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ID0309901800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 99. Sitzung Bonn, den 10. Februar 1960 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Korspeter, Dr. Leiske und Dr. Brecht 5379 A Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die Deutsche Einheit (Drucksache 1383) Dr. Achenbach (FDP) 5380 A Dr. von Brentano, Bundesminister 5388 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5395 A Erler (SPD) . . . . . . . . 5397 B Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 5406 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 5413 A Dr. Schneider (Lollar) (LW) . . . 5418 B Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Kriegswaffengesetz) (Drucksache 1589) — Erste Beratung — . . . . . . . . 5422 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. August 1959 mit dem Königreich Norwegen über Leistungen zugunsten norwegischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind (Drucksache 1591) — Erste Beratung — . . . 5422 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. August 1959 mit dem Königreich Dänemark über Leistungen zugunsten dänischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind (Drucksache 1592) — Erste Beratung — . . . 5423 A Sammelübersicht 16 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen zu Petitionen (Drucksache 1579) 5423 C Nächste Sitzung 5423 C Anlage 5425 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. Februar 1960 5379 99. Sitzung Bonn, den 10. Februar 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.04 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 29. 2. Dr. Atzenroth 10.2. Bauereisen 15.2. Frau Bennemann 12. 2. Bergmann 10.2. Dr. Deist 29. 2. Deringer 10. 2. Eberhard 13. 2. Eichelbaum 10.2. Geiger (München) 10.2. Glüsing (Dithmarschen) 12.2. Dr. Greve 12.2. Dr. Gülich 16.4. Horn 12.2. Frau Dr. Hubert 12.2. Illerhaus 12. 2. Jacobi 13. 2. Dr. Jaeger 13.2. Jahn (Frankfurt) 23. 4. Dr. Jordan 12.2. Dr. Kanka 12.2. Frau Klemmert 15.5. Frau Korspeter 10.2. Kramel 10.2. Lenz (Brühl) 10.2. Leukert 16.2. Dr. Leverkuehn 12.2. Dr. Lindenberg 12.2. Lulay 29.2. Maier (Freiburg) 16.4. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Müller (Worms) 12.2. Nieberg 12.2. Frau Pitz-Savelsberg 12.2. Rademacher 10.2. Rohde 10.2. Frau Rudoll 12. 2. Dr. Rutschke 13. 2. Scharnowski 15.2. Dr. Schellenberg 10.2. Schneider (Hamburg) 12.2. Schütz (München) 12. 2. Dr. Starke 13. 2. Frau Dr. Steinbiß 17.2. Storch 12. 2. Striebeck 13. 2. Frau Strobel 12.2. Dr. Weber (Koblenz) 12.2. Dr. Willeke 1.3. b) Urlaubsanträge Benda 19. 2. Brüns 2. 7. Dr. Eckhardt 28.2. Even (Köln) 29. 2. Frau Friese-Korn 27. 2. Dr. Höck (Salzgitter) 20. 2. Jacobs 7. 3. Müser 20. 2. Pelster 19. 2. Dr. Pflaumbaum 19. 2. Wehr 23. 4. Frau Welter (Aachen) 27. 2. Werner 24. 2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Lohmar, es ist eine Beleidigung, den Abgeordneten meiner Fraktion zu unterstellen, daß sie eine Auffassung haben könnten, wie sie nach den hier aufgestellten Behauptungen Herr Schlamm hat.

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe links.)

    Wenn Sie eine solche Frage beantwortet haben wollen — ich weiß nicht, was in Berlin geschehen ist, und kenne die Zusammenhänge nicht —, dann stellen Sie sie doch an diejenigen, die mit dieser Veranstaltung etwas zu tun haben, und nicht mir hier als Überraschungsfrage.

    (Erneuter Beifall in der Mitte. — Zurufe links.)

    Da ich nun schon mal bei dieser etwas erweiterten Aussprache über den ersten Teil der Ausfürungen des Kollegen Erler bin, möchte ich auch auf



    Dr. Gradl
    folgendes eingehen. Herr Kollege Erler, ich weiß eigentlich nicht, warum Sie etwas zugespitzt gesagt haben, man könne nicht erwarten, daß Chruschtschow dem Kommunismus abschwöre. Ich weiß nicht, wer bei den Auseinandersetzungen über die internationale Politik in diesem Hause jemals die Auffassung vertreten hat, daß Herr Chruschtschow dem Kommunismus abschwören solle. Was wir wollen, ist nichts weiter, als daß man uns nicht zumutet, unsere Auffassung abzuschwören. Herr Chruschtschow mag mit seinem Kommunismus selig werden, wenn ihm das gelingt!


Rede von Fritz Erler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Kollege Gradl, ist Ihnen entgangen, daß der Herr Bundesaußenminister es ausdrücklich als Voraussetzung der Entspannung bezeichnet hat, die andere Seite müßte auf ihre aggresive Ideologie verzichten?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Erler, auf die Aggressivität, d. h. auf die Expansionsabsicht, die in dieser Ideologie lebendig ist, nicht auf die Ideologie selbst!

    (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Damit kann man nichts anfangen!)

