Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, heute feiert der Abgeordnete Franzen seinen 60. Geburtstag. Ich darf ihm meine und des Hauses Glückwünsche aussprechen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die 72. Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 und über die 2. und 3. Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 — Drucksachen IV/1380, 1381, 1382, 1387 —.
Das Haus ist mit der Aufsetzung einverstanden. Die Vorlage kann erst aufgerufen werden, wenn die letzten Drucksachen verteilt werden.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1963 die von der Bundesregierung erlassene
Dreiundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 — Drucksache IV/1293 —
Achtundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 — Drucksache IV/1294 —
dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Behandlung überwiesen.
Wir fahren fort bei Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Ich rufe auf die Frage VII/3 — des Abgeordneten Storm —:
Aus welchen Gründen werden die Ersatzhöfe von bundeswehrverdrängten Pächtern nicht in das Eigentum übertragen, obwohl Nummer 2 der Freimachungsrichtlinien des BMF vom 14. Januar 1957 bestimmt, daß den auf bundeseigenen Liegenschaften angesetzten Pächtern Ersatzhöfe zu Eigentum übertragen werden können?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat bei der Freimachung landwirtschaftlich genutzter Bundesliegenschaften für Zwecke der Verteidigung bisher stets
den Grundsatz verfolgt, den weichenden Pächtern zur Sicherung ihrer Existenz das Eigentum an den Ersatzhöfen zu verschaffen. Zu diesem Zweck beteiligt sich der Bund an den entstehenden Siedlungskosten durch Gewährung von hohen Darlehen mit sehr günstigen Zins- und Tilgungssätzen. An dem Grundsatz der Eigentumsbildung hält die Bundesregierung fest.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Storm?
Wie erklären Sie sich dann, Herr Staatssekretär, daß allein im Lande Schleswig-Holstein zwölf Verfahren seit zweieinhalb Jahren nicht abgewickelt werden konnten, weil nicht genügend Mittel zur Verfügung gestellt worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit ich unterrichtet bin, ist bisher in allen. bekanntgewordenen Fällen eine finanzielle Schwierigkeit bereinigt worden. Ich wäre Ihnen, Herr Abgeordneter Storm, sehr dankbar, wenn Sie uns die Einzelfälle mitteilten. Wir werden ihnen nachgehen. Die Richtlinien des Bundesministers der Finanzen aus dem Jahre 1957 sind großzügig gefaßt. Wenn sie nicht ausreichen, müssen wir uns möglicherweise in den Ausschüssen darüber unterhalten.
Ich rufe auf Frage VII/4 — des Abgeordneten Storm —:
Unterbleibt die Eigentumsübertragung der Ersatzhöfe an bundeswehrverdrängte Pächter deswegen, weil die für Darlehen aufzubringenden Jahresleistungen die ermittelte tragbare Belastung und die Leistungskraft des Betriebes übersteigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Umsiedlung von Pächtern sollen die Siedlungsbehörden der Länder Ersatzhöfe grundsätzlich. nur beschaffen und den Pächtern anbieten, wenn gewährleistet ist, daß die von dem zukünftigen Eigentümer aufzubringenden Jahresleistungen auf Grund der Leistungsfähigkeit des Betriebes eine tragbare Belastung ergeben. Derartige Ersatzhöfe werden den Freimachungsbetroffenen zu Eigentum übertragen.In einigen Fällen sind Freimachungsbetroffenen Vorratshöfe des Bundes zunächst nur zur Nutzung überlassen worden, ohne daß bisher eine Übereignung stattgefunden hat. Damit haben diese Pächter zur Sicherung ihrer Existenz zunächst den gleichen
Metadaten/Kopzeile:
3960 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Staatssekretär KattenstrothStatus erhalten, den sie zuvor an der geräumten Liegenschaft besaßen. Um aber auch in diesen Fällen den Eigentumserwerb zu ermöglichen, wird zur Zeit geprüft, unter welchen Bedingungen den freimachungsbetroffenen Landwirten das Eigentum verschafft werden kann. Die Prüfung dieser wenigen Fälle ist noch nicht abgeschlossen. Der Bundesschatzminister hat aber die Hoffnung, auch hier die Eigentumsbildung erreichen zu können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Storm.
Sind Sie bereit, in den Fällen, wo die Belastung zu groß wird, Beihilfen zu gewähren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf die Frage der Beihilfen, Herr Abgeordneter Storm, würde ich gern bei der dritten Frage kommen; es ist eine Frage, die nicht nur den Bundesschatzminister, sondern auch den Bundesminister der Finanzen berührt.
Ich rufe die Frage VII/5 — des Abgeordneten Storm — auf:
Warum wird der bei der ländlichen Siedlung und den Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur geltende Grundsatz, Zuschüsse zu den Verfahrenskosten dann zu gewähren, wenn die tragbare Belastung ausgeschöpft ist, nicht auch bei der Übereignung von Ersatzhöfen angewendet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die von Herrn Abgeordneten Storm in seiner ersten Frage erwähnten Richtlinien des Bundesministers der Finanzen über die Freimachung landwirtschaftlich genutzter Liegenschaften für Zwecke der Verteidigung vom 14. Januar 1957 sehen die Gewährung von Beihilfen — 'im Gegensatz zu Darlehen — des Bundes an die Länder nur dann vor, wenn den Ländern 'besonders hohe Kosten für folgende Maßnahmen entstehen: a) Regelung der öffentlich-rechtlichen Verhältnisse, b) Durchführung von Bodenverbesserungen, c) Anlegung und Ausbau von Wegen, Gräben und sonstigen Folgeeinrichtungen, d) genossenschaftliche und gemeindewirtschaftliche Anlagen, e) Elektrifizierung, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung.
Dagegen sind Ankaufsbeihilfen in Form von verlorenen Zuschüssen — das ist wohl die für Sie entscheidende Frage, Herr Abgeordneter Storm —, um Finanzierungslücken beim Erwerb der Ersatzhöfe durch den Siedler zu schließen, in den Richtlinien des Bundesministers der Finanzen von 1957 nicht vorgesehen. Sollte die Übereignung von Ersatzhöfen, die Freimachungsbetroffenen zunächst pachtweise überlassen worden sind, auch unter völligem Verzicht auf eine Verzinsung und unter Einräumung des niedrigsten Tilgungssatzes — d. h. von 2 % — für das Bundesdarlehen gleichwohl den Erwerber zu hoch belasten, wird der Bundesschatzminister im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen prüfen, ob und inwieweit eine weitere Hilfe zum Zweck der Eigentumsbildung gewährt werden kann. Diese Frage befindet sich, Herr Abgeordneter Storm, in der Prüfung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3961
Metadaten/Kopzeile:
3962 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3963
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
3964 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3965
Metadaten/Kopzeile:
3966 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3967
— Sie wollen zu Art. 1 sprechen. Bitte, Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl notwendig, bei der Beratung dieses Gesetzes und der Erörterung der ersten Bestimmungen einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken, die sich mit den Verfahren, die bei der Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes angewandt worden sind, auseinandersetzen. Dazu ist es zunächst einmal erforderlich, noch einen Blick zurück zu tun, weil wir uns in diesem Hause nun seit mehr als drei Jahren zu beschäftigen haben mit der Frage der Gestaltung eines neuen und — wie es einmal hieß, heute allerdings nicht mehr heißt — sozialen Mietrechts.Ich darf daran erinnern, daß, als wir uns vor drei Jahren, im Jahre 1960, mit dem sogenannten LückePlan zum erstenmal hier zu beschäftigen hatten, seitens der Väter dieses Planes mit großem Nachdruck gesagt wurde, und zwar gegenüber mancher Kritik, die damals mehr oder weniger deutlich laut wurde, das sei ja alles weit übertrieben, und die Befürchtungen hinsichtlich der Beseitigung des Mieterschutzes seien im Grunde ja nur Schwarzmalerei; denn selbstverständlich gehöre zum abgerundeten Bild und zur abgerundeten Erscheinung dieses gesamten Lücke-Planes die Einführung eines neuen .sozialen Mietrechts.Die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Lücke-Planes sollen heute in den weiteren Beratungen des Hauses beschlossen werden. Doch entgegen den Ankündigungen aus dem Jahre 1960 haben wir bis heute ein Mietrecht und gar ein soziales Mietrecht noch immer nicht, Richtig ist, daß wir einige Einzelvorschriften haben. Aber schon im Jahre 1960 zeigte sich, 'daß die Beratungen derartiger Bestimmungen doch offensichtlich sehr viel schwieriger sind, als sich das einige der maßgeblichen Vertreter des Lücke-Planes vorgestellt hatten. Es reichte damals gerade dazu, zwei ganze Bestimmungen des Mietrechts neu zu formulieren und neu einzubringen. Immerhin war die Situation vor drei Jahren schon so peinlich, daß die Mehrheit des Hauses einen Entschließungsantrag vorlegte, der dann auch verabschiedet wurde, in dem man sich verpflichtete, bis zum Ende des Jahres 1960 die damals noch nicht beratenen und verabschiedeten Bestimmungen eines sozialen Mietrechts unverzüglich nachzuholen.Das Jahr 1960 verging, und es geschah nichts. Das Jahr 1961 verging, und es geschah nichts. Und auch, als man gegen Ende des Jahres 1962 war, bestand das gesamte Mietrecht aus ganzen zwei Bestimmungen, die sich bemerkenswerterweise ausschließlich mit den Fragen der Kündigung, mit sonstigen Inhalten des sozialen Mietrechts aber nicht beschäftigten. Als dann im Dezember 1962 mit mehr .als 21/2jähriger Verspätung endlich ein neuer Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz über die Änderung mietrechtlicher Vorschriften vorgelegt wurde, war man schon fast wieder in der gleichen Situation wie drei Jahre zuvor. Man konnte sich an den Fingern abzählen, daß die Zeit für eine ordnungs- und sachgemäße Beratung hier im Hause keinesfalls zur Verfügung stehen würde.Der Ausweg mußte denn auch bald gefunden werden. Nachdem man im Rechtsausschuß mit den Beratungen begonnen hatte, zeigte sich aufs neue, daß man innerhalb der vorgesehenen Fristen nicht zurechtkommen könne. Schließlich legte man im Rechtsausschuß einen Plan vor, nach dem eine Reihe weiterer Einzelbestimmungen herausgezogen und vorläufig verabschiedet werden sollten, ganz entscheidende, für die Ausgestaltung des sozialen Mietrechts wesentliche Vorschriften aber zurückgestellt wurden.Mir erscheint es notwendig, dazu doch ein sehr ernstes Wort zu sagen. Ich will gar nicht davon reden, daß man mit dieser Methode der Gesetzgebung unter anderem mehrfach gegebene und auch in diesem Hause feierlich beschlossene Versprechen nicht eingehalten hat, sondern ich möchte ein Wort dazu sagen, was das für ein merkwürdiges Gesetzgebungsverfahren ist. Es ist peinlich, ja es ist beschämend, zu sehen, mit welcher Leichtfertigkeit, mit wie leichter Hand und wie unwürdig im Grunde ein so außerordentlich wichtiges und für Millionen Menschen in diesem Lande bedeutungsvolles Rechtsgebiet geregelt bzw. nicht geregelt wird.
Ich muß sagen, eigentlich ist — nicht nur eigentlich, sondern dieses Verfahren ist des Parlaments in hohem Maße unwürdig.
Es ist nicht nur des Parlaments unwürdig, sondern es ist auch nach dem Gegenstand, mit dem man sich zu beschäftigen hat, unwürdig.
Metadaten/Kopzeile:
3968 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Jahn— Was heißt: „gerade" ich? Warum soll ich nicht reden? Wollen Sie bitte Ihre Frage präzisieren, Herr Schmücker.
Ich darf Sie um etwas mehr Ruhe bitten.
— Ich bitte, diese Zwischenrufe zu unterlassen und es dem Redner zu ermöglichen, weiterzusprechen.
— Meine Damen und Herren, so laute Zwischenrufe
sind des Hauses unwürdig. Ich bitte, sich jetzt zu
beruhigen und den Redner weiterprechen zu lassen.
Ich denke, wir werden uns mit dem Herrn Kollegen Schmücker durchaus bald verständigen können; denn in der Tat: das, was hier vor sich gegangen ist, ist unerhört. Wir treffen uns in dieser Bezeichnung dessen, was die Mehrheit des Hauses bei der Behandlung des Mietrechts getan hat, durchaus.
Hier wird ein Rechtsgebiet, das — ich sage es noch einmal — für Millionen von Menschen in diesem Lande von außerordentlicher Bedeutung ist, nicht in einem Zuge, nicht auf Grund sorgfältiger, ausführlicher und ruhiger Beratungen verabschiedet, sondern in Raten, in unvollkommenen Raten. Wir werden in wenigen Wochen einen Rechtszustand haben, in dem es für weite Teile der Bevölkerung ein vollständiges Mietrecht überhaupt nicht geben wird. Ich halte es — durchaus in Übereinstimmung mit Herrn Schmücker — für unerhört, daß man so ausgerechnet mit einem der größten Gesetzgebungswerke in der deutschen Rechtsgeschichte umgeht, nämlich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie wissen vielleicht nicht, Herr Kollege Schmücker, daß die Novellierung des Bürgerlichen Gesetzbuches durch die Einführung neuer Mietrechtsvorschriften der größte und tiefstgehende Eingriff in dieses Bürgerliche Gesetzbuch seit seinem Bestehen ist.Wir sind allerdings der Meinung, daß es diesem Hause wohl angestanden hätte, sich um eine angemessene Form der Beratung zu bemühen. Darin wissen wir uns mit einigen maßgeblichen Vertretern der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung in diesem Lande einig. Wir finden es allerdings unerhört, daß man einen so weitgehenden Eingriff indieses Gesetz nicht mit der notwendigen Ruhe, nicht mit der notwendigen Überlegung und nicht in dem Bemühen, in einem Guß eine Regelung zu finden, vornimmt, die der Würde, dem Ansehen und der praktischen Bedeutung dieses Gesetzes ebenso gerecht wird wie der außerordentlich schwierigen Aufgabe, ein soziales Mietrecht in das Bürgerliche Gesetzbuch einzufügen.Sie werden doch nicht im Ernste behaupten, daß diese Gesetzgebungsmethode — vor drei Jahren zwei Paragraphen, in diesem Jahre wieder ein paar Paragraphen und zu einem Zeitpunkt, den wir heute noch nicht kennen, schließlich einmal die weiteren, die Mehrzahl der noch nicht verabschiedeten Paragraphen zu beraten und dann in diesem Hause zu behandeln — eine diesem Gegenstand angemessene Methode der Gesetzgebungsarbeit ist.Dabei muß man noch auf folgendes hinweisen. Dafür könnte man ein gewisses Verständnis haben, wenn wir als Gesetzgeber bei der Regelung dieser Fragen in einer besonderen Zwangslage, in einer besonderen Schwierigkeit gewesen wären, die es unmöglich gemacht hätte, anders zu verfahren. Aber, meine Damen und Herren, wir sind doch in dieser Situation ohne Not und ohne Zwang; es sei denn, die Zwangsjacke, die Sie, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, sich selber gebastelt haben und mit der Sie sich selber willkürliche Fristen gesetzt haben, würde von Ihnen als ein Fall solcher gesetzgeberischer Not anerkannt. Nur werden wir uns dabei mit Sicherheit nicht einigen können, und dabei werden Sie sicherlich nicht von uns Verständnis dafür erwarten können, daß man ein so merkwürdiges, ein so undurchdachtes und ein so oberflächliches Verfahren bei der Regelung dieses Rechtsgebiets anwendet. Wir, die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses, werden uns an diesem Verfahren jedenfalls nicht beteiligen und werden daraus auch insofern die Konsequenzen ziehen, als wir es ablehnen müssen, zu diesem so behandelten und so zustande gekommenen Gesetzentwurf, wie er uns jetzt mit einem ersten Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vorgelegt worden ist, irgendwelche Änderungsanträge zu stellen, nicht, meine Damen und Herren — damit Sie hier keine falschen Vorstellungen bekommen —, weil wir nicht zu diesen Regelungen eine ganze Menge zu sagen hätten, sondern deshalb, weil es uns wenig sinnvoll erscheint, an dieser Art der Gesetzgebung noch mitzuwirken.
— Warten Sie nur ab; so einfach kommen Sie gar nicht davon, wie Sie es vielleicht erhoffen! So einfach ist es nicht, wie es bisher gehandhabt worden ist.
— Auch!
Meine Damen und Herren, wie Sie dieses Gesetz durchbringen und nachher rechtfertigen wollen, das müssen Sie mit sich ausmachen, nicht wir. Sie müs-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3969
Jahnsen es aushalten, daß Sie hiermit ein erstaunliches Maß an Rechtsunsicherheit anbieten und an Unklarheit dazu. Sie sind sich doch .darüber klar, daß Sie mit den Anträgen, die Sie jetzt vorlegen, nicht nur zweierlei Mietrecht in der Bundesrepublik Deutschland schaffen, sondern daß Sie darüber hinaus weite Gebiete im unklaren und ungeregelt lassen, so daß manch ein Mieter nach dem 1. 8. 1963, wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, verzweifelt danach suchen wird, was nun seine Rechtsposition ist.Die Aufgabe, ein vernünftiges und allen Notwendigkeiten gerecht werdendes Mietrecht zu schaffen, liegt als nach wie vor vor uns. Daran, Herr Kollege Czaja, werden wir uns allerdings beteiligen, dann, wenn auf Ihrer Seite die Bereitschaft und die Fähigkeit vorhanden sind, über die notwendigen und weittragenden Fragen, die in diesem Gesetz der Behandlung bedürfen, in Ruhe, in Sachlichkeit und in Ausführlichkeit, aber nicht in dem hektischen Tempo außerordentlicher Zeitnot zu verhandeln, zu beraten und Entscheidungen zu treffen.
— Es geht nicht darum, Ob man Zeit gehabt hat, sondern darum, ob wir jetzt Zeit haben, diese Bestimmungen und Fragen in Ruhe und Sachlichkeit miteinander zu besprechen.
Ich bitte um etwas mehr Ruhe.
Sie lassen sich bei den Vorstellungen, die bisher in diesem Hause und in Ihren Anträgen sichtbar geworden sind, ja in einem sehr erstaunlichen Maße von ganz einseitigen Vorstellungen, ganz einseitigen Begriffen leiten, Begriffen, mit denen wir uns noch ganz konkret auseinanderzusetzen haben werden. Denn die Fragen, über die mit Ihnen noch zu sprechen sein wird, bleiben ja so im Raume, wie sie bisher gestanden haben, ganz gleich, ob Sie heute ein paar Einzelvorschriften anfügen oder nicht. Oder wollen Sie vielleicht im Ernst behaupten, Sie seien Ihrer Verpflichtung zur Schaffung eines wahrhaft neuen sozialen Mietrechts bereits dadurch nachgekommen, daß Sie vor drei Jahren einen § 556 a verabschiedet haben, der doch auch dann, wenn man ihn mit einigem zeitlichem Abstand jenseits jener Debatte und in Ruhe betrachtet, doch beim besten Willen keinen Anspruch darauf erheben kann, für den Mieter einen echten Schutz zu bieten und den Mieter in die Lage zu versetzen, nun wirklich in der Zukunft darauf vertrauen zu können, daß seine Rechte hinreichend gewahrt werden.All das, was Sie dem bloßen und uneingeschränkten Kündigungsrecht in dieser Frage entgegensetzen, ist der Widerspruch des Mieters, der keine andere Wirkung hat als die, daß das Mietverhältnis auf eine befristete, also eine vorübergehende Zeit verlängert wird. Ein wirksamer Schutz, der dem Mieter die Erhaltung der Wohnung als des Lebensmittelpunktes seiner Familie gewährleistet, wird ihm nicht gegeben. Ich halte es nicht für eine Übertreibung,sondern nur für eine plastische Darstellung, wenn man das, was Sie hier als Mietrecht, als soziales Mietrecht und als soziale Klausel bezeichnen, etwas genauer umschreibt als eine neuartige — das dürfen Sie immerhin für sich in Anspruch nehmen —, aber doch nur als eine Erscheinungsform des alten Vollstreckungsschutzes an einer Stelle, an der er sonst nicht geregelt werden würde.Sie haben darüber hinaus die Rechte des Mieters schon allein dadurch in erstaunlichem Maße eingeschränkt, daß Sie diese Schutzbestimmungen in beachtlichem Umfang durch unklare, allgemein gehaltene generalklauselartige Formulierungen so gefaßt haben, daß sich jeder das heraussuchen kann, was er will, allerdings auf Kasten des notwendigen Maßes an Klarheit. Allein im ersten Absatz des § 556 a haben Sie es für richtig gehalten, vier völlig unbestimmte und unklare, nach jeder Richtung hin auslegungsbedürftige und auslegungsfähige Begriffe hineinzuschreiben, wie „besondere Umstände des Einzelfalles", „Eingriff in die Lebensverhältnisse des Mieters", „dessen Härte auch unter voller Würdigung der Belange des Vermieters" und „unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen". Das sind vier völlig unbestimmte Begriffe, mit denen im Ernstfall deshalb kein Mensch etwas anfangen kann, weil niemand sagen kann, was sie im konkreten Falle eigentlich bedeuten sollen. Wenn Sie die Liebenswürdigkeit hätten, sich einmal die Auswirkung solcher Bestimmungen in der Praxis anzusehen, ergibt sich doch die Frage: Was soll der Mieter, dem gekündigt wird, nun eigentlich aus diesen Generalklauseln herausfischen, um seine Rechte wahren zu können? Was soll ihm der Anwalt sagen, zu dem er geht, den er um Hilfe bittet und bei dem er den Versuch macht, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie seine Rechtsposition ist? Haben Sie eigentlich einmal bedacht, in welche Rechtsnot Sie unsere Richter dadurch bringen, daß Sie sie zwingen, sich durch eine Fülle von auslegungsfähigen Tatbeständen hindurchzuwühlen ohne die Möglichkeit hinreichender Klarheit und festumrissener Begriffe? Wir sind der Überzeugung, daß der Gesetzgeber nicht das Recht hat, sich seiner Verantwortung gegenüber so weitreichenden Lebenstatbeständen dadurch zu entziehen, daß er die Flucht in die Generalklauseln antritt. Wir werden Ihnen bei den weiteren Beratungen dieses Gesetzes Anträge vorlegen, die Sie in die Lage versetzen werden, noch einmal in Ruhe zu bedenken, ob Sie es wirklich für einen angemessenen Weg halten, derartige Tatbestände in dieser Form zu regeln.Aber nicht genug damit. Sie haben mit dem jetzt vorgelegten weiteren Gesetz — man müßte es korrekterweise eigentlich „Zweites vorläufiges Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften" nennen — einen § 564 a, beinhaltend das Kündigungsrecht, verabschiedet, in 'dem Sie festgelegt haben, daß die Kündigung zwar in schriftlicher Form erfolgen muß, jedoch ohne jede Angabe von Gründen. Meine Damen und Herren, ,dem Mieter, den Sie mit dem § 556 a zwingen, sich seiner Haut zu wehren und der Kündigung zu widersprechen, verweigern Sie die Rechtsklarheit dadurch, daß Sie dem Vermieter erlauben, die Kündigung ohne Abgabe von
Metadaten/Kopzeile:
3970 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Jahn
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3971
Metadaten/Kopzeile:
3972 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
können wir jedoch niemals die Verteidigung und die soziale Sicherung unseres Staatswesens den Gemeindeaufgaben unterordnen.
In unserer Erklärung in der vergangenen Woche zum Bericht des Vermittlungsausschusses über das Haushaltsgesetz 1963 haben wir von den Ländern gefordert, die finanzielle selbständige Existenz des Bundes zu achten und die legislative Arbeit des Deutschen Bundestages nicht durch eine finanzielle Einengung zu beeinträchtigen. Der Herr Finanzminister des Landes Baden-Württemberg hat zu unserer Genugtuung im Anschluß an unsere Erklärung wörtlich ausgeführt, daß „in keiner Weise beabsichtigt ist, den Bund etwa von den Ländern abhängig zu machen oder .den Bund irgendeiner Finanzkontrolle der Länder zu unterwerfen". Wir haben das mit Befriedigung zur Kenntnis genommen.Wenn wir den Vorschlag des Vermittlungsausschusses ablehnen, geschieht es in der Hoffnung, den Ländern die Möglichkeit zu geben — was sie nämlich für 1964 bis jetzt in ausreichendem Umfange noch nicht haben tun können —, anhand des dann vorliegenden Haushaltsplanes für das Jahr 1964 die finanzielle Lage des Bundes e r n e u t zu würdigen.Wir groß die jetzt schon voraussehbaren Mehrausgaben allein für den sozialen Bereich im Jahre 1964 sein werden, läßt sich anhand der anstehenden Gesetzentwürfe der Regierung und der Fraktionen des Hohen Hauses in etwa überschauen, und der Herr Finanzminister hat ja soeben auch in seiner Erklärung dazu nähere Erläuterungen gegeben. Ich denke hier besonders an die Kriegsopferversorgung, die Rentenanpassung und das Kindergeld. Über die Erhöhung des deutschen Verteidigungsbeitrages wird gleichfalls wohl unter allen Fraktionen des Hohen Hauses und auch unter den Ländern Einmütigkeit herrschen. Der Appell des vom deutschen Volke so stürmisch und herzlich empfangenen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy an die Opferbereitschaft auch unseres Volkes zur gemeinsamen Verteidigung unserer Freiheit — —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3973
Dr. Vogel— Meine Damen und Herren, nichts ist wohl unverständlicher als die Unruhe auf Ihrer Seite gerade an dieser Stelle.
Wir glauben, daß ein solcher Appell nicht überhört werden kann und darf.Daß über diese beiden großen Aufgabenkomplexe hinaus noch eine Fülle weiterer, allen Parteien dieses Hauses gemeinsamer Anliegen — in bezug auf Landwirtschaft, Verkehr, Forschung usw. — vorliegt, an deren Verwirklichung auch den Ländern gelegen sein muß, möchte ich hier nicht im einzelnen darlegen.Wer aber in der deutschen Bundesrepublik finanzielle politische Zielsetzungen verwirklichen will, muß auch auf der anderen Seite die volle Verantwortung für ihre Deckung mit übernehmen.
Die Opposition des Hohen Hauses sollte sich deshalb nicht hinter rechtlichen Argumenten verschanzen, um sich dieser Verpflichtung zu entziehen, wie das heute morgen in Ausführungen der Presse von Ihrer Seite her erkennbar war,
und die Zustimmung zu dem Vermittlungsvorschlag mit einer 38%igen Beteiligung für die Jahre 1963 und 1964 als zwingend für den Nachweis eines ausgeglichenen Haushalts für 1963 zu unterstellen.Demgegenüber sind wir der Ansicht, daß das Beteiligungsgesetz von 1955 mit der Vorschrift, eine jeweilige Änderung der Beteiligung für zwei Jahre vorzusehen, nicht in einer solchen Weise interpretiert werden kann und sollte, wie das die Opposition unternimmt.
— Nicht weniger als dreimal, Herr Kollege Dr. Schäfer, nämlich 1953, 1954 und 1955, sind in früheren Rechnungsjahren Bundeshaushalte verkündet worden, obgleich der Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer noch umstritten war und regelmäßig — in diesen drei Fällen -- nach Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes festgesetzt worden ist.
— Sie scheinen den Begriff des Gewohnheitsrechts in der Beziehung nicht ganz anzuerkennen, glaube ich; nur dann, wenn er Ihnen günstig ist, werden Sie es so auslegen.
Wenn also bei allen gesetzgeberisch Beteiligten volle Einmütigkeit für das Haushaltsgesetz 1963 besteht, sollte dies nicht erneut in Frage gestellt werden. Auch die Opposition sollte ein zwingendes Interessedaran haben, im Hinblick auf ihre eigenen sehrmassiven Ausgabeforderungen an den Haushalt 1964
durch die Ablehnung des Vorschlags des Vermittlungsausschusses wenigstens formell die Möglichkeit zu schaffen, mit den Ländern über einen erhöhten Beteiligungsprozentsatz des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer ins Gespräch zu kommen. Die Annahme des Vorschlags des Vermittlungsausschusses würde jede derartige Möglichkeit von vornherein verbauen.Die CDU/CSU-Fraktion will nichts weiter als durch die Ablehnung des Vorschlags des Vermittlungsausschusses dem Bundestag oder der Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, den Bundestag erneut anrufen zu können, wenn nach ihrer Überzeugung der später vorliegende Haushaltsentwurf für 1964 eine erneute Erörterung der Finanzlage des Bundes mit den Ländern zwingend notwendig macht. Meine Freunde sind der Überzeugung, daß die Länder sich nicht den Opfern entziehen werden, die sich für die Verteidigung, für die Sozialgesetzgebung und für viele andere lebenswichtige Bereiche des deutschen Volkes für das kommende Haushaltsjahr ergeben werden.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bulletin der Bundesregierung vom 22. Juni dieses Jahres ist festgestellt worden, daß nach den Entscheidungen des 21. Juni im Bundesrat und Bundestag zwar das Haushaltsgesetz 1963 endgültig angenommen worden ist, der Haushaltsausgleich jedoch wegen der noch ausstehenden Entscheidung über das Beteiligungsgesetz noch nicht erfolgt ist. Dieser Tatbestand hat sich, wie die vorangegangenen Erklärungen leider beweisen, nicht geändert. Es ist uns daher nicht verständlich, daß der Herr Bundespräsident das Haushaltsgesetz unterzeichnet hat.
Meine Damen und Herren, wir geben hier Erklärungen ab. Ich bitte, diese Erklärungen in Ruhe anzuhören.
Metadaten/Kopzeile:
3974 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Nach unserer Auffassung sind die verfassungsmäßig vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Rechtswirksamwerden eines Gesetzes nicht gegeben.
Dazu erfordert das Grundgesetz für das Haushaltsgesetz in Art. 110 Abs. 2, daß der Haushaltsplan in Einnahme und Ausgabe auszugleichen ist.
Diese Verfassungsvorschrift ist nicht erfüllt, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen!
Aber außerdem kann ein Gesetz nur dann nach Art. 82 Abs. 1 der Verfassung vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet werden, wenn es — und nun zitiere ich wörtlich aus dem Grundgesetz — „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen" ist. Diese Verfassungsvorschrift ist doch zweifellos ebenfalls nicht erfüllt.
— Das sage ich Ihnen gleich; hören Sie bitte zu.
Die Erklärung des Bundesfinanzministeriums hierzu — und jetzt zitiere ich wörtlich —, der mit 56,8 Milliarden DM abschließende Haushalt sei verfassungsmäßig, auch wenn das Gesetz über den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer noch nicht verabschiedet sei, ist unseres Erachtens unrichtig.Die Schlußfolgerung aus dem Hinweis des Bundesfinanzministeriums auf Äußerungen der drei Bundestagsfraktionen — dazu gehören wir also auch, und Sie werden uns doch gestatten, das hier in einer Erklärung klarzustellen — und auf eine Entschließung des Bundesrates, für 1963 einer Erhöhung des Bundesanteils um 3 v. H. auf 38 v. H. zustimmen zu wollen, ist ebenfalls unrichtig.Wenn der Vorschlag des Vermittlungsausschusses, den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftssteuer um 3 v. H. auf 38 v. H. für das Etatsjahr 1963 zu erhöhen, durch die Koalitionsmehrheit abgelehnt wird, was ja leider, wie die vorangegangenen Erklärungen beweisen, zu befürchten ist, dann ändert sich das Beteiligungsverhältnis nicht und es bleibt bei 35% für den Bund mit der Folge des Defizits in Höhe von mehr als 1 Milliarde DM.
Damit ist den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht entsprochen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion warnt die Mitglieder der Mehrheitsfraktionen eindringlichst, diesen Weg zu beschreiten.
Zweitens. Die ernste Situation, in der sich die Finanz- und Haushaltspolitik nunmehr befinden, zwingt uns erneut, festzustellen, daß die Bundesregierung bis jetzt nicht schlüssig bewiesen hat, daß sie den Bundeshaushalt 1963 nur mit Hilfe der von ihr im Gesetzentwurf zur Änderung des Beteiligungsverhältnisses an der Einkommen- und Körperschaftssteuer geforderten Erhöhung des Bundesanteils ausgleichen kann. Weiter ist nicht bewiesen worden, daß die von der Bundesregierung beantragte quantitative Neuverteilung dem Grundsatz der Konnexität zwischen Steuerverteilung einerseits sowie Aufgaben- und Ausgabenverteilung andererseits bei Bund und Ländern entspricht.Wir haben z. B. im Hinblick auf die Gemeinden erhebliche Sorgen. Sie werden zwangsläufig über den Steuerverbund nach Art. 106 Abs. 6 GG von einer Kürzung des Länderanteils an der Einkommen-und Körperschaftsteuer betroffen. Diese Folge ist angesichts der von den Gemeinden zu bewältigenden Gemeinschaftsausgaben nicht vertretbar. Die 1956 beschlossene Neufassung des Art. 106 Abs. 6 GG wollte insbesondere die finanzielle Sicherung der Gemeinden berücksichtigen. Sie würde bei Realisierung der Vorschläge der Bundesregierung in Frage gestellt werden.Das Grundgesetz stellt nämlich eindeutig klar, daß sich der Anwendungsbereich der Revisionsklausel nicht auf die Steuerverteilung beschränken kann. Als Grundsatz für die Anwendung der Revisionsklausel wird in Art. 106 Abs. .4 Ziff. 1 GG festgestellt:Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben; Artikel 120 Absatz 1 bleibt unberührt.Drittens. Die Länder sind bereits im Rechnungsjahr 1962 zum Ausgleich des Bundesetats in Anspruch genommen worden. Die Bundesregierung verlangte 1,74 Milliarden DM; die Einigung erfolgte auf der Basis eines freiwilligen Länderbeitrags von 1,05 Milliarden DM.Nach Abschluß des Rechnungsjahres 1962 ist allerdings festzustellen: Diese Tatsache war nicht ohne Einfluß auf die Entscheidung im Vermittlungsausschuß. Deswegen wird von uns ja hervorgehoben, daß der Bundeshaushalt zwar kassenmäßig ein Defizit von 410 Millionen DM ausweist, daß sich aber im Vollzug des Bundeshaushaltsplans 1962 beträchtliche Reserven ergeben haben. Z. B. wurde bei insgesamt gleichbleibendem Etatvolumen ein Nachtragshaushalt mit neuen Ausgaben in Höhe von 368 Millionen DM verabschiedet. Ferner ist trotz Mindereinnahmen bei den Steuern im Betrag von 566 Millionen DM auf vorgesehene Anleihen in Höhe von 870 Millionen DM verzichtet worden. Schließlich waren neben dem Nachtragshaushalt 1962 noch über- und außerplanmäßige Ausgaben für Verteidigungszwecke mit einem Betrage von weiteren 1,1 Milliarden DM finanzierbar.
