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ID0309900600

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    Deutscher Bundestag 99. Sitzung Bonn, den 10. Februar 1960 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Korspeter, Dr. Leiske und Dr. Brecht 5379 A Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die Deutsche Einheit (Drucksache 1383) Dr. Achenbach (FDP) 5380 A Dr. von Brentano, Bundesminister 5388 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5395 A Erler (SPD) . . . . . . . . 5397 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5406 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 5413 A Dr. Schneider (Lollar) (LW) . . . 5418 B Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Kriegswaffengesetz) (Drucksache 1589) — Erste Beratung — . . . . . . . . 5422 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. August 1959 mit dem Königreich Norwegen über Leistungen zugunsten norwegischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind (Drucksache 1591) — Erste Beratung — . . . 5422 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. August 1959 mit dem Königreich Dänemark über Leistungen zugunsten dänischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind (Drucksache 1592) — Erste Beratung — . . . 5423 A Sammelübersicht 16 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen zu Petitionen (Drucksache 1579) 5423 C Nächste Sitzung 5423 C Anlage 5425 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5379 99. Sitzung Bonn, den 10. Februar 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.04 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 29. 2. Dr. Atzenroth 10.2. Bauereisen 15.2. Frau Bennemann 12. 2. Bergmann 10.2. Dr. Deist 29. 2. Deringer 10. 2. Eberhard 13. 2. Eichelbaum 10.2. Geiger (München) 10.2. Glüsing (Dithmarschen) 12.2. Dr. Greve 12.2. Dr. Gülich 16.4. Horn 12.2. Frau Dr. Hubert 12.2. Illerhaus 12. 2. Jacobi 13. 2. Dr. Jaeger 13.2. Jahn (Frankfurt) 23. 4. Dr. Jordan 12.2. Dr. Kanka 12.2. Frau Klemmert 15.5. Frau Korspeter 10.2. Kramel 10.2. Lenz (Brühl) 10.2. Leukert 16.2. Dr. Leverkuehn 12.2. Dr. Lindenberg 12.2. Lulay 29.2. Maier (Freiburg) 16.4. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Müller (Worms) 12.2. Nieberg 12.2. Frau Pitz-Savelsberg 12.2. Rademacher 10.2. Rohde 10.2. Frau Rudoll 12. 2. Dr. Rutschke 13. 2. Scharnowski 15.2. Dr. Schellenberg 10.2. Schneider (Hamburg) 12.2. Schütz (München) 12. 2. Dr. Starke 13. 2. Frau Dr. Steinbiß 17.2. Storch 12. 2. Striebeck 13. 2. Frau Strobel 12.2. Dr. Weber (Koblenz) 12.2. Dr. Willeke 1.3. b) Urlaubsanträge Benda 19. 2. Brüns 2. 7. Dr. Eckhardt 28.2. Even (Köln) 29. 2. Frau Friese-Korn 27. 2. Dr. Höck (Salzgitter) 20. 2. Jacobs 7. 3. Müser 20. 2. Pelster 19. 2. Dr. Pflaumbaum 19. 2. Wehr 23. 4. Frau Welter (Aachen) 27. 2. Werner 24. 2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Große Anfrage der FDP, die soeben Herr Kollege Achenbach begründet hat, möchte ich namens der Bundesregierung antworten. Ich füge hinzu, daß der Herr Bundeskanzler nach meiner Antwort selbst das Wort ergreifen und die Antwort ergänzen wird.

    (Zurufe von der SPD.) — Sind Sie nicht damit einverstanden?


    (Abg. Erler: Doch, sehr!)