    — Ja, da kann ich Ihnen nicht helfen; vielleicht lesen Sie es nachher noch einmal nach, um es zu verstehen.
    In der Erklärung, die die Bundesregierung in der deutschen Frage soeben abgegeben hat, ist besonderes Gewicht auf Berlin gelegt. Der Bundeskanzler hat diese Teile der Erklärung des Außenministers noch einmal unterstrichen. In der Tat — jetzt kann ich Ihnen, Herr Erler, auch mal etwas Freundliches sagen — stimmen wir und die Regierung in der Bewertung des sowjetischen Vorstoßes gegen Berlin völlig mit Ihnen überein. In diesem Vorstoß steckt im Grunde der Versuch, die deutsche Einheit dadurch zu liquidieren, daß jenes künstliche Gebilde, das der zweite deutsche Staat werden soll, konsolidiert werden soll; es soll sich ungestört entwickeln, es soll nach den dortigen Vorstellungen offenbar zu einem kommunistischen Aufmarschgebiet in einem späteren Kampf um ganz Deutschland werden.
    Deshalb soll Berlin isoliert, soll sein realer Schutz in verbale Garantien aufgelöst, soll seine politische, seine gesamtdeutsche Strahlungskraft neutralisiert werden. Berlin ist das Feld, auf das heute der Kampf um Deutschland konzentriert ist. Ein Zurückweichen in Berlin wäre ein Zurückweichen in Deutschland, und das würde nicht nur im deutschen Volk das Vertrauen im Fundament erschüttern. Unsere Verbündeten wissen, wie zahlreiche Äußerungen westlicher Staatsmänner beweisen, um diese fundamentale Bedeutung für die Geltung und Glaubhaftigkeit der westlichen Politik überhaupt. Wir haben — ich möchte das für meine politischen Freunde ausdrücklich feststellen — in dieser Schicksalsfrage keine Zweifel und hegen kein Mißtrauen gegenüber unseren Verbündeten. Wir haben genauso Vertrauen, wie es die Berliner selber zu ihren westlichen Schutzmächten haben.
    Daß wir dieses Vertrauen haben können, verdanken wir insbesondere auch der Bundesregierung. Ihre Politik in den vergangenen zehn Jahren hat das Vertrauen wachsen lassen, das sich jetzt in dem Ringen um Berlin bewährt. Bewährt hat sich auch die Entschlossenheit der Bundesregierung, für die gemeinschaftliche Verteidigung jene eigenen Verteidigungsbeiträge zu leisten, die das Ganze im Interesse des Ganzen für notwendig hält. Die Mahnungen und Warnungen an den Osten hätten gewiß nicht so wirksam gesprochen werden können, wenn sie nicht den Rückhalt der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gehabt hätten.
    Der Kreml versucht, seinem Berlinvorhaben eine harmose Deutung zu geben: Man wolle West-Berlin nicht der Zone einverleiben; es solle eine sogenannte freie Stadt werden; man wolle den Berlinern nicht das kommunistische System aufzwingen. Das hat man übrigens früher auch einigen osteuropäischen Völkern gesagt. Der Status Berlins, ein Okkupationsstatus, sei doch abnorm, sagt man. Wenn man das hört und liest, klingt das alles so einfach und so wohlwollend. Aber es könnte nur verlocken, wenn man nicht die Erfahrungen seit 1945 hätte, wenn man nicht wüßte, welcher Wille und welche wirkliche Absicht dahinterstecken und das Zonenregime bewegen. Die Berliner wissen jedenfalls sehr genau, worum es geht, und lassen sich deshalb ebensowenig wie in der Blockadezeit beirren.
    Der jetzige Status für das besondere Gebiet Berlin, der 1944 und 1945 zwischen den damaligen Alliierten vereinbart worden ist, könnte besser sein, er I wäre sicher für den Westen besser formuliert worden, wenn die westlichen Alliierten damals schon die Erfahrungen gehabt hätten, die sie später gesammelt haben. Aber der Viermächtestatus ist jedenfalls eine klare völkerrechtliche Basis für Berlin, für die Anwesenheit und die Schutzfunktionen der drei westlichen Mächte in Berlin. Er ist originäres Recht, er kann nicht gegen den Willen der Berechtigten aufgekündigt oder einseitig aufgehoben werden. Deshalb sagen die Bundesregierung und auch die. Oppositionsparteien — wie ich glaube, mit vollem Recht —: Würde man diese Basis aufgeben, so könnte Berlin gerade zu dem werden, was es im Interesse des Friedens nicht werden soll und darf: zu dem Objekt eines dauernden Streites.
    Es besteht auch keine sachliche Notwendigkeit, diese Rechtsbasis aufzugeben. Der Status hat seit Jahr und Tag alles in allem befriedigend funktioniert und er kann, wenn nicht bewußt Störungen herbeigeführt werden, weiter funktionieren. Natürlich gibt es Möglichkeiten, den Status zu ergänzen, um die Situation in Berlin zu verbessern. Es gibt viele Dinge in dieser gespaltenen Stadt, die den Menschen das Leben unnötig schwer machen. Die Verbindungen innerhalb Berlins und zwischen Berlin und allen Teilen Deutschlands könnten in mancher Weise enger, sicherer und reibungsloser gestaltet werden. Beispiele dafür aufzuzählen hätte aber nur Sinn, wenn die andere Seite zu solchen Verbesserungen bereit wäre. Leider gibt es nicht eine einzige präzise Erklärung nach der Richtung. Das Ziel der sowjetischen Vorstöße sind eben nicht