Diese Tatsachen stehen im Widerspruch zu der damaligen Forderung der Bundesregierung, daß nur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3975
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllermit einem freiwilligen Länderbeitrag in Höhe von 1,74 Milliarden DM ,die bei Vorlegung des Entwurfs des Bundeshaushalts 1962 vorhandene Deckungslücke zu schließen sei.Viertens. Die Fraktion der SPD hat von Anfang an konstruktive Vorschläge für den Ausgleich des Bundeshaushalts 1963 unterbreitet,
die geeignet waren, den von den Ländern geforderten Steueranteil zu verringern. Leider haben die Koalitionsfraktionen im Bundestag unseren Vorschlägen die Zustimmung versagt. Dies ist im Hinblick auf einige Punkte der vorangegangenen Erklärungen ganz besonders hervorzuheben.Bei den Beratungen über das Gesetz zur Änderung des Beteiligungsverhältnisses an der Einkommen- und Körperschaftsteuer hat sich dann die SPD-Fraktion nach eingehender und sachlicher Prüfung der Auswirkungen auf die Länder- und Gemeindefinanzen für eine Anhebung des Bundesanteils auf 38 v. H. vom Rechnungsjahr 1963 ab entschieden. Wir haben dabei die verstärkten Leistungen auf sozialpolitischem Gebiet — z. B. die Verbesserung der Kriegsopferversorgung und die Heimkehrerentschädigung — berücksichtigt und sind der Meinung, daß die vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagene Erhöhung des Bundesanteils bei der gegenwärtigen Lage auch für das Rechnungsjahr 1964 maßgebend sein muß.Bei Anwendung der Revisionsklausel sind solche Ausgabenbedürfnisse außer Betracht zu lassen, die nach den Grundsätzen einer wirtschaftsgerechten Finanzpolitik nicht dem Steuerzahler als Belastung zugemutet werden dürfen, sondern die nur aus außerordentlichen Einnahmen — vorzugsweise also aus Anleihen — finanziert werden sollten.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verweist auf die Entschließung der Ministerpräsidentenkonferenz vom 11. Juni dieses Jahres in Saarbrücken, die nach Vorliegen der Entscheidung des Vermittlungsausschusses gefaßt wurde. Danach sollte überprüft werden, auf welchen Gebieten und in welchen Umfang sich der Bund weiterhin an der Finanzierung von Landesaufgaben beteiligen soll. Die SPD wird auch hier zu einer konstruktiven Überprüfung bereit sein. Hierbei geht sie davon aus, daß der Empfehlung des Wissenschaftsrates bezüglich des Ausbaus der Universitäten und Hochschulen unverändert entsprochen und daß die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Förderung der Wissenschaftlichen Hochschulen fortgesetzt und vertieft wird.
Fünftens. Die SPD-Fraktion ist überzeugt, daß bei einer wirtschaftlichen Haushalts- und Finanzgebarung das vorhandene Gesamtsteueraufkommen, das 1963 die Höhe von rund 92 Milliarden DM erreicht, einschließlich einer vertretbaren und auch notwendigen Kreditaufnahme ausreicht, um alle dringenden Ausgaben zu finanzieren.Wir sind der Meinung, daß dem verfassungsrechtlichen Grundsatz für die Anwendung der Revisionsklausel in Art. 106 Abs. 4 Ziffer 3 des Grundgesetzes, wonach die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abzustimmen sind, daß ein billiger Ausgleich erzielt und eine Überbelastung des Steuerpflichtigen vermieden sowie die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird, mit dein Vorschlag des Vermittlungsausschusses im vollen Umfang Rechnung getragen wird.Im Auftrage der SPD-Fraktion erkläre ich auch bei dieser Gelegenheit, daß wir es für eine vordringliche Aufgabe halten, das Klima zwischen Bund und Ländern im Interesse unserer föderativen Demokratie zu verbessern.
Dazu gehört, daß man den Ländern bei diesem Streit um das Beteiligungsverhältnis nichts unterstellt, was mit der allgemeinen staatspolitischen Verantwortung nicht zu vereinbaren wäre.
Wir fordern die Bundesregierung noch einmal auf, und zwar unter Bezugnahme auf ihre eigenen Erklärungen und entsprechend dem Antrag der SPD-Fraktion vom 17. Dezember 1961, alsbald eine Kommission unabhängiger Experten mit dem Ziel einzusetzen, die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge für eine Verfassungsreform vorbereitend zu untersuchen. Die Bundesregierung und die sie tragenden parlamentarischen Mehrheiten haben seit Jahren versäumt, diese Reform einzuleiten. Sie allein tragen die Schuld an einer finanzpolitischen Situation, die den Staatsbürger und Steuerzahler mit Unruhe erfüllt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundespräsident, der in diesem Hohen Hause nicht sprechen kann, der sich in diesem Hohen Hause nicht verteidigen kann,
ist in einer einmaligen, für dieses Hohe Haus einmaligen, in einer ungehörigen Form angegriffen worden.
Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich,
daß wir nach den Erklärungen zu diesem Tagesordnungspunkt und vor der Abstimmung die Sitzung für fünfzehn Minuten unterbrechen. Ich bitte den Herrn Präsidenten, den Ältestenrat während dieser Zeit einzuberufen.
Metadaten/Kopzeile:
3976 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aufgabe des Bundestages ist es, über die Einhaltung der Bestimmungen der Verfassung zu wachen, gleichgültig, welche Institution berufen ist, die Verfassungsaufgaben wahrzunehmen.
Ja, das ist unsere Aufgabe, und wenn Sie die nicht sehen, tun Sie uns wirklich leid.
Herr Kollege Rasner sprach von Angriffen auf den Herrn Bundespräsidenten.
Ich darf Ihnen deshalb den Wortlaut der Erklärung bekanntgeben.
— Herr Blank, 'wenn Sie trotzdem zu falschen Schlußfolgerungen kommen, so halte ich das für notwendig. Und was ich für notwendig halte, tue ich, auch wenn es Ihnen nicht gefällt.
— Ich zitierte ganz genau, was gesagt worden ist, damit ich Ihnen Gelegenheit gebe, Ihr Urteil zu überprüfen.
Ich wiederhole: „Es ist uns daher nicht verständlich, daß der Herr Bundespräsident das Haushaltsgesetz unterzeichnet hat."
— Meine Damen und Herren, es ist uns nicht verständlich! Wenn Sie Ihre Verfassungsjuristen fragen, müssen sie Ihnen dasselbe sagen. Es steht diesem Hause wohl an, die Einhaltung der Verfassung zu überprüfen und zu überwachen. Wenn Sie das nicht tun wollen — wir tun's!
In einer Demokratie ist häufig die Opposition dazu berufen, das allein zu vertreten, was das ganze Haus tun müßte.
Wir haben keine Bedenken — —
— Herr Schmücker, da haben Sie wirklich recht: es ist unerhört, nämlich, daß Sie das nicht begreifen.
— Ich empfehle Ihnen das Studium Ihrer Zwischenrufe seit heute morgen. Sie haben offensichtlich eine 'unruhige Nacht hinter sich.
Wir haben keine Bedenken dagegen, daß die Sitzung unterbrochen wird und sich der Ältestenrat mit dieser Frage befaßt.
Zuerst einmal darf ich darauf hinweisen, daß es nicht üblich ist, daß auf der Tribüne Beifalls- und Mißfallenskundgebungen geäußert werden. Das ist nur das Recht der Abgeordneten dieses Hauses.
Sodann darf ich feststellen, daß nach der Beendigung der Abgabe der Erklärungen die Sitzung unterbrochen und der Ältestenrat einberufen wird. Wir stehen aber noch in der Abgabe von Erklärungen. Zur Abgabe einer Erklärung erteile ich dem Abgeordneten Freiherrn von Kühlmann-Stumm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Im Namen meiner Fraktion möchte ich zunächst mit Bedauern feststellen, daß soeben in diesem Hohen Hause an einer Entscheidung des Staatsoberhaupts unzulässige Kritikgeübt worden ist.
Meine Damen und Herren,
zum wiederholten Male muß ich Sie am heutigen Tage bitten, dem Redner zuzuhören.
— Meine Damen und Herren, ich bitte, sich allgemein wieder zu beruhigen. Es werden Erklärungen abgegeben. Bitte, Herr Abgeordneter Freiherr von Kühlmann-Stumm.
Ich darf Ihre Erregung nur dahingehend dämpfen, daß ich Ihnen sage, daß nach meiner Information in den letzten 14 Jahren jedenfalls in diesem Hohen Hause eine solche Kritik ,an idem Staatsoberhaupt nicht geübt worden ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3977
Freiherr von Kühlmann-StummIm übrigen dart ich im Namen der Bundestagsfraktion der FDP die folgende Erklärung abgeben: Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten unterstützt das Bestreben der Bundesregierung, die für den Bund durch Verfassung, Gesetz und Verträge begründeten Verpflichtungen ohne Steuererhöhungen zu erfüllen. Sie begrüßt die Bereitschaft der deutschen Länder, dem Bund die Erfüllung dieser Verpflichtungen durch Erhöhung seines Anteils an dem Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu erleichtern. Sie ist der festen Überzeugung, daß den Bemühungen des Herrn Bundesfinanzministers um eine sparsame Haushaltsführung des Bundes .die Anerkennung nicht versagt bleiben wird. Auf diese Überzeugung gründet sich die Erwartung der Freien Demokraten, daß es dem Bundesfinanzminister gelingen wird, in Verhandlungen, die vom Geist gegenseitigen Vertrauens getragen werden, eine für Bund und Länder annehmbare Lösung zu erreichen. Für diese Verhandlungen werden .die fortschreitenden Vorbereitungen für die Aufstellung des Bundeshaushalts 1964 — wobei die Länder ja wiederum an den Steuerschätzungen des Bundes beteiligt werden — verläßliches Material für eine Sachentscheidung von Bund und Ländern über die für den Bund im Jahre 1964 erforderlichen Mittel liefern.Die Freie Demokratische Partei stimmt dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses deshalb nicht zu, weil sie den Weg für die Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten über den Steueranteil des Bundes im Jahre 1964 offenlassen will. Sie wird ) alles in ihren Kräften Liegende tun, um die nach alsbaldiger Anrufung des Vermittlungsausschusses — ich lege Wert auf die Betonung „alsbaldige" — durch die Bundesregierung notwendig werdenden erneuten Verhandlungen zu einem guten Ergebnis zu führen.
Wird weiterhin das Wort zur Abgabe von Erklärungen zu diesem Punkt der Tagesordnung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kann ich die Abgabe von Erklärungen hierzu schließen.
Es ist der Antrag gestellt worden — dem ist nicht widersprochen worden —, die Sitzung jetzt zu unterbrechen. Meine Damen und Herren, der Herr Präsident des Deutschen Bundestages, der im Hause ist, hat sich die Entscheidung über die Einberufung des Ältestenrates selbst vorbehalten; er will erst entscheiden, wenn das Stenographische Protokoll der Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Möller vorliegt. Der Ältestenrat wird also allenfalls über die Lautsprecheranlage einberufen werden. Da erst das Protokoll vorliegen und geprüft werden muß, schlage ich Ihnen vor, die Sitzung etwas länger zu unterbrechen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Sitzung bis 11.30 Uhr unterbrechen. — Kein Widerspruch.
Die Sitzung ist bis 11.30 Uhr unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung wird wieder aufgenommen.
Der Ältestenrat hat sich mit den Vorgängen in der Plenarsitzung befaßt. In der sachlichen Würdigung der Ausführungen des Abgeordneten Dr. Möller gingen die Meinungen auseinander. Jedoch bestand darin Übereinstimmung, daß nach der Geschäftsordnung für den Präsidenten kein Anlaß besteht, gegen diese Ausführungen einzuschreiten.
Wir kommen damit, nachdem die Erklärungen abgegeben worden sind, zur Abstimmung. Es wird abgestimmt über die Vorlage Drucksache IV/1308, Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Beteiligungsverhältnisses an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einige Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zurück zu Punkt 13 der Tagesordnung, dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf die Vorwürfe eingehen, die der Herr Abgeordnete Jahn gegen das Gesetzgebungsverfahren in dieser Sache erhoben hat. Herr Jahn hat zunächst darauf hingewiesen, daß das Gesetz nicht mehr den Titel „Soziales Mietrecht" trage.
— Nun, wenn es ihn auch nicht verdient, bringt es ja den Titel nicht. — Aber ich möchte trotzdem darauf hinweisen, daß das ursprüngliche Gesetz, das 1960 verabschiedet worden ist, geheißen hat: „Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht". Dieses Gesetz enthielt die kompletten Vorschriften für das soziale Mietrecht. Es sind dann nicht alle verabschiedet worden, sondern nur zwei Paragraphen daraus.
Was wir jetzt vorliegen haben,
ist nur die Ergänzung des Gesetzes, die Nachholung der nichtverabschiedeten Vorschriften. Also ist klar, daß auch hiermit am sozialen Mietrecht weiter gearbeitet werden soll.Herr Jahn hat dann gesagt, es seien nur Vorschriften über Kündigung darin enthalten. Nun, ich muß sagen: die Kündigungsvorschriften sind doch die wesentlichsten Vorschriften im Sinne eines sozialen Mietrechts, da sie den Mieter davor schützen sollen, seine Wohnung zu verlieren. Das, was außerdem jetzt darin steht — z. B. §§ 554 und 555 —, sind doch Vorschriften, die eine unsoziale Kündigung verhindern.
Metadaten/Kopzeile:
3978 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Meine Damen und Herren, ich bitte dringend, die Unterhaltungen im Plenarsaal einzustellen. Es ist unmöglich, so zu tagen.
Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß diese Vorschriften unabdingbar sind. Auch das ist also eine Garantie für den Mieter. Im übrigen soll damit der lückenlose Anschluß an die Sozialklausel, die bereits gilt — § 556 a —, geschaffen werden.
Herr Kollege Jahn hat sehr harte Worte gefunden: er hat von „leichtfertigem" und sogar „unwürdigem" Verfahren gesprochen. Ich weiß nun nicht genau, worauf ich diese Äußerungen beziehen soll: auf das Verfahren der Bundesregierung oder auf das dieses Hohen Hauses. Auch ich bedauere es ja, daß wieder nur ein Teil dieses Gesetzes fertig geworden ist, aber es steht mir nicht zu, das Verfahren dieses Hauses zu verteidigen. Das Verfahren der Bundesregierung war bestimmt alles andere als leichtfertig.
Andererseits wurde gesagt, das Verfahren sei verschleppt worden. Das wäre ja nun das Gegenteil von leichtfertig. Die Verzögerung bei der Einbringung des Entwurfs beruhte u. a. auf einem unglücklichen Zusammentreffen: Beide beteiligten Minister hatten damals ziemlich schwere Autounfälle erlitten. Aber ich möchte mich damit gar nicht herausreden, sondern gebe ganz offen zu, daß auch zwischen den beiden beteiligten Ministern seinerzeit sachliche Meinungsunterschiede bestanden, die sich auf die Ausdehnung des § 556 a BGB auf frei finanzierte Wohnungen bezogen. Das ist ein auch verfassungsrechtlich sehr schwerwiegendes Problem, das vielleicht das Bundesverfassungsgericht noch beschäftigen wird.
Ich meine, es bedeutet keinen Vorwurf gegen die Bundesregierung, wenn man feststellt, daß sie sich aber diese sachlichen Differenzen erst einigen mußte und daß dadurch die Einbringung der Vorlage verzögert wurde.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Minister, halten Sie diese Begründung wirklich für überzeugend, nachdem bereits im Jahre 1960 ein vollständiger Entwurf vorlag? Dieser Entwurf wurde nicht ganz verabschiedet; dieses Haus hat dazu eine Entschließung gefaßt, daß er bis Ende des Jahres 1960 verabschiedet werden soll. Mußten denn nun über zweieinhalb Jahre vergehen, bis sich die Bundesregierung endlich entschließen konnte, nach Austragung der Differenzen, von denen Sie soeben gesprochen haben, die Restbestimmungen vorzulegen?
Solche Entschließungen mit fixierten Terminen haben ihre Schicksale; das erleben wir häufiger!
Aber ich glaube, Herr Kollege Jahn, diese Verzögerung läßt sich auch hiernach rechtfertigen, weil doch auch Sie nicht werden behaupten können, daß sich Schwierigkeiten ergeben hätten und soziale Ungerechtigkeiten entstanden seien, daß etwa in erheblichem Maße Exmissionen vorgekommen wären. Das kann man wirklich nicht sagen. Insofern halte ich es für vertretbar, daß man diese Differenzen im Kreise der Bundesregierung erst einmal gründlich bereinigte.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte sehr!
Herr Minister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es nicht nur um die Folgen, sondern auch um die Frage geht, wie man ein großes und für Millionen Menschen bedeutungsvolles Rechtsgebiet so regelt, daß nicht allein die notwendige Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschaffen werden, sondern darüber hinaus auch in Überein stimmung mit dem Rang eines Gesetzes wie des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein Verfahren geübt wird, das diesem Gesetz, seiner Bedeutung und seinem anerkannten Wert, angemessen ist?
Grundsätzlich ist diese Überlegung natürlich richtig, aber ich darf nur immer wieder darauf hinweisen, daß die Bundesregierung 1960 ein vollständiges Gesetz vorgelegt hatte und daß eine Mitschuld an der Verzögerung, wenn man so sagen will, auch den Bundestag trifft, der damals schon dieses Gesetz nicht ganz fertiggemacht hat. Ich glaube also, wir sind hier alle mitschuldig, wenn das so hinausgezögert worden ist. Auf die Kritik an § 556 a brauche ich wohl nicht mehr einzugehen; denn er steht heute nicht zur Debatte.Nur noch eine Bemerkung. Es ist gesagt worden, die Kündigung könne ohne Angaben von Gründen ausgesprochen werden. Nun, das ist überall so. Eine Kündigung ist ein formeller Rechtsakt, der sogar im Arbeitsrecht, wo es um noch Größeres geht, nämlich um den Verlust des Arbeitsplatzes, ohne Angabe von Gründen erfolgen kann. Der Mieter kann nach unserer vorgesehenen Regel widersprechen. Wenn er widerspricht, dann muß der Vermieter mit seinen Gründen herausrücken, zumindest im Prozeß.Schließlich noch der Vorwurf, wir schafften zweierlei Mietrecht. Nun, das schaffen wir nicht, sondern diesen Zustand, den wir schon haben, setzen wir zwangsläufiger Weise fort. Wir haben Mietverhältnisse, die unter Mieterschutz stehen, und solche, die nicht unter Mieterschutz stehen. Dabei bleibt es vorerst, weil wir nicht in der Lage sind — und das will niemand von heute auf morgen —, den ganzen Mieterschutz abzuschaffen. Immerhin darf ich einen Fortschritt feststellen. Der Herr Kollege Jahn spricht nicht mehr von dreierlei Mietrecht, wie er es vor dem Mieterbund getan hat, sondern von zweierlei; und das stimmt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3979
Bundesminister Dr. BucherEs ist sicher nicht schön, daß jetzt nur ein Teil des Gesetzes verabschiedet wird, aber man muß ja feststellen, daß dadurch jedenfalls kein Schaden eintreten kann. Die Bestimmungen des Mieterschutzgesetzes bleiben insoweit in Kraft. Ich darf mich hier auf den schriftlichen Bericht des Herrn Abgeordneten Hauser beziehen, in dem das sehr klar dargelegt ist, auf der letzten Seite: Die Bestimmungen des Mieterschutzgesetzes bleiben insoweit in Kraft, als ein Ersatz in den in Art. I enthaltenen Änderungen des BGB noch nicht vorgesehen ist. Diese Bestimmungen sind hier im einzelnen aufgeführt. Ich kann es mir ersparen, das zu zitieren.Wir können also höchstens sagen, daß Verbesserungen des sozialen Mietrechts, die im Entwurf stehen, nun nochmals hinausgeschoben werden, aber wir können nicht sagen, daß durch den jetzt vorliegenden, auch nur bruchstückhaften, Entwurf Verschlechterungen eintreten.
Bevor ich das Wort weiter erteile, möchte ich dem Haus folgendes mitteilen: In Ansehung der Geschäftslage, wie sie durch die Unterbrechungen entstanden ist, ist interfraktionell vereinbart worden, daß es keine Mittagspause geben wird, daß wir aber während der Zeit von 12.30 bis 14 Uhr keine Abstimmungen durchführen. Ich hoffe, das Hohe Haus ist damit einverstanden, daß wir so verfahren.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Bei der zweiten Lesung des uns vorliegenden Gesetzentwurfes würde sich erübrigt haben, hier nochmals Stellung zu nehmen, da ja insbesondere von der Opposition keine Änderungsanträge gestellt worden sind, zu denen wir irgend etwas sagen müßten, wenn nicht noch gewisse Ausführungen des Herrn Kollegen Jahn rektifiziert werden müßten.Herr Kollege Jahn hat gemeint, daß das Verhalten — das bezieht sich jetzt auf die Mitglieder dieses Hauses — bei der Einbringung und weiteren Durchführung leichtfertig und unwürdig gewesen sei. Wir sind uns wohl alle darüber im klaren — das ist auch bei den Beratungen im Rechtsausschuß ganz eindeutig zum Ausdruck gekommen —, daß wir es alle lieber gesehen hätten, das Gesetz zur Änderung des BGB in den mietrechtlichen Vorschriften hätte in einem Zuge verabschiedet werden können.
— Auch das ist erörtert worden, Herr Kollege Jahn, und ist Ihnen bekannt: weil uns daran liegt, daß die Erreichung des Ziels, das, was der Lücke-Plan angebahnt hat, nämlich die Überführung der wohnrechtlichen Zwangswirtschaft in eine freie soziale Marktwirtschaft, nicht unnötig hinausgeschoben wird.
Das ist der Grund gewesen, warum wir diesen Weg gegangen sind, und wir glauben ihn gehen zu können, weil der vorliegende Gesetzentwurf den Belangen Rechnung trägt, die bei einer Übergangsregelung berücksichtigt werden müssen. Das hat der Herr Minister soeben schon in allen entscheidenden Punkten klargelegt.Man kann darüber streiten, ob das richtig und gut ist oder nicht, Herr Kollege Jahn, aber einen aus der Verantwortung gegenüber Millionen von Menschen, die auf die Verabschiedung dieses Gesetzes warten, schwer geborenen Entschluß als leichtfertig und unwürdig zu bezeichnen, eine solche Kritik geht, glaube ich, über das hinaus, was in diesem Hause sonst üblich ist.
Sie begründet darüber hinaus den Verdacht, gegenüber dem Kritiker, daß es ihm hier nicht mehr so sehr auf die sachliche Erledigung schwerer Probleme ankommt, sondern das .er eine Kritik ohne solche Fundamente und ohne solche Unterlagen üben will.
Das gilt um so mehr, als die weiteren Ausführungen des Herrn Kollegen Jahn doch mindestens außerordentlich problematisch sind.Ich darf mich zunächst zu seiner Meinung äußern, das jetzt vorliegende Gesetz und die weiteren Gesetze, die folgen sollen, enthielten einen der schwersten Eingriffe oder eine der schwersten Umgestaltungen des BGB. Meine Damen und Herren, es wird schwer sein, abzuwägen, ob etwa die Änderungen des Eherechts, ob etwa die Änderungen des Arbeitsrechts am BGB schwerer wiegen als das, was wir jetzt machen. Darüber will ich nicht streiten. Aber der am schwersten wiegende Eingriff, der im Laufe der Jahre gerade hinsichtlich der mietrechtlichen Bestimmungen gemacht worden ist, war doch die Schaffung des Mieterschutzes. Es liegt in der Natur der Sache, daß es nun nicht ganz einfach ist, diese fast 50 Jahre bestehende Institution abzubauen. Da gibt es Schwierigkeiten. Man kann das aber nicht so angreifen, indem man sagt, hier sei leichtfertig oder gar unwürdig gearbeitet worden.Sie werfen uns weiter vor, daß das Gesetz an einer Fülle von unklaren Formulierungen leide, und beziehen sich dabei insbesondere auf den schon verabschiedeten § 556 a. Ich darf daran erinnern, Herr Kollege Jahn, daß wir sowohl im Ausschuß als auch sonst gehört haben, daß Sie gerade zu diesem § 556 a eingehende Änderungsanträge stellen wollen. Wir warten nur seit Monaten vergeblich auf diese Änderungsanträge, wissen nicht, wie sie lauten werden; denn erst das würde doch eine Diskussionsgrundlage ergeben. Alle Vorwürfe, die Sie wegen Zeitversäumnis hier gegen andere erhoben haben, treffen mindestens in diesem Falle genausogut die SPD;
denn das sind doch Bestimmungen, die seit Jahr und Tag in Kraft sind.
Metadaten/Kopzeile:
3980 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Gestatten Sie eine Frage? —. Bitte, Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß die SPD auch zu den im Jahre 1960 schon verabschiedeten Bestimmungen im mitberatenden Ausschuß, der die gesamte Materie behandelt hat, nämlich im Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Änderungsanträge gestellt hat, die abgelehnt worden sind, und daß sich auch bei den Verhandlungen im Rechtsausschuß herausstellte, 'daß bei den Koalitionsparteien keine Bereitschaft bestand, den Änderungsanträgen, gleich welcher Art, Gehör zu schenken?
Ich darf mit dem letzteren beginnen; denn damit widerlegt sich alles weitere.
Wir haben im Rechtsausschuß nicht nur über Änderungsanträge 'diskutiert, ja, wir haben die Regierungsvorlage in wesentlichen Punkten sogar geändert. Ich denke da insbesondere an die Frage des Kündigungsrechts wegen Verzugs der Mietzahlungen. In diesem Punkte haben wir weitgehend den Anregungen, die gerade aus Ihren Reihen gekommen waren, entsprochen. Es ist nicht so, daß wir, wenn diskussionsfähige Anträge vorgelegen hätten, darüber nicht diskutiert hätten. Wir sind auch künftig bereit, solche Anträge, falls sie uns einmal konkret vorliegen, zu erörtern, zu prüfen, was davon akzeptabel ,ist und was nicht akzeptiert werden kann. Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil nun einmal das Mietrecht Tatbestände regelt, die ungeheuer differenziert sind, die in dem einen Haus ganz anders sein können 'als in einem anderen und die uns deshalb zwingen, allgemeine Formulierungen zu wählen, um den Grundgedanken zum Ausdruck zu bringen. Gerade diese Konkretisierung aber, die Sie da vermissen, haben Sie ihrerseits stets nur angekündigt. Herr Kollege Jahn, ich bin gespannt darauf, sie zu sehen und mit Ihnen zu erörtern, wie wir auf einer solchen Grundlage dann zu konkreten Ergebnissen kommen. Solange das 'aber nicht der Fall ist und wir hier keine echte Diskussionsgrundlage haben, ist es doch ziemlich sinnlos, in dieser allgemeinen Form Kritik zu üben.
Verwundert hat mich dann insbesondere die Frage, ob die nach den Beschlüssen des Ausschusses in schriftlicher Form zu erteilende Kündigung begründet werden soll oder nicht.
Ich will nicht die Probleme im einzelnen anschneiden, die sich schon hinsichtlich des Mietverhältnisses ergeben. Aber ganz klar ist darüber hinaus im Rechtsausschuß schon über die Frage gesprochen worden — auch das soll hier nicht vertieft, aber doch klargestellt werden —, daß es sich bei Dauerschuldverhältnissen, etwa in Gesellschaftsverträgen — um nur einen der zahlreichen Fälle herauszugreifen —, um ein so umfassendes juristisches Problem handelt, daß es nicht möglich ist, für das eine Dauerschuldverhältnis, nämlich den Mietvertrag, eine Regelung vorwegzunehmen ohne die Auswirkungen auf alle anderen möglichen Verträge zu erwägen,
Arbeitsverträge, Gesellschaftsverträge und unter Umständen Darlehensverträge und ähnliche.
— Warum nicht? — Weil gerade die Systematik des BGB — die Gesamtsicht, unter der man hier auch jedes einzelne Problem sehen muß — erfordert, daß hier nicht nur besonderes Recht im Mietgesetz geschaffen werden kann, sondern daß diese Frage in einem allgemeinen Zusammenhang betrachtet werden muß. Das, Herr Kollege Jahn, ist erörtert worden, und Sie übergehen, daß diese Frage erörtert ist. Aus diesem Grunde haben wir uns nicht entschließen können, dem stattzugeben. Ich glaube, das ist es, was ich hier wohl mit Recht kritisieren darf.
Am schwersten getroffen hat mich dann aber doch der Vorwurf, die Koalitionsparteien hätten mit einseitigen Begriffen operiert und daraus Konsequenzen gezogen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie alle haben heute die Rede des Herrn Kollegen Jahn gehört. Ich habe ihn nur über die Anliegen der Mieter sprechen hören; das nenne ich freilich einseitig. Schwieriger ist es, und das ist gerade das, worüber wir uns in den weiteren Beratungen auseinandersetzen müssen, hier eine echte Interessenabwägung zwischen Vermietern und Mietern stattfinden zu lassen. Wir haben uns darum bemüht. Das führt freilich zu der Konsequenz, daß wir die Sache nicht so einseitig sehen, wie ich heute aus Ihren Ausführungen folgern zu können glaubte, daß Sie sie sehen.
Ich meinte, daß diese Dinge hier noch einmal klargestellt werden müßten, damit nicht der Eindruck entsteht, als träfe das, was am Anfang der Rede stand, tatsächlich zu. Hier ist nicht leichtfertig und gar unwürdig gehandelt worden, sondern ich nehme für mich, aber auch für die Kollegen, die mitgearbeitet haben, in Anspruch, daß wir ernsthaft darum gerungen haben, ob wir diesen Weg gehen können oder nicht, und daß wir nicht unwürdig und leichtfertigt gehandelt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute morgen haben sich in diesem Saale Vorgänge wiederholt, die wir schon von der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes im Jahre 1960 her kennen. Schon damals hat man gegenüber der Mehrheit, die dieses Gesetz beschlossen hat, recht massive Vorwürfe erhoben. Man ist allerdings in der Kritik nicht 'so weit gegangen. Man ist in der Kritik nicht so würdelos gewesen, wie das heute morgen der Fall gewesen ist.
Sie haben uns ja heute morgen in diesem Saal einige Beispiele von „Unerhört" und „Unwürdig" vorexerziert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3981
Dr. Weber
Es wäre, wie Herr Kollege Busse mit Recht betont hat, gar nicht nötig gewesen, bei der Verabschiedung dieses Gesetzes noch das Wort zu ergreifen, da Sie nicht mit sachlichen Anträgen zu den hier vorliegenden Anträgen Stellung nehmen, weil Sie dazu im Augenblick, jedenfalls zu den zu verabschiedenden Bestimmungen, nichts zu sagen haben.
Ich verwahre mich gegen die Ausdrücke „hektische Eile", „Unsachlichkeit", „undurchdacht", „unverantwortlich", die eine Kritik an der Arbeit des Ausschusses sind, Ausdrücke, Herr Jahn, die eine sachliche Zusammenarbeit sehr schwer gestalten werden.
Wir verwahren uns dagegen, weil diese Vorwürfe in keiner Weise berechtigt sind.Es ist Ihrem Wunsch Rechnung getragen worden, daß wir, wie Sie es nannten, Sachverständige — ich möchte sie sachverständige Berater nennen — zu den Ausschußverhandlungen hinzugezogen haben. Wir sind uns auch der Verantwortung, die wir gegenüber einem Gesetz wie dem BGB tragen, durchaus bewußt gewesen. Gerade diese Verantwortung ist es — das wollen Sie nicht sehen, obschon es Ihnen im Ausschuß so oft gesagt worden ist —, die uns Veranlassung gab, Teile, die umstritten waren, zurückzustellen, und nur diejenigen Bestimmungen jetzt zu verabschieden, die dem Mieter beim Abbau, beim Wegfall des Mieterschutzes den nötigen Schutz geben sollen.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter Weber?
Bitte.
Herr Kollege Weber, halten Sie es für ein Zeichen besonderer Verantwortung gegenüber dem BGB, daß das Mietrecht des BGB in drei Bruchstücken neu geregelt wird?
Diese Art, eine solche Gesetzgebungsmethode mag nicht gerade sehr schön sein. Wir tun aber das, was nötig ist, und lassen uns von Ihnen nicht vorschreiben, wie wir das machen sollen.
Wir sind uns der Verantwortung, die wir tragen, vollauf bewußt und vertreten auch heute noch den im Jahre 1960 verabschiedeten § 556 a und § 565, die Sie ja glaubten, wiederum ausgiebig kritisieren zu sollen. Herr Jacobi hatte schon in einer Zwischenfrage darauf hingewiesen.
Woran liegt es denn? Wir haben Ihre Änderungsanträge, die Sie damals sowohl in den Ausschüssen als auch im Plenum gestellt haben, abgelehnt. Man kann dann doch nicht sagen, daß die Dinge in einer Weise geregelt worden seien, die unverantwortlich sei. Sie haben nicht die Mehrheit dafür gefunden, deshalb sind die Anträge abgelehnt worden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte.
Darf ich nach Ihrer Feststellung von eben nunmehr feststellen, Herr Kollege Dr. Weber, daß es sich hier erklärtermaßen nicht um eine angemessene Behandlung der Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches handelt, sondern daß es um den politischen Willen der Mehrheit geht?
Nein, zu dieser Feststellung dürften meine Ausführungen keine Veranlassung gegeben haben, Herr Kollege Jahn.
Sie wollen sie bewußt mißverstehen. Ich habe eine derartige Erklärung, wie Sie sie mir unterstellen, hier nicht abgegeben. Ich habe lediglich gesagt, ich bedaure, daß es nicht möglich ist, das in einem Zug zu machen. Aber wir setzen uns absolut nicht in Widerspruch zu Bestimmungen, die wir längst verabschiedet haben. Wir setzen uns absolut nicht in Widerspruch zu Bestimmungen, die noch verabschiedet werden müssen, weil wir ganz bewußt abschnittsweise vorgehen, nur die Bestimmungen behandelt haben und jetzt behandeln, die notwendig sind, um dem Mieter bei Wegfall des Mieterschutzgesetzes den nötigen Schutz zu gewähren. Nichts anderes wird mit der heute zu beratenden Vorlage bezweckt.Meine Damen und Herren, ich habe heute morgen so das Gefühl gehabt, ich sei mal wieder um 12 bis 14 Jahre zurückversetzt. Worum geht es denn hier? Herr Kollege Busse hat es schon hervorgehoben, und ich wiederhole es noch einmal — davon ist nämlich kein Wort gesprochen worden —: Es geht um die Überführung der Wohnungszwangswirtschaft in die freie soziale Marktwirtschaft. Das haben wir schon im Jahre 1948 unter Ihrem stärksten Widerspruch in unser Programm hineingeschrieben, und wir haben es seitdem konsequent Schritt für Schritt verfolgt, wie es auch Ihr früherer Ministerpräsident Braun in Preußen in den Jahren 1925 bis 1933 gemacht hat. Auch er konnte die Wohnungszwangswirtschaft nicht mit einem Schlag beseitigen, sondern er begann im Jahre 1925 mit Lockerungsverordnungen. Fast in jedem der folgenden Jahre ist irgendeine weitere Lockerungsverordnung erschienen. So wollen wir auch diesmal vorgehen. Derartige Verhältnisse, wie sie sich nun in 40 Jahren herausgebildet haben, können nicht mit einem Schlag beseitigt werden. Deshalb gehen wir vorsichtig Schritt für Schritt vor.Ich hatte manchmal bei Ihren Ausführungen, bei Ihrer maßlosen Kritik das Gefühl, daß Sie den Raum verwechselt haben und daß Sie sich noch nicht von der Atmosphäre vom letzten Freitag in der Rheinhalle in Düsseldorf haben lösen können, Herr Kollege Jahn.
