Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Glückwünsche auszusprechen. Am 31. Januar hat Frau Kollegin Korspeter Geburtstag gefeiert.
Am 7. Februar ist der Kollege Dr. Leiske 71 Jahre alt geworden,
am 8. Februar Herr Dr. Brecht 60 Jahre alt.
Das Haus wünscht allen drei Kollegen Glück und Segen für das kommende Lebensjahr ad multos annos.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. Februar 1960 den nahtstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gesteilt:Gesetz zur näheren Regelung der Entschädigungsansprüche für Auslandsbonds
Gesetz über das Abkommen vom 18. April 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über nebeneinanderliegende nationale Grenzabfertfgungsstellen und Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfe an der deutsch-französlschen GrenzeGesetz zum Internationalen Zucker-Ubereinkommen 1958Gesetz zu der Erklärung vom 22. November 1958 über den vorläufigen Beitritt der Schweizerischen Eidgenossenschaft zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen und zu dem Abkommen vom 21. November 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Regelung allgemeiner ZollfragenGesetz zu den Verträgen vom 3. Oktober 1957 des WeltpostvereinsGesetz zu dem Zollabkommen vom 15. Januar 1958 über die zur Ausbesserung von EUROP-Wagen verwendeten ErsatzteileGesetz zur Ausführung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 6. Juni 1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und HandelssachenGesetz zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich vom 6. Juni 1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und HandelssachenGesetz zu den Verträgen vom 22. September 1958 über die Auslieferung und über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik OsterreichGesetz über die Frist für die Anfechtung von Entscheidungen des Deutschen PatentamtsGesetz zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts und zur Anpassung der Berliner Rentenversicherung an die Vorschriften des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat zumGesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen verlangt, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 1594 verteilt.Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 22. Januar 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fortfall der Ortsklasse B beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1577 verteilt.Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 27. Januar 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Gehaltssituation im öffentlichen Dienst beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1582 verteilt.Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem29. Januar 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kraft, Kuntscher, Frau Ackermann und Genossen heir. Familienzusammenführung aus Rumänien beantwortet. Sein Schreibers ist als Drucksache 1584 verteilt.Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 3. Februar 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Entlastung der mittelständischen Betriebe bei der Aufbringung der Mittel für das Kindergeld beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1590 verteilt.Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 4. Februar 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Mindestpreise beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1593 verteilt.Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 8. Februar 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Gebührenpflichtige Dienstsachen beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1603 verteilt.Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 1. Februar 1960 auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 22. April 1959 über das Problem der Sonderregelungen für den Güternahverkehr in wirtschaftlich schwachen und verkehrsmäßig ungünstig gelegenen Gebieten berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1585 verteilt.Der 1-lerr Präsident der Versammlung der Westeuropäischen Union hat unter dem 22. Januar 1960 dieEmpfehlung Nr. 38 betr. die Politik der Mitgliedstaaten der Westeuropäischen UnionEmpfehlung Nr. 39 betr. die Zivile Notstandsplanung Empfehlung Nr. 40 betr. den Stand der Europäischen SicherheitEmpfehlung Nr. 41 betr. die Zweckmäßigkeit, die dänische und die norwegische Regierung aufzufordern, der Westeuropäischen Union beizutretensowie die von den zuständigen Ausschüssen hierzu ausgearbeiteten Begründungen übersandt. Sie sind als Drucksache 1581 verteilt worden.Der Präsident der NATO-Parlamentarier-Konferenz hat unter dem 17. Dezember 1959 die auf der Fünften Jahreskonferenz der Parlamentarier der NATO gefaßten Entschließungen sowie verschiedene einschlägige Ausschußberichte übersandt, die im Archiv zur Einsichtnahme ausliegen.Unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 4. Dezember 1959, das als Drucksache 1459 verteilt worden ist, hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unter dem30. Januar 1960 einen abschließenden Bericht bezüglich einer Eingliederung der Bundesanstalten für Vegetationskartierung und für Naturschutz und Landschaftspflege in die Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung gegeben, der als Drucksache 1595 verteilt ist.Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die Deutsche Einheit .Die Anfrage wird begründet durch den Abgeordneten Dr. Achenbach. Ich erteile ihm das Wort.
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5380 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei die Große Anfrage betreffend die Deutsche Einheit, Drucksache 1383, zu begründen. Die Anfrage trägt das Datum des 12. November 1959. Sie wurde eingebracht wenige Tage nach der letzten außenpolitischen Debatte in diesem Hohen Hause am 5. November — einer Debatte, die bedauerlicherweise durch Mehrheitsbeschluß vorzeitig beendet wurde, mit dem Ergebnis, daß weder die Ausführungen meines Freundes Mende seitens der Regierung sachlich diskutiert wurden noch der auf der Rednerliste anstehende Vizepräsident Dr. Max Becker zu Worte kam. Dieses unbefriedigende Ergebnis war der unmittelbare Anlaß unserer Anfrage.Inzwischen hat sich jedoch die internationale Lage so entwickelt, daß auch ohne diesen unmittelbaren Anlaß im jetzigen Zeitpunkt eine außenpolitische Debatte sich geradezu aufdrängt. Im Dezember hat in Paris die westliche Gipfelkonferenz stattgefunden, es steht jetzt fest, daß im Mai dieses Jahres in Paris die Ost-West-Gipfelkonferenz zusammentritt, und wir haben inzwischen Kenntnis erhalten von dem fortgesetzten Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem sowjetischen Ministerpräsidenten. Es ist meine und meiner Freunde Auffassung, daß vor dieser für unser Volk so wichtigen Ost-West-Gipfelkonferenz, auf der, wenn sie auch sicherlich nicht alle Probleme einer unverzüglichen Lösung zuführen kann, zum mindesten mit Sicherheit die Weichen für die zukünftige gute oder schlechte Entwicklung gestellt werden, der Deutsche Bundestag nicht schweigen sollte, wie er es vor der Genfer Außenministerkonferenz leider getan hat.Ich meine darüber hinaus, daß es unser aller Pflicht wäre, wenigstens zu versuchen, in den entscheidenden Lebensfragen unserer Nation zu einer einmütigen Stellungnahme des gesamten Parlaments zu kommen.Ich wiederhole das, was ich seinerzeit in der März-Debatte 1958 in diesem Hohen Hause erklärt habe: Eine Außenpolitik, die in kritischen Zeiten der Nation von allen Seiten dieses Hauses aus ehrlicher Überzeugung mitgetragen wird, hat international ein sehr starkes Gewicht, sie ist jedenfalls besser als ein Auseinanderfallen von Regierung und Opposition in wesentlichen Lebensfragen der Nation. Es ist deshalb, wie ich glaube, unser aller Pflicht unserem Volke gegenüber — und ich möchte für mein Teil, gestützt auf die Zustimmung meiner Freunde, heute dieser Pflicht nachkommen —, immer wieder unter Zurückstellung jeglicher Ressentiments und auch unter Zurückstellung parteipolitischer und wahltaktischer Gesichtspunkte zu prüfen, ob nicht eine gemeinsame Grundlage für eine gemeinsame richtige Außenpolitik gefunden werden kann.Ich habe die sehr herzliche Bitte an Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU, von der SPD, von der DP, und auch an Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, daß Sie meine Ausführungen in dem sachlichen und verantwortungsbewußten Geist aufnehmen, in dem ich mich bemühen werde, sie zu machen. Über den Parteien steht in der Tat das Vaterland. Sie haben selbst, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode der Hoffnung Ausdruck gegeben — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —,daß in entscheidenden Fragen, die das Wohl und Wehe des gesamten Volkes berühren, namentlich auch in Fragen der Außenpolitik, eine gemeinsame Arbeit mit den in Opposition stehenden Fraktionen sich ermöglichen läßt, weil nach unser aller Überzeugung das Wohl des gesamten Volkes über dem Wohle einer Partei steht.Darf ich in diesem Zusammenhang, meine sehr verehrten Damen und Herren und Herr Kollege Gradl, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch noch einen Ausschnitt aus einer Entschließung des Exilparteitags 1959 in Fulda vom 21. und 22. Juni 1959 zitieren:Unser nationales Verlangen nach Wiedervereinigung wird so lange beeinträchtigt sein, wie wir in gesamtdeutschen und damit zusammenhängenden außenpolitischen Fragen in der Bundesrepublik uneinig sind. Die Exil-CDU wiederholt daher ihren dringenden Appell an die politischen Parteien der Bundesrepublik, gesamtdeutsche Fragen aus dem parteipolitischen Streit herauszulassen. Das Verlangen des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung wird den Kreml um so mehr beeinflussen, je geschlossener und einmütiger es vollbracht wird.Ich teile diese Auffassung.Ich möchte, bevor ich auf dieser Linie weiter argumentiere, eine Bemerkung über die Form unserer Großen Anfrage einschalten. Wenn wir unsere Fragen an Sie, Herr Bundeskanzler, persönlich richten, so bitte ich darin nicht irgendeine Spitze gegen Sie oder den Bundesaußenminister zu sehen oder zu glauben, wir wollten damit andeuten, daß wir zwischen Ihnen und dem Herrn Bundesaußenminister Meinungsverschiedenheiten vermuten oder konstruieren wollen. Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, weil Sie in der Debatte vom 2. Juli 1958 Bemerkungen meines Freundes Max Becker zum Anlaß nahmen, besonders klar zu unterstreichen, daß Sie nach dem Grundgesetz die Richtlinien der Politik bestimmen und vor dem Parlament in den entscheidenden Fragen die Verantwortung tragen.Daß Sie sich nicht um Einzelheiten und Kleinigkeiten kümmern können, verstehen wir. Es wird uns daher nicht einfallen, Herr Bundeskanzler, eine Frage etwa nach der Bedeutung eines strittigen Paragraphen im Rahmen eines Doppelbesteuerungsabkommens an Sie persönlich zu richten. Aber die Fragen, die wir heute an Sie richten, sind, wie Sie zugeben werden, Lebensfragen der Nation; hier bestimmen Sie die Richtlinien, und hier wollen wir auch von Ihnen persönlich eine Antwort.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5381
Dr. AchenbachWir kennen das Ausmaß ihrer Arbeitslast und wollen Sie gewiß nicht über Gebühr strapazieren; aber in der jetzigen Legislaturperiode sind Sie lediglich ein einzigesmal zum Auswärtigen Ausschuß gekommen, um uns ihre Ansicht über die Lage in Berlin zu sagen. Wir waren damals mit Ihnen der Meinung, daß jedes einseitige Vorgehen in Berlin den Weltfrieden gefährde. Es haben dann noch drei oder vier interfraktionelle Besprechungen bei Ihnen stattgefunden; aber diese Übung ist seit langem eingeschlafen.Sie werden, Herr Bundeskanzler, billigerweise zugeben müssen, daß, wenn es schon auch Ihr in Ihrer Regierungserklärung bekundeter Wunsch ist, in entscheidenden Fragen alle Kräfte in einer Nation zusammenzufassen, es eher der Sache der Regierung als der Opposition oder zumindest beider Aufgabe ist, sich nachdrücklich und stetig um eine gemeinsame Außenpolitik zum Wohle der Nation zu bemühen.
Es gäbe für Sie, Herr Bundeskanzler, und für Ihre Regierung eigentlich noch einen besonders naheliegenden Grund, sich auf dem außenpolitischen Gebiet um eine Zusammenfassung aller staatstragenden, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Kräfte zu bemühen. Nach Ihrer wie nach unserer oft bekundeten Auffassung — und selbst in der sogenannten DDR werden für diese Auffassung zumindest Lippenbekenntnisse abgegeben — gibt es nur e i n deutsches Volk; es gibt kein westdeutsches Volk, dem ein mitteldeutsches Volk gegenüberstünde. Sie sind dann der legitime Sprecher der Mehrheit dieses einheitlichen deutschen Volkes, wenn Sie in konkreten außenpolitischen Fragen und Methoden den gesamten Bundestag, alle freiheitlichen und rechtsstaatlichen Parteien hinter sich haben. Sie sind der Sprecher des gesamten deutschen Volkes, selbst dann, wenn — wir alle wissen zwar, daß das nicht der Fall ist; nur Herr Chruschtschow tut so, als sei er vom Gegenteil überzeugt — die SED einen großen Teil der Stimmen der in Mitteldeutschland lebenden Deutschen hinter sich bringen könnte. Ich behaupte, Herr Bundeskanzler, daß mit etwas gutem Willen von allen Seiten eine gemeinsame Außenpolitik, eine geschlossene Willensäußerung in den Lebensfragen der Nation zu erreichen wäre. Ich habe in der Zeit, in der ich die Ehre habe, diesem Hohen Hause anzugehören, versucht, mich ohne Voreingenommenheit umzusehen. Ich habe mit vielen Kollegen aller Parteien gesprochen und glaube als wirklichen Sachverhalt ermittelt zu haben, daß wir weit einiger sind, als manche anzunehmen geneigt sind. Zweimal ist es in diesem Hohen Hause möglich gewesen, einmütig außenpolitische Entschließungen zu verabschieden, und zwar die Entschließung vom 2. Juli und vom 1. Oktober 1958. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme, daß das ganze Haus noch heute hinter der Entschließung vom 1. Oktober 1958 steht. Der Herr Bundesaußenminister hat zu unserer Befriedigung in der Regierungserklärung vom 5. November 1959 dargelegt, daß die Bundesregierung sich auch weiterhin bemühen werde, im Sinne dieser Entschließung zu handeln.Die Frage, die nun zu stellen ist, ist die: Verfolgt die Bundesregierung bei ihren Bemühungen, dem Auftrag des Bundestages vom 1. Oktober 1958 gerecht zu werden, die richtige Methode? Verfolgt sie eine Methode, die nach unserer aller Auffassung die Möglichkeit eines Weiterkommens, die Erreichung konkreter Ergebnisse verspricht? Hier im Methodischen müssen wir uns, meine Damen und Herren, in einigen Punkten noch zusammenraufen. Aber sollte das wirklich unmöglich sein, wo wir doch in der Sache, in der guten Sache unseres Volkes alle einig sind?Wir wollen alle den Weltfrieden erhalten, wir wollen alle die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Damit fordern wir für unser deutsches Volk nicht mehr als das, was wir jedem anderen Volk zu geben bereit sind: das Recht, in einem Staat nach seinen eigenen Gesetzen zu leben und sein inneres Gefüge nach seinem freien Entschluß zu gestalten.Hinsichtlich des militärischen Bereichs sind wir alle bereit — ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, dies auch namens der Bundesregierung zu bestätigen —, uns in ein internationales System einzugliedern, das jedem Volk eine ungestörte Existenz in Freiheit erlaubt und allen Völkern, insbesondere unseren Nachbarn, aber auch uns selbst, Sicherheit und Frieden gewährleistet. Wir sind bereit, alle Abrüstungsbemühungen zu unterstützen und den Abrüstungsoder Teilabrüstungsabkommen beizutreten, auf die sich die Gipfelkonferenz einigen wird.Nun zur Methode unseres Vorgehens in der internationalen Auseinandersetzung über die deutsche Frage, in der wir uns heute befinden! Zunächst ein kurzer historischer Rückblick: Als einige Jahre nach dem totalen deutschen Zusammenbruch die große antideutsche durch Hitler verschuldete Koalition verfiel und die Zeit der dauernd wachsenden Spannung zwischen den Machtblöcken in Ost und West begann, haben Sie, Herr Bundeskanzler, in dieser ohne unser Zutun entstandenen Lage mit Billigung der Freien Demokraten — ja, ich darf wohl sagen: grundsätzlich mit Billigung des ganzen Hauses — die Partei des Westens ergriffen und mit Konsequenz und Stetigkeit erreicht, daß die Bundesrepublik nunmehr über vertrauensvolle Beziehungen zu den Staaten des Westens, insbesondere zu den Vereinigten Staaten von Amerika, zu England und Frankreich, ja zur gesamten freien Welt verfügt und heute ein geachtetes Mitglied des großen westlichen Verteidigungsbündnisses ist.Wir Freien Demokraten haben diese Politik mitgetragen, halten sie nach wie vor für richtig und stehen auch weiterhin dazu. Für Sie wie für uns ist das Bündnis mit den angelsächsischen Staaten ebenso wie das mit Frankreich der Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik. Wir wollen dieses Bündnis fortsetzen. Das bedeutet, daß wir verpflichtet sind, für außenpolitische Initiativen, die wir im Interesse unseres Landes für richtig halten, unter Einsatz all unserer Überzeugungskraft das Verständnis und die
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5382 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Dr. AchenbachZustimmung unserer großen Verbündeten zu erlangen, und daß wir in der Tat, Herr Bundesaußenminister, bei allem, was wir tun, auch die berechtigten Interessen unserer Verbündeten berücksichtigen müssen. Was wir hier klar und unmißverständlich für uns aussprechen, gilt umgekehrt aber ebenso für die Politik unserer Verbündeten im Verhältnis zu uns. In dem großen westlichen Verteidigungsbündnis freier und gleicher Staaten müssen auch unsere Verbündeten bei der Ausarbeitung der gemeinsamen Außenpolitik der Allianz die Lebensinteressen des deutschen Volkes berücksichtigen, und so wie wir für ihre, müssen sie für unsere Belange eintreten. Das erfordert die Achtung vor dem gegebenen Wort, die Ehre und das wohlverstandene nationale Interesse jedes Bündnispartners.Nun, Herr Bundeskanzler, bei Fortdauer des Kalten Krieges, in dem die Sowjets in den Amerikanern ausschließlich angriffslüsterne Monopolkapitalisten, die Amerikaner die Sowjets ausschließlich als angriffslüsterne Weltrevolutionäre ansahen, konnte das Lebensinteresse des deutschen Volkes, die Überwindung seiner Spaltung, von unseren westlichen Bündnispartnern begreiflicherweise nicht genügend wahrgenommen werden, weil der Kalte Krieg par excellence der Zustand ist, der den Status quo wiederum begreiflicherweise immer fester zementiert, weil das alles überschattende Mißtrauen jede Seite veranlaßt, fest auf den inne-gehabten Positionen zu verharren und keine Veränderungen zuzulassen, aus Furcht, sie könnten die Positionen der einen Seite auf Kosten der anderen verbessern.Der Status quo aber ist für unser gespaltenes Volk unerträglich. Uns allein bläst der Wind ins Gesicht, nicht den Russen, nicht den Amerikanern, auch nicht den Engländern und Franzosen. Für sie allerdings war der Kalte Krieg, neben dem ein immer schärfer werdender Rüstungswettlauf einherging, auch eine Gefahr, eine Lebensgefahr; denn Spannung, Kalter Krieg plus Rüstungswettlauf bedeuten Krieg: certus an, incertus quando — gewiß daß, ungewiß wann.Bei dieser Sachlage — Fortdauer des unerträglichen Status quo und sichere Kriegserwartung zu einem Zeitpunkt X — konnte kein Volk ein größeres Interesse an der Entspannung zwischen West und Ost haben als das deutsche; denn wie die Dinge nun einmal liegen, wäre es im Fall eines der Spannung folgenden Kriegsausbruchs Schauplatz dieses Krieges. Nur die Entspannung verhindert dieses grausige Ergebnis, nur die Entspannung eröffnet eine Chance, den unerträglichen Status quo, die Spaltung unseres Volkes, zu überwinden.Bei dieser klaren Sachlage, an der kein verständiger Mensch zweifeln kann, müssen wir alle gemeinsam — und Sie werden es sicher selbst gleich tun, Herr Bundeskanzler — die Unterstellungen und Vorwürfe, mit denen uns der Ostblock überschüttet, als geradezu grotesk zurückweisen. Die Bundesrepublik und das deutsche Volk können nichts anderes als Frieden und Entspannung wollen, und sie wollen auch nichts anderes, weil Frieden und Entspannung so eindeutig dem Interesse und dem Willen des deutschen Volkes und der Bundesrepublik entsprechen. An dieser Stelle möchte ich dem Chef der Vormacht des Westens, dem Präsidenten Eisenhower, Dank sagen dafür, daß er auch in Wahrnehmung der Interessen des deutschen Volkes das ganze Gewicht seines Amtes und seines persönlichen Prestiges in die Waagschale des Friedens und der Entspannung geworfen hat
und nach freimütiger Aussprache mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten in Camp David die Bahn für die nun im Mai dieses Jahres in Paris zusammentretende Ost-West-Gipfelkonferenz frei gemacht hat, der wir alle einen wirklichen Erfolg für die Befestigung des Friedens wünschen.Es ist ein weiter Weg von der Zeit, als die Untersuchungskommission des Senators MacCarthy die Schlagzeilen der amerikanischen Presse lieferte, bis zum Geist von Camp David. Es ist, wie ich meinen möchte, auch ein Stück Weges zurückgelegt worden von den ständigen virulenten Angriffen Moskaus gegen die Westmächte bis zu den heutigen häufig doch freundlichen, ja warmherzigen Worten des sowjetischen Ministerpräsidenten in bezug auf diese Mächte.Wir sollten, Herr Bundeskanzler, den Friedenswillen des sowjetischen Ministerpräsidenten aus politischer Fairneß und Klugheit nicht bezweifeln, wir sollten ihn beim Wort nehmen. Herr Chruschtschow wird bei seiner Intelligenz und geistigen Beweglichkeit allerdings sicher begreifen, wie schwer uns das fällt, wenn wir sehen müssen, wie er uns, der Bundesrepublik, gegenüber leider noch in der Tat hier und da die Sprache des Kalten Krieges führt und Äußerungen macht, wie jetzt bei dem Besuch der Italiener in Moskau, die an das vae victis des Brennus erinnern und uns die tiefe Besorgnis vermitteln, er wolle uns einen Diktatfrieden im Stile eines Über-Versailles aufzwingen.Ich weiß nicht, ob der sowjetische Ministerpräsident versteht -- und er möge es einem freien deutschen Abgeordneten nicht verargen, wenn dieser es ihm hier vor aller Weltöffentlichkeit sagt —, wie sehr er den Stolz des deutschen Volkes bis ins innnerste Mark verwundet, wenn er in seinem letzten Brief erklärt, daß der deutsche Bundeskanzler in bezug auf Berlin lediglich eine Privatperson sei. Will er uns wirklich einen Diktatfrieden aufzwingen? Liegt wirklich kein Mißverständnis gutgläubiger Art hinsichtlich seiner Unterstellungen betreffend die angeblich bei uns herrschenden Zustände vor? Dann lasse er sich von einem Abgeordneten der Opposition, die freimütig auch ihrer eigenen Regierung gleich vorhalten wird, was sie nach unserer Auffassung falsch gemacht hat, sagen, daß das deutsche Volk einer solchen Haltung gegenüber Widerstand leisten wird.
Die Sowjetunion ist gewiß stärker als wir. Ihre Macht ist vielfach größer. Aber das deutsche Volk ist kein gehorsames Satellitenvolk. Wenn man un-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5383
Dr. Achenbachserem Stolz und unserer nationalen Würde zu nahe tritt, so widerstehen wir. Dann wird in uns der Geist unserer Vorfahren lebendig, die den Kopf nicht beugten, die da sagten „Lieber tot als Sklave", „Hier stehe ich! ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.", „Und wenn die Welt voll Teufel wär, es muß uns doch gelingen!"Mir kam bei der Lektüre mancher Tirade des Ostens, insbesondere des Briefes des Herrn Ulbricht, die Erinnerung an jenen Turm in der kleinen französischen Stadt St.-Marie-de-la-Mer am Mittelmeer, in dem lange Jahre eine Protestantin aus den Cevennen gefangengehalten wurde, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollte. Trotz aller Drohungen und Verlockungen blieb sie standhaft, und noch heute kann man dort sehen, wie sie mit ihren Fingernägeln in die Mauer ihres Verlieses das Wort eingeritzt hatte: résister — widerstehen!Wir werden widerstehen, Herr Ministerpräsident Chruschtschow, wenn Sie uns wirklich einen Diktatfrieden aufzwingen wollen. In diesem Widerstand werden wir sein „ein einig Volk von Brüdern", und noch heute gilt das Wort Schillers: „Wir wollen frei sein wie die Väter waren".Noch haben wir Freien Demokraten jedoch die die Hoffnung nicht aufgegeben, daß manche Ihrer Erklärungen, Herr Chruschtschow, auf Mißverständnissen beruhen. Das deutsche Volk — ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, dies zu bestätigen — will mit dem russischen Volk wie mit allen seinen Nachbarn im Westen und Osten, wie mit allen Völkern der Welt in Frieden und Freundschaft leben. Es weiß die liebenswerten Eigenschaften des russischen Volkes und seine große Begabung zu schätzen. Die ideologischen Meinungsverschiedenheiten sind, wie sowohl Herr Chruschtschow als auch der Herr Bundeskanzler in ihrem Briefwechsel mit Recht erklärt haben, kein Hindernis für die friedliche Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik.Meine Freunde und ich wünschen, daß der Deutsche Bundestag mit seiner ganzen Autorität als Volksvertretung diese Einstellung bekräftigt. Wir werden Ihnen daher folgende Entschließung zur Annahme unterbreiten:Der Bundestag wolle beschließen:Der Deutsche Bundestag macht sich die in dem Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Dr. Adenauer und Ministerpräsident Chruschtschow von beiden Seiten übereinstimmend vertretene Auffassung zu eigen, daß ideologische Unterschiede kein Hindernis für die friedliche Zusammenarbeit von Staaten verschiedener Gesellschaftsstrukturen sein dürfen. Ausgehend von der Überzeugung, daß bei vernünftiger Berücksichtigung der Interessen aller beteiligten Staaten und bei gemeinsamem aufrichtigem Streben nach Frieden jede strittige internationale Frage, auch wenn sie noch so kompliziert erscheinen mag, geregelt werden kann, gibt der Deutsche Bundestag seiner Hoffnung Ausdruck und richtet in diesem Sinne einen dringenden Appell an diebeteiligten Regierungschefs, daß die bevorstehende Ost-West-Gipfelkonferenz zur Festigung des allgemeinen Friedens beitragen und eine wesentliche Entspannung in den Beziehungen zwischen den Staaten des Westens und des Ostens herbeiführen möge.Der Deutsche Bundestag erklärt sich bereit, alle Verhandlungen zu unterstützen, die nach Auffassung der an der Gipfelkonferenz beteiligten Mächte diesem Ziele dienen. Der Deutsche Bundestag wünscht, daß die Bundesrepublik in vorderster Front an der großen und edlen Aufgabe mitwirkt, einen dauerhaften Frieden in der Welt zu sichern.Die Annahme einer solchen Entschließung würde wesentlich dazu beitragen, das immer wieder gegen uns aufflammende Mißtrauen zu zerstreuen.Nun, Herr Bundeskanzler, wende ich mich an Sie. Auch von Ihrer Regierung muß noch manches geschehen, damit der Zustand erreicht wird, den wir für unser Volk und Land als notwendig und erstrebenswert in der Weltöffentlichkeit ansehen, nämlich daß, wenn der Name Bundesrepublik fällt, jeder in der ganzen weiten Welt damit als selbstverständlich den Begriff „Hort des Friedens" verbindet, jedermann mit Selbstverständlichkeit an die ständig vorhandene Bereitschaft glaubt, jede Verständigungsanregung unvoreingenommen aufzugreifen, jede Friedensanregung, woher sie auch kommen mag, tatkräftig zu unterstützen, jeden beim Wort zu nehmen, der erklärt, dem Frieden dienen zu wollen.Am Schluß meiner Rede, die ich im März 1958 in diesem Hohen Hause gehalten habe, habe ich Ihnen zugerufen:Sorgen Sie dafür, Herr Bundeskanzler, daß die ganze Welt erkennt und anerkennt: Die Deutschen haben sich redlich bemüht, neuem Unheil vorzubeugen!Dieses Ziel, Herr Bundeskanzler, werden Sie allerdings nur erreichen, wenn gewisse Äußerungen sowohl Ihrerseits wie prominenter Mitglieder der Regierungspartei in Zukunft unterbleiben. Man kann sich billigerweise über das Echo nicht wundern, wenn von einem prominenten Mitglied Ihrer Partei einmal erklärt worden ist, die Hälfte der Welt werden von Gentlemen, die andere Hälfte von Banditen regiert.Ich habe mich auch nicht, Herr Bundeskanzler, gewundert über die Reaktion des sowjetischen Ministerpräsidenten in seinem letzten Brief an Sie auf den von Ihnen bei Ihrem Empfang durch Papst Johannes XXIII. ausgesprochenen Satz:Ich glaube, daß Gott dem deutschen Volk in den jetzigen stürmischen Zeitläuften eine besondere Aufgabe gegeben hat, Hüter zu sein für den Westen gegen jene mächtigen Einflüsse, die von Osten her auf uns einwirken.Selbst im Westen hat dieser Satz nicht gefallen.Und wie er im Osten wirkt, hätte ich Ihnen, wenn5384 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960Dr. AchenbachSie sich einmal mit der Opposition beraten hätten, mit Sicherheit voraussagen können.