    — Ich dachte, das sei der Wunsch des Hohen Hauses gewesen.
    Der erste Teil der Anfrage entspricht im wesentlichen der Großen Anfrage der FDP-Fraktion, die am 14. Oktober 1959 eingereicht worden war. Mit dieser Anfrage hat sich die Regierungserklärung beschäftigt, die ich am 5. November vorigen Jahres vorgetragen habe. Ich glaube darum, daß ich mich bei der Beantwortung dieser speziellen Punkte kurz fassen kann.
    Ich habe am 5. November 1959 ausdrücklich betout, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit keine Gelegenheit ungenutzt gelassen hat, ihre Verbündeten und die Sowjetunion auf die Bedeutung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1958 hinzuweisen, die ihrerseits wiederum die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1958 bekräftigt hat.
    Ich darf die anfragende Fraktion auf das Aidemémoire verweisen, das die Bundesregierung am 9. September 1958 an die Vier Mächte gerichtet hat, und auch auf die Noten bezug nehmen, die die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs am 30. September 1958 der Sowjetunion übermittelt haben. Sowohl in dem Aide-mémoire wie in den erwähnten Noten haben sich die Bundesregierung und die verbündeten Regierungen die Anregungen des Hohen Hauses zur Bildung eines derartigen Vier-Mächte-Gremiums zu eigen gemacht. Ich verweise weiter auf die Noten der Bundesregierung vom 17. November 1958 und vom 5. Januar 1959.
    Die Überlegungen, von denen ich eben sprach, sind später auf Anregung der Bundesregierung in den westlichen Friedensplan übernommen worden, den der amerikanische Außenminister Herter am 14. Mai 1959 auf der Genfer Konferenz dem sowjetischen Außenminister übergeben hat. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Sowjetunion eine sachliche Diskussion dieses Friedensplans abgelehnt hat.
    Später hat der amerikanische Außenminister erneut die Frage aufgegriffen. Er hat in seiner Rede vom 20. Juli 1959 auf der Genfer Konferenz namens der verbündeten Regierungen einen konkreten Vorschlag gemacht, der dem Gedanken dieses Bundestagsbeschlusses Rechnung trug. Der Vorschlag lautet:
    Die Genfer Außenministerkonferenz, so wie sie jetzt konstituiert ist, bleibt zum Zwecke der Verhandlung des deutschen Problems in seiner Gesamtheit bestehen. Sie soll ferner Fragen betreffend die Erweiterung und Entwicklung von Kontakten zwischen den beiden Teilen Deutschlands behandeln. Zu diesen Zwecken tritt die Konferenz von Zeit zu Zeit auf jeweils zu vereinbarender Ebene und an jeweils zu vereinbarenden Orten zusammen. Die Konferenz kann auch besondere Vorkehrungen zur Behandlung einzelner Fragen treffen, die sich aus ihrer vorstehend festgelegten Aufgabe ergeben.
    Die Begründung dieses Vorschlags durch den amerikanischen Außenminister zeigt die Übereinstimmung der Überlegungen, die zu der Entschließung des Bundestages und zu dem Vorschlag der Verbündeten geführt haben. Der amerikanische Außenminister — ich darf das auf einiges erwidern, was Herr Kollege Achenbach am Ende seiner Ausführungen sagte — betonte ausdrücklich, daß dieser Vorschlag es den Vertretern der vier Regierungen ermöglichen werde, ein Problem, daß für die Vier Mächte, für das deutsche Volk und überhaupt für die Völker in der ganzen Welt von größter Bedeutung sei, in der Diskussion zu halten. Er würde es den Konferenzteilnehmern ermöglichen, den westlichen Friedensplan zu prüfen, den Außenminister Herter mit Recht als den umfassendsten bisher entwickelten Plan zur Lösung des Problems des geteilten Deutschlands bezeichnet hat. Darüber hinaus würde der Vorschlag ermöglichen, alle Themen zu behandeln, die der sowjetische Außenminister in seiner Rede vom 19. Juli aufgezählt hat. Herter schloß damals seine Ausführungen mit folgenden Worten:
    Die drei Westmächte unterbreiten diesen Vorschlag nach sorgfältiger und ernsthafter Beratung in dem Bemühen, dem Wunsch des sowjetischen Außenministers entgegenzukommen, daß wir hier über ein Verfahren zur Fortsetzung von Erörterungen im Hinblick auf die Wiedervereinigung Deutschlands übereinkommen, jedoch in einer Weise, die mit den Verantwortlichkeiten eines jeden von uns vereinbar ist.
    Herter äußerte damals die Hoffnung, der sowjetische Außenminister werde diesen Vorschlag sorgfältig prüfen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Dieser Vorschlag, wie alle anderen Vorschläge des Westens, wurde ohne Diskussion von dem sowjetischen Außenminister Gromyko abgelehnt.
    Vielleicht darf ich schon an dieser Stelle zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Achenbach über die Errichtung dieses gesamtdeutschen Ausschusses und über die Aufgaben, die ihm in Zusammenarbeit mit einem Viermächtegremium gestellt seien, ein Wort sagen. Meine Damen und Herren, wir haben ja alle die letzten Reden und Briefe des sowjetischen Außenministers gelesen. Solange die