Metadaten/Kopzeile:
3982 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Dr. Weber
Sie haben dort ausgeführt, das Mietrecht sei nicht sozial. Auch heute morgen haben Sie wieder ganz bewußt ein Gesetz übersehen, das in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gesetz über die Änderung mietrechtlicher Vorschriften gebracht werden muß und das wir heute noch verabschieden werden, das Gesetz über die Miet- und Lastenbeihilfen. Nach diesem Gesetz wird jedem finanzschwachen Mieter eine solche Hilfestellung gegeben, daß niemand — ich betone: niemand — etwa deshalb, weil er die Miete nicht aufbringen kann, aus einer Wohnung herausgesetzt werden kann.
— Sie erschöpfen sich nicht im Geld. Wir werden heute entsprechende gesetzliche Vorschriften verabschieden und werden weitere Vorschriften zum Ausbau des Mietrechts nach den Sommerferien im Ausschuß behandeln und hoffentlich auch noch vor Ende des Jahres hier im Plenum verabschieden.Es geht uns darum, daß das Mieterschutzgesetz beseitigt wird, und zwar allmählich abgebaut wird, und daß entsprechende Schutzvorschriften in das BGB übergeführt werden, die nicht, wie es in Düsseldorf hieß, den Mieter vogelfrei und rechtlos machen, sondern ihm den ihm zukommenden Schutz geben, so wie es in einer freien Marktwirtschaft möglich ist. Ich bin eigentlich erstaunt über den Rückschritt bei Ihnen. Ich hatte geglaubt, daß auch Sie sich inzwischen — so war es ja in Ihrem Godesberger Programm zu lesen — zur freien Marktwirtschaft bekannt hätten. Aber aus Ihren Ausführungen heute kann ich nur ein „Nein, nein" zu der Einführung der freien Marktwirtschaft auf diesem Gebiet hören.
Der Verantwortung, die wir gegenüber dem Mieter tragen, sind wir uns sehr wohl voll bewußt. Wir haben durch entsprechende Vorschriften dafür Vorsorge getragen, daß niemand grundlos herausgesetzt werden kann.
— Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage gestatten.
— Wir haben uns mit Ihnen gerade auch darüber im Ausschuß auseinandergesetzt, weshalb die Kündigung nur schriftlich und nicht unter Angabe von Gründen erfolgen soll. Wenn die Gründe angegeben werden müßten, würde dadurch nach unserer Meinung auch in solchen Fällen Streit hervorgerufen, die sich sonst ohne weiteres abwickeln ließen.
— Die Idee ist uns absolut nicht abgerungen worden. Sie ist im Rechtsausschuß jedenfalls — Herr Kollege Jacobi, Sie waren selbst dabei — auf keinerlei Widerstand gestoßen.
Wir lassen uns von Ihnen nicht vorschreiben, wann und wo wir Regelungen vornehmen, für die wir die Zeit für reif halten. Wir sind der Meinung, daß die Zeit gekommen ist, daß durch die von der Bundesregierung betriebene erfolgreiche Wohnungsbaupolitik nunmehr eine weitere Lockerung des Mieterschutzes, die Aufhebung des Mieterschutzgesetzes und eine weitere Lockerung in der Wohnungszwangswirtschaft eintreten kann. Wir werden deshalb dem heute vorliegenden Gesetz, das uns diesem Ziel näherführt, zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Gesetzentwurf selber sind keine Änderungsanträge mehr vorhanden, da der Antrag Umdruck 336 von den Antragstellern zurückgezogen worden ist.
Da wir aber interfraktionell vereinbart haben, daß in der Zeit von 12.30 Uhr bis 14 Uhr keine Abstimmungen stattfinden, stelle ich die Abstimmung jetzt zurück.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fristen des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (Drucksachen IV/1336, zu IV/1336)
.
Berichterstatter ist der Abgeordnete Mick. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Der Berichterstatter verzichtet.Wir sind in der zweiten Beratung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3983
Vizepräsident Schoettle — Wollen Sie für die allgemeine Aussprache das Wort haben oder zur Änderungsanträgen Stellung nehmen?
— Gut, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute herrscht in diesem Hause eine mir im einzelnen nicht erklärbare Nervosität, und offenbar muß man sich besonders bemühen, die Worte abzuwägen. Das fällt ein wenig schwer, wenn man die Dinge, die hier im Rahmen der Tagesordnungspunkte 13, 14 und 15 beraten werden, in ihrer ganzen Komplexität betrachtet. Dann nämlich, Herr Kollege Dr. Weber, der Sie sich soeben so getroffen fühlten, sieht man, daß es doch nicht ganz so leicht ist, die Methoden zu verteidigen, die bei den Beratungen von Ihren Freunden für richtig gehalten wurden. Der Vorwurf, daß hier wichtigste Fragen mehr als zwei Jahre nicht behandelt wurden, daß man sich allzuviel Zeit nahm, hat eine ganz besondere Bedeutung.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege, Sie gehören zu denjenigen, die gelegentlich Zwischenrufe machen, ohne zu wissen, was sie damit sagen.
Denn der Punkt, zu dem ich jetzt spreche — —
— Ich bin ja dabei, Herr Kollege Dr. Czaja. Sie werden noch nervöser werden. Passen Sie gut auf!
— Ich antworte ja; nur hindern Sie mich durch Ihre Zwischenrufe daran, Herr Kollege. Ich habe so auf Ihren Zwischenruf reagiert, weil es sich gerade bei dem Tagungsordnungspunkt, der in diesem Augenblick aufgerufen worden ist, um einen Antrag meiner Freunde handelt, der in totalem Widerspruch zu dem steht, was Ihre Freunde für richtig hielten. Wir haben im Januar dieses Jahres einen Gesetzesantrag eingebracht, in dem wir — er wurde im März von mir eingehend in ,diesem Hohen Hause begründet — beantragt haben, wegen der vielen Unklarheiten, wegen der Zeitversäumnisse und wegen anderer Dinge die Fristen ides sogenannten Lücke-Planes um ein Jahr zu verschieben. Das hat seinen Grund, Herr Kollege Dr. Weber, nicht in einer grundsätzlichen Ablehnung der Überführung des Wohnungswesens in die Marktwirtschaft, sondern in Bedenken gehabt, die wir haben, ob denn die Zeit schon reif ist, heute zu entscheiden und die Fristen in Gang zu setzen. Darüber möchte ich Ihnen einiges sagen dürfen.Wenn man sich den Schriftlichen Bericht ansieht, den der Kollege Mick vorgelegt hat, dann wird einem erst in diesem Augenblick — wenn man sichsonst mit der Materie nicht beschäftigt hat — klar, daß es sich hier um einen derartig abgewandelten SPD-Antrag handelt, daß nur noch .der Mantel übriggeblieben ist, der Inhalt aber nur, wenn man Kuriositäten zuneigt, als mit dem Willen der Antragsteller vereinbar angesehen werden kann.
Metadaten/Kopzeile:
3984 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3985
In Düsseldorf ergab die von der Stadtverwaltung angestellte Ermittlung ein Wohnungsdefizit, das rund 150 % über dem des Statistischen Landesamtes
Metadaten/Kopzeile:
3986 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Jacobi
lag. Wieder läßt sich die frappierende Differenz durch eine örtliche Besonderheit, wenigstens zum Teil, erklären: in Düsseldorf besteht ein besonders starkes Einkommensgefälle. Die Einkommensverhältnisse erlauben es daher einer weitaus größeren Zahl von Einwohnern als in anderen Städten, frei finanzierte Wohnungen zu mieten und diese gering zu belegen bzw. mehrere zu belegen.In Essen stimmt das rechnerische Defizit nicht wegen des außerordentlich hohen Wechsler- bzw. Nachholbedarfs.Herne würde nach den Feststellungen des Statistischen Landesamtes auf der Grundlage 1956 weißer Kreis sein. Eigene Erhebungen ergaben ein Defizit von weit über 3 %. Grund: das Statistische Landesamt geht von der Wohnbevölkerung aus und zieht alle diejenigen Personen von der Einwohnerzahl ab, die einen zweiten Wohnsitz in einer anderen Gemeinde haben und dort zur Arbeit gehen. Da es sich hierbei jedoch überwiegend um Personen handelt, die verheiratet sind und ihre Familienwohnungen in Herne haben, stimmt der statistische Ausgangspunkt nicht; wieder also eine örtliche Besonderheit.Für Recklinghausen — ich nenne nur noch zwei Orte — kann der amtliche Berechnungsmodus deswegen keine Geltung haben, weil ein überdurchschnittlich hoher Nachholbedarf besteht. Bei Wohnungskontrollen ist festgestellt worden, daß 10 bis 15% der Familien in völlig überbelegten bzw. menschenunwürdigen Wohnungen wohnen, vielfachdrei Generationen in einer Wohnung.Ein letzter Ort: Offenbach. Ich verdanke diese Zahlen unserem Kollegen Bäumer, der in dieser Stadt Wohnungsdezernent ist. Offenbach hat eine Einwohnerzahl von 120 000 und einen Wohnungsbestand von 39 700 per 31. Dezember 1962. An Wohnungsuchenden werden in Offenbach vermerkt: 19 740 Personen für 6580 Wohnungseinheiten. Davon sind objektiv gesucht — also Wohnungen, bei denen dem Suchenden bis jetzt keine eigene Wohnung zur Verfügung steht; also nicht unter Berücksichtigung subjektiver Wohnwünsche —: 4290 Wohnungen. Subjektiv — wegen angeblich unzureichender Wohnungen — werden 2290 Wohnungen gewünscht. An Notstandsfällen gibt es 450, an Räumungsfällen über 200, an jungen Familien 528, die nicht wohnungsversorgt sind. Die Zahlen, die Sie hier zu den amtlichen statistischen Zahlen in Vergleich setzen können, liegen bei weitem über 100 % höher, als es die amtliche Statistik ausweist.Das alles — ich könnte weitere Beispiele anführen — zeigt, wie wenig man mit der Statistik anfangen kann, als wie schwaches Indiz für die Beurteilung der Sachverhalte sie überhaupt zur Seite steht. Ich will auf weitere Beispiele verzichten, die alle zeigen, daß das Modell der Defizitberechnung in seiner jetzigen starren Handhabung einfach unzureichend ist und daß es die besonderen Verhältnisse im Einzelfall gleichsam vergewaltigt.Wie immer man die Dinge betrachtet, wir können unser Erstaunen darüber nicht leugnen, daß man es sich so leicht macht, auf Grund der Statistik Entscheidungen von so weitreichendem Umfang zu treffen, wie das hier geschieht.Im übrigen wurde, als wir im März Kritik übten, erklärt: „Jawohl, wir werden die neuen Zahlen vorlegen; wir werden der neuen Berechnung die Ergebnisse der Statistik des Jahres 1961 zugrunde legen." — Haben Sie eigentlich diese Statistik bereits in Händen? Hat Ihnen irgend jemand einmal eine Aufstellung an die Hand gegeben, auf Grund derer Sie Vergleiche anstellen können?
— Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. — Schließlich sind die Ausschüsse keine Geheimnisträger; jedenfalls nicht alle Ausschüsse sind es. Es handelt sich um eine Frage, die der Beurteilung auch der Bevölkerung unterliegen muß, und ich möchte eigentlich annehmen, daß Abgeordnete, die von dieser teilweisen statistischen Unterrichtung, zu der ich gleich noch eine Bemerkung machen will, nicht erfaßt worden sind, ebenfalls einen Anspruch darauf haben, zu wissen, worüber sie mitentscheiden.
Wenn Sie in Ihre eigenen Kreise zurückgehen, kann keiner von Ihnen sagen, was dort nun geschieht. Ich kenne Oberstadtdirektoren, Oberbürgermeister und Verwaltungsfachleute aus der ganzen Bundesrepublik, die selbst heute noch nicht wissen, wie es denn nun mit den Ergebnissen der Statistik aussieht.Vor einigen Tagen konnten wir in der Presse lesen, daß nach dem neuen Saldo von 565 Stadt- und Landkreisen jetzt 397 sogenannte weiße Kreise sind. 200 Kreise sollen nicht einmal ein Defizit von 3 % oder weniger sondern überhaupt kein Defizit haben; es wurde sogar behauptet, ein Teil von ihnen verzeichne einen Wohnungsüberschuß.Ich weiß nicht recht, ob man sich mit einer solch allgemeinen Berichterstattung abfinden kann, die noch dazu lediglich durch die Presse erfolgt. Die Ergebnisse, die uns, wie schon Herr Kollege Dr. Hesberg sagte, lediglich im Ausschuß an die Hand .gegeben worden sind — wenn ich nicht irre, geschah das Ende Mai/Anfang Juni dieses Jahres —, trugen dazu noch den Vermerk: „Nicht zur Veröffentlichung". Bis dahin hatten wir eine Aufstellung erhalten, wonach 166 betroffene Kreise weiße Kreise sein sollen. Jetzt hat man uns Ende Mai/Anfang Juni eine Liste nachgereicht, wonach sich die Zahl der weißen Kreise um 153 auf insgesamt 319 erhöht. Eine Aufbereitung dieser Werte aber ist nicht erfolgt, und ebensowenig hat man uns eine Überprüfungsmöglichkeit gegeben.Nun sollen also noch weitere Kreise erfaßt worden sein. Haben wir in diesem Hause denn nicht einen Anspruch darauf, daß jeder Abgeordnete nicht nur diese Aufstellung bekommt, sondern auch einige Erläuterungen dazu?
Unter anderem meine ich ,die Erläuterung dessen,was kürzlich im Bundesbaublatt zu lesen war: es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3987
Jacobi
werde noch geraume Zeit dauern, bis die Statistik ausgewertet werden könne. Es liegen also lediglich Zahlen vor; ihre umfassende Auswertung jedoch ist noch nicht möglich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute ist das Wort „würdig" hier in diesem und jenem Sinne gebraucht worden. Ich glaube nicht, daß es mir eine Rüge ,einbringen kann, wenn ich erkläre: Eine solche Methode scheint mir dieses Hauses kaum würdig zu sein. Wir müssen doch wissen, worüber wir entscheiden!Noch eines will ich Ihnen sagen. Wir haben schließlich außer der Notwendigkeit, unsere eigene Bevölkerung mit Wohnungen zu versorgen, seit langer Zeit auch die Verpflichtung, uns um die Gastarbeiter zu bekümmern. Wenn Sie die Gastarbeiter einmal in Verbindung mit der Statistik bringen, um ,die es hier geht, dann läßt sich folgendes feststellen. Bei der Berechnung des statistischen Wohnungsdefizits wurden anläßlich der Haushaltszählung 1956 .die zu diesem Zeitpunkt schon in Deutschland in Privatunterkünften — also nicht in Werkheimen oder Anstalten — lebenden Gastarbeiter als selbständige Haushalte mit erfaßt. Das können Sie bei jedem Statistischen Landesamt erfahren. Dabei handelt es sich jedoch um relativ niedrige Ziffern; 1956 waren noch nicht sehr viele Gastarbeiter zu registrieren.Bei der Berechnung des Defizits für 1961 wurden die bis dahin zusätzlich eingeströmten Gastarbeiter und damit ihre eigentliche Zahl in der Fortschreibung nicht erfaßt. Nach der im Rahmen der EWG geschlossenen Vereinbarung über die Freizügigkeit von Arbeitskräften im Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind die Gastarbeiter, was ihre Unterbringung in Wohnungen angeht, den heimatlichen Arbeitern gleichzustellen. Hier aber handelt es sich um ein Problem, das besonders viele weiße Kreise betrifft. — Herr Kollege Dr. Czaja, Sie scheinen mir der Sache nach zuzustimmen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß nach meiner Schätzung auf Grund der Angaben, die ich bekam, allein im Lande Baden-Württemberg zirka 300 000 Gastarbeiter auf diese Weise nicht erfaßt worden sind. Für Niedersachsen gilt ähnliches. Für die übrigen Länder auch.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ist denn das eine verantwortliche Methode? Ist denn das irgendwie zu billigen und zu verstehen? Die örtlichen Behörden aber müssen mit den Schwierigkeiten fertig werden. In den weißen Kreisen sitzen diese Gastarbeiter genauso wie in den sogenannten Ballungsräumen in den Großstädten, die noch nicht betroffen werden. Das sollte uns eigentlich alle ein wenig nachdenklich stimmen. Wir sollten uns da doch wohl ein wenig mehr, als dies bisher von Ihrer Seite geschehen ist, überlegen, ob denn wirklich die Reife der Entscheidung vorliegt, von der Sie ausgehen. Wir Sozialdemokraten meinen, daß das nicht der Fall ist. Wir halten deshalb unseren Antrag, die Fristen des sogenannten Lücke-Planes um ein Jahr zu verschieben, aufrecht. Wir haben ihn frist- und formgerecht eingebracht, und es ist darüber zu entscheiden.Nach dem, was ich ausgeführt habe — ich könnte es noch breit ergänzen, will aber darauf verzichten —, kann doch nicht geleugnet werden, daß die Entscheidungen, die hier hinsichtlich der weißen Kreise und der Infristsetzung der Maßnahmen des Lücke-Plans getroffen werden, auf einem schwankenden und undurchdachten Unterbau, auf Fiktionen und Prämissen erfolgen, die eigentlich einer sachlichen Prüfung nicht standhalten. Es kann auch von Ihnen nicht geleugnet werden, daß Sie Entscheidungen treffen, die Sie zum Teil gar nicht übersehen. Wir pflegen uns im Ausschuß immer freimütig zu unterhalten, und da haben auch Sie zugeben müssen, das Ganze sei natürlich ein gewisses Experiment. Sie hofften nur im Gegensatz zu uns, daß es klappen werde.
Wir haben die Sorge und die Pflicht, Sie zu warnen und zu mahnen. Wir haben die Pflicht, uns zum Sprecher derer zu machen, die voller Sorgen sind, die verwirrt sind, die Angst vor der Entwicklung haben, und haben dabei nicht die Absicht, irgend etwas zu dramatisieren. Das wollen wir nicht, und das dürfen wir nicht im allgemeinen Interesse. Dennoch möchten wir Sie bitten, noch einmal zu überlegen, ob es richtig ist, wie Sie es sich offenbar geschworen haben, die Fristen in der Weise, wie Sie uns heute vorgeschlagen haben, aufrechterhalten.Wir sind der Meinung, daß Sie schlecht beraten sind, wenn Sie auf Ihrem Standpunkt beharren. Wir wissen andererseits, daß es nicht nur auf der Seite der Mieter Sorgen gibt, sondern daß auch bei den Haus- und Grundbesitzern eine gewisse Unzufriedenheit herrscht und daß hier sogar sehr massive Forderungen gestellt werden, ja, daß man mit dieser oder jener Maßnahme nicht zufrieden ist und glaubt, man könne auch in den schwarzen Kreisen die Maßnahmen treffen, die für die weißen vorgesehen sind. Es gibt doch — Herr Preusker hat Derartiges gesagt — sogar Vorstellungen, in einigen Jahren würden wir über Wohnungshalden verfügen. Auch dafür, meine Damen und Herren, gibt es keinen Anhaltspunkt; es sei denn, daß es sich um Luxuswohnungen handelt, die zum Teil heute schon leerstehen, weil sie — das hat mir der Herr Kollege Bäumer gesagt —, wie etwa in Offenbach, zu einem Mietpreis von 400 bis 450 DM nicht an den Mann gebracht werden können. Es handelt sich dort um Appartementwohnungen mit einem Raum, Kochnische, Diele und Bad. Solche Wohnungen können wohl von uns nicht als Normalwohnungen betrachtet und in unsere Rechnung einbezogen werden.Meine Damen und Herren, ich darf zum Abschluß erklären, daß wir uns darüber im klaren sind: hier geht es um schwierige Fragen. Aber es geht in sofern um übersehbare Dinge, als Sie selbst mit einer letzten Gewißheit und mit ruhigem Gewissen nicht vertreten können, was Sie sich vorgenommen haben.Ich darf noch einmal auf den Aufsatz zu sprechen kommen, den der Herr Bundesminister Lücke in der Zeitschrift „Rheinischer Merkur" geschrieben
Metadaten/Kopzeile:
3988 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Jacobi
hat. Dort spricht er zum Schluß davon, daß es darum gehe, Vorurteile auf beiden Seiten, bei Hauseigentümern und bei Mietern, abzubauen. Er bezeichnet sich in diesem Zusammenhang als Anwalt beider Gruppen und bietet an: echte Partnerschaft. Er schreibt:Im Interesse unserer Gesellschaftspolitik können wir auf ein optimales Maß an Freiheit auch in Fragen des Haus- und Grundeigentums nicht verzichten. Die von uns— so schreibt er wörtlich —angestrebte Gesellschaftsordnung verlangt aber auf der anderen Seite, daß die freie Verfügungsmacht über Haus und Boden in voller sozialer Verantwortung vor der Allgemeinheit gehandhabt wird. Eine echte Partnerschaft zwischen Hauseigentümern und Mietern ist nur möglich, wenn mit der Lösung der Erstarrung des Wohnungsmarktes auch eine Lösung der erstarrten Vorstellung vom Begriff „Wohnwert" erfolgt.All dem möchte ich zustimmen. Ich muß nur meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß heute im Jahre 1963 plötzlich der Wohnwert als möglicher Maßstab der Beurteilung entdeckt wird. Als wir bei der Beratung des Ersten Bundesmietengesetzes immer wieder mit substantiierten Anträgen darauf abstellten, man möge doch den Wohnwert zugrunde legen, da haben Sie uns entgegengehalten
— zum Teil mit hämischer Kritik —, das sei verwaltungsmäßig nicht möglich; so etwas könne man nicht machen. Nun können Sie es. Sie haben Zeit gebraucht, um sich in dieser Frage unsere Vorstellungen zu eigen zu machen. Sie sollten sich jetzt Zeit nehmen — ein Jahr Zeit —, um Ihre Konzeption, soweit es sich um eine solche handelt, besonders unter dem Aspekt der sozialen Vertretbarkeit noch einmal zu überdenken.Meine Damen und Herren, es ist zwei Tage her, daß wir dem Präsidenten der Vereinigten Staaten bei seiner denkwürdigen und wegweisenden Rede in der Frankfurter Paulskirche Beifall zollten, als er ausrief: „Unsere Mission ist die Schaffung einer neuen Gesellschaftsordnung, die auf Freiheit und Gerechtigkeit beruht, wo der Mensch Herr seiner Geschicke, wo der Staat der Diener seiner Bürger ist und wo alle Männer und Frauen eines besseren Lebens für sich und ihre Kinder teilhaftig werden können." Diese Worte zum Schluß seiner Rede hat John F. Kennedy auf unsere, ja auf der ganzen Welt Zukunft hin gemünzt.Ich sagte: wir haben dem Beifall gezollt. Stehen wir damit nicht verstärkt in der Pflicht, auch in diesem Hause, nach einem Ausgleich gesellschaftspolitischer Spannungen zu suchen? Verpflichtet uns diese Zustimmung nicht, sorgfältiger denn je zu prüfen, wohin uns die Entscheidungen führen, die wir hier treffen, zu prüfen, ob sie gerecht, ob sie freiheitlich und sozial zugleich sind?Meine Freunde und ich haben nicht den Eindruck, daß diese Voraussetzungen hier vorliegen. Wir haben nicht den Eindruck, daß das ganze Haus weiß, um was es geht, einfach deshalb, weil ihm die nötige Einsicht nicht ermöglicht worden ist. Wir sind der Auffassung, daß hier verfrüht gehandelt wird. Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Fristen wiederherzustellen, doch noch einmal Ihre Aufmerksamkeit zu schenken und ihm gemäß seinem ursprünglichen Wortlaut zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema scheint, sehe ich mir die Besetzung dieses Hauses an, nicht so erregend zu sein, wie es Herr Jacobi dargestellt hat,
obwohl ich der Meinung bin, daß es in der Tat erregender ist, als die gegenwärtige Besetzung des Hauses es anzeigt.
Herr Kollege Jacobi, Sie forderten uns auf, uns ein Jahr Zeit zu nehmen, um nachzudenken. Ich hätte mit mir über dieses Jahr Zeitnehmen reden lassen, wenn Sie tatsächlich hier neue Argumente vorgetragen hätten, über die es sich gelohnt hätte, noch ein weiteres Jahr nachzudenken bzw. zu beraten. Außer — das gestehe ich hier offen — zu dem Problem der Gastarbeiter haben Sie wirklich keinen Gedanken vorgetragen, der nicht schon bei unserer Ausschußberatung, aber auch in der ersten Lesung hier mehrfach, und von Ihnen sogar beschwörend, ausgesprochen worden ist.
Sie haben die Grundlage dieses Abbaugesetzes, die statistischen Zahlen, angegriffen. Das haben Sie bereits in der ersten Lesung getan. Nur, Herr Jacobi, haben Sie doch wieder so etwas wie — nun, wie haben wir uns ausgedrückt — einen Türken gebaut,
d. h. Sie haben etwas hingestellt, von dem Sie selber nicht glauben, daß es so dasteht.
Sie, Herr Kollege Jacobi, haben sich z. B. darüber beklagt, daß die statistischen Zahlen des Jahres 1961 noch in keiner Weise bekannt seien und das ein Zustand sei, der nicht zu vertreten sei. Dabei waren Sie es, Herr Kollege Jacobi, der uns bereits in der ersten Lesung hier Epoche machende Neuigkeiten sagen konnte. Sie waren wahrscheinlich eher im Besitz der statistischen Zahlen des Jahres 1961 als die Bundesregierung. Merkwürdigerweise stammten die meisten dieser Zahlen aus Hessen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger-Heise? — Bitte sehr!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3989
Herr Kollege Mick, stimmt es, daß das Defizit aus der Gegenüberstellung von Wohnungsbestand und Haushalten errechnet wird?
Ich frage nur, ob Ihnen bekannt ist, daß die Gebäudezählung 1961 zugleich von einer Volkszählung 1961 begleitet war und daß in einer amtlichen Verlautbarung steht, daß erst im Frühjahr 1964 diese Volkszählung ausgewertet werden kann. Es fehlt also die Grundlage.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Einen Augenblick bitte, anschließend!
Frau Kollegin Berger-Heise, wenn dem so ist, wie Sie sagen, erübrigt sich Ihr Antrag; denn was wir heute beschließen wollen, besagt, daß der Abbau der Wohnungszwangswirtschaft auf die statistischen Daten der Volkszählung 1961 abgestellt wird.
Wenn diese Daten erst 1964 ausgewertet sein könnnen, kann vorher auch keine Rechtsverordnung erlassen werden, die zu einer Freigabe der Wohnungswirtschaft in den weißen Kreisen führt. Ich wiederhole: Wenn das also stimmt, was Sie sagen, verstehe ich nicht die Erregung; dann kommt keine Freigabe vor 1964, d. h. vor dem Zeitpunkt,
B) zu dem ,die statistischen Daten ausgewertet sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Jacobi? — Bitte sehr!
Herr Kollege Mick, würden Sie die Freundlichkeit haben, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Hauptzahlen, die ich genannt halbe, als ich am 8. März darüber berichtete, aus dem Lande Nordrhein-Westfalen stammen. Ich darf somit feststellen, daß Sie mir doch wohl nicht unterstellen können, ich hätte nur einen einseitigen Weg beschritten, etwa zusammen mit Parteifreunden. Ebensoviel Material verdanke ich Freunden von Ihnen.
Herr Kollege Jacobi, ich hätte noch dazusagen können: Zahlen aus sozialdemokratisch regierten Städten! Das habe ich mir gespart. Man kann an so etwas denken, man braucht aber doch nicht alles auszusprechen.
— Eben, deshalb müssen ,wir uns schon ganz schwer zusammenreißen. Das ist auch meine Meinung, Frau Kollegin. Unsere Parteiorganisation hat eine Menge Sorge und Arbeit, das wieder besser zu gestalten. Dafür werden Sie Verständnis haben.
Nun, verweilen wir noch einen Augenblick bei den statistischen Zahlen! Ich würde hier auf jede Diskussion eingehen, wenn auch nur ein Gedanke gebracht worden wäre, der eine bessere Bezugsbasis abgäbe. Hier wird immer der Gegensatz zwischen den Zahlen der Gemeinden und den Zahlen der Statistik angeführt. Nun, verehrter Herr Kollege Jacobi, ich war lange genug Stadtverordneter in Köln, um zu wissen, daß bei den Zahlen der Gemeinden — ich betone — das wohlverstandene Interesse der Gemeinde eine größere Rolle spielt als eine chemisch reine Statistik.
— Ich sagte: im wohlverstandenen Interesse der Gemeinde.
Die Gemeinden, z. B. die Stadt Gelsenkirchen, deren Denkschrift wir alle bekommen haben — Sie haben sie soeben zitiert —, sind der Meinung, daß die Wohnungs- und Gebäudezählung des Jahres 1961 falsch war. Nun, dann muß in Gelsenkirchen etwas falsch gemacht worden sein.
Die Zählung ist doch von der Stadt Gelsenkirchen im Auftrage des Statistischen Landesamtes durchgeführt worden. Wenn die Zählung falsch war, dann muß sich Gelsenkirchen irgendwie geirrt haben. Dann kann man doch weiß Gott den Bund nicht dafür verantwortlich machen!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Jacobi!
Herr Kollege Mick, ist Ihnen wirklich nicht bewußt, daß die Städte an der Berechnungsmethode ganz allgemein Kritik üben, weil sie der Meinung sind, daß diese Methode den tatsächlichen Verhältnissen allgemein keine Rechnung trägt? Es geht eben um diese Frage und nicht darum, daß bei dieser oder jener Zählung von irgend jemandem nicht aufgepaßt worden ist. Davon kann keine Rede sein. Im Rahmen des Möglichen ist richtig gezählt worden, doch ist der Erfassungsmodus unzureichend.
Herr Jacobi, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, ,daß Sie keine Rede halten, sondern Fragen stellen sollen.
Herr Kollege Jacobi, ein so heuriger Hase, wie Sie sich hier hinstellen, sind Sie doch gar nicht.
— Herr Kollege Jahn, bei Ihrer Intelligenz und bei meiner Elementarschulbildung soll ich Ihnen das noch klarmachen?!
Metadaten/Kopzeile:
3990 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Darf ich Sie aufklären, Herr Kollege Jahn. Ein heuriger Hase ist einer, der noch hinter dem Berge wohnt, im Gegensatz zu denen, die schon drüben sind.
Herr Kollege Jacobi, wir sollten uns aber diese Dinge nicht unterhalten, weil es nach meiner Meinung sinnlos ist. Als ein amerikanischer Gewerkschaftsführer gefragt wurde, was seine Politik sei, da hat er geantwortet: „Mehr!" Wenn Sie die Kommunen, den Oberstadtdirektor oder den Stadtdirektor fragen: „Was ist Ihre Politik?", dann heißt es: „Mehr!", mehr Landesmittel für den Wohnungsbau usw. Er wird einen Teufel daran tun, nachzuweisen, daß bei ihm der Wohnungsbestand restlos gedeckt ist.
— Natürlich, darüber haben wir uns ja heute morgen unterhalten. Der Bund vermag sogar zu begründen, warum er mehr haben muß. Aber wir wollen die Haushaltsdebatte hier nicht fortsetzen .
— Meine Damen und Herren, wenn jeder einzelne etwas sagt, kann ,ich darauf antworten. Aber wenn Sie im Sprechchor loslegen und jeder etwas anderes sagt, komme ich beim besten Willen nicht mit.
Wir haben das, was möglich ist, immer getan. Wir haben die neuesten Zahlen, die zur Verfügung standen, als Bezugsquelle für unser Gesetz genommen. Ich erkenne die Objektivität dankend an, die Sie, Herr Kollege Jacobi, mir zuteil werden ließen, als Sie mir in Ihrer Rede zur ersten Lesung attestierten, daß ich gefordert habe, als Grundlage für dieses Gesetz müßten die neuesten Zahlen dienen. Nun, ich war beileibe kein Rebell mit dieser Forderung, sondern befand mich in bester Gesellschaft, der meiner Fraktion und vor allem auch des Bundeswohnungsbauministers, dem das eine Selbstverständlichkeit war.
In einem Punkt, Herr Kollege Jacobi, haben Sie die Katze etwas aus dem Sack gelassen. Sie sagten in der ersten Lesung: Wir haben diese kurze Verschiebung vorgeschlagen, um Ihnen die Zustimmung zu erleichtern. Sie haben dann ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft abgelegt — hier nachzulesen —, was Sie übrigens auch schon vorher getan haben.
Wenn Sie nur dieses eine Jahr gefordert haben, um uns die Zustimmung zu erleichtern, muß ich doch wohl annehmen, Herr Kollege Jacobi, daß marktwirtschaftliche Überlegungen hier bei Ihnen keine oder nur eine geringe Rolle spielen. Denn sonst hätten Sie wahrscheinlich von Ihrer Fraktion aus einen viel längeren Zeitraum gewählt.
Herr Kollege Mick, ist Ihnen nicht klar, daß diese Ihre Logik insofern brüchig ist, als Sie damit so tun, daß, wenn Sozialdemokraten einen vernünftiger Antrag stellten, er von vornherein bei Ihnen Beifall fände? Haben Sie überhört, daß wir zur Begründung angegeben haben, die Überprüfung der Verhältnisse und eine Verbesserung der Defizitsituation sei für Sie, wenn es sich um ein Jahr handelt, möglicherweise ein Anlaß, unserem Antrag zuzustimmen?
Nein, das haben Sie nicht gesagt.
— Ja, ich habe es zufällig hier. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten werde ich es zitieren.
Ich amüsiere mich immer, wenn der Präsident um Erlaubnis für etwas gefragt wird, was man schon tut.
Also schön, Herr Präsident, ich tue es nicht. Daß ich es könnte, sehen Sie; ich habe das Protokoll hier.Nun, Herr Kollege Jacobi, Sie verlangen doch von uns nicht, daß wir von vornherein etwas annehmen, was von Ihrer Seite kommt. Aber Sie werden uns doch nicht bestreiten können, daß wir uns bei den Beratungen über dieses Gesetz weiß Gott Gedanken gemacht haben, wie wir zu einer bestmöglichen Regelung der anstehenden Fragen kommen. Ich muß Ihnen aber sagen, uns hier zu einer Verlängerung um ein Jahr bringen zu wollen, ohne auch nur einen Vorschlag zu machen, wie wir zu einer Verbesserung kommen können, das ist nach meiner Meinung eine Zumutung, der wir nicht folgen können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe zu, daß dieses statistische Wohnungsdefizit — das haben wir auch nie bestritten — z. B. nichts darüber aussagt, ob jeder seine Wohnung hat. Daß die Wohnungsversorgung keineswegs so ist, daß jeder sagen kann: In der Wohnung möchte ich wohnen bleiben, die genügt meinen Ansprüchen usw., darüber sind wir uns restlos klar. Aber in der Politik muß man in Etappen vorgehen. Wir sagen: Zunächst jedem eine Wohnung und dann jedem seine Wohnung. Deshalb bin ich der Meinung, daß es wenig Sinn hat, über die hier anstehenden Fragen jahrelang zu diskutieren, weil es einfach keinen Boden gibt, von dem aus exakte Beweise in jedem Fall geführt werden können.Worin wir uns aber einig sein sollten — das hat Minister Lücke in Berlin ausgeführt, und Ihre Unterstützung wurde ihm dabei zugesagt —, was wir gemeinsam sicherstellen sollten, ist, daß weiter gebaut wird und daß so weiter gebaut wird, daß auch der sogenannte kleine Mann eine Wohnung erstehen kann.Nun, daß wir hier — ich komme nicht auf Wohnbeihilfen, Herr Kollege Jacobi — eine Menge Sorgen in Sachen Baupreise und in Sachen Bauland-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3991
Mickpreise haben — ich wäre der letzte, der dies bestreiten wollte. Wogegen ich mich aber wende, ist, daß wir eine Debatte dauernd nach rückwärts führen. Wir sollten die Debatte nach vorwärts führen: den Wohnungsbau zu Bedingungen sicherstellen, die auch dem letzten Wohnungssuchenden den Bezug einer familiengerechten Wohnung garantieren.
