Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ehe wir in die heutige Tagesordnung eintreten, obliegt mir die traurige Pflicht, eines Verlustes zu gedenken, der uns gemeinsam in dem größeren Europa, das werden soll, unerwartet getroffen hat.
Am 23. November verstarb in Straßburg an einem Herzschlag John Edwards, der Präsident der Beratenden Versammlung des Europarats. Er wurde 55 Jahre alt.
1925 trat er in die Labour-Party ein. 1945 wurde er Abgeordneter des Unterhauses. Sein erstes Regierungsamt erhielt er 1945 in der Regierung Attlee. Er war in den folgenden Jahren Parlamentarischer Sekretär des Handelsministers und des Gesundheitsministers. 1953 wurde er Privy Counsellor.
Seit 1955 gehörte er der Beratenden Versammlung des Europarats und der WEU an. 1957 wurde er Vizepräsident der Beratenden Versammlung des Europarats und am 21. April dieses Jahres ihr Präsident.
Edwards war ein Europäer. Er hat sich für die Sache Europas mit seiner ganzen Person eingesetzt und sich schließlich in dieser Aufgabe verzehrt.
Sie haben sich zu seinem Gedenken von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Sodann habe ich einiger erfreulicher Ereignisse in diesem Hause zu gedenken.
Der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach beging am 13. November seinen 65. Geburtstag.
Am 17. November hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg seinen 73. Geburtstag gefeiert,
am 19. November der Herr Abgeordnete Kinat seinen 71. Geburtstag
und am 23. November der Herr Abgeordnete Altmaier seinen 70. Geburtstag.
Herr Abgeordneter Altmaier befindet sich in Straßburg.
Ich glaube, wir können uns freuen, daß wir einer so großen Zahl von so rüstigen Kollegen heute zu ihrem Geburtstage gratulieren konnten.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 13. November 1959 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz über eine Gemeindeeinfuhrsteuer auf der Insel Helgoland
Gesetz zur Änderung und Ausführung des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Konvention vom 5. April 1946 der Internationalen Überfischungskonferenz
Gesetz über das Zollkontingent für feste Brennstoffe
Gesetz über das Zusatzprotokoll Nr. 2 vom 27. Juni 1958
zum Europäischen Währungsabkommen vom 5. August 1955
Gesetz zu dem Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 23. Dezember 1957 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Dominikanischen Republik
Gesetz zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1958 zum Handelsabkommen vom 20. März 1926 zwischen dem Deutschem Reich und der Republik Portugal.
Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat festgestellt, daß die in Artikel 3 enthaltene Saarklausel überflüssig ist.
Zu dem
Gesetz über die Errichtung eines Bundesverwaltungsamtes und dem
Gesetz über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und weitere Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
hat der Bundesrat in der gleichen Sitzung verlangt, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Seine Schreiben sind als Drucksachen 1391 und 1392 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 10. November 1959 seine Antwort vom 8. Januar 1959 — Drucksache 777 — auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Schwierigkeiten bei Anwendung des Wohnungseigentumsgesetzes ergänzt. Sie ist unter Drucksache zu 777 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 13. November 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Briefe zur Verkehrspolitik" beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1395 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 21. November 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Zimmer, Frau Dr. Hubert und Genossen betr. Europäisches Musterbeamtenstatut beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1422 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 20. November 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heye, Dr. Kliesing , Gerns, Dr. Mende und Genossen betr. Empfehlung 36 der Versammlung der Westeuropäischen Union über die Politik der Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union (Drucksache 1355) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1428 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 23. November 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Seidl , Höfler, Altmaier und Genossen betr. Europäische Gemeindekonferenz (Drucksache 1349) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1429 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 28. November 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Teilschuldscheindarlehen beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1436 verteilt.
4928 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Vizepräsident Dr. Preusker
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 21. November 1959 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kreyssig, Birkelbach, Bergmann und Genossen betr. Übergangsgelder für Mitglieder der Hohen Behörde und der europäischen Kommissionen beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1437 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 17. November 1959 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 4. Juli 1958 betr. Programm über den Ausbau der Bundesfernstraßen für die Haushaltsjahre 1959 bis 1962 u. a. berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 1402 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 30. November 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Preis für F 104 - Starfighter beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1438 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 1. Dezember 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. wirtschaftliche Beziehungen zu Indien beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1439 verteilt.
Der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat unter dem 24. Oktober 1959 ein Gutachten zum Kantinenwesen der obersten Bundesbehörden übersandt, das im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Abgeordnete Dr. Hellwig hat mit Wirkung vom 30. November 1959 sein Mandat niedergelegt.
Dann rufe ich auf Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Zu dieser Fragestunde in der neuen Form sind zunächst die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts zusammengestellt worden. Dabei ist zu den Fragen 1 und 2 der Herren Abgeordneten Bauer und Dr. Friedensburg über die wirtschaftlichen Beziehungen zu Indien von der Bundesregierung eine längere schriftliche Antwort erteit worden. Sie datiert nach den mir vorliegenden Abschriften vom 1. Dezember. Darf ich die Herren Abgeordneten fragen, ob sie damit die Angelegenheit als erledigt betrachten. — Mindestens besteht ja jederzeit die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen. Herr Abgeordneter Bauer!
— Meine Damen und Herren, das sind vier eng-beschriebene Schreibmaschinenseiten. Die Fragen selbst nehmen schon eine ganze Druckseite ein.
Herr Abgeordneter Friedensburg!
Ich habe die Antwort des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes vor einer Viertelstunde bekommen, Die Angelegenheit scheint mir zu wichtig zu sein, als daß ich jetzt schon eine endgültige Erklärung abgeben möchte. Ich bitte mir vorbehalten zu dürfen, darauf zurückzukommen.
Dann entscheide ich, daß der Herr Staatssekretär des Auswärtigen dem Hause die Antwort noch einmal mündlich erteilt.
Es handelt sich um die Fragen der Abgeordneten Bauer und Dr. Friedensburg betreffend landwirtschaftliche Weltausstellung in Neu-Delhi:
Abgeordneter Bauer
Welche Meinung äußert die Bundesregierung zu der Meldung, daß die Bundesrepublik auf der im Dezember in Neu-Delhi zu
eröffnenden und durch den Besuch des amerikanischen Präsidenten in ihrer Bedeutung hervorgehobenen landwirtschaftlichen Weltausstellung nicht vertreten ist und daß der für sie längere Zeit freigehaltene Platz nunmehr durch einen Pavillon des östlichen Teils Deutschlands ausgefüllt wird?
Abgeordneter Dr. Friedensburg
Welche Gründe haben die Entscheidung der Bundesregierung bestimmt, an der landwirtschaftlichen Weltausstellung in Neu-Delhi, an deren Eröffnung der Präsident der Vereinigten Staaten teilnehmen wird, nicht teilzunehmen, während die Behörden des sowjetisch besetzten Teiles unseres Landes sich mit einem erheblichen Aufwand beteiligen?
Sind die zentralen und die örtlichen Dienststellen des Auswärtigen Amts rechtzeitig und ausreichend an der Entscheidung beteiligt warden, und welche Auffassung haben sie vertreten?
Billigt die Bundesregierung die Entscheidung, und befürchtet sie nicht von ihr eine erhebliche Schädigung der deutschen Interessen?
Weshalb hat die Bundesregierung den Bundestag nicht um eine Nachbewilligung von Mitteln ersucht, wenn, wie die Presse meint, tatsächlich die Erschöpfung des betreffenden Haushaltstitels für die Entscheidung bestimmend gewesen ist?
Welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung für den Fall, daß sie die Entscheidung nicht billigt, für die Zukunft gegen die Wiederholung solcher Mißgriffe getroffen oder irr Aussicht genommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte das Haus zu entschuldigen, daß ich den Text nicht hier habe. Es handelt sich dabei ja um die Beantwortung einer Kleinen Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mende und der Fraktion der FDP, und diese ist formgerecht, in schriftlicher Form, erfolgt. Die Annahme, von der wir ausgingen, war, daß, da diese Anfrage sämtliche Punkte behandelt, die auch in den mündlichen Anfragen der Herren Abgeordneten .Bauer und Dr. Friedensburg enthalten waren, mit ihrer Beantwortung auch die beiden mündlichen Anfragen vielleicht erledigt sein würden. — Ich bekomme aber soeben durch die Freundlichkeit des Herrn Präsidenten den Text unserer Antwort und bin gern bereit, ihn zu verlesen.
Das Auswärtige Amt beantwortet die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern für Wirtschaft und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wie folgt:
Die Bundesregierung hat amtlich zum ersten Male durch Bericht der Deutschen Botschaft in Neu-Delhi vom 28. Januar 1959 davon Kenntnis erhalten, daß beabsichtigt sei, in Neu-Delhi vom 11. Dezember 1959 bis 14. Januar 1960 eine Weltlandwirtschaftsmesse zu veranstalten. Die Botschaft brachte zum Ausdruck, daß es begrüßenswert wäre, wenn sich interessierte Kreise der Bundesrepublik daran beteiligten. Als Träger der Messe fungierte das Farmers Forum, eine zentrale Organisation indischer Landwirte. Die Befragung der in Betracht kommenden deutschen Wirtschaftskreise ergab, daß von keiner Seite Interesse an einer Teilnahme gezeigt wurde. Da es nicht möglich ist, eine repräsentative amtliche Beteiligung an der Messe ohne Rückhalt in der freien Wirtschaft durchzuführen, mußte zunächst davon abgesehen werden. Die dem Bundesernährungs- und dem Bundeswirtschaftsministerium zur Verfügung stehenden Mittel waren zum damaligen Zeitpunkt bereits für Messen mit günstigeren Exportaussichten festgelegt. In diesem Stadium sah die Leitung der Messe große Schwierigkeiten, die Veranstaltung überhaupt durchzuführen, da sie im Ausland auf beschränktes Interesse stieß. Es lagen auch noch keine Zusagen von seiten anderer europäischer
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4929
Staatssekretär Dr. van Scherpenberg
Länder vor. Eine nur durch den Staat unter Aufwendung sehr hoher Kosten finanzierte, umfassende und repräsentative Beteiligung wäre auch aus zeitlichen und technischen Gründen nicht mehr möglich gewesen. Daher wurde ein Schreiben des Präsidenten der Messe an den Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten von diesem am 27. April 1959 in diesem Sinne beantwortet.
Erst nachdem die USA und die Sowjetunion eine großzügige Teilnahme unter Einsatz von Beträgen von vielen Millionen D-Mark zugesagt hatten, konnte mit einem Zustandekommen gerechnet werden. Inzwischen haben sich schließlich folgende Länder beteiligt: Afghanistan, Burma, China, Ceylon, Iran, Irak, Mongolei, Polen, UdSSR und Südvietnam; außerdem die Sowjetzone. Von den europäischen Staaten werden also nur Polen und die Sowjetunion vertreten sein; außerdem stellt die Sowjetzone aus. Eine Beteiligung der Sowjetzone hätte durch eine Beteiligung der Bundesrepublik nicht verhindert werden können.
Die Botschaft hat mit Bericht vom 13. Mai 1959 auf diese veränderte Sachlage hingewiesen und gebeten, die ablehnende Entscheidung nochmals unter politischen Gesichtspunkten zu überprüfen. Sie hat vorgeschlagen, daß die Bundesrepublik sich wenigstens auf einem Sondergebiet mit einem kleineren Beitrag beteiligt. Der Vorschlag wurde von den zuständigen amtlichen Stellen und Organisationen der Wirtschaft eingehend geprüft mit dem Ergebnis, daß eine amtliche Beteiligung möglich gewesen wäre, wenn sich die Darstellung auf ein Sondergebiet für Landwirtschaft beschränkt hätte. Eine Teilnahme ist jedoch unterblieben, weil bei der zur Verfügung stehenden Zeit kein zutreffendes Leistungsbild der deutschen Landwirtschaft mehr dargestellt werden konnte. Ein würdiges repräsentatives Auftreten der Bundesrepublik war unter diesen Umständen nicht sichergestellt. Ein derartiger Rahmen ist aber erfahrungsgemäß die Voraussetzung für den Erfolg einer amtlichen Beteiligung.
Soviel zu diesem Punkt. Die Anfrage des Herrn Dr. Mende betraf auch noch einige andere Punkte. Ich weiß nicht, ob ich die Antworten darauf hier ebenfalls verlesen soll.
Ich glaube nicht, daß dies hier interessant ist. Von Interesse sind Ihre Ausführungen nur insoweit, als damit — wie Sie in Ihrer Antwort bemerkt haben — gleichzeitig die Fragen der Abgeordneten Bauer und Dr. Friedensburg beantwortet sind. Darf ich den Herrn Abgeordneten Bauer fragen, ob er eine Zusatzfrage stellen möchte.
— Herr Abgeordneter Ritzel!
Herr Staatssekretär, darf ich zu Ihrer Antwort folgende Zusatzfrage stellen: Ist der Bundesregierung bekannt, daß in einer früheren Sitzung des Haushaltsausschusses ein Abgeordneter der CDU, Herr Dr. Vogel, in Übereinstimmung mit dem ganzen Ausschuß den Standpunkt vertreten hat,
daß aus ganz bestimmten politischen und wirtschaftspolitischen Gründen die Bundesrepublik bei einem solchen Anlaß unbedingt vertreten sein müsse? Ist dem Auswärtigen Amt bekannt, daß der Herr Abgeordnete Höcherl aus Anlaß einer dienstlichen Reise nach Indien von Kalkutta aus seinen Fraktionsvorsitzenden telegraphisch auf die Wichtigkeit und Bedeutung einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an dieser Ausstellung hingewiesen hat? Glaubt die Bundesregierung, daß angesichts der Tatsache, daß — laut Auskunft eines Ministerialvertreters im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages — eine Entscheidung ohne Kenntnis des die Richtlinien der Politik bestimmenden Herrn Bundeskanzlers ergangen ist, eine solche Unterlassung verantwortet werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dem Auswärtigen Amt sind die Äußerungen, die der Herr Abgeordnete Ritzel hier angeführt hat, bekannt. Ich kann nur versichern, daß seitens des Auswärtigen Amts und des Wirtschaftsministeriums alles getan worden ist, um die politische Bedeutung dieser Ausstellung hervorzuheben. In fachlichen Kreisen waren jedoch die Widerstände so stark, daß wir uns nicht durchsetzen konnten.
Herr Abgeordneter Ritzel, ich glaube, Sie haben vorhin das Kunststück fertiggebracht, mehrere Zusatzfragen bereits in einer Frage unterzubringen. Ich glaube nicht, daß ich Ihnen nach unserer Vereinbarung noch eine weitere Zusatzfrage konzedieren kann.
Herr Präsident, das steht nirgends geschrieben!
Ich bitte Sie nur, dann auch entsprechend der Vereinbarung zu verfahren.
Nur noch eine Zusatzfrage: Wer hat dann, Herr Staatssekretär, die letzte und einzige Entscheidung auf Nichtbeteiligung der Bundesrepublik an dieser Ausstellung in Neu-Delhi getroffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte Ihnen schon, daß es die fachlichen Kreise waren.
Seit wann trifft die Entscheidung nicht die Bundesregierung? Darf ich Sie berichtigen: der Herr Ernährungsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt ja auch in der Bundesregierung fachliche Kreise.
Herr Abgeordneter Friedensburg!
4930 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Ich habe eine Zusatzfrage an den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen Amts zu stellen. Herr Staatssekretär van Scherpenberg, ist die Bundesregierung tatsächlich der Ansicht, daß die Bundesrepublik nicht in der Lage gewesen wäre, in der gleichen Zeit, in der nach dem Bericht des Herrn Staatssekretärs der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten eine angemessene Beteiligung an der Messe möglich gewesen war, ihrerseits eine wenigstens einigermaßen repräsentative Beteiligung herbeizuführen? Und glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß 'die Nichtbeteiligung immer noch ärger gewesen ist als eine vielleicht nicht genügend vorbereitete Beteiligung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube vielleicht darauf hinweisen zu sollen, Herr Abgeordneter, daß außer den Vereinigten Staaten von Amerika kein Land der westlichen Welt eine Möglichkeit gesehen hat, sich daran zu beteiligen. Die Gründe, die sich hier für die Bundesregierung als schwerwiegend erwiesen haben, waren also zweifellos von den meisten anderen Ländern ebenfalls als ausschlaggebend angesehen worden. Daß natürlich die autoritär regierten Staaten in solchen Angelegenheiten etwas schneller arbeiten können, weil sie nicht weitgehend auf den guten Willen der Wirtschaftskreise angewiesen sind, ist eine bekannte Tatsache.
Noch eine Zusatzfrage!
Ich habe, Herr Staatssekretär, leider keine Antwort auf meine Frage bekommen. Ich rechne die Vereinigten Staaten einstweilen nicht zu den autoritär regierten Staaten;
sie würden also nicht unter diese Kategorie fallen. Ich habe gefragt, ob eine Beteiligung tatsächlich technisch nicht möglich gewesen wäre. Ich bin nämlich nicht davon überzeugt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Vereinigten Staaten haben sich, lange bevor die Frage an uns noch einmal herangekommen ist, zur Teilnahme entschlossen. Als wir zum erstenmal vor dieser Frage standen, waren hier alle Kreise einhellig der Meinung, es lohne sich nicht, an der Ausstellung teilzunehmen. Das war zu Anfang dieses Jahres.
Herr Abgeordneter Friedensburg, Sie haben bereits zwei Zusatzfragen gestellt. Wir können hier nicht in eine Einzelauseinandersetzung eintreten; das ginge über den Bereich der Fragestunde hinaus. Ich darf bitten, die Frage damit im Augenblick abzuschließen.
Ich rufe damit die nächste Frage — des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher — betreffend die Note der Bundesregierung wegen der Aufbringung des deutschen Frachters „Bilbao" durch französische Kriegsschiffe auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Wortlaut der Note, die sie wegen der Aufbringung des deutschen Frachters „Bilbao" durch französische Kriegsschiffe an die französische Regierung gerichtet hat, wenigstens dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten des Bundestages mitzuteilen?
Herr Staatssekretär van Scherpenberg!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher kann ich zunächst antworten: Ja. Die Bundesregierung ist ausnahmsweise bereit, den Wortlaut der deutschen Protestnote dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten des Bundestages vertraulich mitzuteilen.
Darf ich fragen, was hier dass Wort „ausnahmsweise" bedeutet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das bedeutet, daß im allgemeinen Schriftwechsel mit fremden Regierungen nicht vorgelegt werden können, solange die Verhandlungen nicht abgeschlossen sind:
Aber ist die Bundesregierung bereit, zuzubilligen, daß die Öffentlichkeit oder zumindest der Deutsche Bundestag in Fällen wie diesem ein Interesse an den damit zusammenhängenden Fragen hat, z. B. an der Frage, auf Grund welcher Einrichtungen es möglich war, daß französische Dienststellen Kenntnis hatten oder Kenntnis zu haben glaubten über die Ladung eines deutschen Handelsschiffes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, das ist eine Frage, die bei Bekanntgabe der Note im Auswärtigen Ausschuß besprochen werden kann.
Die nächste Frage, also die Frage des Herrn Abgeordneten Bauer soll auf Veranlassung des Fragestellers zurückgestellt werden; er ist in Straßburg.
Es folgt nun aus dem Bereich des Bundesministers des Auswärtigen noch die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Menzel über die französischalgerischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik:
Sind der Bundesregierung die Feststellungen im GeneralAnzeiger für Bonn und Umgebung vom 26. November 1959 „Sitzt die ,Rote Hand' in der Botschaft?" bekannt, und was gedenkt sie in diesem Zusammenhang zu unternehmen, damit endlich die gewaltsamen französischalgerischen Auseinandersetzungen im Gebiet der Bundesrepublik aufhören?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär van Scherpenberg!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist der Zeitungsartikel „Sitzt die ,Rote Hand' in der Botschaft?" im Bonner „General-Anzeiger" vom 26. No-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4931
Staatssekretär Dr. van Scherpenberg
vember 1959 bekannt. Die Angaben in dieser Pressemitteilung hat die französische Botschaft in der Ausgabe der gleichen Zeitung vom 27. November 1959 dementiert.
Wie dem Hohen Hause bekannt ist, schweben nicht nur bei den Landesjustizbehörden Ermittlungsverfahren wegen der Attentate und Mordanschläge, sondern führt auch der Herr Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof seit längerer Zeit Ermittlungen darüber, ob in der Bundesrepublik von Ausländern gebildete Geheimbünde oder von ihnen .gegründete kriminelle Vereinigungen im Sinne der §§ 128 und 129 des Strafgesetzbuches bestehen. Über den Stand dieser mit Nachdruck geführten Ermittlungen kann die Bundesregierung vor deren Abschluß keine näheren Mitteilungen machen. Die Innenminister haben darüber hinaus auf Anregung der Bundesregierung präventive polizeiliche Maßnahmen veranlaßt, um ähnlichen Vorkommnissen vorzubeugen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel!
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung — und gegebenenfalls mit welchen konkreten Vorstellungen — bei den jetzigen Gesprächen in Paris auf die französische Regierung dahingehend einwirken, daß die Gewalttätigkeiten der „Roten Hand" auf dem Gebiete der Bundesrepublik endlich aufhören und die französische Regierung endlich auch bereit ist, die über Interpol geschlossenen Verträge zu achten und damit gleichzeitig die bisher abgelehnten Fahndungsersuchen der deutschen Staatsanwaltschaften und Polizeien zu erfüllen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist in dieser Frage laufend in Fühlung mit den französischen Stellen.
Ich habe noch eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, mich interessieren die konkreten Vorstellungen Bonns in Paris. Oder soll ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung eventuell bereit ist, ganz oder teilweise auf die Bereinigung dieser Angelegenheit zu verzichten, oder daß sie bereit ist, ganz oder teilweise auf ihre Rechte gegenüber Frankreich aus den Interpol-Verträgen zu verzichten? Genügt hier nicht einfach eine klare Aufforderung an die französische Regierung, vertragstreu zu bleiben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist weder bereit, auf eine Klärung dieser Angelegenheit zu verzichten, noch ist sie bereit, ihre Rechte aus dem Interpol-Vertrag aufzugeben.
Meine Frage ist nur teilweise beantwortet. Ich habe gefragt: Welche konkreten Gegenvorstellungen haben Sie erhoben?
— Keine Antwort?
Damit kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Die erste Frage ist die des Herrn Abgeordneten Dr. Miessner. Sie betrifft die Beamtenbesoldung:
Was gedenkt die Bundesregierung in der Frage der Beamtenbesoldung zu tun, nachdem seit der letzten Angleichung der Gehälter im Jahre 1957 die allgemeinen Lebenshaltungskosten um 6 v. H. und das Durchschnittseinkommen um etwa 11 v. H. gestiegen sind?
Ist die Bundesregierung bereit, mit Rücksicht darauf, daß eine Gehaltsangleichung nur durch Gesetz erfolgen und daher bis Ende dieses Jahres nicht mehr vom Bundestag beschlossen werden kann, sofort im Wege einer Vorschußzahlung — mit Zustimmung des Haushaltsausschusses — zu helfen?
Herr Staatssekretär Dr. Anders!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet: Die Bundesregierung hat bereits vor einiger Zeit eine Prüfung der Besoldungslage eingeleitet. Die Prüfung, an der auch die Länderregierungen zu beteiligen sind, wird beschleunigt durchgeführt. Sofortmaßnahmen sind nicht in Aussicht genommen.
Eine Zusatzfrage?
Im Haushalt 1960 sind für die Angleichung der Beamtengehälter an die gestiegenen Lebenshaltungskosten bisher keine Mittel eingestellt. Soll man das hinsichtlich einer etwa kommenden notwendigen Angleichung absolut negativ bewerten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Prüfung, von der ich vorhin sprach, wird beschleunigt durchgeführt. Sie wird etwa im Januar nächsten Jahres abgeschlossen sein. Zum gleichen Zeitpunkt werden auch die Tarifverhandlungen über die neuen Tarife der Arbeiter und Angestellten stattfinden. Dann werden weitere Entschlüsse gefaßt werden.
Noch eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die Erwähnung der Verhandlungen mit den Tarifpartnern möchte ich Sie fragen, ob Sie es für gut halten, daß die Frage der Beamtenbesoldung damit wieder einmal von dem Ausgang von Verhandlungen mit Tarifpartnern abhängig gemacht wird, also im Schlepptau von Tarifverhandlungen läuft?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe nicht gesagt, daß die Verhandlungen ins Schlepptau der Tarifverhandlungen kommen sollten. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß es zweckmäßig ist, die Erörterungen über eine Erhöhung der Beamtenbesoldung mit den kommenden Tarifverhandlungen zu synchronisieren, da doch im öffentlichen Dienst nur einheitlich verfahren werden kann.
Danke schön!
4932 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Dann kommen wir zu der Frage der Frau Abgeordneten Beyer über die Verhandlungsmethoden der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main beim Erwerb von Grundstücken in Bad Vilbel:
Billigt die Bundesregierung die Methoden der Oberfinanzdirektion Frankfurt , die im Auftrag des Bundesfinanzministers handelt und die einen noch nicht unterschriebenen Vertrag zur Überlassung von Gelände zu Schießzwecken — in Kenntnis der berechtigten Einwände gegen bestimmte Paragraphen des Vertrages durch die in Frage kommende Gemeinde Bad Vilbel — dazu benutzt, andere Gemeinden gleichfalls zur Unterschrift zu veranlassen mit dem Hinweis, daß die vorgenannte Gemeinde Bad Vilbel bereits unterschrieben habe?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für den Bundesminister der Finanzen darf ich die Frage der Frau Abgeordneten Beyer wie folgt beantworten: Für die Überlassung von gemeindlichen Forstflächen zu militärischen Zwecken gibt es Richtlinien des Bundesfinanzministers vom 25. Februar 1958. Mit der Stadt Bad Vilbel konnte ein Überlassungsvertrag nach diesen Richtlinien bisher nicht abgeschlossen werden. Auch von anderen Gemeinden sind Bedenken gegen einzelne Teile dieser Richtlinien erhoben worden. Inzwischen ist ein neuer Entwurf aufgestellt und kürzlich mit den Ländern erörtert worden. Die neuen Richtlinien sollen nach einer nochmaligen Überprüfung Anfang 1960 als Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministers an die Oberfinanzdirektionen hinausgehen.
Sie, Frau Abgeordnete, fragen mm nach dem Verhalten der Oberfinanzdirektion Frankfurt. Wir haben durch eine Rückfrage festgestellt, daß wegen dieser eben erwähnten schwebenden Verhandlungen über Verbesserungen der bisherigen Richtlinien auch die Oberfinanzdirektion Frankfurt in den letzten Monaten keine Verhandlungen mit Gemeinden über solche Überlassungsverträge geführt hat. Nach den Erklärungen dieser Oberfinanzdirektion hat sie bei den Verhandlungen mit anderen Gemeinden nicht behauptet, daß ein entsprechender Überlassungsvertrag mit der Stadt Bad Vilbel bereits abgeschlossen sei.
Frau Abgeordnete Beyer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, sehen Sie es nicht als eine arglistige Täuschung an, wenn von seiten der Oberfinanzdirektion Frankfurt an andere Vermögensstellen des Bundes Mitteilungen gegeben werden, die zum Inhalt haben, daß mit der Stadt Bad Vilbel bereits ein Vertrag abgeschlossen sei? Mir liegt hier z. B. ein Brief der Stadt Kitzingen vor. Aus diesem Brief geht hervor, daß die Vermögensstelle Würzburg mitgeteilt hat, dem der Stadt Kitzingen zugeleiteten Entwurf sei der Vertrag zugrunde gelegt worden, der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Gemeinde Bad Vilbel bezüglich der Benutzung der Waldes der Gemeinde Bad Vilbel abgeschlossen worden sei. In einem anderen Brief, der aus Aschaffenburg stammt, wird mitgeteilt, daß man dem Vertragsentwurf einen Brief beigefügt hat, aus dem zu entnehmen ist, daß man sich auf einen mit der Stadt
Bad Vilbel geschlossenen Vertrag berufen kann.
Mit anderen Worten: Hier werden andere Gemeinden von dem Tatbestand des bereits getroffenen Abschlusses unterrichtet. Ich meine, das müßte doch als eine arglistige Täuschung angesehen werden.
Dr. Hettlage, Staatssekretär im. Bundesministerium der Finanzen: Frau Abgeordnete, offensichtlich haben die Gemeinden Kitzingen und Aschaffenburg mit der Oberfinanzdirektion in Frankfurt oder einer nachgeordneten Vermögensstelle Fühlung gehabt. Wir haben aber dabei nicht feststellen können, daß behauptet worden ist, mit Bad Vilbel sei ein Vertrag abgeschlossen worden. Uns ist mitgeteilt worden, es sei zwar auf diesen Vertrag verwiesen, aber nicht gesagt worden, daß der Vertrag in der Zwischenzeit abgeschlossen worden sei. So die Berichte, die uns zugegangen sind.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, zunächst zur Frage des Herrn Abgeordneten Stingl betreffend Festsetzung des Zeitwertes durch die Kfz-Versicherungsgesellschaften bei beschädigten Kraftfahrzeugen:
Ist dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bekannt, daß nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung bei der Ermittlung der Höhe des gemeinen Wertes des Fahrzeuges am Tage des Schadens die Versicherungsgesellschaften — zum mindesten die Agrippina-Versicherungsgruppe — über die übliche Abschreibung hinausgehende Wertabsetzungen vornehmen und daß sich dabei z. B. bei Opel-Fahrzeugen eine Wertabsetzung von 35 v. H. jährlich, davon 15 v. H. wegen angeblich schwerer Verkäuflichkeit von Opel-Fahrzeugen, ergibt?
Ist der Herr Bundeswirtschaftsminister bereit, bei der Neuordnung der Kraftfahrzeugversicherungstarife darauf hinzuwirken, daß entweder solche zusätzlichen Abschreibungen unterbleiben oder bei der Versicherung von Kraftfahrzeugen, bei denen ein höherer Abzug für notwendig gehalten wird, dem Versicherungsnehmer eine Prämienermäßigung gewährt wird?
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft bitte!
Nach § 13 Abs. 1 der für die Fahrzeugversicherung geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftverkehrsversicherung hat der Versicherer einen Schaden bis zur Höhe des gemeinen Werts des Fahrzeugs oder seiner Teile am Tage des Schadens, d. h. des Zeitwerts, zu ersetzen. Diese Bedingungen unterliegen nicht meiner Genehmigung, sondern sind durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen genehmigt worden.
Nach der zu § 13 ergangenen Rechtsprechung sowie nach der Literatur ist unter Zeitwert der gemeine Handelswert oder Verkehrswert des Fahrzeugs zu verstehen. Dieser richtet sich nach allen Faktoren, die für die Preisbildung auf dem Markt der Gebrauchtfahrzeuge maßgebend sind. Dazu gehören z. B. die Liefermöglichkeiten für neue Fahrzeuge, Änderungen der Fahrzeugtypen, inzwischen erfolgte technische Verbesserungen, Grad der Abnutzung, äußeres Ansehen der Fahrzeuge sowie ganz allgemein das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, also auch die den Marktwert eines Fahrzeugs beeinflussenden sonstigen Faktoren, z. B.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4933
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
die schwerere oder leichtere Verkäuflichkeit zu einem gegebenen Zeitpunkt. Demnach kommt es auf die technische Abnutzung und die ihr entsprechende Abschreibung allein nicht an. Auf diese Gesichtspunkte hat auch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen schon in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 31. Oktober 1959, der ich mich in vollem Umfang anschließe, hingewiesen.
Da das in der Anfrage geschilderte Verfahren somit grundsätzlich dem § 13 Abs. 1 AKB und dem allgemein üblichen Verfahren entspricht, beabsichtige ich nicht, im Zusammenhang mit der Neuordnung der Kraftfahrzeugversicherung in diesem Punkt eine Änderung anzuregen. Die Beiträge in der Kraftfahrzeugversicherung sind auf die nach den AKB erforderlichen Leistungen der Versicherer abgestellt. Es besteht daher auch keine Möglichkeit, die Prämien zu senken, solange die Leistungen dem § 13 AKB entsprechen.
Herr Abgeordneter Stingl zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, Sie werden also nach wie vor dafür eintreten, daß für die Prämien der Versicherungsnehmer die PS-Zahl maßgebend ist, der Versicherungsgeber sich aber beim Schadensfall nach der Fahrzeugtype richtet?
Es sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, so zum Beispiel, die Neuwertversicherung einzuführen oder von PS auf Typen umzustellen. Diese Fragen sind im Wirtschaftsministerium geprüft worden, und wir glauben, daß die derzeitige Regelung die optimale ist.
Es werden also auch in Zukunft für die Prämienzahlung andere Grundsätze Anwendung finden als für die Schadensregulierung, was sonst bei keiner Versicherung möglich ist?
Ich sehe keine andere Möglichkeit.
Frage des Abgeordneten Riedel betreffend Unterwanderung der Bundesrepublik mit kommunistischer Literatur im Interzonenhandel:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Wege des Interzonenhandels sogenannte humanistische Literatur — in Wirklichkeit Druckerzeugnisse mit bolschewistischem Gedankengut — eingeführt wird?
Weiß die Bundesregierung, daß der Anteil der Jugendschriften im Rahmen dieser Transaktionen etwa 20 v. H. des Kontingents ausmacht?
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um diesen Mißbrauch des Interzonenhandels zu unterbinden und der Unterwanderung der Bundesrepublik mit kommunistischer Literatur zu begegnen?
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, in seinem Ressort und in den zuständigen Länderressorts dafür Sorge zu tragen, daß bei der Vergabe von Straßenbauaufträgen die Losgröße so gewählt wird, daß sich auch kleinere und mittlere Unternehmen erfolgreich an den Ausschreibungen beteiligen können?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wirtschaft!
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundessinister für Wirtschaft: Der Bundesregierung ist bekannt, daß im Wege des Interzonenhandels auf Grund der vereinbarten Warenlisten Druckerzeugnisse aus der SBZ bezogen werden. Dabei überwiegt der Bezug wissenschaftlicher Bücher und Fachbücher, wissenschaftlicher Zeitschriften und Fachzeitschriften sowie von Musiknoten. Der Wert der Bezüge schöngeistigen Schrifttums belief sich im Jahre 1958 auf zirka 500 000 DM. Die für die Erteilung von Bezugsgenehmigungen zuständigen Landesbehörden versehen die Genehmigungen mit dem Hinweis darauf, daß keine staatsgefährdenden Schriften im Sinne des § 93 des Strafgesetzbuches bezogen werden dürfen. Jeder Bezieher ist außerdem verpflichtet, am Quartalsende eine Liste der Titel der bezogenen Bücher einzureichen, die den Innenministern der Länder vorgelegt wird, um gegebenenfalls ein Einschreiten auf Grund des § 93 StGB gemäß den strafprozessualen Vorschriften zu veranlassen. Es ist bisher nicht bekanntgeworden, daß staatsgefährdende Schriften im Sinne des § 93 StGB bezogen worden sind.
Der Anteil der Jugendschriften ist schwer. zu ermitteln, zumal dieser Begriff sich nicht einwandfrei festlegen läßt und der Titel der Bücher allein nicht entscheidend ist.
Über die Möglichkeit einer Prüfung des Inhalts der Bücher auf Grund des § 93 StGB hinaus stehen der Bundesregierung weitere gesetzliche Handhaben für die Prüfung und Ablehnung von Bezügen nicht zur Verfügung. Ungeachtet dessen wird die Aufrechterhaltung des Austausches von Druckerzeugnissen für zweckmäßig erachtet, zumal auf diesem Wege auch entsprechende Literaturerzeugnisse aus der Bundesrepublik in die SBZ geliefert werden.
Danke!
Die nächste Frage ist die des Herrn Abgeordneten Ritzel wegen der Doppelstecker:
Welche Abzweigstecker entsprechen nach der Auffassung des Verbandes Deutscher Elektrotechniker und der Bundesregierung nicht mehr dem Stand der Elektrotechnik und können deshalb laut Erklärung der Bundesregierung in der Fragestunde der 90. Sitzung des Deutschen Bundestages künftig nicht mehr das VDE-Prüfzeichen erhalten?
Sind die von der Bundesregierung angegebenen 6 Todesfälle, die durch Doppelstecker verursacht worden sein sollen, auf die verwendung von Abzweigsteckern ohne Schutzkontakt, die sieb nur in normalen Steckdosen verwenden lassen, oder auf die Verwendung von Abzweigsteckern mit Schutzkontakteinrichtung oder auf Abzweigstecker ohne Schutzkontakteinrichtung zurückzuführen, die in sogenannte Schutzkontakt-Steckdosen eingeführt wurden und die bereits bisher zu Recht verboten waren?
Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu der etwaigen Einfuhr von im Ausland hergestellten Doppelsteckern in die Bundesrepublik, vor allem in Hinblick auf die künftigen Möglichkeiten im Rahmen des Gemeinsamen Marktes?
Herr Bundesminister für Wirtschaft!
Nach den von dem Verband Deutscher Elektrotechniker getroffenen Feststellungen entsprechen Abzweigstecker jeder Art, auch solche mit Berührungsschutz und Schutzkontakt, nicht mehr den anerkannten Regeln der Elektrotechnik. Solche Erzeugnisse können daher künftig nicht mit dem VDE-Zeichen versehen werden.
4934 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Meine nicht erschöpfenden Unterlagen über tödliche Unfälle durch Abzweigstecker lassen nicht erkennen, wie viele Todesfälle auf Abzweigstecker mit Schutzkontakt zurückzuführen sind. Jedoch hat bereits im Jahre 1949 ein Arbeitsausschuß des VDE angeregt, Abzweigstecker und Mehrfachstecker auch mit Berührungsschutz wegen der durch sie bedingten Gefahren für nicht VDE-mäßig zu erklären. Nachdem inzwischen Lösungen gefunden worden sind, die unter einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand die Abzweigstecker entbehrlich machen, würde der VDE gegen die Forderung der Sicherheit handeln, wenn er den jetzigen Stand der Technik in seinen Regeln nicht berücksichtigte.
Auf die Einfuhr von Doppelsteckern ausländischer Erzeugung hat die Regel des VDE theoretisch keinen Einfluß. Jedoch werden Personen, die solche Stecker im Inland verwenden oder vertreiben, zivil- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn durch regelwidriges Handeln Personen- oder Sachschäden verursacht werden.
Im übrigen darf ich bemerken, daß nach Art. 36 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft solche Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote oder -beschränkungen, die mit Rücksicht auf Sicherheit, Gesundheit und Leben von Menschen gerechtfertigt sind, den Bestimmungen des gleichen Vertrages über den freien Warenverkehr und die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen nicht entgegenstehen.
Dazu noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel?
Herr Bundeswirtschaftsminister, können Sie nicht sagen, ob die sechs Todesfälle, die sich angeblich in fünf Jahren ereignet haben, in erster Linie oder vielleicht sogar ausnahmslos auf Abzweigstecker zurückzuführen sind, die bisher bereits verboten waren, oder auf schadhafte Stecker? Ich frage das deswegen, weil ja drei Kategorien von Steckern jetzt plötzlich ausscheiden sollen.
Herr Abgeordneter Ritzel, ich bedauere sehr, Ihnen diese Frage nicht beantworten zu können. Wir haben uns um Unterlagen bemüht, aber sie waren nicht erhältlich.
Noch eine Zusatzfrage?
Sind Sie, Herr Minister, gleich mir der Auffassung, daß die Maßnahme des VDE praktisch der Billigung der Bundesregierung bedarf, also gegebenenfalls von ihr auch rückgängig gemacht werden kann?
Eine gesetzliche Handhabe zu einer solchen Maßnahme besteht nicht, Herr Abgeordneter.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung. Ich rufe auf die Frage der Frau Abgeordneten Strobel über die Preise für Weihnachtsbäume:
Ist es richtig, daß die Absicht besteht, in diesem Jahr höhere
Preise für Weihnachtsbäume zu nehmen als im Vorjahr? Wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, Einfluß zu nehmen, um dies zu verhindern?
Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten!
Nach Rückfrage bei den größeren Landesforstverwaltungen ist festgestellt worden, daß für den Bereich der Staatsforsten in keinem Falle beabsichtigt ist, in diesem Jahre höhere Preise für Weihnachtsbäume zu nehmen als im Vorjahre. In einigen Ländern gelten die gleichen Abgabepreise für Weihnachtsbäume frei Wald, wie sie nach der Währungsreform festgesetzt wurden, auch noch heute. Auch vom Privat- und Körperschaftswald ist bisher nicht bekanntgeworden, daß beabsichtigt sei, die Weihnachtsbäume in diesem Jahr teurer zu verkaufen als bisher. So hat z. B. das Land Baden-Württemberg offiziell bekanntgegeben, daß heute noch die mit Erlaß vom 1. Dezember 1956 veröffentlichten Preise für Weihnachtsbäume volle Gültigkeit haben.
Gerüchte und Presseveröffentlichungen über erhebliche Dürreschäden — es wurde behauptet, die Weihnachtsbaumanpflanzungen z. B. im Sauerland hätten in diesem Jahr einen Abgang von 30 % zu verzeichnen — entbehren jeder Grundlage.
Eine Notwendigkeit, von seiten der Bundesregierung Einfluß zu nehmen, besteht daher nicht; bei der herrschenden Marktwirtschaft wäre eine Einflußnahme auf die Preisentwicklung auch kaum möglich. Die Bundesregierung wird jedoch, wie es bisher bereits geschehen ist, die Öffentlichkeit dahingehend aufklären, daß ein Anlaß zur Verteuerung der Weihnachtsbäume heimischer Erzeugung nicht besteht. Auch im „Monatsbericht November 1959", der in allen Fachzeitungen veröffentlicht wird, habe ich auf die tatsächliche Preissituation auf dem Weihnachtsbaummarkt nachdrücklich hingewiesen.
Schließlich wäre noch festzustellen, daß der Herr Bundesminister für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes die Forstverwaltung der bundeseigenen Forsten angewiesen hat, möglichst schnell und möglichst viele Weihnachtsbäume einzuschlagen und zu den bisherigen Preisen auf den Markt zu bringen. Damit hat sich der Herr Bundesminister für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes für seinen relativ kleinen Bereich auch dem Vorgehen der Landesforstverwaltungen angeschlossen.
Dazu eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Strobel?
Herr Minister, heißt Ihre Stellungnahme, „daß die herrschende Marktwirtschaft keine Möglichkeit zur Einflußnahme biete",
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4935
Frau Strobel
) daß im Wirtschaftsstrafrecht und im Preisrecht keine Handhabe vorhanden sei, gegen diejenigen einzuschreiten, die eventuell den schönen Wunsch der deutschen Familien, auf alle Fälle einen Christbaum zu haben, ausnutzen würden, um daran möglichst viel und mehr als bisher zu verdienen?
Wenn ich recht verstanden habe, Frau Kollegin Strobel, fragen Sie nach der Wirksamkeit des Preistreibereigesetzes in diesem Falle. Es ist nicht möglich, dieses Gesetz anzuwenden, weil es sich nur auf Gegenstände lebenswichtigen Bedarfs erstreckt. Die Weihnachtsbäume zählen nicht dazu. Dieses Gesetz bietet keine Möglichkeit, einzuschreiten.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Strobel?
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Minister. Warum verzichten Sie denn darauf, wenigstens für die Bäume, die Herr Minister Lindrath in den Bundesforsten zusätzlich schlagen lassen will, neben den Abgabepreisen für den Großhandel auch Endverkaufspreise festzusetzen?
Es ist nicht üblich, daß man Endverkaufspreise festsetzt. Wir haben in gar keinem Falle Endverbraucherpreise. Wir haben jedoch in diesem Falle, bei der Hergabe von Weihnachtsbäumen aus bundeseigenen Forsten, die Abgabepreise so niedrig gehalten, daß unter allen Umständen die Preise auch innegehalten werden müssen. Es wird von unserer Seite noch einmal untersucht, ob andere Faktoren eventuell mitsprechen, die nicht direkt etwas mit den Weihnachtsbäumen zu tun haben — vielleicht Standgelder oder ähnliches —, die verteuernd wirken.
Dann die Frage der Frau Keilhack über die Anwendung von Aminotriazol:
Findet Aminotriazol, das von dem Gesundheitsminister der USA als krebserzeugend bezeichnet wurde, in der Bundesrepublik als Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel Anwendung?
Herr Bundesminister!
Zur Verwendung aminotriazolhaltiger Mittel im Pflanzenschutz ist folgendes zu sagen:
Erstens. In der Frage nach der gesundheitsschädlichen, krebserregenden Wirkung des Aminotriazols als Rückstand auf Früchten gehen — wie Berichten der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Washington vom 16. November 1959 zu entnehmen ist — die Auffassungen des US-Gesundheitsministeriums und des US-Landwirtschaftsministeriums erheblich auseinander. Während das Gesundheitsministerium erhebliche Bedenken gegen die Anwendung aminotriazolhaltiger Unkrautbekämpfungsmittel auf Kulturland äußert und strenge Maßnahmen im Falle rückstandsverdächtiger US-Preiselbeeren bereits getroffen hat, hält das Landwirtschaftsministerium diese Maßnahmen für übertrieben.
Zweitens. Zum Schutze landwirtschaftlicher Kulturpflanzen jeglicher Art gegen Krankheiten und Schädlinge sind Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, die den Wirkstoff Aminotriazol enthalten, von der dem Bundeslandwirtschaftsministerium nachgeordneten zuständigen Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig nicht anerkannt und in dem- zur Zeit gültigen amtlichen Pflanzenschutzmittelverzeichnis 1959 auch nicht aufgenommen. Mittel dieser Art werden daher auch vom Pflanzenschutzdienst der Bundesländer für Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen auf Kulturböden nicht empfohlen und von der Landwirtschaft der Bundesrepublik — einschließlich des Obst-, Garten- und Weinbaues — in ihren Kulturen nicht angewandt.
Drittens. Der Wirkstoff Aminotriazol wird in der Bundesrepublik lediglich zur Bekämpfung von Unkräutern auf Wegen und Plätzen in Garten-, Park-Sport-, Bahnanlagen usw. genutzt, die nicht der landwirtschaftlichen Erzeugung dienen. Unkrautbekämpfungsmittel dieser Art bewirken eine Totalvernichtung jeglichen Pflanzenwachstums und sind schon deshalb bei der Unkrautbekämpfung auf landwirtschaftlichem Kulturland oder im Pflanzenschutz ausgeschlossen.
Frau Abgeordnete Strobel zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich für meine Kollegin Frau Keilhack, die leider krank ist, eine Zusatzfrage stellen? Wie wollen Sie denn verhindern, daß Lebensmittel, die mit Aminotriazol behandelt worden sind — zum Beispiel Preiselbeeren aus Amerika — bei uns eingeführt werden?
Auf Grund der uns zugegangenen Meldung über die Vorkommnisse in den USA haben wir von uns aus das Bundesinnenministerium gebeten, mit den Ländern Fühlung dahin gehend zu nehmen, jeglicher Art von Preiselbeereinfuhren — konservierten oder frischen Preiselbeeren — aus den Vereinigten Staaten verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Und wie hat das Bundesinnenministerium reagiert?
Das Bundesinnenministerium hat diese Angelegenheit pflichtgemäß an die Länderregierungen weitergegeben.
4936 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Wir kommen zur Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel betreffend Verbot der Ausfuhr von nicht zur Zucht bestimmten Pferden:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse des Tierschutzes nach dem Beispiel anderer Länder — z. B. England, Schweiz — die Ausfuhr von nicht zur Zucht bestimmten Pferden zu verbieten?
Ist die Bundesregierung bereit, die von dem Herrn Bundesverkehrsminister in der 81. Sitzung des Deutschen Bundestages während der Fragestunde abgegebene Erklärung unverzüglich auf ihren Tatsachengehalt nachprüfen zu lassen?
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten!
Auf diese Frage antworte ich wie folgt. Ein Verbot der Ausfuhr von Pferden, die nicht zur Zucht bestimmt sind, kann aus Gründen des Tierschutzes allein nicht gerechtfertigt werden. Innerhalb der Bundesrepublik bestehen ausreichende Vorschriften für den Tierschutz bei Transporten von Pferden, deren Einhaltung auch laufend überwacht wird. Das Verbot einer solchen Ausfuhr würde auch schwere Eingriffe in wirtschaftliche Belange darstellen.
Nach den Feststellungen der Bundesregierung trifft es nicht zu, daß die Ausfuhr solcher Pferde in der Schweiz und in England verboten ist. Beide Länder ermöglichen die Ausfuhr von nicht zur Zucht bestimmten Pferden.
Die während der letzten Monate in der Presse erschienenen Berichte hat die Bundesregierung sorgfältig geprüft. Nach dem Ergebnis ihrer erneuten Untersuchungen besteht keine Veranlassung, die Erklärungen der Bundesregierung in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 14. Oktober 1959 zu ändern oder zu ergänzen.
Herr Abgeordneter Ritzel!
Ist demnach der Bundesregierung — um nur ein Beispiel herauszugreifen — das Protokoll und die Feststellung des Arbeitskreises österreichischer Tierschutzvereine, die auf Grund einer eidlichen Zeugenaussage getroffen wurde und vom 10. Oktober stammt — also vier Tage vor der Auskunft, die der Herr Bundesverkehrsminister hier erteilt hat —, nicht bekannt? In dem Protokoll heißt es, daß ein Transport von Pferden aus Lübeck und Bayern ankam. Die Pferde seien nicht angebunden gewesen und ein Pferd sei gestürzt. Die Pferde seien nicht gefüttert und getränkt worden, und niemand hätte helfen können. Erst nach sechs Tagen sei die Entladung erfolgt, so daß die Pferde während dieser ganzen Zeit ohne Futter und ohne Wasser waren.
Es ist festgestellt worden, daß bei sämtlichen Transporten, die entweder im Transit durch die Bundesrepublik oder aus der Bundesrepublik Deutschland kamen, die Pferde ordnungsmäßig verladen, gefüttert, verpflegt und auch von der österreichischen Veterinärkontrolle
abgenommen wurden. In dem Augenblick, wo diel österreichische Veterinärkontrolle hinter der deutschen Grenze auf österreichischem Boden die Transporte in Empfang nimmt, entfällt für die deutsche Bundesregierung jede weitere Verpflichtung. Es geht aber aus der positiven Bewertung des Zustandes der Pferde bei den österreichischen Veterinären hervor, daß diesseits alles getan wurde, um zu einem ordnungmäßigen Ablauf der Transporte zu kommen.
Noch eine Zusatzfrage?
Ich frage, Herr Bundesernährungsminister, ob Ihnen nicht bekannt ist, was eine tapfere Frau auf dem Gebiet des Tierschutzes, die Staatsschauspielerin Franziska Kinz, festgestellt hat und wofür zeugeneidliche Erklärungen eines Spediteurs und eines Veterinärarztes vom 7. November dieses Jahres vorliegen. In Kufstein, also in Österreich, müssen die durchlaufenden plombierten Waggons von einem staatlich bestellten Veterinärarzt geöffnet werden, aber lediglich zum Zwecke der Feststellung, wieviel Pferde noch stehen. Falls Tiere verwundet am Boden liegen, geht der Waggon unter der Deklaration „Beschädigte Ware — Pferde" nach Deutschland zurück, ohne daß man den Tieren in Kufstein ärztliche Hilfe oder die geringste Linderung ihrer Schmerzen zukommen lassen darf.