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Sowjetunion, wie sie es bis zur Stunde tut, überhaupt ihre Zuständigkeit — ich rede gar nicht von ihrer Verantwortlichkeit — bestreitet, an der Lösung des deutschen Problems mitzuwirken,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    solange die sowjetische Politik den Standpunkt vertritt, daß die Frage Deutschland durch den Krieg entschieden worden sei und daß es nun Aufgabe der Deutschen sei, das zu tun, was wir Wiedervereinigung nennen — daß die Sowjetunion es anders nennt, wissen wir —, so lange ist doch für einen gesamtdeutschen Ausschuß unter Mitwirkung der vier Mächte überhaupt kein Platz.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das möchte ich Herrn Kollegen Dr. Achenbach doch sagen. Wie können Sie von einem Viermächteausschuß sprechen und uns den Vorwurf machen, wir hätten nicht erreicht, daß er eingesetzt worden sei, wenn Sie aus jeder Erklärung der Sowjetunion entnehmen können, daß sie bis zur Stunde ihre Mitverantwortung für die Lösung der deutschen Frage einfach leugnet?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich komme auf diese Frage in anderem Zusammenhang zurück. Ich möchte erst die Anfrage beantworten, wie sie gestellt ist.
    Im zweiten Teil der Anfrage fordert die Freie Demokratische Partei eine Alternative zur Wiedervereinigungspolitik mit der — erlauben Sie mir zu sagen: ebenso überraschenden wie unverständlichen Begründung, ich hätte namens der Bundesregierung die Feststellung getroffen, daß die Vorstellungen des Herrn Bundeskanzlers, also die Vorstellungen der Bundesregierung am Widerstand der Sowjetunion gescheitert seien. Meine Damen und Herren, ich habe eine solche Feststellung nicht getroffen. Vielleicht erlauben Sie mir, aus meiner Erklärung vom 5. November zu wiederholen, was ich damals gesagt habe. Ich habe erklärt:
    Die Feststellung, daß die Frage nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit noch immer unbeantwortet ist, ist objektiv sicherlich richtig. Die Behauptung aber, diese Feststellung beweise, daß die Politik der Bundesregierung falsch gewesen sei, enthält eine unbegreifliche Unlogik.
    Ich habe weiter ausgeführt — und ich glaube kaum, daß man ernsthaft bestreiten kann, daß das richtig ist —:
    Daß wir immer noch im geteilten Deutschland leben, daß noch immer 17 Millionen deutscher Menschen in einem politischen System leben müssen, das sie ablehnen, daß man diesen 17 Millionen Menschen bis zur Stunde noch das Recht auf Selbstbestimmung und auf Menschenwürde streitig macht,
    — das man anderen Völkern zuzuerkennen bereit
    ist —
    daß die Stadt Berlin noch heute unter dem Druck
    der sowjetrussischen Bedrohung lebt, alles das
    ist nicht ein Beweis dafür, daß die Politik der Bundesregierung und ihrer Alliierten in der Vergangenheit falsch war. Das alles ist vielmehr ein Beweis dafür, daß die Sowjetunion es bis zur Stunde ablehnt, über die berechtigten Forderungen eines Volkes von nahezu 70 Millionen Menschen auch nur zu diskutieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Die Formulierung der Anfrage müßte eigentlich bedeuten, daß die Freie Demokratische Partei von der Bundesregierung erwartet, sie solle auf eine Politik, die nach der festen Überzeugung der Bundesregierung und nach der Meinung der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes die richtige, die einzig richtige ist, verzichten, nur weil die Regierung der Sowjetunion nicht bereit ist, über ihre Verwirklichung mit uns auch nur zu reden.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß die Bundesregierung solche Überlegungen für gefährlich, ja, erlauben Sie mir zu sagen, sogar für schwer verantwortlich hält und daß sie nicht bereit ist, diesen Weg zu gehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es scheint mir kaum nötig, die Grundsätze erneut darzulegen, die die Außenpolitik der Bundesregierung, insbesondere bei der Behandlung der deutschen Frage, bestimmen.
    Mit der Forderung, die auch die Freie Demokratische Partei in ihrer Anfrage sich zu eigen gemacht hat, daß die Wiedervereinigung in Frieden und in Freiheit erfolgen müsse, stimmt die Bundesregierung durchaus überein. Sie hat wiederholt erklärt, daß sie gar nicht daran denke, das dringende und legitime Anliegen des deutschen Volkes jemals mit Gewalt zu verwirklichen. Sie hat aber ebenso eindeutig erklärt, daß sie keiner Lösung zuzustimmen bereit ist, die mit den Begriffen von Recht und Freiheit unvereinbar wäre, zu denen sich die Bundesregierung bekennt, Begriffen, die gleichzeitig auch die Grundlage ihrer Bündnispolitik darstellen.
    Das bedeutet einmal, daß die Bundesregierung es für unvereinbar mit der Verantwortung hält, die sie gegenüber dem ganz en deutschen Volke und gegenüber der gesamten freien Welt trägt — und Herr Kollege Achenbach hat auf diese Verantwortung ausdrücklich hingewiesen —, eine Lösung des Wiedervereinigungsproblems zu erörtern oder zu verwirklichen, die geeignet wäre, die Freiheit in dem Teile Deutschlands zu gefährden, in dem sie in mühevoller und unausgesetzter Arbeit wiederhergestellt werden konnte, nämlich in der Bundesrepublik. Für 52 Millionen Deutsche haben wir — ich glaube sagen zu dürfen: in gemeinsamer Arbeit, an der all e demokratischen Kräfte in Deutschland beteiligt waren — die rechtsstaatliche und freiheitliche Ordnung geschaffen, in der wir leben, die uns das Vertrauen und die Freundschaft der freien Welt eingebracht hat und auf die wir — ich beantworte nun die Frage der Freien Demokratischen Partei —



