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich komme zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen VI/ 529, VI/ 576, VI/ 592, VI/ 599. Wer diesen Anträgen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen. — Das ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 24 der Tagesordnung:Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofesbetr. Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für die Rechnungsjahre 1967 und 1968— Einzelplan 20 —— Drucksache VI/472 —Wird das Wort hierzu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir können über die Vorlage selbst nicht abstimmen, sondern müssen sie an den Haushaltsausschuß überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Dann ist so beschlossen.Nun sind noch zwei Zusatzpunkte zu erledigen:Erste Beratung des von der Bundesregierung ,eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Amtsbezeichnungen der Richter und der Präsidialverfassung der Gerichte— Drucksache VI/ 557 — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Rechtsausschuß — federführend — und den Innenausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch; dann ist -so beschlossen.Letzter Punkt:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dichgans, Dr. Lenz , Dr. Jaeger, Vogel und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes— Drucksache VI/ 600 —Herr Abgeordneter Dichgans, wollen Sie dazu sprechen? — Nein. Ich frage deswegen, weil es hier vermerkt ist. Keine Wortmeldungen!Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Rechtsausschuß vor. Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch; dann ist so -beschlossen.Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Tagesordnung, mit Ausnahme derjenigen Punkte, die für Freitag 'übriggelassen worden sind.Ich berufe die nächste Plenarsitzung ein auf Donnerstag, den 16. April, 14 Uhr, und zwar zur Fragestunde.Ich schließe die Sitzung.