Ich könnte noch mehr dazu sagen, aber ich will das Haus damit verschonen, bitte Sie aber, dazu einmal klar und deutlich Stellung zu nehmen: Deckt die Bundesregierung durch ihr Verschweigen der Tatsachen künftig derartige Praktiken gegenüber Tieren?
Die Bundesregierung wird nach wie vor alles tun, um jeglichen Vorkommnissen entgegenzuwirken, durch die Tiere in irgendeiner Form nicht sachgemäß behandelt werden. Die Angelegenheit, von der Sie, Herr Kollege Ritzel, eben sprechen, hat sich ebenfalls auf österreichischem Boden zugetragen. Ich kann nur wiederholen, was ich in meiner vorhergehenden Antwort sagte: daß unsere Einwirkungsmöglichkeit in dem Augenblick aufhört, wo die Transporte österreichischen Boden erreicht haben. Ich möchte auch zunächst die Dinge noch nachprüfen und bitte Sie freundlicherweise um Überlassung Ihres Materials, um festzustellen, was an diesen über angebliche Vorkommnisse auf österreichischem Boden erfolgten Meldungen überhaupt wahr ist.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung: Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel zur Rentenleistung an in der Schweiz lebende Deutsche.
Wann wird die Bundesregierung mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Abkommen schließen, um den in der Schweiz lebenden hilfsbedürftigen Deutschen höherer Lebensalter zu einer Altersrente zu verhelfen, wie sie auch in anderen Fällen vertraglich zugunsten von Auslandsdeutschen vereinbart wurde?
Der Herr Bundesminister für Arbeit!
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4937
Die Rechtsstellung der Deutschen, die vor Eintritt des Versicherungsfalles, d. h. vor Vollendung des 65. Lebensjahres, mindestens ein Jahr lang Beiträge zur schweizerischen Altersversicherung geleistet haben, ist seit dem 1. Juli 1951 durch das deutsch-schweizerische Abkommen über Sozialversicherung geregelt. Noch nicht geregelt ist die Gewährung von sogenannten Übergangsrenten aus der schweizerischen Altersversicherung an Deutsche in der Schweiz.
In der Schweiz wurde die allgemeine Altersversicherung erst nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt. Die vor dem 1. Juli 1883 geborenen Personen konnten daher bis zum Eintritt des Versicherungsfalles keinen Anspruch auf eine Altersrente erwerben, weil dafür Voraussetzung ist, daß mindestens ein Jahr lang Beiträge entrichtet werden. Sie erhalten, soweit sie schweizerische Staatsangehörige sind und alleinstehen, statt der ordentlichen Altersrente eine Übergangsrente. Ausländer können auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarung ebenfalls Übergangsrenten erhalten.
Weder bei den Verhandlungen zum Abschluß des Abkommens noch bei späteren Gelegenheiten war jedoch die Zahlung der Übergangsrenten an Deutsche zu erreichen. Für das kommende Jahr sind Verhandlungen zur Revision des Abkommens in Aussicht genommen. Bei dieser Gelegenheit wird erneut versucht werden, auch diese Frage zu regeln.
Dazu noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel!
Herr Bundesarbeitsminister, wie groß ist der Kreis der Deutschen, die für die Regelung durch das geplante Abkommen in Betracht kommen?
Ich schätze, daß die Zahl der für die Übergangsrente in Betracht kommenden Deutschen etwa bei 1000 liegt oder zum mindesten 1000 nicht überschreitet.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!
Wann planen Sie diese Revisionsverhandlungen mit der Schweiz durchzuführen?
Ich kann Ihnen den Termin noch nicht angeben, glaube aber, daß die Verhandlungen im kommenden Jahr stattfinden werden.
Damfit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung. Frage des Abgeordneten Dewald über den Unfall eines Kraftfahrzeugtechnikers:
Stimmt es, daß die Mutter des bei einer Manöverübung des 124. Panzerbataillons Amberg am 5. September 1959 verunglückten Kraftfahrzeugtechnikers Karlheinz Musch erst nach 14 Tagen von dem Unfall ihres Sohnes amtlich verständigt wurde?
Stimmt es, ,daß der Araberger Bataillonskommandeur es nicht der Mühe für wert hielt, den Verletzten einmal im Krankenhaus zu besuchen?
Stimmt es, daß dem Wehrdienstbeschädigten Musch bei seiner Entlassung am 30. September 1959 seitens des Bataillons keinerlei Auskunft gegeben werden konnte, welche Schritte er zu unternehmen habe, um seine völlige Heilung herbeizuführen und eine Entschädigung zu erlangen, „weil dies der erste Fall im Bataillon sei"?
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß vier Wochen nach dem Unfall das Bataillon hätte in der Lage sein müssen, erschöpfende Auskunft zu geben?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um solchen Vorkommnissen in Zukunft vorzubeugen?
Zur Beantwortung bitte Herr Staatssekretär Hopf!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Dewald wie folgt:
Zu 1. Der Kompaniechef besuchte den Gefreiten Musch am Morgen nach dem Unfall im Krankenhaus. Der Gefreite Musch bat bei diesem Besuch, seine Mutter nicht sofort zu verständigen, um sie nicht unnötig zu erschrecken. Dieser Bitte wurde entsprochen, zumal der Gefreite Musch trotz seiner Verletzungen in der Lage war, seine Mutter selbst zu benachrichtigen. Nach vierzehn Tagen ist dann die amtliche Benachrichtigung der Mutter durch das Bataillon erfolgt.
Zu 2. Die Verletzten wurden von folgenden Vorgesetzten besucht: vom Kompaniechef zweimal, vom Kompanieoffizier zweimal, vom technischen Offizier des Bataillons einmal, vom Truppenarzt dreimal, vom Zahlstellenleiter dreimal. Wegen der mehrfach geäußerten Bitte des Chefarztes des Krankenhauses, die Verletzten nicht durch häufige Besuche über Gebühr zu beanspruchen, entschloß sich der Bataillonskommandeur, den nächsten Vorgesetzten der Verletzten den Vorrang zu lassen.
Zu 3. Der Gefreite Musch wurde auch nach seinem planmäßigen Ausscheiden aus dem Soldatenverhältnis noch bis zum 12. November 1959 im Krankenhaus Eschenbach auf Kosten der Bundeswehr stationär behandelt. Noch während des Krankenhausaufenthalts wurden auf Befehl des Bataillonskommandeurs alle Verletzten über die Heilfürsorge nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr durch den Zahlstellenleiter unterrichtet. Hierbei wurde ihnen ein Merkblatt über die Versorgungsansprüche ausgehändigt. Aus diesem Merkblatt konnten die Soldaten genau und vollständig entnehmen, welche Schritte wegen der Durchführung der Heilbehandlung und wegen der Gewährung einer Versorgung aus einer Wehrdienstbeschädigung einzuleiten seien. Im Anschluß an die Entlassung aus dem Krankenhaus wurde der Gefreite Musch am 13. November 1959 durch den Truppenarzt untersucht; hierbei wurde er über die von ihm einzuleitenden Schritte nochmals mündlich beraten.
Zu 4. Das Bataillon hat den Gefreiten Musch also zweimal in erschöpfender Weise über die von ihm einzuleitenden Schritte zur Sicherstellung seiner Ansprüche aus dem Soldatenversorgungsgesetz unterrichtet und beraten.
Zu 5. Die Truppenverwaltungsbeamten werden im Rahmen ihrer Ausbildung über die einschlägigen Bestimmungen des Soldatenversorgungsgesetzes unterrichtet. Dadurch ist gewährleistet, daß in allen
4938 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Hopf
bei der Truppe entstehenden Versorgungsfällen erschöpfende Auskunft gegeben werden kann. Darüber hinaus stehen die Rechtsberater der Verbände und die Wehrbereichsverwaltungen in rechtlich schwierigeren Fällen zur Auskunftserteilung und zur Beratung zur Verfügung.
Dazu noch eine Zusatzfrage!
Erlauben Sie mir die Frage, Herr Staatssekretär: Werden die Bundeswehrangehörigen im Unterricht darüber belehrt, daß der Bundestag einen Wehrbeauftragten bestimmt hat, an den sie sich mit ihren Anliegen wenden können? Wird diese Belehrung in regelmäßigen Abständen wiederholt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei jeder Truppe erfolgt im Rahmen des Unterrichts eine Belehrung über das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, über die Einrichtung und über die Möglichkeiten, den Wehrbeauftragten anzurufen.
Damit müssen wir die Fragestunde abbrechen. Sie wird vereinbarungsgemäß morgen zu Beginn der Tagesordnung fortgesetzt und abgeschlossen.
Ich möchte schon heute darauf hinweisen, daß die nächste Fragestunde für den 20. und 22. Januar des nächsten Jahres vorgesehen ist und daß vom Ältestenrat als Sperrfrist dafür Donnerstag, der 14. Januar 1960, 12 Uhr, festgesetzt wurde.
Ich rufe dann hintereinander die Punkte 2, 3 und 4 auf, die alle Beschlußfassungen über Berichte des Vermittlungsausschusses betreffen.
Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst (Drucksache 1390).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Wittrock. Ich darf ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hatte wegen einiger Vorschriften des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Vermittlungsausschuß hat den Erwägungen des Bundesrates einstimmig Rechnung getragen. Hieraus ergibt sich der Ihnen vorliegende Bericht in Drucksache 1390. Ich kann im Hinblick auf die Einstimmigkeit der Abstimmung im Vermittlungsausschuß darauf verzichten, hier auf alle Einzelheiten einzugehen, möchte aber zur Unterrichtung des Hauses auf folgendes hinweisen.
Der erste Punkt, der Veranlassung zur Anrufung des Vermittlungsausschusses von seiten des Bundesrates gegeben hatte, betrifft eine notwendige Synchronisierung des § 14 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst mit § 38 Abs. 3
und 4 des gleichen Gesetzes und im übrigen auch mit dem diesen Vorschriften entsprechenden § 11 des Soldatengesetzes. Der § 38 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst regelt die strafrechtlichen Folgen der Nichtbefolgung einer dienstlichen Anordnung. Im Absatz 3 dieses Paragraphen wird gesagt, daß die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist, wenn — unter anderem — durch die Befolgung der Anordnung ein Verbrechen oder Vergehen begangen würde. Das heißt also, wenn eine Übertretung begangen würde, wäre die Befolgung der Anordnung rechtmäßig.
Dem muß nun auch der § 14 entsprechen, der von der Rechtspflicht zur Befolgung einer dienstlichen Anordnung handelt und der in der bisherigen Fassung, also in der vom Bundestag beschlossenen Fassung, nur sagt: Eine Rechtspflicht besteht nur insoweit, als die Befolgung einer dienstlichen Anordnung nicht das Begehen einer strafbaren Handlung schlechthin bedeuten würde, also einschließlich einer Übertretung. Das paßt aber nicht zu der Regelung des § 38. Mit dem Ihnen vorliegenden Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu § 14 Abs. 2 und 3 soll die hier als notwendig anzusehende Anpassung vorgenommen werden. Im übrigen hat § 14 in den Absätzen 2 und 3 noch in redaktioneller Hinsicht eine gewisse Veränderung erfahren.
§ 27 Abs. 2 letzter Satz ist redaktionell geändert worden. Ich brauche darauf nicht einzugehen.
Dann ist als § 42a eine Vorschrift neu eingefügt worden, die sich mit den Rechten der Versorgungsberechtigten im Lande Berlin befaßt. Das Gesetz als Ganzes gilt bekanntlich nicht in Berlin. Aber es muß der Tatsache Rechnung getragen werden, daß ein ehemals Ersatzdienstleistender nach seiner Entlassung seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt und nun Versorgungsansprüche geltend machen will. Dafür muß selbstverständlich eine gesetzliche Basis bestehen. Deshalb insoweit eine Erstreckung für den Versorgungsfall auf die Berechtigten, die ihren Wohnsitz im Land Berlin haben.
Als letztes soll die negative Saar-Klausel gestrichen werden. Die Streichung dieser Vorschrift ergibt sich aus der nach Beschlußfassung über den vorliegenden Gesetzentwurf eingetretenen Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung von Bundesrecht im Saarland vom 30. Juni 1959.
Ich darf Ihnen namens des Vermittlungsausschusses empfehlen, seinen Vorschlägen zuzustimmen. Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen des Herrn Berichterstatters gehört. Wortmeldungen zu Erklärungen liegen mir nicht vor. Es ist nach dem Beschluß des Vermittlungsausschusses gemeinsam über den Ausschußantrag abzustimmen. Wer dem Antrage des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Soweit ich sehe, ist der Antrag des Vermittlungsausschusses einstimmig angenommen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4939
Vizepräsident Dr. Preusker
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und weitere Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Zweites Änderungsgesetz zum AVAVG) (Drucksache 1404).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Schellenberg. Ich darf ihn bitten, das Wort zu ergreifen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat zum Zweiten Änderungsgesetz zum AVAVG den Vermittlungsausschuß angerufen und beantragt, § 1 Abs. 2 zu streichen. § 1 Abs. 2, der bei den Beratungen im Bundestag in den Gesetzentwurf eingefügt worden ist, hat in Satz 1 folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung kann nach Anhörung des Verwaltungsrates im Rahmen ihrer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt weitere Aufgaben übertragen, für deren Durchführung der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Weisungen erteilen kann.
Der Bundesrat vertritt die Auffassung, daß gemäß Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes auch die Übertragung von Verwaltungszuständigkeiten auf Bundesoberbehörden und Bundesanstalten eines formellen Gesetzes bedarf, in dem die zu übertragenden Aufgaben enumerativ aufgeführt werden müssen.
Der Vermittlungsausschuß hält einerseits die Bedenken des Bundesrates gegen die Fassung von § 1 Abs. 2 für gerechtfertigt, vertritt aber andererseits die Auffassung, daß es beispielsweise auch im Hinblick auf die Durchführung von Anpassungsleistungen nach dem Montanunionvertrag geboten ist, die Übertragung weiterer Aufgaben an die Bundesanstalt im vorliegenden Gesetz vorzusehen.
Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses umgrenzt die Aufgaben, die der Bundesanstalt weiter übertragen werden können. Sie müssen nach dem Vorschlage des Ausschusses in Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 und § 38 AVAVG — also mit der Vermeidung oder Behebung von Arbeitslosigkeit und von Mangel an Arbeitskräften — stehen. Durch diese im Vorschlag des Vermittlungsausschusses vorgesehene Begrenzung der zu übertragenden Aufgaben wird die Beweglichkeit der Arbeitsmarktpolitik auch im Hinblick auf internationale Verträge nicht beeinträchtigt. Ferner sind die Rechte der Länder dadurch gewahrt, daß die Übertragung von Aufgaben durch Rechtsverordnung zu erfolgen hat, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Abs. 2 Satz 2 des Vorschlages des Vermittlungsausschusses, wonach die aus der Übertragung weiterer Aufgaben entstehenden Kosten vom Bund erstattet werden, entspricht der vom Bundestag beschlossenen Fassung.
Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, das Wort zur Abgabe von Erklärungen wird auch hier nicht gewünscht. Sie haben den Antrag des Vermittlungsauschusses gehört. Wer diesem Antrag — Drucksache 1404 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Soweit ich sehe, ist auch dieser Antrag des Vermittlungsausschusses vom Hause einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes (Drucksache 1405).
Das Wort hat als Berichterstatter Herr Senator Dr. Klein.
Dr. Klein, Senator des Landes Berlin, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß ist vom Bundesrat wegen des Gesetzes über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes angerufen worden mit dem Ziel, dem Gesetz eine grundgesetzlich einwandfreie Fassung zu geben. Der Vermittlungsausschuß hat am 20. November die vom Bundesrat geltend gemachten Bedenken eingehend geprüft. Er ist zu einem einstimmigen Beschluß gekommen.
Es handelt sich um folgende Punkte:
1. § 1 Abs. 2 normiert die eigene Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes. Es heißt dort, daß das Bundesverwaltungsamt die ihm durch das vorliegende Gesetz, durch andere Bundesgesetze oder auf Grund von Bundesgesetzen übertragenen Verwaltungsaufgaben zu erledigen habe.
2. § 1 Abs. 3 behandelt den Aufgabenkreis, der dem Bundesverwaltungsamt auftragsweise, also außerhalb der eigenen Zuständigkeit, zugewiesen werden kann. Es heißt, daß dem Bundesverwaltungsamt als beauftragter Behörde Verwaltungsaufgaben des Bundes durch den Bundesinnenminister, eventuell mit seiner Zustimmung durch beteiligte Ressortminister, zugewiesen werden können.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat waren nicht politischer Art, sondern es ging mehr um juristische Fragen. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, daß nach Art. 87 Abs. 3 GG die Übertragung von Verwaltunasaufgaben auf eine Bundesoberbehörde durch förmliches Gesetz erfolgen müsse. Eine Delegierung von Aufgaben auf eine Bundesbehörde sei der Errichtung einer Bundesoberbehörde gleichzusetzen. Art. 87 Abs. 3 GG sehe für derartige Fälle den Erlaß eines besonderen Gesetzes vor.
Der Vermittlungsausschuß hat den Bedenken des Bundesrats insoweit Rechnung getragen, als er in dem dem Hohen Hause vorliegenden Antrag eine Fassung vorgeschlagen hat, die die Übertragung von Verwaltungsaufgaben außerhalb des vorliegenden Gesetzes davon abhängig macht, daß ein Bundesgesetz eine solche Übertragung zuläßt. Hinsicht-
4940 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Senator Dr. Klein
lieh des Tätigwerdens des Bundesverwaltungsamtes als beauftragter Behörde schlägt der Vermittlungsausschuß vor, die fragliche Gesetzesbestimmung so zu fassen, daß es, soweit keine andere Zuständigkeit gesetzlich festgelegt ist, dem Bundesinnenminister — eventuell mit seiner Zustimmung der sachlich zuständigen obersten Bundesbehörde — gestattet sein soll, dem Bundesverwaltungsamt die Durchführung von Verwaltungsaufgaben auftragsweise zu übertragen. Wegen des genauen Wortlauts des Vermittlungsvorschlags darf ich mich auf die Anlage zur Drucksache 1405 beziehen. Der Vermittlungsausschuß glaubt, daß die von ihm vorgeschlagene Fassung jeder verfassungsrechtlichen Nachprüfung standhält.
Schließlich hat der Vermittlungsausschuß aus den gleichen rechtlichen Gründen § 2 Abs. 3 etwas geändert, ohne damit die vom Bundestag und der Bundesregierung gewünschte Beschäftigung des Bundesverwaltungsamtes mit Fragen der Einwanderung zu beeinträchtigen.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich das Hohe Haus, den Vermittlungsvorschlag, der einstimmig zustande gekommen ist, zu akzeptieren und den Gesetzesbeschluß des Bundestages vom 14. Oktober 1959 entsprechend zu ändern.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen zur Abgabe von Erklärungen liegen nicht vor. Wer dem Antrag des Ausschusses, über den im ganzen abgestimmt werden soll, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Damit ist auch dieser Antrag des Vermittlungsausschusses ebenso einstimmig wie im Vermittlungsausschuß selbst vom Bundestag gebilligt worden.
Wir kommen zu Punkt 5 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 (Drucksache 1325) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Sozialpolitik (Drucksache 1416).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht.
Der Abgeordnete Meyer verweist auf seinen Schriftlichen Bericht.
Die zweite Beratung wird damit eröffnet. Ich rufe § 1 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer § 1 zuzustimmen wünscht, den
bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 1 ist so beschlossen.
§ 2 entfällt.
§ 3. Wortmeldungen? — Keine Wortmeldungen. Wer dem § 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 3 ist angenommen.
Zu § 4 liegt dem Hause auf Umdruck 432 Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Soll dieser Antrag begründet werden? — Bitte, Herr Abgeordneter Meyer.
Meyer (SPD) : Die SPD-Fraktion beantragt, auch den Sonderzuschuß in die Rentenanpassung einzubeziehen. Der Sonderzuschuß darf nach unserer Auffassung nicht losgelöst von der gesamten Rentengesetzgebung und auch der allgemeinen Entwicklung, die unser Volk in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat, behandelt werden.
Von unserer Seite wird an dieser Stelle — deshalb ist uns diese Sache so außerordentlich wichtig — noch einmal energisch der Behauptung widersprochen, es handele sich bei den Sonderzuschußempfängern nur um Menschen, die, wie es hier ausgesprochen wurde, in „leichtfertiger Weise ihr Schicksal selbst verschuldet hätten" und deshalb niedrige Renten erhielten. Daß dies nicht der Fall ist, habe ich bereits in der ersten Lesung dieses Gesetzesentwurfs darzulegen versucht; ich möchte heute nicht erneut mit diesem Zahlenmaterial aufwarten.
Wir können auch in gar keiner Weise den Ausführungen folgen, die der Sprecher der CDU bei der Beratung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes gemacht hat. Er sagte damals: „Die Sonderzulage gehört nicht in das System der neuen Rente. Hier ist für uns die grundsätzliche Überlegung maßgebend." Diese Betrachtungsweise ist nach unserer Auffassung falsch; denn der Sonderzuschuß wurde nicht nach den Grundsätzen der neuen Rentenformel, sondern im Zusammenhang mit der Gesamtrentenreform gewährt. Bei den „Grundsätzen" der Rentenformel findet der Sonderzuschuß überhaupt keine Berücksichtigung. Die Gesamtrentenreform war doch der Abschluß einer Entwicklung und erfolgte unter Berücksichtigung aller Faktoren. In diesem Rahmen wurde der Sonderzuschuß gewährt, weil die Renten viel zu niedrig waren. Sie reichen auch heute in keiner Weise aus.
Nach unserer Auffassung sollte im Interesse der betroffenen Rentner der Sonderzuschuß mit in die Anpassung einbezogen werden. Die Reform wurde durchgeführt, weil die niedrigen Renten, von denen Millionen betroffen waren, unhaltbar geworden waren. Man kann sich doch jetzt nicht auf den Standpunkt stellen, daß diese Niedrigstrenten, die angehoben werden mußten, immer weiter zurückbleiben und nicht an der guten wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen sollen. Sie können doch nicht sagen, nachdem das nun einmal in den Paragraphen so stehe, müsse es für alle Ewigkeit Gültigkeit haben, und es sei egal, wie es den
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Meyer
einzelnen davon betroffenen Menschen gehe. Sie können doch nicht sagen: Es lebe die tote Formel, es leben die Grundsätze!, während rund zwei Millionen Menschen unter dieser grundsätzlichen Einstellung leiden.
In dem immer wieder heranzuziehenden Briefwechsel Dr. Adenauer — Dr. Krone eine Woche vor der letzten Bundestagswahl mußte auch auf eine Reihe von Mängeln und Fehlern der Rentenreform hingewiesen werden, und man versprach, diese nach dem Wahlsieg zu beseitigen. In zwei großen Rentendebatten und auch bei Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß hat es dann die gleiche Mehrheit, die den Wählern Abhilfe zugesagt hatte, abgelehnt, die Hoffnungen, die sie geweckt hatte, zu erfüllen.
Ich bitte, zu überlegen, oh man es sich gerade in einer demokratischen Staatsform erlauben kann, in einer solchen Art und Weise ein Versprechen nicht einzuhalten. Eine Demokratie ist nach unserer Auffassung nur krisenfest, wenn sie ohne Rücksicht auf die Konjunkturlage auch in den Herzen der Menschen verankert und glaubwürdig ist.
Der Sonderzuschuß ist Bestandteil der Rente, wie sie sich aus einer ganzen Reihe von Gründen entwickelt hat. Mir liegen Eingaben vor — ich habe sie bisher noch nicht nachprüfen können —, aus denen hervorgeht, daß die Sonderzulage auch dann in Abzug gebracht wird, wenn die Pauschalrente nach § 38 Abs. 3 Abschnitt II in ein Altersruhegeld umgewandelt, also um 2/13 erhöht wird. Mir ist mitgeteilt worden, daß in solchen Fällen der Sonderzuschlag vorher abgezogen worden ist, obwohl der Gesetzestext eindeutig besagt, daß die Gesamtrente, die gesamte Pauschalrente um 2/13 erhöht werden muß.
Bei der Beratung des ersten Rentenanpassungsgesetzes hat der Berichterstatter gesagt — ich habe diesen Satz im Protokoll gefunden —: „Das Problem der niedrigen Renten soll später noch einmal erörtert werden." Sie haben also beim ersten Rentenanpassungsgesetz zugesagt, daß Sie sich diesem Problem der niedrigen Renten noch einmal zuwenden würden. Ich möchte es mir versagen, eine ganze Reihe von Briefen oder Stellen aus Eingaben zu verlesen, aus denen hervorgeht, wie sich die niedrigen Renten auf das Schicksal der betroffenen Menschen auswirken. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die sehr instruktive Eingabe des „Zentralverbandes der Sozialrentner" hinweisen, in der vor allem u. a. die Einbeziehung des Sonderzuschusses in die Anpassung gefordert wird. Ich darf darum ersuchen, noch einmal die Frage zu überprüfen. Wir beantragen, in § 4 die Worte „den Sonderzuschuß" herauszunehmen und den Absatz 4 dieses Paragraphen ganz zu streichen, das heißt, wir beantragen, auch den vollen Sonderzuschuß in die Anpassung mit einzubeziehen!
Das Wort dazu hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Antrag der SPD, den soeben Herr Kollege Meyer begründet hat, abzulehnen. Wir haben im vorigen Jahr fast wortwörtlich die gleiche Rede von dem Herrn Kollegen zu hören bekommen.
Etwas Neues ist dazu nicht mehr zu sagen. Wir haben uns schon oft über das Problem der Klein-und Kleinstrenten unterhalten, daß es wirklich unnötig ist, dazu noch einmal Ausführungen zu machen.
Der Sonderzuschuß ist kein Bestandteil der dynamischen Rente. Er ist nicht lohnbezogen. Er wird nur für eine Übergangszeit aus Bundesmitteln und nicht aus Beiträgen finanziert. Aus diesen Gründen bitte ich Sie, den Antrag abzulehnen.
Sie haben die Begründung des Antrages und die Gegenstellungnahme gehört. Wer dem Antrag auf Umdruck 432 Ziffer 1, in Absatz 1 Satz 1 die Worte „den Sonderzuschuß und" zu streichen und den Absatz 4 im ganzen zu streichen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer nunmehr dem § 4 in der Fassung der Ausschußvorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Zu den §§ 5 und 6 liegen keine Änderungsanträge vor. Wortmeldungen dazu liegen auch nicht vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Zu § 7 liegt auf Umdruck 432 Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wird dieser Antrag begründet? — Bitte, Frau Abgeordnete Döhring .
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll grundsätzlich wiederum eine Anrechnung der Anpassungsbeträge auf andere Sozialleistungen erfolgen, insbesondere bei den Versorgungsrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz, den Unterhaltshilfen nach dem Lastenausgleichsgesetz, den Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und den Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Härten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge. Ebenfalls soll diese Anrechnung der Anpassungsbeträge auf die Fürsorge sowie auf die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe erfolgen. Lediglich für die Zeit bis einschließlich Mai 1960 sollen die Anpassungsbeträge bei der Ermittlung des Einkommens unberück-
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Frau Döhring
sichtigt bleiben. Das besagt also, daß die betroffenen Rentner, die ohnehin nur eine bescheidene Existenzgrundlage haben, vom Monat Juni 1960 an wiederum auf den bisherigen Stand zurückgedrängt werden sollen.
Ich kann es mir versagen, hier näher auf die Auswirkungen einzugehen, die die große Preiswelle gerade auch auf die Rentner hat. Man kann von diesen Menschen sicherlich nicht erwarten — und das sollten wir einmal bedenken —, daß sie den Gesetzgeber bei einer solchen Maßnahme, wonach sie die Anpassungsbeträge einige Monate bekommen und dann wiederum darauf verzichten sollen, angesichts der eingetretenen Preisentwicklung auch nur verstehen. Daran, daß diese Rentnerkreise auf die Einlösung des vor der letzten Bundestagswahl schriftlich gegebenen Versprechens des Herrn Bundeskanzlers noch immer warten, möchte ich in diesem Zusammenhang nur kurz noch einmal erinnern.
Die sozialdemokratische Fraktion ist daher der Auffassung, daß die gesetzlichen Vorschriften über die Anrechnung der Anpassungsbeträge dringend einer Überprüfung bedürfen, weil diese Anrechnung bewirkt, daß der Rentenberechtigte praktisch nicht in den Genuß der vom Gesetzgeber beabsichtigten Anpassung kommt.
In den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses haben Sie sich, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, gegen den Antrag meiner Fraktion, die Anrechnung generell fallenzulassen, ausgesprochen. Mit dem Ihnen nun vorliegenden Antrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 432 wollen wir deshalb erreichen, daß die Anrechnung der Anpassungsbeträge lediglich für das Jahr 1960 fallengelassen wird.
Wir lassen uns dabei von der Auffassung leiten, daß bis dahin einmal die Anrechnungsvorschriften generell überprüft werden können und zum anderen vom 1. Januar 1961 an voraussichtlich ein weiteres Anpassungsgesetz zur Beratung stehen wird. Bis dahin könnte dann der ganze Fragenkreis einmal überprüft werden.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf ist bereits gegenüber dem Regierungsentwurf insofern eine Änderung vorgenommen worden, als nun auch der Monat Mai 1960 anrechnungsfrei bleiben soll. Das beweist einmal mehr, daß der Weg, lediglich einige Monate anrechnungsfrei zu lassen, nicht sinnvoll ist. Das hat sich auch aus den Erfahrungen, die wir mit dem ersten Rentenanpassungsgesetz sammeln mußten, deutlich gezeigt, wie auch Sie, meine Herren und Damen von den Regierungsparteien, sicherlich zugeben müssen. Deshalb ist es ratsam, das gesamte Jahr 1960 anrechnungsfrei zu lassen, wie wir es Ihnen in unserem Antrag vorschlagen. Damit wäre dann auch ein Anfang gemacht, das Ihnen allen bekannte Versprechen des Herrn Bundeskanzlers, das er den betroffenen Rentnern vor der letzten Wahl schriftlich gegeben hat, einzulösen.
Das Wichtigste hei diesem Antrag ist aber — und davon lassen wir uns in erster Linie leiten —, daß wir durch die Annahme des Antrags die betreffenden Rentnerkreise von der schier unerträglichen und vor allem unverständlichen Vorstellung befreien wollen, nach wenigen Monaten wiederum auf die Rentenerhöhungen verzichten zu müssen. Wir würden ihnen helfen, auch ihrerseits den Preissteigerungen gegenüber etwas besser gewappnet zu sein. Wir würden schließlich — das ist nicht von untergeordneter Bedeutung — einen größeren Verwaltungskostenaufwand, der durch die doppelte Berechnung und durch die Verrechnung entstehen müßte, vermeiden.
Aus all diesen Gründen bitte ich Sie, dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Sie haben die Begründung der Frau Abgeordneten Döhring gehört. Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den vorliegenden Gesetzentwurf heben wir die Renten um 59/10 % an.
Die sozialdemokratische Fraktion beantragt, die Anrechnungsbestimmungen, die in einer Reihe anderer Gesetze vorhanden sind, durch dieses Gesetz aufzuheben. Wir halten es nicht für eine gute Sache, mit unserem Gesetz das Lastenausgleichsgesetz, das Bundesversorgungsgesetz und die Fürsorgepflichtverordnung zu ändern.
Aus diesem Grunde bitten wir, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Ja, gerne!
Herr Kollege Schütz, Sie haben doch hoffentlich den § 7 genau gelesen. Durch ihn wird die Anrechnungsfreiheit auch für die ersten fünf Monate des Jahres 1960 statuiert. Wir beabsichtigten lediglich, diese Regelung auf das ganze Jahr 1960 zu erstrecken, was doch wohl eine Verbesserung, aber keine 'grundsätzliche Änderung ist.
Doch, Herr Kollege! Gerade aus der Begründung der sehr geehrten Frau Kollegin Döhring entnehme ich, daß das eine grundsätzliche Änderung ist. Denn die Frau Kollegin Döhring hat gesagt: Wenn wir, was doch anzunehmen ist, am Ende des Jahres 1960 sowieso die Renten wieder anheben, werden wir die anderen Gesetze mit unserem Gesetz wiederum ändern.
Gerade dieser Begründung können wir aus wohlerwogenen Gründen nicht beitreten.
Sie haben recht, Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie sagen, daß auch der Termin bis Ende Mai an sich dem strengen Prinzip widerspricht. Man sollte aber
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Schütz
einen Grundsatz nicht dadurch töten, daß man +ihn nur wegen des Prinzips anwendet.
— Herr Schellenberg, der Termin bis Mai ist deshalb sinnvoll, weil bis dahin die Umstellung der Renten vollzogen werden kann.
Herr Kollege Schellenberg, mit diesem Gesetz heben wir Renten an, aber wir ändern mit diesem Gesetz nicht fünf oder sechs andere Gesetze. Aus diesem Grunde bitte ich, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen.
Sie haben die Begründung und die Gegenargumente gehört. Wer dem Änderungsantrag zu § 7 auf Umdruck 432 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer nunmehr dem § 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Zu § 8 liegen weder Änderungsanträge noch Wortmeldungen vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 8 ist einstimmig beschlossen.
Nunmehr liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 432 Ziffer 3 vor, einen § 8a einzufügen. Ich darf Sie, Herr Abgeordneter Börner, bitten, ihn zu begründen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Fraktion der SPD vorgelegte Antrag Umdruck 432 beschäftigt sich in Ziffer 3 mit einem Problem, das nach unserer Meinung der Gesetzgeber eigentlich schon in der zweiten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hätte lösen müssen. Der Antrag beabsichtigt die Gleichstellung der Rentner der gesetzlichen Unfallversicherung mit den Rentnern der Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung. Der 2. Deutsche Bundestag hat sich bei der Neuregelung der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten mit großer Mehrheit zum Prinzip der Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwicklung bekannt.
Die Konsequenz der damaligen Entwicklung ist der Ihnen heute vorliegende Gesetzentwurf Drucksache 1325, der eine Erhöhung der Renten um 5,94 % vorsieht. Von dieser Erhöhung ist der Kreis der Rentner der Unfallversicherung leider ausgeschlossen. Dies Härte entsteht durch die Tatsache, daß bis heute die schon im 2. Bundestag diskutierte Neuregelung der gesetzlichen Unfallversicherung nicht verabschiedet ist. Die Unfallrenten wurden damals durch ein besonderes Gesetz auf den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung vom 1. Januar 1957 angehoben.
Die grundsätzliche Frage, ob auch die Unfallrenten von Jahr zu Jahr der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden sollten, wurde durch die Zurückstellung der Neuregelung der Unfallversicherung leider nicht mehr entschieden. Die Bundesregierung hat ihrerseits erst über ein Jahr später die Diskussion dieser Fragen hier im Hause durch die Vorlage des Gesetzes über die Neuordnung der Unfallversicherung wieder in Gang gebracht.
Meine Fraktion hat damals diese Verzögerung kritisiert. Wir sind noch heute der Meinung, daß sich das nicht zum Nachteil der Betroffenen auswirken darf. Die Bundesregierung hat sich — und das ist unseres Erachtens besonders wichtig— aber auch in ihrem neuen Entwurf für die Anpassung der Unfallrenten ausgesprochen. Das heißt also, meine Damen und Herren, daß das Prinzip nicht umstritten ist. Wir sind der Meinung, daß es deshalb, was den Zeitpunkt der Anpassung anlangt, möglich sein sollte, gemeinsam einen Weg zu finden, um im Interesse der vielen tausend Unfallrentner, die zum großen Teil mit sehr schweren wirtschaftlichen Sorgen zu kämpfen haben, eine sofortige Anpassung vorzunehmen.
Meine Damen und Herren! Als wir vor einiger Zeit im Sozialpolitischen Ausschuß diesen Antrag stellten, ist uns von den Kollegen der Mehrheitsfraktion entgegengehalten worden, hier würden verschiedene Sozialgesetze, die nichts miteinander zu tun hätten, vermischt; im Interesse der Klarheit unserer Sozialgesetzgebung sei nicht zu verantworten, diese Dinge zu vermischen und unseren Antrag anzunehmen. Nun, wir haben ja schon einmal über diese Frage in der vergangenen Diskussion hier gesprochen. Ich halte dieses Argument auch in diesem Falle nicht für stichhaltig. Denn es kommt immer wieder vor, daß im Laufe der Gesetzgebung in andere Gesetze eingegriffen werden muß.
Man hat unserem Antrag aber auch entgegengehalten, die Neuregelung der Unfallversicherung werde ja in naher Zukunft abgeschlossen und damit das von uns aufgezeigte Problem sowieso erledigt. Auch dieses Argument ist nicht gut. Denn hier geht es nicht nur darum, etwas zu tun, sondern hier geht es letztlich doch darum, etwas nachzuholen, was schon längst hätte getan werden müssen.
Angesichts der Entwicklung der Löhne und Gehälter seit 1957 und nicht zuletzt auch angesichts der Entwicklung der Preise seit dieser Zeit halten wir es für unbedingt notwendig, nicht nächstes Jahr, sondern sofort etwas für diesen Personenkreis zu unternehmen.
Unser Antrag Umdruck 432 weist in Ziffer 3 einen guten Weg in dieser Richtung. Ich bitte Sie deshalb herzlich, ihm Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Becker .
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte namens meiner Freunde, diesen Änderungsantrag der SPD abzulehnen. Ich möchte mich zum Teil auf die Begründung berufen, die vorhin schon mein Kollege Schütz gegeben hat; sie trifft auch für den Antrag zu, den Herr Kollege Börner hier soeben begründete.
Meine Damen und Herren, wir wollen es nicht immer wiederholen, aber manchmal muß es sein. Wir wollen doch das Problem der Änderung der Unfallversicherung in dem Gesetz behandeln, das bereits dem Bundestag vorliegt und das demnächst auch im Ausschuß für Sozialpolitik behandelt wird.
Ich gebe zu, daß in dem Antrag oder in dem System etwas drin liegt. Auch wir sind dafür, daß bei der Behandlung des Gesetzes über die Unfallversicherung diese Dinge mit beraten werden. Aber im Augenblick sollten wir es nicht tun, sondern uns auf das beschränken, was mit der Änderung des Rentengesetzes gewollt war, nämlich die Anpassung der laufenden Invaliden- und Angestelltenrenten. Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, Sie haben Begründung und ablehnende Stellungnahme gehört. Wer dem Antrag auf Einfügung des § 8a gemäß Antrag Umdruck 432 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Gegenstimmen bilden die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den § 9 auf. Zu diesem Paragraphen liegen zwei Änderungsanträge vor, und zwar auf Umdruck 425 und auf Umdruck 432 Ziffer 4. Soweit sie Abs. 1 und 2 des neu gefaßten § 9 betreffen, sind sie gleichlautend. Mit dem Abs. 3 beschäftigt sich dagegen nur der Änderungsantrag auf Umdruck 425. Ich darf dementsprechend den Antrag Umdruck 425 als den weiter gehenden Antrag betrachten und zunächst den Antragstellern hierzu das Wort geben. — Herr Abgeordneter Stingl!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach unserem Antrag auf Umdruck 425 soll ein § 9 in den Gesetzentwurf eingefügt werden. Die beiden ersten Absätze dieses Paragraphen sind in der Tat mit den in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vorgeschlagenen Absätzen gleichlautend. Der Paragraph beschäftigt sich damit, wie die Renten im Saarland behandelt werden sollen.
Die Bundesregierung hatte in ihrer Vorlage vorgesehen, die Renten im Saarland in gleicher Weise wie die Renten im Bundesgebiet anzupassen. Sie hatte lediglich eine Ausnahme für jene Renten vorgeschlagen, bei denen wir keine gleichartigen Renten im Bundesgebiet haben. Es gibt im Saarland — wie wir bereits bei der ersten Lesung hier vorgetragen haben — die Möglichkeit, schon mit 60 Jahren — natürlich auch mit 61 und 62 Jahren — die Rente zu beantragen. Den Versicherten, die
von diesem Recht Gebrauch machen, wird die Rente nicht auf der Grundlage der Rentenneuregelungsgesetze des Bundesgebietes, sondern auf Grund des früher an der Saar geltenden Rechtes berechnet. Diese Renten haben völlig andere Bestandteile als unsere im Bundesgebiet seit 1957 errechneten Renten. Unter anderem haben diese Renten im Saargebiet noch Familienzulagen und ähnliches.
Dadurch kann im Saargebiet ein bestimmter Personenkreis in einem außerordentlich großen Maße Vergünstigungen erhalten, die nicht von irgendwelchen vom Versicherten nicht beeinflußbaren Tatbeständen abhängen; der Versicherte kann dort nämlich selber entscheiden, ob er schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres die Rente bekommt oder nicht. Dafür hat er aber vorher keine höheren Beiträge als irgendein anderer gezahlt. Deshalb muß er natürlich in Kauf nehmen, daß ihm die Vorteile nicht gewährt werden, die jenem zukommen, der das obligatorische Altersruhegeld erst mit 65 Jahren erhält. Er muß damit rechnen, daß seine Rente nicht dynamisch ist.
Der Vorschlag der Bundesregierung ist im Ausschuß nicht gebilligt worden. Infolgedessen mußte das Problem auf eine andere Weise gelöst werden. Dabei bot sich nur die eine Lösung an, die jetzt bestehenden Renten dieser Art auch zu dynamisieren und ihnen insofern einen Vorteil zu gewähren. Für die Zukunft kann diese besondere Vergünstigung dann aber nicht mehr zugelassen werden.
In diesem Punkte unterscheidet sich unser Antrag von dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Der erste Absatz beider Anträge enthält den Grundsatz, daß im Saargebiet die Renten, einschließlich dieser Sonderrenten, in gleicher Weise wie im Bundesgebiet angepaßt werden. Der Abs. 2 beschäftigt sich lediglich damit, daß im Saargebiet andere Anrechnungsgesetze zu berücksichtigen sind. Der Abs. 3 unseres Antrages, der in dem SPD-Antrag fehlt, enthält den Grundgedanken, daß, auch wenn wir jetzt die bestehenden Sonderrenten anpassen, dafür gesorgt werden muß, daß ein neuer Zuwachs solcher im Bundesgebiet überhaupt nicht vorhandener Renten im Saargebiet nicht möglich ist.
Ich bitte Sie, allen drei Absätzen unseres Antrages Ihre Zustimmung zu geben.
Sie haben die Begründung des Antrages auf Umdruck 425 gehört. Wünscht die Fraktion der SPD nun zu begründen, warum ihr Antrag keinen Abs. 3 enthält?
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den einschlägigen Bestimmungen der Rentenneuregelungsgesetze können von der Anpassung nur Renten oder Rententeile ausgenommen werden, die entweder auf Grund der Höherversicherung anfallen oder die zu den sogenannten Sonderzuschüssen gehören. Es gibt nach den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen
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Killat
keine Möglichkeit, Renten wegen ihres andersartigen Berechnungsmodus auszunehmen. Deshalb hat man auch bei der ersten Rentenanpassung diese Renten im Saargebiet, die im Augenblick in Rede stehen, nicht ausgenommen.
Die Bundesregierung beabsichtigte aber nun, durch § 9 Abs. 3 ihres Gesetzentwurfs eine Sonderregelung insofern einzuführen, als ein bestimmter Personenkreis des Saarlandes — Ruhegeldempfänger, die ihre Renten nach dem 60. Lebensjahr beantragen können — von der zweiten Anpassung ausgeschlossen werden soll. Wegen unserer grundsätzlichen Bedenken gegen ein solches Verfahren hatten wir schon in der ersten Lesung auf diese, auch sozialpolitisch unhaltbare Auffassung hingewiesen. Im Ausschuß sind wir schon so weit durchgekommen, daß der entsprechende Paragraph der Regierungsvorlage nicht zum Zuge gekommen ist.
— Na, Herr Kollege, der Paragraph ist nicht mehr da; die Regierungsvorlage wurde nicht angenommen. Das ist nun einmal die Spielregel bei den Abstimmungen.
Wir begrüßen es natürlich, daß mit uns gemeinsam die Fraktion der CDU/CSU anerkennt — allerdings erst heute —, daß man diese Ruhegeldempfänger des Saarlandes jetzt und auch in Zukunft nicht von der Anpassung ausschließen darf. Wir halten es aber für ein unmögliches Verfahren, mit dem Zweiten Rentenanpassungsgesetz, wie es durch Umdruck 425 zu § 9 Abs. 3 von der CDU/CSU-Fraktion beantragt wird, die mit den Einführungsgesetzen von 1957 im Saarland verbundenen Übergangsregelungen zur Gewährung eines Ruhegeldes für 60jährige und ältere zu beseitigen. Hier widersprechen Sie sich ja gerade, meine Damen und Herren; denn Sie haben eben von diesem Platz her erklärt: Wir wollen nicht in andere Gesetze eingreifen.
Das sollten Sie allerdings auch in diesem Falle tun.
— Ich komme noch darauf, es ist nämlich noch viel schlimmer. Bei der seinerzeit getroffenen Regelung handelt es sich doch um eine Übergangsmaßnahme zur Erhaltung eines Besitzstandes, die man für richtig und notwendig hielt und die wir bis zum 31. Dezember 1961 hier in der Bundesrepublik für bestimmte Personengruppen ebenfalls kennen. Es ist also eine Übergangsregelung auf Grund von notwendigen Maßnahmen bei der Einführung des deutschen Rentenrechts im Saarland. Wir glauben, daß eine vorzeitige Streichung der seinerzeit mit Zustimmung der Bundesregierung für richtig und notwendig gehaltenen Regelung geradezu ein Verstoß gegen Treu und Glauben hinsichtlich der damaligen Abmachungen wäre.
— Herr Kollege Stingl, auch in den Einführungsgesetzen des Saarlandes ist mit keinem Wort die
Rede davon gewesen, daß, wenn dieser Personenkreis eine solche Rente beantragt, er in Zukunft von der Anpassung ausgenommen sein soll. Wenn Ihr Verfahren, wie es die Bundesregierung mit ihrer Vorlage beabsichtigte, zum Zuge gekommen wäre, dann hätten diese Menschen niemals mehr eine Anpassung ihrer Renten erfahren, und das widerspricht allen Grundsätzen der Dynamisierung der Rente.
— Aber, Herr Kollege, die „großen Vorteile" hätten wir gern mit Ihnen im Ausschuß erörtert. Da haben Sie leider diesen Vorschlag, nunmehr in das Einführungsgesetz einzugreifen, das 1957 beschlossen worden ist, nicht gemacht, so daß es wohl im Augenblick nicht angebracht ist, hier nun eine Ausschußdebatte zu eröffnen.
Ich darf Sie also recht herzlich bitten, meine Damen und Herren, den Antrag der CDU/CSU zu § 9 Abs. 3 abzulehnen, zumal der Personenkreis nicht sehr groß ist. Zur Zeit sind es ungefähr 250 Personen, wenn man diejenigen aus der Knappschaftsrentenversicherung einbezieht; bis 1961 können einige -zig Personen hinzukommen.
Wegen der unterschiedlichen Anträge darf ich den Herrn Präsidenten bitten, über diesen Paragraphen absatzweise abstimmen zu lassen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der beiden Anträge gehört. Nach der Ausschußvorlage gibt es also zunächst keinen § 9 mehr. In den Umdrucken 425 und 432 wird die Wiederherstellung des § 9 beantragt, und zwar übereinstimmend in den Absätzen 1 und 2.
Ich lasse daher zunächst über Umdruck 425 und Umdruck 432 Ziffer 4 hinsichtlich der Absätze 1 und 2 des § 9 abstimmen. Wer diesen beiden Absätzen eines neuen § 9 nach beiden Umdrucken zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Soweit ich sehe, einstimmig angenommen.
Nunmehr stimmen wir ab über den Abs. 3, der in dem Antrag der CDU/CSU Umdruck 425 noch zusätzlich beantragt und von Herrn Abgeordneten Stingl begründet worden ist. Wer diesem Abs. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Präsidium ist sich nicht einig.
Ich darf noch einmal den Versuch unternehmen, mit Hilfe von Aufstehen und Sitzenbleiben zu klären, wofür die Mehrheit ist. Es geht um den Abs. 3 zu § 9 nach dem Antrag der CDU/CSU Umdruck 425. Wer für diesen Absatz ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, es ist in der Tat nicht möglich, das Stimmenverhältnis zu beurteilen. Ich muß Sie bitten, darüber eine Auszählung vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Auszählung liegt vor. Insgesamt haben 358 Abgeord-
4946 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Vizepräsident Dr. Preusker
nete ihre Stimme abgegeben, davon mit Ja, also zugunsten des Änderungsantrages Umdruck 425, 199 Abgeordnete, mit Nein 154 Abgeordnete. Enthalten haben sich 5 Abgeordnete. Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 425 angenommen.
Jetzt müssen wir auch noch dem so geänderten § 9, der aus drei Absätzen besteht, ausdrücklich zustimmen. Ich bitte diejenigen, die das zu tun beabsichtigen, um ihr Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen ist § 9 in der Fassung des Änderungsantrags Umdruck 425 angenommen.
Zu den §§ 10 und 11, zur Einleitung und Überschrift liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor. Wer den §§ 10 und 11, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Damit ist die zweite Beratung des Gesetzentwurfs über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 abgeschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wer wünscht in der dritten Beratung das Wort? — Herr Abgeordneter Geiger ! — Ich darf die Damen und Herren bitten, Platz zu nehmen und dem Redner in Ruhe zuzuhören.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht die Schuld der sozialdemokratischen Fraktion, daß sich der Bundestag zum zweitenmal mit einem Rentenanpassungsgesetz beschäftigen muß. Nach den Vorschriften in den Neuregelungsgesetzen wäre die Anpassung der laufenden Renten entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der gestiegenen Produktion eine Selbstverständlichkeit. Die Anpassung soll nach dem Willen der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hohen Hauses erst ab 1. Januar 1960 erfolgen. Wir Sozialdemokraten bedauern aufs tiefste, daß Sie unsere wiederholt gestellten und sehr gut begründetem Anträge, die Anpassung und Erhöhung der Renten, die vor dem 31. Dezember 1958 gewährt worden sind, mit Wirkung vom 1. Januar 1959 ab durchzuführen, abgelehnt haben. Damit wurden die Rentner zum zweitenmal entgegen den nach unserer Auffassung zwingenden Vorschriften der Neuregelungsgesetze nicht gleichbehandelt, obwohl dies das erklärte Ziel der neuen Rentengesetze isst.
Auf diese Tatsache hat auch der Sozialbeirat in seinem Gutachten hingewiesen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten seine Ausführungen zu diesem Problem zitieren:
1. Eine weitergehende Anpassung der Bestandsrenten als um 5.94 v. H. mit Wirkung vom 1. Januar 1960 würde der sozialpolitischen Zielsetzung der neuen Rentengesetze entsprechen, da diese unter den im Gesetz genannten Bedingungen auf eine Parallelität der Entwicklung von Bestandsrenten und Bemessungsgrundlage hinzielen.
2. Die Anpassung um 5,94 v. H. wird die Schere zwischen den Bestands- und Neurenten, die häufig als ungerechtfertigt empfunden wird, nicht beseitigen, da die Neurenten des Jahres 1959 bereits auf der Basis der um 5,94 v. H. erhöhten Bemessungsgrundlage berechnet sind, die bei dieser Anpassung für die Bestandsrenten erst ab 1. Januar 1960 gelten würde. Ebenso werden die Neurenten des Jahres 1960 wieder um den Betrag der im Herbst vorzunehmenden erneuten Erhöhung der Bemessungsgrundlage über den Bestandsrenten liegen.
Soweit der Bericht des Sozialbeirats.