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    auch dann nicht zu verzichten bereit sind, wenn wir auf den Widerstand der Sowjetunion stoßen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung ist aber auch davon überzeugt, daß sie als die einzige legitime Vertretung des ganzen deutschen Volkes dem ganzen deutschen Volke gegenüber die politische und moralische Verpflichtung trägt, diese freiheitliche Ordnung auch d e n Deutschen zu vermitteln, die unter dem Druck eines ihnen aufgezwungenen und ihnen verhaßten Systems noch in der Unfreiheit leben müssen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch der Widerstand der Sowjetunion, von dem die FDP spricht, wird die Bundesregierung niemals dazu bestimmen, auf diese Forderung zu verzichten oder diese Forderung auch nur einzuschränken.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Inhalt und Ausmaß staatsbürgerlicher Freiheit in der Gestaltung der innenpolitischen Ordnung und der außenpolitischen Beziehungen lassen sich nicht im Wege eines Kompromisses beschränken. Die Forderung auf das Recht der freien Selbstbestimmung und die Ablehnung einer jeden unzulässigen Einmischung von außen in das politische Leben eines freien Volkes ist unbedingt und ist unabdingbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Feststellung wird in ihrer ganzen Bedeutung, aber auch in ihrer Konsequenz erkennbar, wenn wir den Verlauf der internationalen Konferenzen betrachten, die hinter uns liegen, und wenn wir die Aussichten der Ost-West-Verhandlungen, die nun vor uns stehen, nüchtern und sorgfältig prüfen. Die Bundesregierung — und damit möchte ich auf eine Frage eingehen, die Herr Kollege Achenbach gestellt hat — ist der Überzeugung, daß die Berlin-Frage nichts anderes ist als ein Teil der deutschen Frage als Ganzes. Ich unterstreiche durchaus, was in diesem Zusammenhang noch vor wenigen Tagen — am 3. Februar — im Pressedienst der Freien Demokratischen Partei betont wurde: daß eine isolierte Berlin-Lösung weder für West-Berlin noch für die Bundesrepublik akzeptabel sei. Darum kann es nach der Überzeugung der Bundesregierung eine endgültige Lösung der Berlin-Frage nicht geben, es sei denn in Verbindung mit der Lösung des Deutschland-Problems.
    Ich weiß nicht, Herr Kollege Achenbach, was Ihr Hinweis bedeuten sollte, daß der westliche Friedensplan diesen Überlegungen nicht Rechnung getragen habe oder, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß die darin genannte erste Phase, die sich in der Tat auf eine Regelung in Berlin bezog, geeignet gewesen sei, diesen Zusammenhang zu verwischen. Ich glaube, noch niemals ist in einem Papier der Alliierten in einer so klaren, mit uns abgesprochenen und von uns akzeptierten Weise der Zusammenhang zwischen der Frage Berlin und der Wiedervereinigung dargestellt worden wie in diesem Friedensplan vom 14. Mai, den ich auch heute noch für die beste, ja, für die einzig mögliche Ausgangsbasis zukünftiger Ost-West-Verhandlungen be-
    trachte. Aber ich glaube, daß wir uns in diesem Hohen Hause in der Beurteilung dieses Zusammenhangs einig sind.
    Meine Damen und Herren, die Regierung der Sowjetunion widersetzt sich dieser deutschen Forderung. Noch in seinem letzten Brief, den der sowjetrussische Regierungschef an den deutschen Bundeskanzler gerichtet hat, hat sich die Regierung der Sowjetunion in einem anderen Sinne geäußert. Herr Chruschtschow verlangt eine isolierte Lösung der Berlin-Frage. Ich darf vielleicht aus seinem Brief zitieren:
    Mit der Lösung dieser Frage haben Sie — er meint den Herrn Bundeskanzler —streng genommen direkt nichts zu tun; sie gehört in erster Linie zur Zuständigkeit der Vier Mächte, die nach Niederwerfung Hitler-Deutschlands Berlin besetzt haben. Gegenwärtig aber wird nur noch in Berlin die Besatzung aufrechterhalten, und es ist Sache der Vier Mächte, diesen Anachronismus zu beseitigen. Die Berlin-Frage betrifft Sie nur indirekt als Deutschen und als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland. Vorerst nehmen Sie in der West-BerlinFrage eine durch und durch negative Haltung ein.
    — Eine Haltung, meine Damen und Herren, die der Bundestag und auch der Senat Berlins billigt! —
    Sie äußern irgendwelche Ansprüche auf West-Berlin, also auf ein Territorium innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik.
    Soll ich die Anfrage der FDP, die uns heute beschäftigt, etwa dahin verstehen, daß die Bundesregierung angesichts dieses Widerstandes der Sowjetunion eine Alternative für ihre Berlin-Politik suchen sollte? Erwartet die FDP — ich kann es mir nicht denken —, daß die Bundesregierung angesichts dieses Widerstandes der Sowjetunion, angesichts ihres Verlangens, Berlin zu einer sogenannten Freien Stadt zu machen und ihr damit die Eigenschaft eines integralen Bestandteils des freien Deutschlands zu nehmen, auf diese Forderung verzichten sollte, eine Forderung, die — ich habe es schon gesagt — bisher von allen Teilen dieses Hauses unterstützt wurde?
    Namens der Bundesregierung möchte ich auch insoweit die Anfrage der FDP dahin beantworten, daß der Widerstand der Regierung der Sowjetunion in dieser entscheidenden Frage die Bundesregierung nicht veranlassen kann und nicht veranlassen wird, von ihrer Forderung abzugehen und eine Alternativlösung zu suchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube übrigens, Herr Kollege Achenbach, aus der Begründung Ihrer Anfrage entnommen zu haben, daß sie insoweit mit mir, mit der Bundesregierung voll und ganz übereinstimmen. Dann ist es nicht ganz verständlich, warum die Anfrage so gefaßt war, daß sie eigentlich zwangsläufig eine andere Auslegung erwarten ließ.
    Die Bundesregierung ist weiter in Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit des deut-