Ich glaube Ihnen, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihren Briefen an Chruschtschow ausführen, daß Sie keinen Haß gegen Sozialismus oder Kommunismus empfinden,
und wenn Sie sagen, daß ideologische Meinungsverschiedenheiten das Gespräch und die friedliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten nicht unmöglich machen dürfen. Ich möchte auch annehmen, daß Sie, als Sie den vorzitierten Satz aussprachen, persönlich subjektiv nicht das Gefühl hatten, dem Osten gegenüber aggressiv zu sein. Ich nehme an, daß Sie Seiner Heiligkeit dem Papst, der naturgemäß als oberste Autorität der katholischen Kirche die kommunistische Ideologie — wie im übrigen wir alle — ablehnt, versichern wollten, daß der Kommunismus im deutschen Volk keine Resonanz finde. Das wußte ja auch schon Josef Stalin, als er einmal erklärte: „Der Kommunismus paßt zu den Deutschen wie der Sattel zu einer Kuh", — womit er wirklich völlig recht hatte. Ich halte es für notwendig, Herr Bundeskanzler, daß Sie zu der Frage Stellung nehmen, was Sie mit diesem Ihrem Satz wirklich haben sagen wollen; denn: wie Sie sehen, haben Sie dem empfindlichen Mißtrauen des Ostens neue Nahrung gegeben.) Gestatten Sie mir, daß ich mich nunmehr in Zusammenhang mit der ersten Frage unserer Großen Anfrage auch kritisch mit gewissen Verhaltensweisen der Bundesregierung und ihrer Verbündeten während der Genfer Außenministerkonferenz auseinandersetze.Wir haben es zunächst begrüßt und als einen Fortschritt empfunden, daß die Bundesregierung bei den im Einklang mit den Wünschen dieses Hohen Hauses unternommenen Bemühungen im Hinblick auf das Zustandebringen der Außenministerkonferenz in der Anwesenheit einer Delegation der sogenannten DDR kein Hindernis für ihre eigene Teilnahme erblickte. Wir haben es auch als einen Schritt auf dem richtigen Wege empfunden, daß die Bundesregierung und ihre westlichen Verbündeten einen gesamtdeutschen Ausschuß und damit die Nützlichkeit eines Gesprächs unter Deutschen über die Schaffung eines Wahlgesetzes für eine verfassunggebende gesamtdeutsche Nationalversammlung anerkannten.Was wir nicht verstanden haben, ist, daß, nachdem wir alle im Auswärtigen Ausschuß immer der einmütigen Meinung waren, daß eine dauerhafte Lösung des Berlin-Problems nur im Rahmen einer Gsamtlösung der deutschen Frage möglich sei, ausgerechnet die erste Stufe des westlichen Friedensplans das Berlin-Problem als solches in den Vordergrund rückte und dazu noch in einer Form, bei der man billigerweise zugeben muß, daß die eingetretene Reaktion des Ostens von vornherein zu erwarten war. Dadurch, daß man weiterhin — wie ich meine, völlig unnötigerweise — unterstrich, dieser Plan sei ein unauflösbares Ganzes, das nur insgesamt angenommen oder abgelehnt werden könne, stand eben wegen der Ausgestaltung der ersten Stufe das Scheitern des Gesamtplans von vornherein fest. Ich weiß nicht, Herr Bundeskanzler, ob Ihnen die eindringlichen Hinweise der Freien Demokraten bekanntgeworden sind, wie nach unserer Meinung der russischen Berlin-Note vom 27. November 1958 verständigerweise hätte begegnet werden sollen. Ich habe hier nicht etwaige Hintergedanken der Sowjetunion zu analysieren. Ich muß mich, wenn internationale Verhandlungen überhaupt möglich sein sollen, mit den Argumenten auseinandersetzen, die von der Gegenseite offiziell in einer offiziellen Note vorgetragen werden.Wie haben die Russen das Berlin-Problem in ihrer Note vom 27. November 1958 gestellt? Auf eine knappe Formel gebracht, Herr Bundeskanzler, folgendermaßen: Da die Westmächte nicht gewillt sind, über einen Friedensvertrag mit Deutschland zu verhandeln, da die Regierung der Bundesrepublik nicht gewillt ist, sich mit der Regierung der sogenannten DDR über mögliche Wege und Methoden zu einer Wiedervereinigung Deutschlands zu unterhalten, wird es wohl mit der Wiedervereinigung noch lange dauern. Ist dem aber so, dann erscheint uns Sowjets die Lage in Berlin mit der dort zwischen Ost und West wogenden Propagandaschlacht auf die Dauer so gefährlich, daß eine Änderung eintreten muß.Man wird nicht bestreiten können, daß die Sowjets das Berlin-Problem so, d. h. subsidiär gestellt haben, d. h. angeblich wegen der durch das Verhalten des Westens und der Bundesrepublik nicht zustande kommenden Wiedervereinigung. In seinem letzten Brief an Sie, Herr Bundeskanzler, hat Herr Chruschtschow erneut zugestanden, daß, wenn das Problem der deutschen Wiedervereinigung gelöst werde, es kein Berlin-Problem mehr gebe; aber eben zu dieser Wiedervereinigung komme nicht, weil die Bundesregierung die Realität der DDR leugne und sich mit ihr über die Wege zu einer Wiedervereinigung nicht unterhalten wolle.Lassen Sie mich an dieser Stelle Ihnen kurz die Entschließung vortragen, die wir zum Berlin-Problem einbringen wollen:Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß eine dauerhafte Lösung des Berlin-Problems nur im Rahmen einer Gesamtregelung der Deutschlandfrage möglich ist. Deshalb richtet der Deutsche Bundestag an die im Mai dieses Jahres in Paris zusammentretende Gipfelkonferenz den Appell, unter Ablehnung aller Interimslösungen alle Kraft auf eine baldige Lösung der Deutschlandfrage durch einen gerechten Friedensvertrag mit Deutschland zu konzentrieren.Herr Bundeskanzler, Sie werden mir nicht unteistellen, ich hätte die Absicht, hier zu sagen, daß die von mir wiedergegebene Argumentation der Sowjetunion gerechtfertigt sei. Sicherlich sind wir im Recht, wenn wir sagen, die sogenannte DDR ist durch sowjetische Einmischung in die inneren deutschen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5385
Dr. AchenbachVerhältnisse künstlich geschaffen worden, ihre Regierung sitzt auf den russischen Bajonetten. Herr Chruschtschow kann nicht erwarten, daß wir seinen Hinweis auf die Einheitswahlen in der Sowjetzone ernst nehmen. Die Regierung Grotewohl-Ulbricht entspricht nicht dem freien Volkswillen der Deutschen in der DDR. Bleibt jedoch die Tatsache, daß die Sowjetunion offiziell so argumentiert, wie ich es geschildert habe, und da wir ja etwas erreichen wollen, Herr Bundeskanzler, müssen wir uns wohl oder übel mit dieser Argumentation auseinandersetzen und uns dabei auch fragen, warum die Sowjetunion so argumentiert, ob es nur eine heuchlerische Finte ist, um West-Berlin zu kassieren und die DDR zu konsolidieren, oder ob nicht aus der Entwicklung der Vergangenheit heraus die Sowjetunion selber sich in einer Interessen- oder sogar Zwangslage befindet, die ihr diese Argumentation zur Gesichtswahrung nahelegt.Es ist gewiß nicht meine Aufgabe, das sowjetische Prestige zu wahren oder sowjetische Interessen über Gebühr zu berücksichtigen. Das tun die Sowjets schon selber. Wohl aber bin ich von meinem eigenen Standpunkt aus verpflichtet, die Lage der Sowjetunion und ihre Motive zu analysieren, um festzustellen, ob vernünftigerweise mit einer Änderung ihres Standpunktes gerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, und der deutschen Öffentlichkeit eine Gedankenreihe vortragen, die der Herr Bundesaußenminister aus den Debatten des Außenpolitischen Ausschusses kennt und nach meiner Meinung nicht hat widerlegen können, wenn er auch keine Schlußfolgerungen daraus gezogen hat. Diese Schlußfolgerungen und die meines Erachtens notwendigen Entscheidungen erbitten wir von Ihnen, da Sie die Richtlinien der Politik bestimmen und solche Entscheidungen treffen können.Würden Sie zustimmen, Herr Bundeskanzler, wenn ich sage, daß eine Weltmacht, die einen verbündeten Freund fallenläßt, damit auch ihren Kredit bei ihren anderen Verbündeten und anderen Freunden in der Welt beeinträchtigt? Wenn Sie das zugeben, müßten Sie auch anerkennen, daß über das reine Prestige hinaus bei der Sowjetunion sogar ein sachlicher Grund dafür besteht, das ihr verbündete und befreundete Regime der sogenannten DDR nicht einfach fallenzulassen, ebenso wie die Amerikaner uns, ihren treuen Verbündeten, die Bundesrepublik Deutschland, nicht einfach im Stich lassen können und natürlich auch nicht wollen, ohne daß überall sonst in der Welt Zweifel an dem Wert der amerikanischen Freundschaft aufkämen.Nun, im Falle Sowjetunion—DDR kommt hinzu, daß vom kommunistischen Standpunkt aus subjektiv, gutgläubig ein kommunistischer Staat wie ein ehren- und lobenswerter Staat erscheint, nicht wie von unserem ideologischen Standpunkt aus als ein die Freiheit des Bürgers und seine gesicherte Rechtssphäre zerstörender Zwangsstaat. Mit dem kommunistischen, in ihren Augen durchaus respektablen Staat, genannt DDR, hat die Sowjetunion einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen, durch welchen sie diesem Staat die Souveränität einräumt, gewiß, in unseren Augeh in Anführungsstrichen, aber immerhin eine Souveränität, auf Grund deren der Herr Bolz in Genf in lauten Trompetentönen seine völlige Entscheidungsfreiheit — sicher wiederum in Anführungsstrichen — herausstellen konnte.Wenn wir nun von der Sowjetunion verlangen, daß sie mit uns die Auffassung vertreten soll, die sogenannte DDR sei einfach nicht da, sei nonexistent, so, fürchte ich, muß das in den Augen der kommunistischen Welt wie eine Aufforderung an die Sowjetunion wirken, sich selbst zu ohrfeigen. Meine praktische Lebenserfahrung, Herr Bundeskanzler, sagt mir, daß, wenn ich von jemand etwas erreichen will — und gegen die Sowjetunion ebenso natürlich wie gegen die USA kommen wir selbstverständlich in unserem Anliegen der Wiedervereinigung nicht weiter —, ich die Verhandlungen zweckmäßigerweise nicht damit beginne, daß ich den Gesprächspartner bitte, sich zunächst einmal selbst zu ohrfeigen.Wenn ich mich nun leider der Erkenntnis nicht verschließen kann, daß vielleicht nicht nur Boshaftigkeit die Sowjetunion veranlaßt, uns auf unser Verlangen, unser berechtigtes Verlangen, nach Selbstbestimmung und Wiedervereinigung stereotyp zu antworten, sie habe für dieses Anliegen des deutschen Volkes Verständnis, sie wolle es fördern, aber wir müßten darüber auch mit der Regierung der DDR sprechen, so frage ich mich, warum wir eigentlich diese Methode nicht akzeptieren. Fällt uns dabei wirklich ein Zacken aus der Krone? Begeben wir uns damit wirklich auf den Weg der Kapitulation? Endet dieser Weg wirklich in dem Bolschewismus für das ganze deutsche Volk? Gefährden wir damit wirklich, ohne für die 17 Millionen in Mitteldeutschland die Freiheit zu erreichen, die Lebensform der 52 Millionen, die jetzt in der Bundesrepublik in gesicherter Freiheit wohnen? Ich brauche hier nicht noch einmal zu betonen, daß selbstverständlich wir Freien Demokraten wie Sie, wie alle Parteien hier im Hause, die Wiedervereinigung nicht um jeden Preis, nicht um den Verlust der Freiheit, wollen, sondern nur in Freiheit für unser ganzes deutsches Volk. Was aber steckt wirklich an Substanz hinter der Behauptung, damit werde die sogenannte DDR aufgewertet? Ein Argument, das uns auch immer entgegengehalten wird, wenn wir sagen, wir sollten diplomatische Beziehungen zu allen Ländern aufnehmen, ohne Rücksicht auf ihr Regime, einfach deshalb, weil, wenn man abwesend ist, nicht mit einem, sondern über einen, und meistens nicht gut, gesprochen wird.Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich Ihnen ganz offen sagen, das alles sind blutleere, künstliche Argumente ohne jeden Wert, sind Argumente von Leuten, die den Wald vor Bäumen nicht mehr sehen, sind Argumente von hochjuristischen Experten, die möglichst schnell durch verständige Laien zu ersetzen ich Ihnen nur raten kann,
was man immer dann tun soll, wenn die sogenannten Experten sich allzusehr verrannt haben.
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5386 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Dr. AchenbachHalten Sie es, Herr Bundeskanzler, unter dem Gesichtspunkt der Würde der deutschen Nation für ein besonders schönes Schauspiel, wenn durch sich immer steigernde Bemühungen um sogenannte Öffentlichkeitsarbeit auf beiden Seiten demnächst sämtliche afro-asiatischen Marktplätze von dem schrillen Geschrei der deutschen Stammesfehden widerhallen werden, wobei, da ja jede Seite die anderen Deutschen als schlechte und bösartige Menschen darstellt, die dortigen Völker im Endergebnis von allen Deutschen einen schlechten Eindruck bekommen werden? Glauben Sie nicht, daß es uns wohl anstünde und von unserer inneren Sicherheit und Gelassenheit zeugen würde, wenn man den Leuten in Ostberlin sagte: Was haben wir eigentlich von diesen Streitigkeiten in Afrika und Asien, bei denen wir vergessen, daß wir schließlich alle Deutsche sind, und die dortigen Völker mit Querelen behelligen, die sie doch nur befremden können? Und das in einer Zeit, wo im Zeichen einer Ost-West-Entspannung davon geredet wird, daß die Hilfe an die Entwicklungsländer und die Bekämpfung des Hungers ohne politische Hintergedanken von den hochentwickelten Industrieländern in West und Ost gemeinsam geleistet werden sollten.Herr Bundeskanzler, ich meine, daß wir unsere sachliche Position in gar keiner Weise beeinträchtigen, daß wir in gar keiner Weise kapitulieren, wenn wir uns, nachdem wir in Genf an der Außenministerkonferenz mit einer Beraterdelegation teilgenommen haben und auch eine ostzonale Beraterdelegation da war, bereit erklären, einer Aufforderung ) der Gipfelkonferenz Folge zu leisten, in Anwesenheit von Beobachtern der vier Mächte — sie sollen unbedingt dabei sein, damit jeder sicher ist, daß nichts geschieht, was gegen seine Interessen verstößt — auch innerdeutsche Gespräche zu führen, die den kalten Krieg auch in Deutschland abbauen und die sich insbesondere auch auf die Schaffung eines Wahlgesetzes für eine verfassunggebende gesamtdeutsche Nationalversammlung erstrecken sollen.Warum sollte in diesen Gesprächen nicht auch über einen Friedensvertrag gesprochen werden? Herr Bundeskanzler, 15 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten ist es tatsächlich an der Zeit, damit zu beginnen, über einen Friedensvertrag zu diskutieren. Sosehr es zweckmäßig erscheinen mag, einen Friedensvertrag nicht unmittelbar nach Beendigung der Feindseligkeiten zu schließen, weil in der noch fortdauernden Atmosphäre des Hasses, der bei den Siegern im Rausche des Sieges leicht entstehenden Überheblichkeitskomplexe und der bei den Besiegten durch die bittere Niederlage aufkommenden Minderwertigkeitsgefühle kein gutes Resultat, vermutlich nur ein auferlegtes Diktat mit all den später daraus entstehenden Folgerungen herauskommen wird, kann, wenn man zu lange wartet, ein fait accompli geschaffen werden, das ebenfalls voller Ungerechtigkeiten ist und kaum revisibel ist. Ich will gar nicht von den Verdächtigungen reden, denen man, nicht ohne propagandistische Wirkung, ausgesetzt ist, Herr Bundeskanzler, wenn man über einen Friedensvertrag nicht sprechen will. Sicherlich wäre es natürlicher und besser, wir hätten eine freigewählte gesamtdeutsche Regierung, die über diesen Vertrag verhandeln könnte. Aber, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich entschließen könnten, auf außerpolitischem Gebiet einen Burgfrieden mit der Opposition zu schließen und alle Kräfte dieses Hauses auf eigene Friedensvertragsgegenvorschläge zu einigen, wäre dann eine heute auf Grund einer gesamtdeutschen Wahl gebildete Regierung etwas wesentlich anderes als eine Regierung der Bundesrepublik, die sich auf alle freiheitlichen und rechtsstaatlichen Kräfte dieses Hauses stützt?Ein Friedensvertrag kann ohne die Zustimmung der Bundesrepublik nicht zustande kommen. Können wir uns nicht mit Gelassenheit die Auffassung der Vertreter der Regierung der sogenannten DDR anhören in dem sicheren Bewußtsein, daß sie nur einen verschwindend kleinen Teil des deutschen Volkes repräsentieren und in einem gesamtdeutschen Parlament Vertreter der SED-Opposition wären, mit denen man dann ja auch im Rahmen der von uns erstrebten gesamtdeutschen parlamentarischen Demokratie sprechen würde?Warum, Herr Bundeskanzler, sehen wir eigentlich Probleme, wo für einen selbstbewußten, ausgeglichenen vernünftigen Menschen an sich keine sind? Haben wir etwa Minderwertigkeitskomplexe? Haben wir Angst vor den Kommunisten? Scheuen wir die geistige Auseinandersetzung mit ihnen? Meinen Sie, Herr Bundeskanzler, die Kommunisten seien klüger als wir?Um die Auseinandersetzung mit ihnen kommen wir, wenn wir die Wiedervereinigung wollen, so oder so nicht herum. Wenn wir sie nicht anfangen, fangen die sie an. Wir brauchen die Auseinandersetzung auch nicht zu scheuen. Ich versichere Ihnen, Herr Bundeskanzler, die Kommunisten sind nicht klüger als wir. Daß wir zudem das größere Eigengewicht der besseren Sache, der Sache des Rechts und der Freiheit, auf unserer Seite haben, wird wohl niemand hier im Hause bezweifeln. Ich müßte mich doch sehr täuschen, Herr Bundeskanzler, wenn ich annähme, Sie seien der Meinung, eine Auseinandersetzung mit den deutschen Kommunisten nicht bestehen zu können. Sie sind doch auch nach Moskau gefahren und doch deshalb nicht Kommunist geworden.
Aus meiner Siegerländer Heimat, die Sie ja auch kennen, auf deren steinigem Boden, wie der Kollege Siebel sicher bestätigen wird, der Kommunismus bestimmt nie gedeihen wird, habe ich das irgendwie selbstverständliche Selbstbewußtsein mitgebracht — und dieses Selbstbewußtsein müßten Sie, Herr Bundeskanzler, das ist Ihre Aufgabe, dem ganzen deutschen Volk vermitteln—, daß, wenn ich mich mit einem Kommunisten an den Tisch setze und mich mit ihm unterhalte, doch nur die einzige Frage existiert, ob der noch als Kommunist aufsteht. Vielleicht ja, vielleicht aber auch nein. Daß ich als Kommunist aufstehen könnte, erscheint mir völlig undenkbar.Mein Freund Döring hat in Stuttgart mit Recht hingewiesen — als auf eine der beeindruckendsten Tatsachen im öffentlichen Leben der USA — auf
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5387
Dr. Achenbachdieses selbstsichere Grundgefühl der Freiheit, das den Bürger jede persönliche oder staatliche Krise mit der Haltung begegnen läßt: was auch kommen mag, ich bin ein freier Mann, und dies ist und bleibt ein freies Land. Glauben Sie, Herr Bundeskanzler, daß Sie diesen stolzen Geist erzeugen mit dem gekünstelten und gestelzten Argument voller Angstlichkeit: „Ja nicht reden mit einem Mann von drüben, sonst werte ich den auf."Genauso gefährlich für das freie Selbstbewußtsein des freien Bürgers ist die leider immer noch zu beobachtende Methode, alle Bemühungen von vornherein als aussichtslos zu bezeichnen, und der Versuch, denjenigen, die etwas tun möchten, mit hohler Überheblichkeit die Zivilcourage abzukaufen mit der Frage: Haben Sie wirklich den naiven Kinderglauben, Sie könnten durch Verhandlungen mit den Kommunisten etwas erreichen?Schließlich geht es auch nicht an, das Volk in falsche Sicherheit zu wiegen und es vor den Realitäten der auf uns zukommenden harten Auseinandersetzungen zu bewahren. Die deutsche Lage zwischen den Machtblöcken nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 ist schwierig, — wer wollte das leugnen? Sie kann nur mit nüchterner Gelassenheit, mit Mut und mit Unerschrockenheit gemeistert werden und mit der unbedingten Willensstärke jenes Wilhelmus von Nassauen aus Dillenburg, der da sagte: Point n'est besoin d'espérer pour entreprendre ni de réussir pour persévérer, — es ist nicht möglich, hoffen zu können, um etwas zu unternehmen, und man braucht auch nicht gleich zu reüssieren, um beharrlich fortzufahren.Deshalb bekennen wir uns hier offen zu unseren Meinungen. Ich will Ihnen auch sagen, wie wir uns verhalten würden, wir Freien Demokraten: wir würden die Bundesregierung auffordern, die vier Regierungschefs Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA zu bitten, auf der am 16. Mai 1960 in Paris beginnenden Gipfelkonferenz folgenden Beschluß zu fassen:Die Vier Mächte erkennen das Recht des deutschen Volkes auf Wiederherstellung der Einheit Deutschlands an. Sie fordern die beiden deutschen Delegationen, die an der Genfer Außenministerkonferenz beratend teilgenommen haben, auf, unverzüglich nach dem Wiederzusammentritt der Konferenz in Verhandlungen einzutreten, in denen in Anwesenheit von Beobachtern der Vier Mächte über die für die Wiederherstellung der deutschen Einheit notwendigen Maßnahmen beraten werden soll.Sie bringen ihre Bereitschaft zum Ausdruck, diesen Verhandlungen jegliche Unterstützung zu gewähren und die Verständigung zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu fördern.Zweitens steht unter I unseres Entschließungsentwurfs:Zu den von den beiden deutschen Delegationen zu beratenden Maßnahmen gehören nach Auffassung — —
— Lassen Sie mich meine Demonstration zu Ende l bringen!
Der Abgeordnete möchte seine Rede fortsetzen!
Zu den von den beiden deutschen Delegationen zu beratenden Maßnahmen gehören nach Auffassung des Deutschen Bundestages Vereinbarungen über die Modalitäten und den Zeitpunkt von Wahlen zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung.Dann sollte dieser Bundestag auch sagen, daß er keinem Friedensvertrag, der für die Zukunft völkerrechtlich verbindlich den territorialen und militärischen Status Deutschlands festlegt, sein Einverständnis geben wird, wenn nicht gleichzeitig mit Zustimmung der Vier Mächte verbindliche Abmachungen über die Modalitäten und den Zeitpunkt von gesamtdeutschen Wahlen zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung getroffen werden.Unter III besagt unser Entschließungsentwurf:Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß der vorzubereitende Friedensvertrag dauerhafte Voraussetzungen für die Entwicklung guter Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarstaaten schaffen soll. Die Grenzen Deutschlands im Osten müssen deshalb so gezogen werden, daß nicht durch eine Verletzung der Grundsätze der Gerechtigkeit und der Vernunft die vom deutschen Volk aufrichtig gewünschte dauerhafte Versöhnung mit seinen Nachbarstaaten im Osten in der Zukunft gefährdet wird.IV.Der Deutsche Bundestage ist der Auffassung, daß im Rahmen einer Politik des entspannenden Ausgleichs nach allen Seiten Deutschland Vertragspartner eines Bündnissystems werden soll, dessen Ziel die Festigung der gesamteuropäischen Sicherheit ist und dem neben anderen Staaten zumindest die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich angehören sollen. Dieser europäische Sicherheitsvertrag soll gleichzeitig mit dem deutschen Friedensvertrag abgeschlossen werden.Schließlich sollte unser Appell an die Gipfelkonferenz sein: Schafft einen auf Gerechtigkeit für alle Völker gegründeten dauerhaften Frieden!Sie sehen, Herr Bundeskanzler, die Freien Demokraten haben die stolze Gelassenheit, alle heißen Eisen anzufassen.
— Darüber sollte man nicht lachen, meine Damen und Herren. Erinnern Sie sich an jenen schönen Vers:Drum mutig drein und nimmer bleich, Denn Gott ist allenthalben.Die Freiheit und das Himmelreich Gewinnen keine Halben!
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5388 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Große Anfrage der FDP, die soeben Herr Kollege Achenbach begründet hat, möchte ich namens der Bundesregierung antworten. Ich füge hinzu, daß der Herr Bundeskanzler nach meiner Antwort selbst das Wort ergreifen und die Antwort ergänzen wird.
— Sind Sie nicht damit einverstanden?
— Ich dachte, das sei der Wunsch des Hohen Hauses gewesen.Der erste Teil der Anfrage entspricht im wesentlichen der Großen Anfrage der FDP-Fraktion, die am 14. Oktober 1959 eingereicht worden war. Mit dieser Anfrage hat sich die Regierungserklärung beschäftigt, die ich am 5. November vorigen Jahres vorgetragen habe. Ich glaube darum, daß ich mich bei der Beantwortung dieser speziellen Punkte kurz fassen kann.Ich habe am 5. November 1959 ausdrücklich betout, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit keine Gelegenheit ungenutzt gelassen hat, ihre Verbündeten und die Sowjetunion auf die Bedeutung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1958 hinzuweisen, die ihrerseits wiederum die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1958 bekräftigt hat.Ich darf die anfragende Fraktion auf das Aidemémoire verweisen, das die Bundesregierung am 9. September 1958 an die Vier Mächte gerichtet hat, und auch auf die Noten bezug nehmen, die die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs am 30. September 1958 der Sowjetunion übermittelt haben. Sowohl in dem Aide-mémoire wie in den erwähnten Noten haben sich die Bundesregierung und die verbündeten Regierungen die Anregungen des Hohen Hauses zur Bildung eines derartigen Vier-Mächte-Gremiums zu eigen gemacht. Ich verweise weiter auf die Noten der Bundesregierung vom 17. November 1958 und vom 5. Januar 1959.Die Überlegungen, von denen ich eben sprach, sind später auf Anregung der Bundesregierung in den westlichen Friedensplan übernommen worden, den der amerikanische Außenminister Herter am 14. Mai 1959 auf der Genfer Konferenz dem sowjetischen Außenminister übergeben hat. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Sowjetunion eine sachliche Diskussion dieses Friedensplans abgelehnt hat.Später hat der amerikanische Außenminister erneut die Frage aufgegriffen. Er hat in seiner Rede vom 20. Juli 1959 auf der Genfer Konferenz namens der verbündeten Regierungen einen konkreten Vorschlag gemacht, der dem Gedanken dieses Bundestagsbeschlusses Rechnung trug. Der Vorschlag lautet:Die Genfer Außenministerkonferenz, so wie sie jetzt konstituiert ist, bleibt zum Zwecke der Verhandlung des deutschen Problems in seiner Gesamtheit bestehen. Sie soll ferner Fragen betreffend die Erweiterung und Entwicklung von Kontakten zwischen den beiden Teilen Deutschlands behandeln. Zu diesen Zwecken tritt die Konferenz von Zeit zu Zeit auf jeweils zu vereinbarender Ebene und an jeweils zu vereinbarenden Orten zusammen. Die Konferenz kann auch besondere Vorkehrungen zur Behandlung einzelner Fragen treffen, die sich aus ihrer vorstehend festgelegten Aufgabe ergeben.Die Begründung dieses Vorschlags durch den amerikanischen Außenminister zeigt die Übereinstimmung der Überlegungen, die zu der Entschließung des Bundestages und zu dem Vorschlag der Verbündeten geführt haben. Der amerikanische Außenminister — ich darf das auf einiges erwidern, was Herr Kollege Achenbach am Ende seiner Ausführungen sagte — betonte ausdrücklich, daß dieser Vorschlag es den Vertretern der vier Regierungen ermöglichen werde, ein Problem, daß für die Vier Mächte, für das deutsche Volk und überhaupt für die Völker in der ganzen Welt von größter Bedeutung sei, in der Diskussion zu halten. Er würde es den Konferenzteilnehmern ermöglichen, den westlichen Friedensplan zu prüfen, den Außenminister Herter mit Recht als den umfassendsten bisher entwickelten Plan zur Lösung des Problems des geteilten Deutschlands bezeichnet hat. Darüber hinaus würde der Vorschlag ermöglichen, alle Themen zu behandeln, die der sowjetische Außenminister in seiner Rede vom 19. Juli aufgezählt hat. Herter schloß damals seine Ausführungen mit folgenden Worten:Die drei Westmächte unterbreiten diesen Vorschlag nach sorgfältiger und ernsthafter Beratung in dem Bemühen, dem Wunsch des sowjetischen Außenministers entgegenzukommen, daß wir hier über ein Verfahren zur Fortsetzung von Erörterungen im Hinblick auf die Wiedervereinigung Deutschlands übereinkommen, jedoch in einer Weise, die mit den Verantwortlichkeiten eines jeden von uns vereinbar ist.Herter äußerte damals die Hoffnung, der sowjetische Außenminister werde diesen Vorschlag sorgfältig prüfen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Dieser Vorschlag, wie alle anderen Vorschläge des Westens, wurde ohne Diskussion von dem sowjetischen Außenminister Gromyko abgelehnt.Vielleicht darf ich schon an dieser Stelle zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Achenbach über die Errichtung dieses gesamtdeutschen Ausschusses und über die Aufgaben, die ihm in Zusammenarbeit mit einem Viermächtegremium gestellt seien, ein Wort sagen. Meine Damen und Herren, wir haben ja alle die letzten Reden und Briefe des sowjetischen Außenministers gelesen. Solange die
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5389
Bundesaußenminister Dr. von BrentanoSowjetunion, wie sie es bis zur Stunde tut, überhaupt ihre Zuständigkeit — ich rede gar nicht von ihrer Verantwortlichkeit — bestreitet, an der Lösung des deutschen Problems mitzuwirken,
solange die sowjetische Politik den Standpunkt vertritt, daß die Frage Deutschland durch den Krieg entschieden worden sei und daß es nun Aufgabe der Deutschen sei, das zu tun, was wir Wiedervereinigung nennen — daß die Sowjetunion es anders nennt, wissen wir —, so lange ist doch für einen gesamtdeutschen Ausschuß unter Mitwirkung der vier Mächte überhaupt kein Platz.
Das möchte ich Herrn Kollegen Dr. Achenbach doch sagen. Wie können Sie von einem Viermächteausschuß sprechen und uns den Vorwurf machen, wir hätten nicht erreicht, daß er eingesetzt worden sei, wenn Sie aus jeder Erklärung der Sowjetunion entnehmen können, daß sie bis zur Stunde ihre Mitverantwortung für die Lösung der deutschen Frage einfach leugnet?
Ich komme auf diese Frage in anderem Zusammenhang zurück. Ich möchte erst die Anfrage beantworten, wie sie gestellt ist.Im zweiten Teil der Anfrage fordert die Freie Demokratische Partei eine Alternative zur Wiedervereinigungspolitik mit der — erlauben Sie mir zu sagen: ebenso überraschenden wie unverständlichen Begründung, ich hätte namens der Bundesregierung die Feststellung getroffen, daß die Vorstellungen des Herrn Bundeskanzlers, also die Vorstellungen der Bundesregierung am Widerstand der Sowjetunion gescheitert seien. Meine Damen und Herren, ich habe eine solche Feststellung nicht getroffen. Vielleicht erlauben Sie mir, aus meiner Erklärung vom 5. November zu wiederholen, was ich damals gesagt habe. Ich habe erklärt:Die Feststellung, daß die Frage nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit noch immer unbeantwortet ist, ist objektiv sicherlich richtig. Die Behauptung aber, diese Feststellung beweise, daß die Politik der Bundesregierung falsch gewesen sei, enthält eine unbegreifliche Unlogik.Ich habe weiter ausgeführt — und ich glaube kaum, daß man ernsthaft bestreiten kann, daß das richtig ist —:Daß wir immer noch im geteilten Deutschland leben, daß noch immer 17 Millionen deutscher Menschen in einem politischen System leben müssen, das sie ablehnen, daß man diesen 17 Millionen Menschen bis zur Stunde noch das Recht auf Selbstbestimmung und auf Menschenwürde streitig macht,— das man anderen Völkern zuzuerkennen bereitist —daß die Stadt Berlin noch heute unter dem Druckder sowjetrussischen Bedrohung lebt, alles dasist nicht ein Beweis dafür, daß die Politik der Bundesregierung und ihrer Alliierten in der Vergangenheit falsch war. Das alles ist vielmehr ein Beweis dafür, daß die Sowjetunion es bis zur Stunde ablehnt, über die berechtigten Forderungen eines Volkes von nahezu 70 Millionen Menschen auch nur zu diskutieren.
Meine Damen und Herren! Die Formulierung der Anfrage müßte eigentlich bedeuten, daß die Freie Demokratische Partei von der Bundesregierung erwartet, sie solle auf eine Politik, die nach der festen Überzeugung der Bundesregierung und nach der Meinung der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes die richtige, die einzig richtige ist, verzichten, nur weil die Regierung der Sowjetunion nicht bereit ist, über ihre Verwirklichung mit uns auch nur zu reden.
Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß die Bundesregierung solche Überlegungen für gefährlich, ja, erlauben Sie mir zu sagen, sogar für schwer verantwortlich hält und daß sie nicht bereit ist, diesen Weg zu gehen.
Es scheint mir kaum nötig, die Grundsätze erneut darzulegen, die die Außenpolitik der Bundesregierung, insbesondere bei der Behandlung der deutschen Frage, bestimmen.Mit der Forderung, die auch die Freie Demokratische Partei in ihrer Anfrage sich zu eigen gemacht hat, daß die Wiedervereinigung in Frieden und in Freiheit erfolgen müsse, stimmt die Bundesregierung durchaus überein. Sie hat wiederholt erklärt, daß sie gar nicht daran denke, das dringende und legitime Anliegen des deutschen Volkes jemals mit Gewalt zu verwirklichen. Sie hat aber ebenso eindeutig erklärt, daß sie keiner Lösung zuzustimmen bereit ist, die mit den Begriffen von Recht und Freiheit unvereinbar wäre, zu denen sich die Bundesregierung bekennt, Begriffen, die gleichzeitig auch die Grundlage ihrer Bündnispolitik darstellen.Das bedeutet einmal, daß die Bundesregierung es für unvereinbar mit der Verantwortung hält, die sie gegenüber dem ganz en deutschen Volke und gegenüber der gesamten freien Welt trägt — und Herr Kollege Achenbach hat auf diese Verantwortung ausdrücklich hingewiesen —, eine Lösung des Wiedervereinigungsproblems zu erörtern oder zu verwirklichen, die geeignet wäre, die Freiheit in dem Teile Deutschlands zu gefährden, in dem sie in mühevoller und unausgesetzter Arbeit wiederhergestellt werden konnte, nämlich in der Bundesrepublik. Für 52 Millionen Deutsche haben wir — ich glaube sagen zu dürfen: in gemeinsamer Arbeit, an der all e demokratischen Kräfte in Deutschland beteiligt waren — die rechtsstaatliche und freiheitliche Ordnung geschaffen, in der wir leben, die uns das Vertrauen und die Freundschaft der freien Welt eingebracht hat und auf die wir — ich beantworte nun die Frage der Freien Demokratischen Partei —
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5390 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Bundesaußenminister Dr. von Brentanoauch dann nicht zu verzichten bereit sind, wenn wir auf den Widerstand der Sowjetunion stoßen.
Die Bundesregierung ist aber auch davon überzeugt, daß sie als die einzige legitime Vertretung des ganzen deutschen Volkes dem ganzen deutschen Volke gegenüber die politische und moralische Verpflichtung trägt, diese freiheitliche Ordnung auch d e n Deutschen zu vermitteln, die unter dem Druck eines ihnen aufgezwungenen und ihnen verhaßten Systems noch in der Unfreiheit leben müssen.
Auch der Widerstand der Sowjetunion, von dem die FDP spricht, wird die Bundesregierung niemals dazu bestimmen, auf diese Forderung zu verzichten oder diese Forderung auch nur einzuschränken.
Inhalt und Ausmaß staatsbürgerlicher Freiheit in der Gestaltung der innenpolitischen Ordnung und der außenpolitischen Beziehungen lassen sich nicht im Wege eines Kompromisses beschränken. Die Forderung auf das Recht der freien Selbstbestimmung und die Ablehnung einer jeden unzulässigen Einmischung von außen in das politische Leben eines freien Volkes ist unbedingt und ist unabdingbar.