— Ich habe gesagt: Darin sollte unser gemeinsames Bemühen liegen. Das sind keine großen Worte, sondern das ist ein verdammt hartes Werk in der gegenwärtigen Situation.
Aus den hier dargelegten Gründen beantrage ich namens meiner Fraktion, den Antrag der SPD abzulehnen.
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Kiep-Altenloh.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bevor ich zu den Ausführungen meiner Vorredner spreche, lassen Sie mich mit ganz wenigen Worten noch einmal den Sinn dieses Gesetzes, über das wir hier beraten, herausstellen. Es handelt sich um ein Gesetz zur Änderung von Fristen des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet-und Wohnrecht.Worum geht es? Wir gehen von dem Standpunktaus, daß die Wohnung 40 Jahre lang nicht der freien Wirtschaft überlassen war, soweit Wohnungen das überhaupt sein können. Wir gehen von dem Standpunkt aus, daß die Wohnung in der Vorstellung nicht nur einer, nein, bereits zweier Generationen ein gebundener Wert war, der nur verteilt wurde, den man außer im frei finanzierten Wohnungsbau nicht erwerben konnte. Diese Vorstellung geistert auch in einer ganzen Reihe von Zuschriften, die wir ja in reichlichem Maße bekommen haben.Kaum jemand kann sich von der Vorstellung frei machen, daß die freie Marktwirtschaft in ihrer heilenden und ausgleichenden Kraft hier vielleicht doch etwas vollbringt, was wir mit der Wohnungszwangswirtschaft beim besten Bemühen nicht fertiggebracht haben. Es wäre nicht das erste Mal, daß wir ein solches Erstaunen erleben.Nun haben wir hier die Frage, ob die Wohnungszwangswirtschaft in eine freie Wirtschaft übergeführt werden soll. Wir sind hierüber in den drei Fraktionen einer Meinung, aber in dem Glauben daran sind wir verschiedener Meinung. Hier begegnen sich die Ansichten verschiedener Leute, die im Bauwesen, auch im genossenschaftlichen Bauwesen, tätig sind, mit denen aus sehr skeptischen Mieterkreisen. Aus beiden Kreisen der Bauwirtschaft habe ich in verschiedenen Städten zufällig gehört, daß der Wohnungsbedarf dort tatsächlich gedeckt sei. Die Bedenken aber, die die SPD aufgeworfen hat und die dahin gehen, ob die zugrunde gelegte Statistik stimme, haben wohl jeden zum Nachdenken veranlaßt. Man kann diese Bedenken nicht mit einer Hand wegwischen.Herr Jacobi, Sie haben zu diesen Bedenken ausführlich Stellung genommen. Wenn ich mir Ihre Rede richtig gemerkt habe, dann haben Sie eigentlich übersehen oder jedenfalls nicht berücksichtigt, was inzwischen durch die Vorlage Drucksache IV/1336 an ändernden Maßnahmen in diesen rigorosen Abbau hineingekommen ist: Die Bedenken in Ihren Ausführungen zu dieser Vorlage, die sehr entscheidend ist und die ich auch für unbedingt notwendig hielt, haben mich, wie gesagt, bewegt. Ich habe durch viel Nachlesen den Sachen auf den Grund zu gehen versucht. Wenn wir die Vorlage Drucksache IV/1336 betrachten, so müssen wir feststellen, daß von der starren Statistik sehr weit abgegangen worden ist und Lockerungsmaßnahmen eingebaut worden sind. Es sind Lockerungsmaßnahmen eingebaut worden. Entscheidend ist einmal, daß die Statistik 1961 keine fortgeschriebene Statistik ist, sondern eine neue Volkszählung, die 1961 stattgefunden hat.
Infolgedessen enthält sie nicht die Fehlerquellen, die jede fortgeschriebene Statistik enthält.Nun zu Ihrer Bemerkung, Frau Berger-Heise, daß die Statistik noch nicht ausgewertet sei. Sie erinnern sich an den enormen Fragebogen, der uns 1961 vorgelegt wurde. Es ist ganz sicher, daß die Schlußfolgerungen aus dieser Statistik noch längst nicht alle ausgewertet sind. Es ist aber ebenso sicher, daß die Zahl der Einwohner und die Zahl der Wohnungen klar ist.
Insofern ist diese Statistik also durchaus aussagekräftig. Die trotzdem entstandenen Bedenken sind aber, wie ich glaube, doch weitgehend durch diese nunmehr vorgelegten neuen Beschlüsse des Ausschusses ausgeräumt. Wesentlich erscheint mir z. B., daß die Preisbindung auch dann, wenn die statistischen Voraussetzungen sich als falsch erwiesen haben, aufrechterhalten wird. Die Preisbindung ist doch die Hauptsache, nicht dagegen, ob da Wohnungsämter existieren. Irgendein Beamter wird schon da sein, der sich darum kümmert. — Das weiß ich deshalb, weil ich sehr lange, die Hälfte meines Lebens, in Behörden gearbeitet habe. — Das ist nicht erwähnt worden; es erscheint mir aber sehr entscheidend zu sein.Ihren Bedenken wegen der verschiedenen Konstruktion der Kreise ist außerdem dadurch Rechnung getragen, daß ,die einzelnen Gemeinden den Antrag stellen können, „schwarze Kreise" zu bleiben, nicht nur die Gemeinden über 10 000 Einwohner, sondern auch die über 2000 Einwohner, die letzteren noch unter erleichterten Bedingungen. Es kommt wirklich nur darauf an, daß eine Gemeinde nunmehr aufpaßt. Dies war damals im Rahmen der Gesamtkreiserfassung auch nicht möglich.Hier aber gleich ein Wort zu einer Bemerkung von Ihnen, Herr Jacobi. Sie sagen, man könne einen
Metadaten/Kopzeile:
3992 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Frau Dr. Kiep-AltenlohStadtkreis nicht als einen einheitlichen Wohnbezirk auffassen. Ich bin 'darüber sprachlos. Ich komme allerdings aus einer Großstadt und halbe Wohnungen verteilen müssen für ,,Butenhamburger" und für Flüchtlinge. Man kann unmöglich jeden speziellen Wunsch in bezug auf ein bestimmtes Stadtviertel oder eine Straße berücksichtigen, wie es bei den Ausgebombten häufig der Fall war, obwohl ich diese Wünsche subjektiv verstehen kann. So kann man doch keine städtische Wohnungsbaupolitik machen, daß man für alle 100 qm einen eigenen Wohnraum erstellt. Gerade das 'Beispiel Schilksee bei Kiel beweist das. Ich kenne Schilksee sehr gut; ich habe fünf Jahre dort gelebt. Ich war erst vorige Woche wieder da. Das ist wirklich nicht mehr als ein normaler Wohnbezirk .der Stadt Kiel. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie die Verhältnisse dort sind. Die Stadt Kiel ist ja von Schilksee bis Friedrichsort aneinandergebaut. Diese Dinge kann man also doch nicht so betrachten, wie Sie, Herr Jacobi, es getan haben.
Gestatten Sie eine Frage, Frau Abgeordnete?
Bitte!
Frau Kollegin, ist Ihnen nicht klar geworden, daß ich diese Darstellung nur vorgetragen habe, um zu zeigen, wie problematisch es mit den Wohnungsmärkten aussieht, und daß es mir ferngelegen hat, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß man nun etwa auch noch unterschiedliche Regelungen innerhalb eines Stadt- oder Landkreises treffen müsse?
Ich glaube, daß nicht nur ich es so verstanden habe, denn sonst wüßte ich nicht, warum Sie diese Beispiele gebracht haben.
Immerhin sollte man — und darum möchte ich auch den Herrn Bundesminister bitten — etwa neu auftretende Komplikationen etwas genauer prüfen, als man es anhand des Zahlenmaterials allein tun kann. Es mag sein, daß die Kreise und Städte selber nicht wissen, wie sie eingestuft sind. Das wäre zur Klarstellung der wirklichen Wohnungssituation außerordentlich wichtig und müßte erreicht werden. Hier könnte durch Aussprachen viel zur Klarstellung der Dinge erreicht werden. Es kommt doch nicht darauf an, daß wir eine möglichst lange Liste von weißen Kreisen haben, sondern darauf, daß der Wohnbedarf in den weißen Kreisen wirklich gedeckt ist.
Nun komme ich auf die Beispiele und auf die Zuschriften zu sprechen, die auch ich bekommen habe. Wenn ich sie sorgfältig lese, dann komme ich zu der Auffassung, daß in den einzelnen Städten und Kreisen die Ordnung des Wohnungsmarktes nicht sorgfältig genug betrieben worden ist. Ich
lese z. B. in der Denkschrift der Stadt Gelsenkirchen, daß nahezu 700 Leute, die ausgeklagt worden sind, wieder in Wohnungen eingewiesen worden sind. Da muß ich mich doch fragen: leben wir vor sechs, sieben oder acht Jahren, oder in welchem Jahr leben wir?
Große und kleine Städte haben sogenannte Schlichtwohnungen mit verhältnismäßig geringen Kosten gebaut. Solche Schlichtwohnungen zu errichten, müßte auch der Stadt Gelsenkirchen möglich gewesen sein.
Es dürfte heute überhaupt nicht mehr vorkommen, daß ausgeklagte Mieter wieder in Wohnungen eingewiesen werden, wenn die Stadt das ihre getan hätte, um für diesen Personenkreis Schlichtwohnungen zu errichten. Ich kenne kleine und große Städte, die diese Dinge als selbstverständlich gemacht haben.
Gestatten Sie eine Frage? — Bitte!
Frau Kollegin, ist diese Möglichkeit, die Sie den Städten anbieten, darin begründet, daß Sie glauben, daß der ausgeklagte Personenkreis ein bestimmter Personenkreis wäre, für den die Schlichtwohnungen in jedem Falle das Richtige sind?
Ob der ausgeklagte Personenkreis ein bestimmter Personenkreis ist, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls ist es aber ein Personenkreis, der aus irgendwelchen Gründen nicht imstande ist, eine normale Wohnung zu bezahlen.
— Das ist ein Teil. Sie werden mir zugeben, daß die Mehrzahl heute nicht wegen Eigenbedarfs, sondern wegen anderer Gründe ausgeklagt wird.
— Das gibt's!Bedenklich ist in diesem Zusammenhang der aus der Statistik ersichtliche Rückgang des sozialen Wohnungsbaus von 41 auf 37 %. Wir müssen uns aber eines klarmachen: Wer heute einigermaßen bezahlen kann und keine Wohnung hat, ist selber schuld. Wer heute ohne Wohnung dasitzt, ist durchschnittlich ein sozial schwacher Personenkreis. Es ist bedenklich, daß der Anteil, der für diesen Personenkreis in Frage kommenden Wohnungen zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3993
Frau Dr. Kiep-Altenloheinem Zeitpunkt so sehr zurückgegangen ist, zu dem die Bauten für Nichtwohnungsgebäude in den Städten um 19,9% zugenommen haben; darunter befinden sich allerdings auch Anstalten, die ich aber bei aller Anerkennung ihrer Notwendigkeit doch nicht vor die Wohnungen setzen würde. Ich glaube, daß bei den städtischen Körperschaften doch einige Überlegungen notwendig wären, um das Bauvolumen dorthin zu lenken, wo das zweifellos am wichtigsten ist, nämlich zu den Wohnungen. Die statistischen Zahlen geben zu denken. Es ist natürlich fraglich, ob sie überall in diesem Ausmaß zutreffen.Ich glaube, daß wir bei noch so sorgfältiger Prüfung dieser Gesetze doch nicht das letzte erreichen, was im Rahmen der gesamten Wohnungsbauwirtschaft notwendig sein wird. Wir werden in einiger Zeit ganz sicher vor einer Novelle stehen. Ich könnte mir denken, daß dabei zu überprüfen wäre, ob der Satz von 60 % für Städte über 100 000 Einwohner und der Satz von 50% für kleinere Städte für Alleinstehende tatsächlich ausreichen, damit diese Wohnbedürfnisse befriedigt werden können. Diese Frage scheint mir außerordentlich wichtig und der Prüfung wert zu sein. Ich könnte mir denken, daß hier in einiger Zeit eine Revision der jetzigen Prozentsätze nötig wäre.Aber, meine Herren und Damen, wenn ich all das betrachte und auch die Bedenken würdige, die hier immer wieder vorgebracht werden, so glaube ich doch nicht, daß ein Hinausschieben des Zeitpunktes für die Aufhebung der Wohnungszwangswirtschaft in den weißen Kreisen eine Verbesserung herbeiführen würde. Ich bin der Meinung, daß die Entflechtung des Wohnungsmarktes, auch die Umschichtung, außerordentlich wichtig ist und manche Wohnungsprobleme in den Städten ganz bestimmt bereinigen wird. Sie werden aber nie bereinigt werden, wenn wir an dieser festen, starren Form der Wohnungszwangswirtschaft festhalten. Hier wird erst 'die freie Marktwirtschaft sich auswirken können, und auch mit den Umschichtungen von groß nach klein, von hier gelegenen Wohnungen zu dort gelegenen Wohnungen wird man dann anders zum Zuge kommen. Ich glaube, wir können der freien Marktwirtschaft und der Entwicklung in einem freien Markt mehr zutrauen, als es ,die Skeptiker hier tun.
Ich bin nicht der Überzeugung, daß alles hundertprozentig gelöst sein wind. Wie gesagt, man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, daß wir irgendwann noch etwas ändern und verbessern müssen. Mir scheint aber nach dem, was jetzt in dem Ausschußbericht niedergelegt ist, ,daß für dieses Mal der Start freigegeben werden kann, weil, das ist meine Überzeugung, die Dinge sich in einer freieren Wirtschaft — an die ich nun einmal tief glaube — und bei dem Wirken der vielen Eigeninteressen gegeneinander besser lösen wenden, als wenn wir die Zwangswirtschaft noch weiter aufrechterhielten.Aus diesen Überlegungen und — ,das darf ich den Herren und Damen ,auf der Linken noch einmal sagen — aus sorgfältiger Erwägung auch Ihrer Argumente glaube ich doch, daß wir nach diesen Verbesserungen, die jetzt der Ausschußbericht und die die Vorlage der CDU/CSU noch weiter bringt, den Mut haben sollten, diesen Sprung zu tun. Es ist ein Schritt in eine Zukunft, die wir nicht bis in alle Einzelheiten übersehen können. Wir müssen, wenn sich dann nach einem halben Jahr oder einem Jahr zeigt, daß noch etwas geändert werden muß, den Mut haben, das einzugestehen. Dem Herrn Bundesminister möchte ich jetzt schon ans Herz legen, das starre Zahlensystem an Ort und Stelle durch die Landesregierungen sorgfältig darauf prüfen zu lassen, ob wirklich die Gegebenheiten da sind, unter denen man die Wohnungswirtschaft freigeben kann. Im übrigen aber glaube ich, .daß wir den Schritt in diese Zukunft wagen sollten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Da wir nicht abstimmen, rufe ich den nächsten Punkt der Tagesordnung auf, ,den Punkt 15:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Wohnbeihilfen ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (Drucksachen IV/1335, zu IV/1335).
Berichterstatter ist Frau Abgeordnete Berger-Heise. Wünschen Sie das Wort, Frau Berichterstatterin?
— Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Bericht liegt Ihnen vor. Es ist darin vermerkt, daß der Haushaltsausschuß noch nicht getagt habe und dieser Bericht nachgeliefert werden würde. Ich darf Ihnen diesen Bericht vorlesen. Der Haushaltsausschuß hat unter dem 26. Juni d. J. mitgeteilt, daß er in seiner Sitzung den Gesetzentwurf IV/971 behandelt und beschlossen hat, ihm in ,der vom federführenden Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung erarbeiteten Fassung zuzustimmen.
Wir treten in die Einzelberatung ein.Ich rufe auf § 1 des Gesetzes. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 332 *) unter Ziffer 1 vor. Soll dieser Antrag begründet werden? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Hesberg. *) Siehe Anlage 2
Metadaten/Kopzeile:
3994 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im § 1 des Art. 7 des Abbaugesetzes hatten wir die Bestimmung, die wir jetzt im § 1 des Wohnbeihilfengesetzes wiederaufgenommen wissen möchten. Es ist eine deklaratorische Vorschrift, die im ersten Gesetz ihre Entstehung der Anregung des Herrn Bundeswohnungsbauministers. Lücke verdankt, der in der dritten Lesung darlegte, es gelte mit diesem Satz klarzustellen, daß die Wohnbeihilfen als ein Institut der Sozialordnung ausgestaltet werden sollen, und es solle auch klargestellt werden, daß es sich hier um Leistungen handelt, die nicht denen der öffentlichen Fürsorge — wie es damals noch hieß — gleichzustellen seien, sondern um Leistungen, die vom Empfänger der Leistungen nie wieder zurückgefordert werden könnten, im Gegensatz zu denen der öffentlichen Fürsorge — jetzt Sozialhilfe —.
Mir scheint es notwendig, daß wir gerade in das Gesetz, . das wir jetzt beraten, diese Bestimmung wieder aufnehmen, und zwar deshalb, weil in der letzten Zeit oft in völliger Verkennung der Einzelheiten des Gesetzes eine Kritik geübt worden ist, in der nicht selten verächtlich von „Almosen der Armenfürsorge" gesprochen worden ist, womit man diese Wohnbeihilfen charakterisieren wollte. Gerade diese Tatsache und dieselben Motive, die im Jahre 1960 Anlaß zur Aufnahme der Bestimmung gaben, scheinen es uns unbedingt notwendig zu machen, in § 1 des vorliegenden Gesetzes die in unserem Antrag vorgeschlagene Vorschrift aufzunehmen.
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? — Herr Abgeordneter Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß ich mich hier melde, ist völlig außer Programm. Herr Dr. Hesberg, daß die Leute da von dem „Almosen der Armenfürsorge" gesprochen haben, stört mich weniger; aber daß es als Begründung für Ihren Änderungsantrag herangezogen wird, bringt mich hier herauf.
Meine Damen und Herren, die Sozialhilfe hat mit
Almosen der Armenfürsorge absolut nichts zu tun.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Umdruck 332 Ziff. 1, dem § 1 Abs. 2 einen Satz 2 anzufügen.
— Von 14.00 Uhr ab Abstimmungen!
Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf § 2, — § 3, — § 4. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Die aufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
— Enthaltungen; auf jeden Fall angenommen.
§ 5! Hier ist einschlägig der Antrag unter Ziff. 2 des Umdrucks 332. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Das Wort „Maßnahme" soll durch das Wort „Maßgabe" ersetzt werden. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich rufe auf § 5 mit dieser Änderung, — § 6, —§ 7, — § 8, — § 9. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Zu § 10 liegen der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 325 *) Ziffern 1 und 2 sowie der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Umdruck 340 **) vor. Wird das Wort gewünscht? — Bitte schön, Frau Abgeordnete Berger-Heise.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bitte darum, die Anträge auf Umdruck 325 insgesamt begründen zu dürfen.Der Gesetzentwurf über Wohnbeihilfen, den wir heute vor uns haben, wird von den Koalitionsparteien in diesem Hause immer als das Kernstück des neuen Miet- und Wohnrechts bezeichnet. In der Tat ermöglicht seine Verabschiedung nicht nur die Aufhebung der Preisbindung und des Mieterschutzes, sondern es wird auch ein neuer Weg der Finanzierung eingeschlagen, von der objektbezogenen Finanzierung weg zur subjektbezogenen hin.Hatten wir vom Ersten Wohnungsbaugesetz an eine langfristige Wohnungsplanung, die durch zinsbillige Kredite einen sozialen Wohnungsbau ermöglichte — der diesen Namen damals übrigens mit Recht trug —, so wurde im Zweiten Wohnungsbaugesetz die Wohnungsversorgung der Bevölkerungskreise mit geringem Einkommen schon von der Finanzierungsseite her schwieriger. Die Zinssubventionen und die Aufwendungszuschüsse verbilligten die Mieten nur zeitweise. Nach fünf Jahren — wir haben jetzt gerade diesen Zeitpunkt — laufen sie aus, und es ergeben sich dann für diese Bevölkerungskreise höhere Mieten, andere Schwierigkeiten, als wir sie früher beim durchfinanzierten sozialen Wohnungsbau hatten.Wir haben uns über diese Umstellung hier lange unterhalten, und sie ist sogar in den Städten nachher gut und richtig angewandt worden. Bei dieser damaligen Umstellung — von der Durchfinanzierung zu den Aufwendungsbeihilfen — haben wir dann Miet- und Lastenbeihilfen eingeführt. Sie wur-*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3995
Frau Berger-Heiseden nötig, weil die Durchschnittsmieten im sozialen Wohnungsbau anstiegen und weil vorauszusehen war, daß manche Betroffenen die höheren Mieten nicht mehr zahlen konnten.Nun haben wir eine neue Phase, in der die Mieten frei werden. Keiner von uns weiß, wohin sich die freien Mieten entwickeln werden, und niemand weiß, auf welcher Höhe sie haltmachen werden. Die Unruhe in der Bevölkerung spüren alle Abgeordneten; sie brauchen nur ihre Post nachzusehen. Aber man kann auch niemandem einen Vorwurf daraus machen, daß er nicht weiß, wohin die Mieten gehen; denn kein Mensch kann sagen, wie die Freiheit genutzt wird.Dem sonst sehr auf Liberalisierung bedachten Wirtschaftsminister scheinen aber die gleichen Bedenken gekommen zu sein, die wir im Ausschuß und auch hier schon des öfteren vorgetragen haben. Gemeinsam mit dem Herrn Bundesminister für Wohnungsbau hat er jetzt von einer Ermächtigung nach § 23 des Ersten Bundesmietengesetzes Gebrauch gemacht und durch Rechtsverordnung sogenannte angemessen erhöhte Mieten fixiert und für ein Jahr vorgeschrieben.
— Ja, ich habe sie gesehen. Danach sind in den weißen Kreisen etwa von Oktober/November an Mietsteigerungen zwischen 15 und 40 % möglich. Das heißt, die Mieten werden nicht völlig frei, sondern für ein weiteres Jahr — das steht jedenfalls in der Rechtsverordnung — festgehalten. Dem Entwurf der Rechtsverordnung muß natürlich noch vom Bundesrat zugestimmt werden.Allerdings habe ich, als ich mir die Rechtsverordnung ansah, einiges darin vermißt. Denn ob die Uraltwohnungen, d. h. diejenigen, die vor 1880 erstellt wurden, wirklich zu Recht die Mietpreissteigerungen erfahren, das möchte ich bezweifeln. Nach der letzten Gebäudezählung haben wir von diesen Uralt-Wohnungen 1 350 000. Wenn Herr Professor Göderitz, der im Auftrage des Bundesministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung eine Untersuchung des Wohnungsbestandes in der Bundesrepublik durchgeführt hat, feststellte, daß etwa 1 Million Wohnungen nicht mehr sanierungswürdig, sondern nur noch abbruchreif seien, so dürften solche Wohnungen wohl in der Hauptsache bei diesen zum Teil über hundert Jahre alten Hausveteranen zu finden sein.Die Mieten dieser Wohnungen sind, sollten auch sie eine Steigerung erfahren, insoweit von Belang, als durch sie der Ertragswert dieser Gebäude ebenfalls ansteigt; das ist der Fall, wenn der Mietpreis auf dem Verordnungswege global erhöht wird. Das könnte die 'Gemeinden, wenn sie später Stadtsanierungen durchzuführen haben, und damit den Steuerzahler teuer zu stehen kommen, weil ja dann, wenn für den Ankauf dieser künstlich aufgewerteten Gebäude, die der Spitzhacke ausgeliefert werden sollen, mehr Geld als gerechtfertigt ausgegeben werden muß.Ein Teil dieser Behausungen, dieser „Bruchbuden", die nach § 9 des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft usw. keine Mietsteigerung erfahren durften, müßte also meines Erachtens von der in der Rechtsverordnung vorgesehenen globalen Mietsteigerung ausgenommen werden, zumal dafür auch nach dem zu beratenden Gesetzentwurf Drucksache IV/1335 keine Wohnbeihilfe gezahlt wird.Bei Wohnungen dieser Jahrgänge kann man natürlich an solche denken, die etwa unter Denkmalschutz stehen, oder an ein Fachwerkhaus irgendwo in einem idyllischen rheinischen 'Dörfchen. Erstens aber gibt es darunter nicht sehr viele Miethäuser, und zweitens ist der Wohnwert auch hinter schönen Fassaden oft nicht mehr sehr groß. Ebenso kann man aber auch an die Hinterhofwohnungen denken, die der Herr Bundeswohnungsbauminister einmal „Mietzuchthäuser" genannt hat.Ich glaube, wir müssen, zumal da die Rechtsverordnung nicht dem Bundestag vorgelegt wird, eine Antwort auf die Frage bekommen, ob diese Wohnungen, die eine Mietsteigerung nicht wert sind, von der in der Rechtsverordnung vorgesehenen globalen Mieterhöhung ausgenommen werden.Nun zum Gesetz selbst! Nach eingehender Überprüfung müssen wir zu der von den Regierungsparteien in § 10 des Entwurfs vorgeschlagenen Berechnung der tragbaren Miete und Belastung nein sagen. Eine Verschlechterung gegenüber den bisherigen Miet- und Lastenbeihilfen wäre gegeben. Vielleicht läßt sich an einem Beispiel am besten aufzeigen, worin die Unterschelle für den Mieter bestehen. Der Mieter bekommt also eine staatliche Unterstützung, wenn sein Einkommen nicht dazu ausreicht, die gesteigerten Mieten bezahlen zu können. Bislang konnte eine Familie oder ein Alleinstehender, der nicht mehr als 750 Mark Einkommen monatlich hatte, in eine Wohnung des sozialen Wohnungsbaus einziehen. Jetzt erhalten Mieter dieser Personengruppe eine Wohnbeihilfe, mit der zugleich die Verpflichtung verbunden ist, vorher einen festgelegten Prozentsatz ihres Einkommens selbst für die Mietzahlung aufzubringen.Nehmen wir einen Grenzfall als Beispiel! Ein Alleinstehender mit einem bereinigten Einkommen von 501 DM zieht in einen Neubau; 30 qm. Wohnraum stehen ihm zu. Dieser Neubau, im sozialen Wohnungsbau errichtet, hat vielleicht eine Miete von 1,85 pro qm. In diesem Falle zahlte der Mieter 30 mal 1,85 DM gleich 55,50 DM; das sind 11 % seines Einkommens. Einem Alleinstehenden mit gleichem Einkommen, der in einem Altbau wohnt, wird jetzt durch das Gesetz vorgeschrieben, daß er 22% seines Einkommens zuerst einmal selber als Interessenquote aufbringt. Das wären 110,22 DM. Wenn Sie das umrechnen, dann kommt bei 30 qm ein Betrag von 3,60 DM pro qm heraus. Est dann hätte er einen Anspruch auf Wohnbeihilfe. Das scheint mir eine unbefriedigende Umleitung der staatlichen Gelder zu sein.Die Bundesregierung will damit natürlich etwas erreichen. Die Koalitionsparteien haben ja an Stelle der Bundesregierung den Gesetzentwurf als Initiativantrag eingebracht. Sie haben es ihr abgenommen,
Metadaten/Kopzeile:
3996 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Frau Berger-Heiseso lange zu warten, bis der Regierungsentwurf den Bundesrat passiert hatte. Wir kamen nicht voran mit dem Gesetz. Wir haben also als Grundlage der Beratung den Entwurf der Koalitionsparteien. Diese wollen erreichen — und der Minister hat sich dazu mehrfach geäußert —, daß Wohnungen freiwerden, z. B. solche von alleinstehenden Frauen, die nicht ausgenutzt sind, die — er meinte einmal, es seien 700 000 — nicht untervermietet sind und sozusagen gehortet werden. Nun, ich glaube, daß diese Rechnung von 700 000 heute nicht mehr aufgemacht wird. Inzwischen hat sich nämlich herausgestellt, daß man unter Mehrraumwohnungen viele Wohnungen versteht, die nur ein Zimmer und eine Küche haben. Das ist eigentlich die Normalwohnung für den Alleinstehenden. Und so hört man heute seltener von den 700 000 Wohnungen, die die Alleinstehenden angeblich zu Unrecht bewohnen. Aber ich glaube, wir dürfen ohnehin nicht so mit einer Personengruppe umspringen. Ich muß hier wieder ein Wort gerade für diese Alleinstehenden sagen. Das sind oftmals Frauen, denen der Krieg die Männer genommen hat, die sich mühsam genug durchs Leben schlagen müssen. Man kann nicht gerade bei dieser Personengruppe eine Interessenquote bis 24 % ihres Einkommens verlangen, wie es im Gesetz vorgesehen ist.
Die SPD hat im Ausschuß andere Tragbarkeitssätze vorgeschlagen, und sie möchte sie hier im Plenum .wiederholen. Sie sehen aus der Vorlage, daß wir bei 20% — und das ist das höchste, was man nachunserer Meinung jemandem zumuten kann — haltmachen.Wir haben aber noch einige Änderungsanträge vorzutragen. Wir meinen, es müsse möglich sein, auch für die niedrigeren Einkommen größere Freibeträge bzw. für alle diesen Hundert-Mark-Satz wieder einzuführen, so wie er noch in der Rechtsverordnung zum Abbaugesetz steht.In diesem Entwurf ist unter § 10 aber außerdem noch eine Kappung vorgesehen. Wir hatten eine lange Debatte im Ausschuß. Früher war das der § 9, der heute § 10 ist. Da hieß es vom Bundesrat immer wieder, er gehe in den Vermittlungsausschuß, wenn diese Kappung aufrechterhalten würde; denn es wäre unverantwortlich, hier gerade den Sozialschwachen so hohe Interessenquoten, so viel an eigener Beteiligung aufzubürden.Wir haben dann im Ausschuß eine Änderung vorgenommen. Aber nachdem wir — ich muß es sagen — nach der ziemlich hektischen Beratung im Ausschuß mal ein bißchen Ruhe hatten und uns hinsetzen und das nachrechnen konnten, erkannten wir, daß diese Kappung unnötig ist, weil durch die Festsetzung einer Obergrenze für Mieten, bis zu der Wohnbeihilfen überhaupt nur gezahlt werden dürfen, eine Absprache des Vermieters mit dem Mieter auf Kosten der Behörden illusorisch geworden ist. Es lohnt nicht mehr, diese Kappung hier einzuführen. Ich habe auch gehört, daß einige Länder nicht bereit sind, beim § 10 Abs. 2 mitzumachen, und den Vermittlungsausschuß anrufen wollen.Nun zu Ziffer 3 unseres Antrags. Er betrifft den § 20. In einer Verordnung der Bundesregierung vom November 1960 zur Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen ist der Passus schon enthalten. Er ist also geltendes Recht. Sie haben die Tragbarkeitssätze gegenüber den früheren Miet- und Lastenbeihilfen so heraufgesetzt, daß die bisherigen Berechnungsvergünstigungen für den Mieter eigentlich erhöht werden müßten. Stattdessen ist es so, daß diese Berechnungsvergünstigungen sich auch noch zuungunsten des Mieters verändert haben. Wir glauben, daß der Freibetrag von 100 DM monatlich von den Einkommen eines jeden Familienangehörigen mit Ausnahme des Ehegatten im alten Recht eine gute Sache war, und haben es eigentlich nicht recht verstanden, warum Sie dieses Prinzip — Sie haben es übrigens selbst eingeführt; die CDU hat damals den Antrag gestellt — heute aufheben wollen.Noch etwas zu einer Frage, zu der wir keinen Antrag gestellt haben, die aber mit in dieses System gehört. Das Wohnbeihilfengesetz soll nach dem Willen der Regierungsparteien jeder Familie die Nutzung eines Mindestmaßes an Wohnraum garantieren. Wir meinen aber, daß das Gesetz nur dann sinnvoll ist, wenn es jeder Familie wenigstens ein Normalmaß an Wohnraum sichert. Das ist jedoch nach dem vorliegenden Gesetzentwurf keineswegs der Fall. Da werden z. B. einem Haushalt mit zwei Familienmitgliedern — Sie finden das in § 13 Abs. 3 — als benötigte Wohnfläche 45 qm zugebilligt. Im Zweiten Wohnungsbaugesetz heißt es jedoch, daß, von Ausnahmen abgesehen, die Wohnfläche einer Wohnung in der Regel 50 qm nicht unterschreiten soll. Das ist in Ihrem eigenen Zweiten Wohnungsbaugesetz eine Mindestforderung. Wir meinen, was schon im Jahre 1961 als Mindestgröße für den sozialen Wohnungsbau angesehen wurde, sollte nun im Jahre 1963 bei der Berechnung der Wohnbeihilfen auch angewandt werden.Mit steigender Zahl der Familienmitglieder wächst aber noch das Mißverhältnis zwischen dem, was in der Praxis als familiengerechte Wohnung angesehen wird, und dem, was das Gesetz als wohnbeihilfeberechtigt ansieht. So wird im Zweiten Wohnungsbaugesetz den Landesbehörden auferlegt, eine ausreichende Zahl von Wohnungen zu schaffen, in denen genügend Wohn- und Schlafräume für Familien mit mehreren Kindern enthalten sind. Das würde z. B. für ein Ehepaar mit einem Sohn und einer Tochter drei Schlafräume und einen Wohnraum bedeuten, und solche Wohnungen haben in unserem neuen sozialen Wohnungsbau mindestens 80 qm Grundfläche. Das Wohnbeihilfengesetz billigt den Familien 70 qm zu. Das heißt, für die restlichen 10 qm muß auch eine einkommenschwache Familie die Wohnungsmiete allein aufbringen.Die SPD-Fraktion ist nun der Auffassung, daß Wohnbeihilfen für unangemessen große Wohnungen natürlich nicht gezahlt werden sollen, daß man aber nicht auf der einen Seite die familiengerechte Wohnung propagieren kann und auf der anderen Seite die Familien, wenn Notfälle eintreten, dafür
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3997
Frau Berger-Heisebestrafen darf, daß sie vorher in familiengerechte Wohnungen gezogen sind.