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    schen Volkes und sicherlich auch in Übereinstimmung mit den Parteien dieses Hohen Hauses der Überzeugung, daß die vier Mächte, die die Potsdamer Vereinbarung unterzeichnet haben, die politische und moralische Verpflichtung dafür tragen, den Weg für die Wiedervereinigung des deutschen Volkes frei zu machen. Sie weiß sich in dieser Überzeugung auch einig mit ihren Verbündeten, nicht zuletzt mit den Regierungen der drei westlichen Staaten; ich habe schon auf die Erklärung hingewiesen, die namens der westlichen Außenminister in Genf abgegeben worden ist, eine Erklärung, die mit der Auffassung des Bundestages, wie er sie am 1. Oktober 1958 bekundet hat, übereinstimmt.
    Die Regierung der Sowjetunion widersetzt sich diesen politischen Vorstellungen. Zu wiederholten Malen und zuletzt noch in dem Brief vom 28. Januar 1960 hat der sowjetrussische Regierungschef zum Ausdruck gebracht, daß die Teilung Deutschlands eine politische Realität sei, daß zwei selbständige deutsche gleichberechtigte Staaten entstanden seien und daß es ausschließlich Aufgabe dieser beiden Staaten sei, die Wiedervereinigung miteinander zu diskutieren und zu verwirklichen. Die sowjetrussische Regierung lehnt jede Verantwortung, ja jede Mitverantwortung für die Beseitigung dieses für das ganze deutsche Volk und für alle freien Völker der Welt unerträglichen Unrechtstatbestandes ab. Auch hier darf ich Sie an Ausführungen erinnern, die in dem letzten Brief enthalten sind, den Herr Chruschtschow an den deutschen Bundeskanzler gerichtet hat:
    Die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem einheitlichen Staat ist eine Frage, die allein die Deutschen selbst lösen können. Auf Grund der historischen Gegebenheiten, die nach dem zweiten Weltkrieg eingetreten sind, sind in Deutschland zwei Staaten mit verschiedener sozialer Struktur entstanden.
    Er fährt dann in der üblichen Form fort.
    Soll ich auch insoweit die Anfrage der FDP etwa dahin verstehen, daß die Bundesregierung angesichts des Widerstandes der Sowjetunion, ihre Verpflichtung anzuerkennen, eine Alternative suchen sollte, das heißt die Sowjetunion aus dieser Verantwortung entlassen sollte?
    Ein weiteres, und damit komme ich zu den Ausführungen, die Herr Kollege Achenbach am Schluß seiner Begründung gemacht hat. Die Bundesregierung und, wie ich glaube, wir alle wissen, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nur durch eine freie Willensentscheidung des ganzen deutschen Volkes verwirklicht werden kann. In Übereinstimmung mit den Behörden in der sowjetisch besetzten Zone leistet die sowjetrussische Regierung dieser Vorstellung Widerstand. In seinem schon erwähnten Schreiben vom 28. Januar hat der Ministerpräsident Chruschtschow die groteske Behauptung aufgestellt, daß die Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone sich in freien Wahlen zu dem dort herrschenden System bekannt habe und daß diese freie Wahlentscheidung respektiert werden müsse.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Erlauben Sie mir, meine !)amen und Herren, daß ich eine Stelle aus diesem Brief zitiere, die den ganzen Widersinn, aber auch die ganze Unaufrichtigkeit dieser Darstellung beleuchtet. Herr Chruschtschow schreibt:
    Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in der DDR sind die gesetzgebenden Körperschaften schon mehrere Male gewählt worden. In der Deutschen Demokratischen Republik werden systematisch Wahlen zur Volkskammer und zu den Organen der örtlichen Selbstverwaltung durchgeführt, in deren Verlauf das Volk seine Meinung frei äußert.

    (Lachen in der Mitte.)

    Die Wahlen finden unter geheimer Abstimmung statt.

    (Erneutes Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    An den letzten Wahlen zur Volkskammer, die 1958 stattfanden, nahmen 11 717 000 Menschen teil, d. h. 98 % aller Wähler.

    (Fortgesetztes Lachen in der Mitte.) — Noch nicht fertig!

    Hierbei wurden 99,87 % der Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front des demokratischen Deutschland und 0,13 % gegen sie abgegeben.

    (Zuruf von der Mitte.)

    Ist dies etwa für Sie, Herr Bundeskanzler, keine ausreichende überzeugende Willenskundgebung der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik,

    (Lachen in der Mitte)

    die entschlossen den Weg des Aufbaus des Sozialismus eingeschlagen hat?

    (Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich gebe auch hier die Antwort an Herrn Chruschtschow: Das ist keine überzeugende Darstellung,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und was er gesagt hat, ist nichts anderes als plumper Schwindel.

    (Erneuter lebhafter Beifall.)

    Es ist schrecklich genug, daß wir als Deutsche — ich sage das nicht ohne Scham — ja wissen, wie derartige Wahlergebnisse zustande kommen,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    und wir schämen uns dieser Vergangenheit, in der uns im ganzen deutschen Vaterland ein solcher dreister Schwindel vorgeführt worden ist. Wir wünschen aber nicht, daß sich dieser Schwindel nur unter einem anderen Vorzeichen in einem anderen Teil Deutschlands fortsetzt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD und FDP.)

    5392 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960
    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Hier komme ich auf einige Ausführungen des Herrn Kollegen Achenbach, die ich möglichst sachlich, möglichst unpolemisch beantworten möchte, obwohl es nicht immer ganz leicht fällt. Herr Kollege Achenbach, Sie haben uns Ihre Punkte vorgetragen. Es ist ja nicht das erste Mal, daß wir sie hörten. Ich möchte sie nicht im einzelnen behandeln. Ich glaube, dazu reicht auch die Zeit nicht aus. Ich möchte nur einigen — erlauben Sie mir zu sagen — etwas mißverständlichen Formulierungen begegnen.
    Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, eine Weltmacht kann doch ihre Freunde nicht fallenlassen, und deswegen wird die Sowjetunion die DDR so behandeln, wie uns die Alliierten als ihre treuen Verbündeten auch behandeln und behandeln müssen. Hier möchte ich einen Einspruch einlegen und möchte sagen: Der Vergleich zwischen der DDR und der Bundesrepublik stimmt weder vorne noch hinten.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man kann doch wirklich nicht sagen, daß die Funktionen, die die DDR im Bündnissystem der östlichen Welt ausübt, denen entsprechen, die die Bundesrepublik in der westlichen Welt ausübt. Wenn hier eine Entscheidung gefallen ist — auch gegen den Widerstand eines Teils des deutschen Volkes und dieses Hohen Hauses dann ist sie in einer demokratischen Weise gefallen. Wir haben hier eine Entscheidung getroffen, die das ganze deutsche Volk respektiert, auch diejenigen, die in der Abstimmung dagegen waren. Was ist denn die DDR im östlichen Bündnissystem? Doch nicht ein treuer Verbündeter, sondern eine Kolonie!

    (Beifall.)

