Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung wird das Wort zur Tagesordnung erbeten. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Döring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen ist zugegangen der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung, Drucksache 1152. Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei beantrage ich die Aufnahme dieses Entwurfs in die heutige Tagesordnung.
Ich darf die. Dringlichkeit des Anliegens, das wir mit diesem Entwurf verfolgen, mit wenigen Worten begründen. Die Frage des Tagungsortes für die Wahl des Bundespräsidenten ist in der öffentlichen Diskussion. Bekannt ist bisher, daß die Einberufung der Bundesversammlung für den 1. Juli dieses Jahres vorgesehen ist. Wir wollen durch die Einbringung dieses Gesetzentwurfs erreichen, daß eine grundsätzliche Entscheidung über den Tagungsort für die Wahl des Bundespräsidenten getroffen wird.
Die Notwendigkeit und die Dringlichkeit einer kurzfristigen Entscheidung werden nach unserer Auffassung durch Gegenargumente nicht gemindert. Wir haben alle zur Kenntnis genommen, daß es angeblich Wünsche unserer westlichen Verbündeten gibt — deren Ursprung allerdings unbekannt geblieben ist —, die Bundesversammlung nicht in Berlin durchzuführen. Wir haben die Drohung des sowjetzonalen Politikers Eislens zur Kenntnis genommen, der von einer Provokation spricht. Unserem Anliegen darf auch nicht die Möglichkeit entgegenstehen, daß eine Rückkehr der Mitglieder der Bundesversammlung — auch davon wird gesprochen — gefährdet ist.
Sie wissen, daß wir der Deutschland-Politik der Bundesregierung in der Vergangenheit und in der Gegenwart sehr kritisch gegenüberstehen, daß wir aber in der Betrachtung der Situation West-Berlins einig sind. Wir sind der Auffassung, daß die Klärung der Frage, wo die Bundesversammlung stattfindet, dringend erforderlich ist.
Wir meinen, daß wir uns aus Berlin weder von westlichen Verbündeten hinauskomplimentieren noch von sowjetzonalen Institutionen hinausdrohen lassen können. Außerdem glauben wir, daß es an der Zeit ist, der Westberliner Bevölkerung zu beweisen, daß wir jederzeit als Bundestag oder Bundesversammlung bereit sind, das gleiche Risiko zu tragen, das zu tragen wir seit Jahren jedem einzelnen Berliner zumuten und auch in der Zukunft zumuten müssen.
Wir haben in diesem Hause sehr häufig Bekenntnisse zu Berlin abgelegt. Gerade in dieser schwierigen Situation und insbesondere im Blick auf die gestrigen Erklärungen des sowjetischen Außenministers Gromyko in Genf halten wir es für notwendig, zu beweisen, daß unsere Bekenntnisse nicht Lippenbekenntnisse, sondern echte Bekenntnisse sind. Deswegen bitten wir um Aufnahme dieser Vorlage in die Tagesordnung.
Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß nach der Geschäftsordnung gegen die Aufnahme Einspruch erhoben werden kann. Wir sind aber fest davon überzeugt, daß die Entscheidung dieser so wichtigen politischen Frage nicht durch eine nach der Geschäftsordnung zulässige Reaktion hinausgeschoben werden wird. Unser Ziel ist, daß wir noch rechtzeitig eine erste, zweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs erreichen, damit das Gesetz auf die für den 1. Juli vorgesehene Bundesversammlung Anwendung finden kann und damit auch die Fristen gewahrt werden können, die dem Bundesrat gesetzt sind. Ich bitte daher namens meiner Fraktion, diesem Antrag stattzugeben.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich sind wir der Auffassung, daß dieser Antrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei, so wie die Dinge jetzt liegen, dem Präsidenten dieses Hauses zu nahe tritt.
— Gut! Dennoch wünschen wir gerade mit Rücksicht auf diese Tatsache in diesem Augenblick und hier keine Diskussion darüber. Wir möchten .auf Grund einer interfraktionellen Besprechung dem Hause vorschlagen, diesen Antrag in Abweichung von der Geschäftsordnung und in voller Anerken-
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Rasnernung der Tatsache, daß der Ältestenrat, das Beratungsgremium des Präsidenten, kein Beschlußorgan ist, zunächst einmal dem Ältestenrat zu überweisen.
— Das ist eine interfraktionelle Vereinbarung gewesen, Herr Kollege.
Wird dazu noch das Wort gewünscht?
— Antragsteller sind mit dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Rasner einverstanden.
Meine Damen und Herren, das Verfahren ist ungewöhnlich; ich mache das Haus darauf aufmerksam. Ich will jetzt keine Geschäftsordnungsanalysen anstellen. Wenn das Haus mit dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Rasner einverstanden ist, kann natürlich so verfahren werden. Das Haus wird aber auf jeden Fall wieder mit der Vorlage befaßt werden; sie muß an das Haus zurück, und das Haus muß dann darüber weiter verhandeln und beschließen.
— Das war eine Art erster Lesung. Wenn jetzt nichts weiter erfolgt, werden wir beschließen, die Sache auf die Tagesordnung zu nehmen.
Ich werde ohne weitere Erörterung unverzüglich abstimmen lassen. Ich habe Sie so verstanden, daß die Sache ausnahmsweise an den Ältestenrat gehen soll. Wir werden im Ältestenrat einen Berichterstatter bestimmen und werden hier vortragen lassen, und dann findet eine ordnungsmäßige zweite und dritte Lesung statt. Ist das klar?
Herr Abgeordneter Professor Schmid!
Herr Präsident, ich bitte, mir einige Erwägungen über die geschäftsordnungsmäßige Handhabung zu gestatten. Ich glaube nicht, daß man den Antrag, einen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, an den Ältestenrat überweisen sollte. Das richtige scheint mir zu sein, die Entscheidung über den Antrag zu vertagen, den Ältestenrat einzuberufen und nachher fortzufahren. Das kann in einer Stunde geschehen sein. Jetzt wäre also die Entscheidung auszusetzen, den Ältestenrat einzuberufen und dann zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, als erstes wird jetzt auf jeden Fall entschieden, ob die Sache auf die Tagesordnung kommt. Nach § 77 Abs. 2 der Geschäftsordnung bedarf es wegen der Fristen einer Zweidrittelmehrheit. Nur wenn das Haus mit Zweidrittelmehrheit beschließt, daß die Sache heute auf die Tagesordnung kommt, kann überhaupt weiter verhandelt werden. Einverstanden? — Oder, Herr Abgeordneter Schmid, meinten Sie, daß die Besprechung im Ältestenrat vor der Aufnahme auf die Tagesordnung stattfinden sollte?
— Das würde ich für eine weitere Verzögerung halten. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß die Sache heute auf die Tagesordnung kommt. Es handelt sich um den Gesetzentwurf Drucksache 1152. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Ich muß jetzt die schwierige Frage an die Schriftführer richten, ob sie das für ein Drittel halten.
Wir müssen die Abstimmung wiederholen, meine Damen und Herren. Wir brauchen nach § 77 der Geschäftsordnung eine Zweidrittelmehrheit, wenn die Sache heute auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Wer zustimmen will, daß sie heute auf die Tagesordnung kommt, damit sie dann zunächst im Ältestenrat weiter besprochen werden kann, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! —
Ich halte nicht dafür, daß das ein Drittel ist. — Ich höre keinen Widerspruch; der Gesetzentwurf ist auf die Tagesordnung gesetzt.
Ich nehme diesen Punkt voraus, so daß er als Punkt 1 der heutigen Tagesordnung behandelt wird:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung .
Wird zu diesem Punkt das Wort gewünscht? — Das Haus ist also damit einverstanden, daß zunächst der Ältestenrat darüber berät und daß dann das Haus erneut mit der Sache befaßt wird. Ich muß mir vorbehalten, sie unter Umständen heute noch einmal aufzurufen. — Es ist so beschlossen. Ich bitte den Ältestenrat, unverzüglich zusammenzutreten.
Ich rufe nunmehr auf die
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich müßten wir in diesen Tagen eines der gegenwärtig mit Recht so beliebten Jubiläen feiern: Zehn Jahre Bundeshaushalt. Manche Stadt hat in den letzten Jahren ihre Archive durchstöbert,
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Schoettleum den Zeitpunkt ihrer Gründung zu ermitteln und daran anschließend das Fest ihres soundsovielhundertsten Geburtstages zu feiern. Warum soll man also nicht den — vergleichsweise kümmerlichen — Jahrgang 1949 miteinbeziehen und „Zehn Jahre Bundeshaushalt" feiern, obwohl keinem angesichts der Tatsachen und der künftigen Aussichten besonders feierlich zu Mute ist? Dabei geht es unser einem, der nun schon Jahr um Jahr die Geburtstagsrede zu halten hat, fast so wie dem Jens Daniel, der in der letzten Spiegelnummer einen Artikel mit dem Satz begann: „Mir fällt zu Adenauer nun nichts mehr ein". Glücklicherweise gibt es dank der allgemeinen Entwicklung doch noch Stoff für nützliche Überlegungen zum Bundeshaushalt, so daß die Lage wenigstens auf diesem Gebiet noch nicht so ernst ist. Vielleicht verlohnt sich hier ein kurzer Blick auf die Entwicklung des Bundeshaushalts seit 1952, dem ersten einigermaßen normalen Jahr nach dem Übergang zur bundesstaatlichen Existenz.Nur wenige Zahlen! Damals begannen wir mit 20,8 Milliarden DM. Jahr um Jahr hat sich dann das Haushaltsvolumen gesteigert, bis wir schließlich in dem nun dem Hause vorliegenden Entwurf nahe an die 40-Milliarden-Grenze herangekommen sind. Also auch der neue Mann im Bundesfinanzministerium — er ist heute nicht mehr so ganz neu — konnte das Gesetz des steigenden Haushaltsvolumens offenbar nicht durchbrechen. Man kann wohl sagen, daß der Haushalt 1959 einen Rekord aufstellt.Es wäre sogar ein sensationeller Rekord geworden - um im Sportjargon zu reden —, wenn alle Nachforderungen, die die Bundesregierung während der Beratungen im Haushaltsausschuß vorgebracht hat, ohne Gegenmaßnahmen in den Haushalt aufgenommen worden wären. Um es gleich vorwegzusagen: Es war nicht das so oft als zu ausgabenfreudig getadelte Parlament, es war die Bundesregierung selbst, die dem Haushaltsausschuß einen nachträglichen Speisezettel vorlegte, dessen Bewältigung allen Beteiligten beträchtliche Kopfschmerzen bereitet hat.Dabei sind, nachdem die Manipulation glücklich zu Ende geführt worden war, doch eine ganze Reihe von entscheidenden Punkten noch nicht einmal in die Rechnung eingestellt, obgleich man heute schon mit Sicherheit sagen kann, daß diese Fragen auf den Bundeshaushalt zukommen werden. Ich will als Stichwort nur erwähnen, daß für die zu erwartende Verbesserung der Kriegsopferversorgung auch jetzt keine ausreichenden Mittel im Haushalt vorgesehen sind. Das wird für das Haus sicher noch eine ganz beträchtliche Aufgabe darstellen.Das Bild des Haushalts nach der zweiten Beratung zeigt keine entscheidende Veränderung in der Verteilung der Gewichte gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Die Kritik, die ich in der ersten Beratung im Dezember im Namen meiner Fraktion vorgebracht habe, muß deshalb in allen wesentlichen Punkten aufrechterhalten werden. Die finanziellen Aufwendungen sowohl für die kulturellen Aufgaben wie auch für die Lösung der gewaltigen Verkehrsprobleme bleiben weit hinter dem zurück, was angesichts der Lage in diesen Bereichen notwendig wäre, um nur einige Gebiete zu erwähnen.Wir Sozialdemokraten haben zu diesen wie zu einer Reihe von anderen Teilen des Haushalts Anträge gestellt, die von Ihnen im wesentlichen abgelehnt worden sind. In der zweiten Beratung ist dabei von Sprechern der Regierungskoalition wieder das beliebte Spiel getrieben worden, die sozialdemokratischen Anträge zu addieren und daran moralgetränkte Belehrungen an die Adresse der Opposition zu knüpfen, sie möge doch Deckungsvorschläge machen und nicht versuchen, den Haushalt zu sprengen.Ich muß deshalb eine generelle Bemerkung zu diesem Spiel machen, bei dem die Herren Veranstalter für sich selber mit geschwellter Brust das Verantwortungsbewußtsein für die Finanzwirtschaft des Bundes beanspruchen, während sie der Opposition mehr oder weniger deutlich Verantwortungslosigkeit unterstellen. Ich muß ausdrücklich erklären, daß wir Sozialdemokraten mit unseren Anträgen nicht mehr und nicht weniger bezwecken und bezweckten als eine andere Verteilung der Gewichte im Haushalt des Bundes, und zwar auf Aufgaben hin, deren Erfüllung auch durch den Bund wir für eine mindestens ebenso dringende nationale Verpflichtung halten wie die militärische Rüstung.
Wir werden eine Reihe von Anträgen, die in der zweiten Beratung von der Mehrheit des Hauses abgelehnt worden sind, in der dritten Beratung wiederaufnehmen, weil wir sie für unverzichtbar halten und weil wir Sie noch einmal vor die Entscheidung stellen wollen, ob Sie sich wichtigen Aufgaben versagen wollen.In diesem Zusammenhang muß ich einige Bemerkungen zu den Vorgängen machen, die im letzten Stadium der Beratungen im Haushaltsausschuß erneut die Frage nach dem Haushaltsausgleich aufwarfen und die Lösung besonders schwierig und kompliziert machten. Ich sagte schon, daß die Bundesregierung mit Mehrforderungen gegenüber ihrem ursprünglichen Entwurf im Umfange von über 2 Milliarden DM an den Haushaltsausschuß herantrat. Wir wollen nicht jede einzelne dieser Mehrforderungen beanstanden. Einige davon sind sicher unausweislich gewesen. Andere aber sind durchaus einer finanzpolitischen Kritik zugänglich, und es sind nicht die bescheidensten Posten.Ich denke dabei vor allem an die 892 Millionen DM, die die Bundesregierrung für die vorzeitige Tilgung von Nachkriegswirtschaftshilfen an die Vereinigten Staaten und Großbritannien in den Haushalt eingesetzt hat, Beträge übrigens, die die Bundesregierung längst bezahlt hat und die jetzt wohl oder übel veranschlagt werden müssen. Das finanzpolitische Argument für solche vorzeitigen Leistungen ist uns natürlich nicht unbekannt. Sie werden jetzt vorgenommen - man sagt: sie müssen vorgenommen werden -, damit man für das erwartete Steigen der Verteidigungslasten in den kommenden Jahren freie Hand
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Schoettlehat. Das ist nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Politik der Regierung vertretbar, hat aber die zwangsläufige Folge, daß für andere wichtige Aufgaben dann die notwendigen Mittel fehlen, — wiederum — nur als Stichwort und um nur eines von vielen Aufgabengebieten zu nennen: die Verbesserung der Kriegsopferversorgung.Der Haushalt, wie er den Haushaltsausschuß verlassen hat, ist ausgeglichen. Was bisher in der zweiten Beratung an Veränderungen beschlossen worden ist, schlägt nicht so zu Buch, daß es neue Ausgleichsprobleme aufwirft. Die Erfordernisse des Grundgesetzes sind damit formal sicher erfüllt. Eine andere Frage ist, w i e der Ausgleich erzielt worden ist. Was ich dazu in der ersten Beratung gesagt habe, kann ich nur wiederholen. Der Haushaltsausgleich ist zwar gelungen, aber er steht nicht auf sehr soliden Beinen. So wie er sich uns darbietet, ist er das Ergebnis von Rechenkunststücken sehr komplizierter Art. Das bescheidenste ist noch die Heraufsetzung der Einnahmen aus Steuern um 200 Millionen DM. Dazu hat auch der Finanzausschuß des Bundestages geraten. Man kann indessen nach den Erfahrungen des Steuerjahres 1958 nur hoffen, daß diese Schätzung nicht ganz daneben geht.Was sonst an zusätzlichen Deckungsmitteln im letzten Stadium entdeckt worden ist, verdanken wir zum Teil der Bereitschaft der Bundesbank, der Bundesregierung für die Quotenerhöhung beim Interntionalen Währungsfonds einen Sonderkredit einzuräumen, wodurch im außerordentlichen Haushalt 462,5 Millionen DM freigesetzt worden sind. Ferner sind rund 304 Millionen DM dadurch verfügbar geworden, daß das Garantiekonto für USA-Lieferungen frei wurde. Und weil eine gesetzliche Regelung des Problems der Auslandsbonds noch aussteht, erhielt der Bundesfinanzminister weitere 150 Millionen DM, die zwar vorsorglich im Entwurf etatisiert worden sind, aber jetzt doch nicht gebraucht werden. Schließlich sind 50 Millionen dadurch verfügbar geworden, daß der Bundesfinanzminister erst im Herbst dieses Jahres eine Anleihe aufzunehmen gedenkt. So konnten denn 2 Milliarden Mehrforderungen der Bundesregierung etwa 1678 Millionen Deckungsmittel gegenübergestellt und die Deckungslücke im ordentlichen Haushalt auf 373 Millionen reduziert werden.Ein entscheidender Teil des Haushaltsausgleichs stammt aus dem Verteidigungshaushalt; aus ihm sind zu den 2 Milliarden, die schon im Entwurf der Bundesregierung als Minderausgaben im Einzelplan der allgemeinen Finanzverwaltung eingesetzt worden sind, weitere 500 Millionen gekommen. Die tatsächliche Kürzung des Verteidigungshaushalts beträgt also 2,5 Milliarden. Dazu muß noch gesagt werden, daß weitere 2 Milliarden aus dem Einzelplan 14 zur Deckung von Ausgaberesten aus früheren Haushalten verwendet werden, für die die Deckungsmittel anderweitig verbraucht worden sind. An der Oberfläche mag es so aussehen, als ob der Verteidigungshaushalt zum Zwecke des Haushaltsausgleichs besonders kräftig gerupft worden sei. Der Verteidigungsminister wird sich aber wahrscheinlich sehr leicht trösten können, denn die ihm zur Verfügung stehenden Bindungsermächtigungen geben ihm immer noch einen großen Spielraum fürPlanungen, deren Zweckmäßigkeit an anderer Stelle debattiert werden muß und zum Teil schon debattiert worden ist. Die Deckungslücke im ordentlichen Haushalt bleibt dennoch. Sie beträgt nach all den Rechenkunststücken noch immer 373 Millionen, wobei — ich zitiere aus einer Vorlage des Bundesministers der Finanzen an den Haushaltsausschuß — „Mittel für eine Erhöhung der Sozialleistungen nicht veranschlagt sind."Um dieses Loch zu stopfen, hat man wieder einmal Zuflucht zu der allmählich Übung gewordenen Methode genommen, einen bestimmten Prozentsatz bei allen ordentlichen Ausgaben zu sperren, die nicht auf Rechtsverpflichtungen beruhen. Das Finanzministerium hat ausgerechnet, daß das Ergebnis von 1 % dieser Sperre eine Minderausgabe von 100 Millionen DM sei. Da nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses die Sperre nach § 7 des Haushaltsgesetzes 6 % beträgt, würde also ein Betrag von 600 Millionen als Minderausgabe verfügbar. Er wäre teilweise, nämlich im Umfang der vorhin erwähnten Deckungslücke, ein Bestandteil des Haushaltsausgleichs, und allenfalls der Rest wäre für andere Zwecke verfügbar. Denkt man aber daran, welchen Aufwand eine auch nur einigermaßen vertretbare Reform der Kriegsopferversorgung erfordert, dann ergibt sich die Lächerlichkeit der für diesen Zweck vorhandenen Mittel.Es ist ja deshalb auch schon die Rede davon gewesen, den Hundertsatz der Sperre beträchtlich zu erhöhen; 9 oder 10 % wurden erwogen. Aus dem Finanzministerium hörte man für kommende Haushalte von der Absicht, eine 15%ige Sperre ins Auge zu fassen.Hier ist aber doch die Frage erlaubt, bis zu welchem Punkt das eigentlich noch getrieben werden soll. Diese Methode läuft doch praktisch darauf hinaus, das Budgetrecht des Parlaments auszuhöhlen; denn die Ziffern, die dieses Haus auf der Ausgabenseite des Haushalts beschließt, stehen praktisch auf dem Papier, weil sie durch einen simplen Paragraphen im Haushaltsgesetz wieder außer Kraft gesetzt werden. Dem Finanzminister aber wird dabei eine Verfügungsgewalt über einzelne Haushaltstitel in die Hand gegeben, die weit über den normalen Vollzug des Haushalts hinausgeht.Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß das Parlament das Haushaltsgesetz selbst beschließt. Es handelt hier schließlich in einer Zwangslage; denn es verfügt nicht über die Apparatur, die eine wirkliche Prüfung aller Einzelheiten des Haushalts ermöglicht, und darf andererseits nach den Verfassungsvorschriften nur einen ausgeglichenen Haushalt verabschieden.Überhaupt, meine Damen und Herren, ist bei dieser Gelegenheit wieder einmal auf die außerordentlich beschränkten Möglichkeiten des Parlaments hinzuweisen, von seiner Haushaltshoheit einen wirklichen Gebrauch zu machen. Die Manövriermasse im öffentlichen Budget und namentlich im Bundeshaushalt schrumpft immer mehr zusammen. Die Gesetzgebung selbst tut das ihre dazu, die immer weiter um sich greifende gesetzliche Bindung öffentlicher Mittel zu fördern — ein Verfahren, das allenfallsDeutscher Bundestag - 3, Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 3979Schoettlezur Bewältigung von Notständen, wie sie z. B. im Bereich des Verkehrs vorliegen, angewandt, aber nicht als Normalerscheinung betrachtet werden sollte. Genau genommen reduziert sich die Fähigkeit der gesetzgebenden Körperschaft, die Exekutive zu kontrollieren, auf die Bewilligung von Planstellen für Beamte und Geldmitteln für Angestellte, und das ist eine sehr bescheidene Marge für die Kontrollaufgabe des Parlaments.
Auch die Haushaltswahrheit, eines der großen Postulate des modernen Haushaltsrechts, wird durch die Art, wie wir in der Bundesrepublik ein ausgeglichenes Budget zusammenbringen, nicht unerheblich geschmälert. Man braucht als Beispiel nur den Verteidigungshaushalt heranzuziehen. Da stehen noch immer 11 Milliarden auf dem Papier; aber auf Grund der Ausgleichsmanipulationen sind es tatsächlich für das Haushaltsjahr 1959 nur noch 8,5 Milliarden. Damit ist nicht etwa eine sozialdemokratische Forderung erfüllt worden, obwohl wir der Meinung sind, daß der reduzierte Betrag weitaus genügt und möglicherweise auch in diesem Haushaltsjahr nicht voll verbraucht werden wird. Nein, es ist lediglich wieder einmal die berühmte Optik gewahrt worden. Aber Optik bedeutet nicht Haushaltswahrheit, und in diesem Zusammenhang muß ich auf die Tatsache hinweisen, daß der Entwurf des Haushaltsgesetzes auch für das Haushaltsjahr 1959 die Außerkraftsetzung des § 75 der Reichshaushaltsordnung vorsieht. In der ersten Beratung im Dezember habe ich zu diesem Thema erklärt, daß es sich dabei um ein Stück Haushaltsverschleierung handele. In den Beratungen im Haushaltsausschuß ist darüber eingehend gesprochen worden, und auch vom Bundesfinanzministerium wurde zugegeben, daß das Verfahren nicht korrekt sei, auch wenn es durch das Haushaltsgesetz sanktioniert wird. Uns erscheint es notwendig, so bald wie möglich von dieser Methode loszukommen.Leider ist eine Reform des Haushaltsrechts, die wir seit Jahren fordern, bis jetzt offenbar noch nicht über das Studium hinausgekommen. Das Bundesfinanzministerium versucht, wie uns versichert worden ist, das Problem der Einnahme- oder Ausgabereste dadurch zu bewältigen, daß es sie nach und nach abbaut. Wir unsererseits schlagen vor, ernsthaft zu erwägen, ob es nicht andere Mittel gibt, um eine Entwicklung zu verhindern, wie wir sie jetzt vor uns haben und die langsam zurückgeschraubt werden muß. Man sollte überlegen, ob nicht z. B. das in Belgien angewandte System eines Ausgleichsfonds auch für unsere Bedürfnisse verwendbar wäre. In Belgien werden die Haushaltsdefizite aus Jahren ungünstiger Wirtschaftskonjunktur mit einem Teil der im Konjunkturanstieg sich erhöhenden Fiskalerträgnisse verrechnet. Natürlich würde auch eine solche Lösung einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Wir sind uns klar darüber, daß sie nicht ganz unproblematisch ist.Ein weiterer Gesichtspunkt, der in einem gewissen Umfange eine Kritik an dem jetzigen Haushalt enthält, ist das Verhältnis von ordentlichem und außerordentlichem Haushalt. Der außerordentliche Haushalt war in den vergangenen Jahren nicht selten ein Abstellgleis für Aufgaben, für die nicht von vornherein Haushaltsmittel zur Verfügung standen. Man wollte nicht nein sagen und schob die Sache in den außerordentlichen Haushalt in der Hoffnung ab, daß man irgendeinen Weg finden werde, die Mittel dafür bereitzustellen. Formell standen diesen Ausgaben im außerordentlichen Haushalt die Anleiheermächtigungen im Haushaltsgesetz gegenüber. Der Bundesfinanzminister machte von ihnen aber keinen Gebrauch, entweder weil der Kapitalmarkt ihm angeblich oder tatsächlich nicht offenstand oder aber weil ihm die Kassenschwemme der letzten Jahre die Deckung der Ausgaben des außerordentlichen Haushalts aus laufenden Einnahmen gestattete. Die schönen Tage von Aranjuez sind allerdings offenkundig und endgültig vorüber.Auf der anderen Seite aber ist die Trennung des Haushalts in einen ordentlichen und einen außerordentlichen Haushalt nur dann wirklich gerechtfertigt, wenn die Funktion des letzteren als eines Investitionshaushaltes unzweideutig gewahrt wird. Die Finanzierung von vermögenswirksamen Objekten und Projekten aus laufenden Mitteln ist nicht regulär. Solche Projekte sollten in vollem Umfange in das Extraordinarium eingestellt und müßten aus Anleihen finanziert werden.Man wird darüber noch streiten können, was als vermögenswirksam betrachtet werden kann und was nicht. In der Sache aber scheint es auch beim Finanzministerium keine andere Auffassung zu geben, wenngleich die Praxis — mindestens in diesem Haushalt — noch nicht der Überzeugung Rechnung trägt, wie sie in den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushalt 1959 in lapidaren Sätzen zum Ausdruck kommt. Das Finanzministerium ist ja wohl für diese Formulierungen verantwortlich, die lauten:In der Vergangenheit war der außerordentliche Haushalt in der Finanzierung praktisch dem ordentlichen Haushalt gleichgestellt. Die Ausgaben sowohl des ordentlichen wie des außerordentlichen Haushalts wurden durch laufende Einnahmen gedeckt. Diese Handhabung ist für die Zukunft kaum noch denkbar. Man wird sich vielmehr darauf einstellen müssen, daß künftighin der außerordentliche Haushalt durch Kapitalmarktmittel gedeckt werden muß.Übrigens, je länger der Bund mit der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes wartet, um so ungünstiger werden vermutlich die Bedingungen sein, die er dann erhält.Die saubere Scheidung von ordentlichem und außerordentlichem Haushalt nach den hier verkündeten Grundsätzen hätte allerdings nicht nur eine haushaltsrechtliche, sondern auch eine eminent finanzpolitische Seite. Deshalb legen wir auf diesen Punkt besonderen Wert. Selbst wenn man die Voraussetzungen akzeptiert, von denen der Herr Bundesfinanzminister bei der Konzipierung seiner angeblich durch Indiskretion oder Fahrlässigkeit eines Bundesministers in die Öffentlichkeit gekommenen langfristigen Haushaltsplanung ausgegangen ist, daß nämlich auf der einen Seite künftig die Steuer-
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Schoettleeinnahmen hinter dem Ausgabebedarf zurückbleiben werden, daß zweitens die Verteidigungslasten in den kommenden Jahren beträchtlich ansteigen und daß drittens bis zu den Bundestagswahlen von 1961 Steuererhöhungen vermieden werden sollten — das letztere halte ich für ein politisches Glaubensbekenntnis, das aus sehr erklärlichen wahlpolitischen Überlegungen resultiert —, wird die Manövriermasse des Bundes erheblich größer, zumal in der These vom Zurückbleiben der Steuereinnahmen hinter dem Ausgabebedarf insofern ein bedeutungsvoller Bruch steckt, als dabei offensichtlich doch wieder der außerordentliche Haushalt mit seinen Ausgaben in Beziehung gesetzt wird zu den laufenden Einnahmen aus Steuern und Abgaben, was doch offensichtlich systemwidrig ist.Wir sind davon überzeugt, daß die reinliche Scheidung der Investitionen von den übrigen Ausgabeverpflichtungen des Bundes und ihre Finanzierung über den Kapitalmarkt mit einem Schlage eine Finanzmasse freisetzen würde, die eine positive Regelung des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ermöglichen und außerdem die Erfüllung einer Reihe von Aufgaben gestatten würde, die bisher stiefmütterlich behandelt werden.Wir können bei der Beratung dieses Bundeshaushalts nicht darauf verzichten, in unsere Überlegungen auch die Finanzen der Länder und Gemeinden einzubeziehen. Es ist uns klar, daß solche Überlegungen für diesen Haushalt keine Wirkung mehr haben können; aber künftige Haushaltspläne sollten nach unserer Auffassung einigen Tatbeständen Rechnung tragen, die unser Entschließungsantrag zu dieser dritten Beratung aufzählt.Am 13. März 1958 hat der Herr Bundesfinanzminister in einer Art Prinzipienerklärung zu seiner Finanzpolitik vor diesem Hause gesagt:Ich bekenne mich zu dem Grundsatz der Einheit der öffentlichen Finanzen, die der Einheit der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in einem modernen Sozialstaat entspricht.Er fügte hinzu, daß der Gedanke des Finanz- und Steuerverbundes unentwegt vorrücke.Aus einer solchen Erkenntnis müßten dann aber auch die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Der Herr Bundesfinanzminister hat zwar bei der Einbringung des Haushaltsplans am 19. Dezember den erhöhten Finanzbedarf der Gemeinden für den Schulhausbau, den Straßenbau und die Versorgungseinrichtungen anerkannt, aber gleichzeitig auf die Einführung einer Gemeindeeinwohnersteuer, sprich Bürgersteuer, oder eine allgemeine Erhöhung der Grundsteuer verwiesen. Ich habe ihm damals schon entgegengehalten, daß er diesen Ratschlag den Gemeinden just in einem Augenblick erteile, in dem er selbst von Steuersenkungen oder von der Vermeidung von Steuererhöhungen auf der Bundesebene spreche. Das heiße doch, allen Trägern der öffentlichen Haushalte den Schwarzen Peter zuschieben.Über die finanzielle Lage der Gemeinden ist inzwischen genügend bekanntgeworden. Es steht fest, daß bei allen Unterschiedlichkeiten von Gemeinde zu Gemeinde, die sich durch die Unterschiede in der Steuerkraft von selber ergeben, die Verschuldung im ganzen gegenüber etwa 665 Millionen DM im .Tatire 1950 jetzt auf über 10 Milliarden DM angestiegen ist. Gestern abend haben wir von dem Herrn Kollegen Eilers sogar die Summe von 11 Milliarden gehört. Der Investitionsbedarf für die nächsten zehn Jahre wird auf mindestens 40 Milliarden DM geschätzt. Dabei handelt es sich keineswegs um werbende Anlagen, sondern um Schulen, Krankenanstalten, Sportstätten und Straßen, die überdies einen besonders großen fortlaufenden Unterhaltsbedarf erfordern.Die Länder sind bei aller Unterschiedlichkeit von Land zu Land und trotz des horizontalen Finanzausgleichs jetzt bei einer Verschuldung von 4,3 Milliarden DM angelangt. Der Bund hat zwar die Altverschuldung übernehmen müssen, hat aber im übrigen keine wesentliche Verschuldung. Er hat sogar als Kreditgeber auftreten können und hat in den letzten Jahren aus Mitteln des öffentlichen Haushalts Darlehen in einer Gesamthöhe von mehr als 10 Milliarden DM gegeben, einen Betrag, der zwar nicht wegen seiner Zinsen, aber wegen seiner Höhe und seines Herkommens aus dem ordentlichen Haushalt und wegen der beginnenden Rückflüsse durchaus der Beachtung wert ist.Es gibt noch einen Bereich im Haushalt des Bundes, dessen durchgreifende Bereinigung die Manövriermasse vermehren oder den Finanzbedarf des Bundes für die Ausgaben des ordentlichen Haushalts erheblich beschränken würde. In seiner Haushaltsrede bei der Einbringung des Entwurfs hat der Herr Bundesfinanzminister diesen Punkt selber berührt. Es war sozusagen eine Art Sensation für gewisse Herren in diesem Hause; es waren die Subventionen. Daß seine damaligen Äußerungen nicht einem Augenblicksbedürfnis entsprangen, sondern solide fundiert sind, ist wiederum aus den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushalt für 1959 zu entnehmen, in denen dem Problem der Subventionen beinahe vier Seiten sehr gründlicher Darlegungen gewidmet sind. Man kann gegenüber diesem oder jenem Detail der dort gegebenen Begründung verschiedener Meinung sein; im ganzen wird man aber wohl den Schlußfolgerungen zustimmen müssen. Nur kommt es darauf an, diese Schlußfolgerungen auch wirklich zu ziehen. Das heißt aber, der Bund muß sich bis zur Neuaufstellung des Haushalts über die wirtschaftspolitischen Auswirkungen der gewährten Subventionen und über die Frage ihrer Weitergewährung schlüssig werden.
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3982 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
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Sie können genausowenig etwa sagen, daß heute die Länderfinanzen ein einheitliches Ganzes darstellten, wenn Sie z. B. auf die Schulpolitik eingehen wollten. Sie können das z. B. nicht sagen in bezug auf das Land Nordrhein-Westfalen; Sie können es auch nicht sagen in bezug auf Hamburg und auf Baden-Württemberg. Sie können das nur auf vielleicht zwei oder drei Länder anwenden, aber nicht auf alle. Auch hier sollte man sich vor Allgemeinerungen hüten; denn sie trüben das Bild und vermitteln der Öffentlichkeit einen Eindruck, derbei näherem Zusehen nicht mehr aufrechterhalten werden kann.Vielleicht ist es nicht uninteressant für Sie, einmal einen Blick auf die Entwicklung der Realeinkommen pro Kopf der Bevölkerung, umgerechnet auf den heutigen Stand der D-Mark zu werfen. In der Periode von 1901 bis 1905 betrug das Realeinkommen pro Kopf 603 Mark. In der Periode von 1911 bis 1913 wuchs es auf 728 Mark. Und nun kommt etwas sehr interessantes: In der Periode einer, ich möchte ausdrücklich sagen, Scheinkonjunktur von 1925 bis 1929 hatten wir ein Einkommen pro Kopf von nur 696 Mark, umgerechnet in Realkaufkraft, gegenüber 728 Mark in der Zeit von 1911 bis 1913. Eine sehr interessante Frage! Heute haben wir, berechnet auf den Durchschnitt der Jahre 1955 bis 1957, der allerdings durch die günstige Entwicklung des Jahres 1958 und des Frühjahrs 1959 schon wieder in günstigerem Sinne als überholt angesehen werden kann, ein Realeinkommen pro Kopf der Bevölkerung von 1346 DM, d. h. mehr als das Doppelte an Realeinkommen wie in der Periode von 1926 bis 1929! Daran zeigt sich meinem Dafürhalten nach unbestreitbar, daß es in diesen 10 Jahren gelungen ist, dem deutschen Volk nicht allein durch eine vernünftige Finanzpolitik, sondern auch durch eine ebenso gute Wirtschaftspolitik ein Realeinkommen zu sichern, das sich nicht nur im Verhältnis zum Realeinkommen der anderen europäischen Völker als durchaus gleichwertig sehen lassen kann, sondern das auch im Vergleich mit der Vergangenheit ein großer Erfolg ist.
Diesen Erfolg sollte man nicht verniedlichen.
Man könnte aus Anlaß dieser Zehnjahresfeier, die wir ja hier nicht abhalten, sondern die ein Ereignis ist, das wir nur mit unseren Reden begleiten, noch auf vieles andere zu sprechen kommen, so z. B. auf das Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden. Sie sehen bereits in diesem Haushalt Ansätze zu einem besseren Ausgleich des Finanzverhältnisses vor allen Dingen zwischen Bund und Gemeinden. Der Herr Bundesfinanzminister wird sich vielleicht am Schluß dieser Debatten noch einmal dazu äußern. Er hat diese.s heiße Eisen ja bereits in seiner Rede bei der Einbringung des Haushalts mutig und, ich glaube, auch mit einem sehr weiten Echo angefaßt. Angesichts der gegenwärtigen Finanzlage des Bundes wird wohl niemand von ihm erwarten können, daß er hier schon definitive Lösungen anbietet. So weit sind die Dinge noch nicht. Man hat aber den Weg beschritten, und ich glaube, er wird von seiten der Bundesregierung entschlossen weiterverfolgt werden.Lassen Sie mich nun auf eine Reihe von Fragen eingehen, die mein Herr Vorredner aufgeworfen hat und die in der Tat zu den wichtigsten Fragen gehören, denen wir uns heute bei dieser Generalaussprache widmen sollten.Nach dem Grundgesetz muß ein ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden. Die Bundesregierung hat Ihnen einen formal ausgeglichenen Haushalt vorgelegt. Die Frage, die man untersuchen muß, ist die: handelt es sich nur um einen formalen Ausgleich, oder können wir tatsächlich von einem ech-
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3984 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. Vogelten Haushaltsausgleich sprechen? Ist der Haushalt wirklich im Innern, in sich selbst ausgeglichen? Herr Kollege Schoettle hat darauf hingewiesen, daß eine Reihe von Problemen in diesem Haushalt finanziell noch nicht gelöst sind. Er hat vor allen Dingen das Kriegsopferproblem genannt und er hat sehr ausführlich die finanziellen Nöte bestimmter Gemeinden angesprochen. Auf das eine Problem bin ich eingegangen, auf das andere werde ich gleich noch etwas näher eingehen. Im voraus möchte ich jedoch sagen: wenn der Bundesfinanzminister auf dem Anleihemarkt die Anleihen erhält, die er in den außerordentlichen Haushalt eingesetzt hat, kann kein Zweifel daran bestehen, daß dieser Haushalt nicht nur formal, sondern ordnungsgemäß ausgeglichen und daß damit der Verfassung Genüge getan ist.Daß wir genauso wie die Opposition diese überhöhten Reste im Haushalt, daß wir genauso wie sie die Bindungsermächtigungen, die sich in der Vergangenheit als notwendig erwiesen haben, nicht für glücklich halten, darüber haben wir in diesen Debatten hier keinen Zweifel gelassen. Aber ich habe bis jetzt von seiten der Opposition noch niemals einen wirklich brauchbaren Vorschlag gehört, wie man das ungeheuer schwierige Problem der finanziellen Bewältigung der Aufstellung einer Bundeswehr anders und zweckmäßiger hätte lösen sollen. Diese Antwort ist man bis heute schuldig geblieben.Weil es sich hier um das Kernproblem auch dieses Haushalts handelt und Herr Kollege Schoettle es sachlich angesprochen hat, möchte ich hier etwas näher darauf eingehen. Denn hier stellt sich sofort die zweite Frage: Wie steht es mit den Deckungsvorschlägen?Sie haben sich sehr energisch dagegen verwahrt, daß man Ihnen die Ablehnung der Haushalte übelnimmt. Gut, die Ablehnung eines Haushalts ist ein politisches Axiom; ich bin bereit, das zu akzeptieren. Aber ich glaube, nicht das ist der Kernpunkt der Angelegenheit, sondern die Frage, um die es hier geht, ist eine andere; und Sie haben diese Frage nicht klar beantwortet. Sie haben uns bis zum heutigen Tage — auch in der an sich sachlichen Polemik zum Verteidigungshaushalt, die hier geführt worden ist, natürlich immer mit kleinen Abstrichen versehen — nicht gesagt, wie teuer die Bundeswehr ist, die Sie, die SPD, sich vorstellen. Was wollen Sie dafür ausgeben, und wieviel sind Sie bereit, dafür in einen Haushalt einzusetzen?
— Herr Kollege Ritzel, ob sie billiger sein wird, das bezweifle ich stark. Vor einem möchte ich Sie allerdings warnen, nämlich etwa eine Bundeswehr aufzustellen, die die Funktion eines Nachtwächterkorps in Europa vollziehen soll. Das wäre herausgeworfenes Geld. Das sage ich Ihnen von vornherein,
lassen Sie das lieber gleich bleiben. Entweder Sieleisten einen wirklichen Beitrag zu den Kräften,von denen Sie heute erwarten, daß sie Berlin fürSie verteidigen, oder Sie lassen es bleiben. Wenn Sie sich vor dieser Verantwortung drücken, bleiben Sie eben diesem Hohen Hause in dem entscheidendsten Punkt die Antwort schuldig.
Ich kann mir bei dieser Gelegenheit nicht verkneifen, doch noch auf einige Ziffern zurückzukommen, die in diesem Zusammenhang, wie ich glaube, von entscheidender Bedeutung sind. Ich bin mir dabei bewußt — und ich bitte die Opposition, mir das abzunehmen —, daß ich hier bestimmte Dinge nicht ansprechen kann, obwohl sie hier unter uns leicht ansprechbar wären, weil ich — Sie werden das verstehen — mit Recht im Ausland bestimmte Konsequenzen daraus befürchten müßte.Lassen Sie sich bitte noch einmal die Zahlen durchs Gedächtnis gehen, die der Herr Bundesverteidigungsminister gestern hier, ich glaube, ein wenig zu unbemerkt, genannt hat. Tatsächlich ausgegeben worden sind 1955/56 nur 3,5 Milliarden DM, 1957 5,5 Milliarden DM und 1958 8 Milliarden DM. Das sind die tatsächlich geleisteten Ausgaben für die Verteidigung. Halten Sie sich, meine Damen und Herren, die letzte Zahl unserer Besatzungsleistungen aus dem Jahre 1955 — 7,2 Milliarden DM — vor Augen. Ich überlasse Ihnen selbst, die Folgerungen zu ziehen, die Sie alle, wenn Sie ehrlich sind, daraus ziehen müssen und an denen Sie nicht vorbeikönnen.
Zu beurteilen, was sich normalerweise ergeben hätte, wenn die Pariser Verträge nicht in Kraft getreten wären, nämlich bei einer Weiterschreibung dieser 7,2 Milliarden DM, muß ich Ihnen allen angesichts des von 1955 bis 1959 weiter gewachsenen Haushalts selbst überlassen. Hier hört nach meinem Dafürhalten das auf, was ich dazu sagen darf, ohne uns selbst zu schaden.Mit allem Nachdruck möchte ich aber auf ein anderes Problem gerade in diesem Augenblick zu sprechen kommen, wo niemand weiß, ob es den Westmächten in Genf gelingen wird, die unerträgliche Herausforderung und die massive Bedrohung Berlins abzuwehren. Wir verlassen uns in dieser Stunde ja nicht allein auf den Mut, das Freiheitsbewußtsein und den sozialen Lebensstandard unserer Berliner, sondern wir müssen uns, ob wir wollen oder nicht, in erster Linie auf die Loyalität und auf das Gemeinsamkeitsbewußtsein unserer westlichen Verbündeten in der Verteidigung der freien Welt verlassen.
Es wagen zu wollen, unsere Loyalität gegenüber der NATO gerade in diesem Augenblick dadurch unter Beweis zu stellen, daß wir noch weitere Streichungen bei der Bundesverteidigung vornehmen, das möchten meine Freunde und ich unter keinen Umständen tun.