Daran ändert auch die sehr bedauerliche Tatsache nichts, daß es heute noch viele Familien gibt, deren Wohnung nicht einmal die im Wohnbeihilfengesetz angegebenen Größen erreichen. Dieses Gesetz ist ja nicht für die Zeit der Wohnungsnot gedacht, sondern soll, wie Sie vorhin alle schon ausgeführt haben, den Übergang in die Zeit eines ausgeglichenen Wohnungsmarktes erleichtern und vor allem — es wird immer das „endgültige Gesetz" genannt — danach noch bestehenbleiben. Es hat also keinen Sinn, wenn diesem heutigen Gesetz Wohnungsgrößen von vorgestern zugrunde gelegt werden.
Ich darf übrigens die Herren und Damen von der CDU daran erinnern, daß Sie in der 3. Wahlperiode selbst unter Drucksache 2543 einen Antrag eingebracht haben, der die Wohnungsgrößen vorsieht, die Sie uns nachher im Ausschuß abgelehnt haben.
Ich sage nochmals, ich weiß, daß diesen Antrag hier zu stellen keinen Sinn hat, wollte ihn aber erwähnen, weil man sehen muß, auf welchen Gebieten überall Verschlechterungen eingeführt werden sollen.An drei Faktoren werden sich die Altbaumieten I in der Zukunft wohl ausrichten: zuerst — im Laufe der Freigabezeit — über die nach der Rechtsverordnung „angemessen" erhöhte Miete zu der vom Vermieter — eventuell unter dem Druck der Kündigung — erreichten Miete. Das wird ein Prozeß sein, der sich im Laufe der Zeit steigern wird. Dann wird es zu der vom neuen Vertragspartner gezahlten Miete kommen. Bei Neuabschluß eines Vertrags kann natürlich der Vermieter die Miete bestimmen, wobei es darauf ankommen wird, ob eine Wohnung in dem betroffenen Ort noch Seltenheitswert hat oder nicht. Auch wird sich dann herausstellen, ob der Meistbietende, der Zahlungskräftigere, die Wohnung bekommt, oder ob der Hauswirt bedenkt, daß man auch einer Familie mit Kindern ein Dach über dem Kopf bieten muß. Letztlich werden sich die Altbaumieten an die Baukosten des nichtgeförderten Wohnungsbaues anlehnen und sich nach ihnen ausrichten, sobald die Altbauwohnung nicht mehr Mängel hat als eine neu errichtete Wohnung.Man mag das alles im Interesse des Althausbesitzers, der seine Wünsche lange zurückstellen mußte, als berechtigt ansehen. — Frau Dr. Kiep-Altenloh hat davon gessprochen. — Aber das Gesetz über Wohnbeihilfen kann in dieser Form dem großen Ausspruch, daß jeder Familie ein ausreichendes Maß an Wohnraum gesichert werden soll, nicht gerecht werden. Das werden die steigenden Mieten verhindern. Wo die wirtschaftliche Leistungskraft einer Familie überfordert wird, kann erst beantwortet werden, wenn die Ergebnisse der Mietpreiserhöhungen nach der Mietpreisfreigabe im Altbau vorliegen.Ich glaube, daß auch Herr Kollege Dr. Weber dieses Gesetz vorhin falsch einschätzte, als er es juristisch mit der Aufhebung des Mietrechts oder dem Umbau des Mieterschutzgesetzes in das BGB in Verbindung brachte. Herr Dr. Weber, dieses Gesetz kann wirtschaftliche Härten ausgleichen, aber es kann nicht juristisch eine Wohnung sichern. Darin liegt der Unterschied zwischen diesen beiden Gesetzesvorlagen, die wir heute zu beraten haben.
— Es kann wirtschaftliche Härten ausgleichen, Herr Dr. Czaja.Die Belastungsgrenze des Mieters ist also, wie ich hier 'darzustellen versucht habe, von Gesetz zu Gesetz ausgeweitet worden.Sie haben übrigens auch eine Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes bekommen, die meines Erachtens recht sachlich ist,
in der auch er nachweist, daß sich die Leistungen, die vom Mieter verlangt werden, von einem Gesetz zum andern steigern. An Beispielen auf der letzten Seite des Briefes wird das erhärtet. Die Folgerung kann nur sein, ein endgültiges Wohnbeihilfengesetz zu machen, das die Lage des Mieters nach Freigabe der Mieten nicht ungünstiger gestaltet, als sie bei Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen nach bisherigem Recht ist.Vor allem aber liegt uns an einem, und das möchte ich heute hier noch einmal feststellen. Die Förderung des sozialen Wohnungsbaues darf nun wegen dieses neuen Gesetzes nicht etwa noch mehr gedrosselt oder gar eingestellt werden. Die Umlenkung ,der staatlichen Mittel darf nicht so weit gehen, daß der soziale Wohnungsbau in Zukunft auf der Strecke bleibt. Sie alle wissen, daß man heute noch nicht sagen kann, was dieses Gesetz kosten wird. Gesprochen wird von 400 bis 600 Millionen DM im Jahr, allerdings erst dann, wenn das Gesetz voll in Kraft ist, d. h. wenn die Mieten in allen Kreisen und Bezirken wirklich freigegeben sind. Trotzdem muß Geld für den sozialen Wohnungsbau da sein. Auch nach der Deckung des Wohnungsdefizits brauchen wir den sozialen Wohnungsbau für die Stadt- und Dorfsanierung, für die endliche Beseitigung der wohnunwürdigen Behausungen. Wir brauchen ihn außerdem wegen der ständigen Vermehrung der Haushaltungen. Wir brauchen ihn wahrscheinlich in der Zukunft wegen der Zuwanderung aus den EWG-Ländern. Das sind alles Aspekte, die wir heute noch längst nicht in dem erforderlichen Maße in unsere Vorstellungswelt einbezogen haben, die aber morgen schon für uns eine wirtschaftliche Bedeutung haben können. Nur eine weitere Steigerung des Wohnungsbaues kann unserer Meinung nach mit der Zeit ausreichend Wohnungen — ich meine insbesondere solche des sozialen Wohnungsbaues — schaffen, die auf lange Zeit Mieten sichern, die tragbar sind. Aber gerade der soziale Wohnungsbau geht mehr und mehr zurück.
Metadaten/Kopzeile:
3998 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Frau Berger-HeiseHerr Dr. Czaja, Sie haben vorhin, als Frau Dr. Kiep-Altenloh sprach, in einem Zwischenruf gesagt: „Ja, mehr soziale Wohnungen bauen!" Auch ich halte das für richtig. Aber ich darf Sie daran erinnern, in diesem Hause haben die Sozialdemokraten — das war in der Hauptsache immer unser leider zu früh verstorbener Herr Dr. Brecht — Jahr für Jahr bei der Etatberatung den Antrag gestellt, die Degression der Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufzugeben. Die Sozialdemokraten haben immer wieder darum gekämpft, daß die Mittel für die Bausparverträge nicht aus den Mitteln des sozialen Wohnungsbaues genommen werden; sie haben sich bei der Etatberatung immer wieder dagegen gewehrt, daß die Sperrmaßnahmen nach § 8 eingeführt wurden. Das waren meist verlorene Gelder, die nie wieder in den sozialen Wohnungsbau zurückgekommen sind. Wir haben uns also hier noch und noch Mühe gegeben, das zu verwirklichen, was Sie vorhin in einem Zwischenruf gefordert haben.Frau Dr. Kiep-Altenloh hat Zahlen genannt und gesagt, es sei erschreckend, wie sehr der soziale Wohnungsbau zurückgehe. Sie hat gesagt, wir brauchten ihn, die Städte und Gemeinden brauchten ihn. Besonders brauchen ihn die Gemeinden, die nicht mit einem großen Gewerbesteueraufkommen rechnen können, sondern die auf staatliche Mittel angewiesen sind, um den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung gerecht zu werden.Wir möchten die Probleme der Wohnbeihilfen in das richtige Licht stellen. Wir sind für Wohnbeihilfen; aber wir sagen, daß Mietbeihilfen immer ein unsicherer Faktor sind, auf alle 'Fälle unsicherer als langfristig durchfinanzierte Wohnungen, von ,denen man weiß, daß sie sich in absehbarer Zeit nicht verteuern können. Die Mietbeihilfen sind im Grunde genommen, wenn wir ehrlich sind, eine öffentliche Leistung an den Hausbesitzer auf dem Umwege über die Mieter. Wenn die öffentliche Hand langfristige Bindungen bei der Finanzierung des immer nötig bleibenden Wohnungsbaus eingegangen ist und eine kontinuierliche Entwicklung garantiert, ist ein Wohnbeihilfengesetz als zusätzliche Maßnahme durchaus sinnvoll. Wenn sich aber der Bund mehr und mehr aus 'der Finanzierung zurückzieht und die Wohnbeihilfen an Stelle der weiterhin nötigen Förderung .des sozialen Wohnungsbaus treten soll, dann ist nicht nur der soziale Wohnungsbau, sondern die Wohnungsversorgung insgesamt gefährdet; dann steigen die Mieten, ob Sie das wollen oder nicht.Wir brauchen also noch möglichst viele gute, aber in den Mieten auch erträgliche Wohnungen, damit der ganze Bestand des sozialen Wohnungsbaus ein Gegengewicht gegen den Versuch bildet, aus der Unterversorgung mit Wohnungen ungerechtfertigte Gewinne zu erzielen. Bis jetzt sind die Länder in die Bresche gesprungen, wenn der Bund versagt hat. Wir wollen hoffen, daß die Rückflußmittel, die ja jetzt Jahr für Jahr ansteigen müssen, auch beim Bund wirklich wieder für den sozialen Wohnungsbau verwendet werden.Jetzt muß auch ich noch den „Rheinischen Merkur" zitieren, Herr Bundeswohnungsbauminister. Siehaben darin geschrieben, Ihre Gegner ständen blind vor den Realitäten. Ich weiß im Augenblick nicht, wer zur Zeit Ihre Gegner sind — Sie haben ja einige —: der organisierte Hausbesitz mit unserem ehemaligen Kollegen Herrn Dr. Preusker an der Spitze, die verbündeten Mieter, das Bundeskabinett, das ihnen die Mittel so sparsam zuteilt, oder gar die Opposition in diesem Hause.
In uns, Herr Minister, werden Sie immer dann Bundesgenossen finden, wenn es gilt, den Wohnungsmangel völlig zu beseitigen, dem Vermieter eine kostendeckende Miete zu gewähren und dem Mietereine ausreichende rechtliche Sicherung seiner Wohnung zu garantieren.
Sie können aber ganz bestimmt nicht mit uns rechnen, wenn Ihnen oder Ihren Kollegen im Kabinett die langfristige Planung und Durchführung des Sozialen Wohnungsbaus etwa nicht mehr nötig erscheint oder wenn durch vorzeitige Aktionen den Gemeinden die Versorgung der Obdachlosen aufgebürdet wird.Wir möchten hier noch einmal sagen, wir sind nicht gegen Wohnbeihilfen. Aber wir würden lieber die Mieten in Grenzen 'halten, solange nicht die Einkommen aller Bevölkerungsschichten ausreichend sind. Die Einkommen aller Bevölkerungsschichten möchten wir gern so geordnet sehen, daß alle Menschen in der Bundesrepublik das Nutzungsentgelt für eine angemessen große, wohnkulturell gute Wohnung ohne Beihilfen aus ihrem Einkommen bestreiten können. Das ist das wohnungspolitische Ziel der Opposition. Um mit seiner Verwirklichung heute und hier einen Anfang zu machen, bitte ich Sie, unseren Anträgen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Heise hat ihre Ausführungen mit dem Satz begonnen, daß es sich beim Wohnbeihilfengesetz um eines der Kernstücke des sozialen Miet- und Wohnrechts handelt. Ich bin ihr für diesen Satz, der völlig zutrifft, außerordentlich dankbar. Ich glaube, daß dieser Satz am besten das widerlegt, was der Herr Kollege Jahn vorher ausführen zu müssen geglaubt hat.
Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat immer vom sozialen Miet- und Wohnrecht gesprochen. Daß jetzt ein Kernstück dieses sozialen Wohnrechts verabschiedet wird und daß ein Teil des Mietrechts, wenn auch umstritten und von der Opposition abgelehnt, bereits seit anderthalb Jahren oder länger verabschiedet ist, zeigt doch, daß wir gar nicht so nichtstuend und gar nicht so leichtfertig gewesen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 3999
Dr. Czajasind, wie es hier dargestellt wurde. Zwar ist die Opposition mit dem Wohnbeihilfengesetz noch nicht ganz zufrieden. Aber der Umstand, daß sie sich bei diesem Gesetz der Stimme enthält und auch im Ausschuß bei der Schlußabstimmung der Stimme enthielt, beweist doch, daß sie immerhin die Grundkonzeption nicht als völlig verkehrt und ablehnenswert betrachtet.Unter diesem Gesichtspunkt muß man zu der ganzen Diskussion, die heute abgerollt ist, folgende Grundfrage stellen. Die Opposition behauptet — und das hat Herr Kollege Jacobi dankenswerterweise sehr deutlich hervorgehoben —, auch sie sei für die Überführung des Wohnungswesens in die soziale Marktwirtschaft und in ein geordnetes Vertragsrecht, aber sie sei gleichzeitig der Meinung — so darf ich Sie doch wohl interpretieren —, daß das mit Schwierigkeiten für den Mieter verbunden sein könnte. Das ist ein Zwiespalt und ein Dilemma. Wie will man aus dem herauskommen? Ich habe bisher von der Opposition größtenteils nur gehört, daß sie daraus herauskommen will, indem sie die Entscheidung über die vorliegenden Gesetze theoretisch um ein Jahr, praktisch um acht bis neun Monate, verzögert. Aber das ist doch keine Lösung dieser Schwierigkeiten. Die Lösung der Schwierigkeiten besteht darin, daß man für die Betroffenen Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen vorschlägt, und Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen hat die CDU/CSU in sorgfältiger Arbeit und in Unterstützung der Bestrebungen der Bundesregierung und insbesondere des Bundeswohnungsbauministers vor Ihnen zu vertreten versucht.Diese Sicherheitsmaßnahmen sind dreierlei Art. Erstens kann niemand über das vertretbare Maß in der Miethöhe auch bei Freigabe der Mieten bei einer angemessenen und nicht zu teueren Wohnung überfordert werden. Das besagt das Wohnbeihilfengesetz, das Sie etwas verbessert sehen wollen, aber zu dem Sie im Prinzip mit Ihrer Enthaltung ja doch irgendwie ja sagen, wenn Sie es auch noch nicht so vollkommen tun. Das zweite waren die verlängerten Kündigungsfristen und das Widerspruchsrecht, gepaart mit gerichtlicher Vertragshilfe zugunsten des Mieters für den Fall, daß ihm aus der Kündigung erhebliche Nachteile entstehen.Dazu hat Herr Kollege Jahn uns, ich möchte fast sagen, mit einer beißenden Ironie zu überschütten versucht. Aber es hat sich, obwohl er uns so viel Ungereimtheiten nachgesagt und uns vorgeworfen hat, daß wir in diesen Wochen und Monaten nichts getan hätten, die gereifte Weisheit, die ich eigentlich von ihm erwartet hätte, nicht zu Anträgen verdichtet, die er hätte vorlegen können, sondern er hat uns auf die Zukunft vertröstet.
Wie ist das mit der Erklärung vereinbar, auch Sie seien für Überführung der Wohnungswirtschaft in die soziale Marktwirtschaft, wenn Sie zur Beseitigung der Schwierigkeiten, Herr Kollege Jahn, hier keinen schriftlichen Antrag vorlegen und in einer sehr scharfen, ich möchte fast sagen, über das Maß des Vertretbaren hinausgehenden Weise hier dieanderen bezichtigen, daß sie allerhand Dummheiten hier hineingeschrieben hätten und daß alles widerspruchsvoll sei? Die gleiche Zeit, die wir hatten, es besser zu machen, hätten Sie gehabt, um einen Initiativantrag einzubringen.
Das haben Sie nicht getan. Wenn man so verfährt, dann bezeichne ich das als dialektisches Spiel mit Worten.
Herr Dr. Czaja, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte.
Wenn im Rechtsausschuß erklärt wird, daß man zur Beratung aller schwierigen Probleme keine Zeit mehr habe, erwarten Sie dann eigentlich, Herr Dr. Czaja, daß von unserer Seite der von vornherein zur Erfolglosigkeit verdammte Versuch gemacht wird, dennoch um eine sachliche Beratung bemüht zu sein?
Herr Kollege Jahn, ich erwarte bei der Würde dieses Hauses, daß der, der einen ausgereiften Antrag hat, hier in offener Schlacht, in offener Darstellung diesen Antrag vor der gesamten Bevölkerung vertritt und versucht, ihn zu begründen.
Das ist meine Meinung. Wir haben jetzt auch über Ihre Dinge mehr als eine Stunde diskutiert. Wir hätten sicherlich so viel Zeit auch aufgewendet, wenn Sie hier einen sachlichen Antrag eingebracht hätten.
Was wir drittens an Sicherheitsmaßnahmen vorsehen, ist der Weiterbau von Wohnungen. Hier danke ich Frau Kollegin Berger-Heise, daß sie die Unterstützung dem Herrn Bundeswohnungsbauminister zur Förderung des Wohnungsbaus deutlich ausgesprochen hat. Ich glaube, hier lassen sich alle Gruppen, die dafür sind, zusammenschließen. Ich glaube nicht, daß sich der Minister im Kabinett nicht durchgesetzt hat. Sie sprachen ja von den Feinden im Kabinett. Wie diese Gesetze hier zeigen, hat er sich — das möchte ich unterstreichen — im Kabinett durchgesetzt, bis hinein in die juristischen Fragen des Mietrechts.Ich weiß, daß außerhalb dieses Parlaments — unterschwellig, manchmal von kleinen Gruppen, die parlamentarisch nicht verantwortlich sind — gegen den sozialen Wohnungsbau mit unrichtigen Argumenten, mit Argumenten, die keiner ernsten Nachprüfung durch die Statistik standhalten, zu Felde gezogen wird. Wenn wir uns hier in der Abwehr der unterschwelligen Angriffe und in der Verhinderung ihrer Verbreitung einig sind, dann, so glaube
Metadaten/Kopzeile:
4000 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Dr. Czajaich, hat uns auch diese Debatte etwas Gutes gegeben.
Nun zum Kernstück dieses sozialen Miet- und Wohnrechts, über das jetzt beim Wohnbeihilfengesetz gesprochen wird. Frau Kollegin Berger-Heise hat den Werdegang der Gedanken aufgezeigt. Ich bin ihr auch dafür dankbar. Wir haben diese Gedanken zuerst bei der Neubauförderung gehabt. Sie gingen — das darf ich in aller Bescheidenheit sagen — von unserer Fraktion aus, und wir haben sie ein gutes Stück weiterentwickelt. Ich glaube, daß wir heute an einem Punkt sind, wo wir sagen können, daß eines der Hauptziele der sozialen Wohnungsbaupolitik des Bundeswohnungsbauministers Lücke einer auf dieser buckligen Welt zwar unvollkommenen, aber erreichbaren Erfüllung nahe ist. Ich meine das wirtschaftliche Ziel, nicht das juristische — da gebe ich Ihnen vollkommen recht —: daß nämlich niemand für eine angemessene Wohnung über einen tragbaren Anteil seiner Familieneinkünfte hinaus belastet werden soll und daß unverschuldete Not nicht mit einer unzureichenden Wohnung bestraft werden soll. Daß er das mit solchem Mut Jahre hindurch vertreten hat, dafür sind wir ihm dankbar.
Ich kann nicht umhin, wenn es vielleicht auch nur als ein rethorisches Argument verstanden wird, auf folgendes Ereignis hinzuweisen, weil es mich in meiner parlamentarischen Erfahrung tief beeindruckt hat. Es war bei der Verabschiedung der letzten Novelle zum Zweiten Wohnungsbaugesetz, die ja eine Vorarbeit für dieses Gesetz gewesen ist. Nach der langwierigen Ausschußarbeit fand gegen Ende der Legislaturperiode im vorigen Bundestag die Endabstimmung über den § 73 statt. Nachdem diese Abstimmungen positiv verlaufen waren, hat sich unser verstorbener ausgezeichneter Fachkollege, Ihr Fraktionskollege Dr. Brecht, zu Wort gemeldet und eine Erklärung abgegeben, die sich mir angesichts der Umstände, unter denen sie abgegeben wurde, tief eingeprägt hat als ein Beispiel eines verantwortlichen Gegenspiels von Opposition und Koalition. Er erklärte mit tiefem Ernst bei völliger Stille im Ausschuß, daß zwar vieles den Anträgen der Opposition nicht entspreche, daß er aber mit großem Ernst sagen müsse, daß wir einen gewaltigen Schritt in der sozialen Gesetzgebung und in der Bildung des sozialen Rechtsstaats in der Bundesrepublik mit dieser Novelle vorwärts gemacht hätten. Ich glaube, daß das hier eine gewisse Erfüllung findet.Ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie noch manches besser haben möchten. Wir glauben aber, das Tragbare erreicht zu haben, und wir sind auch der Meinung, daß darin eine Förderung des Wohnungsbaues ebenfalls enthalten ist; denn gerade das ist die billigste Förderung des Wohnungsbaus, mit individuellen Hilfen den Schwächsten zu helfen und denen, die höhere Mieten zahlen können, auch höhere Lasten zuzumuten; sie müssen sie tragen. Sie sollten nicht den Staat dazu zwingen, nur über Objektdarlehen generell bei allen öffentlich geförderten Wohnungen den Mietpreis so zu senken, daß ihn auch der Einkommenschwächste bezahlen kann. Den Einkommenschwächsten muß mit individuellen Hilfen geholfen werden. Wir werden also die Förderung des Wohnungsbaues sowohl mit Objektdarlehen als auch mit diesen individuellen Hilfen, soweit es nötig ist, fortsetzen.Nun zu den von Ihnen besprochenen Einzelheiten, sehr geehrte Frau Kollegin. Sie haben namens der SPD eine etwas geänderte Tabelle vorgeschlagen. Ich habe die Tabelle mit großem Interesse studiert und gefunden — und das ist wieder eine Bestätigung unserer Arbeit —, daß Sie in bezug auf die einkommenschwächsten Kreise überhaupt keine Senkung oder Verbesserung gegenüber unserer Tabelle beantragt haben. Das beweist, daß wir wirklich mit sozialem Verständnis gearbeitet haben und daß Sie das anerkennen; dafür herzlichen Dank.
Das Zweite. Auch bei den kinderreichen Familien sind Sie in fast allen Fällen bei unserer Tabelle geblieben. Sie sind nur in einigen wenigen Fällen mit der Tragbarkeit um 1 % unter unsere Tabelle gegangen. Auch hier zeigt sich, daß wir für unsere familiengerechte Arbeit in diesem Gesetz im großen und ganzen Ihre Anerkennung gefunden haben. Sie haben dann allerdings in einer Reihe von anderen Fällen verlangt, daß wir ,die Tragbarkeitssätze erheblich senken. Sie haben das insbesondere bei hohen Einkommen und kleineren Familien verlangt.
— Ich komme auf die Einzelheiten zu sprechen.Ich will Ihnen ein paar Beispiele anführen. Sie verlangen die Senkung um ,drei bis vier Punkte. So wird beispielsweise verlangt, daß in der Tabelle bei Kinderlosen, die ein Nettoeinkommen von 1000 DM haben — das ist ein bereinigtes Einkommen von 900 DM —, die Tragbarkeit von 24% auf 20 % — also um vier Punkte — gesenkt wird. Das gleiche ist bei einem Ehepaar mit einem Kind und einem Nettoeinkommen von 1100 DM der Fall. Natürlich sind 20 oder 24 % viel. Aber derjenige, der nur für eine verhältnismäßig kleine Familie zu sorgen hat und ein größeres Nettoeinkommen hat, vermag die 24 % nach unserer Auffassung noch zu tragen. Hier, so meinen wir, geht Ihr Vorschlag zu weit. Wir glauben, daß der Haushalt bis zur Grenze des Tragbaren seine Wohnung selbst zu bezahlen hat. Bei den höheren Einkommen und kleineren Familien scheint uns der SPD-Antrag dem nicht .ganz zu entsprechen. Wir beabsichtigen nicht, ein allgemeines Füllhorn zu öffnen, das die Selbstversorgung ersetzt. Daher bitten wir, die Ziffer 1 des Änderungsantrags der SPD auf Umdruck 325 abzulehnen.Wir haben auf Umdruck 340 einen Änderungsantrag eingebracht, in dem ein Zahlenfehler berichtigt wurde. Wir bitten Sie, diesen Antrag anzunehmen.Dann zur Ziffer 2 Ihres Änderungsantrags, der sogenannten Kappungsvorschrift! Die ursprüngliche Kappungsvorschrift traf die kleinen Einkommen; die Wohnbeihilfen sollen vor allem dieser Gruppe zu-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4001
Dr. Czajagute kommen. Deshalb wurden im Ausschuß mit Ihrer Hilfe und .auf Ihre Anregung hin in den Vorschriften über den vom Mieter selbst zu tragenden Mietteil bei den niedrigen Einkommen eine Ermäßigung, bei den höheren Einkommen ,dagegen eine Erhöhung vorgenommen. Auch nach den Aussagen der Sachverständigen der Länder enthielt diese Kappungsvorschrift keine untragbaren Härten. Wenn die Einkommenschwächsten nur 10 bis 20 %der Miete selbst zahlen müssen, so ist das — das möchte ich hier ausdrücklich feststellen — keine Überforderung.Es wird aber damit eines verhindert: Wenn der Selbstbehalt noch niedriger wäre oder wegfiele, bestünde .die Gefahr, daß bei unzureichenden Wohnverhältnissen nicht ein Umzug in Wohnungen mit einer mittleren Miete angestrebt würde, sondern daß man ohne Rücksicht auf .die Miete in die teuersten Wohnungen ziehen würde, oder — auch das ist noch nicht völlig ausgeräumt — daß es zu Absprachen zwischen Vermietern und Mietern auf Kasten der Staatskasse käme, die dem Streben nach ausgewogenen Mieten entgegenstünden. Deshalb bitten wir, auch die Ziffer 2 des Antrags der SPD auf Umdruck 325 abzulehnen.Frau Kollegin Berger-Heise, Sie haben dann noch ,die Quadratmeter angesprochen. Wir geben natürlich nur für die unbedingt benötigte Wohnfläche eine Subvention. Ich darf Ihnen die Zahlen nennen. Familien mit einem Kind erhalten für 60 qm Wohnfläche eine Subvention, bei zwei Kindern beträgt die Fläche 70 qm, bei vier Kindern bis 90 qm und bei fünf Kindern bis 100 qm. Ich darf hier in aller Bescheidenheit und Schlichtheit folgendes sagen: Wer heute ,die Wohnverhältnisse — auch in den Neubauwohnungen — kennt, weiß, daß hiermit insbesondere für die Familien mit Kindern eine absolut ausreichende Wohnfläche zugebilligt wird, für die noch Subventionen gezahlt werden.Sie haben dann das Beispiel des Alleinstehenden angeführt, der mit 24% belastet wird, und haben gemeint, er bekomme erst dann eine Wohnbeihilfe, wenn ,er 3,60 DM zahlen müsse. Entschuldigen Sie, die bekommt er gar nicht, weil eine Obergrenze für die Mieten vorgesehen ist, bis zu der noch Miet-und Lastenbeihilfen gezahlt werden können. Sie liegt 20 % über der zulässigen Miete im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Solange die zulässigen Mieten nicht so hoch sind, kann er keine Wohnbeihilfe bekommen. Wir meinen, wenn sich eine Person mit einem bereinigten Einkommen von 600 DM eine Wohnung von 30 qm zu 3,60 oder 4 DM nimmt, dann muß er auch sehen, wie er die Miete selber bezahlen kann; oder er muß sich eine Wohnung suchen, die seinen Einkommensverhältnissen in etwa .entspricht.
: Sie zu finden, wird
schwierig sein!)— Sicherlich, aber auch andere finden sie nur schwer. Das können wir nur durch das Weiterbauen ausräumen, Herr Kollege.Sie haben weiterhin angesprochen, daß wir die Abzugsfähigkeit der mitverdienenden Familienmitglieder mit 100 DM nicht mehr darinhaben. Wir haben dafür einen Antrag darin, den der Kollege Mick nachher begründen wird, daß gerade wegen der mitverdienenden Familienmitglieder 15 % — nicht wie bisher 10 % — des Einkommens für Sozialversicherungsbeiträge abgesetzt werden, wir haben eine Verfeinerung der Tabelle und haben eine Reihe von Vorschriften über das, was bei den Einkünften nicht anrechenbar ist, die über das Bisherige weit hinausgehen.Wir meinen also sagen zu sollen, daß dieses Gesetz zwar — wie alles auf dieser unvollkommenen Welt — noch nicht der Weisheit letzter Schluß ist, daß es aber ein wirkliches Kernstück des Miet- und Wohnrechts darstellt, daß es einen großen sozialen Fortschritt bedeuten wird, wenn dieses Gesetz Rechtens wird, daß damit die Grundgesetzartikel von der Würde der Person und der Unantastbarkeit der Wohnung und die Grundsätze des sozialen Rechtsstaates auf einem für alle Bürger wichtigen Gebiet mit Leben erfüllt werden.Wir bitten Sie, unter Ablehnung der genannten Anträge dem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Kiep-Altenloh.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte an das anknüpfen, was hier in den Reden meiner Vorredner immer wieder zum Ausdruck gekommen ist und was auch ich selbst als Schluß meiner Ausführungen gesagt habe: Wesentlich ist, daß der soziale Wohnungsbau weiter gefördert wird und daß er dafür sorgt, daß die noch vorhandenen Lücken in der Wohnraumversorgung geschlossen werden. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachte ich das Gesetz über Wohnbeihilfen als ein Hilfsgesetz, das die sozialen Härten überwinden soll, die sich eben daraus ergeben, daß noch nicht genügend Wohnräume vorhanden sind, die auf dem Markt ihren Preis frei ausbalancieren. Wir dürfen nicht ganz übersehen, daß in diesem Gesetz ja auch eine Tendenz stecken kann, die Mietsenkungen zu verhindern, die sich auf einem freien Markt auswirken würden. Trotzdem kommen wir ohne dieses Gesetz nicht aus.Man darf nicht davon ausgehen, daß die Miete, die sich nunmehr durch diese neue Verordnung und durch den § 43, der den Ländern auferlegt, Obergrenzen für die Miete festzusetzen, ergibt, nun die Normalmiete werden wird. Diese Gefahr besteht; aber wir müssen alles tun, damit durch einen intensivierten Wohnungsbau diese Obergrenzen nicht die normalen Mieten werden. Ich glaube, es besteht schon die Gefahr besonders für den Altwohnungsbau, daß er diese Obergrenzen nach einigen Jahren nicht wird einhalten können. Auf diese Dinge hat Frau Heise bereits hingewiesen. Ich möchte dazu jetzt keine weiteren Ausführungen machen, da Herr Dr. Czaja sie schon in unserem Sinne gemacht hat. Ich möchte nur zu den Vorschlägen Stellung nehmen.
Metadaten/Kopzeile:
4002 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Frau Dr. Kiep-AltenlohÜber das Verhältnis der Wohnbeihilfen zur Sozialhilfe, das nach dem Antrag der SPD Umdruck 326 *) gestrichen werden soll, haben wir ausführlich im Ausschuß gesprochen. Ich persönlich war der Meinung, man sollte die Sozialhilfeempfänger nicht aus dem Kreis der Wohnbeihilfeempfänger herausnehmen. Nachdem aber die Länder dieser Vorschrift zugestimmt haben, die ja aus Gründen der Verrechnung zwischen Bund und Ländern getroffen werden mußte, glaube ich, wir sollten diesen Paragraphen jetzt im Gesetz stehenlassen. Jedenfalls hat sich meine Fraktion zu diesem Schritt entschlossen, nachdem, wie gesagt, die Länder zugestimmt haben:Anders ist es mit der ebenfalls auf Umdruck 326 vorgeschlagenen Änderung des § 39. Nach diesem Antrag der SPD soll der Abs. 1 des § 39 wie folgt geändert werden:Beträge, die der Beihilfeempfänger zu Unrecht erhalten hat, sind zurückzuzahlen, wenn und soweit die ungerechtfertigte Gewährung vom Beihilfeempfänger zu vertreten ist.Ich glaube, diesen Antrag sollten wir annehmen. Denn ich weiß, wieviel Härten oft entstanden sind, wenn infolge eines Rechenfehlers irgendeines Beamten nach einem halben Jahr oder einem Jahr die Behörde die Beihilfe von dem unglücklichen Empfänger zurückforderte. Die Einfügung des vorgeschlagenen Passus verhindert zweifellos soziale Härten, die nicht nur einmal vorkommen. Denn auch die Beamten haben sich ja oft verrechnet, und der arme Empfänger saß dann mit einer schwer zu bewältigenden Schuld da, und es mußte mit Einzelmaßnahmen geholfen werden.Nun zu Ihrer neuen Tabelle. Ich habe nicht so viele Beispiele durchgerechnet; ich habe aber eines durchgerechnet, das auch Sie gerade beanstanden. Das betrifft das Alleinstehenden-Einkommen von 500 DM. Sehr zu begrüßen ist der Vorschlag der CDU/CSU, wonach außer den Aufwandskosten eine Pauschale von 15 % abgezogen werden soll. Hier lag in der Tat ein Fehler. In vielen Städten waren schon bisher 100 DM pro Kopf der Familienangehörigen abzugsfähig. In unserem Gesetz ist diese Möglichkeit nicht vorgesehen. Das würde durch die vorgeschlagene Bestimmung in etwa ausgeglichen. Ich halte auch diese 25% für Steuern und Sozialbeiträge für angemessen; denn diese Aufwendungen sind in der Tat häufig höher als 10 %.
— Ja, gerade!
Entschuldigen Sie; das war ein Versprecher. 15 % angemessen! Zweifellos waren 10 % zu wenig. Es wäre ja schön, wenn, Herr Könen; aber es ist nicht so.*) Siehe Anlage 5Wenn man sich aber die Tabelle nach diesem Abzug — das ist ganz entscheidend für die Tabelle — noch einmal durchsieht, stellt man fest, daß sich sehr viel günstigere Möglichkeiten für die Wohnbeihilfen ergeben als ohne diesen 15%igen Abzug. Das macht eine ganze Menge aus. Wenn Sie von einem Einkommen von 500 DM die 15% absetzen, verbleiben 425 DM. Wahrscheinlich wird noch die eine oder andere Aufwandsauslage abzuziehen sein. Dann bleibt bei 20 % eine vom Mieter selbst zu tragende Mietaufwendung von 80 DM. Meine Damen und Herren, ich glaube, Kleinwohnungen für Alleinstehende für wesentlich weniger als 80 DM gibt es auch heute nicht; diese 80 DM werden auch heute gezahlt werden müssen. So glaube ich, daß wir mit diesem Gesetz, nachdem diese 15% Abzug eingefügt werden sollen, durchaus auskommen können.Die übrigen von der CDU/CSU gestellten Anträge sind mehr formaler Art.Es ist noch ein Punkt darin, den wir im Ausschuß besprochen haben: das Freibleiben eines kleinen Grundstücks, das nicht bewohnt wird. Wir hatten ja im Ausschuß Bedenken dagegen. Aber wenn gleichzeitig die Höhe der nicht anzurechnenden Vermögensbestandteile vorgesehen ist, dürften auch hier keine Bedenken mehr bestehen.So glaube ich, daß der Vorschlag der SPD betreffend einen anderen Modus der Berechnung an Gewicht verloren hat, wenn man die 15% berücksichtigt.Ich glaube, auch mit den Größen kommen wir aus. Die diesbezügliche Bestimmung soll ja nicht bedeuten, daß die betreffenden Leute keine größeren Wohnungen bewohnen sollen. Sie sollen sie bewohnen, sie sollen auch für sie gebaut werden. Es handelt sich nur darum, daß die überschießenden 5% bei der Wohnbeihilfeberechnung — ich betone, daß ich das Wohnbeihilfengesetz immer nur als ein Hilfsgesetz betrachte — nicht berücksichtigt werden.Wenn man die beiden jetzt behandelten Gesetze im Zusammenhang betrachtet — und sie stehen ja in engem Zusammenhang —, kommt man zu der Auffassung: man kann damit leben; ich glaube sogar, man kann im wesentlichen — dies für die Mieter gesprochen und für die Lastenbeihilfeempfänger — besser leben als bisher.