    Das ist ja auch das Problem, Herr Kollege Achenbach: Wer soll eigentlich der Gesprächspartner drüben sein, von dem Sie sprechen, der Gesprächspartner, mit dem wir nach Ihren Vorstellungen Gespräche über die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit — das ist ja auch Ihr Ziel — führen sollen?
    Sie haben die Besorgnis geäußert, es könne eventuell bei dem Herrn Bundeskanzler ein Mangel an Selbstbewußtsein vorliegen,

    (große Heiterkeit)

    der ihn hindere, mit den Kommunisten in der Zone zu sprechen. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, Ihnen aus genauer Kenntnis des Herrn Bundeskanzlers zu sagen: das fehlt ihm bestimmt nicht.

    (Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Ich versichere Ihnen, so wie ich ihn kenne, wie wir alle ihn kennen, würde er sicherlich nicht die Angst haben, daß er etwa in einem solchen Gespräch zum Kommunisten bekehrt werden könnte.

    (Lachen in der Mitte.)

    Ich glaube auch nicht — aber vielleicht antwortet
    der Herr Bundeskanzler darauf, weil er persönlich
    angesprochen wurde, selbst —, daß er der Überzeugung ist, seine potentiellen kommunistischen Gesprächspartner seien klüger als er. Nein, meine Damen und Herren, es geht nicht darum; es geht um eine andere Frage, und auf die ist auch Herr Kollege Achenbach heute die Antwort schuldig geblieben. Es geht auch nicht — um gleich ein Wort dazu zu sagen — um die Frage der Aufwertung der DDR, oder wie Sie sich sonst ausdrücken.
    Wir lassen uns hier nicht, wie Herr Kollege Achenbach so sorgenvoll feststellte, von juristischen Experten beraten, die man, wie er sagt, durch Leute mit gesundem Menschenverstand ersetzen sollte. Nein, sogar unsere juristischen Experten haben soviel gesunden Menschenverstand, vielleicht manchmal mehr als der Fragende.
    Wenn wir sagen: Es gibt kein gesamtdeutsches Gespräch, dann sagen wir es deshalb, weil es drüben keine Partner gibt, die ein solches Gespräch führen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe in der letzten Auseinandersetzung gesagt — und ich bitte, doch darauf einmal eine Antwort zu geben —: Glaubt denn Herr Kollege Achenbach, glaubt denn die FDP, daß sich der Herr Bundesjustizminister mit Frau Hilde Benjamin zusammensetzen könnte, um einmal über eine gemeinsame Rechtsordnung zu diskutieren?

    (Lachen und Zurufe von der SPD. — Abg. Erler: Er hatte andere Partner!)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Herr Minister hat lediglich die Möglichkeit eines sachlichen Fachgesprächs gemeint.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, Ihre Heiterkeit zeigt schon, daß Sie sich der Absurdität einer solchen Vorstellung in jedem Fall bewußt sind.

    (Anhaltende Heiterkeit bei der SPD, — Abg. Dr. Menzel: Der Groschen ist noch nicht gefallen! — Abg. Dr. Mende: Wir dachten an Fritz Schäffers und Vinzenz Müllers Begegnung in Ost-Berlin 1956!)

    Ich darf wieder zur Sache zurückkehren. Die Situation ist doch zu ernst. Auch das, was Herr Kollege Achenbach dazu gesagt hat, sollten wir nicht nur von diesem etwas fröhlichen Standpunkt aus diskutieren.
    Ich wiederhole: Wir wünschen das Gespräch mit den Menschen in der sowjetisch besetzten Zone zu führen, und wir stehen für ein solches Gespräch jederzeit zur Verfügung. Dieses Gespräch kann nicht besser geführt werden als an einem Tage, an dem wir gemeinsam eine Wahlentscheidung treffen, die wir gemeinsam sorgfältig vorbereiten wollen, an der alle teilnehmen mögen in beiden Teilen Deutschlands. Wir erkennen heute schon — weil wir Demokraten sind — diese Wahlentscheidung des gesamten deutschen Volkes an.