Hier ist einmal das Wort gefallen: Berlin wird durch den sozialen Standard des deutschen Volkes
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 3985
Dr. Vogelmitverteidigt. Sicher steckt dahinter etwas Wahres. Aber wir könnten vielleicht einmal in die Gefahr geraten, daß sich der Standard nach zig Jahren in der Sowjetzone oder in der Sowjetunion hebt. Ich bin der Überzeugung, daß wir das vielleicht kaum erleben werden. Aber die Gefahr besteht. Herr Dr. Deist, das werden Sie genauso wissen, wie ich es weiß. Dann wird dieses Argument überhaupt nicht mehr ziehen, sondern dann wird das Freiheitsbewußtsein der westlichen Welt gegenüber dem Osten wirklich das allein Entscheidende sein. Dann wird es sich darum handeln, ob man bereit ist, für die Verteidigung dieser Freiheit auch die nötigen Opfer aufzubringen, Opfer nicht allein auf sozialem, sondern eben auch auf militärischem Gebiet. Wenn Sie hierbei konsequent sind, werden Sie von sich aus, glaube ich, zugestehen müssen, daß bestimmte Folgerungen, die Sie von der SPD aus diesem Haushalt gezogen haben, in sich zusammenbrechen; denn sie können angesichts der Bedrohung von Berlin und angesichts der fatalen Situation, der wir uns heute infolge der sowjetischen Herausforderung gegenübersehen, nicht aufrechterhalten werden.Meine Damen und Herren, auch wir haben eine Menge von Wünschen, die noch offengeblieben sind. Die Kriegsopfernovelle wird sicher in diesem Haushaltsjahr verabschiedet werden. In diesem Haushaltsplan sind noch bestimmte Möglichkeiten offen, um die 550 Millionen DM zu decken, die der Bundesarbeitsminister in seinem Plan dafür angefordert hat. Nun wird sich das Hohe Haus mit den eingebrachten Anträgen befassen müssen. Wie es dazu Stellung nimmt, wissen wir noch nicht. Aber eines ist sicher: daß wir mit einer Kürzungsklausel von 6 %, die wir jetzt schon, sagen wir einmal, als das Höchstmaß dessen ansehen, was man von den allgemeinen, nicht gesetzlich gebundenen Ausgaben abziehen darf, niemals auskommen werden. Über die Konsequenzen muß man sich dann klarwerden.Von meinem Herrn Vorredner ist in der Debatte in diesem Zusammenhang von der einen Milliarde gesprochen worden, die der Bundesfinanzminister für Schuldenrückzahlungen der Kasse entnommen hat und die infolgedessen verschwunden ist; sie ist nicht mehr da. Ich erinnere mich noch deutlich der scharfen Angriffe, denen der Vorgänger des jetzigen Bundesfinanzministers, Fritz Schäffer, ausgesetzt war, weil er diesen Weg nicht bereits in den vergangenen Jahren gegangen war. Wenn der Bundesfinanzminister heute eine Milliarde aus der Kasse dazu verwendet, unbestreitbar schwerere Haushalte der Zukunft rechtzeitig zu mildern, kann man ihm daraus keinen Vorwurf machen, erst recht dann nicht, wenn man diesen Vorgang zu erhöhten Aufwendungen für die ;Kriegsopfer in Vergleich setzt. Denn die Kriegsopfer verlangen ja keine einmaligen Ausgaben, sondern sie verlangen dauernd höhere Ausgaben. Dauernd höhere Ausgaben können künftige Haushalte überhaupt nur verkraften, wenn in ihnen Entlastungen auf der Ausgabenseite eingetreten sind. Eine solche Entlastung stellt, wenn auch nur in bescheidenem Umfang, eine vorzeitige Schuldenrückzahlung unbestreitbar dar.Auch wir haben noch offengebliebene Wünsche, in bezug auf den Straßenbau und — meine Freunde haben das hier zum Teil auch zum Ausdruck gebracht - in bezug auf die Übertragung von Summen aus dem Bundesvermögen auf die Versicherungsgesellschaften, um nur einmal zwei der größten Brocken herauszunehmen. Wir sind überzeugt, daß diese Aufgaben in Angriff genommen werden. Wir sehen in der Arbeit der Höcherl-Kommission und ihren Ergebnissen einen sehr vernünftigen und erfolgversprechenden Ansatz dazu. Ich glaube, man wird angesichts der eingetretenen Dieselpreisermäßigung um 11/2 Pf in den letzten Wochen beim besten Willen nicht mehr davon sprechen können, daß die jetzt in Aussicht genommene Neubelastung von 21/2 Pf wirklich das Geschrei rechtfertigt, mit dem von bestimmten Kreisen heute dagegen angegangen wird. Eine derartige Belastung würde sich, wenn allein eine Veränderung in den Frachtraten auf dem Weltmarkt einträte, beinahe von selbst erledigen. Ich glaube, daß wir hier auf dem Wege sind, ein uns allen am Herzen liegendes Problem, nämlich das des Straßenbaues, einen kräftigen Schritt voranzubringen. Ich darf es mir ersparen, auf die Fortschritte im Straßenbau in den letzten Jahren einzugehen. Der Herr Bundesverkehrsminister hat das in seiner Antwort am Schluß der Verkehrsdebatte in überzeugender Weise dargetan.Ich möchte mit einem Wort auf die kritischste Frage des Haushaltsausgleichs eingehen. Das ist unbestreitbar das Anleiheproblem. Der Herr Bundesfinanzminister hat in dieser Beziehung einen kräftigen Optimismus gezeigt. Das steht ihm wohl an. Ich würde an seiner Stelle vielleicht auch nichts anderes tun können, als darauf zu vertrauen, daß der Anleihemarkt das Geld hergeben wird. Aber das Beispiel der nicht untergebrachten Postanleihe von 200 Millionen DM in den letzten Wochen gibt naturgemäß allen Leuten, die sich mit diesen Dingen befassen müssen, einige Rätsel auf.Sehr viel wird erstens von der Willigkeit der Bankenwelt — der Bundesbank an der Spitze — abhängen, mit dem Bund gemeinschaftlich an der Lösung des Problems zu arbeiten. Zweitens wird es von der Aufnahmewilligkeit nicht nur der Banken, sondern auch der breiten Massen des Publikums abhängen. Bis jetzt haben wir erlebt, daß die öffentlichen Anleihen leider nur in einem relativ kleinen Ausmaß in die privaten Hände gelangt sind. Hier liegt eines der großen Probleme, dessen Lösung noch offen ist.Unendlich viel wird davon abhängen, ob wir Staatsanleihen wieder zu einem gleichen Vertrauensobjekt der Anlage bei den Sparern machen können, wie das vor 1914 einmal der Fall war und wie es in anderen Ländern, z. B. in England, auch heute noch der Fall ist. Dagegen müssen wir in den Vereinigten Staaten einen Prozeß beobachten, der auch uns Anlaß zu großer Sorge gibt. Der Schatzkanzler der Vereinigten Staaten war ja infolge der erhöhten Diskontsätze nicht mehr in der Lage, den Prozeß der Umschuldung kurz- und mittelfristiger in langfristige Kredite ohne neue Gesetze des Kongresses durchzuführen.
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3986 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. VogelBei der Frage der Gesamtverschuldung muß das Bild, das Herr Kollege Schoettle und vor ihm Herr Kollege Eilers von der Verschuldung entworfen haben, etwas ergänzt werden. Man kann nicht nur sagen: 11 Milliarden DM Gemeindeschulden, 4,3 Milliarden DM Länderschulden, eine Summe, die sie nach meinem Dafürhalten, gemessen an der Finanzkraft und an dem Vermögen der Länder, nicht zu drücken braucht. Wenn man die Verschuldung des Bundes dazu in Beziehung setzt, darf man die Schulden nicht übersehen, die Bundesbahn und Bundespost in der Zwischenzeit auf sich nehmen mußten. Wenn es sich dabei auch um Sondervermögen handelt, so wissen wir doch alle, daß der Betrag von rund 1 Milliarde DM, den wir heute, in welcher Form auch immer aufgegliedert, der Bundesbahn als Zuschuß leisten müssen, im Grunde nichts weiter ist als eine Übernahme der Schulden der Bundesbahn auf den Bundeshaushalt. Bei der Konsolidierung und der Sanierung der Bundesbahn, von der ich hoffe, daß sie nach der Erstattung des Brandt-Gutachtens in die Wege geleitet werden kann, werden wir auf den Bundeshaushalt noch ganz andere Opfer, als es bis jetzt der Fall war, zukommen sehen.Ich übersehe auf der anderen Seite nicht die Aktiva bei uns. Wir haben noch keinen entschlossenen Versuch gemacht, die großen Summen der Darlehensbeträge für den Wohnungsbau in irgendeiner Form zu mobilisieren. Hier sehe ich eine der großen Möglichkeiten der Zukunft zum Ausgleich künftiger, schärfer angespannter Haushalte, als es der diesjährige sein wird.
— Es sind sogar, glaube ich, noch mehr als 10 Milliarden; insgesamt beträgt die Summe wohl, alles in allem gesehen, 19 Milliarden. Aber davon ist ja nur ein Teil mobilisierbar, wenn auch immerhin zu sehr geringen Zinstiteln, Herr Kollege Dr. Schäfer.Ich sehe bestimmte Möglichkeiten auch noch im ERP-Vermögen. Es ist überhaupt eine höchst eigenartige Erscheinung, daß wir uns erst gestern im Haushaltsausschuß in einer zeitlich sehr beschränkten Sitzung mit dem ERP-Vermögen beschäftigen konnten, einem Vermögen, das immerhin über 7 Milliarden ausmacht und das heute in dem Ausgleich gewisser Bedürfnisse der öffentlichen Hand neben dem Bundeshaushalt überhaupt gar nicht mehr wegzudenken ist. Wir haben hier noch eine bestimmte Reserve. Ich bin Herrn Minister Lindrath sehr dankbar dafür, daß er diese Reserve in einem, ich glaube, erfreulicheren Maße auch für Aufgaben der Haushaltspolitik aktiviert, als das früher der Fall war, als, ich möchte einmal sagen, der Klub der Ministerialräte unter sich war und nun völlig unter sich diesen Riesenbrocken aufteilte. Wir stehen heute, wenn Sie so wollen, einer stärkeren Politisierung der Erträge des ERP-Vermögens gegenüber, und den Gebrauch, der damit gemacht worden ist, halte ich für durchaus glücklich und in jeder Beziehung vertretbar. Ich komme darauf noch bei einem besonderen Punkte zu sprechen, nämlich bei unseren Leistungen für die unterentwickelten Gebiete.Lassen Sie mich meine Bemerkungen über die Fährnisse, die auf dem Anleihemarkt noch vor uns liegen, mit einer kurzen Bemerkung abschließen, die im Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für 1958 auf Seite 44 enthalten ist. Dieser Satz erscheint mir doch so bedeutsam, daß ich ihn hier im vollen Wortlaut verlesen möchte:Die Verantwortung liegt daher in erster Linie bei der öffentlichen Hand, oder genauer: bei den für die Budgetgestaltung zuständigen Instanzen. Diese müssen sich darüber im klaren sein, daß es gefährlich wäre, einen öffentlichen Kreditbedarf entstehen zu lassen, dessen Höhe über die Kapazität des Marktes hinausgeht oder auch nur atmosphärisch ungünstig wirken würde. Denn mit einem Rückschlag am Kapitalmarkt würde ein großer Teil der in den letzten anderthalb Jahren erzielten inneren Konsolidierungserfolge wieder aufs Spiel gesetzt und zugleich die Fortführung der äußeren Währungspolitik wesentlich erschwert werden.Das sind Sätze, die wir alle gemeinsam beachten müssen. Ich bin sicher, daß der Bundesfinanzminister sie in seinen Gesprächen mit dem Präsidenten der Bundesbank längst vorher abgesprochen hat und daß er mit ihm in dieser Beziehung übereinstimmt.Ich darf noch auf eine Reihe anderer Punkte hinweisen, von denen gleichfalls die Durchführung dieses Haushalts abhängig sein wird. Das ist in erster Linie die Frage: können wir berechtigterweise erwarten, daß das Sozialprodukt die 6%ige Steigerung erreichen wird, auf der der Bundesfinanzminister seine Kalkulation aufgebaut hat? Es ist deswegen notwendig, bei dieser Gelegenheit einmal den Horizont etwas abzuschreiten, der sich uns hier heute öffnet. Meiner Überzeugung nach sind sogar bestimmte optimistische Erwartungen, die wir in den Monaten Januar/Februar hegten, durch den bisherigen Verlauf der Konjunktur übertroffen worden. Das Ergebnis des Steuereingangs hinkt ja in dieser Beziehung immer etwas nach. Aber ich bin überzeugt, daß sich in der entscheidenden Phase, nämlich im letzten Vierteljahr dieses Jahres — nicht im Haushaltsjahr, sondern im Kalenderjahr 1959 —, doch die Frucht des Aufstiegs dieser Konjunktur 1959 deutlicher zeigen wird.Manchmal befällt mich sogar eine gewisse Sorge, wenn ich den letzten Index von der Bauwirtschaft höre, ob wir nicht vielleicht in den späteren Monaten dieses Jahres — ich denke vor allen Dingen an den immer ein wenig gefährlichen Monat September, wie im Jahre 1955 — einer Übersteigerung der Baukonjunktur zusteuern. Ich bin deswegen der Opposition in gewisser Hinsicht dafür dankbar, daß sie selbst die Folgerungen aus dieser Entwicklung gezogen und ihre Anträge zur Wohnungsbaupolitik zurückgezogen oder gemäßigt hat. Ich halte das für einen klugen Akt; denn Sie werden mit uns übereinstimmen, meine Damen und Herren, daß in diesem Augenblick noch weiteres Öl hier hineinzu-
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Dr. Vogelgießen keineswegs klug wäre, sondern unter Umständen gefährliche Folgen heraufbeschwören könnte. Wir alle sollten daher übereinstimmend eine stabile Konjunktur für wertvoller halten als eine Sprungkonjunktur, die heute steil in die Höhe geht und morgen unter Umständen wieder steil zurückgeht.
Die Bundesbank hat, glaube ich, recht, wenn sie in ihren Bemerkungen sagt, daß der erreichte Konsolidierungsprozeß, d. h. das Zinsniveau, das wir heute erreicht haben, vielleicht auf die Dauer gesehen wichtiger ist, als das, was wir noch vor zwei Jahren an einer zu großen Wachstumsrate beim Bruttosozialprodukt beobachten konnten. Eine stabile, dauernde Wachstumszuwachsrate von 6 % scheint mir in vieler Hinsicht nützlicher zu sein als ein zeitweiliges Hinaufschnellen auf 12 %, wie das 1955 der Fall war.Wir alle haben wohl auch zum erstenmal mit einer gewissen Erleichterung nicht nur den Stillstand der Bewegung bei den Kohlenhalden, sondern ein ganz kleines, leichtes Absinken festgestellt. Wir verzeichnen auch im Straßenbau und im Tiefbau eine Konjunktur, wie wir sie niemals in den vorangegangenen Jahren zu verzeichnen haben.Ich darf Ihre Aufmerksamkeit auch auf einen Vorgang lenken, der, auf weite Sicht gesehen, mir eine viel sichere Garantie für den Konjunkturverlauf zu sein verspricht als andere Dinge, nämlich das Anziehen der Weltrohstoffpreise. Durch das Anziehen der Rohstoffpreise wird allerdings der Wert unserer Einfuhr hinaufschnellen, was wir in diesem Augenblick durchaus verkraften können und was sogar ein erwünschter Vorgang ist. Auf der anderen Seite werden sich unsere Hauptabnahmeländer, darunter so manches hilfsbedürftige Entwicklungsland, viel leichter in der Aufnahme unseres Exports tun, als es bis jetzt der Fall war, und wir werden vielleicht auch nicht das hinausborgen müssen, was wir unter einem Fortgang der schlechten Rohstoffpreise hätten tun müssen.Die Hannoversche Messe hat mit einem ungewöhnlich hohen Auftragseingang für die Industrie, vor allem die Maschinenbauindustrie, eingesetzt, und wir können, wenn wir eine Reihe von anderen Industriezweigen hinzunehmen, von eine Konjunktur sprechen, die vielleicht mehr in Aussicht stellt als die 6 %, die wir zugrunde gelegt haben — wenn auch nicht sehr viel mehr; das möchte ich gleich abschwächend sagen.Wir haben mit allergrößter Befriedigung festgestellt, daß wir nach den Mitteilungen der Nürnberger Behörde in diesem Frühjahr den tiefsten Stand der Arbeitslosigkeit überhaupt bisher erreicht hatten, und das Erstaunliche, was noch vor wenigen Jahren selbst unsere erfahrensten Volkswirte und Währungspolitiker nicht für möglich gehalten haben, scheint doch jetzt einigermaßen, ich möchte nicht sagen, erreicht, aber in den Bereich des Möglichen gerückt zu sein: die Erreichung des „magischen Dreiecks" „Vollbeschäftigung bei Preisstabilität und bei einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz."
Das erreicht zu haben, meine Damen und Herren — nehmen Sie es uns bitte nicht übel —, erfüllt uns mit Stolz: daß eine Regierungspolitik immerhin in der Lage war, so etwas als beinahe einziges Land in der Welt mit zu erreichen.
Ich kann allerdings eine solche Betrachtung nicht abschließen, ohne einen besorgten Blick auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu werfen. Zwar gilt auch für uns wahrscheinlich das Wort, das vor einigen Tagen ausgesprochen worden ist, daß ein Schnupfen in den Vereinigten Staaten noch nicht zu einer Lungenentzündung bei uns zu führen braucht. Aber immerhin sind trotz der erstaunlichen Konjunktursteigerung in den Vereinigten Staaten drüben einige Probleme wie das Problem der Arbeitslosigkeit und das Problem des Stillstands der inflationären Entwicklung noch nicht gelöst worden. Wir, die wir uns heute untrennbar in der freien Welt mit den Wirtschaften der ganzen freien Welt verbunden fühlen, hoffen, daß es auch den Vereinigten Staaten gelingen möge, diese Dinge im Lauf dieses Jahres aufzufangen; denn nichts braucht die freie Welt in den nächsten Jahren mehr als eine ausgeglichene stabile Konjunktur, wenn sie der politischen Herausforderung des Ostens wirklich begegnen will.Ich glaube, wir sollten bei dieser Gelegenheit auch alle unseren Dank für die Disziplin aussprechen, die in den vergangenen Jahren von allen Seiten geübt worden ist und die die Erreichung des Zieles: Stabilität der Währung bei gleichzeitiger Stabilität der Preise und bei einem so niedrigen Diskontsatz, wie wir ihn gegenwärtig zu verzeichnen haben, möglich machte. Ich schließe in diesen Dank auch die deutschen Gewerkschaften mit ein.Dabei möchte ich ausdrücklich folgendes sagen: wenn wir, wie in den vergangenen zwei Jahren, eine schnellere Entwicklung der Löhne zu verzeichnen haben, als es dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts entspricht, und wenn diese Entwicklung von einem ähnlich starken Wachstum der Spartätigkeit in unserer Bevölkerung begleitet wird, dann vermag ich darin zunächst noch keinerlei Gefahrenmomente zu sehen. Wenn diese Dinge ineinandergreifen, wenn das Volk das, was es mehr verdient, nicht sofort konsumiert, wenn es nicht auf Borg kauft — was in den Vereinigten Staaten leider zum Teil der Fall ist — und wenn das, was zurückgelegt wird, dazu dient, unseren Zinssatz noch niedriger zu gestalten, als er augenblicklich ist, wodurch dann Neuinvestitionen zu vernünftigen Bedingungen ermöglicht werden, dann kann die Konkurrenzfähigkeit Westdeutschlands gegenüber cien anderen Industriestaaten und die Konkurrenzfähigkeit der ganzen westlichen freien Welt gegenüber dem Osten durchaus aufrechterhalten werden, und wir können dann die Freiheit auch auf diesem Gebiet erfolgreich verteidigen.Allerdings kann ich diese Bemerkungen nicht ohne einen gewissen Hinweis auf das meiner Überzeugung nach jetzt allzu stürmisch vorangetriebene Tempo der Arbeitszeitverkürzung abschließen. Ich lese gerade heute morgen in der Zeitung von der
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Dr. Vogel40-Stunden-Woche im Textilgewerbe. Das sind Dinge, die sehr stark im Auge behalten werden sollten. Man muß sich dabei das allgemeine Konjunkturbild vergegenwärtigen und vor allen Dingen bedenken, in welch starkem Maße heute bestimmte Völker des fernen Ostens gerade auf dem Textilmarkt als Konkurrenten in Erscheinung treten. Ich glaube, diese Probleme sind hier zu bekannt, als daß ich näher darauf einzugehen brauchte.Nur der niedrige Zinssatz und damit die Aufrechterhaltung der Investitionstätigkeit in den letzten beiden Jahren haben die Rationalisierungserfolge möglich gemacht, die wiederum die Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzungen erfolgreich auffangen konnten. Das Ineinandergreifen von niedrigen Zinsen, von Spartätigkeit und von Disziplin auf allen Seiten scheint mir eine der glücklichsten Gegebenheiten zu sein, die wir heute generell in Deutschland zu verzeichnen haben. Dafür sollten wir alle zusammen dankbar sein. Das ist einer der Punkte, in denen sich Opposition und Regierungsparteien durchaus einig sein können.
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Lassen Sie mich jetzt auf einige Einzelprobleme eingehen, die im Zusammenhang mit dem Haushalt eine besondere Beachtung verdienen. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit auf den Schuldenabbau lenken, den wir innerhalb der letzten Jahre vollzogen haben. Sie finden darüber im Mai-Heft der Deutschen Bundesbank nähere Darlegungen. Wenn wir seit 1953 nicht weniger als 5,4 Milliarden DM an Schulden zurückzahlen konnten, trotz der erstaunlichen Leistungen auf allen Gebieten, dann scheint mir das doch ein höchst bemerkenswerter Vorgang zu sein.Allerdings, fürchte ich, fällt auf diesen Vorgang natürlich der Schatten der Anleihen, die wir in diesem Jahr aufnehmen müssen. Die Gemeinden und die Länder sollten bei den Anforderungen, die sie jetzt an den Bund stellen, nicht ganz außer acht lassen, daß sich der Bund in den nächsten Jahren mit tödlicher Sicherheit viel schneller und viel gewaltiger verschulden muß, als das bis jetzt bei den Gemeinden und Ländern der Fall war. Das sollte man sich vor allen Dingen bei den Hoffnungen vor Augen halten, den Straßenbau durch Anleihen finanzieren zu können. Das ist doch einfach nicht mehr mit drin, heute zu hoffen, wie das in den Reden auf dem Straßentag in Hannover zum Ausdruck gebracht worden ist, einen höheren Prozentsatz, als er bis jetzt vorgesehen war, für den Straßenbau durch Anleihen auf dem öffentlichen Markt zu decken.Ich möchte in diesem Zusammenhang mit Freude feststellen, daß Kollege Schoettle ein sehr starkes Wort, wenn ich richtig verstanden habe, gegen die Zweckbindungen gesagt hat. Ich glaube, wir waren uns beide immer darüber einig, daß die Zweckbindung der öffentlichen Mittel ein verkehrter Weg ist und daß wir den ohnehin schon recht bescheidenen Spielraum, den das Hohe Haus überhaupt noch in der Gestaltung der Finanzen hat, nicht durch weitere Zweckbindungen noch mehr einengen sollten. Infolgedessen werde ich mich immer dagegen zur Wehr setzen. Ich lasse mich nicht von der Überzeugung abbringen, daß auch Zweckbindungen, z. B. in Gestalt eines Sondervermögens für den Straßenbau, wohin heute manche Vorstellungen gehen, gerade das wären, was wir zur Erhaltung der Hauhaltshoheit dieses Hauses nicht tun sollten.
Ich werde darin noch bestärkt durch einen Antrag der SPD. Kollege Dr. Schäfer hat den Antrag gestellt, wir sollten aus Bundesmitteln 25 Millionen DM mehr für die Bereitschaftspolizei aufwenden. Dieser Antrag führt, wenn ich ihn richtig verstanden habe, ein Schreiben weiter, das der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste an uns alle gerichtet hat und in dem er forderte, wir sollten — -
- Zufällig? Gut, ich nehme das an; aber dieses Zusammentreffen ist für uns alle jedenfalls nicht uninteressant. Dort wird nämlich eine Verstärkung der Bereitschaftspolizei um 50 % gefordert mit dem Hinweis darauf, daß die heutige Polizei dem Straßenverkehr einfach nicht mehr gewachsen ist. Ja, meine Damen und Herren, hier wird deutlich sichtbar, daß die Mittel, die wir aus den Abgaben der Mineralölsteuer und der Zölle bereitstellen, nicht allein für den Straßenbau aufgebracht werden müssen, sondern auch noch in ganz andere Kanäle fließen und daß heute die Ausgaben zur Erfüllung der gewaltigen Anforderungen an die Polizei genauso mit daraus bestritten werden. Das ist ein Vorgang, der von der anderen Seite geflissentlich übersehen wird.Ein weiteres Problem, das ich heute gerne behandelt hätte, wird voraussichtlich mein verehrter Kollege Schild eingehender erörtern. Ich meine damit die Erwiderung auf das, was Kollege Margulies gestern hei der Erörterung der Finanzen der Europäischen Gemeinschaft, der supranationalen Behörden, gesagt hat. Das ist für uns ein unerhört interessantes Kapitel; denn hier werden völlig neue Weichen gestellt. Meine Damen und Herren, ich kann mich hier eines bestimmten Eindrucks nicht erwehren. Die Verträge, die zu diesen von uns durchaus bejahten Zusammenschlüssen geführt haben, sind ja nicht vom Parlament, sondern von Verwaltungen ausgearbeitet worden. Daß die Verwaltungen bei der Einschaltung der Haushaltskontrolle sehr zurückhaltend waren, liegt in der Natur der Sache. Wir konnten damals, da uns fertige Verträge vorgelegt wurden, nicht mehr das Notwendige von uns aus tun. Das muß, Herr Kollege Margulies, in der Zukunft in irgendeiner Form einmal nachgeholt werden. Ich beneide Sie nicht um die Verantwortung, die Sie in diesen Versammlungen übernommen haben, diese Dinge jetzt richtigzustellen. Das ist ein sehr schwieriges Problem. Ich wollte es hier nur gestreift haben. Ich nehme an, Herr Kollege Schild wird das nachher ein wenig vertiefen.An einem Problem dürfte das Hohe Haus bei dieser Gelegenheit unter keinen Umständen vorübergehen. Wir sehen uns heute einer Stagnation der europäischen Integration gegenüber. Daß gestern der Präsident dieses Hohen Hauses an einen illustren Gast, an den Herrn Präsidenten Robert
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Dr. VogelSchuman, sehr freundliche und von uns allen so lebhaft applaudierte Begrüßungsworte richtete, hatte eine gewisse symbolische Bedeutung. Schuman war schließlich nicht nur aus Höflichkeit hierhergekommen, sondern, ich glaube, weil er unsere Besorgnis über die Stagnation der europäischen Integration teilt. Wir beobachten diese Stagnation heute nicht nur in der Streitfrage Freihandelszone und EWG, sondern mit noch größerer Sorge bei der Montanunion und bei der neuen Plangestaltung bei Euratom. Wir verfolgen mit Ernst die Überlegungen in der Frage: Fortschreiten im Bau von Atomkraftwerken oder Konzentration auf die Forschung allein? Wie immer auch diese Dinge laufen mögen, wir haben, glaube ich, alle miteinander den Wunsch, daß neue, kräftige Impulse entfacht werden, um diese Stagnation zu beenden und die europäische Integration weiterzuführen.
Dazu wird eine gründliche Überprüfung der gesamten Lage notwendig sein. Wir sollten uns ernsthaft sagen, daß von jedem Staat die besten, die entschlußkräftigsten und die phantasievollsten Leute in diese Gremien entsandt werden sollten, gerade in der so kritischen Periode, in der der Integrationsgedanke heute angelangt ist.Lassen Sie mich jetzt zu einem weiteren Punkt kommen, der unseren Haushalt in der Zukunft in steigendem Maße in Anspruch nehmen will und den wir infolgedessen hier auch etwas stärker ansprechen müssen. Ich meine die Hilfe für die Entwicklungsländer. Es wäre durchaus verfehlt, wenn man hier das Augenmerk nur auf die 50 Millionen DM richten wollte, die dafür im Haushalt des Auswärtigen Amtes stehen. Bei der Beratung des ERP-Haushalts fiel uns allen die Summe von 260 Millionen DM auf, die als revolvierender Fonds gleichfalls für die Entwicklungsländer bereitgestellt worden ist. Wir dürfen darüber hinaus nicht unsere Augen vor einem Akt verschließen, den wir gleichfalls im Haushaltsausschuß sanktioniert haben, nämlich der Erhöhung des deutschen Anteils an der Weltbank von 330 Millionen Dollar auf 1050 Millionen Dollar. In Kürze wird der deutsche Zeichnungsanteil an der Weltbank und am internationalen Währungsfonds bei einem Stand von über 7 Milliarden angelangt sein. Das sind Summen, an die wir alle vor wenigen Jahren noch niemals überhaupt zu denken gewagt hätten.Man muß diese Summen zu den Mitteln hinzurechnen, die wir im ordentlichen und im außerordentlichen Haushalt direkt für die Entwicklungsländer aufgebracht haben. Wir müssen ferner die 2 Milliarden hinzurechnen, die im Haushalt an Bürgschaften des Bundes für besonders risikoreiche Engagements des deutschen Exports im Ausland bereitgestellt worden sind. Wenn ich recht unterrichtet bin, dürfte der Bund bereits in diesem Jahre aus den Ausfallgarantien mit einer Summe von nicht weniger als 260 Millionen DM in Anspruch genommen werden. Man darf eine solche Summe nicht ohne weiteres beiseite schieben und, von außen gesehen, den Eindruck verstärken, daß diese Probleme von unserer Seite finanziell noch nichtso gewürdigt worden seien, wie sie es verdienten. Wenn allein aus solchen Risiken Verluste in einer Größenordnung von 1/4 Milliarde, jetzt beginnend, erwachsen, kann man uns nicht den Vorwurf machen, wir hätten dieses Problem nicht gesehen und wir seien nicht bereit, Opfer dafür zu bringen. Wir wollen auf diesem Gebiete gemeinschaftlich weiterarbeiten. Wir werden noch mehr tun als bis jetzt. Aber ich muß es zurückweisen, wenn man dauernd so tut, als ob dieses Problem von uns nicht richtig erkannt worden wäre.Ich bin überzeugt, auch anderen Ländern werden ähnliche, vielleicht noch größere Verluste nicht erspart bleiben. Das legt nach wie vor die Erwägung nahe, ob wir nicht in einem ganz anderen Maße als bis jetzt Anstrengungen unternehmen müssen, um die bereits in Gang befindlichen Verhandlungen über eine gemeinsame Kreditgarantie zwischen den gebenden und den empfangenden Ländern zu Ende zu bringen. Ich denke hier an die berühmte Magna Charta der Kredite, wie sie von Herrn Abs auf der Bankierkonferenz in San Francisco vor einigen Jahren in die Diskussion gebracht worden ist. Ich habe mir sagen lassen, daß dieser Gedanke gerade bei der OEEC auf sehr fruchtbaren Boden gefallen ist und daß er dort sehr energisch weiterverfolgt wird. Ich glaube, der Westen sollte endlich einmal auf diesem leidigen Gebiet seiner industriellen Konkurrenz so viel Vernunft aufbringen, daß er sich rechtzeitig untereinander verständigt, ehe er vom Osten in dieser Beziehung restlos überspielt wird.
Das wird natürlich Schwierigkeiten geben. Aber wenn ich unseren verehrten Wirtschaftsminister Professor Erhard richtig verstanden habe, hat er bereits mit seinem amerikanischen Kollegen ernsthaft darüber gesprochen, wie man im Zusammengehen vor allem mit den Vereinigten Staaten dieses Problem meistern kann, damit das Ausspielen der einzelnen Mächte des freien Westens auf ein Minimum herabgeschraubt werden kann; daß man es völlig abschaffen kann, halte ich allerdings für ziemlich ausgeschlossen.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang — und ich glaube, die Mitglieder des Haushaltsausschusses werden es mit besonderem Vergnügen hören — zu einem Problem etwas sagen, das uns in einigen der letzten Sitzungen wiederholt beschäftigt hat. Ich meine die Kreditgewährung an die Türkei. Ich habe in den letzten Tagen mit großer Freude in den Zeitungen gelesen, daß das türkische Parlament die Rückgabe des deutschen Eigentums beschlossen hat. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen für eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft und für die Bereinigung der hier und da noch vorhandenen Schwierigkeiten. Ich halte es vor allen Dingen insofern für ein gutes Omen, als ja auch in diesem Hohen Hause eine Entschließung vorbereitet worden ist, in der die Regierung gebeten wird, gegenüber den Vereinigten Staaten etwas dringlicher in unseren Bitten zu werden, ebenfalls ein gutes Beispiel dieser Art zu geben. Denn, meine Damen und Herren, die Verteidigung des privaten Eigentums ist
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3990 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. Vogeleine gemeinsame Angelegenheit der freien Welt und nicht eine separierte Angelegenheit von Volk zu Volk.
Ob in der Verfolgung des Zieles „gesteigerte Hilfe für die Entwicklungsländer" außer zu erhöhten finanziellen Aufwendungen auch zu einer Straffung der Organisation geschritten werden muß, lasse ich offen. Ich persönlich halte die bisherige, an sich erfolgreiche, Art, wie die Ministerien zur Bewältigung dieses Problems interministeriell zusammengearbeitet haben, für noch nicht restlos befriedigend. Wir werden auf diesem Gebiet, glaube ich, organisatorisch von der Regierung noch einiges erwarten müssen, um dieses Problem entschieden zu lösen. Das dauernde Neuentstehen von freien und unabhängigen Staaten in Afrika und in Asien zwingt uns ohnehin zu neuen Überlegungen, und diese sollten bei der Aufstellung des kommenden Haushalts von der Bundesregierung sehr ernst angestellt werden.Zu dem Problem „Neuanforderungen von Beamtenstellen, Stellenhebungen usw." wird in der dritten Lesung mein Freund Niederalt noch einiges sagen, und zwar bei der Einbringung eines Entschließungsantrages, den wir dazu vorbereitet haben.Lassen Sie mich noch zur Vergabe der Mittel für die Kulturhaushalte eine kurze Bemerkung machen, die ich anderswo nicht unterbringen kann und die ich gern hier machen möchte. Ich glaube, der Bund sollte in Zukunft bei der Studienförderung ein Problem in diesem Zusammenhang anders anfassen, als es bis jetzt geschehen ist. Wenn wir schon derartige hohe Millionenbeträge an förderungswürdige Studenten vergeben, ist ernsthaft zu überlegen, ob nicht ein Teil davon an solche Studenten — vom ersten Semester bis zum letzten Semester - gegeben werden sollte, die sich freiwillig verpflichten, zusätzlich zum Studium bestimmte Weltsprachen zu lernen, um ihnen damit einen Ansporn zu geben, eine Lücke zu schließen, die sich immer verhängnisvoller für uns geöffnet hat. Der Mangel an Ingenieuren, an Geologen, an Medizinern, die außer vielleicht zur Not Englisch oder Französisch, eine der großen Weltsprachen, wie Japanisch, wie Chinesisch, wie Arabisch, wie Hindostani, gelernt haben, ist bei uns erschreckend; und wenn man schon nicht auf die Freiwilligkeit vertrauen kann, sollte der Staat ernstlich erwägen, ob sich nicht durch eine zielbewußte Förderung dieses Studiums diese Lücke schließen läßt.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß eine ganze Reihe von Problemen, wie das der Angleichung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr etc., offenbleiben, daß die Probleme der Vorbereitung der künftigen Haushalte, vor allem des Übergangshaushalts, noch große Fragen aufwerfen. Herr Kollege Niederalt wird sich damit befassen.Ich möchte schließen, indem ich der Politik des Finanzministers Franz Etzel das volle Vertrauen meiner Freunde ausspreche und ihm danke für die glückliche Hand, die er auch psychologisch in den letzten Jahren diesem Hause gegenüber bewiesen hat. Ihm und den Herren seines Ministeriums, vor allen Dingen dem Herrn Staatssekretär, der vorher Leiter der Zentralabteilung Haushalt war, an dieser Stelle für die Bewältigung der schwierigen Probleme auch dieses Haushaltsjahres aufrichtig zu danken, scheint mir ein guter Abschluß einer solchen Rede zu sein.
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weiter gebe, habe ich bekanntzumachen, daß die FDP nach Beendigung der Vormittagssitzung eine Fraktionssitzung abhalten will.
— Die Deutsche Partei ebenfalls.
— Auch die CDU. Die SPD auch? — Offenbar nicht. Das Wort hat der Abgeordnete Lenz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu der Skepsis, mit der wir alle Jahre wieder das Budget des Bundes betrachten, das Anwachsen seiner Zahlen, das Wiederkehren alles Lebenden und alles Scheintoten aus den letzten Jahren — wir wissen, mit welcher Hartnäckigkeit die Ressorts längst totgeglaubte Petita immer wieder in den Haushalt und vor den Haushaltsausschuß bringen —, zu dieser Skepsis, hochverehrter Herr Bundesfinanzminister, sind wir und bin ich gesetzlich und verfassungsmäßig verpflichtet. Ich teile die Resignation unseres Kollegen Schoettle, — wenn ich ihn richtig verstanden habe. Auch mir geht es so, daß nichts schwerer fällt, als von diesem Buch mit lauter Einzelheiten und Zahlen, von dieser Partitur von Zahlen sich einigermaßen zu distanzieren und zu versuchen, große Linien zu finden, über die man dann in diesem Hause sprechen könnte. Diese Skepsis bezieht sich — ich gehe das ganz offen zu —auch auf uns selbst, die Abgeordneten, die Fraktionen, die Ausschüsse, ob wir überhaupt die Fähigkeit haben, ein gültiges Wort zu diesem Buch zu sagen. Ich muß ganz offen gestehen: der Bienenfleiß im Ausschuß hat uns ebenso wie seinerzeit die Haushaltsrede des Herrn Finanzministers nicht ohne weiteres in den Stand gesetzt, beispielsweise die Richtung der Haushaltspolitik der Regierung sachverständig und druckreif zu begutachten. Der Haushalt ist eben kein Gebäude im üblichen Sinne. Er ist nicht „architektonisch" einheitlich aufgebaut und strahlt keinen einheitlichen Willen aus. Er ist ein Gebirge von Einzelbrocken, gelegentlich nach ganz merkwürdigen Gesichtspunkten formeller oder materieller Art zusammengeworfen, und er ist immer in größerem Umfange änderungsfähig, ohne daß bei einer Änderung die Welt untergeht oder die sogenannte Linie irgendwie durchbrochen wird.Die Frage, die ich mir angesichts dieses Unvermögens immer wieder vorlege, lautet: War es eigentlich immer so, ist es immer so, muß es immer
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so sein? Oder ist es nur so, daß wir, daß das Parlament in seiner Hilflosigkeit die bescheidene Kunstfertigkeit einer Zusammenschau nicht besitzt und daß es einer einzigen Person, des Finanzministers, bedarf, um den Vorhang hinwegzureißen, um uns allen den großen Sinn und die tiefere Systematik zu zeigen? Es hat mich erschüttert, als ich neulich las, in wie aufrüttelnder Weise ein bedeutender moderner Finanzwissenschaftler schreibt, daß ohne Kenntnis und ohne Verständnis der großen finanziellen Zusammenhänge die Zeitgeschichte dem fortschreitenden Auge verschlossen bleibt, die Zeitgeschichte, an der wir doch einigermaßen Anteil zu haben glauben und die wir einigermaßen gestalten zu können glauben. Aber ich weiß, Haushaltsdinge sind nicht sehr beliebt, und das Hohe Haus ist im Augenblick in der Stimmung von Kindern, die auf die Weihnachtsbescherung warten. Alles ist auf den Aufruf des Einzelplans 04 gespannt, und die Betrachtung des Gesamthaushalts tritt zwangsläufig in den Hintergrund.Wir haben, wie gesagt, große Änderungen an dem Regierungsplan hingenommen, ohne daß wir das Gefühl eines besonderen Ereignisses hatten. Wir nehmen zur Kenntnis, daß der Herr Bundesfinanzminister als guter Hausvater seinen begehrlichen Kindern — und das sind wir, das ist vor allem die Mitte des Hauses — einen Milliardenbetrag entzieht, um Schulden an England und an die USA zu bezahlen. Wir haben es erlaubt, daß aus dem Etat des Verteidigungsministeriums der Restbetrag von 2700 Millionen DM als Vorauszahlung ins Ausland transferiert wird, wahrscheinlich doch einzig und allein, um mit leerer Kasse in die dritte Lesung zu gehen.All das haben wir hingenommen. Wir haben im Haushaltsausschuß immer wieder um die Bewilligung oder Nichtbewilligung einer Amtmannstelle langer gerungen als um Deckungsprinzipien, die wir auf Vorschlag der Regierung in diesem Haushalt angewendet haben.
In den seligen Zeiten des Juliusturms hieß es noch, das sei ein Erdbeben, das sich mit Sicherheit nicht mehr ereignen werde. Aber jetzt ist es genauso wie früher. Ich frage mich überhaupt, wo der Unterschied zu früher ist. Früher hieß es „KuchenKommission" und „Kuchenverteilung"; da hieß es: Ihr bekommt dies und ihr bekommt jenes. Und heute heißt es: „Nichts". Kein Hahn kräht danach. Es ist dasselbe wie früher. Und da soll man nicht skeptisch werden?!Wenn wir die halbe Milliarde für unsere Vorschläge und die mindestens weitere halbe Milliarde für die Kriegsopferversorgung und die Fremdrenten, wie es an sich das Gesetz befiehlt, zusätzlich zu den über zwei Milliarden auf Grund sonstiger Änderungen in den Plan ganz mit aufgenommen hätten, hätten wir sogar die entschwundenen Zeiten des Juliusturms übertroffen und die früheren einmaligen Erdbeben in den Schatten gestellt. Man könnte sagen: Endlich hat sich also die geringe Bewegungsfähigkeit, die geringe Bewegungsfreiheitdes Parlaments bei der Ausübung des Budgetrechts erweitert. Nichts wäre falscher, nichts wäre unrichtiger als das. An den 2 Milliarden Mehrausgaben, die uns im Ausschuß abverlangt wurden, waren wir nur „körperlich" beteiligt. Wir haben die Haut des Elefanten nicht einmal geritzt. Eine echte Bewilligung im Sinne einer Abstimmung, eines Kampfes, einer Begründung steckte nicht drin. Überdies haben wir die höheren Renten formell noch gar nicht verabschiedet. Nur ein Teil der notwendigen Deckung für sie steckt in diesem Plan. Meine politischen Freunde und ich waren sehr verblüfft darüber, daß die Regierung offenbar trotz ihres eigenen, für unser Gefühl sehr unzulänglichen Entwurfs für die Kriegsopferversorgung nicht einmal mit diesen Ausgaben rechnet, weil sie sie trotz Verfassungsvorschrift, all e Ausgaben einzustellen, nicht in den Haushalt aufgenommen hat. Diese Praxis ist nicht sehr gut; sie war bisher auch nicht üblich. Man fragt sich, was Haushaltspolitik eigentlich ist, wenn nicht die zusammenfassende Gesamtwürdigung aller Ausgaben an einer Stelle. Jedenfalls haben wir das auf Deutschlands hohen Schulen so gelernt.In früheren Jahren hatten wir gelegentlich das Gefühl, es werde in den Voranschlag mehr eingestellt werden, als zu erwarten sei. Damit konnte man sich unter Umständen, wenn besondere Gründe vorlagen, abfinden. Aber mit viel größerer Skepsis müssen wir das Experiment betrachten, weniger einzustellen, von der rechtlichen Seite einmal ganz abgesehen. Was will denn die Regierung machen, wenn, was todsicher ist, für die Kriegsopfer und Fremdrenten für den Rest des Haushaltsjahres mindestens 600 Millionen DM benötigt werden? Mit höheren Prozentkürzungen ist doch dann nichts mehr zu gewinnen, und die angekündigte Verbrauchsteuererhöhung wird doch in diesem Hause, wenn ich das richtig beurteile, sehr wahrscheinlich nicht gebilligt werden. Tabaksteuererhöhung für Kriegsopferrenten ist keine schöne Optik.Das Ereignis dieses Haushalts ist die letztmalige Einstellung von Kassenmitteln zur Deckung von Ausgaben. Wir sind bescheiden geworden. Es sind nur noch 1200 Millionen DM, die aus dem langlebigen Nibelungenhort übriggeblieben sind. Sie bilden eine Deckung, obwohl sie am 1. April schon nicht mehr da waren und obwohl schon im März erstmals die Bundesbank angepumpt werden mußte.Nun, gegen diesen kassentechnischen Kniff der Verwendung fehlender Guthaben als Deckungsmittel will ich nicht unbedingt etwas einwenden, sondern auch hier nur versuchen, die große Linie zu sehen. Von jetzt ab, meine sehr verehrten Damen und Herren — und ich glaube das wirklich —, bedeutet jede Mehrausgabe des Bundes, jede Mark mehr, die wir bewilligen, die Not einer neuen Einnahmegewinnung oder eines Verzichts auf frühere Bewilligung.Bevor man sich auf diese neue Lage einstellt, ist allerdings zunächst zu fragen, ob unsere bewährte Versorgungskuh, der Verteidigungshaushalt, mit seinen jetzt effektiven 8,5 Milliarden DM nicht immer noch etwas zuviel hat. Seine plötzliche Aus-
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gabensteigerung um 2,7 Milliarden DM im März ist schon mehrfach zitiert worden. Auch wir haben sie nicht ernst genommen. Vielleicht stecken da, da die Märzzahlen keine Normalleistung der Kuh darstellen, immer noch einige hundert Millionen zuviel drin. Aber sie werden sicher für die unplanmäßigen, außerplanmäßigen, überplanmäßigen Bedürfnisse des Bundes benötigt, und ich glaube, man müßte sie aus dem Spiel lassen.Wir sind also jetzt so weit. Die glücklichen Zeiten des Juliusturms sind vorbei. Von jetzt an sind Steuern, Verwaltungseinnahmen und Anleihen die einzigen Quellen, aus denen zu schöpfen ist, wobei man unter Anleihen auch kurzfristige Aufnahmen verstehen kann. Ich sage nicht, daß das unbedingt schlimm oder ein Fehler ist; nur, glaube ich, ist es richtig, sich darauf einzustellen.Etwa vom November dieses Jahres ab — so kann man etwa schätzen — wird der Bund am Kapitalmarkt auftreten und dort ein Fordernder sein. Wir haben uns zu fragen, ob die Ausgabenpolitik der Bundesregierung die radikale Beschneidung der übrigen Kapitalmarktwünsche rechtfertigt. Ich bin persönlich nicht ohne gewisse Besorgnis, nicht für 1959, aber wegen der jetzigen Weichenstellung, die ja für die kommenden Haushaltspläne nicht mehr zu beseitigen ist.Die beabsichtigte Rate des Bundes am Kapitalmarkt ist zu hoch. Ich glaube, wir müssen das sagen. Sie ist unrealistisch. Wir werden allmählich in eine Finanzgebarung gleiten, die durch das Übermaß öffentlicher Ausgaben, die wir beschlossen haben, ungesund und gefährlich ist. Zur Zeit nimmt uns noch die Zuwachsrate des Sozialprodukts einige Deckungssorgen ab. Sie werden mich sicher — meine Freunde tun das auch immer — in die Reihe der Bundesbedenkenträger einreihen, wenn ich meine, daß man darauf nicht in alle Ewigkeiten spekulieren kann. Eine einzige dicke politische Krise wirft uns hinter unsere erhofften Zahlen zurück. Ich wünsche sie nicht. Aber — Herr Kollege Vogel, ich bin da mit Ihnen einig — ich glaube, daß wir hier mit Sorge einer Entwicklung entgegensehen müssen, weil wir es nicht in der Hand haben, diese Dinge von heute auf morgen zu steuern. Es war ja wohl die Regierungskoalition, die es gegen alle volkswirtschaftlichen Lehren versäumt hat, den berühmten, viel angegriffenen Juliusturm als die notwendige langfristige Vorsorge gegen Konjunkturbrüche zu sichern und gegen sonstige Begehrlichkeiten abzuschirmen. Wir haben es ja im Jahre 1956 erlebt.Nun, in der Zeitung lese ich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister jetzt die OEEC-Staaten zu einer solchen Fondsbildung für Konjunkturzwecke auffordern will. Ferner ist zu lesen, daß Belgien — Herr Kollege Vogel hat es schon angeführt — einen Haushaltsausgleichsfonds für mehrere Rechnungsjahre schafft. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Pläne des Herrn Bundesfinanzministers nach den Meldungen der letzten Tage in die gleiche Richtung gehen.Vorläufig aber wandern wir am Grat der leeren Kasse, weiten unsere Ausgaben in der Hoffnung auf hohe Anleihen und beschneiden dadurch die Wirtschaft, von der wir später erwarten, daß sie in den schlechten Jahren mit Steuern unsere Schulden zurückzahlt. Das Ganze ist beunruhigend. Anstatt nur den wirklich Hilfsbedürftigen zu helfen, führt der Bundeshaushalt immer mehr zum Überhandnehmen des Staatlichen und zur Abschneidung des Selbstbehauptungswillens des einzelnen. Er wird zur größten Versorgungsanstalt aller Zeiten, und er wird zum Schluß diejenigen mit hinunterschlucken, die aus Angst vor schlechten Wahlergebnissen trotz innerer Abneigung Jahr für Jahr neben dem Notwendigen das politisch angeblich Erwünschte tun und die Gefangenen ihrer eigenen Gesetze werden.