    Dr. Gradl
    echte Verbesserungen, sondern profunde Beeinträchtigungen der Existenz Berlins.
    Die Außenminister der drei Westmächte haben am 16. Juni vorigen Jahres in Genf dem sowjetischen Außenminister jene speziellen Berlinvorschläge gemacht, die unter Aufrechterhaltung des Rechtsstatus einige wesentliche Ergänzungen und Präzisierungen vorsahen. Dabei hat sich erneut gezeigt, wie eng der Spielraum für westliche Vorschläge ist, wenn die westliche Position und die freiheitliche Ordnung in Berlin nicht gefährdet werden sollen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Auch wenn es sich nur um Modifikationen handeln soll, kommt man sehr schnell an die äußerste Grenze des Vertretbaren. Solange Deutschland nicht wiedervereinigt ist, müssen eben für den Bestand Berlins in seiner Insellage auch auf der unangetasteten Basis des Viermächtestatus bestimmte wesentliche Bedingungen unter allen Umständen ganz real erfüllt bleiben.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich meine dabei insbesondere: 1.) die genügende militärische Präsenz der Westmächte, 2.) die Verbundenheit Berlins mit dem Bund und 3.) den Schutz vor Einmischung in Berlin. Ich habe mit Absicht an erster Stelle den Schutz West-Berlins durch die militärische Präsenz der westlichen Schutzmächte genannt. Ich kann dafür keine bessere Begründung geben, als sie der britische Außenminister Selwyn Lloyd am 12. Juni vorigen Jahres in Genf seinem 3) sowjetischen Kollegen gegeben hat. Diese Ausführungen von Selwyn Lloyd scheinen mir in diesem Zusammenhang so bedeutsam, daß ich sie Ihnen im Wortlaut mitteilen möchte:
    In diesem West-Berlin werden die westlichen Truppen nur anwesend sein, um zu symbolisieren, daß die Freiheit der Westberliner bestehenbleibt. Wie in der Vergangenheit wird ihre Anwesenheit auch in Zukunft keinerlei Einmischung in die innere Verwaltung oder in das Leben der Stadt bedeuten. Diese Truppen werden dort sein als ein von den Westberlinern selbst leidenschaftlich gewünschtes Symbol. In diesem West-Berlin wird es Garantien dafür geben, daß seine Bevölkerung die Freiheit besitzt, ihre eigene Lebensform zu bestimmen.
    Ich könnte das noch fortsetzen. Jeder Satz scheint mir gerade in der Auseinandersetzung mit der sowjetischen Agitation zu diesem Punkt bedeutungsvoll. Aber ich glaube, daß diese Bemerkung schon den rechten Eindruck von der Haltung unserer Verbündeten in dieser Frage gegeben hat.
    Der Osten fordert den völligen Abzug oder zunächst einmal die Verminderung auf symbolische Kontingente. Tatsächlich sind die westlichen Truppen heute schon militärisch gar nichts anderes als Symbole und natürlich in keiner Weise eine militärische Bedrohung. Man braucht die paar Regimenter, diese insgesamt 11 000 Mann, nur in Vergleich zu der Zahl und Stärke der sowjetischen 20 und der sowjetzonalen 10 Divisionen rings um Berlin
    zu setzen. Würden die westlichen Truppen noch weiter vermindert, dann allerdings könnte für Berlin unter Umständen eine wirkliche Gefahr entstehen. Das ist keine Schwarzmalerei; denn wir haben die Flaggenzwischenfälle mit kommunistischen Kampfgruppen auf dem Westberliner Eisenbahngelände gehabt, und jedes Jahr zum 1. Mai und bei anderen Gelegenheiten wird uns vorgeführt, welche militärischen und Bürgerkriegsformationen auf der anderen Seite vorhanden sind. Deshalb sagen wir: Der militärische Schutz West-Berlins muß so bleiben, daß auch der verwegenste UlbrichtFunktionär vor der Versuchung eines Fait accompli, vor der Lust zu einem Überraschungsakt bewahrt bleibt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Politische und wirtschaftliche Verbundenheit zwischen Berlin und dem deutschen Westen — der zweite Punkt — und ungehinderter Verkehr entsprechen ganz einfach den Existenznotwendigkeiten Berlins; sie entsprechen dem selbstverständlichen Willen der Bevölkerung Berlins, die der Zweiteilung Deutschlands nicht eine weitere hinzufügen lassen will, und sie entsprechen dem Grundgesetz der Bundesrepublik, in die Berlin ausdrücklich und mit Zustimmung unserer westlichen Alliierten einbezogen ist.
    Die Verbundenheit Berlins mit der Bundesrepublik ist allerdings eingeengt durch den Sonderstatus der Stadt und durch die statusbedingten Rechte und Vorbehalte der Alliierten. Daran ist nicht gerührt worden und soll nicht gerührt werden; denn der Status ist die Basis der freien Existenz Berlins. Aber im Rahmen und in den Grenzen dieses Status hat die Bundesrepublik die Pflicht, die Belange der Stadt zu wahren, ihr zu helfen und den deutschen Standpunkt hinsichtlich Berlins vor der Welt zu vertreten. Die Bundesregierung hat genauso wie Berlin und die Berliner selbst das Recht, daß ihre Ansicht repektiert wird.
    Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf etwas eingehen, was der Herr Kollege Erler vorhin gesagt hat. Er hat erwähnt, daß sich der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Berlin der Auffassung des Herrn Regierenden Bürgermeisters, seinen fünf Thesen, angeschlossen hat. Das ist richtig. Aber ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, als ob es erst der fünf Thesen bedurft hätte, um eine solche Haltung hinsichtlich der Wahrung der Stellung Berlins einzunehmen. Diese fünf Thesen sind in der Tat eine glückliche, knappe Zusammenfassung des deutschen Standpunktes, aber diesen deutschen Standpunkt haben wir alle von Anfang an in der Auseinandersetzung um Berlin vertreten, insbesondere hat ihn auch die Bundesregierung und der Bundeskanzler eingenommen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Nun wird auf eine Stellungnahme hingewiesen, die ein Mitglied der Bundesregierung im vergangenen Jahr zu der Frage der rechtlichen Verbindung Berlins und der Bundesrepublik abgegeben hat. Ich möchte doch darum bitten, nicht zu unterstellen, daß es sich dabei um eine Ablehnung oder um eine Minderung der tatsächlichen Zugehörigkeit Berlins