Wir können dann abstimmen. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 325 unter Ziffer 1 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Dann stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 340 ab. Das scheint die Berichtigung eines Irrtums zu sein. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Ich kann annehmen, daß zugestimmt wird.Dann stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 325 Ziffer 2 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —Der Antrag ist abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4003
Frau Dr. Kiep-AltenlohWir können dann abstimmen über § 10 in der Fassung des Ausschusses, — § 11, — § 12, — § 13, —§ 14, — § 15, — § 16, — § 17, — § 18, — § 19. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Ich rufe § 20 auf. Hierzu liegen die Änderungsanträge Umdruck 325 Ziffer 3 und Umdruck 332 Ziffer 3 vor. — Zur Begründung wird das Wort nicht gewünscht.Wir können dann über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 325 Ziffer 3 abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 3, Antrag der Fraktion der CDU/CSU. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Wir können dann über § 20 mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Ich rufe § 21 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 332 Ziffer 4 vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU war der Meinung, daß eine Pauschale für Versicherungsbeiträge und Steuer von 10% nicht genügend sei. Sie erlaubt sich deshalb, den Antrag einzubringen, diese Pauschale auf 15 % zu erhöhen, weil das der tatsächlichen Situation eher angemessen ist. Ich darf das Hohe Haus bitten, diesen Antrag anzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 4 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Ich darf wohl feststellen, daß § 21 mit dieser Änderung gebilligt ist.
§ 22! Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 325 Ziffer 4 vor. Das Wort zur Begründung wird nicht mehr gewünscht. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe dann die §§ 22 und 23 in der Fassung des Ausschusses auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Bei einer großen Zahl von Enthaltungen angenommen.
Dann § 24! Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 332 Ziffer 5 vor. — Herr Abgeordneter Stiller hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 24 befaßt sich mit Bestimmungen, die den Einsatz und die Verwertung von vorhandenem Vermögen betreffen. Wenn jemand
eine Wohnbeihilfe beantragt und er besitzt wesentliches Vermögen, so kann die Wohnbeihilfe versagt werden.
In Nr. 5 heißt es nun, daß die Verwertung eines kleinen Hausgrundstücks im Falle der Beantragung von Mietbeihilfen nicht zumutbar sein soll, wenn dieses kleine Hausgrundstück von den zum Haushalt rechnenden Familienmitgliedern ganz oder teilweise bewohnt ist.
Meine Damen und Herren, wir halten es für ungerecht, wenn jemand, der irgendwo zur Miete wohnt und ein sehr geringes Einkommen hat, so daß er an sich mietbeihilfeberechtigt wäre, gezwungen werden soll, sein kleines Hausgrundstück, aus dem er nur ein ebenfalls sehr geringes Einkommen bezieht, zu verkaufen, um die Berechtigung zum Bezug von Wohnbeihilfe zu behalten. Deswegen haben wir auf Umdruck 332 unter Ziffer 5 den Antrag gestellt, den Halbsatz
... wenn sie von den zum Haushalt rechnenden Familienmitgliedern ganz oder teilweise bewohnt werden, ...
zu streichen. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der in Ziffer 5 des Umdrucks 332 aufgeführten Beifügung handelt es sich um einen der seltenen Fälle, in denen es der Opposition im Ausschuß gelang, einen Teil der Regierungsmehrheit für einen ihrer Anträge zu erwärmen und sie dazu zu bringen, mit uns zu stimmen. Darüber hatten wir uns sehr gefreut.
Das, was mein Herr Vorredner und auch Frau Dr. Kiep-Altenloh jetzt als Begründung für die Änderung ihrer im Ausschuß vertretenen Auffassung anführten, konnte mich nicht ganz überzeugen; denn die Tatsache, daß den Länderregierungen 'die Möglichkeit gegeben wird, durch Rechtsverordnung eine obere Grenze für das zu verwertende Vermögen festzusetzen, ändert doch nichts daran, daß es einfach ein Paradoxon ist, daß man jemandem für eine Wohnung in einem anderen Haus, in dem er leibt, Mietbeihilfe gewährt, obwohl er ein eigenes bewohnbares Grundstück besitzt, in das er ziehen könnte,
ohne daß er eine Mietbeihilfe in Anspruch zu nehmen brauchte.
Wir sind nicht dafür, daß man bei Gewährung der Wohnbeihilfe so furchtbar 'kleinlich 'ist. Frau Kollegin Berger-Heise hat das eingehend begründet.
Frau Abgeordnete, Frau Diemer-Nicolaus möchte Ihnen gern eine Frage stellen.
Metadaten/Kopzeile:
4004 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Bitte schön!
Eine Frage, Frau Kollegin: Wie ist es, wenn dieser Hausbesitzer in einem Kreis zur Miete wohnt, der weiß ist, und sein Haus in einem Kreis liegt, der schwarz ist,
und er gar nicht in seine eigene Wohnung hineinkann?
Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Wohnbeihilfengesetz auch für die kommende Zeit Gültigkeit haben soll, in der es keinen Unterschied mehr gibt zwischen weißen und schwarzen Kreisen. Ihre Argumentation mag vielleicht für die nächsten ein oder zwei Jahre gelten, aber nicht länger.
Ich möchte aber sehr bitten, daß die Herren und Damen der Regierungsparteien, die eine so außerordentlich enge Auffassung vertreten, wenn es z. B. um die Bemessung von Freigrenzen für die Bezieher niedriger Einkommen geht, und hier unseren sehr bescheidenen Antrag ablehnten, nicht auf der anderen Seite, wenn es sich um Besitzer von bebauten Grundstücken handelt, eine Großzügigkeit an den Tag legen, die in keinem Verhältnis mehr zu den Maßstäben steht, die sonst in diesem Gesetz angelegt werden.
Ich bitte daher, den Antrag der Fraktionen der I) CDU/CSU und der FDP abzulehnen.
Wir stimmen dann ab über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Umdruck 332 unter Ziffer 5. — Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke und bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Wer dann dem § 24 mit dieser Änderung zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf die §§ 25, — 26, — 27 — und 28. — Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vielen Enthaltungen angenommen.
Zu § 29 der einschlägige Umdruck 326, und zwar Ziffer 1, Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Bitte, Herr Abgeordneter Könen zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auf Umdruck 326 die Streichung dieses Paragraphen beantragt, obwohl er — das gebe ich gern zu — wesentlich anders aussieht, als er ursprünglich aussah. Herr Minister Lücke hat davon gesprochen, daß es sich bei dem Wohnbeihilfegesetz um eine gesellschaftspolitische Tat handele, die dem Fortschritt diene. Kurioserweise hat er daraus den Schluß gezogen, daß die Gemeinden nach wie vor die Mieten für diejenigenaufbringen sollten, die vom Sozialamt unterstützt würden. Ich muß ehrlich sagen, diesem Gedankengang konnte ich nicht ganz folgen; denn wenn man das bei allen fortschrittlichen Dingen so machen würde, daß man nämlich das bestehen läßt, was besteht, dann würden wir wahrscheinlich vom Fortschritt noch nichts bemerkt haben.Um was handelt es sich hier? Ursprünglich besagte der umstrittene Paragraph:Eine Wohnbeihilfe wird nicht gewährt, wenn die Miete oder Belastung nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes oder des Bundesversorgungsgesetzes wegen Kriegsopferfürsorge ganz oder teilweise aus Mitteln der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen wird. Wird ein Beihilfeempfänger zum Hilfesuchenden im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes und erhält nach dessen Vorschriften Hilfe zum Lebensunterhalt, so ist 'die Wohnbeihilfe bis zu sechs Monaten in der bisherigen Höhe weiter zu gewähren. . . .Das bedeutete also, daß jemand, der für den notwendigen Lebensunterhalt eine Unterstützung bekommt, keine Wohnbeihilfe erhält bzw. daß sie ihm nach einiger Zeit entzogen wird. Ich erkenne gerne an — wenn es auch sehr schwierig war, den Ausschuß davon zu überzeugen —, daß das eine Härte bedeutete, von der wir von der Opposition immer wieder meinten, daß sie selbst von denjenigen, die für diesen Paragraphen in der ursprünglichen Form eintraten, nicht gewollt sei, und daß sie die Auswirkungen nicht wünschten, die dieser Paragraph in sich trug.Wenn ich mir den schriftlichen Bericht ansehe und den § 8 betreffend die Einkommensgrenze, dann muß ich ehrlich sagen, da fehlt eigentlich noch der Abschnitt 2. Der § 8 besagt, daß ein Anspruch auf Gewährung der Wohnbeihilfe nicht besteht, wenn das Familieneinkommen den und den Betrag übersteigt. Da gehört ja eigentlich noch ein Abschnitt 2 hinein, nämlich folgender:Der Anspruch besteht weiterhin nicht, wenn das Einkommen niedriger ist, als es für ein Leben, das der Würde des Menschen entspricht, erforderlich wäre.Dann bekommt er auch keine Wohnbeihilfe. Das ist nämlich die Voraussetzung, um dem Sozialempfänger den notwendigen Lebensunterhalt zu gewähren. Ich gebe zu, daß in der Begründung des Gesetzes steht, daß man hier nicht Zwangsmaßnahmen anwenden will, um eine Einkommensgrenze nach unten festzulegen.Was steckt aber nun in der neuen Formulierung? Nachdem im Ausschuß auch von der Bundesregierung, und zwar vom zuständigen Innenministerium, zugegeben oder, besser gesagt, bestätigt werden mußte, daß unsere Darstellung der Auswirkungen dieses Paragraphen richtig sei, hat man Alternativ-Entwürfe gemacht. Den einen davon haben Sie heute in dem zu beschließenden Gesetz. Es ist dankbar anzuerkennen, daß damit die Gefahr beseitigt worden ist, daß ein Mensch, der z. B. wegen Tuberkulose in eine Anstalt eingewiesen wird, gleich-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4005
Könen
zeitig damit „beglückt" wird, daß man ihm die Wohnbeihilfe entzieht; denn er bekommt in der Anstalt den notwendigen Lebensunterhalt. Das ist jetzt geklärt. Abschnitt 3 des Bundessozialhilfegesetzes ist ausdrücklich ausgenommen.Weiterhin hat man in dem neuen jetzt zur Abstimmung stehenden Paragraphen eine Schonfrist von 6 Monaten festgelegt. Aber damit ist das Grundsätzliche nicht entschieden. Wir schaffen hier zwei Sorten von Bürgern. Die eine Sorte Bürger nimmt am gesellschaftspolitischen Fortschritt — so wie es der Herr Minister Lücke sagt — teil; die andere Gruppe nimmt daran nicht teil, weil ihr Einkommen nicht hoch genug ist, um an dem gesellschaftspolitischen Fortschritt teilnehmen zu können. Das müssen Sie sich einmal ein bißchen überlegen.Dann hat man gesagt: Das steckt ja eigentlich alles nicht drin. Hier geht es nicht um den Menschen, sondern hier dreht es sich um handfeste finanzielle Interessen. Die Gemeinden einerseits wollen Geld sparen. Der Bund soll das im Wege der Wohnbeihilfen übernehmen, das heißt: die Mietzahlungen, die für Sozialhilfeempfänger bisher geleistet worden sind, sollen vom Bund abgelöst werden. Dahinter steckt nicht die Sorge um den Menschen und um seine Würde, sondern dahinter stecken handfeste finanzielle Interessen.Ich bin nicht naiv genug, um behaupten zu wollen, daß hier keine finanziellen Erwägungen mit eine Rolle gespielt hätten. Aber das will ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn wir in jeder Sonntagsrede undbei jeder Festveranstaltung hören, daß der Satz, den einmal vor langer Zeit alte Sozialisten geprägt haben, nämlich, daß der Mensch im Mittelpunkt der Dinge stehe, auch heute unser Handeln bestimmen müsse, so frage ich mich, warum das hier eigentlich nicht der Fall sein soll.Man sagt auf der anderen Seite: Ja, dann bekommt der Mann gegebenenfalls von einer Seite Wohnbeihilfe, von der anderen Seite Miete — zwei Verwaltungswege, viel Durcheinander; das wollen wir den Leuten ersparen.Ich bin der Auffassung, daß das keine Begründung sein kann. Wenn man will, kann man das nämlich abstellen. — Außerdem haben wir vorhin mit dem § 1 einen Absatz angenommen, in dem es heißt:Sie ist keine Leistung der Sozialhilfe im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes vom 30. Juni 1961 . . . in seiner jeweils geltenden Fassung.Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß diese Bestimmung in das Gesetz hineingekommen ist. Als vor wenigen Tagen dieser Antrag im Ausschuß zurückgezogen wurde, war ich betrübt darüber; denn dieser Satz stützt erst recht das, was nicht nur hier, sondern auch im Bundesrat in bezug auf das Bundessozialhilfegesetz und die Nachrangigkeit — ich sage absichtlich nicht: Subsidiarität, um bei Ihnen keine Gedanken über die Auseinandersetzung zwischen den Gemeinden und den Wohlfahrtsverbänden aufkommen zu lassen — gesagt worden ist. Das wird durch diese Feststellung erhärtet. Die Wohnbeihilfe ist also keine Leistung der Sozialhilfe im Sinne desBundessozialhilfegesetzes. Doch muß ich dazu allerdings etwas Einschränkendes sagen: Wenn Sie von der Begriffsbestimmung der öffentlichen Fürsorge — jetzt Sozialhilfe — ausgehen, fehlt im Wohnbeihilfengesetz nur eins: die Rückzahlungsverpflichtung für Leistungen, die dort für den Lebensunterhalt gewährt werden, und die Zahlungsverpflichtung der Unterhaltsverpflichteten. Das ist der Unterschied zwischen dem Wohnbeihilfengesetz und dem Bundessozialhilfegesetz.Im übrigen geht das Wohnbeihilfengesetz haargenau von denselben Voraussetzungen aus: Einkommensprüfung, Bedarfsprüfung, Familienstand, Familiengröße. Auch 'ich bin der Meinung, daß Sozialhilfe eine ehrenhafte Sache ist. Man braucht da gar nicht so sehr künstlich zu versuchen, Differenzen zu schaffen, die überhaupt nicht da sind. Wenn wir aber das Wohnbeihilfengesetz ausdrücklich zu •einem Gesetz erklären, bei dem es sich nicht um ,eine Sozialhilfe im Sinne des BSHG handelt, so muß ich doch darauf hinweisen, daß der § 2 des BSHG zur Nachrangigkeit etwas außerordentlich Wichtiges sagt. Er sagt nämlich:Verpflichtungen anderer, besonders Unterhaltspflichtiger, oder der Träger anderer Sozialleistungen werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer,— daß betrifft z. B. das Wohnbeihilfengesetz —auf die jedoch kein Anspruch besteht, dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Gesetz entsprechende Leistungen vorgesehen sind.Das bedeutet, daß der Nachrang der Sozialhilfe auch dann bestehen bleibt, wenn z. B. im Bundessozialhilfegesetz eine bestimmte Leistung mit Rechtsanspruch versehen ist und sie in einem anderen Gesetz eine Kann-Leistung darstellt. Das ist der Sinn des Nachranges dieses Gesetzes. Schon aus diesem Grunde ist meines Erachtens der Antrag der SPD, diesen Paragraphen zu streichen, gerechtfertigt.Meine Damen und Herren, ich möchte hier wirklich noch einmal allen Ernstes darum bitten, nicht von fiskalischen Erwägungen auszugehen. Gehen Sie nicht davon aus, der eine wolle sich vor dem Zahlen drücken und der andere nicht, sondern davon, daß es nicht möglich ist, ein Gesetz zu schaffen, das als gesellschaftspolitischer Fortschritt bezeichnet wird, .das aber einen ganz bestimmten Kreis von Bürgern von diesem Fortschritt ausschließt! Das dürfte der Überlegung wert sein. Im übrigen wird es, wenn wir es darin lassen, sicherlich nicht lange dauern, bis vor irgendeinem Gericht entschieden werden muß, daß das Bundessozialhilfegesetz in jedem Falle nachrangig anzuwenden ist, ,d. h. daß nach dem Wohnbeihilfengesetz auch Wohnbeihilfen zu zahlen sind. Auch wenn Sie im Hinblick auf die Sechs-Monate-Frist — wie gesagt: der Paragraph sieht jetzt etwas anders aus — die Sache betrachten: Es bleibt dabei, daß der Wohnbeihilfenempfänger, der ,das Unglück hat, seinen notwendigen Lebensunterhalt nunmehr von sei-
Metadaten/Kopzeile:
4006 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Könen
ner Gemeinde beziehen zu müssen, aus der Wohnbeihilfe ausscheidet, weil er die Unterhaltskosten — so heißt es im BSHG — eben von der Gemeinde erstattet bekommen soll. Ich finde dafür wahrhaftig keine Begründung. Falls dieses Gesetz gemacht worden ist oder — besser gesagt — dazu gemacht werden soll, Menschen mit niedrigerem Einkommen zu helfen, begreife ich einfach nicht, warum die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen von dieser Hilfe ausgeschlossen werden sol- len. Das zu begreifen, dazu fehlt mir der Nerv!Ich bitte Sie herzlich, nehmen Sie den Streichungsantrag an! Sie tun niemandem weh; aber Sie helfen damit, eine 'Kategorie von Bürgern nicht ausschließen zu lassen, jene, die ,dieses Gesetz am allernotwendigsten hat!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem widersprechen, daß wir versuchten, zwei Sorten Bürger zu schaffen, und daß wir Einkommenschwache schlechter bedenken wollen. Im Gegenteil, der einzelne Betroffene wird kaum benachteiligt; denn diejenigen, die Sie, Herr Kollege Könen, angesprochen haben, haben bisher ja den Ersatz von der öffentlichen Hand nicht nur für 35 bis 90, sondern für 100 % der Miete
» erhalten. Die Sozialhilfeempfänger erhalten die ganze Miete. Dem theoretischen Rückzahlungsanspruch der Sozialhilfe, der bei sonstigen Mietbeihilfen fehlt, steht andererseits gegenüber, daß über die Sozialhilfe die volle Miete ersetzt wird.
Wir glauben auch, daß man verschiedene soziale Tatbestände verschieden behandeln muß. Wer in der Sozialhilfe steht, und zwar nicht nur wegen der Miete, sondern wer in seiner ganzen Existenzbasis auf die öffentliche Handangewiesen ist, soll aus der Sozialhilfe bedacht werden. Dies ist allerdings — das ist des Pudels Kern, der hier nicht erwähnt worden ist — seit Jahrzehnten im deutschen Staatsrecht finanzielle Pflicht der Gemeinden und zum Teil der Bezirksfürsorgeverbände. Wir können hier über das Wohnbeihilfengesetz nicht still und leise plötzlich ein Stückchen Finanzreform durchführen. Das geht nicht. Des Pudels Kern muß man auch nennen. Es geht darum, ob die Miete bei denjenigen, die aus den sonstigen Lebensumständen heraus voll auf die Sozialhilfe angewiesen sind, wie bisher Gemeinde oder Bezirksfürsorgeverband bezahlt oder ob Bund und Länder das zahlen sollen. Der einzelne Betroffene ist nicht benachteiligt, aber die Aufkommen für diese Lasten können bei allem Wohlwollen für die Gemeinden nicht verschoben werden; sie können schon gar nicht verschoben werden, wenn Sie uns dauernd einen größeren Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer verwehren. Dann wäre der Bund mit 50 % belastet. Sie haben das schon damit begründet, daß die Gemeinden ihre Pflichten erfüllen müssen. Das ist nach der deutschen Gemeindeordnung eine urwüchsige
Aufgabe der Gemeinde. Man kann wohl nicht ohne Anlaß plötzlich die Kompetenzen verschieben.
Wir haben schon denjenigen, die am Rande der Sozialhilfe stehen und, wenn sie Wohnbeihilfe bekommen, ihre Existenz ohne sonstige Sozialhilfe sichern können, die Wohnbeihilfe voll zugestanden. Sie haben noch die Regelung für Tuberkulosekranke durchgebracht.
Wir können wohl mit ruhigem Gewissen, ohne von zweierlei Sorten von Bürgern sprechen zu müssen, von der die eine gegenüber der anderen benachteiligt wird, den Paragraphen so annehmen, wie er hier steht, und den Streichungsantrag ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Czaja, Sie haben die materielle Seite angesprochen. Wir haben sogar noch mehr bei Ihnen erreicht, bei Ihnen zum Teil mit Zähneknirschen erreicht.
— Ja, das kommt auf die Zähne und die Herkunftsstelle an. Der ganze Abschnitt 3, nicht nur die Tbc-Hilfe-Empfänger, sondern auch die Empfänger von Ausbildungshilfen, auch die Hilfen für Behinderte und alles, was dazugehört, also alle Hilfen in besonderen Lebenslagen, sind herausgekommen. Darauf bilden wir uns etwas ein. Wir danken Ihnen, daß Sie mitgemacht haben, aber selbstverständlich!Herr Dr. Czaja, Sie haben vom Materiellen gesprochen. Wir sagen ja bei jeder Vorlage, es müsse endlich einmal eine vernünftige Finanzreform kommen. Wir können nicht mit allen Dingen warten, bis diese Finanzreform kommt.
— Ach, Herr Kollege, wie oft haben wir schon von Gutachterkommissionen und allem möglichen gesprochen. Der Finanzminister hieß noch Starke, und er hat schon gesagt, wer Mitglied der Kommission sein soll. Wann hat denn Idle Kommission getagt?!
— Wollen wir davon ,aufhören! Ich habe versprochen, nicht so lange hier oben zu bleiben.Es kommt auf etwas ,anderes an. Sie sagen, es würden' keine zwei Kategorien geschaffen. Das geht einfach an der Sache vorbei. Unterhaltsverpflichtung und Rückzahlung sind zwei Dinge, die man nicht aus der Welt schaffen kann. Sehen Sie sich auf der anderen Seite an, daß bei Wohnbeihilfen und bei Lastenbeihilfen die Unterhaltsverpflichteten eine völlig .andere Position haben als nach dem Sozialhilferecht. Sie müssen mir zugeben, daß das nicht in Ordnung ist. Ich bin also der Auffassung, daß die finanziellen Auswirkungen — —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4007
Könen
Verzeihung, wieso kommen wir dazu, ein Sozialhilfegesetz zu ändern, nachdem wir alle vorher .geschworen hatten: die Rückzahlung geht heraus. Nachher fiel Ihre Fraktion um, und sie kam wieder hinein. Dazu kann ich nichts. Die Novelle zum BSHG wird wohl demnächst kommen — ich hoffe es wenigstens —, wenn der berühmte Erfahrungsbericht vorliegt, den Sie und die FDP von der Regierung verlangt haben. Solange das nicht so ist, haben wir diese Situation.Ich bin der Auffassung, daß es gut und richtig Ist, wenn Sie den Paragraphen streichen, damit gleiches Recht für alle Menschen, die es beanspruchen können, geschaffen wird.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 326 unter Ziffer 1. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 29 in der Fassung des Ausschusses, — § 30, — § 31. — Wer zustimmen will, gebe ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 32! Hier liegt der Änderungsantrag auf Umdruck 332 unter Ziffer 6 vor. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderungsanträge,
die ich zu begründen habe, gehen auf Anregungen der Länder zurück und 'sollen im wesentlichen zu Verwaltungsvereinfachungen führen. Weil insofern ein gewisser Zusammenhang besteht, bitte ich den Herrn Präsidenten um die Zustimmung, die Anträge unter den Ziffern 6, 10, 11, 12 und 13 im Zusammenhang begründen zu dürfen.
Da es sich um ein Initiativgesetz handelt, hatte der Bundesrat nicht die Möglichkeit, seine Anliegen schon im ersten Durchgang geltend zu machen. Ich möchte deshalb dem Hohen Hause empfehlen, diese Änderungsanträge anzunehmen, zumal dadurch auch die Gefahr gebannt wird, daß wegen dieser Anträge der Vermittlungsausschuß angerufen wird.
Zunächst zu den §§ 32 Abs. 4 und 39 Abs. 4: Die Neufassung dieser Vorschriften soil der Verwaltungsvereinfachung dienen. Sie gibt der Behörde die Möglichkeit, sich im Falle einer Überzahlung bei Dritten schadlos zu halten, und entlastet damit den Beihilfeempfänger.
Zu Ziffer 10: Die Obergrenzen für den bisher preisgebundenen Wohnraum dürfen nach Wegfall der Preisbindung eine angemessen erhöhte Miete nicht übersteigen. Die angemessen erhöhte Miete wird durch eine Rechtsverordnung bestimmt, auf die in § 43 Abs. 3 Bezug genommen wird. In dieser Rechtsverordnung sind die Mietsätze nicht nach Ortsklassen, sondern nach Gemeindegrößenklassen zu staffeln. Die Neufassung dient der Anpassung.
Zu Ziffer 11: Die Änderung ist erforderlich um Mißverständnisse zu vermeiden. Die Neufassung stellt sicher, daß die Lastenbeihilfen im Sinne des
Wohnbeihilfengesetzes, die im Sinne des Gesetzes über die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen und die nach § 73 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hinsichtlich der Einkommensminderung gleichbehandelt werden.
Zu Ziffer 12: Statt auf das Inkrafttreten soll auf die Anwendbarkeit des Gesetzes über Wohnbeihilfen abgestellt werden, weil die Regelung auch für die weißen Kreise gelten muß, in denen die Mietpreise erst 1964 oder später freigegeben werden. Der Beihilfeberechtigte soll keinen Schaden haben, wenn er den Beihilfeantrag nicht sofort im ersten Monat nach Freigabe der Mieten stellt. Wird der Antrag innerhalb der ersten vier Monate gestellt, so ist dem Berechtigten die Beihilfe rückwirkend zu gewähren. Diese Frist erscheint angemessen, weil sich die Beihilfeberechtigten vielfach erst erkundigen werden, ob sie eine Beihilfe bekommen können. Durch diese Viermonatsfrist wird gleichzeitig die Verwaltungsbehörde entlastet. Die Anträge auf Gewährung einer Miet- oder Lastenbeihilfe werden sich zeitlich besser verteilen, so daß sie zügig bearbeitet werden können.
Zu Ziffer 13: Diese Änderung betrifft die Saarklausel und bringt für die Lastenbeihilfen die soeben erwähnte Klarstellung. Eine besondere Regelung ist notwendig, weil das Saarland ein eigenes Wohnungsbaugesetz hat.
Wir bitten das Hohe Haus um Annahme der Anträge.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich bei der Abstimmung über die Anträge, die soeben begründet worden sind, der Stimme enthalten, und zwar aus folgendem Grund. Wir haben erst heute diese Änderungsanträge zur Kenntnis nehmen müssen. Sie sind zum Teil mit finanziellen Folgen verknüpft, die wir nicht übersehen können. Sie sind zum Teil aber auch, wie wir finden, ohne eine überzeugende Begründung vorgebracht.
Die Kritik an dieser Methode gilt für all diese Gesetze. Es ist eine Crux sondergleichen, daß wir in der zweiten und dritten Lesung Anträge vorgelegt bekommen, die im Ausschuß längst hätten gestellt werden können. Dagegen wehren wir uns, und daher enthalten wir uns der Stimme.
Herr Jacobi, wollen Sie noch eine Frage des Kollegen Mick zulassen und beantworten?
Gern.
Herr Kollege Jacobi, ich wollte nur fragen, wann wir Ihre Änderungsanträge zu Gesicht bekommen haben.
Metadaten/Kopzeile:
4008 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Herr Kollege Mick, ich weiß nicht, ob Sie klug beraten waren, diese Frage an mich zu stellen. Dieses Wohnbeihilfengesetz hat ja eine Vorgeschichte. Es sollte ursprünglich von der Bundesregierung eingebracht werden. Es ist dann nur als Koalitionsantrag eingebracht worden, und zwar mit der von Ihnen ausdrücklich vorgetragenen Begründung, man müsse Zeit gewinnen. Dem Bundesrat wollten Sie nachträglich, sozusagen um die Ecke herum, die Mitwirkung gestatten. Wir wollen auf all das nicht eingehen. Sie haben all das, was wir zu kritisieren haben, auch das Nachschieben von Anträgen, allein zu verantworten.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 332 Ziffer 6 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen über § 32 mit dieser Änderung — Anfügung eines Abs. 4 — ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 33 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 7 vor. Er ist bereits begründet. — Bitte schön, Frau Kollegin Berger-Heise!
Ich wundere mich, daß niemand der Herren von der CDU diesen Antrag begründet.
Frau Kollegin, er ist begründet worden.
Das habe ich überhört. Ich bitte um Entschuldigung.
Es heißt in der Fassung des Antrags: Wird die Entscheidung
— über den Antrag auf Wohnbeihilfe —
nicht innerhalb von drei Monaten nach der
Antragstellung getroffen, so ist die Wohnbeihilfe in Härtefällen vorläufig zu bewilligen, . . .
Meine Herren und Damen, wenn jemand schon drei Monate darauf wartet, daß er seinen Antrag bewilligt bekommt, dann ist das kein Härtefall mehr, dann ist das etwas, was jeden angeht. Man kann die Beihilfe nicht nur in Härtefällen, wie Sie es hier wollen, vorläufig bewilligen. Wer drei Monate gewartet hat, der muß dann, wenn die Behörde nicht nachkommt, seinen Antrag eben vorläufig bewilligt bekommen.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 332 Ziffer 7 ab. Wer zustimmt, gebe Zeichen, — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Wer § 33 in der hierdurch geänderten Fassung sowie den §§ 34, 35, 36, 37 und 38 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! —: Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.Ich rufe § 39 auf. Hierzu liegen der Änderungsantrag Umdruck 326 Ziffer 2 der Fraktion der SPD und der Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 8 vor. Eine weitere Begründung erfolgt nicht.Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 326 Ziffer 2 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 332 Ziffer 8. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit dem bisherigen Verhältnis angenommen.Wer § 39 mit der soeben beschlossenen Änderung sowie den §§ 40 und 41 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Ich rufe § 42 auf. Hierzu liegt der bereits begründete Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 9 vor. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit dem bisherigen Mehrheitsverhältnis angenommen.Wer § 42 mit dieser Änderung zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls angenommen.§ 43. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 10 vor. Wer diesem Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Ebenso angenommen.Wer § 43 mit dieser Änderung sowie den §§ 44, 45, I 46 und 47 zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Ebenso angenommen.§ 48. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 332 Ziffer 11 vor. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Wer § 48 mit dieser Änderung billigt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.§ 49. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 332 unter Ziffer 12 vor. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit gleicher Mehrheit angenommen.Wer dem § 49 mit dieser Änderung, den §§ 50, —51, — 52, — 53, — 54, — 55 — zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Zu § 56 liegt der Änderungsantrag auf Umdruck 332 Ziffer 13 vor. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Wer § 56 mit dieser Änderung und § 57 zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit gleichem Mehrheitsverhältnis angenommen.§ 58! Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 332 Ziffer 14 vor. Wer zustimmt, gebe Zeichen: — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4009
Vizepräsident Dr. DehlerWer § 58 in dieser geänderten Form — Einleitung und Überschrift — zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen.Damit schließe ich die zweite Beratung.
— Handelt es sich wirklich um einen Irrtum? — Soll er korrigiert werden? —
Ich rufe noch einmal § 39 auf. Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 332 Ziffer 8 ist angenommen worden. Vorhin ist aber der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 326 Ziffer 2 abgelehnt worden. Es wird mir gesagt, daß das ein Irrtum ist.Wir stimmen also noch einmal über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 326 Ziffer 2 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe noch einmal § 39 mit den beiden beschlossenen Änderungen — Umdruck 326 Ziffer 2 und Umdruck 332 Ziffer 8 — auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen angenommen.Ich schließe nunmehr die zweite Beratung und I) eröffne diedritte Beratung.Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich vor Eintritt in die dritte Beratung nun zusammenfassend zu dem Gesetzeswerk kurz Stellung nehme. Bei der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht am 12. November 1959 wurde hier im Bundestag mit Recht die Frage gestellt: Ist der Zeitpunkt schon gekommen, um die Wohnungszwangswirtschaft abzubauen? Die damalige Antwort wurde ein halbes Jahr später recht eindeutig durch die Verabschiedung des Gesetzes, das den Abbau einer über 40jährigen Zwangswirtschaft im Wohnungswesen einleitete, erteilt.Wenn wir nun bei diesem Gesetz von einem Stufenplan sprechen, so möchte ich daran erinnern, daß die erste Stufe in Wirklichkeit bereits vor 13 Jahren in Angriff genommen worden ist, nämlich mit der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes, dem nach der Novelle im August 1953 das Zweite Wohnungsbaugesetz folgte. Diese erste Stufe, meine Damen und Herren, hieß Abbau der Wohnungsnot. Die Zwischenbilanz heute heißt: In nahezu 400 Landkreisen und kreisfreien Städten istdas rechnerische Wohnungsdefizit auf unter 3 v. H. gesunken. In dieser Zwischenbilanz sind etwa 260 Kreise — das sind mehr als 45 '0/0 aller Kreise —, die bereits einen rechnungsmäßigen Wohnungsüberschuß haben. Je etwa 50 Kreise haben heute ein rechnerisches Defizit zwischen 0 und unter 1 %, 50 Kreise ein Defizit zwischen 1 und unter 2%, und nur 40 von diesen fast 400 Kreisen haben heute noch ein rechnerisches Defizit von 2 bis 3%.Herr Kollege Jacobi hat vorhin in seiner Rede recht eindrucksvoll den Satz ausgesprochen, daß der Pfeiler der gesamten Wohnungsbaupolitik die Statistik sei. Herr Kollege Jacobi, das ist nicht richtig. Statistiken sind für den Politiker ein Hilfsmittel. Der Pfeiler dieser Gesetzgebungsarbeit ist die Fortführung des Wohnungsbaus. Hier kann ich ein stolzes Ergebnis bekanntgeben: wir werden in diesen Wochen und Monaten die siebenmillionste Wohnung fertigstellen.