Mit der Anleihepolitik, die jetzt anhebt, geht ein weiteres Stück unserer Freiheit zu Ende. Wer will bestreiten, daß ,am Ende dieses Weges und des Aufbauens auf diesen Riesenanleihen die Zwangsanleihen stehen, die harten Eingriffe in die Kassen der Wirtschaft und der Banken!Der Bundesfinanzminister wird sich auch seine Gedanken gemacht haben, wohin diese Reise geht. Wahrscheinlich hätte er auch nicht so um das schmalbrüstigste seiner Kinder, das Sparprämiengesetz, gekämpft, wenn er seiner Anleihen so sicher wäre. Aber dieses Mittel ist wahrhaftig ungeeignet, und wir können nur den Kopf schütteln. Riesenhafte Staatsanleihen zaubern noch keine finanzielle Gesundheit hervor, und der Sparer wird sich durch den Bonus, den er bekommt, nicht bluffen lassen. Wir prämiieren nur wieder einmal etwas, was wir ohne Prämie durch andere Dinge viel leichter erhalten würden, und wir bringen — das ist eigentlich meine Hauptsorge und mein Hauptbedenken — in den Sparvorgang eine unerfreuliche Note hinein. Der Sparer soll doch für sich sparen, damit er nicht eines schönen Tages den Staat als Hilfe braucht, damit er den Staat vor Ausgaben für ihn bewahrt; aber er soll doch ganz gewiß nicht sparen für Ausgaben des Staates, die er selbst wieder abtragen muß. Diese Denaturierung des Sparvorgangs ist eine schlimme Sache.Die langjährige Behauptung meiner Freunde, daß die Politik der Regierung .auf dem Gebiet der Ausgabenreste gefährlich sei und verhängnisvoll werden könne, bestätigt sich immer deutlicher, und immer deutlicher wird die Notwendigkeit einer Reform der Reichshaushaltsordnung. Die Außerkraftsetzung des § 75 der Reichshaushaltsordnung, der die Deckung der alten Ermächtigungen regelt, ist ein fester Bestandteil der Politik dieser Regierung geworden. Ich habe natürlich den Aufsatz über den „Schattenhaushalt" im Bulletin gelesen und weiß, was einträte, wenn der Paragraph im Gesetz drinstünde. Aber das hindert uns nicht, hier auszusprechen, daß die Reform der Reichshaushaltsordnung notwendig ist.Meine Damen und Herren, die diesjährigen Reste werden über 8 Milliarden DM hinaus ansteigen. Nur zwei von ihnen sind noch durch ein sehr merkwürdiges Deckungsverfahren im Verteidigungshaushalt finanziert. Warum haben wir seinerzeit nicht Schluß gemacht mit den alten Ermächtigungen
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und auf exakter neuer Grundlage neue Bewilligungen für den jeweiligen Tagesbedarf gegeben? Doch nur deshalb, weil der Herr Verteidigungsminister uns nicht in seine längst überholten Rechnungen hineinschauen lassen wollte. Nun haben wir diesen gigantischen Unsinn vor Augen: 11 Milliarden DM Bewilligung, davon 2 Milliarden DM an sogenannter Nachdeckung für Reste — in der Haushaltsordnung gibt es sie für einzelne Sachgebiete gar nicht — und 2,5 Milliarden DM Absetzungen für Minderausgaben. Bleiben netto 6,5 Milliarden DM echter neuer Bewilligung für die Verteidigung der Bundesrepublik. Das Ganze ist zu kurios, um ganz ernst genommen zu werden, neben der im Volumen gefährlichen Anleihewirtschaft, also über 6 Milliarden DM ungedeckter Reste, bei deren Verwendung wir über Nacht in recht kritische Unannehmlichkeiten kommen können. Wir sagen das jedes Jahr, natürlich erfolglos, weil es im abgelaufenen Haushaltsjahr noch einmal gutgegangen ist. Wir gleichen, so scheint mir, in diesem Punkte jenem Manne, der von einem Wolkenkratzer herunterspringt und beim 33. Stockwerk, nach seinem Befinden befragt, antwortet: Bis jetzt ist es noch einmal gutgegangen.
Man muß den Eindruck bekommen, daß allmählich auch der Finanzminister „kalte Füße" bekommt und daß unser Appell vielleicht dieses Mal etwas willigere Ohren findet. Herr Bundesfinanzminister, ich beschwöre Sie, machen Sie schnellstens Schluß mit dieser Restewirtschaft! Das Parlament und alle Ressorts werden Ihnen letzten Endes dankbar sein. Veranschlagen Sie jedes Jahr neu, außer bei kleineren Sachen, bei Bauten usw. Aber die großen Beschaffungsfonds sollten immer wieder umgepflügt werden, und in den sogenannten Bindungsermächtigungen können sich ja die Behörden die notwendigen Bestellungen für die Zukunft sichern. Wahrscheinlich könnten wir, wenn wir das täten, und könnten auch Sie dann auf diese merkwürdigen Globalkürzungen verzichten, die immer wieder das Haushaltsbild verfälschen, unsere Arbeit im Haushaltsausschuß abwerten und doch keine Sparsamkeit hervorrufen.Was machen denn ,die Ressorts mit den Kürzungen? Sie nehmen sie bei den notwendigen Dingen vor, auf die wir, das Parlament, Wert legen, und fördern mit diesen Mitteln andererseits Dinge, die vielleicht nicht so wichtig sind. Außerdem kalkulieren die anfordernden Stellen — das hat sich inzwischen auch herumgesprochen — die Kürzungsbeträge oft schon ein, so daß schon unter diesem Gesichtspunkt die Kürzungen als echte Sparmaßnahmen verpuffen.Nun zur Einnahmeseite! Der Finanzminister war so stolz darauf, daß er sich im Vorjahr um 600 oder 800 Millionen DM zu seinen Ungunsten geirrt hat. Dennoch bleiben 1200 Millionen DM aus seiner Kasse unverwertet, die jetzt, wie Sie gehört haben, Deckungsmittel bleiben können.Für 1959 sind die Steuerschätzungen nachträglich noch um einige 100 Millionen DM überboten worden, so daß auch der Bund mit rund 200 Millionen DM profitieren kann. Man hört, daß es vor denWahlen 1961 keine Steueränderungen geben wird, von der Tabaksteuer vielleicht abgesehen. Zu diesem Verzicht kann man die Bundesregierung beglückwünschen. Aber, ich glaube — das kann man hinzufügen —, sie hätte auch etwas erlebt, wenn sie jetzt mit der Ergänzungsabgabe gekommen wäre.
Wir sehen keinerlei Notwendigkeit zum Anziehen der Steuerschraube, eher zu großen Verzichten auf staatliche Aufgaben.
Aber dafür muß man zur Bildung von Schwerpunkten für wirklich dringende Staatsaufgaben kommen, von denen Straße und Schiene, Entwicklungsländer, Forschung, ziviler Bevölkerungsschutz, Schulbau und Flugsicherung im Vordergrund stehen.Meine Damen und Herren, ich werde Sie nicht mehr lange aufhalten, aber gestatten Sie mir, noch zu einigen Einzelproblemen Stellung zu nehmen.Was wir bei den Einnahmen vermissen, sind die Entgelte für die Privatisierung des gewerblichen Bundesvermögens. Allzu bescheiden sind die Ansätze dafür, obwohl der Herr Bundesschatzminister ja einige verheißungsvolle Perspektiven aufgezeigt hat. Aber uns scheint, daß die Bundesregierung noch etwas Angst vor der eigenen Courage hat. Wir möchten selbstverständlich — ich glaube, das ist die Meinung des ganzen Hauses — vor einer Verschleuderung des Bundesvermögens warnen. Die Preise für die Preußag-Aktien waren sicher zu niedrig angesetzt. Niedriger Verkaufspreis und auch noch die Vergünstigung durch das Sparprämiengesetz ergeben zusammen für den Einzelerwerber einen Nutzen, der ungerechtfertigt ist und möglicherweise auf lange Zeit hinaus den Markt verdirbt. Heute stehen die Preußag-Aktien auf 177,5, die man vor einigen Wochen für 145 verkauft hat. Man ist geneigt, bereits von Privatisierungsgewinnlern zu sprechen.
Was die viel erwähnte Umsatzsteuer betrifft; so hat der Herr Bundesfinanzminister für den Herbst eine Entscheidung über die Reform auf Kabinettsebene angekündigt. Wir warten mit Spannung darauf. Seine ersten Ankündigungen hat der Herr Minister allerdings inzwischen schon reduziert, aber das, was jetzt kommt, wird noch spannend genug sein. Viele Köche sind angetreten, der Brei, der uns serviert werden wird, wird infolgedessen außerordentlich verschiedenartig sein. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, glaubt wirklich jemand im Ernst, daß wir den Kern unseres jetzigen Umsatzsteuersystems ändern können, ohne wesentliche Einbußen des Aufkommens hinnehmen zu müssen? So verlockend manche Vorschläge sich auch anhören und so richtig mancher Gedanke eines Finanzausgleichs an anderer Stelle auch erscheinen mag, wir glauben einfach nicht daran, daß die Bundesregierung ihre ursprüngliche Zusage zu einer revolutionären Änderung aufrechterhalten wird. Wie wird sich die mittelständische Wirtschaft zu dieser Enttäuschung stellen?
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Fällt aber die Reform, in welcher Fassung sie auch von der Regierung vorgelegt werden wird, in das Jahr vor der Wahl, kann man sich unschwer vorstellen, welchen Belastungen unsere Haushaltswirtschaft bei den Beratungen ausgesetzt sein wird. Deshalb haben wir uns gedacht — und ich rate das dem ganzen Hause —, daß wir in der ganzen Angelegenheit ein kühles Herz behalten und mit nicht mehr als einigen Korrekturen — Organschaft, Zusatzsteuer, Ausfuhr usw. — rechnen.Wir müssen uns hier im Hause vor Augen halten, daß die Umsatzsteuer die Haupteinnahmequelle des Bundes ist. Niemand darf auf weitere Opulenz des Haushalts hoffen, wenn er diese Quelle anzapfen will und nicht ein voller Ausgleich durch andere Steuern stattfindet. Auf diese Quelle haben aber nicht nur die Steuerpflichtigen in der Wirtschaft, sondern auch andere ein Auge geworfen, die an den großen Steuern beteiligt werden wollen. Es sind die Gemeinden. Mein Freund und Kollege Eilers, Oberstadtdirektor, hat sich gestern abend auch für diese Dinge sehr interessiert. Die Gemeinden haben entdeckt, daß in der Haushaltsrede des Herrn Finanzministers einige Haare stecken. Aus eigenen Mitteln, hieß es, könne er ihnen nicht helfen. Der Bund hat das durch den Mund des Herrn Finanzministers erklärt. Aber die Gemeinden sind nicht dieser Meinung. Hier entsteht für unseren neuen Haushalt die Frage — obwohl es auch schon wieder zu spät ist —, ob er die wünschenswerte Ausgewogenheit zwischen den Geldern des Bundes, der Länder und der Gemeinden herstellt oder ändert oder ob er an der bisherigen Aufgabenverteilung Korrekturen kleineren oder größeren Umfangs vornimmt.Der Bundeshaushalt hat seine Anziehungskraft auf vielerlei Regionalaufgaben zweifellos beibehalten. Während früher sogar die Kleinstaufgaben der Länder durch die Initiative ihrer Bundestagsabgeordneten in den Bundeshaushalt abschwammen, sind es jetzt mehr die großen Fonds, die sich ausbreiten und die die Länderleistungen immer mehr verkümmern lassen. Warum haben die Länder so großen Wert darauf gelegt, daß die sogenannten Dotationsauflagen, also die Auflagen, die eine Bundesleistung an eine entsprechende Landesleistung koppeln, wegfallen? Doch sicher nicht, um ihre eigenen Leistungen zu erhöhen!Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei den Gemeinden! Wie wird die Bundesregierung dieses Dilemma lösen wollen, das sich in den kommunalen Finanzen anbahnt, nämlich durch eine Erhöhung der Grundsteuer nicht das wegzunehmen, was der Lücke-Plan zur notwendigen Besserung der Lage gerade geben will?Man hört in diesem Zusammenhang soviel Widersprechendes über das neue Bewertungsgesetz. Wir fragen: Ist es richtig, daß die Landwirtschaft hier bereits einen Sieg errungen hat und den schon in der Kabinettsebene befindlichen Entwurf bis hinter die nächsten Bundestagswahlen zurückgeworfen hat, oder liegt gar ein grundsätzlicher Verzicht vor? Jedenfalls wäre es angesichts der widerspruchsvollen Pressenotizen und Interessentenerklärungen außerordentlich wünschenswert, bald etwas Näheres über diese den Bundeshaushalt mittelbar stark berührenden Fragen zu hören.Ich will es ganz offen aussprechen und mich vielleicht auch zu vielen Ansichten in Widerspruch setzen, die aus meinem Freundeskreise zu der Frage geäußert werden: Die Beteiligung der Gemeinden an den großen Steuerblöcken halte ich — um das noch einmal klar zu sagen — im gegenwärtigen Augenblick einfach für eine Fata Morgana. Wo ist die Kraft, die angesichts unserer Verfassungswirklichkeit eine solche Änderung unseres Finanz- und Haushaltsausgleichs auf die Bühne und dann mit einer guten Lösung wieder herunterzubringen vermöchte? Wer übersieht alle Magnetfelder, die durch eine solche Aktion angesprochen werden? Und was wäre im übrigen damit gewonnen? Ich habe in den Jahren, in denen ich im Haushaltsausschuß sitze und zu beobachten versuche, gefunden, daß es richtige Haushaltspolitik ist, das nötige Geld an die richtige Stelle zu bringen. Aber ich habe nicht gefunden, daß man das mit Globallösungen kann.Ich gebe Ihnen zu: Ich bin in der Finanzierungsfrage unserer Volksschulen und Krankenhäuser hin- und hergerissen. Es gibt Gemeinden — hier haben Sie recht, Herr Kollege Vogel; das ist unbestritten —, die diese Probleme von sich aus lösen können. Es gibt aber auch sehr viele, wahrscheinlich viel mehr Gemeinden — dazu gehören gerade sehr viele kleine Gemeinden ohne irgendein ordentliches Steueraufkommen —, die es eben nicht lösen können.
— Ich bin gar nicht sehr weit von Ihnen entfernt. Aber wir können diese Frage nicht einfach beiseiteschieben. Sie ist auf dem Tisch. Es kann gesagt werden: Seit darüber geredet wird, lassen die Leistungen in den Ländern und Gemeinden nach, weil man hofft, der Bund werde einspringen. Wir kommen nicht darum herum — da hat Herr Kollege Schoettle völlig recht —, uns ebenfalls Gedanken darüber zu machen.Nun möchte ich wenigstens einmal ein kleines Geschäft vorschlagen. Ich habe den Eindruck, daß das Verfahren bei den Ingenieurschulen sich recht gut bewährt hat. Die Länder haben für die Aufgaben der Max-Planck-Gesellschaft eine hälftige Bundesbeteiligung erhalten. Wie wäre es, wenn der Bund auch noch die andere Hälfte übernähme? Wie wäre es, wenn wir auf diese Weise eine gewisse Finanzentlastung der Länder erzielten? Die dadurch freiwerdenden Mittel könnten dem Bau von Volksschulen zugute kommen. Ich gebe zu, der Betrag ist nicht besonders hoch. Aber wir müssen nach Entlastungsmöglichkeiten der Länder suchen. Es gibt ganz bestimmt Möglichkeiten, den Ländern diese oder jene Aufgabe abzunehmen. Man muß einmal darüber nachdenken und darf sich nicht zu sehr an alte Vorstellungen klammern. Es gibt auch außerhalb des Kulturbereichs Aufgaben, die dem Bund sehr wohl anstünden und bei deren Entäußerung
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durch die Länder keine föderalen Schwergewichte verschoben würden. Hier hätten wir gelegentlich eine größere Initiative des Herrn Finanzministers gern gesehen an Stelle der Diskussionen über Einwohnersteuer und Hebesätze.Im Vorjahr erlaubte ich mir anläßlich der Einbringung des Haushalts 1959, diesen Haushalt als einen Routinehaushalt anzukündigen. Dieser Ausdruck ist mir außerordentlich übel genommen worden. Ich weiß nicht, ob heute irgend jemand diesem Ausdruck widerspricht. Auch die 2 oder 3 Milliarden ausmachenden Änderungen, die der Finanzminister in seinem Entwurf vorgenommen hat und die witzigerweise immer so vorgenommen wurden, daß die 40-Milliarden-Grenze nicht überschritten wurde, bleiben eben doch letztlich innerhalb der Routine. Wie ich mir schon in der ersten Lesung zu sagen erlaubte, ist der Herr Finanzminister zu vielen Punkten seines eigenen Programms, das er hier vortragen mußte, höchst kritisch eingestellt. Aber wenn ich recht sehe, hat er noch keine wirklichen Kursänderungen durchsetzen können, sei es bei den Subventionen, sei es bei den vielen Grenzgebieten von Dauerhilfen, die längst in die Selbsthilfe der Betroffenen hätten zurückverwiesen werden müssen.Es wird Jahr für Jahr vergehen, wir wissen es. Auch für das nächste Jahr kann ich schon heute die gleiche Ankündigung machen. Bußfertigkeit ist keine Bonner Tugend. Lohnt es sich wirklich nicht mehr, an grundlegende Fragen heranzugehen? Oder anders gefragt: üben die Fachminister eine solche Diktatur aus, daß bei ihnen niemand mehr kritisch nachsieht? Ich brauche hier nur einmal an den Verteidigungshaushalt zu denken. Wo sind - ich kann es nicht letztlich beurteilen — die entscheidenden Umstellungen, die sich aus .der Gesamtlage ergeben? Ich frage — ich frage nur —: haben heute Schiffe und Flugzeuge noch den Sinn wie früher? Wollen wir an einem Wehrsystem festhalten oder sollten wir nicht baldigst vielleicht — ich weiß es nicht — zu einem Technikerheer übergehen, mindestens zu Versuchsverbänden dieser Art? Und wo bleiben die Notstandsmaßnahmen und die Notstandsgesetze, die doch immer wichtiger werden, je mehr wir erkennen müssen, daß es gegen einen Überfall kaum echte militärische Verteidigungsmaßnahmen gibt? Die Angst, eine politische Niederlage zu erleiden, kann doch kein Hindernis sein, etwas zu schaffen, was die meisten unserer Verbündeten längst haben.Die Routine als Hauptmerkmal für die Finanzpolitik wird besonders gefährlich in einem Augenblick, in dem die Prämie für die stabilste Wirtschaftsverfassung sich offenbar unserem westlichen Nachbarn zuzuwenden beginnt. Mit großem Respekt verfolgen wir diesen Teil der französischen Anstrengungen. Es ist uns klar, daß die Stabilität der Haushaltsverhältnisse dabei eine entscheidende Bedeutung hat.Die wirtschaftliche Eingliederung des Saargebietes, die gerade in diesen Wochen zwischen den beiden Staaten vorbereitet wird, wird dabei ein interessanter Prüfstein sein. Wir können die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nur dringend bitten, alle Überleitungsfragen so zu gestalten, daß keine Störungen auftreten. Die Saarwirtschaft wird durch die Einbeziehung in unser Wirtschaftsgebiet keinen Schaden nehmen. Notfalls muß man sie mit allen Mitteln wettbewerbsfähig machen, ohne daß von dort aus Preis- und Sozialerschütterungen ausgehen.Noch ein paar Fragen! Ich beginne mit einer Frage, die uns sehr am Herzen liegt. Ich habe mich gefreut, aus den Worten des Kollegen Vogel die gleiche Sorge zu hören. Der Bundeshaushalt hat nur mittelbar damit zu tun. Es ist die Integrationskrise Europas und der Stand der supranationalen Gemeinschaften. Der Bund zahlt ja schließlich eine ganze Menge Geld in diese supranationalen Gemeinschaften und Körperschaften. Wir haben das Gefühl, daß sein Einfluß diesen Aufwendungen nicht entspricht. Herr Kollege Margulies hat ,gestern darüber schon gesprochen. Nur auf eines möchte ich aufmerksam machen. Was wir bis jetzt bei diesen supranationalen Einrichtungen auf finanziellem Gebiet erlebt haben, besonders an Besoldung, Pensionen, Einstufungen, Steuerfreiheit — wir haben den steuerfreien Europäer geschaffen —, muß mit Sicherheit zu einer Art Vertrauenskrise gegenüber diesen Körperschaften führen. Man sollte uns nicht immer gleich eines Mangels an europäischer Gesinnung zeihen, wenn wir die europäischen Budgets und die sonstige Finanzgebarung mit großer Enttäuschung betrachten.
Es wird eines nochmaligen großen politischen Entschlusses der verbündeten Staaten bedürfen, um die supranationalen Einrichtungen weiter nach vorn zu reißen und keine institutionelle Krise entstehen zu lassen. Aber — und auch das möchte ich in aller Offenheit sagen — der innere Zustand der Gemeinschaften muß durch eine weniger eigennützige Gesinnung etwa unseres westlichen Nachbarn zuvor entscheidend verbessert werden.Ein Wort zu den Entwicklungsländern! Ich bin gleicher Meinung wie Herr Kollege Vogel. Es fehlt uns eigentlich das Gesamtprogramm. Seit Jahren wird danach gefragt; aber dieses Programm kommt nicht ans Licht der Welt, weil jede Reise mit einem neuen Programm endigt. Und hat nicht der Herr Bundeskanzler dankenswerterweise von einer Konzentration der Kräfte gesprochen? Es ist nicht so, daß ich meine, wir sollten das Programm hier hören. Das wäre sehr wahrscheinlich der Gipfel des Undiplomatischen. Aber wir wollen hören, daß es dieses Programm gibt und daß es aus einer geschickten Verbindung aller nur möglichen Hilfsformen besteht.Schließlich möchte ich noch ein Wort zur Verwaltung des Bundes sagen, wie sie uns an Hand der neuen Zahlen entgegentritt. Ohne Zweifel hat der Herr Finanzminister dieselmal uns, dem Bundestag, die Arbeit überlassen, die ihm selbst zukommt, nämlich das Durchkämmen der Anforderungen nach entbehrlichen Stellen und Mitteln. Wir haben uns große Mühe gegeben, aber verständlicherweise nur Teilerfolge errungen. So geht also die Verwaltung zahlenmäßig weiter nach oben, in sich starr und be-
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wegungsunfähig wie seit eh und je. Selbst der Versuch, wenigstens die leichtere Versetzbarkeit von Beamten und Angestellten an die Schwerpunkte des Bedarfs zu erreichen, ist mißlungen, weil sich die Regierung nicht ,einig wurde. Nun, wir resignieren hier ein weiteres Mal und stellen fest, daß wir — ich gebe das zu — vielleicht nicht unbedingt eine wesentlich übersetzte Verwaltung, ,aber ganz sicher eine wesentlich zu teure Verwaltung haben. Viele harmlose Arbeiten werden durch viel zu hohe Beamte erledigt. Fragen, die in Ländern und Gemeinden vielerorts ein tüchtiger Amtmann erledigt, erledigt in Bonn grundsätzlich ein Oberregierungsrat, fast möchte man sagen, mindestens.
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b) Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 1121, zu 1121),
Ich erteile zunächst dem Berichterstatter des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung das Wort. — Ist Herr Dr. Götz nicht im Saale?
— Ich möchte die Fraktionsgeschäftsführer bitten, darum besorgt zu sein, daß die ihren Fraktionen angehörenden Berichterstatter jetzt in den Saal kommen.Verzichtet das Haus auf den mündlichen Bericht?
— Das ist der Fall. Herr Dr. Atzenroth hat schriftlich berichtet; es braucht hier also keine mündliche Berichterstattung stattzufinden. Ich danke Herrn Dr. Atzenroth für seinen Bericht.Ich rufe in zweiter Beratung in der Ausschußfassung auf die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, —6, — Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Zahlreiche Enthaltungen. Angenommen!Ich komme zurdritten Beratungund eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich in der Schlußabstimmung zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen.Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Januar 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über den Abbau von Steinkohlen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet westlich Wegberg-Brüggen .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom 15. Dezember 1956 zum Allgemeinen Abkommen über die
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Vizepräsident Dr. JaegerVorrechte und Befreiungen des Europarates .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1958 zum Handelsabkommen vom 20. März 1926 zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Portugal .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Außenhandelsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Darlehens an die Türkische Republik .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die gemeinsame Fischerei in der Flensburger Innenförde .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 22. September 1958 über die Auslieferung und über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Rechtsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 23. August 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Finanzausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 18. April 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über nebeneinanderliegende nationale Grenzabfertigungsstellen und Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfe an der deutsch-französischen Grenze .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Inneres — mitberatend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
— Sie beantragen Überweisung an den Verkehrsausschuß — mitberatend —. Erfolgt hiergegen Widerspruch?
— Kein Widerspruch; dann ist auch dies beschlossen.Ich rufe auf Punkt 16 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur näheren Regelung der Entschädigungsansprüche für Auslandsbonds (Drucksache 1019).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Wirtschaftsausschuß sowie an den Haushaltsausschuß, an letzteren gemäß § 96 der Geschäftsordnung, vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem deutsch-schweizerischen Abkommen vom 5. Februar 1958 über den Grenz- und Durchgangsverkehr .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Außenhandelsausschuß — mitberatend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
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4002 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Vizepräsident Dr. Jaegerdie Zuständigkeit auf dem Gebiet des Rechtsdes öffentlichen Dienstes .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Inneres vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 19 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 6. Juni 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an dien Ausschuß für Inneres vor. — Widerspruch erfolgt nicht; eis ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 20 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Zählung im Handel sowie im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe (Drucksache 1104).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Mittelstandsfragen zu überweisen.— Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 21 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zusatzprotokoll Nr. 2 vom 27. Juni 1958 zum Europäischen Währungsabkommen vom 5. August 1955 .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. —Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Schulze-Pellengahr, Ruhnke, Dr. Dahlgrün, Dr. Schneider und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes (Drucksache 1025).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend und an den Ausschuß für Inneres zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überdas Zollkontingent 1959 für feste Brennstoffe .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Wirtschaftsausschuß— federführend — und an den Außenhandelsausschuß zur Mitberatung vor. - Widerspruch erfolgtnicht; es ist so beschlossen.Punkt 24 der Tagesordnung wurde gestern abgesetzt. Das gleiche gilt für Punkt 25.Ich komme zu Punkt 26 der Tagesordnung, zunächst zu a) :Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins in Gewahrsam genommen wurden (2. ÄndG HHG) (Drucksache 1111).Auf 'Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend— und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Dann b) :Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins in Gewahrsam genommen wurden (2. ÄndG HHG) (Drucksache 1118).
— Ich übernehme die schriftliche Begründung.*) Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erstattung von Kriegsfolgelasten auf dem Gebiet des öffentlichen Schulwesens durch den Bund (Drucksache 1132).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Haushaltsausschuß— federführend — und an den Ausschuß für Kulturpolitik zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von 'den AbgeordnetenNeuburger, Schmidt und Genos-*) siehe Anlage 2Vizepräsident Dr. Jaegersen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Rechtsverhältnissen der bei der Landespostdirektion Berlin als Postfacharbeiter und Postfacharbeiterinnen beschäftigten Personen .Auf Begründung wird verzichtet, auf Aussprache auch. Eine Stellungnahme des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen wird mir überreicht.*) Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — federführend — und an den Ausschuß für Inneres und ,an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 29 der Tagesordnung auf:Erste Beratung ,des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (Drucksache 1144).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — federführend — und an den Rechtsausschuß zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktionen der DP, CDU/CSU betr. Ubersicht über die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus eigener landwirtschaftlicher Erzeugung und aus Einfuhren (Drucksachen 481, 1082).Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Seither hat einen Schriftlichen Bericht erstattet; ich danke ihm dafür.Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses, den Antrag Drucksache 481 für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 31 der Tagesordnung auf:Beratung ,des Mündlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Kopf, Metzger und Genossen betr. Vereinfachung der Grenzformalitäten (Drucksachen 519, 1040).Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Mommer als Berichterstatter. — Herr Abgeordneter Dr. Mommer schlägt vor, das Haus möge auf die Berichterstattung verzichten. — Das Haus ist damit einverstanden.Wir kommen, da das Wort nicht gewünscht wird, zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten — Drucksache 1040*) siehe Anlage 3 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich uni das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 32 auf:Beratung der Ubersicht 7 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 1084).Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses — Drucksache 1084 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 33 auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung zum Grundstückstausch mit der Stadt Hannover aus Anlaß der Verwendung wesentlicher Teile des ehem. Fliegerhorstes Langenhagen-Evershorst nebst Aufbauten für Zwecke des Flughafens Hannover-Langenhagen (Drucksachen 981, 1120).Als Berichterstatter hat das Wort der Abgeordnete Hilbert. — Ich nehme an, daß das Hohe Haus auf die Entgegennahme des Berichts verzichtet. — Das ist der Fall.Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 34 der Tagesordnung auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres über den Antrag der Abgeordneten Schmidt (Hamburg) und Genossen betr. Inanspruchnahme von Naturschutzgebieten für militärische Zwecke (Drucksachen 191, 1115).Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gossel als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Inneres hat den Antrag des Kollegen Schmidt und Genossen betreffend die Inanspruchnahme von Naturschutzgebieten für militärische Zwecke, Drucksache 191, beraten. In diesem Antrag wird die Bundesregierung ersucht, bei den Verhandlungen über einen neuen Truppenvertrag für die Aufnahme einer Bestimmung zu sorgen, durch welche die Inanspruchnahme von Naturschutzgelände für militärische Übungszwecke vom Einvernehmen mit den zuständigen deutschen Behörden abhängig gemacht wird.Der Ausschuß für Inneres hat nach Beratung am 4. März dem Flohen Hause den Antrag, Drucksache 1115, vorgelegt, durch den der Bund dringend ersucht wird, die Verhandlungen über einen neuen Truppenvertrag umgehend zum Abschluß zu bringen.
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Dr. GosselDiese Formulierung ist inzwischen überholt, da die Verhandlungen über ein neues Abkommen zum NATO-Truppenstatut am 18. März abgeschlossen worden sind. Sie wurden geführt zwischen der Bundesregierung und den sechs Staaten, die als Verbündete Streitkräfte auf unserem Gebiet stationiert haben: USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Belgien und Holland. Die sieben Delegationen haben den Abschlußbericht unterzeichnet und das umfangreiche Vertragswerk - es handelt sich um 83 Artikel auf 253 Seiten — ihren Regierungen zur abschließenden Prüfung vorgelegt.Ziel des Vertrages ist es, die Rechtsstellung der Truppen der sechs Entsendestaaten auf deutschem Gebiet festzulegen und die Leistungen zu regeln, welche der Bund ihnen gegenüber übernimmt. Über den Inhalt des Vertrages sind Einzelheiten noch nicht bekannt, weil vereinbart worden ist, daß der Vertrag erst nach seiner Unterzeichnung bekanntgegeben werden soll. Er geht dann selbstverständlich auch diesem Hohen Hause zu.Gleichzeitig mit dem neuen Truppenvertrag ist ein Abkommen über die Durchführung von Manovern und anderen Übungen im Raume Soltau-Lüneburg fertiggestellt worden, das sogenannte SoltauAbkommen. Hierbei handelt es sich um ein zweiseitiges Abkommen, um Vereinbarungen, die zwischen der Bundesrepublik auf der einen Seite, Großbritannien und Kanada auf der anderen Seite getroffen werden müssen. In diesem bilateralen Abkommen wird die Benutzung des Manövergeländes im Raum Soltau-Lüneburg geregelt, insbesondere auch die Benutzung des Naturschutzgebietes, in welchem durch Manöver der alliierten Truppen sehr häufig Schäden entstanden sind und entstehen.Die niedersächsische Landesregierung bemüht sich seit Jahren, hier eine befriedigende Regelung zu erreichen. Es handelt sich um einen Raum von 50 000 ha, der seit Jahren vom März bis zum Oktober von den Stationierungsstreitkräften zu umfangreichen Panzerübungen benutzt wird. Von den 50 000 ha gehören etwa 4500 ha zum Naturschutzgebiet. Durch die Truppenübungen entstehen in jedem Jahr sehr erhebliche Schäden an öffentlichem und privatem Eigentum, die von der niedersächsischen Landesregierung mit durchschnittlich 1 Million DM pro Jahr angegeben werden. Die Benutzung des Gebietes als Manövergelände bringt der betroffenen Bevölkerung in den Landkreisen Soltau, Harburg und Lüneburg schwere unmittelbare Schäden, aber auch Erschütterungsschäden an Gebäuden, Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs usw. Der Raum Soltau ist praktisch ein Truppenübungsplatz geworden.Niedersachsen sieht in dieser Nutzung des Raumes eine Sonderbelastung und bittet dringend um Abhilfe. Niedersachsen fordert, daß für die Inanspruchnahme des Geländes die Vorschriften des deutschen Rechts gelten sollen, also das Bundesleistungsgesetz.- Nach diesem Gesetz dürfen Manöver und andere Übungen grundsätzlich die Dauer von 30 Tagen nicht überschreiten, das gleiche Gelände darf nicht wiederholt benutzt werden, für die Übungen können einschränkende Bedingungen von den zivilen Verwaltungsbehörden festgelegt werden, Übungen im Naturschutzgebiet sind gegen den Willen des Berechtigten nicht zulässig. Das sind die Wünsche, die Forderungen des Landes Niedersachsen für den Abschluß des Manöverabkommens.Dem Ausschuß für Inneres sind diese Wünsche bekannt. Er hat in seiner Sitzung am 19. März beschlossen, die Frage des Manöverrechts im Raum Soltau weiter zu behandeln, sobald die Verträge abgeschlossen und unterzeichnet sind. Er hat ferner beschlossen, zu diesen Beratungen auch Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Niedersächsischen Landesregierung hinzuzuziehen. Wir hoffen, daß es gelingt, den berechtigten Wünschen Niedersachsens Rechnung zu tragen.Ich bitte, den vorliegenden Antrag des Ausschusses für Inneres, Drucksache 1115, anzunehmen, dabei aber, weil die Verhandlungen über den Truppenvertrag und über das Zusatzabkommen Soltau abgeschlossen sind, einige Worte zu ändern. Es soll nicht heißen: „Die Bundesregierung wird dringend ersucht, die Verhandlungen über einen neuen Truppenvertrag umgehend zum Abschluß zu bringen" — das ist inzwischen geschehen —, sondern: „Die Bundesregierung wird dringend ersucht, für baldige Unterzeichnung des Truppenabkommens und des Abkommens über die Durchführung von Manövern im Raum Soltau zu sorgen, damit" — das weitere bleibt stehen — „Bestimmungen in Kraft treten können, durch die die Inanspruchnahme von Naturschutzgebieten für militärische Zwecke vom Einvernehmen mit den zuständigen Behörden abhängig gemacht wird."
Ichdanke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schmitt !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Gossel hat mir über die von ihm vorgeschlagene Änderung eine Nachricht zukommen lassen, die ich beantwortet habe. Wir sind im Augenblick in einer Ausschußbesprechung, so daß ich Sie, Herr Kollege Gossel, nicht noch einmal persönlich aufsuchen konnte.
Wir sind mit dieser Änderung nicht einverstanden, weil der Eindruck entstehen könnte, daß wir mit dem materiellen Inhalt der Bestimmungen des Truppenvertrages einverstanden seien. Das ist durchaus nicht der Fall.
Ich wäre also dankbar, wenn es bei der vom Ausschuß empfohlenen Fassung bliebe. Sie können ja als Berichterstatter die Feststellung anfügen, daß inzwischen der Truppenvertrag unterschrieben ist. Dagegen habe ich keine Bedenken.
Meine Damen und Herren, der Vertrag ist zum Abschluß gebracht, aber, ich glaube, noch nicht unterschrieben. Wenn er bereits zum Abschluß gebracht ist, kann man
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Vizepräsident Dr. Jaegerschlecht beschließen, daß er zum Abschluß gebracht werden soll. Etwas Unsinniges aber sollte das Hohe Haus nicht beschließen. Können wir nicht so verfahren, daß die Sache ,an den Ausschuß für Inneres zurückverwiesen wird?
— Gut, dann beschließt das Hohe Haus, die Sache an den Ausschuß für Inneres zurückzuverweisen.Ich rufe Punkt 35 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes betr. Zustimmung des Bundestages gemäß § 47 der Reichshaushaltsordnung zur Veräußerung einer Beteiligung an der Deutsche Wochenschau GmbH, Hamburg .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 36 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags dies Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf eines Teils der bundeseigenen ehem. Infanteriekaserne in Kempten an die Stadt Kempten (Drucksache 1091).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung ,an den Haushaltsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 37 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betr. Ferienaktion für Berliner Kinder .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir nehmen die unterbrochene Sitzung wieder auf, und zwar bei Punkt 2 der Tagesordnung, der
dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes.
Die allgemeine Aussprache hat stattgefunden. Wir treten jetzt in die Besprechung der Einzelpläne ein. Bei jedem Einzelplan ist zunächst noch eine allgemeine Aussprache vorgesehen, bei der dann zweckmäßigerweise die zu dem Einzelplan vorliegenden Änderungsanträge begründet werden.
Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Hierzu liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 311 und 324 vor.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich hier in der dritten Lesung zum Haushalt des Herrn Bundeskanzlers spreche, dann handelt es sich für uns in diesem Zusammenhang nicht darum, daß wir uns heute hier noch einmal mit der Politik des Bundeskanzlers oder der Bundesregierung auseinandersetzen. Das ist in der zweiten Lesung durch die Rede meines Freundes Fritz Erler geschehen, und es ist heute in der allgemeinen Aussprache über den Haushalt durch die Rede meines Freundes Erwin Schoettle geschehen. Außerdem werden wir, soweit die Auseinandersetzung mit der Politik des Bundeskanzlers in Frage kommt, eine weitere Möglichkeit in der kommenden außenpolitischen Debatte haben, die für Ende dieses Monats vorgesehen ist. Dabei werden wir vor allem auch die Rolle Dr. Adenauers im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Genfer Konferenz untersuchen.Nach unserer Meinung steht heute ein anderes Problem zur Debatte, wie wir glauben, ein ernsteres und tiefergreifendes Problem, weil es an die Grundlagen unserer demokratischen Ordnung rührt.
Es handelt sich um den Entschluß des Bundeskanzlers, nicht für das Amt des Bundespräsidenten zu
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4006 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Ollenhauerkandidieren. Selbstverständlich steht es Herrn Dr. Adenauer frei, diese oder jene Position in der Vorbereitung dieser Wahl zu wählen.
Aber das ist hier nicht die entscheidende Frage.Die außergewöhnliche Lage, in der wir uns befinden, ist durch die Umstände bedingt, die zu diesem Schritt des Herrn Bundeskanzlers geführt haben. Ich meine die Art und Weise der Vorbereitungen der Wahl des Bundespräsidenten durch die Mehrheitspartei in diesem Hause, durch die CDU/CSU.Die CDU/CSU hat auch diesmal von vornherein die Wahl des neuen Bundesrpäsidenten als eine reine Parteiangelegenheit betrachtet.
Es gab in den vergangenen Monaten nicht einen einzigen Versuch der Fühlungnahme mit den übrigen Parteien und Fraktionen dieses Hauses über die Vorbereitung und Durchführung der Wahl des neuen Bundespräsidenten.
— Meine Damen und Herren, darauf habe ich gewartet. Wir haben nämlich mit unserer Kandidatur bis Mitte Februar gewartet, weil es bis dahin für Sie Zeit genug gewesen wäre,
eine selbstverständliche Pflicht zu erfüllen und in diesem Hause vor allem auch mit der sozialdemokratischen Opposition über Möglichkeiten in der Vorbereitung der Bundespräsidentenwahl Fühlung zu nehmen. Das ist nicht geschehen. Wir sind nicht überrascht; denn im Grunde haben Sie damit dieselbe Praxis angewendet wie bereits im September 1949, als Sie die Besetzung des Amtes des Bundespräsidenten in die Vereinbarung über die Bildung der ersten Koalitionsregierung einbezogen
ohne irgendeine Fühlungnahme mit der sozialdemokratischen Fraktion des Bundestages.
— Ob das, was Ihnen gut bekommt, immer gut für das deutsche Volk ist, ist eine ganz andere Frage.
— Ich denke, wir reden nicht über die letzte Wahl,
sondern über die gegenwärtige Situation; denn dazu gibt es noch einiges zu sagen.Es geht hier nicht um die Frage, ob Sie mit dieser Praxis damals oder heute formal gegen das Grundgesetz verstoßen haben — das ist sicher nicht der Fall —, aber in den letzten Wochen hat diePraxis der Vorbereitungen zur Bundespräsidentenwahl dazu geführt, daß wir heute, wenige Wochen vor dieser Wahl, praktisch vor einem Trümmerfeld des Vertrauens in die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik stehen.
Ich weiß nicht, ob man Anlaß hat, über eine solche Feststellung hier in ein fröhliches Lachen auszubrechen. Sie sollten sich lieber doch noch einmal an das erinnern, was wir alle in den letzten Monaten in dieser Beziehung leider erlebt haben; denn praktisch liegt hinter uns ein monatelanger beschämender Streit in der Mehrheitspartei dieses Hauses um die Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten. In dieser langen Auseinandersetzurig sind alle möglichen Namen von Mitgliedern Ihrer Fraktion öffentlich ins Spiel gebracht worden. Man hat hin und her diskutiert bis zu der Weigerung von Professor Erhard, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Ihre Fraktion — mindestens in der Mehrheit — wollte ihn in der aktiven Politik behalten. Dann erfolgte aus der Sorge, in der Abstimmung der Bundesversammlung gegenüber der Kandidatur von Professor Carlo Schmid zu unterliegen, der Beschluß Ihres Wahlmännergremiums, den Bundeskanzler Dr. Adenauer selbst zu nominieren. Das war am 7. April. Sie wissen alle besser als wir, daß das der wirkliche Hintergrund dieser Entscheidung war. Wir haben alle noch die Rede des Herrn Bundeskanzlers vom 8. April im Ohr, in der er seinen Beschluß mit der Feststellung begründet hat: „Mein Entschluß ist wohlüberlegt und richtig."
Das war damals. Es war bemerkenswert — meine Damen und Herren, auch Sie wissen es noch —, daß es der damalige Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten in seiner ersten öffentlichen Erklärung in dieser Funktion für richtig hielt, einige Bemerkungen über die Bedeutung des Amts des Bundespräsidenten in der Vergangenheit und in der Zukunft zu machen, die jeder nur als eine kritische Abwertung der Tätigkeit unserers gegenwärtigen Bundespräsidenten verstehen konnte.