Wir Sozialdemokraten bedauern im Interesse von über zwei Millionen Rentnern, deren Renten nach der Rentenneuregelung nur um 14 bzw. 21 DM erhöht wurden und die aus den verschiedensten Gründen nur eine kleine oder kleinste Rente beziehen
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ruf?
Bitte sehr!
Herr Kollege Geiger, Sie haben soeben das Gutachten des Sozialbeirats zitiert. Haben Sie auch gelesen, was im dritten Abschnitt des Gutachtens des Sozialbeirats gesagt wird? Haben Sie übersehen, daß es dort heißt:
Die ernstesten Bedenken im Hinblick auf die Anpassung ergeben sich aus ihrer Wirkung auf die Finanzlage der Rentenversicherungen.
Haben Sie übersehen, Herr Kollege Geiger, daß der Schlußsatz lautet:
Der Beirat sieht sich aber veranlaßt, um so dringender auf die für die nächsten Jahre voraussehbare Lage aufmerksam zu machen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat gerade aus diesem Teil des Gutachtens gewisse Konsequenzen gezogen.
Lieber Herr Kollege Ruf, natürlich habe auch ich den dritten Abschnitt des Gutachtens gelesen und zur Kenntnis genommen. Was ich aber zitier en wollte, war, was der Beirat bezüglich der sozialpolitschen Zielsetzung der Ren. tenneuregelungsgesetze sagt. Ich werde Ihnen nachher noch zeigen, daß die Schlußfolgerungen, die wir aus diesem Gutachten ziehen, anders lauten als die, die der Sozialbeirat gezogen hat.
Wenn Sie eine andere Schlußfolgerung für richtig halten, können Sie sie ja vortragen, und leider haben Sie auch die Mehrheit, um Ihre Schlußfolgerung durchzusetzen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4947
Geiger
Wir Sozialdemokraten bedauern, daß Sie nicht bereit sind, entsprechend unserem Antrag bei jenen kleinen und kleinsten Renten auch den Sonderzuschuß von 14 bzw. 21 DM in die Erhöhung von 5,94 % einzubeziehen. Die Bezieher dieser Renten werden sehr enttäuscht sein, wenn sie die Erhöhung ihrer meist niedrigen Renten nicht auf den vollen Rentenbetrag, sondern nur auf den um 14 bzw. 21 DM verringerten Beitrag erhalten.
Genauso enttäuscht werden aber auch die Empfänger einer oft kleinen Rente sein, die von einem anderen Träger eine zusätzliche Leistung erhalten, wenn ihnen ab 1. Juni die von der Rentenversicherung gewährte Erhöhung von der Körperbeschädigten- oder Lastenausgleichsrente oder von den Fürsorgeleistungen abgezogen wird, ohne daß diese anderen Leistungen entsprechend erhöht wurden. Die Mehrheit hat leider unseren bescheidenen Antrag, wenigstens bis zum 31. Dezember 1960 keine gegenseitige Aufrechnung vorzunehmen, abgelehnt. Es ist Ihre Schuld, meine Damen und Herren, wenn dadurch draußen immer wieder der Eindruck entsteht, daß die eine Hand etwas gibt, was von der anderen wieder weggenommen wird.
Wir Sozialdemokraten erinnern in diesem Zusammenhang an das Dilemma der Kriegsopferversorgung, das, mach Auskunft der Regierung bald nach Verabschiedung des ersten Anpassungsgesetzes im Jahre 1958 aufhören sollte, das aber leider bis heute noch nicht beseitigt ist und wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht beseitigt sein wird. Wir freuen uns, meine Damen und Herren, daß wir für einige hundert Rentner im Saargebiet mit unserem Antrag einen bescheidenen Erfolg verzeichnen konnten; fast hätte es zu einem größeren ausgereicht. Vielleicht gibt es hierfür später einmal eine Möglichkeit.
Schon bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hat der Kollege Professor Schellenberg darauf hingewiesen, daß die Finanzlage der Rentenversicherung und die gestiegene Produktivität, Herr Kollege Ruf, so wie es im Sozialbericht ausgewiesen worden ist, die Erfüllung der in unseren Anträgen gestellten Forderungen möglich gemacht hätten. Darauf möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen. Meine Damen und Herren, niemand ist in der Lage, dies zu bestreiten, mindestens so Lange nicht, bis die versicherungstechnische Bilanz vorliegt, ganz abgesehen davon, daß der Bund den Rentenversicherungs- trägern noch einen Betrag von 1,9 Milliarden DM schuldet. Aber darüber zu sprechen ist nicht meine Aufgabe. Das wird im Anschluß mein Freund Helmut Rohde tun.
Meine Damen und Herren, wir haben über den Bereich der Rentenversicherung hinaus den Antrag gestellt, die Unfallrenten mit Wirkung vom 1. Januar 1960 ebenfalls um 5,94 v. H. zu erhöhen. Die Notwendigkeit ist hinreichend begründet worden. Wir glaubten dazu um so mehr verpflichtet zu sein, als der Herr Kollege Ruf schon davon gesprochen hat, daß die Reform der Unfallversicherung zugunsten der Reform der Krankenversicherung zurückzustellen sei. Leider haben Sie auch diesen Antrag abgelehnt, so daß die Unfallrentner seit dem
Wahljahr 1957 nicht mehr im der wirtschaftlichen Entwicklung und an der gestiegenen Produktivität teilgenommen haben.
Die Erfüllung der in unseren Anträgen enthaltenen Forderungen wäre im Interesse der Millionen auf ein Renteneinkommen angewiesenen Menschen, für das sie übrigens jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben, um so notwendiger gewesen, ais sich die Lebenshaltung durch die gestiegenen und noch steigenden Preise gerade für diesen Personenkreis bedeutend verteuert hat.
Meine Damen und Herren, wir bedauern, daß Sie unseren Anträgen Ihre Zustimmung versagt haben. Aber im Interesse der Menschen, die eine Erhöhung ihrer Renten unbedingt brauchen, stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weber von der FDP.
Herr ,Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe den ehrenvollen, aber schweren Auftrag meiner Fraktion zu erfüllen, dem Hause darzulegen, warum wir Freien Demokraten dieses ganze Gesetz mit einem klaren Nein ablehnen.
Vor einem Jahr hat meine verehrte Kollegin Frau Friese-Korn bei der Verabschiedung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes von dieser Stelle aus folgendes ausgeführt: Schon jetzt, nach eineinhalb Jahren, habe sich auf Grund des ersten Sozialberichts der Bundesregierung erwiesen, daß das mit der Rentenreform im Jahre 1957 eingeführte Rentensystem nicht aufrechterhalten werden könne, ohne gegen die Grundsätze zu verstoßen, die ein gutes Sozialgesetz kennzeichnen sollten, nämlich erstens Beitragsgerechtigkeit, zweitens finanzielle Sicherung der Leistungen für die Zukunft. Die automatische Indexrente führe zwangsläufig zur finanziellen Krise der Versicherungsträger. Wörtlich sagte Frau Friese-Korn:
Das bedeutet, daß wir entweder eine Leistungssenkung hinnehmen oder eine Beitragserhöhung beschließen müßten, die für die arbeitende . . . Bevölkerung nicht mehr tragbar ist, oder aber der Haushalt müßte in nicht zu verantwortendem Ausmaß in Anspruch genommen werden. Wer das nicht will, muß eine Änderung des Rentenneuregelungsgesetzes fordern.
Wir erstrebten also eine Reform der mißglückten Rentenreform an. Wir haben dann im vorigen Jahr der ersten Anpassung der Altrenten an die Neurenten zugestimmt, aber nur, wie wir ausdrücklich betont haben, um Zeit für eine sachliche Reformarbeit zu gewinnen.
Die Zwischenzeit hat meine Fraktion genützt und entsprechende Reformvorschläge erarbeitet. Diese Vorschläge haben wir Ihnen in unseren Gesetzesanträgen auf den Drucksachen 1276 und 1277 vorgelegt. Die Anträge sind in erster Lesung beraten worden.
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Weber
Wir könnten dem jetzigen Gesetzentwurf zustimmen, wenn in ihm die in unseren Anträgen enthaltenen Vorschläge verwirklicht worden wären. Dann wäre nämlich mit der jetzigen Rentenanpassung ein vollständiges Gleichziehen der Altrenten mit den Neurenten erreicht worden.
Wir sind nicht die einzigen, die derartige Bedenken erheben. Ähnliches habe ich eben auch vom Herrn Kollegen Ruf gehört. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich einen Ausschnitt aus der Rede des Herrn Bundesfinanzministers vom 9. Dezember 1958 zitieren. Er sagte damals:
Die Bundesregierung hat in dem Sozialbericht bereits hervorgehoben, daß Entscheidungen über die weiteren Erhöhungen der Renten im Hinblick auf die Auswirkungen in der Zukunft mit großer Vorsicht getroffen werden sollten. Wenn die weitere Rentenanpassung in den kommenden Jahren zu steigenden Aufbringungslasten führen sollte, wären ein allmählicher Vermögensverzehr der Rentenversicherungsträger und höhere Beiträge oder höhere Bundeszuschüsse unvermeidlich.
Weiter sagte er dann:
Für das Jahr 1959 hat die Bundesregierung einer Anpassung der Altrenten mit 6,1 v. H. ab 1. Januar 1959 zugestimmt. Das ist heute' wirtschaftlich vertretbar. Ich möchte als Bundesfinanzminister aber frühzeitig genug auf die ernsten Finanzfragen hinweisen, die sich aus einer fortlaufenden Rentenanpassung in späteren Jahren ergeben können.
Wir befinden uns mit unserer Meinung in guter Gesellschaft. Sehr viele verantwortliche Männer in der Regieurng und in der Regierungspartei haben die gleiche Sorge. Auch der Herr Kollege Horn hat in der ersten Lesung mit wirklich tiefem Ernst all die Bedenken dargelegt, die hier nun einmal bestehen. Ich darf nur an das erinnern, was von Ihrer Seite, also von seiten der CDU/CSU, in öffentlichen Versammlungen immer wieder mit aller Deutlichkeit gesagt worden ist: Die Grenze zum Wohlfahrtsstaat haben wir erreicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Gesetz werden wir diese Grenze überschritten haben.
— Ja, den Versorgungsstaat. Wir sind ja sowieso schon im Begriff, ihn zu schaffen, Herr Kollege Ruf. Meiner Ansicht nach ist es klar, was ich damit sagen wollte.
Uns geht es in dieser Stunde um die schwere Verantwortung. Wir sind uns voll dessen bewußt, daß es nicht leicht ist, unsere Ansicht öffentlich zu vertreten, und daß uns die Argumente draußen nicht abgenommen werden. Es wird dann wieder — mit dem alten Beigeschmack — heißen: Das sind die Freien Demokraten, die Partei der Kapitalisten und der Fabrikanten.
Uns geht es darum, die wirklich schwere Verantwortung darzulegen, die wir haben, wenn wir dieses
Gesetz in der vorliegenden Form beschließen. Wir sind uns doch darüber klar, daß, wenn es jetzt wieder den Wahlen zugeht, wegen der Dynamik die nächsten Rentenanpassungen genauso vorgenommen werden wie die beiden letzten.
— Herr Professor Schellenberg, ich komme auf diese Dinge und werde es mit aller Deutlichkeit sagen.
Uns fehlt heute als sachliche Grundlage für das Gesetz vor allen Dingen eine versicherungstechnische Bilanz.
— Herr Kollege Stingl, die versicherungstechnische Bilanz mußte laut Gesetz im letzten Jahr noch nicht vorliegen, sie hätte in diesem Jahr vorliegen müssen.
Die zweite Rentenanpassung dürfte nicht erfolgen, solange die versicherungstechnische Bilanz nicht vorliegt, wenn das Haus in wirklicher Verantwortung handelte.
— Ich werde es Ihnen ganz genau nachweisen. Herr Kollege Stingl, in § 110 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes heißt es in Absatz 2:
Der Bundesminister für Arbeit stellt in Abständen von zwei Jahren versicherungstechnische Bilanzen auf, erstmalig für den 1. Januar 1959. Die Bilanzen sollen für die drei auf den Stichtag der Bilanz folgenden Jahrzehnte erkennen lassen, wie sich die Einnahmen, die Ausgaben und das Vermögen der Versicherungsträger voraussichtlich entwickeln werden.
Ich habe hier den Standpunkt meiner Fraktion zu vertreten, und ich bitte Sie, meine Argumente anzuhören.
— Wir hätten Zeit gehabt, Herr Kollege Stingl, wenn das Haus und die Bundesregierung gemeinsam wirklich verantwortlich gehandelt hätten, für die zweite Rentenanpassung die versicherungstechnische Bilanz abzuwarten; dann hätten wir gleichzeitig unseren Antrag mitbehandeln können.
Nun komme ich zu dem zweiten Gesichtspunkt, der uns zur Ablehnung dieser Gesetzesvorlage bestimmt. Soeben habe ich Ihnen mit aller Deutlichkeit dargelegt, daß wir in zwei Anträgen dem Hause eine Änderung der Rentenformel, die die Beitragsbemessungsgrundlage ergibt, vorgeschlagen haben. Was will die FDP mit diesen Gesetzesvor-
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lagen erreichen? Ich will lediglich Herrn Professor Schellenberg mit aller Deutlichkeit die sozialpolitische Stellung meiner Fraktion darlegen. Wir lehnen nicht das Umlageverfahren ab, das steht gar nicht zur Debatte. Wir sind der Überzeugung, daß das Umlageverfahren in einer modernen Industriegesellschaft durchaus ein wirtschaftlicher Weg auch auf sozialpolitischem Gebiet sein kann. Wir lehnen auch nicht — Herr Professor Schellenberg, das muß ich mit aller Deutlichkeit den Kollegen der SPD sagen — die Lohnbezogenheit ab.
— Nein, Herr Kollege Stingl, wir lehnen die Lohnbezogenheit nicht ab. Wir nehmen die Lohnbezogenheit aber nicht als den alleinigen Maßstab.
— Ich werde Ihnen die Dinge sachlich darstellen, Herr Kollege Stingl. Lassen Sie mich einmal meine Gedanken in Ruhe entwickeln. Die Lohnbezogenheit als alleiniger Maßstab wird eines hervorrufen: daß nach dem Gesetz die Renten herauf- und heruntergehen müßten mit der Entwicklung der Löhne, die weitestgehend an die wirtschaftliche Entwicklung gebunden sind. Sie kennen das Argument, daß es dann verschiedene Jahrgänge geben könnte, die auf Grund der Entwicklung zu einer anderen Rente kommen könnten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, es ist — wie soll ich sagen — eigentlich sonderbar, wenn die Liberalen Ihnen sagen müssen, daß wir vom geläuterten liberalen Standpunkt aus nicht den Grundsatz und die These des „Laisser faire, laisser passer" vertreten. Mit der Lohnbezogenheit, die Sie für die gesamten Renten wollen, werden Sie für die Zukunft zur Wirklichkeit machen, was der Vater des modernen Sozialismus, Karl Marx, mit seiner Zyklen-Theorie als Wirklichkeit in der sogenannten liberalen kapitalistischen Wirtschaft als Erscheinungsform darstellt. Eine nur lohnbezogene Rentenanpassung, und zwar für alle Teile, wie Sie es wollen, müßte ohne Zweifel zur Folge haben, daß die Kaufkraft der Renten in Zeiten der Hochkonjunktur mit hinaufschnellt, daß die Renten preissteigernd wirken. In der Wirtschaft gibt es nicht nur ein stetiges Auf, es gibt ein Auf und Ab. In dem Moment, wo die Krise kommt, würden die Renten automatisch gesenkt. Sie können mir entgegenhalten, daß das nicht der Fall sein wird. Wenn aber das Vermögen aufgezehrt ist, werden wir in eine Zwangslage kommen. Dann wird das der Fall sein.
Während der Krise der dreißiger Jahre haben es die skandinavischen Staaten verstanden, die Wirkungen der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit durch antizyklische Maßnahmen bis zum Ende der Krise hinauszuziehen. Das ist eine Tatsache, die nicht bestritten werden kann, und es ist ein Beweis für das, was ich vorhin gesagt habe.
Auch den Damen und Herren von der CDU habe ich etwas zu sagen. Herr Kollege Stingl, die zwiespältige Theorie, die Sie aufgestellt und aufrechterhalten haben, wird sich, so wahr ich hier stehe,
nicht halten lassen, so wie die Dinge heute liegen. Nach dieser zwiespältigen Theorie errechnen sich die 'laufenden Renten lohnbezogen. Die anderen wenden durch Gesetz festgesetzt. In dem zweiten Falle sind Sie unseren Argumenten gefolgt. Wir wollen nicht die alleinige Lohnbezogenheit. Wir wollen alles das, was in § 49 des Gesetzes schon verankert ist: Bei Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage werden die Renten durch Gesetz angepaßt. Nicht laisser faire, laisser passer, sondern durch Gesetz unter Verantwortung des Parlaments!
§ 1272 Abs. 2 RVO lautet:
Die Anpassung hat der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen Rechnung zu tragen.
Hierin sind Sie seinerzeit den Argumenten der FDP gefolgt, und zwar aus sachlich richtigen Überlegungen.
Meine Damen und Herren gerade von der CDU, ich möchte Ihnen noch eine Tatsache und ein altes Sprichwort vor Augen halten. Wir haben kein reines Umlageverfahren, sondern ein Abschnittdekkungsverfahren. Wir haben noch Kapital zurückzulegen. Das alte Sprichwort heißt: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Es gibt auch ein Wort aus der Heiligen Schrift. Sie kennen alle die Geschichte von Joseph aus Ägyptenland mit den sieben fetten und den sieben mageren Kühen, den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Wir haben sieben fette Jahre hinter uns, sogar schon eine etwas längere Zeit. Gott sei dank kommen die zyklischen Bewegungen nicht so, wie man es sich auf der anderen Seite gedacht hat. Bei uns liegt die Verantwortung. Ziehen Sie aus dieser Jahrtausende alten Weisheit die Schlußfolgerung: sparen Sie und legen Sie zurück! Was für ein Polster wollen Sie für unsere Volkswirtschaft haben, wenn eine Krise kommt, ganz abgesehen von anderen Erscheinungen, etwa der Tatsache, daß man heute nur auf Raten kauft? Wo liegt noch eine Reserve?
Wir wollen mit unserem Antrag keine Bremse einbauen. Wir wollen nicht das Laisser faire, laisser passer, aber wir wollen auch nicht bremsen. Wir wollen dieses Parlament nicht von der Aufgabe entbinden, die Renten nach den Grundsätzen anzupassen, die von Ihnen beschlossen worden sind.
Meine Damen und Herren, lesen Sie doch den Sozialbericht! In ihm steht klar und deutlich: Die wirkliche Steigerung des Nettosozialprodukts pro Einwohner beträgt in den Jahren 1957 und 1958, umgerechnet auf Preise von 1954, zusammen 5,1 %. Die beiden Rentenanpassungen belaufen sich zusammen auf 12,04 %. Der Unterschiedsbetrag ist Geldentwertung. Darüber gibt es keinen Zweifel. Diese Tendenz verstärken wir aber mit diesem Gesetz. Ich will nicht lange reden; ich will Ihnen die Dinge nur mit aller Eindringlichkeit darlegen, damit Sie spüren, wie schwer wir in diesen Fragen gerungen haben.
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Zum Schluß möchte ich den schwerwiegendsten Grund anführen. Das Haus hatte laut § 110 beschlossen: Die Bundesregierung hat die versicherungstechnische Bilanz den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes zuzuleiten und zugleich nach Anhören des Sozialbeirats über die Finanzlage der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität und über die Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in den voraufgegangenen Kalenderjahren seit der letzten versicherungstechnischen Bilanz zu berichten. Das Gutachten des Sozialbeirats, Herr Kollege Stingl, ist vorzulegen. Ergibt der Bericht, daß Maßnahmen des Gesetzgebers erforderlich sind, so hat die Bundesregierung gleichzeitig Gesetzgebungsvorschläge zu unterbreiten, insbesondere ob und inwieweit eine Änderung der Pro-HundertSätze oder der allgemeinen Bemessungsgrundlage oder des Beitragssatzes gemäß § 1385 erforderlich ist.
Hier ist eindeutig verankert, daß die versicherungstechnische Bilanz vorzulegen ist. Erst wenn eine solche vorliegt, kann aus ihr die klare Erkenntnis gewonnen werden, ob eine Rentenanpassung überhaupt vorgenommen werden kann; sie ist die Grundlage dafür.
Ich möchte folgendes mit aller Deutlichkeit sagen. Wir wissen bestimmt, daß eine große Zahl der Mitglieder des Bundeskabinetts innerlich und auch schon in Aussprüchen diese Rentenanpassung und diese Rentendynamik abgelehnt hat. Trotzdem hat das Bundeskabinett diesen Gesetzentwurf verabschiedet und dem Bundestag vorgelegt. Daraus können wir ganz deutlich erkennen, daß hier nicht die Verantwortung bis zum letzten als das Wesentliche gesprochen hat, sondern daß hier vor allen Dingen dem Kanzler, der die treibende Kraft war, allein daran gelegen war, auf den nächsten Wahlsieg zu zielen.
Wenn alle, die diese Bedenken gegen den Gesetzentwurf in öffentlichen Veranstaltungen schon geäußert haben, insbesondere die Damen und Herren in der großen Fraktion der CDU/CSU, den Versicherungsträgern, den Versicherten, den Rentnern gegenüber verantwortlich handeln wollen, dann gibt es für sie nur eines: mit der FDP diese Gesetzesvorlage ablehnen. Wenn Sie bereit sind, unsere Anträge innerhalb von 14 Tagen, also noch vor Weihnachten, zu verabschieden, haben wir die Möglichkeit, die automatische Formel abzuschaffen. Wir dürfen nicht allein die Lohnbezogenheit zur Grundlage machen, sondern müssen eine gerechte Grundlage finden. Wenn Sie unseren Vorschlägen folgen, dann schaffen Sie die Möglichkeit, meine Damen und Herren von den beiden großen Fraktionen, daß auch die dritte Fraktion, die allein die Rentenneuregelungsgesetze abgelehnt hat, Ihnen beitreten kann. Dann können wir ganze Arbeit machen und die Rentenanpassung so beschließen, daß keine Rentenschere entsteht, sondern daß nach dem Grundsatz der Gleichheit alle gleich behandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es eine gute Sache ist, daß wir bei unseren Auseinandersetzungen alle Einzelheiten, die wir in diesem Hause schon soundso oft vorgetragen haben, jedesmal wiederholen müssen. Wir haben das, was hier bisher erörtert worden ist, nicht nur bei der Debatte der ersten Lesung zum sehr erheblichen Teil schon erörtert, wir haben die Fragen auch im Ausschuß im einzelnen sehr gründlich behandelt. Wir sollten uns deshalb bei der dritten Lesung dieser Vorlage wirklich nur auf das beschränken, was Inhalt des Gesetzes ist.
Damit komme ich gleich zu den Ausführungen des verehrten Kollegen Weber. Wer Ihre Ausführungen gehört hat, Herr Kollege, der konnte den Eindruck gewinnen, daß wir uns entweder ein zweites Mal in der Debatte der ersten Lesung Ihrer Gesetzesvorlage befänden
oder daß gar schon die zweite und dritte Lesung Ihrer Vorlage stattfände. Das ist beileibe nicht der Fall. Ihre Vorlage ist dem Ausschuß überwiesen worden. Wenn Sie vielleicht bei der ersten Lesung damit etwas zu kurz gekommen sind — aber nicht durch unsere oder anderer Leute Schuld, sondern nur eben darum, weil Sie die Dinge so behandelten, wie wir das noch im Gedächtnis haben —, dann ist das kein Grund, diese Gesetzesvorlage hier als einen Aufhänger dafür zu benutzen, nun Ihre Vorlage noch einmal in der ganzen Breite zu begründen. Der Ausschuß wird sich zu gegebener Zeit mit Ihrer Vorlage beschäftigen; dann wird das Haus Gelegenheit haben, dazu erneut Stellung zu nehmen. Aber die Ausführungen, die Sie, verehrter Herr Kollege, auch heute hier gemacht haben, gehen doch an einigen Dingen sehr vorbei.
Ich darf deshalb noch einmal wiederholen: Die CDU/CSU-Fraktion beschränkt sich im Einvernehmen und in Übereinstimmung mit der Bundesregierung hier und heute nur darauf, die Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Sozialbericht, der Vorlage der Bundesregierung und der Auslassung des Beirates ergeben. Mehr nicht. Wir bewegen uns dabei ausschließlich auf dem Boden der Neuregelungsgesetze und ziehen keine Folgerungen, die darüber hinausgehen, weil das Fragen sind, die zu einem gegebenen Zeitpunkt an dieses oder das nächste Parlament herantreten werden. Dann wird die Zeit gekommen sein — auch schon bei der Behandlung Ihres Antrags —, uns mit der Problematik im ganzen auseinanderzusetzen..
Herr Kollege Weber hat erwähnt, daß ich schon bei der ersten Lesung mit Ernst auf den Inhalt des Sozialberichts und die Stellungnahme des Beirates hingewiesen habe. Jawohl; ich möchte das auch heute noch einmal ganz dick unterstreichen. Wenn wir uns auch aus diesem Grunde dagegen wehren, daß durch die Anträge der SPD, die wir in dei zweiten Lesung abgelehnt haben, eine Ausweitung
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des Finanzbedarfs in diesem Gesetz Platz greift, dann möchten wir durch unsere Ablehnung eben auch deutlich machen, daß wir zusätzliche finanzielle Belastungen, die über den konkreten Zweck dieser Vorlage hinausgehen, bei dieser Gelegenheit nicht verantworten können. Wir bleiben der Meinung, daß deshalb — das will ich noch einmal sagen — die Einbeziehung des Sonderzuschusses in diese Vorlage ebenfalls zu den Dingen gehört, die vom Grunde her nicht vertreten werden können.
Meine verehrten Damen und Herren, wir warten alle auf die versicherungstechnische Bilanz; sie muß ja demnächst vorgelegt werden. Ich glaube wir stimmen miteinander darin überein, daß wir Erkenntnisse und weitere Schlußfolgerungen aus der finanziellen Situation — nicht zu guter Letzt der Rentenversicherungsträger — erst dann ziehen können, wenn diese Bilanz vorliegt. Verehrter Herr Kollege Weber, die Vorschrift des Gesetzes geht dahin, die versicherungstechnische Bilanz erstmalig zum 1. Januar 1959 zu erstellen. Alle, die von der Schwierigkeit dieser Materie auch nur eine leise Ahnung haben, werden mit mir darin übereinstimmen, daß es für die Bundesregierung unmöglich ist, die versicherungstechnische Bilanz etwa schon bis zum November oder Dezember dieses Jahres vorzulegen. Wir sollen dankbar und froh sein, wenn die Schwierigkeiten, die mit der Erstellung dieser Bilanz verbunden sind, soweit überwunden werden, daß wir diese Vorlage im Laufe des nächsten Jahres — vielleicht im Laufe des nächsten Halbjahres — in unsere Hände bekommen. Dann werden wir uns über das Weitere unterhalten.
Lassen Sie mich noch eine kurze Bemerkung dazu machen, warum wir den von der SPD geforderten § 8a abgelehnt haben. So wie es hier dargestellt worden ist, liegen die Verhältnisse in der gesetzlichen Unfallversicherung in Wirklichkeit nicht. Es ist zwar richtig, daß seit damals eine weitere Anhebung dieser Renten nicht stattgefunden hat. Es bleibt aber bestehen, was vorhin mein Kollege ausgeführt hat, daß eine Regelung für die gesetzliche Unfallversicherung nicht in dieses Gesetz hineingehört.
Man sollte auch beachten, — weil es von Ihrer Seite nicht ausgesprochen worden ist, will ich es sagen —, daß die Rentenbezieher aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu einem Teil — zu einem Teil! — bereits Rentenbezieher aus der Arbeiteroder Angestelltenversicherung sind
und insofern, was diese Renten angeht, an dieser Anhebung teilnehmen. Die anderen, verehrter Herr Kollege Schellenberg, die noch irgendwie in der gewerblichen Wirtschaft in Beschäftigung stehen, nehmen an der jeweiligen Erhöhung der Löhne und Gehälter teil, die in der Wirtschaft zwischen den Sozialpartnern vereinbart werden.
Insofern sind diese an der Entwicklung seit 1957 nicht unbeteiligt.
Wenn man über diese Dinge diskutiert, dann sollte man die ganze Wahrheit darstellen. Dazu gehört eben auch, daß diese Menschen zum Teil bereits Rentenbezieher aus der Arbeiter- oder Angestelltenversicherung sind und daß sie zum anderen an der jeweiligen Erhöhung der Löhne und der Gehälter teilgenommen haben und weiterhin teilnehmen werden. Aus diesem Grunde glaube ich, daß man sehr wohl sagen darf, diese Frage sollte dann beraten und entschieden werden, wenn wir im Ausschuß — und später hier im Plenum — an die Behandlung der Neuordnung der gesetzlichen Unfallversicherung herangehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Börner?
Ja, bitte!
Sehr verehrter Herr Kollege, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß zumindest die Rentenempfänger, auf die beide Dinge nicht zutreffen, die Sie eben hier dargestellt haben, von der von mir behaupteten wirtschaftlichen Härte in vollem Maße betroffen werden? Darf ich weiter den Schluß ziehen, daß Sie bereit sind, anzuerkennen, daß von 1957 bis heute eine Steigerung des Lebenshaltungsindex von etwa 10 % stattgefunden hat und daß es doch an der Zeit ist, zum Beispiel die Hinterbliebenenrenten in der Unfallversicherung schnellstens zu erhöhen?
Herr Kollege, ich habe nicht behauptet, daß restlos alle an den in der Zwischenzeit eingetretenen Verbesserungen der Lebenshaltung teilgenommen haben.
Es wird ein Teil übrigbleiben. Aber diejenigen, die im Arbeitsprozeß stehen, oder diejenigen, die bereits Renten beziehen, haben an diesen Verbesserungen in der von mir geschilderten Art und Weise Anteil gehabt, und sie werden ihn auch weiter haben.
— Eben die anderen. Ganz recht!
Damit, meine Damen und Herren, möchte ich meine wenigen Hinweise beenden. Ich darf wiederholen: Wir beschränken uns heute und hier nur darauf, den Inhalt dieser Gesetzesvorlage zu behandeln und zu beschließen. Alles andere, was darüber hinausgeht, was demnächst Gegenstand der Debatte beim Vorliegen der Bilanz sein wird oder was wir dann zu diskutieren haben, wenn Ihre Gesetzesvorlage erneut auf die Tagesordnung kommt und vorher im Sozialpolitischen Ausschuß — alles das werden wir zu gegebener Zeit erörtern. Heute aber erkläre ich noch einmal, daß meine politischen Freunde dieser Gesetzesvorlage der Bundesregierung in der
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Form der Ausschußvorlage zustimmen. Alles andere bleibt, wie gesagt, vorbehalten.
Herr Abgeordneter Schellenberg, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Worte zu dem, was Herr Kollege Weber gesagt hat. Herr Kollege Weber, wir haben dafür Verständnis, wenn die FDP diesen Gesetzentwurf — Zweites Rentenanpassungsgesetz — ablehnt. Sie haben den Rentenneuregelungsgesetzen unter anderem wegen der Dynamik nicht zugestimmt, und es ist deshalb nur folgerichtig, wenn Sie weiterhin die Anpassung ablehnen.
Aber, meine Damen und Herren, wir können es auf keinen Fall hinnehmen, daß Sie in Zusammenhang mit dieser Ablehnung denjenigen, die für diese Gesetze stimmen, eine mangelnde Verantwortung unterstellen wollen.
Vom fehlenden Verantwortungsbewußtsein haben Sie wiederholt gesprochen, Herr Kollege Weber. So geht es nicht, insbesondere deshalb nicht, weil sich die schwarzen Prophezeiungen derjenigen, die gegen die Rentendynamisierung und gegen eine Rentenneuordnung waren, bisher nicht bewahrheitet haben.
Meine Damen und Herren, es hat sich nicht bewahrheitet, was Sie über eine negative Auswirkung auf den Sparwillen gesagt haben. Die Spartätigkeit ist seit der Rentenneuordnung wesentlich gestiegen. Es hat sich auch nicht bewahrheitet, was Sie in bezug auf negative Auswirkungen für die Produktivität unserer Wirtschaft prophezeit haben. Und deshalb kann man die Vorwürfe, die Sie jetzt erheben, nicht unwidersprochen lassen.
Es ist richtig, daß die versicherungstechnische Bilanz noch nicht vorliegt. Wir Sozialdemokraten haben deshalb im Ausschuß beantragt, die Bundesregierung möge zumindest sogleich einen Zwischenbericht über ihre Vorarbeiten vorlegen. Aber, Herr Kollege Weber, es geht nicht an, solange die versicherungstechnische Bilanz nicht vorliegt — und sie kann, darin stimme ich Herrn Kollegen Horn zu, im Augenblick noch nicht vorliegen —, alle Altrentner mit der Anpassung warten zu lassen. Das ist die Entscheidung, die heute vor uns steht. Die Neurentner erhalten die Anpassung; durch eine Ablehnung des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes würden alle diejenigen, die schon seit Jahren Renten erhalten, hinter der Entwicklung der anderen Rentner zurückbleiben. Das kann nicht hingenommen werden. Das kann vor allen Dingen auch deshalb nicht hingenommen werden, weil sich im Gegensatz zu den düsteren Vorhersagen die Finanzlage der Rentenversicherung seit der Rentenneuordnung außerordentlich günstig entwickelt hat. Der Tatbestand, daß der Überschuß der Rentenversicherung
seit 1957 über 3,4 Milliarden DM beträgt, und die Tatsache, daß heute das Vermögen, das im wesentlichen seit der Währungsreform neu gewonnen wurde, über 121/2 Milliarden beträgt, rechtfertigt nicht, den Altrentnern eine Anpassung zu versagen.
Meine Damen und Herren, deshalb lassen sich diejenigen, die heute für die Rentenanpassung stimmen, sowohl von einer Verantwortung gegenüber den gegenwärtigen Rentnern als auch gegenüber den Beitragszahlern von heute und morgen tragen.
Damit liegen endgültig keine Wortmeldungen mehr vor. Die dritte Beratung ist geschlossen.
Wer dem in der zweiten Beratung in einigen Punkten neu gefaßten Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen in dritter Beratung angenommen.
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt noch nicht ganz erledigt. In dem Antrag des Ausschusses wird noch unter Punkt 2 beantragt, den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 1333 als erledigt anzusehen. Dazu wünscht die Fraktion der SPD noch einmal das Wort zu einem Änderungsantrag. Zur Begründung Herr Abgeordneter Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern sehr, daß uns die Umstände zwingen, den Antrag Drucksache 1333, der sich mit den finanziellen Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Trägern der Rentenversicherung befaßt, hier noch einmal zur Beratung zu stellen. Der Empfehlung, diesen Antrag einfach für erledigt zu erklären, können wir heute nicht mehr folgen. Diese Empfehlung ist auf Voraussetzungen gegründet, die sich inzwischen als äußerst fragwürdig erwiesen haben. Diese Voraussetzung ist eine Zusage des Herrn Bundesarbeitsministers, die nunmehr durch den Herrn Finanzminister in einer Weise praktiziert und korrigiert worden ist, wie es wohl niemand in diesem Parlament erwartet hatte.
Wie ist der Tatbestand? — Der Bund schuldet, auch nach den Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums im neuen Sozialbericht, den Trägern der Rentenversicherung auf Grund des § 90 des Bundesversorgungsgesetzes einen Betrag von rund 1,9 Milliarden DM. Seit Jahren beschäftigt diese Schuld, die der Bund ja praktisch gegenüber den Sozialversicherten trägt, das Parlament. Wir haben mehrfach und einstimmig die Regierung beauftragt und gemahnt, endlich mit dem Abtragen dieser Schuld zu beginnen. Die SPD-Fraktion hat dann bei der ersten Lesung des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes am 6. November dieses Jahres mit einem Antrage nachgebohrt, daß die Regierung doch nun
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Rohde
endlich im Haushaltsjahr 1960 die einstimmigen Beschlüsse des Parlaments respektieren solle. Der Herr Bundesarbeitsminister hat daraufhin die von allen Seiten des Hauses begrüßte Erklärung abgegeben, daß in den Entwurf des Haushaltsplans 1960 gleichsam als erste Rate für das Abtragen dieser Bundesschuld ein Teilbetrag von 200 Millionen DM eingesetzt werden solle. Diese Erklärung, so sagte uns der Herr Bundesarbeitsminister, sei vollinhaltlich mit dem Herrn Finanzminister abgestimmt worden. Davon haben wir uns auch in den Beratungen des Ausschusses für Sozialpolitik leiten lassen.
Inzwischen hat sich die Erklärung des Herrn Bundesarbeitministers, wenn man sie wirklich vollinhaltlich nimmt, als irreführend für die Beratungen sowohl des Parlaments als auch des Ausschusses erwiesen; denn im dem Haushaltsplan des Arbeitsministeriums finden sich diese 200 Millionen DM nicht. Der Bundesfinanzminister hat vielmehr einen eigenen Weg gesucht, um sich dieser Bundesschuld zu entledigen. Er will nicht bar zahlen, sondern er will sich im Haushaltsgesetz die Ermächtigung geben lassen, den Rentenversicherungsträgern, wie es heißt, Schuldbuchforderungen gegen den Bund zuzuteilen, die dann auf Ersuchen des Bundesfinanzministers in das Bundesschuldbuch eingetragen werden sollen. Es wird weiter gesagt, daß diese Schuldbuchforderungen nur im Einvernehmen mit dem Finanzminister veräußert werden dürfen. Das heißt, daß damit den Rentenversicherungsträgern die freie Verfügung über diese Mittel entzogen wird und es sich hier in Wahrheit um eine Art Zwangsanleihe des Bundes handelt.
An diesen Vorgang knüpfen wir Sozialdemokraten zwei Feststellungen.
Erstens. Die Regierung muß es sich ersparen, uns auf solche Weise, wie das in den Zusagen des Arbeitsministers und in der Praxis des Finanzministers geschehen ist, über ihre wahren Absichten im unklaren zu lassen. Derartige Taktiken erschweren nur die Beratungen in diesem Hause. Der Bundesarbeitsminister mußte wissen — er weiß es ja auch , daß diese Schuldbuchforderungen finanziell etwasanderes sind und auch politisch von diesem Hause anders beurteilt werden als Abzahlungen in bar, von denen bisher die Rede war. Wir wollen und können nicht prüfen, ob Minister Blank am 6. November hier zu uns in voller Kenntnis der Einzelheiten gesprochen hat oder ob er wieder, wie schon mehrfach, nachträglich vom Finanzminister korrigiert worden ist. Wie dem auch sei, die Regierung als ganzes darf so nicht vorgehen, und nach meiner Meinung darf auch das Parlament als ganzes sich ein solches Vorgehen nicht gefallen lassen.
Die zweite Feststellung betrifft — ich will das nur mit einigen Bemerkungen aussprechen — die Sache, nämlich die Schuldbuchforderungen. Wir haben gute Gründe, so glauben wir jedenfalls, für die Annahme, daß wir mit der Kritik an dieser Schuldbuchpolitik auch bei den anderen Fraktionen dieses Hauses Unterstützung finden werden. Ich will dabei gar nicht bis in jene Zeiten zurückgreifen, in denen der Staat vor allem unter dem Druck von Rüstungen den Zugriff mit dem Schuldbuch auf die Finanzen der Rentenversicherungsträger unternommen hat. Die jüngere Vergangenheit gibt genügend Hinweise dafür, wie es auf diesem Gebiete um den Willen des Parlaments steht. Ich meine die Debatte um die Schuldbucheintragung im Jahre 1953. Am 25. Juni des Jahres 1953 haben auch CDU und CSU, FDP und DP erklärt: Nachdem nunmehr die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungsträgern wiederhergestellt ist, soll künftig bei Inanspruchnahme von Mitteln der Weg der Vereinbarung mit den Versicherungsträgern beschritten werden. Das heißt doch konkret, daß dieses Parlament es nie wieder dem Finanzminister der Bundesrepublik erlauben wollte, mit gesetzlichem Zwang auf diese oder jene Weise in die Finanzgestaltung der Rentenversicherung einzugreifen und die Selbstverwaltung auszuschalten. Der CDU-Abgeordnete Horn sagte damals: Es kann nicht Sache des Parlaments sein, für die Folge in die Zuständigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften in dieser Form — gemeint sind verordnete Schuldbuchforderungen — einzugreifen, sondern die Versicherungsträger müßten selbst entscheiden, wie sie ihre Mittel anlegen.
Der Weg des gesetzlichen Vorschreibens, wie ihn der Bundesfinanzminister jetzt gegangen ist, muß doch gerade von denen als unannehmbar, ja als unzumutbar empfunden werden, die auch bei der diesjährigen Rentenanpassung manchmal tin geradezu dramatischer Weise vor der angeblich bedenklichen finanziellen Entwicklung der Rentenversicherung in den nächsten Jahren gewarnt haben. Wer das sagt, der kann am allerwenigsten sich damit zufrieden geben, daß den Rentenversicherungen Schuldbuchforderungen anstatt effektiver Barleistungen gegeben werden.
Meine Damen und Herren! Es ist sicher kein unbilliges Verlangen, wenn wir Sie bei dieser Sachlage bitten, unseren Antrag Drucksache 1333 an den Ausschuß zurückzuverweisen, damit er dann unter den wahren Voraussetzungen behandelt werden kann.
Sie haben den Antrag der Fraktion der SPD gehört. Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich über diesen Änderungsantrag, die Drucksache 1333 nicht für erledigt zu erklären, sondern an den Ausschuß zurückzuverweisen, abstimmen lassen. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zu folgen wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
Enthaltungen? — Das zweite war eindeutig die
Mehrheit. Damit ist der Rücküberweisungsantrag abgelehnt.
4954 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Vizepräsident Dr. Preusker
Ich darf nun diejenigen, die den Antrag Drucksache 1333 für erledigt zu erklären wünschen, um das Handzeichen bitten. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen für erledigt erklärt.
Damit ist die Beratung zu Punkt 5 der Tagesordnung endgültig abgeschlossen.
Zu Punkt 6 der Tagesordnung ist mir gesagt worden, daß ein neuer Bericht vorgelegt werden wird und deshalb dieser Punkt bis morgen zurückgestellt werden soll. — Darüber scheint Übereinstimmung zu bestehen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Berichtigungsprotokoll vom 1. Juli 1955 zu dein Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife ;
Schriftlicher . Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 1408).
Es liegt ein Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses auf Drucksache 1408 vor. Wünscht der Herr Berichterstatter, Abgeordneter Müller, noch das Wort?
— Der Herr Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Ich bitte diejenigen, die in der zweiten Beratung Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung so beschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die dritte Beratung.
Wer entsprechend dem Antrag des Ausschusses und den soeben in zweiter Beratung gefaßten Beschlüssen dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Berichtigungsprotokoll vom 1. Juli 1955 zu dem Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Unter Ziffer 2 beantragt der Ausschuß, der Bundestag wolle beschließen, davon Kenntnis zu nehmen, daß in der deutschen Übersetzung des Berichtigungsprotokolls folgende Berichtigungen erforderlich sind:
a) In der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift 5 werden die Worte „nächsten stehen" geändert in „meisten ähnlich sind";
b) und c) bitte ich aus der Drucksache 1408 Ziffer 2 zu ersehen.
Wer diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Darlehens an die Türkische Republik ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1334 [neu])
.
Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten beantragt, die Vorlage unverändert anzunehmen. Der Berichterstatter, Abg. Leverkuehn, verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe auf die Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. —
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Die Bestimmungen sind in zweiter Beratung bei einer Enthaltung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz über die Gewährung eines Darlehens an die Türkische Republik in der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchführung laufender Statistiken im Handel sowie über die Statistik des Fremdenverkehrs in Beherbergungsstätten (Drucksache 1232),
Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksache 1411)
.
Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter Illerhaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsausschuß hat den Gesetzentwurf Drucksache 1232 beraten und empfiehlt einstimmig seine Annahme. Ich verzichte darauf, die Begründung für die Beschlußfassung mündlich vorzutragen, und werde mir mit Genehmigung des Präsidenten erlauben, den Mündlichen Bericht zu Protokoll zu geben').
*) Siehe Anlage 2
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4955
Ich erwarte also Ihren Mündlichen Bericht, Herr Abgeordneter Illerhaus.
Ich eröffne die zweite Beratung. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich rufe auf die §§ 1, — 2,
— 3 — und 4. — Wer diesen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 5 soll nach dem Beschluß des Ausschusses entfallen. Wer dieser Streichung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Die Streichung ist angenommen.
§ 6, — § 7, — Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz über die Durchführung laufender Statistiken im Handel sowie über die Statistik des Fremdenverkehrs in Beherbergungsstätten in der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Überleitungsgesetzes für die Bundesfernstraßen im Saarland ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 1386)
.
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet.
Dann eröffne ich die zweite Beratung und rufe auf §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, — 7, — 8,
— 9 — sowie Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dann ist in zweiter Beratung so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die dritte Beratung.
Wer dem Entwurf eines Überleitungsgesetzes für die Bundesfernstraßen im Saarland in der soeben in zweiter Lesung beschlossenen, vom Ausschuß festgestellten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist so angenommen.
Damit darf ich den Vorsitz übergeben.
Ich rufe Punkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 1432)
.
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht.
— Der Herr Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht. Ich bedanke mich.
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe auf Art. 1, — 2, — 3 — sowie Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einmütig angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Punkt 12:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 1431)
.
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zum Bericht wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich bedanke mich.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Art. 4 entfällt —, Art. 5 — sowie Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Einstimmig angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Die Punkte 13 a und b sind für heute nachmittag vorgesehen.
4956 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Wir kommen zu Punkt 14:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 1413)
.
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zum Bericht wünscht.
— Wenn der Berichterstatter nicht da ist, entfällt der Bericht.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — 5 — sowie Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste ist die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste ist die Mehrheit; das Gesetz ist angenommen.
Wird zur Begründung des Entschließungsantrages der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der DP das Wort gewünscht?
Ist der Entschließungsantrag verteilt?
— Meine Damen und Herren, ist es notwendig, daß der Entschließungsantrag vorgelesen wird? Verzichtet das Haus darauf?
— Herr Kollege Ritzel, kennen Sie den Entschließungsantrag nicht?
— Dann muß der Entschließungsantrag wenigstens vorgelesen werden. Wollen Sie das tun, Herr Abgeordneter Pflaumbaum?
Meine Damen und Herren, die Entschließung, deren Annahme wir beantragen, lautet:
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP, DP.
Den Vorschriften des Getreidegesetzes sind lediglich die Getreidearten sowie alle Mahlmühlenerzeugnisse und eine Anzahl von Futtermitteln unterworfen. Alle übrigen Erzeugnisse aus Getreide, insbesondere Brot, Backwaren, Teigwaren, Malz und Schälmühlenerzeugnisse, sind darin nicht enthalten.
Mit der vorliegenden Novelle sollen nunmehr die Schälmühlenerzeugnisse aus Roggen, Mais, Buchweizen und Hirse in die Vorschriften des Getreidegesetzes einbezogen werden.
Im Zuge des Abbaues der Handelsbeschränkungen auf Grund des EWG-Vertrages haben sich Wettbewerbsverzerrungen ergeben, die sich im Laufe der Übergangszeit noch verstärken werden. Es ist deshalb in den Ausschußberatungen erwogen worden, alle aus Getreide hergestellten Erzeugnisse in die Getreidemarktordnung einzubeziehen. Dies ist jedoch wegen der bestehenden internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik ohne Zustimmung der Vertragsparteien nicht möglich.
Die Bundesregierung wird daher ersucht, alle vertraglichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die für die betroffenen Wirtschaftsgruppen aufgetretenen Schwierigkeiten so bald wie möglich zu beseitigen.
Ich bedanke mich. Wird das Wort zu diesem Entschließungsantrag gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Müller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion sieht sich leider außerstande, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen, und zwar deshalb, weil im Abs. 2 dieser Entschließung davon die Rede ist, daß mit der soeben angenommenen Novelle Schälmühlenerzeugnisse aus Roggen, Mais, Buchweizen und Hirse in die Vorschriften des Getreidegesetzes einbezogen werden. In dem Entschließungsantrag haben Sie die Nichteinbeziehung von Brot und Backwaren in das Getreidegesetz damit begründet, daß eine Einbeziehung von Brot und Backwaren mit Rücksicht auf die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik nicht erfolgen könne.
Meine Damen und Herren, auch das, was jetzt in die Novelle hineingeschrieben worden ist, läßt sich mit den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber dem GATT nicht vereinbaren. Ich darf in diesem Zusammenhang kurz erwähnen, daß die Bundesrepublik Deutschland während der GATT-Verhandlungen in der Zeit vom 11. bis zum 30. Mai dieses Jahres der Liberalisierung einer Fülle von Waren zugestimmt hat, die bisher der Einfuhrbeschränkung unterlagen. Dazu gehörten auch diese Schälmühlenerzeugnisse. Nach dem GATT-Beschluß vom 30. Mai hatte sich die Bundesregierung verpflichtet, diese Waren zu liberalisieren, also ihre Einfuhr auf Grund einer allgemeinen Genehmigung zuzulassen. Diese allgemeine Genehmigung ist mit dem Runderlaß Außenwirtschaft des Herrn Bundesministers für Wirtschaft vom 23. Juni dieses Jahres mit Wirkung vom 1. Juli dieses Jahres erteilt worden. Infolgedessen sind diese Erzeug-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4957
Müller
nisse eingeführt worden. Als man merkte, daß hier etwas eingeführt wird, was man im Grunde nicht wollte, hat man vom Bundesminister für Wirtschaft aus einen Sonderkurier in die Villa le Bocage nach Genf geschickt mit der Erklärung, der Bundesregierung seien bei der Ausfertigung der Liberalisierungsliste gewisse Irrtümer unterlaufen. Es gab sogar einige Anhaltspunkte dafür; denn man hatte in der Liberalisierungsliste in der Warenposition 1102/60 den geschälten Reis liberalisiert, eine Zeile darunter in der Warenposition 1102/90 den geschälten Reis entliberalisiert. Das hat man eingesehen. Man hat gesagt: Im übrigen sind uns noch einige Schreibfehler unterlaufen, um deren Berichtigung die Bundesregierung nachsucht. Man hat das gehört, man hat in Genf ein entsprechendes Korrigendum angefertigt, nachdem der Sonderkurier des Herrn Bundeswirtschaftsministers erklärt hatte, dieser Änderung käme keinerlei praktische Bedeutung zu.
Jetzt haben Sie diese Erzeugnisse der Marktordnung unterworfen, weil Kontrakte in der Größenordnung von etwa 3 Millionen t abgeschlossen worden waren. Auf der GATT-Tagung in Tokio hat man zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung etwas aus formellen Gründen ohne praktische Konsequenzen berichtige. Mittlerweile weiß das GATT in Genf, welche Formalien zur Diskussion stehen, nämlich daß für einige Millionen Tonnen Kontrakte abgeschlossen worden sind. Damit hat die Bundesregierung gegen internationale Verpflichtungen auf diesem Gebiete genauso verstoßen, wie sie es in bezug auf Brot und Backwaren vermeiden will.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, hier liegt ein sehr schwerwiegender Tatbestand vor. Ich könnte mir vorstellen, daß sich die Fraktionen der Regierungskoalition den Sachverhalt sehr wohl noch einmal überlegt hätten, wenn sie wüßten, welche Konsequenzen nunmehr auf die Bundesrepublik zukommen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion möchte nicht mit dazu beitragen, daß die Bundesrepublik gegenüber dem GATT weiter in Verruf gerät. Sie ist sehr wohl der Meinung, daß man etwas in bezug auf die seit dem 1. Januar 1958 liberalisierten Brotimporte tun sollte, aber das kann man nur tun, wenn man sich mit den Partnern, mit denen man Verträge geschlossen hat, zusammensetzt und mit ihnen verhandelt, aber nicht auf kaltem Wege und vor allen Dingen nicht, indem man das GATT wie in dem vorliegenden Falle auf diese Weise täuscht.