— Der Zwischenruf, Herr Abgeordneter Jacobi, daß Sie das schon einmal gehört hätten, macht die Leistung nicht geringer. Ich glaube, wir sollten in Deutschland immer wieder diese Zahl nennen, damit die ,große Leistung nicht unnötig bagatellisiert wird.
In dieser Zahl sind rund 2 Millionen Familienheime enthalten, ein besonders erfreuliches Ergebnis.
In dem Bauüberhang am Jahresende 1962/63 sind rund 800 000 Wohnungen enthalten, davon rund 400 000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus, also Wohnungen, die für die Kreise bestimmt sind, um die wir heute alle miteinander besorgt sind. Dieses Ergebnis zeigt, welche Leistungen eine echte Gemeinschaftsarbeit von Bund, Ländern, Gemeinden und allen em Wohnungsbau Beteiligten erbringen kann.Ich darf an dieser Stelle und bei diesem wichtigen Anlaß allen am Wohnungsbau Beteiligten, bis zum letzten Mann am Bau, Dank sagen. Ich möchte auch im Namen der Millionen Familien danken, die nach den Wirren des Knieges ein neues Heim und eine neue Wohnung finden konnten.Ich darf zugleich auch an dieser Stelle den Hunderttausenden — es sind noch etwa eine halbe Million —, die noch nicht zum Zuge gekommen sind, das Versprechen geben, daß ich alles in meiner Kraft Stehende tun werde, bis die letzte Familie und die letzte alleinstehende Person eine Wohnunghat. Es wird deshalb mit Vorrang weitergebaut werden, bis dieses Ziel erreicht ist. Ich habe es sehr dankbar begrüßt, daß mir von allen Parteien des Hohen Hauses hier Unterstützung zugesagt worden ist.
Metadaten/Kopzeile:
4010 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Bundesminister LückeDiese Ergebnisse im Wohnungsbau zeigen noch etwas Weiteres. Sie stellen die Glaubwürdigkeit eines schon vor Jahren aufgestellten Stufenplanes unter Beweis, der bis auf vier Wochen Verzögerung eingehalten werden kann.Sie wissen, worum es mir bei diesem Abbau geht. Ich will das ungerechte und unsoziale Dreiklassenmietrecht beseitigen. Dieses in sich unwahre Mietrecht hat zu .einer Ghettobildung geführt, die vielfach unsere kinderreichen Familien in die Slums treibt, während Hunderttausende Alleinstehende Mehrraumwohnungen des Althausbesitzes wegen der billigen Miete blockieren konnten. Dieses Dreiklassenmietrecht kann nur beseitigt werden, wenn der Wohnungsmarkt in Bewegung kommt, damit auch endlich unsere jungen Ehepaare und unsere Rentner, die heute vielfach auf die teuren frei finanzierten Wohnungen angewiesen sind, von ihrer Sorge um die Wohnung befreit werden.Es geht mir hei dieser entscheidenden Phase des Abbaugesetzes auch um den Abbau einer volkswirtschaftlichen Unvernunft. Unser Kollege Professor Dr. Burgbacher hat kürzlich eine Schätzung des Volksvermögens in der Bundesrepublik bekanntgegeben. Bei einem geschätzten Volksvermögen von rund 1300 Milliarden DM steht die Wohnungswirtschaft mit rund 320 Milliarden DM weit an der Spitze der Rangliste. Die bisherige Zwangswirtschaft und die unter die Kasten gedrückten Mieten bedeuten einen erheblichen Substanzverlust. Sie bedeuten einen Schaden, der zu Lasten der gesamten Volkswirtschaft geht. Nicht zuletzt muß diese Last von jenen Hunderttausenden Handwerkern, Rentnern, alten Leuten getragen werden, die ihren Lebensabend vor Jahren durch den Bau eines Mietrenditehauses sichern wollten. Hier besteht die Gefahr, daß diese große Zahl kleiner Altbaubesitzer auf der Strecke bleibt, weil sie bei der Vorenthaltung einer kostendeckenden Miete mit den gestiegenen Baupreisen nicht mehr Schritt halten können.
So mußten vielfach dringende Instandsetzungen und Modernisierungen unterbleiben. Es wird eine schwierige Aufgabe sein, den Althausbesitz in die Lage zu versetzen, die volle Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stehe hier als Anwalt der Mieter und der Hauseigentümer. Ich weiß, daß auf beiden Seiten die Bereitschaft zu einer sozialen Partnerschaft gegeben ist. Ich habe alles getan, um diesen Weg mit Hilfe des Wohnbeihilfengesetzes und des neuen sozialen Mietrechts zu ebnen. Ich habe alles getan, um sicherzustellen, daß keine Familie unter die Räder kommt. Ich möchte auch am Schlusse dieser Debatte noch einmal zum Ausdruck bringen, daß es eine große Sorge aller Parteien sein sollte, die Rechte und die Pflichten der Mieter und der Hausbesitzer jedermann bekanntzumachen. Von mir aus will ich versuchen, durch eine Aufklärungsschrift sicherzustellen, daß jedermann erfährt, welche Rechte und Pflichten er künftighin in der Wohnungswirtschaft hat.Ich stelle allerdings mit Genugtuung fest, daß die in diesen Tagen bekanntgewordenen demagogischen Hetzparolen der Sender in Pankow in der Bundesrepublik Deutschland von links bis rechts auf taube Ohren gestoßen sind. Dort wurde und wird in diesen Tagen unentwegt getrommelt, daß wegen der Mietpreisfrage die Bundesbürger zu Massendemonstrationen und zum Generalstreik auf die Straße gehen sollten.
Ich möchte von dieser Stelle aus den Statthaltern des Kreml in Pankow zurufen, daß der Deutsche Bundestag, der Bundesrat und die deutsche Bevölkerung geschlossen ist in dem Willen, hier eine soziale Ordnung aufzubauen. Den Sklavenhaltern in Pankow rate ich, dasselbe in der Zone zu tun und auch dort endlich eine soziale Freiheit Wirklichkeit werden zu lassen.
Diese Wende, meine Damen und Herren, wird. eingeleitet mit einem neuen System individueller Miet-und Lastenbeihilfen, die jeder Familie die benötigte Wohnfläche in der Mietwohnung oder im Eigenheim wirtschaftlich sichern. Dieses Recht ist in dieser Form neu; es gibt hierfür kein Beispiel. Ich bin sehr dankbar dafür, daß nach dem Verlauf der Debatte erwartet werden kann, daß die sozialdemokratische Opposition bei dieser wichtigen Frage sich zum mindesten der Stimme enthalten wird.
Mit diesem Gesetz bauen wir die Angst und die Furcht vor unverschuldeter Not alb. Sie führte früher — ich denke an die Jahre 1930 bis 1933 — oft zum Verlust der Wohnung, zum Verlust des Eigentums an Haus und Boden. Hiermit nehmen wir vor allem unseren kinderreichen Familien die Sorge um die wirtschaftliche Erhaltung ihres Heims ab. Ich glaube, daß darum dieses Gesetz mit Recht zu den wichtigsten Sozialgesetzen gezählt werden kann, die wir in der Nachkriegszeit verabschieden durften.Ein weiteres Kernstück, über das nachher abgestimmt werden wird, das für mich unabdingbare Voraussetzung für die Freigabe der Mieten in den weißen Kreisen war, ist die Einführung eines neuen sozialen Mietrechts. Dieses Recht wird wie das Wohnbeihilfengesetz für alle Wohnungen gelten, gleich ob Altbau oder freifinanzierter Neubau. Dieses neue Recht wird im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert.Die von uns angestrebte Gesellschaftsordnung gebietet uns, ein optimales Maß an Freiheit auch in den Fragen des Haus- und Grundeigentums zu gewährleisten. Unsere Gesellschaftsordnung verlangt jedoch auch, daß die freie Verfügungsgewalt über Haus, Boden und Wohnung in voller sozialer Verantwortung .vor der Allgemeinheit gehandhabt wird.
Die Grenzen der freien Verfügung über die Wohnungen liegen dort, wo die berechtigten Belange der Familie berührt werden. Wohnungen sind keine Konsumgüter im üblichen Sinne. Sie unterliegen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4011
Bundesminister Lückebesonderen Gesetzen, die von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums en Haus und Grund bestimmt werden. Mir geht es bei dieser neuen Partnerschaft zwischen Mietern und Hauseigentümern — und sie ist schon viel weiter gediehen, als es hier gelegentlich zum Ausdruck gekommen ist— um eine echte Selbstverantwortung des Bürgers auf beiden Seiten.
Mit der Verabschiedung dieser sozialpolitisch wichtigen Gesetze sind die Voraussetzungen für den Schritt in die Freiheit geschaffen. So stehen wir zugleich an einer Wende im Wohnungsbau. Die neuen Aufgaben des Städtebaues, der Dorferneuerung und der Raumordnung rücken in den kommenden Monaten in den Vordergrund. Voraussetzung für diese neue Ordnung in unseren Städten und Dörfern aber ist die nunmehr sich realisierende Ordnung in der Wohnungswirtschaft.Darf ich, meine Damen und Herren, zum Schluß Gelegenheit nehmen, den Damen und Herren des Bundestagsausschusses für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und des Rechtsausschusses, vor allem den beiden Herren Vorsitzenden, Herrn Dr. Hesberg und Herrn Hoogen, meinen sehr herzlichen Dank auszusprechen.
Es handelte sich um eine aufopferungsvolle Tätigkeit, die in monatelangen, sehr gründlichen Beratungen geleistet worden ist und deren gutes Ergebnis wir hier verabschieden können. Ich darf ebenfalls den Mitarbeitern in den Ministerien, den beamteten Mitarbeitern des Bundestages und dem Bundesrat danken, die in der Arbeit an dieser Vorlage monate-, ja jahrelang ihr Bestes hergegeben haben.Ich darf das Hohe Haus um Zustimmung zu den nunmehr in dritter Lesung zur Verabschiedung anstehenden Gesetzen bitten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hesberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion, für die zu sprechen ich die Ehre habe, bejaht die zur dritten Lesung anstehende Gesetzesvorlage über Wohnbeihilfen als die bedeutsamste Maßnahme im Rahmen der Umstellung der Wohnungswirtschaft auf die soziale Marktwirtschaft. Sie erblickt darin einen weiteren Schritt von der objektbezogenen Subvention zur Individualsubvention im Wohnungswesen. Durch diese Methode der Individualhilfe ist es möglich, den einzelnen wirklich Leistungsschwachen nachhaltig zu fördern. Diese Methode sichert auch in der Zukunft vor der Wiederkehr von Auswirkungen, die wir namentlich im sozialen Wohnungsbau des Ersten Wohnungsbaugesetzes beobachten können, Erscheinungen, die vielfach — und mit Recht — kritisiert werden, weil diese Wohnungen in großem Umfang von Personen bewohnt sind, die längst die Einkommensgrenzen des Gesetzesüberschritten haben, so daß diese Wohnungen den ihnen vorbehaltenen Schichten vorenthalten bleiben. Diesem Übelstand baldmöglichst abzuhelfen, ist nach unserer Meinung dringend erwünscht und dürfte gerade in den fernerhin gebundenen Stadt- und Landkreisen zur Erleichterung der Umstellung in den kommenden Jahren führen.Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß dieses Gesetz noch so rechtzeitig verabschiedet wird, daß der Terminplan des Abbaugesetzes eingehalten werden kann. Das Wohnbeihilfengesetz erfüllt die 1960 festgelegten Vorbedingungen für die Aufhebung der Bindungen, die dem Altwohnraumbestand auf Grund der bekannten Notstände im Kriege und wegen der Kriegsfolgen auferlegt worden sind. Den Übergang zur sozialen Marktwirtschaft in diesem Bereich weiter hinauszuschieben, besteht jetzt kein Anlaß mehr, vor allem weil das Wohnungsdefizit dank dem Ergebnis der Wohnungsbautätigkeit von 1960 bis 1962 geringer ist, als 1960 anläßlich der Verabschiedung des Abbaugesetzes angenommen worden ist.Die jetzt in den sogenannten weißen Kreisen erfolgende Aufhebung erscheint uns nach der Neuregelung der Defizitberechnung um so mehr berechtigt, als durch die heute beschlossenen hauptsächlichsten Korrekturen des Mietrechts im BGB im Sinne eines sozialen Mietrechts auch die Voraussetzungen für eine allmähliche Normalisierung der Vertragsbeziehungen zwischen Mietern und Vermietern erfüllt worden sind.
Diese Normalisierung sollten wir, das darf ich hier einfügen, weiter dadurch fördern, daß in den Fällen des Widerspruchs ein Schlichtungsverfahren eingeführt wird. Meine Freunde halten dies für eine unerläßliche Angelegenheit, die bei den Auseinandersetzungen Kostenersparnisse mit sich bringt. Wir werden uns bei der Beratung der anhängig gebliebenen prozessualen Bestimmungen des Mietrechts eine entsprechende Lösung angelegen sein lassen.Die CDU/CSU-Fraktion erblickt in den Wohnbeihilfen eine wertvolle und ausreichende Handhabe zur Milderung der in Einzelfällen für den Mieter nicht tragbaren Mehrbelastung anläßlich der Aufhebung der Preisbindung. Wir vertrauen darauf, daß die idem Bundesrat vorliegende Verordnung nach dem Ersten Bundesmietengesetz über angemessene Mieten die Gewähr gegenüber Steigerungen bieten wird und daß die Inanspruchnahme von Mietbeihilfen auf einen kleinen Kreis der Verbraucher beschränkt bleibt.Weit wichtiger als die Hilfe beim Übergang erscheint uns aber die Tatsache, daß durch dieses Gesetz denjenigen, die in den Wechselfällen des Lebens in wirtschaftliche Not geraten, eine dem Familienstand angemessene Wohnung gesichert wird. Dadurch wird vor allen Dingen vermieden, daß Familien mit Kindern sich in Kleinstwohnungen zurückziehen müssen und daß die unhaltbaren familienpolitischen Konsequenzen eintreten, die so oft in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und zwi-
Metadaten/Kopzeile:
4012 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Dr. Hesbergschen den beiden Weltkriegen zu beobachten gewesen sind.Als Konsequenz unserer die Eigentumsbildung fördernden Wohnungspolitik begrüßen wir, daß den in wirtschaftliche Bedrängnis geratenen Eigentümern eines Familienheimes und den Eigentümer eines Mehrfamilienhauses durch eine Lastenbeihilfe ein Betrag zu der Belastung geleistet werden kann und sie dadurch vor dem Verlust ihres Eigentums bewahrt werden.Daß die Leistungen nach diesem Gesetz zudem keine Almosen sind, wie es unlängst geringschätzig behauptet worden ist, sondern vielmehr Sozialleistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, entspricht ebenso wie die sonstigen Verbesserungen gegenüber .dem geltenden Recht unseren Vorstellungen von einer einem sozialen Rechtsstaat angemessenen Regelung. Es kann nicht Aufgabe der neuen Beihilferegelung sein, jedem Bürger die im Einzelfall erfolgende Mieterhöhung auszugleichen. Das wird jeder bejahen, der nicht den totalen Versorgungsstaat will. Eine solche Regelung müßte einem unwirtschaftlichen Verhalten der Mieter geradezu Vorschub leisten. Unsere Erfolge im wirtschaftlichen und sozialen Bereich seit 1948 beruhen darauf, daß wir Eigeninitiative und Eigenverantwortung gestärkt haben. Deswegen halten wir die Grenze für ,die Anspruchsberechtigung und für die Wohnungsgrößen für durchaus angemessen, ja sogar für notwendig. Durch die Gleichstellung mit den Bedingungen im sozialen Wohnungsbau ist dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes entsprochen worden.Wir sind daher der Auffassung, daß es sich alles in allem um ein durchaus fortschrittliches, die künftige ausreichende Wohnungsversorgung der deutschen Familien förderndes Gesetz handelt. Ein Vergleich der Leistungen, die nach diesem Gesetz möglich sind, mit den Mietbeihilfen in anderen europäischen Staaten führt jedenfalls zu einer durchaus positiven Wertung.Mit der Verabschiedung des Gesetzes verwirklichen wir eine Konzeption, wie sie Herr Bundesminister Lücke schon in der Zeit vertreten hat, als er noch nicht der Bundesregierung angehörte. Ihm für seine Initiative sowie .den Beamten seines Hauses für die Mitarbeit hier den herzlichsten Dank auszusprechen, ist mir eine angenehme Pflicht.
Ihnen, Herr Minister, darf ich namens meiner Freunde darin zustimmen, daß Sie in den Wohnbeihilfen das Kernstück eines sozialen Miet- und Wohnrechts erblicken. Unter einem sozialen Mietrecht verstehen wir eine auf Ausgleich und Harmonisierung abzielende Regelung, eine Neuordnung, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Benachteiligungen zu mildern bestimmt ist. Diesen Erfordernissen entsprechen nach Auffassung der CDU/CSU die heute zu verabschiedenden Gesetze. Wir werden insbesondere dem Wohnbeihilfengesetz auch unsere Zustimmung geben.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zunächst eine Berner-kung zu Herrn Dr. Czaja, der mich vorhin zitierte. Ich habe gesagt: Dieser Gesetzentwurf wird von den Koalitionsparteien in diesem Hause gern als das Kernstück des neuen Miet- und Wohnrechts bezeichnet. Wir sind der Meinung, ein Kernstück muß gesund sein; man muß einem solchen Gesetz gern zustimmen können, gern die Verantwortung dafür übernehmen können; dieses Gesetz muß die Möglichkeit schaffen, Beihilfen zu gewähren, die sozial gerechtfertigt sind. Es ist etwas anderes, ob man ein Gesetz für Miet- und Lastenbeihilfen schafft, die festgehaltene oder nur global erhöhte Mieten ausgleichen sollen, oder ob ein solches Gesetz ein endgültiges Gesetz sein soll, das den Weg der gelockerten und dann freien Mieten in die Marktwirtschaft begleitet.
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Ansicht, daß dieser Gesetzentwurf nicht dafür geeignet ist. Er enthält zu viele Begrenzungen und ist bei aller Perfektion sozial unzulänglich. Alle unsere Änderungsanträge haben Sie bis auf einen abgelehnt. Wir bedauern sehr, dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung versagen zu müssen.
Weitere Erklärungen werden nicht abgegeben.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung der zweiten Beratung zustimmt, der erhebe sich. — Bitte die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit vielen Gegenstimmen angenommen.
Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der FDP Umdruck 317*). Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
Außerhalb der Tagesordnung erteile ich den Vertretern der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu Erklärungen gemäß § 36 der Geschäftsordnung das Wort. — Zunächst Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 36 der Geschäftsordnung gebe ich für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die folgende Erklärung ab.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt mit Bedauern fest, daß weder der Kollege Möller noch die SPD-Fraktion von der empfohlenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, mit einer Erklärung hier im Plenum deutlich zu machen, was heute morgen dem Herrn Bundespräsidenten unterstellt werden sollte und was ihm nicht unterstellt werden sollte.
Der Herr Bundestagspräsident hat im Ältestenrat dargelegt, daß dieses Haus eine Stätte der Rede-, Meinungs- und Kritikfreiheit sei, die weder durch*) Siehe Anlage 6
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4013
Rasnerdas Grundgesetz noch durch die Geschäftsordnung eingeengt werde und ihre Grenzen lediglich dort finde, wo Verbalinjurien vorliegen.Angesichts der Bedeutung des Vorfalls heute morgen stellt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fest:Erstens. Wir wiederholen: Bundespräsident Dr. Lübke, der hier nicht sprechen, hier sich nicht verteidigen kann, ist heute morgen in einmaliger und ungehöriger Form angegriffen worden.
Zweitens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weist die Unterstellungen des SPD-Sprechers als sachlich falsch zurück.
Drittens. Der Bundestag und der Bundesrat haben das Haushaltsgesetz verabschiedet. Der Bundeskanzler hat durch seine Gegenzeichnung die volle politische Verantwortung für die Verkündung dieses Gesetzes mit übernommen.
Bundestagsmehrheit, der Bundesrat und damit die Länderregierungen, Bundeskanzler und Bundesregierung hätten sich hier in diesem Hohen Hause sicherlich jeder Kritik gestellt.B)
Daß die SPD ihre Kritik ausgerechnet bei dem Verfassungsorgan begann, das sich hier nicht verteidigen kann, daß sie dem Bundespräsidenten den Vorwurf machte, verfassungswidrig gehandelt zu haben, ohne ihn vorher zu konsultieren, empfinden wir als ungebührlich.
Viertens. Die Verfassungsorgane unseres Staates haben allen Grund, miteinander pflegsam umzugehen.
Dieses Gebot ist von der SPD heute gröblich verletzt worden.
Fünftens. Das Urteil über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen steht dem Bundesverfassungsgericht zu und nicht dem Parlament.
Sechstens. Dieses Haus hatte 14 Jahre in der Frage der Einbeziehung des Staatsoberhauptes in politische Diskussionen eine gute Tradition. Die SPD-Fraktion hat heute mit dieser Tradition gebrochen.Wir geben die Hoffnung nicht auf —
das Lachen verstehe ich nun wirklich nicht —, daßdie Besinnung in einer für unsere Demokratie wesentlichen Stilfrage schließlich doch auch auf der linken Seite des Hauses noch zu anderen Ergebnissen als dem gegenwärtigen führt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer zur Abgabe einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 36 der Geschäftsordnung gebe ich namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion folgende Erklärung ab.
Die SPD-Bundestagsfraktion gab heute morgen eine Erklärung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zustandekommens des Haushaltgesetzes ab.
Die SPD-Bundestagsfraktion gab diese formulierte Erklärung ab in Erfüllung des dem Parlament obliegenden Verfassungsauftrages, gewissenhaft auf die Beachtung der Bestimmungen der Verfassung durch alle Verfassungsorgane zu achten.
Weder der Ton noch der Inhalt der Erklärung verletzen in irgendeiner Weise die dem Staatsoberhaupt gebührende Ehrerbietung.
Meine Damen und Herren! Aus Fristgründen müssen wir die heute morgen auf die Tagesordnung gesetzteBeratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die Zweiundsiebzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 und über die Zweite und Dritte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
behandeln.Der Antrag des Ausschusses liegt Ihnen auf Drucksache IV/1387 vor. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Wir kommen zurück zu Punkt 13 der Tagesordnung, zu der Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften. Wir stehen in der zweiten Beratung. Der Antrag auf Umdruck 336 ist zurückgezogen. Wir können also abstimmen über die Art. 1, — 2 — und 3 — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen Stimmen der Opposition angenommen.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Gesetz in der in zweiter Beratung beschlossenen Form zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
4014 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Vizepräsident Dr. DehlerWir kehren zurück zu Punkt 14 der Tagesordnung, dem Gesetz zur Änderung von Fristen des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht. Wir stehen am Ende der zweiten Beratung.Ich rufe Art. I auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 335 *) vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich lasse über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen über den Art. I in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung ab. Wer ihn billigt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Art. I ist angenommen.Ich rufe Art. II auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU Umdruck 333 **) vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.Wer dem Art. II in der so geänderten Form sowie dem Art. III, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Aufgerufene ist angenommen.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen l zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der in zweiter Beratung beschlossenen Form zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Punkte 16 und 17, die das Beamtenrecht betreffen, morgen behandelt werden.Ich rufe deshalb Punkt 18 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen sowie des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer bei den Gerichten ;Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache IV/1194)
.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Busse, für seinen Schriftlichen Bericht.Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 324 ***) sowie ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Umdruck 327 ****) vor. — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert!*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8 ***) Siehe Anlage 9 ****) Siehe Anlage 10
Herr Präsident! 1 Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Art. 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfs eine kurze Bemerkung machen.
Ich entspreche Ihrem Wunsch und rufe Art. 1 auf. Bitte, Herr Müller-Emmert.
Die vorgesehene neue Fassung des jetzigen § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen — der Absatz soll jetzt nach unserer Vorlage Abs. 3 werden — gibt mir Veranlassung zu einer kurzen Bemerkung. Diese Vorschrift betrifft diejenigen Sachverständigen, die Angehörige des öffentlichen Dienstes sind. Diese Angehörigen des öffentlichen Dienstes — in der Hauptsache die Beamten und Angestellten des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter — haben auf Grund der vorgesehenen Neuregelung gewisse Befürchtungen gehabt, daß ihre Rechtsposition künftig verschlechtert werden solle. Diese Befürchtungen wurden in den Beratungen des Rechtsausschusses, wie das Protokoll ausweist, von verschiedenen Mitgliedern dieses Ausschusses geteilt; sie entstanden in der Hauptsache auf Grund der neuen Wortfassung, wie sie jetzt in Art. 1 Nr. 1 Buchstabe b niedergelegt ist, die lautet: „wenn sie ein Gutachten in Erfüllung ihrer Dienstaufgaben erstatten, vertreten oder erläutern".Die ganze Zeit über bestand die Praxis, daß ein Angehöriger des öffentlichen Dienstes, der dem Bundeskriminalamt oder einem Landeskriminalamt angehörte, dann, wenn er Gutachten — zumal sein eigenes — vor Gericht erläuterte oder vertrat, so behandelt wurde, als habe er als Privatmann gehandelt. Es wurden ihm die Gebühren für die Sachverständigentätigkeit in persona erstattet.Vor kurzem wurde diese Praxis geändert; das führte dazu, daß die Befürchtungen, von denen ich gesprochen habe, bei diesen Angehörigen des öffentlichen Dienstes Platz gegriffen haben. Mir ist klar, daß sie nach dem vorgesehenen Wortlaut unberechtigt sind.An dieser Stelle muß einmal betont werden, daß die Justiz auf die Arbeit der Sachverständigen des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter erheblich angewiesen ist. Diese Beamten und Angestellten sind äußerst qualifizierte Fachkräfte, die — das muß ich von mir aus sagen — bedauerlicherweise hinsichtlich ihrer Besoldung verhältnismäßig ungünstig eingestuft sind. Meist werden sie nur nach Besoldungsgruppe A 13 bezahlt und haben nicht die geringste Möglichkeit vorzurücken. Deshalb ist es angebracht, in diesem Hause einmal die Bemerkung zu machen, daß die Dienstvorgesetzten dieser Beamten, wenn diese eigene Gutachten vor Gerichten vertreten oder erläutern, künftig öfter von der Möglichkeit Gebrauch machen sollten, dies als private Tätigkeit anzusehen — so wie es bisher war —, damit diese Beamten einen entsprechenden Anreiz erhalten und darüber hinaus die Nach-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4015
Dr. Müller-Emmertwuchsfrage für diese spezialisierten Sachverständigen eine Lösung findet.Ich wollte wegen der unentbehrlichen Tätigkeit der genannten Sachverständigen auf diese Gesichtspunkte hinweisen, ohne meinerseits einen Änderungsantrag zu stellen.
Meine Damen und Herren, mir war nicht bekannt, daß eine interfraktionelle Vereinbarung zustande gekommen war, Punkt 19 wegen seiner Dringlichkeit zunächst zu behandeln. Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß wir die Beratung .des Punktes 18 unterbrechen und Punkt 19 vorweg behandeln, .den ich hiermit aufrufe:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ;
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache IV/1366)
.
Der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Wahl liegt vor. Ich danke ihm dafür und erteile ihm das Wort zu einer Ergänzung dieses Berichts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf drei Fehler in der Drucksache IV/1366 hinweisen.
Erstens. In meinem eigenen Bericht muß es auf Seite 2 der Drucksache in der drittletzten Zeile nicht heißen: „Ferner wurde der Artikel 6 gestrichen, ..."; es gibt den Artikel 6 nämlich gar nicht. Es muß vielmehr heißen: „Artikel 1 Nummer 6",
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hat der Ausschuß die Annahme nicht abgelehnt, so entscheidet der Senat über die Annahme. Er nimmt sie ...
Statt dessen muß es heißen: „die Verfassungsbeschwerde an".
Drittens. Vor allem ist in Absatz 5 übersehen worden, ,daß es nicht mehr heißt „bedürfen keiner Begründung". Nach den Beschlüssen des Ausschusses heißt es: „und brauchen nicht begründet zu werden".
Danke sehr, Herr Abgeordneter Wahl.
Wir treten dann in die Einzelberatung ein. Mit dem Antrag auf Umdruck 322 *) ist gefordert, daß vor Art. 1 ein Art. 01 eingefügt wird. Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Jahn.
*) Siehe Anlage 11
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei legt Ihnen auf Umdruck 322 einen Antrag und einen hilfsweise gestellten Antrag vor, ,der die Frage zum Inhalt hat, mit welcher Zahl von Richtern das Bundesverfassungsgericht bzw. seine beiden Senate in Zukunft amtieren sollen.Die Gesetzesvorlage ist so, daß sich auf Grund der bisherigen gesetzlichen Regelungen mit Wirkung vom 1. September 1963 die Zahl der Richter von bisher 10 auf in Zukunft 8 pro Senat einschließlich der Präsidenten belaufen soll. Die hier vorgesehene Regelung ist in einem Zeitpunkt getroffen worden, ,als man glaubte, hoffen zu dürfen, daß die weitere Geschäftslast bei dem Gericht eine solche Regelung möglich machen würde.Vor vier Jahren haben wir uns zum letztenmal in diesem Hause mit dem Problem der Geschäftslast des Bundesverfassungsgerichtes beschäftigen müssen. Wir haben damals die Frage prüfen müssen, wie das Gericht mit dem Umfang seiner Geschäftslast fertig werden soll. Wir waren uns darüber einig, daß der Zeitpunkt, der .schon damals vor vier Jahren vorgesehen war, für eine Herabminderung der Richterzahl angesichts der Geschäftslast zu früh und deshalb eine Änderung des Gesetzes erforderlich sei, um .die Zahl der Richter auch über den ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt hinaus bei 10 zu belassen.Die Erörterungen, die seinerzeit geführt worden sind, haben durch eine neue Geschäftsverteilung beim Gericht selbst zu einer spürbaren Erleichterung geführt. Dennoch haben wir, als wir vor wenigen Tagen mit den Herren Präsidenten des Gerichts die Geschäftssituation im Rechtsausschuß erörterten, hören müssen, daß die Zahl der Eingänge beim Gericht nach wie vor steigt. Wir haben zwar auch gehört, daß sich das Gericht äußerste Mühe gibt, um mehr Fälle im Laufe eines Jahres zu entscheiden, daß es ihm auch dankenswerterweise gelungen ist, eine größere Zahl von Entscheidungen zu treffen. Dennoch ist die gegenwärtige Situation so, daß etwa 250 Verfahren anhängig sind, die bei den Möglichkeiten, über die das Gericht verfügt, für die Entscheidung allein einen Zeitraum von etwa drei bis vier Jahren in Anspruch nehmen werden. Dabei handelt es sich um die anhängigen Sachen. Damit ist noch kein Wort darüber gesagt, was aus den Sachen werden soll, .die im Laufe des Geschäftsjahres und in Zukunft dort eingehen werden.Dieser Zustand ist nicht befriedigend. Dieser Zustand muß uns als dem Gesetzgeber die Frage aufzwingen, wie wir die Bewältigung der Geschäftslast in Zukunft regeln wollen. Die hohe Zahl der Eingänge — ich glaube, solche Erwartungen kann ernsthaft niemand vortragen — wird in den nächsten Jahren nicht geringer werden. Wir würden sagen können, daß, wenn es in etwa bei der bisherigen Zahl der Eingänge bleibt, ein einigermaßen überschaubarer Zustand eintreten würde. Sicher kann das niemand voraussehen. Man muß zumindest vorsorglich auch die Möglichkeit in seine Erwägungen einbeziehen, daß noch mehr Fälle als bisher dem Gericht vorgelegt werden.