Immerhin, es schien, als sei damit mindestens für Ihre Fraktion, für die Mehrheit dieses Hauses der Streit um die Kandidatur des Bundespräsidenten ausgestanden. Aber dann beginnt ein zweites Kapitel, das wir alle leider fast auch in aller Öffentlichkeit miterleben mußten, nämlich das Ringen in Ihrer Partei und Fraktion um den Nachfolger von Dr. Adenauer für das Bundeskanzleramt.Da beginnt wieder eine außergewöhnliche Entwicklung, offensichtlich deshalb, weil die Vorstellung von Herrn Adenauer damals war, auch als Bundespräsident einen aktiven Anteil am politischen Leben zu nehmen und einen Bundeskanzler zu bestimmen, von dem er sicher war, daß er als ausführendes Organ der Weisungen des Bundespräsidenten seinen Vorstellungen folgen würde; etwa die Übertragung des für Herrn Dr. Adenauer sicher sehr anziehenden Beispiels der französischen
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OllenhauerRegelung mit Herrn de Gaulle als Staatspräsidenten und Herrn Debré als Ministerpräsidenten.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen kein Geheimnis. Sie haben in Ihrer eigenen Fraktion diese Angelegenheit ja bis zum äußersten und mit bitteren Auseinandersetzungen durchdiskutiert. Sie wissen, wie wir alle, Sie besser als wir, daß schließlich eine Krise entstand, weil die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion nicht bereit war, ohne weiteres blanko den personellen Vorschlag des zukünftigen Bundespräsidenten Dr. Adenauer für den Bundeskanzler zu akzeptieren. Sie haben mit Recht das Recht beansprucht, über den Vorschlag des Bundespräsidenten für einen zukünftigen Bundeskanzler, auch wenn der Bundespräsident Dr. Adenauer heißt, frei zu entscheiden. Das war nicht nur eine parteiinterne, sondern es war eine allgemein politische Angelegenheit. Ich glaube, es war verdienstvoll von Ihrer Fraktion, daß sie sich schon in diesen Auseinandersetzungen einem solchen Versuch widersetzt hat.Aber, meine Damen und Herren, was war das Resultat? Wir haben alle den Gegenzug Dr. Adenauers erlebt, jedenfalls in seinem Schlußkapitel, nämlich seine Entscheidung, die er in der vorigen Woche den Vorsitzenden Ihrer Fraktion mitgeteilt hat: Wenn ihr nicht so wollt wie ich, dann bleibe ich Bundeskanzler. Das ist doch der tiefere Sinn dieser Entscheidung von Herrn Dr. Adenauer.Dabei haben diese Überlegungen bei Dr. Adenauer offensichtlich schon eine ganze Reihe von Tagen oder Wochen eine Rolle gespielt. Denn wir haben am 4. Juni bei der Veröffentlichung des Schritts des Bundeskanzlers z. B. aus den Vereinigten Staaten, aus Washington, die Nachricht bekommen, daß in Washington das Weiße Haus und das State Department über diese Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers nicht überrascht waren. Dort wußte man mehr, als z. B. Herr Professor Erhard wußte, der zur gleichen Zeit in Washington war und der ja in dieser Diskussion schließlich nicht ein Unbeteiligter gewesen ist.
Meine Damen und Herren, so ernst sind die Beteiligten, die Fraktion und das Parlament durch den Bundeskanzler vor seiner Entscheidung genommen worden.Wir haben hier vor gut einer Woche, am 3. Juni, die zweite Lesung des Haushalts gehabt. Mein Freund Erler hat seine Rede gehalten mit dem Tenor, es sei aller Voraussicht nach die letzte Etatrede gegenüber der Regierung Adenauer.
Ich stelle das fest. Ob Sie oder wir bei der Antwortdes Herrn Bundeskanzlers in einer mehr beneidenswerten Lage waren, wäre erst noch zu untersuchen.
Denn, meine Damen und Herren, an dem Tage, an dem Dr. Adenauer hier Erler antwortete, war dieser Mann bereits entschlossen— bereits entschlossen!—, die Kandidatur als Bundespräsident zurückzugeben. Am nächsten Tag, am 4. Juni, hat hier von diesem Rednerpult aus Ihr Kollege Dr. Barzel gesprochen — das war der Tag, an dem der Herr Bundeskanzler seinen Brief an die beiden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU übergab — und sich bei der Opposition beschwert, daß wir durch die Rede Erlers sozusagen eine Bestimmung des Grundgesetzes verletzt hätten, nämlich die Bestimmung, daß der Bundespräsident ohne Diskussion zu wählen sei; wir hätten durch die Bemerkungen von Fritz Erler sozusagen die Autorität des neuen Bundespräsidenten Dr. Adenauer beeinträchtigt. Ja, meine Damen und Herren — haben Sie gewußt, haben Sie mit dem Bundeskanzler hier das falsche Spiel am Dienstag und Mittwoch voriger Woche gespielt,
oder sind Sie selber so überrascht gewesen, wie wir es auch waren?Meine Damen und Herren, es geht doch hier nicht darum — lassen Sie mich das jetzt schon sagen —, daß irgend jemand in diesem Hause, vor allem etwa wir Sozialdemokraten, diese Debatte auch nur mit einem Funken von Schadenfreude führten.
Es geht hier darum, daß wir auf das tiefste beunruhigt worden sind über die Methoden, mit denen ein Mann wie der Bundeskanzler seine eigene Fraktion und den Bundestag in einer so lebenswichtigen Frage behandelt hat.
Meine Damen und Herren, das ist der Punkt, den wir in aller Offenheit und ohne jede Rücksicht auf die Tagesordnung dieser Debatte herausstellen. Denn schließlich, wenn man mit der Kandidatur für das höchste Amt in der Bundesrepublik so jonglieren, so spielen kann — wo soll eigentlich da in unserem Volke und in der Welt das Vertrauen zu den Institutionen und zu den Männern, die diese Institutionen bekleiden, bleiben?
Es kann doch nur auf das tiefste erschüttert werden.Nun, wir haben den Tatbestand, daß Herr Dr. Adenauer erklärt hat, er ziehe seine Kandidatur zurück. Selbstverständlich, trotz aller dieser Begleitumstände bliebe es dann für uns alle die Pflicht, zu untersuchen: Gibt es eine solch außergewöhnliche Situation, die einen so weittragenden Schritt rechtfertigen könnte und die uns manches milder beurteilen lassen müßte, wenn es solche Gründe wirklich gibt? Wir haben keine gehört, keine! Es gibt eine allgemeine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vor dem Fernsehen, und soweit ich sehe, hat er sie in ähnlicher Weise nach den Berichten der Presse in den Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion wiederholt. Das ist die Behauptung, seit dem 7. oder 8. April habe sich die internationale, die außenpolitische Situation so verschlechtert, daß er es nicht verantworten könne, jetzt
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4008 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Ollenhauerdas Amt des Bundeskanzlers aufzugeben. Wir brauchen nicht darüber zu reden, daß die internationale Situation alles andere als erfreulich ist. Aber, meine Damen und Herren, wenn das ein Argument wäre, dann hätte es vor der Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers am 7, April auch schon gelten müssen.
Es kann jetzt nicht für eine solche weitgehende Meinungsänderung als entscheidend angeführt werden.Es gibt also, soweit wir sehen, keine die Öffentlichkeit überzeugende Begründung, und das macht die Sache noch schlimmer; denn damit steht vor uns als das nackte Resultat eine dauernde Auseinandersetzung innerhalb der CDU/CSU-Fraktion über die beste Besetzung dieses höchsten Amtes und die Haltung ihres Kandidaten, der vor einigen wenigen Wochen erklärte, er sei bereit bzw. entschlossen, das höchste Amt auszufüllen, und der jetzt erklärt, er habe es sich anders überlegt. Wo bleibt eigentlich der Respekt vor den Kandidaturen zu dem höchsten Amt in der Bundesrepublik?
Wir beklagen uns so oft, daß wir in dieser Bundesrepublik an Symbolen und Beispielen so arm sind. Wir haben hier ein Beispiel dafür, wie man mutwillig die Ansätze eines Vertrauens zu den demokratischen Institutionen zerstört.
Denn, meine Damen und Herren, wenn wir uns das Resultat am Ende dieses frivolen Spiels einmal ansehen, dann ergibt sich fraglos, daß wir infolge der Art und Weise, wie um die Kandidatur gespielt wurde, vor einer Abwertung des Amtes des Bundespräsidenten stehen. Wir stehen vor der Tatsache der Herabwürdigung der höchsten Ämter der Bundesrepublik, weil die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen mußte, sie seien ausschließlich Objekte persönlicher oder parteipolitischer Überlegungen.Meine Damen und Herren! Wir stehen erstens vor einer Brüskierung mindestens der Mehrheitspartei dieses Hauses durch den Bundeskanzler und zweitens vor einer Brüskierung und Mißachtung des Parlaments, wie wir sie in den vergangenen neun Jahren noch nicht erlebt haben.
Das ist der Punkt, der uns bewegt und der uns veranlaßt, diese Angelegenheit hier zur Sprache zu bringen.Ich habe schon gesagt: die weitere Schwierigkeit ist, daß man kein überzeugendes sachliches Motiv für diese Entscheidung, für die Änderung der Haltung des Bundeskanzlers finden kann. Und wenn das so ist, bleibt nur eine einzige Schlußfolgerung, daß nämlich hier in Wirklichkeit nicht überragende sachliche oder nationale Gründe eine Rolle gespielt haben, sondern das persönliche Motiv, die Behauptung der Macht unter allen Umständen, die Mißachtung des Rechts der Mehrheitsfraktion und des Parlaments, frei über einen neuen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers zu entscheiden. ImGrunde also die Umkehrung der demokratischen Ordnung! Statt Respektierung des Willens der Mehrheit in Partei und Parlament die Aufstellung des nackten Prinzips: „Der Staat bin ich,
und nur ich allein bin fähig und in der Lage, das Notwendige und Richtige zu tun."
Wo bleibt da der Geist der demokratischen Selbstverwaltung in unserem Volke?
Noch mehr, auch das muß ausgesprochen werden: Was war die Reaktion des Herrn Bundeskanzlers auf den Widerstand in seinen eigenen Reihen und in der Öffentlichkeit? Er hat gesagt: Wenn ihr wollt, könnt ihr ja ein Mißtrauensvotum gegen mich einbringen, ihr werdet mir zustimmen müssen, ihr könnt es knurrend tun, das gestatte ich euch; im übrigen wird in 14 Tagen wieder alles vergessen sein. — Das ist der Geist und die Gesinnung, aus der heraus der Bundeskanzler diese Auseinandersetzung geführt hat.
Wiederum: Es ist Ihre Sache, aber Sie können doch nicht bestreiten, daß es uns alle angeht, wenn der Chef der Regierung unter solchen Aspekten eine politische Entscheidung von dieser Tragweite begründet. Im Grunde offenbart sich hier, was wir immer gewußt haben: eine tiefe Verachtung des Menschen,
die viele Handlungen und Reaktionen des Bundeskanzlers in den letzten 10 Jahren, wo wir ihn hier an der Spitze der Bundesregierung sehen, überhaupt nur zu erklären vermögen,
die Überzeugung bei ihm von der Unfähigkeit eines Volkes, sich selbst verantwortlich zu regieren.
Ich sage Ihnen: das ist im Grunde das Problem unserer Demokratie seit 1949. So überzeugend der gegenwärtige Bundespräsident dem Amt des Staatsoberhauptes einen demokratischen, der Verfassung gegenüber loyalen und menschlich-vertrauenerwekkenden Inhalt zu geben vermochte,
so leer und fragwürdig blieb das innere Verhältnis des Bundeskanzlers zu Geist und Inhalt der Demokratie.
Im Grunde — ich darf das in diesem Zusammenhang sagen — liegt auch hier die Wurzel für das unbefriedigende Verhältnis zwischen Regierung und Opposition. Die Entfremdung dieser beiden Wesenselemente der parlamentarischen Demokratie hat hier ihre tiefste Ursache.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4009
OllenhauerSie hat das notwendige und fruchtbare Wechselverhältnis zwischen Regierung und Opposition so weit unmöglich gemacht, daß es heute geradezu zur Loyalitätspflicht gegenüber ¡der Regierung gehört, von vornherein irgendeine sachliche Diskussion über Vorschläge oder Ideen der Opposition abzulehnen.
Das ist eine tragische Situation, und ohne Zweifel zeigt gerade der Ablauf der letzten Monate, wo der Kern, die wirkliche Ursache dieser für eine funktionierende parlamentarische Demokratie tödlichen Wirkung liegt.
Alle großen Leistungen des Kanzlers in Rechnung gestellt, — —
— wir bestreiten sie nicht, — alle großen Leistungen des Kanzlers in Rechnung gestellt, wir müssen heute und hier sagen, daß er durch sein Verhalten in dieser Frage die Bewährungsprobe als Repräsentant eines demokratischen Staates nicht bestanden hat.
Manche Leute meinen, die SPD sei verbittert, weil durch den Beschluß Dr. Adenauers, Bundeskanzler zu bleiben, ihre Hoffnung auf das Ende der Ara Adenauer zerstört sei. Als wenn es heute darum ginge! Ob Sie es heute anerkennen wollen oder nicht, der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer vom 11. Juni 1959 ist nicht mehr der Bundeskanzler vom 3. Juni dieses Jahres.
Das menschliche Manko, welches sein Schritt offenbart hat, ist so groß, daß es durch nichts mehr ausgeglichen werden kann.
Und politisch gesehen: die Politik, die wir hier als die Politik der Ara Adenauer bezeichnet haben, geht trotz der Entscheidung des Bundeskanzlers zu Ende. Herr Dr. Adenauer wird dieses Ende nach seinem Willen und seiner Entscheidung als aktiver Politiker erleben. Es wird für ihn ein bitteres politisches Ende sein.
Meine Damen und Herren, es geht hier auch gar nicht mehr um die Person des Herrn Dr. Adenauer. Es geht um das Ansehen der Demokratie, ihrer Institutionen und ihrer Repräsentanten in den Augen unseres Volkes. Unterschätzen Sie diese wirkliche Grundfrage nicht! Wenn heute in der Bundesrepublik eine Abstimmung über die Frage möglich wäre: Billigen Sie den Entschluß ,Dr. Adenauers?, es würde eine überwältigende Mehrheit unserer Bevölkerung mit Nein stimmen.
Die negative Reaktion ist so spontan und so tief wie nie zuvor und über alle Parteigrenzen hinweg.
— Ich empfehle Ihnen, das in Ihrem eigenen Interesse nicht zu bestreiten. Sie könnten sonst nämlich sehr bittere Enttäuschungen über die weiteren Auswirkungen der Sache erleben.Ich meine, vom Standpunkt der Demokratie ist diese Reaktion erfreulich. Denn sie bedeutet ganz einfach: Wir wollen kein Einmann-System!
Wir wollen kein System der einsamen Beschlüsse! Wir wollen eine Politik des Respekts vor jeder menschlichen Persönlichkeit! Ich glaube, daß das auch in den Empfindungen vieler Menschen eine Rolle gespielt hat, als sie erlebten, wie hier mit Namen und Personen in einer leichtfertigen Weise ein leichtfertiges Spiel getrieben wurde.
Und, meine Damen und Herren, diese Reaktion bedeutet: Wir wollen den Respekt vor der demokratischen Grundordnung und den Respekt vor der Verfassung der parlamentarischen Demokratie!Es gibt in unserem Lande in diesen Tagen Millionen von Menschen, die so denken und fühlen, die aber keine Möglichkeit des sichtbaren Ausdrucks ihrer Empfindung und ihrer Überzeugung haben. Deshalb muß es hier im Parlament vor der deutschen und internationalen Öffentlichkeit für alle diese Menschen laut gesagt werden: Es ist nicht wahr, daß die Mehrheit unseres Volkes noch oder schon wieder bereit ist, in dumpfem Schweigen und Grollen zuzusehen, wie der Weg zurückgeht in das Dunkel der Herrschaft eines einzelnen.
Der Schaden, den der Schritt des Bundeskanzlers im Inland und im Ausland angerichtet hat, ist groß. Ich will hier keine Pressestimmen zitieren. Es könnte sein, daß eine solche Aufzählung von Zitaten als Ausdruck einer Schadenfreude oder einer Genugtuung über die Reaktion im Ausland ausgelegt wird.
— Nicht eine einzige! Aber Sie werden ja nicht bestreiten, daß fast alle Pressestimmen negativ gewesen sind, einschließlich der Stimme des Leib- und Magenorgans des Bundeskanzlers, der „Neuen Zürcher Zeitung".
Meine Damen und Herren, es ist ein trauriges und ein beklagenswertes Lied, das uns aus all diesen Pressestimmen im Ausland entgegenklingt.
— Warum?! Weil für uns in sehr vielen Fällen die bedrückende Frage auftaucht: Ist Deutschland eine Demokratie,
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4010 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Ollenhauerist für das deutsche Volk wirklich auf dem Wege der demokratischen Selbstverantwortung, oder war alles in den letzten Jahren nur Schein?Ich könnte Ihnen Dutzende von Pressestimmen zitieren; Sie kennen sie ja auch, Sie wollen es nur nicht wahrhaben oder nicht zugeben.
Ich bin bei manchen dieser Pressestimmen sehr skeptisch; denn ich sage mir, manche Kritiker im Ausland sollten sich heute allerdings fragen, ob sie nicht selbst in den vergangenen Jahren dazu beigetragen haben, den Glauben Dr. Adenauers an seine Unersetzlichkeit zu stärken.
Das alles hilft uns nicht viel.Es bleibt die Feststellung: wir haben eine Krise des Vertrauens in die demokratischen Institutionen und in die demokratischen Kräfte des deutschen Volkes im In- und Ausland. Diese Krise ist nicht mit demonstrativen Schritten zu überwinden.Man hat gesagt, die Opposition, die Sozialdemokratie habe die Absicht, im Zusammenhang mit dieser Debatte ein Mißtrauensvotum einzubringen, um die CDU/CSU vor eine Entscheidung in ihrer Treue gegenüber Dr. Adenauer zu stellen. Meine Damen und Herren, auch ohne Ihren gestrigen einstimmigen Beschluß, wie ein Mann ein solches Mißtrauensvotum abzulehnen, hätten wir es nicht eingebracht,
weil es ja für das Problem, das hier vor uns allen steht, völlig uninteressant ist, ob ein solches Mißtrauensvotum angenommen oder abgelehnt worden wäre. Es geht ja überhaupt nicht darum, daß wir hier angesichts einer Krise, in die die Mehrheitspartei geraten ist, parteipolitisch die Kräfte messen. In diesem Augenblick geht es darum, auszusprechen, daß es nötig ist, daß vor allem Sie als Mehrheitspartei Mittel und Wege finden, damit wir aus der Krise des Vertrauens, in die uns das Verhalten Ihres Vorsitzenden hineingeführt hat, wieder herauskommen.
Das ist das wirkliche Problem. Nicht mehr und nichts anderes möchten wir heute zu diesem Kapitel sagen.Glauben Sie mir, wir sind nicht sehr 'beeindruckt durch die gestrige „brüderliche Versöhnung". Wir sind nicht sehr beeindruckt durch die freudige Mitteilung, daß alles wieder in bester Einigkeit sei. Sie haben sicher noch lange Zeit an den Folgen dieser Auseinandersetzung zu tragen. Es wäre menschlich unverständlich, wenn es anders wäre, meine Damen und Herren.
Deshalb lassen Sie das! Demonstrieren Sie uns gegenüber nicht den Willen Ihrer Einheit und Ihrer Verbundenheit mit Dr. Adenauer! Was könnten Sie in diesem Augenblick denn anderes tun?
Wir möchten Sie hier nur mit einer einzigen Frage entlassen
— ja, entlassen aus dieser Debatte —: Glauben Sie wirklich, daß die Fragen, die krisenhaften Zuspitzungen, die sich ergeben haben, mit Ihrem Beschluß erledigt sind? Bestimmt nicht! Sie müssen, meine Damen und Herren, ob Sie es wollen oder nicht, in der nächsten absehbaren Zukunft ein sehr weit sichtbares Signal geben, um deutlich zu machen, daß für die Mehrheitspartei in diesem Hause die Grundlagen und Grundsätze der Demokratie gegenüber jedem unantastbar sind.
Meine Damen und Herren, im Grunde sind Sie in der Lage, daß es praktisch nur noch eine Lösung gibt, nämlich die, sich aus diesem Grunde, nicht aus irgendeinem politischen Grunde, von Dr. Adenauer zu trennen.
- Meine Damen und Herren, es war klar, daß Sie so reagieren würden. Aber ich sage Ihnen eines: wenn Sie glauben, Sie brauchten nicht so weit zu gehen, Sie könnten es mit so gewissen nach außen wirkenden Einigungsbeschlüssen erledigen, dann seien Sie sich darüber klar, daß Sie mit einer solchen Haltung, die diese Krise nicht im Grunde bereinigt und nicht die eindeutige Stellung der Mehrheitspartei zur Sache der Demokratie vor aller Öffentlichkeit zeigt, denen helfen, die im Inland und im Ausland die Zweifel aufbringen, ob wir in dieser Bundesrepublik wirklich eine Demokratie haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Jede Fraktion, jede Partei — das sage ich insbesondere Ihnen, Herr Kollege Ollenhauer —, hat ihre Sorgen; das gibt es in jeder Familie. Aber ich möchte gleich zu Anfang sagen: wenn Sie mich fragten, ob ich mit Ihren Sorgen tauschen möchte, dann würde ich sagen: nein.
Diesen Gefallen kann ich Ihnen bei aller demokratischer Gesinnung, die ich habe, nicht tun. Wenn Sie schon an uns die Frage richten, ob wir noch Demokraten seien — ich bin ein höflicher Mensch, ich will jetzt keinen Namen nennen —, bitte, dann richten Sie diese Frage an einige Ihrer Freunde in Ihren Reihen!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4011
Dr. KroneIch komme darauf noch zu sprechen.
Wir freuen uns, daß der Herr Kollege Erhard von seiner Reise gesund und wohlerhalten zurückgekehrt ist,
und wir heißen ihn auch hier im Saal herzlich willkommen.
Ich sage das deshalb, weil einige Propheten geglaubt haben, wir würden vor einem Scherbenhaufen stehen. Ich stelle nur fest, daß bei uns solche Schwierigkeiten schnell, aber gründlich bereinigt werden.
Herr Kollege Ollenhauer, wir haben unsvor ein paar Tagen unterhalten. Sie haben mich zugleich im Namen der Freien Demokratischen Fraktion angerufen - das war in der Mitte der vorigen Woche — und gefragt, ob ich Ihnen nicht zu einer Unterredung zur Verfügung stünde.Ehe ich mich dieser Frage zuwende, möchte ich auf eine andere Art von Kritik noch eingehen, die der Beschluß des Bundeskanzlers erfahrenhat. Diese Kritik fand ich im „Vorwärts". Dort war von einem alten Manne die Rede, von einem Greis, der sich von der Macht nicht trennen könne.
Meine Herren, diese Kritik ist zu billig, und sie fällt auf den zurück, der sie ausspricht.
Immerhin ist dieser — ich zitiere jetzt ein Wort von Ihnen — alte Mann in diesen zehn Jahren durch seine Leistung zu einem Staatsmann emporgestiegen, auf den die ganze Welt schaut, nicht nur wir hier im deutschen Volke.
Auch Sie von der Opposition sollten vor diesem Mann Ihren Respekt als Demokraten haben.
Können wir uns denn in unserem deutschen Volke nicht dahin verständigen, Respekt vor der Gewissensentscheidung eines Politikers und Staatsmannes zu haben?
Muß man denn das als ein Hängen an der Machtabtun? Haben Sie kein Verständnis mehr dafür, daßein Staatsmann, ein Politiker solche Fragen vorseinem Gewissen entscheidet, wie es der Herr Bundeskanzler getan hat, und das auf Grund seiner zehnjährigen Leistung in diesem Staate?
Es ist doch ein böses Zeichen für unser politisches Denken, daß man sich die Ausübung der Macht nur als egoistische Freude am Herrschen vorstellen kann.
So billig nehmen wir Ihnen die Kritik, die Sie am Bundeskanzler geübt haben, wirklich nicht ab.In dem Gespräch, das wir neulich zusammen hatten, Herr Ollenhauer, haben Sie von Ihrer Sorge um den Staat gesprochen.
Wenn jemand das Wort „Sorge um den Staat" ausspricht, dann hören wir zu, dann nehmen wir Ihnen dieses Wort zunächst ab. Ich bin auch dafür, daß unsere Fraktionen sich in solchen ernsten Stunden zusammensetzen und über diese Sorgen sprechen. Das Gespräch wurde von uns akzeptiert, obwohl — wir haben das durchaus gemerkt — Ihrerseits darin eine Spitze gegen den Kanzler lag. Nun, wir sind nicht kleinlich. Aber dann geschah es, daß zur selben Zeit, als wir zusammensaßen, die Kanonade in Ihrem Pressedienst losging, als ob nun die Demokratie wirklich am Ende wäre. Da stand in Ihrem Pressedienst, der Schritt des Bundeskanzlers bedeute nichts anderes, als daß er die Axt an die Wurzel des Staates lege. Da schrieben Sie, meine Herren, die Sie hier von Demokratie sprechen, daß der Hauptfeind unseres Staates nicht Pankow sei, nicht die SED, nicht die Agenten des Ostens
— in Ihrem Pressedienst! —, sondern daß das der Bundeskanzler sei, der eben nicht Bundespräsident werden wolle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Wo steht das geschrieben?
Ich werde es Ihnen nachher zeigen, Herr Kollege.
Bitte, lesen Sie es hier vor!
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4012 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Im SPD-Pressedienst, „Machtwille ohne Grenzen", vom 8. Juni 1959!
- Ich lese vor:
Die größte Bedrohung für die Weiterentwicklung der bundesrepublikanischen Demokratie kommt nicht von außen; sie kommt auch nicht von den wirklichen und angeblichen SSD-Agenten,
die jetzt am laufenden Band verhaftet werden, sie kommt von dem Manne, der seit zehn Jahren als Verantwortlicher für die Bonner Politik zeichnet: von Konrad Adenauer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wir vertreten hier das souveräne Volk. Ich bitte Sie, sich so zu verhalten und so zu betragen, wie Souveräne sich betragen: nämlich souverän auch über Leidenschaften.
Ich bitte Sie, sich diesen Artikel im Pressedienst selber anzusehen.
— Ich habe hier erklärt, es sei geschrieben worden, daß der Hauptfeind nicht Pankow sei, nicht SED-Agenten, sondern daß das der Mann sei, der den Beschluß gefaßt habe, nicht Bundespräsident zu werden. Und dazu stehe ich.
Zu dem Gegenstand, der hier zur Debatte steht, ein weiteres Wort! Was liegt hier vor? Hier liegt der Entschluß des Bundeskanzlers vor, nicht für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Das und nichts anderes. Ist da denn der Vorwurf berechtigt, mit diesem Entschluß sei der Staat in Mitleidenschaft gezogen oder ein hohes Amt sei in seiner Würde herabgemindert?
Zunächst zur persönlichen Seite dieser Frage! Über die Zusammenarbeit zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler hat der Herr Bundeskanzler in der letzten Debatte hier selber das Nötige gesagt. Er hat über das gute persönliche Verhältnis, das zwischen diesen beiden hohen Repräsentanten des Staates besteht, gesprochen. Was der Kanzler sagte, waren Worte hoher Anerkennung, Worte, die Beweis einer respektvollen Haltung vor dem Amt und der Aufgabe des Bundespräsidenten sind.
Das Amt des Bundespräsidenten und das Amt des Bundeskanzlers haben ihre im Grundgesetz umrissene Aufgabe und Autorität. Die Inhaber beider Ämter haben in diesen zehn Jahren den Ämtern das Gepräge ihrer Persönlichkeit gegeben. Wir sollten darüber froh sein, sollten das anerkennen.
Programme in der Politik haben schon ihren Wert. In der Politik gilt aber noch mehr die Persönlichkeit.
Wir haben sie in dem Repräsentanten unseres jungen deutschen Staates, dem Staatsoberhaupt, dessen Amt und Aufgabe Theodor Heuß prägte. Wir haben sie aber auch, in der von ihm geprägten Art, im Bundeskanzler Konrad Adenauer selber.
Ich kann hier nur das zitieren, verehrter Kollege Erler, was Sie über das Amt des Bundeskanzlers in Ihrer Rede gesagt haben, wo Sie erklärt haben, daß ihm allein die Bestimmung der Richtlinien der Politik obliege.
— Das steht in der Verfassung, ich weiß es. Aber daß Sie das damals so stark betont haben, empfinde ich heute als eine Rechtfertigung der Haltung des Bundeskanzlers.
Als wir in der Fraktion über 'den Schritt des Kanzlers diskutierten, war es der Kollege Gerstenmaier, der, selber ein Gegner der Entscheidung des Bundeskanzlers, darauf hingewiesen hat, daß wir in diesem Staat der freien Bürger das Recht der Meinungsfreiheit und das Recht freier Entscheidung haben. Steht dieses Recht dann nicht auch dem Bundeskanzler selber zu?
Wir haben die Gründe, die der Herr Bundeskanzler für seinen Schritt anführt, von ihm schon mehrfach gehört. Darüber läßt sich streiten; darüber wurde auch gestritten. Das Für und Wider dieses Entscheids steht hier zur Debatte, doch auch nichts anderes. Die Frage, die den Kanzler bewegte, war eine Frage der Politik, insbesondere der Außenpolitik. Die Frage nach dem Für und Wider hat der Bundeskanzler auch sich selber gestellt. Er hat sich zu diesem Schritt entschieden. Es ist nun billig, diese aus der Verantwortung geborene Entscheidung mit dem „Willen zur Macht" abtun zu wollen.
Ich wiederhole: Es läßt sich über die Gründe diskutieren; aber es steht fest, daß dieser sein Schritt rechtlich begründet und rechtlich zulässig ist und
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4013
Dr. Kronedaß er in keiner Weise der Grundstruktur unseres Staates widerspricht.
Ich möchte sodann ein Wort zur Freiheit in diesem Staate sagen. Ist diese Freiheit, wie es HerrKollege Ollenhauer sagte, in Gefahr? Wir lieben inunserer Fraktion ein offenes Wort. Wir haben dieDinge, die uns bewegten, beim Namen genannt. Darüber ist in der Presse auch offen geschrieben worden. Wir haben in dieser unserer Kritik auch daraufhingewiesen, daß der Schritt des Herr Bundeskanzlers in unseren eigenen Reihen nicht immer Zustimmung gefunden hat. Aber wir haben auch diese ausgewichtigen politischen Gründen getroffene Entscheidung respektiert. Lassen Sie mich das ganzoffen sagen: diese unsere Kritik hat immer da eineGrenze, wo sie die Geschäfte des anderen besorgt.
Wir betreiben keine Politik der Selbstzerfleischung.Für uns steht die Politik der letzten zehn Jahre fest, und sie ist in drei großen Wahlen bestätigt worden: eine Politik der Sicherheit Europas, eine Politik des Friedens. Wir haben sie in Bündnis und in Partnerschaft mit der freien Welt durchgeführt. Wir haben in drei Wahlen dafür gekämpft und in der letzten Wahl eine absolute Bestätigung dieser Politik durch das deutsche Volk bekommen. Herr Kollege Ollenhauer, wollen Sie annehmen, daß das entgegen dem Willen des deutschen Volkes geschehen ist?
Wie können Sie davon sprechen, daß das eine Verletzung der Demokratie sei!
Diese Politik des Erfolges und der Sicherheit ist in der Geschichte unauslöschlich mit dem Namen Konrad Adenauer verknüpft. Muten Sie uns zu, meine Herren Sozialdemokraten, daß wir uns von diesem Mann trennen sollten?
Ich müßte hier auch seine Mitarbeiter nennen; ich führe sie aber nicht alle an, sondern ich nenne aus gutem Grund und mit Absicht nur den einen Mitarbeiter: Ludwig Erhard.
Was in diesen Jahren durch den Kanzler und seine Mitarbeiter geleistet worden ist, steht im Gedenken des deutschen Volkes fest. Seien Sie sicher, daß wir diese Politik weiterführen werden.Die Fragen, die uns bewegten, kreisten in den letzten Tagen um die Namen Erhard — Etzel — Adenauer. Diese Sorgen sind behoben. Die Politik der vergangenen zehn Jahre wird von den gleichen Männern wie bisher fortgesetzt.
Stärker als die Diskussion um Einzelfragen ist die Verbundenheit im Ziele und der Wille zur Geschlossenheit und zur Zusammenarbeit gewesen.Doch nun, meine Damen und Herren — und das müssen Sie auch verstehen —, muß ich davon sprechen, daß auch wir uns um den Staat Sorge machen.
— Keine solche Hetze, Herr Blachstein, wie sie vorhin betrieben worden ist.Kurt Schumacher hat es stets als eine gefährliche Illusion bezeichnet, mit einem totalitären Gegner, der das Ganze wolle, zu einem Kompromiß zu kommen, das einem die eigene politische Existenz und Selbständigkeit lasse.Das war vor zehn Jahren. Es mag sich mancherlei geändert haben. An der Tatsache, daß dieser Staat aus zwingenden Gründen geschaffen werden mußte, hat sich auch heute nichts geändert. Der Sowjetkommunismus beherrscht nach wie vor einen Teil Deutschlands und ist bestrebt, ganz Deutschland in seinen Machtbereich zu zwingen. Man kann über mancherlei streiten, doch darüber wohl nicht, daß die Politik, die damals Schumacher für gefährlich hielt, heute ungefährlicher geworden sei.
Da hören wir von Ihrem Deutschlandplan
mit seinem paritätischen Ausschuß.
Wir hören von dem Mut des Herrn Kollegen Wehner, auf ein bißchen Sozialismus käme es doch wohl nicht an, wenn man zur Wiedervereinigung kommen wolle. Dabei muß man sich von Chruschtschow bestätigen lassen, daß es ein bißchen Sozialismus nicht gibt.Wir hören von Ihren Studenten und deren Einstellung zu Pankow.
Wir hören von Ihren Journalisten in Moskau und dem Zorn des Kollegen Mommer.
Und dann das bitterböse Wort des Herrn Kollegen Wehner, der im Kampf gegen den Kommunismus die gemeinsame Front ablehnt.
Herr Kollege Wehner, soll es nicht ein Mindestmaß von Gemeinsamem im Kampf gegen diesen Feind in diesem Hause und im deutschen Volke geben?
Ich will in dieser Stunde nicht provozieren.
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4014 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. KroneAber lassen Sie mich doch sagen, daß hier Fragenliegen, daß hier echte Sorgen um den Staat liegen
und daß diese Sorgen uns alle angehen, Sie und uns in gleicher Weise.
Das sind die Fragen, die wir an die Sozialdemokratie zu richten haben. Wir haben den dringenden Wunsch, im Interesse des deutschen Volkes zu erfahren, wer bei Ihnen Herr im Hause ist.
Bitte, ich kann nur den Wunsch äußern, daß Sie im Interesse des deutschen Volkes diese Zweifel genauso klären, wie wir es getan haben.Wir waren uns in Berlin auf der letzten Tagung des Deutschen Bundestages doch noch in einem Minimum einig.
Sie haben mich hier wiederholt angesprochen. Darf ich Sie fragen, Herr Dr. Krone, ob Sie bereit sind, hier das Wort Ihres Parteivorsitzenden zu zitieren, das nicht einmal 14 Tage nach dieser jetzt von Ihnen berufenen Einigkeit in Berlin im Bundestag bei der Eröffnung des Wahlkampfes in Würzburg gegen mich ausgesprochen worden ist: „Der Mann Wehner spricht die Sprache der SED"? Und Sie wollen hier jetzt von Einheit sprechen?
Herr Kollege Wehner, welche Sprache Sie sprechen, müssen Sie selber entscheiden.
Ich kann nur mit tiefer Sorge feststellen, daß Sie eine gemeinsame Front im Kampf gegen den Kommunismus abgelehnt haben.
Ich bin überzeugt, daß nicht alle in Ihren Reihen diese Auffassung billigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muß bitten, den Redner aussprechen zu lassen.
Wenn ich von dem spreche,
Wenn ich von dem spreche, was in Berlin noch gemeinsam unter uns war,
dann muß ich auch ein Wort zu Dr. Dehler sagen.
Dr. Dehler nimmt in Genf das Gespräch zu denenauf, von denen Kurt Schumacher nicht anders alsvon den „Hausknechten Moskaus" gesprochen hat.
Meine Damen und Herren, wenn das geschieht —und das geschieht in Genf — zur selben Zeit, wo die Westmächte auch unseretwegen zusammensitzen,
so muß ich hierauf hinweisen, wenn schon die Frage gestellt werden muß: Leidet der Staat Not? Wenn der Bundeskanzler sich aus wohlüberlegten Gründen und aus der politischen Verantwortung entschieden hat, Bundeskanzler zu bleiben, ist das keine Frage der Krise der Demokratie. Aber bei dem andern, was ich erwähnt habe, leidet der deutsche Staat Not.
Meine Damen und Herren, heute ist die Gefahr unseres Bedrohtseins in Berlin in Westdeutschland wieder einmal überdeutlich ernst geworden. Wir haben gestern den Vorschlag des Herrn Gromyko gelesen. Großzügig, wie die Kommunisten sind, wenn es sich um die Rechte der anderen handelt, wollen sie für Berlin die Westmächte noch für ein Jahr zulassen, und das unter erschwerenden Bedingungen, schwereren als heute. Meine Damen und Herren, seien wir uns im Interesse Berlins und der Zone doch darüber einig, daß dieser Staat hier nicht nur unser gemeinsames Werk ist, sondern daß wir auch gemeinsam für ihn die Verantwortung tragen wollen und tragen müssen.
Damals, meine Damen und Herren, haben wir diesen Staat gemeinsam als Wellenbrecher gegen den Kommunismus geschaffen. Die Bundesrepublik muß stets und immer ein Leuchtturm der Freiheit sein,
der weit in die Bereiche der Unfreiheit im Ostenhineinleuchtet. Nur dann, wenn wir das sind, können wir hoffen, daß der Kommunismus eines Tages
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4015
Dr. Kronevon unserem Volke läßt und ein einiges und freies Gesamt-Deutschland zu errichten möglich sein wird. Wenn wir so handeln — und das war der Sinn unseres Gesprächs, Herr Kollege Ollenhauer, in der vorigen Woche; dazu sind wir bereit , dann führt die Geschichte unseres Volkes einst auch über Bonn hinaus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Ollenhauer hat sich in sehr temperamentvollen, zuweilen fast pathetischen Ausführungen beklagt, daß ich die Grundlage unserer demokratischen Ordnung zerstöre, daß ich kein inneres Verhältnis zum Geiste der Demokratie überhaupt habe. Das war, glaube ich — ich habe, so gut ich das konnte, seine Ausführungen notiert —, eigentlich die Quintessenz dessen, was er mir vorgeworfen hat.Warum hat er mir das vorgeworfen? Er hat es mir deshalb vorgeworfen, weil ich mich im Gegensatz auch zu einem Teil meiner eigenen Parteifreunde entschlossen habe, nach sehr reiflicher und sehr gewissenhafter Prüfung, meine Kandidatur zur Wahl des Bundespräsidenten zurückzuziehen. Das ist der einfache und klare Tatbestand.Wenn ich dem gegenüberhalte, meine verehrten Zuhörer, daß mir deswegen von Herrn Ollenhauer und von der sozialdemokratischen Presse und auch einem Teil der nichtsozialdemokratischen Presse
— ja, sicher lese ich das doch auch; das ist doch ganz klar — diese Vorwürfe gemacht werden und behauptet wird, daß ich von der Demokratie nichts halte, kein inneres Verhältnis dazu habe, so möchte ich Ihnen, Herr Ollenhauer, folgendes sagen. Ich habe in meinem ganzen langen Leben, auch in der Zeit der Verfolgung durch den Nationalsozialismus,
bewiesen, daß ich demokratische Grundsätze vertrete.
Aber ich für meine Person und, ich glaube, auch meine Parteifreunde halten für den obersten Grundsatz der demokratischen Ordnung, daß jeder seinem Gewissen folgt,
und ich verlange von Ihnen, meine Herren von der Sozialdemokratie, daß, wenn ich Ihnen sage: Ich bin hei dieser Entscheidung meinem Gewissen gefolgt, Sie das nicht bezweifeln, sondern mir das glauben. Sie mögen das für falsch halten, was ich getan habe, Sie sehen es von einem anderen Standpunkt aus an; meinetwegen; es ist eines jeden Recht zu kritisieren. Aber das bitte ich zu respektieren: ich babe diesen Entschluß gefaßt nach sehr reiflicherund gewissenhafter Überlegung auch mit meinen Parteifreunden, zum Teil auch im Gegensatz zu meinen Parteifreunden. Ich erblicke demokratische Freiheit darin,
daß man unter Umständen auch gegen die Meinung seiner Parteifreunde handelt.Ehe ich auf weitere Vorwürfe des Herrn Kollegen Ollenhauer eingehen muß — leider muß -, möchte ich hier einige Feststellungen zu den Tatsachen treffen.Ich habe mich am 7. April gegenüber dem Gremium, das meine Partei und die CSU zur Vorbereitung der Bundespräsidentenwahl bestimmt hat, bereit erklärt, die Kandidatur anzunehmen. Jeder, der dabeigewesen ist—und es waren über 70 Leute dabei —, weiß — es lag in meinen Worten und, ich glaube, auch in der Art, wie ich die Worte ausgesprochen habe —, daß mir dieser Entschluß nicht leicht gefallen ist. Er ist mir nicht leicht gefallen, weil die ganze Situation in der Welt verlangt -das bitte ich doch einmal zu verstehen —, daß nicht ganz plötzlich mitten während dieses weltpolitischen Geschehens sich dasselbe ereignet, was sich damals ereignet hat, als Churchill dadurch, daß er die Wahlen verlor, durch Attlee ersetzt wurde,
der ein ausgezeichneter Mann ist, der aber in die ganzen Verhandlungen hineinkam, ohne vorher damit befaßt gewesen zu sein.
Seitdem, meine Damen und Herren, hat sich die Weltlage wiederum verändert. Ich habe hier vor mir liegen — und ich werde ihn mit Erlaubnis des Präsidenten verlesen - einen Brief, den der amerikanische Staatssekretär Dulles am 8. April an mich gerichtet hat. Er schrieb so:Mein lieber Freund!Die Nachricht von Ihrem Entschluß, sich als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland aufstellen zu lassen, hat mich hier in Florida erreicht. Ich habe auch mit dem größten Interesse Berichte über Ihre heutige Ansprache an das deutsche Volk erhalten. Obgleich ich im einzelnen nicht die Beweggründe kenne, die Ihnen diese Entscheidung nahelegten, habe ich volles Vertrauen, daß sie Ihre Absicht widerspiegeln, sich auch weiterhin für die Sache der menschlichen Freiheit und den konstruktiven Wiederaufbau Europas einzusetzen, bei dem sich Ihre staatsmännische Kunst bereits in so hervorragender Weise erwiesen hat. Ich teile Ihre Überzeugung, daß die aufgeklärte Politik, die Sie in so weitgehendem Maße zu einem Bestandteil des nationalen Lebens Ihres Landes gemacht haben, von langer Dauer sein wird. Ich freue mich darauf, in den harten bevorstehenden Zeiten gemeinsam mit Ihnen unsere Anstrengungen fortzusetzen.
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4016 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Bundeskanzler Dr. AdenauerHerr Kollege Ollenhauer, eines bitte ich daraus zu ersehen: daß ich damals ohne jede Einwirkung von außen den Entschluß gefaßt habe, mich als Kandidat zur Verfügung zu stellen. Ich möchte in gleicher Weise erklären, daß ich mich später ohne jede Einwirkung von außen entschlossen habe, diese Kandidatur zurückzuziehen. Ich habe das getan, weil plötzlich — Sie wissen, daß Foster Dulles sich in Florida zuerst erholte; Sie kennen die Bilder, wie er im Meer geschwommen ist —, ganz plötzlich gegen alle Erwartungen der Ärzte der katastrophale Rückschlag eingetreten ist, der es ihm dann trotz Aufwendung seiner letzten Kräfte unmöglich gemacht hat, auf dem gemeinsamen Feld im Kampf gegen den Kommunismus, auf dem wir alle stehen, meine Damen und Herren, weiter mitzuarbeiten. Der Tod Dulles war für alle freien Völker der Welt ein großer, ein nicht zu ersetzender Verlust. Ein Weiteres kam hinzu: der Ablauf der Dinge in Genf. Diese beiden Umstände zusammen haben in mir immer mehr den Entschluß reif werden lassen, bei der Tätigkeit zu bleiben, die ich jetzt ausübe.Herr Ollenhauer hat mir vorgeworfen, ich hätte das Parlament getäuscht. Anscheinend sieht er eine Täuschung des Parlaments darin, daß ich auf die leidlich freundlichen Abschiedsworte, die Herr Erler mir am 3. Juni gewidmet hat,
ihm nicht gesagt habe: Verehrter Herr Erler, Sie müssen noch einige Jahre warten.
Ich leugne nicht, Herr Erler, daß auf der einen Seite Ihre Worte mir gutgetan haben. Auf der anderen Seite muß ich aber auch hier ehrlich bekennen, daß ich mich über eins gewundert habe. Ich habe nämlich schon am 14. Mai im Bundeskabinett erklärt, daß mein Entschluß, mich als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl zur Verfügung zu stellen, infolge des Verlaufs der Ereignisse schon zu 90 % nicht mehr vorhanden sei. Daß Sie, Herr Erler, der Sie so vieles hören und wissen, davon nichts gehört haben, das hat mich beim Anhören Ihrer Rede etwas gewundert.
— Also, meine Damen und Herren, ich habe diese Erklärung ja vor dem Kabinett, das voll besetzt war, abgegeben. Daran ist also nichts zu rütteln.
— Herr Erhard war dabei, als ich das gesagt habe.
Ich möchte etwas Weiteres klären. Als ich mich bereit erklärte, die Kandidatur anzunehmen, habe ich — meine Parteifreunde, mit denen ich gesprochen habe, werden das bestätigen — zur Bedingung gemacht, daß über die Frage der Nachfolgerschaft im Bundeskanzleramt erst gesprochen werde, wenn die Bundespräsidentenwahl vorbei sei.