Im übrigen scheint es auch so zu sein, daß die Deutsche Bundesbank ihre Bedenken gehabt hat; denn die Deutsche Bundesbank hat sich doch offensichtlich mit den von Ihnen nunmehr beschlossenen Maßnahmen nicht einverstanden erklärt. Das Parlament würde sich sicher dafür interessieren, welche Gründe die Deutsche Bundesbank gehabt hat, sich nicht mit Ihren Maßnahmen zu identifizieren.
Aus all diesen Gründen vermag die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dieser Entschließung mit Rücksicht auf die internationalen Verpflichtungen, die wir haben, nicht zuzustimmen. Man muß sich schon etwas Besseres einfallen lassen, als es in dieser Entschließung zum Ausdruck gekommen ist.
Meine Fraktion wird deshalb gegen die Entschließung stimmen.
Herr Abgeordneter Pflaumbaum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller, Ihre Ausführungen bezogen sich weniger auf den Entschließungsantrag als auf die vorher schon beschlossene Novelle zum Getreidegesetz. Im Entschließungsantrag geht es ja nicht darum, daß noch irgend etwas zur Sache selbst beschlossen werden soll. Es ist nur eine reine Feststellung, was mit dem vorhergehenden Antrag beabsichtigt war.
Nun einige sachliche Ausführungen zu der Beanstandung, daß die Bundesregierung mit dem Antrag nicht nach den Bestimmungen des GATT verfahren würde. Mir ist vom Bundesernährungsministerium nunmehr eine Unterlage übergeben worden, nach der auf der 15. GATT-Tagung in Tokio vom 26. Oktober bis 20. November über diesen Fall verhandelt worden ist. Hierbei ist schriftlich niedergelegt:
Der Bericht der Bundesregierung wurde von einer Arbeitsgruppe eingehend geprüft. Die Aufhebung der Liberalisierung der genannten Schälmühlenerzeugnisse kam dort zur Sprache. Die Erklärung der Bundesregierung, daß es sich um eine Berichtigung handle, wurde ohne Diskussion zur Kenntnis genommen.
Damit hat das GATT die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen akzeptiert. Der Bericht wurde dann von der Vollversammlung des GATT gebilligt, so daß irgendwelche Schwierigkeiten nicht mehr zu erwarten sind. Damit dürfte diese Frage ausgeräumt sein, die sich aber nicht auf den Entschließungsantrag, sondern auf den vorhergehenden Antrag bezieht, der schon als erledigt anzusehen war.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zu den Ausführungen des sehr geschätzten Herrn Kollegen Dr. Pflaumbaum noch einige Bemerkungen machen.
— Es ist trotzdem wichtig. Ich habe erklärt, daß das GATT die Berichtigung der deutschen Bundesregierung zur Kenntnis genommen hat und daß diese Berichtigung auch in Tokio zur Kenntnis genommen worden ist und der Beschluß infolgedessen eine Änderung erfahren hat, aber doch nur mit der Begründung des Sonderkuriers des Bundeswirtschaftsministeriums, daß dieser Änderung nur eine formale, keinerlei praktische Bedeutung zukomme. Nur deswegen ist die Änderung beschlossen worden.
4958 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Müller
Nachdem nun die Proteste der holländischen Regierung beim GATT vorliegen, müssen Sie damit rechnen, daß dieser Punkt auf der GATT-Konferenz im Frühjahr Gegenstand der Erörterung ist. Das, was Sie angestrebt haben, nämlich die Änderung auf kaltem Wege, gelingt nicht. International kommen die Dinge zur Sprache. Wenn Sie meinen sollten, Sie hätten sie mit dieser Regelung aus der Welt geschafft, würden Sie einem ganz gefährlichen Irrtum verfallen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Meine Damen und Herren, ich habe Bedenken gegen die Entschließung in der vorliegenden Fassung. Ich möchte dem Hause empfehlen, den dritten Absatz, der Tatbestandsfeststellungen enthält, die nicht der Beschlußfähigkeit des Hauses unterworfen sind, herauszunehmen oder als Begründung zu geben. Der dritte Absatz ist eine Begründung; die Entschließungsanträge des Hauses sind dagegen Petita. Sind Sie einverstanden?
— Dann verstehen wir uns recht, wenn wir sagen: Der erste und der zweite Absatz bleiben. Im dritten Absatz heißt es: Die Bundesregierung wird daher ersucht ... Es ist der bisherige Absatz 4. Der dritte Absatz ist dann die Begründung.
In dieser geänderten Fassung stelle ich den Entschließungsantrag zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wir haben nun eine Reihe von Tagesordnungspunkten, die erst heute nachmittag bzw. morgen aufgerufen werden sollen. Ich rufe zunächst diejenigen Tagesordnungspunkte auf, die heute vormittag vielleicht noch erledigt werden können.
Zunächst Punkt 18: zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Volksverhetzung. Hier sind Erklärungen, aber keine Debatte vorgesehen. Können die Erklärungen abgegeben werden? —
Dann versuchen wir es mit Punkt 20:
a) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Petitionen über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung,
b) Beratung der Sammelübersicht 14 des Ausschusses für Petitionen über Anträge zu Petitionen (Drucksache 1368).
— Frau Abgeordnete Wessel als Berichterstatterin ist da. Möchten Sie das Wort? — Das Wort als Berichterstatterin hat die Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage des Ausschusses für Petitionen möchte ich über seine Tätigkeit in den ersten beiden Jahren der dritten Wahlperiode berichten. Ich kann mich dabei auf einige statistische Angaben beschränken, denn aus der systematischen Übersicht, die Ihnen in der Drucksache 1368 vorliegt, können Sie ersehen, in welchem Umfange die Bevölkerung von ihrem Recht, sich mit Bitten oder Beschwerden an den Bundestag zu wenden, Gebrauch machte.
In der Berichtszeit, also in zwei Jahren, sind über 29 000 Petitionen aus allen Lebensbereichen und Sachgebieten bei über 45 000 Gesamteingängen registriert worden. Dazu ein kurzer Vergleich. In den vier Jahren der ersten Wahlperiode waren es 27 200 Petitionen, in der zweiten Wahlperiode 33 000. Der Vergleich zeigt den ständigen Anstieg der Eingaben, der vermutlich durch die zunehmende Aufklärung über das Petitionsrecht in Presse, Rundfunk und Fernsehen veranlaßt ist. Jede Publikation, jedes Interview, beispielsweise der kürzlich vom Deutschen Fernsehen gesendete Appell des Herrn Bundestagspräsidenten zugunsten der Aktion „Gemeinsinn", jede Aktion, z. B. die zur Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen oder die jetzt angelaufene zur internationalen Ächtung der Atomwaffen, löst eine Flut von Petitionen aus.
Alle Eingaben bis auf etwa 1,5 %, die wegen beleidigenden, verworrenen, nicht erkennbaren Inhalts oder wegen Anonymität nicht zu behandeln waren, enthalten echte Anliegen. Man ersieht daraus, daß der Ausschuß nicht als „Bundesnörgelstelle" aufgefaßt wird, sondern daß ihm Vertrauen und oft die letzte Hoffnung auf Hilfe und Beistand entgegengebracht wird. Daraus ergibt sich weiter, daß seine Arbeit in der Bevölkerung als durchaus positiv gewertet wird, ja, daß die Institution des Petitionsrechts zu einem festen Begriff in unserem Staate geworden ist und daß die Möglichkeit, auf die parlamentarische Tätigkeit unmittelbaren Einfluß zu nehmen, von der Bevölkerung gern genützt wird.
Diese Feststellungen sind bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß das Petitionsrecht kein Rechtsmittel ist und dem Petenten zwar einen Anspruch auf Bescheid, nicht aber auf eine bestimmte Art der Erledigung seiner Eingabe, also auf Abhilfe seiner Beschwerde, verleiht. Die Petition — vielleicht darf ich das doch einmal sagen — kann lediglich die parlamentarische Überprüfung einer Regierungsmaßnahme veranlassen oder den Bundestag als Gesetzgeber anregen, der Regierung nach dem Grad der Dringlichkeit abgestufte Empfehlungen zur weiteren Behandlung der Eingabe, die aber auch keine Sachweisungen darstellen, entsprechend § 113 der Geschäftsordnung zu geben.
Trotz dieser verfassungsrechtlich begrenzten Hilfsmöglichkeiten kann ich berichten, daß es dem Ausschuß mit fast ausnahmslos entgegenkommender Unterstützung der Regierung gelungen ist, in etwa 4 % der sachlich behandelten Fälle dem Anliegen der Einsender in vollem Umfange zu entsprechen, und daß noch weit mehr Einsendern teil-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4959
Frau Wessel
weise geholfen, ihre Not wenigstens gemildert werden konnte.
Ein nicht unerheblicher Teil der Eingaben, etwa 22 %, konnte nur formell behandelt werden, weil entweder die Volksvertretung eines Landes zuständig, ein schwebendes oder abgeschlossenes Gerichtsverfahren Gegenstand der Petition, der Rechtsweg oder Instanzenweg noch nicht betreten oder nicht erschöpft war oder weil die Eingabe keine neuen Tatsachen oder Beweismittel gegenüber einer bereits behandelten Petition des Einsenders enthielt. Den Petenten wurden entsprechende Mitteilungen gegeben und die fraglichen Eingaben an die zuständigen Länderparlamente weitergeleitet.
Die Einsender wünschten alles mögliche, was ja verständlich ist. Eine Übersicht gibt Ihnen hinsichtlich der Aufgliederung der Petitionen nach Sachgebieten die vorliegende Drucksache 1368. Die Zahl der Petitionen, die Lebensbereiche und Sachgebiete, die sie betreffen, spiegeln die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse wider, zeigen, ich möchte sagen, wo die wunden Stellen im Staate liegen, wo das Volk der Schuh drückt. Das Spiegelbild hat im letzten Jahr dadurch ein anderes Aussehen erhalten, daß über die Hälfte der Einsender — etwa 53 % — sich mit der Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen befaßte.
Hier handelte es sich nicht wie bei anderen Petitionen um ein nur persönliches Anliegen, sondern auch um ein Anliegen politischer Art, das sich aus dem Für und Wider der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr ergab; daher rührt wohl der hohe Prozentsatz. Es folgen die zahlenmäßig bisher an der Spitze liegenden Eingaben zur Sozialversicherung — was auch immerhin interessant ist — mit etwa 9 %, die zum Lastenausgleich mit etwa 6 % und zur Kriegsopferversorgung mit etwa 5 %.
Meine Damen und Herren! In der Möglichkeit des Parlaments, über den Ausschuß Mißstände im Staat, Nöte, Wünsche, Anregungen des Volkes kennenzulernen, die Regierung zu kontrollieren und Anregungen gesetzgeberisch zu verwerten, liegt die wesentliche Bedeutung des Petitionsrechts im heutigen Verfassungsleben. Der Ausschuß für Petitionen ist die einzige unmittelbare Kontaktstelle zwischen Volk und Parlament. Sie bietet dem Bundestag, wie es Gross im Deutschen Verwaltungsblatt 1954 S. 323 treffend formuliert hat, die ausgezeichnete Möglichkeit, die Hand am Pulsschlag des Volkes zu halten. Die Auswirkung dieser Möglichkeit äußerte sich darin, daß etwa 7,5 % der sachlich behandelten Eingaben der Bundesregierung zur Berücksichtigung, Erwägung, als Material oder zur Kenntnisnahme und den zuständigen Fachausschüssen als Gesetzesmaterial, soweit sich einschlägige Vorlagen schon im Bundestag oder im Ausschuß zur Beratung befanden, überwiesen wurden. Die Wünsche der Petenten zur Änderung oder Ergänzung von Gesetzen bezogen sich insbesondere auf die Kriegsopferversorgung, auf das Recht der früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes, auf die Fremd- und Auslandsrenten, das Lebensmittel-,
Gewerbe- und Lastenausgleichsrecht und auf die Regelung der Kriegsfolgelasten.
Einige Beispiele, meine Damen und Herren, mögen Ihnen veranschaulichen, wie vielgestaltig die Anliegen der Petenten und die Arbeit des Ausschusses sind. Die Mieter einer mit Bundesmitteln erbauten Siedlung für Bundesbedienstete beschwerten sich über die von den Fabrikanlagen des Vermieters ausgehenden erheblichen Belästigungen durch Lärm und Rauch unter Hinweis auf die Gefahr gesundheitlicher Schäden. Sie wünschten zu ihrem Schutz vom Petitionsausschuß eine Einwirkung auf die Bundesregierung, im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für Abhilfe zu sorgen, insbesondere durch Verhinderung der Nachtarbeit und der Erweiterung der Industrieanlagen des Vermieters. Die Petition wurde im Beisein von Vertretern der Regierung und der Mietergemeinschaft eingehend im Ausschuß beraten und der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen mit der Maßgabe, in allen Punkten ihrer Fürsorgepflicht zu genügen. Die Mitglieder des Ausschusses sahen sich darüber hinaus durch die Eingabe veranlaßt, sich verstärkt für eine Bekämpfung des Lärms und der Luftverunreinigung und für eine Änderung der Gewerbeordnung, z. B. durch Erweiterung des Katalogs der nach § 16 genehmigungspflichtigen Betriebe, einzusetzen.
Ein anderes Beispiel. Die Kollegen Ritzel und Merten fühlten sich durch das Verhalten von Gerichten in ihren Rechten als Mitglieder des Bundestages verletzt. Es handelte sich dabei um folgenden Vorgang. Bei der Verfolgung von Fällen aus ihren Sprechstunden hatten sie ein Amtsgericht und ein Sozialgericht um Auskunft über den Sachstand und um Angabe gebeten, wann die Termine stattfinden würden. Sie bekamen unter Hinweis auf das Rechtsberatungsmißbrauchgesetz eine abschlägige Antwort.
Im Petitionsausschuß wurde der Fragenbereich der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten außerhalb seiner eigenen parlamentarischen Tätigkeit eingehend erörtert, nachdem sich auch der Rechtsausschuß damit befaßt hatte, ohne allerdings zu einem abschließenden Ergebnis zu gelangen. Der Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Dr. Strauß, machte hierzu bemerkenswerte Ausführungen, die die Zustimmung aller Ausschußmitglieder fanden. Weil diese Fragen uns alle angehen, möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, das Wesentliche der Darlegungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Strauß kurz wiedergeben.
Die verfassungsrechtliche Stellung des Abgeordneten außerhalb seiner eigenen parlamentarischen Tätigkeit im Plenum, in den Ausschüssen oder im sonstigen Auftrag des Bundestages, insbesondere der Umfang der außerparlamentarischen Auskunftsbefugnisse des Abgeordneten, ist aus Einzelbestimmungen des Grundgesetzes, wie Art. 38, Art. 17, Art. 48 Abs. 2 oder Art. 35, oder aus dem Fragerecht des Bundestages oder aus der Kontrollfunktion des Parlaments nicht herzuleiten. Sie ergibt sich vielmehr aus dem Gesamtzusammenhang der
4960 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Frau Wessel
Stellung, die der Bundestag und damit seine Mitglieder in unserem Verfassungsgefüge einnehmen: Sie bestimmt sich nach außerrechtlichen Regeln, in die allerdings Rechtsmomente hineinspielen. Es geht hier um die Frage des Umganges zwischen Ministerien — als Vertretern der Exekutive — und den Bundestagsabgeordneten — als Vertretern der Legislative —, um Fragen, wie Herr Staatssekretär Dr. Strauß sagte, der Erziehung, der Heranbildung einer gesunden Tradition, der Herausbildung eines richtigen Staatsbewußtseins, des Verhaltens innerhalb der demokratischen Spielregeln, um das Eingespieltsein der Organe des Staates, der Verfassungsorgane und anderer Organe.
Eine außerparlamentarische Auskunftsbefugnis der Abgeordneten dürfte hiernach grundsätzlich zu bejahen sein, um sie — insbesondere die Wahlkreisabgeordneten, die von der Bevölkerung ihres Wahlkreises mit allen möglichen Anfragen, Beschwerden usw. überschüttet werden — in die Lage zu versetzen, das legitime Bedürfnis der Wähler zu erfüllen und ihre parlamentarische Funktion auszuüben, so etwa die Entscheidung zu treffen, ob eine zum Zuständigkeitsbereich des Bundestages gehörende Frage aufzunehmen ist oder nicht, oder Material über Mißstände zu sammeln, das zu Gesetzesvorschlägen oder Anfragen im Parlament führt. Behörden und Gerichte sollten daher bemüht sein, den Abgeordneten alle Auskünfte zu erteilen, die erkennbar zur Vorbereitung der parlamentarischen Entschlüsse der Abgeordneten dienen.
Die Grenzen, innerhalb derer Auskünfte möglich und zulässig sind, liegen beim Amtsgeheimnis, z. B. für Auskünfte über Personalakten, oder beim berechtigten Interesse privater Dritter, wenn in einem Rechtsstreit mehr Parteien als eine Partei beteiligt sind. Hier müßte die Genehmigung des Betroffenen zur Auskunftserteilung in geeigneter Weise nachgewiesen werden.
Der Herr Staatssekretär regte an, Auskunftsersuchen von Abgeordneten im Interesse einer Beschleunigung und besonders sorgfältigen Prüfung sowie nicht zuletzt zur persönlichen Unterrichtung des Ministers möglichst an den Minister selber und nicht an die nachgeordneten Behörden zu richten. Der Zweck der Anfrage also, daß es sich um eine bestimmte parlamentarische Aufgabe des Abgeordneten handelt, sollte aus ihrer Form klar und eindeutig zu erkennen sein. Aus der Formulierung dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß ein Einfluß oder gar ein Druck von den Abgeordneten ausgeübt werden solle. Staatssekretär Dr. Strauß führte weiter aus, dies gelte insbesondere, wie in den beiden Fällen der Abgeordneten Ritzel und Merten, bei Anfragen gegenüber Gerichten, die unabhängig und keinen Weisungen unterworfen seien. Hier bestehe ein Unterschied, ob nach dem Sachstand oder danach gefragt werde, ob und wann Termin anstehe. Die Terminanberaumung sei kein Geheimnis. Auskünfte hierüber könnten daher unbedenklich erteilt werden. Die Beantwortung der Frage nach dem Sachstand hänge davon ab, ob das Gericht das vom anfragenden Abgeordneten auf Grund der Bestimmung über die Akteneinsicht — also § 299 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung — darzulegende berechtigte
Interesse nach Tatbestand und Begründung anerkenne. Eine entsprechende Vorschrift — so stellten wir im Ausschuß bei der Beratung dieser Punkte fest — fehlt auffallenderweise im Sozialgerichtsgesetz, womit sich der Fall des Herrn Kollegen Merten befaßte. Das Rechtsberatungsmißbrauchgesetz — und das anzuführen scheint mir auch wichtig zu sein — fände auf die Tätigkeit eines Abgeordneten grundsätzlich, d. h. wenn man einmal vom theoretisch denkbaren Fall eines Mißbrauchs der Abgeordnetenstellung absieht, keine Anwendung, da der Abgeordnete Träger eines Amtes in dem im Grundgesetz aufgeführten spezifischen Sinne ist und da das Gesetz nur bei geschäftsmäßiger Ausübung der Rechtsberatung in Betracht kommt:
Soweit, meine Damen und Herren, der Sachverhalt, von dem ich glaubte, ihn hier doch vortragen zu sollen, weil es sich um eine Auskunft und eine Ansicht handelt, die uns alle interessiert.
Der Petitionsausschuß beschloß wegen der grundsätzlichen Bedeutung der angesprochenen Fragen, die zu den Eingaben der Kollegen Ritzel und Merten erzielten Beratungsergebnisse durch Übermittlung eines Auszugs aus dem Ausschußprotokoll Nr. 44 über die Ausschußmitglieder hinaus allen Abgeordneten dieses Hohen Hauses zur Kenntnis zu bringen
und auch den Bundesministern zuzuleiten mit der Bitte, die untergeordneten Behörden entsprechend anzuweisen. Der Protokollauszug wird Ihnen, meine Damen und Herren, in den nächsten. Tagen übermittelt werden.
Ich möchte dann noch kurz einige andere Petitionen anführen, die auch zeigen, daß die Arbeit des Ausschusses die entsprechende Beachtung und Würdigung findet. In einem besonders tragischen Falle, an dem sich ebenfalls zeigt, daß der Petitionsausschuß nicht überflüssig ist, konnte nach längerem Bemühen geholfen werden. Es handelt sich um folgendes: Ein bei der amerikanischen Besatzungsmacht als Industriewachtmann beschäftigt gewesener Petent war auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr, auf den niemand anders als amerikanische Fahrzeuge gelangten, im Jahre 1949 schwerverletzt, bewußtlos und blutüberströmt aufgefunden worden und befand sich seitdem fast ununterbrochen, zum Teil in geschäftsunfähigem Zustand, in Krankenhäusern. Sein im Mai 1956 gestellter Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs mach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden in Höhe von 4800 DM wurde wegen schuldhafter Versäumnis der Anmeldefrist, mangels Nachweises der Ursächlichkeit des Schadens und aus rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit der §§ 898 und 899 der Reichsversicherungsordnung abgelehnt. Nach eingehender mündlicher Erörterung des Falles im Ausschuß im Beisein eines Regierungsvertreters konnten die in den vorherigen schriftlichen Stellungnahmen der Regierung enthaltenen Ablehnungsgründe und Bedenken ausgeräumt und dem Anliegen des Petenten auf Zahlung eines Härteausgleichs im begehrten Umfange voll entsprochen werden. Hier zeigt sich: hätte der Petitionsausschuß nicht bestan-
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Frau Wessel
den und hätte er deswegen die Petition nicht behandeln können, so hätte dieser Petent die 4800 DM nicht bekommen.
Ein anderer Einsender hatte durch Kriegseinwirkung sein Wohnschiff, seine ständige Wohnung, verloren. Die beantragte Schadensfeststellung wurde abgelehnt, da ein Wohnschiff nicht zu den im § 12 Abs. 1 des Lastenausgleichsgesetzes aufgezählten erstattungsfähigen Wirtschaftsgütern zählt. Hätte der Petent auf dem Wohnschiff nur einen kleinen Handel betrieben, dann wäre eine Entschädigung in Betracht gekommen. Wegen dieser offensichtlich bestehenden Lücke im Gesetz wurde die Eingabe dem Ausschuß für den Lastenausgleich als Material zugeleitet.
Ein 70jähriger Petent, der erst kürzlich als Umsiedler aus den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten Deutschlands in die Bundesrepublik kam, hoffte, hier seinen Enkel zu finden, und mußte feststellen, daß er in der französischen Fremdenlegion Dienst tat, obwohl er bei Eintritt noch minderjährig war. Diese Fälle sind uns Abgeordneten ja nicht unbekannt, daß auch Minderjährige in die Fremdenlegion aufgenommen werden. Der Petent bat, alles zur Freilassung seines Enkels Erforderliche zu unternehmen. Das Auswärtige Amt hat dann die notwendigen Schritte zugesagt, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, daß die französischen Behörden derartige Fälle sehr schleppend behandeln
und Anträgen auf Entlassung aus der Fremdenlegion oft nicht zustimmen. Dieser Fall — und darum habe ich ihn angeführt — sollte ebenfalls zum Anlaß genommen werden, auf feste Abmachungen mit Frankreich wegen Entlassung der beim Eintritt in die Fremdenlegion noch Minderjährigen zu drängen.
Viele Petenten — oft sind es die Ärmsten der Armen — erkennen die geleistete erfolgreiche Arbeit des Petitionsausschusses dankbar an.
Ein Einsender, dessen kärgliche Rente aus der Angestelltenversicherung eine günstige Umstellung erfuhr, der eine größere Nachzahlung erhielt und dadurch, wie er schrieb, „nunmehr zu einer erträglicheren Lebensweise" kam, stattete für die „in hochherziger Weise eingesetzte Art" seinen „verbindlichsten Dank" ab.
Ein Heimkehrer, der auf Veranlassung des Ausschusses Entlassungsgeld und Übergangsbeihilfe erhielt, zeigte sich überrascht, daß seine Angelegenheit so „korrekt und objektiv behandelt wurde", und sagte dafür seinen herzlichen Dank.
Ein anderer Einsender, dem eine Beschäftigung vermittelt wurde, gibt voller Dankbarkeit seiner Freude und seinem Frohsinn darüber Ausdruck, „wieder anständig leben zu können". Er schreibt: „Wir danken, daß Sie sich so hilfreich für uns eingesetzt haben, und das werden wir Ihnen nie vergessen."
Eine ältere Witwe, deren Aussiedlungsantrag für Tochter, Schwiegersohn und Enkel aus Jugoslawien stattgegeben wurde, schrieb u. a. anerkennend:
Bestimmt verdanke ich diese hochherzige Zustimmung Ihrem sehr geschätzten Wohlwollen und möchte daher nicht versäumen, Ihnen und allen beteiligten Stellen zu danken für diese menschliche Geste. Sie dürfen versichert sein, einem einsam gewordenen Mutterherzen große Freude bereitet zu haben, und bitte, als äußeres Zeichen zumindest meinen schriftlichen Dank entgegenzunehmen. Damit möchte ich auch Ihre Arbeit im Dienste der deutschen Menschen anerkennen. Denn in der Mehrzahl werden Sie ohnehin mit Bittschriften eingedeckt sein.
Zum Schluß möchte ich Ihnen schmunzelnd sagen, was eine bayerische Elvira schrieb, die für die Bemühungen des Ausschusses ihren aufrichtigen Dank aussprach. Sie schreibt: „Eine Bearbeitung meiner Tochter ist nicht mehr nötig, da ich mein Kindergeld bereits erhalten habe."
Dieser Bericht möge Ihnen, meine Damen und Herren, die Vielfältigkeit der Tätigkeit des Petitionsausschusses gezeigt haben, eine Tätigkeit, die im Dienste der Öffentlichkeit, aber normalerweise in aller Stille ausgeübt wird. Sie nimmt die Arbeitskräfte aller Beteiligten erheblich und gleichbleibend, auch in den sogenannten Parlamentsferien, in Anspruch. Dies wird besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, daß jede Eingabe sachlich geprüft wird und daß jedem Einsender eine Mitteilung über die Art der Erledigung seiner Petition und außerdem, sofern die Ermittlungen längere Zeit beanspruchen, eine Zwischennachricht gegeben wird. Das ist bei 29 000 bis jetzt eingegangenen Petitionen, die, was mir nicht unwichtig zu sagen erscheint, bis auf kleine Reste bearbeitet und durch den Ausschuß erledigt sind, eine gute Arbeitsleistung. Sie wird von allen an der Ausschußarbeit Beteiligten, angefangen von den Mitgliedern des Petitionsausschusses — jede Petition wird nämlich von zwei Mitgliedern des Ausschusses als Bericht- und Mitberichterstatter bearbeitet — bis zum Büropersonal des Ausschusses, vor allem von dem Ausschußassistenten Herrn Regierungsrat Banse, mit viel Idealismus im Dienst der deutschen Menschen, wie es diese alte Witwe anerkennend und schön charakterisierte, und zur Wahrung eines der wichtigsten Grundrechte unseres Staates gern geleistet.
Ich möchte das von dieser Stelle aus als Abschluß meines Berichts besonders hervorheben und das um so mehr, als im Hinblick auf die ständig wachsende Zahl der eingehenden Petitionen das vorhandene Büropersonal im Vergleich zu dem anderer Abteilungen des Bundestages mir überfordert zu sein scheint. Die Petitionen müssen durch das Büro sorgfältig und sachgemäß für die Berichterstatter vorbereitet werden. Wer als Berichterstatter Petitionen durchzuarbeiten hat, die manchmal einen dicken Schnellhefter umfassen, kann beurteilen, was die Bearbeitung von 29 000 Petitionen in zwei Jahren für das Büro bedeutet.
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Frau Wessel
Zum Schluß bitte ich Sie, meine Damen und Herren, im Namen des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 14, Drucksache 1368, enthaltenen Anträge zu Petitionen anzunehmen. Ich danke Ihnen.
Ich danke der Berichterstatterin. Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen über den Antrag des Ausschusses, Drucksache 1368. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung ;
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksache 1409).
.
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen 1415, zu 1415).
Nach der Vereinbarung im Ältestenrat erfolgt zunächst die zweite Beratung beider Gesetzentwürfe. Eine Verknüpfung der Beratung beider Gesetzentwürfe ist hier allerdings technisch nicht möglich. Dagegen können in der allgemeinen Aussprache der dritten Beratung die beiden Gesetzentwürfe, die in ihrer Materie zusammengehören, selbstverständlich gemeinsam debattiert werden.
Zunächst erteile ich das Wort Herrn Dr. Barzel als Berichterstatter zu Punkt 13a.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als Drucksache 1409 liegt Ihnen der Schriftliche Bericht des Wirtschaftsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung vor. Ich verweise auf diesen Schriftlichen Bericht und will jetzt nur noch einige wesentliche Punkte hervorheben. Vor allem möchte ich den Entschließungsantrag begründen, den der Ausschuß vorgelegt hat.
Der Entwurf bezweckt, zwei Fragen unseres Aktienrechts schon jetzt, also vor der sogenannten großen Aktienrechtsreform, zu regeln, nämlich erstens die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und zweitens die Neuordnung der Bestimmungen über die Gewinn- und Verlustrechnung. Die Bundesregierung, die diesen Entwurf zusammen mit der Vorlage über die steuerrechtlichen Maßnahmen vorgelegt hat, hält die Vorwegnahme der Regelung dieser beiden Fragen aus zahlreichen Gründen für erforderlich. Ich verweise insoweit auf die amtliche Begründung in der Drucksache 416 sowie auf die in der ersten Lesung am 15. Oktober vergangenen Jahres vorgetragene mündliche Begründung.
Länger als ein Jahr haben der federführende Wirtschaftsausschuß und die mitbeteiligten Ausschüsse diese Vorlage beraten. Diese sorgfältige Beratung hat zu dem Ergebnis geführt, daß der Wirtschaftsausschuß Ihnen eine Fassung des Gesetzentwurfs empfiehlt, die in den Grundzügen vom Ausschuß einstimmig fixiert werden konnte.
Der Erste Abschnitt des Gesetzentwurfs soll die Möglichkeit schaffen, daß Aktiengesellschaften ihr haftendes Nennkapital auch aus eigenen Mitteln erhöhen können. Es handelt sich im wesentlichen um einen Umbuchungsvorgang: Rücklagen werden in Grundkapital umgewandelt. Der Aktionär erhält entweder eine zusätzliche Aktie oder eine Erhöhung des Nennbetrages seines Papiers.
Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt Ihnen, über die Regierungsvorlage hinaus einige Rücklagen für die Zwecke der Umwandlung ausdrücklich zu sperren. Ich verweise auf § la Abs. 2 der vom Ausschuß empfohlenen Fassung. Es heißt dort ausdrücklich, daß nicht umgewandelt werden können:
1. eine ausdrücklich als „Rücklage für die Lastenausgleichs-Vermögensabgabe" bezeichnete Rücklage;
2. Beträge, die infolge der Erhöhung der Sozialversicherungsrenten nach den VersicherungsNeuregelungsgesetzen aus der Auflösung von Rückstellungen für laufende Pensionen und für Anwartschaften auf Pensionen frei geworden sind;
3. unter Rücklagen ausgewiesene Posten, die auf Grund steuerlicher Vorschriften erst bei ihrer Auflösung zu versteuern sind.
Es ist also sichergestellt, daß bei Durchführung dieses Gesetzes der Lastenausgleich keine nachteiligen Folgen erleidet. Ferner sind zunächst solche Rücklagen von der Umwandlung ausgenommen und für sie gesperrt, die bereits den Arbeitnehmern des Betriebes zugedacht waren.
Im Zusammenhang hiermit steht die Vorschrift des § 65 Abs. 1 des Aktiengesetzes, die durch § 22 Nr. 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs neu gefaßt werden soll. Es wird die Möglichkeit der Ausgabe von Belegschaftsaktien geschaffen. Die steuerliche Seite der Ausgabe von Belegschaftsaktien ist in dem Gesetzentwurf über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln entgegenkommend geregelt.
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Dr. Barzel
Der zweite Teil dieses Entwurfs sieht vor, die Gewinn- und Verlustrechnung der Aktiengesellschaften künftig aussagekräftiger zu gestalten. Durch zahlreiche Eingaben ist uns immer wieder nahegebracht worden, den zweiten Teil des Entwurfs nicht zu verabschieden und mit diesen Vorschriften auf die sogenannte große Aktienrechtsreform zu warten. Der Ausschuß hat sich dazu nicht entschließen können. Er hält auch die Neuordnung der Vorschriften über die Gewinn- und Verlustrechnung für unerläßlich und für dringlich, um die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele dieses Entwurfs zu realisieren.
Einigen Mitgliedern des Ausschusses ging der Entwurf der Bundesregierung in manchen Punkten hinsichtlich der Publizität zu weit, anderen Mitgliedern des Ausschusses waren die Vorschriften nicht weitgehend genug. So traf sich die Mehrheit des Ausschusses im wesentlichen bei der Regierungsvorlage. Einige Kollegen wollten an dieser Stelle durch noch schärfere Vorschriften für die Publizität dieses Gesetz auch zu einem Instrument öffentlicher Kontrolle machen. Solche Anregungen fanden keine Mehrheit. Die Mehrheit des Ausschusses will dieses Gesetz im Interesse des Aktionärs, des Kapitalmarkts und als Voraussetzung für breite Eigentumsstreuung.
Mit besonderem Bedacht, meine Damen, meine Herren, hat der Ausschuß dann die Frage geprüft, ob und gegebenenfalls welche Unternehmen nicht den neuen Publizitätsvorschriften unterworfen werden sollen. Das Ergebnis finden Sie auf Seite 21 des Ausschußberichtes im § 132 Abs. 5. Sie sehen dort, daß der Ausschuß über die Regierungsvorlage hinaus nur noch eine Ausnahme gemacht hat, nämlich die für Familiengesellschaften mit einer Bilanzsumme bis 10 Millionen DM. Alle anderen vorgeschlagenen Ausnahmen — es wurden zahlreiche angeregt — fanden im Ausschuß keine Mehrheit.
Durch die Festlegung der Grenze für die verstärkten Publizitätsvorschriften auf 3 Millionen DM der Bilanzsumme werden voraussichtlich 70 % aller Aktiengesellschaften diesen neuen Publizitätsvorschriften unterworfen sein. Die Regierung und die Mehrheit des Ausschusses legten im Ausschuß Wert auf die Feststellung, daß diese 3-Millionen-DMGrenze keineswegs ein Präjudiz für andere Rechtsformen sei. Die Minderheit hielt ohnehin eine Ausdehnung der Publizitätsvorschriften auf alle Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform von einer gewissen Bilanzsumme an aufwärts im Interesse der öffentlichen Kontrolle wirtschaftlicher Macht für erforderlich. Soweit zum Entwurf.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen ferner, meine Damen und Herren, eine Entschließung anzunehmen, durch die die Bundesregierung ersucht wird,
a) den Entwurf eines Aktiengesetzes baldmöglichst vorzulegen,
b) bei der Vorlage dieses Gesetzentwurfs zu klären, ob und gegebenenfalls wie die erweiterten Publizitätsvorschriften zu einer entsprechenden Änderung der Sondervorschriften für Banken und Versicherungen führen müssen.
Der Ausschuß hat bei der Beratung dieser sogenannten kleinen Aktienrechtsreform verstärkt die Notwendigkeit einer baldigen Verabschiedung der sogenannten großen Aktienrechtsreform erkannt. Unser Aktienrecht bedarf nach Meinung des Ausschusses insgesamt und baldigst einer Neuordnung. Der vorliegende Entwurf ist nur Stückwerk. Der Ausschuß empfiehlt daher, die Bundesregierung durch die Entschließung um beschleunigte Vorlage des Gesetzentwurfs für die große Reform zu ersuchen. Wir glauben, daß ohne diese große Reform die frische Luft für unseren Kapitalmarkt und für die künftige industrielle Entwicklung fehlt.
Der Ausschuß bittet Sie ferner, meine Damen und Herren, die Entschließung über die Sondervorschriften für Banken und Versicherungen anzunehmen.
Ich habe die Ehre, Sie namens des federführenden Ausschusses darum zu bitten, den Gesetzentwurf in der Fassung anzunehmen, die Ihnen der Wirtschaftsausschuß vorlegt. Diese Fassung wurde in den Grundzügen einstimmig erarbeitet.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die zweite Beratung. Ich rufe auf § 1. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 435 Ziffer 1 vor. Wer begründet ihn? — Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag, den ich zu begründen habe, bitten wir Sie, festzulegen, daß vor Vornahme einer Kapitalberichtigung, d. h. also vor Ausschüttung von Gratis- oder Berichtigungsaktien, wie Sie sie nennen wollen, die Verpflichtungen gegenüber dem Lastenausgleich erfüllt werden müssen. Unsere Meinung ist die, daß man, wenn man schon durch eine solche Kapitalberichtigung klar zu erkennen gibt, daß man so viele Reserven angesammelt hat, und wenn man dieser Reserven so sicher ist, daß man sie zu einer Kapitalberichtigung verwenden kann, auch denjenigen Gläubiger des Unternehmens, der es bitter nötig hat, nämlich den Lastenausgleich, nicht nur durch Rücklagen berücksichtigen, sondern bar abfinden und ihm die Mittel zuführen sollte, die hier als zur Verfügung stehend ausgewiesen werden. Diese Mittel hat der Lastenausgleich wirklich bitter nötig, und man sollte sie ihm gerade durch eine solche Aktion zuführen.
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen den Stand der Auszahlung der Hauptentschädigung. Um über Eingliederungsdarlehen, Aufbaudarlehen, Soforthilfe und Unterhaltshilfe hinaus noch etwas an Hauptentschädigung zu erhalten, muß man 80 Jahre alt sein. Dann erhält man vielleicht einmal 5000 DM. Vielleicht genügt heute bereits ein Alter von 75 Jahren. Aber auch das ist ja bereits ein schönes biblisches Alter für einen Anspruch, der seit Jahren läuft.
Wir sind der Ansicht, daß die Realisierung der Verpflichtungen gegenüber dem Lastenausgleich solchen Gesellschaften, die eine derartige Berichti-
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Seuffert
gung vornehmen, zugemutet werden kann, zumal wir ja sehr genau wissen, daß diese Verpflichtungen, die anfänglich in den Umstellungsbilanzen einmal so groß und so drückend erschienen, gegenüber den großen Summen des bisher zuverdienten, bisher neu erworbenen und in den Bilanzen ausgewiesenen Vermögens sehr an Bedeutung zurückgetreten sind.
Im Interesse der jetzt so schlecht bedienten Gläubiger des Lastenausgleichs, die gleichzeitig Gläubiger dieser Unternehmen sind, die Berichtigungen vornehmen wollen und die so große sichere Reserven ausweisen können, bitten wir Sie, unserem Antrag stattzugeben.
Damit ich Sie nachher nicht noch einmal in Anspruch nehmen muß, gestatten Sie mir, vorsorglich auch den Eventualantrag zu begründen, den wir Ihnen auf dem Umdruck 435 unter Ziffer 2 vorlegen.
Der Ausschuß hat in § la vorgesehen, daß zur Berichtigung des Kapitals in den Bilanzen ausdrücklich als „Rücklage für die LastenausgleichsVermögensabgabe" bezeichnete Rücklagen nicht umgewandelt werden können. Er hat entgegen einer Empfehlung des Finanzausschusses nicht vorgesehen, daß, soweit solche Rücklagen nicht gebildet worden sind, entsprechende Beträge aus den Rücklagen gebunden werden, d. h. nicht zur Berichtigung zur Verfügung gestellt werden sollen. Im Bericht des federführenden Ausschusses finden Sie hierzu die Bemerkung, daß die Einführung einer solchen Bestimmung eine ungleiche Behandlung solcher Gesellschaften, die berichtigen, und solcher Gesellschaften, die nicht berichtigen und nach wie vor nicht zu Lastenausgleichsrücklagen verpflichtet sind, bedeuten würde. Diese Erwägung ist schief. Sie beruht auf einem Irrtum. Die Bildung der Lastenausgleichsrücklage ist in der Tat bisher fakultativ. Mit unserem Antrag verlangen wir auch gar nicht, daß sie tatsächlich gebildet wird. Wir wollen uns gar nicht in die steuerlichen und sonstigen bilanzmäßigen Überlegungen, die dafür maßgebend sein können, ob man eine Rücklage bildet oder ob man den Lastenausgleich aus dem laufenden Ertrag bedient, einmischen. Es handelt sich aber um die Gleichstellung auf der ,einen Seite derjenigen Gesellschaften, welche — das waren die vorsorglicheren und diejenigen, die entsprechend dann auch ihr Umstellungsverhältnis niedriger gewählt haben
— solche Rücklagen, die fakultativ sind und bleiben, gebildet haben, und auf der anderen Seite derjenigen Gesellschaften, die das nicht getan haben, falls eine von diesen Gesellschaften eine Berichtigung vornehmen will.
Der Gedankengang des Finanzausschusses war
— ich glaube, er ist zwingend — auf jeden Fall, daß man die einen, die die fakultativen Rücklagen gebildet haben, jetzt nicht schlechter stellen kann, indem man ihnen die Möglichkeiten bei der Berichtigung beschneidet, gegenüber denjenigen, die das nicht getan haben. Diese Gleichstellung wird mit dem Vorschlag des Finanzausschusses angestrebt, den Sie in unserem Eventualantrag zu § la finden und den ich hier mit gleichzeitig begründet habe.
In erster Linie bitte ich Sie aber, aus den Gründen, die ich dargelegt habe, im Interesse des Lastenausgleichs, im Interesse derjenigen, die in einer so schlechten Lage sind und die gleichzeitig die Gläubiger gegenüber diesen Gesellschaften sind, welche, wenn sie solche Berichtigungen vornehmen können, in einer so guten Lage sind, unseren Antrag zu § 1 stattzugeben.
Das Wort hierzu hat noch Herr Abgeordneter Wilhelmi erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem ersten Antrag, die Gesellschaften, die von diesem Gesetz Gebrauch machen wollen, zur Zahlung des Lastenausgleichs zu veranlassen, ist folgendes zu sagen. Wir haben diese Frage sehr eingehend geprüft. Ich glaube, es ist niemand in diesem Hause, der nicht ein erhebliches Interesse daran hat, daß die Kasse für den Lastenausgleich Zuschüsse erhält. Es ist aber zu prüfen — und das haben wir sehr eingehend getan, und zwar nicht nur im Wirtschaftsausschuß, im Steuerausschuß, sondern auch im Lastenausgleichsausschuß —, inwieweit dieses Gesetz nach allgemeinen Begriffen die Handhabe dafür bieten kann, etwas für den Lastenausgleich zu tun.
Sie wissen, daß der Lastenausgleichsausschuß nicht so weit gegangen ist wie der Ihnen vorliegende Antrag der SPD. Der Lastenausgleichsausschuß hat lediglich als mitberatender Ausschuß empfohlen, man solle den Lastenausgleich passivieren. Das liefe also etwa auf den Eventualantrag der SPD hinaus.
Den Hauptantrag der SPD bitte ich deswegen abzulehnen, weil die Zahlung des Lastenausgleichs nicht davon abhängt, in welchem Verhältnis Rücklagen und Nennkapital stehen. Die Zahlung einer Schuld ist eine Frage der Liquidität. Solange wir im Lastenausgleichsgesetz die absolute Freiheit der vorzeitigen Ablösung des Lastenausgleichs allgemein für alle Gesellschaften und überhaupt alle dem Lastenausgleich Unterliegenden festgelegt haben, können wir hier keinen Zwang ausüben, einen Zwang, der zumal einen ganz kleinen Kreis von Gesellschaften träfe, nicht einmal alle Aktiengesellschaften, nicht einmal alle Gesellschaften mit beschränkter Haftung, sondern eben nur gerade jene, die von einem bestimmten Gesetz, das ganz anderen Zielen dient und ganz andere Zwecke verfolgt, Gebrauch machen. Das wäre eine absolute Ungerechtigkeit. Deshalb bitte ich, diesen Antrag abzulehnen. Er hat auch gar nichts mit der Umwandlung zu tun, sondern wäre eine Liquiditätsfrage.
Der zweiten Frage, der Passivierung des Lastenausgleichs stehen wir im allgemeinen in der CDU/ CSU auch durchaus positiv gegenüber. Das ist in den Ausschußberatungen bereits zum Ausdruck gekommen. Es ist durchaus möglich, daß in einer Neufassung des Lastenausgleichsgesetzes die bisherige Möglichkeit, die Lastenausgleichsschuld unter dem Strich der Bilanz, also nicht als echte Schuld, auszuweisen, geändert wird, Dann muß das aber ganz
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Dr. Wilhelmi
allgemein für alle Gesellschaften und alle Gesellschaftsformen geschehen. Es ist undenkbar, eine so grundsätzliche Frage, die mit dem Lastenausgleich zusammenhängt, in diesem Gesetz einer Teillösung zuzuführen.
Namens der CDU/CSU bitte ich deshalb, beide Anträge abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Kollegen Wilhelmi, der von einem Zwang gesprochen hat, der gegenüber einer Gruppe von Gesellschaften ausgeübt werden soll, nur mit einem Wort antworten. Von einem Zwang kann hier gar keine Rede sein. Niemand ist gezwungen, eine Berichtigung vorzunehmen. Alles, was wir verlangen, ist, daß derjenige, der eine Berichtigung vornimmt und der damit ausweist, daß er seiner Reserven so sicher ist, daß er diese Berichtigung durchführen kann, seine Verhältnisse gegenüber seinen Gläubigern und gerade gegenüber diesem Gläubiger, dem Lastenausgleich und den Lastenausgleichsgeschädigten, vorher in Ordnung bringt. Niemand ist dazu gezwungen. Er kann die Möglichkeiten wählen, wie er will. Aber diese Anforderung kann an ihn gestellt werden.
Was die Liquidität anlangt, so könnte man, falls wirklich Liquiditätsschwierigkeiten bestehen sollten — wenn man Bilanzen kennt, erscheint einem das heutzutage als eine ziemlich hypothetische Annahme —, durchaus in Betracht ziehen — das würde eine Änderung des Lastenausgleichsgesetzes voraussetzen —, daß solche Abgaben nicht durch Barzahlung, sondern durch Übergabe von Aktien — Gratisaktien oder wie Sie sie sonst beschaffen wollen — abgegolten werden. Der Gedanke steht schon lange genug zur Debatte, so daß Sie sich mit ihm hätten beschäftigen können. Wenn irgendeine Gegenliebe auf Ihrer Seite für eine derartige Abgeltung des Lastenausgleichs gegeben ist, können wir sie sofort in Angriff nehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seuffert, ich meine, es kann nicht übersehen werden, daß die Stellung des Gläubigers dadurch stärker wird, daß Reservekapital in Nennkapital, d. h. haftendes Kapital, umgewandelt wird. Beim Lastenausgleich handelt es sich insoweit um einen Gläubiger wie jeder andere Gläubiger auch. Hier geschieht also dem Lastenausgleichsfonds unter dem Gesichtspunkt der Sicherung kein Schaden, sondern seine Interessen werden verstärkt.
Alles andere ist allerdings eine Frage der Liquidität. Wollen Sie im Ernst eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, die Lastenausgleichsforderung
abzulösen, nun noch zwingen, Beteiligungen herzugeben und dadurch die Gesellschaftsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft völlig auf den Kopf zu stellen?
Wird zu § 1 noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 435 Ziffer 1 ab, in § 1 Abs. 5 einen Satz 2 anzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über den § 1 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Der Eventualantrag zu § la Abs. 2 Nr. 1, zu der Lastenausgleichsfrage ist vom Abgeordneten Seuffert schon begründet worden. Weiter liegt dazu ein Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 438 vor, in § la Abs. 2 die Nr. 2 zu streichen.
Zur Begründung Herr Abgeordneter Atzenroth!
Meine Damen und Herren, es ziemt sich nicht ganz, den Berichterstatter zu berichtigen. Sie müssen mir aber gestatten, ihm wenigstens in einem Punkte etwas zu widersprechen. Der Herr Berichterstatter hat gesagt, der Ausschuß habe sich ein Jahr lang in fleißiger Arbeit mit diesen Gesetzen beschäftigt. Das trifft allenfalls auf den Ausschuß der CDU zu.
In dem Wirtschaftpolitischen Ausschuß ist diese Vorlage im Oktober vorigen Jahres erschienen und dann nach sehr kurzer Zeit wieder abgesetzt worden. In diesem Jahr erschien sie ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel; dann haben wir es allerdings sehr schnell gemacht. Insofern ist das die erste Berichtigung, Herr Barzel.
Sie haben weiter gesagt, die Mitglieder des Ausschusses hätten der Vorlage in allen Grundsätzen zugestimmt. Auch das ist nicht richtig. Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir einigen wesentlichen Grundsätzen, nämlich denjenigen, die erst in diesem Jahr in den Entwurf hineingekommen sind, nicht zugestimmt haben. Daher auch unsere Änderungsanträge. Das mußte ich vorausschicken; denn sonst wäre unsere Haltung gar nicht zu verstehen gewesen.
In darf einen dieser Änderungsanträge begründen. In dem Gesetzentwurf ist in § la Abs. 2 Nr. 2 eine neue Bestimmung hineingekommen. Der Grundsatz des Gesetzes ist, daß Rücklagen in haftendes Kapital umgewandelt werden können, Rücklagen, die ordnungsmäßig versteuert sind und bei denen die Umwandlung nach unserer Meinung
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Dr. Atzenroth
eine durchaus notwendige und legale Maßnahme ist. Nun ist unverständlich, warum man hier unter Nr. 2 Beträge besonders behandelt, „die infolge der Erhöhung der Sozialversicherungsrenten nach den Versicherungs-Neuregelungsgesetzen aus der Auflösung von Rückstellungen für laufende Pensionen und für Anwartschaften auf Pensionen frei geworden sind".
Wozu steht das hier? Wenn es Rücklagen sind, braucht man darüber nicht zu debattieren; dann müssen sie doch auch umgewandelt werden können. Sind es aber Rückstellungen, dann braucht man sie hier nicht zu erwähnen, denn dann können sie nicht in haftendes Kapital umgewandelt werden. Da ist doch eigentlich ein logischer Widerspruch in der Gesamtkonzeption des Gesetzentwurfs. Wir sind deswegen der Meinung, daß dieser Absatz gestrichen werden muß. Wir sind mit Ihnen der Auffassung, daß nur Rücklagen umgewandelt werden dürfen, also nur die Beträge, die wirklich einmal versteuert worden sind. Sind die Beträge, die unter Nr. 2 genannt sind, Rücklagen, nun gut, dann können sie umgewandelt werden. Sind es aber bloß Rückstellungen, die frei geworden sind, dann können sie nicht umgewandelt werden; denn sie haben ja niemals der Körperschaftsteuer unterlegen.
Ich bitte Sie also, unserem Antrag zuzustimmen, der eigentlich nur eine logische Entwicklung aus dem ganzen Inhalt des Gesetzentwurfs ist.