    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Aber andere Wege, ein gesamtdeutsches Ge spräch zu führen, sehe ich nicht. Andere Wege wird die Bundesregierung auch nicht gehen, weil — ich wiederhole es — der Gesprächspartner drüben nicht einen Teil des deutschen Volkes repräsentiert, sondern nichts anderes repräsentiert als den Willen des Kreml, und mit dem Kreml wollen wir dann lieber direkt sprechen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte die Antwort auf die zweite Frage der Großen Anfrage noch einmal kurz zusammenfassen: Die Bundesregierung wird wie bisher alles tun, was in ihrer Macht steht, um den bevorstehenden Ost-, West-Verhandlungen zum Erfolg zu verhelfen. Sie ist der Überzeugung, daß die Frage der allgemeinen und kontrollierten Abrüstung sowohl der konventionellen wie der nuklearen Waffen von entscheidender Bedeutung ist, und glaubt, daß diese Frage, in den bevorstehenden Verhandlungen an die erste Stelle rücken sollte. Sie weiß sich mit ihren Verbündeten in dieser Frage einig und begrüßt es, daß auch die Sowjetunion neuerdings offensichtlich dem Problem der Abrüstung gesteigerte Bedeutung beimißt.
    Die Bundesregierung ist überzeugt, daß echte Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung, die die Verteidigungsmöglichkeiten der beteiligten Staaten nicht zum Nachteil des einen oder zum Vorteil des anderen Vertragspartners beeinflussen dürfen, die Voraussetzung dafür sein werden, auch die Lösung der politischen Probleme in Angriff zu nehmen. In ) diese Abrüstungsverhandlungen hat sich die Bundesregierung bereits aktiv eingeschaltet. Sie wird alles tun, was in ihrer Kraft steht, um auch durch eigene Vorstellungen so wie seinerzeit bei der Londoner Kommission zu diesem Gespräch beizusteuern, und sie wird alle Vereinbarungen, die dem genannten Ziel entsprechen und auf der Grundlage der Gegenseitigkeit getroffen werden, verwirklichen. Sie wird auch wie seither bemüht sein, zu der poli- tischen Entspannung beizutragen. Das wird sie nicht etwa in der Weise tun, daß sie auf berechtigte Forderungen, weil ihnen die Sowjetunion Widerstand entgegensetzt, verzichtet. Aber sie weiß sich auch mit ihren Verbündeten darin einig, daß die Lösung der politischen Fragen ebenso wie die Abrüstung nur schrittweise erfolgen kann, und sie glaubt, daß der westliche Friedensplan hier echte Perspektiven eröffnet hat, die von jedem ernsthaft geprüft werden sollten, dem es wirklich darum geht, die Spannung zu beseitigen oder zu vermindern.
    Allerdings, meine Damen und Herren — ich glaube, diese Überlegung müssen wir auch anstellen —, sollten wir uns einmal klarzumachen versuchen, was Entspannung bedeutet. Herr Kollege Achenbach hat mit Recht gesagt: Sicherlich ist kein Volk so sehr daran interessiert, daß diese Unruhe aus der Welt verschwindet und die Gefahr, daß die Spannung zu einer Katastrophe führt, ausgeräumt wird, wie das deutsche Volk, nicht nur weil es seine Vergangenheit noch in Erinnerung hat, sondern auch weil uns die geographische Situation mitten in diese Spannung hineingestellt hat.
    Abel wir massen uns klar sein, daß auch Entspannung keine Zauberformel ist, und dadurch, daß man von Entspannung spricht, ändert sich an den harten Realitäten des politischen Lebens nichts. Entspannung, wie wir sie wollen, kann sich nur in politischen Entscheidungen zeigen.
    Voraussetzung einer Entspannung ist z. B., daß wir uns einmal über die Definition der sogenannten Koexistenz einig werden. Noch vor wenigen Monaten haben wir eine authentische Interpretation des Begriffes „Koexistenz", wie ihn die Sowjetunion versteht, gehört. Es hieß:
    Der Weg der Normalisierung der internationalen Beziehungen kann nicht über eine Aussöhnung der Ideologien und über Absagen an unsere Grundsätze verlaufen. Kommunisten können auf den Kampf für den Sieg der Diktatur des Proletariats nicht verzichten. Sie können nicht verzichten auf den Kampf für die Umwandlung des privaten kapitalistischen Besitzes in einen staatlichen. Auf den ideologischen Kampf verzichten würde bedeuten, freiwillig den Platz an die bürgerliche Ideologie abtreten. Unsere sozialistische Ideologie ist ein Abbild der unbestreitbaren Tatsache, daß die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft in der ganzen Welt unvermeidlich ist.
    Meine Damen und Herren, wenn das die Koexistenzvorstellung der Sowjetunion ist, dann müssen wir sagen: sie befriedigt uns in keiner Weise, und wir sind nicht bereit, sie zu akzeptieren. Koexistenz setzt zunächst einmal voraus, daß derjenige, der von ihr spricht, die Existenz des anderen anerkennt. Und das ist bis zur Stunde nicht geschehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit komme ich zu dem Wort „Entspannung". Von demjenigen, der von Entspannung spricht, ist als erster Schritt zur Entspannung eine entsprechende Haltung oder Handlung zu verlangen. Wenn die Sowjetunion von der Entspannung spricht — und wir wollen glauben, daß sie daran auch interessiert ist —, muß sie die Konsequenzen ziehen und anerkennen, daß, wer heute um die Entspannung ringt, darauf verzichten muß, einseitig Handlungen zu unternehmen, die die Spannungen erhöhen können. Das gilt für den Bereich der sowjetisch besetzten Zone wie für den Bereich Berlin. Solange die Sowjetunion droht, einen einseitigen Friedensvertrag mit einem Teil Deutschlands abzuschließen, solange sie droht, ihre Vorstellungen über Berlin im Wege der Gewalt zu verwirklichen, ist der Zweifel berechtigt, ob das, was die Sowjetunion „Entspannung" nennt, mit dem, was wir wünschen, in irgendeiner Weise vereinbar ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum Schluß komme ich noch auf den dritten Punkt der Großen Anfrage der FDP. — Über die Vorstellungen der Bundesregierung in bezug auf die deutsche Wiedervereinigung habe ich bereits gesprochen. Daher brauche ich dazu, obwohl diese Frage erneut gestellt ist, wohl nichts mehr zu sagen. — Zur Frage der Sicherung des freiheitlichen Status