Das hielt ich für korrekt und das hielt ich auch für richtig gegenüber Herrn Bundespräsidenten Heuss. Ich wäre mir direkt etwas komisch vorgekommen, wenn ich, der ich vorläufig Kandidat war, der ich noch gar nicht gewählt war, nun große Verhandlungen darüber hätte führen sollen, wer Bundeskanzler wird. Auch deswegen, meine Damen und Herren, bin ich an dem Tage, nachdem ich mich bereit erklärt hatte, nach Cadenabbia abgefahren, damit keiner an mich herantreten könnte, um mich zu fragen.
Aber ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht; ich gebe das offen zu.
Diese Tage in Cadenabbia sind mir nicht gerade verschönt worden durch die Ausführungen namentlich in der deutschen Presse darüber, wer nun Bundeskanzler werden wolle.Die Annahme des Herrn Kollegen Ollenhauer, daß ich vom Weißen Haus in Washington irgendwie beeinflußt worden sei — das hat er nämlich auch angedeutet —, ist völlig falsch.
— Er hat gesagt, am 4. Juni habe das Weiße Haus erklärt, es sei nicht überrascht gewesen.
— Also jetzt verstehe ich Sie nicht mehr! Das soll doch wohl heißen: — —
— Ja, da muß ich Ihnen auch wieder eine Legende zerstören. Ich habe mit Herrn Erhard, ehe er nach Amerika abreiste, zweimal, einmal anderthalb Stunden und einmal eine Stunde, in voller Freimütigkeit gesprochen, wie das unter Parteifreunden bei uns üblich ist.
— Ich sage nochmals: Ich habe es zuerst im Kabinettgesagt, am 14. Mai in Gegenwart von Herrn Erhard.
Nachdem mich Herr Ollenhauer in sehr starken Ausdrücken bezichtigt hat, daß ich durch mein Verhalten die höchsten Ämter in einem demokratischen Staat in der Öffentlichkeit herabgesetzt und das aufkommende Gefühl für demokratisches Empfinden
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4017
Bundeskanzler Dr. Adenauerentweder, wie er gesagt hat, zertreten oder zerstört hätte, möchte ich Ihnen doch einmal mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen, wie Herr Ollenhauer vorher über mich geurteilt hat. Ich zitiere hier nach der „Freien Presse" in Bielefeld vom 27. April 1959:Die Kandidatur des Bundeskanzlers für das Amt des Bundespräsidenten sieht Ollenhauer als Beweis dafür an, daß Adenauer durch seine inflexible Politik, seinen persönlichen Starrsinn und seine Isolierung von den westlichen Verbündeten— ich bin von ihnen gar nicht isoliert, verehrter Herr Ollenhauer —mit seiner Außenpolitik endgültig gescheitertsei. Er habe keine andere Möglichkeit gesehen,als sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen.
Nun, das war doch gerade vor dem Bundespräsidentenposten auch nicht sehr schmeichelhaft, wenn Sie damals die Ansicht geäußert haben, ich träte als gescheiterter Politiker die Flucht auf den Bundespräsidentenstuhl an.
Ich weiß nicht, ob solche Ausführungen sehr geeignet sind, den Respekt im deutschen Volke vor demokratischen Einrichtungen zu stärken.
Wenn ich mich nun, wie ich schon mehrfach gesagt habe, aus wohlerwogenen Gründen entschlossen habe, auf dieses von mir außerordentlich hoch eingeschätzte und respektierte Amt zu verzichten, so habe ich das auch nicht mit leichtem Herzen getan. Ich habe das — ich sage das ganz offen — mit geteilten Gefühlen getan. Denn es ist doch wohl selbstverständlich, daß ein Mann, der in seinem Leben so viel erlebt, mitgemacht und vielleicht auch geleistet hat, es auch einmal gern sehen würde, wenn er sich mit Ehren nur so aus der Entfernung, wie Herr Bundespräsident Heuss das getan hat, der Politik würde widmen können. Sehen Sie, ich stehe Ihnen so gern Auge in Auge gegenüber. Das Vergnügen würde ich dann nicht mehr haben.
Das hat mich auch etwas bewegt.
Ich will Ihnen sagen, was mich außerdem etwas bewegt hat: Ich würde dann auch keine „hemdsärmeligen Wahlreden" mehr halten können. Das würde mir schmerzlich sein, ich gebe das offen zu.
Ich tue das dann und wann gern, wenn es nicht so oft ist.
Trotzdem hatte ich mich dazu entschlossen. Gott sei Dank habe ich dann aber doch gespürt, daß ich noch nicht so inflexibel bin, daß ich im richtigen Augenblick nicht doch noch einen anderen Entschluß fassen könnte.
Ich glaube, meine verehrten Damen und Herren, daß das deutsche Volk mich verstehen wird. Ich habe so, wie ich gehandelt habe, nicht im Hinblick auf meine Partei gehandelt — das sage ich Ihnen hiermit auch —, sondern ich habe so gehandelt, wie ich im Interesse des deutschen Volkes glaubte handeln zu müssen.
Die Zukunft wird zeigen, ob ich richtig gehandelt habe oder nicht. Ich bin überzeugt, ich habe richtig gehandelt, und ich hoffe, meine Damen und Herren, daß Sie das eines Tages auch noch einsehen werden.Aber nun möchte ich eine Frage stellen. Während der Rede des Herrn Dr. Krone kamen Zwischenrufe, daß ich den gemeinsamen Kampf mit Ihnen gegen den Kommunismus abgelehnt hätte. Ich weiß nicht, wer aus Ihrer Mitte mir das zugerufen hat. Ich möchte den betreffenden Herrn wirklich bitten — vielleicht kann er mir schreiben, wenn er das Material gegenwärtig nicht hier hat —, mir doch zu schreiben, wann und wo ich das jemals getan habe. Das habe ich niemals getan, und ich werde es niemals tun. Denn weit über allem Parteigegensatz steht doch bei mir die Erkenntnis der furchtbaren Gefahr, in der wir alle stehen, der Gefahr, daß wir unsere Freiheit verlieren, wenn wir nicht in den freien Staaten der Welt alle diejenigen, die die Freiheit lieben, in den entscheidenden Fragen des Volkes zusammenhalten.
Damit möchte ich schießen. Ich bitte, nur noch eines von mir anzunehmen. Ihre Presse, die nicht zu Ihnen gehörige Presse, aber auch Herr Ollenhauer haben mehrfach betont, es handele sich hier um den Willen zur Macht. Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, Sie alle werden mir zugeben, daß Sie den Willen zur Macht auch haben. Das ist doch selbstverständlich. Warum werfen Sie mir das denn vor, wenn Sie diesen Willen auch haben. Vor allem bitte ich nicht zu übersehen: es ist ja nicht die Arbeit, die den Menschen so mitnimmt — die ist es nicht —, sondern es ist die mit der Macht verbundene Verantwortung,
und aus diesem Gefühl der Verantwortung habe ich gehandelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
,Das Wort hat der Abgeordnete Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir befinden uns nicht bloß in einer Kanzlerkrisis, sondern in einer Krisis des persönlichen Regimes.
Das deutsche Volk hat von oben nicht sehr viel freudige Ereignisse erlebt. Wir haben in diesem
4018 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. Mende
Jahr eine Reihe schmerzlich-widerspruchsvoll geführter Prozesse erlebt. Wir haben in diesem Jahre ein Halbmilliarden-Defizit, und wir haben jetzt diese Rede, eine Rede, welche die Engländer beleidigt hat.
Mit diesen Worten begann der Abgeordnete aus Schwaben im Deutschen Reichstag, Konrad Haußmann, am 11. November 1908 jene Debatte, die zu einer Kritik an dem damals so selbstherrlichen Monarchen und an seinem selbstherrlichen Kanzler Fürst Bülow führte. Seine Rede stand unter dem Thema „Das persönliche Regiment vor dem Tribunal". Man könnte angesichts der heutigen Debatte beinahe glauben, daß das deutsche Volk aus den leidvollen Erfahrungen mit dem persönlichen Regiment der letzten fünf Jahrzehnte nicht viel gelernt hat.
Aber bevor ich meine Kritik am Verhalten des Bundeskanzlers im Namen der Freien Demokratischen Partei darlege, gestatten Sie mir, kurz auf die Zitierung meines Bundestagskollegen Dr. Dehler durch Herrn Kollegen Dr. Krone einzugehen. Herr Kollege Dr. Krone ,glaubte, Kritik üben zu müssen an dem Gespräch, das Dr. Dehler vor wenigen Tagen in einem Restaurant in Genf mit drei höheren Funktionären des Pankower Regimes geführt hat und worüber er nicht nur dem Bundesaußenminister, sondern auch anderen in Genf berichtet hat. Wir glauben, daß es wahrlich nicht Hoch- und Landesverrat ist, wenn man in einem Restaurant ein Gespräch mit den Leuten führt, die nach dem westlichen Vorschlag ohnehin in einer gemischten deutschen Kommission mit uns sprechen sollen,
nach dem Vorschlag der Westmächte, der ja wohl auch der Vorschlag der Bundesregierung ist.
Wir glauben, daß ein solches Gespräch, das im offenen Bereich geführt wird, mit Berichterstattung an die verantwortlichen Männer der Regierung, also nicht hinter dem Rücken der Öffentlichkeit, nicht hinter dem Rücken der Regierung, nicht um die Stellung der Regierung zu erschweren, sondern vielleicht um zu erfahren, wie man noch aus der bösen Situation von Genf herauskommen kann, wahrlich wesentlich besser ist, als heimlich nach Pankow zu fahren und sich mit Vinzenz Müller von der SED zu treffen.
Wir glauben ferner, daß das unmittelbare Gespräch — mit Berichterstattung an die eigene Regierung —, daß die Auftragsverhandlungen zwischen Vertretern der beiden deutschen Teilstaaten, wie sie im westlichen Vorschlag und wie sie im Deutschlandplan der FDP gefordert werden, immer noch besser sind, als über Schmidt-Wittmack und Donhauser mit Ost-
berlin zu verkehren.
Im übrigen ist nun einmal Thomas Dehler ein kantiges Etwas, und er hat eine Vorliebe für die Herausgabe von Tonbändern. Vielleicht hat er sich bei den Herren Töplitz, Kegel und Meissner auch darum bemüht, das Tonband herauszubekommen, das vielleicht eines Tages im britischen Rundfunk abgespielt wird. Ich meine das Tonband, auf dem das Geheimgespräch des heutigen Justizministers Schäffer mit dem SED-Verteidigungsminister Vinzenz Müller aufgenommen ist.
Nachdem es Herrn Dehler in drei Jahren nicht gelungen ist, die Tonbänder eigener Verhandlungen im Kanzleramt zu bekommen, hat er vielleicht den Versuch gemacht, seinem Nachfolger im Amt zu helfen. Was wissen Sie von seinen tieferen Absichten!
Sie sollten also glimpflicher mit ihm umgehen.
Im übrigen hat dieser Mann mit seinen Stärken und Schwächen vier Jahrzehnte bewiesen, daß er nicht nur dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet hat — was nicht jeder in diesem Hause von sich behaupten kann —,
sondern daß er auch gegenüber dem Kommunismus gefeit ist. Sie sollten also aus diesen Gesprächen keine Staatsaktion machen.
Als der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Krone, am 7. April dieses Jahres mir in meiner Eigenschaft als Vorsitzendem der Freien Demokraten im Bundestag die Mitteilung machte, daß sich der Herr Bundeskanzler entschlossen habe, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, habe ich das nach einer Fraktionssitzung als eine staatspolitisch gute Entscheidung bezeichnet. Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Dr. Krone für die loyale Haltung gegenüber einer parlamentarischen Minderheit danken, die dadurch zum Ausdruck kam, daß er vor seiner eigenen Fraktion die Fraktion der Freien Demokratischen Partei informiert hatte. Das war ein guter Stil.
Die Fraktion hat also die Entscheidung des Kanzlers, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, als staatspolitisch gut bezeichnet. Für diese positive Beurteilung waren uns zwei Gründe maßgebend. Der erste Grund war, daß das Tauziehen um das höchste Amt im Staate damit endlich abgeschlossen war. Zweitens glaubten wir, daß es gut sei, wenn Bundeskanzler Adenauer mit seinen 83 Jahren das Ansehen, das er in der westlichen Welt genießt, und der Respekt, den er auch im Osten für sich beanspruchen kann, der NachkriegsDemokratie in dem Amt des Staatsoberhauptes noch einige Jahre dienstbar mache, gleichzeitig aber den Weg für eine kontinuierliche Regelung der schwierigen Frage seiner Nachfolge freigebe.
Wenige Tage später hat der Herr Bundeskanzler jene bekannte Rede im Rundfunk und im Fernsehen gehalten, die einige unserer Freunde nachdenklich werden ließ. Der Kanzler ließ durchblicken, daß er aus dem Amt des Bundespräsidenten mehr machen würde. Viele von uns haben das nicht nur als einen
Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4019
Dr. Mende
Versuch der Ausweitung der Kompetenzen des Staatsoberhauptes und einer späteren Einflußnahme auch auf die aktive Politik gewertet, sondern gleichzeitig als eine massive Kritik an der Amtsführung des Bundespräsidenten Theodor Heuss. Sie werden verstehen, daß die Freien Demokraten da empfindlich sind. Wir wußten, daß Theodor Heuss einer Verlängerung seiner Amtszeit durch Änderung des Grundgesetzes nicht zustimmen wollte, und zwar wegen seines hohen Respektes vor den demokratischen Institutionen und weil er nicht wollte, daß das Grundgesetz ad personam, also seinetwegen, geändert wird. Niemand kann leugnen, daß Theodor Heuss in der Ausübung dieses Amtes ein nachahmenswertes Beispiel für alle künftigen Nachfolger gegeben hat.
Gerade wir Freien Demokraten sagen das parteipolitisch gleichzeitig mit einem bitteren Unterton; denn unser Bundesvorsitzender Theodor Heuss ging uns genau in dem Augenblick als Parteipolitiker verloren, in dem er das Amt des Staatsoberhauptes übernahm, das er in so vorbildlicher Weise ohne auch nur den geringsten Verdacht parteipolitischer Einflußnahme geführt hat.
Was wäre uns Freien Demokraten in den zehn Jahren alles erspart geblieben, wenn Theodor Heuss unser Vorsitzender geblieben wäre!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mein Entschluß ist zwar schnell gefaßt worden, aber — ich muß es noch nachträglich sagen — wohlüberlegt und richtig. Man muß ihn nicht unter dem Anliegen des Tages betrachten. Wir werden noch auf lange Zeit hinaus in einer Periode der Gefahr und der Unsicherheit sein. Mein Entschluß ist dazu bestimmt, auf Jahre hinaus die Kontinuität unserer Politik zu sichern. Ich glaube, ich befinde mich auch darin im Einklang mit meinen Freunden, daß ich kraft meiner Erfahrung und kraft des Vertrauens, das mir in so reichem Maße im Inland und im Ausland geschenkt worden ist, das Amt des Bundespräsidenten der Bedeutung dieses hohen Amtes entsprechend ausfüllen werde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Daher kann ich in einer so kritischen Phasemeinen jetzigen Posten nicht verlassen. Daswürde sowohl im Ausland wie im Inland nicht gut wirken. Ich glaube, daß es im Interesse des .deutschen Volkes und im Interesse der Partei liegt, wenn ich die Linie, die wir bisher eingeschlagen haben, in einer so kritischen Phase weiterführe.Im April Begründung: Kontinuität der bisherigen Politik. Im Juni als Begründung für das Gegenteil: Kontinuität ,der bisherigen Politik.
Wie soll man das verstehen? — Das zu verstehen, Herr Kollege Kunze, werden Sie vielleicht nachträglich noch Gelegenheit haben darzulegen. Jedenfalls nicht nur wir, alle Welt sieht hierin einen Widerspruch.Was uns aber besonders mißfällt, ist der Stil, unter dem sich das Ganze abspielte, die Behandlung des Parlaments und die Behandlung der eigenen Fraktion. Wir haben in den vergangenen Jahren ja gewisse Erfahrungen sowohl bezüglich der Behandlung des Parlaments wie der Behandlung der Fraktionen, ob in Koalition oder in Opposition, sammeln können. Ich darf nur daran erinnern, was wir damals bei der Diskussion um das Freiwilligengesetz im Sommer 1955 erlebten, das gegen den Willen einer starken Mehrheit der CDU/CSU vor den Parlamentsferien verabschiedet werden mußte. Aus dem Kanzleramt, nicht aus dem Verteidigungsministerium kam ein Entwurf, der so schlecht war, daß er nur mit Mühe durch den Verteidigungsausschuß des Bundestages überhaupt zu einem annehmbaren Gesetz umgeformt werden konnte. Ein schlechtes Gesetz im übrigen, ein unnötiges Gesetz. Es wäre besser gewesen, damals das Soldatengesetz zu verabschieden und nicht das schlechte Freiwilligengesetz. Aber nicht das Parlament, sondern der Wille des Kanzlers siegte.Nicht anders war es um ein zweites Beispielzu nennen — bei dem Wehrpflichtgesetz. Allgemeine Wehrpflicht! Dabei wird nur jeder zehnte eingezogen, die neun anderen stehen draußen vor der Tür, und der Stau geht schon in die Millionen. Was ist das für eine allgemeine Wehrpflicht, die überhaupt nur 10 % der wehrhaften Männer erfaßt?
Als wir damals sagten: Nicht jetzt — vor Festlegung der Voraussetzungen der Wehrpflicht, durch Kaderaufstellung — und nicht so, d. h. nicht in dieser längst überholten Form, sondern in der moderneren Form einer allgemeinen Verteidigungspflicht aller Bürger, nicht nur der Männer im Soldatenrock, wurden wir höhnisch verlacht. Der Verteidigungsminister mag ein Lied davon singen, wie wenig er mit diesem schlechten Wehrpflichtgesetz, das rechtzeitig vor der Wahl verabschiedet werden mußte, weil es ja unpopulär war, die Heimatverteidigung aufbauen kann. Aber ich will diese Beispiele nicht fortsetzen.Persönliches Regiment, auch gegenüber uns als einer Koalitionsfraktion! Wir haben leidvolle Erfahrungen in Koalition, auch in Opposition. Es ist nicht einfach für Freie Demokraten mit ihren 44 Ab-
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Dr. Mendegeordneten. Waren wir mit der CDU in einer Koalition, wie es von 1949 bis 1956 geschehen ist, nannte uns der damalige Vorsitzende der Sozialdemokraten den „kapitalistischen Wurmfortsatz der CDU". Ach, wären wir doch kapitalistischer, als wir es wirklich sind!
Und als wir aus gutem Grund glaubten, dem Übermut der Mehrheit dieses Hauses durch Koalitionen in den Ländern Einhalt zu gebieten, nannte uns der Kanzler Adenauer den Steigbügelhalter der Sozialdemokraten. In jedem Falle haben wir den einen oder den anderen — und manchmal beide gegen uns. Das ist natürlich für eine Partei, die im Bundestag nicht über ein Bataillon verfügt wie die CDU, auch nicht über eine Kompanie wie die SPD, sondern nur über einen Zug von 44 Abgeordneten, keine einfache Sache.Aber vielleicht darf ich Sie an die 42. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. September 1954 erinnern. Da hielt Dr. Reinhold Maier seine Rede zu der berühmt-berüchtigten John-Affäre. Er stellte der Entführungsthese der Bundesregierung die Frage entgegen: Was muß in der Bundesrepublik eigentlich passieren, damit etwas passiert? Wie hat dann der Bundeskanzler diesen Mann abgekanzelt!Wir wissen übrigens bis heute noch nicht, wer eigentlich die halbe Million Mark Belohnung bekommen hat, nachdem sich herausgestellt hatte, daß es doch keine Entführung war.Als 1955 die Freien Demokratien hier in der Saar-Debatte standen und versuchten, dieses Haus für ihre Auffassung zu gewinnen, — welche Abwertung unseres Sprechers durch Dr. Adenauer, als er sagte: „Sie haben durch Ihre Rede Deutschland schwer geschadet!" Ein Glück, daß die Saar-Bevölkerung sich nicht an den Rat des Kanzlers aus Bochum gehalten hat,
der da lautete: Nehmt das Saar-Statut an! Ein Glück, daß sie das Gegenteil dessen tat, was ihr die Bundesregierung empfahl. Daß die Saar zurückkam, ist nicht das Verdienst des Bundeskanzlers und seiner Partei, sondern ist einzig und allein der Treue der saarländischen Bevölkerung zu verdanken.
Und wir glauben, durch unseren Sprecher Max Becker und uns hier in Bonn und durch unseren Bundestagskollegen Heinrich Schneider in Saarbrücken etwas dazu beigetragen zu haben. Der heutige Saarvertrag ist zu vier Fünfteln genau der Vorschlag der Freien Demokraten. Aber welche Abwertung Max Beckers unter dem höhnischen Gelächter der CDU/CSU-Fraktion!
Wie war es denn mit dem berühmten Novemberultimatum? Der Kanzler schickte einer kleineren Koalitionsfraktion ein Ultimatum, in dem es hieß:Ist die Bundestagsfraktion der FDP bereit, zusammen mit der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der DP bis zum Ablauf der gegenwärtigen Legislaturperiode im Jahre 1957 so zur Koalition zu stehen und in wichtigen Fragen mit den anderen Koalitionspartnern gemeinsam vorzugehen, daß eine agitatorische Auseinandersetzung über die gemeinsame Arbeit der Koalitionsparteien bei den Bundestagswahlen 1957 ausgeschlossen wird?Welche Einschränkung des freien Entscheidungsrechtes einer Partei, ein Unter-das-kaudinische-JochZwingen einer kleineren Fraktion!Wenn Sie wissen wollen, woran die Koalition mit der CDU gescheitert ist nach Jahren guter Zusammenarbeit in einem echten Partnerschaftsverhältnis — Sie haben jetzt bei der CDU vielleicht selbst die Antwort. Wir Freien Demokraten konnten es nicht ertragen, daß wir als Freie Demokraten so behandelt wurden, wie sich die CDU heute durch ihren eigenen Kanzler behandeln läßt.
Zu dem Thema „Das persönliche Regiment vor dem Tribunal" gehört auch jene der demokratischen Entwicklung abträgliche Entscheidung bezüglich des Verbleibens von Ministern im Kabinett, die die Vertrauensgrundlage ihrer Parteien verloren hatten.
Erst ging es dem BHE so, dann waren wir an der Reihe. Während man sich sonst so sehr auf die Gewissensnot berief und auch heute das Gewissen sosehr in Anspruch nimmt -- wo blieb denn da die Gewissensentscheidung gegenüber den Ministern, die doch das Ministeramt in erster Linie dem Vertrauen jener Parteien zu verdanken haben, die sie im Rahmen einer Koalition ins Kabinett geschickt haben?
Da hörte plötzlich die Gewissensnot auf, und da begann das Spalten, das Verbleiben im Kabinett.Aber Parteiverrat zahlt sich nie aus. An sich ist das ein längst beendigtes Kapitel, und insofern sind wir dem Herrn Bundeskanzler nachträglich noch dankbar, daß er im Jahre 1957 den Verrätern den ihnen gebührenden Lohn in Form eines Fußtritts und der ihnen gebührenden Mißachtung erwiesen hat.
Mit uns konnte man das also nicht machen.Jetzt, meine Damen und Herren, ist eigentlich die CDU an der Reihe; denn für die Art, wie sich eine große Fraktion selbständiger Männer und Frauen behandeln läßt, für dieses Verhalten fehlt mir als jüngerem Demokraten jegliches Verständnis.
Der zweite Mann der Bundesregierung, der Vizekanzler Erhard, ist in den USA. Wenn ich ein Rundfunkinterview des Vizekanzlers Erhard in Düsseldorf richtig gehört habe, hat er nicht vor seiner Abreise in die USA von der Sinneswandlung des
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4021
Dr. MendeBundeskanzlers gewußt, sondern ist drüben von dieser Nachricht überrascht worden.
Wenn wir schon am heutigen Tage Wahrheit und Klarheit hier vor dem Tribunal des Deutschen Bundestages finden wollen, dann müssen wir fragen: wer hat nun recht? Nur einer von beiden kann recht haben! .
In den Verlautbarungen der CDU ist bisher auch noch nicht zu lesen gewesen, ob denn Professor Erhard ein schlechterer Europäer oder doch ein guter Europäer ist, ob Herr de Gaulle ihn als einen würdigen und sympathischen Nachfolger ansieht oder nicht. Die Frage des Widerrufs angeblich mangelnder europäischer Gesinnung ist in dem Kommunique der CDU/CSU-Fraktion bisher nicht an- gesprochen worden.Im übrigen ist das Ganze doch nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich respektiere die Willensentscheidung des Kanzlers, weil ich sie respektieren muß und weil es ein Grundrecht ist, daß er sich frei entscheidet, wobei die Art, wie er sich entschied und wie er dem deutschen Volke mal das Hü und mal das Hott zumutete, allerdings eine andere Frage ist. Aber Sie werden eines Tages unter einer viel schwierigeren Situation jene Frage lösen müssen, der Sie im Augenblick ausweichen.
Wir beneiden Sie nicht um die Schwierigkeiten, vor denen Sie dann stehen werden.Die schwerste Belastung der deutschen Politik scheint uns im Ausland eingetreten zu sein. Einige Kollegen waren in der Lage, sowohl in London wie auch anderswo die Reflexwirkung der deutschen innenpolitischen Entwicklung im Ausland zu prüfen. Man hat sich nicht darüber gewundert, daß sich der Herr Bundeskanzler so entschied; das sind Überraschungen, mit denen man rechnen muß. Man hat sich wohl darüber gewundert, daß sich das Parlament und die CDU/CSU-Fraktion so etwas in dieser Formgefallen läßt.
Auch das ließe sich hier mit vielen, vielen Zitaten belegen. Ich will nicht in die Versuchung kommen, hier den Zitaterich zu spielen. Aber das Presseecho so euphorisch zu sehen, wie es Herr Kollege Dr. Krone tat, ist angesichts der höchst miserablen Pressekommentare im ganzen In- und Ausland doch nicht möglich. Man macht sich etwas vor, wenn man so tut, als wenn diese Dinge draußen durch die gestrige Versöhnungsaktion in der CDU-Fraktion bereits erledigt wären. Ich zitiere einige Zeitungen, die wahrlich nicht verdächtig sind, daß sie von uns etwas erhalten. Sie sind auch nicht verdächtig, daß sie aus dem Verfügungsfonds des Kanzlers etwas erhalten; sonst wären sie nicht in der Lage gewesen, so mutig zu schreiben.Der Kölner Stadtanzeiger, den ich als ersten zitiere, weil ich bei der Heimatstadt des Herrn Bundeskanzlers beginnen möchte, schreibt, von seinemChefredakteur Günter Sawatzki gezeichnet:In diesem Augenblick kommt die von uns gestern vorausgesagte Meldung, daß die CDU/ CSU-Fraktion sich einmütig Adenauers Entschluß, Kanzler zu bleiben, gefügt hat. Etwas Mittelmäßigeres als diese Folgsamkeit für all und jedes, was der Chef zu tun beliebt, ist kaum zu denken, und die Tatsache, daß Adenauer ein Kölner ist, zeigt nur, daß die gelernten Preußen noch aufregender mit ihrem Volk umgehen als die geborenen.
Nun lassen Sie mich die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitieren, die ja in besonderer Verbundenheit zu der Politik des Kanzlers steht, was nicht zu leugnen ist. Sie schreibt ebenfalls in einem Leitartikel Dolf Sternbergers in der Nummer vom Donnerstag, dem 11. Juni:Es ist nicht das Recht und die Verfassung, es ist auch nicht einmal das Prinzip der Mehrheitsentscheidung, was durch den jüngsten Entschluß Dr. Adenauers verletzt wurde. Es sind nur Unwägbarkeiten verletzt — diejenigen Unwägbarkeiten allerdings, deren Wahrnehmung allein einer Verfassung zum Leben verhilft. Es ist nicht das Recht, es sind die Sitten, gegen die dieser Streich geführt wurde. Man kann ihn gewiß keinen Staatsstreich nennen, wohl aber einen Streich wider den Geist des Staates. Mehr Staaten sind — wie Montesquieu sagt — an der Verletzung der Sitten zugrunde gegangen als an der Verletzung der Gesetze.Und als letztes, um Sie nicht über Gebühr zu strapazieren, das, was in dem Blatt des CDU-Kollegen des Kanzlers Dr. Bucerius, in der großen Illustrierten „Der Stern" mit 1 Million Auflage in den nächsten Tagen zu lesen sein wird. Da schreibt der Chefredakteur Henri Nannen:Ich weiß nicht, ob in unserer durch die Selbstherrlichkeit von Führerbefehlen abgestumpften Zeit die Folgen dieser Kanzlerentscheidung so weitreichend sein werden, daß meine Enkel eines fernen Tages in der Schule lernen, am 5. Juni 1959 habe die parlamentarische Demokratie in Deutschland durch Selbstmord geendet.
Aber ich weiß, daß es von heute an sehr viel schwerer sein wird, einem Kommunisten klarzumachen, worin das Wesen einer freiheitlichen Demokratie besteht:
nämlich darin, daß ein Volk sich eine Regierung selbst wählt — und daß es sie nach Hause schickt, wenn sie ihm nicht mehr paßt.
Und jetzt kommt ein sehr harter Satz, über den Sie sich lieber mit Herrn Dr. Bucerius, dem Verleger, oder mit dem Chefredakteur auseinandersetzen:Es könnte ja sein,— so schreibt Chefredakteur Henri Nannen —daß mir mein Gegner dann sagt, bei ihm zu
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4022 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. MendeHause gäbe es immerhin noch die Möglichkeit, einen überfällig gewordenen Ministerpräsidenten zum Leiter eines Kraftwerks in Kasachstan zu machen.
Es gibt wahrscheinlich einige Leute, die überrascht darüber sind, daß die Freien Demokraten kein Mißtrauensvotum einbringen. Wir haben dafür die gleichen Gründe, wie sie die sozialdemokratische, weit größere Oppositionspartei hat: Wir sehen deswegen von einem Mißtrauensvotum ab, weil sich in diesem konkreten Fall durch ein solches konstruktives Mißtrauensvotum die Sache nicht lösen ließe. Wir wissen doch ganz genau, daß die bataillons-starke Fraktion der CDU/CSU keinen Mann hat, der bereit ist, hier in der Abstimmung zu stehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerstenmaier?
Ja, sehr gerne.
Herr Abgeordneter Mende, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Sie damit viele beleidigen?
Ich habe leider feststellen müssen, wie oppositionelle Äußerungen innerhalb Ihrer Fraktion im Widerspruch zu dem Verhalten der gleichen Abgeordneten in der Abstimmung stehen, wenn es hier im Hause zum Schwur kommt.
Ich darf mich wiederum auf Konrad Haußmann berufen. Er schloß seine Rede bei der Kritik des persönlichen Regiments damals:
Es wird nach dieser denkwürdigen Debatte ein Gedenktag in der deutschen Geschichte bleiben; denn das, was wir alle mit angehört haben, ist etwas Außerordentliches und uns Neues gewesen, und die Einmütigkeit, die in der Auffassung hervorgetreten ist in den Erklärungen, die wir von den Rednern aller Parteien gehört haben, das ist das Große. Das erlaubt uns zu sagen und zu hoffen, daß das Parlament nicht so ohnmächtig ist, wie manche es geglaubt haben. Heute könnte man sagen: Die Szene wird zum Tribunal. Die ganze Haltung des Reichstags war die, daß er sich offen und laut zum Vertreter der großen Sorgen gemacht hat, die gegenwärtig durch die ganze Nation gehen. Es war wie ein Tag der Rechenschaftsforderung, und die Stellung, in die der Reichstag gestern zum ersten Male eingerückt ist, läßt erwarten, daß
manches, was bisher versäumt worden ist, dann erreicht wird, wenn wir an dieser Einmütigkeit gegenüber einmütig erkannten Gefahren festhalten.
Ich glaube, dieses positive Urteil, das Konrad Haußmann vor 51 Jahren am Schluß einer Reichstagsdebatte zum persönlichen Regiment halten konnte, wird der Deutsche Bundestag heute am Ende dieser Debatte nicht treffen können. Daher beschleicht uns Freie Demokraten eine große Sorge, und wir erinnern an das, was Gladstone über den Unterschied zwischen einem Politiker und einem Staatsmann gesagt hat:
„Ein Politiker denkt nur an die nächsten Wahlen, ein Staatsmann an die nächste Generation."
Wir haben die große Sorge, daß nach diesem Entscheid und dem Echo, das dieser Entscheid des Kanzlers in der deutschen und in der Weltöffentlichkeit gefunden hat, Konrad Adenauer möglicherweise — und wir würden es bitter beklagen — in die Geschichte eingeht als ein Politiker, der die deutsche Nachkriegsdemokratie mit einem neuen Obrigkeitsdenken und einem neuen Untertanengeist erfüllt hat und der die ersten Ansätze einer selbstbewußten parlamentarischen Demokratie zerschlagen hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen erst ist in diesem Hause des Tages gedacht worden, an dem vor 10 Jahren das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkündet wurde. Heute scheint es mir und meinen Freunden notwendig zu sein, noch einmal die Hauptgedanken nachzuzeichnen, von denen sich damals alle verantwortungsbewußten Politiker leiten ließen, als sie nach dem furchtbarsten Zusammenbruch unserer Geschichte vor der Aufgabe standen, einen neuen deutschen Staat aufzubauen.Diese Hauptgedanken lassen sich in zwei Begriffskomplexen zusammenfassen. Einmal waren alle Verantwortlichen davon durchdrungen, einen wahrhaft demokratischen Staat aufzubauen, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und dem deutschen Volk auf diesem Wege eine Rückkehr in die Gemeinschaft der anderen Völker zu eröffnen. Zum anderen standen über diesem Neubeginn die Erinnerungen an den Weg der Weimarer Republik und ihr Ende. Alle, die damals am Neubeginn unseres staatlichen Lebens mitgewirkt haben und von denen heute immer noch viele mit ihren Erfahrungen eines langen Lebens unter uns wirken, waren sich einig in der Absicht, bei allen Bemühungen um eine demokratische Gestaltung von Staat und Gesellschaft dafür zu sorgen, daß dieser neue demokratische Staat nicht ein zweites Mal ein Opfer seiner eigenen idealistischen Hilflosigkeit würde.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4023
Schneider
Das Ergebnis dieser Arbeit steht heute sichtbar vor der ganzen Welt. Die Deutschen im freien Teil ihres Vaterlandes haben in den vergangenen Jahren etwas fertiggebracht, was viele Zweifler nicht für möglich hielten. Sie haben sich einen Staat geschaffen, der eine demokratische Ordnung mit einer Stabilität verbindet, um die uns, das darf heute hier wohl einmal gesagt werden, viele andere Völker in den vergangenen Jahren schon beneidet haben. Ich will nicht der Frage nachgehen, wieweit dieses Ergebnis der überzeugten Einsicht. der großen Mehrheit unserer Staatsbürger entsprungen ist oder ob nicht auch die Ablenkung sehr vieler Energien auf rein wirtschaftliche Aufgaben hierbei eine besondere Rolle gespielt hat.Tatsache ist auf jeden Fall, daß sich dieser neue freie deutsche Staat bis heute entfalten konnte, ohne Bedrängnis durch große, den Staat verneinende Gruppen am linken und rechten Flügel des Parteiengefüges, und daß es ihm möglich war, selbst eine Aufgabe wie den Aufbau der Bundeswehr ohne irgendwelche ernsthafte innere Erschütterungen in Angriff zu nehmen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in den vergangenen 10 Jahren ein Ansehen nicht nur in der westlichen Welt erworben, sondern unbezweifelbar auch bei denen, mit denen wir uns immer wieder um unserer nationalen Aufgaben willen auseinandersetzen müssen.Ein besonderes Wesensmerkmal dieser unserer parlamentarischen Demokratie ist der Kampf unterschiedlicher politischer Gruppen um ihren Anteil an Einfluß und Gestaltungsmöglichkeit. Jede von ihnen muß aber damit rechnen, daß sie nur über einen begrenzten Zeitraum zur Durchsetzung ihrer Ziele verfügt und dann der Wähler eine neue Entscheidung trifft. Es ist das legitime Recht aller politischen Parteien, alles zu tun, um eine solche Entscheidung des Wählers möglichst weit hinauszuschieben und die Zeit der eigenen Gestaltung so weit wie möglich auszudehnen. Solange sich dieser Wille im Rahmen der Regeln des demokratischen Staates hält, geht jede Kritik an ihm fehl, im Gegenteil, er ist durchaus legitim. Es gehört deshalb auch unbestreitbar zu den Rechten einer Partei, die dem Staat durch ihre Vorstellungen, ihren Willen und ihre Arbeit weitreichende Impulse gegeben hat, Vorsorge dafür zu treffen, daß auch personelle Veränderungen in ihren Reihen die Fortsetzung ihrer Arbeit nicht beeinträchtigen. Bei allen Überlegungen dieser Art gilt die Feststellung, daß es nicht der Sinn der Demokratie sein kann, daß die vom Volke bestimmte Mehrheit eines Parlaments etwa die Politik der Minderheit betreibt.Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems ist es außerdem, daß jede der beteiligten Gruppen sich jederzeit darüber klar ist, daß sie niemals das Ganze, sondern nur einen Teil darstellt und daß erst aus dem Zusammenwirken aller Teile ein Ganzes und Dauerhaftes entstehen kann. In diesem Sinne ist auch die Aufgabe, unserem jungen Staat in wenigen Wochen ein neues Staatsoberhaupt zu geben, eine Aufgabe aller den Staat tragenden Kräfte. Sie alle sind verpflichtet, ihre eigenen Vorstellungen der Aufgabe unterzuordnen, die kontinuierliche Weiterentwicklung des Ganzen zu sichern. Daß dabei jener politischen Gruppe, der die Wähler durch ihre Entscheidung die Hauptverantwortung übertragen haben, eine besondere Verpflichtung zufällt, liegt auf der Hand.Die Deutsche Partei hat, als die ersten Überlegungen um eine Nachfolge des verehrten Herrn Bundespräsidenten konkretere Formen annahmen, nicht zuletzt aus der Sorge vor unerwünschten Entwicklungen - wie sie leider inzwischen eingetreten sind - eigene Vorstellungen entwickelt gehabt, die sich zu unserem Bedauern bisher leider nicht verwirklichen ließen. Wäre das Hohe Haus damals unserem Vorschlage auf eine Änderung des Grundgesetzes und damit die Schaffung der Möglichkeit einer Wiederwahl des amtierenden Bundespräsidenten gefolgt, es wäre uns in diesen Wochen sicher manches erspart geblieben. Es mehren sich in der Öffentlichkeit die Stimmen, meine Damen und Herren, die wieder nach dieser Regelung rufen, und ich appelliere an alle Fraktionen dieses Hauses, dieses unser Anliegen erneut aufzugreifen und zu helfen, es durchzusetzen.Wir haben schließlich den Entschluß des Herrn Bundeskanzlers vom 7. April, selbst für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, als eine staatsmännische Entscheidung begrüßt. Wir haben in der damaligen Bereitschaft des Herrn Bundeskanzlers die Möglichkeit erblickt, mehrere Momente in glücklicher Weise zu vereinen: Einmal, das Ansehen und Vertrauen, das Dr. Adenauer in den vergangenen zehn Jahren sich beim deutschen Volk und in der Welt geschaffen hat, uns allen und unseren weiteren Aufgaben zu erhalten. Zum anderen, gegebenenfalls dem neuen Bundeskanzler mit seinem Rat und seiner Erfahrung zur Seite zu stehen und ihm die Übernahme und Bewältigung schwerer Aufgaben zu erleichtern.Meine Damen und Herren, ich darf wohl feststellen — ohne in einen falschen Verdacht zu geraten —, daß der demokratische Staat nicht auf Politiker mit festem Willen und Gestaltungskraft verzichten kann.
Im Gegenteil, er braucht sie in Wirklichkeit mehr als der Staat, dessen Leben geregelt wird durch ein ideologisches Zwangskorsett. Es ist klar, daß die eines Tages eintretende Notwendigkeit, an ihre Stelle einen Nachfolger treten zu lassen, zu desto größeren Schwierigkeiten führt, je stärker ein solcher Politiker das Gesicht seiner Zeit geprägt hat.Alle diese Gedanken haben die Deutsche Partei dazu bestimmt, den Entschluß Dr. Adenauers vom 7. April zu begrüßen. Die Aufgabe, das Amt des Bundespräsidenten, dem das jetzige Staatsoberhaupt der Bundesrepublik in einer zehnjährigen Leistung so hohes Ansehen verschafft hat, einem würdigen Nachfolger zu übertragen, schien uns mit der Entscheidung des Bundeskanzlers und der CDU/CSU und ihres Vorsitzenden gut gelöst.Wenn heute, nach der neuerlichen Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers vom 5. Juni, nunmehr von durchaus bemerkenswerter Seite die Auffassung vertreten wird, das Amt des Präsidenten der Bundesrepublik sei nicht geeignet, die große Überleitungsaufgabe zu ermöglichen, vor die gewiß dieSchneider
größte Regierungspartei gestellt ist, dann können wir diese Ansicht keinesfalls teilen. Es geht und ging darum, den besten Weg zu suchen, um die bisherige erfolgreiche Koalitionspolitik, die auch meine Partei seit 1949 mit getragen hat, fortentwickeln zu können. Die Übernahme des höchsten Amtes in unserem Staate durch den Bundeskanzler sollte der ganzen Welt zeigen, daß auch sein Fortgang aus der aktiven Politik die bisherige Stabilität unseres neuen demokratischen Staates nicht antasten werde.Denn das ist die Aufgabe der Mehrheit dieses Hauses, von der seit zehn Jahren die wichtigsten Entscheidungen getroffen worden sind: deutlich zu machen, daß das Schicksal dieses freien Teiles Deutschlands nicht nur auf zwei Augen steht, sondern im Gegenteil die Arbeit gerade dieses Mannes entscheidend dazu beigetragen hat, ein solides und breites Fundament zu legen, auf dem der Staat auch dann sicher zu ruhen vermag, wenn die Männer nicht mehr unter 'uns sind, die Form und Inhalt dieses Staates so entscheidend bestimmt haben.
Dazu, meine Damen und Herren, gehört unbedingt, gemeinsam dafür zu sorgen, daß die demokratischen Institutionen, die in den vergangenen zehn Jahren mit Leben erfüllt werden konnten, in ihrem Ansehen und in ihrer Wirkungskraft nicht abgewertet werden. Wir müssen uns über den Zusammenhang zwischen dem Aufbau einer freiheitlichen Demokratie in diesem Teile Deutschlands und dem Streben nach einer Wiedervereinigung in Freiheit mit den Menschen in Mittel- und Ostdeutschland klar sein. Denn je mehr wir die Welt davon überzeugen können, daß der Teil des deutschen Volkes, der frei entscheiden kann, an den Grundsätzen einer demokratischen Entwicklung nicht rütteln läßt, desto mehr Verständnis werden wir erwecken können für unsere Forderung nach Freiheit auch für die 17 Millionen jenseits von Elbe und Werra. Auch aus diesem Grunde muß bei jeder Handlung überlegt werden, in welcher Weise sie auf unsere demokratische Entwicklung einwirkt.Wir können es uns aus diesem Grunde nicht leisten, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Echo zu überhören, das die neuerliche Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers vom 5. Juni nicht nur in der Bundesrepublik, sondern leider auch im Ausland gefunden hat. Die zahllosen Fragen nach der Festigkeit der Demokratie bei uns und der Solidität unseres bisherigen außenpolitischen Weges verdienen es, mit größter Aufmerksamkeit gehört und gewogen zu werden. Wir glauben, daß Herr Dr. Adenauer sich beide Entscheidungen, die vom 7. April sowohl wie die vom 5. Juni, nicht leicht gemacht hat, und trotzdem müssen wir auch heute noch feststellen, daß wir über den zweiten Beschluß des Herrn Bundeskanzlers von Sorge erfüllt sind. Die zeitweilige Form der heutigen Aussprache hat diese Sorge ganz allgemein nur noch verstärkt.Besonders auch aus diesem Grunde sind wir beunruhigt über die bedauerlichen Auseinandersetzungen der letzten Wochen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, durch die nicht nur das Ansehen der höchsten Staatsämter gemindert worden ist, sondern darüber hinaus auf die Personen von verdienten Politikern leider Schatten gefallen sind.
Nach all den Ereignissen, die wir in den letzten 25 Jahren hinter uns gebracht haben, können wir es uns nicht leisten, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wirkungskraft auch nur einer Persönlichkeit von gutem Willen und Begabung abzuschwächen. Wir sind alle zusammen verpflichtet, die politischen und menschlichen Regeln des Zusammenwirkens in einem demokratischen Staat auf das genaueste zu beachten, um dieses Staates und unserer politischen Ziele willen.Wir wissen alle, daß das letzte Mißtrauen gegen uns Deutsche auch im Lager unserer westlichen Freunde noch keinesfalls völlig überwunden ist. Hüten wir uns vor einer Haltung und vor Entscheidungen, die bei vielleicht überkritischen Beobachtern die Frage hervorrufen, ob sich hier nicht wieder etwas typisch Deutsches — wie sie es verstehen — bemerkbar macht! Lassen wir vor allem auch nicht die Frage nur aufkommen, ob 10 Jahre großer Erfolge auf vielen Gebieten uns alle oder einzelne unter uns der Tugend des Maßhaltens schon wieder entfremdet haben! Denken wir immer daran, daß über dem einzelnen und über einer politischen Partei das Wohl des Ganzen steht, dem jeder von uns sich unterordnen muß, wenn Volk und Staat gedeihen sollen!Die Deutsche Partei hat seit 1949 in diesem Hohen Hause niemals gezögert, auch schwerste Verantwortungen mitzutragen. Wir sind uns bewußt, daß die Vorgänge der letzten Wochen eine Prüfung darstellen, mit der wir alle zusammen fertig werden müssen. Diese Vorgänge sind nicht Angelegenheit einer Partei, sondern sie berühren die Demokratie und das allgemeine Staatsinteresse schlechthin und nicht zuletzt auch das Menschliche in der Politik.Wir sind trotz allem bereit, auch jetzt unseren Beitrag zu leisten, um mit dafür zu sorgen, daß unser Staat keinen weiteren Schaden nimmt und daß jene Politik fortgesetzt werden kann, die uns gerade in dieser Zeit notwendiger denn je erscheint.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerstenmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU mußte darauf gefaßt sein, daß heute in dieser Sitzung nicht nur mit dem Herrn Bundeskanzler, sondern auch mit ihr selbst hart ins Gericht gegangen würde. Ich gehöre zu denen, die nicht so wunderbar viel von ausgedehnter Rechtfertigung halten. Ich halte auch der Leidenschaft des Kampfes und der Chance, die die Opposition in dieser Stunde wahrzunehmen gedenkt, nicht nur manches, sondern vieles zugut. Aber ich möchte eines in diesem Hause nicht nur für meine Person, sondern auch für
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D. Dr. Gerstenmaier
meine Fraktion nicht in Zweifel ziehen lassen: daß wir die Kraft der Versöhnung auch im Bereich der Politik nicht für Schwäche, sondern für Überlegenheit halten.