    Dr. Gradl
    zur Bundesrepublik gehandelt hat. Vielmehr ging es dabei um nichts weiter als um die Frage, ob man in einer konkreten Situation unter Berücksichtigung des Viermächtestatus eine bestimmte Entscheidung so oder so treffen sollte. Ich habe damals die Auffassung dieses Mitglieds der Regierung nicht geteilt. Aber Sie müssen zugeben — genauso wie ich das zugegeben habe —, daß man sowohl für die eine wie für die andere Auffassung sehr ernste Gründe anführen konnte; denn schließlich ist das Problem der Berücksichtigung des Viermächtestatus in der Tat sehr heikel.
    Wenn es im übrigen darauf ankommt, ein Urteil über die Haltung der Bundesrepublik und der Bundesregierung gegenüber Berlin zu fällen, dann soll man sich nach dem tatsächlichen Verhalten und nicht nach einigen gelegentlichen Äußerungen richten. Dieses tatsächliche Verhalten, die unentwegte Unterstützung Berlins in all den vergangenen Jahren und die Führung des Kampfes um Berlin in den jetzigen Auseinandersetzungen mit den Sowjets und auf der Genfer Konferenz, das alles scheint mir ein genügender Beweis für die Haltung der Bundesregierung zu sein.
    Als eine weitere unabdingbare Voraussetzung für die freiheitliche Existenz Berlins nannte ich den Schutz vor Einmischung in das innere Leben West-Berlins. Sicher, es wäre gut, wenn überhitzte und diffamierende Propaganda, wenn Agententum und politische Wühlereien von der ganzen Stadt — ich betone: von der ganzen Stadt — ferngehalten werden könnten. Am besten wäre es, wenn sie über-haupt überall aus dem politischen Kampf verschwänden. Aber — und da liegt die eigentliche Schwierigkeit — zwischen dem Westen und dem Osten sind die Auffassungen über Propaganda und öffentliche Meinung, über Friedenswillen und Kriegshetze, über Informationsrecht und Spionage usw. so verschieden, daß, wenn es nach dem Osten ginge, sehr schnell die Freiheit der Meinungsäußerung auf der Strecke bleiben und als Hetze diffamiert werden könnte. Der diesbezüglich in Genf gemachte Vorschlag der Westmächte könnte deshalb eher das Gegenteil einer Befriedung, nämlich eine Kette unentwegter Einmischungen auslösen.
    Zu den Bedingungen, die im Interesse Berlins und seiner ganzen Bevölkerung erfüllt bleiben müssen, gehört noch anderes, z. B. auch — der Regierende Bürgermeister von Berlin hat darauf in einer seiner Thesen mit Recht besonders hingewiesen — die Möglichkeit der Bewohner beider Teile der Stadt, sich in der ganzen Stadt unbehindert zu bewegen. Es wäre wirklich ein besonders erbärmliches Zeichen der inneren Schwäche Pankows, wenn 15 Jahre nach Kriegsende vielleicht auch noch die Bewegungsmöglichkeit der Einwohner innerhalb der Stadt unterbrochen würde.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich mache diese Feststellungen nicht, um Erschwerungen zu schaffen, sondern ich wollte damit nur demonstrieren, wie sorgsam alles, was Berlin betrifft, betrachtet werden muß, auch dann, wenn es nur, wie man zu sagen pflegt, um Modalitäten geht. Selbstverständlich wird jeder Gedanke, der von verantwortlicher Seite beigetragen wird, mit allem Ernst zu prüfen sein. Denn schließlich ist in der Auseinandersetzung um Berlin das äußerste Risiko im Spiel: Gefahr für den Frieden. Aber man muß sich in jedem Augenblick und bei jeder Überlegung bewußt bleiben, daß man bei Änderungen ganz scharf achtgeben muß, wenn man nicht ins Minus, in eine Verschlechterung mit unübersehbaren Wirkungen abrutschen will.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Bundesregierung wird aus dem Osten der massive Vorwurf gemacht, ihre Haltung in der Berlin-Frage sei störend, starr, feindselig und wie diese Bezeichnungen alle heißen. Diese Kritik paßt in die Sprache des Kalten Krieges, die im ganzen Ostblock gegen Deutschland gebraucht wird.
    Aber auch im befreundeten Ausland gibt es Pressestimmen, die die Formulierung des deutschen Berlin-Standpunktes allzu hart finden. Unsere Freunde — das darf ich in allem Ernst sagen — müssen wir bitten, zu bedenken, daß Berlin für uns Deutsche zu viel bedeutet, daß mit Berlin gar zu viel auf dem Spiel steht.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Es kommt nicht allein darauf an, 21/2 Millionen West-Berlinern weiterhin Freiheit, Sicherheit und Arbeit zu erhalten, so wichtig und notwendig das natürlich ist. In Berlin geht es um mehr. Berlin ist das Scharnier gesamtdeutscher Verbundenheit, Berlin ist Blickpunkt der deutschen Hoffnung auf Wiedervereinigung. Diese Hoffnung beruht nicht zuletzt auf der Existenz Berlins mit all seinen Zeichen des Provisoriums. Berlin ist — da darf vielleicht auch ich ein bißchen lyrisch werden — wie das Licht am Ende eines langen, dunklen Weges, den die Nation zu gehen hat. Würde Berlin zu einer Art internationaler Provinz, zu einer dritten Spezies Deutschland, zu einem Siegel des Status quo der deutschen Teilung, dann wäre das eine tiefe, furchtbare Enttäuschung für uns Deutsche, und zwar auf beiden Seiten der Trennungslinie. Daraus könnten sich verhängnisvolle Wirkungen ergeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Weil mit Berlin soviel auf dem Spiele steht, ist es um so erfreulicher, daß die Bundesregierung und der Senat von Berlin in der Beurteilung der Lage und der Konsequenzen übereinstimmen. Diese Gemeinsamkeit der Haltung in der Verteidigung der Position Berlins zusammen mit der unbeirrten Haltung der Berliner Bevölkerung ist wohl das Wichtigste, was von deutscher Seite zur Behandlung des Berlinproblems selbst in diesem Augenblick beigetragen werden kann. Man sollte überall in der Welt und vor allem auch im Osten zur Kenntnis nehmen, daß die verantwortlichen politischen Kräfte im freien Teil Deutschlands in der Auseinandersetzung um Berlin geschlossen auftreten und einig sind, so verschieden ansonsten ihre Meinungen sein mögen und so verschieden sie auch heute hier zum Ausdruck kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. Gradl