Metadaten/Kopzeile:
4016 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
JahnEs ist eine schlechte Art, sich damit auseinanderzusetzen, daß man das beklagt und sagt, es sei bedauerlich, daß das Gericht so häufig angerufen werde. Die Tatsache, daß eine so hohe Zahl von Verfahren vor das Gericht kommt, spricht doch nur für das Ansehen, das sich das Gericht in den Jahren seiner Tätigkeit in weitesten Teilen der Bevölkerung hat erwerben können, und für das hohe Vertrauen, das es als Verfassungsorgan mit dem besonderen Auftrag, über die verfassungsmäßigen Rechte und ihre Einhaltung zu wachen, genießt. Ich halte es für unsere Aufgabe, daß wir alles tun, um diese Stellung, dieses Ansehen, diese Aufgabe des Gerichts unter allen Umständen zu erhalten. Dazu gehört auch, daß das Gericht nicht in die schwierige Lage gerät, in zunehmendem Maße durch die hohe Zahl an Eingängen in seiner Arbeits- und Funktionsfähigkeit eingeschränkt zu werden.Sie, meine Damen und Herren von der Koalitionsmehrheit, glauben, einen Ausweg darin zu sehen, daß Sie gewisse verfahrensrechtliche Änderungen in dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vorsehen. Wir werden uns bei der Beratung des zweiten Teils der von meiner Fraktion vorgelegten Anträge mit dieser Frage noch auseinanderzusetzen haben. Ich will darauf nicht näher eingehen, sondern nur eines feststellen. Selbst wenn diese Regelungen, gegen die wir sehr erhebliche Bedenken haben, Gesetz würden, wären sie mit Sicherheit nicht geeignet, den Ausfall von vier Richtern im Bundesverfassungsgericht auszugleichen. In Zukunft würden, ließen wir es bei dem bisherigen Rechtszustand, injedem Senat zwei Richter fehlen. Das heißt, angesichts einer zur Zeit noch steigenden Zahl von Neueingängen bei dem Gericht und angesichts der Tatsache, daß das Gericht bereits jetzt eine Geschäftslage hat, die es auf drei bis vier Jahre bindet, würden in Zukunft weniger Richter zur Verfügung stehen, um die Verfahren zu bewältigen. Wir haben die Sorge, daß, wenn wir das einfach so hingehen lassen, nicht nur die Erledigung der Verfahren länger dauert, sondern sich damit zwangsläufig auch ein Schwund an Vertrauen in die Tätigkeit des Gerichts verbindet. Denn der Rechtsuchende, der sich an das Gericht wendet, hat auch einen Anspruch darauf, nicht übermäßig lange auf eine Entscheidung über sein Anliegen warten zu müssen. Wenn dieser Zeitraum über Gebühr lang wird — im Moment mag es noch einigermaßen angehen —, dann muß damit auch das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Bewältigung der rechtsstaatlichen Aufgaben schwinden. Das wäre eine Entwicklung, der wir nur mit Sorge entgegensehen können, eine Entwicklung, die wir aber nicht hinzunehmen brauchen.Deswegen geht unser Antrag dahin, angesichts dieser Situation jetzt davon abzusehen, eine Gesetzesregelung in Kraft treten zu lassen, die zu Sorge über die zukünftige Entwicklung der Geschäftslage des Gerichts allen Anlaß gibt. Sie haben dagegen den Einwand erhoben — und werden ihn möglicherweise auch heute wieder erheben —: wer sich jetzt nicht dazu durchringe, die Minderung der Richterzahl von 10 auf 8 hinzunehmen, stelle sich damit gegen das Ziel, daß das Bundesverfassungsgericht aus einem Zwillingsgericht mit zwei Senaten eines Tages zu einem Einheitsgericht werden müsse.Ich erkläre hier namens der sozialdemokratischen Fraktion in aller Klarheit und in aller Eindeutigkeit — und ich bitte, daran nichts zu deuteln —: auch unsere Vorstellung geht dahin, daß das Bundesverfassungsgericht eines Tages ein Einheitsgericht sein soll. Auch wir sind der Überzeugung, daß das Einheitsgericht die bessere und geeignetere Form für dieses hohe Verfassungsorgan wäre. Nur glauben wir nicht, daß ausgerechnet dieses Gericht ein Instrument ist, mit dem man Experimente machen kann, ein Verfassungsorgan, mit dem man den Versuch machen könnte, nur aus Prinzipientreue und gegen die tatsächliche Situation Entscheidungen zu treffen, die das Gericht selber nachher in Schwierigkeiten bringen müssen.Wer sich die Zahl der Fälle, wer sich die tatsächlichen Verhältnisse beim Gericht ansieht, kommt nicht um die Feststellung herum: Wir können dieses Ziel des Einheitsgerichts heute weder verwirklichen noch ernsthaft ansteuern, wir müssen uns mehr Zeit lassen, als es unseren ursprünglichen Vorstellungen entsprach. Ich glaube, es gibt gute Gründe dafür, die es auch von der Sache her rechtfertigen, diese Überlegungen anzustellen.Meine Damen und Herren, die Verfassungsgerichtsbarkeit ist in der Form, wie wir sie haben und kennen, in diesem Lande gerade 12 Jahre alt. Das ist gewiß kein langer Zeitraum für die Tätigkeit eines Verfassungerichts. Da ist es ganz natürlich, daß die Zahl der Fälle, die man diesem Gericht vorlegt in der Erwartung, eine Entscheidung zu bekommen, größer ist als in einem Lande, das über eine lange, in der Tradition gewachsene Verfassungsgerichtsbarkeit verfügt. Wir brauchen diese Zeit noch, um die Tradition wachsen zu lassen, um die Verfassungsrechtsprechung sich so festigen und so über alle Bereiche erstrecken zu lassen, daß wir sagen können: Es mag in Zukunft angehen, mit weniger Richtern und mit einem kleineren Gericht auszukommen. Heute sind wir aber noch nicht so weit.Deswegen meinen wir, die Entscheidung sollte zunächst einmal dahin gehen, daß jede Befristung über den Zeitpunkt, wann die Zahl der Richter am Bundesverfassungsgericht herabgesetzt werden kann, fallengelassen werden sollte. Wir meinen das nicht, weil wir damit durch die Hintertür — ich will dieser Unterstellung gleich vorbeugen — nun auf unabsehbare Zeit die Frage offenlassen möchten, wann einmal eine geringere Richterzahl arbeiten soll und wann man ernsthaft an die Verwirklichung des Einheitsgerichts herangehen kann, sondern weil wir glauben, daß es mit der Position dieses Gerichts in unserer Verfassung, mit seinem verfassungsmäßigen Rang und mit seinem Ansehen schlecht zu vereinbaren ist, wenn wir hier alle vier Jahre erneut eine Novelle zum. Bundesverfassungsgerichtsgesetz behandeln müssen.Es wäre etwas anderes, Herr Kollege Weber — Sie nicken gerade so zustimmend —, wenn wir von Zeit zu Zeit wieder prüfen, wie die Geschäftslage ist. Wenn wir dann übersehen können — das kann in drei oder vier Jahren, es kann aber auch erst in sechs oder acht Jahren sein —, daß ein weiterer Schritt von der Sache her gerechtfertigt wer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4017
Jahnden kann, könnten wir diesen Schritt tun und brauchten uns nicht angesichts der Geschäftslage in regelmäßigen Abständen dazu zwingen zu lassen, an dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht herumzubasteln; denn das ist keine gute Sache.Für den Fall, daß Ihnen diese meine Erklärungen zur Begründung und unsere Bereitschaft, ständig zu prüfen, ob nicht diese Situation, die eine Minderung der Richterzahl erlaubt, schon eingetreten sei, nicht genügen, stellen wir den Hilfsantrag. Mit ihm erstreben wir eine Regelung wenigstens für die nächsten acht Jahre, wonach die Zahl der Richter für diesen Zeitraum weiterhin bei 10 verbleiben und nicht 8 betragen soll. Wir wünschen damit nichts anderes und nichts geringeres, ,als die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Gerichts ohne Überforderung für das Gericht selbst für die Zukunft zu gewährleisten, in Kenntnis des unbestreitbaren Zustandes, daß der Umfang und die Zahl der Verfahren für die überschaubare Zukunft eine wesentliche Minderung der Arbeitslast des Gerichtes nicht erwarten läßt; eher das Gegenteil.Meine Damen und Herren, prüfen Sie bitte sehr sorgfältig, bevor Sie abstimmen, ob es nicht richtig ist, bei der Behandlung des Bundesverfassungsgerichts als eines Verfassungsorgans daran zu denken, daß es nicht gut ist, mit ihm solche Experimente zu machen, wie es hier vorgesehen ist. Ich denke, die Stellung dieses Verfassungsorgans verdient es durchaus — ich darf mich auf einen meiner letzten Vorredner beziehen; er ist leider nicht im Saal —, daßwir behutsam mit ihm umgehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Änderungsantrag der SPD abzulehnen. Der Kernpunkt, aus dem sich die Differenz zwischen Mehrheit und Minderheit erklärt, betrifft in der Tat die vom Bundestag schon bei der letzten Novelle in einem Entschließungsantrag befürwortete Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts aus einem Zwillingsgericht in ein Einheitsgericht. In dieser Frage begnügt sich die SPD mit einem Bekenntnis, während die Koalitionsparteien ,aus diesem Bekenntnis auch praktische Konsequenzen ziehen, weil es ihnen mit diesem Reformprogramm ernst ist.
Über die Gründe, warum wir das Einheitsgericht bevorzugen, brauche ich mich heute nicht mehr zu verbreiten. Ich habe das bereits bei der ersten Lesung getan und will mich nicht wiederholen. Jedenfalls ziehen wir aus unserer Einstellung zu diesem Reformgedanken die Konsequenz, daß wir die in dem damaligen Gesetz vorgesehene Verringerung der Richterzahl jetzt nicht wiederrückgängig machen wollen.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat im Rechtsausschuß gesagt, die Herabsetzung der Richterzahl von 10 auf 8 Mitglieder pro Senat kürze die Beratungen des Plenums ab, und deswegen liege
schon allein in dieser Herabsetzung eine Entlastungsmaßnahme. Der Präsident hat aber auch gesagt, daß die Bearbeitung der Verfassungsbeschwerden in den Vorprüfungsausschüssen, insbesondere der dabei anfallende 'Schriftverkehr, von nur 8 Senatsmitgliedern nur dann bewältigt werden könne, wenn man sich zu der Abschaffung des Begründungszwanges in der abgeschwächten Form des Belehrungsschreibens entschließe. Wir haben auch .dieser Anregung des Gerichtspräsidenten entsprochen, obwohl uns das nicht leicht gefallen ist.
Aber wenn diese Reform kommt, dann scheint nicht einmal der Präsident des Verfassungsgerichts auf dem Standpunkt zu stehen, daß die gegenwärtige Richterzahl aufrechterhalten werden müsse, um die Arbeitsfähigkeit des Gerichtes zu garantieren.
Über die Erwägungen, die wir angestellt haben, als wir uns dazu entschlossen, den Begründungszwang fallenzulassen, will ich jetzt nicht sprechen, weil auch Herr Kollege Jahn diesen Teil dem nächsten Punkt der Beratung vorbehalten hat.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 322 Ziffer 1. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann über den Eventualantrag Umdruck 322 Ziffer 2 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Art. 1 auf. Sie haben in dem ergänzenden Bericht des Herrn Berichterstatters gehört, daß in der Nr. 7 a im Abs. 4 folgende Änderung erfolgen soll:
Er nimmt die Verfassungsbeschwerde an, ...
In Abs. 5 sollen die Worte „bedürfen keiner Begründung" durch die Worte „brauchen nicht begründet zu werden" ersetzt werden.
Es liegt hierzu der Änderungsantrag der SPD Umdruck 322 Ziffer 3 vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Reischl das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge, die ich namens der SPD-Fraktion zu begründen habe, stehen ebenso wie die soeben begründeten im Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag.Als Hauptantrag bitten wir um Rückkehr zur Regierungsvorlage. Hier muß ich allerdings eine Änderung anbringen, die ich bitte zu Protokoll geben zu dürfen. Die Ziffer 3 unseres Änderungsantrages soll lauten:Artikel 1 Nr. 7 Buchstabe a wird in der Fassung der Regierungsvorlage mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß nach § 93 a Abs. 1 Satz 1 folgender neuer Satz 2 eingefügt wird:
Metadaten/Kopzeile:
4018 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Dr. ReischlJeder Senat kann mehrere Ausschüsse berufen. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, daß nicht nur ein Ausschuß zur Vorprüfung der Verfassungsbeschwerden, sondern mehrere Ausschüsse gebildet werden können.Zur Begründung unseres Antrags kurz folgendes. Der § 93 a in der Fassung, wie er vom Rechtsausschuß angenommen worden ist, schafft den Begründungszwang für die Entscheidungen über die Annahme der Verfassungsbeschwerden ab. Das ist unbedenklich, wenn die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen wird. Dagegen soll auch die Ablehnung ohne Begründung erfolgen, wenn sie aus den im Gesetz genannten Gründen vorgenommen wird, nämlich wenn die Verfassungsbeschwerde formwidrig, unzulässig, verspätet, offensichtlich unbegründet oder von einem offensichtlich Nichtberechtigten erhoben wird, sowie aus den zusätzlichen Gründen in Abs. 4, aus denen der Senat gegebenenfalls die Verfassungsbeschwerde ablehnen kann. Als Begründung soll ein kurzer Hinweis auf den allgemeinen Grund der Ablehnung genügen. Es braucht also z. B. nur drinzustehen; Die Beschwerde wird als unzulässig nicht angenommen. Diese Fassung entspricht dem Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts.Wir haben uns die Sache nochmals sehr gründlich überlegt. Ich muß sagen, daß die Bedenken, die ich bereits in der ersten Lesung namens unserer Fraktion gegen die Abschaffung des Begründungszwangs vorgetragen habe, nach der eingehenden Beratung des Entwurfs im Rechtsausschuß unverändert fortbestehen. Ich möchte heute nicht alle die Gründe wiederholen, die ich gegen eine Aufhebung des Begründungszwangs angeführt habe. Sie sind sehr schwerwiegend. Daß sie das sind, sehen Sie allein schon daran, daß auch die Regierung in ihrer Vorlage es nicht glaubte verantworten zu können, vom Begründungszwang vollständig abzugehen. Sie wollte zwar die Erleichterung durch das Belehrungsschreiben bringen, die auch wir beibehalten wollen; aber sie wollte nicht eine völlige Abkehr vom Begründungszwang. Ich bitte doch zu bedenken — das darf ich zusammenfassend aus meinen in der ersten Lesung angeführten Gründen noch einmal vortragen —, daß es immer eine mißliche Sache ist, wenn jemand vom obersten Gericht — oder überhaupt von einem Gericht — einen Bescheid bekommt, in dem gar keine Gründe dafür stehen, warum sein Antrag abgelehnt wird. Ich kann Ihnen aus meiner eigenen richterlichen Erfahrung nur sagen, daß man auf diese Weise Querulanten geradezu züchtet. Sicherlich ist ein erheblicher Teil der Verfassungsbeschwerden aus querulatorischen Gründen erstellt, das will ich durchaus zugeben; aber vergessen Sie nicht, daß in vielen Fällen doch der Betreffende glaubt, es werde ihm Unrecht getan, und das fördert man, wenn man den Begründungszwang abschafft.Ich möchte mich heute hier nur noch kurz mit den Einwänden auseinandersetzen, die in den Beratungen des Rechtsausschusses vorgetragen wurden.Es wurde gesagt, die Begründung schaffe eine zu große Arbeit. Dazu muß ich das eine sagen: So wiedie Regierungsvorlage dasteht, denkt sie ja schon an eine verkürzte Begründung, und ich sehe nicht recht ein, warum es unbedingt notwendig ist, wenn man eine Beschwerde als unzulässig oder als offensichtlich unbegründet zurückweist, dann eine zwanzig oder noch mehr Seiten umfassende Begründung zu schreiben. Vor allem scheint es mir völlig unnötig zu sein, einen Tatbestand in diesen Beschluß aufzunehmen, wie es an sich den Formen der Zivilprozeßordnung, die hier ja angewandt werden, entspricht. Das ist nicht notwendig; denn der Beschwerdeführer kennt das alles ja. Es geht eigentlich nur darum, die wesentlichen rechtlichen Gründe darzustellen.Hinzu kommt noch, daß der Berichterstatter. der in diesem Ausschuß die Sache vorbereitet, ohnehin ein Votum anfertigen muß, aus dem sich die wichtigsten Gründe für die Ablehnung der Beschwerde ergeben. Es scheint mir doch nicht so schwierig zu sein, aus diesem Votum in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Kurzbegründung zusammenzufassen, die übrigens bei vielen dieser Ablehnungsgründe ohnedies aus einem kurzen Hinweis auf die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen bestehen kann, z. B. bei der Verspätung oder auch bei vielen Fällen der Unzulässigkeit oder der Formwidrigkeit.Ein zweiter Einwand, der erhoben wurde, ist der, daß die Veröffentlichung auch solcher kurz begründeter Beschlüsse möglich sei und daß es mit der Würde des Gerichts nicht recht vereinbar sei, wenn solche Beschlüsse mit Kurzbegründung veröffentlicht würden. Der Einwand ist nicht ohne Gewicht, das gebe ich gern zu. Ich möchte auf der anderen Seite zu bedenken geben, daß in aller Regel solche Beschlüsse nicht veröffentlicht werden. Denn wenn sie wirklich nur eine Kurzbegründung unter Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen enthalten — daß die Beschwerde verspätet eingelegt worden ist usw. —, geben sie ja juristisch nichts Interessantes her und werden infolgedessen kaum von der Fachpresse übernommen werden.Und ein Letztes: Es ist eingewandt worden, daß die Belehrungsschreiben zu Gegenäußerungen herausforderten und dann wieder Gegenäußerungen des Gerichts nach sich zögen. Hier, muß ich sagen, scheint mir die Praxis einer weiteren Gegenäußerung des Gerichts nicht ganz dem zu entsprechen, was der Gesetzgeber mit dem Belehrungsschreiben eigentlich wollte. Die Antwort auf etwaige Gegenäußerungen des Beschwerdeführers auf das Belehrungsschreiben sind doch die Gründe des Beschlusses. Es scheint mir nicht notwendig zu sein, sich hier in einen Schriftwechsel einzulassen. Ich glaube also, daß auch dieser Einwand nicht durchschlägt.Ich darf daher zunächst bitten, zur Regierungsvorlage mit der Änderung zurückzukehren, die ich Ihnen vorhin angegeben habe.Zu unserem Hilfsantrag darf ich kurz folgendes sagen. Es läßt sich bei sorgfältiger Prüfung meines Erachtens zur Not rechtfertigen, einen nicht begründeten Beschluß, also einen Beschluß, der nur den Hinweis auf den gesetzlichen Grund der Zurückweisung enthält, dann zu erlassen, wenn die Ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4019
Dr. Reischlfassungsbeschwerde formwidrig, wenn sie unzulässig, wenn sie verspätet oder wenn sie von einem offensichtlich Nichtberechtigten eingereicht ist. Denn das sind 'Gründe, die sich in der Regel direkt aus dem Gesetz ergeben. Bei ihnen ist es daher meines Erachtens nicht notwendig, eine längere Begründung zu geben; hier könnte man sich zur Not auch mit dem Hinweis begnügen. Wo es aber ausgesprochen ungünstig ist und wo es meines Erachtens mit dem Ansehen des Gerichts bei der Bevölkerung und vor allem mit dem großen Vertrauenskapital, das das Gericht bei der Bevölkerung angesammelt hat, nicht vereinbar ist, das ist die Zurückweisung als offensichtlich unbegründet. Denken Sie sich doch in den Beschwerdeführer hinein, wenn er eine Beschwerde einreicht und sorgfältig begründet und ihm dann lapidar bescheinigt wird: „Offensichtlich unbegründet." Das muß geradezu dazu führen, daß Querulanten gezüchtet werden und daß wir dann eher noch mehr solche Beschwerden und Beschwerdeschreiben bekommen als bisher.Ich darf also bitten, wenn Sie sich nicht sollten entschließen können, zur Regierungsvorlage zurückzukehren, wenigstens unserem Hilfsantrag auf Seite 2 unter Ziffer 4 stattzugeben, in dem die offensichtlich unbegründeten Beschwerden von der Ausnahme vom Begründungszwang wieder ausgenommen werden.
Wir stimmen ab über die Ziffer 3 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 322, in der von Herrn Kollegen Reischl vorgetragenen geänderten Fassung: „Artikel 1 Nr. 7 Buchstabe a wird in der Fassung der Regierungsvorlage mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß in § 93 a Abs. 1 folgender Satz 2 eingesetzt wird: ,Jeder Senat kann mehrere Ausschüsse berufen.' " Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zu dem Eventualantrag unter Ziffer 4 desselben Umdrucks. Wer ihm zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über Art. 1 in der Ausschußfassung Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des Entwurfs dieses Dritten Änderungsgesetzes habe ich auf das besondere Anliegen der Bundesregierung hingewiesen, daß gesetzliche Bestimmungen, die unser höchstes Gericht betreffen, in größtmöglichem Einvernehmen aller Verfassungsorgane und auf breitester parlamentarischer Grundlage verabschiedet werden. Diese Voraussetzungen scheinen mir trotz der in der zweiten Lesung aufgetauchten Meinungsverschiedenheiten doch in wesentlichen Grundfragen, die der heute anstehende Entwurf iaufgreift, gegeben zu sein. Alle politischen Kräfte stimmen in der Kernfrage überein, daß das Bundesverfassungsgericht eine aus unserem Staatsleben nicht mehr wegzudenkende Institution als Hüter der Verfassung darstellt und daß deshalb alles Erforderliche getan werden muß, daß das Gericht nicht in der Erfüllung seiner wichtigen Funktionen durch eine die Arbeit hemmende Überbelastung beeinträchtigt wird. Erfreulicherweise besteht allgemeines Einverständnis auch darüber, daß das Belastungsproblem besonders dringlich geworden ist, nachdem die Zahl der Eingänge an Verfassungsbeschwerden gegenüber früheren Jahren beträchtlich zugenommen hat.
Daß die Beseitigung der Überbelastung dabei von keiner Seite in einer Beschränkung der Zuständigkeiten ides Gerichts gesucht wird, möchte ich mit Genugtuung feststellen, und der Hauptzweck dessen, daß ich hier nochmals das Wort ergriffen habe, ist nur der, darauf hinzuweisen, daß insbesondere auch seitens der Bundesregierung niemand daran denkt, die Verfassungsbeschwerde abzuschaffen oder einzuschränken. Die Verfassungsbeschwerde ist eine Institution, die zwar nicht im Grundgesetz vorgesehen ist, ,die sich aber doch sehr bewährt hat und dazu beigetragen hat, eine lebendige Beziehung zwischen dem Bürger und unserem Rechtsstaat herzustellen. Dies gilt, auch wenn man statistisch feststellen muß, daß ein großer Teil der Verfassungsbeschwerden als unzulässig oder als offensichtlich unbegründet verworfen werden muß. Auch der kleine Rest, der zu ,einer sachlichen Behandlung führt, und der noch kleinere Rest, der sogar zum Erfolg führt, rechtfertigt, diese Einrichtung beizubehalten. Mir legt besonders daran, zu betonen, daß daran nichts geändert werden soll.
Ich darf noch — auch namens der Bundesregierung — sagen, daß wir die jetzt eingeführte Befreiung vom Begründungszwang für durchaus zweckmäßig halten. Ich fürchte nicht, daß das zu unerfreulichen Ergebnissen führen könnte, vor allem deshalb, weil man diese Befreiung in Zusammenhang mit dem Annahmeverfahren sehen muß. Das bedeutet, alle Entscheidungen, die zur Annahme kommen — und es genügen schon zwei Richter, die das herbeiführen können —, müssen begründet werden.
Im übrigen muß man das Vertrauen zu diesem hohen Gericht haben, daß es von der Möglichkeit, auf eine Begründung zu verzichten — sie wird nicht abgeschafft, sondern es wird nur die Möglichkeit gegeben, darauf zu verzichten —, nur dann Gebrauch macht, wenn keine Fragen von verfassungsrechtlicher Bedeutung in dem betreffenden Fall eine Rolle spielen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Metadaten/Kopzeile:
4020 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der SPD wurde gegenüber der Novelle, die wir heute verabschieden, vorgebracht, wir sollten mit dem Bundesverfassungsgericht keine Experimente machen. Es liegt uns nichts ferner als das. Das möchte ich mit aller Eindeutigkeit hervorheben.
— Nein, Herr Kollege Jahn; da kann ich Ihnen sagen: dann hätten Sie die Anträge nicht stellen sollen.
Ich bin auch der Auffassung, daß eine Novelle zu einem grundlegenden Gesetz nur mit aller Vorsicht eingebracht werden sollte. Sie selbst, Herr Kollege Jahn, haben darauf hingewiesen, daß für uns die Bundesverfassungsgerichtsbarkeit in unserem politischen Leben und auch in unserer Rechtsprechung etwas Neues ist und daß zwölf Jahre nur eine kurze Zeit sind. Aber gerade das bringt es mit sich, daß von Zeit zu Zeit überprüft werden muß, ab die 'Bestimmungen, die seinerzeit geschaffen wurden, auch richtig gewesen sind.
Ich möchte hervorheben, daß von der Bundesregierung mit sehr viel Bedacht an die Novellierung herangegangen wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut des früheren Wunsches der .SPD, Herr Kollege Jahn, und an die Ausführungen von Herrn Dr. Arndt im Rechtsausschuß, daß das Bundesverfassungsgericht einmal ein Einheitsgericht werden sollte. Auch heute haben Sie sich dazu bekannt, aber doch sehr platonisch. Wenn wir wirklich meinen, daß in Zukunft einmal das Einheitsgericht geschaffen werden sollte, dann müssen wir auch rechtzeitig die entsprechenden Schritte tun. Man darf nicht die Beschneidung der Zahl der Richter am. Senat und die Verfahrenserleichterung, die wir geschaffen haben, getrennt sehen. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung — und stimmen insofern der Bundesregierung zu —, daß man es bei der früher getroffenen Regelung — der Regelung aus dem Jahre 1959 —, bei der Zahl von acht Richtern in den Senaten belassen sollte.
Noch etwas zu dem anderen Antrag der SPD. Herr Kollege Reischl, da ich selber Rechtsanwältin bin, habe ich volles Verständnis dafür, daß es einen Beschwerdeführer sehr hart trifft, wenn er eine Abweisung ohne eine Begründung bekommt. Aber von dem Herrn Bundesjustizminister wurde bereits darauf hingewiesen, er habe die Zuversicht, daß von der Möglichkeit, von einer Begründung abzusehen, nur ein sehr weiser Gebrauch gemacht werde.
Von der Oppositionspartei wurde auf das hohe Ansehen des Gerichts hingewiesen. So ungern ich bei anderen Gerichten von einem Begründungszwang absehen würde, — in diesem Falle habe ich das Vertrauen zu diesem hohen Gericht, daß es hier so verantwortungsvoll handelt, wie es das in den vergangenen zwölf Jahren gezeigt hat, und daß es immer dann, wenn es der Auffassung ist, daß eine Begründung notwendig ist, um eine Fortentwicklung in der Auslegung unseres Grundgesetzes
in die Öffentlichkeit zu tragen, auch die entsprechende Begründung gibt. Dann ist es allerdings auch erforderlich, daß die Begründung im Hinblick darauf, daß sie präjudizierend für die Zukunft wirkt, sehr sorgfältig erfolgt. Eine kurze Begründung genügt nicht.
Ich bin nicht der Auffassung, Herr Kollege Reischl, daß man damit Querulanten heranzüchtet. Aus den sehr aufschlußreichen Zahlen, die uns in der Ausschußberatung gegeben wurden und aus denen zu entnehmen ist, wie relativ wenige Beschwerden tatsächlich begründet und wie viele von vornherein unzulässig oder unbegründet waren, geht ganz offenkundig hervor: Dieses Gesetz wird nicht zu einer Zunahme des Querulantentums führen; wer Querulant war, der wird es bleiben.
Wir sollten diese Reform wagen in der Erwartung, daß in der gleichen verantwortungsvollen Weise, wie das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen zwölf Jahren die sehr entscheidenden Grundsätze in prinzipiellen Fragen veröffentlicht hat, es dies auch in Zukunft tun wird. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist auch gar nicht so zu befürchten, daß die Zahl der Verfassungsbeschwerden noch zunehmen werde; die Möglichkeit, daß diese Zahl abnimmt, ist mindestens genauso groß. Wir wollen erst einmal abwarten, wie sich die Vereinfachung des Verfahrens auswirkt. Ich bin der Überzeugung, daß das Bundesverfassungsgericht, das bisher — darüber sind sich alle Parteien einig — seiner Aufgabe in einer vorzüglichen Weise nachgekommen ist, für die Begründung ebenfalls den richtigen Weg findet und sich auch bei diesem vereinfachten Verfahren sich das Vertrauen und das Ansehen bewahrt, das es bei unserer Bevölkerung gewonnen hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge, die wir aus wohlbegründeter Sorge gestellt haben, haben die Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich bin außerordentlich beeindruckt davon, mit welcher „Genauigkeit", welcher „Gründlichkeit" Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, auf unsere Argumente eingegangen sind; denn niemand von Ihnen hat sich mit ,der Frage auseinandergesetzt, wie es eigentlich mit der Bewältigung der Geschäftslast durch das Bundesverfassungsgericht weitergehen soll. Diese Frage ist mehr oder weniger elegant — auch Schweigen kann elegant sein — übergangen worden; eine Antwort auf die von mir aufgeworfene Frage haben wir weder von Ihnen, Herr Kollege Professor Wahl, noch von Ihnen, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, gehört.
Das, meine Damen und Herren, ist an sich etwas bedauerlich, — —
Herr Abgeordneter Jahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963 4021
Ja, wenn ich meinen Satz zu Ende geführt habe.
Das ist etwas bedauerlich, weil es uns bei der Auseinandersetzung über unsere Anträge eigentlich darum gegangen ist. Daß Sie meinen, das Problem der Geschäftssituation des Bundesverfassungsgerichts so behandeln zu können, ist — gelinde gesagt — enttäuschend und zeigt uns zumindest, daß die Versicherung, es gehe um das Ansehen des Gerichts, um ein vorhin gebrauchtes Wort hier zu wiederholen, gelegentlich auch platonisch sein kann.
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Kollege Jahn, Sie haben doch wohl gehört, daß ich von der Vereinfachung des Verfahrens gesprochen habe. Ist Ihnen als erfahrenem Juristen nicht bewußt, ,daß eine Vereinfachung des Verfahrens auch eine Verminderung der Arbeitslast des Gerichts bedeutet?
Es ist sehr freundlich von Ihnen, Frau Kollegin, daran zu erinnern, daß Sie das Thema am Rande gestreift haben. Ich hätte aber eigentlich etwas mehr erwartet, ganz abgesehen davon, daß vorhin sowohl von Herrn Kollegen Reischl als auch von mir dargelegt worden ist, daß diese Verfahrensvereinfachungen ja nicht den Ausfall von vier Richtern bei dem gesamten Gericht ausgleichen können. Um diese Frage geht es doch. Wir haben nach den Entscheidungen, die Sie hier in zweiter Lesung getroffen haben, die Sorge, daß die Zahl der Richter von je acht im Senat in Zukunft bei der Bewältigung der anfallenden Sachen in erhebliche Schwierigkeiten geraten wird. Wir haben die Sorge, daß durch den Wegfall ,des Begründungszwanges das Ansehen und das Vertrauen des Bundesverfassungsgerichtes leiden werden. Ich halte es für wenig tröstlich, wenn der Herr Bundesjustizminister hier sagt, der Wegfall des Begründungszwanges erlaubt es dennoch, dann zu begründen, wenn das Gericht es für notwendig hält. Meine Damen und Herren, wie illusionär! Wenn das Gericht, wie mit ziemlicher Sicherheit erwartet werden muß, in erheblichem Umfange in zeitliche und Arbeitsschwierigkeiten kommen wird, dann wird, wie der Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichtes — Herr Kollege Kanka, Sie haben es vielleicht nicht gehört — expressis verbis erklärt hat, das Gericht ,gar nicht anders können, als davon abzusehen, in den Fällen zu begründen, wo es das vielleicht gern möchte.
Herr Kollege Kanka zu einer Frage!
Ist Ihnen, Herr Kollege Jahn, noch in Erinnerung, daß das, was wir jetzt in dritter Lesung zu beschließen im Begriff sind, der Empfehlung des Bundesrates entspricht, der sich die Bundesregierung angeschlossen hat, aber auch, soweit die Begründung in Frage steht, der einstimmigen Meinung des Bundesverfassungsgerichts und,
was die Zahl angeht, der überwiegenden Meinung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts? Und haben diese drei Instanzen nicht einige Autorität für sich?
Was wollen Sie damit sagen, Herr Kollege Kanka? Glauben Sie, daß die Autorität uns der Notwendigkeit enthebt, eigene Überlegung anzustellen? Das ist doch wohl kein Argument für die Beratungen hier im Hause.
Ich habe von den Sorgen gesprochen, die wir haben. Ich habe davon gesprochen, daß wir glauben, daß auch mit dem Verfahren, das Sie hier vorsehen, eine echte Hilfe nicht gegeben ist. Da kommt das, worüber der Herr Bundesjustizminister dankenswerterweise ein klärendes Wort gesagt hat, wozu ich aber noch einige Bemerkungen machen muß. Es droht Gefahr für den Fortbestand der Verfassungsbeschwerde. Wir nehmen gern zur Kenntnis, wenn der Herr Bundesjustizminister hier sagt, innerhalb der Bundesregierung denke niemand daran, die Verfassungsbeschwerde zu beseitigen. Aber bei dem eben so eindrucksvoll dokumentierten Autoritätsdenken des Herrn Dr. Kanka werden wir um eine Diskussion dieser Frage mit Sicherheit dann nicht herumkommen, wenn die Geschäftslast des Gerichts, wie zu erwarten sein wird, in Zukunft weiterhin Schwierigkeiten bereitet und dann aus seiner Mitte, wie es bereits geschehen ist, die Frage nach dem Fortbestand der Verfassungsbeschwerde aufgeworfen wird.
Ich bin mir eben nicht sicher, wie Sie es dann damit halten werden, wenn Sie heute schon bereit sind, auf eine so wichtige, für den Rechtsfrieden so bedeutungsvolle Einrichtung wie den Begründungszwang zu verzichten. Droht dann nicht unter dem Druck der Verhältnisse möglicherweise auch eine Entscheidung, die durch die Verfassung bisher leider ungesicherte Verfassungsbeschwerde ebenfalls einzuschränken oder gar ganz abzuschaffen? Das wäre ein verhängnisvoller Weg, aber ein Weg, den wir in unsere Überlegung einbeziehen müssen nach der Situation, die Sie jetzt herstellen wollen. Wir meinen, daß der Wert der Verfassungsbeschwerde für die Entwicklung des Verfassungsbewußtseins in unserem Lande überhaupt nicht überschätzt werden kann. Sie muß unter allen Umständen erhalten bleiben, und wir sollten hier keine Entscheidung treffen, die uns eines Tages vielleicht vor eine so schwierige Frage stellt. Wir glauben, daß hier Schwierigkeiten heraufbeschworen werden, die uns in der Zukunft vor weitere schwierige Fragen stellen werden. Wir meinen, daß die Entscheidungen die getroffen worden sind, mit der Aufsgabenstellung des Gerichts und mit der Achtung, die wir diesem Verfassungsorgan entgegenbringen sollten, schlecht zu vereinbaren sind. Wir sehen uns deshalb nicht in der Lage, diesem Gesetz unsere Zustimmung zu geben. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Prof. Wahl.
Metadaten/Kopzeile:
4022 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juni 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Jahn sich 'darüber beklagt hat, daß ich zu dem verfahrensrechtlichen Teil der Debatte nicht das Wort ergriffen habe, möchte ich zunächst klarstellen, daß ich mich gemeldet hatte.
— Doch, Sie haben es gesagt. Ich bin also nun doch gezwungen, einige Bemerkungen zu machen. Herr Jahn steht auf dem Standpunkt, das Bundesverfassungsgericht kann es mit acht Richtern pro Senat nicht schaffen. Wir stehen auf dem Standpunkt, das Bundesverfassungsgericht kann es mit acht Richtern doch schaffen. Natürlich hat zunächst keine Seite die Sicherheit, daß sie recht hat. Immerhin hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der sowohl die Geschäftslage als auch die Arbeitsweise des Gerichts am besten kennt, sich in seinen Äußerungen zugunsten der These der Mehrheitsparteien ausgesprochen. Das ist der Grund, warum wir nun glaubten, daß man mit bloßen Betrachtungen über die Geschäftslage und ihre Bewältigung nicht gegen unsere Vorlage angehen kann.
Ich gebe natürlich zu, daß es uns schwer gefallen ist,
die Abschaffung des Begründungszwangs herbeizuführen. Es hat aber einen gewissen Eindruck gemacht, daß der Supreme Court der Vereinigten Staaten,
der ja mit einem einzigen Senat mit den Verfassungsbeschwerden des ganzen Landes, des großen amerikanischen Landes, fertig wird, die Befugnis hat, das „certiorari" genannte Rechtsmittel einfach ohne Begründung abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich deshalb gegen die von uns vorgeschlagene Kurzbegründung gewandt und gesagt: Diese Kurzbegründungen gelangen angesichts der Bedeutung, die allen unseren Entscheidungen zukommt, früher oder später in die Öffentlichkeit und führen dort zu Mißverständnissen, nicht zu einer Herabsetzung des Ansehens des Gerichts — davon war nicht die Rede —, sondern einfach zu Mißverständnissen. Da scheint es dem Bundesverfassungsgericht irichtiger und eher tragbar zu sein, wenn gar keine Begründung gegeben wird, als wenn eine mißverständliche Begründung gegeben wird. Gar keine Begründung wird dann gegeben, wenn das Verfassungsgericht glaubt, daß die Klärung einer grundsätzlichen Verfassungsfrage von der Behandlung der Verfassungsbeschwerde nicht mehr erwartet werden kann. Das heißt nichts anderes als: das Verfassungsgericht nimmt Bezug auf die von ihm entwickelte Praxis und Rechtsprechung und sagt: angesichts dieser Rechtsprechung erscheine ihm die Verfassungsbeschwerde nicht annahmewürdig.
Jedenfalls können Sie nicht sagen, daß die Abschaffung des Begründungszwangs der Abschaffung der Verfassungsbeschwerde gleichzuachten sei. Nichts liegt uns ferner, als die Verfassungsbeschwerde als Institution zu beseitigen.
Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Vereinbarungsgemäß beschließen wir jetzt die Beratungen. Wir setzen die Sitzung morgen, Freitag, den 28. Juni, 9 Uhr, fort.
Die Sitzung ist geschlossen.