Ich hätte darauf verzichtet, das Wort zu nehmen, wenn nicht das grimmige Pauschalurteil des Herrn Abgeordneten Dr. Mende über das hinausginge, was man der Rede eines Mannes im Kampfe nachsehen muß. ,Ich hätte auf das Wort verzichtet, wenn dieses Pauschalurteil, nicht nur von mir, sondern auch von meiner Fraktion, empfunden werden müßte als eine über jedes erlaubte Maß hinausgehende Verunglimpfung.
Ich bedaure sehr, Herr Kollege Dr. Mende, Ihnen hier öffentlich sagen zu müssen, daß ich persönlich darin leider die größte öffentliche Beleidigung sehen muß, die mir seit Freisler widerfahren ist.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
— Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Ich spreche Sie persönlich an, weil wir Altersgenossen sind und weil es deshalb für mich noch schwerer ist, in dieser Stunde zu sprechen, als es sowieso schon der Fall ist. Ich glaube, verehrte Kollegen, Deutschland steht vor einer etwas merkwürdigen Situation, sofern man unterstellt, daß unsere Bundesrepublik ein demokratischer Staat mit einer noch geltenden demokratischen Verfassung ist, ein Staat, in dem die Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht jedermann, jede Institution und jeden Vertreter der öffentlichen Gewalt binden.In der Verfassung unseres demokratischen Staates ist allem, auch der staatlichen Gewalt, vorangestellt der Satz, daß es oberste Verpflichtung aller staatlichen Institutionen ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Auch die staatliche Gewalt ist dieser Verpflichtung zur Achtung der Würde des Menschen durch die Verfassung unmittelbar unterworfen. Diesen Schutz der menschlichen Würde sollen auch die Mitglieder unseres Parlaments, die Abgeordneten, genießen. Sie sollen als Repräsentanten des deutschen Volkes, als Parlament für ganz Deutschland geschützt werden.Es ist selbstverständlich — ich möchte nicht behaupten, daß es heute vielleicht nicht mehr selbstverständlich ist —, daß dieser Schutz nicht etwa nur äußerlicher Natur ist, also nur in der Abwehr von Angriffen auf Leib und Leben der Abgeordneten besteht. Dieser Schutz hat auch der Anerkennung und Erhaltung ihrer Menschenwürde zu gelten, zu jeder Zeit, unter allen Umständen.Das, verehrte Anwesende, ist der tiefgehende moralische Unterschied zwischen der Situation unserer Abgeordneten, also der Abgeordneten eines demokratischen Staates, und der Situation der sogenannten Abgeordneten in einem diktatorischen, einem absoluten Staat. Im letzteren wird das Parlament, wie wir es erlebt haben, zu einem Sängerchor mit vorgeschriebener Melodie mit dem Text degradiert: Der Führer hat immer recht; Führer, wir folgen dir.
— Ja, war das denn nicht der Text? Haben Sie das schon vergessen? Oder wollen Sie jetzt mal singen, wie es in Berlin hieß: „Die Nase hoch, die Augen fest geschlossen"?
Das ist Gott sei Dank der grundlegende, der schlechthin lebenswichtige Unterschied zwischen den Abgeordneten in einer Demokratie und jenen Volkssängern nach der Machtergreifung.Die Menschenwürde als unverbrüchliche Grundlage des Lebens der Gemeinschaft und jedes Einzelnen sowie als Richtschnur und Grenze für jede Art obrigkeitlicher Macht zu verteidigen und zu erhalten, ist die uns täglich neu gestellte Aufgabe. Dieser Grundsatz setzt auch der staatlichen Hoheitsgewalt in allen Aufgabenbereichen eine unüberschreitbare Grenze. Das gilt aber nicht nur für die Institutionen, das gilt auch für die persönlichen Träger der Staatsgewalt.Ich gebe zu, daß ich es für absolut unmöglich gehalten habe, daß wir trotz aller bitteren Erfahrungen so bald wieder gegen die Gefahr auf der Hut sein müßten, gegen die Gefahr, den Bestand und das Ansehen unserer Demokratie nach innen und außen dem Willen obrigkeitlicher Macht unterworfen zu sehen.
— Die Situation, in der wir sind, ist gar nicht lächerlich, meine Herren! Mit Lachen ist an unserer traurigen Situation gar nichts zu ändern.
Es ist traurig, daß wir so bald wieder vor der beklagenswerten Situation stehen, uns gegen Versuche schützen zu müssen, unruhigen Ehrgeiz und überspannte Selbsteinschätzung allem anderen voranzustellen, den Erfolg politischer Ellenbogenkraft höher zu bewerten als die Achtung vor der Würde des Menschen, einschließlich der Würde der Abgeordneten.Ein vor aller Welt aufgeführter Kampf, sich durch Ordre und Contreordre ohne Rücksicht auf das betrübliche Resultat allgemeiner Desordre zu behaupten, liegt vor uns. In diesem Kampf scheint bei manchen das Gefühl verlorengegangen zu sein für die Aufgabe, unserem Ansehen dadurch Maß und Gewicht zu geben, daß vor allem der Träger des höchsten Regierungsamtes jederzeit den notwendigen Sinn für das Maßhalten hat und nicht in Gefahr gerät, sich selber und Deutschland mit einer gewissen Vermessenheit Schaden zuzufügen. Das
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Frau Dr. Dr. h. c. Lüderskann geschehen, und es ist geschehen, ohne daß auch nur irgendein Paragraph unserer Rechtsordnung, unserer Verfassung verletzt wurde.Meine Damen und Herren, uns Deutschen wird immer wieder nachgesagt, wir seien ein unpolitisches Volk. Ich glaube das nicht. Aber wir vergreifen uns immer wieder in Methode und Ton nach innen und außen, weil wir nicht Maß halten können und weil wir glauben, als einzelner, als Volk über jede Kritik erhaben zu sein, weil wir nicht nur vergessen, was vergessenswert ist, sondern weil wir auch das vergessen, was uns aus der Vergangenheit ernstlich warnen könnte. Diese gern geübte Vergeßlichkeit gehört zu der äußerst gefährlichen politischen Spekulation, die mit der Gnade des Vergessenkönnens unverantwortlichen Mißbrauch treibt und mit der man glaubt, durch immer neue Wiederholung dem sogenannten dummen Volk den eigenen Willen als seinen Willen einbläuen zu können.So kommt es dann, verehrter Herr Bundeskanzler, daß man das angeblich dumme Volk — einschließlich der Parteifreunde und der Abgeordneten — für weit dümmer hält, als wir alle sind. Und so kommt es dann, Herr Bundeskanzler, daß eines Tages die schon erwähnte Frage gestellt wird: was muß in der Bundesrepublik eigentlich passieren, damit etwas passiert?, und daß auf diese Frage, Herr Bundeskanzler, eine völlig unerwartete Antwort erfolgte — durch Ihre eigenen Parteifreunde.Der durch Ihr Vorgehen, Herr Bundeskanzler, entstandene Schwund des Vertrauens zu den politisch tätigen Menschen und insbesondere zur Glaubwürdigkeit demokratischer Parlamentarier führt zur Zerstörung des parlamentarischen Systems überhaupt und kann für uns zur größten Gefahr werden. Da liegt Ihre Verantwortung, Herr Bundeskanzler. Sie wird mit büttenartigen Redewendungen nicht von Ihnen genommen.
Diese Verantwortung — Herr Bundeskanzler, das weiß niemand besser als Sie selber — geht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Werden Sie auch dort noch, wie wir eis bisher erlebt haben, überall Glauben finden?Die vorhin von mir erwähnte bittere Antwort wird niemanden, der nicht leinausgesprochener Feind unseres Staates ist, etwa zur Schadenfreude veranlassen. Im Gegenteil, diese Antwort an Kanzler und Parteichef aus seinen eigenen Reihen klingt uns allen schmerzhaft in den Ohren, nicht nur um des Kanzlers willen, der sie leider mutwillig heraufbeschworen hat, sondern um der alle und alles verachtenden Gelassenheit willen, mit der aas Ansehen und die Würde von Menschen und Institutionen vor aller Welt aufs Spiel gesetzt worden ist. Wie unbedacht, Herr Kanzler, war das! Denn zu dieser Welt gehören auch die Machthaber jenseits des Eisernen Vorhangs, die Sie nun in den Stand setzen, eine nur zu berechtigte Parallele zwischen Diktatur und Demokratie Ihrer Prägung zu ziehen. Diese Parallele trifft die demokratisch gesinnte deutsche Bevölkerung in der Zone seelisch und politisch überaus hart, Glauben und Vertrauen in unsere Demokratie bei vielen zerstörend.Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir zu Ihrem Verhalten als Altersgenossin ein Wort aus meiner Erziehung in der Kinderstube. Unsere Mutter pflegte zu uns in gewissen Fällen zu sagen: „So etwas tut man nicht!"
— Warum lachen Sie immer, Herr Rasner? Finden Sie alles so komisch heute? Es ist bitterer Ernst, aber Sie scheinen alles komisch zu finden.Der Verlust des Vertrauens war für mich als Berliner Abgeordnete — ich wende mich hier an meinen verehrten Kollegen Krone, der vor mir sitzt —, die sich ebenso verpflichtet fühlt, unseren Staat gegen machtpolitische „Experimente" jeder Art zu schützen, wie Sie, Herr Bundeskanzler, meinen, den Staat unter Ihren Willen beugen zu sollen, er war das Schmerzlichste an dem unrühmlichen Schauspiel dieser Wochen. Herr Bunde skanzler, die blamable Beurteilung Ihrer Fraktionsmitglieder ,als eine Art politischer non-valeurs gibt den Gegnern des demokratisch-parlamentarischen Systems neuen Auftrieb, nach einem System „Der Führer hat immer recht" zu rufen, nach einem Führer, der sich allein für befähigt, berechtigt und berufen hält, Parlament und Staat an seinem Gängelband zu leiten.Aber wichtiger sind der Glaube und das Vertrauen im eigenen Volk als das des Auslandes. Beeilen Sie sich, Herr Bundeskanzler! Seien Sie mir nicht böse, wenn ich Ihnen sage: wir haben nicht mehr allzu viel Zeit, alle beide. Beeilen Sie sich, durch Ihre Amtsführung den Staat dem Zwielicht partei-und personalpolitischer Interessen und des Machtstrebens wieder zu entrücken; Sie könnten sonst in dem peinlichen Spiel mit anderen sich selber verspielen, und das täte mir leid für Sie. Herr Bundeskanzler, am Roulett der Politik kann auch der gewitzteste Spieler alle früheren Gewinne durch den leichfertigen Einsatz von Sitte und Geist in unserem Staat wieder verlieren. Das täte mir leid um Deutschlands willen.
Zu einer kurzen Erklärung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem nachfolgenden Redner, daß er mir Gelegenheit zu einer kurzen Erklärung gibt.Ich bin betroffen von dem, was der Herr Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier soeben in seiner Eigenschaft als Abgeordneter gesagt hat, weil ich glaubte, die Frage des Stehvermögens im Zusammenhang mit dem Mißtrauensvotum allein behandelt zu haben. Ich habe ja aus guter Lehre in diesem Hause kein Manuskript, sondern nur Notizen, und da steht: Kein Mißtrauensvotum, da kein Stehvermögen. Ich habe auf Grund vieler Interventio-
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Dr. Mendenen aus dem Lande: Warum reicht ihr kein Mißtrauensvotum ein?, immer erklärt: Weil es keinen Kandidaten gibt, der in der CDU gegen Konrad Adenauer zu kandidieren bereit ist. In diesem Zusammenhang habe ich vom Stehvermögen gesprochen.Es liegt mir fern, das Einstehen für die Demokratie in Frage zu stellen. Ich unterstelle den anderen genau die gleichen Rechte und .Pflichten zur Verteidigung demokratischer Grund- und Freiheitsrechte, wie ich sie für mich und meine Partei in Anspruch nehme.Es lag mir daher fern, Herr Präsident, Sie oder andere zu verunglimpfen. Sollte das — ich habe mein Stenogramm selbst noch nicht gesehen — in meinen Ausführungen so geklungen haben, dann stehe ich nicht an, mich bei denen zu entschuldigen, die mich mißverstanden haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinemann.
Meine Damen und Herren, diese Aussprache ist heute nachmittag mit sehr ernsten Ausführungen von Herrn Ollenhauer über den Bestand und die Situation unserer Demokratie eröffnet worden. Herr Ollenhauer hat darauf hingewiesen, daß unsere Demokratie durch die Vorgänge der letzten Tage und Wochen einen schweren Schaden genommen hat, daß sie im Ansehen des Auslandes Einbuße erlitten hat. Er hat davon gesprochen, daß alle diese Vorgänge eine lange Nachwirkung haben würden. Die Sorge konzentriert sich darauf, daß wieder einmal Ansätze zu einem autokratischen System unter uns bemerkbar sind.Verehrte Damen und Herren, ich glaube nicht, daß die Antworten, die Herrn Ollenhauer zuteil geworden sind, dieser seiner Sorge wirklich gerecht wurden. Es entspricht nicht der Situation, wenn ablenkend von Vorgängen in der Sozialdemokratischen Partei gesprochen wird.
Seien Sie versichert, daß die SPD mit diesen Dingen auf eine sehr demokratische Weise gut fertig werden wird!
Keineswegs ist das, was Sie in der SPD zu beobachten geglaubt haben, im Gewicht auch nur annähernd mit dem vergleichbar, was sich bei Ihnen abgespielt hat!
- Herr Majonica, seien Sie friedlich! Sie kriegen noch viel mehr verpaßt.
Zu den Ablenkungen gehört es meines Erachtens auch, daß in dieser besonderen Weise immer wieder davon gesprochen worden ist, daß der Herr Bundeskanzler eine Gewissensentscheidung vollzogen habe. Das bestreitet ihm niemand. Fatal ist es immerhin, daß im gleichen Zusammenhang auch von der „Beweglichkeit seiner Entschlüsse" gesprochen worden ist. Herr Dr. Adenauer sagt: Ich handle im Interesse des deutschen Volkes. Er hat unter anderem auf die Potsdamer Konferenz Bezug genommen und gesagt, daß es für Herrn Attlee schwierig gewesen sei, in Verhandlungen einzutreten, die bis dato sein Amtsvorgänger Churchill geführt habe. Herr Dr. Adenauer, haben Sie vergessen, daß auf dieser Potsdamer Konferenz von den Engländern in einer beispielhaften Weise vorgeführt worden ist, wie verschiedene Parteien und ihre Führer zusammenarbeiten?
Haben Sie vergessen, daß Herr Churchill zu dieser Potsdamer Konferenz Herrn Attlee mitbrachte und ihn die Verhandlungen von Anfang an miterleben ließ, so daß er durchaus in der Lage war, auch die Verantwortung zu übernehmen?
Hier werden wir ja nicht einmal informiert, etwa im Außenpolitischen Ausschuß.
— Ach! — Ich glaube, das war unter Preislage!
Verehrte Damen und Herren, ich lasse voll und ganz stehen: die persönliche Überzeugung Dr. Adenauers, daß er seinem Gewissen gemäß handelte und handele. Die Frage ist aber doch eine andere, nämlich die, ob diese seine persönliche Entscheidung sachlich richtig ist, ob sie wirklich im Interesse des Volkes liegt. Und darüber ist ja Streit, insbesondere bei Ihnen selbst. Darum geht es: ob er allein das Richtige tut oder ob diejenigen, die zu seiner Gefolgschaft gehören, auch eine Meinung dazu sagen dürfen, anders als nur so, wie Sie es taten, lieber Freund Gerstenmaier. Ich zitiere hier aus der englischen Zeitung „Daily Mail" folgende Worte:Wie seltsam uns die deutsche Haltung in diesen Dingen erscheint, zeigt sich am Beispiel des Bonner Bundestagspräsidenten, der sagte: Dies ist ein freies Land, und wir müssen die Entscheidung Dr. Adenauers respektieren.Die Zeitung fährt fort:In Großbritannien würden wir gesagt haben: Weil dies ein freies Land ist, muß er unsere Entscheidung respektieren.
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4028 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Heinemann — es handelt sich ja um eine außerordentlich interessante Bemerkung von englischer Seite, die allgemein interessant ist , was Sie als Jurist dazu meinen, mit welcher Macht und mit welchem Recht man die freie Entscheidung eines Mannes in diesem freien Rechtsstaat erzwingen oder ändern könnte, wenn wir ihn nicht aus freien Stücken frei überzeugen können. Ich sehe kein Rechtsmittel.
Sie haben vollkommen recht, daß Sie Herrn Dr. Adenauer nicht vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen können. Aber ob es politische Möglichkeiten gäbe, das ist ja eben die Kernfrage, oder ob es wieder einmal so liegt — und deshalb finde ich diese Worte in der englischen Zeitung so treffend —, daß bei uns die Untertanenhaltung das Übergewicht erhält. Das ist es.
In den Ausführungen der Antwortsprecher hat dann der Appell an eine Gemeinsamkeit eine große Rolle gespielt. Herr Dr. Krone hat insbesondere unterstrichen, daß Herr Wehner die Gemeinsamkeit einer Politik ablehne. Verehrter Herr Dr. Krone, vergessen Sie ganz, was an Diffamierung über die SPD im ganzen und über Herrn Wehner speziell von Ihnen fortwährend ausgeschüttet worden ist,
und an der Spitze von Herrn Dr. Adenauer? Muß ich das jetzt alles aufzählen, was er gesagt hat: die SPD sei der Weg zum Bolschewismus, daß er in einer Würzburger Rede vom 12. Oktober vorigen Jahres sagte, er wünsche der SPD etwas Liebe zum gesamten deutschen Volk?
— Nein, nein! Entschuldigen Sie! Sehen Sie, ich habe ja einiges präpariert.
Ich habe hier einen Originalbrief von dem Herrn Bundeskanzler vom 10. November 1958 gerichtet an Herrn Dr. Mommer:In der Anlage übersende ich Ihnen ein Exemplarmeiner Würzburger Rede vom 12. Oktober 1958.Mit freundlichen GrüßenDr. Adenauer.Und jetzt lese ich Ihnen den Satz vor, wie er in dem Schriftstück steht, das Herr Dr. Adenauer übersandt hat:Ich wünsche wirklich unseren Sozialdemokraten etwas Mut. Ich wünsche ihnen einen offenen Blick, und ich wünsche ihnen etwas Liebe zum gesamten deutschen Volk.
Ich lege das Dokument hierhin, damit Sie sich selbst davon überzeugen können.
Meine Damen und Herren, wie wollen Sie denn eigentlich die Gemeinsamkeit einer Politik bewirken, wenn von Ihren führendsten Leuten immer wieder mit solchen Diffamierungen gearbeitet wird? Es ist von Herrn Dr. Adenauer in einer Düsseldorfer Rede, die ich nach der „Bonner Rundschau" vom 9. Juni vorigen Jahres zitiere, auch gesagt worden: „Die SPD gefährdet alles, was geschaffen worden ist."
Meine Damen und Herren, verstehen Sie es bitte, daß von daher gemeinsame Politik unmöglich ist, durch das, was Sie sagen, und durch das, was der Kanzler sagt.Im übrigen möchte ich bitten, die Bemühungen einzustellen, etwa die SPD über die Namen Mommer oder Wehner auseinanderzurangieren.
Die SPD ist sich völlig einig.
— Passen Sie auf, der besondere Akzent kommt ja noch!
Wir sind uns in der SPD völlig einig in der Ablehnung des Totalitären; aber wir unterscheiden uns offenbar weithin und leider von Ihnen in der Betonung des sozialen Wollens bei dieser Auseinandersetzung mit dem totalitären System. Sie sind manchmal geneigt, die Betonung der sozialen Fragen sehr schnell als eine besondere Nähe zum Kommunismus zu interpretieren, während wir der Überzeugung sind, daß die innere Festigkeit des deutschen Volkes in der Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus nicht zuletzt von den inneren Gestaltungen und der inneren sozialen Gerechtigkeit abhängt.
Ich will, weil dieser Punkt offenbar hier ein besonderes Gewicht erhält, noch etwas weiter zurückgehen. Das Ahlener Programm hat einmal in der CDU eine hochgelobte Rolle gespielt.
— Das habe ich schon einmal gesagt; aber weil das einige von Ihnen noch nicht begriffen haben, erlaube ich mir, es zu wiederholen.
In dem Ahlener Programm waren die Kernpunkte: Mitbestimmung, Gewinnbeteiligung und Entflechtung. Seit 1949, seitdem Sie an der Macht sind, ist in bezug auf Gewinnbeteiligung und Entflechtung das Gegenteil geschehen, und 1957 haben Sie auf Ihrem Parteitag das Ahlener Programm einfach für erledigt erklärt. Es spielt jetzt im Umkreis der
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Dr. Dr. HeinemannSozialausschüsse oder im Leserkreis der Monatszeitschrift „Soziale Ordnung" noch eine gewisse Rolle.Ich habe aber nun aus alter Zeit der Verbundenheit mit Ihnen
noch ein Exemplar des Rednerschulungsdienstes der CDU aus dem Jahre 1950. Darin steht wörtlich:Das Ahlener Programm ist als bedeutungsvollste programmatische Erklärung der Union für ihre wirtschafts- und sozialpolitische Zielsetzung anzusehen . . .Verehrte Damen und Herren von der CDU, denken Sie bitte an den verstorbenen Karl Arnold aus Ihren Reihen, der jahrelang immer wieder gesagt hat, daß die Erfüllung des Ahlener Programms die entscheidende Voraussetzung für die innere Sicherheit unseres Volkes in der Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus sei. Immer wieder hat er sich auf den Parteitagen der CDU, so z. B. 1951 in Karlsruhe, darum bemüht, etwa die Gewinnbeteiligung zum Zuge zu bringen. Das alles ist nicht geschehen. Karl Arnold kann nicht mehr dafür kämpfen.
— Entschuldigen Sie gütigst, wollen Sie denn bestreiten, daß ich damals in der CDU an eben diesem Ahlener Programm mitgewirkt habe? Natürlich habe ich dafür gekämpft! Der Unterschied ist nur der, daß ich heute noch dazu stehe, während Sie es verlassen haben.
Daß ich in diesem Augenblick von Karl Arnold spreche, kommt so ganz von ungefähr. Vorhin schon ist der „Kölner Stadtanzeiger" zitiert worden. Ich lese aus diesem selben „Kölner Stadtanzeiger" dazu noch folgendes vor:Wozu er selber— Adenauer —fähig ist, kann man an seinem Verhalten gegen Erhard sehen. Den hat er, wie das in der Bühnensprache heißt, „auf offener Bühne sterben lassen" : Er als Dirigent ließ Erhard als Sänger ohne jeden Wink und hat zweifellos seine Freude daran gehabt, daß dem jüngeren Konkurrenten in den USA eine blamable Situation entstand. Arnold ist an solchen Dingen, wie man wohl bei dieser Gelegenheit zu sagen endlich verpflichtet ist, gestorben.
— Wissen Sie im Ernst nicht, wie es um Arnold gestanden hat?
— Ich will das jetzt im Augenblick nicht vertiefen.
— Ich denke an vieles, warum nicht auch an diesen Tag!Ich habe von Karl Arnold gesprochen im Zusammenhang mit der Frage, wie es jetzt Herrn Erhard geht. Es ist vorhin die Frage aufgeworfen worden, wessen Darstellung nun richtig sei. Ich bin in der Lage, aus einer wörtlichen Aufzeichnung des Hessischen und des Nordwestdeutschen Rundfunks vom 10. Juni dieses Jahres folgendes vorzulesen. Es wurde gefragt:Wann haben Sie von seiner Entscheidung gehört?Erhard: Am Donnerstag in einer Sitzung, die ich mit dem State Departement hatte, mit Mr. Murphy.Frage: Herr Minister, hat der Bundeskanzler bei dieser letzten Unterredung zwischen ihm und Ihnen von einer Verschlechterung der Weltlage gesprochen?Erhard: Weder von einer Verschlechterung der Weltlage noch etwa von einem Entschluß von ihm, auf die Kanditatur des Bundespräsidenten zu verzichten.Da haben Sie es doch!
Verehrte Damen und Herren, im Parlamentarischen Rat hat Dr. Adenauer einmal zu einem Mitglied des Parlamentarischen Rates — Geburtsjahrgang 1894 — gesagt: „Sie, junger Mann, Sie müssen die Menschen noch verachten lernen".
Sehen Sie, das gehört mit zu der politischen Methode, die hier praktiziert worden ist. Es hätte gegolten, den Anfängen einer solchen politischen Methode zu widerstehen.Es ist mit Recht gesagt worden, daß Kritik ohne Konsequenz, Kritik ohne Stehvermögen nichts nutzt; sie zerfließt. Ich persönlich bin froh, daß ich in Ihre Situation, verehrte Freunde von der CDU, nicht verstrickt bin; ich bin froh.
— Sie auch, das weiß ich. Es gibt ja noch Gemeinsamkeiten des Frohseins; natürlich.
Ich bin froh, trotz der Art, wie Sie ein Ministerpensionsgesetz vorlegen.
Ich sagte: es galt den Anfängen zu wehren. Hier brauche ich nur noch einmal an zwei Vorgänge zu erinnern, die ich im Januar vorigen Jahres hier angesprochen habe, nämlich daß es sich Mitglieder des Kabinetts gefallen ließen, daß Dr. Adenauer einen Kabinettsbeschluß eigenmächtig und ohne Unterrichtung der Beteiligten änderte, daß er das
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4030 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. Dr. HeinemannAngebot der Aufrüstung abgab, ohne das Kabinett an der Entscheidung zu beteiligen. Das alles, sehr verehrter Herr Erhard, haben damals auch Sie mitgemacht. Sie mochten sachlich für richtig halten, was da geschehen ist; aber der Methode hätten Sie damals widerstehen müssen! Dann wäre die Quittung, die Sie jetzt beziehen, nicht so bitter.
Zu dem, was sich hier abspielt, kann man nur sagen: wie der Herr so's Gescherr! Was etwa der Hallstein-Blankenhorn-Prozeß aufdeckte, ist doch ein trauriges Kapitel jahrelanger Verantwortungsscheu bis in die obersten Ränge der Bürokratie, und die Wurzel für dieses und vieles andere liegt mit bei Ihnen und Ihrer Fraktion; denn Sie haben Herrn Dr. Adenauer und seiner engeren Mannschaft die Möglichkeit zu dem gegeben, was sich hier abspielt. Sie haben ihm zugejubelt, Sie haben das alles für herrlich gehalten, und er hat genutzt, was Sie gar zu bereitwillig ermöglichten. Gewiß, er war großzügig genug, Sie auf vielfältige Weise an den angenehmen Seiten seines autokratischen Gehabes zu beteiligen.
Sie sind aber auch an der Verantwortung für die Schäden beteiligt.Ich sage zum Schluß nur dieses: Wenn jemand für unentbehrlich gehalten wird, ist es schon schlimm. Wenn er sich selber für unentbehrlich hält,
ist es noch schlimmer. Wenn er dazu aber auch noch alle Machtmittel einer Position einsetzen kann, dann ist es am schlimmsten, und dann ist die Sorge um den Bestand einer freiheitlichen Demokratie nur zu sehr berechtigt und begründet.
Davon wollten wir heute hier sprechen und nicht von all den Ablenkungsmanövern, die Sie uns aufgetischt haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, mich mit den politischen Bemerkungen des Herrn Kollegen Heinemann auseinanderzuetzen, sondern will hier nur etwas zur Steuer der Wahrheit beitragen. Mit seinen politischen Bemerkungen werden sich anschließend meine Freunde befassen.
Es ist hier offenbar bezweifelt worden, daß der Herr Bundeskanzler seine Absicht, nicht zu kandidieren, schon in einem viel früheren Stadium im engsten Kreise erörtert hätte. Ich stelle hier -folgendes fest. Ich habe vor mir meine Aufzeichnung aus der Kabinettsitzung vom 14. Mai — ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Datum in Beziehung brächten zu dem heutigen und dem Anfangsdatum —; danach hat der Bundeskanzler nur im Kreise der Minister, und zwar aller hier etwa in Betracht kommenden Minister, ausgeführt, daß er zu 90 % entschlossen sei, nicht zu kandidieren. Ich wäre dankbar, wenn diese frühzeitige Bekanntgabe in Zukunft nicht in Zweifel gezogen würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Unterschied zu den meisten anderen Fällen, in denen ich die Aufgabe und Gelegenheit hatte, in diesem Hause mit der Opposition zu sprechen, liegt diesmal wenigstens ein Anhaltspunkt vor, von dem aus sie versuchen kann, unserewie ich glaube, nicht zu erschütternde — Position anzugreifen. Denn die Tatsache, daß sich der Herr Bundeskanzler veranlaßt sah, auf die Kandidatur zur Bundespräsidentschaft zu verzichten, hat zweifellos und naturnotwendig eine gewisse Unruhe in unser Volk gebracht. Ich glaube aber, so wird sogar die Opposition den Herrn Bundeskanzler einschätzen, daß er das bei seiner Entscheidung mit berücksichtigt hat. Vielleicht könnte man allein daraus schon ersehen, .daß es schwere und gewichtige Gründe gewesen sind, die ihn veranlaßt haben, hier seine Stellung neu zu beziehen.Ich mache gar kein Hehl daraus, daß ich zu jener großen Mehrheit der CDU/CSU gehört habe, die die Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers, unserem Wunsche zu folgen und sich zur Präsidentschaft bereit zu finden, für eine weitschauende politische Maßnahme gehalten hat. Ich habe das früher vertreten; ich bin auch heute noch der Meinung, daß der Entscheid vom April unter den damaligen Verhältnissen richtig gewesen ist.Aber, meine Damen und Herren, um so mehr muß ich es bedauern, wenn die Notlage der Gegenwart es erforderlich gemacht hat, weiterreichende Pläne für die Zukunft aufzugeben. Schließlich und endlich darf ja in der Politik ein Mann seine Haltung auch korrigieren, wenn sich die Lage geändert hat.Ich erinnere mich, daß in einer der Debatten der letzten Woche ein Redner — ich glaube, es war der Herr Kollege Erler — sogar geradezu den Vorwurf gegen die Regierung erhoben hat, daß sie — er hatte dabei die Außenpolitik im Auge — nicht bereit sei, ihre Haltung zu ändern, wenn sich die Situation ändere. Die Weisheit von gestern ist nicht immer die Weisheit von heute.Sicherlich ist der Herr Bundeskanzler seiner Person nach nicht in dem Sinne der geborene Präsident, wie es der jetzige Herr Bundespräsident ist. Er hat eine kämpferische Note und er verzichtet ungern aufs Kämpfen. Er hätte darauf verzichtet; er wäre sicherlich bereit und fähig gewesen, auch in diesen Dingen noch über sich hinauszuwachsen. Aber, meine Damen und Herren, er fühlt sich nun ver-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4031
Dr. Jaegerpflichtet, bei dem zu bleiben, was er im Augenblick als Aufgabe hat.Sie wissen, daß sein Entschluß, sich zum Bundespräsidenten wählen zu lassen, zwei Kommentierungen in der Öffentlichkeit gefunden hat. Die einen — das war die Mehrheit der Presse, das war der Jubel der Opposition sprachen vom Ende der Ära Adenauer. Ich glaube, Sie können annehmen, daß das nicht das Motiv des Herrn Bundeskanzlers gewesen ist, zur Präsidentschaft zu schreiten.
Die anderen — das waren wir, das war er selber — sprachen von der Kontinuität der Politik, die dadurch gesichert werden sollte. Der Herr Bundeskanzler ist offensichtlich zu der Überzeugung gekommen, daß, so wie sich die Dinge inzwischen entwickelt haben, die Folge seines Handelns die sein würde, die in den Kommentaren seiner Gegner dargestellt wurde. Er hat sich deshalb entschlossen, auf dem Amt des Kanzlers auszuhalten und das hohe Ziel der Kontinuität auf diesem Wege zu wahren und nun eine andere Methode zu suchen, um die Verantwortung Stück um Stück und Schritt für Schritt in andere und jüngere Hände zu übergeben. Bei der Frische, mit der er heute — wie in den letzten Wochen und Monaten überhaupt — vor uns und vor der Öffentlichkeit in beiden Welten, der Alten und der Neuen, erschienen ist, können wir annehmen und hoffen, daß noch lange nicht die Notwendigkeit hierzu besteht.
Man braucht, wenn man die Änderung der Situation betrachtet, die Weltlage gar nicht so ernst zu beurteilen, wie es maßgebende britische Politiker in diesen Tagen tun. Es genügt der Hinweis auf den Tod des amerikanischen Außenministers, der nicht nur einer der größten Staatsmänner unserer Zeit, sondern auch einer der wärmsten Freunde des deutschen Volkes und der Sache der Freiheit gewesen ist.
Es kommt hinzu der Blick nach Genf. Schließlich kann man heute in vielen Zeitungen die Befürchtung lesen, daß die Konferenz, wie die Journalisten meinen, sogar mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern wird. Welch bedauerliche Folgen es haben würde, wenn der maßvolle Optimismus, von dem der Herr Außenminister gesprochen hat, und der maßlose Optimismus, dem die Opposition gehuldigt hat, nicht bewahrheitet würde, meine Damen und Herren, das brauche ich Ihnen gar nicht zu sagen.
Es geht vor allem um die Sorge nicht nur um die Wiedervereinigung, die wir erringen wollen, sondern auch um die Freiheit des freien Berlin, die wir behalten wollen.
Mein Herr Vorredner hat die Daily Mail zitiert und den sehr interessanten Gedanken ausgesprochen, in einem freien Land müsse es so sein, daß sich ein Mann wie der Herr Bundeskanzler einer Mehrheit beuge. Der Herr Bundestagspräsident hat als Abgeordneter mit Recht gefragt, mit welchen Mitteln man das erzwingen will. Herr Dr. Heinemann hat gemeint, juristisch gehe das nicht, politisch gehe es. Nun, ich möchte schon wissen, welche politischen Mittel man dazu nehmen soll. Glauben Sie wirklich, wir hätten den Herrn Bundeskanzler stürzen sollen? Nein, meine Damen und Herren, für so dumm und für so treulos brauchen Sie uns nicht zu halten.
Und wenn wir das Mittel eines solchen Drucks gehabt hätten, wir hätten es gar nicht anwenden wollen. Denn die Partei der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union ist eine Partei freier Männer und Frauen,
und wir achten den Gewissensentscheid eines jeden, ob es sich um den Kollegen Peter Nellen oder den Bundeskanzler Konrad Adenauer handelt.
Wir wollen an der Spitze unserer Partei und an der Spitze unserer Regierung keinen Funktionär und keinen Manager der Parteiorganisation.
Wir wollen an der Spitze einen freien Staatsmann haben, einen Mann, der uns in der Fraktionssitzung nach seiner ersten Wahl zum Bundeskanzler im Jahre 1949 gesagt hat, er werde ein unbequemer Mann sein. Das ist er geblieben. Aber er war auch der erfolgreichste Mann, den die CDU/CSU je herausgestellt hat.
Meine Damen und Herren, dieser Konrad Adenauer war in der Leitung des Parlamentarischen Rates, als unser freies Grundgesetz geschaffen wurde. Er war der Chef der Regierung, als diesem Grundgesetz Leben verliehen wurde. Er hat dem deutschen Volk die Anerkennung der Welt, er hat uns die Souveränität, die Gleichberechtigung und den Schutz im Kreis der freien Nationen gebracht. Wenn Herr Dr. Mende oder jemand anders meinte, er habe hier einen Stilfehler begangen, — nun, über den Stil kann man streiten. Seine Aufgabe war es und ist es und bleibt es, politische Taten zu setzen und keine Stilübungen zu machen.
Was Konrad Adenauer in zehn Jahren deutscher Politik gemacht hat, indem er unser Volk aus der tiefsten Tiefe seiner Erniedrigung herausgeführt hat, das kann auch durch einen Stilfehler — wenn er es sein sollte — gar nicht ausgelöscht werden.
Unser Volk wird das sehr rasch einsehen, und wir sind und bleiben der festen Meinung, daß wir unter der Führung Konrad Adenauers auch die Wahlen von 1961 gewinnen werden.
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4032 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
Dr. JaegerWenn ich Ihre politischen Angriffe gegen den Herrn Bundeskanzler nicht billige, so kann ich sie immerhin verstehen. Nicht verstehen aber kann ich, wenn Sie einen Mann mit dieser Erfahrung und dieser Lebensleistung persönlich angreifen. Meine Damen und Herren, ihm nachzusagen, daß er zu einer Verachtung des Menschen bereit sei oder daß diese Verachtung bei ihm üblich sei, trifft ihn ja gar nicht; denn er ist ein Mann, dessen Herz genau so warm und offen schlägt wie das der großen Mehrheit dieses Hohen Hauses.
Wenn man zwei Generationen lang im politischen Leben steht und vom Kaiserreich über Revolution und Republik, über Machtergreifung und Diktatur, über Krieg und Zusammenbruch bis zum Aufbau des neuen Staates seine Mitmenschen beobachtet hat, meine Damen und Herren, kann man ja über manche Mitmenschen skeptisch denken. Ich glaube, das tun auch Sie.
Aber, meine Damen und Herren, das ist noch keine Verachtung der anderen.
Nein, dieser Mann liebt sein Volk und liebt die Jugend seines Volkes, und daraus zieht er die Kraft für sein Handeln.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Mommer hat bereits vor der Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers vor einer Woche in diesem Hause den Bundeskanzler einen Zyniker der Macht genannt.
Da hat ,er offenbar hellseherisch vorausgesehen. Ich weiß nicht, wie 'er das meint. Da war 'er heller als der Herr Kollege Erler, der davon ausging, der Bundeskanzler werde ganz bestimmt verschwinden, so oder so.
Von Zynismus, glaube ich, kann man nicht sprechen bei einem Mann, der durch Taten und durch eine Aufbauleistung gewirkt hat und nicht durch Worte, wie die Opposition.
Wenn man in der deutschen Politik der letzten zehn Jahre von Zynismus sprechen kann, dann doch wohl nur bei denen, die mit verfassungswidrigen Volksabstimmungen das Volk gegen die Verfassung und gegen die einzig mögliche Außenpolitik ,aufzuwiegeln versucht haben.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, in dien letzten Stunden und Tagen habe sich beim Herrn Bundeskanzler ein menschliches Manko gezeigt, das nicht mehr ausgeglichen werden könne. Nun, die Haltung des Herrn Ollenhauer zum Herrn Bundeskanzler war vor der Offenbarung dieses angeblichen menschlichen Mankos um keinen Deut verschieden von der Haltung, die er heute hat.
Die Sozialdemokraten haben ihn nie anerkannt, und da sie ja offenkundig glauben, daß sie ein Patent auf die Demokratie haben, erkennen sie neben sich im allgemeinen andere Arten von Demokraten offensichtlich nicht als vollwertig an.
— Herr Schoettle, das Schwätzen überlasse ich den Schwaben.
Die Opposition sollte sich nicht dein Kopf zerbrechen über die Sorgen, die die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union hat. Unsere Fraktionsmehrheit ist keineswegs mißachtet worden. Der Herr Bundeskanzler achtet unsere Meinung,
wie wir die seine achten. Nur: im Falle der Kandidatur hat der Kandidat das letzte Wort und nicht die Fraktion.
Es eist vom „persönlichen Regiment" gesprochen worden. Na, wenn das von den Freien Demokraten kommt, dann möchte ich daran erinnern, daß nach unserer Verfassung der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, nach den Vorstellungen der Freien Demokraten im Parlamentarischen Rat aber das Amt des Kanzlers mit dem des Präsidenten vereinigt worden wäre zur Machtfülle der amerikanischen Präsidialdemokratie. Das wäre dann erst ein persönliches Regiment gewesen!
— Kein undemokratisches, aber ein persönliches!
Weiter, meine Damen und Herren, haben Sie gesagt: Das Parlament ist brüskiert. Wieso ist das Parlament brüskiert? Dieses Parlament wählt den Bundespräsidenten ja gar nicht; es gehört gar nicht zu seiner Zuständigkeit, das zu tun. Dieses Parlament ist mit der Wahl des Bundespräsidenten gar nicht befaßt. Es sollte sich eigentlich darüber gar nicht unterhalten. Hätten Sie es uns nicht aufgezwungen, würden wir es gar nicht tun.Dann sind staatspolitische Gründe geltend gemacht worden. Es ist gesagt worden, das Amt des Bundespräsidenten sei abgewertet. Nun, wenn sich die besten Männer in diesem Staate um dieses Amt bewerben — ich fange beim Herrn Kollegen Carlo Schmid an, ich nenne Herrn Professor Erhard, ich nenne den Herrn Bundeskanzler, und ich denke an die vielen, die wir noch zur Verfügung haben — —
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4033
Dr. Jaeger— Wir haben viele zur Verfügung!
— Meine Damen und Herren, wenn Sie lachen — —
— Nein, meine Damen und Herren,
vom Alter abgesehen, — dafür habe ich kein Temperament!
Meine Damen und Herren, wir hatten den Herrn Bundeskanzler dafür ausersehen. Wir haben Herrn Professor Erhard für geeignet gehalten, den Mann, dessen Vorzüge Sie jetzt nach zehn Jahren endlich auch entdeckt haben!
Meine Damen und Herren! Wir haben noch mehr. Wir haben den Finanzminister Etzel. Er ist erst zwei Jahre Minister. In acht Jahren werden auch Sie seine Verdienste anerkennen.
Wir können einen Blick auf den Präsidenten dieses Hauses werfen, auf so viele ehemalige und aktive Ministerpräsidenten, über die CDU und CSU verfügen. Nein, wir sind ja nur in Sorge, wer der geeignetste ist. Wir sind keineswegs in Sorge, daß wir einen geeigneten finden.
Für jedes Amt, das wir zu besetzen haben, haben wir drei oder vier Köpfe. Wir haben nur auszuwählen, wer der geeignetste ist.
Die Christlich-Demokratische Union und die Christlich-Soziale Union, das ist nicht nur eine Partei der Massen; das ist auch eine Partei der Köpfe.
Weil sie eine Partei der Köpfe ist, ist sie eine Partei der Massen.
Ich will so freundlich sein und keine Erörterungen darüber anstellen, wie es mit den Köpfen bei der Opposition zur Linken und mit den Massen bei der Opposition zur Rechten aussieht.
Jedenfalls — ohne Ihnen Köpfe zu bestreiten — eine Sorge haben Sie nicht: Sie haben im Augenblick nur ein einziges Amt zu besetzen, nämlich nur das Amt des Bundespräsidenten, von dem Sie glauben, Sie könnten es vielleicht erreichen. Folglich brauchen Sie dafür nur einen Mann auszuwählen, und Sie haben einen guten Mann ausgewählt;das kann ich gar nicht bestreiten. Nur glaube ich, aus einem Grunde oder aus zwei Gründen können wir ihn doch nicht zum Bundespräsidenten wählen. Einmal hat das deutsche Volk der Koalition, die heute regiert, die Mehrheit in der Bundesversammlung nicht gegeben, damit wir einen Mann der Opposition wählen — das wäre nicht ganz demokratisch —,
und dann möchten wir einen Mann wie Herrn Professor Carlo Schmid, der aus tiefer Überzeugung im Gegensatz zur Außenpolitik der Bundesrepublik steht, nicht mit der Verpflichtung belasten, die deutsche Bundesrepublik völkerrechtlich zu vertreten und damit zum Garanten unserer Außenpolitik zu werden. Das wollen wir ihm nicht zumuten.
Nein, meine Damen und Herren, das Amt des Bundespräsidenten hat keinen Schaden erlitten. Aber wir wollen doch einmal ganz sachlich feststellen: das Amt des Bundespräsidenten ist ohne Zweifel verehrungswürdiger als das Amt des Bundeskanzlers. Nach unserm Grundgesetz ist das Amt des Bundeskanzlers jedoch politisch bedeutsamer und wirkungsvoller als das Amt des Bundespräsidenten. Daß man also in der Überlegung ihm den Vorzug gibt, ist klar. Wenn Sie beide Ämter zu besetzen hätten, würden Sie wahrscheinlich Herrn Professor Schmid zum Bundeskanzler machen. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, wen Sie sonst dafür hätten.
Wenn das Amt des Bundespräsidenten heute ein so außerordentlich hohes Ansehen im deutschen Volk genießt, dann nicht wegen der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten, die etwas dürftig sind, sondern wegen der außerordentlichen Persönlichkeit des jetzigen Bundespräsidenten, der diesem Amt den Stempel seiner Persönlichkeit aufgedrückt hat.