    Die verantwortlichen politischen Kräfte sind einig und geschlossen, weil sie wissen, daß in dieser Auseinandersetzung um Berlin in der Tat — Herr Kollege Erler war es wohl, der das gesagt hat — die Weichen für die Zukunft Deutschlands gestellt werden.
    Meine politischen Freunde bejahen deshalb auch voll und ganz die feste Haltung, die in der Erklärung der Bundesregierung zur Frage Berlin ausgedrückt ist. Sie erwarten von der Bundesregierung, daß sie ihren eindeutigen Standpunkt auch in Zukunft mit der notwendigen Entschiedenheit vertritt. Die feste Haltung in der Berlinfrage ist auch der Ausdruck unserer Überzeugung, daß es keine wirkliche Lösung des Problems Berlin gibt, wenn sie isoliert versucht und die gesamtdeutsche Frage umgangen wird. Man sträubt sich, es auszusprechen, weil es schon so oft gesagt worden ist, muß es aber immer wieder sagen: Wer irgendwo glaubt, nach einer Behelfslösung für Berlin könnten sich die Deutschen doch noch mit einem Status quo des geteilten Deutschland abfinden, der unterliegt einem schrecklichen Irrtum.
    Irgend jemand im Osten hat vor einiger Zeit gesagt, die „Zeitbombe West-Berlin" müsse entschärft werden. Und eine andere östliche Stimme hat Berlin als den „Herd der Unruhen und der Gespanntheit in Europa" bezeichnet. Aber nicht Berlin ist ja die Zeitbombe und der Herd der Gespanntheit in Europa, sondern es ist die deutsche Teilung und das Zonenregime, die die Geduld und die Leidensfähigkeit der Menschen in Mitteldeutschland so maßlos in Anspruch nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb muß man jeder Politik, die den Status quo für unabsehbare Zeit zur Grundlage machen will, immer wieder entgegenhalten, daß dieser Status ein ungemein zerbrechliches Gebilde ist, daß er kein stabiler, durch eine gerechte Ordnung gefestigter Zustand ist, sondern ein sehr dünnes Geflecht über einer elementaren Unordnung, die durch die unentwegte Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes fü ein großes Volk hervorgerufen ist. — Das ist die wirkliche Situation und das wirkliche Problem.
    Natürlich genügt es nicht, die Zerbrechlichkeit und die Gefahr des Status quo der Welt vor Augen zu stellen. Dadurch allein wird das Problem nicht gelöst. Es ist begreiflich, daß immer wieder nach Alternativen, nach Lösungen und Vorschlägen gefragt wird. Das ist ja auch in der dieser Debatte zugrunde liegenden Anfrage geschehen. Die Bundesregierung hat ihre Meinung dazu gesagt. Aber ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen. In Wirklichkeit fehlt es ja gar nicht an Plänen; deren gibt es mehr als genug. Woran es fehlt, ist die echte Verständigungsbereitschaft der anderen Seite. Solange die Gegenseite Forderungen stellt, die schlechterdings unerfüllbar sind, wie z. B. mit dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf für ein geteiltes Deutschland, kann kein Plan helfen, mag er auch noch so gut sein. Pläne können erst dann wirklich helfen, wenn die östliche Seite zu einer auch uns zumutbaren Lösung bereit ist. Vorher laufen wir Gefahr, mit dem Verlangen und Veröffentlichen immer neuer Vorschläge die eigenen Positionen einseitig abzubauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das gilt für Wiedervereinigungspläne, das gilt auch für allgemeine deutsche Beiträge. Es gibt beispielsweise die Auffassung — auch heute ist sie hier wieder angeklungen —, daß die Bundesregierung unabhängig von der Wiedervereinigung sozusagen durch einen besonderen deutschen Abrüstungsbeitrag eine Atmosphäre für eine Lösung der deutschen Frage schaffen könnte. Nun, die Bundesregierung ist immer bereit gewesen, eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung in der Welt zu unterstützen und zu ihrem Teil mitzumachen. Die Bundesregierung hat auch heute wieder diese Bereitschaft ausgesprochen. Wenn die großen Mächte, die für die Rüstung und den Rüstungswettlauf bestimmend sind, sich auf allgemeine Abrüstungs- und Sicherheitsmaßnahmen einigen, muß und wird die Bundesrepublik jeden adäquaten Beitrag zu leisten bereit sein.
    Herr Kollege Erler, als Sie vorhin zu diesem Thema sprachen, hatte ich das Gefmühl, als ob Sie den Eindruck hätten, daß hier irgend jemand auf den Besitz von Atomwaffen versessen ist. Das ist nun wirklich nicht der Fall. Schließlich hat die Bundesregierung auf die Produktion von A-, B- und C-Waffen verzichtet, und es gibt keinerlei Anlaß anzunehmen, daß sich an diesem Verzicht etwas ändert. Jede atomare Bewaffnung, die in Zukunft vielleicht einmal notwendig werden sollte, wird ganz bestimmt kein Verteidigungsbeitrag sein, der durch deutsche Initiative ausgelöst wird. Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie nur Beiträge leisten wird, die, wie ich es vorhin schon ausgedrückt habe, im Interesse des Ganzen vielleicht für notwendig erachtet werden.