Das Wort hierzu hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Atzenroth hat den Änderungsantrag der FDP zu § la Abs. 2 Nr. 2 begründet. Diese Vorschrift besagt, daß „Beträge, die infolge der Erhöhung der Sozialversicherungsrenten nach den Versicherungs-Neuregelungsgesetzen aus der Auflösung von Rückstellungen für laufende Pensionen und für Anwartschaften auf Pensionen frei geworden sind", nicht umgewandelt werden können.
Wir haben unseren Standpunkt, Herr Kollege Atzenroth, im Ausschuß sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht. Denn wir sind der Meinung, daß diese Rückstellungen, die für die Arbeitnehmer der Unternehmungen geschaffen worden sind, auch diesem Zweck, dem sozialen Zweck für die Arbeitnehmerschaft der Unternehmungen erhalten bleiben und daher nicht für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln verwandt werden sollen. Der Kern Ihres Anliegens, die ganze „Arbeitnehmerfreundlichkeit" der FDP-Fraktion, kommt ja sehr deutlich bei dem Änderungsvorschlag zu § 65 zum Ausdruck. Dazu werde ich nachher noch Entsprechendes sagen.
Zunächst Herr Abgeordneter Barzel als Berichterstatter, dann Herr Abgeordneter Atzenroth!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Verhandlungen nicht ausdehnen, aber, Herr Kollege Atzenroth, ich muß etwas richtigstellen. Ich habe nicht behauptet, der Wirtschaftsausschuß habe ein Jahr lang verhandelt, sondern gesagt: die Ausschüsse, der federführende und die mitbeteiligten. Zum zweiten habe ich in dem Bericht, auf den Sie Bezug genommen haben, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Vorschlag zu § la Abs. 2 Nr. 2 mit Mehrheit verabschiedet worden ist. Da ist also der Aufhänger für Sie durchaus gegeben. Ich möchte, damit wir über dieselbe Frage nicht noch einmal stolpern, gleich auch darauf aufmerksam machen, daß ich bei § 65, zu dem Sie ebenfalls einen Vorschlag gemacht haben, auch auf die Mehrheitsentscheidung hingewiesen und in meiner mündlichen Berichterstattung ebenso wie in meinem Schriftlichen Bericht nur ausgeführt habe, daß die Gesetzentwürfe in den Grundzügen einmütig verabschiedet worden sind.
Herr Abgeordneter Atzenroth, bitte!
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß ich mit dem Herrn Berichterstatter nunmehr einig bin. Ich habe mich auch nur wegen der Ausführungen von Herrn Kollegen Katzer zu Wort gemeldet. Über den zweiten Teil, darüber, in welcher Form sich die Arbeitnehmerfreundlichkeit zu betätigen hat, werden wir uns noch unterhalten. Das ist ein besonderes Kapitel, über das wir nachher ausführlich sprechen werden. Aber ich bin mir noch nicht ganz klar, was Sie eigentlich wollen, Herr Katzer, das, was hier steht, oder das, was Sie in etwas unklarer Weise hier eben gesagt haben.
Ich bin absolut mit Ihnen einig, daß frei gewordene Rückstellungen für diese, wie Sie es nennen: sozialen Zwecke nicht in haftendes Kapital übergeführt werden können. Darin sind wir einig. Denn wir wollen auch nichts in haftendes Kapital überführen, was nicht versteuert ist. Aber das kann sich doch nur um Rücklagen handeln und nicht um Rückstellungen. Herr Katzer, sind Sie nun auch der Meinung, daß, wenn solche frei gewordenen Rückstellungen in Rücklagen übergeführt worden sind und diese Rücklagen frei wurden, also nicht mehr für den ursprünglichen Zweck benötigt werden, sie dann nicht umgewandelt werden können? Wenn Sie dieser Meinung sind, dann müssen Sie das aber auch mit aller Deutlichkeit sagen. Wir sind in diesem Falle dagegen. Denn wir sind der Meinung, daß, wenn eine Rücklage frei geworden, wenn ihr ursprünglicher Zweck erloschen ist, der Umwandlung in haftendes Kapital nichts entgegenstehen sollte. Aber wenn Sie dieser Meinung sind — das kann man hieraus nicht entnehmen —, dann sollten Sie das mit aller Deutlichkeit sagen.
Herr Abgeordneter Burgbacher hierzu!
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind der Auffassung, daß Rückstellungen und Rücklagen, die als sozialgebunden bezeichnet sind, diesem Zweck erhalten bleiben sollen; zum mindesten soll nicht, ohne daß die Betroffenen Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, durch dieses Gesetz darüber verfügt werden. Wir machen dabei keinen Rechtsunterschied zwischen Rückstellungen und Rücklagen. Das entscheidende Kriterium ist, daß nach dem Willen aller Beteiligten diese Mittel für soziale Zwecke zurückgestellt oder zurückgelegt worden sind. Es kommt uns darauf an, daß diese Zweckbestimmung erhalten bleibt und nicht ohne Mitwirkung der Beteiligten geändert wird.
Wortmeldungen zu § la liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über die beiden vorliegenden Anträge.
Zunächst stimmen wir über den Eventualantrag ab, der von der Fraktion der SPD auf Umdruck 435 Ziffer 2 gestellt und von dem Herrn Abgeordneten Seuffert begründet wurde. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nachdem der Änderungsantrag auf Umdruck 435 Ziffer 2 erledigt ist, stimmen wir über den Änderungsantrag Umdruck 438 Ziffer 1 ab, der von dem Herrn Abgeordneten Atzenroth begründet wurde und nach dem der § la Abs. 2 Nr. 2 gestrichen werden soll. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Jetzt stimmen wir über den § la in der Ausschußfassung ab. Wer dem § la zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Die §§ 2, 3 und 4 sollen nach den Beschlüssen des Ausschusses entfallen. Wer der Streichung dieser Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
— Ich bitte einen Augenblick um Entschuldigung. Herr Abgeordneter Barzel!
Es handelt sich nicht um Streichungen! Die Bestimmungen sind bei anderen Paragraphen eingearbeitet.
Aber an dieser Stelle sind es Streichungen. Ich kann nichts anderes tun, als darüber abstimmen zu lassen. Wer dei Streichung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Zu den §§ 5, 6 und 7 liegen keine Änderungsanträge und keine Wortmeldungen vor. Wer diesem Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Für den § 8 gilt das gleiche wie für die §§ 2, 3 und 4; die Bestimmungen sollen woanders eingearbeitet werden und entfallen hier.
§ 9, — § 10, — § 11 ! — Wer diesen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Zu § 12 liegt auf Umdruck 435 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag vor. Herr Abgeordneter Seuffert zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag zu § 12 gestellt, weil, wie Sie aus unseren Anträgen zur Drucksache 417 sehen, wir einer Generalversammlung die Möglichkeit vorbehalten wissen wollen, derartige Berichtigungsaktien nicht nur für alle Aktionäre in Anspruch zu nehmen, sondern auch den Arbeitnehmern zugute kommen zu lassen, durch deren Mitarbeit die Reserven hauptsächlich gebildet worden sind, aus denen die Berichtigungsaktien entstehen.
Im § 12 der Regierungs- und der Ausschußvorlage ist überraschenderweise — überraschenderweise, muß ich schon sagen — der Passus enthalten, daß der Beschluß einer Hauptversammlung, d. h. des endgültig entscheidenden Gremiums einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft, nichtig sei, wenn sie sich entschlösse, solche Berichtigungsaktien aus den erarbeiteten Reserven des Unternehmens etwa auch Arbeitnehmern zukommen zu lassen. Wir sehen nicht den geringsten Grund für eine solche Bestimmung. Wir haben von Anträgen abgesehen — jedenfalls hier vor diesem Gremium —, die Abgabe solcher Berichtigungsaktien an die Arbeitnehmer zur Voraussetzung der Berichtigung zu machen. Es soll niemand gezwungen werden. Wir wissen, daß sich der Rechtsausschuß mit der Materie befaßt hat, und es gibt gewisse Argumente dafür — ohne daß ich sie jetzt ohne Widerspruch billigen möchte —, daß gegen einen Zwang in dieser Richtung, gegen eine Vorschrift in dieser Richtung Bedenken bestehen könnten. Wogegen aber gar kein Bedenken bestehen kann, ist, daß die souveräne Generalversammlung der Gesellschaft beschließt, solche Aktien auch ihren Arbeitnehmern zuzuwenden und als souveräne Vertretung der Aktionäre auch insoweit auf solche Aktien zu verzichten. Wenn eine solche Einschränkung irgendwie selbstverständlich wäre, wenn sie sich sonst aus dem Aktiengesetz ergäbe, dann hätte man ja eine solche Bestimmung, ein solcher Beschluß sei nichtig, nicht eingefügt. Wir sehen keine Begründung dafür, warum nun auch noch von Gesetzes wegen der souveränen Entscheidung der Aktionäre, falls sie nun mal etwas für ihre Arbeitnehmer tun wollen, Grenzen gesetzt werden sollen. Wir müssen Ihnen schon jetzt erklären, daß, wie wir das Gesetz auch sonst im ganzen ansehen, die Aufrechterhaltung dieser Bestimmung
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Seuffert
in diesem § 12 es für uns allein unmöglich machen würde, dem Gesetz zuzustimmen. Wir bitten Sie deswegen, mit unserem Antrag vorzusehen, daß die neuen Anteilsrechte den Aktionären zustehen, falls sie nicht selbst etwas anderes beschließen. Weniger kann man ja doch wohl nicht verlangen.
Hierzu Herr Abgeordneter Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bestimmung des § 12 ist eine der entscheidenden Bestimmungen dieses Gesetzes, um deren Formulierung auch erheblich gerungen worden ist. Es wird Ihnen vielleicht verständlicher, wenn ich etwas aufgreife, was Herr Kollege Seuffert bei Begründung seines ersten Antrags hier gesagt hat; vielleicht ist es ihm nur aus Versehen in die Rede geflossen. Er hat nämlich von der Berichtigung des Grundkapitals und des Nennkapitals gesprochen, und das ist auch das Entscheidende, was Sie in § 12 finden. Es ist etwas unglücklich, daß dieses Gesetz den Namen „Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln . . ." trägt, ebenso wie es unglücklich ist, daß die entsprechende Bestimmung im Referentenentwurf des neuen Aktiengesetzes unter dem Abschnitt „Kapitalerhöhung" steht; denn dieser Abschnitt trägt sowohl im jetzigen Aktienrecht wie auch in dem Referentenentwurf die Überschrift „Maßnahmen zur Kapitalbeschaffung". Sehen Sie, meine Damen und Herren, haargenau darum handelt es sich nämlich in diesem Gesetz nicht. Hier handelt es sich nicht um eine Maßnahme zur Kapitalbeschaffung, sondern es handelt sich in Tat und Wahrheit um nichts anderes als um eine Kapitalberichtigung. Nun führt naturgemäß nach der ganzen Konstruktion unseres Aktienrechts jede Kapitalberichtigung zu einer Veränderung des Nennkapitals, und das nennen wir eben Kapitalerhöhung. Also man hat hier den äußeren Vorgang, den formellen Vorgang, in den Namen des Gesetzes hineingebracht. Materiell handelt es sich um eine Kapitalberichtigung. Der Gesellschaft fließen keinerlei Mittel zu, im Vermögen der Gesellschaft verändert sich nichts, und das hat zur Folge, daß sich auch an dem Mitgliedschaftsrecht des einzelnen Gesellschafters — sei er Aktionär, sei er GmbH-Anteilseigner — nichts ändert. Vermögensrechtlich und ertragsmäßig bleibt alles völlig beim alten. Es wird lediglich etwas, was Rücklage war, was also zu einer gewissen freien Disposition des Vorstandes und des Aufsichtsrates stand, nunmehr gebundenes Nennkapital. Das bedeutet, daß auf dieses gebundene erhöhte Nennkapital Dividende ausgeschüttet werden soll, und insofern können Sie davon sprechen, daß der Aktionär die Aussicht auf eine größere Dividendensumme hat. Das ist aber auch alles; im übrigen ändert sich bei der Gesellschaft und beim Aktionär nichts.
Das hat nun zwingend zur Folge, daß diese Automatik nicht durch irgendeinen Beschluß mit irgendwelchen Mehrheiten beseitigt werden kann, der von diesem Grundsatz abweicht, daß sich für den Aktionär automatisch die Veränderung des Nennkapitals in seinem Mitgliedschaftsanteil ausdrückt. Deshalb finden Sie hier in sehr scharfer Form gesagt, daß ein entgegenstehender Beschluß nichtig ist.
Ich darf gleich auf einen Einwand kommen, der in den Ausschußberatungen gemacht worden ist: Wie ist es nun, wenn alle Aktionäre einig sind und sagen, nun gut, wir wollen von diesen Aktien, die da auf das neue Grundkapital den Aktionären zufließen, anderen etwas zukommen lassen? Das ist selbstverständlich immer möglich; der Vertreter eines Vermögensteiles kann immer etwas an irgend jemand verschenken. Insofern ist es gar nicht einmal notwendig, daß alle Aktionäre einverstanden sind. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß ein Großaktionär, auf den durch die Erhöhung des Nennkapitals neue Aktien fallen, sagt: ich stelle einen Teil meiner Aktien zu irgendwelchen Zwekken zur Verfügung. Das ist dann aber kein Beschluß der Hauptversammlung, sondern das wäre eine Vereinbarung mit einem bestimmten Eigentümer, der über sein Eigentum verfügt. Das ist eigentumsgemäß, meine Damen und Herren, und darauf legen wir den entscheidenden Wert. Wir müssen das Gesetz so fassen, daß unter keinen Umständen durch einen Beschluß der Hauptversammlung irgendwie eine Enteignung des Mitgliedschaftsrechtes auch nur eines einzigen Aktionärs eintritt.
Das sind die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, meine Damen und Herren von der Opposition, die uns veranlaßt haben, diese ganze Frage bis zur großen Aktienrechtsreform zurückzustellen und hier nur von dem einfachen Grundsatz auszugehen: es handelt sich um eine Kapitalberichtigung, demgemäß um eine Berichtigung des Mitgliedschaftsrechtes des einzelnen Aktionärs, und dann ist kein Raum mehr für einen abweichenden Beschluß.
Ich bitte Sie, aus diesen Gründen den Antrag der SPD abzulehnen.
Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Herrn Kollegen Wilhelmi kurz erwidern. Ich habe eigentlich nicht verstanden, Herr Kollege Wilhelmi, inwiefern Sie einen Widerspruch in meinen Ausführungen herausgefunden haben, und habe auch nicht verstanden, wieso Ihre Beweisführung zwingend sein soll. Es kommt ja nicht darauf an, wie man es nennt. Was hier vor sich geht, ist die Umwandlung offener Reserven in Nennkapital, und daraus entstehen neue Aktienrechte oder Gesellschaftsrechte, — wie Sie es nennen wollen. Diese Gesellschaftsrechte stehen selbstverständlich an und für sich, wenn nichts anderes beschlossen wird, den Aktionären zu — wenn nichts anderes beschlossen wird! Worum es sich hier handelt, ist doch: warum will man, falls sich in einer solchen Gesellschaft einmal eine Mehrheit dafür findet, diese Aktien teilweise etwa den Arbeitnehmern zukommen zu lassen oder sie vielleicht der Gesellschaft selbst zur Ausgabe an die Arbeitnehmer zu überlassen, von Gesetzes wegen diese
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Seuffert
Möglichkeit unterbinden? Es gibt in Aktiengesellschaften sehr viele Mehrheiten aus sehr vielen Gründen. Warum soll man nun diesen Fall ausdrücklich von Gesetzes wegen ausschließen? —Herr Kollege Schmidt!
Sind Sie der Meinung, daß das mit einem Mehrheitsbeschluß erfolgen kann? Haben Sie nicht selbst gesagt, die neuen Anteile stünden ganz konkreten Gesellschaftern zu?
In der Tat bin ich dieser Meinung, Herr Kollege Schmidt, denn wenn hier von „eigentumsmäßiger Verfügung" gesprochen wird, heißt das erstens, daß man in der Gesellschaft, in der die Entscheidungen souverän fallen und fallen sollen, in der Tat auch die Verfügungen treffen kann, die man treffen will. Zweitens, Herr Kollege Schmidt, wissen Sie doch genauso wie ich, daß Rechte auf Aktien in allen möglichen Formen und in allen möglichen Beziehungen durch Mehrheitsbeschlüsse beeinträchtigt werden können. Sie wissen ganz genau, daß etwa ein Mehrheitsbeschluß über die Ausübung des Bezugsrechts oder über die Bezugsbedingungen, über den Bezugskurs usw. viel stärker in ein Aktienrecht eingreifen kann, ganz zu schweigen von einem Mehrheitsbeschluß über Gewinnausschüttungen, Reservebildungen usw., als irgend etwas anderes. Es .ist nun einmal — wenn ich das noch vorwegnehmen darf, Herr Kollege Dr. Schmidt — das Eigentümliche eines Eigentumsrechts an Aktionärsrechten, daß es innerhalb der Gesellschaft und unter der Souveränität der Gesellschaftsversammlung ausgeübt wird und daß deswegen das Eigentumsrecht auch von Gesellschafterbeschlüssen berührt werden kann.
Herr Kollege Seuffert, ist Ihnen nicht bekannt, daß über ein Sonderrecht des Gesellschafters nie gegen seinen Willen verfügt werden kann? Glauben Sie nicht, daß das Eigentumsrecht ein noch stärkeres Recht ist als das Sonderrecht?
Herr Kollege Dr. Schmidt, was ein Sonderrecht ist, ist eine Sache der Aufzählung. Ein Bezugsrecht z. B. ist schon kein Sonderrecht mehr. Wenn Sie nun den Anteil eines Aktionärs an den Reserven — darum handelt es sich in der Sache
seinen Anspruch, seine Erwartung auf Gratisaktien aus den ausgewiesenen Bilanzreserven als spezifisches Sonderrecht dieses Aktionärs ansehen wollen, wo doch diese Reserven insgesamt der Verfügung der ganzen Gesellschaft unterliegen, so vermag ich Ihnen darin nicht zu folgen.
Ich wiederhole deswegen: Ich glaube, niemand, der es mit all dem ernst nimmt, was über breite Eigentumsbildung, über gerechte Vermögensverteilung usw. gerade im Zusammenhang mit solchen Gesellschaften gesprochen worden ist, kann einer Bestimmung zustimmen, welche die Souveränität der Generalversammlung über derartige Dinge auch noch zunichte macht.
Herr Kollege Wilhelmi, wollen Sie eine Frage stellen?
Herr Kollege Wilhelmi, Sie sagten, jeder einzelne Aktionär könne nachher mit seinen Aktien machen, was er zu tun lustig sei, und könne sie den Arbeitnehmern zukommen lassen. Haben Sie sich auch überlegt, was bei solchen Transaktionen für Hindernisse an Steuern und weiß der Teufel was für Kosten eintreten? Da können Sie es mit der Schenkungsteuer zu tun bekommen, ganz abgesehen von der Börsenumsatzsteuer und anderen Dingen mehr. Warum wollen Sie es nicht der Generalversammlung überlassen, mit den Mehrheiten, die ja hier schon massiv genug sind, mit 75 %, eine solche Aktion, wenn sich die entsprechende Mehrheit darüber einig ist, einfach und glatt durchzuführen? Wenn Sie das nicht wollen, braucht man, ich wiederhole es, über viele schöne Reden bezüglich Vermögensverteilung, Mitbestimmungsrecht, Gerechtigkeit und solche Dinge nur noch zur Tagesordnung überzugehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben aus der ablehnenden Stellungnahme von Herrn Wilhelmi mit großer Befriedigung die Erklärung entnommen, daß Sie sich hier in allererster Linie auf dein Eigentumsgedanken berufen. Wir tun das mit Ihnen, und deswegen werden auch wir den Antrag der SDP ablehnen.
Herr Seuffert, wir sind der Meinung, daß bei dieser Neuordnung der Anteilsrechte, bei der Neuordnung des bestehenden Eigentums alles erhalten bleiben soll in derselben Form, in demselben Verhältnis, wie es früher bestanden hat. Deswegen muß in diesen Paragraphen eine scharfe Bestimmung aufgenommen werden, die verhindert, daß es hier zu einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse kommt.
Herr Wilhelmi hat absolut recht: wenn man eine solche Veränderung beabsichtigt, wenn man von seinem Eigentum etwas hergeben will — ob verschenken oder verkaufen —, dann kann man das bei einer anderen Gelegenheit, später tun, wie es die gesetzlichen Bestimmungen erlauben. Zunächst aber muß die Umwandlung so erfolgen, daß es bei den bestehenden Eigentumsverhältnissen verbleibt.
Deswegen lehnen wir den Antrag der SPD ab.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Deist.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wundere mich, daß bei der Besprechung dieses Paragraphen sich die Redner in juristischem Gestrüpp ergehen, während alle jene, die sonst für Eigentumsbildung in breiter Hand, insbesondere für Eigentumsbildung in Arbeit-
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Dr. Deist
nehmerhand, eintreten, schweigsam auf ihren Plätzen bleiben.
Die Abstimmung über diesen Paragraphen wird Antwort geben auf die Gretchenfrage an Sie, wie ernst Sie es mit der Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand meinen.
Es kann, ungeachtet aller juristischen Formulierungen, kein Zweifel darüber bestehen, daß mit der Ausgabe von Zusatzaktien — ich spreche in diesem Moment gar nicht davon, daß sie den Aktionären auch noch steuerfrei zugeleitet werden sollen — den Aktionären Vermögenswerte, Vermögensbestandteile zugehen. Es trifft einfach nicht zu, daß es sich real nur um eine Umgruppierung in der Bilanz handle, sondern es ist eine Veränderung der Vermögensverhältnisse.
— Meine Damen und Herren, wenn Sie mir das nicht glauben, ist vielleicht Herr Professor Othmar Bühler, einer der bekanntesten Steuerrechtler, für Sie ein gewichtigerer Zeuge. Herr Othmar Bühler hat in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 18. Juli 1959 einen außerordentlich interessanten Beitrag zu diesem Problem geleistet. Ich bitte diejenigen, die meinen, das Problem juristisch betrachten zu können, sich einmal die Ansicht dieses — das werden Sie nicht bezweifeln können — hervorragenden Juristen anzuhören. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein Zitat daraus geben:
Die Zuteilung von Gratisaktien oder von Stockdividende oder etwa eines Bonus neben der Dividende, wie er in Deutschland zuweilen vorkommt, stellt, wie immer bei der Gesellschaft arrangiert, beim Aktionär auf alle Fälle einen von seinem Kapitalbesitz herrührenden Vorteil, also Kapitalertrag dar. Ja, sie bedeutet für ihn meist einen doppelten Vorteil: den in der Zuteilung der Gratisaktien selbst liegenden und den aus der Kurssteigerung des Papiers sich ergebenden, bei dem ein solches erfreuliches Ereignis zu verzeichnen ist. Daß beides geldwerte Vorteile sind oder doch durch Realisierung werden können, dafür geben die Vorgänge, die sich täglich an Tausenden von Bankschaltern abspielen und in den Börsenberichten zu finden sind, eine so überwältigende und eindeutige Antwort, daß man sich wirklich wundern muß, wie die öffentliche Diskussion über die Frage und, wie gezeigt, sogar auch eine amtliche gesetzliche Begründung hieran achtlos vorübergehen kann.
Das ist die Auffassung eines sicherlich nicht unmaßgeblichen Juristen. Er kommt dann zum Schluß:
Wenn es, wie gezeigt, nicht nur die populäre Auffassung ist, daß die Zuteilung solcher Gratisaktien Einkommen darstellt, dann ist es eine ernste Frage der steuerlichen Gerechtigkeit, ob es verantwortet werden kann, sie steuerfrei zu
stellen, auch wenn Gründe der Kapitalmarktpflege oder konjunkturelle Überlegungen an sich vielleicht dafür sprechen.
Man sollte die Dinge so sehen, wie sie sind, und nicht so tun, als würde nur etwas in der Bilanz umgruppiert, während in Wirklichkeit geldwerter Vermögenszuwachs, Einkommen zusätzlich zugeteilt wird.
Ein anderer, ein Journalist — immerhin in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — hat festgestellt, daß die Börse diesen zusätzlichen Vermögenszuwachs natürlich honoriert und, wie die Börse das tut, schon bevor der Vermögenszuwachs zugeteilt ist; denn die Börse pflegt ja Entwicklungen vorwegzunehmen. Herr Heinz Brestel hat hierzu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt:
Die Bereicherung
— das Wort stammt nicht von mir, sondern von Herrn Brestel —
hat sich bereits über den Börsenkurs vollzogen, ohne daß die Parlamentarier darauf irgendeinen Einfluß haben nehmen können. Da Kursgewinne steuerfrei sind, ist es jederzeit möglich, diesen Gewinn ohne Steuerpflicht mitzunehmen.
Um so handfestes Einkommen, das bei einer großen Zahl von Menschen sogar noch steuerfrei bezogen werden kann, handelt es sich hier.
Was geschieht mit dieser Ausschüttung von in vergangenen Jahren angesammelten Vermögen? Es handelt sich ja überwiegend oder sogar fast ausschließlich um Vermögen, das aus der sogenannten Selbstfinanzierung angesammelt worden ist, d. h. daraus, daß die Preise in den betreffenden Unternehmen viel höher als die Kosten waren.
— Entweder liegt es an der steuerlichen Begünstigung solcher Gewinne oder an niedrigen Löhnen oder an überhöhten Preisen, daß auf dem Weg über die Selbstfinanzierung dieser ungeheure Vermögenszuwachs entstehen konnte. Die Aktiengesellschaften haben sich gescheut, mehr als 12 bis 14 % Dividende auszuschütten, weil sonst ruchbar geworden wäre, wieviel in diesen Großunternehmen eigentlich verdient wird.
Unter diesen Umständen sind wir der Auffassung, Sie sollten hier Farbe bekennen. Wenn in der Wirtschaft — wie von Ihnen selbst dutzendfach festgestellt worden ist — derart ungeheures Vermögen angereichert wird, wie steht es dann mit der Beteiligung der Arbeitnehmer an diesem Vermögen?
Man muß sich einmal den Gang der Dinge vergegenwärtigen. Wir hatten gefordert, daß es, sofern solche Ausschüttungen auf dem Weg über die Ausgabe von Gratisaktien erfolgen, nicht nur eine privilegierte Schicht von Aktionären geben sollte, sondern daß auch die Arbeitnehmer daran beteiligt werden sollten. Wir haben also einen entsprechenden Antrag gestellt.
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Dr. Deist
Was geschah daraufhin? In der Presse verlautete, in der CDU/CSU sei man prinzipiell derselben Auffassung; man überlege nur noch, in welcher Form diesem Gedanken Rechnung getragen werden solle. Danach blieb es längere Zeit im Blätterwald still, und die Beratung des gesamten Gesetzentwurfs wurde zunächst auf Eis gelegt. Am 3. September 1959 aber konnte der „Industriekurier" melden: „Der linke Flügel der CDU läßt mit sich reden."
Was geschah dann? Anstatt seiner Deklamation treu zu bleiben und zu sagen: wenn schon ausgeschüttet wird, dann auch an die Arbeitnehmer, zog man sich zunächst auf die Bestimmungen zurück, die in dem Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Aktienrechtsreform in § 196 des Aktiengesetzes vorgesehen sind. Dort steht, daß Aktien unentgeltlich auch an Arbeitnehmer ausgegeben werden können.
So weit hatten Sie sich also zurückgezogen! Nicht: wenn Gratisaktien ausgegeben werden, dann auch an die Arbeitnehmer; sondern: es sollte erlaubt sein, sie auch an Arbeitnehmer auszugeben. — Das war Vorschlag eins.
Dann kam der zweite Generalangriff von der anderen Seite. Darauf haben Sie auch diesen Gedanken fallenlassen. Ja, Sie sind bereit, in das Gesetz zu schreiben: Es ist verboten, den Arbeitnehmern Aktien aus den Zusatzaktien zu geben.
Das, meine Damen und Herren, ist Ihr Weg von der Eigentumsbeteiligung für breite Arbeitnehmerschichten bis zu diesem Entwurf!
Ich meine, jetzt wäre es an der Zeit, daß einer von Ihnen, der für Arbeitereigentum ist, hier auftritt und sagt, wie er die Deklamationen mit dieser Bestimmung des Gesetzentwurfs in Einklang bringen will.
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nacheinander die Wortmeldungen von Herrn Abgeordneten Schmidt , Herrn Atzenroth, Herrn Katzer und Herrn Burgbacher notiert. Sie sehen, das Echo ist also schon erheblich.
Herr Schmidt !
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst noch einen kurzen Beitrag zu dem „juristischen Gestrüpp", Herr Kollege Deist, damit Sie auch insoweit auf Ihre Kosten kommen.
Hinter dem juristischen Gestrüpp, das Sie meinen, steckt tatsächlich ein sehr prinzipielles Verhältnis zum Eigentum. Ihre Rede hat soeben gezeigt, daß Sie eine völlig andere Einstellung zur Eigentumsordnung haben als wir.
— Feste, feste!
- Ja, Ihre Godesberger Haltung, meine sehr verehrten Freunde von der SPD,
ist in dieser Stunde vollkommen zum Ausdruck gekommen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, worauf kommt es in diesem Augenblick an? Niemand von uns bezweifelt, daß im Anschluß an den Berichtigungsbeschluß selbstverständlich jeder Beschluß ergehen kann, der den Arbeitnehmerinteressen gerecht wird, sofern die Eigentümer über ihr Eigentum verfügen wollen.
— Die Steuer sind ja bezahlt.
Der Unterschied zwischen Ihnen, Herr Seuffert und Herr Deist, und mir ist, daß Sie zulassen wollen, daß irgend jemand anderes als ich selbst über mein Eigentum verfügen kann. Dies können wir nicht mitmachen. Wir haben eine ganz feste Eigentumsordnung, von der wir keinen Schritt abgehen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Atzenroth.
Ich bitte, meine Wortmeldung zurückzustellen, bis die beiden angesprochenen Kollegen zu Wort gekommen sind.
Herr Atzenroth bittet also, seine Wortmeldung zurückzustellen. Dann kommt jetzt erst der Abgeordnete Katzer zu Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Deist, ich habe Ihre wertvolle Mitarbeit im Ausschuß leider vermißt.
Im Ausschuß habe ich Ihren Beitrag zu dieser Frage nicht gehört, da Sie an keiner Ausschußberatung teilgenommen haben. Ich möchte das hier einmal festgestellt wissen.
Nun zur Frage des § 12. Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Haltung in der Frage ist Ihnen bekannt. Ich hätte es lieber gesehen, wenn wir hier die §§ 197 und 206 der großen Aktienrechtsreform hätten vorziehen können. Sie, Herr Kollege Dr. Deist, haben es unterlassen, darauf hinzuweisen, daß ja die SPD im Ausschuß eine Frage an den Rechtsausschuß gestellt hat. Die Frage lau-
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Katzer
tete, ob es möglich sei, die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln an die gesetzliche Voraussetzung zu binden, daß die Hälfte der auszugebenden Aufstockungsaktien an die Belegschaft über einen Investmentfonds abgeführt wird.
— Ich stelle dies nur von den Beratungen im Ausschuß fest, Herr Kollege Seuffert. Der Rechtsausschuß ist, wie aus dem Brief seines Vorsitzenden vom 12. November an den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses hervorgeht, einmütig — einmütig! — der Auffassung, daß die angeregte gesetzliche Bestimmung, die unmittelbar darauf gerichtet ist, das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre zu beschränken, einen Verstoß gegen Art. 14 des Grundgesetzes darstelle. Das war eine einmütige Feststellung des Rechtsausschusses, an der auch Kollegen Ihrer Fraktion mitgewirkt haben.
Ich würde das in diesem Augenblick nicht verschweigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren und insbesondere Herr Kollege Deist!
Ich fühle mich natürlich angesprochen, und ich finde, daß es parlamentarischer Sitte entspricht, sich in einem solchen Fall auch zu stellen.
Zunächst einmal habe ich mit außergewöhnlicher Befriedigung von offenbar zwei Wandlungen bei unserer hochgeschätzten Opposition Kenntnis genommen. Die erste Wandlung besteht darin, daß sie sich jetzt mit uns zur Eigentumsbildung bekennt und offenbar entschlossen ist, wütend darum zu kämpfen.
Die zweite Wandlung besteht darin, daß sie im Gegensatz zur Zeit der Debatte anläßlich der PreußagPrivatisierung nunmehr plötzlich zu der Erkenntnis gekommen ist, daß Aktien auch ausgezeichnete Papiere für Arbeitnehmer sind.
— Ich beantworte jede Frage und bin auch für Zwischenrufe dankbar, besonders wenn sie die Gelegenheit zu einer guten Erwiderung bieten, was meistens der Fall ist.
Herr Abgeordneter Burgbacher, wollen Sie dann eine Frage des Herrn Abgeordneten Kurlbaum beantworten?
Natürlich, gern.
Herr Burgbacher, erinnern Sie sich nicht mehr daran, daß es bei dieser Debatte um
die Veräußerung von Bundesvermögen ging und daß dabei die Hauptfrage die war, ob es richtig ist, auf Märkten, die von Unternehmen beherrscht werden, die öffentlichen Unternehmungen in Privateigentum zu überführen? Das war der für uns entscheidende Gesichtspunkt in der Diskussion. Das wissen Sie ganz genau.
Herr Kurlbaum, ich gebe Ihnen zu, daß die damalige Diskussion zum Teil auf dieser Betrachtung beruhte. Ich kann Ihnen aber nicht abnehmen, daß Sie damals nicht gegen das Risiko der Aktien in Arbeitnehmerhand gesprochen hätten.
Ich kann Ihnen auch nicht abnehmen, daß Sie so weitsichtig sind, zu wissen, daß bei all den Gesellschaften, die hier zur Debatte stehen, nicht die gleichen volkswirtschaftlichen Bedenken erhoben werden können, die auf Ihrer Seite seinerzeit im Falle der Preußag geltend gemacht worden sind. Denn Sie machen ja keine Ausnahme, sondern fordern es für alle.
Nun möchte ich freimütig bekennen, daß bei uns die Meinungen über diese Frage geteilt waren.
Wir haben diese Frage ausdiskutiert und feststellen müssen, daß namhafteste Juristen aus allen Sparten des Rechtslebens der Meinung sind, daß ein Beschluß, der über Rücklagen verfügt, so sehr in die Sonderrechte des einzelnen eingreift, daß er nicht mit Mehrheit gefaßt werden kann. Wir haben uns dieser Argumentation gefügt. Warum? Wir haben uns ihr Gefügt, weil wir nach wie vor entschlossen sind, Eigentumspolitik zu treiben, und weil wir uns daher auch nicht einmal dem Verdacht aussetzen möchten, in bestehendes Eigentum eingreifen zu wollen.
Man kann eine Eigentumspolitik nicht zu Beginn mit einer Hypothek belasten. und gutgläubige kluge Juristen und andere sind der Meinung, daß es sich hier um einen Eingriff in das Eigentum handelt. Da muß man andere Wege gehen.
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kurlbaum. der Unterschied zwischen Betriebsausgaben und Vermögensbewegung ist Ihnen so geläufig, daß ich mich dazu nicht zu äußern brauche.
— Nein, das ist ein Unterschied.
Nun dürfen wir Sie aber darauf hinweisen, daß wir im § 22 den Vorschlag machen, daß der § 65
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Dr. Burgbacher
eine andere Fassung bekommt. Darin steht auch, daß eigene Aktien erworben werden können, wenn diese Aktien den Arbeitnehmern der Gesellschaft zum Erwerb angeboten werden sollen.
Wir dürfen Sie weiter darauf aufmerksam machen, daß wir in dem folgenden Gesetz über die steuerrechtlichen Maßnahmen, das dazugehört, Ihnen einen § 5a vorschlagen. Beide Bestimmungen treffen im Kern das, was Sie meinen und was uns am Herzen liegt, die Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand. Deshalb ist Ihr scharfer Angriff auf diese Bestimmung nach der gegebenen Rechtslage als nicht berechtigt anzusehen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, jetzt eine Frage zu klären. Herr Atzenroth ist vorhin zurückgetreten. Inzwischen haben sich Herr Seuffert und Herr Harms von der antragstellenden Fraktion der SPD gemeldet. Wollen Sie nun weiterhin zurücktreten oder jetzt sprechen? — Bitte, Herr Abgeordneter Atzenroth.
Meine Damen und Herren, bei dieser bedeutsamen Debatte zeigt sich wieder einmal die völlige Verwirrung der Begriffe.
— „Sehr richtig!" sagen Sie, Herr Seuffert. Ihr Nachbar, Herr Dr. Deist, hat dazu wesentlich beigetragen, indem er immer wieder das Wort „Gratisaktien" verwendet hat, als er nämlich den Aufsatz von Herrn Professor Ottmar Bühler vorlas, der den Begriff im richtigen Sinne verwendet und von echten Gratisaktien spricht. Was Bühler da sagt, betrifft echte Gratisaktien, und dem kann man zustimmen; das betrifft aber nicht den Gegenstand unserer Debatte.
— Der Unterschied ist der, daß hier gar kein Kapital der Gesellschaft verändert wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?
Ist Ihnen nicht aufgefallen, Herr Atzenroth, daß der Artikel des Herrn Professor Bühler eine Polemik gegen diese Gesetzesvorlage war und sich mit ihr befaßt hat und er seine Ausführungen mit Bezug auf die Zusatzaktien dieser Gesetzesvorlage gemacht hat?
Das ist mir keineswegs aufgefallen.
Ich glaube auch, daß das gar nicht der Sinn der Ausführungen von Herrn Professor Bühler war.
Aber wir wollen uns jetzt nicht mit Othmar Bühler
befassen — wir haben ihn nur als Hilfe benutzt —,
sondern nur den Unterschied feststellen, Herr Dr. Deist, .der Ihnen mindestens so geläufig ist wie mir. Es ist klar, daß man hier den Begriff Gratisaktien, die ganz anders zu behandeln sind und über die wir jetzt nicht debattieren, nicht gebrauchen kann. Vielmehr handelt es sich darum, daß das vorhandene Gesellschaftsvermögen bei der Aktienausgabe in eine andere Form gekleidet wird, weiter nichts. Es wird kein Vermögen verändert. Es muß das Vermögen in der Form bestehenbleiben, wie es vorher bestanden hat, nur mit anderen Zahlen auf den ausgegebenen Aktien.
Aber, meine Damen und Herren, bei diesem Paragraphen hat sich eine Debatte entzündet, die ich eigentlich erst in der dritten Lesung erwartet hatte. Ich habe mich darauf vorbereitet, dazu erst in der dritten Lesung zu sprechen, möchte aber doch jetzt schon vorab wenigstens einige Bemerkungen machen.
Im Zusammenhang mit diesem Gesetz, das vor einem Jahr noch einen ganz anderen Charakter hatte, ist das Wort „Eigentumsbildung" in die Debatte gekommen. Was ist das für ein Wort?
Uns liegen Vorschläge vor, die von einer Schenkung von Eigentum sprechen. Darum handelt es sich doch bei diesen Vorschlägen. Hier sind zwei Parteien — ich glaube, nach Godesberg kann ich in diesem Zusammenhang von zwei Parteien reden —, die in allen ihren Äußerungen und Vorträgen der Sozialisierung abgeschworen haben. Sie bringen aber nun einige Gedanken vor, die mit dem Gedanken der Sozialisierung sehr weit sympathisieren,
die die Neuverteilung bestehenden Eigentums ohne Leistung des einen Betroffenen zum Gegenstand haben. Auch wir sind für eine Erleichterung der Eigentumsbildung. Aber Eigentum muß sich jeder selber schaffen, entweder durch Leistung — durch Arbeit oder andere Leistung — oder durch Konsumverzicht oder andere Mittel, durch die man zu Eigentum gelangt.
Herr Abgeordneter Atzenroth, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, wenn die anderen Herren ein wenig ruhiger sind. Dann kann ich Sie auch verstehen.
Herr Abgeordneter Dr. Deist zu einer Zwischenfrage! Ich darf im übrigen um Ruhe bitten.
Herr Kollege Atzenroth, würden Sie mir einmal verraten, mit welcher Leistung der Aktionär, der seit 1948 seine Aktien besitzt und dessen Eigentum nunmehr; wie am Börsenzettel abzulesen ist, das Drei- bis Vierfache, manchmal das Zehnfache seines damaligen Wertes ausmacht, diesen Vermögenszuwachs verdient hat?
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Mit dem Verzicht auf Konsum, der ihm sonst zugestanden hätte.
Damit hat er das Eigentum verdient.
— Ich möchte hier „Godesberg" rufen. Hier zeigt sich meines Erachtens Godesberg!
Hier zeigt sich das wahre Godesberg.
Herr Abgeordneter Atzenroth, Herr Abgeordneter Deist möchte Ihnen offenbar dazu noch eine Frage stellen. Sind Sie bereit? —
Ich werde es nicht übertreiben, Herr Atzenroth. Aber diese Antwort reizt doch zu einer Frage. Haben Sie nicht davon gelesen, daß überwiegend die Auffassung vertreten wird, dieser Vermögenszuwachs über die Selbstfinanzierung sei sicherlich durch Konsumverzicht, aber durch Konsumverzicht der Verbraucher herbeigeführt worden, die die überhöhten Preise zahlen mußten?
Herr Dr. Deist, Sie können doch solche allgemeinen Behauptungen gar nicht aufstellen. Vorhin haben Sie meinen Zuruf nicht gehört. Da hatten Sie gesagt: Die Preise waren höher als die Kosten. Da mußte ich Ihnen zurufen: Natürlich müssen die Preise höher sein als die Kosten. Wer würde sonst wirtschaften, wenn die Preise nicht höher sind als die Kosten? Sie unterstellen aber — das sprechen Sie nicht offen aus —, die Preise seien um zuviel höher als die Kosten gewesen.
— Das bestreite ich eben. Da liegt die Differenz zwischen unseren Auffassungen.
Aber jetzt zu den beiden Herren von der CDU, die zu der Frage der Eigentumsbildung gesprochen haben. Herr Professor Burgbacher ist leider nicht mehr anwesend. Er hat davon gesprochen, daß Sie bei diesem Vorgehen keinen Eingriff in das Eigentum vornehmen wollen. Wenn Sie so handeln, Herr Katzer, finden Sie uns absolut auf Ihrer Seite. Aber Sie wollen es in Wirklichkeit doch tun. Im Zusammenhang mit unserem Antrag, den Sie vorher abgelehnt haben, hat Herr Katzer gesagt: Was angesammelt, aber nicht mehr für den Zweck notwendig ist, wollen wir als Manipuliermasse Oder
— so hat er gesagt — Manövriermasse behalten. Man will also Eingriffe in das Eigentum vornehmen; denn das ist Eigentum der Aktionäre. Darüber kann kein Zweifel bestehen.
Herr Abgeordneter Atzenroth, Sie werden schon wieder um eine Zwischenfrage gebeten, diesmal von Herrn Abgeordneter Katzer. —
Herr Kollege Atzenroth, wollen Sie die Freundlichkeit haben, auch zu sagen, daß es sich hier um Gelder handelt, die zweckbestimmt waren, die für einen bestimmten Zweck zurückgestellt worden sind? Diesem Zweck, nämlich dem sozialen Zweck, möchten wir sie erhalten wissen.
Herr Katzer, eine in einer Aktiengesellschaft zusammengefaßte Gruppe von Eigentümern hatte die Absicht, diese Gelder für einen bestimmten Zweck auszugeben. Aus irgendwelchen Gründen, die in unserer Gesetzgebung liegen, ist der Zweck entfallen. Dadurch sind die Gelder wieder frei geworden. Sie sind also in dem Eigentum der Gesellschaft geblieben, und über dieses Eigentum muß die Gesellschaft genau so verfügen können wie über die Rücklagen.
— Steuern sind davon bezahlt worden.
— Also hier müßten wir in der Erörterung der ganzen Gesetzesvorlage von vorn anfangen.
Ich wende mich auch in dieser Frage an Sie, Herr Katzer, mit einer weiteren Bemerkung. Sie haben mir vorhin den Zuruf gemacht: Hier zeigt sich die Arbeitnehmerfreundlichkeit der FDP! Darauf habe ich Ihnen eine Antwort versprochen. Ich wollte sie Ihnen erst später geben, aber die Diskussion bringt es mit sich, daß wir jetzt darauf zu sprechen kommen müssen. Herr Katzer, Sie wollen für eine bevorrechtigte Schicht von Arbeitnehmern sorgen, während wir für alle Arbeitnehmer sorgen wollen. Das ist der Unterschied.
Sie wollen Arbeitnehmern in großen Aktiengesellschaften — denn nur diese können solche Leistungen erbringen — Zuwendungen geben. Das ist noch nicht die Hälfte der deutschen Arbeitnehmerschaft. Die große Masse der Arbeitnehmer würde von allen diesen Vorteilen ausgeschlossen bleiben. Wenn dieses Gesetz Rechtens wird, Herr Schmücker, dann müßten Sie auf unserer Seite stehen. Sie müßten mit uns dagegen kämpfen; denn es ist ein Gesetz zur weiteren Vernichtung des Mittelstandes.
Die Wettbewerbsfähigkeit zwischen den großen und den kleinen und mittleren Unternehmen bei der Beschaffung von Arbeitskräften, um die es jetzt im Zeitpunkt der Vollbeschäftigung sehr schlecht bestellt ist, würde noch weiter beeinträchtigt werden. Schon heute wird natürlich ein Arbeitnehmer, der die Wahl zwischen einem Großunternehmen und einem kleinen Handwerker hat, zum Großunternehmen gehen, weil er dort ganz andere soziale Leistungen bekommen kann als beim Handwerker. Wenn dieses Gesetz noch hinzukommt, wird sich dieser Trend in einem Maße verschärfen, daß es tatsächlich zu einer Vernichtung einer großen Zahl
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Dr. Atzenroth
von mittleren und kleinen Betrieben, insbesondere beim Handwerk, kommen wird.
Darin, Herr Katzer, liegt unsere Arbeitnehmerfreundlichkeit. Wir wollen allen Arbeitnehmern helfen und nicht eine schon bevorzugte Schicht noch weiter bevorzugen.
Meine Damen und Herren, jetzt haben wir uns von dem Änderungsantrag zu § 12 etwas weit entfernt. Ich habe gesehen, daß die letzten Bemerkungen des Herrn Abgeordneten Atzenroth soeben weitere Wortmeldungen ausgelöst haben wie die des Herrn Abgeordneten Schmücker, die wahrscheinlich mit dem § 12 nichts mehr zu tun haben. Ich bitte, doch diese Wortmeldungen noch einmal zu prüfen. Ich rufe selbstverständlich alle, die sich zum Wort gemeldet haben, auf; aber ich bitte Sie, sich jetzt möglichst konzentriert mit der behandelten Sache zu befassen.
Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß natürlich nicht, worüber die anderen Kollegen sprechen wollen. Meine Wortmeldung hat jedenfalls mit § 12 zu tun, und zwar insofern, als wir diesen § 12 — wie wir Ihnen bereits sagten — als einen Prüfstein für die Ernsthaftigkeit derjenigen Bestrebungen, Absichten usw., ansehen, die gerade von Ihrer Seite, meine Herren von der Mehrheitspartei, oder von einem Teil Ihrer Fraktion so laut kundgegeben worden sind.
Ich habe mich noch einmal zum Wort melden müssen, um mich mit einigen Vorrednern auseinandersetzen zu können; denn die Herren haben heute mehrfach die Gewohnheit gezeigt, in dem Augenblick, wo man ihnen eine Zwischenfrage stellen will, hier von der Tribüne zu verschwinden.
Herr Kollege Dr. Katzer, das, wozu der Rechtsausschuß eine Stellungnahme abgegeben hat, war etwas ganz anderes als das, was hier zur Debatte steht. Dem Rechtsausschuß ist, wie Sie selbst vorgetragen haben, die Frage vorgelegt worden, ob man nach seiner Ansicht einen Berichtigungsbeschluß in seiner Wirksamkeit daran binden könnte, daß gleichzeitig Berichtigungsaktien an Arbeitnehmer ausgegeben werden. Diese Frage — nur diese — hat der Rechtsausschuß behandelt. Ein solcher Antrag ist hier in keiner Weise von uns vor diesem Gremium gestellt worden. Er steht hier nicht zur Debatte. Was wir hier beantragen, ist etwas ganz anderes, nämlich daß man der Hauptversammlung nicht — Herr Kollege Katzer: nicht — vorschreiben sollte, daß sie, wenn sie einen solchen Beschluß fasse, auch Aktien an Arbeitnehmer ausgeben müsse, sondern sie sollte ganz im Gegenteil die Souveränität besitzen, solche Aktien in irgendeinem Umfange, wenn sie wolle, auszugeben.
Nebenbei bemerkt: nach meiner Unterrichtung hat der Rechtsausschuß seine Meinungsäußerung in Abwesenheit des dafür bestellten Berichterstatters, der unserer Partei angehört, abgegeben, und es ist ausdrücklich festgestellt warden, daß bei dieser Meinungsäußerung über einen Antrag, der hier gar nicht zur Debatte steht, keine Fraktionsmeinungen von unserer Seite ausgesprochen worden sind. Wenn dazu noch etwas zu sagen ist, dann werden das die Kollegen vom Rechtsausschuß nachher tun. Herr Kollege Katzer, Sie sind also weder durch einen Beschluß des Rechtsausschusses noch durch irgendwelche anderen juristischen oder sonstigen Meinungsäußerungen in dieser Sache gehindert, Ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und im Interesse der Vermögensbildung bei Arbeitnehmern für unseren Antrag zu stimmen.
Was Herrn Kollegen Dr. Schmidt anlangt, der von der Verschiedenheit der Auffassungen vom Eigentum gesprochen hat, so möchte ich ihn fragen, ob es nach seiner Auffassung vom Eigentum richtig ist, daß durch die Bestimmung, die er hier so heftig verteidigte, den Gesellschaftern sogar verboten wird, Berichtigungsaktien Arbeitnehmern zu überlassen, wenn sie einstimmig dazu bereit sind.
— Nein. Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht bestreiten, daß es sogar bei Einstimmigkeit durch die Bestimmung, die Sie so heftig verteidigen, verboten würde.
— Unmittelbar im Anschluß daran heißt: wenn man die Steuern, die dann im Anschluß daran auf eine solche Transaktion entfallen, bezahlt. Das ist nämlich der Witz der Dinge.
— Entschuldigen Sie, das soll ja eben festgelegt werden, daß es keine Schenkung ist und daß keine Schenkungssteuer gezahlt wird. Das ist doch der Unterschied der Sache. Natürlich, wenn Sie nachher Schenkungssteuer bezahlen, dann können sie eine ganze Menge machen. Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Schmidt, der Ansicht sind, daß eine Generalversammlung nicht einmal einstimmig solches vornehmen darf, so müssen Sie etwas anderes beantragen.
Noch zu etwas anderem! Herr Kollege Dr. Deist hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß auch nach Auffassung z. B. von Professor Bühler — das kann ja auch gar nicht bestritten werden — die Berichtigungsaktien angesammelte Erträge der Gesellschaft sind, über die hier verfügt wird, in diesem Falle durch Umwandlung in Nennkapital. Zu der steuerlichen Seite werde ich nachher noch einiges zu sagen haben. Über Erträge, Herr Kollege Dr. Schmidt, verfügt nicht ein Aktionär mit seinem Eigentumsrecht, sondern verfügt nun einmal immer die Mehrheit der Gesellschaft, soweit sie überhaupt
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Seuffert
zu dieser Verfügung kommt. Denn bevor es überhaupt zu dieser Verfügung kommt, wird über diese Erträge mannigfach verfügt. Wir haben nicht die geringste Veranlassung, Herr Kollege Dr. Schmidt, solche Gesetzessperren für den Fall einzuführen, daß hier eine Verfügung über Erträge zugunsten von Arbeitnehmern erfolgen soll.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte.