Sie haben, Herr Kollege Ollenhauer, davon gesprochen, es seien traurige Vorgänge gewesen — dem Sinne nach hätten Sie auch sagen können: ein Kuhhandel —, als wir im Jahre 1949 den Bundespräsidenten gewählt haben. Nun, traurig waren diese Vorgänge nicht; sie waren so, wie sie in einem demokratischen Staat sind. Das Staatsoberhaupt in der Republik ist erst sakrosankt, wenn es gewählt ist, nicht von der Geburt an, weil man nämlich nicht weiß, wer das einmal werden könnte und wer dazu geboren ist. Es war der übliche Weg, einen Präsidenten zu wählen, und dieser Weg, Herr Kollege Ollenhauer, ist nicht nur, wie Sie gemeint haben, uns gut bekommen, er ist der ganzen Nation gut bekommen.
Da Sie aber schon gegen die Methode der damaligen Wahl polemisiert haben, dürften auch die An-
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Dr. Jaegergehörigen der damaligen Koalition im Gegensatz zu Ihnen das Verdienst der ersten Wahl von Professor Heuss für sich in Anspruch nehmen.
Es ist etwas merkwürdig bei Ihnen. Sie wollen das Parlament, aber Sie beschweren sich über deutliche und hemdsärmelige Wahlreden, als ob Sie nicht seit 80 Jahren hierin ein Vorbild für uns gewesen wären.
Sie wollen die Republik, aber Sie meinen, ein Präsident könne ohne Wahl berufen werden, als ob wir hier eine Monarchie hätten. Ja, wenn Sie die wollen — —
Wer die Vorzüge der Republik will, der muß eben auch die unvermeidlichen Nachteile in Kauf nehmen. Wer die Vorzüge des Parlaments will, muß auch die Nachteile eines Wahlkampfes in Kauf nehmen. Auf dieser Welt bekommt man nichts Vollkommenes, sondern immer nur Vorzüge gemischt mit Nachteilen.
Wo die Vorzüge überwiegen, soll man die Nachteile in Ruhe hinnehmen.Herr Kollege Dr. Heinemann hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß wir nur von unserer Krise ablenken wollten durch
Hinweis auf die Krise, die bei der SPD ist.
Nein, ich glaube, Sie freuen sich, wenn Sie von Ihrer Krise abgelenkt werden.Schließlich und endlich wollen wir den Streit in Ihrer Partei gar nicht überbewerten. Herr Dr. Heinemann hat gesagt, Sie würden ihn in einer demokratischen Weise lösen. Wir haben unsere Meinungsverschiedenheiten in vorzüglich demokratischer Weise gelöst.
Meine Damen und Herren, so heftig waren die Meinungsverschiedenheiten bei uns nie, wie sie bei Ihnen gewesen sind. Niemand hat bei uns dem anderen vorgeworfen, er habe zuwenig geistiges Gepäck. Ich gebe zu, daß die Herren Journalisten bei Ihnen so wenig geistiges Gepäck hatten. Hoffentlich geben Sie es ihnen jetzt, wenn Sie es haben.Sie erklären hier, die Sozialdemokratie lasse sich nicht auseinandertreiben, lasse keine Kluft schaffen zwischen Wehner und Mommer, oder was weiß ich noch. Nun, die Fraktion der CDU/CSU läßt sich auch nicht auseinandertreiben, weder hie Kanzler — hie Fraktion, noch hie Adenauer — hie Erhard, und schon ganz bedauern wir, wenn der Name unseres Kollegen Arnold hier in den politischen Kampf hineingezogen wird.
Warum ist der Kollege Arnold gestorben? — Sicherlich an Überanstrengung durch den Wahlkampf.Aber was hat ihn seelisch zermürbt? — Die höchst undemokratische Weise — ich will sie hier nicht näher qualifizieren —, mit der er von seinen eigenen Koalitionsfreunden im Stich gelassen und gestürzt worden ist.
Sie, Herr Kollege Dr. Heinemann, haben hier, obwohl es gar nicht zum Thema gehört, über das Ahlener Programm gesprochen. Ich tue mich ja leicht. Das Ahlener Programm ist für die britische Zone geschaffen worden in einem Zeitpunkt, als es noch keine Zusammenarbeit zwischen der ChristlichDemokratischen und der Christlich-Sozialen Union, ja kaum eine Zusammenarbeit der Christlich-Demokratischen Union in den verschiedenen Zonengebieten gab. Es war eine Arbeitsunterlage der britischen Zone. Ich habe sie von vornherein für verfehlt gehalten und tue mich da leicht. Ich habe das auch öffentlich gesagt. Im übrigen: warum sollen nicht auch diejenigen, die es entworfen haben, inzwischen etwas dazugelernt haben?
Wenn Sie aber, Herr Dr. Heinemann, noch heute auf dem Boden dieses Programms stehen, dann sind Sie eigentlich gar kein Sozialist;
denn wenn mir das Programm auch etwas zu weit nach links geht, sozialistisch ist es noch nicht.
Dann beschweren Sie sich über Diffamierungen. Wer hat mit der Diffamierung des Bundeskanzlers angefangen? Welche Diffamierungen sind ausgesprochen worden? Ich will keine Toten zitieren und in diesem Hohen Hause nicht vom November 1949 reden.
Ich rede nur von den 9 Journalisten, die bei Chruschtschow waren. Als der Gewaltherrscher im Kreml, der Mann, an dessen Händen das Blut der ungarischen Freiheitskämpfer hängt, sagte, er wisse ja, daß Dr. Adenauer die Wiedervereinigung nicht wolle, da haben neun SPD-Journalisten gesagt, sie wüßten es auch.
Sie haben mit dem Diktator im Kreml gemeinsame Sache gegen den Demokraten Konrad Adenauer gemacht.
Hier, meine Damen und Herren, hier allein liegt die Gefahr für unsere Demokratie.
Dieser Gefahr glaubte der Bundeskanzler am besten begegnen zu können, indem er den schweren Entschluß faßte, seinen ursprünglichen Entschluß zu revidieren.
Deutscher, Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11, Juni 1959 4035Dr. JaegerSie ärgern sich darüber, weil Sie Ihre Blütenträume nicht reifen sehen. Aber wir werden mit dieser Methode — davon sind wir überzeugt — auch in der Zukunft die Sicherheit unseres Landes sicherstellen.
Meine Damen und Herren, ob es Ihnen paßt oder nicht: Die Ara Adenauer ist noch lange nicht zu Ende. Das Zeitalter der Union hat erst begonnen!
Das Wort hat der Abgeordnete Döring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich zu Beginn der Ausführungen des Kollegen Jaeger den Eindruck, daß sich die heutige Nachmittagsdebatte zu einer Art heiterem Hausfrauennachmittag entwickeln würde.
Als ich seine Ausführungen über den Bundeskanzler, über den Menschenfreund, über den väterlichen Freund, über den Freund der Kinder hörte, da hatte ich das Gefühl, als wenn aus dem Buche „Der Führer, wie ihn keiner kennt" zitiert würde.
Wenn ich Ihnen als ein junger Demokrat gestehen soll, was ich heute nachmittag am meisten vermißt habe, so muß ich sagen: es ist die eindeutig kritische, sich von bestimmten Dingen distanzierende CDU-Stimme in diesem Hause.
Ich glaube, es hätte einer Fraktion Ihrer Stärke sehr gut angestanden — lassen Sie das einen „Parteimanager", wie Sie vorhin sagten, auch sagen -, es hätte Ihnen wahrscheinlich sogar genützt, wenn hier heute nachmittag ein Mann aus Ihrer Fraktion aufgestanden wäre und gesagt hätte: Was geschehen ist, halte auch ich für unerträglich und — wenn Sie ein deutliches Wort wünschen — für eine menschliche Unzulänglichkeit.
— Sollte ich das mit dieser Aufforderung provoziert haben, — nun, ich glaube, wir werden es alle begrüßen, wenn wir auch aus Ihren Reihen einmal eine kritische Stimme hören.Etwas Weiteres hat mich heute nachmittag hier, ich möchte sagen, peinlich berührt, nicht sosehr für alle Zuhörer, nicht sosehr für die Kollegen hier im Plenum, sondern für einen Mann auf der Regierungsbank, nämlich für den Bundeswirtschaftsminister. Ich habe mich heute nachmittag gefragt: was muß er eigentlich empfinden, wenn er der Mann ist, für den wir ihn immer gehalten haben, wenn er das Schauspiel, das hier vorgeführt wird, anhört und betrachtet?
Ich glaube, er muß sich als ein Politiker auch einmal überlegen, welche Wirkungen so etwas in der Zukunft haben wird. Er muß sich auch einmal überlegen, welche Beurteilung er in der Zukunft in der Öffentlichkeit und im Volke erfahren wird, wenn er dieses Schauspiel widerspruchslos ablaufen läßt.
Noch etwas anderes hat mich persönlich sehr bedrückt. Sie haben so wie ich — ich habe Sie genau angesehen -- bei dem Versuch des Bundeskanzlers, seine Haltung und seine Handlungsweise zu rechtfertigen, peinliche Minuten gehabt. Ich habe sie gehabt — ich gestehe Ihnen das offen — seinetwegen.
— Sie sollten gar nicht „Och" rufen. Bei aller Gegnerschaft, bei aller Schärfe, bei aller Härte, die wir und auch ich gelegentlich in Wahlauseinandersetzungen haben zutage treten lasesn: es ist für mich peinlich, wenn ich als Oppositioneller anhören muß, wie kümmerlich sich unser eigener Bundeskanzler hier verteidigt.
Es ist mir außerdem für eine Fraktion in Ihrer Größenordnung peinlich, und es ist mir peinlich auch gegenüber den Zuhörern und den Zuschauern des Auslands, die hier in diesem Saale sind.
Denn, meine Damen und Herren, wenn im Ausland
— Das sind keine plumpen Methoden! Im Ausland weiß man sehr wohl die Leistungen Ihres Bundeskanzlers zu schätzen;
man hat jahrelang mit ihm zusammengearbeitet. Man hat im Ausland aber auch ein Gefühl dafür, ob man sich in einem demokratischen Staatswesen so verhalten kann, wie das Ihr Regierungschef und Parteiführer tut. Sie wissen das genauso gut wie ich; Sie brauchen gar nicht zu protestieren, Sie können lesen, und Sie können hören wie wir alle.Etwas anderes hat mich sehr überrascht. In der Christlich-Demokratischen-Union wurde vor dieser Debatte immer darüber gestritten, wer denn eigentlich der bessere Europäer sei. Es wurde gesagt, es bestünden Zweifel daran, daß Ludwig Erhard ein ebenso guter Europäer sei wie der Bundeskanzler Konrad Adenauer. Darüber stellte man dann unterschiedliche Betrachtungen an. Wissen Sie, uns interessierte bei der Frage, wer Nachfolger im Bundeskanzleramt wird, primär nicht so sehr, wer der bessere Europäer ist, uns würde vielmehr interessie-
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Döring
ren, wer in der Zukunft eine bessere Politik für ganz Deutschland macht.
— Meine Damen und Herren, auch „Buh" Schreien, auch Lärmen übertönt nicht die Stimme Ihres Gewissens, die heute nachmittag wahrscheinlich oft genug bei Ihnen hörbar geworden ist.
Ich habe in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Unterhaltungen angehört, eine ganze Reihe von Stimmungsbildern bekommen, die sich auf die Auseinandersetzung dieses Nachmittags und darauf konzentrierten, was man von ihr zu erwarten habe. Allgemein wurde festgestellt, und Sie selbst haben durch Ihre Äußerungen dazu beigetragen, daß die Christlich-DemokratischeUnion in eine schwierige Situation geraten sei, und gestern vormittag schien noch niemand so recht zu wissen, wie die Christlich Demokratische Union aus dieser Schwierigkeit herauskäme.
— Nein, ganz sicher nicht; dazu brauchen Sie mich nicht. Aber Sie brauchen mich vielleicht für etwas anderes.
Für mich war es sehr eindrucksvoll, als ein bekannter Publizist, der in der Vergangenheit sehr eifrig Ihre Politik verfochten hat, mich fragte: „Herr Döring, was wird denn bei dieser Debatte herauskommen? Da werden die Sozialdemokraten wieder aufstehen und sagen: Die Demokratie als solche ist gefährdet. Dann wird wieder lange palavert über die Demokratie, und das Volk, die Masse des Volkes wird dadurch gar nicht angesprochen; die interessiert das gar nicht. Was heißt überhaupt schon Demokratie?"
Meine Damen und Herren, diese Äußerung eines Publizisten, der sicher mit einer oberflächlichen Einstellung zur Demokratie oder dem, was man sich hier in diesem Hause darunter vorgestellt hat, nicht allein steht, trägt dazu bei, daß es für jüngere Menschen nicht leichter sein wird, ein Verhältnis zu einem demokratischen Staat zu bekommen.Lassen Sie mich ohne jede Polemik, wenn Sie so wollen — Sie werden sie bei mir immer unterstellen —, einmal folgendes sagen. Ich möchte die jüngeren Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion ansprechen, die mir gleichaltrig sind. Ich sehe den Kollegen Wacher, ich sehe den Kollegien Jaeger, ich sehe den Kollegen Majonica, die so wie ich in einem totalitären System aufgewachsen sind.
Ich spreche ganz speziell die Jüngeren an, eine Generation, die so wie ich am 8. Mai 1945 in einer sehr schwierigen Situation war, für die nämlich 1945 viel mehr als nur Städte und Häuser zerstörtund für die viel mehr als Materielles vernichtet war,
sondern für die alle ihnen bis dahin gültige Wertvorstellungen nicht mehr galten.
— Ich behaupte, die seelischen Verwüstungen in dieser Generation waren sehr viel schwerwiegender.
—Sie sollten es sich nicht so leicht machen.Ich tue eines nicht: ich leugne niemals meine Entwicklung, ich kann sie auch nicht leugnen. Bei Ihnen gibt es zu viele, die sich ihrer Entwicklung in den Jahren 1933 bis 1945 nicht mehr erinnern können.
Ich kann mich noch erinnern.Sie wissen, wie alt ich bin. Sie kennen mein Alter aus dem Handbuch. Aber eis ist bedauerlich, daß Sie, Kollege Jaeger, nicht begreifen wollen, was ich sagen will. Gerade diese Generation — das müssen Sie mir zugestehen — hatte es sehr schwer, auf Grund ihrer Entwicklung allein ein Verhältnis zu einem demokratischen Staatswesen zu finden.
— O ja, es gibt immer Opportunisten, die es gar nicht schwer haben; es gab Leute wie Sie, die von heute auf morgen von der NSDAP auf die CDU umschalten konnten,
Aber viele hatten es nicht so leicht, sich zurechtzufinden. Diese haben — und eis gibt leine ganze Reihe in diesem Haus einen schweren Weg inneren Kampfes hinter sich gebracht. Sie haben aber ihr Verhältnis zum demokratischen Staat, zum Begriff „Demokratie" gefunden, sie halben ihr Verhältnis dazu durch Arbeiten in den Parteien, durch Arbeiten in den demokratischen Institutionen gefunden und bekennen sich leidenschaftlich zu 'ihnen.Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß man diesen Kräften und vor allen Dingen den noch jüngeren alles bieten kann, wenn Sie glauben, daß Sie durch Ihr Verhalten zu keiner Zeit bei diesen Menschen erhebliche Erschütterungen hervorrufen können, dann brauchen Sie nur so weiterzumachen, wie wir es zum Teil heute nachmittag hier erlebt haben. Wenn eine bestimmte Generation zu glauben beginnt, Demokratie sei in der Praxis nichts anderes als die Manipulation von Staatsämtern, nichts anderes ,als der Schacher um Ämter,
wenn sie glauben zu beginnt, praktische Demokratiebedeute den Versuch, lukrative Einkommensquellen
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Döring
zu erhalten, dann wird der Tag nicht fern sein, wo sich diese Kräfte, abgestoßen von dieser Praxis, vom demokratischen Staat schlechthin entfernen werden.
— Ich möchte mit Rücksicht auf Ihren verstorbenen Kollegen Arnold nicht auf die Bemerkung Ihres Kollegen Jaeger eingehen. — Nun, Herr Kollege Krone, Sie schütteln den Kopf. Ich müßte mich dann mit ihm oder seinen politischen Entscheidungen im Jahre 1956, als ich noch im Landtag war, auseinandersetzen. Er kann sich dazu nicht mehr äußern. Sie werden also nicht von mir erwarten, daß ich das hier tue.Was ich sagen wollte, ist etwas anderes. Sie glauben, daß man demokratische Prinzipien, die heute nachmittag zur Diskussion gestanden haben, unter Umständen ungestraft manipulieren kann. Ich sage Ihnen, Sie werden das auf die Dauer nicht ungestraft tun. Wir lachen jetzt noch alle zusammen über kleine Parteigruppierungen, von denen wir alle wissen, daß sie keine Demokraten aus Überzeugung sind. Wir lachen so über diese kleinen Gruppierungen, wie wahrscheinlich die demokratischen Parteien in der Weimarer Republik über die ihnen damals als Sekte erscheinende NSDAP gelacht haben.
Es können aber innerpolitische oder wirtschaftliche Umstände sein, die es einer solchen Sekte einmal sehr leicht machen, unter Hinweis auf einen manipulierten Staat oder einen Staat, der als solcher erscheinen muß, Kapital für radikale Bewegungen zu schlagen.
Ich weiß, daß es sehr schwierig ist, ein so ernstes Thema in einer solchen Debatte in aller Breite zu behandeln. Aber ich glaube, man sollte sich einmal etwas mehr mit den potentiellen Gefahren befassen, die in der CDU-Wählerschaft dieser Altersklassen, auch in unserer, möglicherweise auch in der sozialdemokratischen Wählerschaft vorhanden sind. Wir sollten das nicht so leicht nehmen, wie wir es heute nachmittag gelegentlich wohl getan haben.Meine Damen und Herren, mir hat gestern noch ein Kollege zu sagen versucht, wie der heutige Nachmittag und diese Debatte nach seinen Erfahrungen voraussichtlich ablaufen würde. Der Kollege sagte mir: „Wissen Sie, was geschehen wird? Wenn über Besorgnisse hinsichtlich der demokratischen Entwicklung gesprochen wird, wird sich die CDU ausschütten vor Lachen, und ihre Freude und Heiterkeit wird sich immer mehr steigern; dann werden einige Repliken aus der Wahlkampfkiste kommen, und dann wird sich eine Atmosphäre ergeben wie auf Pützchens Jahrmarkt."Wir sind der Meinung, daß das eigentliche Problem, das heute nachmittag zur Debatte stand und an dessen sorgfältiger Behandlung wir alle interessiert sein müssen, offensichtlich auf seiten der Christlich-Demokratischen Union gar nicht zurDebatte gestanden hat, oder Sie wollen es nicht zugeben, daß Sie das Problem heute nachmittag aus rein parteipolitischen Überlegungen nicht so behandeln wollen, wie es der Kollege Ollenhauer dankenswerterweise zu behandeln versucht hat, als er den Auftakt für diese Diskussion gab.Ich befürchte, daß der Kollege, der gestern diese Warnung aussprach, recht behalten wird, wenn wir in dem Stil weiter verfahren, wie er durch den Kollegen Jaeger entwickelt worden ist. Ich habe die Furcht, daß sich, wenn dieser Stil fortgesetzt wird, eine Art von brüllender Wahlkampffreude bei der CDU entwickelt wird.Sie mögen, weil Sie nun einmal als CDU von dem Freien Demokraten Döring in den Wahlkämpfen nichts Gutes erfahren haben, über diese Worte hinweggehen. Sie mögen sich darüber hinwegsetzen, Sie mögen lachen, Sie mögen sich auch ausschütten vor Lachen, meine Damen und Herren. Sie werden aber eines Tages vielleicht nicht mehr lachen, Sie werden alle zusammen mit uns gemeinsam dann nicht mehr lachen, wenn die Methoden, die Sie zur Zeit zulassen, in diesem demokratischen Staat Entwicklungen heraufbeschwören, für die wir alle als Volk schon einmal bitter haben zahlen müssen.Wir wollten das nicht ungesagt sein lassen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Sie werden schuld daran sein, wenn Sie als Mehrheitspartei solche Manipulationen heute zulassen. Sie werden verantwortlich sein, wenn es im innerpolitischen Bereich eines Tages wieder revolutionäre Entwicklungen geben wird. Sorgen Sie dafür, daß es sie nicht gibt. Sie allein können es im Augenblick bewirken.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! .Ich glaube, wir sollten dem Kollegen Döring aufrichtig dafür dankbar sein, daß er uns zu dem eigentlichen Thema des heutigen Nachmittags wieder zurückgeführt hat,
nämlich zu der Frage, welch einen Eindruck die jüngsten Entscheidungen des Regierungschefs in unserem Volke und auch draußen in der Umwelt hinterlassen haben und wie dieser Eindruck in Deutschland und darüber hinaus der zarten Pflanze Demokratie in unserem Lande bekommt. Darum geht es doch.Es geht doch gar nicht um die Frage, ob der Schritt des Bundeskanzlers rechtlich zulässig ist oder nicht. Natürlich ist er rechtlich zulässig. Man kann niemanden gegen seinen Willen zum Bundespräsidenten wählen. Das wäre doch eine völlig absurde Vorstellung. Die hat weder bei uns jemand noch bei Ihnen. Das ist doch vollkommen klar.
Sondern die Frage, um die es hier geht, ist dochdie: ob in einem demokratischen Staatswesen in
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Erlerwichtigen politischen Entscheidungen der Wille eines einzelnen Mannes sich gegenüber dem Willen der Mehrheit seiner Partei und der Mehrheit des Hauses durchsetzen kann, — und zwar nicht jetzt in dieser einzelnen Entscheidung, sondern in der ganzen Methode, wie er dieses Problem behandelt.
Wir haben es hier doch nicht mit einem einzelnen Entschluß zu tun. Wenn Sie den Kanzler gefragt hätten, ob er Bundespräsident werden wollte, und er hätte nein gesagt, wäre alles erledigt gewesen. Aber worum es hier geht, ist doch die Methode, mit der der Herr Bundeskanzler gewissermaßen plötzlich einen Purzelbaum geschlagen, aus ganz bestimmten Motiven, die mit seiner Selbsttäuschung über die Machtfülle des Bundespräsidentenamtes zusammenhängen,
mit höchsten Staatsämtern gespielt und sie damit nahe an den Rand der Abwertung im Gefühle unseres Volkes gebracht hat.
Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt! Das ist ein Punkt, der geht nicht nur Sie an; Sie mögen sagen: „Das ist eine innerparteiliche Angelegenheit", nein, das geht uns alle an. Der zweite Punkt ist der, wie er dabei mit Menschen umgegangen ist. Sie wissen, daß wir eine Reihe von politischen Auseinandersetzungen mit dem Bundeswirtschaftsminister ausgefochten haben. Das steht heute gar nicht zur Debatte, sondern zur Debatte steht, wie ein Regierungschef mit seinen Mitarbeitern umgeht und wieweit sie das dulden. Das steht zur Debatte, meine Damen und Herren!
Es steht noch mehr zur Debatte. Es steht unter anderem zur Debatte, wie das Auslandsecho zeigt, ob es einem Manne erlaubt sein kann, durch die Legende — durch die vom Kollegen Dr. Jaeger kunstvoll, in geradezu byzantinischer Weise aufgeputzte Legende — von der Unersetzlichkeit eines Mannes draußen in der Welt den Eindruck zu erwecken, daß die deutsche Demokratie niemals auf eigenen Füßen stehen könne, sondern auf zwei Augen und zwei Hände gegründet sei, nämlich die des jetzigen Bundeskanzlers. Das wäre wahrhaft ein böses Zeugnis, wenn wir uns das ausstellen sollten, und das sollten auch Sie nicht tun.Es gibt ein gutes Wort in England, was eigentlich das Wesensgesetz der Demokratie sei: „Government by discussion", d. h. die Probleme werden miteinander diskutiert, es wird darum gerungen, und letzten Endes entscheidet dann — da hat Dr. Jaeger recht — die von der Wählerschaft in die Mehrheit berufene Parlamentsmehrheit, so man sich nicht zu einer einmütigen Entscheidung zusammenraufen kann.Nun hat der Herr Bundeskanzler sein Gewissen angerufen, das einer anderen Entscheidung als der zuletzt gefällten entgegenstünde. Ich will das ernst nehmen, Eine Gewissensentscheidung ist für den einzelnen ein Befehl, über den er nicht hinweg kann. Jawohl. Wir haben ja hier einmal in nächtlicher Stunde darum gerungen, oh es zulässig ist, bei anderen Staatsbürgern diese Gewissensentscheidung in unzulässiger Weise zu verkürzen oder nicht.
Vielleicht entsinnen wir uns noch dieser Stunde. Es gibt nicht nur das Gewissen des Regierungschefs, in der Demokratie gibt es das Gewissen eines jeden einzelnen. Aber die Gewissensentscheidung befiehlt dem einzelnen, was er zu tun und zu lassen hat. Sie gibt nicht den Anspruch, daß die Gewissensentscheidung des einzelnen — und sei er noch so hochgestellt — die Regeln für die demokratische Meinungsbildung und Entscheidung in einer Demokratie ersetzt oder an ihre Stelle tritt.
Auch dieses Problem sollten Sie einmal bis zu Ende durchdenken, weil Sie sonst den Gewissensabsolutismus eines Individuums benutzen, um damit die Grundregeln der demokratischen Verfassungswirklichkeit außer Kraft zu setzen.Wenn einmal Gewissen gegen Gewissen steht — das gibt es doch auch; das macht doch gerade so manchen Konflikt erst im vollen Sinn wirklich tragisch, auch in diesem Hause hier —, dann muß eben gerungen und argumentiert und nicht einfach autoritär von einem einzelnen entschieden werden.
Das sind Dinge, über die wir doch noch reiflicher nachdenken sollten, um nicht auf eine Bahn zu geraten, bei der allzu leicht demokratische Grundregeln — und wir müssen sie doch alle erst in unserem Volke wirklich Wurzeln schlagen lassen — verletzt werden könnten, bevor sie wirklich eingewurzelt sind.Und dann der Respekt vor der Person anderer, vor den Werten, die in anderen verkörpert sind! Meine Damen und Herren, Sie können hier dem Bundeskanzler Elogen singen für all das, was Sie — mitunter großzügig auch unsere Aufbauleistung in Ländern und Gemeinden einschließend — einfach auf sein und Ihr Konto buchen. Das ist verständlich. Aber Sie dürfen demgegenüber nicht vergessen, daß es in diesem Bild auch Schattenseiten gibt, an die Sie selbst sich erinnern müssen, weil Sie sonst in Versuchung geraten, das Bild so zu verzeichnen, daß der Held Ihr Herrscher wird und Sie sich seinem Befehl auch mit Ihrer Mehrheit nicht mehr zu widersetzen vermögen, wenn einmal Ihr Gewissen angerufen ist.
Ich will Ihnen das illustrieren, meine Damen und Herren. Wie muß es in dem Herzen eines Mannes aussehen, der kürzlich von einem seiner Mitarbeiter und früher einmal von einem meiner Freunde hier in diesem Hause, von dieser Tribüne, im Ton der Abwertung, im Ton des Vorwurfs gesagt hat: Der Betreffende im ersten Fall handelt es sich
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4039
Erleralso um Herrn Minister Erhard — „der glaubt sogar selbst, was er sagt". — Wie muß es im Herzen eines Mannes aussehen, bei dem das ein Vorwurf ist!
Nun noch ein paar Sätze zu Dingen, die Kollege Dr. Jaeger uns hier vorgetragen hat. Er sprach von neuen Verhältnissen und neuen Tatbeständen, die natürlich auch zu neuen Entschlüssen führen müßten. Da gebe ich ihm recht, aber der Tenor der Rede war, daß es in der CDU/CSU offenbar keinen Mann außer dem Bundeskanzler gäbe, der imstande wäre, das Steuer in die Hand zu nehmen. Denn von der ganzen Garnitur, die Sie uns vorgestellt haben, bleibt doch nichts übrig, wenn Sie nach wie vor den Entschluß für richtig halten, daß die Lage unseres Volkes es zwingend gebiete, daß nur Dr. Adenauer Bundeskanzler bleiben darf.
Damit haben Sie Ihre ganze Galerie leider weitgehend selber entwertet, wobei noch die Nebenfrage erlaubt ist, ob man für diese Frage, um die es geht, noch einen Außenminister hat oder nicht; aber das nur am Rande.Da wir gerade bei dem Außenminister sind; er wurde hier apostrophiert! Herr Kollege Jaeger, wir wollen bei der Wahrheit bleiben. Ich weiß, das ist mitunter schwer, wenn man im politischen Leben steht. Mitunter entgleist einem etwas. Wir alle wollen die Wahrheit nicht verfälschen, aber manchmal stellen sich bestimmte Tatbestände in der Erinnerung durch das eigene Zutun und die eigene Meinung etwas anders dar, als sie sich bei objektiv er Prüfung herausstellen würden.Prüfen Sie so einmal unsere Äußerungen über die Genfer Konferenz. Sie werden sich dabei davon überzeugen müssen, daß von maßlosem Optimismus bei der Opposition in bezug auf diese Konferenz niemals und an keiner Stelle die Rede war. Ich möchte sagen, daß wir ihr eher noch skeptischer entgegengegangen sind. Das können Sie nachlesen, das können Sie aus unserem Pressedienst ersehen, das können Sie, wenn es Ihnen Spaß macht, in meinen Rundfunkreden nachlesen. Wir sind dieser Konferenz eher skeptischer entgegengegangen als die Regierung.Wir haben vorhin eine Rede, sagen wir einmal, über das Thema der Nibelungentreue gehört. Gewiß, Treue ist ein hoher Wert. Aber Sie wissen auch, wohin uns mitunter blinde Nibelungentreue geführt hat. Ich will Sie nicht zur Untreue anstiften, obwohl Sie sich selber manchmal ein bißchen untreu geworden sind.Vorhin wurde hier von dem Ahlener Programm gesprochen. Der eine meint, es gelte noch, der andere sagt, er habe daran nicht mitgewirkt und deshalb sei es für ihn nicht so recht verbindlich, und der dritte hat Herrn Dr. Heinemann gesagt, wenn er heute noch zum Ahlener Programm stünde, sei er eigentlich kein Sozialist. Ich entsinne michnoch der Versammlungsreihen, die damals im Südwesten der Bundesrepublik stattfanden, auf denen über das Ahlener Programm gesprochen wurde. Das geschah unter einem sehr einleuchtenden und populären Schlagwort; ich glaube, es war Jakob Kaiser, der es geprägt hat. Da war die Rede vom „Sozialismus aus christlicher Verantwortung". Das war die Kennmarke, unter der das Ahlener Programm populär gemacht worden ist. Das ist offenbar das, was Herrn Heinemann inzwischen in unsere Reihen geführt hat.Zum Schluß möchte ich aber doch noch eine Bitte an den Kollegen Jaeger richten. Er möge noch einmal seine Sätze über die Bedeutung des Amtes des Bundespräsidenten überdenken. Er hat hier in, glaube ich, die Verhältnisse unseres Volkes nicht recht treffender Weise gesagt: Daß der Bundespräsident halt von der Mehrheit gewählt wird, das sei so in der Demokratie. Da würde eben die Wahl veranstaltet, und die Mehrheit, die daraus hervorgehe, habe dann die entsprechenden Staatsämter zu besetzen. Niemand wird leugnen, daß das auf alle Fälle bei der Bildung der Bundesregierung so ist. Ich möchte mir — auch wenn es verfassungsrechtlich so ist — für das höchste Amt in der Bundesrepublik doch etwas anderes wünschen: ich möchte mir wünschen, daß man sich Rechenschaft darüber gibt, daß in diesem Amt, so wie es Bundespräsident Heuss verkörpert hat, nicht nur der Mehrheitswille, sondern die Integration, die Zusammenschmelzung unseres Volkes sichtbar wird.
Wir sind nach außen hin schon so gespalten, daß der Bundespräsident nicht Symbol der Spaltung, sondern der Einheit sein sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich in aller Ruhe vorweg zwei Fakten feststellen.Erstens: Der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Professor Dr. Ludwig Erhard, hatte Kenntnis von dem Vorgang im Kabinett am 14. Mai. Nach diesem Tage gab es andere Vorgänge, Gespräche und Fraktionssitzungen. Nach alledem mußte Ludwig Erhard vor seiner Abreise annehmen, der Entschluß des Herrn Bundeskanzlers, zum Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, bestehe fort.
Eine zweite Feststellung: Der Herr Kollege Dr. Heinemann hat geglaubt, meinen verehrten väterlichen toten Freund Karl Arnold hier zitieren zu sollen; er sei im Grunde gestorben an schlechter Behandlung durch Konrad Adenauer. Es gab dort Spannungen; aber was Herr Heinemann sagte, ist einfach nicht wahr. Arnold hat sich geopfert für die Politik der Union. In einem beispielhaften Wahlkampf hat er gekämpft, um Verrat und Unrecht wie-
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Dr. Barzeldergutzumachen, das ihm von dieser und dieser Seite des Hauses zugefügt worden ist.
Ich glaube, Herr Kollege Dr. Heinemann, Sie sollten — darf ich das sagen? — als früherer rechter Flügelmann in der CDU von Nordrhein-Westfalen nicht Krokodilstränen darüber weinen, daß der linke Flügel jetzt vielleicht ein wenig hinkt.Der Kollege Döring glaubte sagen zu müssen, es sei peinlich, wie kümmerlich sich Konrad Adenauer verteidigt habe. Nun, Herr Kollege Döring, Ihre Rede — ich habe ja Gelegenheit gehabt, Ihre früheren Reden zu verfolgen — war auch nicht Ihre beste Leistung. Vielleicht darf ich Ihnen spaßeshalber sagen: innerhalb unserer Fraktion ist zu diesem Thema sicher etwas ernsthafter gesprochen worden.Der Entschluß Konrad Adenauers, Bundeskanzler zu bleiben, hat uns alle, auch uns in der CDU/CSU, durcheinandergerüttelt. Wir verschweigen das nicht. Ausführlich, nachhaltig und deutlich haben wir uns in unserer Fraktion darüber unterhalten. Ich war z. B. anderer Meinung als der Herr Bundeskanzler. Wir haben uns im Familienkreis der Union darüber unterhalten. Manche Außenstehenden spekulieren nun auf Uneinigkeit. Ich muß diese Spekulanten enttäuschen. Ja, unsere Fraktion lebt von Spannungen. Aber wir sind weder dumm noch verantwortungslos genug, im Angesicht der Genfer Konferenz auseinanderzufallen, durch Uneinigkeit die deutsche Position zu schwächen und die Geschäfte unserer Gegner zu besorgen.
Mit gesammelter Kraft geht diese Union in künftige Bewährungsproben. Adenauer u n d Erhard bleiben uns. Wir glauben an die Kraft der Versöhnung ebenso wie an die Geltung des Gewissens.Wir glauben nämlich, daß diese Union noch gebraucht wird, dringend gebraucht wird, stark und gestaltend gebraucht wird, gebraucht wird für Deutschland, für Europa, für die Freiheit. Wir stehen in dieser Union zusammen. Wir sind eine Gemeinschaft. Wie eine Familie sich dann zu bewähren hat, wenn einer in Not ist, wenn einer irrt,
so stehen wir gerade jetzt zusammen. Wir lassen nicht jemand fallen, weil ,er einmal anderer Meinung ist, weil er vielleicht irrt, besonders nicht, wenn diese Haltung durch tausendfaches Verdienst wieder laufgewogen wird.
Zehn Jahre großer Leistung sind da, und sie können nicht vergessen werden. Harakiri ist keine christliche Verhaltensweise und steht deshalb nicht auf unserem Programm. Erwarten Sie das nicht von uns! Die Grenze unserer Kritik ist da, wo wir die Geschäfte unserer Gegner besorgen würden.
Diese Union wird noch gebraucht; denn die Politikder letzten zehn Jahre ist die Politik dieser Union.Unser Volk braucht eine solche Politik, die auf christlichem Fundament, durch Stetigkeit, gradlinig Stein auf Stein gefügt hat und weiter fügen wird. Ich spreche hier davon, weil ich all denen in unserem Vaterland wie in der Welt, die an unserer Stabilität Zweifel äußern, empfehle, die Geschichte dieser Union zu studieren. Sie werden finden, daß die Politik dieser Union nicht vom Himmel gefallen ist, daß sie in ihren Grundzügen nicht das Ergebnis einsamer Entschlüsse ist, daß sie nicht nur auf zwei Augen steht, sondern gestaltet ist aus Geist und Programm dieser Union. Und das wird so bleiben.
Wer immer in der Welt einen Garanten sucht für die Zukunft und die Richtung unserer Politik, der findet ihn in Programm und Politik, in der Mannschaft dieser Union! Konrad Adenauer Eist und bleibt der erste Sprecher dieser Union. Er hat diese Politik maßgeblich mitgestaltet. Dafür sagen wir ihm Dank.
Geformt und getragen aber ist diese Politik von dieser Union.Meine Damen und meine Herren von der Sozialdemokratie, Sie wundern sich offensichtlich, warum ich zunächst ausnahmsweise einige Worte an uns selbst gerichtet habe. Machen Sie sich keine Sorgen; ich komme auch auf Sie noch zu sprechen.
— Sehr richtig, Herr Kollege Erler.Politik heißt in einer Situation wie der gegenwärtigen ganz besonders: Fragen nach der Alternative, Suchen nach dean kleineren Übel. Welche Alternative bietet sich denn an? Es bietet sich die Alternative an, während der Genfer Konferenz dadurch Chruschtschows Geschäfte zu besorgen, daß wir auseinanderfallen, dadurch die deutsche Position 'ernsthaft erschüttern, den Westen verwirren und durch Uneinigkeit und Schwäche alles gefährden. Die Alternative der Gefahr das ist nicht die Alternative dieser Union.Zum zweiten bietet sich die Alternative an, die Geschäfte derer zu besorgen, die bis heute nicht abgerückt sind davon, daß Herr Chruschtschow ein möglicher Genosse ist. Das Kommuniqué der SPD, mit dem die Beilegung des diesbezüglichen Streits mitgeteilt wird, enthält keine Mißbilligung der Anrede „Genosse", die zwischen Chruschtschow und namhaften Männern der SPD vereinbart und praktiziert worden ist. Dieser „Genosse Chruschtschow", — der steht unter anderem zwischen Ihnen und uns! Wir würden unsere Sache und unsere Wähler verraten, wenn wir unsere Zuflucht zu dieser Alternative nähmen.Die Politik der Sozialdemokratie zeichnet sich dadurch aus, daß von Jahr zu Jahr mehr und in den letzten Monaten mit beängstigendem Tempo die kommunistische Gefahr vernebelt, verniedlicht und geleugnet wird.
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Dr. BarzelIn der Sitzung dieses Hauses vom vergangenen Donnerstag haben wir den verehrten Herrn Kollegen Dr. Mommer gehört. Seine antikommunistischen Töne ermutigten uns, von dieser Stelle aus zur Gemeinsamkeit gegenüber dem Staatsfeind aufzurufen. Herbert Wehner zerstörte diesen Ansatz wieder übers Wochenende, und der Pressedienst der Sozialdemokratischen Partei vom 8. Juni, den mein Fraktionsvorsitzender Dr. Krone Ihnen vorher verlesen hat — —
— Wollen Sie den Text noch einmal hören, Herr Kollege Erler?Die größte Bedrohung — heißt eis dort —für die Weiterentwicklung der bundesrepublikanischen Demokratie kommt nicht von außen; sie kommt auch nicht von den wirklichen und angeblichen SSD-Agenten, die jetzt am laufenden Band verhaftet werden, sie kommt von dem Manne, der seit zehn Jahren als Verantwortlicher für die Bonner Politik zeichnet: von Konrad Adenauer.Da steht es doch: Adenauer sei schlimmer als Chruschtschow, schlimmer als die Rote Armee, schlimmerals Spione und Saboteure. Das ist doch Ihre Sprache!
Ach, wie groß muß Ihr Haß gegen diesen Mann sein, daß Sie den ersten Staatsmann dieses Volkes zum Staatsfeind Nr. 1 deklarieren!
Wie sehr muß marxistische Dialektik Ihren Blick getrübt, Ihre Brille gerötet haben, daß Sie solcher Geschmacklosigkeiten fähig sind! Dieser Stil der Verniedlichung des Bolschewismus rüttelt an den Fundamenten unseres Staates.
Sehen Sie zurück in die vergangenen zehn Jahre. Zehn Jahre, gestaltet durch Fleiß und Treue aller Schichten unseres Volkes, geführt von der Union unter Konrad Adenauer. Trümmer sind Wohlstand, Angst ist Sicherheit, Schwächung ist Achtung gewichen. Frei entwickeln sich die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Presse, Film, Funk und Fernsehen. Die Gesellschaft erwächst in Freiheit zu Selbstbewußtsein und Gestalt. Die Arbeiter sind jenseits jeder Proletarität Bürger geworden. Der deutsche Name hat Geltung und Rang.Das alles steht auch in dieser Stunde zur Debatte, und wir stehen zu dem Mann, der uns dahin mit geführt hat.
Wie anders ist das alles, wie anders durch ethische und christliche Fundamente und durch Stetigkeit als in jenem ersten Versuch einer Demokratie, in der die Sozialdemokraten sich auszeichneten, die stärkste Partei zu sein.
Diese Stetigkeit fiel nicht vom Himmel. Sie ist die süße Frucht sauren Schweißes, ist die Folge dieser Union; dieser Union, die den Klassenkampf ebenso in sich überwand wie die konfessionelle Enge. Eine solche Politik, die wir unserem Volke geschenkt haben, brauchen wir auch für die Zukunft!Ich weiß, daß Sie rebellieren werden, wenn ich mich jetzt an Sie, an die SPD, wende mit dem Appell: Legen Sie ab Ihre Blindheit gegenüber dem Osten! Schwören Sie ab dem Klassenkampf!
Entwickeln Sie bitte endlich eine risikolose Alternative zu unserer Politik!
Sehen Sie ab von einer Politik, die uns gradlinig in die Arme Chruschtschows führt!
Ich möchte zum Schluß eine ganz persönliche Bemerkung machen; vielleicht haben Sie die Güte, das anzuhören.
Ich weiß, daß Sie, Herr Bundeskanzler, nicht rebellieren werden, wenn ich mich an Sie wende
mit einer herzlichen und schlichten Bitte, nach allem, was in diesen Tagen vorgegangen ist: Ich weiß um Ihre Sorgen. Bitte, sorgen Sie vor! Sichern Sie mit uns zusammen Stabilität und Zukunft! Sichern Sie Ihr und unser Werk. Unser Volk braucht diese Union, die Stabilität für lange Zeit!
Wir alle werden Ihnen danken, wenn Sie helfen, diese Kontinuität zu erringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, vor Ihnen eine lang vorbereitete Rede zu halten, sondern ich möchte aus der Diskussion des heutigen Nachmittags heraus auf einige ganz wenige Punkte hinweisen, die wir nicht übersehen sollten, auch wenn wir Ausführungen gehört haben, die, so
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Dr. Starkeglaube ich - sehr verehrter Herr Kollege Jaeger , lassen Sie mich das einmal sagen —, dem Gegenstand der heutigen Debatte, mindestens im ganzen, nicht gerecht geworden sind.Sie haben davon gesprochen, daß die Opposition — und die Freie Demokratische Partei gehört zur Opposition — heute wenigstens einmal einen Ansatzpunkt für eine Kritik habe. Sie haben dann aber in Ihren nächsten Sätzen schon wieder hinwegdiskutiert, daß es einen solchen Ansatzpunkt gibt. Das war, als Sie davon sprachen, daß vielleicht Stilfehler oder Mängel in der Methode vorliegen, dann aber wieder sagten: „wenn überhaupt so etwas vorliegt". Ich glaube, das muß man aufgreifen, und zwar deshalb, weil es ja auch noch andere Männer in diesem Hause gibt, die nicht zur Opposition und nicht zu den Freien Demokraten gehören, an die man aber auch denken muß, wenn man von der Methode und dem Stil spricht.Was mir an dieser Debatte heute nachmittag aufgefallen ist — lassen Sie mich das noch einmal sagen —, ist nicht ganz unwichtig für die Beurteilung des Ganzen; nämlich für die Beurteilung der Frage, wer denn hier ein Recht hat, über diese Wochen, die wir hinter uns haben, etwas zu sagen. Der Herr Bundesinnenminister hat uns aus einem Protokoll vorgelesen, daß seit dem 14. Mai für die Eingeweihten mit 90 % Sicherheit festgestanden habe, daß der Herr Bundeskanzler nicht für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren werde. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich das einmal in aller Ruhe sagen — es ist eine menschliche Feststellung -: Wenn das der Fall ist, dann sind entweder Männer der CDU, die ich für eingeweiht halte, nicht eingeweiht, oder ich weiß nicht, was wir von der Opposition dazu sagen sollen. Wen ich dabei im Auge habe, ist kein Geheimnis. Aber ich will Ihnen auch sagen, warum ich und gerade ich von den Freien Demokraten darum gebeten habe, noch das Wort nehmen zu können.Mein Herr Vorredner hat davon gesprochen, daß die Union noch eine Aufgabe habe und wichtig sei. Wer könnte es ihm verargen, wenn er so denkt! Aber er hat auch gesagt, daß die Union und nur die Union in den vergangenen Jahren das an Erfolgen aufgebaut habe, was niemand bestreitet. Diesen Erfolgen stellte er das gegenüber, was in den letzten Wochen passiert ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu denen, die an diesen Erfolgen mitgearbeitet haben, gehört ja nicht nur der Herr Bundeskanzler, sosehr wir von der Opposition heute betont haben, daß auch wir seine Leistungen im Ausland und im Inland anerkennen. Ich erinnere mich einer Zeit, wo ich selbst — Herr Bundeskanzler, Sie werden das nicht mehr wissen — das auch einmal in einem Brief zum Ausdruck gebracht habe, weil ich es erlebt hatte, welches Ansehen Sie für Deutschland im Ausland errungen haben. Damals habe ich diese Zeilen, ganz wenige, an Sie geschrieben. — Aber es sind auch andere Männer an diesen Erfolgen beteiligt, Männer, die heute noch in der Regierung sind. Darum geht es uns, wenn es hier heißt: Nur die Union und nur die Erfolge des Herrn Bundeskanzlers!Weshalb komme ich darauf? Es ist das Wort gefallen, daß der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler ein schlechterer Europäer sei. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die Wirkung dieses Wortes draußen im Europäischen Parlament miterlebt hat, wer die Wandlungen, die sich in diesem politischen Raum auf Grund dieses Wortes vollzogen haben, miterlebt hat, der muß sich fragen: Wir haben einen Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verabschiedet. Werfen wir nun nicht wieder die Kontroversen auf, die darüber entstanden sind? Eines ist für uns sicher, nämlich daß die Bundesregierung — nicht einzelne Mitglieder der Bundesregierung — damals erklärt hat: Mit diesem Vertrag und durch ihn zur Freihandelszone; nicht indem man ihn preisgibt, sondern indem man, gestützt auf ihn, dieses Ziel erreicht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wüßte nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister je etwas anderes getan hätte und angestrebt hätte als das. Wie kann er deshalb ein schlechterer Europäer sein?!