Diese Feststellung wird in ihrer ganzen Bedeutung, aber auch in ihrer Konsequenz erkennbar, wenn wir den Verlauf der internationalen Konferenzen betrachten, die hinter uns liegen, und wenn wir die Aussichten der Ost-West-Verhandlungen, die nun vor uns stehen, nüchtern und sorgfältig prüfen. Die Bundesregierung — und damit möchte ich auf eine Frage eingehen, die Herr Kollege Achenbach gestellt hat — ist der Überzeugung, daß die Berlin-Frage nichts anderes ist als ein Teil der deutschen Frage als Ganzes. Ich unterstreiche durchaus, was in diesem Zusammenhang noch vor wenigen Tagen — am 3. Februar — im Pressedienst der Freien Demokratischen Partei betont wurde: daß eine isolierte Berlin-Lösung weder für West-Berlin noch für die Bundesrepublik akzeptabel sei. Darum kann es nach der Überzeugung der Bundesregierung eine endgültige Lösung der Berlin-Frage nicht geben, es sei denn in Verbindung mit der Lösung des Deutschland-Problems.Ich weiß nicht, Herr Kollege Achenbach, was Ihr Hinweis bedeuten sollte, daß der westliche Friedensplan diesen Überlegungen nicht Rechnung getragen habe oder, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß die darin genannte erste Phase, die sich in der Tat auf eine Regelung in Berlin bezog, geeignet gewesen sei, diesen Zusammenhang zu verwischen. Ich glaube, noch niemals ist in einem Papier der Alliierten in einer so klaren, mit uns abgesprochenen und von uns akzeptierten Weise der Zusammenhang zwischen der Frage Berlin und der Wiedervereinigung dargestellt worden wie in diesem Friedensplan vom 14. Mai, den ich auch heute noch für die beste, ja, für die einzig mögliche Ausgangsbasis zukünftiger Ost-West-Verhandlungen be-trachte. Aber ich glaube, daß wir uns in diesem Hohen Hause in der Beurteilung dieses Zusammenhangs einig sind.Meine Damen und Herren, die Regierung der Sowjetunion widersetzt sich dieser deutschen Forderung. Noch in seinem letzten Brief, den der sowjetrussische Regierungschef an den deutschen Bundeskanzler gerichtet hat, hat sich die Regierung der Sowjetunion in einem anderen Sinne geäußert. Herr Chruschtschow verlangt eine isolierte Lösung der Berlin-Frage. Ich darf vielleicht aus seinem Brief zitieren:Mit der Lösung dieser Frage haben Sie — er meint den Herrn Bundeskanzler —streng genommen direkt nichts zu tun; sie gehört in erster Linie zur Zuständigkeit der Vier Mächte, die nach Niederwerfung Hitler-Deutschlands Berlin besetzt haben. Gegenwärtig aber wird nur noch in Berlin die Besatzung aufrechterhalten, und es ist Sache der Vier Mächte, diesen Anachronismus zu beseitigen. Die Berlin-Frage betrifft Sie nur indirekt als Deutschen und als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland. Vorerst nehmen Sie in der West-BerlinFrage eine durch und durch negative Haltung ein.— Eine Haltung, meine Damen und Herren, die der Bundestag und auch der Senat Berlins billigt! —Sie äußern irgendwelche Ansprüche auf West-Berlin, also auf ein Territorium innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik.Soll ich die Anfrage der FDP, die uns heute beschäftigt, etwa dahin verstehen, daß die Bundesregierung angesichts dieses Widerstandes der Sowjetunion eine Alternative für ihre Berlin-Politik suchen sollte? Erwartet die FDP — ich kann es mir nicht denken —, daß die Bundesregierung angesichts dieses Widerstandes der Sowjetunion, angesichts ihres Verlangens, Berlin zu einer sogenannten Freien Stadt zu machen und ihr damit die Eigenschaft eines integralen Bestandteils des freien Deutschlands zu nehmen, auf diese Forderung verzichten sollte, eine Forderung, die — ich habe es schon gesagt — bisher von allen Teilen dieses Hauses unterstützt wurde?Namens der Bundesregierung möchte ich auch insoweit die Anfrage der FDP dahin beantworten, daß der Widerstand der Regierung der Sowjetunion in dieser entscheidenden Frage die Bundesregierung nicht veranlassen kann und nicht veranlassen wird, von ihrer Forderung abzugehen und eine Alternativlösung zu suchen.
Ich glaube übrigens, Herr Kollege Achenbach, aus der Begründung Ihrer Anfrage entnommen zu haben, daß sie insoweit mit mir, mit der Bundesregierung voll und ganz übereinstimmen. Dann ist es nicht ganz verständlich, warum die Anfrage so gefaßt war, daß sie eigentlich zwangsläufig eine andere Auslegung erwarten ließ.Die Bundesregierung ist weiter in Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit des deut-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5391
Bundesaußenminister Dr. von Brentanoschen Volkes und sicherlich auch in Übereinstimmung mit den Parteien dieses Hohen Hauses der Überzeugung, daß die vier Mächte, die die Potsdamer Vereinbarung unterzeichnet haben, die politische und moralische Verpflichtung dafür tragen, den Weg für die Wiedervereinigung des deutschen Volkes frei zu machen. Sie weiß sich in dieser Überzeugung auch einig mit ihren Verbündeten, nicht zuletzt mit den Regierungen der drei westlichen Staaten; ich habe schon auf die Erklärung hingewiesen, die namens der westlichen Außenminister in Genf abgegeben worden ist, eine Erklärung, die mit der Auffassung des Bundestages, wie er sie am 1. Oktober 1958 bekundet hat, übereinstimmt.Die Regierung der Sowjetunion widersetzt sich diesen politischen Vorstellungen. Zu wiederholten Malen und zuletzt noch in dem Brief vom 28. Januar 1960 hat der sowjetrussische Regierungschef zum Ausdruck gebracht, daß die Teilung Deutschlands eine politische Realität sei, daß zwei selbständige deutsche gleichberechtigte Staaten entstanden seien und daß es ausschließlich Aufgabe dieser beiden Staaten sei, die Wiedervereinigung miteinander zu diskutieren und zu verwirklichen. Die sowjetrussische Regierung lehnt jede Verantwortung, ja jede Mitverantwortung für die Beseitigung dieses für das ganze deutsche Volk und für alle freien Völker der Welt unerträglichen Unrechtstatbestandes ab. Auch hier darf ich Sie an Ausführungen erinnern, die in dem letzten Brief enthalten sind, den Herr Chruschtschow an den deutschen Bundeskanzler gerichtet hat:Die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem einheitlichen Staat ist eine Frage, die allein die Deutschen selbst lösen können. Auf Grund der historischen Gegebenheiten, die nach dem zweiten Weltkrieg eingetreten sind, sind in Deutschland zwei Staaten mit verschiedener sozialer Struktur entstanden.Er fährt dann in der üblichen Form fort.Soll ich auch insoweit die Anfrage der FDP etwa dahin verstehen, daß die Bundesregierung angesichts des Widerstandes der Sowjetunion, ihre Verpflichtung anzuerkennen, eine Alternative suchen sollte, das heißt die Sowjetunion aus dieser Verantwortung entlassen sollte?Ein weiteres, und damit komme ich zu den Ausführungen, die Herr Kollege Achenbach am Schluß seiner Begründung gemacht hat. Die Bundesregierung und, wie ich glaube, wir alle wissen, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nur durch eine freie Willensentscheidung des ganzen deutschen Volkes verwirklicht werden kann. In Übereinstimmung mit den Behörden in der sowjetisch besetzten Zone leistet die sowjetrussische Regierung dieser Vorstellung Widerstand. In seinem schon erwähnten Schreiben vom 28. Januar hat der Ministerpräsident Chruschtschow die groteske Behauptung aufgestellt, daß die Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone sich in freien Wahlen zu dem dort herrschenden System bekannt habe und daß diese freie Wahlentscheidung respektiert werden müsse.
Erlauben Sie mir, meine !)amen und Herren, daß ich eine Stelle aus diesem Brief zitiere, die den ganzen Widersinn, aber auch die ganze Unaufrichtigkeit dieser Darstellung beleuchtet. Herr Chruschtschow schreibt:Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in der DDR sind die gesetzgebenden Körperschaften schon mehrere Male gewählt worden. In der Deutschen Demokratischen Republik werden systematisch Wahlen zur Volkskammer und zu den Organen der örtlichen Selbstverwaltung durchgeführt, in deren Verlauf das Volk seine Meinung frei äußert.
Die Wahlen finden unter geheimer Abstimmung statt.
An den letzten Wahlen zur Volkskammer, die 1958 stattfanden, nahmen 11 717 000 Menschen teil, d. h. 98 % aller Wähler.
— Noch nicht fertig!
Hierbei wurden 99,87 % der Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front des demokratischen Deutschland und 0,13 % gegen sie abgegeben.
Ist dies etwa für Sie, Herr Bundeskanzler, keine ausreichende überzeugende Willenskundgebung der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik,
die entschlossen den Weg des Aufbaus des Sozialismus eingeschlagen hat?
Meine Damen und Herren, ich gebe auch hier die Antwort an Herrn Chruschtschow: Das ist keine überzeugende Darstellung,
und was er gesagt hat, ist nichts anderes als plumper Schwindel.
Es ist schrecklich genug, daß wir als Deutsche — ich sage das nicht ohne Scham — ja wissen, wie derartige Wahlergebnisse zustande kommen,
und wir schämen uns dieser Vergangenheit, in der uns im ganzen deutschen Vaterland ein solcher dreister Schwindel vorgeführt worden ist. Wir wünschen aber nicht, daß sich dieser Schwindel nur unter einem anderen Vorzeichen in einem anderen Teil Deutschlands fortsetzt.
5392 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960Bundesaußenminister Dr. von BrentanoHier komme ich auf einige Ausführungen des Herrn Kollegen Achenbach, die ich möglichst sachlich, möglichst unpolemisch beantworten möchte, obwohl es nicht immer ganz leicht fällt. Herr Kollege Achenbach, Sie haben uns Ihre Punkte vorgetragen. Es ist ja nicht das erste Mal, daß wir sie hörten. Ich möchte sie nicht im einzelnen behandeln. Ich glaube, dazu reicht auch die Zeit nicht aus. Ich möchte nur einigen — erlauben Sie mir zu sagen — etwas mißverständlichen Formulierungen begegnen.Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, eine Weltmacht kann doch ihre Freunde nicht fallenlassen, und deswegen wird die Sowjetunion die DDR so behandeln, wie uns die Alliierten als ihre treuen Verbündeten auch behandeln und behandeln müssen. Hier möchte ich einen Einspruch einlegen und möchte sagen: Der Vergleich zwischen der DDR und der Bundesrepublik stimmt weder vorne noch hinten.
Man kann doch wirklich nicht sagen, daß die Funktionen, die die DDR im Bündnissystem der östlichen Welt ausübt, denen entsprechen, die die Bundesrepublik in der westlichen Welt ausübt. Wenn hier eine Entscheidung gefallen ist — auch gegen den Widerstand eines Teils des deutschen Volkes und dieses Hohen Hauses dann ist sie in einer demokratischen Weise gefallen. Wir haben hier eine Entscheidung getroffen, die das ganze deutsche Volk respektiert, auch diejenigen, die in der Abstimmung dagegen waren. Was ist denn die DDR im östlichen Bündnissystem? Doch nicht ein treuer Verbündeter, sondern eine Kolonie!
Das ist ja auch das Problem, Herr Kollege Achenbach: Wer soll eigentlich der Gesprächspartner drüben sein, von dem Sie sprechen, der Gesprächspartner, mit dem wir nach Ihren Vorstellungen Gespräche über die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit — das ist ja auch Ihr Ziel — führen sollen?Sie haben die Besorgnis geäußert, es könne eventuell bei dem Herrn Bundeskanzler ein Mangel an Selbstbewußtsein vorliegen,
der ihn hindere, mit den Kommunisten in der Zone zu sprechen. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, Ihnen aus genauer Kenntnis des Herrn Bundeskanzlers zu sagen: das fehlt ihm bestimmt nicht.
Ich versichere Ihnen, so wie ich ihn kenne, wie wir alle ihn kennen, würde er sicherlich nicht die Angst haben, daß er etwa in einem solchen Gespräch zum Kommunisten bekehrt werden könnte.
Ich glaube auch nicht — aber vielleicht antwortetder Herr Bundeskanzler darauf, weil er persönlichangesprochen wurde, selbst —, daß er der Überzeugung ist, seine potentiellen kommunistischen Gesprächspartner seien klüger als er. Nein, meine Damen und Herren, es geht nicht darum; es geht um eine andere Frage, und auf die ist auch Herr Kollege Achenbach heute die Antwort schuldig geblieben. Es geht auch nicht — um gleich ein Wort dazu zu sagen — um die Frage der Aufwertung der DDR, oder wie Sie sich sonst ausdrücken.Wir lassen uns hier nicht, wie Herr Kollege Achenbach so sorgenvoll feststellte, von juristischen Experten beraten, die man, wie er sagt, durch Leute mit gesundem Menschenverstand ersetzen sollte. Nein, sogar unsere juristischen Experten haben soviel gesunden Menschenverstand, vielleicht manchmal mehr als der Fragende.Wenn wir sagen: Es gibt kein gesamtdeutsches Gespräch, dann sagen wir es deshalb, weil es drüben keine Partner gibt, die ein solches Gespräch führen können.
Ich habe in der letzten Auseinandersetzung gesagt — und ich bitte, doch darauf einmal eine Antwort zu geben —: Glaubt denn Herr Kollege Achenbach, glaubt denn die FDP, daß sich der Herr Bundesjustizminister mit Frau Hilde Benjamin zusammensetzen könnte, um einmal über eine gemeinsame Rechtsordnung zu diskutieren?
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Herr Minister hat lediglich die Möglichkeit eines sachlichen Fachgesprächs gemeint.
Meine Damen und Herren, Ihre Heiterkeit zeigt schon, daß Sie sich der Absurdität einer solchen Vorstellung in jedem Fall bewußt sind.
Ich darf wieder zur Sache zurückkehren. Die Situation ist doch zu ernst. Auch das, was Herr Kollege Achenbach dazu gesagt hat, sollten wir nicht nur von diesem etwas fröhlichen Standpunkt aus diskutieren.Ich wiederhole: Wir wünschen das Gespräch mit den Menschen in der sowjetisch besetzten Zone zu führen, und wir stehen für ein solches Gespräch jederzeit zur Verfügung. Dieses Gespräch kann nicht besser geführt werden als an einem Tage, an dem wir gemeinsam eine Wahlentscheidung treffen, die wir gemeinsam sorgfältig vorbereiten wollen, an der alle teilnehmen mögen in beiden Teilen Deutschlands. Wir erkennen heute schon — weil wir Demokraten sind — diese Wahlentscheidung des gesamten deutschen Volkes an.Bundesaußenminister Dr. von BrentanoAber andere Wege, ein gesamtdeutsches Ge spräch zu führen, sehe ich nicht. Andere Wege wird die Bundesregierung auch nicht gehen, weil — ich wiederhole es — der Gesprächspartner drüben nicht einen Teil des deutschen Volkes repräsentiert, sondern nichts anderes repräsentiert als den Willen des Kreml, und mit dem Kreml wollen wir dann lieber direkt sprechen.
Ich möchte die Antwort auf die zweite Frage der Großen Anfrage noch einmal kurz zusammenfassen: Die Bundesregierung wird wie bisher alles tun, was in ihrer Macht steht, um den bevorstehenden Ost-, West-Verhandlungen zum Erfolg zu verhelfen. Sie ist der Überzeugung, daß die Frage der allgemeinen und kontrollierten Abrüstung sowohl der konventionellen wie der nuklearen Waffen von entscheidender Bedeutung ist, und glaubt, daß diese Frage, in den bevorstehenden Verhandlungen an die erste Stelle rücken sollte. Sie weiß sich mit ihren Verbündeten in dieser Frage einig und begrüßt es, daß auch die Sowjetunion neuerdings offensichtlich dem Problem der Abrüstung gesteigerte Bedeutung beimißt.Die Bundesregierung ist überzeugt, daß echte Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung, die die Verteidigungsmöglichkeiten der beteiligten Staaten nicht zum Nachteil des einen oder zum Vorteil des anderen Vertragspartners beeinflussen dürfen, die Voraussetzung dafür sein werden, auch die Lösung der politischen Probleme in Angriff zu nehmen. In ) diese Abrüstungsverhandlungen hat sich die Bundesregierung bereits aktiv eingeschaltet. Sie wird alles tun, was in ihrer Kraft steht, um auch durch eigene Vorstellungen so wie seinerzeit bei der Londoner Kommission zu diesem Gespräch beizusteuern, und sie wird alle Vereinbarungen, die dem genannten Ziel entsprechen und auf der Grundlage der Gegenseitigkeit getroffen werden, verwirklichen. Sie wird auch wie seither bemüht sein, zu der poli- tischen Entspannung beizutragen. Das wird sie nicht etwa in der Weise tun, daß sie auf berechtigte Forderungen, weil ihnen die Sowjetunion Widerstand entgegensetzt, verzichtet. Aber sie weiß sich auch mit ihren Verbündeten darin einig, daß die Lösung der politischen Fragen ebenso wie die Abrüstung nur schrittweise erfolgen kann, und sie glaubt, daß der westliche Friedensplan hier echte Perspektiven eröffnet hat, die von jedem ernsthaft geprüft werden sollten, dem es wirklich darum geht, die Spannung zu beseitigen oder zu vermindern.Allerdings, meine Damen und Herren — ich glaube, diese Überlegung müssen wir auch anstellen —, sollten wir uns einmal klarzumachen versuchen, was Entspannung bedeutet. Herr Kollege Achenbach hat mit Recht gesagt: Sicherlich ist kein Volk so sehr daran interessiert, daß diese Unruhe aus der Welt verschwindet und die Gefahr, daß die Spannung zu einer Katastrophe führt, ausgeräumt wird, wie das deutsche Volk, nicht nur weil es seine Vergangenheit noch in Erinnerung hat, sondern auch weil uns die geographische Situation mitten in diese Spannung hineingestellt hat.Abel wir massen uns klar sein, daß auch Entspannung keine Zauberformel ist, und dadurch, daß man von Entspannung spricht, ändert sich an den harten Realitäten des politischen Lebens nichts. Entspannung, wie wir sie wollen, kann sich nur in politischen Entscheidungen zeigen.Voraussetzung einer Entspannung ist z. B., daß wir uns einmal über die Definition der sogenannten Koexistenz einig werden. Noch vor wenigen Monaten haben wir eine authentische Interpretation des Begriffes „Koexistenz", wie ihn die Sowjetunion versteht, gehört. Es hieß:Der Weg der Normalisierung der internationalen Beziehungen kann nicht über eine Aussöhnung der Ideologien und über Absagen an unsere Grundsätze verlaufen. Kommunisten können auf den Kampf für den Sieg der Diktatur des Proletariats nicht verzichten. Sie können nicht verzichten auf den Kampf für die Umwandlung des privaten kapitalistischen Besitzes in einen staatlichen. Auf den ideologischen Kampf verzichten würde bedeuten, freiwillig den Platz an die bürgerliche Ideologie abtreten. Unsere sozialistische Ideologie ist ein Abbild der unbestreitbaren Tatsache, daß die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft in der ganzen Welt unvermeidlich ist.Meine Damen und Herren, wenn das die Koexistenzvorstellung der Sowjetunion ist, dann müssen wir sagen: sie befriedigt uns in keiner Weise, und wir sind nicht bereit, sie zu akzeptieren. Koexistenz setzt zunächst einmal voraus, daß derjenige, der von ihr spricht, die Existenz des anderen anerkennt. Und das ist bis zur Stunde nicht geschehen.
Damit komme ich zu dem Wort „Entspannung". Von demjenigen, der von Entspannung spricht, ist als erster Schritt zur Entspannung eine entsprechende Haltung oder Handlung zu verlangen. Wenn die Sowjetunion von der Entspannung spricht — und wir wollen glauben, daß sie daran auch interessiert ist —, muß sie die Konsequenzen ziehen und anerkennen, daß, wer heute um die Entspannung ringt, darauf verzichten muß, einseitig Handlungen zu unternehmen, die die Spannungen erhöhen können. Das gilt für den Bereich der sowjetisch besetzten Zone wie für den Bereich Berlin. Solange die Sowjetunion droht, einen einseitigen Friedensvertrag mit einem Teil Deutschlands abzuschließen, solange sie droht, ihre Vorstellungen über Berlin im Wege der Gewalt zu verwirklichen, ist der Zweifel berechtigt, ob das, was die Sowjetunion „Entspannung" nennt, mit dem, was wir wünschen, in irgendeiner Weise vereinbar ist.
Zum Schluß komme ich noch auf den dritten Punkt der Großen Anfrage der FDP. — Über die Vorstellungen der Bundesregierung in bezug auf die deutsche Wiedervereinigung habe ich bereits gesprochen. Daher brauche ich dazu, obwohl diese Frage erneut gestellt ist, wohl nichts mehr zu sagen. — Zur Frage der Sicherung des freiheitlichen Status
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5394 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Bundesaußenminister Dr. von Brentanovon West-Berlin sowie der Erhaltung West-Berlins als integralen Bestandteil der Bundesrepublik habe ich mich ebenfalls schon geäußert. Ich bitte mir zu gestatten, auch insoweit auf die Regierungserklärung vom 5. November zu verweisen. Ich habe in dieser Erklärung die Bemühungen geschildert, die die Außenminister unserer Verbündeten auf der Genfer Konferenz unternommen haben. Die vorbereitenden Gespräche, die in den vergangenen Wochen — sei es in Washington, sei eis in London oder Paris — geführt worden sind, zeigen, daß sich die Bundesregierung in dieser Frage auch weiterhin der vollen Unterstützung ihrer Verbündeten sicher sein darf.Noch in jüngster Zeit hat die Bundesregierung ihren Standpunkt betreffend Berlin klargelegt. Ich verweise auf die Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler am 11. Januar dieses Jahres vor dem Berliner Abgeordnetenhaus gemacht hat. Er hat in dieser Erklärung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß noch im vergangenen Jahre die Verbündeten ihre Entschlossenheit bestätigt haben, ihre Position und ihre Rechte in bezug auf Berlin und das Recht auf freien Zugang dorthin zu wahren.Ich möchte es auch hier aussprechen: es geht darum, alles zu tun, um die Rechtsgrundlage zu erhalten, auf der heute die Freiheit Berlins beruht. Sie wissen, daß die Sowjetunion die Meinung vertritt, das Besatzungsrecht sei der Ausdruck einer anomalen Lage und es müsse beseitigt werden. In einer Erklärung, die Herr Chruschtschow in diesen Tagen anläßlich des Besuchs des italienischen Staatspräsidenten abgegeben hat, heißt es:Man muß die Änderungen anerkennen, die nach dem zweiten Weltkrieg erfolgt sind. Man muß diese Änderungen verankern, den Friedensvertrag mit Deutschland unterzeichnen und so die Berlinfrage lösen. Eben dies erstreben wir. Wir schlagen vor, das Besatzungsregime in West-Berlin zu liquidieren.Es klingt gut: „wir wollen das Besatzungsrecht liquidieren", diesen letzten Rückstand aus Zeiten, die hinter uns liegen. Aber die Sowjetunion sollte doch zunächst einmal die Frage stellen, wie eigentlich die Bevölkerung Berlins darüber urteilt, unter welchen rechtlichen, tatsächlichen und politischen Bedingungen die Bevölkerung Berlins leben will. Warum stellt Herr Chruschtschow diese Frage nicht? Er stellt sie nicht an die Menschen in der Bundesrepublik, er läßt sie nicht zu in Berlin, er läßt sie nicht zu in der sowjetisch besetzten Zone. Er würde von allen Deutschen wohl die gleiche Antwort bekommen: daß sie in gesicherter Freiheit leben wollen.Der sowjetrussische Regierungschef spricht so oft von den Realitäten und beruft sich so oft auf die Vernunft und die Einsicht, daß man ihm antworten sollte: Hat er noch nicht begriffen, daß der elementare Wunsch, den das ganze deutsche Volk teilt, der Wunsch nach Freiheit, in der Tat eine Realität ist? Es würde ihm sehr gut anstehen, soviel Vernunft und Einsicht aufzubringen, diese Realität auch anzuerkennen. Damit würde er mehr zum Frieden in der Welt, mehr zur Entspannung, mehr auch zurEntwicklung beständiger guter Beziehungen zwischen dem deutschen und dem russischen Volk beitragen als durch alle die Erklärungen, die in der letzten Zeit wieder abgegeben worden sind und die doch nur geeignet sind, das deutsche Volk zu kränken und es mit tiefem Mißtrauen gegen die Ziele der Sowjetunion zu erfüllen.Zur Frage der Regelung der deutschen Ostgrenzen, die in dieser Anfrage auch gestellt ist, brauche ich nur auf die Regierungserklärung vom 5. November Bezug zu nehmen. Ich habe damals gesagt:Es kommt hinzu . . ., daß in der Frage der Oder-Neiße-Linie der Standpunkt der Bundesregierung sich nicht geändert hat. Zum Problem der deutschen Ostgebiete und zur Frage des Heimatrechts der Vertriebenen als Ausfluß und Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts hat die Bundesregierung am 28. Juni 1956 und am 31. Januar 1957 Erklärungen abgegeben, die auch heute noch gültig sind.Ich glaube, daß ich den Rest dessen, was ich zu diesem Thema gesagt habe, nicht zu zitieren brauche. Die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage hat sich seit diesen Jahren und insbesondere seit dem 5. November 1959 in keiner Weise geändert.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß noch ein Wort. Herr Kollege Achenbach hat an einer Stelle seiner Rede mit Recht darauf hingewiesen, wieviel stärker der Einfluß der deutschen Außenpolitik in der Welt wäre, wenn sie von dem ganzen deutschen Volk, ja, wenn sie von dem ganzen Deutschen Bundestag getragen wäre. Ich habe diesen Appell gehört, und ich möchte ihn unterstreichen.Sicherlich haben wir auch heute aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Achenbach entnehmen müssen, daß in vielen Fragen noch tiefgehende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ich habe nicht verschwiegen, daß wir nicht bereit sind, die Wege zu gehen, die Herr Kollege Achenbach uns gezeigt hat. Wir werden in dieser Diskussion auch noch — das ist das Wesen einer solchen Diskussion — andere Kritik hören. Aber ich glaube, es wäre eine Stärkung für die Verwirklichung des Anliegens, das das ganze deutsche Volk hat, wenn wir uns nicht scheuten, einmal auch über die Gemeinsamkeit des Zieles zu sprechen, und die Verschiedenheit der Methoden ein wenig in den Hintergrund treten ließen.
Es sollte kein Zweifel bestehen und kein Zweifel offenbleiben, weder im Westen noch im Osten, daß diese gewissen Grundsätze, von denen ich soeben sprach, Gemeingut des deutschen Volkes sind und daß niemand im deutschen Volk, in keiner politischen Partei, bereit ist, sich von diesen Grundsätzen zu entfernen. Wenn dies das Ergebnis einer solchen Debatte wäre, würde ich das dankbar begrüßen; denn es würde die deutsche Position bei den bevorstehenden Verhandlungen entscheidend stärken.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5395
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Den Ausführungen des Herrn Kollegen Achenbach bin ich mit großer Aufmerksamkeit gefolgt, wenigstens zu zwei Dritteln der Rede; nachher langte mein Geist nicht mehr, um folgen zu können. Ich habe den Eindruck— ich habe meine Notizen über seine Rede hier vor mir liegen und sie soeben noch einmal durchgeblättert —, als wenn an seiner Erklärung zwei Männer gearbeitet hätten. Das erste war ganz gut.
Was nachher kam, war weniger gut.
Das erste — Herr Kollege von Brentano hat das soeben unterstrichen — war ein Appell an alle Parteien dieses Hauses, in entscheidenden Fragen, in Lebensfragen des deutschen Volkes, zumal in der Außenpolitik, wenn irgend möglich und soweit wie irgend möglich, gemeinsam zu gehen. Das ist ein Appell — Herr Achenbach hat darauf hingewiesen —, den ich auch in meiner ersten Regierungserklärung dieser Legislaturperiode des Bundestages ausgesprochen habe und der mir seit dieser Zeit immer und immer wieder am Herzen liegt, auch jetzt am Herzen liegt, meine verehrten Damen und Herren.Ich hoffe, daß wir uns doch wenigstens schrittweise näherkommen, und ich habe den Eindruck, daß dies der Fall ist. Besonders klar hat sich dies mir gezeigt, als ich Anfang dieses Jahres vor dem Berliner Abgeordnetenhaus sprach, in dem ja dieselben Parteien wie in diesem Hause vertreten sind. Dort konnte ich zu meiner großen Freude feststellen, daß wir in dieser Frage des Schicksals Berlins völlig einig waren.Dieses Schicksal Berlins steht nicht für sich allein da, sondern hängt mit der ganzen weltpolitischen Lage und der sich aus dieser nach meiner Überzeugung notwendig ergebenden Richtung unserer Außenpolitik zusammen. Wir liegen in der Mitte. Ich las dieser Tage zufällig einen Satz, in dem stand, daß ein Land, das in der Mitte liegt, darin keinen Gewinn erblicken kann und darf, sondern eine große Last und eine sehr ernste Mahnung. Das ist auch richtig. Weil wir in der Mitte liegen, ist uns— davon bin ich überzeugt — unsere Politik in den großen Zügen zwangsläufig vorgeschrieben.Herr von Brentano hat schon auf verschiedene Ausführungen des Herrn Achenbach geantwortet. Ich möchte dem nur noch wenige Sätze hinzufügen. Das Verhalten Sowjetrußlands in der Frage Berlin auf der Maikonferenz ist ein Testfall dafür, ob Sowjetrußland eine Entspannung ernsthaft will oder nicht.
Ich glaube, man kann nicht von Entspannung sprechen, wenn man gleichzeitig — meine Damen und Herren, ich wiederhole: gleichzeitig — von einem Vertrage, von einer Rechtsbasis, die man an sich anerkennt — denn das hat Herr Chruschtschow getan; er hat es noch in dem letzten Brief an mich getan —, abgeht und von den anderen Teilnehmern, die auf derselben Rechtsbasis stehen, verlangt, daß sie einem folgen. Ob Sowjetrußland wirklich ernsthaft eine Entspannung will, wird sich, glaube ich, auf der Maikonferenz bei der Behandlung der Frage Berlin zeigen.Herr von Brentano hat längere Ausführungen über unseren Standpunkt bezüglich Berlin gemacht. Ich kann mich daher kurz fassen und sagen— und ich befinde mich da in voller Übereinstimmung mit dem gesamten Abgeordnetenhaus und dem Senat von Berlin sowie mit seinem Bürgermeister Brandt —, daß die jetzige Rechtslage, der jetzige Rechtsstatus Berlins nicht beeinträchtigt werden darf, ehe die ganze deutsche Frage wirklich gelöst werden kann.
Alles, was man jetzt tun würde, würde zum Schaden Berlins gereichen, und das, meine verehrten Damen und Herren, können wir einfach nicht verantworten.
Es ist sehr schwer — das weiß ich —, mit Herrn Chruschtschow zu verhandeln. Ich weiß es von meinem damaligen Besuch in Moskau, ich weiß es auch von dem Briefwechsel, den ich mit ihm führe. Diesen Briefwechsel wollen wir fortführen. Er will es, und ich will es. Nicht daß dieser Briefwechsel jetzt schon irgendeinen sichtbaren Erfolg gehabt hätte, aber ich bin der Auffassung, daß man in einer so außerordentlich wichtigen Frage wie dieser Frage zwischen Sowjetrußland und uns niemals die Geduld verlieren darf,
sondern daß man immer und immer wieder versuchen sollte, irgendwie und an irgendeiner Stelle eine Möglichkeit zu erspähen, sich näherzukommen zu dem gemeinsamen Ziel. Dieses gemeinsame Ziel— das möchte ich auch Herrn Achenbach gegenüber noch einmal betonen — ist die kontrollierte Abrüstung für alle. Selbstverständlich! Er hat die Frage gestellt, ob wir bereit seien, uns in ein solches System hineinzustellen. Ich habe das seit Jahr und Tag erklärt, meine Damen und Herren,
und ich habe bei Zusammenkünften mit den Spitzen der mit uns verbündeten Staaten immer wieder betont, daß diese Frage der kontrollierten Abrüstung über das Schicksal der ganzen Welt entscheidet und daher die entscheidende Frage für alle sein muß.