    (Abg. Schmidt [Hamburg]: Bei denen weiß die Linke nicht, was die Rechte tut!)

    Eine andere Frage ist es, ob es zweckmäßig ist, daß die Bundesrepublik sich zu besonderen Beschränkungen ihrer Verteidigung in einem im wesentlichen auf Zentraleuropa beschränkten Raum bereit findet, und zwar ohne eine Hand in Hand damit gehende politische Entspannung in diesem Raum durch eine positive Lösung der deutschen Frage. Eine beschränkte Abrüstung in unserem Raume, sei es in der Stärke der eigenen und der verbündeten Truppen, sei es in der Art der Bewaffnung, würde praktisch einseitig die Bundesrepublik und die westliche Verteidigungsgemeinschaft treffen. In der westlichen Verteidigungsgemeinschaft ist die Bundesrepublik in Europa zwangsläufig ein sehr wesentliches Glied. Die wirkliche militärische Potenz und Gefahr auf der anderen Seite ist nicht das Zonenregime oder Polen oder die Tschechoslowakei, sondern die sowjetische Militärmacht. Diese Macht bliebe bei einer isolierten militärischen Veränderung in diesem gespannten Raum in jedem Falle militärisch und politisch präsent. Eine solche Art der Abrüstung und Verteidigungsbeschränkung liefe in der Wirkung — davon bin ich jedenfalls überzeugt — nicht auf eine Befriedung