Ist Ihnen nicht bewußt, daß Sie in diesem Augenblick die steuerrechtliche und die handelsrechtliche Betrachtungsweise miteinander vermischen?
Nein, ich vermische sie nicht. Auf die steuerrechtliche Betrachtungsweise komme ich sowieso noch zurück. Immerhin ist die Feststellung von Herrn Professor Dr. Bühler, daß es sich um Erträge handelt, über die verfügt wird, sowohl für das Handelsrecht als auch für das Steuerrecht gültig. Handelsrechtlich ist diese Feststellung sowieso nicht zu bestreiten.
Über Erträge und über Vermögen des Unternehmens wird vielfach verfügt, bevor überhaupt eine Generalversammlung zu Beschlußfassungen über Ertragsverwendungen kommt. Über diese durch so anhaltenden und angestrengten Konsumverzicht verdienten Erträge verfügt die Verwaltung schon lange, ehe überhaupt irgendein Aktionär vor die Frage gestellt wird, was mit ihnen geschehen soll. Bevor die Mehrheit der Aktionäre irgend etwas beschließt, hat die Verwaltung über den größten Teil schon verfügt. Sie kann Sozialleistungen ausschütten, sie kann Parteispenden geben und kann Leihwagen verschenken, und dafür kann sie von der Mehrheit der Aktionäre entlastet werden.
Wie soll das Eigentumsrecht der Aktionäre verletzt werden, wenn wir vorsehen, daß die souveräne Generalversammlung durch eine Entscheidung über diese Dinge verfügen kann, wenn es ihr beliebt? Warum soll es sogar unzulässig sein, daß sie durch einstimmigen Beschluß eine solche Verfügung trifft?
Diese Ausführungen waren notwendig, um das juristische Gestrüpp aus dem Wege zu räumen und um ganz klar zu machen, daß Sie durch keinerlei juristisches Gestrüpp und auch nicht durch irgendwelche echten juristischen Überlegungen gehindert sind, Ihren Bestrebungen über Arbeitnehmervermögensbildung usw. freien Lauf zu lassen.
Nach der Reihenfolge der Wortmeldungen erhalten das Wort: Herr Abgeordneter Wittrock, Herr Abgeordneter Schmücker, Herr Abgeordneter Dr. Will und Herr Professor Böhm.
Herr Abgeordneter Wittrock!
— Sie verzichten.
Herr Abgeordneter Schmücker!
Ich möchte Herrn Atzenroth eine Antwort geben, da ich annehme, daß der Vorwurf, der hier zum erstenmal sehr zart angeklungen ist, bei den folgenden Paragraphen noch sehr häufig wiederholt werden wird. Vielleicht erleichtert es die Sache, wenn Sie im Interesse der Beschleunigung auf diese Vorwürfe verzichten.
— Doch, Sie haben die Frage gestellt, wie es mit der Wettbewerbsgleichheit aller Wirtschaftsgrößen bestellt sei; insbesondere in bezug auf den Mittelstand wurde diese Frage gestellt.
Herr Kollege Atzenroth, ich bin der Auffassung, daß hier möglicherweise eine Gruppe von Arbeitnehmern bevorzugt wird, die an sich noch nicht dran wäre, wenn ich das mal so sagen darf. Wir können bei diesem Gesetz nicht für alle etwas tun. Aber wenn wir uns überlegten, wen wir zuerst berücksichtigen und wen wir noch warten lassen müssen, dann wäre das reine Théorie. Wir haben hier den konkreten Fall, daß die Erhöhung des Kapitals aus Gesellschaftsmitteln vorgenommen wird. Bei dieser Gelegenheit bietet sich nun die Chance, etwas zu tun; ich gebe zu: für eine Gruppe, die an sich noch nicht dran ist. Nun, Herr Atzenroth, können Sie doch nicht folgern: Jetzt hören wir auf! Sie müßten sagen, daß Sie darauf bestehen, daß für die anderen, die noch zu schlecht weggekommen sind, auch etwas getan wird, daß wir uns also verpflichten, möglichst schnell auch diese anderen nachzuziehen.
Ich gebe Ihnen noch einen weiteren Hinweis. Als wir bei einer Steuervorlage in bezug auf die Freigrenze etwas für den Mittelstand taten, sagte Herr Miessner: Um Gottes willen, das können Sie doch nicht zu Lasten anderer Leute tun! Hier haben Sie denselben Fall, nur umgekehrt. Sie können halt immer nur eine Sache nach der anderen erledigen.
Ich bitte Sie, bei der Betrachtung dieser Vorlage daran zu denken, daß sie nicht ein Gesetz ist, das für sich allein besteht; das Gesetz muß vielmehr im Rahmen der gesamten Gesetzgebung gesehen werden. Natürlich müssen wir im Hinblick auf die kommenden Gesetze die Solidarität ansprechen. Darauf lege ich schon jetzt sehr großen Wert.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes im zuständigen Ausschuß nicht mitgemacht und habe auch den hier wiederholt zitierten Aufsatz von Herrn Professor Bühler nicht gelesen; ich muß das natürlich nachholen. Ich darf
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Dr. Will
aber schon grundsätzlich sagen, daß mich ein einzelner Aufsatz keineswegs überzeugt; denn es gibt mit Sicherheit einen anderen Professor, der einen anderen Aufsatz geschrieben hat oder noch schreibt, worin das Gegenteil gesagt ist. Es wäre das erste Mal, daß das bei einem so wichtigen Thema nicht der Fall wäre.
Was mich nun veranlaßt, dazu hier etwas zu sagen, ist der Umstand, daß mehrfach eine Sachdarstellung gegeben wurde, die einfach den Tatsachen nicht entspricht. Auf einen Kreis von Zuhörern, die mit diesen Dingen nicht so vertraut sind wie z. B. Sie, Herr Kollege Deist, mag es natürlich Eindruck machen, wenn er solche Ausführungen hört, wie Sie sie hier soeben gemacht haben!
In Wahrheit ist es aber doch nun effektiv so, daß jemand, der eine Aktie im Nennwert von 1000 DM hat, nun keineswegs der Meinung ist, daß er eine Forderung von 1000 DM an seine Gesellschaft habe, sondern er wird sich sagen: Wenn diese Gesellschaft ein Aktienkapital von z. B. 1 Million hat und auf meiner Aktie ein Nennbetrag von 1000 DM steht, dann bin ich eben am gesamten Gesellschaftsvermögen mit 1 Promille beteiligt, und das bleibe ich auch. Wenn ich nun bei dem gegenwärtigen Börsenkurs von z. B. Index 500 für diese kürzlich erworbene Aktie 5000 DM gezahlt habe, obwohl auf dem Papier nur 1000 DM stehen, und wenn ich nun ein zweites Papier erhalte, auf dem zwar auch wieder 1000 DM stehen, aber mit der Wirkung, daß beide Papiere zusammen auch nur 5000 DM wert sind — darum geht es doch —, dann habe ich gar keinen Vorteil gehabt!
Hier handelt es sich gerade nicht, Herr Kollege Deist, wie Sie wiederholt behaupteten, um eine Ausschüttung. Nein, es handelt sich im Gegenteil eher um eine Verwässerung und um sonst gar nichts. Wenn nach der Kapitalberichtigung der Kurs also nicht mehr auf 500, sondern nur noch auf 250 für die vermehrten Aktien steht, dann ist eben keine Veränderung im Vermögen des Aktionärs eingetreten. Worum es hier geht, ist einfach die Tatsache, daß ein Aktionär, der für seine Aktie im Nennwert von 1000 DM nicht nur 1000 DM, sondern vielleicht das Fünffache gezahlt hat, einen entsprechenden Anteil am gesamten Gesellschaftsvermögen erworben hat. Das gilt natürlich auch für den Kleinaktionär, und Sie wissen doch, daß etwa drei Viertel unserer verfügbaren Aktien an der Börse schon seit langem auch in Abschnitten zu 100 DM zu bekommen sind — —
— Das natürlich nicht; aber es ist doch so, daß die Aktien eben größtenteils auch schon in 100 DM gestückelt sind. Im übrigen handelt es sich dabei fast ausschließlich um Depotaktien, die in den Generalversammlungen der Aktiengesellschaften für die Stimmabgabe allein mindestens 25 % des vertretenen Aktienkapitals ausmachen.
Wogegen ich mich hier entschieden wenden möchte, ist, daß hier die Dinge immer so dargestellt
werden, wie sie nicht sind. Es handelt sich hier um ein Splitting, Herr Kollege Deist.
— Jawohl, Herr Kollege Deist, das haben wir sogar schon wiederholt gehabt. Als im Juni dieses Jahres z. B. die Concentra-Anteile gesplittet wurden, ist ihr Kurs fast auf die Hälfte heruntergegangen. Daß sich in der Folge von einer Woche zur andern der Absatz dieser Anteile verfünfzehnfacht hat, was Sie wahrscheinlich nicht wissen, hat ganz besondere Gründe. Sie liegen nämlich darin, daß die Leute offenbar glaubten, das ginge nun so weiter, die jetzt gesplitteten Anteile würden auch annähernd 200 DM wert sein, was sie aber bekanntlich bei weitem nicht sind. Hier haben Sie einen Beweis dafür, wie sich ein solches Aktiensplitting auswirken wird.
— Im Grunde genommen ist der Anteilsinhaber mit der doppelten Anteilzahl also genauso gestellt wie vorher.
— Hier ist gar kein Unterschied, weil die Anteile auch durch Aktien gedeckt sind; darüber brauchen wir hier nicht zu diskutieren. Wir wollen die Dinge doch so sehen, wie sie sind. Hier ist festzustellen, daß der Aktionär — auch und gerade der Kleinaktionär, von denen es sicherlich auch sehr viele unter den SPD-Wählern gibt — nicht zu einer privilegierten Schicht gehört, die deshalb diffamiert werden darf, weil sie ihre Ersparnisse nicht bei einer Sparkasse, sondern in Aktien angelegt hat.
Der Fall liegt nun auch nicht so, Herr Kollege Seuffert, wie beim Ausschluß eines gesetzlichen Bezugsrechtes, sondern hier handelt es sich eindeutig darum, daß bereits verteiltes Gesellschaftsvermögen, das nun den Aktionären gehört, ihnen nicht nachträglich wieder weggenommen werden kann. Das wäre eben eine Enteignung. Hier entsteht durch dieses Gesetz nur eine Verwässerung, ein Splitting und kein neues Vermögen. Deshalb kann man auch nicht nachträglich durch einen Mehrheitsbeschluß verfügen, daß jemand, der eine Aktie zu Hause in seiner Schublade hat, um den Wert seines Anteils gebracht wird. Eine Aktie ist nun mal ein Anteil nicht nur am Nennkapital, sondern am Gesamtvermögen einer Aktiengesellschaft, also einschließlich der Reserven; sonst könnte sie ja auch keinen Börsenkurs von durchschnittlich 500 % haben.
— Ich bin gern bereit, Ihre Frage zu beantworten.
Geben Sie zu, daß die Mehrheit beschließen kann, daß die Reserven, die zur Bildung von Berichtigungsaktien umgewandelt werden sollen, einfach ausgeschüttet und ausgezahlt werden, an wen auch immer? Kann sie das oder kann sie das nicht?
Nein, in diesem speziellen Fall bei einer bloßen Kapitalberichtigung kann sie das nicht; denn das wäre eine Schenkung und Bereiche-
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rung, und zwar auf dem Wege einer Enteignung der alten Aktionäre, insbesondere auch der Kleinaktionäre, die vielleicht kurz vorher für eine 100-DM-Aktie 350 DM oder noch mehr gezahlt haben, um sie zu bekommen. Darum geht es hier, um nichts anderes.
Das Wort hat Herr Dr. Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ein kurzes Wort zu dem „Rechtsgestrüpp" von Herrn Kollegen Seuffert sagen. Herr Kollege Seuffert hat gesagt, es sind Erträge, über die verfügt werden kann, und in der Verfügung über diese Erträge ist souverän allein die Hauptversammlung und die Majorität. Demgegenüber möchte ich ganz bescheiden daran erinnern, daß das Verfügungs- und Beschlußrecht der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ausschließlich auf Verfügungen über die Gesellschaftserträge beschränkt ist, die der Förderung des satzungsmäßigen Gesellschaftszweckes dienen, daß dagegen jede Verfügung über Erträge, die darauf abzielt, die Relation der Anteile zwischen den Aktionären oder im Verhältnis zwischen Aktionären und Dritten zu verschieben, der Souveränität der Generalversammlung und Hauptversammlung nicht unterliegt, sondern von der Zustimmung eines jeden Betroffenen abhängig ist. Auch die einstimmige Beschlußfassung ist nicht zulässig, sondern jeder, auch jeder Abwesende muß zustimmen. Über die Anteile, die vertragsmäßigen ursprünglichen Anteile, die vermögensmäßigen und gesellschaftsrechtlichen Anteile an der Gesellschaft kann nur dann durch die Hauptversammlung verfügt werden, wenn das schon in der Satzung vorgesehen ist und sich die Aktionäre bei der Übernahme der Aktien, beim ersten Male damit einverstanden erklärt haben. Es ist historisch durchaus logisch gewesen, wenn z. B. Goerdeler die Absicht hatte, im Falle der Beseitigung des Dritten Reiches gegen diejenigen Aktiengesellschaften, Verwaltungen und eventuell auch Hauptversammlungen, mit dem Untreueparagraphen vorzugehen, die ungewöhnliche Ausschüttungen aus den Gesellschaftserträgen an die NSDAP bewirkt haben. Ich bin der Meinung, das ist durchaus korrekt, und ich würde eine Bitte aussprechen.
Ich habe immer ein gewisses Unbehagen, wenn über „formales Recht" oder über „Rechtsgestrüpp" gespottet wird, weil sich hinter diesem Spott ein leider weit ausgebreiteter Mißstand verbirgt. Ich spreche jetzt hier nicht etwa von einer bestimmten Fraktion dieses Hauses; ich spreche von den Mißständen, die sich auch im Aktienrecht und unter den Aktienrechtspraktikern und Aktienrechtsjuristen in der Vergangenheit herausgebildet haben. Es handelt sich da um einen Rechtszynismus. Es ist ganz gleichgültig, ob man diesen Rechtszynismus begeht, um die vermögensrechtlichen Interessen irgendeines Aktionärs im Verhältnis zu den anderen Aktionären unrechtmäßig zu verstärken, oder ob man es im Interesse der Belegschaft tut.
Es ist in beiden Fällen nicht sauber. Wir wollen zurückkommen auf den Boden einer wirklich ehrlichen Eigentumsverfassung, die besagt, daß ohne das Einverständnis des Eigentümers niemand anders den Eigentümer gegen seinen Willen in seinem Rechte kränken darf, auch keine Majorität, soweit es sich um die vermögensrechtliche Quote an seiner Gesellschaft handelt.
Das muß „hauptversammlungssicher" sein. Ich möchte Sie beschwören, meine Herren, kehren Sie zurück zur Milch der reinen Denkungsart!
Herr Abgeordneter Böhm, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Jawohl.
Herr Abgeordneter Seuffert, ich habe es mehrere Male versucht. Bitte!
Es tut mir leid!
Herr Kollege Böhm, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß es dem Gesellschaftszweck förderlich sein kann, wenn die Aktionäre einer Gesellschaft den Arbeitnehmern ihrer Gesellschaft Aktien zuwenden wollen, und wollen Sie das ernsthaft auch nur möglicherweise als aktienrechtliche Untreue bezeichnen?
Die zweite Frage — das ist nun schon mehr „juristisches Gestrüpp" —: Sie haben gesagt, eine Generalversammlung könne nicht mit Mehrheit einen Beschluß fassen, der die Beteiligungsverhältnisse in der Gesellschaft verschiebt. Wollen Sie nicht zugeben, daß Entscheidungen über Bezugsrechte, die immer mit Mehrheit gefaßt werden, sehr oft die Mehrheitsverhältnisse verschieben?
Die erste Frage war, ob ich bestreite, daß es zur Förderung des Gesellschaftszwecks, der Gesellschaftsinteressen dienen kann, das zu tun. — Der Gesellschaftsinteressen — ja! Es handelt sich aber hier nicht um die Gesellschaftsinteressen, sondern um den satzungsmäßigen Gesellschaftszweck. Es mag auch durchaus im Interesse der Gesellschaft gelegen haben, daß während des Dritten Reiches die SS mit enormen Beträgen geschmiert wurde. Aber das war niemals der satzungsmäßige Zweck einer Aktiengesellschaft. Es ist durchaus im Interesse einer Aktiengesellschift, es zu erreichen, daß Belegschaftsmitglieder Aktionäre dieser Gesellschaft werden. Die Frage aber, wie das erreicht werden kann, ohne daß hauptversammlungsfeste Vermögenspositionen über den Kopf des Vermögensinhabers hinweg tangiert werden, ist eine Frage des Rechts und darf nicht durch einen guten Zweck, auch nicht durch den besten Zweck geheiligt werden. Wir müssen uns wieder auf gewisse eherne und saubere Spielregeln zurückbesinnen, die nicht besagen, was gute Zwecke und was schlechte Zwecke sind, sondern die besagen, wie
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Dr. Böhm
gute Zwecke allein realisiert werden dürfen. Das ist die Frage, um die es hier geht.
Daß in Hauptversammlungen über Bezugsrechte beschlossen wird, halte ich auch nur für zulässig, wenn die Satzung derartige Beschlußfassungen vorsieht. Sieht sie sie nicht vor, dann ist es nicht zulässig, daß in der Praxis dagegen gesündigt wird. Ich gebe Ihnen gern zu, meine Herren von der SPD, daß Sie nicht die ersten sind, die hier gegen die geheiligten, für mich in diesem Fall durchaus intakten Grundsätze des Eigentums verstoßen wollen. Sie haben hier Vorbilder in der Aktienpraxis selbst. Aber der Unterschied zwischen Ihnen und mir in diesem Falle ist: Sie wollen sich an die Sünden der Kapitalistenseite anhängen im Interesse der Belegschaft; ich will die Sünden der Kapitalistenseite wieder beseitigen.
Meine Damen und Herren, ich habe im Moment keine Wortmeldungen mehr vorliegen. Damit wäre die Diskussion pro und contra zu dem Änderungsantrag Umdruck 435 Ziffer 3 erledigt. Ich rufe nunmehr zur Abstimmung darüber auf. Wer dieser Ziffer 3 des Antrages Umdruck 435 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das letzte ist eindeutig die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich darf dann über § 12 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf die §§ 13, — 14, — 15, — 16, — 17,
— 18, — 19, — 20, — 21. Dazu liegen weder Wortmeldungen noch Änderungsanträge vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 22. Hierzu liegen wieder Änderungsanträge vor. Ich rufe zuerst auf den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 438 Ziffer 2. Anschließend kommt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 435 Ziffer 4.
Herr Abgeordneter Dahlgrün!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Fraktion der Freien Demokraten zu beantragen, den Zweiten Abschnitt — Gewinn- und Verlustrechnung — des Gesetzentwurfs Drucksache 416 heute nicht zu verabschieden — im Gegensatz zum Abschnitt I —, sondern ihn im Rechtsausschuß anhängig sein zu lassen, und zwar in Erfüllung des Überweisungsauftrages, den wir am 15. Oktober 1958 einstimmig beschlossen haben. Ich würde vorschlagen, daß wir den Rechtsausschuß um bevorzugte Behandlung des Zweiten Abschnittes bitten. Das heißt also, ich gehe grundsätzlich nicht darauf aus, diesen Zweiten Abschnitt, betreffend die Gewinn- und Verlustrechnung, bis zur Großen Aktienrechtsreform zurückzustellen. Nötig scheint es mir aber zu sein, daß sich der Rechtsausschuß zu diesem Abschnitt äußert, nachdem er sich bisher nur auf bestimmte Fragen zum Ersten Abschnitt geäußert hat.
Der Zweite Abschnitt enthält verschiedene Vorschriften, gegen die nach meiner Überzeugung und nach Überzeugung meiner Fraktion verfassungsrechtliche Bedenken bestehen können. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir nicht mit der heißen Nadel nähen sollten — ein Vorwurf, der ja hin und wieder gegen das Parlament erhoben wird —, sondern gerade bei diesen so außerordentlich wichtigen Vorschriften vorsichtig sein und dem Rechtsausschuß Gelegenheit geben sollten, sich mit dieser Materie zu befassen, wozu er bisher aus Gründen, die dahingestellt bleiben mögen, noch keine Zeit und Gelegenheit gehabt hat.
Einige wenige Ausführungen zur Begründung des Antrages, den Zweiten Abschnitt des Gesetzentwurfs heute noch nicht zu verabschieden! Vorweg möchte ich grundsätzlich feststellen, daß die FDP durchaus auch heute noch zu den Erklärungen steht, die sie bei früheren Gelegenheiten abgegeben hat, bei den Aktiengesellschaften sei eine größere Publizität anzustreben. Wir haben schon bei früherer Gelegenheit mit Befriedigung festgestellt — auch Sprecher anderer Fraktionen haben das getan. —, daß im Laufe der letzten Jahre sehr viele Aktiengesellschaften einen erheblichen Schritt in Richtung auf jenes Ziel getan haben. Trotzdem mag eine gesetzliche Regelung durchaus am Platze sein.
Eine Neufassung der bisherigen Publizitätsvorschriften gehört zu dem Anliegen, das auch wir vertreten: im Rahmen der Aktienrechtsreform die Rechte des Aktionärs zu verstärken. Aber meiner Ansicht nach gehen verschiedene Vorschriften in dem vorliegenden Gesetzentwurf zu weit. Diese Vorschriften sollten vom Rechtsausschuß sorgfältig geprüft werden. Ich möchte nur daran erinnern, daß die Vorschriften der bisherigen Fassung in vielen Punkten weit über das hinausgehen, was in ausländischen Rechten an Publizität gefordert wird. Wenn man diese Bestimmungen aus dem Zusammenhang reißt, in dem sie nun einmal stehen, d. h. wenn man sie vorab, vor der Großen Aktienrechtsreform regelt, erschwert man die Harmonisierung im europäischen Raum. Man schafft für die Aktienrechtsreform gefährliche Präjudizien.
Jedenfalls scheint es mir richtig zu sein, vor Verabschiedung einer derartigen Regelung ein Gutachten des Rechtsausschusses einzuholen, in welchem uns der Rechtsausschuß mit juristischen und betriebswirtschaftlichen Argumenten darlegt, wie eine derartige Regelung gestaltet sein könnte oder sollte.
Ich habe verfassungsrechtliche Bedenken z. B. dagegen, daß Aktiengesellschaften von einer bestimmten Größe ab verschärften Publizitätsvorschriften unterliegen sollen. Mir scheint dadurch der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz beeinträchtigt zu sein.
Im übrigen sind die Veränderungen, die der Wirtschaftsausschuß an der Regierungsvorlage vorgenommen hat, Beweis genug für meine Ansicht, daß der Rechtsausschuß damit befaßt werden sollte. Zum Beispiel die Einschränkung der Anwendbar-
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Dr. Dahlgrün
keit der Bestimmungen auf Unternehmen bis zu einer bestimmten Bilanzsumme — im allgemeinen 3 Millionen DM, bei Familienaktiengesellschaften 10 Millionen DM — scheint bedenklich. Bilanzsummen sind veränderliche Größen. Der Rechtsausschuß sollte sich mit diesen Fragen eingehend befassen und festzustellen versuchen, welches der beste Weg ist.
Es gibt auch noch andere, subtilere Gründe. Man hat Publizitätsvorschriften gemacht gewissermaßen aus Ressentiment gegen sehr große Unternehmungen, um ihnen „auf die Schliche zu kommen", wie man es hat lesen können. Dabei scheint mir z. B. vergessen zu sein, daß diese Bestimmungen geeignet sind, auf der anderen Seite kleineren und mittleren Unternehmungen Schwierigkeiten zu bereiten. Denken Sie an das Problem der Mitteilung der Umsätze! Bei einem Riesenunternehmen mit einem breiten Fabrikationsprogramm spielt das gar keine Rolle und kein Mensch kann etwas daraus ersehen. Bei einer kleinen Firma, die nur ein Produkt fabriziert, kann das sehr bedenklich sein.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Publizitätsvorschriften des englischen Rechts in bezug auf die Schiffahrt, wo Ausnahmebestimmungen zum Schutz der britischen Seeschiffahrt, insbesondere der Linienschiffahrt, gelten. Wir werden nach meiner Ansicht um eine solche im Interesse der deutschen Reeder liegende Regelung auch bei uns nicht herumkommen. Das ist eine Aufgabe für den Rechtsausschuß.
Ich will es mir jetzt versagen, vor der Entscheidung über diesen allgemeinen Antrag auf die einzelnen Änderungsanträge, die Ihnen im Umdruck 439 vorliegen, zurückzukommen, und bitte Sie, zuerst über den allgemeinen Antrag abzustimmen, die Beratung des zweiten Teils des Gesetzentwurfs im Rechtsausschuß anhängig sein zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, habe ich Sie recht verstanden? Sie wollen in erster Linie Rückverweisung an den Rechtsausschuß beantragen, und im Falle der Ablehnung Ihres Antrags soll der Antrag, den Sie soeben begründet haben, zur Abstimmung gestellt werden. Ist das richtig? —
Dann darf ich zunächst den Berichterstatter bitten, auszuführen, was er zu dem Antrag auf Rückverweisung zu sagen hat. Wir sind uns doch wohl darüber klar, daß man nicht einen Teil, sondern nur das Ganze zurückverweisen kann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Herrn Dahlgrün richtig verstanden habe, will er nur, daß der zweite Teil an den Rechtsausschuß zurückverwiesen wird; im übrigen soll der Entwurf heute verabschiedet werden. Gegen .ein solches Verfahren habe ich allerdings Bedenken. Aber das habe ich nicht als Berichterstatter zu sagen.
Die Vorlage ist am 15. Oktober dem Wirtschaftsausschuß — federführend — und zur Mitbeteiligung dem Finanz- und Rechtsausschuß überwiesen worden. Der Wirtschaftsausschuß hat Gelegenheit genommen, zu einigen Fragen, die strittig waren, auch andere Ausschüsse, z. B. den Ausschuß für Lastenausgleich, formell zu hören, indem er eine besondere Anfrage an sie gerichtet hat. An den Rechtsausschuß wurden meines Wissens im Januar dieses Jahres in einem Schreiben vier Fragen gerichtet. Zwei dieser Fragen wurden später auf Antrag vom Wirtschaftsausschuß zurückgezogen. Diese Fragen wurden behandelt. Wir haben im Wirtschaftsausschuß aus der Tatsache, daß uns der Rechtsausschuß materielle Anträge oder eine sonstige Stellungnahme nicht mitgeteilt hat, entnommen — ich glaube damit die Auffassung der Mehrheit des Ausschusses wiederzugeben —, daß damit die Behandlung im Rechtsausschuß erledigt war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Hoogen hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht als Mitglied der CDU-Fraktion, sondern als Vorsitzender des Rechtsausschusses. Es ist richtig, daß der Rechtsausschuß an der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs mitberatend beteiligt war. Für die Beteiligung des Rechtsausschusses war insbesondere die Erwägung maßgebend, daß der zweite Teil dieses Gesetzes, von dem der Herr Kollege Dahlgrün eben sprach, in erster Linie bürgerliches Recht enthält. Er enthält nämlich Aktienrecht, das praktisch in das Handelsrecht, also in das bürgerliche Recht gehört. In den zehn Jahren, in denen wir hier im Hause die Gesetzentwürfe beraten, haben wir regelmäßig die Gesetzesvorlagen, die bürgerliches Recht enthielten, an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß überwiesen.
Herr Kollege Dr. Barzel sagt, daß der Wirtschaftsausschuß an den Rechtsausschuß vier Fragen gerichtet und später auf die Beantwortung von zwei Fragen verzichtet habe. Das ist in der Tat so. Aber ich glaube, Herr Kollege Dr. Barzel, Sie meinen nicht, daß der Wirtschaftsausschuß damit versucht habe, dem Rechtsausschuß den Umfang seiner Beratungsmöglichkeit vorzuschreiben.
Diesen bestimmt der Rechtsausschuß selbst.
Der Rechtsausschuß hat sich, um dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß die Arbeit zu erleichtern, zunächst einmal auf die Beratung der verfassungsrechtlichen Fragen beschränkt, die Herr Kollege Katzer heute nachmittag durch die Verlesung meines Briefes dem Hohen Hause mitgeteilt hat.
Mit dem zweiten Teil hat sich der Rechtsausschuß aus folgenden Gründen bisher nicht befaßt. Wir waren der Meinung — jedenfalls war ich dieser Meinung —, daß diese Frage nicht ohne die Anhörung eines oder mehrerer betriebswirtschaftlicher Sachverständiger behandelt werden könne. Hinter diesen Fragen stecken nämlich betriebswirtschaftliche Probleme, und der Rechtsausschuß ist nicht in der glücklichen Lage, ein Mitglied zu haben, das auf
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Hoogen
diesem Gebiet besondere Fachkenntnisse hat. Meine Absicht war es, diesen Teil des Gesetzentwurfs, wenn es so weit sei, unter Hinzuziehung eines Sachverständigen von außerhalb des Hauses, der besondere Kenntnisse auf dem Gebiete der Betriebswirtschaft hat und auf diesem Gebiet eine besondere Autorität ist, im Rechtsausschuß zu beraten.
Herr Kollege Barzel, Sie meinen, der erste Teil des Gesetzentwurfs könne nicht verabschiedet werden. Ich glaube mich aber zu entsinnen, daß wir ein solches Verfahren in früheren Jahren hier im Hohen Hause schon einmal praktiziert haben. Wenn wir den ersten Teil des Gesetzentwurfs heute verabschiedeten, würden wir gewissermaßen Ihren Bericht als eine Art ersten Bericht ansehen, während der zweite Teil des Gesetzentwurfs, dem Wunsche der FDP-Fraktion entsprechend, im Rechtsausschuß anhängig bliebe, bei dem er ja auch anhängig gemacht worden ist. Der Rechtsausschuß würde dann — hier stimme ich Herrn Kollegen Dahlgrün durchaus zu — unter Zurückstellung aller anderen Dinge sofort nach der Weihnachtspause mit der Beratung dieses zweiten Teiles beginnen, so daß dann nach der Weihnachtspause ein zweiter Bericht mit den Vorschlägen des Rechtsausschusses hier im Plenum beraten werden kann.
Ich glaube, die dadurch entstehende Verzögerung von vielleicht zwei oder drei Monaten wäre durchaus erträglich. Deswegen darf ich Sie — ich halte mich dazu als Vorsitzender des Rechtsausschusses für verpflichtet, weil diese Materie noch nicht beraten ist — doch bitten, dem Antrag der FDP-
Fraktion, den Herr Kollege Dr. Dahlgrün eben begründet hat, zu entsprechen, d. h. also den ersten Teil des Gesetzes heute zu verabschieden — was geschäftsordnungsmäßig durchaus möglich ist — und den zweiten Teil im Rechtsausschuß anhängig bleiben zu lassen, damit er mit der nötigen Beschleunigung alsbald nach der Weihnachtspause verabschiedet werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die Debatte jetzt auf die Frage der Rückverweisung zu konzentrieren, und zwar zunächst auf die theoretische Frage der Zulässigkeit und dann auf die eventuellen praktischen Folgen für diesen Gesetzentwurf, falls so verfahren werden soll. — Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wäre eine mißliche Angelegenheit, wenn jetzt zwischen dem Kollegen Hoogen und mir eine Auseinandersetzungüber die Art der Behandlung dieser Vorlage begänne. Aber ich kann doch ein gewisses Erstaunen nicht verschweigen. Herr Hoogen, es wäre dem Rechtsausschuß durchaus möglich gewesen, sich in die Beratungen einzuschalten. Ich habe mich mit Ihnen und auch mit dem Ausschuß in Verbindung gesetzt, und es sind keine Einwendungen gegen die Verabschiedung gekommen.
Die Vorlage ist in der 24. Sitzung am 5. November 1958 überwiesen worden. Sie ist in sieben Sitzungen beraten worden, und es hat ein mehrfacher Schriftwechsel stattgefunden. Nach meiner Meinung sind alle Vorkehrungen getroffen worden, um die Mitberatung der Ausschüsse wenigstens zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren, ich habe, da im Ausschuß ganz klare Entscheidungen — wenn auch mit unterschiedlichen Mehrheiten — gefällt worden sind und die Vorlage heute zur dritten Beratung ansteht, die Bitte, die Beratung des Gesetzentwurfs heute auch abzuschließen. Alle Fragen, die hier ais überprutenswert bezeichnet worden sind, sind in den uns vorliegenden Änderungsantragen angesprochen. Diese Fragen sind auch im Ausschuß beraten worden, und ich habe vor jeder Abstimmung ausdrucklich die Frage gestellt, ob der Ausschuß bereit sei, nunmehr die Verabschiedung vorzunehmen. Die Verabschiedung ist jeweils erst nach der Bejahung dieser Frage vorgenommen worden. Ein Wunsch auf Vertagung eines besonderen Teiles ist niemals geäußert worden.
Aus all diesen Gründen bitte ich, heute — hic
Rhodus, hic salta! — zu den einzelnen Fragen Steillung zu nehmen und die Vorlage zu verabschieden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich im weiteren Verlauf der Debatte darüber aussprechen wollten, wie Ihrer Auffassung nach die Sache weitergehen soll. Wenn das Haus beschließen sollte, den zweiten Abschnitt an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen, entstünde folgende Lage. Wir wären mit der zweiten Lesung des ersten Abschnittes fertig, wir hätten den zweiten Abschnitt zurückverwiesen und würden dann mit dem dritten Abschnitt in der zweiten Lesung fortfahren, wären damit am Schluß der zweiten Lesung eines Bruchstückes und müßten danach die ganze weitere Debatte abschließen und mit der dritten Lesung warten, bis sich der Ausschuß zu dem zweiten Abschnitt geäußert hat. Das ist zunächst meine Auffassung. Ich stehe hier unter dem Eindruck eines ähnlichen Vorfalls, der sich gestern nachmittag in der Beratenden Versammlung der Westeuropäischen Union ereignet hat. Da wurde ein Teil zurückverwiesen, ein Teil angenommen, und das Ergebnis am Schluß war nach meiner Überzeugung ein Tohuwabohu.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoogen hat nicht in seiner Eigenschaft als Fraktionsmitglied gesprochen, wie er vorhin selbst dargelegt hat. Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich hier unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß, wenn der zweite Teil an den Ausschuß zurücküberwiesen werden sollte, dann das ganze Gesetz an den Ausschuß zurücküberwiesen werden muß und daß wir dann die Beratungen abbrechen müssen.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, der Auffassung des Herrn Präsidenten widersprechen zu müssen. Wir können durchaus einen Teil des Gesetzes an den Rechtsausschuß zurückverweisen. Eigentlich ist es ja keine Zurückverweisung, sondern eine Verweisung zur Nachholung der Beratung, die nicht geschehen konnte. Das können wir durchaus tun, und wir können das übrige Gesetz verabschieden. Das soll keineswegs dadurch gestört oder gehemmt werden.
Der zweite Abschnitt enthält nur zwei Punkte. Er enthält eine Änderung des § 65 des Aktiengesetzes, die zweifellos im Zusammenhang mit dem ersten Teil steht, aber ohne die der erste Teil durchaus als Gesetz verkündet werden und bestehen kann. Vollends hat der zweite Punkt, die Änderung des § 132, mit dem Inhalt des Gesetzes überhaupt nichts zu tun, wie sich schon aus der Überschrift des Gesetzes ergibt. Gerade zu diesem § 132, zu den Publizitätsvorschriften, wäre es dringend notwendig, daß man, wie der Herr Vorsitzende des Rechtsausschusses gesagt hat, im Rechtsausschuß unter Zuziehung betriebswirtschaftlicher Sachverständiger berät.
Wir schlagen Ihnen also nochmals vor, in der Weise zu verfahren, wie es Kollege Dahlgrün vorgeschlagen hat und wie es auch Herr Hoogen befürwortet hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, mir ist nicht unbekannt, daß die Geschäftsordnung theoretisch vorsieht, daß eine Vorlage auch teilweise an den Ausschuß zurückverwiesen werden kann. Aber die Frage ist doch, ob das logisch, sinngemäß und zweckmäßig ist. Das ist die Frage, die ich meinerseits zur Debatte hatte stellen wollen.
Nunmehr liegt ein weitergehender Antrag der CDU/CSU vor, soeben begründet von Herrn Katzer, das ganze Gesetz zurückzuüberweisen.
— Bitte schön, darf ich bitten, zu korrigieren!
— Ich glaube, darin sind wir uns völlig einig. Aber ich hatte es so verstanden, daß Sie den weitergehenden Antrag stellen, das Gesetz zurückzuverweisen.
— Sie wollen also sagen, Sie interpretieren den Antrag der FDP dahin, daß darin ein Antrag auf Zurückverweisung des Ganzen liegt.
— Bitte, Herr Kollege Barzel hat das Wort. Ich möchte das erst klarstellen.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Fraktion der CDU/CSU ist gegen eine Aufspaltung der beiden Teile dieser Materie.
Namens der Fraktion der CDU/CSU stelle ich hiermit in aller Form den Antrag, den Überweisungsantrag der Freien Demokraten abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nachdem das nunmehr klargestellt ist, hat das Wort der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich sind mit dem soeben gestellten Antrag des Kollegen Barzel meine Ausführungen überflüssig geworden; denn ich habe im Namen der Bundesregierung die dringende Bitte an das Hohe Haus zu richten, dieses Gesetz heute insgesamt zu verabschieden.
Es besteht ein öffentliches und ein soziales Interesse daran, daß das Gesetz in seiner Gesamtheit behandelt und verabschiedet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu dem Antrag auf Rücküberweisung liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag der FDP auf Rücküberweisung des zweiten Abschnitts an den Rechtsausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Danke schön. Enthaltungen? — Abgelehnt.
Zur Begründung des Sachantrags Umdruck 438 Ziffer 2 hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Der erste Teil des zweiten Abschnitts gehört der Sache nach eigentlich in den ersten Abschnitt. Im Ausschuß ist mit Mehrheit beschlossen worden, das Aktiengesetz zu ändern. Nach den bisherigen Bestimmungen des Aktienrechts darf eine Aktiengesellschaft eigene Aktien nur erwerben, wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.
Zu dieser alten Möglichkeit soll nun noch eine, zweite Möglichkeit hinzukommen, nämlich für den Fall, daß Aktien den Arbeitnehmern der Gesellschaft zum Erwerb angeboten werden sollen. Dabei muß man zunächst einmal das Wort „Erwerb" interpretieren. Im Ausschuß ist Klarheit darüber geschaffen worden, daß das Wort „Erwerb" auch Schenkung, d. h. kostenlosen Erwerb, bedeuten kann. Wenn es sich um den Erwerb zum normalen, vollen Preis ohne besondere Steuerbegünstigung handelte, brauchte ich meinen Antrag nicht zu begründen; dann würden wir keinen Antrag stellen. Aber da die Befürworter dieses Änderungsantrages sich im Ausschuß darüber einig waren, daß unter
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Dr. Atzenroth
Erwerb auch die Schenkung verstanden werden müsse, haben wir unseren Antrag auf Änderung gestellt.
Durch die Bestimmung soll der Verwaltung eines Unternehmens die Möglichkeit gegeben werden, eigene Aktien zu erwerben und sie dann den Arbeitnehmern der Gesellschaft — wieder die Beschränkung, Herr Katzer, auf den bevorzugten Kreis — zum Erwerb anzubieten, als Weihnachtsgratifikation zu geben oder in sonstiger Form zu schenken.
Das könnte der Vorstand einer Gesellschaft aus eigener Machtvollkommenheit tun. Nach der jetzigen Bestimmung muß er vielleicht den Aufsichtsrat, braucht aber nicht seine Hauptversammlung zu fragen. Darin sehen wir einen Eingriff in das Eigentum, Herr Burgbacher.
— Hier handelt es sich um etwas ganz anderes. Hier würde man die Gesellschaftsverhältnisse völlig verändern. Der Vorstand kann jedes Jahr zwar nur höchstens 10 % des Aktienkapitals an Arbeitnehmer geben, wenn er das aber drei Jahre lang macht, gibt es auf einmal in der Hauptversammlung eine qualifizierte Minderheit von Arbeitnehmern.
— Natürlich, wenn er dann noch Vorstand ist. Aber wenigstens die ersten Male kann er es tun, selbst auf die Gefahr hin, daß er dann nicht mehr Vorstand ist. Sie wissen genau, wie selbstherrlich der Vorstand einer großen Aktiengesellschaft sein kann. Welche Rechte hat denn die große Masse der sogenannten Volksaktionäre bei der Preußag, oder welche Rechte haben denn die Hunderttausende von Aktionären von Mannesmann? Die können doch den Vorstand nicht absetzen! Das können Sie wirklich nicht behaupten. Der Vorstand könnte, wenn er wollte, so handeln.
Weil wir uns einmal auf Ihre Erklärung, meine Herren, von der CDU, daß Sie das Eigentum nicht angreifen wollen, zum anderen auf die Erklärung von Herrn Kollegen Seuffert berufen, der von der souveränen Vertretungsmacht der Gesellschafterversammlung gesprochen hat, deswegen schlagen wir vor, daß ein Beschluß hierüber der Genehmigung der Hauptversammlung bedarf. Die Hauptversammlung als die Vertreterin des Eigentums ist die einzige Berechtigte, die über das Eigentum verfügen kann, die also berechtigt ist, Aktien der Gesellschaft an irgend jemanden, in diesem Falle an Arbeitnehmer, auszugeben. Das halten wir für eine dringende Notwendigkeit, wenn Sie Ihren Prinzipien treu bleiben wollen, das Eigentum zu erhalten, und wenn es richtig ist, was Kollege Seuffert gesagt hat, daß nämlich die Hauptversammlung die „souveräne Vertretung" der Gesellschaft ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon angedeutet, daß in dem Änderungsantrag der FDP die besondere „Arbeitnehmerfreundlichkeit" dieser Partei sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Herr Kollege Atzenroth, die Begründung, die Sie gegeben haben, kann in gar keiner Weise befriedigen. Wenn das, was Sie vorhaben, Wirklichkeit würde, wäre das eine völlige Neuerung. Zu Ende gedacht, würde das nämlich bedeuten, daß künftig alle sozialen Leistungen mit Zweidrittelmehrheit von der Hauptversammlung beschlossen werden mußten.
Das wäre aber sozialpolitisch ein Rückschritt sondergleichen.
Nun zu Ihrer Argumentation! Ich komme dabei auch auf die Bemerkungen zu sprechen, die von der sozialdemokratischen Fraktion — Herr Kollege Deist ist leider im Augenblick nicht da — vorhin zu § 12 gemacht worden sind.
§ 22, den wir einfügen wollen, schlägt eine Änderung des Aktiengesetzes in § 65 vor. Auf diese Idee sind wir gekommen, nachdem der Rechtsausschuß den ersten Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion als gegen Art. 14 des Grundgesetzes verstoßend bezeichnet hat. Wir sind dazu gekommen, nachdem auch unser Vorschlag, die §§ 197 und 206 der großen Aktienrechtsreform vorzuziehen, in unserer Fraktion auf erhebliche Rechtsbedenken gestoßen ist. Deshalb war es sehr voreilig, meine verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß Sie glaubten, die Arbeitnehmergruppe der CDU- Fraktion besonders attackieren zu müssen. Im Hinblick auf das Steuergesetz Drucksache 417 bin ich der Meinung, daß § 65 des Aktiengesetzes in der geänderten Form durchaus einen sinnvollen Anknüpfungspunkt für das bildet, was unser Ziel ist, nämlich für eine Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an dem Erwerb von Aktien, für eine breite Eigentumsstreuung. Ich gebe zu: es ist ein bescheidener Ansatz, aber es ist ein Ansatz, der in Verbindung mit dem Steuergesetz Drucksache 417 für die Arbeitnehmerschaft der Unternehmungen durchaus attraktiv ist.
Herr Kollege Atzenroth, mit dein Wort ,,attraktiv" komme ich selbstverständlich zu Ihnen; denn Sie machen uns jetzt von der anderen Seite einen Vorwurf und sagen: Sie wollen damit einen Personenkreis begünstigen, der es doch gar nicht nötig hat, und das ist unrecht. Wir, so sagen Sie, die schrecklich soziale FDP, wir wollen alle Arbeitnehmer begünstigen. Sie müssen uns nur einmal sagen, wie Sie das machen wollen. Das haben Sie bisher in Ihren Bemerkungen verschwiegen.
Es darf doch gar keinen Zweifel darüber geben — und ich bin dankbar, daß gerade Herr Kollege Schmücker das vorhin in sehr deutlicher und sehr vernünftiger Weise dargestellt hat —: sozialen Fortschritt können wir, wie wir meinen, nicht von heute auf morgen erzielen, indem wir alles umkrempeln. Die ganze Geschichte der Sozialpolitik ist eine Geschichte der evolutionären Entwicklung,
4984 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Katzer
eine Geschichte des „Schritt für Schritt". So werden auch wir in diesem Gesetz einen kleinen Schritt für einen Teil der Arbeitnehmerschaft tun. Wir sind dankbar, Herr Kollege Atzenroth — Sie werden bald Gelegenheit haben, zu Ihrem Wort zu stehen —, daß Sie bereit sind, für die gesamte Arbeitnehmerschaft etwas zu tun. Wir wären dankbar, wenn wir bei den kommenden Gesetzesvorschlägen, die wir Ihnen noch in dieser Legislaturperiode zur breiten Streuung des Eigentums in Arbeiterhand vorlegen werden, auch Ihre Unterstützung finden würden, nachdem Sie sich vorhin für sie im Lippenbekenntnis so nachdrücklich ausgesprochen haben.
Lassen Sie mich als letztes noch ein sehr ernstes Wort zu dem sagen, was ja immer wieder anklingt und was an Wettbewerbschancen, Mittelstand usw. rührt. Es ist ein ernstes Problem, und ich bin bereit, dem Mittelstand, den mittelständischen Betrieben und Unternehmungen alle Möglichkeiten der Startchancen zu geben.
— Das müssen unsere mittelständischen Freunde einmal überdenken. Ich bin bereit, ihnen auch meine Unterstützung dazu zu geben. Mehr können Sie wohl von mir nicht verlangen. Aber wir sind in der Marktwirtschaft, und wir haben in der Marktwirtschaft — ich habe das Wort nicht erfunden — auch den Arbeitsmarkt. Es ist doch ganz selbstverständlich, daß die Arbeitnehmerschaft sich den Arbeitsplatz sucht, der für sie am attraktivsten ist. Dieses Recht wollen Sie, meine Damen und Herren von der FDP, doch hoffentlich nicht beschneiden und wollen nicht gerade an dem Punkt beim Menschen anfangen, nachdem Sie bisher die Ware so nachdrücklich unterstützt haben.
Ich möchte daher bitten, den Antrag der FDP Umdruck 438 nicht anzunehmen, sondern abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Katzer, ich weiß nicht, wie Sie zu der Unterstellung kommen, ich hätte sagen wollen, daß künftig alle sozialen Leistungen eines Betriebes von der Generalversammlung beschlossen werden müßten, und gar mit Zweidrittelmehrheit. Das ist doch völlig aus der Luft gegriffen. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß es hier um etwas ganz anderes geht als um die normalen sozialen Leistungen, die der Vorstand einer Aktiengesellschaft durchzuführen hat. Hier handelt es sich darum, daß eine Veränderung in der Zusammensetzung des Aktienkapitals eintritt und daß sie von dem Vorstand vorgenommen wird. Da sagen wir: das muß die Hauptversammlung, das kann nur die Hauptversammlung beschließen. Wenn der Vorstand in diesem Jahr 10 % der Aktien an Arbeitnehmer verschenkt, dann ist die Zusammensetzung der Hauptversammlung schon geändert. Wenn die
Hauptversammlung diese Änderung billigt, — gut, dann sind wir damit einverstanden. Aber der Vorstand soll nicht von sich aus eine solche Änderung vornehmen können. Der Vorstand kann nach dieser Fassung des Gesetzes bis zu 10 % der Aktien in einem Jahr an Arbeitnehmer seines Betriebes, ich sage mal: verschenken. Er muß nicht verschenken, die Aktien können auch auf andere Weise auf die Arbeitnehmer übergehen, aber der Grenzfall ist das Verschenken. Damit ändert er die Zusammensetzung der gesamten Gesellschaft, und das wollen wir verhindern. Das wollen wir nicht in sein Belieben, sondern in das Belieben derjenigen stellen, die, wie Herr Seuffert sagte, die souveräne Vertretung der Gesellschaft sind.
Herr Katzer, Sie kommen wieder auf die Frage zurück: Arbeitnehmerfreundlichkeit oder nicht? Das sind doch in diesem Zusammenhang zunächst einmal Redensarten. Wir wollen sehen, was geschieht. Ihr Kollege Schmücker hat mir bestätigt, daß Ihre Maßnahme, selbst wenn man sie für richtig hält, zunächst auf die Falschen zielt. Er hat gesagt — nicht wörtlich —: Hier haben wir mal zufällig etwas, was wir verteilen können; das geben wir diesen Leuten, selbst wenn es an die falsche Adresse kommt. — So dürfen wir keine Politik machen! Wenn Sie solche Vorschläge machen, dann müssen Sie sich doch überlegen, wie wir zuerst an die kommen, die es am meisten nötig haben. Sie geben zu, daß die Arbeitnehmer, die nicht in Aktiengesellschaften tätig sind, am ehesten bedürftig sind. Sie sind nicht in den Genuß der großen sozialen Leistungen gekommen, die Gesellschaften wie das Volkswagenwerk oder andere gewähren konnten, weil sie nichts an einen Eigentümer abzuführen brauchten. Die Arbeitnehmer in diesen Gesellschaften sind gegenüber anderen Gruppen bevorzugt. Hier gibt es schon zwei Klassen von Arbeitnehmern, und Sie würden diesen Klassenunterschied noch weiter verschärfen. Dagegen wehren wir uns.
Herr Katzer, Sie haben mich angesprochen. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen zu gehen, wenn Sie andere Vorschläge machen, die alle Arbeitnehmer berücksichtigen, wenn — nun kommt wieder die Einschränkung — Sie dabei kein Eigentum verletzen. Hier verletzen Sie Eigentum. Das wollen wir verhindern. Wir wollen, daß die Eigentümer allein berechtigt sind, über dieses Eigentum zu verfügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache darüber.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag zu § 22 Nr. 1 auf Umdruck 438 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag Umdruck 435 Ziffer 4 auf. Er bezieht sich auf den § 22. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Kurlbaum.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4985
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat schon gelegentlich der Diskussion über die Konzentration in der Wirtschaft einige Anträge gestellt und in der Diskussion zusätzliche Vorschläge gemacht. Sie bezogen sich darauf, daß es für uns von entscheidender Bedeutung ist, daß gleichzeitig mit den Publizitätsverbesserungen, die im Regierungsentwurf enthalten sind, Publizitätsverbesserungen durchgeführt werden, durch die die personelle Verflechtung der Unternehmungen untereinander deutlicher wird. Wir schlagen deshalb vor, in § 128 des Aktiengesetzes einen vierten Absatz aufzunehmen, der lautet:
Sind Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats gleichzeitig Mitglied eines Vorstands oder Aufsichtsrats einer anderen Aktiengesellschaft, ist dies für jeden einzelnen Fall anzugeben.