Ich habe soeben gesagt, daß mit Herrn Chruschtschow schwer zu verhandeln und auch schwer zu schreiben ist. Aber das Neueste will ich Ihnen doch nicht vorenthalten. Herr Chruschtschow — ich möchte den Namen hier nicht zu oft nennen, damit das Ganze nicht wie eine Auseinandersetzung zwischen mir und Chruschtschow aussieht. Ein solcher Gedanke wäre ja Unsinn. Es handelt sich vielmehr
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5396 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Bundeskanzler Dr. Adenauerum eine Auseinandersetzung im Lebenskampf zwischen der Freiheit und der Unfreiheit.
Was wollen wir, meine Damen und Herren? Was wollen wir für uns, was wollen wir für die Deutschen, auch für die Deutschen in der Zone, auch für die Deutschen in Berlin? Wir wollen nichts anderes als das Recht, über sein eigenes Schicksal zu bestimmen, ein Recht, das jedem Volk in Afrika jetzt zuerkannt wird.
In dem Gespräch, das jetzt in Moskau zwischen dem Staatspräsidenten Gronchi, dem italienischen Außenminister Pella und den russischen Vertretern, an der Spitze natürlich Herr Chruschtschow, stattgefunden hat, ist von italienischer Seite die Frage gestellt worden, ob Sowjetrußland bereit sei, den von ihm gemachten Vorschlag, Berlin zu einer „freien Stadt" zu machen, einem Volksentscheid der Berliner Bevölkerung zu unterbreiten. Was ist von Herrn Chruschtschow darauf geantwortet worden? Er hat gesagt, daß er das Selbstbestimmungsrecht der Berliner Bevölkerung nur hinsichtlich der Wahl des sozialen und wirtschaftlichen Regimes, aber nicht darüber hinaus anerkennen könne.
Das, meine Damen und Herren, ist eine sehr ernste und ungemein wichtige Erklärung.Berlin! Es wird jetzt vom Auswärtigen Amt eine auch in rechtlicher Beziehung sehr notwendige Zusammenstellung darüber gefertigt, wie sich die ganze Frage Berlins entwickelt hat. Meine Damen und Herren, Berlin gehört nicht Sowjetrußland, Berlin gehört zu Deutschland und ist von vier Mächten besetzt. Nach meiner Auffassung der Dinge kann gar keine Rede davon sein, daß irgendwie und irgendwann und irgendwo der Berliner Bevölkerung das Recht nicht zugesprochen werden muß, über ihr Schicksal selbst zu entscheiden.
Herr von Brentano hat schon Ausführungen über die gegenwärtige Lage und über die Mai-Konferenzen gemacht. Lassen Sie mich dem noch einige Worte hinzufügen. Sie wissen, daß ich binnen kurzem eine Reise in die Vereinigten Staaten antreten werde. Es liegt mir sehr viel daran, gerade in den Vereinigten Staaten in dieser Zeit bei den Vertretern der öffentlichen Meinung, bei der Presse, bei den Mitgliedern des Senats und des Repräsentantenhauses, darauf hinzuweisen, wie wir die deutsche Frage sehen und wie wir innerhalb der deutschen Frage die Berlin-Frage sehen. Sie wissen auch, daß ich eine längere Zusammenkunft mit dem Präsidenten Eisenhower und danach mit dem Staatssekretär Herter haben werde. Ich bin überzeugt, daß man in den Vereinigten Staaten für unsere Situation und für unsere Einstellung zu den ganzen Fragen Verständnis hat.Die West-Ost-Konferenz wird in der zweiten Hälfte Mai in Paris stattfinden. Die maßgebenden Teilnehmer — Sie wissen, daß wir nicht zu ihnen gehören; deswegen will ich mich aber nicht etwa von dem, was ich jetzt sage, irgendwie absetzen — haben von Anfang an davon gesprochen: da man nicht damit rechnen könne, daß die sehr großen und sehr wichtigen Fragen, die auf die Tagesordnung der West-Ost-Konferenz kommen, in den wenigen Tagen, die zur Verfügung stehen, gelöst werden könnten, würden weitere derartige Konferenzen folgen. Darum wiederhole ich: nicht die Geduld verlieren!Nach der West-Ost-Konferenz findet die Reise Eisenhowers nach Sowjetrußland statt. Es ist interessant, daß seinerzeit der Juni als Termin für diese Reise von sowjetrussischer Seite vorgeschlagen worden ist, doch offenbar in der Erwartung, daß man sich bei dieser Reise mit dem wichtigsten und mächtigsten Partner des Westens über die Vorgänge auf der West-Ost-Konferenz weiter unterhalten und weitere Gedanken austauschen könne.Herr von Brentano hat von der Entspannung geredet. Auch hier möchte ich das sagen, was er gesagt hat: Das Wort „Entspannung" bedeutet an sich noch gar nichts. Die Entspannung kann vielmehr nur durch Vereinbarungen über Abrüstung und durch die Lösung anderer Fragen herbeigeführt werden. Aber Herr Chruschtschow hat vor kurzem zwei Raketen in den Pazifischen Ozean geschossen. Das hat er nicht zur Entspannung getan, meine Damen und Herren. Er hat es vielleicht als Vorbereitung getan, weil er glaubt, daß er durch diese Dokumentierung der Macht Sowjetrußlands, einer Macht, die keiner von uns irgendwie verkennt, seine Position, die russische Position auf der West-Ost-Konferenz, der Gipfelkonferenz, stärken würde. Er liebt solche Gesten. Er ist ein sehr temperamentvoller Mann, und man muß die Männer nehmen, wie sie sind.
Aber man muß auch selbst so sein, wie man ist,
und deswegen darf man sich von solchen Gesten nicht zu sehr beeindrucken lassen. Ich meine, die Aussichten, zu einer verständigen Regelung der ganzen Fragen zu kommen, sind viel besser, wenn man sich auch seiner eigenen Kraft und seiner eigenen Stellung bewußt ist, und das, glaube ich, kann man sowohl von den Vereinigten Staaten wie von Großbritannien wie von Frankreich sagen. Aber auch wir, die wir ja nun Vorbereiter, Zuhörer und Zuschauer sind, und unser deutsches Volk insgesamt sollten sich nicht zu sehr davon beeindrucken lassen. Denn bei solchen Verhandlungen, bei solchen Auseinandersetzungen und Aussprachen, wie sie dort sein werden, ist natürlich — lassen Sie es mich noch einmal sagen, meine verehrten Damen und Herren — die Kenntnis von der Macht des Gegners notwendig, aber ebensogut auch das Bewußtsein der eigenen Stärke, und daran wollen wir mit großer Geduld festhalten.Ich glaube, daß das Parlament, die Volksvertretung in irgendeiner Form unterrichtet werden muß, wenn die jetzigen, sehr intensiv betriebenen Vorarbeiten für die Gipfelkonferenz bis zu einem ge-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5397
Bundeskanzler Dr. Adenauerwissen Stadium gekommen sind. Denn diese Gipfelkonferenz wird doch ein Ereignis von sehr großer Bedeutung sein — vielleicht der Anfang einer Entwicklung, jedenfalls aber ein Ereignis von sehr großer Bedeutung. Daher fühle ich auch die Verpflichtung, meine Damen und Herren, wenn, wie ich soeben sagte, die Vorbereitungen bis zu einem gewissen Stadium gediehen sind, so daß man wirklich eine klare Ubersicht darüber geben kann, wie die Dinge liegen, den Vertretern des Bundestages — in welcher Form und mit wem, darüber müssen wir uns noch verständigen — Einblick in diese Dinge zu geben.
Aber ich wiederhole, meine Damen und Herren —und ich bitte Sie, mir das zu glauben — —
— Wenn Sie sagten: Ich bitte, mir zu glauben, würde ich nicht lachen,
und wenn ich lachte, würde ich es nur innerlich tun.
Aber ich lache gar nicht über das, was Sie sagen, meine Damen und Herren von der SPD. Im Gegenteil, ich nehme Ihre Stellung, die Stellung der Opposition sehr ernst.
— Wenn ich Sie ernst nehme, brauche ich doch nicht alles zu tun, was Sie wollen. Sonst gäbe ich mich ja selbst auf.
Aber ich wiederhole: Ich nehme Sie sehr ernst und überlege Ihre Darlegungen sehr wohl und sehr genau. Denn über das, was sich in den zehn Jahren, die hinter uns liegen, ereignet hat und in den nächsten Jahren ereignen wird, werden wir alle miteinander einmal dem deutschen Volke Rechenschaft geben müssen, und das deutsche Volk, die Zukunft wird über uns urteilen.
Deswegen sage ich nochmals: ich nehme Ihre Einwendungen durchaus ernst. Denn auch das ist richtig: wenn es uns gelänge, in den entscheidenden Lebensfragen des deutschen Volkes, um die es sich in dieser ganzen Periode handelt, im großen und ganzen — nicht in allen Einzelheiten — einig zu sein, würde das einen großen Vorteil für die Sache des deutschen Volkes in der ganzen Welt bedeuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es entspricht der Auffassung des gesamten Bundestages, daß diese Aussprache keine Spezialdebatte über Berlin ist. So ist sie auch eingeleitet worden, und so werden wir siefortführen. Wir werden die Berlin-Frage in die größeren Zusammenhänge hineinstellen, in die sie hineingehört. Denn wenn wir verlangen, daß in der internationalen Debatte das Berlin-Problem nicht isoliert behandelt wird, müssen wir auch hier im Bundestag ein Beispiel dafür setzen, in welche Zusammenhänge im Ganzen es hineingehört.Einige der großen Probleme, um die es dabei geht, sind heute sowohl in der Begründung der Großen Anfrage durch die Freien Demokraten als auch dann von der Bundesregierung bereits gekennzeichnet worden.Im Jahre 1960 werden wir es vermutlich mit einer beginnenden Serie von Konferenzen zu tun haben. Zu diesen Konferenzen sind die Weltmächte gezwungen, weil ihnen das „Gleichgewicht des Schrekkens" keinen anderen Weg übrig läßt. Sie müssen miteinander reden. Sie suchen einen bewaffneten Konflikt zu vermeiden.Mich hat sehr beeindruckt, was der amerikanische Außenminister Herter zu diesem Zwang, der die Weltmächte an den Verhandlungstisch treibt, kürzlich ausgeführt hat. Er meinte:Die oberste Frage, der sich unsere Welt heute gegenübersieht, lautet: Wie kann sich das Rivalisieren zwischen politischen Systemen im Laufe der Geschichte lösen, ohne daß es zu einer Atomkriegsexplosion führt? ... Dieses gemeinsame Interesse liegt einfach in dem fundamentalen Willen, zu überleben, der von der freien Welt wie von den Kommunisten gleichermaßen geteilt wird.... Beide Seiten sehen sich nicht hinzunehmenden Risiken eines allgemeinen Atomkrieges, der gegenseitigem Selbstmord nahekommen würde, gegenüber, wenn nicht der Lauf der Ereignisse geändert wird, und zwar sehr bald.Und dann fuhr Herter fort — und ich glaube, das ist schon in vielen Dingen eine etwas tiefere Sprache, als wir sie zu diesem Problem vom Herrn Bundesaußenminister soeben vernommen haben —:Der Wettbewerb wird weiter hart bleiben. Chruschtschow macht keine Umstände hinsichtlich seiner letzten Ziele. Aber die Notwendigkeit, beide Tatsachen — das Bedürfnis nach gemeinsamen grundlegenden Regeln und den aggressiven Wettbewerb — klar zu erkennen, wird eine schwere Probe auf die politische Reife unseres Volkes sein.Und, so meint Herter:Es war viel einfacher, als wir in Schwarz und Weiß denken konnten. . . . Es wird daher im höchsten Grade guter und starker Nerven bedürfen, um eine neue Beziehung zwischen den entgegengesetzten Systemen aufzubauen. Aber es muß getan werden, wenn die Zivilisation überleben soll!
Ich habe dieses Zitat hier gebracht, weil ich meine, daß wir es uns nicht so einfach machen dürfen, zu verlangen, Voraussetzung der Entspannung
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5398 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Erlersei, daß Herr Chruschtschow oder die sowjetische Führung ihrer kommunistischen Ideologie abschwören. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich darauf einrichten, daß die das nicht tun werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß Chruschtschow dem Kommunismus abschwört, ist genauso groß wie die, daß der Papst evangelisch wird. Beides werden wir wohl kaum erwarten dürfen.
Wir werden uns, auch wenn Chruschtschow Kommunist bleibt, mit der Realität drüben auf die geeignete Weise auseinandersetzen müssen. Der Wettbewerb wird weitergehen. Unsere Aufgabe ist es, zu beweisen, daß unsere Ordnung die überlegene und die bessere ist — darauf, glaube ich, kommt es an —,
und zu verhindern, daß uns etwa eine Ideologie und Herrschaftsform aufgezwungen wird, die wir nicht mögen.Wir dürfen davon ausgehen, daß beide Seiten entschlossen sind, einen bewaffneten Konflikt zu vermeiden, daß beide aber auch ebenso fest entschlossen sind, hart zurückzuschlagen, falls sie angegriffen würden. Das gilt für beide Seiten.Ich sage das, weil ich nachdrücklich vor einer Drachensaat warnen möchte, die augenblicklich in unserem Volke zu säen versucht wird, vor jener Ideologie, welche die Illusion nährt, man könne die Sowjetunion durch glaubhafte Drohung mit Krieg dazu zwingen, Berlin, Mitteldeutschland, die Gebiete jenseits der Oder und Neiße herauszugeben und die kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa aufzugeben.
— Sie wissen, von wem ich spreche; aber ich werde es Ihnen auch gleich noch sagen. Die These jener schrecklichen Vereinfacher lautet, die Sowjetunion brauche den Frieden mehr als der Westen — nebenbei: wer mit einem solchen Argument operiert, der macht für die Kommunisten eigentlich noch Propaganda und hat sich bei ihnen einen Orden verdient —, deshalb müsse man sie nur deutlich genug mit dem Atomkrieg bedrohen, um sie zum Rückzug zu zwingen. Wäre der Westen, so meint jener Mann, glaubhaft entschlossen, den Krieg für diese Ziele und nicht etwa nur für die Verteidigung gegen einen sowjetischen Angriff wirklich zu führen, so würde die Sowjetunion kampflos zurückweichen.Meine Damen und Herren, das ist ein katastrophaler Irrtum. Der Sowjetunion wäre diese Entschlossenheit nur dadurch glaubwürdig zu beweisen, daß man den Krieg auch anfinge und damit praktisch ein Verbrechen beginge; das wäre zugleich der kollektive Selbstmord unseres Volkes.
Der gefährlichste, leider allzusehr akklamierte Vertreter dieser simplifizierenden Demagogie ist Herr Schlamm. In Münster hat er ausgeführt, der Westen solle die Russen mit der ultimativen Drohung des Atomkrieges auffordern, Europa zu räumen; wir müßten zum Atomkrieg glaubhaft, d. h. ernstlich bereit sein. Wohlgemerkt: nicht zum Schutze gegen einen sowjetischen Angriff, sondern zur Lösung der uns bewegenden politischen Fragen!Die Bundesregierung hat wiederholt, so auch heute, erklärt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit nur mit friedlichen Mitteln herbeigeführt werden darf. Die Thesen des fahrenden Demagogen Schlamm stehen in diametralem Gegensatz zu diesen Erklärungen der Bundesregierung. Die Aufforderung, zu einem solchen Kriege, wie er ihn meint, entschlossen zu sein, verstößt gegen Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes:Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Bürger zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten,— dazu gehört ja doch wohl auch die ideologische Vorbereitung —sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.Damit stellt sich angesichts des Aufsehens, das jener Mann nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus erregt, eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung, ob sie sich von jenen Lehren distanziert und wie sie dem Grundgesetz Geltung zu verschaffen gedenkt.
Das Grundgesetz gilt nicht nur für deutsche Staatsbürger, es giltauch für Ausländer.
In anderen Fällen achtet die Bundesregierung sehr darauf, daß Ausländer sich in unserem Lande in politischen, Fragen einer gewissen Zurückhaltung befleißigen.
Mich beschleicht beim Auftreten jenes Mannes die beklemmende Erinnerung an einen anderen Osterreicher.
Er peitscht genau jene Gefühle in unserem Volke auf, die ein anderer einmal zum Verderben der Nation mobilisiert hat.
Die Bundesregierung darf es nicht dulden, daß Zweifel an der deutschen Glaubwürdigkeit entstehen, die Wiedervereinigung nur mit friedlichen Mitteln herbeiführen zu wollen. Die Bundesregierung spricht davon, daß — auch wenn Reden anderer dazu nicht ausreichten, sondern Taten notwendig seien — sie sich einsetze für eine Politik der Entspannung, für eine Politik der Abrüstung; so äußerte sich der Bundeskanzler in zahlreichen Erklärungen der jüngsten Zeit und auch heute wieder und so steht es auch in seinem Brief an den sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow.Deutscher Bundestag - Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5399ErlerDiese Erklärungen werden unglaubwürdig, wenn Herr Schlamm die deutsche Politik kommentiert und die Bundesregierung das hinnimmt oder indirekt vielleicht sogar fördert.
- Meine Dannen und Herren, Schlamms Auftretenund seine Förderung — und sei es auch nur durch gewisse, den Regierungsparteien nahestehende Organisationen in Frankfurt am Main — schädigen die Interessen des deutschen Volkes.
Wer sich nicht eindeutig von diesen Thesen distanziert und damit dean Beifall klatschenden Teil der Studentenschaft klarmacht, daß er sich in Widerspruch zur Politik dieses Hauses — und auch der Mehrheitsparteien — befindet, der läßt unter Umständen den Verdacht einer geistigen Verwandtschaft, aufkommen, den er schleunigst ans dem Wege räumen sollte.
— Meine Damen und Herren, dann äußern Sie sich doch dazu, wir warten darauf!
Zudem ist zu sagen, daß Worte, die unserem Volke erneut ein gewisses Sendungsbewußtsein einzuimpfen versuchen,
auch nicht gerade geeignet sind, die Absage anHerrn Schlamm besonders glaubwürdig zu machen.
Militärische Anstrengungen zur eigenen Sicherheit sind eine Sache; aber sie sind untauglich zum Erlangen dessen, was wir leider nicht besitzen, nämlich zur Erlangung der Einheit unseres Volkes und zur Sicherung eines friedlichen Zusammenlebens eines wiedervereinigten deutschen Volkes. Diese Art Politik der militärischen Stärke, die darauf abzielt, durch militärische Anstrengungen dahin zu gelangen, ist gescheitert. Politische Probleme verlangen politische Lösungen.Der Herr Bundeskanzler hat uns in Erinnerung gerufen, daß wir ein Volk der Mitte seien. Ich möchte hier einflechten, daß eis zwischen uns — das sei ganz offen ausgesprochen — jene langandauernde Meinungsverschiedenheit gegeben hat und noch gibt, welche politischen Notwendigkeiten sich aus dieser Mittellage ableiten. Es ist unbestritten, daß 'es eine vordringliche Aufgabe der Deutschen sein mußte, den Ausgleich mit den früheren politischen Gegnern im Westen zu suchen. In Ordnung! Aber die Methoden zur Erreichung dieses Ausgleichs durften nicht so beschaffen sein, daß man durch sie unsere Verhältnisse nach Osten unnötig zuspitzte. Dias ist der wesentliche Differenzpunkt vieler 'außenpolitischer Diskussionen der letzten Jahre.
— Nein, sicher nicht allein;
aber die Vorrangigkeit mancher Ziele hat mit zu einer Entwicklung beigetragen, deren bittere Ergebnisse heute vor uns liegen.
Der Herr Bundeskanzler hat uns beschworen — und ich teile hier seine Sehnsucht, nur hängt es auch sehr von ihm ab, wieweit wir sie erfüllen können —, man möge doch künftig in den Lebensfragen der Nation gemeinsame Lösungen finden. Sicher, das wäre für unser ganzes Volk geradezu eine Erlösung, es wäre eine unerhörte Stärkung auch der die Geschäfte führenden, die Politik betreibenden Bundesregierung, wenn sie vor die Umwelt treten könnte und nicht nur in der Frage Berlin — dort kann sie es heute schon — vor der ganzen Welt sagen könnte: Wir sprechen in diesen Fragen für die ganze Nation und nicht nur für die Regierungsmehrheit, — wenn das auch in den großen Fragen der Wiedervereinigung und der Sicherheitspolitik möglich wäre.Vom Wünschen allein aber kommt die Gemeinsamkeit nicht. Dazu gehört von der Seite der Regierung mindestens die Bereitschaft, mit der Opposition, mit den anderen demokratischen Kräften die politischen Entscheidungen zu erörtern, bevor sie gefallen sind, und nicht hinterher den Anschluß zu verlangen.
Was nützen uns heute Beschwörungen der Gemeinsamkeit durch den Kanzler und den Außenminister, wenn — das sei nur ein kleines Beispiel— in der letzten Sitzung des Auswärtigen Ausschusses dem Ausschuß verschwiegen wurde — der Minister hat vergessen, es ihm zu sagen —, daß am Nachmittag des gleichen Tages in Moskau der Antwortbrief des Bundeskanzlers auf den letzten Brief Chruschtschows überreicht wurde? Weder von der Tatsache des Briefes noch gar von seinem Inhalt ist der Auswärtige Ausschuß unterrichtet worden.
Eine solche mangelnde Bereitschaft auch nur zur Information, geschweige denn zur gemeinsamen Erarbeitung einer politischen Linie kann doch nicht die Grundlage sein, um darauf eine wirkliche gemeinsame Außenpolitik zu bauen.
Dazu gehört auch, daß man in den innenpolitischen Auseinandersetzungen den politischen Gegner nicht verketzert. Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, auf diesem Gebiet sind Sie ein unerreichter Meister. Die Gemeinsamkeit der Außenpolitik setzt
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Erlervoraus, daß der Regierungschef auch den anderen Parteien gegenüber und nicht nur in diesem Hause eine Sprache spricht, die den Graben in der Nation nicht vertieft und aufreißt, sondern sich bemüht, Brücken zueinander zu schlagen. Wer die höchste Verantwortung trägt, muß auch diese spüren.
In der deutschen Frage haben wir also leider in den letzten 10 Jahren keine Fortschritte zu verzeichnen. Ein jeder gibt zu, daß die Lage heute schlechter ist als manchesmal in der Vergangenheit. Den Darlegungen des Außenministers zu diesem Thema hat kürzlich der bekannte Publizist Paul Sethe gewissermaßen im voraus geantwortet. Er schrieb:Nach schweren Niederlagen sind die Anhänger einer vernünftigen Politik immer in der verzweifelten Lage, nicht mathematisch beweisen zu können, daß sie das Unheil hätten vermeiden können. Nach den deutsch-englischen Verhandlungen um die Jahrhundertwende, nach der Mission Haldanes 1912, nach dem ersten Weltkrieg, nach den russischen Noten 1952 bis 1955, immer sind kluge und gelehrte Leute gekommen, die uns nachgewiesen haben, daß durch die Politik der Gegenseite „wie ein roter Faden" nackter Machtegoismus oder ideologische Selbstsucht zu erkennen seien, daß geschicktere, wirklichkeitsnähere Verhandlungsführung doch keinen Sinn gehabt hätte. Aber man hat sie ja niemals versucht!So Paul Sethe. Doch nur um darzulegen, wie weit Gemeinsamkeit in der Vergangenheit möglich war oder nicht, habe ich das hier heraufbeschworen. Lassen wir uns jetzt nicht unnötig durch die Vergangenheit beschweren, sondern versuchen wir die Gegenwart einer Prüfung zu unterziehen und die Aufgaben der Zukunft miteinander zu erörtern.Jetzt steht die Berlin-Diskussion im Schatten ernster Drohungen. Die Lage Berlins ist tatsächlich unnatürlich, aber sie ist es deshalb, weil Deutschland gespalten ist und weil Berlin nicht die ordentliche Aufgabe der funktionierenden Hauptstadt eines ganzen Deutschlands innehat, die ihm gebührt. Die Lage wird unnatürlich bleiben, solange Berlin nicht wieder die Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands ist. Ganz Berlin ist unter dem Dach des Viermächtestatus eine selbst noch einmal zweigeteilte Stadt.Die einzige wirkliche Lösung ist die, von der ich eben sprach: Wiederherstellung der Hauptstadtfunktion im Zuge der Wiedererlangung der deutschen Einheit. Erst dann wäre Berlin keine Insel mehr. Solange das nicht erreicht ist, wird Berlin immer dem Druck der Umgebung ausgesetzt, also gefährdet sein.Nun kann der Druck, der jetzt ausgeübt wird, veranlassen, zu sagen: Um bis zur Wiedervereinigung Deutschlands die Lösung der Deutschland-Frage und auch das Los unserer Landsleute in Berlin nicht zu gefährden, wäre es am besten, dort alles beim alten zu lassen und gar nicht über Berlin zu reden. Ich fürchte, man wird über Berlin sprechen, und zwar ganz einfach deshalb, weil die amerikanische Regierung im Worte ist. Wenn wir uns in unserer Sicherheit sehr weitgehend auf das Wort der amerikanischen Regierung verlassen, dann müssen wir auch hinnehmen, daß der amerikanische Präsident anderen gegenüber ein gegebenes Wort hält. Es wird also über Berlin gesprochen werden.Aber worauf es ankommt, ist das Wie. Deshalb ist es notwendig, daß der Bundestag am heutigen Tage — und darüber bin ich froh — in seinem Beitrag zu dieser Seite der anstehenden 'Probleme die gemeinsame Haltung unseres Volkes einschließlich der Berliner klarmacht und dabei wohl auch die gemeinsame Haltung unserer westlichen Verbündeten zutreffend interpretiert.Wir können uns hier auf ein interessantes Dokument stützen, auf die Fünf-Punkte-Erklärung, die der Regierende Bürgermeister Brandt im Auftrage des Berliner Senats am 7. Januar 1960 im Berliner Abgeordnetenhaus abgegeben und der sich der Herr Bundeskanzler dann angeschlossen hat. Ich möchte die wesentlichen Kernpunkte in Erinnerung rufen.Erstens. Die Anwesenheit der Westmächte in Berlin und ihre Rechte in bezug auf Berlin beruhen auf ihrer sicheren Rechtsposition aus den Vereinbarungen der Jahre 1944 und 1945.Zweitens. West-Berlin gehört zum freien Teil Deutschlands. Die mit Wissen und Billigung der Westmächte in den vergangenen zehn Jahren erfolgte Eingliederung Berlins in das Rechts-, Finanz-und Wirtschaftssystem des Bundes ist ein Grundpfeiler für die freiheitliche Existenz dieser Stadt. Berlin kann auch seine Funktion als Klammer zwischen den beiden Teilen Deutschlands nur dann wirksam erfüllen, wenn die engen Bande zwischen Berlin und dem Bund erhalten bleiben und, wo immer möglich, gefestigt werden.Hierzu muß ich eine Anmerkung machen. Unsere Position wäre heute stärker, wenn die Bundesregierung diese klare Verbindung der Bundesrepublik mit Berlin auch früher schon eindeutig bekundet hätte.
Leider haben wir schon während der Berlin-Krise im vergangenen Jahr durch den Herrn Innenminister und einen damals ergangenen Kabinettsbeschluß anläßlich der Wahl des Bundespräsidenten in Berlin kein gutes Beispiel gehabt.
Ich bin deshalb sehr froh, daß sich die Bundesregierung nunmehr — jedenfalls bei dem Besuch in Berlin — dazu entschlossen hat, die damals vertretene Meinung des Bundestages ausdrücklich zu teilen. Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt.
Drittens. Der freie Zugang von und nach Berlin darf nicht eingeschränkt, sondern sollte vervollkommnet und verbessert werden. So ist es nach der Aufhebung der Blockade durch die Vier-Mächte-Beschlüsse zugesagt worden.
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ErierViertens. Jede etwaige Vereinbarung über Berlin darf den eindeutigen Willen der Berliner Bevölkerung nicht unberücksichtigt lassen. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das Selbstbestimxnungsredit.Fünftens. Berlin muß weiterhin Begegnungsstätte für zwischenmenschliche Beziehungen, vor allem unter den Deutschen aus beiden Teilen Deutschlands, bleiben.Soweit die fünf Punkte, die, glaube ich, eine gute Grundlage für eine gemeinsame Politik des ganzen Hauses in dieser Frage sind.Das Ulbricht-Regime behauptet, die Bundesrepublik habe keinerlei rechtlich fundierte Beziehungen zu Berlin, und die einzige für Berlin — und zwar sogar auch für West-Berlin — zuständige Regierung sei die in Pankow. Das, meine Damen und Herren, ist eine Anmaßung, die ganz klar zurückgewiesen werden muß.
Die Vier-Mächte-Vereinbarungen des Jahres 1944 schufen die Besatzungszonen und gaben Berlin außerhalb dieser Besatzungszonen einen Sonderstatus. Am 12. September 1944 wurde in den Londoner Protokollen die Einrichtung von Besatzungszonen in Deutschland und eines ,besonderen Berliner Gebiets vereinbart. Dieses Gebiet sollte von den damaligen Alliierten gemeinsam besetzt und ausdrücklich aus der sowjetischen Besatzungszone ausgenommen sein. Von einer Zugehörigkeit Berlins zu dieser Zone war nie die Rede.Tatsädilich waren, bevor die Vereinbarungen durchgeführt wurden, sowjetische Truppen zuerst in ganz Berlin, dafür aber amerikanische Truppen zuerst in großen Teilen Mitteldeutschlands, in ganz Thüringen und in Sachsen bis zur Elbe und zur Mulde. Dann wurden die Vereinbarungen durchgeführt. Wenn man den damaligen Briefwechsel nachliest, kann man sich davon überzeugen, daß die seinerzeitige Führung der Vereinigten Staaten den Rückzug aus jenen Gebieten der Sowjetzone ausdrücklich nur unter der Bedingung vorgenommen hat, daß damit der neue Status für Berlin gesichert würde, und zwar für ganz Berlin außerhalb der sowjetischen Zone. Von der späteren Pankower Regierung war in diesem Zusammenhang gar keine Rede.Mit der Organisierung deutscher Staatsgewalt in den beiden Teilen Deutschlands kam es schließlich zur Anwesenheit beider Staatsteile unter dem VierMächte-Dach in ganz Berlin. Es gibt keinen VierMächte-Status mir für West-Berlin; das muß auch einmal festgehalten werden.
Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, daß eine isolierte Erörterung der Berlin-Frage gefährlich wäre. Die Sowjetunion hat die Krise selbst heraufbeschworen. Dafür sind verschiedene Motive denkbar. Vielleicht wollte sie auf diese Weise einen Hebel haben, um ein Direktgespräch mit den Vereinigten Staaten zu erwirken, das ja tatsächlich eingeleitet worden ist. Ein Motiv hat die Sowjetunion sicher nicht gehabt: den freiheitlichen Status West-Berlins zu verbessern.Worauf es jetzt ankommt, ist, die physische An wesenheit der Westmächte zum Schutze der Frei. heit Berlins zu sichern, die Zugehörigkeit Berlin: zum Währungs-, Wirtschafts- und Rechtssystem de: Bundesrepublik zum Schutz der Lebensfähigkeit de: Stadt und als Ausdruck freier Entscheidung ihre: Bürger zu garantieren. Worauf es weiter ankommt ist, kein drittes Staatsfragment auf deutschem Bo den schaffen zu lassen, weil das überall als Be siegelung der Teilung Deutschlands empfunder würde.
Die Erreichung dieser Ziele kann aber nur in engster Solidarität mit den Westmächten, vor allem der Vereinigten Staaten und Großbritannien, gewährleistet werden. Es ist bedauerlich, daß es da in letzter Zeit einige Störungen gegeben hat. Bei Kanzlerreisen zeugten zwar die Kommuniqués immer vor einem großen Einvernehmen, aber zu Hause hörte man es dann mitunter anders. Unfreundliche Außerungen über Motive verbündeter Regierungschefs sind geeignet, Bundesgenossen zu verstimmen, und zwar gerade jene, die mit ihrer Kraft nicht anderwärts gebunden sind, und auf diese kommt es ja wohl entscheidend an.