    Dr. Gradl
    dieses Raumes hinaus, sondern auf eine Verfestigung und Garantie des Unrechts der deutschen Teilung.
    In dem Gedanken einer militärischen oder, wenn Sie wollen, demilitarisierenden Sonderbehandlung unseres engeren Raumes kommen die vertrauten Überlegungen ,eines nur militärischen Disengagement zum Ausdruck. Solche Gedanken könnten einen guten Sinn haben, wenn der Westen es bei den Sowjets mit einem politischen Gegner zu tun hätte, mit idem über das politische Ziel der Aktion Einigkeit bestünde und dem man nicht mehr zu mißtrauen brauchte. Aber ich brauche nicht zu beweisen, daß das eben nicht der Fall ist.
    Unsere pessimistische Haltung hinsichtlich eines militärischen Disengagement ohne politische Entspannung wird kritisiert als eine Politik des Junktims zwischen Abrüstung und Wiedervereinigung. Nun sehe ich einmal davon ab, daß dieses Junktim einer 'allgemeinen Abrüstung in keiner Weise im Wege steht. Ich sehe auch davon ab, daß das Junktim im Grunde ja von der anderen Seite nichts verlangt als die Einräumung des Selbstbestimmungsrechts. Was die andere Seite an politischen Veränderungen als Konsequenz befürchtet, ist richtig. Aber das ist nun einmal Selbstbestimmungsrecht.
    Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Bundesregierung als auch unsere westlichen Verbündeten haben wiederholt die Bereitschaft ausgesprochen, die politischen und militärischen Probleme in Mitteleuropa gemeinsam so zu lösen, daß die Lösung allen Beteiligten gerecht wird. Es ist selbstverständlich, daß die Wiederherstellung eines Staates von 70 Millionen Deutschen auf der Basis des Selbstbestimmungsrechtes bei den anderen Völkern Europas manche Erinnerungen und manche Fragen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit auslöst. Das ist eine der Folgen dessen, was der Nationalsozialismus angerichtet hat. In diesem Sinne sind Wiederverednigung, Frieden, Sicherheit und Abrüstung eine Problemeinheit, die als Ganzes gesehen und in Stufen einer verbundenen Lösung zugeführt werden muß.
    Tatsächlich berücksichtigt der Friedensplan, den die Westmächte in Genf vorgelegt haben, alle diese Faktoren. Mit diesem konkreten Plan ist nach unserer Überzeugung ein Weg des guten Willens zur Entspannung in Europa gewiesen. Die eigentliche Bedeutung dieses Planes, der — unvermeidlich —kompliziert ist, liegt in den Grundsätzen, die in ihm zum Ausdruck kommen.
    Natürlich hält der Plan daran fest, daß im Zuge seiner Entwicklung dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht zurückgegeben werden muß und daß die Position Berlins bis dahin nicht Schaden leiden darf. Würde von diesen Voraussetzungen abgegangen, wäre es ja Kapitulation vor der sowjetischen Teilungspolitik. Aber unter diesen Voraussetzungen enthält der westliche Plan in Verbindung nit seiner Erläuterung durch den amerikanischen Außenminister alle konstruktiven Elemente einer allen Beteiligten zumutbaren Lösung der deutschen Frage.
    Der Plan sieht eine gestufte Entwicklung für die Wiedervereinigung vor. Er verlangt von der Sowjetunion nicht, wie, glaube ich, heute morgen auch hier gesagt worden ist, Kapitulation. Er verlangt nicht die Zustimmung zu einer abrupten, quasi-revolutionären politischen Veränderung in ihrem mitteldeutschen Besatzungsbereich. Die freien Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung folgen einer Übergangszeit in einem gesicherten Ablauf des Wiedervereinigungsprozesses. Und für diesen Plan ist auch das Anpassungsproblem, das sich aus der verschiedenen Entwicklung der ökonomischen und sozialen Struktur in beiden Teilen Deutschlands ergibt, als politisches Problem anerkannt. Der amerikanische Außenminister hat das ausdrücklich in seiner Genfer Erläuterung des Planes festgestellt.
    In diesem Plan ist auch vorgesehen, daß im Rahmen der Vier-Mächte-Verantwortung beide Teile Deutschlands bei der Vorbereitung der Wiedervereinigung mitwirken. Schließlich sind eine Fülle von konkreten Maßnahmen zur militärischen Entspannung vorgeschlagen, die die politische Entspannung begleiten und zu einem europäischen Sicherheitssystem führen sollen. Das geht vom Austausch militärischer Informationen über Inspektionen und sich überschneidende Radarsysteme bis zu einer Zone beschränkter Rüstung, zum Truppenabzug und zu einem gemeinsamen Garantiesystem.
    Meine Damen und Herren, alles das — dies insbesondere zu der Kritik des Kollegen Achenbach! — liegt in dem westlichen Plan, und zwar nicht versteckt, sondern es ist offen ausgesprochen. Wenn Sie beanstanden, daß dieser Plan als ein unauflösbares Ganzes hingestellt worden ist, muß ich dazu sagen: natürlich ist er in dem Sinne unauflösbar, daß die Tatsachen selber so miteinander verschlungen sind. Aber es ist nie ein Zweifel darüber gelassen worden, daß dieser Plan nicht als ein Diktat verstanden sein will, sondern als Grundlage für Verhandlungen; vorausgesetzt werden natürlich ernsthafte Verhandlungen.
    Der Plan ist seinerzeit mit Zustimmung der Bundesregierung in Genf vorgelegt worden. Die Bundesregierung hat sich auch heute wieder zu ihm bekannt. Er wäre eine faire Verhandlungsgrundlage, wenn, ja wenn es der Sowjetunion auf Sicherheit und Entspannung in Europa wirklich ankäme.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort zu der Formel, die Wiedervereinigung sei eine Sache der Deutschen untereinander. Daß das nur eine Ausweichformel der Sowjets ist, hinter der sie ihren derzeitigen Willen verstecken, Deutschland geteilt zu halten, ist offenbar. Die furchtbaren Äußerungen des sowjetischen Ministerpräsidenten zu seinen italienischen Besuchern waren in dieser Hinsicht besonders deutlich, bedrückend deutlich. Wer eigentlich soll denn in Deutschland unter diesen Umständen noch glauben — Herr Kollege Achenbach, denken Sie einmal über diese Frage nach! —, daß die deutsche Einheit, gelöst von der Vier-MächteVerantwortung, in einem Gremium, in dem die Vier Mächte nur noch Beobachter sein sollen, noch zu-