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    von West-Berlin sowie der Erhaltung West-Berlins als integralen Bestandteil der Bundesrepublik habe ich mich ebenfalls schon geäußert. Ich bitte mir zu gestatten, auch insoweit auf die Regierungserklärung vom 5. November zu verweisen. Ich habe in dieser Erklärung die Bemühungen geschildert, die die Außenminister unserer Verbündeten auf der Genfer Konferenz unternommen haben. Die vorbereitenden Gespräche, die in den vergangenen Wochen — sei es in Washington, sei eis in London oder Paris — geführt worden sind, zeigen, daß sich die Bundesregierung in dieser Frage auch weiterhin der vollen Unterstützung ihrer Verbündeten sicher sein darf.
    Noch in jüngster Zeit hat die Bundesregierung ihren Standpunkt betreffend Berlin klargelegt. Ich verweise auf die Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler am 11. Januar dieses Jahres vor dem Berliner Abgeordnetenhaus gemacht hat. Er hat in dieser Erklärung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß noch im vergangenen Jahre die Verbündeten ihre Entschlossenheit bestätigt haben, ihre Position und ihre Rechte in bezug auf Berlin und das Recht auf freien Zugang dorthin zu wahren.
    Ich möchte es auch hier aussprechen: es geht darum, alles zu tun, um die Rechtsgrundlage zu erhalten, auf der heute die Freiheit Berlins beruht. Sie wissen, daß die Sowjetunion die Meinung vertritt, das Besatzungsrecht sei der Ausdruck einer anomalen Lage und es müsse beseitigt werden. In einer Erklärung, die Herr Chruschtschow in diesen Tagen anläßlich des Besuchs des italienischen Staatspräsidenten abgegeben hat, heißt es:
    Man muß die Änderungen anerkennen, die nach dem zweiten Weltkrieg erfolgt sind. Man muß diese Änderungen verankern, den Friedensvertrag mit Deutschland unterzeichnen und so die Berlinfrage lösen. Eben dies erstreben wir. Wir schlagen vor, das Besatzungsregime in West-Berlin zu liquidieren.
    Es klingt gut: „wir wollen das Besatzungsrecht liquidieren", diesen letzten Rückstand aus Zeiten, die hinter uns liegen. Aber die Sowjetunion sollte doch zunächst einmal die Frage stellen, wie eigentlich die Bevölkerung Berlins darüber urteilt, unter welchen rechtlichen, tatsächlichen und politischen Bedingungen die Bevölkerung Berlins leben will. Warum stellt Herr Chruschtschow diese Frage nicht? Er stellt sie nicht an die Menschen in der Bundesrepublik, er läßt sie nicht zu in Berlin, er läßt sie nicht zu in der sowjetisch besetzten Zone. Er würde von allen Deutschen wohl die gleiche Antwort bekommen: daß sie in gesicherter Freiheit leben wollen.
    Der sowjetrussische Regierungschef spricht so oft von den Realitäten und beruft sich so oft auf die Vernunft und die Einsicht, daß man ihm antworten sollte: Hat er noch nicht begriffen, daß der elementare Wunsch, den das ganze deutsche Volk teilt, der Wunsch nach Freiheit, in der Tat eine Realität ist? Es würde ihm sehr gut anstehen, soviel Vernunft und Einsicht aufzubringen, diese Realität auch anzuerkennen. Damit würde er mehr zum Frieden in der Welt, mehr zur Entspannung, mehr auch zur
    Entwicklung beständiger guter Beziehungen zwischen dem deutschen und dem russischen Volk beitragen als durch alle die Erklärungen, die in der letzten Zeit wieder abgegeben worden sind und die doch nur geeignet sind, das deutsche Volk zu kränken und es mit tiefem Mißtrauen gegen die Ziele der Sowjetunion zu erfüllen.
    Zur Frage der Regelung der deutschen Ostgrenzen, die in dieser Anfrage auch gestellt ist, brauche ich nur auf die Regierungserklärung vom 5. November Bezug zu nehmen. Ich habe damals gesagt:
    Es kommt hinzu . . ., daß in der Frage der Oder-Neiße-Linie der Standpunkt der Bundesregierung sich nicht geändert hat. Zum Problem der deutschen Ostgebiete und zur Frage des Heimatrechts der Vertriebenen als Ausfluß und Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts hat die Bundesregierung am 28. Juni 1956 und am 31. Januar 1957 Erklärungen abgegeben, die auch heute noch gültig sind.
    Ich glaube, daß ich den Rest dessen, was ich zu diesem Thema gesagt habe, nicht zu zitieren brauche. Die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage hat sich seit diesen Jahren und insbesondere seit dem 5. November 1959 in keiner Weise geändert.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß noch ein Wort. Herr Kollege Achenbach hat an einer Stelle seiner Rede mit Recht darauf hingewiesen, wieviel stärker der Einfluß der deutschen Außenpolitik in der Welt wäre, wenn sie von dem ganzen deutschen Volk, ja, wenn sie von dem ganzen Deutschen Bundestag getragen wäre. Ich habe diesen Appell gehört, und ich möchte ihn unterstreichen.
    Sicherlich haben wir auch heute aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Achenbach entnehmen müssen, daß in vielen Fragen noch tiefgehende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ich habe nicht verschwiegen, daß wir nicht bereit sind, die Wege zu gehen, die Herr Kollege Achenbach uns gezeigt hat. Wir werden in dieser Diskussion auch noch — das ist das Wesen einer solchen Diskussion — andere Kritik hören. Aber ich glaube, es wäre eine Stärkung für die Verwirklichung des Anliegens, das das ganze deutsche Volk hat, wenn wir uns nicht scheuten, einmal auch über die Gemeinsamkeit des Zieles zu sprechen, und die Verschiedenheit der Methoden ein wenig in den Hintergrund treten ließen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es sollte kein Zweifel bestehen und kein Zweifel offenbleiben, weder im Westen noch im Osten, daß diese gewissen Grundsätze, von denen ich soeben sprach, Gemeingut des deutschen Volkes sind und daß niemand im deutschen Volk, in keiner politischen Partei, bereit ist, sich von diesen Grundsätzen zu entfernen. Wenn dies das Ergebnis einer solchen Debatte wäre, würde ich das dankbar begrüßen; denn es würde die deutsche Position bei den bevorstehenden Verhandlungen entscheidend stärken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)