Wir wollen also die Berlinfrage in die größeren Zusammenhänge hineinstellen. So hat es mit Recht schon nach den ersten Äußerungen der Deutschen selbst, z. B. auch des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei, damals im Dezember 1958 der NATO-Rat in Paris in Punkt 6 seines Kommuniqués dargelegt:Der Rat ist der Ansicht, daß :die Berliner Frage nur im Rahmen eines Abkommens mit der Sowjetunion über die gesamte Deutschlandfrage geregelt werden kann. Er ruft in Erinnerung, daß die Westmächte sich wiederholt bereit erklärt haben, dieses Problem ebenso wie das der europäischen Sicherheit und der Abrüstung zu prüfen. Sie sind zu einer Diskussion aller dieser Fragen nach wie vor bereit.Dieser Beschluß wurde von den westlichen Regierungschefs ein Jahr darauf, am 21. Dezember 1959, ausdrücklich bestätigt. Es ist bedauerlich, daß in den Erläuterungen hierzu nur noch von der Einbettung der Berlinfrage in die deutsche Frage gesprochen wird, daß die Abrüstung völlig unabhängig davon im NATO-Beschluß auftaucht und die europäische Sicherheit dabei überhaupt verschwunden Ist. Damit ist . eine Aussicht weniger gegeben, um zu einem vernünftigen Gespräch über alle Probleme, auch das Berlinproblem, in den größeren Zusammenhängen zu gelangen, die man herstellen muß, um auch die sowjetische Bereitschaft für die Diskussion zu erlangen. Die Verbindung mit der deutschen Frage allein führt rasch zu dem bekannten unversöhnlichen Standpunkt, die Wiedervereinigung sei Sache der Deutschen selbst. Jeder von uns weiß, daß das im Augenblick jedenfalls und sicher auf lange Zeit einfach auf eine Verweigerung der Wiedervereinigung hinausläuft,
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ErlerÜbrigens, Herr Bundesminister, Sie haben in diesem Zusammenhang von den Gesprächen gesprochen und erwähnt, daß ,der Justizminister sich sicher nicht mit Hilde Benjamin zusammensetzen würde. Davon bin ich überzeugt, denn er hatte ja in Ost-Berlin ganz andere Gesprächspartner; er brauchte Hilde Benjamin nicht.
Doch zurück! Der sowjetische Standpunkt, die Wiedervereinigung sei Sache der Deutschen selbst, ist eine für den Westen unmögliche Position. Auf der anderen Seite hat auch der Westen eine solche Position mindestens in einer Frage bezogen, eine Position, von der jedermann weiß, daß sie für die andere .Seite auch unannehmbar ist, nämlich daß das wiedervereinigte Deutschland die Entscheidungsfreiheit für seine Militärbündnisse haben müsse. Jeder weiß, daß das praktisch bedeutet, das wiedervereinigte Deutschland müsse die Möglichkeit haben, sich dem Atlantikpakt anzuschließen. Daß hierin eine Blockierung der Wiedervereinigung Deutschlands liegt, weil es sich um eine einseitige Machtveränderung zum Nachteil der Sowjetunion handeln würde, ist so offensichtlich, daß man darüber heute eigentlich die Akten schließen könnte.Eine Verbesserung der Ausgangsposition ist an- gesichts dieser unversöhnlichen Standpunkte nur möglich, wenn das Klima zwischen den Hauptverhandlungspartnern sich ändert und wenn beide Seiten ihre Haltung in bestimmten Punkten zu modifizieren bereit sind. Zu einer solchen Klimaänderung können Abrüstungsverhandlungen, wie es die Bundesregierung auch heute dargetan hat, sicher nützlich sein.In diesem Zusammenhang möchte ich das Haus von der Einschätzung des amerikanischen Präsidenten Eisenhower unterrichten, die er diesem Problem gegeben hat. Er meint:Die Menschheit erreichte einen Stand, bei dem die gegenseitige Vernichtung eine Möglichkeit geworden ist. Nichts anderes in der Welt von heute ist dieser Tatsache an Bedeutung gleich. Wir müssen danach streben, den verhängnisvollen Kreis der Fehlschläge und Krisen zu durchbrechen, der, wenn er nicht durchbrochen wird, ins atomare Unglück, in den äußersten Wahnsinn führen könnte. Plötzliche und umwälzende Ergebnisse können wir nicht abwarten, aber wir müssen einen Start finden.So Präsident Eisenhower.Jetzt geht es also um diesen Start. Wir haben am 5. November 1959 versucht, von dieser Tribüne her einige Anregungen zu diesem Thema zu geben und damit einen Beitrag zu dem zu leisten, was der Herr Bundeskanzler vorhin gefordert hat: man sollte nach Möglichkeiten spähen, wie man eventuell weiterkommen könne. Abgesehen von einigen kümmerlichen Pressenotizen, daß der Herr Bundeskanzler den Ausführungen aufmerksam gelauscht habe, haben wir nicht 'vernommen, daß die Bundesregierung ernsthaft versucht habe, auf diesem Gebiete mitzuspähen und zu helfen, wie man da vielleicht weiterkommt.
Im Gegenteil! Wenn irgendwo einmal ein wenn auch noch so kleiner Fortschritt erzielt wird, dann wird er in den Organen der Bundesregierung nicht begrüßt, sondern bekrittelt.Nehmen wir z. B. den kleinen Fortschritt — aber immerhin, er ist einer — auf dem Gebiete der unter Kontrolle stattfindenden Freihaltung der Antarktis von irgendwelchen militärischen Zwecken, Im Zeitalter der Raumfahrt ist das vielleicht gar nicht so uninteressant. Präsident Eisenhower hat dazu gesagt:Dieser Vertrag Ist ein bedeutsamer Beitrag zumFrieden, zur internationalen Zusammenarbeitund für den Fortschritt der Wissenschaft.Herr von Brentano war schon milder. Er hat immerhin gesagt, es handle sich dabei um ein gewisses Anzeichen einer Entspannung. Aber das Bulletin der Bundesregierung schlug sowohl dem amerikanischen Präsidenten als auch dem Bundesaußenminister direkt ins Gesicht, indem es am 8. Dezember 1959 meinte, der Grund für dieses Abkommen sei doch nur die Tatsache, „daß die Antarktis für alle Atommächte zur Zeit als Aufmarschgebiet einigermaßen entbehrlich sei, daß die Schaffung von Basen dort mühselig und kostspielig wäre und keine besonderen Vorteile verspräche."
Statt die Entwicklung zu fördern, so bescheiden die Ansätze auch sein mögen, wird sie bekrittelt.Dasselbe haben wir bei den Genfer Verhandlungen erlebt. Statt ein Abkommen über den Atomversuchsstopp zu fördern, heißt es im Bulletin:Alle Versuche, sogenannte saubere Bombenmit weniger schädigenden Wirkungen zu vervollkommnen, sind durch die Versuchseinstellung, ... unmöglich gemacht worden.
Dort wird ausdrücklich die Versuchseinstellung bedauert.Ja, wie ist denn nun die Haltung der Bundesregierung? Will sie praktische Abrüstungsschritte fördern oder nimmt sie gegen solche Abrüstungsschritte Stellung?
Sicher wären die Versuchsexplosionen nur einSchritt. Ein Schließen des Atomklubs wäre einzweiter. Das haben wir schon dargelegt. Aber auf diesem Gebiet halte ich es mit einem Satz des Bundeskanzlers an den sowjetischen Ministerpräsidenten: „Die in Betracht kommenden Fragen sind zu wichtig, als daß man die Wiederholung scheuen dürfte."Die Bundesregierung hat in Paris am 17. Dezember erklärt, sie sei froh darüber, daß auf die gesamten Abrüstungsverhandlungen deutscher Einfluß gesichert wäre. Dann ist es wichtig zu wissen: In welchem Sinne wird dieser Einfluß nun eigentlich ausgeübt?
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ErlerPositiv oder negativ? Hat z. B. die Bundesregierung auf die Regierung der Vereinigten Staaten im Rat der Allianz im Sinne der Verbreitung von Atomgeheimnissen eingewirkt oder dagegen gesprochen? Der amerikanische Außenminister hat eine interessante Begründung für die beabsichtigte Änderung der amerikanischen Atompolitik gegeben. Er hat gesagt, das sei eine Frage des Konflikts zwischen den Ländern, die keine Ausbreitung des atomaren Wissens wollten, und denjenigen, die mehr Atommacht erlangen wollten. Wer ist denn das eigentlich, der da mehr Atommacht erlangen will, und gibt es vielleicht Möglichkeiten, im Rate der Verbündeten auch mit denen, die mehr Atommacht erlangen wollen, ein vernünftiges Wort im Sinne einer Begrenzung des Atomklubs zu sprechen? Das ist doch wohl die wirkliche Aufgabe, die vor uns steht. Denn die Ausbreitung des Atomklubs auf zahlreiche andere Staaten gefährdet mit Sicherheit ein künftiges Abrüstungsabkommen. Sie verstößt auch gegen die UNO-Resolution, die ausdrücklich das Gegenteil gefordert hat.Minister Strauß hat in Kanada selber erklärt, man solle den Atomklub so klein wie möglich halten. Ich kann diese Erklärung nur begrüßen.
— Sicher! Aber es wäre gut, wenn es nicht bei Erklärungen in der Öffentlichkeit bliebe, sondern wenn die Bundesregierung den von ihr mit Stolz registrierten Einfluß auf die praktischen Abrüstungsverhandlungen bei ihren Verbündeten mit vollem Gewicht in die Waagschale würfe. Darauf kommt esan.
Angeblich ist die Austeilung der Geheimnisse zunächst nur für Großbritannien, das sich ja schon im Klub befindet, und für Frankreich vorgesehen, das demnächst dabei ist. Aber, meine Damen und Herren, hier handelt es sich doch um den Beginn einer Kettenreaktion. Das hat auch Konsequenzen für andere und möglicherweise schließlich auch für die Bundesrepublik.Ich kann den unglücklichen Satz des Bundeskanzlers vom 13. Oktober 1959 in London nicht vergessen, wo er, ganz apodiktisch, gesagt hat, eine mindere Bewaffnung der Bundesrepublik wäre eine politische Deklassierung und würde das Ende der NATO bedeuten.
Was heißt denn das? — Das sei demjenigen Kollegen gesagt, der soeben „Sehr richtig" gerufen hat. Zu Ende gedacht heißt das auch deutsche Produktion, heißt das auch deutsche Verfügungsgewalt über Atomwaffen, heißt das auch deutsche Wasserstoffbomben.
Denn wenn Sie das alles nicht meinen, kann man den Schnitt ebensogut woanders ziehen. Dann ist das Prinzip längst durchbrochen, dann kann man den Schnitt auch diesseits der Massenvernichtungsmittel ziehen.
Wir haben der Bundesregierung im vergangenen Jahr eine Initiative vorgeschlagen. Wir haben dabei von der Bundesregierung keinerlei Vorleistungen verlangt, sondern sie lediglich aufgefordert, an die drei Atommächte heranzutreten und zu sagen: „Wenn Ihr Euch einigt, Eure Atomwaffen nicht an andere auszuteilen, wollen auch wir keine haben." Damit wäre eine deutsche Initiative wirklich ein Schritt gewesen, um den Atomklub ohne irgendwelche einseitigen Belastungen der Bundesrepublik zu schließen.Wie nötig das ist, kann man daran sehen, daß jetzt sogar Herr Ulbricht droht. Natürlich, ihm geht es darum, eine Entspannung zu torpedieren. Denn er ist Nutznießer der Spannung und des Kalten Krieges. Er sucht die Aufwertung seines Regimes, er will an den Drücker der Erpressung mit den Atomwaffen heran. Da sollten wir uns nicht einfach nur auf die Sowjetunion verlassen und sagen: Die wird schon vernünftig genug sein. Sie trauen doch auch sonst der Sowjetunion nicht immer soviel friedenerhaltende Politik zu. Ich meine, hier ist einfach auf allen Seiten eine andere Politik erforderlich, um jenes Unheil auszuschließen.Wir sollten auch die Verringerung konventioneller Streitkräfte begrüßen. Sicher, es handelt sich dabei noch um keine Abmachung — die Kontrolle fehlt —, und sicher handelt es sich dabei auch um Umrüstung. Selbst wenn Herr Chruschtschow den Begriff nicht liebt, — in Wahrheit geht es auch darum.Das ist ja damals im Zeichen des Radford-Planes von den Vereinigten Staaten vorgemacht worden. Als wir uns hier das erste Mal über den Radford-Plan unterhalten haben, hat der Herr Bundeskanzler gesagt, den gebe es gar nicht. Inzwischen ist er durchgeführt worden.
Die Reden, die neuerdings von sowjetischen Militärs gehalten werden, erinnern mich in gespenstischer Weise an die Reden amerikanischer Militärs, die diese damals im Zeichen des Radford-Planes gehalten haben, und sogar manche Formulierungen des verstorbenen Außenministers Dulles feiern nun auf der anderen Seite fröhliche Urständ und tauchen dort auf. Da heißt es in den Reden der Militärs hüben wie drüben, der Angreifer müsse genau wissen, daß er zerschmettert werde. Nun sicher, der Angreifer, oder, sagen wir einmal, der andere weiß das. Dieses Wissen darum ist es ja, das ihn an den Verhandlungstisch treibt. Deshalb braucht man es nicht immer ausdrücklich zu betonen und braucht nicht durch derartige martialische Reden das Klima in den internationalen Beziehungen zu vergiften.Da steht natürlich auch die noch geltende NATO-Doktrin zur Erörterung, daß man die Überlegenheit der Sowjetunion in konventionellen Streitkräften ausgleichen müsse durch Atomwaffen, und zwar auch dann, wenn die Sowjetunion keine einsetze, sondern einfach im Hinblick auf ihre Überlegenheit an konventionellen Streitkräften. Nun, der erstmalige, nicht als Repressalie vorgenommene Einsatz
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Erlervon Atomwaffen ist völkerrechtlich schon höchst zweifelhaft; aber davon will ich heute nicht sprechen. Ich meine, aus dieser Fessel muß man heraus. Die Begrenzung konventioneller Streitkräfte auf beiden Seiten bietet die Möglichkeit, aus dieser selbst angelegten Fessel herauszukommen, ohne daß man sich auf das Abenteuer eines ganz groß angelegten konventionellen Wettrüstens einlassen müßte.
Die Herabsetzung der konventionellen Streitkräfte der Sowjetunion, zumal wenn sie fortgesetzt und im Rahmen einer anzustrebenden internationalen Vereinbarung unter Kontrolle gebracht würde, erhöht ja auch den Schutz unseres Landes vor Besetzung. Denn mit Atombomben und Raketen kann man zwar ein Land zerstören, einen großen Krieg entfesseln, aber besetzen kann man damit ein Land nicht.Lassen Sie mich noch ein Wort zur Kontrolle sagen. Es handelt sich dabei um den alten Kreislauf. Früher hat der Westen gesagt: Erst vollständige Kontrolle, dann könnten wir mit der Abrüstung anfangen. Und die Sowjetunion hat gesagt: Erst Abrüstung, dann könnten wir uns über ein Kontrollsystem unterhalten. Die richtige Haltung nahm, und zwar von uns damals wohl begrüßt, der französische Delegierte Jules Moch ein; er sagte, für jeden Schritt praktischer Abrüstung müsse man die ihm angemessene Maßnahme der Kontrolle vereinbaren.Ähnlich äußert sich überraschenderweise jetzt die Sowjetunion. Herr Chruschtschow gab der französischen Zeitschrift „Horizons" ein Interview. Die TASS-Meldung darüber vom 30. Januar enhält folgenden Satz:Nach Ansicht der Sowjetregierung muß der Umfang und Charakter der Kontrolle in jeder Etappe der Abrüstung den jeweils zur Durchführung gelangenden Maßnahmen entsprechen.Darauf sollte man die Sowjetunion mit ganz konkreten Vorschlägen festnageln, statt nun unnnötige Prinzipienreiterei zu betreiben.
Der Teil des Briefes des Bundsekanzlers, der sich mit diesem Problem beschäftigt, scheint mir nicht sehr glücklich abgefaßt zu sein.Für politische Fortschritte ist, glaube ich, die Rüstungsbegrenzung und Kontrolle in Mitteleuropa besonders wichtig. Ich kann dazu auf die Rede meines Freundes Helmut Schmidt in der letzten außenpolitischen Debatte des Bundestages verweisen. Es ging dabei um die Abgrenzung des Gebietes, um den Katalog der zugelassenen konventionellen Streitkräfte und Waffen, um das vereinbarte Stärkeverhältnis der konventionellen Streitkräfte der in fiesem Gebiet liegenden Länder selbst, um den —ehr wichtig! — allmählichen Abzug der fremden Truppen aus dem gesamten Gebiet — aber nur daraus —, um den Fortbestand der Bündnisse, solange lie Wiedervereinigung Deutschlands nicht erreicht ist, um die Garantien der Weltmächte für die Aufrechterhaltung der so etablierten Friedensordnung and um die Überzeugung, daß allein der Abzug derRoten Armee imstande wäre, die politischen Fragen in Bewegung zu bringen.Man sage mir, wie man das sonst in Bewegung bringen will. Dann bin ich gern bereit, über jeden anderen Gedanken zu diskutieren. Wir haben die unseren vorgelegt, und wir vermissen die Gedanken der Regierung zu diesem Punkt.
Es besteht nämlich die Gefahr, daß die Zeit gegen uns arbeitet. Wir haben damals schon darauf hingewiesen, daß die Bundeswehr von vielen im In-und Ausland allmählich als die Ablösung der westlichen Truppen auf deutschem Boden betrachtet wird, nicht etwa als der Garant dafür, daß sie dableiben. Es wäre sehr gefährlich, wenn im Zuge einer solchen Entwicklung die Truppen der Vereinigten Staaten uns verließen, aber die Sowjettruppen auf deutschem Boden blieben.Die offene Darlegung dieser Gefahr hat leider zu einer völligen Verzerrung unserer Ansicht in Ihrer Propaganda, meine Damen und Herren, geführt. Es hat da geheißen, die Sozialdemokraten hätten bisher die Möglichkeit eines amerikanischen Abzuges geleugnet. Mitnichten! Wir haben uns lediglich dafür eingesetzt, daß man ihn in denjenigen Grenzen hält, in denen es, wenn man sie zu internationalen Verhandlungen ausnutzt, möglich ist, das politische Problem der deutschen Wiedervereinigung in Gang zu bringen. Ein begrenzter Abzug der Amerikaner zum Aushandeln einer Lösung mit dem Abzug der Sowjettruppen auszunutzen wäre die Aufgabe. Die Zeit rinnt rasch. Lesen Sie die Meldungen aus den Vereinigten Staaten über die zukünftigen Planungen! Dann werden Sie sagen: Fünf Jahre vergehen schnell. Ich möchte hoffen, daß wir uns nicht in fünf Jahren wieder einmal über ungenutzte Verhandlungsmöglichkeiten zu unterhalten haben.Fortschritte auf diesem Felde müssen natürlich interessant für alle sein; denn man kann keinen an- deren beschwatzen, sich auf eine Vereinbarung einzulassen, die nur Nachteile für ihn bringt. Verhandlungen darüber können aber auch Berlin entlasten. In der Genfer Konferenz, die auch ein Ergebnis der von der Sowjetunion heraufbeschworenen BerlinKrise war, hat der sowjetische Außenminister Gromyko am 5. Juni dargelegt:Meine zweite Frage bezieht sich auf irgendeine Art von Zone oder Gegend in Europa. Dieser Gedanke wurde von verschiedenen Teilnehmern dieser Konferenz in der unterschiedlichsten Weise geäußert. Aber er wurde niemals weiter entwickelt oder geklärt. Hier wiederum möchten wir die Außenminister der drei Westmächte bitten, freundlicherweise konkretere Ansichten über diese Angelegenheit zu äußern.Dieser Bitte ist in Genf leider nicht entsprochen worden. So haben wir nun die Verstärkung des Drucks auf Berlin erlebt. Wir stehen jetzt vor der Drohung mit einem Separatfrieden mit Pankow. Man darf eine solche Drohung nicht leicht nehmen; denn sie ist natürlich durchführbar. Allerdings brächte ihre Durchführung der Sowjetunion nicht das eine Ziel ein, das sie sicher auch hat, nämlich
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Erlereine westliche Unterschrift unter einem Vertrag mit der Ulbricht-Regierung und damit deren internationale Anerkennung und die Besiegelung des Status quo durch eine westliche Unterschrift. Ein Separatfrieden zwischen der Sowjet-Union und Herrn Ulbricht wäre kein Frieden mit dem Westen. Er wäre ein Vertrag mit sich selbst. Ein solcher Vertrag kann Rechte anderer nicht berühren, insbesondere nicht die Rechte der Westmächte, der Bundesrepublik und der Berliner Bevölkerung.Wir meinen dennoch, daß das Stichwort Friedensvertrag für Verhandlungen aufgegriffen werden sollte. Wir sind uns einig, daß der sowjetische Entwurf eines Friedensvertrages mit der Zementierung der Spaltung Deutschlands und seinem anderen unannehmbaren Inhalt nicht die Grundlage der Verhandlungen bilden kann. Er soll den Status quo fixieren und würde in Wahrheit damit auch die Spannungen fixieren. Er würde keinen Frieden schaffen, und der Frieden muß doch schließlich das Ziel eines Friedens-Vertrages sein.Aber der Westen sollte bereit sein, eine friedensvertragliche Regelung mit ganz Deutschland zu erörtern, weil das für eine ganze Reihe von Fragen, die wir miteinander erörtern müssen, Luft schaffen kann. Diese Bereitschaft hat der Westen bisher leider nicht bekundet. Am 8. Februar sagte der amerikanische Außenminister Herter:Sollte die Sowjetunion mit der deutschen Sowjetzone vor einer umfassenden Diskussion und Verhandlung einen gesonderten Friedensvertrag abschließen, dann würde dieser den Geist des Übereinkommens vom September des vergangenen Jahres in Camp David verletzen.Er sprach also von einer umfassenden Diskussion und Verhandlung. Also sollten eine umfassende Diskussion und Verhandlung einer Friedensregelung auch angefangen werden.Wir können es uns nicht so bequem machen wie Paul Henri S p a a k es uns einmal empfohlen hat: Man sollte einfach auf einen Friedensvertrag verzichten. Kriege würden heuzutage nicht mehr erklärt, sie brächen so aus, und dann brauche man auch keinen Friedensvertrag mehr. Die Bundesrepublik — und das halte ich für ein gefährliches Argument — habe ja bereits ihren Vertrag mit dem Westen. Wer so argumentiert, der beschwört geradezu den Separatvertrag der anderen Seite mit Pankow herauf.
Ein solcher wechselseitiger Vertragsabschluß, jeder nach seiner Seite hin, wäre tatsächlich die Besiegelung der Spaltung unseres Landes. Deshalb Hände weg von einer solchen gefährlichen Argumentation! Deshalb kann man auf den Friedensvertrag im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung nicht verzichten.Unerträglich wäre aber ein Diktat statt eines Vertrages. Ein Vertrag heißt, daß man über die Dinge verhandelt. Die Sprache des sowjetischen Ministerpräsidenten in seinen Briefen an den Bundeskanzler und auch in der kürzlichen Diskussion mit dem italienischen Staatspräsidenten Gronchi kann hier nur schwerste Besorgnisse erwecken. In Genf haben alle vier Mächte, auch die Sowjetunion, vor einer Wiederholung der Fehler von Versailles gewarnt. Eigentlich liegt darin doch die Bekundung: Ein Friedensvertrag muß ausgehandelt, er darf nicht als einseitiges Diktat von den Siegern dem Besiegten auferlegt werden. Sonst entsteht kein Frieden, sonst sät man neuen Unfrieden und schafft neue Spannungen.
Freundschaft kann nicht auf ein Dokument des Hasses gegründet werden. Das Verhandeln muß sich auf den Inhalt des Vertragswerkes beziehen, das es abzuschließen gilt, auch auf die Grenzen, die ein solcher Vertrag zu enthalten hätte. Auch über sie muß verhandelt werden, sie können nicht einseitig auferlegt werden.Meine Damen und Herren! Herr Chruschtschow erwähnt in seinem Brief auch den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts. Er spricht in diesem Zusammenhang merkwürdigerweise von den „zwei deutschen Völkern in zwei Staaten". Das Notwendige hierzu ist schon gesagt worden. Es gibt nicht zweideutsche Völker in zwei Staaten, sondern es gibt ein deutsches Volk, das um seine freie Selbstbestimmung ringt, wie sie die sowjetische Politik für Völker anderer Kontinente ausdrücklich fordert.
Der Hinweis, die Wahlen des Herrn Ulbricht seien ein Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts, ist ein Hohn auf dieses Recht. Wir Deutschen wissen, wie 99 %ige Wahlresultate zu bewerten sind. Ich habe einmal ein interessantes Beispiel herausgesucht: Am 10. April 1938 fanden in Deutschland sogenannte Reichstagswahlen statt; damals betrug die Zahl der abgegebenen Stimmen 99,60 % der Wahlberechtigten, die Zahl der Stimmen für die Liste des „Führers" 99,08 %. Die Volkskammerwahlen 1958 hatten eine Wahlbeteiligung von 98,9 % der Wähler, und die Zahl der Stimmen — diesmal nicht für die Liste des „Führers", sondern dort herrscht ja „kollektive Führung", und deshalb heißt es dort: für die Kandidaten der Nationalen Front des ,demokratischen Deutschland betrug 99,87 %.
Wir wissen zudem, in welchem Umfange die offene Stimmenabgabe erpreßt worden ist. Wie doch die Namen sich ändern, aber die schreckliche Unterdrückung der Freiheit in den Prozentzahlen zum Ausdruck kommt! In beiden Fällen ist das kein Beweis für die Zustimmung des Volkes, sondern nur ein Beweis für die Skrupellosigkeit der herrschenden Staatsparteigewesen.
Meine Damen und Herren! Entspannungspolitik und Druck auf Berlin vertragen sich nicht miteinander.
Übrigens vertragen sich auch Entspannungspolitik und forciertes atomares Wettrüsten nicht miteinander.
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5406 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
ErlerMußten gerade wir Deutschen im Dezember 1959 auf die Erfüllung der atomaren Planung des Westens drängen?Schon gar nicht aber vertragen sich mit Entspannungspolitik Drohungen mit Rechtsbrüchen. Die Verantwortung für die Zuspitzung und die Zerstörung jeder Hoffnung auf Entspannung als Folge eines Rechtsbruchs gegenüber Berlin läge im Bewußtsein unseres Volkes und der Weltöffentlichkeit eindeutig bei der Sowjetunion.Daher richten wir einen eindringlichen Appell an alle Verantwortlichen. Die Lage ist zu gefährlich, als daß man sich einer freimütigen Aussprache entziehen könnte. Sie muß geführt werden mit der Bereitschaft zur Verständigung, selbstverständlich ohne Kapitulation, aber auch ohne der anderen Seitenine Kapitulation in Lebensfragen zuzumuten.Berlin ist für uns und den gesamten Westen eine Frage der Standhaftigkeit, der Moral und der Glaubwürdigkeit. Wer das deutsche Volk von seiner Hauptstadt zu trennen sucht, stößt auf seinen entschlossenen Widerstand und den Widerstand aller derer, denen die Freiheit dieser Stadt ein Symbol für die Bewahrung der Freiheit überhaupt geworden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich am Anfang eine Klarstellung vornehmen, die mir notwendig geworden zu sein scheint durch eine, wie ich meine, etwas unglückliche Bemerkung unseres Kollegen Erler. Er hat im ersten Teil seiner Ausführungen von einer Auffassung gesprochen, die — wenn ich ihn recht verstanden habe — im deutschen Volke zu schwelen beginne, und er hat damit eine Auffassung gemeint, die zusammengefaßt so lautet: man solle die Sowjetunion durch glaubhafte Drohung mit Krieg zum Rückzug bringen. Herr Kollege Erler, Sie haben dadurch einmal den Eindruck erweckt, — dadurch, daß Sie das gerade hier in dieser Stunde gesagt haben —, daß ein solches Denken irgendeine ernsthafte Rolle spielen könnte in unserem Land.
— Nein, Herr Erler. Aber eine einzelne Versammlung ist weiß Gott nicht typisch für das Denken des deutschen Volkes.
— Wollen wir erst einmal sehen, was Herr Sch 1 a mm heute abend sagt.
Sie haben außerdem den Eindruck erweckt, daß die Bundesregierung eine Auffassung, wie sie Herr Schlamm vertreten haben soll, fördere, denn Sie haben die Frage gestellt, ob die Bundesregierung nicht indirekt solche Veranstaltungen fördere. Herr Kollege Erler, ich bin der Meinung, daß Sie in dieser Situation nicht einmal indirekt den Eindruck hätten erwecken sollen, als ob irgendeine politisch wirklich verantwortliche Stelle in diesem Lande und in diesem Hause sich eine solche Auffassung zu eigen mache, wie die, die offenbar dieser ausländische Privatmann dort vertreten hat.
Sie wissen sehr genau, daß die Bundesregierung und alle Sprecher in diesem Hause immer und immer gesagt haben: Wir wollen eine Lösung der deutschen Frage auf friedlichem Wege.
Was hier aber vielleicht auch hinzuzufügen ist, ist, daß wir diese Lösung der deutschen Frage gerade auch deshalb wollen, weil wir der Sorge sind, daß andernfalls der Frieden vielleicht nicht auf die Dauer gewahrt bleibt.
Herr Abgeordneter Gradl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lohmar?
Ja.
Herr Kollege Dr. Gradl, ist Ihnen bekannt, daß der Verein „Rettet die Freiheit" das Angebot gemacht hat, die Honorierung des geplanten Vortrags von Herrn Schlamm an der Freien Universität Berlin, die nachher wieder „ausgeladen" hat, zu übernehmen, und sind Sie bereit, gegenüber den Abgeordneten der CDU, die diesen Verein mit tragen, dafür zu sorgen, daß die Auffassung, die sie soeben über Herrn Schlamm geäußert haben, zum Allgemeingut Ihrer Partei wird?
Herr Kollege Lohmar, es ist eine Beleidigung, den Abgeordneten meiner Fraktion zu unterstellen, daß sie eine Auffassung haben könnten, wie sie nach den hier aufgestellten Behauptungen Herr Schlamm hat.
Wenn Sie eine solche Frage beantwortet haben wollen — ich weiß nicht, was in Berlin geschehen ist, und kenne die Zusammenhänge nicht —, dann stellen Sie sie doch an diejenigen, die mit dieser Veranstaltung etwas zu tun haben, und nicht mir hier als Überraschungsfrage.
Da ich nun schon mal bei dieser etwas erweiterten Aussprache über den ersten Teil der Ausfürungen des Kollegen Erler bin, möchte ich auch auf
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Dr. Gradlfolgendes eingehen. Herr Kollege Erler, ich weiß eigentlich nicht, warum Sie etwas zugespitzt gesagt haben, man könne nicht erwarten, daß Chruschtschow dem Kommunismus abschwöre. Ich weiß nicht, wer bei den Auseinandersetzungen über die internationale Politik in diesem Hause jemals die Auffassung vertreten hat, daß Herr Chruschtschow dem Kommunismus abschwören solle. Was wir wollen, ist nichts weiter, als daß man uns nicht zumutet, unsere Auffassung abzuschwören. Herr Chruschtschow mag mit seinem Kommunismus selig werden, wenn ihm das gelingt!
Kollege Gradl, ist Ihnen entgangen, daß der Herr Bundesaußenminister es ausdrücklich als Voraussetzung der Entspannung bezeichnet hat, die andere Seite müßte auf ihre aggresive Ideologie verzichten?
Herr Kollege Erler, auf die Aggressivität, d. h. auf die Expansionsabsicht, die in dieser Ideologie lebendig ist, nicht auf die Ideologie selbst!