Das bedeutet, daß der Öffentlichkeit die personelle Verflechtung der großen Aktiengesellschaften untereinander deutlich gemacht werden muß.
Wir beantragen zweitens, daß ein ganz neuer Abs. 5 angefügt wird, der lautet:
Im Geschäftsbericht sind alle Gesellschaften, an denen die Gesellschaft mit mindestens zehn Prozent des Grund-
— ich darf hier einfügen: und des Stammkapitals; das letzte fehlt in dem Umdruck —
und Stammkapitals beteiligt ist, sowie die Höhe dieser Beteiligung aufzuführen.
Wir müssen sagen: Grund- und Stammkapital, damit Beteiligungen sowohl an Aktiengesellschaften als auch an Gesellschaften mit beschränkter Haftung betroffen werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen — ich habe das schon in der Konzentrationsdebatte kurz getan —, daß die französische Regierung im Februar 1959 eine Verordnung erlassen hat, die Aktiengesellschaften von einer bestimmten Größe an vorschreibt, ihren Wertpapierbestand im einzelnen anzugeben. Das geht schon wesentlich über das hinaus, was wir hier verlangt haben. Wir haben es auf mindestens 10 % des Grundkapitals beschränkt.
Wir messen einer solchen Erweiterung der Publizitätspflicht außerordentliche Bedeutung bei. Durch den Bericht des Bundeskartellamts ist deutlich geworden, daß das Bundeskartellamt bezüglich der marktbeherrschenden Unternehmen praktisch aktionsunfähig ist, und zwar einfach deshalb, weil es nicht in der Lage ist, den Umfang der Marktbeherrschung im einzelnen deutlich zu übersehen. Der entscheidende Gesichtspunkt ist aber für uns der, daß vor allen Dingen auch der Öffentlichkeit gegenüber der Konzentrationsprozeß — sei es, daß er sich durch personelle Verflechtung manifestiert, sei es, daß er sich durch Aufkauf von Beteiligungen zeigt — deutlich gemacht werden muß. Dazu kommt, daß von einer solchen Publizität der Verflechtungen auch eine bremsende Wirkung auf den Aufkauf von Beteiligungen, auf die Verschachtelungen und damit auf die Konzentration zu ,erwarten ist. Darauf
kommt es uns entscheidend an. Es wird viele Gesellschaften geben, für die es mit ausschlaggebend sein wird, ob sie ihre Beteiligungsverhältnisse angeben müssen, wenn sie ihre Beteiligungen erweitern, oder ob sie das nicht tun müssen.
Dieselben Vorschläge haben wir auch im Ausschuß vorgebracht. Im Ausschuß war aber bei Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, keine Gegenliebe zu finden. Wir haben Ihnen deshalb gesagt, daß wir uns genötigt sehen, diese Vorschläge nochmals im Plenum vorzubringen. Sie haben uns im Ausschuß gesagt, daß es richtig wäre, diese Vorschläge bis zur großen Aktienrechtsreform zu vertagen. Aber, meine Damen und Herren, damit kommen wir wieder zu derselben Debatte, die wir hier gelegentlich der Diskussion über die Konzentration gehabt haben. Wollen wir angesichts der schwierigen Probleme, die der Konzentrationsprozeß uns aufzeigt, diese Dinge auf die lange Bank schieben? Das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein, und ich möchte damit schließen: Wenn Sie das Problem der Konzentration nicht auf die lange Bank schieben wollen — das würde geschehen, wenn Sie es bis zur großen Aktienrechtsreform vertagen —, dann müssen Sie auch in diesem Gesetzentwurf etwas dafür tun. Wir haben schon bei anderer Gelegenheit Vorschläge gemacht, z. B. zum Umwandlungssteuergesetz; auch diese Chance, die Konzentration sofort zu bremsen, haben Sie nicht wahrgenommen. Wenn Sie jetzt auch bei diesem Gesetz die Chance nicht wahrnehmen, der Konzentration Bremsen anzulegen, müssen wir annehmen, daß es Ihnen mit Ihrem Willen, der Konzentration entgegenzutreten, in Wirklichkeit nicht ernst ist.
Ich bitte daher, unsere Anträge anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir gehen von einem verschiedenen Publizitätsbegriff aus, wie mit diesen Anträgen der SPD deutlich wird. Wir haben es hier mit der Änderung des Aktiengesetzes und mit Publizitätsvorschriften, die den Aktionären einen besseren Einblick in die Gesellschaft geben sollen, zu tun. Wir haben es aber nicht damit zu tun, hier eine Publizität für die Öffentlichkeit zu schaffen, und damit unterscheiden wir von der CDU/CSU uns von Ihnen, meine Herren von der SPD, glaube ich, grundsätzlich. Der Sinn dieses Aktiengesetzes und seiner Publizitätsvorschriften bezieht sich darauf, den Aktionär, der es schon ist, und den präsumtiven Aktionär — also alles, was mit dem Kapitalmarkt zusammenhängt und was einmal eine Aktie kaufen will — zu orientieren. Das geschieht durch die Veröffentlichung der Jahresbilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Das, worum es sich hier handelt, ist eine Angelegenheit, die mit der Publizität im Sinne des Kapitalmarkts gar nichts zu tun hat, sondern — nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren von der SPD — das
4986 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Dr. Wilhelm!
ist eben schon eine Schnüffelei in die Einzelheiten der Gesellschaft hinein.
Im Grunde genommen hat der Aktionär kein Interesse daran, zu wissen, wo die Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder seiner Gesellschaft noch anderweit im Aufsichtsrat sitzen.
Er hat — das gebe ich Ihnen zu — an sich ein Interesse daran, die Beteiligungsverhältnisse zu kennen. Darüber läßt sich reden, und darüber wird auch schon sehr deutlich geredet. Sie brauchen nur den neuen § 145 im Referentenentwurf aufzuschlagen; da sind schon Ausweitungen des Geschäftsberichts vorgesehen, und darunter findet sich z. B. auch die Ausweitung, daß gegenseitige Beteiligungen angegeben werden müssen. Das liegt in dieser Richtung, und ich gebe Ihnen ohne weiteres zu, daß man bei der großen Aktienrechtsreform darüber sprechen kann, ob man das nicht ganz allgemein für Beteiligungen von einer gewissen Höhe an vorschreiben soll. Ob dafür 10 % der richtige Betrag sind, ist allerdings sehr zweifelhaft. Das ist ein ganz neuer Betrag. Man könnte an den Betrag des Schachtelprivilegs von 25 % denken. Das alles sind Dinge, über die man reden kann. Aber jetzt in dieses Gesetz, in dem es sich darum handelt, die Publizitätsvorschriften für die Gewinn- und Verlustrechnung festzulegen, besondere Bestimmungen für ein ganz anderes Gebiet, nämlich für den Geschäftsbericht, hereinbringen zu wollen, scheint mir abwegig zu sein, zumal in die Bestimmungen über den Geschäftsbericht sehr eingehend auch die Konzernverflechtungen und alles, was erst im neuen Aktienrecht geregelt wird, hineinkommen müssen. Das können Sie hier doch nicht vorwegnehmen.
Wie gesagt, wir bestreiten entschieden, daß die Publizitätsvorschriften, die wir jetzt iu diesem Gesetz bringen, dem schwammigen Begriff der Öffentlichkeit dienen sollen, wie es Ihnen immer vorschwebt.
Sie sind dazu bestimmt, dem Aktionär zu dienen, der an dem Unternehmen beteiligt ist. Das ist der grundsätzliche Unterschied der Auffassungen über die Frage, wozu eine Publizität da ist, ob für den Aktionär oder für den schwammigen Begriff der Orientierung der Öffentlichkeit.
Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der SPD abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind jetzt bei einem sehr wichtigen Punkt unserer Diskussion angekommen. Hier wird von dem „schwammigen Begriff der Öffentlichkeit" gesprochen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich frage Sie einmal ganz deutlich: Stehen Sie tatsächlich auf dem Standpunkt, daß die Öffentlichkeit kein Recht darauf hat, zu erfahren, in welchem Umfange es der Wirtschaft geliegt, in den Wettbewerb einzugreifen und Marktstrategie zu betreiben? Das ist der entscheidende Punkt, an dem wir jetzt angekomen sind, und ich würde mich sehr freuen, wenn sich noch ein anderer Sprecher oder aber der Herr Bundeswirtschaftsminister zu dieser Frage hier deutlich äußerte.
Für uns ist die Frage der Publizität gegenüber der Öffentlichkeit eine Frage der Demokratie überhaupt; es ist die Frage, ob wir eine Demokratie in der Wirtschaft haben oder ob ein Management, das hinter verschlossenen Türen ohne Kenntnis der Öffentlichkeit seine Geschäfte machen und den Markt manipulieren kann. Um diese Frage geht es.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Wilhelmi hat sich bemüht, herauszustellen, welches unser Anliegen bei dieser Vorlage ist, nämlich den Aktionären die Möglichkeit eines verstärkten Einblicks zu geben, während Sie von der SPD das Anliegen der öffentlichen Kontrolle in den Vordergrund gestellt haben. Nun ist es, glaube ich, unbestritten, daß sich diese beiden Anliegen an gewissen Punkten überschneiden; denn ich kann ja den Aktionären kaum einen Einblick geben, ohne daß ich gleichzeitig auch der Öffentlichkeit die Möglichkeit gebe, einen Einblick zu nehmen. Aber, Herr Kurlbaum, der Unterschied scheint mir darin zu liegen, daß Sie zwar eine günstige Gelegenheit ausnutzen wollen, auf dem Gebiet des Aktienrechts noch etwas für die öffentliche Kontrolle zu tun; wenn wir aber etwas Grundlegendes im Interesse des Funktionierens des Marktes tun wollen, dann müssen wir das doch ohne Rücksicht auf die Rechtsform der Unternehmen tun.
Die Frage kann also in dieser Novelle gar nicht endgültig geregelt werden. Das geht auch daraus hervor, daß Sie hier sagen: „Sind Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats gleichzeitig Mitglieder eines Vorstands oder Aufsichtsrats einer anderen Geselllschaft" usw. Meine Damen und Herren, das ist nicht das Ausschlaggebende.
— Nein, Herr Dr. Deist, es kommt doch darauf an, in welchem Umfang die dadurch entstehende Macht den Markt beeinflußt. Es ist durchaus möglich, daß der Umfang einer Aktiengesellschaft so gering ist, daß vom Interesse der Öffentlichkeit her gesehen gar kein Bedürfnis besteht, sie zu durchleuchten. In dem Augenblick, wo das Interesse der Öffentlichkeit entsteht, wo also der Marktanteil so groß wird, daß das beobachtet werden muß, würde ich persönlich es bejahen. Aber das wiederum hat nichts mit der Aktiengesellschaft allein zu tun. Das geht alle Unternehmen ohne Rücksicht auf ihre Unternehmensform und ihre gesellschaftsrechtliche Verfassung an. Darum muß diese Frage generell geregelt werden und nicht speziell.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4987
Schmücker
Wir haben uns doch verständigt, daß wir die Anträge, die zur Konzentrationsdebatte gestellt worden sind, zu Beginn des nächsten Jahres in aller Gründlichkeit im Ausschuß beraten wollen. Dann werden wir uns entscheiden müssen, wie wir dieses Ihr Anliegen, das ich in weiten Teilen unterstütze, realisieren können. Mir scheint es aber nicht gerechtfertigt zu sein, das bei diesem speziellen Gesetz zu versuchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte zu diesem Antrag ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 435 Ziffer 4. Ich lasse getrennt abstimmen — ich nehme das Einverständnis der Antragsteller an — über Ziffer 4 Nr. la betreffend § 128 Abs. 4. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu Umdruck 435 Ziffer 4 Nr. lb. Der Antrag ist mündlich dahin ergänzt worden, daß hinter dem Wort „des Grundkapitals" einzusetzen ist „oder des Stammkapitals". Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Zu den Seiten 17, 18, 19 und 20 der Ausschußvorlage Drucksache 1409 liegen keine Änderungsanträge vor. Ich nehme an, daß das Wort hierzu nicht gewünscht wird. — Es ist nicht der Fall.
Dann rufe ich auf den Änderungsantrag Umdruck 439. Die Ziffern 1, 2 und 3 sollen wohl gemeinsam begründet werden? — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, nach der vorangegangenen Debatte kann ich mich bei der Begründung des Änderungsantrags Umdruck 439 kurz fassen.
In Ziffer 1 wünschen wir eine Änderung der Ausschußfassung von § 132 Abs. 5 Nr. 1 und 2 des Aktiengesetzes. Bei diesen Bestimmungen geht es darum, generelle Ausnahmen von der verschärften Publizität zu schaffen, wenn die Bilanzsumme 3 Millionen DM, bei Familiengesellschaften 10 Millionen DM nicht übersteigt. Wir machen Ihnen mit unserem Änderungsantrag den Vorschlag, statt von der veränderlichen Bilanzsumme von Grundkapital der Aktiengesellschaften auszugehen. Wir meinen, daß das Grundkapital eine konstantere Größe ist,
die nicht solchen möglicherweise schnellen Veränderungen unterliegt wie die Bilanzsumme.
Mit Ziffer 2 möchten wir in § 132 Abs. 5 durch Anfügung einer neuen Nummer 3 eine weitere Ausnahme schaffen. Nach unserer Meinung brauchen die verschärften Publizitätsvorschriften nicht auf eine Tochtergesellschaft angewandt zu werden, die hundertprozentig einem anderen Unternehmen gehört.
Alles, was von dieser Tochtergesellschaft erarbeitet wird und in deren Bilanz steht, erscheint in der Konzernbilanz. Ich erinnere Sie daran, daß sowohl in der Begründung des Entwurfs wie im Bericht des Herrn Kollegen Dr. Barzel steht, daß es das Ziel dieses Gesetzes ist, eine bessere Unterrichtung des Aktionärs herbeizuführen. Meine Damen und Herren, eine Tochtergesellschaft in hundertprozentigem Besitz eines anderen Unternehmens ist Dritten gegenüber nicht verantwortlich, sondern nur dem Hauptunternehmen. Das Ziel des Gesetzes ist bei einer solchen Gesellschaft überhaupt nicht zu erreichen, — wenn es wirklich dieses Ziel ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Professor!
Herr Kollege Dahlgrün, erlauben Sie mir eine Zwischenfrage. Würde dieser Antrag nach Ihrer Meinung auch berechtigt sein, wenn die Dachgesellschaft nichts anderes hat als ein Hauptbuch und ein Firmenschild und alle ihre Sachwerte in hundertprozentigen Tochtergesellschaften untergebracht hat?
Ja, Herr Professor, und zwar deshalb, weil dafür dann in vollem Umfange die verschärften Publizitätsbestimmungen für die Dachgesellschaft gelten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie sich klar darüber, daß das für viele Gesellschaften die Gelegenheit sein wird, dann die Publizitätsvorschriften nur für die Gesamtheit beider Gesellschaften erfüllen zu brauchen? Daß das dann der Anlaß sein wird, noch die letzten Kleinaktionäre der Tochtergesellschaft aufzukaufen und damit auszubooten? Ist das auch Ihr Anliegen?
Nein, ich glaube nicht, daß das eintritt; denn dazu ist ja die Fassung dieser vorgeschlagenen Nr. 3 zu eindeutig. Und im übrigen: ich halte nur an dem fest, was Begründung und Bericht des Wirtschaftsausschusses als Ziel des Gesetzes herausgestellt haben. Das kann ich mir nun wirklich bei dieser Konstruktion nicht vorstellen; das Ziel ist ja gar nicht zu erreichen.
Immerhin könnte man darüber bei der Aktienrechtsreform auch noch einmal reden. Bei diesem Gesetz jedoch, unter dem Gesichtspunkt des Zieles dieses Gesetzes kann ich keinen Sinn darin finden, daß Sie Einwendungen gegen die vorgeschlagene Bestimmung haben.
Ich darf in der Antragsbegründung fortfahren.
4988 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Dr. Dahlgrün
In Ziffer 3 beantragen wir, dem § 132 einen neuen Abs. 6 anzufügen. Wir sind wirklich der Meinung, daß für viele oder doch eine ganze Reihe von kleinen und mittleren Unternehmen, die eine gleichartige Produktion haben, die verschärften Publizitätsvorschriften bedenklich sind, weil die Ertragslage und die Kostenstruktur des Unternehmens in einer Form offengelegt werden müßten, die zur Folge hätte, daß im Wettbewerb eine bedenkliche Lage geschaffen werden könnte. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich bei der Begründung des Antrages auf Anhängiglassen im Rechtsausschuß schon den Fall der Seeschiffahrt angezogen habe. Bei einer Reederei, die z. B: im Liniendienst nur nach einem Land fährt, würde, wenn sie in Form einer Aktiengesellschaft betrieben wird, die Offenlegung der Bilanz nach den verschärften Bestimmungen über die Publizität es ermöglichen, daß das Land, wohin gefahren wird, und die Konkurrenz genau erkennen können, was es mit der Ertragslage oder der Kostenstruktur dieser Reederei auf sich hat. Meine Damen und Herren, das wollen Sie ja doch alle mit diesen verschärften Vorschriften nicht erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 439 bezwecken sämtlich eine Veränderung der Publizitätsvorschriften. Die Tendenz dieser Anträge ist eine weitere Einschränkung der Publizitätsvorschriften. All diese Vorschläge sind im Wirtschaftsausschuß eingehend erörtert worden und haben dort keine Mehrheit gefunden.
Wenn wir der Ziffer 1 des Antrags Umdruck 439 folgten, d. h. nicht auf die Bilanzsumme, sondern auf das Grundkapital abstellten, so würden wahrscheinlich sehr viele Aktiengesellschaften nicht unter die Publizitätsvorschriften fallen, die nach der bisher vorgesehenen Fassung darunter fielen. Wir glauben, daß die Gestaltung der Gewinn- und Verlustrechnung nach der Bilanzsumme und nicht nach dem Grundkapital festgelegt werden sollte. Denn das Grundkapital ist oftmals höchst unterschiedlich und willkürlich festgelegt. Ich erinnere, um die Debatte nicht aufzuhalten, nur an einen einzigen Fall: Daimler-Benz hat ein Grundkapital von 72 Millionen DM und eine Bilanzsumme von 662 Millionen DM. Wir halten die Bilanzsumme für ein aussagekräftigeres Kriterium und befinden uns damit auch in Übereinstimmung mit einer Untersuchung, die kürzlich in „Wirtschaft und Statistik" vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht worden ist. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz daraus verlesen : „Die wirkliche Größe eines Unternehmens ist daher heute besser aus der Bilanzsumme abzulesen." Es folgt ein Vergleich mit Ihrem Vorschlag. — Aus den dargelegten Gründen bitten wir, den Antrag Umdruck 439 Ziffer 1 abzulehnen.
Zu Ziffer 2 hat Kollege Professor Burgbacher durch eine Zwischenfrage bereits deutlich gemacht, welche Konsequenzen eine Annahme dieses Antrags haben könnte. Wir sind der Meinung, daß man um der Gleichbehandlung, der Firmenklarheit und -wahrheit willen die in diesem Antrag vorgeschlagene Ausnahme für die „hundertprozentigen Töchter" nicht zulassen sollte.
Ziffer 3 des Antrags 439 betrifft die — von uns im Ausschuß sehr sorgfältig geprüfte — Frage, ob gewisse Ausnahmen für sogenannte Einprodukt-Unternehmen zugelassen werden sollten. Wir wissen, daß diese Frage etwas heikel ist, und behalten uns daher vor, künftig — etwa im Rahmen der großen Aktienrechtsreform — gewisse Änderungen vorzunehmen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch halten wir eine derartige Regelung nicht für erforderlich, weil wir immer noch vergeblich danach trachten, tatsächliche Hinweise auf die Existenz und die Konkurrenzlage solcher Unternehmen zu bekommen. Es kommt hinzu, daß die Formulierung, die die Fraktion der Freien Demokraten vorschlägt: „Gesellschaften, die nur gleichartige Erzeugnisse nach dem gleichen Verfahren herstellen oder gewinnen", sehr unbestimmt ist. Ich fürchte, sie könnte den Weg zu einer uferlosen Praxis eröffnen. Wir bitten daher, auch die Ziffer 3 des Antrags Umdruck 439 abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich nehme an, die Antragsteller sind damit einverstanden, daß ich über den Antrag auf Umdruck 439 ziffernweise abstimmen lasse.
Wer dem Antrag Umdruck 439 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Antrag Umdruck 439 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Antrag Umdruck 439 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Damit sind die Änderungsanträge zu § 22 erledigt.
Ich rufe auf die §§ 23, — 24, — 25. — Änderungsanträge hierzu liegen nicht vor.
— Es liegt nur noch ein Antrag auf Einfügung eines § 22a — Umdruck 435 Ziffer 5 — vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß unser Antrag, der sich auf § 41 des GmbH-Gesetzes bezieht, übersehen worden ist, weil er auf der Rückseite des Umdrucks 435 steht. Vielleicht ist es auch dem Kollegen Schmücker so gegangen, als er sich so stark dafür einsetzte, die Publizität auf alle Rechtsformen auszudehnen. Ich bin Herrn Kollegen Schmücker sehr dankbar dafür, daß er den Boden für unseren Antrag so gut bereitet hat.
— Bitte sehr!
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4989
Herr Kollege Kurlbaum, ist Ihnen entgangen, daß der Kollege Schmücker zu dem Antrag zu § 128, der den Geschäftsbericht betrifft, gesprochen hat, während Ihr Antrag die Gewinn- und Verlustrechnung betrifft?
Aber er hat zu der Frage der Rechtsreform gesprochen. Ich ,glaube, das Protokoll wird das bestätigen.
— Gut.
Meine Damen und Herren, wir haben schon bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs darauf hingewiesen — das war vor über einem Jahr —, daß es auf die Dauer unerträglich sein und zu einer Abwanderung in. andere Rechtsformen führen müßte, wenn wir die erweiterten Publizitätsvorschriften auf die Aktiengesellschaft begrenzten.
Wie recht wir haben, meine Damen und Herren, ergibt sich aus dem, was wir heute in den Zeitungen lesen. In der Süddeutschen Zeitung wird von einem Umwandlungsfieber gesprochen. Es wird gesagt: Die freien Aktionäre werden ausgebootet. Fine andere Zeitung schreibt von den „geprellten freien Aktionären".
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, finden Sie es angesichts dieser Lage, wie sie sich jetzt entwickelt hat, wirklich richtig, immer noch darauf zu bestehen, daß die Behandlung all dieser Fragen auf die große Aktienrechtsreform vertagt wird? Und finden Sie es angesichts dieser Nachrichten, die täglich in allen Zeitungen zu finden sind, die nicht nur die Interessen kleinerer Aktionäre, sondern auch die Interessen mittlerer und kleiner Unternehmen aufs stärkste betreffen, immer noch richtig, davon zu sprechen, daß man warten könnte?
Wir haben, wie ich vorhin schon sagte, bereits einmal einen solchen Antrag gestellt, der auch eine in dieses Umwandlungsfiebe.r eingreifende Regelung bezweckte. Es war unser Antrag zur Verkürzung der Laufzeit des Umwandlungssteuergesetzes. Meine Damen und Herren, dem Steuerfiskus wären Hunderte von Millionen erspart worden, wenn Sie unseren Antrag angenommen hätten, und — was noch viel wichtiger ist — es wäre eine zu Lasten der Steuerzahler gehende Konzentration weiterer Vermögen in derselben Größenordnung vermieden worden.
Ich glaube daher, daß wir überhaupt nicht mehr zögern können, sondern die Publizitätsvorschriften kurzfristig mindestens auf die GmbH ausdehnen müssen, schon allein deshalb, weil wir der Abwanderung in diese Rechtsform, die meist mit der Ausbootung von Kleinaktionären verbunden ist, Einhalt gebieten müssen, vor allen Dingen aber deshalb, weil es unerträglich ist, daß Publizitätsvorschriften, die wir vom Standpunkt der Öffentlichkeit für notwendig halten, umgangen werden können, indem man einfach in einer anderen Rechtsform Unterschlupf sucht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß zu diesem Antrag zunächst sagen: Spät kommt er, doch er kommt. Denn wir hatten bisher keine Gelegenheit, uns in den Ausschüssen über diesen Antrag überhaupt eingehend zu unterhalten. Es ist ein völlig neuer Gedanke, daß man bei diesem Teil der Publizität, die sich ausschließlich aufs Aktienrecht bezieht, nun plötzlich zu einer Änderung des GmbH-Rechts kommt. Im übrigen wissen wir alle, wenigstens diejenigen, die sich mit der Materie befassen, daß das GmbH-Recht zur Zeit im Ministerium überarbeitet wird und daß beabsichtigt ist, eine Neufassung des GmbH-Rechts in Kürze vorzulegen.
— Wann das geschehen wird, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was „in Kürze" in diesem Sinne heißt. Aber jedenfalls wird das GmbH-Recht bearbeitet.
Ich möchte Sie davor warnen, diesem Antrag stattzugeben, weil Sie hier auf einem Teilgebiet, nämlich auf dem Gebiet der Publizität, zwei verschiedene Gesellschaftsformen, die ihre ganz verschiedene Zweckbestimmung im Recht und in der Wirtschaft haben, in einem Punkt einfach zusammenwerfen. Wir können niemals, ganz gleichgültig, von welchen Publizitätsvorstellungen wir ausgehen, die Aktiengesellschaft und die GmbH in den Publizitätsvorschriften gleichstellen. Die GmbH ist ein völlig anderes Gebilde als die Aktiengesellschaft. Die GmbH ist gerade der Typ der Gesellschaft, die nicht die Absicht hat, an den Kapitalmarkt heranzugehen. Die GmbH ist im Wechsel ihrer Anteile außerordentlich schwerfällig. Sie wissen, die Anteile müssen notariell übertragen werden. Es ist also kein Schutz der präsumtiven Teilhaber erforderlich. Für die Publizitätsvorschriften sind hier ganz andere Gesichtspunkte maßgebend, so daß eine schematische Übertragung der Publizitätsvorschriften für die Aktiengesellschaft auf die GmbH — und das ist der Sinn Ihres Antrages — auf alle Fälle falsch ist. Damit will ich nicht sagen, daß nicht die Vorschriften für die GmbH, auch die Publizitätsvorschriften, im großen Zusammenhang einer GmbH-Reform einmal eine Überprüfung erfahren können.
Im übrigen, Herr Kollege Kurlbaum, glaube ich wirklich nicht, daß durch die Annahme Ihres Antrages die Auswüchse, von denen Sie gesprochen haben, beseitigt werden könnten. Wir wollen doch auch einmal zugeben, daß die Masse der GmbHs nicht die Gesellschaften sind, von denen Sie jetzt gesprochen haben, also die Gesellschaften, die als Ersatz für Aktiengesellschaften auftreten. Die große Masse der GmbHs sind vielmehr verhältnismäßig kleine und unbedeutende Gesellschaften, und um diese handelt es sich.
Ich gebe zu, daß es selbstverständlich HoldingGmbHs gibt. Bei der augenblicklichen Konzentration kommt es auch vor, daß bisherige Aktiengesell-
4990 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Dr. Wilhelmi
schaften umgewandelt werden, daß die „Töchter" noch in Eigenbesitz umgewandelt werden und daß an Stelle der „Töchter" zur Erhaltung des Namens GmbHs gebildet werden. Dieser Fall hat sich vor kurzem erst ereignet. Das kommt alles vor. Aber das sind doch Ausnahmeerscheinungen auf dem Gebiet der GmbH. Wir können jetzt nicht, ohne in eine Beratung des gesamten GmbH-Rechts einzutreten, eine für das Aktienrecht typische Bestimmung auf das GmbH-Recht übertragen.
Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Worte dazu! Ich kann Herrn Dr. Wilhelmi nur sagen, daß unser Vorschlag gar nicht neu ist. Wir haben ihn, wie gesagt, bei der ersten Lesung gemacht. Wenn Herr Dr. Wilhelmi sich mit dem beschäftigt hätte, was wir in der ersten Lesung gesagt haben, wäre ihm der Vorschlag bekannt gewesen.
Dann ist gesagt worden, zwischen den beiden Rechtsformen bestehe ein sehr großer Unterschied. In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings die Frage stellen, warum es dann für gewisse Gesellschaften so furchtbar einfach ist, von einer Rechtsform in die andere hinüberzuschlüpfen, wie das zur Zeit praktisch jeden Tag eine große Gesellschaft tut. Wenn Sie uns also auch in dieser Frage wieder auf ein unbestimmtes Datum vertrösten wollen, können wir daraus nur entnehmen, daß Sie es mit diesen Umwandlungen nicht ernst meinen und daß Sie auch auf dem Standpunkt stehen, die Maßnahmen gegen die Konzentration hätten noch weiter Zeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 435 Ziffer 5 auf Schaffung eines neuen § 22a. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich habe noch eine formelle Abstimmung nachzuholen, nämlich die Abstimmung über den § 22 — von Seite 16 unten bis Seite 21 unten in der Drucksache 1409 —, und zwar in der Ausschußfassung. Alle Änderungsanträge sind ja abgelehnt worden. Ich bitte diejenigen, die dem § 22 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen!
Zu den §§ 23, 24 und 25 liegen Wortmeldungen und Änderungsanträge nicht vor. Ich darf annehmen, daß die Debatte über diese Paragraphen geschlossen werden kann.
Wir kommen zur Abstimmung über die §§ 23, 24 und 25 in der Ausschußfassung. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen!
§ 26 ist nach dem Beschluß des Ausschusses weg- gefallen. Hierzu liegt ein Antrag auf Umdruck 445 vor, nach dem ein neuer § 26 eingefügt werden soll. Wünscht der Antragsteller das Wort?
— Das ist nicht der Fall. Weitere Wortmeldungen liegen auch nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 445. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.
§ 27 ist unverändert geblieben. — Wer dem § 27, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Lesung geschlossen.
— Mit Mehrheit bei. einer Reihe von Enthaltungen angenommen. Wenn eine Mehrheit da ist, ist auch eine Minderheit da, Herr Kollege!
Wir kommen dann zur dritten Lesung.
— Wird nicht gewünscht?
Wollen wir erst Punkt 13b der Tagesordnung vornehmen? — Bitte schön!
Dann kommen wir jetzt zu dem bereits früher aufgerufenen Punkt 13b der Tagesordnung.
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?
— Das ist nicht der Fall. Danke schön.
Ich rufe den § 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen ein Antrag auf Umdruck 436 Ziffer 1 und ein Eventualantrag auf Umdruck 436 Ziffer 2 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag Ziffer 1 auf Umdruck 436, den ich jetzt zu begründen habe — den Eventualantrag zu diesem Paragraphen wünschen wir erst zur Diskussion zu stellen und zu begründen, nachdem die Abstimmung über diesen Antrag erfolgt ist —, bitten wir Sie allerdings, genau das Gegenteil von dem zu tun, was mit der Vorlage auf Drucksache 417 bezweckt ist.
Während Sie das Richterrecht, welches seit Jahrzehnten die Besteuerung derartige Aktienausgaben beim. Empfänger vorsieht und welches sich als sehr widerstandsfähig erwiesen hat, abschaffen wollen, wollen wir, daß Sie eben dieses Richterrecht in das Gesetz übernehmen und von Gesetzes wegen die Besteuerung vorsehen. Die Gründe, warum dieses Recht jetzt und gerade jetzt nicht beseitigt werden sollte, darf ich Ihnen kurz darlegen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4991
Seuffert
Es gibt zwei Möglichkeiten, über bei einer Gesellschaft erarbeitete und selbstverständlich versteuerte Reserven zugunsten des Aktionärs oder Gesellschafters zu verfügen: entweder sie normal als Dividende auszuschütten oder sie anzusammeln und diese angesammelten. Reserven in Form von solchen Berichtigungsaktien — Gratisaktien — dem Aktionär zur Verfügung zu stellen. Das sind zwei Wege, die nebeneinander und zur Wahl stehen. Der Vorteil des zweiten Weges für die Verwaltung des Unternehmens und für diejenigen Haupt- und Großaktionäre, deren Interesse an dem Unternehmen vielfach über die Vermögensanlage hinausgeht und vor allen Dingen die Beherrschung des Unternehmens umfaßt, ist offensichtlich. Es braucht keine Auszahlung aus Gesellschaftsmitteln vorgenommen zu werden. Es ist deswegen auch keine neue Mittelbeschaffung für Investitionszwecke, für Ausbreitungszwecke, für Angliederungszwecke usw. notwendig, weder durch Kreditaufnahme noch durch Kapitalerhöhung. Im Gegensatz zu einer Kapitalerhöhung, bei der auch der Großaktionär gewisse Aufwendungen zur Erhaltung seiner Mehrheitsstellung und seiner Interessen am Unternehmen machen muß, entfallen diese Aufwendungen im anderen Falle. Das Geld bleibt, gebunden im Unternehmen, zur Verfügung der Verwaltung, des Großaktionärs, es braucht nicht ausgezahlt zu werden.
Die Nachteile dieses Weges für den kleinen Anleger, für den Kleinaktionär, für den Mann, der seine kleinen Mittel im Unternehmen angelegt hat, sind allerdings ebenso offensichtlich. Er bekommt den Anteil am Ertrag des Unternehmens, auf den er Anspruch hat, nicht zur wirklich freien Verfügung. Wenn er wirklich Geld haben will, muß er sein Papier verkaufen. Er ist auf einen unsicheren Börsenkurs angewiesen. Nebenbei bemerkt, bietet das dem Großaktionär eine vielleicht gar nicht unwillkommene Gelegenheit zu Zukäufen und zur Verstärkung seiner Stellung im Unternehmen. Man kann im allgemeinen sagen, daß der Kleinaktionär auf diesem Wege unter Berücksichtigung der entsprechenden Wertminderung seiner alten Aktie niemals so viel erhalten wird, wie er bei einer Barausschüttung erhalten könnte.
Das sind die beiden Möglichkeiten, die eine vorteilhaft für den einen, die andere vorteilhaft für den anderen. So wie die Dinge liegen, gab es deswegen schon immer auf keinen Fall eine Begründung — das hat die Rechtsprechung wirtschaftlich und nach dem Ergebnis richtig erkannt — dafür, den zweiten Weg, die Ausschüttung der Reserven aus Erträgen über die Gratisaktie, irgendwie steuerlich zu begünstigen. Mit Recht hat die Rechtsprechung gesagt, beide Wege müßten steuerlich gleich geachtet und gleichbehandelt werden.
So war es schon immer, und es gibt nicht den geringsten Grund, von dieser Betrachtungsweise jetzt abzuweichen. Im Gegenteil, es gibt eine Reihe von entscheidenden Gründen, gerade in diesem Zeitpunkt an einer solchen steuerlichen Behandlung festzuhalten und sie als Gesetzesrecht zu übernehmen. Denn was ganz allgemein gilt, daß nämlich der Weg, der für den Großaktionär, für
den Hauptaktionär günstig und für den kleinen Anleger, der sein Geld dem Unternehmen zur Verfügung gestellt hat, ungünstig ist, nicht begünstigt werden darf, das gilt erst recht, so lange Sie in der Körperschaftsteuer das merkwürdige und von uns so stark bekämpfte System des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes haben. Unter diesen Umständen wirkt sich nämlich die Begünstigung, die schon dann eintritt, wenn Sie nicht beide Wege gleichstellen, noch dahin aus, daß für die eine Gruppe der Beteiligten, nämlich den Großaktionär und die Verwaltung, auch noch eine klare steuerliche Begünstigung eintritt.
Nach der Konstruktion, die man hierfür wählt, ist die Ausgabe solcher Berichtigungsaktien bekanntlich nicht als Ausschüttung anzusehen, weder bei der Gesellschaft, die die Aktien ausstellt, noch bei den Empfängern. Die Folge dieser Konstruktion ist nach unserem Körperschaftsteuerrecht, daß die Gesellschaft mehr Steuer zahlt als bei einer normalen Dividendenausschüttung, während der Empfänger bei der Inempfangnahme von Gratisaktien überhaupt keine Steuer mehr zahlt. Wie sich das auswirkt, hängt davon ab, wie der Steuersatz des Empfängers anzusetzen ist. Die Rechnung ist sehr einfach. Wenn Sie 100 DM zur Verfügung haben, die Sie auf die eine oder andere Weise ausschütten können, so zahlen Sie bei der normalen Ausschüttung hierauf den ermäßigten Körperschaftsteuersatz von 15 %. Sie haben also noch 85 Mark zur Ausschüttung zur Verfügung, die sie dem Aktionär geben können.
Wenn Sie diese 100 Mark als Gratisaktien verwenden wollen, so zahlen Sie zunächst den vollen Körperschaftsteuersatz von 51 %. Sie haben also nur noch 49 Mark zur Verwandlung in solche Aktien zur Verfügung. Würden diese 100 Mark zur normalen Dividendenzahlung verwandt, so würden einem Mann, der einen normalen Steuersatz von 20 % anzusetzen hat, von den 85 Mark, die dann zur Ausschüttung kommen, noch 68 Mark verbleiben, also mehr, als ihm auf dem anderen Weg, wo ihm nur 49 Mark Aktien angeboten werden, verbleibt. Nehmen Sie allerdings einen Steuersatz von 50 °/o, so verbleiben dem Aktionär bei der normalen Dividendenzahlung von den 85 Mark nur 42,50 Mark, also weniger. Das bedeutet, daß die Grenze, wie Sie leicht ausrechnen können, bei einem Steuersatz von ungefähhr 45 % liegt.
Es ergibt sich ganz klar und deutlich, daß die Verwendung von erarbeiteten Gewinnen zur normalen Dividendenausschüttung für den Großaktionär — oder jedenfalls für einen Empfänger mit hohen Steuersätzen — ungünstiger isst. Dagegen ist nach der Konstruktion des Gesetzentwurfs die Verwendung der Reserven zur Bildung von Gratisaktien für den Kleinaktionär ungünstiger und für den Großaktionär günstiger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Bitte sehr!
4992 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Herr Seuffert, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß die Rücklagen, die hier in Rede stehen, doch alle bereits mit 50%, zum Teil mit 60% Körperschaftsteuer belastet sind, daß es hier also gar nicht mehr um Rücklagen geht, die Sie noch etwa mit einem gespaltenen Körperschaftsteuersatz ausschütten könnten?
Herr Kollege Dr. Schmidt, Sie werden doch mit mir einiggehen, daß ich hier von den in der Bilanz ausgewiesenen Rücklagen spreche.
— Die sind selbstverständlich versteuert. Nach Abzug der Steuer stehen sie in der Bilanz entweder zur Dividendenzahlung oder zur Ausschüttung von Berichtigungs- oder Gratisaktien zur Verfügung. Darum handelt es sich. Wie sie entstanden sind und was für Steuern abgerechnet worden sind, davon spreche ich gar nicht mehr. Sie wissen ja auch ganz genau, daß der Körperschaftsteuersatz nur von den Ausschüttungen in dem betreffenden Jahr beeinflußt wird und nicht davon, was für Steuern in früheren Jahren gezahlt worden sind. Es ergibt sich also klar, daß der eine Weg, für den hier eine steuerliche Begünstigung vorgesehen ist, wenn man auf den Nettoempfang abstellt, für den Kleinaktionär ungünstiger ist als der andere Weg.
Ich nehme gleich noch einen Einwand vorweg, nämlich daß etwa gesagt wird: Diese Berichtigungsaktien können gar nicht mit Pari, mit dem Nennwert, eingesetzt werden; sie sind in vielen Fällen sicherlich von vornherein viel mehr wert als ihr Nennwert. — Das ist ein Irrtum. Wenn nämlich solche Berichtigungsaktien von vornherein über dem Nennwert bewertet werden müssen, so liegt das nicht an der Verwendung der hier umgewandelten, also auf diese Weise ausgeschütteten Reserven, sondern es liegt daran, daß nicht alle Reserven ausgeschüttet worden sind und daß dieser Gesellschaft vielleicht noch stille Reserven zugeschrieben werden, die gar nicht in der Bilanz erscheinen. Dieser Mehrwert, der sich nicht aus der Ausschüttung, sondern aus den nicht ausgeschütteten weiteren Reserven ergibt, kann in diese Rechnung natürlich nicht eingehen. Die Aktien können in dieser Rechnung nicht mehr wert sein als allenfalls die Minderung des Substanzwertes der alten Aktien, die bei der Operation eintritt. Sie können nicht mehr wert sein als die umgewandelten Reserven, die Reserven, die zu ihrer Bildung verwandt worden sind und die selbstverständlich nur zu pari in der Bilanz erscheinen, genauso wie sie auch bei normaler Ausschüttung nur zu pari ausgeschüttet werden. Ich wiederhole: wenn es jemals einen Grund gab, bei dem Richterrecht, bei dem jetzt geltenden Steuerrecht zu verbleiben und diese Dinge steuerpflichtig zu machen, so gibt es heute zwei und drei Gründe dafür, hieran nichts zu ändern.
Meine Damen und Herren! Was soll eine Verwaltung tun, wenn sie vor die Frage gestellt wird, was sie mit ihren Reserven machen soll? Soll sie den Weg wählen, der für das Unternehmen bequemer, der für die Großaktionäre nicht nur aus allen
möglichen Gründen — weil er ihre Position im Unternehmen stärkt, jedenfalls nicht antastet -vorteilhafter, sondern auch steuerlich günstiger ist, oder soll sie den Weg wählen, der für die Kleinaktionäre günstiger wäre? Ich habe keinen Zweifel, welche Wahl hier eine Verwaltung treffen wird. Sie wird den Weg wählen, bei dem die Interessen der Kleinaktionäre und Kleinanleger hintangesetzt werden. Dafür werden schon die Großaktionäre sorgen, notfalls mit Hilfe der Depotstimmen. Ich habe gar keinen Zweifel, daß es so gehen wird, und deswegen ist das, was hier vorgenommen werden soll, nicht nur ein Gesetz gegen die Kleinanleger, gegen die Kleinaktionäre, d. h. gegen gerade diejenigen, die Sie zum Zwecke der breiten Eigentumsverteilung auffordern, ihr weniges Geld in solchen Unternehmungen anzulegen, sondern es ist gleichzeitig auch ein Gesetz zur Förderung der Konzentration, um auf ein anderes Stichwort zu kommen, das auch von Ihnen in der Öffentlichkeit so viel verwandt wird. Es ist ein Gesetz zur Förderung der Konzentration, denn es garantiert den Unternehmungen, die diesen Weg wählen können, die Selbstversorgung mit Investitionskapital. Es ist ein Gesetz gegen den freien Kapitalmarkt. Denn dem Anleger wird kein bares Geld ausgegeben, mit dem er frei die Wiederanlage auf dem Kapitalmarkt suchen könnte. Die Unternehmungen andererseits sind der Notwendigkeit enthoben, auf dem freien Kapitalmarkt um Kapitalmittel — im einen oder anderen Wege: Kredit oder Aktienkapital — mit anderen Unternehmen zu konkurrieren. Sie versorgen sich selbst. Es ist die Selbstfinanzierung in der Potenz, d. h. gleichzeitig die Stabilisierung der Mehrheits-
und der Herrschaftsverhältnisse in diesen Unternehmen. Denn wenn man Erträge wirklich ausschütten und auf dem freien Kapitalmarkt wirklich neues Kapital suchen müßte, könnten diese Mehrheits-, diese Beherrschungsverhältnisse irgendwie in Gefahr geraten. Es bedeutet außerdem — da möchte ich einmal etwas aufgreifen, was vorhin der Herr Kollege Atzenroth gesagt hat —, daß diejenigen Unternehmen, die solche Berichtigungsaktionen vornehmen und sich auf diese Weise — nun auch unter Steuerbegünstigung — unabhängig vom freien Kapitalmarkt das von ihnen als notwendig erachtete Investitionskapital besorgen können, in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den mittelständischen Unternehmen, die natürlich diese Möglichkeit nicht haben, einen ganz entscheidenden Vorsprung erhalten.
Wir haben es hier mit einem Gesetz gegen Dividendenausschüttung zu tun. Es wirkt wie das, was wir vor Jahren einmal hatten, wie die Begünstigung des nichtausgeschütteten Gewinns. Es ist grotesk, daß man in demselben Augenblick, in dem man ein Körperschaftsteuersystem hat, das unter der Flagge „Begünstigung von Dividendenausschüttungen" mit allen möglichen Verbrämungen sehr große Körperschaftsteuerermäßigung fertiggebracht hat, nun ein anderes Gesetz haben will, das ein Gesetz gegen Dividendenausschüttungen und ein Gesetz zur Begünstigung nichtausgeschütteter Gewinne darstellt.
Versucht man, diese beiden Dinge, die Sie hier nebeneinanderstellen wollen, auf einen Nenner zu bringen, dann bleibt nur übrig, daß man sagt: alles,
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4993
Seuffert
was den großen Gesellschaften und ihren Beherrschern zum Nutzen ist, das ist Recht. Einen anderen gemeinsamen Nenner für diesen Widerspruch gibt es nicht.
Wir bitten Sie deshalb, das nicht zu machen, sondern es bei dem bestehenden Rechtszustand der normalen Besteuerung dieser Art der Ausschüttung von Erträgen zu belassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuburger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre sehr interessant, Herr Kollege Seuffert, wenn ich auf alle die Argumente, die Sie vorgetragen haben, eingehen könnte. Ich muß Ihnen aber bestätigen, daß Sie selten so viel Widerspruch bei mir herausgefordert haben wie durch diese Ausführungen. Diese Ausführungen scheinen mir in sich nicht logisch und schlüssig zu sein.
Ich will nur etwas aufgreifen. Sie sagten, die Gesellschaften, die hiervon Gebrauch machten, brauchten nicht mehr, wenn sie zusätzliches Kapital benötigten, auf den Kapitalmarkt zu gehen. Als ob diese Berichtigungsaktion irgendwie etwas mit dem Problem des Finanzbedarfs der Firma bzw. seiner Beschaffung zu tun hätte! Als ob die Firma durch diese Berichtigungsaktion auch nur um einen Pfennig reicher würde und damit über Investitionskapital verfügen würde, über das sie vorher nicht verfügt hat!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja! Es wäre mir sehr interessant, wenn ich das erfahren würde.
Darf ich mich dahin verständlich machen, daß ich auf folgendes hinweisen wollte: Wenn eine Gesellschaft normal ihre Dividenden auszahlt, muß sie dem Empfänger bares Geld überlassen. Sie muß ihm die Wahl überlassen, in welcher Weise er dieses Geld auf dem freien Kapitalmarkt der einen oder anderen Gesellschaft — vielleicht seiner eigenen Gesellschaft wieder — zur Verfügung stellen will. Wenn sie einen Investitionsbedarf hat, muß sie das, was sie anstelle des ausgezahlten Geldes, und das, was sie sonst noch braucht, auf dem freien Kapitalmarkt suchen. Hier behält sie einfach das Geld und überläßt niemand eine Wahl.
Zunächst ist es ja so, daß das Geld in der Firma ist und daß die Gesellschaft in der Lage ist, sofern die Rücklagen nicht gebunden sind — und hier handelt es sich ja um freie Rücklagen , über diese Rücklagen entweder zu verfügen oder nicht zu verfügen.
Dafür sind die jeweiligen Betriebsinteressen maßgebend.
— Hier geht es um dieses Gesetz und damit um die Position Rücklagen und nicht um Dividenden. Auf diese Position wollen wir uns nun bei unseren Auseinandersetzungen beschränken.
Sie beantragen, daß diese Rücklagen, wenn sie in dieser Form in Nennkapital umgewandelt werden, einer Steuer unterworfen werden sollen,
was Sie im gleichen Atemzuge damit begründen, daß es eine Ausschüttung wäre; in Wirklichkeit sagen Sie aber, wenn es eine Ausschüttung wäre, dann könnte der Mann darüber verfügen und damit etwas anfangen. So kann er es aber nicht; er bekommt nämlich keine Ausschüttung.
Wenn diese Umschreibung oder diese Wertberichtigung erfolgt ist, hat er keinerlei Mehrwert, keinen Pfennig mehr als vorher.
Und noch etwas: Wenn Sie die These vertreten, es wäre in dieser Form dann eine Ausschüttung, so bemessen Sie mir einmal die Steuer für den, der z. B. vor einem Jahr gekauft hat, und für den, der gestern gekauft hat, sofern heute umgewandelt wird. Wie gesagt, der Käufer kann noch nicht einmal über den angeblichen Mehrwert verfügen. Worin soll dann der Mehrwert schon rein rechnerisch bestehen? Wie wollen Sie den ermitteln? Sie können doch der Einkommensteuer nur die Einkommensmehrung zugrunde legen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verzeihung, wir haben hier nur eine Fragemöglichkeit. Ich habe vorhin schon mehr eine Art Debatte zugelassen. Das kann ich aber nicht weiterhin tun, sonst geht das zu weit.
Jetzt komme ich zu der Frage: bisherige Rechtsprechung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die bisherige Rechtsprechung hatte zum Ausgangspunkt eine handelsrechtliche Situation,
die eben eine bestimmte rechtliche Würdigung erforderte. Nun schaffen wir — und deshalb auch der Antrag, vor der dritten Lesung der Vorlage Drucksache 416 die zweite Lesung der Vorlage Drucksache 417 vorzunehmen, weil beide Gesetze ein einheitliches Ganzes darstellen — mit der Vorlage Drucksache 416 ein handelsrechtliches Novum, das es bis-
4994 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Neuburger
her nicht gegeben hat. Und dieses handelsrechtliche Novum bedeutet eben, daß hier nur eine Wertberichtigung erfolgt. Sie wissen alle, daß die Frage der Wertberichtigungen bei den Einheitswerten eines Tages kommen muß. Ich frage Sie: Wenn wir heute die Einheitswerte neu festsetzen, kommt jemand auf den Gedanken, zu sagen: Diese Neubewertung schafft neues Vermögen, und damit muß .ich diese Höherbewertung mit einer Ertragsteuer der Einkommensteuer unterwerfen?
— Die Debatte über die Vorlage Drucksache 417 wurde praktisch schon im Zusammenhang mit § 12 der Vorlage Drucksache 416 geführt; ich müßte mich also in allem wiederholen, was ich aber nicht will. Ich will nur nochmals betonen: Es liegt keinerlei Einkommensmehrung durch diese Umschreibung vor, und weil keine Einkommensmehrung vorliegt, kann ich diesen Vorgang auch nicht mit einer Einkommensteuer belegen. Das würde bedeuten, daß wir plötzlich für ein fiktives Einkommen eine Steuer festlegen mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Das ist unmöglich.
— Bitte schön!
Herr Kollege Neuburger, Sie sprachen von einem handelsrechtlichen Novum. Wollen Sie bestreiten, daß es derartige Wertberichtigungsvorgänge schon immer gegeben hat, daß sie immer schon möglich gewesen sind — Sie stellen hier nur bestimmte Regeln dafür auf — und daß diese Vorgänge, wie es sie immer gegeben hat, bisher besteuert worden sind?