    Dr. Gradl
    Wege gebracht werden kann? Wer soll es auch glauben angesichts des tatsächlichen Verhaltens des Zonenregimes?
    Seitdem der sowjetische Regierungschef die Parolen der Entspannungspolitik und der Beendigung des Kalten Krieges proklamiert hat, bedient sich auch die Zonenpropaganda dieser Parolen. Alle diese Entspannungsparolen hindern das Zonensystem in keiner Weise — leider! —, den Stacheldraht noch dichter, die Sperrzone noch lückenloser, den Kirchenkampf noch raffinierter, die Atheisierung des gesellschaftlichen Lebens noch schärfer, die Sowjetisierung des Wirtschaftslebens noch intensiver, die Drangsal der Bauern und Handwerker noch quälender, kurz: die Spaltung noch tiefer und härter zu machen. Die Spalterflagge ist ja nur ein Symbol dafür.
    Bei uns in Deutschland besteht der Kalte Krieg noch immer. Hier besteht er nicht aus Worten, sondern aus Realitäten. Diese Realitäten sind es, die für uns der Prüfstein des wirklichen Willens auf östlicher Seite, die für uns die realen Maßstäbe der sowjetischen Politik auch im Zeitalter atmosphärischer Entspannung sind. Das alles steht in einem so schreienden Widerspruch zu dem von Chruschtschow verkündeten sowjetischen Entspannungs-
    und Friedenswillen! Ich will jetzt nicht frag en, ob er es mit diesem Willen ernst meint. Wir können nur wünschen, daß es so ist. Aber der Geist von Camp David 1959 wird genauso verfliegen wie der Geist von Genf 1955, wenn die Wirklichkeit nicht folgt. Die sowjetische Politik, so wie sie gegenwär) tig betrieben wird, macht — ich sage das nicht gern — die Schaffung eines guten Verhältnisses zwischen dem deutschen Volk und der östlichen Weltmacht unmöglich. Unser Volk wünscht ein gutes Verhältnis nach allen Seiten. Wir müssen das um so dringlicher wünschen nach allem, was im Zeichen des Nationalsozialismus in Deutschland geschehen ist, auch nach allem, was 1941 bis 1945 im deutschen Namen gerade der Sowjetunion angetan worden ist. Aber eben weil wir endlich zu einem Verhältnis echten Friedens kommen wollen, müssen wir immer wieder sagen, daß die bisherige sowjetische Deutschlandpolitik nichts mit Frieden zu tun hat, weder der Vertragsentwurf für einen Frieden mit zwei Staaten noch die Drohung mit dem Separatfriedensvertrag, noch die Drohungen Ulbrichts.
    Aber vielleicht kann statt langatmiger Ausführungen ein Beispiel viel deutlicher, als Worte es vermögen, zeigen, was für eine Ungeheuerlichkeit es in Wirklichkeit ist, die die sowjetische Politik mit Hilfe Ulbrichts dem deutschen Volk zumutet. Man möge sich in Moskau nur einen Augenblick einmal vorstellen, Hitler hätte den Krieg gegen die Sowjetunion gewonnen, der Westen der Sowjetunion, darunter die Herrn Chruschtschow besonders nahestehende Ukraine, wäre am Kriegsende zum Besatzungsgebiet gemacht worden, es wäre eine westrussische nationalsozialistische Republik geschaffen worden, General Wlassow wäre als Staats-und Parteichef eingesetzt worden, und dann hätte der Nationalsozialismus von Moskau die Anerkennung dieses Gebietes als zweiten russischen Staat verlangt. Genau das, mit umgekehrten Vorzeichen, verlangt die Sowjetregierung mit der Anerkennung des Zonenstaates.
    Nun frage ich: Muß man, auch in Erinnerung an die unerhörte Kraftanstrengung ihres vaterländischen Krieges, noch fragen, was die Sowjetrussen bei einer solchen Zumutung empfunden hätten, wie sie auf die Dauer reagieren würden? Ich meine, wir fühlen uns als Nation durch die Teilung Deutschlands nicht weniger verletzt, als sich Sowjetrußland in entsprechender Situation verletzt fühlen würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der sowjetische Ministerpräsident spricht gerne von „Überbleibseln" des Krieges und von „Steinchen" auf dem Friedensweg, die weggeräumt werden müßten. Was hier in der Mitte Europas liegt — der Bundeskanzler hat in einem seiner Briefe an Chruschtschow darauf sehr deutlich hingewiesen —, das sind nicht nebensächliche Überbleibsel und Steinchen, das sind große Trümmer, dieses gespaltene Deutschland.
    Vor dem Obersten Sowjet hat Chruschtschow erklärt, das Prinzip der friedlichen Koexistenz bedeute Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Die ungeregelten internationalen Fragen sollten nicht durch Gewalt, sondern mit friedlichen Mitteln, durch Verhandlungen gelöst werden. Er hat auch gesagt, daß die Völker in jedem Staat — wörtlich! — selbst wählen mögen, welche Gesellschaftsordnung sie unterstützen wollen.

    (Abg. Frau Dr. Dr. h. c. Weber [Essen] : Siehe Ungarn!)

    Es bedarf nichts weiter, als daß die sowjetische Politik gegenüber dem deutschen Volk in dieser Weise realisiert wird. Dann ließe sich vieles, was heute zwischen West und Ost liegt, sehr gut regeln. Auch dann, auch bei gutem Willen, würde die solide Neuordnung in Mitteleuropa natürlich schwierige und geduldige Verhandlungen, mehr Zeit, mehr Einzelarbeit erfordern, mehr Vertiefung, als auf einer Gipfelkonferenz im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit möglich ist.
    Das war einer der Gründe, weshalb der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung wiederholt die Bildung eines ständigen Vier-Mächte-Gremiums mit deutschen Mitarbeitern vorgeschlagen haben. Aber, Herr Kollege Achenbach, ein Vier-Mächte-Gremium mit deutschen Mitarbeitern oder Arbeitsgruppen, nicht aber ein Gremium, bei dem die Vier Mächte nur Beobachter sind und die Deutschen sich selbst überlassen sind, nicht ein Gremium, in dem die Vier-Mächte-Verantwortung tatsächlich aufgelöst ist!
    Meine Damen und Herren, meine politischen Freunde sind gewillt, im Rahmen unserer Möglichkeiten einen redlichen deutschen Beitrag zur Lösung aller Fragen zu leisten, die die Welt bewegen und die kommende Gipfelkonferenz beherrschen. Wir sind nicht skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer Entspannung. Wir wollen nur, daß man zu einer realen Entspannung kommt. Das sowjetische Verhalten in der Frage Berlin und Deutschland ist, für uns jedenfalls, die Probe darauf, ob die Entspannungspolitik, wie sie die Sowjetregierung so wortgewaltig verkündet, nicht der Einschläferung



    Dr. Gradl
    und Zersetzung der freien Welt dienen soll, sondern wirklich zu einer Befriedung der ganzen Welt. führt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)