— Ja, da kann ich Ihnen nicht helfen; vielleicht lesen Sie es nachher noch einmal nach, um es zu verstehen.In der Erklärung, die die Bundesregierung in der deutschen Frage soeben abgegeben hat, ist besonderes Gewicht auf Berlin gelegt. Der Bundeskanzler hat diese Teile der Erklärung des Außenministers noch einmal unterstrichen. In der Tat — jetzt kann ich Ihnen, Herr Erler, auch mal etwas Freundliches sagen — stimmen wir und die Regierung in der Bewertung des sowjetischen Vorstoßes gegen Berlin völlig mit Ihnen überein. In diesem Vorstoß steckt im Grunde der Versuch, die deutsche Einheit dadurch zu liquidieren, daß jenes künstliche Gebilde, das der zweite deutsche Staat werden soll, konsolidiert werden soll; es soll sich ungestört entwickeln, es soll nach den dortigen Vorstellungen offenbar zu einem kommunistischen Aufmarschgebiet in einem späteren Kampf um ganz Deutschland werden.Deshalb soll Berlin isoliert, soll sein realer Schutz in verbale Garantien aufgelöst, soll seine politische, seine gesamtdeutsche Strahlungskraft neutralisiert werden. Berlin ist das Feld, auf das heute der Kampf um Deutschland konzentriert ist. Ein Zurückweichen in Berlin wäre ein Zurückweichen in Deutschland, und das würde nicht nur im deutschen Volk das Vertrauen im Fundament erschüttern. Unsere Verbündeten wissen, wie zahlreiche Äußerungen westlicher Staatsmänner beweisen, um diese fundamentale Bedeutung für die Geltung und Glaubhaftigkeit der westlichen Politik überhaupt. Wir haben — ich möchte das für meine politischen Freunde ausdrücklich feststellen — in dieser Schicksalsfrage keine Zweifel und hegen kein Mißtrauen gegenüber unseren Verbündeten. Wir haben genauso Vertrauen, wie es die Berliner selber zu ihren westlichen Schutzmächten haben.Daß wir dieses Vertrauen haben können, verdanken wir insbesondere auch der Bundesregierung. Ihre Politik in den vergangenen zehn Jahren hat das Vertrauen wachsen lassen, das sich jetzt in dem Ringen um Berlin bewährt. Bewährt hat sich auch die Entschlossenheit der Bundesregierung, für die gemeinschaftliche Verteidigung jene eigenen Verteidigungsbeiträge zu leisten, die das Ganze im Interesse des Ganzen für notwendig hält. Die Mahnungen und Warnungen an den Osten hätten gewiß nicht so wirksam gesprochen werden können, wenn sie nicht den Rückhalt der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gehabt hätten.Der Kreml versucht, seinem Berlinvorhaben eine harmose Deutung zu geben: Man wolle West-Berlin nicht der Zone einverleiben; es solle eine sogenannte freie Stadt werden; man wolle den Berlinern nicht das kommunistische System aufzwingen. Das hat man übrigens früher auch einigen osteuropäischen Völkern gesagt. Der Status Berlins, ein Okkupationsstatus, sei doch abnorm, sagt man. Wenn man das hört und liest, klingt das alles so einfach und so wohlwollend. Aber es könnte nur verlocken, wenn man nicht die Erfahrungen seit 1945 hätte, wenn man nicht wüßte, welcher Wille und welche wirkliche Absicht dahinterstecken und das Zonenregime bewegen. Die Berliner wissen jedenfalls sehr genau, worum es geht, und lassen sich deshalb ebensowenig wie in der Blockadezeit beirren.Der jetzige Status für das besondere Gebiet Berlin, der 1944 und 1945 zwischen den damaligen Alliierten vereinbart worden ist, könnte besser sein, er I wäre sicher für den Westen besser formuliert worden, wenn die westlichen Alliierten damals schon die Erfahrungen gehabt hätten, die sie später gesammelt haben. Aber der Viermächtestatus ist jedenfalls eine klare völkerrechtliche Basis für Berlin, für die Anwesenheit und die Schutzfunktionen der drei westlichen Mächte in Berlin. Er ist originäres Recht, er kann nicht gegen den Willen der Berechtigten aufgekündigt oder einseitig aufgehoben werden. Deshalb sagen die Bundesregierung und auch die. Oppositionsparteien — wie ich glaube, mit vollem Recht —: Würde man diese Basis aufgeben, so könnte Berlin gerade zu dem werden, was es im Interesse des Friedens nicht werden soll und darf: zu dem Objekt eines dauernden Streites.Es besteht auch keine sachliche Notwendigkeit, diese Rechtsbasis aufzugeben. Der Status hat seit Jahr und Tag alles in allem befriedigend funktioniert und er kann, wenn nicht bewußt Störungen herbeigeführt werden, weiter funktionieren. Natürlich gibt es Möglichkeiten, den Status zu ergänzen, um die Situation in Berlin zu verbessern. Es gibt viele Dinge in dieser gespaltenen Stadt, die den Menschen das Leben unnötig schwer machen. Die Verbindungen innerhalb Berlins und zwischen Berlin und allen Teilen Deutschlands könnten in mancher Weise enger, sicherer und reibungsloser gestaltet werden. Beispiele dafür aufzuzählen hätte aber nur Sinn, wenn die andere Seite zu solchen Verbesserungen bereit wäre. Leider gibt es nicht eine einzige präzise Erklärung nach der Richtung. Das Ziel der sowjetischen Vorstöße sind eben nicht
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Dr. Gradlechte Verbesserungen, sondern profunde Beeinträchtigungen der Existenz Berlins.Die Außenminister der drei Westmächte haben am 16. Juni vorigen Jahres in Genf dem sowjetischen Außenminister jene speziellen Berlinvorschläge gemacht, die unter Aufrechterhaltung des Rechtsstatus einige wesentliche Ergänzungen und Präzisierungen vorsahen. Dabei hat sich erneut gezeigt, wie eng der Spielraum für westliche Vorschläge ist, wenn die westliche Position und die freiheitliche Ordnung in Berlin nicht gefährdet werden sollen.
Auch wenn es sich nur um Modifikationen handeln soll, kommt man sehr schnell an die äußerste Grenze des Vertretbaren. Solange Deutschland nicht wiedervereinigt ist, müssen eben für den Bestand Berlins in seiner Insellage auch auf der unangetasteten Basis des Viermächtestatus bestimmte wesentliche Bedingungen unter allen Umständen ganz real erfüllt bleiben.
Ich meine dabei insbesondere: 1.) die genügende militärische Präsenz der Westmächte, 2.) die Verbundenheit Berlins mit dem Bund und 3.) den Schutz vor Einmischung in Berlin. Ich habe mit Absicht an erster Stelle den Schutz West-Berlins durch die militärische Präsenz der westlichen Schutzmächte genannt. Ich kann dafür keine bessere Begründung geben, als sie der britische Außenminister Selwyn Lloyd am 12. Juni vorigen Jahres in Genf seinem 3) sowjetischen Kollegen gegeben hat. Diese Ausführungen von Selwyn Lloyd scheinen mir in diesem Zusammenhang so bedeutsam, daß ich sie Ihnen im Wortlaut mitteilen möchte:In diesem West-Berlin werden die westlichen Truppen nur anwesend sein, um zu symbolisieren, daß die Freiheit der Westberliner bestehenbleibt. Wie in der Vergangenheit wird ihre Anwesenheit auch in Zukunft keinerlei Einmischung in die innere Verwaltung oder in das Leben der Stadt bedeuten. Diese Truppen werden dort sein als ein von den Westberlinern selbst leidenschaftlich gewünschtes Symbol. In diesem West-Berlin wird es Garantien dafür geben, daß seine Bevölkerung die Freiheit besitzt, ihre eigene Lebensform zu bestimmen.Ich könnte das noch fortsetzen. Jeder Satz scheint mir gerade in der Auseinandersetzung mit der sowjetischen Agitation zu diesem Punkt bedeutungsvoll. Aber ich glaube, daß diese Bemerkung schon den rechten Eindruck von der Haltung unserer Verbündeten in dieser Frage gegeben hat.Der Osten fordert den völligen Abzug oder zunächst einmal die Verminderung auf symbolische Kontingente. Tatsächlich sind die westlichen Truppen heute schon militärisch gar nichts anderes als Symbole und natürlich in keiner Weise eine militärische Bedrohung. Man braucht die paar Regimenter, diese insgesamt 11 000 Mann, nur in Vergleich zu der Zahl und Stärke der sowjetischen 20 und der sowjetzonalen 10 Divisionen rings um Berlinzu setzen. Würden die westlichen Truppen noch weiter vermindert, dann allerdings könnte für Berlin unter Umständen eine wirkliche Gefahr entstehen. Das ist keine Schwarzmalerei; denn wir haben die Flaggenzwischenfälle mit kommunistischen Kampfgruppen auf dem Westberliner Eisenbahngelände gehabt, und jedes Jahr zum 1. Mai und bei anderen Gelegenheiten wird uns vorgeführt, welche militärischen und Bürgerkriegsformationen auf der anderen Seite vorhanden sind. Deshalb sagen wir: Der militärische Schutz West-Berlins muß so bleiben, daß auch der verwegenste UlbrichtFunktionär vor der Versuchung eines Fait accompli, vor der Lust zu einem Überraschungsakt bewahrt bleibt.
Politische und wirtschaftliche Verbundenheit zwischen Berlin und dem deutschen Westen — der zweite Punkt — und ungehinderter Verkehr entsprechen ganz einfach den Existenznotwendigkeiten Berlins; sie entsprechen dem selbstverständlichen Willen der Bevölkerung Berlins, die der Zweiteilung Deutschlands nicht eine weitere hinzufügen lassen will, und sie entsprechen dem Grundgesetz der Bundesrepublik, in die Berlin ausdrücklich und mit Zustimmung unserer westlichen Alliierten einbezogen ist.Die Verbundenheit Berlins mit der Bundesrepublik ist allerdings eingeengt durch den Sonderstatus der Stadt und durch die statusbedingten Rechte und Vorbehalte der Alliierten. Daran ist nicht gerührt worden und soll nicht gerührt werden; denn der Status ist die Basis der freien Existenz Berlins. Aber im Rahmen und in den Grenzen dieses Status hat die Bundesrepublik die Pflicht, die Belange der Stadt zu wahren, ihr zu helfen und den deutschen Standpunkt hinsichtlich Berlins vor der Welt zu vertreten. Die Bundesregierung hat genauso wie Berlin und die Berliner selbst das Recht, daß ihre Ansicht repektiert wird.Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf etwas eingehen, was der Herr Kollege Erler vorhin gesagt hat. Er hat erwähnt, daß sich der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Berlin der Auffassung des Herrn Regierenden Bürgermeisters, seinen fünf Thesen, angeschlossen hat. Das ist richtig. Aber ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, als ob es erst der fünf Thesen bedurft hätte, um eine solche Haltung hinsichtlich der Wahrung der Stellung Berlins einzunehmen. Diese fünf Thesen sind in der Tat eine glückliche, knappe Zusammenfassung des deutschen Standpunktes, aber diesen deutschen Standpunkt haben wir alle von Anfang an in der Auseinandersetzung um Berlin vertreten, insbesondere hat ihn auch die Bundesregierung und der Bundeskanzler eingenommen.
Nun wird auf eine Stellungnahme hingewiesen, die ein Mitglied der Bundesregierung im vergangenen Jahr zu der Frage der rechtlichen Verbindung Berlins und der Bundesrepublik abgegeben hat. Ich möchte doch darum bitten, nicht zu unterstellen, daß es sich dabei um eine Ablehnung oder um eine Minderung der tatsächlichen Zugehörigkeit Berlins
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Dr. Gradlzur Bundesrepublik gehandelt hat. Vielmehr ging es dabei um nichts weiter als um die Frage, ob man in einer konkreten Situation unter Berücksichtigung des Viermächtestatus eine bestimmte Entscheidung so oder so treffen sollte. Ich habe damals die Auffassung dieses Mitglieds der Regierung nicht geteilt. Aber Sie müssen zugeben — genauso wie ich das zugegeben habe —, daß man sowohl für die eine wie für die andere Auffassung sehr ernste Gründe anführen konnte; denn schließlich ist das Problem der Berücksichtigung des Viermächtestatus in der Tat sehr heikel.Wenn es im übrigen darauf ankommt, ein Urteil über die Haltung der Bundesrepublik und der Bundesregierung gegenüber Berlin zu fällen, dann soll man sich nach dem tatsächlichen Verhalten und nicht nach einigen gelegentlichen Äußerungen richten. Dieses tatsächliche Verhalten, die unentwegte Unterstützung Berlins in all den vergangenen Jahren und die Führung des Kampfes um Berlin in den jetzigen Auseinandersetzungen mit den Sowjets und auf der Genfer Konferenz, das alles scheint mir ein genügender Beweis für die Haltung der Bundesregierung zu sein.Als eine weitere unabdingbare Voraussetzung für die freiheitliche Existenz Berlins nannte ich den Schutz vor Einmischung in das innere Leben West-Berlins. Sicher, es wäre gut, wenn überhitzte und diffamierende Propaganda, wenn Agententum und politische Wühlereien von der ganzen Stadt — ich betone: von der ganzen Stadt — ferngehalten werden könnten. Am besten wäre es, wenn sie über-haupt überall aus dem politischen Kampf verschwänden. Aber — und da liegt die eigentliche Schwierigkeit — zwischen dem Westen und dem Osten sind die Auffassungen über Propaganda und öffentliche Meinung, über Friedenswillen und Kriegshetze, über Informationsrecht und Spionage usw. so verschieden, daß, wenn es nach dem Osten ginge, sehr schnell die Freiheit der Meinungsäußerung auf der Strecke bleiben und als Hetze diffamiert werden könnte. Der diesbezüglich in Genf gemachte Vorschlag der Westmächte könnte deshalb eher das Gegenteil einer Befriedung, nämlich eine Kette unentwegter Einmischungen auslösen.Zu den Bedingungen, die im Interesse Berlins und seiner ganzen Bevölkerung erfüllt bleiben müssen, gehört noch anderes, z. B. auch — der Regierende Bürgermeister von Berlin hat darauf in einer seiner Thesen mit Recht besonders hingewiesen — die Möglichkeit der Bewohner beider Teile der Stadt, sich in der ganzen Stadt unbehindert zu bewegen. Es wäre wirklich ein besonders erbärmliches Zeichen der inneren Schwäche Pankows, wenn 15 Jahre nach Kriegsende vielleicht auch noch die Bewegungsmöglichkeit der Einwohner innerhalb der Stadt unterbrochen würde.
Meine Damen und Herren, ich mache diese Feststellungen nicht, um Erschwerungen zu schaffen, sondern ich wollte damit nur demonstrieren, wie sorgsam alles, was Berlin betrifft, betrachtet werden muß, auch dann, wenn es nur, wie man zu sagen pflegt, um Modalitäten geht. Selbstverständlich wird jeder Gedanke, der von verantwortlicher Seite beigetragen wird, mit allem Ernst zu prüfen sein. Denn schließlich ist in der Auseinandersetzung um Berlin das äußerste Risiko im Spiel: Gefahr für den Frieden. Aber man muß sich in jedem Augenblick und bei jeder Überlegung bewußt bleiben, daß man bei Änderungen ganz scharf achtgeben muß, wenn man nicht ins Minus, in eine Verschlechterung mit unübersehbaren Wirkungen abrutschen will.
Der Bundesregierung wird aus dem Osten der massive Vorwurf gemacht, ihre Haltung in der Berlin-Frage sei störend, starr, feindselig und wie diese Bezeichnungen alle heißen. Diese Kritik paßt in die Sprache des Kalten Krieges, die im ganzen Ostblock gegen Deutschland gebraucht wird.Aber auch im befreundeten Ausland gibt es Pressestimmen, die die Formulierung des deutschen Berlin-Standpunktes allzu hart finden. Unsere Freunde — das darf ich in allem Ernst sagen — müssen wir bitten, zu bedenken, daß Berlin für uns Deutsche zu viel bedeutet, daß mit Berlin gar zu viel auf dem Spiel steht.
Es kommt nicht allein darauf an, 21/2 Millionen West-Berlinern weiterhin Freiheit, Sicherheit und Arbeit zu erhalten, so wichtig und notwendig das natürlich ist. In Berlin geht es um mehr. Berlin ist das Scharnier gesamtdeutscher Verbundenheit, Berlin ist Blickpunkt der deutschen Hoffnung auf Wiedervereinigung. Diese Hoffnung beruht nicht zuletzt auf der Existenz Berlins mit all seinen Zeichen des Provisoriums. Berlin ist — da darf vielleicht auch ich ein bißchen lyrisch werden — wie das Licht am Ende eines langen, dunklen Weges, den die Nation zu gehen hat. Würde Berlin zu einer Art internationaler Provinz, zu einer dritten Spezies Deutschland, zu einem Siegel des Status quo der deutschen Teilung, dann wäre das eine tiefe, furchtbare Enttäuschung für uns Deutsche, und zwar auf beiden Seiten der Trennungslinie. Daraus könnten sich verhängnisvolle Wirkungen ergeben.
Weil mit Berlin soviel auf dem Spiele steht, ist es um so erfreulicher, daß die Bundesregierung und der Senat von Berlin in der Beurteilung der Lage und der Konsequenzen übereinstimmen. Diese Gemeinsamkeit der Haltung in der Verteidigung der Position Berlins zusammen mit der unbeirrten Haltung der Berliner Bevölkerung ist wohl das Wichtigste, was von deutscher Seite zur Behandlung des Berlinproblems selbst in diesem Augenblick beigetragen werden kann. Man sollte überall in der Welt und vor allem auch im Osten zur Kenntnis nehmen, daß die verantwortlichen politischen Kräfte im freien Teil Deutschlands in der Auseinandersetzung um Berlin geschlossen auftreten und einig sind, so verschieden ansonsten ihre Meinungen sein mögen und so verschieden sie auch heute hier zum Ausdruck kommen.
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Dr. GradlDie verantwortlichen politischen Kräfte sind einig und geschlossen, weil sie wissen, daß in dieser Auseinandersetzung um Berlin in der Tat — Herr Kollege Erler war es wohl, der das gesagt hat — die Weichen für die Zukunft Deutschlands gestellt werden.Meine politischen Freunde bejahen deshalb auch voll und ganz die feste Haltung, die in der Erklärung der Bundesregierung zur Frage Berlin ausgedrückt ist. Sie erwarten von der Bundesregierung, daß sie ihren eindeutigen Standpunkt auch in Zukunft mit der notwendigen Entschiedenheit vertritt. Die feste Haltung in der Berlinfrage ist auch der Ausdruck unserer Überzeugung, daß es keine wirkliche Lösung des Problems Berlin gibt, wenn sie isoliert versucht und die gesamtdeutsche Frage umgangen wird. Man sträubt sich, es auszusprechen, weil es schon so oft gesagt worden ist, muß es aber immer wieder sagen: Wer irgendwo glaubt, nach einer Behelfslösung für Berlin könnten sich die Deutschen doch noch mit einem Status quo des geteilten Deutschland abfinden, der unterliegt einem schrecklichen Irrtum.Irgend jemand im Osten hat vor einiger Zeit gesagt, die „Zeitbombe West-Berlin" müsse entschärft werden. Und eine andere östliche Stimme hat Berlin als den „Herd der Unruhen und der Gespanntheit in Europa" bezeichnet. Aber nicht Berlin ist ja die Zeitbombe und der Herd der Gespanntheit in Europa, sondern es ist die deutsche Teilung und das Zonenregime, die die Geduld und die Leidensfähigkeit der Menschen in Mitteldeutschland so maßlos in Anspruch nehmen.
Deshalb muß man jeder Politik, die den Status quo für unabsehbare Zeit zur Grundlage machen will, immer wieder entgegenhalten, daß dieser Status ein ungemein zerbrechliches Gebilde ist, daß er kein stabiler, durch eine gerechte Ordnung gefestigter Zustand ist, sondern ein sehr dünnes Geflecht über einer elementaren Unordnung, die durch die unentwegte Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes fü ein großes Volk hervorgerufen ist. — Das ist die wirkliche Situation und das wirkliche Problem.Natürlich genügt es nicht, die Zerbrechlichkeit und die Gefahr des Status quo der Welt vor Augen zu stellen. Dadurch allein wird das Problem nicht gelöst. Es ist begreiflich, daß immer wieder nach Alternativen, nach Lösungen und Vorschlägen gefragt wird. Das ist ja auch in der dieser Debatte zugrunde liegenden Anfrage geschehen. Die Bundesregierung hat ihre Meinung dazu gesagt. Aber ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen. In Wirklichkeit fehlt es ja gar nicht an Plänen; deren gibt es mehr als genug. Woran es fehlt, ist die echte Verständigungsbereitschaft der anderen Seite. Solange die Gegenseite Forderungen stellt, die schlechterdings unerfüllbar sind, wie z. B. mit dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf für ein geteiltes Deutschland, kann kein Plan helfen, mag er auch noch so gut sein. Pläne können erst dann wirklich helfen, wenn die östliche Seite zu einer auch uns zumutbaren Lösung bereit ist. Vorher laufen wir Gefahr, mit dem Verlangen und Veröffentlichen immer neuer Vorschläge die eigenen Positionen einseitig abzubauen.
Das gilt für Wiedervereinigungspläne, das gilt auch für allgemeine deutsche Beiträge. Es gibt beispielsweise die Auffassung — auch heute ist sie hier wieder angeklungen —, daß die Bundesregierung unabhängig von der Wiedervereinigung sozusagen durch einen besonderen deutschen Abrüstungsbeitrag eine Atmosphäre für eine Lösung der deutschen Frage schaffen könnte. Nun, die Bundesregierung ist immer bereit gewesen, eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung in der Welt zu unterstützen und zu ihrem Teil mitzumachen. Die Bundesregierung hat auch heute wieder diese Bereitschaft ausgesprochen. Wenn die großen Mächte, die für die Rüstung und den Rüstungswettlauf bestimmend sind, sich auf allgemeine Abrüstungs- und Sicherheitsmaßnahmen einigen, muß und wird die Bundesrepublik jeden adäquaten Beitrag zu leisten bereit sein.Herr Kollege Erler, als Sie vorhin zu diesem Thema sprachen, hatte ich das Gefmühl, als ob Sie den Eindruck hätten, daß hier irgend jemand auf den Besitz von Atomwaffen versessen ist. Das ist nun wirklich nicht der Fall. Schließlich hat die Bundesregierung auf die Produktion von A-, B- und C-Waffen verzichtet, und es gibt keinerlei Anlaß anzunehmen, daß sich an diesem Verzicht etwas ändert. Jede atomare Bewaffnung, die in Zukunft vielleicht einmal notwendig werden sollte, wird ganz bestimmt kein Verteidigungsbeitrag sein, der durch deutsche Initiative ausgelöst wird. Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie nur Beiträge leisten wird, die, wie ich es vorhin schon ausgedrückt habe, im Interesse des Ganzen vielleicht für notwendig erachtet werden.
Eine andere Frage ist es, ob es zweckmäßig ist, daß die Bundesrepublik sich zu besonderen Beschränkungen ihrer Verteidigung in einem im wesentlichen auf Zentraleuropa beschränkten Raum bereit findet, und zwar ohne eine Hand in Hand damit gehende politische Entspannung in diesem Raum durch eine positive Lösung der deutschen Frage. Eine beschränkte Abrüstung in unserem Raume, sei es in der Stärke der eigenen und der verbündeten Truppen, sei es in der Art der Bewaffnung, würde praktisch einseitig die Bundesrepublik und die westliche Verteidigungsgemeinschaft treffen. In der westlichen Verteidigungsgemeinschaft ist die Bundesrepublik in Europa zwangsläufig ein sehr wesentliches Glied. Die wirkliche militärische Potenz und Gefahr auf der anderen Seite ist nicht das Zonenregime oder Polen oder die Tschechoslowakei, sondern die sowjetische Militärmacht. Diese Macht bliebe bei einer isolierten militärischen Veränderung in diesem gespannten Raum in jedem Falle militärisch und politisch präsent. Eine solche Art der Abrüstung und Verteidigungsbeschränkung liefe in der Wirkung — davon bin ich jedenfalls überzeugt — nicht auf eine Befriedung
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Dr. Gradldieses Raumes hinaus, sondern auf eine Verfestigung und Garantie des Unrechts der deutschen Teilung.In dem Gedanken einer militärischen oder, wenn Sie wollen, demilitarisierenden Sonderbehandlung unseres engeren Raumes kommen die vertrauten Überlegungen ,eines nur militärischen Disengagement zum Ausdruck. Solche Gedanken könnten einen guten Sinn haben, wenn der Westen es bei den Sowjets mit einem politischen Gegner zu tun hätte, mit idem über das politische Ziel der Aktion Einigkeit bestünde und dem man nicht mehr zu mißtrauen brauchte. Aber ich brauche nicht zu beweisen, daß das eben nicht der Fall ist.Unsere pessimistische Haltung hinsichtlich eines militärischen Disengagement ohne politische Entspannung wird kritisiert als eine Politik des Junktims zwischen Abrüstung und Wiedervereinigung. Nun sehe ich einmal davon ab, daß dieses Junktim einer 'allgemeinen Abrüstung in keiner Weise im Wege steht. Ich sehe auch davon ab, daß das Junktim im Grunde ja von der anderen Seite nichts verlangt als die Einräumung des Selbstbestimmungsrechts. Was die andere Seite an politischen Veränderungen als Konsequenz befürchtet, ist richtig. Aber das ist nun einmal Selbstbestimmungsrecht.Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Bundesregierung als auch unsere westlichen Verbündeten haben wiederholt die Bereitschaft ausgesprochen, die politischen und militärischen Probleme in Mitteleuropa gemeinsam so zu lösen, daß die Lösung allen Beteiligten gerecht wird. Es ist selbstverständlich, daß die Wiederherstellung eines Staates von 70 Millionen Deutschen auf der Basis des Selbstbestimmungsrechtes bei den anderen Völkern Europas manche Erinnerungen und manche Fragen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit auslöst. Das ist eine der Folgen dessen, was der Nationalsozialismus angerichtet hat. In diesem Sinne sind Wiederverednigung, Frieden, Sicherheit und Abrüstung eine Problemeinheit, die als Ganzes gesehen und in Stufen einer verbundenen Lösung zugeführt werden muß.Tatsächlich berücksichtigt der Friedensplan, den die Westmächte in Genf vorgelegt haben, alle diese Faktoren. Mit diesem konkreten Plan ist nach unserer Überzeugung ein Weg des guten Willens zur Entspannung in Europa gewiesen. Die eigentliche Bedeutung dieses Planes, der — unvermeidlich —kompliziert ist, liegt in den Grundsätzen, die in ihm zum Ausdruck kommen.Natürlich hält der Plan daran fest, daß im Zuge seiner Entwicklung dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht zurückgegeben werden muß und daß die Position Berlins bis dahin nicht Schaden leiden darf. Würde von diesen Voraussetzungen abgegangen, wäre es ja Kapitulation vor der sowjetischen Teilungspolitik. Aber unter diesen Voraussetzungen enthält der westliche Plan in Verbindung nit seiner Erläuterung durch den amerikanischen Außenminister alle konstruktiven Elemente einer allen Beteiligten zumutbaren Lösung der deutschen Frage.Der Plan sieht eine gestufte Entwicklung für die Wiedervereinigung vor. Er verlangt von der Sowjetunion nicht, wie, glaube ich, heute morgen auch hier gesagt worden ist, Kapitulation. Er verlangt nicht die Zustimmung zu einer abrupten, quasi-revolutionären politischen Veränderung in ihrem mitteldeutschen Besatzungsbereich. Die freien Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung folgen einer Übergangszeit in einem gesicherten Ablauf des Wiedervereinigungsprozesses. Und für diesen Plan ist auch das Anpassungsproblem, das sich aus der verschiedenen Entwicklung der ökonomischen und sozialen Struktur in beiden Teilen Deutschlands ergibt, als politisches Problem anerkannt. Der amerikanische Außenminister hat das ausdrücklich in seiner Genfer Erläuterung des Planes festgestellt.In diesem Plan ist auch vorgesehen, daß im Rahmen der Vier-Mächte-Verantwortung beide Teile Deutschlands bei der Vorbereitung der Wiedervereinigung mitwirken. Schließlich sind eine Fülle von konkreten Maßnahmen zur militärischen Entspannung vorgeschlagen, die die politische Entspannung begleiten und zu einem europäischen Sicherheitssystem führen sollen. Das geht vom Austausch militärischer Informationen über Inspektionen und sich überschneidende Radarsysteme bis zu einer Zone beschränkter Rüstung, zum Truppenabzug und zu einem gemeinsamen Garantiesystem.Meine Damen und Herren, alles das — dies insbesondere zu der Kritik des Kollegen Achenbach! — liegt in dem westlichen Plan, und zwar nicht versteckt, sondern es ist offen ausgesprochen. Wenn Sie beanstanden, daß dieser Plan als ein unauflösbares Ganzes hingestellt worden ist, muß ich dazu sagen: natürlich ist er in dem Sinne unauflösbar, daß die Tatsachen selber so miteinander verschlungen sind. Aber es ist nie ein Zweifel darüber gelassen worden, daß dieser Plan nicht als ein Diktat verstanden sein will, sondern als Grundlage für Verhandlungen; vorausgesetzt werden natürlich ernsthafte Verhandlungen.Der Plan ist seinerzeit mit Zustimmung der Bundesregierung in Genf vorgelegt worden. Die Bundesregierung hat sich auch heute wieder zu ihm bekannt. Er wäre eine faire Verhandlungsgrundlage, wenn, ja wenn es der Sowjetunion auf Sicherheit und Entspannung in Europa wirklich ankäme.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort zu der Formel, die Wiedervereinigung sei eine Sache der Deutschen untereinander. Daß das nur eine Ausweichformel der Sowjets ist, hinter der sie ihren derzeitigen Willen verstecken, Deutschland geteilt zu halten, ist offenbar. Die furchtbaren Äußerungen des sowjetischen Ministerpräsidenten zu seinen italienischen Besuchern waren in dieser Hinsicht besonders deutlich, bedrückend deutlich. Wer eigentlich soll denn in Deutschland unter diesen Umständen noch glauben — Herr Kollege Achenbach, denken Sie einmal über diese Frage nach! —, daß die deutsche Einheit, gelöst von der Vier-MächteVerantwortung, in einem Gremium, in dem die Vier Mächte nur noch Beobachter sein sollen, noch zu-
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5412 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Dr. GradlWege gebracht werden kann? Wer soll es auch glauben angesichts des tatsächlichen Verhaltens des Zonenregimes?Seitdem der sowjetische Regierungschef die Parolen der Entspannungspolitik und der Beendigung des Kalten Krieges proklamiert hat, bedient sich auch die Zonenpropaganda dieser Parolen. Alle diese Entspannungsparolen hindern das Zonensystem in keiner Weise — leider! —, den Stacheldraht noch dichter, die Sperrzone noch lückenloser, den Kirchenkampf noch raffinierter, die Atheisierung des gesellschaftlichen Lebens noch schärfer, die Sowjetisierung des Wirtschaftslebens noch intensiver, die Drangsal der Bauern und Handwerker noch quälender, kurz: die Spaltung noch tiefer und härter zu machen. Die Spalterflagge ist ja nur ein Symbol dafür.Bei uns in Deutschland besteht der Kalte Krieg noch immer. Hier besteht er nicht aus Worten, sondern aus Realitäten. Diese Realitäten sind es, die für uns der Prüfstein des wirklichen Willens auf östlicher Seite, die für uns die realen Maßstäbe der sowjetischen Politik auch im Zeitalter atmosphärischer Entspannung sind. Das alles steht in einem so schreienden Widerspruch zu dem von Chruschtschow verkündeten sowjetischen Entspannungs- und Friedenswillen! Ich will jetzt nicht frag en, ob er es mit diesem Willen ernst meint. Wir können nur wünschen, daß es so ist. Aber der Geist von Camp David 1959 wird genauso verfliegen wie der Geist von Genf 1955, wenn die Wirklichkeit nicht folgt. Die sowjetische Politik, so wie sie gegenwär) tig betrieben wird, macht — ich sage das nicht gern — die Schaffung eines guten Verhältnisses zwischen dem deutschen Volk und der östlichen Weltmacht unmöglich. Unser Volk wünscht ein gutes Verhältnis nach allen Seiten. Wir müssen das um so dringlicher wünschen nach allem, was im Zeichen des Nationalsozialismus in Deutschland geschehen ist, auch nach allem, was 1941 bis 1945 im deutschen Namen gerade der Sowjetunion angetan worden ist. Aber eben weil wir endlich zu einem Verhältnis echten Friedens kommen wollen, müssen wir immer wieder sagen, daß die bisherige sowjetische Deutschlandpolitik nichts mit Frieden zu tun hat, weder der Vertragsentwurf für einen Frieden mit zwei Staaten noch die Drohung mit dem Separatfriedensvertrag, noch die Drohungen Ulbrichts.Aber vielleicht kann statt langatmiger Ausführungen ein Beispiel viel deutlicher, als Worte es vermögen, zeigen, was für eine Ungeheuerlichkeit es in Wirklichkeit ist, die die sowjetische Politik mit Hilfe Ulbrichts dem deutschen Volk zumutet. Man möge sich in Moskau nur einen Augenblick einmal vorstellen, Hitler hätte den Krieg gegen die Sowjetunion gewonnen, der Westen der Sowjetunion, darunter die Herrn Chruschtschow besonders nahestehende Ukraine, wäre am Kriegsende zum Besatzungsgebiet gemacht worden, es wäre eine westrussische nationalsozialistische Republik geschaffen worden, General Wlassow wäre als Staats-und Parteichef eingesetzt worden, und dann hätte der Nationalsozialismus von Moskau die Anerkennung dieses Gebietes als zweiten russischen Staat verlangt. Genau das, mit umgekehrten Vorzeichen, verlangt die Sowjetregierung mit der Anerkennung des Zonenstaates.Nun frage ich: Muß man, auch in Erinnerung an die unerhörte Kraftanstrengung ihres vaterländischen Krieges, noch fragen, was die Sowjetrussen bei einer solchen Zumutung empfunden hätten, wie sie auf die Dauer reagieren würden? Ich meine, wir fühlen uns als Nation durch die Teilung Deutschlands nicht weniger verletzt, als sich Sowjetrußland in entsprechender Situation verletzt fühlen würde.