Das bisherige Handelsrecht kannte — gesetzlich fixiert — diese Umwandlung nicht, und daher hat der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung eben die zwei Vorgänge angenommen und gesagt, es handelt sich erstens um eine Ausschüttung, und da es sich um eine Ausschüttung handelt, ist der Empfänger auch frei verfügungsberechtigt, und zweitens erfolgt ein Kapitalerhöhungsbeschluß, mit entsprechender Einzahlungspflicht. Nach § 1 der Vorlage Drucksache 416 ist es jetzt eine echte Umschreibung, ich möchte sagen, eine Wertberichtigung oder eine Kapitalberichtigung.
Was nun die Besteuerung angeht, die Sie beantragen, so wissen Sie — ganz abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit, die Bemessungsgrundlagen festzulegen — doch auch, daß sich ein Teil der Rücklagen aus Positionen gebildet hat, die seinerzeit bei der DM-Mark-Bilanzfestsetzung mit 1 DM eingesetzt werden mußten. In der Zwischenzeit haben wir hier mehrere Gesetze verabschiedet, auf Grund deren diese Merkposten „1 DM" dann echte Werte wurden. Ich erinnere z. B. an die Abkommen über das Auslandsvermögen.
All das soll jetzt durch diese Vorlagen mit in das Aktienkapital hineingenommen werden. Es ist unstreitig, daß z. B. alle diese Positionen niemals einer Steuer vom Ertrag unterlagen.
Ich könnte dann auch noch zu der Frage des sogenannten Großaktionärs Stellung nehmen. Das eine will ich Ihnen sagen: Für den Großaktionär ist nicht maßgebend, ob sein Aktienkapital in Stücke zu 1000 DM oder zu 2000 DM ohne Umschreibung oder zu 2 X 1000 DM nach erfolgter Erhöhung aufgeteilt ist.
Er schüttet die Dividende so aus, wie er es im Interesse des Unternehmens gerade für richtig hält. Wenn also irgendwelche Gesetze mit Sicherheit nicht zusätzliche Vorteile für den Großaktionär eröffnen, dann diese beiden Gesetzesvorlagen.
Ich könnte, wie gesagt, noch mehr dazu ausführen. Aber das Wesentliche ist schon vorhin gesagt worden: Keine Vermögensmehrung, damit kein Einkommensmehr und damit auch keine Grundlage für irgendeine Einkommenbesteuerung. Ich bitte daher, den Antrag abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen dann zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 436 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte mn die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zu dem Eventualantrag Umdruck 436 Ziffer 2. Soll dazu noch gesprochen werden? — Herr Kollege Kurlbaum hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben nunmehr beschlossen, daß die Ausgabe von Gratisaktien steuerfrei sein wird. Ich glaube, es ist müßig, sich noch weiter über den Charakter von Gratisaktien oder Berichtigungsaktien zu streiten. Lassen Sie mich das Ergebnis der Beratung auf ein paar einfache Tatsachen zurückführen!
Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß hiermit eine weitere Steuererleichterung für den Aktionär gegeben wird. Wenn Sie die Ausgabe von Gratisaktien nicht steuerfrei gemacht hätten, dann hätte er in Zukunft die Steuer zu zahlen. Sie haben sie steuerfrei gemacht; er wird also in Zukunft die Steuer nicht zu zahlen haben. Es ist in diesem Augenblick sehr schwer, den Umfang dieser Steuerermäßigungen abzuschätzen; aber bei dem zu erwartenden Umfang der Ausgabe von Gratisaktien können Sie mit ruhigem Gewissen auch diesen Steuerausfall auf einige hundert Millionen schätzen. Für uns von der Sozialdemokratie ist es einfach unerträglich, daß obendrauf auf all die Steuererleichterungen, die Sie in den vergangenen Jahren, beginnend mit dem Jahre 1953, für die Aktionäre
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4995
Kurlbaum
und für die Aktiengesellschaften gegeben haben, nunmehr weitere Steuererleichterungen gegeben werden.
Wir haben schon bei anderen Gelegenheiten darauf hingewiesen, daß Sie auch seinerzeit das Ziel nicht erreicht haben, das Sie damals mit der Senkung der Körperschaftsteuersätze anstrebten. Sie haben seinerzeit die Senkung des Körperschaftsteuersatzes für dein nicht ausgeschütteten Gewinn damit begründet, daß die Unternehmen dadurch ausschüttungsfreudiger würden. Sie haben das Ziel, wie gesagt, nicht erreicht; Sie haben nur Steuererleichterungen geschaffen.
Wenn Sie jetzt eine neue Form schaffen, wie der Aktionär an Stelle einer Dividende befriedigt werden kann, werden Sie erleben, daß in zahlreichen Fällen, in denen es den Unternehmungen günstiger erscheint, Gratisaktien an Stelle von Dividenden gegeben werden, und in dem Augenblick entscheidet sich die Frage, ob das eine Steuererleichterung ist oder nicht.
Nachdem Sie diesen Beschluß gefaßt haben, über dessen Charakter und vor allem über dessen Wirkungen wir unsere eindeutige Meinung haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Eventualantrag zu stellen. Es ist nach unserer Auffassung einfach unerträglich, daß die Aktiengesellschaft und der Aktionär eine weitere steuerliche Erleichterung bekommen, die zu Lasten der Gesamtheit aller Steuerzahler geht, während der Arbeitnehmer dabei praktisch leer ausgeht.
Wir halten in der Situation, die durch Ihren Beschluß geschaffen worden ist, Ihren § 5a in zweierlei Hinsicht nicht mehr für ausreichend.
Ihr § 5a führt ,erstens nicht zwangsläufig zu einem Vorteil für die Arbeitnehmer, sondern nur dann, wenn die Gesellschaft willens ist, den Arbeitnehmern Aktien zu geben, entstehen ihnen Vorteile. Wir stehen dagegen auf dem Standpunkt, daß wenn jetzt die Aktionäre eine so massive Steuererleichterung einkassieren, dann auch zwangsläufig die Arbeitnehmerseite etwas davon haben muß.
Zweitens muß das, was für die Arbeitnehmer geschieht, dem gleichwertig sein, was für die Aktionäre geschieht; d. h. die Arbeitnehmer müssen praktisch das gleiche bekommen.
Das ist unser Antrag. Nur wenn in dieser Form die Parität zwischen den Aktionären und den Arbeitnehmern hergestellt wird, halten wir weitere Belastungen zu Lasten des Steuerzahlers für tragbar; sonst halten wir sie nicht für tragbar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß wirklich nicht, warum das Haus mit diesem Antrag noch aufgehalten wird.
— Meine sehr verehrten Herren Kollegen, das Hohe Haus hat bei § 12 des vorhin beratenen Gesetzes entschieden, daß nur die Anteilseigner etwas bekommen können, also nicht die Belegschaftsmitglieder. Das Hohe Haus hat soeben entschieden, daß keine Steuern auf den Erwerb der neuen Anteilsrechte zu zahlen sind. Jetzt kommt ein Eventualantrag, mit dem das Haus noch einmal gezwungen werden soll, über etwas abzustimmen, worüber es im Laufe einer Stunde schon abgestimmt hat, nämlich wieder über die Frage, ob das Recht den Aktionären zusteht und ob dieser Vorgang steuerpflichtig ist oder nicht. Das ist immer dieselbe Frage, und man kann sie doch nicht drei- oder viermal in diesem Haus zur Abstimmung stellen.
Ich bitte das Haus, den Antrag — da er nun einmal vorliegt und wir formell so verfahren müssen — mit der gleichen Mehrheit wie bisher abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 436 Ziffer 2. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe dann § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe auf: §§ 2, — 3, — 4, — 5. — .Änderungsanträge liegen nicht vor. Wird das Wort hierzu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über die soeben aufgerufenen Paragraphen. Wer ihnen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe § 5a auf. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, und zwar der Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 430 Ziffer 2, den § 5a völlig neu zu formulieren, und der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 436 Ziffer 3, mit dem für § 5a Satz 1 der Ausschußfassung eine Änderung vorgeschlagen wird.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Katzer, dann Herr Abgeordneter Seuffert!
Ich bitte, sich gleichzeitig darüber auszusprechen, welcher Antrag der weitergehende ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 430 zu begründen.
In Ziffer 1 wird eine Änderung der Überschrift vorgeschlagen; es soll hinzugesetzt werden: „und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer". Dieser Änderungsantrag macht deutlich, daß wir keine Gelegenheit außer acht lassen möch-
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Katzer
ten, Möglichkeiten zur Förderung der Eigentumsbildung in Personenhand zu nutzen. Im Verlauf der Ausschußberatung und im Verlauf der bisherigen Abstimmungen sind daher neben dem Gesichtspunkt des Kapitalmarktes, unter dem das Gesetz eingebracht wurde, auch gesellschaftspolitische, genau gesagt: eigentumspolitische Gesichtspunkte vorgetragen und berücksichtigt worden. Nachdem einmal die Rückstellungen für Pensionszwecke nicht für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln benutzt werden dürfen, nachdem zum anderen nach § 22 des Entwurfs Drucksache 416 die Unternehmen Aktien auch dann erwerben dürfen, wenn sie für die Arbeitnehmer des Unternehmens bestimmt sind, verfolgt unser Änderungsantrag Umdruck 430 den Zweck, den Wertpapiererwerb den Arbeitnehmern dann steuerlich zu begünstigen, wenn die Aktien innerhalb einer Sperrfrist von fünf Jahren — analog den Regelungen des Sparprämiengesetzes — nicht veräußert werden. Ich möchte diesen Gesichtspunkt ausdrücklich betonen, weil in der bisherigen Diskussion in der Öffentlichkeit gerade diese Sperrfrist von fünf Jahren häufig außer acht gelassen worden ist.
Unser Vorschlag, der vom Kollegen Krammig im Steuerausschuß eingebracht wurde, sah die Begrenzung auf einen Nennbetrag von 500 DM im Jahr vor. Das könnte bei der sehr großen Kursdifferenz der Aktien der verschiedenen Gesellschaften zu einer sehr unterschiedlichen Behandlung führen, wie Herr Kollege Dr. Harm in seinem Schriftlichen Bericht — wie ich meine, mit Recht — ausgeführt hat. Damit ein Mißbrauch insbesondere auch durch Einkommensempfänger, die bei ihrer Eigentumsbildung nicht unserer Hilfe bedürfen, verhindert wird, wird in unserem Änderungsantrag eine Änderung des § 5a dahingehend vorgeschlagen, daß eine Begrenzung auf 500 DM pro Jahr erfolgt. Im Unterschied zu § 5 heißt es daher im § 5a:
Soweit der Unterschied höher ist als die Hälfte des Börsenkurses, gehört der Vorteil aus dem Kursunterschied in voller Höhe zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Das gleiche gilt, soweit der Vorteil aus den Kursunterschieden für den einzelnen Arbeitnehmer 500 Deutsche Mark im Kalenderjahr übersteigt.
Es ist also bewußt eine Grenze von 500 DM vorgesehen. Soweit ich sehe, deckt sich dieser Vorschlag in etwa mit dem Änderungsantrag der SPD in Ziffer 3 des Umdrucks 436.
Ich möchte namens der CDU/CSU-Fraktion um Annahme des Änderungsantrages bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU und unser eigener Antrag auf Neufassung des § 5a decken sich in der Sache völlig. Wir sind allerdings der
Ansicht, daß unser Antrag weitaus besser und eleganter formuliert ist.
— Gut, wenn Sie das einsehen! Wenn Sie es nicht eingesehen hätten, wären wir sogar bereit gewesen, unseren Antrag zugunsten Ihres Antrags zurückzuziehen. Aber wenn es umgekehrt ist, um so besser!
Ich darf in diesem Zusammenhang noch eine Frage ansprechen, die in beiden Fassungen, auch in der Ausschußfassung, etwas unklar geregelt ist. Es ist hier nämlich von dem am Tage der Beschlußfassung geltenden Börsenkurs die Rede, der für die Berechnung des Unterschiedsbetrages maßgebend sein soll. Nun ist nicht ganz klar, was für eine Beschlußfassung das sein soll. Bei der Ausgabe handelt es sich ja um einen Vorstandsakt. Es könnte also allenfalls die Beschlußfassung des Vorstands gemeint sein. Die Dinge pflegen nicht immer sehr feierlich vor sich zu gehen, und wenn es sich um einen Einzelvorstand handelt, kann man eigentlich gar nicht von einer Beschlußfassung sprechen.
Darüber hinaus könnte bei dieser Fassung eine findige Verwaltung auf die Idee kommen, daß, wenn von dem Tag der Beschlußfassung — was das auch immer sein mag — bis zu dem Tag des tatsächlichen Erwerbs der Anteile der Börsenkurs noch mehr steigt — was ja durchaus möglich ist —, der Unterschiedsbetrag steuerpflichtig ist. Ich glaube deswegen, daß, was in der Sache auch immer hier stehen mag, für die Berechnung des Unterschiedsbetrages derjenige von den beiden Kursen — dem Kurs am Tag der sogenannten Beschlußfassung und dem Kurs am Tage des Erwerbs durch den Arbeitnehmer —, welcher der niedrigere ist, maßgebend sein muß. Anders kann die Vorschrift meiner Meinung nach gar nicht durchgeführt werden. Es ist gewiß schwierg, bis zur dritten Lesung eine andere Fassung für die Vorschrift zu finden. Auf jeden Fall würde ,es die Angelegenheit bereinigen, wenn klargestellt würde, daß die Vorschrift von der Verwaltung in dem von mir dargelegten Sinne durchzuführen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schlick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier nicht im Namen meiner Fraktion, sondern im Auftrag einiger Fraktionsfreunde und für mich selbst.
Die Absicht, der Arbeitnehmerschaft die Möglichkeit zu eröffnen, ein zusätzliches Einkommen zum Zwecke der Eigentumsbildung steuerbegünstigt oder steuerfrei zu beziehen, heißen wir ohne Bedenken und ohne Einschränkung gut. Mit der von der CDU und der SPD beantragten Fassung des § 5a bekommt der vorliegende Gesetzentwurf jedoch einen Inhalt, der tief in das Einkommen- und Lohnsteuerrecht eingreift und ungleiches Recht schafft.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4997
Schlick
Mit dieser Feststellung möchte ich keineswegs in Wettbewerb mit meinem Fraktionsfreund Dr. Dresbach treten, der entschieden eine klare Steuersystematik verficht. Jedenfalls liegt ein Grund für unsere Ablehnung der Anträge schon darin, daß wir diese Ungleichheit vermieden wissen wollen.
Besonders schwere Bedenken haben wir aber wegen der sozial- und wirtschaftspolitischen Auswirkungen der vorgesehenen Regelung. Bei Annahme der zu § 5a beantragten Fassung würde den großen finanzkräftigen Aktiengesellschaften, die ohnedies eine sozial bevorzugte Arbeitnehmerschaft haben, ein weiteres Privileg eingeräumt werden. Sie könnten nämlich auf Grund dieser Vorschrift ihren Arbeitnehmern jährlich 500 DM Einkommen zukommen lassen, die, wenn der Arbeitnehmer die erworbene Aktie innerhalb von fünf Jahren nicht weiterveräußert — aber auch hier gibt es Ausnahmen, die meiner Meinung nach angebracht sind —, einkommen- und lohnsteuerfrei sind. Also nur den Kapital- bzw. Aktiengesellschaften soll gestattet werden, ihren Arbeitnehmern jährlich diese 500 DM einkommensteuerfrei zu zahlen, während der Einzelkaufmann, der Gewerbetreibende, der Einzelhändler, die Offene Handelsgesellschaft, die GmbH ihren Arbeitnehmern dieses steuerfreie Geschenk nicht machen dürfen,
selbst wenn sie, was vielfach auch aus finanziellen Gründen dieser kapitalschwachen Unternehmerschicht nicht möglich sein dürfte, dazu in der Lage wären.
Das Gesetz enthält diese Bevorzugung der Aktiengesellschaften als Kann-Vorschrift. Das bedeutet, daß vor allen Dingen kapitalkräftige Aktiengesellschaften diesen Vorteil nutzen werden. Ein sehr großer Teil der Aktiengesellschaften wird sich das Geschenk nicht leisten können, weil es finanziell eben nicht verkraftet werden kann oder weil die eine oder andere Aktiengesellschaft es vielleicht auch aus anderen Gründen nicht tun will.
Denken wir, meine Damen und Herren, hier doch z. B. nur einmal an das sehr ernste Problem „Kohle". Dem reinen Kohlebergbauunternehmen in der Form einer Aktiengesellschaft dürfte es angesichts des schweren Existenzkampfes, in dem unsere Kohle steht, nicht möglich sein, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die notwendig wären, um hier Schritt zu halten. Das kann dazu führen, daß der Bergmann aus seiner Spitzenstellung im Lohn endgültig verdrängt wird. Ich bitte, auch diese Gefahr nicht zu übersehen. Mit diesem § 5a würden wir also ungleiches Einkommensteuerrecht schaffen, und das sollten wir nicht tun.
Weiter ermöglichen wir mit der Annahme des § 5a den kapitalkräftigen Aktiengesellschaften bei unserer anhaltenden Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung die Abwerbung von Arbeitskräften aus den Mittel- und Kleinbetrieben.
Auf diese soziologischen Bedenken, die im Ausschuß vorgebracht wurden, hat ja auch der Berichterstatter in seinem Bericht zu Drucksache 1415 hingewiesen. Auch ich möchte, ebenso wie er, auf die Problematik und die Schwierigkeit, die hierin liegt, durch den Hinweis aufmerksam machen, daß dieser § 5a im Finanzausschuß mit 8 gegen 7 Stimmen, also mit einer Stimme Mehrheit, angenommen wurde.
Aber angesichts der vielen positiven Maßnahmen, die dieses Gesetz bringt bzw. vorschreibt, haben meine Freunde nicht die Absicht, die Verabschiedung des Gesetzes zu verzögern. Wir richten jedoch an die Bundesregierung, besonders an den Herrn Bundeswirtschaftsminister und an den Herrn Bundesfinanzminister, das nachdrückliche Ersuchen, die zuständigen Ressorts ihrer Ministerien mit der Vorbereitung geeigneter gesetzlicher Maßnahmen zu beauftragen, durch die die in diesem Gesetz liegende Benachteiligung der Klein- und Mittelbetriebe und der Aktiengesellschaften, die von diesem Privileg keinen Gebrauch machen können, beseitigt wird.
Förderung der mittelständischen Wirtschaft ist ein wesentlicher Programmpunkt dieser Regierung und der sie tragenden Parteien. Daß wir mit diesem Gesetz — und es ist ja auch nicht sein Sinn, der mittelständischen Wirtschaft zu dienen; deshalb darf ich unsere großen Bedenken vortragen — diesem Ziel nicht näherkommen, sondern gegenteilige Auswirkungen wohl nicht ausbleiben werden, kann man ernstlich nicht bestreiten. Angesichts der wachsenden, teilweise unerwünschten Konzentration müssen wir alles unterlassen, was dazu beitragen könnte, die Einflußnahme der mittelständischen Unternehmer im Bereich unserer Wirtschaft immer weiter einzuengen.
Außerdem müssen wir verhindern, daß sich das soziologische Gefälle gerade in der Arbeitnehmerschaft weiter verschärft. Es darf vielmehr nichts unterbleiben, was dazu dienen kann, diesen sehr erwünschten Zweig unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur zu fördern.
Meinen Kollegen und mir erscheint angesichts der zahlreichen Empfehlungen, die meine Fraktion und dieses Haus zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft gegeben haben, ein beschleunigtes Handeln der Bundesregierung in dieser Frage dringend geboten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz zu zwei Fragen Stellung nehmen.
Die erste Frage wurde soeben an mich gerichtet. Sie geht dahin, was unter dem Begriff Beschlußfassung dann zu verstehen sei, wenn die Aktie bis zur Verteilung noch steigt. Wir denken natürlich nicht daran, in einem solchen Fall einen anderen Wert zu nehmen als den am Tage der Beschlußfassung. Das kann natürlich auch umgekehrt laufen. Das ist ein Problem für sich.
4998 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Bundesfinanzminister Etzel
Lassen Sie mich dann noch kurz einen Gedanken zu dem äußern, was Herr Kollege Schlick hier eben gesagt hat. Bei dem § 5a handelt es sich im Grunde um eine großzügige typisierende Regelung einer Bewertungsfrage, die praktisch schon nach bestehendem Recht — vielleicht nicht der Höhe nach, vielleicht nicht in allen Einzelheiten, aber doch grundsätzlich — in der gleichen Weise zu entscheiden ist. Erhält ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber eine Aktie mit der Verpflichtung, sie während eines bestimmten Zeitraumes nicht zu veräußern, so liegt in dieser Festlegungsverpflichtung wegen der möglichen Kursschwankungen naturgemäß ein Risiko, dem nach allgemeinen Grundsätzen bereits heute durch einen Abschlag von dem zu versteuernden geldwerten Vorteil Rechnung zu tragen ist. Das ist also bereits nach geltendem Recht so. Hierbei macht es keinen grundsätzlichen Unterschied, ob es sich um eigene Aktien des Arbeitgebers oder um Aktien einer anderen Gesellschaft handelt. Hier wird natürlich ein Problem des Aktienrechts geregelt; aber nach geltendem Recht ist es bereits heute so, wie ich sage. Es macht dabei keinen grundsätzlichen Unterschied
ich wiederhole es —, ob es sich um Aktien des Arbeitgebers oder um Aktien einer anderen Gesellschaft handelt, die der Arbeitgeber, z. B. auch ein Einzelkaufmann, Herr Atzenroth, erworben hat, um sie seinen Arbeitnehmern zu überlassen.
Hervorzuheben ist hier allerdings — ich sage es noch einmal ausdrücklich —, daß die vorgesehene Vorschrift des § 5a eine typisierende Regelung enthält. In der Großzügigkeit, mit der die Höhe des Abschlags bemessen wird, liegt der Steuervorteil.
Die Abschläge, die zu machen sind, wenn Aktien zu anderen als den in dieser Vorschrift vorgesehenen Bedingungen zugewandt werden — fremde Aktien, kürzere Festlegung —, richten sich nach den Verhältnissen des einzelnen Falles. Sie können — und werden in der Regel — im Verhältnis niedriger sein als der in dem Entwurf vorgesehene Abschlag von 50 v. H. des Börsenkurses bei fünfjähriger Festlegung.
Ich glaube, diese Erklärung war doch nützlich für das Verständnis des inneren Sinnes der Bestimmung in § 5a.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich zu erklären, daß die FDP den § 5a ablehnt, auch in der abgemilderten Form, wie er jetzt in Umdruck 430 von der CDU und in Umdruck 436 von der SPD vorgelegt worden ist. Wir lehnen den Paragraphen aus drei Gründen ab.
Erstens. Es steht zweifellos fest, daß eine Zuwendung dieser Art an die Belegschaft bisher steuerpflichtig war, also der Einkommen- oder Lohnsteuer unterlag. Was soeben der Herr Bundesfinanzminister ausgeführt hat, betraf die Höhe. Selbstverständlich ist bei der Bewertung dieser Aktienzuwendung steuerlich zu berücksichtigen, inwieweit etwa ein Minderwert dadurch gegeben ist, daß die Hingabe mit der Verpflichtung zu einem fünfjährigen Besitz verbunden ist. Aber es kann doch keinem Zweifel unterliegen, daß der Vorgang an sich steuerpflichtig ist. Hier wird, völlig aus dem Rahmen des Einkommensteuerrechts fallend, für eine begrenzte Gruppe von Steuerzahlern für ganz bestimmte Einkünfte eine Steuerfreiheit begründet. Das erscheint uns weder steuerrechtlich noch auch moralisch vertretbar zu sein.
Wir sehen darin eine höchste Ungerechtigkeit nicht nur gegenüber allen übrigen Steuerzahlern, sondern insbesondere auch gegenüber den anderen Arbeitnehmern, die nicht den Vorzug haben, in solchen Großbetrieben zuarbeiten, also z. B. den Arbeitnehmern in Kleinbetrieben — beim Bäckermeister — oder in mittelständischen Betrieben, an die wohl Herr Kollege Schlick eben dachte. Oder denken Sie auch an die Arbeiter, Angestellten und Beamten dm gesamten öffentlichen Dienst. Es wird also hier in ganz begrenzter Weise eine bestimmte Gruppe von Steuerzahlern — selbstverständlich zu Lasten der anderen Steuerzahler — herausgegriffen und begünstigt. Das ist in höchstem Maße ungerecht!
Zweitens. Wir halten eine solche steuerliche Ausnahme wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Steuergleichheit daher nicht für verfassungsgemäß. Der Gleichheitsgrundsatz, der nach der Verfassung zu gewährleisten ist, ist aufs gröblichste verletzt. Einer nach unser Meinung verfassungwidrigen Bestimmung können wir nicht zustimmen, sosehr wir dem einzelnen nach dieser Bestimmung Begünstigten eine steuerliche Erleichterung gönnen.
Drittens. Wir lehnen den § 5a aber insbesondere aus wirtschaftspolitischen Erwägungen ab, die etwa die gleichen sind, wie sie der Kollege Schlick eben für einen Teil seiner Fraktion vorgetragen hat. Es ist in der Tat so, daß dieser Punkt in den Beratungen des Finanzausschusses so auf der Spitze stand, daß der § 5a schließlich nur mit einer Stimme Mehrheit vom Finanzausschuß angenommen wurde, d. h., daß auch innerhalb der Reihen der Regierungsparteien erhebliche Bedenken bestanden.
Die Gedanken, die hier zugrunde gelegen haben, sind doch, auf einen einfachen Nenner gebracht, folgende: Die Großen haben sich mit ihrer Belegschaft dahin verständigt, ein Gesetz zu schaffen, das sie selbst in ganz erheblicher Weise steuerlich begünstigt. Die breiten Schichten des Mittelstandes, sei es nun des selbständigen Mittelstandes, sei es auch des unselbständigen Mittelstandes, sofern sie nicht zu diesen beiden genannten Sozialpartnern — einerseits den Gewerkschaften, andererseits den großen Gesellschaften — gehören, sind die durch das Gesetz Geschädigten. Wir alle wissen, daß breite mittelständische Kreise in hartem Konkurrenzkampf mit den großen Aktiengesellschaften stehen. Wir alle wissen, daß Arbeitskräfte von Klein-und Mittelbetrieben schon jetzt kaum noch zu halten, geschweige denn neu zu bekommen sind, da diese Betriebe mit den Verlockungen der Großbe-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 4999
Dr. Miessner
triebe nicht mithalten können. Wohin soll das führen, meine Damen und Herren, wenn die Großbetriebe nun noch die Möglichkeit haben — ganz abgesehen davon, daß sie an sich schon wirtschaftlich so stark sind —, nicht nur überhaupt solche Zuwendungen in Höhe von 500 DM zusätzlich zu machen, sondern auf Kosten der Allgemeinheit diesen Betrag ihren Belegschaftsmitgliedern auch noch steuerfrei zuzuwenden? Wie sollen dann noch Betriebe des Mittelstandes Arbeitskräfte bekommen?
Meine Damen und Herren, man muß es einmal sagen — ich werde es selbstverständlich nicht so scharf sagen, wie es im Ausschuß einmal formuliert worden ist, aber ich möchte es doch sehr nüchtern sagen —: Hier ist die Weiche zum endgültigen Untergang der mittelständischen Wirtschaft gestellt. Daran ändert alles Flickwerk nichts, das hinterher noch gemacht wird, indem man vielleicht dem Mittelstand eine kleine Umsatzsteuerbegünstigung oder eine Gewerbesteuerbegünstigung oder etwas Ähnliches gibt. Das alles kann den Untergang nicht mehr aufhalten, wenn durch solche Gesetze der mittelständischen Wirtschaft der Boden so weit entzogen wird, daß praktisch nur noch der Großbetrieb existieren kann.
Wir haben diese Bedenken mit demselben Nachdruck auch im Finanzausschuß vorgetragen. Sie sind im Protokoll festgehalten. Ich darf den Schlußsatz des Berichtes noch einmal zitieren:
Außerdem wurde geltend gemacht, daß diese Momente arbeitsmarktpolitisch eine Benachteiligung der Mittel- und Kleinbetriebe bedeuten, die, schon weil sie oftmals nicht in der Form einer Kapitalgesellschaft betrieben werden, ihren Arbeitnehmern solche Vorteile nicht gewähren können.
Das Gewicht dieser Bedenken war immerhin so stark, daß die Abstimmung im Finanzausschuß nur eine einzige Stimme Mehrheit für diese Vorschrift ergab.
Wir bitten Sie daher aus den genannten Gründen, diese Vorschrift abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Nach meiner Auffassung ist der Antrag Umdruck 430 Ziffer 2 — Antrag der CDU/CSU — der weitergehende, sowohl formell wie auch wegen der besseren Konkretisierung. Ich stelle ihn zuerst zur Abstimmung.
Wer dem Antrag Umdruck 430 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Danke schön. Der Antrag ist angenommen.
Ich frage jetzt die Antragsteller zu Umdruck 436, ob auf Abstimmung zu Ziffer 3 bestanden wird bzw. ob eine Neuformulierung entsprechend dem soeben angenommenen Antrag vorgenommen werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Generaldebatte ist geschlossen. Wir gehen über zur Einzelabstimmung über die Vorlagen.
Es ist vorgeschlagen worden, die steuerrechtliche Vorlage zunächst zu erledigen, weil hier zum Unterschied von der anderen Vorlage ein Änderungsantrag vorliegt, nämlich der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 446. Soll dieser Antrag begründet werden? — Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Sätze zu unserem Änderungsantrag! Die Mehrheit hat sich in der zweiten Beratung für die steuerfreie „Beseitigung des Mißverhältnisses zwischen dem Nennkapital und dem tatsächlichen Vermögen" der großen Aktiengesellschaften entschieden. So hat es der Bundesrat formuliert in der Begründung zu seinem Vorschlag, die steuerliche Hilfe auf drei Jahre zu befristen. Sie haben also für die steuerfreie Beseitigung dieses Mißverhältnisses gesorgt und Sie haben so getan, als wenn das ganz selbstverständlich und nur eine Formalität sei.
Für die Bundesregierung, die diesen Gesetzentwurf eingebracht und seinerzeit die Begründung dazu gegeben hat, ist es nicht so ganz einfach und nicht nur eine Formalität gewesen. Ich darf aus der Stellungnahme der Bundesregierung zum Änderungsvorschlag des Bundesrates verlesen:
Diese erscheint notwendig, da es nicht sicher ist, ob der Bundesfinanzhof, der den Erwerb neuer Anteilsrechte bei einer Kapitalaufstockung aus Mitteln der Gesellschatt bisher als steuerpflichtig angesehen hat, nach der ausdrücklichen Zulassung der Kapitalaufstockung als Vermögensumschichtung im Handelsrecht für das Steuerrecht von seiner Auffassung abgehen wird.
Es war also nicht so sicher und nicht so selbstverständlich, wie Sie es hier hinstellen. Vor allen Dingen die Tatsache, daß nur einige wenige Aktiengesellschaften, etwa 20 bis 25 % aller Aktiengesellschaften, an eine Ausschüttung denken können, gibt sowieso zu denken. Wie sind denn diese enormen Kurssteigerungen in wenigen Jahren entstanden?
Warum ist dieses Mißverhältnis zwischen dem Nennkapital und dem tatsächlichen Vermögen so groß geworden? — Nein, Herr Miessner, das Gesetz will Abhilfe schaffen, es will ja die steuerliche Erleichterung bringen. Im wesentlichen sind es doch wohl die Steuervergünstigungen gewesen, angefangen mit dem § 36 des Investitionshilfegesetzes, der ewig verlängert wurde, und außerdem ist es über den Preis gemacht worden. Es wird zwar bestritten, daß diese großen Reserven über den Preis zustande gekommen seien. Sie haben uns aber nicht erklären können, aus welchen Gründen es dann dazu gekommen ist. Das ist keine Erklärung, Herr Miessner, daß das Fehlen dieses Gesetzes daran schuld gewesen sei.
Ich sagte schon, daß, auch wenn dieses Gesetz da ist, nicht alle Aktiengesellschaften in der Lage sein werden, zu einer Ausschüttung zu kommen. Woran liegt denn das? Sind denn dort die Vorstände und Direktoren nicht so tüchtig wie gerade in jenen wenigen Aktiengesellschaften? Die Sache gibt doch zu denken. Ich glaube, in der Holz- oder Textilbranche würden sich niemals diese Verhältnisse herausstellen.
Sie haben uns dann noch erzählt — das ist verschiedentlich bei der Berichterstattung und im Ausschuß und auch hier gesagt worden — von breiter Streuung des Eigentums. Wir haben aber nicht erkennen können, wo Sie es nun wirklich streuen wollen.
Deshalb schlagen wir Ihnen mit unserem Änderungsantrag vor, von den Ausschüttungen, die jetzt anstehen, einen Teil wieder der allgemeinen Verwendung zuzuführen, indem ein Fonds gebildet wird, aus dem wir die wissenschaftliche Forschung
unterstützen können und — ein weiteres dringendes Anliegen — zur Finanzierung des Zweiten Bildungsganges beitragen können. Ich brauche sicher hier und zu dieser Stunde nicht über die Notwendigkeit dieser Finanzierungen zu sprechen; das ist oft genug besprochen worden. Es geht uns darum, irgendwie diese Finanzierung zu fördern. Wir könnten einen Teil dessen, was wir an Steuern hier nicht hereinbekommen, dafür verwenden. Wir sind der Meinung, daß wir damit niemandem sein Eigentum wegnehmen; wir denken gar nicht daran, das zu tun. Wir wollen lediglich das Steuerfreimachen eines Vorganges, der bisher steuerpflichtig war — ein Zustand, der zu Recht bestanden hat und nicht nur vom Bundesfinanzhof, sondern auch schon früher vom Reichsfinanzhof als Rechtens anerkannt worden ist —, nur dann akzeptieren, wenn wir wissen, daß ein Teil der Beträge, die wegen der Steuerbefreiung nicht mehr als Steuern eingehen, der Allgemeinheit dennoch wieder zugute kommt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es so kurz wie möglich machen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 5003
Dr. Burgbacher
Wenn ich jetzt sage, daß wir der Opposition das Kompliment machen, daß sie bis zum letzten Augenblick um ihre Sache kämpft, dann meine ich das durchaus ernst. Aber wir müssen den Antrag trotzdem ablehnen, und zwar aus folgenden Gründen.
Zunächst möchte ich einen Irrtum richtigstellen. Die ganze Debatte wurde von Ihnen so geführt, als ob das, was jetzt in Form von Berichtigungsaktien ausgegeben wird, flüssige Mittel seien, die zur Ausschüttung bereitständen.
In Wirklichkeit ist es Kapital geworden und kommt gar nicht mehr zur Ausschüttung, weil das aus Liquiditätsgründen gar nicht geht. Wenn es aber nicht zur Ausschüttung kommt, dann entgeht dem Fiskus auch keine Ertragsteuer;
und wenn dann auf die Ertragsteuer „verzichtet" wird, verzichtet man auf etwas, was man sowieso nicht bekommen hätte. — Diesen Punkt wollte ich doch noch einmal klarstellen.
Wenn der Antrag der SPD angenommen würde, so wäre das in der Tat — ich bitte die SPD um Entschuldigung — eine Teilenteignung. Denn wenn in gleichem Umfange wie an die Gesellschafter an die Stiftungsvermögen für Wissenschaft und Forschung gezahlt werden müßte, wäre das ein sehr viel teurerer Vorgang, als wenn er ertragbesteuert würde; denn es handelt sich ja um ertragversteuerte Rücklagen.
Es wäre also in der Tat ein Eingriff in das Eigentum. Deshalb müssen wir diesen Antrag ablehnen. Wissenschaft und Forschung liegen uns am Herzen. Das ist aber eine Sache der allgemeinen Haushaltsplanung und Haushaltsführung und gehört nicht in das vorliegende Gesetz, das weder eine sozialpolitische Reform noch eine Aktienrechtsreform, sondern ein ganz kleiner Beitrag zur Lösung von Problemen des Aktienrechts und der Gesellschaftspolitik ist.
Ich bitte, den Antrag Umdruck 446 abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wortmeldungen liegen nicht vor; die Debatte ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 446 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung in dritter Lesung über den Gesetzentwurf Drucksache 417, also zum steuerlichen Teil des Gesetzgebungswerkes. Wer diesem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung über den Entwurf eines Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung. Die allgemeine Aussprache hat stattgefunden. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag des Wirtschaftsausschusses auf Seite 7 der Drucksache 1409:
Der Bundestag wolle beschließen, .. .
folgendem Entschließungsantrag zuzustimmen: Die Bundesregierung wird ersucht,
a) den Entwurf eines Aktiengesetzes baldmöglichst vorzulegen,
b) bei der Vorlage dieses Gesetzentwurfs zu klären, ob und gegebenenfalls wie die erweiterten Publizitätsvorschriften zu einer entsprechenden Änderung der Sondervorschriften für Banken und Versicherungen führen müssen.
Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Damit sind die Punkte 13a und b der Tagesordnung erledigt.
Aus dem Hause ist an mich der Wunsch herangetragen worden, nunmehr den Tagesordnungspunkt 16 aufzurufen. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Änderung in der Reihenfolge der Beratungsgegenstände einverstanden ist. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe also auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ;
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 1348, zu 1348).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Fritz . — Der Herr Berichterstatter verzichtet auf das Wort.
Ich rufe auf die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,-9, — 10, — Enleitung und Überschrift. — Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Abstimmung muß wiederholt werden. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen in zweiter Lesung angenommen.
5004 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Dritte Beratung
Ich eröffne die allgemeine Ansprache. Wird das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
— Das Wort hat der Abgeordnete Lange .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Schlußabstimmung über das Sicherstellungsgesetz möchte ich namens der sozialdemokratischen Fraktion folgende Erklärung abgeben.
Der Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ist vom Wirtschaftsausschuß in folgenden Punkten geändert worden: 1. Die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs der Bevölkerung ist der Erfüllung der Stationierungsverträge und der Verteidigungsaufgaben vorangestellt. 2. Die Ermächtigung, die dem Wirtschaftsminister nach dem Regierungsentwurf uneingeschränkt gegeben werden sollte, ist der parlamentarischen Kontrolle unterworfen worden.
Diese Änderungen betrachten wir als einen Fortschritt. Nur auf die Intervention der Opposition ist dieses Ergebnis zurückzuführen. Auch in dieser Fassung gibt das Gesetz dem Wirtschaftsminister die Möglichkeit zu weitgehenden, folgenschweren Eingriffen in die Wirtschaft. Es ist bezeichnend, daß der Minister, der sich immer zum Hüter der Freiheit aufwirft, solche Ermächtigungen zu weitgehenden Eingriffen in die Wirtschaft ohne Einschaltung des Parlaments gefordert hat, während er andere, wenn sie im Zusammenhang mit Krisenlagen sehr vorsichtige, vom Parlament zu erlassende und zu kontrollierende Maßnahmen fordern, bezichtigt, der Zwangswirtschaft und der Vernichtung der Freiheit das Wort zu reden.
Der Wirtschaftsminister läßt damit erkennen, wie groß der Widerspruch zwischen seinen Worten und Taten ist.
Dieser Widerspruch zwischen Wort und Tat verbietet es, diesem Wirtschaftsminister das mit dem Sicherstellungsgesetz geplante Instrument anzuvertrauen. Wir lehnen aus diesem Grunde trotz der Verbesserungen das Gesetz ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Dieses Ermächtigungsgesetz hat eine lange parlamentarische Vorgeschichte. Es ist schon einmal hier Gesetz gewesen und ist dann wieder erloschen. Man hat es mit einigen Pannen, die dabei passiert sind, erneut aufleben lassen. Es ist bewundernswert, mit welcher Hartnäckigkeit dieser Gesetzentwurf immer wieder vorgelegt wird, obwohl niemand die Notwendigkeit dafür nachweisen kann. Zehn Jahre lang haben wir ein solches Gesetz nicht gebraucht.
Ich muß in diesem Fall die Argumentation meines Herrn Vorredners unterstreichen: Ausgerechnet ein Minister, der für die freie Marktwirtschaft eintritt, verlangt von uns ein solches Ermächtigungsgesetz. Warum eigentlich? Die Begründung, daß es um die Deckung lebenswichtigen Bedarfs gehe, könnte man noch hinnehmen. Aber zur Erfüllung der Verpflichtungen des Bundes aus zwischenstaatlichen Verträgen über die Stationierung und die Rechtsstellung von Streitkräften auswärtiger Staaten im Bundesgebiet brauche ich doch nicht eine vorherige Ermächtigung durch das Parlament. Wenn ich solche Verpflichtungen eingehe, habe ich dies dem Parlament offen darzulegen und mir die Genehmigung dazu zu holen. Das ist die echte Aufgabe einer Bundesregierung, und sie kann das auch alles tun.
Als das Gesetz damals in Kraft trat, überschrieb eine große Zeitung die Nachricht darüber mit den Worten: Der Bundestag legt Grundlagen für eine Bewirtschaftung. Das ist auch tatsächlich der Fall. Wenn wir dieses Gesetz annehmen, legen wir die Grundlagen für eine Bewirtschaftung.
Herr Professor Erhard, Sie haben uns immer wieder dargelegt, welche Gefahren und welche Nachteile unser Volk gehabt hat, als es unter der Bewirtschaftung leiden mußte. Hier legen wir wieder die Grundlagen dafür. Die Bundesregierung soll die Möglichkeit haben, Vorschriften über die Verpflichtung von Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, die zur Errichtung von Bauwerken oder zur Vornahme von Instandsetzungen aller Art erforderlichen Werkleistungen zu erbringen, zu erlassen, ohne das Parlament zu fragen. Nur für ein Jahr kann diese Vorschrift Geltung haben. Aber wenn diese Bauten einmal errichtet sind, sind Investitionen vorgenommen, die niemals rückgängig gemacht werden.
Meine Damen und Herren, ich erinnere weiter daran, daß es fast immer unmöglich gewesen ist, einen Eingriff der öffentlichen Hand, wenn wir ihn einmal an irgendeiner Stelle zu spüren hatten, wieder zurückzuschrauben. Wann haben wir das einmal erlebt, daß eine Bewirtschaftung zurückgeschraubt wird? Bedenken Sie, wie lange sich die Bewirtschaftung des Wohnraums gehalten hat! Jetzt, nach Jahrzehnten versuchen wir, leise daran zu tippen. Eine einmal eingeleitete Bewirtschaftung ist für lange Zeit fest fundamentiert.
Wir sind der Meinung, daß wir es nicht etwa nur diesem, sondern jedem Wirtschaftsminister gegenüber ablehnen müssen, ihm eine solche Ermächtigung zu erteilen. Wenn eine Notlage vorliegt, soll die Bundesregierung an das Parlament herantreten. Und welche Bundesregierung hätte es leichter als diese Bundesregierung, die über eine so bewilligungsfreudige absolute Mehrheit verfügt, die ihr immer zur Verfügung steht, die geschlossen für sie stimmt! Eine solche Bundesregierung kann das, was sich als notwendig erweist, mit Hilfe ihrer Mehrheit innerhalb von einer Woche in erster, zweiter und
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959 5005
Dr. Atzenroth
dritter Lesung realisieren. Eine solche Regierung braucht kein Ermächtigungsgesetz. Wir lehnen das Ermächtigungsgesetz auch diesmal wieder ab.
Meine Damen und Herren, ich muß doch darauf aufmerksam machen, daß die Aussprache geschlossen ist und daß ich nur noch das Wort für kurze Erklärungen zur Abstimmung erteile.
Ich will damit nachträglich an den Herrn Kollegen Atzenroth appellieren. Das war eine vorzügliche Diskussionsrede, aber keine Erklärung zur Schlußabstimmung.
Das Wort zu einer Erklärung zur Schlußabstimmung hat der Abgeordnete Dr. Fritz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich selbstverständlich auf eine kurze Erklärung beschränken. Nur bitte ich um Entschuldigung, wenn ich im Rahmen dieser Erklärung doch versuche, eine kurze Antwort an die beiden Herren Vorredner zu geben.
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, das ist genau das, was nach der Ordnung dieses Hauses nicht erlaubt ist. Ich habe vorhin ausdrücklich gefragt, ob noch jemand das Wort in der allgemeinen Aussprache haben möchte. Ich habe nichts dagegen, daß Sie jetzt noch etwas sagen; ich werde es Ihnen konzedieren. Aber es ist vielleicht ganz gut, daß sich das Haus vergegenwärtigt, daß wir bei Wortmeldungen zur Abstimmung selbstverständlich nicht noch einmal in die Debatte zurückkehren können.
Aber bitte, sagen Sie jetzt das, was Sie für notwendig halten.
Ich werde mich bemühen, die Ordnung des Hauses nicht zu stören. Aber ich glaube, die Störung kam nicht von mir, sondern von meinem Herrn Vorredner.
Uns liegt ein Gesetz vor, meine Damen und Herren, das wir hoffentlich nicht anzuwenden brauchen. Vorsichtshalber — das sei hinzugefügt, Herr Lange — ist seine Geltung bis zum Jahre 1962 begrenzt. Wir benötigen dieses Gesetz aber vor allem für Fälle, in denen Marktstörungen durch außerökonomische Faktoren verursacht werden.
In diesen Fällen sind marktkonforme Mittel nicht ausreichend. Das haben wir noch nie bestritten. In einer Krise kann es notwendig sein, Störungen wirksam und schnell zu beseitigen. Dazu soll uns dieses Gesetz dienen.
Wir waren auch sehr vorsichtig im Erteilen von Vollmachten. Es stimmt nicht, was vorhin gesagt worden ist, daß im Wirtschaftsausschuß nur die SPD die Vollmachten beschränkt habe. Wir waren uns darüber, daß die Vollmachten auf ein Minimum begrenzt werden sollten, einig.
— Es mag sein, daß Sie darauf aufmerksam gemacht haben. Wir waren jedoch von jeher der Meinung, daß Vollmachten für Maßnahmen gegen die Marktwirtschaft nur in geringem Umfang, nur vorsichtig gegeben werden können. Ich glaube, wir sind uns hier einig. Deswegen haben wir die Ermächtigung an die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrates entsprechende Verordnungen zu erlassen, auf ein Jahr beschränkt. Ich darf daran erinnern, daß bei einer Verlängerung der Bundestag eingeschaltet wird, und ferner daran, daß wir bei Eilbedürftigkeit dem Bundeswirtschaftsminister nur zwei Monate zugestanden haben.
Materiell enthält dieses Gesetz im übrigen gegenüber seinen Vorläufern keine wesentlichen Änderungen. Insofern hat Herr Dr. Atzenroth sachlich nicht recht. Das Gesetz ist nicht neu, sondern es hat Vorläufer. Seine ersten Vorläufer stammen schon aus der Zeit des Wirtschaftsrats.
Aber, Herr Dr. Atzenroth, ich darf ganz kurz etwas zu einer Bemerkung von Herrn Dr. Dehler in der ersten Lesung sagen, wodurch vielleicht für beide Seiten eine Antwort gegeben wird.
Wir haben Herrn Dr. Dehler in der ersten Lesung nicht verstehen können. Er sagte damals: Ein Glück, daß während der Korea-Krise ein derartiges Gesetz nicht vorhanden war! Herr Kollege Dr. Dehler hat jedoch übersehen, daß ein solches Gesetz damals durchaus bestand, nämlich ein Gesetz für Sicherungsmaßnahmen auf einigen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft vom 9. März 1951.
— Einen Augenblick, bitte! Herr Dr. Atzenroth, es ist deshalb ein Kompliment für den Wirtschaftsminister, daß Herr Kollege Dehler das Bestehen dieses Gesetzes damals nicht einmal als Kabinettsmitglied bemerkt hat.
Es ist doch, Herr Dr. Atzenroth, für uns als Regierungspartei die Bescheinigung dafür, daß dieses Gesetz in unseren Händen keine Gefahr für die Bundesrepublik bedeutet.
Weitere Erklärungen werden nicht abgegeben. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Übereinstimmung im Vor-
5006 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Dezember 1959
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
stand: das erste war die Mehrheit, Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur folgende Feststellung zur Geschäftsordnung treffen. Meine Fraktion hat sich loyal an die Begriffsbestimmung der Erklärung zur Abstimmung gehalten. Ich bin der Meinung, daß so, wie hier das Instrument der Erklärung zur Abstimmung mißbraucht worden ist, künftig nicht mehr verfahren werden kann; denn es besteht für den, der eine Erklärung abgegeben hat, gegen die nachher polemisiert wird, keine Möglichkeit der Antwort. Ich bitte also das Hohe Haus, von sich aus so viel Disziplin aufzubringen, daß künftighin das Instrument der Erklärung zur Abstimmung auch wirklich als das verwendet wird, was es ist.
Das unterstützt den Appell des Präsidenten an das Haus.
Der Präsident ist nur immer in der mißlichen Lage, daß er ja nie vorher weiß, was ein Abgeordneter sagt. Infolgedessen muß er sich meistens auf das Experiment einlassen.
Meine Damen und Herren, jetzt kommen sämtliche Tagesordnungspunkte, die nicht strittig sind. Ich stelle alles andere zurück, einschließlich des Tagesordnungspunktes 18, und rufe nunmehr von dem Tagesordnungspunkt 21 an auf, mit Ausnahme des Tagesordnungspunktes 22.
Zunächst also:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr .
— Aber, meine Damen und Herren, ich bitte doch, sich zu beruhigen, und bitte, Platz zu nehmen. Das sind eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten. Es lohnt sich durchaus, Platz zu nehmen.
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. — Auf das Wort zur Einbringung wird verzichtet. Ich eröffne die Aussprache in erster Lesung. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Vorgesehen ist die Überweisung des Antrages an den Haushaltsausschuß.
— Kein Widerspruch im Haus. Es ist so beschlossen. Punkt 23:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwandlungs-Steuergesetzes .
Allgemeine Aussprache! — Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Punkt 44:
Beratung des interfraktionellen Antrags
betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Tagesordnung für heute erschöpft. Ich gebe das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Fritz hat es im Rahmen der Beratung des Gesetzes zur Sicherstellung von gewerblichen Leistungen für richtig gehalten — wenn ich ihn richtig verstanden habe —, mir vorzuhalten, daß ich im Jahre 1950 bei der Koreakrisis noch nicht Kenntnis von einem Sicherstellungsgesetz von 1951 gehabt hätte. Aber ich nehme an, daß er es anders gemeint hat: daß ich nicht gewußt hätte, daß damals eine gesetzliche Grundlage für planwirtschaftliche Maßnahmen vorgelegen habe. Natürlich habe ich das gewußt. Mein Kollege Ludwig Erhard und ich waren damals vom Kabinett beauftragt, auf Grund eines Wirtschaftsratsgesetzes die Erschütterung des Marktes durch den Boom auf dem Weltmarkt planwirtschaftlich zu bekämpfen. Ich glaube, es wird einmal, wenn die Geschichte dieser Zeit geschrieben wird, als unser Verdienst festgestellt werden, daß wir dieser Weisung nicht entsprochen haben, sondern im Glauben an die Kraft der Marktwirtschaft von planwirtschaftlichen, von dirigistischen Maßnahmen abgesehen haben. Darum ging es doch. Das ist jetzt ein wenig eine Erklärung post festum. Es ging doch darum, daß die Krisis von 1950 überwunden worden ist durch die Kraft der Marktwirtschaft und nicht durch die Ideen und Vorstellungen — der Kollege Franz Böhm nickt mir lebhaft zu —, die in diesem merkwürdigen Gesetz, das Sie heute beschlossen haben, enthalten sind.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Wir beginnen morgen emit der Fortsetzung der Fragestunde. Ich vertage bis morgen vormittag um 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.