Der sowjetische Ministerpräsident spricht gerne von „Überbleibseln" des Krieges und von „Steinchen" auf dem Friedensweg, die weggeräumt werden müßten. Was hier in der Mitte Europas liegt — der Bundeskanzler hat in einem seiner Briefe an Chruschtschow darauf sehr deutlich hingewiesen —, das sind nicht nebensächliche Überbleibsel und Steinchen, das sind große Trümmer, dieses gespaltene Deutschland.Vor dem Obersten Sowjet hat Chruschtschow erklärt, das Prinzip der friedlichen Koexistenz bedeute Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Die ungeregelten internationalen Fragen sollten nicht durch Gewalt, sondern mit friedlichen Mitteln, durch Verhandlungen gelöst werden. Er hat auch gesagt, daß die Völker in jedem Staat — wörtlich! — selbst wählen mögen, welche Gesellschaftsordnung sie unterstützen wollen.
Es bedarf nichts weiter, als daß die sowjetische Politik gegenüber dem deutschen Volk in dieser Weise realisiert wird. Dann ließe sich vieles, was heute zwischen West und Ost liegt, sehr gut regeln. Auch dann, auch bei gutem Willen, würde die solide Neuordnung in Mitteleuropa natürlich schwierige und geduldige Verhandlungen, mehr Zeit, mehr Einzelarbeit erfordern, mehr Vertiefung, als auf einer Gipfelkonferenz im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit möglich ist.Das war einer der Gründe, weshalb der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung wiederholt die Bildung eines ständigen Vier-Mächte-Gremiums mit deutschen Mitarbeitern vorgeschlagen haben. Aber, Herr Kollege Achenbach, ein Vier-Mächte-Gremium mit deutschen Mitarbeitern oder Arbeitsgruppen, nicht aber ein Gremium, bei dem die Vier Mächte nur Beobachter sind und die Deutschen sich selbst überlassen sind, nicht ein Gremium, in dem die Vier-Mächte-Verantwortung tatsächlich aufgelöst ist!Meine Damen und Herren, meine politischen Freunde sind gewillt, im Rahmen unserer Möglichkeiten einen redlichen deutschen Beitrag zur Lösung aller Fragen zu leisten, die die Welt bewegen und die kommende Gipfelkonferenz beherrschen. Wir sind nicht skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer Entspannung. Wir wollen nur, daß man zu einer realen Entspannung kommt. Das sowjetische Verhalten in der Frage Berlin und Deutschland ist, für uns jedenfalls, die Probe darauf, ob die Entspannungspolitik, wie sie die Sowjetregierung so wortgewaltig verkündet, nicht der Einschläferung
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5413
Dr. Gradlund Zersetzung der freien Welt dienen soll, sondern wirklich zu einer Befriedung der ganzen Welt. führt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf eine besondere Gelegenheit nicht vorübergehen lassen: die Gelegenheit, daß ich ausnahmsweise dem Herrn Bundeskanzler einmal ein Kompliment machen kann. Es ist allerdings nur ein relatives Kompliment,
nämlich das Kompliment, daß seine Antwort auf unsere Große Anfrage sehr viel wesentlicher und klarer war als die Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers, wohingegen und sonst die Gedanken, die der Herr Bundesaußenminister in der Außenpolitik manchmal vorträgt, auch dann, wenn sie von dem Herrn Bundeskanzler desavouiert werden, oft viel besser gefallen.
Ich habe ferner dem Hause ein Kompliment auszusprechen, nämlich dafür, daß diese außenpolitische Debatte zum Unterschied von derjenigen am 5. November nicht in stürmische innerpolitische Auseinandersetzungen abgeglitten ist. Ich will hoffen, daß wir in diesem Sinne die Debatte auch zu Ende führen.Eins aber habe ich in dieser ganzen Debatte vermißt: Wir haben alles zu sehr nur vom deutschen Standpunkt aus gesehen. Wir machen uns gar nicht klar, daß wir ja in einer Welt leben und daß wir von der Welt her Unterstützung, Verständnis, Verständnisbereitschaft brauchen. Nur wenn wir uns in die Gedankengänge der übrigen Mächte hineinfinden, haben wir eine Chance, auch in unserer Sache weiterzukommen. Deshalb lassen Sie mich mit zwei Zitaten aus der Welt draußen beginnen, zwar sehr kräftigem Tobak, aber es ist immerhin notwendig, daß auch das im deutschen Volk gehört wird.Als der Herr Bundeskanzler im November nach London fuhr, wurde er mit einem Artikel der konservativen Zeitschrift „Spectator" begrüßt, und in diesem Artikel hieß es — ich zitiere nach einer Schweizer Zeitung —:Die Zukunft Deutschlands werde wahrscheinlich für den ganzen restlichen Teil dieses Jahrhunderts von Außenstehenden bestimmt werden, und die einzigen, die dies noch nicht wüßten, seien die Deutschen. Die Amerikaner seien entschlossen, unter einer das Gesicht wahrenden Formel die DDR de facto anzuerkennen. Ferner seien sie entschlossen, zuzulassen, daß die Oder-Neiße-Linie zur tatsächlichen polnischostdeutschen Grenze und daß Berlin in eine freie Stadt mit UNO-Beobachtern verwandelt werde. Alles, was Dr. Adenauer noch tun könne, sei, die entsprechenden Verhandlungen solange als möglich hinzuziehen, uni der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich ans Unvermeidliche zu gewöhnen.So die englische Zeitung!Dann eine Schweizer Stimme aus der „Tat". Der Pariser Berichterstatter dieser Zeitung gab nach der Dezember-Konferenz ein Resümee über das, was sich dort ergeben hatte. Erster Punkt: Der kalte Krieg ist vorbei. Das wird im einzelnen ausgeführt. Zweiter Punkt: Das französische Problem ist damals ausgeklammert worden. Und der dritte Punkt — der Punkt, der uns angeht —:Die deutschen Sorgen — Wiedervereinigung und Berlin — sind Leichen im Schrank geworden, die einen üblen Geruch verbreiten. Aus alter Gewohnheit spricht man noch von diesen Dingen. Aber die Partner der Bundesrepublik verbergen nur noch mit Mühe, daß es ihnen lästig wird, durch die deutschen Sorgen und Wünsche an einer ungestörten Installierung der Entspannung verhindert zu werden.Diese Stimmen, auch wenn sie kraß sind, muß man kennen, um sich ein Bild darüber zu machen, wie das Ausland in vielen Fällen denkt.
Ich glaube, daß auch im deutschen Volk das Unbehagen, die Sorge vor dem, was kommt, darauf zurückzuführen ist, daß das deutsche Volk instinktiv das ahnt, was im Ausland deutlich ausgesprochen wird. Ich halte es für eine Pflicht deutscher Parlamentarier, halte es aber auch für eine Pflicht der Bundesregierung, dem deutschen Volk in aller Aufrichtigkeit ganz klaren Wein einzuschenken.
Um was handelt es sich denn? Wir stehen doch praktisch an einem Wendepunkt unserer Außenpolitik und müssen uns darüber klar sein.Die erste Feststellung, die wir zu treffen haben, ist die, daß auch unsere Wünsche auf dem Gebiet der Europapolitik, unsere Wünsche nach einer Integration, nach einer bundesstaatlichen Gestaltung nicht erfüllt sind — ich sage: leider! denn ich habe daran geglaubt und daran mitgearbeitet — und im Augenblick unerfüllbar erscheinen. Warum?Die englische Politik wird niemals die englische Finanzmacht, die englische Wirtschaftsmacht, die englische Militärmacht irgendeinem Mehrheitsbeschluß in einem Bundesstaat unterwerfen, dem sie selber nicht zuzustimmen wünscht oder zustimmen kann.Die französische Regierung wird dasselbe tun. Diejenigen, die im Winter 1952/53 in Paris versucht haben, eine europäische Verfassung zustande zu bringen, in einem Ausschuß, dem auch der heutige Premier Frankreichs, Herr Debré, angehörte, wissen doch, und auch der Herr Bundesaußenminister weiß es, wie die Herren, die heute in Frankreich an der Macht sind, darüber denken. Sie denken nicht daran, in einen Bundesstaat hineinzugehen. Nach ihrer Auffassung ist die nationale Souveränität unteilbar.
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5414 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Dr. BeckerWir stehen also mit unserem Wunsch, zu einer bundesstaatlichen Vereinigung in Europa zu kommen, und mit unseren Vorstellungen über den Weg dahin zur Zeit vor einer Wand, in einer Sackgasse. Darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen. Europäische Bürokratien und Technokratien schießen zwar wie Pilze aus der Erde nach einem warmen Sommerregen; Pilze, die insbesondere dann, wenn ein fruchtbarer Regen hoher Gehälter über diese Technokratien hinweggeht, noch weiter wachsen möchten. Der Bund der Steuerzahler teilte letzthin mit, daß ungefähr 4200 neue Stellen in diesen Technokratien gewünscht werden und besetzt werden sollen. Wir haben in diesen Technokratien nichts mehr zu sagen, weil wir in der Hoffnung, in einem bundesstaatlichen Europa ein Parlament zu haben, das mitreden könnte, für die nationalen Parlamente, darunter auch für unseres, praktisch die Herrschaft in bezug auf die finanziellen Dinge abgegeben haben.Das ist der erste Wendepunkt in der Politik, den wir feststellen müssen.Der zweite Punkt ist dieser: Die Politik der Stärke — das heißt, die Politik des Glaubens, die Frage der Wiedervereinigung könne unter dem Druck einer starken Machtballung gegen die Sowjetunion gelöst werden — ist zu Ende, sie ist gescheitert.Die dritte Feststellung ist: Der Kalte Krieg ist vorbei.In ihrem letzten Briefwechsel haben unser Herr Bundeskanzler und Herr Chruschtschow in einem Punkt mindestens übereinstimmende Gedanken zum Ausdruck gebracht, nämlich die Überzeugung, daß ideologische Unterschiede kein Hindernis für die friedliche Zusammenarbeit von Staaten verschiedener Gesellschaftstruktur sein dürften. Aber, meine Damen und Herren, wie lange hat es gedauert, bis es zu diesen Erkenntnissen kam! Und wie lange werden wir noch warten müssen, bis etwa in der Sowjetzone diese Erkenntnis dämmert! Denn sie darf ja dort nicht dämmern; das, was dort zu denken ist, wird vorgeschrieben.Ich sprach also von der langen Dauer, bis diese Erkenntnis reifte. Mir liegt ein Auszug aus dem Stenographischen Protokoll unserer Sitzung vom 5. November 1957 vor. Es war die Sitzung, in der die Regierungserklärung der neuen Bundesregierung besprochen wurde. In dieser Debatte hatte der Kollege Ollenhauer gefragt, wie sich die Regierung die Wiedervereinigung konkret vorstelle. Der Herr Bundeskanzler antwortete darauf. Er verwies darauf, daß auch Herr Ollenhauer bei einer Besprechung mit Herrn Pandit Nehru in Neu-Delhi keine konkreten Wege habe aufzeigen können. Dann fügte er hinzu — ich darf wohl vorlesen —:Herr Kollege Ollenhauer hat im Verlauf seiner Ausführungen gesagt, er vermisse, daß in der Regierungserklärung konkrete Wege aufgezeigt seden. Ja, meine Damen und Herren,— so sagte der Herr Bundeskanzler —in der heutigen Zeit konkrete Wege aufzuzeigen, dazu gehört mehr Phantasie, als ich sie habe. Das muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen.Gut, ehrliches Eingeständnis, die Regierung weiß keine Wege. Aber wir haben dann allesamt, mit dem Herrn Bundeskanzler an der Spitze, weiter brav und bieder von der kommenden Wiedervereinigung geredet.Ich habe dann — ich war damals Vorsitzender der FDP-Fraktion — an sämtliche Fraktionen, an den Herrn Bundeskanzler und an den Herrn Bundesaußenminister, einen Brief mit dem Vorschlag gerichtet, man solle sich mal in einem locker gebildeten Ausschuß, also in einem Ausschuß, in dem nicht der selige de Hondt alles regiert, sondern der Verstand, zusammensetzen, eventuell unter dem Vorsitz des Herrn Bundestagspräsidenten Gerstenmaier, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, und zwar doch nunmehr in Kenntnis all der Unterlagen, über die die Regierung auch verfüge, nämlich in Kenntnis der Botschafterberichte, in Kenntnis des Inhalts all der Verhandlungen und dessen, was in den vielen, vielen Konferenzen zutage getreten ist; dann wollten wir gemeinsam beraten, was zu tun wäre.Es ist doch schrecklich — .das füge ich jetzt hinzu —, wenn man so oft von Mitgliedern ausländischer Botschaften nach einem Weg der Wiedervereinigung gefragt wird und erwidern muß: „Fragen Sie unsere Regierung, wir wissen nichts weiteres."Das wollte ich zu beseitigen versuchen und mich um die Herbeiführung einer einheitlichen Politik bemühen. Ich bekam von der Fraktion der Deutschen Partei prompt eine zustimmende Antwort; ich bedanke mich noch heute dafür. Ich bekam andere Antworten, die mehr ausweichend lauteten.Ich hatte ausdrücklich einen besonderen Ausschuß, nicht den Auswärtigen Ausschuß, vorgeschlagen, weil der Herr Bundeskanzler ja immer einwendet: Der Auswärtige Ausschuß ist kein Ausschuß, der dicht hält, da sind mir zuviel Leute, da kann man nicht alles erzählen. — Darum sagte ich mir: Gut, nehmen wir einen anderen Ausschuß. Der Herr Außenminister antwortete auch, schlug nun aber seinerseits im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers wieder den Auswärtigen Ausschuß vor.Auch der Herr Bundeskanzler antwortete mir. Er schrieb mir, er habe meinen Vorschlag mit Interesse gelesen, er komme demnächst darauf zurück. — Das war im Dezember 1957. Heute haben wir den 10. Februar 1960. Inzwischen hat so etwas stattgefunden, was nach einem Suchen und Tasten nach gemeinsamer Politik aussah. Es fanden, als der Brief Chruschtschows über Berlin eintraf, vom November 1958 bis, sage und schreibe, Februar 1959 vier Besprechungen mit Fraktionsvorsitzenden statt; an zweien teilzunehmen hatte auch ich die Ehre.Unter dem Vorsitz des Herrn Bundesministers Lemmer fanden dann gesamtdeutsche Besprechungen statt, die aber nach dem Februar 1959 ebenfalls sanft entschliefen. Als Herr Eisenhower seinen Besuch hier machte, fand weder vorher noch nachher eine Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden über den Inhalt der Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5415
Dr. Beckermit Präsident Eisenhower statt, obwohl darum ersucht wurde.Das ist der Leidensgang einer gemeinsamen deutschen Außenpolitik. Wenn dann noch — vorausgesetzt, daß der Bericht zutrifft — in einer internen Sitzung ein sehr hochstehender Mann eine gemeinsame Außenpolitik einen „faulen Zauber" nennt, wissen wir Bescheid.Aber ich habe nun doch eine Antwort bekommen, und zwar heute. Der Bundeskanzler hat, zwar in anderem Zusammenhang, gesagt, man dürfe die Geduld nicht verlieren. Ich nehme an, daß das die Ergänzung zu dem Brief vom Dezember 1957 ist.
Zu einer gemeinsamen Außenpolitik gehört zweierlei: erstens muß überhaupt eine Politik vorhanden sein. Zweitens muß man versuchen, die politische Meinung, die sich in dieser Politik manifestiert, zum Gemeingut werden zu lassen. Deshalb haben wir die Regierung auch gefragt, was ihre Politik sei.Ich habe vorhin schon gesagt: die Auskunft des Herrn Bundesaußenministers ist zwar etwas polemisch zugespitzt gewesen; die Polemik ist aber mißlungen. Sehr verehrter Herr Außenminister, Sie haben davon gesprochen, daß wir in Ziffer 2 unserer Großen Anfrage hinsichtlich des Zieles der deutschen Außenpolitik — Ziel ist Berlin, Ziel ist die Wiedervereinigung, Ziel sind die Ostgrenzen — eine Alternative von Ihnen hören wollen. Nein! Lesen Sie bitte die Ziffer 2 einmal genau. Es heißt dort:Welche politische Alternative ... sieht der Herr Bundeskanzler nach der durch den Herrn Bundesaußenminister getroffenen Feststellung, daß die bisherigen Vorstellungen des Herrn Bundeskanzlers über eine Lösung der Deutschlandfrage am Widerstand der Sowjetunion gescheitert seien?Wir haben also gefragt, ob eine Eventuallösung hinsichtlich der Methode des Vorgehens vorliege. Der Herr Bundesaußenminister hat dazu geschwiegen. Ich möchte ihn im Außenpolitischen Ausschuß einmal fragen, ob überhaupt eine solche Eventuallösung vorliegt. Jede Regierung muß für jede Situation, die es gibt, nicht nur eine Lösung im Auge haben, sondern sie muß, wenn sich andere Eventualitäten bieten oder die Geschichte andersherum geht, auch wieder eine Eventualstellungnahme zur Verfügung haben.Die richtige Antwort hat der Herr Bundeskanzler gegeben. Der Herr Bundesaußenminister meinte, die Sowjetunion wolle nicht, sie verstecke sich hinter Zuständigkeitsbedenken und dergleichen; deshalb habe es gar keinen Zweck — so klang es wenigstens —, noch weiter vorzugehen. Demgegenüber sagt der Herr Bundeskanzler — was er sagte, rührt vielleicht daher, daß man im Alter, in dem wir beide nicht weit auseinanderliegen, etwas ruhiger denkt —, man solle sich durch ein solches Nein nicht zu sehr beeindrucken lassen, man solle nicht die Geduld verlieren; in diesem Zusammenhang hat er das, was ich vorhin erwähnt habe, hinsichtlich der Geduld gesagt.Was er gesagt hat, ist sicherlich richtig. Wenn man mit Orientalen verhandelt, dann dauert die Verhandlung lange und dann darf man die Geduld nicht verlieren. Man muß für alle Wege, die es gibt, gewisse Eventualitäten der Methode — nicht des Zieles — zur Verfügung haben.Im einzelnen wären jetzt noch weitere Fragen ,anzuknüpfen. Im Interesse unserer Außenpolitik möchte ich deren Beantwortung heute und hier nicht verlangen. Ich möchte aber dringend bitten, daß der Auswärtige Ausschuß sehr viel mehr aktiviert wird, als es bisher der Fall gewesen ist. Die Verhältnisse sind in den letzten eineinhalb Jahren — das gebe ich dem Herrn Außenminister und dem Vorsitzen- den des Ausschusses zu — besser geworden als vorher, als der Herr Bundeskanzler uns noch öfters besuchte und dann immer, weil Herr Dulles telefonierte oder irgend jemand zu Besuch kam, schleunigst wieder weggehen mußte. Die Verhältnisse sind auch insofern anders geworden, als jetzt von dem, was wir unter dem Siegel „vertraulich und streng geheim" zu hören bekommen, jetzt mindestens 10 % neu sind, während wir das übrige — wie schon früher — längst in der ausländischen Presse gelesen hatten.Ferner wäre der Wunsch zu äußern — er klang auch in den Ausführungen des Herrn Kollegen Erler durch —, daß das Auswärtige Amt nicht gleich zu jedem Ereignis in der Außenpolitik Stellung nimmt. Es gibt viele Dinge, die uns zunächst einmal direkt nichts angehen. Dann sollte man schweigen getreu dem alten Grundsatz: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ich bitte, es nicht als Tadel oder als ungebührlich aufzufassen, wenn ich hinzusetze: und manches Geschwätz ist sogar Blech. Das Auswärtige Amt hat es doch eigentlich furchtbar einfach. Wenn Fragen gestellt werden, deren Beantwortung nicht unbedingt nötig ist, kann der „Sprecher des Auswärtigen Amtes" einfach sagen: Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Es kommt nämlich zunächst einmal auf die Stellungnahme der großen Mächte an. Das haben wir ja gelernt: Als England und Frankreich den Krieg am Suezkanal beginnen wollten — sie waren drei bis vier Tage auf dem Weg in den Orlog —, kam, ohne daß eine Verständigung zwischen den USA und der Sowjetunion vorgelegen hätte, aber auf Grund einer inneren Übereinstimmung zwischen beiden, ein Einspruch, der England und Frankreich zur Rückkehr veranlaßte. Es wird nichts in der Politik möglich sein, wenn man nicht die Zustimmung einer der beiden großen Mächte erreichen kann.Das große Problem, das vor uns steht, besteht darin: Wird es unserer deutschen Politik möglich sein, sich in die Entspannungspolitik so einzufügen, daß im Rahmen der gesamten Entspannungspolitik die deutsche Frage ungeteilt gelöst werden kann?Wir müssen uns darüber klar sein, daß die anderen Mächte auch ihre Sorgen haben: die große Frage der Abrüstung, die Teilung von Korea und Vietnam, die Probleme Formosa und Laos, das neue welt- und machtpolitische Dreieck in Asien: Moskau—Peking—New Delhi, Sowjetunion—ChinaHindustan, dann der Komplex der Politik der ara-
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5416 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Dr. Beckerbischen Staaten, das Erwachen Afrikas, die Frage der Hilfe an die minderentwickelten Völker und die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Das sind die großen Probleme. In diesen Rahmen kann dann die deutsche Frage hineingestellt werden.Der sowjetische Vorschlag über die Abrüstung wird von uns begrüßt, und wir sind bereit, daran mitzuarbeiten. Wir erinnern uns, daß schon einmal ein Vorschlag auf Abrüstung von russischer Seite kam. Das war 1897. Er führte zwar nicht zur Abrüstung, aber er führte immerhin 1897 zur Haager Schiedsgerichtsordnung, und das war für die damalige Zeit schon ein großer Fortschritt auf dem Weg zum Frieden. Er führte in der zweiten Haager Konferenz von 1907 zur Haager Landkriegsordnung, so daß die Initiative der russischen Seite dann zu diesen wirklich sehr guten, zwar nicht den Frieden garantierenden, aber die Schrecknisse des Krieges vermindernden Vereinbarungen geführt hat.Die Teilungen von Staaten — Vietnam, Korea, Deutschland, Europa — sind doch nur Verlegenheitslösungen, wobei das Wort „Verlegenheit" groß und das Wort „Lösung" ganz klein zu schreiben ist. Die, die solche „Lösungen" finden, sind vielleicht Politiker, aber weiß Gott keine Staatsmänner. Ein Staatsmann läßt keine Brandherde bestehen; er stiftet keine neuen Krisenherde. Ein Staatsmann fügt zusammen, was zusammen gehört; dann ist er erst ein Staatsmann.
Wir begrüßen die neuen Staaten, die sich in Afrika bilden. Wir hoffen, daß wir auch zu den Staaten Osteuropas in gute nachbarliche Beziehungen treten, und ich möchte den Wunsch aussprechen, daß die viel besprochene Hallstein-Doktrin sehr bald von uns aus unauffällig, aber bestimmt im Meer der Vergessenheit versenkt wird.
Bei der Hilfe an die unterentwickelten Völker und auch bei der Bekämpfung des Hungers machen wir Deutsche selbstverständlich mit. Ich darf in dem Zusammenhang die große Öffentlichkeit nur daran erinnern, daß der Herr Bundespräsident Lübke selbst zu wiederholten Malen diesen Gedanken kräftig unterstrichen und die Bereitschaft Deutschlands zur Mitwirkung ausgesprochen hat. Wir schließen uns dem an.In dieses ganze Bukett, das die Auslandsmächte interessiert, kommt nun unsere deutsche Frage, und wir haben die Aufgabe, bei dieser Entspannung mitzumachen, absolut, nach jeder Richtung, damit nicht der Verdacht aufkommt, wir wollten uns querlegen. Andernfalls isolieren wir uns nach allen Seiten hin. Nach meiner Ansicht kann die Berliner Frage, die Frage der Wiedervereinigung, die Frage der Ostgrenzen nur einheitlich gelöst werden.Zunächst zu Berlin. Ich möchte der Behauptung der DDR entgegentreten, Berlin liege auf dem Terriforlom dieser Ostzonenregierung. Das ist einfach nicht wahr. Berlin, nicht nur West-Berlin, sondern auch der Ostsektor von Berlin bilden ein Territorium für sich, geschaffen durch das Potsdamer Abkommen, bestätigt durch das Abkommen nach dem Abbruch der Blockade Berlins. Daran müssen wir festhalten. Wenn der Osten von dem Rechtsstandpunkt ausgeht, daß West-Berlin allein geändert werden müsse, dann muß er konsequenterweise auch von dem Ostsektor Berlins reden.Herr Chruschtschow sagt: Die Situation von Berlin ist anomal. Er hat recht; sie ist anomal. Der Präsident Eisenhower sagt: Die Situation Berlins ist in der Tat anomal. Auch er hat recht; sie ist anomal. Was folgt daraus? — Daraus folgt, daß man eine normale Situation schaffen muß, daß man aber nicht nach Zwischenlösungen suchen darf, die doch immer wieder nur anomal sein werden. Es gibt nur eine normale Lösung für Berlin: Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands, und die Hauptstadt muß immer inmitten des Territoriums liegen, zu dem sie gehört.Das ist eine Selbstverständlichkeit. Fragen Sie doch einmal einen Sowjetbürger, ob die Sowjetunion noch die Sowjetunion wäre, wenn Moskau nicht mehr die Hauptstadt wäre, wenn sie nicht mehr existierte. Fragen Sie einmal einen Franzosen, ob er zur Zeit der Vichy-Regierung Vichy als seine Hauptstadt angesehen hat oder ob Frankreich nicht vielmehr deshalb Frankreich ist, weil es Paris zur Hauptstadt hat. Denken Sie an Italien! Als 1870 Rom die Hauptstadt wurde, da wurde überhaupt erst Italien. Wenn Sie heute einem Land die Hauptstadt nehmen, dann ist das Land als solches nicht mehr da. Deshalb ist nach unserer Auffassung die Lösung der Berlin-Frage klar und eindeutig mit der Lösung der Wiedervereinigungsfrage verbunden. Wir haben Bedenken, die Berlin-Frage allein zur Debatte zu stellen, weil dadurch die Frage der Wiedervereinigung und die Frage der Ostgrenzen gewissermaßen aufgeschoben, aufgehoben oder in die zweite Linie gesetzt würde.In einem nach der Italienreise des Herrn Bundeskanzlers herausgegebenen Kommuniqué ist von einer Abstimmung in Berlin die Rede gewesen. Wir haben heute aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers gehört, was Herr Chruschtschow auf eine direkt von italienischer Seite gestellte Frage geantwortet hat. Mir ist die Antwort des Herrn Chruschtschow vorher noch nicht bekanntgewesen; aber ich möchte dazu folgendes für mich und meine Freunde sagen: An der Stimmung der Berliner haben wir nicht den geringsten Zweifel; sie ist allein schon zur Zeit der Blockade derart klar und eindeutig und für alle Welt vernehmlich zum Ausdruck gekommen, daß darüber nicht debattiert zu werden braucht. Aber ich wehre mich gegen den Gedanken, ein Land wie Deutschland als Ganzes zu zerstückeln und nun innerhalb der einzelnen Stücke abstimmen zu lassen. Das Selbstbestimmungsrecht hat zur Voraussetzung, daß das Volk als Ganzes darüber abstimmt.
Noch ein Wort: Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ob wir uns — und ich meine damit sowohl die Bundesregierung als auch das Parlament — durch die Einschiebung einer Volksabstimmung von unserer Verantwortung in irgendeinem Punkt drücken wollten.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5417
Dr. BeckerNun zu den Ostgebieten. Schauen Sie bitte einmal auf die Karte. Das Zentrum des alten Preußens, die Provinz Mark Brandenburg, liegt noch mit einem nicht unwesentlichen Teil östlich der Oder. Wissen das die Westmächte? Wissen die Westmächte, daß die großen Gebietsteile im Osten 600, 800 Jahre deutsch gewesen sind? Wissen sie, daß es in Europa Gegenden gibt, die jahrhundertelang deutsch waren, aber 180 Jahre einem anderen Land gehörten und jetzt wegen der Zugehörigkeit von 180 Jahren dem anderen Land gehören? Ich rede vom Elsaß. Wir stellen diese Frage nicht mehr zur Debatte. Aber wir bitten doch, daß unsere französischen Freunde und Nachbarn, wenn sie über die Frage der Ostgebiete sprechen, denselben Maßstab, den sie bei der 180jährigen Zugehörigkeit zu Frankreich mit Zustimmung vieler anderer Staaten angelegt haben, nun auch bei den Ostgebieten, die 600 und 800 Jahre zu Deutschland gehörten, anlegen.
Im Jahre 1947 hat der Staatsekretär der USA Byrnes in Stuttgart eine Rede gehalten, in der er davon gesprochen hat, daß sich eine Lösung mit einer neuen Grenze zwischen Polen und Deutschland denken ließe, die östlich der Oder-Neiße-Linie verliefe, also etwa so, daß noch Gebiete von Pommern und der Mark Brandenburg sowie Teile von Niederschlesien mit zu Restdeutschland geschlagen würden. Ich nehme an, Herr Staatssekretär Byrnes war damals der Auffassung, daß sich das auch bei aller Anerkennung polnischer Wünsche vertreten lasse mit dem Ziel, ein gutes Verhältnis zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk herzustellen. Ich habe deshalb an die USA die Frage zu richten: Stehen die USA heute noch zu dem Wort von 1947? Wenn das damals wahr war, ist es auch heute noch richtig.Eine Gipfelkonferenz steht vor uns. Herr Macmillan hat erklärt, daß mehrere Gipfelkonferenzen die Folge sein würden. Das ist mir auch völlig klar. Als die Napoleonische Zeit vorbei war, bedurfte es einer großen Konferenz, des Wiener Kongresses. Ich bin überzeugt, daß, wenn die Lösung der Probleme, die wir soeben aufzuzeigen versucht haben, gelingen soll, eine ganze Reihe von Gipfelkonferenzen und zwischengeschalteten Außenministerkonferenzen nötig werden, so daß die Entwicklung im ganzen, in ihrer weltpolitischen Bedeutung gesehen, auf das hinauslaufen könnte, was einst im Wiener Kongreß geschehen ist.Was ist im Wiener Kongreß geschehen? Damals war das Zeitalter der Napoleonischen Weltkriege vorüber. Damals ist niemandem eingefallen, die Franzosen, weil Napoleon sie in den Krieg geführt hatte, zu Militaristen zu erklären und damit eine Zerstückelung Frankreichs zu begründen. Im Gegenteil, man war sehr weitsichtig und weitschauend. Talleyrand, von Napoleons Gnaden Fürst von Benevent, kam als Vertreter Frankreichs zum Wiener Kongreß und wurde zugelassen. Kein Mensch dachte daran, Frankreich zu zerstückeln. Frankreich blieb in seinen alten Grenzen bestehen. Es gelang den Staatsmännern von damals, wenn auch nach manchen verschlungenen Wegen in Verhandlungen, zu einem Ergebnis zu kommen, das immerhin für 100 Jahre, nämlich von 1815 bis 1914, den Weltfrieden erhalten hat. Die kleinen Kriege — deutschfranzösischer Krieg, französisch-österreichischer Krieg, russisch-türkischer Krieg usw. — zählen nicht. Erst 1914 begannen wieder die welterschütternden Kriege.Heute behauptet man, wir seien Militaristen. Man soll das mit dem Maßstab messen, mit dem der Wiener Kongreß die damalige Situation weitsichtig und weitschauend gemessen hat. Wenn man das nicht tut, wenn man mit unserem angeblichen Militarismus die Notwendigkeit unserer Zerstückelung begründen will, schlagen sich die Herren im Westen und im Osten selber ins Gesicht; denn beide haben uns bewaffnet, der Osten die Sowjetzone, und der Westen hat unsere Mitwirkung bei seiner Verteidigung gewünscht. Also ist der angebliche Militarismus der Deutschen keine Begründung für die Zerstückelung Deutschlands. Man sollte weitsichtig sein.Daß wir als Militaristen besonders kriegslüstern gewesen seien — diese Ansicht darf ich auch einmal erwähnen, um sie zu verneinen. Mit den angelsächsischen Mächten, mit dem Vereinigten Königreich und mit den Vereinigten Staaten von Amerika, hat Deutschland, abgesehen von den beiden letzten Kriegen, überhaupt keinen Krieg geführt. Der erste Weltkrieg von 1914 ist der Krieg, in den nach dem Wort von Lloyd George alle Welt hineingeschlittert ist. Der zweite Weltkrieg ist der, den Hitler verursacht hat und verursachen konnte, weil er die Macht über uns hatte und weil diejenigen, die Schwertträger waren, nicht die Entscheidung fanden, ihm in den Weg zu treten. Aber wenn Sie in die Zeit vor 1914 zurückgehen, so werden Sie finden, daß wir mit den angelsächsischen Mächten niemals Krieg gehabt haben. Und wenn Sie, nach Osten schauend, in die gleiche Zeit zurückgehen, werden Sie finden, daß zurück bis zum Siebenjährigen Krieg wir, d. h. die Preußen und Deutschen mit Rußland keinen Krieg geführt haben. Im Gegenteil, wir entsinnen uns sehr genau — und das dürfte von Interesse sein, wenn etwa die Sowjetunion die Politik verfolgen sollte, ihre Westflanke in besonderer Weise zu schützen daß während des Krimkrieges die Neutralität Preußens und Deutschlands die Westflanke Rußlands gesichert hat. Wir entsinnen uns, daß Bismarck Ende der 80er Jahre durch den Rückversicherungsvertrag mit Rußland dafür gesorgt hatte, daß aus dem deutsch-österreichischen Bündnis in Verbindung mit den Balkanwirren kein Krieg auf dem Balkan entstehen konnte. Wir entsinnen uns, daß im russisch-japanischen Krieg 1903/04 der Westen, Deutschland, die Neutralität gehalten hat.Wir erinnern uns auch daran, daß die Weimarer Republik, als sie 1925 durch die Locarnoverträge — ich hätte beinahe gesagt: in der Außenpolitik wieder salonfähig gemacht hat — mit dem Westen und dem Völkerbund eine Verbindung einging, sofort ihrerseits unter Stresemann 1926 in dem Berliner Vertrag die Versicherung an Rußland gab: ein Durchmarsch von Truppen des Völkerbundes durch Deutschland gegen den Osten komme nur dann in Frage, wenn nach dem selbständigen Entscheid der deutschen Regierung eine Angriffsaktion von sei-
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5418 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
Dr. Beckerten des Ostens vorliege und ein Vertrag bestehe, der für den Fall eines unprovozierten Angriffs auf den einen oder andern beiderseitige Neutralität vorsehe. Es ist mir aufgefallen, daß, als Herr Mikojan im Frühling 1958 der Bundesrepublik einen Besuch machte, die Sowjetbotschaft in ihrer Zeitschrift einen Artikel gerade über diesen Vertrag veröffentlicht hat.Ja, so ändern sich die Zeiten, aber die Grundideen bleiben. Wer die Welt beruhigen will, der muß alle Probleme zu lösen versuchen. Wer die Abrüstung will — und wir wollen sie mit —, der muß gleichzeitig, damit die Abrüstung nicht zu neuem Mißtrauen führt, damit sie nicht mißbraucht oder umgangen wird, dafür sorgen, daß alle Krisenherde in der Welt beseitigt werden.Die Welt steht vor der Frage, ob es Staatsmänner gibt, die die Zeichen der Zeit erkennen, ob die Herren Chruschtschow und Eisenhower einmal als Staatsmänner oder nur als Politiker in das Buch der Geschichte eingehen. Sie kennen den Unterschied zwischen dem Politiker und dem Staatsmann. Der Politiker schaut nur bis zu den nächsten Wahlen. Ich will von 1961 nicht sprechen. Aber ich denke z. B. an gewisse Präsidentenwahlen, und ich denke an Sitzungen im Obersten Sowjet. Der Staatsmann schaut über alles das hinaus, sieht die Probleme, wie sie sind, und blickt über die Wahlzeiten hinaus auf die kommende Generationen. Deshalb wird derjenige, der nur Politiker ist, der nur Korea, Vietnam, Deutschland, Europa teilen kann und Verlegenheitslösungen schafft, vielleicht ein paar Schlagzeilen in der Zeitung bekommen, aber in das Buch der Geschichte geht er bestimmt nicht ein.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich, angesichts der fortgeschrittenen Zeit bemühen, meine Gedanken möglichst zu straffen. Da ich aber nie eine ausgearbeitete Rede habe, kann ich Ihnen nicht sagen, ob ich nur eine halbe Stunde oder eine dreiviertel Stunde sprechen werde. Das ergibt sich aus der Situation.Mein Kollege Max Becker hat hier vorhin gesagt, es komme in der Zukunft darauf an, unser deutsches Problem in die sich anbahnende Atmosphäre der Entspannung in der ganzen Welt einzubetten, damit es innerhalb des großen Rahmens nicht vergessen werde. Ich pflichte ihm darin absolut bei. Ich bin aber der Meinung, daß wir darüber nicht allzu besorgt zu sein brauchen. Die Welt weiß, daß es, wenn die deutsche Frage, die Berlin-Frage nicht einer gerechten Lösung zugeführt wird, in der ganzen übrigen Welt eine echte Entspannung einfach nicht geben kann. Die deutsche Frage nimmt in Mitteleuropa eine derartig zentrale Stellung ein, daß man ohne ihre Lösung nicht an eine echte Entspannung und an eine Politik des dauerhaften Friedens zu glauben vermag.Deshalb habe ich nicht so viel Sorge wie der Herr( Kollege Becker. In der letzten historischen Betrachtung schweifte er in die Vergangenheit zurück und zeigte Möglichkeiten auf, wie man vielleicht doch miteinander leben könnte. Ja, das ist Vergangenheit, Herr Kollege Becker! Die Leute, die auf der anderen Seite lebten, dachten früher genauso wie die, die hier lebten. Das ist der grundsätzliche Unterschied zwischen damals und heute. Heute steht auf der anderen Seite eine Ideologie. Man sucht dort nicht nur Lösungen für das eigene Volk, sondern die Ideologie dort wird von ihren Verfechtern als eine, wie soll ich sagen, Religion empfunden, die sie verpflichtet, sie als Heil über die ganze Welt zu tragen. Das ist der grundsätzliche Unterschied, den man bei derartigen Betrachtungen berücksichtigen muß.Woran liegt es eigentlich, daß wir nicht vorwärtskommen, daß wir auch auf der letzten Genfer Außenministerkonferenz nicht vorwärtsgekommen sind? Nachdem ich alle Unterlagen habe studieren können, glaube ich, daß sich in der Sowjetunion der tiefste Wandel in den Auffassungen vollzogen hat. Bei der ersten Gipfelkonferenz 1955 in Genf konnte man immerhin noch ein gemeinsames Kommuniqué herausgeben, das besagte, alle vier Mächte — also inklusive der Sowjetunion — seien für die Wiedervereinigung Deutschlands verantwortlich. Damals waren sie auch noch zu viert der Überzeugung, das beste Mittel, dieses letzte Ziel zu erreichen, seien freie Wahlen in ganz Deutschland. Das war noch eine Grundlage, auf der man wirklich hätte verhandeln können, auf der man wirklich mit Moskau sprechen konnte. Aber diese Grundlage hat sich leider, leider geändert. Die Sowjetunion lehnt es heute ab, noch für die Wiedervereinigung Deutschlands verantwortlich zu sein. Sie leugnet, daß sie in früheren Verträgen eine derartige Verpflichtung eingegangen sei. Sie sagt schlicht und einfach: Die Frage der Wiedervereinigung ist eine Frage einzig und allein nicht, wie sie jetzt eigentlich sagen müßte, des deutschen Volkes, sondern der inzwischen Realität gewordenen beiden deutschen Staaten.Da liegt die Crux, das ist das Hindernis nicht nur für die deutsche Wiedervereinigung, sondern auch für das Teilproblem Berlin. Ich stimme Herrn Gradl zu, wenn er sagt: Berlin ist nicht irgendein Platz, Berlin ist nicht irgendein Problem, sondern Berlin ist heute der Zentralpunkt hier in Deutschland, von dem aus das deutsche Schicksal letzten Endes bestimmt werden wird.Es ist sehr interessant, sich einen Augenblick einmal den Verlauf der Konferenz in Genf vor Augen zu führen. Da sehen wir nämlich schon, wie sich die Sowjetunion das Schicksal Berlins nicht nur vorübergehend, sondern endgültig vorstellt.Der Vierstufenplan des Westens, der am 14. Mai auf den Verhandlungstisch gelegt wurde, enthielt ebenfalls den Vorschlag für eine Berlin-Lösung, und zwar des Inhalts, daß man zunächst einmal Gesamtberlin durch freie Wahlen zu einem einheitlichen Organismus machen sollte. Die Einzelheiten wurden dann in verschiedenen Bedingungen formuliert. Ich will sie, meine sehr verehrten Damen und Herren,
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damit nicht lange aufhalten. Das würde zu weit führen.Dieser Berlin-Plan, der in das ganze Paket der westlichen Vorschläge eingepackt war, wurde dann zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 26. Mai, von dem amerikanischen Außenminister Herter noch näher präzisiert und erläutert. Da hätte doch die Sowjetunion Gelegenheit gehabt, einen ersten Schritt zu einer wirklichen Entspannung und zu einer Berlin-Lösung zu tun. Sie hätte das nur zu bejahen brauchen. Dann wären wir ein großes Stück weitergekommen. Denn diese Berlin-Lösung sollte bis zur deutschen Wiedervereinigung gelten.Aber kaum hatte der Außenminister der USA diesen Plan am 26. Mai näher präzisiert, meldete sich, noch ehe der dort verhandelnde Außenminister Gromyko überhaupt Stellung genommen hatte, Herr Chruschtschow von Tirana aus und sagte, der von Herter unterbreitete, aus sieben Punkten bestehende Entwurf enthalte kein einziges Element für Verhandlungen. Damit war dieser Plan vom Tisch gewischt, damit war er, wenn ich so sagen darf, unter dem Tisch. Der sowjetische Außenminister schloß sich dann selbstverständlich seinem Chef an. Wie hätte er auch anders gekonnt? Er versuchte nun, den ablehnenden russischen Standpunkt darzulegen.Da, meine Damen und Herren, ist nun ein Angelpunkt, an dem wir die Russen festhalten müssen, wenn nicht alles, auch völkerrechtlich, zerfließen soll. Gromyko sagte nämlich: Ich bestreite gar nicht, i) daß diese Vier-Mächte-Vereinbarung einmal getroffen wurde und daß wir sie auch nach der Beseitigung der Blockade wieder bestätigt haben; aber ich sage: das ist lange her, die Entwicklung ist vorwärtsgegangen, die Zeiten haben sich geändert. Um dieses auf dem Vier-Mächte-Status ruhende Berlin hat sich die DDR herumgerankt, und sie hat sich vorzüglich entwickelt. Deshalb muß dieser überlebte Zustand der Besatzung in Berlin beseitigt werden. Die einzige wirkliche und sinnvolle Lösung, so sagt er dann weiter — das muß man wissen —, sei, daß man die Souveränität der DDR auch über West-Berlin ausdehne. Nur dann also sei die Westberliner Frage sinnvoll geregelt. Er sagt also: Wir waren zwar einmal verpflichtet, wir hatten einmal einen Status gemeinsamer Art, aber der hat sich durch die Zeit überlebt. — Eine solche Auffassung ist natürlich nicht tragbar, namentlich in internationalen Verträgen und in internationalen Situationen.Der geradezu, ich möchte beinahe sagen, arrogant-zynische Sprecher der DDR, der Herr Bolz, ging in Genf bezüglich dieser Frage noch einen Schritt weiter. Er behauptete sogar, auch nach den bestehenden Abmachungen zwischen den Vier Mächten habe das Terrain von Berlin niemals zu irgendeinem anderen Staatsgebiet als dem der sogenannten DDR gehört. Dieser Standpunkt forderte den Außenminister Amerikas dazu heraus — es ist sehr belustigend, das zu lesen —, den Verhandlungsleiter — es war gerade Herr Gromyko — aufzufordern, dem Herrn einmal die aus der Vergangenheit stammenden Unterlagen zugänglich zu machen, damit er sich nicht anmaße, die westlichen Alliierten und auch Rußland über die Rechtslage zu orientieren.Das ist doch die entscheidende Wandlung. Warum will denn Herr Churschtschow das so? Weil er von da aus ansetzen will, seine Generallinie vorzuschieben: erst einmal Berlin aus der Vier-Mächte-Verantwortung herauszubrechen, möglichst die Amerikaner und die anderen herauszudrängen; dann wird sich alles folgerichtig ergeben. Ich komme gleich darauf zurück.Deshalb machte Herr Gromyko einen anderen Vorschlag bezüglich Berlins. Er sagte: Wir müssen uns — und wir bleiben dabei — darüber klar sein, daß das Besatzungsregime in West-Berlin, das überhaupt die Quelle aller Reibungen, aller Spannungen, aller subversiven Tätigkeiten aus dem Raum West-Berlin gegen alle sozialistischen Länder darstellt, beendigt werden muß, es ist überlebt. Er machte den Vorschlag, eine Interimslösung zu treffen, aber diese müsse viel weniger sein als das, was jetzt sei, und sie müsse, was das Entscheidende sei, zeitlich begrenzt sein. Er machte schließlich den Vorschlag, eine solche Interimslösung unter bestimmten Bedingungen — in gewisser Weise auch noch die sogenannte DDR mit einzuschalten — auf ein Jahr zu begrenzen. Als die Westmächte das ablehnten, befristete er die Lösung auf anderthalb Jahre, aber weiter auch nicht. Dann verband er — das war das Teuflische, das war das Taktisch-Gerissene, so möchte ich einmal sagen — mit diesem Vorschlag einer Interimslösung für Berlin noch den anderen — als Junktim —, daß man zur Regelung der anderen Fragen einen Gesamtdeutschen Ausschuß auf paritätischer Grundlage bilden müsse, dem dann die weitere Herstellung von Kontakten zwischen den beiden Deutschland und die Vorbereitung eines Friedensvertrages — selbstverständlich nicht für ein Deutschland, sondern für zwei Deutschland —übertragen werden sollten. Das war in der Hauptsache das, was diesem gesamtdeutschen Ausschuß übertragen werden sollte. Auch ihm sollte eine Tätigkeitsfrist von anderthalb Jahren gesetzt werden.Herr Gromyko folgerte weiter: Wenn der so zusammengesetzte Gesamtdeutsche Ausschuß in der ihm gesetzten Frist von anderthalb Jahren nicht zu dem Ergebnis kommt, daß er die deutsche Wiedervereinigung und den deutschen Friedensvertrag so weit vorbereitet hat, daß man beides nur noch zu vollziehen braucht, dann stellen wir fest — so ungefähr sagte er —, daß die deutsche Wiedervereinigung nicht möglich ist. Da mit der Interimslösung für Berlin ebenfalls mit einer Frist von anderthalb Jahren eine Koppelung besteht, stellen wir gleichzeitig fest, daß auch diese Interimslösung dann abgelaufen ist. Jetzt ist Feierabend, jetzt wird das Besatzungregime in West-Berlin endgültig zu Grabe getragen.Meine Damen und Herren, das hätte bedeutet -wenn die Westmächte auf so einen Plan, auf so ein teuflisches Junktim eingegangen wären —, daß die deutsche Wiedervereinigung niemals gekommen wäre. Wenn man die Theorie und die Rechtsauffas-
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sung der Sowjets in diesem Punkte akzeptierte, würde Berlin ohne weiteres, wie es Herr Gromyko einmal formuliert hat, die beste Lösung finden, nämlich die Eingliederung in das Territorium der DDR. Dann wäre Berlin verloren, dann wäre das Licht der Freiheit dort ausgegangen, und die deutsche Wiedervereinigung wäre auf Ewigkeit vertagt; denn das hätte ja bedeutet den Abschluß eines Friedensvertrages mit den beiden bestehenden Deutschland und damit die Anerkennung der sogenannten DDR nicht nur von uns, sondern schließlich auch von der Welt und damit die Verewigung der deutschen Spaltung.Daß die Westmächte sich darauf nicht einlassen konnten, ist ganz selbstverständlich. Die Westmächte sind dann noch weitergegangen. Sie wollten, wenn es irgend möglich war, um ihren Willen zur Entspannung auch durch die Tat zu beweisen, versuchen, noch ein irgendwie geartetes Abkommen über Berlin zu bekommen. Sie machten dann den berühmten letzten Vorschlag und verlangten fünf Jahre Frist. Sie gestanden zu, daß man, wenn diese Fünfjahresfrist abgelaufen sei, erneut verhandeln könne.Nun kommt etwas sehr Interessantes. Das muß man ja alles wissen, um zu sehen, wie sich die Sowjetunion verhält. Herr Gromyko wurde gefragt: Wie ist es, wenn wir nach den fünf Jahren wieder neu verhandeln? Wollt Ihr dann noch bei dem bis dahin vereinbarten Interimsstatus bleiben? Darauf hat Herr Gromyko geantwortet: Jawohl, solange wir verhandeln. Man hat ihn dann gefragt: Und wenn diese Verhandlungen nicht zum Ziel führen, was ist dann? Wollt ihr dann sagen, daß unser alter, unser originärer Rechtszustand, wie wir es wünschen, wieder auflebt? Oder wollen Sie, Herr Gromyko, dann sagen: Diese Abmachung war eine Novation, und damit ist auch euer alter Rechtszustand dahin? Auf diese entscheidend wichtige Frage hat Herr Gromyko ausweichend geantwortet. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, hat er gesagt: Lassen Sie uns nicht darüber sprechen, warten wir ab!, oder so ähnlich. Sie sehen, meine Damen und Herren, was das bedeutet. Das bedeutet doch, daß man über den Trick einer teuflischen, schlechten Interimslösung dann auch rechtlich eine Handhabe bekommt, indem man nunmehr behauptet: es gilt nicht mehr die clausula rebus sic stantibus, wenn ich mich juristisch so ausdrücken darf, sondern die freiwillig vereinbarte Novation, und die habt ihr ja zu Ende gehen lassen, also seid ihr jetzt endgültig aus Berlin heraus.Das war das Schicksal der Berlinfrage auf der Genfer Konferenz, und das muß man vor sich sehen, wenn man darüber spricht: ist denn mit dem Osten überhaupt noch zu reden, besteht denn noch eine Möglichkeit, ihn vielleicht doch zu irgendeinem Übereinkommen zu bewegen? Ich sehe die Aussichten nicht sehr rosig. Für mich war auch die intransigente Haltung der Sowjets in Genf eigentlich keine Überraschung. Denn Herr Chruschtschow hat ja schon all die Jahre hindurch geredet und Erklärungen abgegeben. Das eine kann man ihm nicht nachsagen, daß er die Welt darüber im Dunkel gelassen habe, welches die Ziele seiner Politik sind.Er verkündet sie ganz offen, und längst schon, ehe sein Außenminister nach Genf an den Verhandlungstisch ging, hat er es gesagt. Darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei ganz kurze Zitate verlesen.Das erste Zitat stammt aus Chruschtschows Rede in Leipzig am 7. März 1959. Dort sprach er ja vor deutschen Arbeitern, vor, wie er sagte, „klassenbewußten Proletariern". Dort zog er auch die deutsche Frage an und sagte dazu ungefähr: Für euch ist die deutsche Frage natürlich wichtig. Aber bedenkt einmal, Genossen: Auf der Welt leben 2,5 Milliarden Menschen, davon seid ihr im ganzen 80 Millionen. Ist da diese Frage der deutschen Wiedervereinigung erstrangig? Nein, sie ist nicht erstrangig, sie ist zweitrangig. Wichtig ist, daß der Kommunismus marschiert —, und dann folgte ein großes Loblied auf die Aufgaben des Kommunismus, daß er in unaufhaltsamem Vordringen über die ganze Welt hin sei. Aber — so sagte er dann — wir sind wiederum nicht der Meinung, Genossen, daß die deutsche Frage so unwichtig wäre, daß man sie nicht behandeln sollte. Dann fuhr er fort — und jetzt zitiere ich wörtlich —:Wie aber? Auf welcher Grundlage soll die Wiedervereinigung Deutschlands verwirklicht werden? Wir sind nicht für irgendeine Wiedervereinigung, und Sie stimmen, wie ich denke, dem zu, daß man an die Frage der Wiedervereinigung vor allem vom Klassenstandpunkt herangehen muß.Und an anderer Stelle:Was ist die Wiedervereinigung Deutschlands unter den gegenwärtigen Bedingungen des Bestehens von zwei deutschen Staaten? Auf welcher Grundlage kann sie verwirklicht werden? Diejenigen, die die Interessen der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringen, können nicht einmal den Gedanken daran zulassen, daß durch eine Wiedervereinigung Deutschlands die Arbeiter und Bauern der Deutschen Demokratischen Republik, die einen Arbeiter- und Bauernstaat geschaffen haben und erfolgreich den Sozialismus aufbauen, alle ihre Errungenschaften verlieren und sich damit einverstanden erklären, wie früher unter den Bedingungen des kapitalistischen Jochs zu leben.Diese Erklärung Chruschtschows damals in Leipzig ist eindeutig. — Und was sagte er später in Stettin? Dort sagte er:Die Westgrenze der sozialistischen Länder verläuft dort, wo die Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland verläuft. Wir betrachten die Grenze der Deutschen Demokratischen Republik als unsere gemeinsame Grenze, als die Linie, welche die Welt des Sozialismus von der Welt des Kapitalismus trennt.Und dann sagt er noch: „Diese Linie ist heilig."Das waren nur einige Äußerungen Chruschtschows vor der Genfer Konferenz. Da braucht man sich doch nicht darüber zu wundern, daß sein Außenminister
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mit dieser Instruktion und in dieser Haltung nach Genf kommt und sie dort zeigt. Berlin war doch nur künstlich heraufbeschworen — mit der Note vom 27. November 1958 —, im mittels Drucks usw. diese Frage zugunsten der Sowjetunion, zugunsten der sogenannten DDR zu lösen, zweierlei auf einen Schlag zu erreichen: Berlin einzuverleiben und die DDR auf ewig zu etablieren und damit die deutsche Wiedervereinigung für immer zu torpedieren.Das kann natürlich nicht die Aufgabe sein, die w i r zu erfüllen haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir können es natürlich allein auch nicht zwingen, mögen wir noch so guten Willens sein. Wir können es nicht. Wir sind selbstverständlich auf die Hilfe unserer westlichen Verbündeten angewiesen. Diese werden auch vor schwere Entscheidungen gestellt werden. Sie haben ja schon die größten Anstrengungen gemacht, zu einer irgendwie gearteten Lösung auch der Berlin-Frage zu kommen. Die Konferenz kommt ja wieder.Über die Abrüstung will ich mich hier heute nicht verbreiten. Wir haben dazu schon genug gesagt. Wir sind selbstverständlich mit ihr einverstanden, und wir wären froh, wenn eine wirklich weitgehende Abrüstungsvereinbarung für die ganze Welt erreicht werden könnte; wir werden uns ihr dann anschließen. Aber eines möchte ich doch zu Ihren Ausführungen, Herr Kollege Erler, sagen; seien Sie mir bitte nicht böse. Sie haben eine meines Erachtens gefährliche Idee hier heraufbeschworen. Sie haben nämlich gesagt: Langsam, langsam kommt in der Welt so die Vorstellung hoch — ich habe Sie doch wohl richtig verstanden? ich bitte, mich zu berichtigen, wenn ich es jetzt falsch formuliere —, daß an die Stelle der westlichen Besatzungsmächte die deutsche Bundeswehr treten könnte. Sehen Sie, Herr Erler, das ist meines Erachtens gefährlich.
Denn damit liefert man denen da drüben immer wieder neue Argumente.
Ich wollte es nur einmal ganz am Rande hier berührt haben.Sie sagten, Herr Kollege Erler: Es muß über einen Friedensvertrag verhandelt werden. — Jawohl! Hundertprozentig mit Ihnen einverstanden. Aber konnten denn in Genf unsere Freunde über den von der Sowjetunion vorgelegten Friedensvertrag ernsthaft verhandeln? Das konnten sie doch gar nicht, wenn sie nicht von vornherein zugeben wollten, die These, die Herr Chruschtschow aufgestellt hat, sei richtig: „Es bestehen zwei deutsche Staaten. Mit diesen beiden deutschen Staaten ist ein Friedensvertrag abzuschließen. Damit ist auch die Berlin-Frage gelöst; Berlin ist dann die Hauptstadt der DDR. Diese ist ein selbständiger, souveräner Staat. Und damit ist das ganze Problem gelöst, dieser Unruheherd Deutschland in Mitteleuropa beseitigt." Meine sehr verehrten Damen und Herren, über einen solchen Friedensvertrag konnten doch unsere westlichen Freunde gar nicht verhandeln. Man braucht ihn sich nur anzusehen, man braucht nur zu lesen, was darin steht, dann weiß man schon: Wenn man Deutschland vernichten will, müßte man einen solchen Vertrag unterschreiben, — und ein anderer lag ja nicht vor.Die primäre Voraussetzung dafür, überhaupt ernsthaft über einen Friedensvertrag verhandeln zu können, wäre doch die Klärung der Frage gewesen: Wie bekommt man denn überhaupt das Völkerrechtssubjekt, das berechtigt ist, einen deutschen Friedensvertrag abzuschließen? Diesen Weg hätte man doch vorher beschreiten müssen. Denn — Herr Chruschtschow mag behaupten, was er will — weder die Bundesrepublik Deutschland noch die sogenannte DDR ist dieses Völkerrechtssubjekt. Auch wenn sie gewisse Züge von Staatsbildungen aufweisen — was wir ja für da drüben verneinen; wir sagen, das ist gar keine echte Regierung, weil sie der Legitimation durch freie Wahlen entbehrt; aber lassen wir das im Augenblick einmal dahingestellt, ich spreche jetzt juristisch, theoretisch —: keiner dieser Einzelstaaten könnte mit verbindlicher Wirkung für Deutschland, für das Völkerrechtssubjekt Deutschland, das auch durch die Kapitulation nicht untergegangen ist, sondern, wie die vier Siegermächte damals erklärt haben, nach wie vor besteht, und zwar hi den Grenzen von 1937, einen Friedensvertrag schließen.Dieses einzig und allein legitimierte Völkerrechtssubjekt Deutschland — ganz Deutschland — müßte erst einmal hergestellt werden, wenn man I überhaupt ernsthaft an das Aushandeln und den Abschluß eines Friedensvertrages denken will. Es ist nicht da; es ist durch die Russen bis jetzt verhindert worden. Nach den Äußerungen von Herrn Chruschtschow in der letzten Zeit habe ich wenig Hoffnung darauf, daß sich dort sehr viel ändert. Seine Haltung zu den Problemen hat sich sogar versteift. Er spricht jetzt schon nicht mehr eine sachliche, eine darstellende Sprache. Er ändert seinen Ton. Er droht schon. Er ist unermeßlich stolz, wenn er formuliert: Die Deutschen standen einmal vor Moskau, sie waren auch in Stalingrad, aber wir sind nach Berlin gekommen, die Zeiten haben sich geändert, ein Friedensvertrag mit den beiden Deutschland ist nach meiner Auffassung die richtige Lösung; natürlich ist der Herr Adenauer dagegen; aber wer ist denn der Herr Adenauer? Hören Sie die Überheblichkeit aus einer solchen Formulierung? Unsere westlichen Freunde hören diese Sprache auch und wissen, was ihnen blühen wird, wenn sie jetzt wieder, wenn auch auf anderer Ebene und nicht in Genf, aber in Paris, am gleichen Konferenztisch sitzen. Da werden ja die gleichen Probleme Berlin und Deutschland auf den Tisch gelegt werden.Was wird Sowjetrußland machen? Der Bundeskanzler hat ganz recht mit dem, was er heute morgen hier gesagt hat: Das Verhalten Sowjetrußlands auf der Gipfelkonferenz schon in der Frage Berlin ist ein Test dafür, ob es die Entspannung, den Frieden auch in Europa ernstlich will. Die Drohung5422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10, Februar 1960Dr. Schneider
mit einem separaten Frieden, wenn man auf der Gipfelkonferenz nicht einig werde, hat er ja auch schon wieder ausgesprochen. Er hat gesagt: Dann werden wir einen separaten Frieden mit der souveränen DDR abschließen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, nehmen Sie die Restthesen hinzu, die Herr Gromyko in Genf so eindeutig dargelegt hat: Das Besatzungsstatut West-Berlins habe sich überlebt, das müsse abgelöst werden, die einzig richtige Lösung sei die Ausdehnung der Souveränität der DDR auf WestBerlin. Unsere westlichen Freunde werden sich überlegen müssen, was sie tun wollen, wenn eine derartige Situation wieder auf sie zukommt.Chruschtschow will mit seiner Drohung jetzt schon vorbeugen. Der Abschuß von Raketen mitten in das amerikanische Meer ist ja nichts anderes als ein dreistes taktisches Manöver, nichts anderes als der Versuch, unsere westlichen Freunde weich zu machen. Chruschtschow möchte ihnen damit zu verstehen geben: Ich könnte diese Raketen ja auch noch etwas weiter fliegen lassen, und ihr wißt ja Bescheid, was dann wäre, also, Freunde, einigt euch mit uns, das ist das beste. Was ist das Deutschland da inmitten? Das sind 80 Millionen von 21/2 Milliarden Menschen, und die können ja geteilt leben, sie können — so hat er sich in Leipzig selbst geantwortet — sogar geteilt gut leben. Damit wäre das deutsche Schicksal verspielt.Ich bin sehr froh, daß wir diese Debatte heute so sachlich führen konnten und daß wir jedenfalls über eine Berlinlösung alle einer Meinung sind. Eine Sonderregelung lehne ich ab. Das Problem kann nur im Rahmen einer Gesamtlösung bereinigt werden. Wenn man schon über Berlin spricht, dann kann man es nur im Rahmen der Mindestforderungen tun, die heute von Herrn Kollegen Erler in fünf Punkten niedergelegt worden sind und zu denen wir alle ja sagen können.Ich wäre allerdings noch froher gewesen, wenn wir uns in dieser Debatte auch über die andere große Linie hätten einigen können und wenn sich diese Einigung in einer gemeinsamen Entschließung manifestiert hätte. Dann würde der Kremlherr endlich wissen: da ist nicht nur der Adenauer, der den Friedensvertrag mit den beiden Deutschland nicht will, sondern da ist das ganze deutsche Volk, das diesen Friedensvertrag mit den beiden Deutschland nicht will. Ich hoffe doch, daß wir hinsichtlich des Zieles alle einer Meinung sind.Wir werden in schwierige Situationen hineinkommen. Wir werden manchmal unser Herz in die Hand nehmen müssen. Wir wollen uns aber bemühen — ich wünschte das jedenfalls, und wir haben es vor zwei Jahren schon angeregt —, eine wirklich gemeinsame deutsche Außenpolitik zu erarbeiten. Nur dadurch bleiben wir draußen so glaubhaft, wie das notwendig ist, damit unsere Interessen auch wirklich vertreten werden können. Ich hoffe, daß die heutige Debatte dazu beiträgt. Dann wird auch Herr Chruschtschow erkennen, daß der Glaube, er könne durch eine Zementierung des Zustandes des zweigeteilten Deutschlands und durch den Untergang der freien Stadt West-Berlin die Verhältnisse in Mitteleuropa konsolidieren oder gar die Lage entspannen, ein Irrglaube ist. Nur wenn er das einzig Vernünftige tut — diese Frage hat auch mein Kollege Becker angeschnitten —, nur wenn er das tut, was Gottes Recht und Völkerrecht fordern und was auch der Grundsatz der Charta der Vereinten Nationen ist, nur wenn er jedem Volk die Selbstbestimmung über sein eigenes Schicksal, über seine soziologischen und sozialen Verhältnisse gewährt, nur dann ist er ein Staatsmann und nur dann trägt er dazu bei, die Lage in Mitteldeutschland zu entspannen. Andernfalls muß er die Verantwortung dafür übernehmen, daß hier ewig ein Unruheherd, ein Herd der Spannungen bestehenbleibt; die Welt wird nämlich niemals zur Ruhe kommen, solange diese Spannungen da sind.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der Freien Demokraten betreffend die Deutsche Einheit angelangt. Gestatten Sie mir als Ihrem Präsidenten, das eine hinzuzufügen: ich glaube wirklich, daß diese Debatte ihren Eindruck nicht verfehlen wird.Wir haben nun noch über die weitere Behandlung der beiden Anträge der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 466 und Umdruck 467 zu entscheiden. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung wird vorgeschlagen, beide Anträge an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen; die Antragsteller haben dem zugestimmt. Ich bitte diejenigen, die mit dieser Überweisung einverstanden sind, um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Wir haben dann noch einige Vorlagen auf der Tagesordnung, die ohne Debatte verabschiedet werden können. Ich rufe zunächst den Punkt 2 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Drucksache 1589).Auf eine mündliche Begründung wird verzichtet. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist beantragt, den Entwurf an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß und an den Rechtsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Wer dieser Ausschußüberweisung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. August 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über Leistungen zugunsten norwegischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind.
Ein interfraktioneller Vorschlag geht dahin, auf Begründung und Aussprache in der ersten Beratung zu verzichten. Es wird weiter vorgeschlagen, den
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5423
Vizepräsident Dr. PreuskerEntwurf an den Ausschuß für Wiedergutmachung als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. August 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Leistungen zugunsten dänischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind .Wer auch hier dem Vorschlag auf Überweisung an den Ausschuß für Wiedergutmachung als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als mitberatenden Ausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Auch das ist beschlossen.Als letzten Punkt der heutigen Tagesordnung rufe ich den Punkt 5 auf:Beratung der Sammelübersicht 16 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 1579).Wer dem Antrag des Ausschusses für Petitionen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Donnerstag, den 11. Februar 1960, 18 Uhr.Ich schließe die heutige Sitzung.