Nehmen Sie es es mir nicht übel, meine Damen und Herren, wenn ich das sage, nachdem ich es im europäischen Bereich in diesen Tagen miterlebt habe. Draußen ist eine Unsicherheit eingetreten, weil nunmehr sogar schon ein Mann wie der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister, der seit zehn Jahren an dieser Politik mitarbeitet, gewissermaßen in Frage steht als einer, der diesen seinerzeit geschlossenen Vertrag nicht hält, wo doch sogar die Freien Demokraten, obwohl sie zur Opposition gehören, bei aller ursprünglichen Kritik an diesem Vertrag mit ihren Abgeordneten im Europäischen Parlament an seiner Durchführung und Verwirklichung mitarbeiten. Sehen Sie, da hat die Wahl der Methode, mit der man diese innenpolitischen Fragen behandelt, auch konkrete, sachliche Folgen in der Politik.Aber nun noch etwas viel Wichtigeres. Nicht von uns, sondern von anderer Seite ist heute das Ahlener Programm in die Debatte geworfen worden. Bitte, denken Sie noch einmal daran zurück! Ich muß hier die Worte wiederholen, die mein Herr Vorredner gebraucht hat: Nur die Union in der Nachkriegszeit hatte Erfolge! Nur die Union! Meine Damen und Herren, wer hat denn der CDU dazu verholfen — ich meine jetzt nicht die Kollegen von der CSU, die diesem Ahlener Programm nie zugestimmt haben; die Haltung der Freien Demokratischen Partei zum Ahlener Programm darzulegen, ist überflüssig; unser Standpunkt dazu ist bekannt —, das Ahlener Programm, so wie es hier heute dargestellt worden ist, zu überwinden? Wer ist denn das gewesen? Lassen Sie mich das einmal sagen: ein „schlechterer Europäer"! — ein Mann, mit dem wir Freien Demokraten zusammengearbeitet haben, um die Auffassung zu überwinden, die sich im Ahlener Programm niedergeschlagen hatte! Deshalb haben wir und habe ich persönlich es bedauert, daß diesem Mann, dem Bundeswirtschaftsminister, dem die Union so vieles verdankt und der an den unbestreitbaren Erfolgen der Nachkriegszeit so sehr beteiligt war, der Stil und die Methoden in diesen Wochen so sehr zugesetzt haben.Dr. StarkeWas gibt es denn noch in diesem Staat, das nicht verdächtig ist? Wen gibt es noch in diesem Staat, der nicht verdächtigt wird? Wir bestreiten die Verdienste des Herrn Bundeskanzlers nicht. Ich habe mich darüber gefreut, daß auch der Führer der Opposition, der großen Oppositionspartei, dieses Wort heute gebraucht hat. Aber darum ist es hier nicht gegangen. Wir wollten auch — so lag es jedenfalls im Sinne der Freien Demokraten — die Tatsachen nicht wiederanrühren. Wir wollten über Stil und Methode sprechen, die in den letzten Wochen in der Politik angewandt worden sind.Ich habe mir deshalb erlaubt, einmal an dem Wort „schlechterer Europäer" und an dem von mir geprägten Wort „Überwinder des Ahlener Programms" zu zeigen, weshalb sich jemand wie ich auch ohne vorbereitete Rede, allein aus der heutigen Debatte heraus zum Wort melden muß, um zu sagen: Das war kein guter Stil; das war bei Anerkennung aller Verdienste ein schlechter Stil.
Meine Damen und Herren, zur allgemeinen Aussprache zu diesem Teil unserer Diskussion liegt keine Wortmeldung mehr vor. Wir kommen nunmehr zur Begründung der Anträge. Zunächst der Antrag Umdruck 311. Wer begründet ihn? — Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt der Antrag Umdruck 311, der sich mit dem harmlos titulierten, alle Jahre wieder behandelten Reptilienfonds des Herrn Bundeskanzlers beschäftigt und das Haus auffordert, diesen Titel um 500 Millionen DM zu kürzen und ihn endlich einer parlamentarischen Kontrolle zu unterstellen.Wir haben in der zweiten Lesung des Haushalts diesen Antrag nicht gestellt und auch nicht über den Titel debattiert, nicht etwa, weil wir von Dr. Adenauer erwartet hätten, daß er als notorischer Sünder gegen den Geist der Demokratie noch bis zur dritten Lesung die Chance der Reue ergreifen würde. Für viele von Ihnen ist ja alles, was Dr. Adenauer tut, eine läßliche Sünde und nicht der Buße wert. Aber ich habe das Gefühl, daß der Kanzler, wenn im Himmel Sünden gegen den Geist der Demokratie als Sünden gebucht würden, an einen ganz besonders brenzlichen Ort käme; da müßte nicht gerade ein Bratofen stehen, aber ein Magnetophongerät. Dort müßten ihm dauernd die Reden vorgespielt werden, die er gehalten hat, beispielsweise: „Noch nie war die Situation so ernst; deshalb habe ich mich entschlossen, für die Präsidentschaft zu kandidieren", und dann als Nächstes: „Noch nie war die Lage so ernst; deshalb habe ich mich entschlossen, wieder Kanzler zu werden".
Meine Freunde Erler und Mommer haben den Kanzler in der zweiten Lesung beschuldigt,
daß er den Staat zur Beute einer Partei mache. Seitdem haben sich hier in Ihrer Fraktion Ereignisse abgespielt, die zeigen, daß der Bundeskanzler den Staat zum Privatobjekt eines Mannes zu machen bereit ist. Was wir hier gestern erlebt haben, meine Damen und Herren, das war die Uraufführung eines burlesken Versöhnungsstücks „Der Drache vom Drachenfels und der Gummilöwe aus der Wirtschaft Arm in Arm".Zur heutigen Debatte hat ein Kollege Ihrer Fraktion einen netten Beitrag geliefert, indem er einen Vorschlag für eine neue Fraktionshymne der CDU gemacht hat: „Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen, Union marschiert mit ruhig-festem Schritt; Kameraden, die auf Adenauer schossen, marschieren heute wieder mit".
Wir haben auf die Debatte über unseren Antrag nicht verzichtet, weil wir damit gerechnet haben, daß der Herr Bundeskanzler in letzter Stunde doch noch eine parlamentarische Kontrolle zuließe, sondern weil sich in der intimen Atmosphäre des Haushaltsausschusses eine Verständigung anzubahnen schien. Dort wurde nämlich die Bereitschaft angedeutet, ein parlamentarisches Kontrollgremium zu schaffen. Auf Antrag eines Kollegen der CDU ist im Haushaltsausschuß beschlossen worden, ein interfraktionelles Fünfer-Gremium solle sich mit der Frage beschäftigen, ob es nicht möglich sei, im Plenum eine Debatte über Tit. 300 zu vermeiden.Nun, über dieses zarte Pflänzchen ist, bevor es zum Erblühen kam, der Rauhreif der Enttäuschung gefallen. Was dabei herausgekommen ist, meine Damen und Herren, ist der Vorschlag der CDU/ CSU-Fraktion, im nächsten Jahr einen Kompromiß dergestalt zu betreiben, daß man die Hälfte dieses 13-Millionen-Fonds parlamentarisch kontrollieren, die andere Hälfte, also 6,5 Millionen DM, aber nach wie vor dem Herrn Bundeskanzler unkontrolliert zur Verfügung lassen solle. Dafür sollten wir dann zustimmen, daß in diesem Jahr überhaupt keine Kontrolle stattfände.Der Herr Staatssekretär Felix von Eckardthatte vorher auch einmal angedeutet, daß ein Großteil der Ausgaben aus diesem Titel - er meinte, wenn ich recht informiert bin, zwei Drittel durchaus offengelegt werden könnten. Ich weiß nicht, ob hinter dem Angebot des Herrn Staatssekretärs mehr gestanden hat als nur die Absicht, den Haushaltsausschuß geneigter zu machen, seinem Projekt zuzustimmen, einen neuen Tit. 315 in den Haushalt aufzunehmen, der ihm weitere 5 Millionen DM für Public-relations-Arbeit im Ausland zur Verfügung stellen sollte.Übrigens hat das Bestreben des Herrn Felix von Eckardt — ich glaube, das muß an diesem Orte gesagt werden — eine erwähnenswerte kleine Vorgeschichte. Am 13. Februar hat der Herr Staatssekretär, der an der Spitze des Bundes-Presse- und Informationsamtes steht, in einem Rundfunkinformationsgespräch gesagt, er müsse in aller Offenheit sagen, daß die Substanz der Besprechungen in! Aus-
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4044 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
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wärtigen Ausschuß bisher jedesmal 48 Stunden später in der Zeitung gestanden habe.
Das war, wie ich glaube, eine einem Staatssekretär nicht zustehende Kritik am Parlament. Aber darüber wollen wir hier nicht reden. Ich glaube, gerade dieser Herr Staatssekretär weiß sehr wohl von den Auseinandersetzungen im Auswärtigen Amt, wo die Löcher der Diskretion in den Beratungen gerade dieses Ausschusses zu suchen sind.Ich erwähne das, weil sich nun das Merkwürdige, man könnte fast sagen: das Amüsante, ereignete, daß derselbe Herr Staatssekretär sich fünf Tage nach dieser Feststellung an den gleichen Ausschuß - in Verbindung mit dem Haushaltsausschuß —wandte und unter mehrfachem Gebrauch der Wendung, er mache diese Mitteilungen vertraulich, dem Ausschuß die Begründung dafür gab, warum er eine weitere materielle Erhöhung der Public-relations-Fonds fordere. Der Haushaltsausschuß ist übrigens einhellig ablehnend geblieben.Aber vielleicht war es nicht nur Taktik des Herrn Staatssekretärs von Eckardt, daß er sich in den bisherigen Beratungen geneigt gezeigt hat, etwas mehr von dem Fonds kontrollieren zu lassen. Vielleicht wollte er persönlich wirklich mehr Kontrolle zulassen, als sein Bundeskanzler gewähren will. Seine Andeutungen einer größeren Bereitschaft zur Offenherzigkeit fielen nämlich in eine Zeit, in der nicht nur sein physischer Kreislauf, .sondern auch sein politischer Kreislauf in seinem Verhältnis zu dem Herrn Bundeskanzler etwas gestört war.Jedenfalls gibt es unter den Beamten des Bundespresse- und Informationsamtes solche, die eine parlamentarische Kontrolle dieses Fonds begrüßen würden. Beamte des Bundespresseamtes haben mir gegenüber erklärt, sie würden froh sein, wenn dieser in der Öffentlichkeit so umstrittene Fonds parlamentarisch kontrolliert werde, damit sie als Beamte endlich aus der Zwielichtigkeit herauskämen und damit sie auch vor politisch unkeuschen Anträgen bewahrt würden, die sie zu Vertretern einseitiger Interessen machen sollen.Der Herr Innenminister Schröder hat in der zweiten Lesung vom Staatsethos der Beamtenschaft in England gesprochen, die jeder Partei mit der gleichen Loyalität diene. Wir sind mit ihm einig hinsichtlich des Imperativs, hinsichtlich der Soll-Seite der politischen Bilanz. Aber der Herr Bundeskanzler tut gerade bezüglich dieses Titels alles, damit die Ist-Seite durch seine Praktiken verfälscht und belastet wird, indem er die Beamten, die zur Loyalität dem Ganzen gegenüber verpflichtet sein sollten, in die Situation einer einseitigen Parteiloyalität bringt.Über Titel 300 des Kanzleretats schwebt unretuschierbar der Schatten des Nachrichtenhändlers Stephan und des Nachrichtenempfängers Adenauer. Dieser geheim manipulierte Reptilienfonds ist ein undemokratisches Schandmal des ganzen Haushalts.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner unbekümmert saloppen Ausdrucksweise in der zweiten Lesung gesagt, es habe keinen Zweck, sanft zu säuseln; man müsse kräftig sprechen, und er hat auch früher einmal gesagt: Nun lernen Sie doch von mir! Nun sei es uns also gütigst gestattet, so hart zu sprechen, wie er es draußen in den Wahlversammlungen tut: Es ist ein undemokratisches Schandmal, wenn er solch einen unkontrollierten Fonds in seinem Haushalt behält.
Als in der zweiten Lesung einer meiner Fraktionsfreunde noch einmal an die Schroth-ScharleyAffäre erinnert hat, die man besser AdenauerStephan-Affäre nennen würde, da hat der Herr Bundeskanzler sinngemäß gesagt, man solle doch die ollen Kamellen lassen. — Wir wollen auch nicht in dieser für den Bundeskanzler peinlichen Erinnerung wühlen. Wir wissen, daß das auch keinen Zweck hat; er hat uns in der zweiten Lesung sein dickes Fell in angelegentliche Erinnerung gebracht, und wir wissen, daß alle Attacken und alle Erinnerungen an dieses Ereignis abprallen würden. Ich erwähne diesen Fall Schroth-Scharley nur, weil ich an dieser Stelle noch einmal auf einen anderen Fall hinweisen möchte, mit dem Herr Dr. Adenauer im Vorjahr bei seinem beifallsfreudigen Fraktionspublikum einen munteren Bühnenerfolg erzielen konnte, als er nämlich darauf hinweisen konnte, daß die gewerkschaftliche Journalistenorganisation unter meinem Vorsitz einen Antrag auf Bezuschussung eines Berufsausbildungskurses über internationale Presserechtsfragen beim Bundespresse- und Informationsamt gestellt hatte. Da schmeckte es dem Bundeskanzler ungemein, uns in den gleichen Etattitel zu stecken, aus dem er dank der Haushaltsgestaltung, die ihm die CDU-Mehrheit dieses Bundestages gestattet, auch die undelikatesten und unkontrolliertesten Dinge finanzieren kann. Die Gewerkschaftsorganisation der Journalisten hat die bewilligte Summe zurückgewiesen, weil sie es mit ihrem Berufsethos nicht vereinbaren konnte, Förderungsmittel aus einem Haushaltstitel entgegenzunehmen, in dem unter der schwarzen Glocke der Geheimhaltung Vertretbares und Unvertretbares vermengt werden.Ich glaube — vielleicht deute ich das etwas zu optimistisch -, mittlerweile haben auch die CDU-Kollegen dieses Hauses begriffen, daß es unmöglich ist, Berechtigtes und Unvertretbares in einem Haushaltstitel zu vermengen; denn so verstehe ich den Vorschlag, vom nächsten Jahre an den Titel zu halbieren. Obwohl wir dem Herrn Bundeskanzler auch 6i 2 Millionen DM zu solch dunklen Zwecken unkontrolliert zur Verfügung zu stellen nicht bereit sind, anerkennen wir immerhin, daß das von Ihrem Standpunkt aus der Versuch ist, der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit, der Klarheit und der Wahrheit wenigstens ein Schrittchen näherzukommen.Was der Herr Bundeskanzler mit dem Titel 300 bisher gemacht hat, erinnert an die Methoden, die man von den so sehr beklagten Amalgamen diktatorischer Schauprozesse kennt, wo die wirklichen Verbrecher und die politischen Gegner eines Regimes auf einer Anklagebank vermengt wurden. Die
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einen waren dazu bestimmt, die anderen zu diskreditieren. Indem man in einem Haushaltstitel Berechtigtes und Unberechtigtes vermengt, versucht man doch, das eine, was nicht zu rechtfertigen ist, durch das andere, was in einem demokratischen Staat durchaus gerechtfertigt ist, zu rechtfertigen.Ich könnte es mir einfach machen, meine Damen und Herren, und sagen: einen gewissen Fonds sind wir bereit dem Herrn Bundeskanzler — das haben wir in den früheren Jahren auch gesagt — zur Verfügung zu stellen. Für einen kleinen Fonds gibt es diskutierbare Argumente. Aber bei unserem Antrag sollten Sie überlegen, ob sich nicht auch für Sie, für die Mehrheit dieses Hauses, das verfassungsrechtliche Problem stellt: kann eine Parlamentsmehrheit Haushaltsmittel, die ja öffentliche Mittel sind, überhaupt durch Mehrheitsbeschluß der öffentlichen Kontrolle entziehen?
Kann eine Parlamentsmehrheit durch Mehrheitsbeschluß über ein Recht verfügen und auf ein Recht verzichten, das ja nicht ein Recht der Mehrheit, sondern ein Recht der parlamentarischen Institution als solcher ist? Sie wissen ganz genau, daß es Angelegenheiten gibt, die man nicht einem Mehrheitsbeschluß unterziehen kann.
Was hier getan wird, gehört in das Kapitel, das mein Freund Mommer in der zweiten Lesung angeschnitten hat, als er gesagt hat: Dieser Bundeskanzler macht den Staat zur Beute einer Partei. Da sagte Mommer wörtlich: „Es geht darum, ob dieser Staat ein CDU-Staat oder ob er unser gemeinsamer Staat ist." An dieser Stelle verzeichnet das Stenogramm: „Zuruf von der CDU/CSU: Nur die Mehrheit entscheidet!" Nein, meine Damen und Herren, auch die Mehrheit kann den Staat nicht zu einem Parteistaat machen. Auch durch einen Mehrheitsbeschluß kann dieses Parlament nicht auf ein Recht verzichten, das ihm zusteht. Wenn wir dies zuließen, würden wir uns mit schnellen Schritten auf dem Weg zu neuen Ermächtigungsgesetzen bewegen, Gesetzen, die unangenehme historische Erinnerungen in uns wachrufen sollten.Man hat uns gesagt, daß diese ganze Sache doch schon deshalb harmlos sei, weil der Bundesrechnungshofpräsident die Kontrolle dieses Fonds vornehme. Uns scheint eine solche Kontrolle nicht zu genügen. Denn erstens erstreckt sie sich nur auf die Korrektheit der Ausgabenbelege. Darüber haben wir in früheren Jahren miteinander diskutiert, und es war im Vorjahre Ihr Kollege Bucerius, der gesagt hat: Nein, die Kontrolle des Bundesrechnungshofspräsidenten erstreckt sich im Rahmen der Zweckbestimmung auch auf die Überprüfung der materiellen Seite dieser Summe. Gut, aber wir haben es hier mit einer Zweckbestimmung von schier unbegrenzter Elastizität zu tun. Die Erläuterung zum Titel 300 heißt:Der Ansatz schließt im Rahmen der aktuellpolitischen Information auch die Public-relations-Arbeit im In- und Ausland sowie die Förderung von Film, Bild, Funk, Fernsehfunk undPublikationen verschiedenster Art ein, Was heißt denn „Förderung von Publikationen verschiedenster Art"? Was soll denn ein Präsident des Rechnungshofes mit einer solchen Zweckbestimmung machen? Er ist keine politische Prüfungsinstanz. Hier ist also schon durch die Zweckbestimmung — Herr Kollege Bucerius hat im vorigen Jahre selber zugegeben, daß sie ungemein elastisch ist — ein Fonds geschaffen, der vom Bundesrechnungshof nur nach der rechnungsmäßigen Seite, nach Ein- und Ausgaben, aber nicht nach der polititischen Zweckbestimmung durchleuchtet werden kann.In diesem Zusammenhang erlaube ich mir die Frage, die auch in der Öffentlichkeit, in der Presse und vor allen Dingen unter den Journalisten dieses Hauses eine Rolle gespielt hat: Gehört zur Public-relations-Arbeit im Inland, die hier als Zweckbestimmung angegeben wird, auch die Beauftragung von Journalisten mit der Abfassung von Arbeiten, die als politische Analysen für die Bundesregierung bezeichnet werden oder Arbeiten für die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise darstellen und die gut honoriert, aber nirgendwo veröffentlicht werden?
Ist auch das unter die Zweckbestimmung eines solchen Titels zu fassen?Unsere Pressestelle hat veröffentlicht, daß nachgeordnete Stellen des Kanzlers Journalisten politische Berichte in Auftrag geben, die im Regelfall nicht der Veröffentlichung dienen, aber gut honoriert werden. Diese Mitteilung ist von dem Herrn Staatssekretär Globke sehr zaghaft als unzutreffend dementiert worden. Allerdings war in dieser Meldung eine Kleinigkeit ungenau. Wenn die Bezahlung aus dem Geheimtitel 300 erfolgt, ist es nicht Herr Globke, sondern Herr Eckardt, der dafür letztlich zuständig ist, wenn sich auch das Ganze unter der großen Glocke „Bundeskanzleramt" abspielt. Darüber hinaus aber gilt für das Dementi das Wort Harold Nicolsons: „Unter einem Dementi versteht man die verneinende Bestätigung einer Nachricht, die bisher lediglich ein Gerücht war."Hier allerdings ist es kein Gerücht, hier ist es dokumentarisch belegbar. Ich werde keinen Namen nennen. Aber wenn nachher Herr Kollege Barzel — ich habe gehört, daß er bestimmt ist, darauf zu antworten darauf besteht, so werde ich aus dem Wortlaut vorlesen. Aber auch dann werde ich keinen Namen nennen. Wenn Sie an der Wahrheit meiner Darlegungen zweifeln, bin ich bereit, dem Herrn Präsidenten des Bundestages die Unterlagen zu zeigen, auf daß er dem Hause bestätigen kann, daß ich korrekt zitiert habe.Wenn ich die Namen verschweige, dann verschanze ich mich nicht hinter den Art. 47 des Grundgesetzes. Es geht hier nicht darum, Journalisten zu benennen. Es geht überhaupt nicht darum, die Dinge in eine falsche Blickrichtung kommen zu lassen. Ich erhebe meinen Vorwurf nicht gegen einen einzigen
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Kühn
Journalisten. Ich weiß nicht — selbst bei denen, die die Nutznießer dieser Regierungspraktik sind —, ob sie sich in ihren übrigen Berichtsarbeiten daraufhin regierungsfreundlicher verhalten haben. Das kann in diesem oder jenem Falle vermutet werden. Aber ich würde es nicht für loyal halten, eine Vermutung in die Form einer Behauptung zu kleiden. Nicht um Journalisten geht es hier. Sie mögen samt und sonders — nehmen wir diesen wünschenswerten Fall für die Wirklichkeit — frei von Käuflichkeit sein. Nicht darum geht es.Mit aller Entschiedenheit erheben wir Protest gegen diese Methode der Regierung, die doch damit unverkennbar die Absicht verfolgt, mit finanziellem Köder an publizistisch wichtiger Stelle stehende Journalisten in ihr politisches Fahrwasser zu ziehen. Im Zeitalter der sich zunehmend erleichternden Manipulierbarkeit der Meinungsbildung durch die Besetzung zentraler Positionen in Presse und Funk ist diese Methode doppelt lebensgefährlich für die Demokratie.Ich werde heute nicht zu den privaten Parteitarnorganisationen sprechen, die aus öffentlichen Steuermitteln finanziert werden. Sie werden ja wohl ein Jahr vor der Wahl wieder wie Pilze aus dem Boden schießen. Neu hinzugekommen ist im Berichtsjahr Herrn Barzels „Rettet die Freiheit". Deshalb sei es mir gestattet, an dieser Stelle auch zu der Darstellung und Darbietung des Präsidenten dieses Komitees, des Herrn Barzel, ein Wort zu sagen. Der Herr Bundeskanzler soll in seiner bemerkenswerten Begabung für die Charakterisierung seiner Freunde gesagt haben, als das Komitee aufkam: Rettet den Barzel!
Nun, Herr Kollege Barzel hat sich revanchiert und den Versuch gemacht, Rettet den Bundeskanzler zu spielen. Im Schiller-Jahr sei es gestattet, zu zitieren: Mein Verzeichnis von Bösewichtern wird mit jedem Tag, den ich älter werde, kürzer, und mein Register von Toren mit jedem Tag länger. Denn es war keine intellektuelle Brillanzleistung, Herr Kollege Barzel, die Sie hier dargeboten haben.
Mit ,dem Ausweichen auf Nebenkriegsschauplätze, das Sie heute den ganzen Tag in dieser Debatte versucht haben, trifft man nicht den Kern der entscheidenden politischen Frage. Wenn die Demokratie — das war ein entscheidender Diskussionspunkt an diesem Nachmittag —in der Bundesrepublik von Ihnen durch Praktiken der Regierung und ihres Chefs, wie wir sie erlebt haben, gefährdet wird, dann macht man sie sturmreif nach außen. Die inneren Untergraber der demokratischen Sicherheit, diejenigen, die die demokratischen Fundamente in der Bundesrepublik durchlöchern, machen diese Bundesrepublik anfällig und sturmreif für diejenigen, die aus Pankow zu diesem Sturm ansetzen.
Hier ist wieder mit Unterstellungen gearbeitet w orden. Wir wollen uns gegenseitig —das waren die Darlegungen meines Kollegen Mommer, ich möchte sie wiederholen — nichts vorwerfen. Wenn sich bei einer Partei gelegentlich solche Erscheinungen zeigten, daß der eine oder andere erliegt, daß bei Ihnen oder auch einmal bei uns irgendwelche Agenten entlarvt werden, dann sollte gerade Herr Kollege Barzel mit Vorwürfen sehr vorsichtig sein, denn in allerunmittelbarster Tuchführung mit ihm stand als ein ganz besonders eifriger Apostel von „Rettet die Freiheit" Herr von Hanstein, der sich sogar das große Programm vorgenommen hatte, in Verbindung mit diesem Komitee gleichzeitig Moral, Christentum und Freiheit zu retten.Zu dem anstehenden Titel und zu unserem Antrag Umdruck 311 möchte ich folgendes sagen. Ich möchte Sie um nicht mehr als darum ersuchen, diesen Geheimfonds des Kanzlers der gleichen parlamentarischen Kontrolle zu unterstellen, wie wir sie beim Bundesnachrichtendienst haben. Es ist nicht einzusehen, daß ein Haushaltstitel, der nach dem Vorbericht des Haushaltsentwurfs und nach den Erläuterungen des Titels der Information der Öffentlichkeit dient, beispielsweise der Information des Auslandes, vom deutschen Standpunkt her — der nicht nur der Regierungsstandpunkt ist —, nicht mindestens doch der gleichen Kontrolle unterworfen werden kann wie jener Titel, aus dem V-Leute und Nachrichtendienste finanziert werden und wobei um es um Leben und Freiheit von vielen Menschen geht.
Warum will man diesen Haushaltstitel, der so harmlos firmiert ist und über den uns von der Regierungsbank immer wieder erklärt wird, daß er nur harmlosen Zwecken diene, nicht einer parlamentarischen Kontrolle unterwerfen? Wenn Sie diesem unserem Begehr nicht folgen, das fürwahr bescheiden ist, werden Sie damit bestätigen, daß dieser Fonds ein geheim manipulierter Reptilienfonds im Dienste Ihres Parteikanzlers bleiben soll. Herr Dr. Adenauer wird diesen Vorwurf mit idem dicken Fell zu tragen wissen, das er in der zweiten Lesung hier als Requisit seiner politischen Laufbahn gerühmt hat. Sie haben darüber zu entscheiden, ob Sie solche Methoden weiter tolerieren, decken und unterstützen wollen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst den anderen Antrag Umdruck 324 begründen lassen und dann über beide Anträge die Diskussion eröffnen. Wer begründet den Antrag? — Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Kühn, der sich mit dem Titel 300 befaßt hat, habe ich nun unserem Antrag, der Ihnen in Umdruck 324 vorliegt, zu begründen. Es handelt sich, wie gerade gesagt worden ist, um einen Geheimfonds, der dem Herrn Bundeskanzler mittelbar zur Verfügung steht.Nach der Diskussion des heutigen Nachmittags ist man versucht, bei dieser Gelegenheit wieder in die Generaldebatte von vorhin zurückzufallen; denn es steht ja alles im Raum, es wird ja alles angerührt, was vorhin um den Komplex „Bundeskanzler" hier
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Zoglmannausgeführt wurde. Aber ich möchte nicht in diesen Fehler verfallen.Ich kann es auch deshalb unterlassen, weil mir ein Kollege der CDU — ein sehr maßgeblicher Kollege — heute mittag gesagt hat: Gleichgültig, was heute nachmittag von der Opposition zu dem Komplex Adenauer auszuführen sein wird, es wird sich nichts darunter befinden, kein Argument, das nicht bereits innerhalb der CDU ebenfalls schon ausgesprochen wurde. — Das heißt also: Hier ist heute nachmittag ein Spiel mit etwas verdeckten Karten gespielt worden. Hier hat man nach außen hin so getan, als ob nichts passiert sei; effektiv aber hat man sich nach dieser Aussage des namhaften Kollegen von der CDU offenbar innerhalb der Fraktion mit diesen Dingen anders beschäftigt, als es hier anklang. Da also wenigstens Sie, meine Herren von der Mehrheitspartei, mit diesen Auffassungen vertraut sind, kann ich mir ihre weitere Behandlung schenken.Allerdings muß ich eines sagen: Wenn wir den Antrag stellen, den Fonds von 13 Millionen DM der Kontrolle des Hauses zu unterstellen, dann tun wir das in der klaren Erkenntnis, daß nicht einzusehen ist, weshalb ein Fonds, der dem Bundespresseamt und dem Bundeskanzleramt für Publikationszwecke zur Verfügung steht, anders zu behandeln sein soll als der Fonds, aus dem der Bundesnachrichtendienst gespeist wird. Niemandem können Sie klarmachen, daß man hier mit zweierlei Maß messen soll. Eher ist das Gegenteil anzunehmen. Eher wäre anzunehmen, daß der Fonds, mit dem Herr Gehlen ausgestattet ist, etwas sorgsamer behandelt wird als etwa der Fonds, den der Bundespressechef und das Bundeskanzleramt für Publikationszwecke zur Verfügung haben.Der Kollege Kühn hat sich vorhin sehr dezent über einen ihm bekanntgewordenen Fall, der sich mit den „Situationsanalysen" befaßt, geäußert. Nun hat der Kollege Kühn allerdings Veranlassung — nicht etwa, weil er befürchten müßte, soweit mir bekannt ist, daß ein ihm nahestehender Parteifreund etwa ebenfalls aus diesem Fonds Gelder bekommen hätte —, sich sehr dezent zu äußern. Ich möchte mich nicht so dezent äußern. Ich möchte eine ganz klare Frage stellen, und da folge ich ihm nicht ganz, wenn er sagt: wir sind alle frei von Fehlern. Ich meine jetzt die Journalisten; ich spreche auch als Journalist. So frei sind wir gar nicht. Die Journalisten sind so schwach wie alle andern Menschen auch. Man sollte sie nicht überfordern, und ich glaube, wir sind nahe daran, jemanden zu überfordern, wenn wir ihn beauftragen, bestimmte Arbeiten mit hoher Dotierung zu erstellen, und dann dieser Mann morgen oder übermorgen in einer Rundfunkanstalt oder mit Hilfe eines sonstigen Publikationsmittels plötzlich korrekt über den Auftraggeber von gestern berichten soll. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich, ob Sie diesen Menschen nicht überfordern! Wenn Sie ihn überfordern, dann fällt die Schuld auch auf Sie zurück, nicht nur auf den Mann, der vielleicht in einer solchen Form sündigt. Also deshalb: Kontrolle dieses Fonds!Ich darf in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Fall erwähnen. Mir ist bekanntgeworden, daß an der Saar aus einem ähnlichen Geheimfonds des Ministerpräsidenten ein Landtagspräsident, der im Zuge einer neuen Koalitionsbildung seinen Posten räumen mußte, um ihn für einen anderen freizugeben, monatelang weiterhin die Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit als Landtagspräsident bezog, also obwohl er seit Monaten nicht mehr Landtagspräsident war. Um solche Dinge zu verhindern, müssen wir hier klar die Kontrolle dieses Fonds verlangen. Im Vaterunser heißt es so schön: „Führe uns nicht in Versuchung". Die meisten kommen nämlich darin um. Deshalb bitten wir Sie um die Annahme unseres Antrags.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! In Anbetracht der vorgerückten Stunde ganz kurz! Ich bedanke mich bei Herrn Kühn für seine Anteilnahme an „Rettet den Barzel". Ich möchte nur zur Richtigstellung folgendes sagen: Es ist hier ein Mißverständnis vorhanden. Herr von Hanstein war Sekretär der Liga für Menschenrechte. Er war nicht Mitglied, nicht Funktionär, nicht irgendwie beteiligt an den Aktionen des Komitees „Rettet die Freiheit".
Sie, Herr Kollege Kühn und auch Herr Kollege Zoglmann, haben angedeutet, zwar nicht wörtlich, aber dem Sinn nach, daß hier irgendwelche Machenschaften mit Journalisten passiert seien. Die erste Verlautbarung in der sozialdemokratischen Presse dazu behauptete, daß Staatssekretär Globke finstere Honorare für nichtjournalistische Tätigkeit verausgabt habe. Wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Kollege Kühn — Sie haben es sehr verschlüsselt vorgetragen —, haben Sie heute gesagt, der Staatssekretär von Eckardt sei hier zuständig. Ich möchte nachdrücklich, in aller Schlichtheit, aber auch mit aller Deutlichkeit diese Behauptung bestreiten. Hier kann nicht nur der Mund gespitzt, sondern hier muß gepfiffen werden, sonst ist diese Behauptung eine Verleumdung aller Bonner Journalisten.
— Herr Kollege Erler, darf ich vielleicht weitermachen.
Die Anträge der SPD und der FDP auf den Umdrucken 311 und 324 betreffen beide den Tit. 300. Das Problem ist bekannt. Es ist hier im Hause schon oft erörtert worden. Die Argumente meiner Fraktion und der Regierung sind bekannt.
Wir sehen uns nicht imstande, der Offenlegung oder gar der Kürzung dieser Mittel zuzustimmen, erstens weil die Politik der Opposition zur Zeit die Gemeinsamkeit mit uns in wesentlichen Fragen ab-
Dr. Barzel
lehnt und zweitens weil diese Mittel ihrer Natur nach vertraulich behandelt werden müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin über die Darlegungen des Herrn Kollegen Barzel einigermaßen überrascht. Wir haben im Haushaltsausschuß über die Frage der Offenlegung und der Kontrolle in aller Sachlichkeit gesprochen. Es hat eigentlich auch bei den Regierungsparteien nicht an dem guten Willen gefehlt, den Versuch zu machen, hier eine gemeinsame Basis zu finden; denn wir waren uns alle darüber klar, daß eine solche Angelegenheit auch für die jeweilige Regierungspartei eine gewisse Belastung ist und daß es nur gut sein kann, wenn man einem kleinen Gremium das Recht einräumt, die Dinge bis zu einem gewissen Grade zu kontrollieren. Wir sind sogar so weit gegangen, daß wir die bei einigen anderen Geheimfonds übliche Kontrolle noch unterschreiten und das Gremium noch kleiner halten wollten. Wir haben teilweise sogar vorgeschlagen, es auf eine Person zu begrenzen. Man wollte einen Kompromiß finden.
Wir sind hierhergekommen und haben geglaubt, daß sich in dieser Debatte eine letzte Chance ergeben werde. Wir sind so weit gegangen, in der zweiten Lesung über diese Frage überhaupt nicht zu reden. Jetzt kommt Herr Kollege Barzel hierher und redet, als wenn alle Verhandlungen im Haushaltsausschuß nicht stattgefunden hätten. Er sagt, solange es keine gemeinsame Grundlage mit der Opposition gebe, sei man nicht bereit, das kontrollieren zu lassen. Ich will Ihnen in aller Freundschaft etwas sagen, Herr Barzel. Sie sagen uns, daß es keine gemeinsame Grundlage zwischen der Regierung und der Opposition gebe. Ich hoffe, daß das nicht die Meinung der CDU ist. Die Meinung der SPD ist das auf keinen Fall. Es gibt noch eine ganze Reihe von gemeinsamen Grundlagen; das lassen wir uns auch nicht von Ihnen abstreiten.
Herr Barzel, ob Herr Döring heute eine gute oder eine schlechte Rede gehalten hat, will ich gar nicht untersuchen; aber er hat ein sehr ernstes Problem der jungen Generation angedeutet. Ich habe sehr oft mit jüngeren Kollegen Ihrer Fraktion darüber diskutiert, ob man nicht in diesem Hause einen Stil einführen könnte, der zur allgemeinen Niveauhebung beitragen würde. Ich bedauere feststellen zu müssen, daß gerade von Ihnen als einem jüngeren Menschen und noch einem anderen hier ein Stil praktiziert wird, der alles andere als eine Hoffnung für die Zukunft zuläßt, der so schlecht ist, daß er wirklich die letzte Grundlage einer gemeinsamen Plattform, die vorhanden ist — wovon ich nicht abgehe —, gefährdet. Wenn in keinem Punkt mehr eine gemeinsame Politik vorhanden wäre, brauchten wir nicht mehr in dieses Haus zu gehen; dann sollten wir uns auf der Straße herumschlagen, uns aber nicht Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat hierhersetzen und um Lösungen ringen. So geht es nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine ganz kurze Feststellung treffen. Zunächst zweifle ich, daran, ob der Herr Kollege Barzel wirklich im Auftrag seiner Fraktion gesprochen hat; denn in den Beratungen des Haushaltsausschusses und anschließend sind Stimmen aus Ihrer Fraktion lautgeworden, die zu einer gewissen Hoffnung auf eine wünschenswerte Entgiftung der Atmosphäre in dieser Frage berechtigten. Ich stelle aus dem Protokoll des Haushaltsausschusses vom 5. Februar 1959 fest, daß der Herr Staatssekretär von Eckardt in dieser Sitzung des Ausschusses erklärt hat, die aus dem Titel getätigten Ausgaben bedürften sicher nur zu einem Teil der Geheimhaltung.
Ich stelle fest, daß einer Ihrer Koalitionskollegen, Herr Dr. Schild von der Deutschen Partei, das gleiche Verlangen aussprach, dem wir im Haushaltsausschuß Ausdruck gaben, und daß Herr Lenz von der FDP ebenfalls einer Entgiftung der Atmosphäre und einer solchen Vereinbarung über eine Aufteilung dieses Titels sowie einer gewissen Kontrolle das Wort redete.
Ich stelle schließlich fest, daß Herr Dr. Aigner als Berichterstatter den Antrag stellte, den Titel zu genehmigen, aber in einem Fünfer-Ausschuß, zu dem jede Fraktion einen Vertreter benennt, zu erörtern, inwieweit durch eine interfraktionelle Vereinbarung eine Aussprache im Plenum vermeidbar ist.
Ich schließe mit der Feststellung, daß Herr Dr. Vogel wiederholt mit mir gesprochen hat und daß der von Herrn Kollegen Kühn zu Eingang erwähnte Vorschlag gemacht wurde — nicht für dieses, sondern für das nächste Jahr —, eine Teilung des Titels in Aussicht zu nehmen. Auf meine Frage: „Wie etwa?" wurde gesagt, die Hälfte könne man öffentlich ausweisen, das andere als Geheimtitel behandeln. Da hätte dann doch die Möglichkeit der Verständigung über die Kontrolle durch einen kleinen Unterausschuß des Haushaltsausschusses oder des Rechnungsprüfungsausschusses oder wie sonst immer bestanden.
Die radikale Absage, Herr Kollege Barzel, in bezug auf eine Verständigungsmöglichkeit macht die Dinge wirklich schlimm. Ich kann nur meinem tiefen Bedauern über diese Sturheit in der Behandlung eines derart wichtigen Problems Ausdruck geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Worte, die hier
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Dr. Vogelüber diesen Titel gefallen sind, zwingen mich zu einer kurzen Feststellung. Es ist richtig, was der Kollege Ritzel sagte. Wir haben wiederholt über diesen Titel gesprochen. Auch das, was aus dem Protokoll des Haushaltsausschusses verlesen worden ist, ist wahr und ist richtig. Aber, Herr Kollege Ritzel, ich darf Sie, da Sie nun Namen und alles offen genannt haben, daran erinnern, daß ich es selbst war, der Ihnen — ich konnte es nicht anders tun; es war auch nicht mein Geschäft, und ich tue so etwas ungern, denn ich bin ja nicht die Regierung — im Auftrage des Staatssekretärs von Ekkardt, der damals nicht mehr hier sein konnte, gesagt hat, was hier zu erklären die Absicht der Regierung war. Die Voraussetzung dafür war allerdings — und das wissen Sie genauso gut wie ich —, daß eine Debatte, wenn die Regierung das erklärt hätte, hier nicht mehr stattfinden würde. Sie selber haben mir aber dann gesagt, daß sich Ihre Fraktion nicht in der Lage gesehen habe, einen solchen Kompromiß anzunehmen, weil er unzureichend erschienen sei.
Das ist der Stand der Dinge. Daraufhin hat Kollege Kühn nun dazu gesprochen. Ich will mich dazu nicht näher äußern. Aber ich weiß nicht, ob es gut war, daß man in dieser Form dazu Stellung genommen hat. Ich bin nicht die Regierung. Ich muß es der Regierung überlassen, in welcher Form sie im nächsten Haushaltsjahr mit diesem Titel zu verfahren gedenkt.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Der Herr Kollege Barzel hat gemeint, es sollten nicht nur die Lippen gespitzt werden, sondern hier müsse gepfiffen werden. So wollen wir denn auch zitieren. Dabei verstehe ich nicht recht, woher der Herr Kollege Barzel die Weisheit nehmen will, hier erzählen zu können, daß die von mir gemachten Angaben nicht stimmten und eine Verleumdung seien. Ich wäre ihm bei diesem seinem Wissen sehr dankbar, wenn er mir sagen könnte, aus welchem Titel dann die Aktivitäten finanziert worden sind, die ich Ihnen jetzt zitieren werde. Ich werde die Unterlagen, die ich hier habe, dem Herrn Präsidenten des Bundestages zur Verfügung stellen.
Ich habe zunächst einen Brief vom 26. Januar, in dem ein Korrespondent im Wortlaut zugibt, daß er politische Situationsanalysen für die Bundesregierung gegen Bezahlung abfaßt.
Ich habe dann einen Brief eines Verlegers hier, der mir von jemandem — ich werde den Betroffenen Herrn X nennen — schreibt:
Herr X hat mir am soundsovielten Mai einen Brief geschrieben, in dem er mitteilt, daß er die Ausarbeitung der Analysen mit sofortiger Wirkung eingestellt habe, obgleich dadurch wertvolles Informationsmaterial entfalle. Herr X bezieht sich auf die Mitteilung der Pressestelle der SPD-Fraktion und erklärt ausdrücklich, daß die in der Mitteilung erwähnten Honorare in
keiner Weise den Tatsachen entsprächen. Ich mache seinem Wunsch entsprechend in diesem Brief Sie, sehr verehrter Herr Kühn, mit dieser Tatsache bekannt.
Das bedeutet, daß hier zugegeben wird, daß erstens sogenannte Situationsanalysen für die Bundesregierung von Journalisten angefertigt werden. Ich möchte gern wissen, und das Haus möchte es wahrscheinlich gern wissen, aus welchem Etattitel die Finanzierung erfolgt, welcher Art diese Analysen sind und was es damit für eine Bewandtnis hat.
Aus dem Wortlaut, den ich Ihnen verlesen habe, geht noch etwas anderes hervor, was ich unter einem zweiten Gesichtspunkt ebenfalls nicht für tolerabel halte. Erstens ist hier ganz offensichtlich mit Hilfe irgendeines Haushaltstitels — für uns ist es ganz unzweifelhaft der Tit. 300 — der Versuch gemacht worden, Journalisten in ihrer übrigen Berichterstattung in das Fahrwasser der Regierung zu bringen. Zweitens wird diesen Journalisten außer dem Honorar offensichtlich auch noch Einsicht in spezielles Informationsmaterial gewährt, das die anderen Journalisten nicht bekommen. Denn aus dem Text des Briefs geht hervor, daß durch die Einstellung dieser Arbeiten für die Bundesregierung der betreffende Journalist nun leider nicht mehr die Kenntnis von dem besonderen Informationsmaterial erlangt, das wiederum für die Zeitung interessant ist. Hier ist ein doppelter Prozeß der Beeinflussung. Hier werden Journalisten unter die Beeinflussung des Honorars und Zeitungen unter die Beeinflussung gestellt, daß ihnen auf diesem Wege besonderes Material zugeht, das die anderen nicht bekommen.
Wir möchten wissen, aus welchem Titel dies geschieht, und wir wünschen auch, daß dies künftig verhindert wird; wir wünschen, daß dieser Geheimtitel einer Kontrolle unterworfen wird. Die Erklärungen, die wir von allen Herren, die seitens der Regierungsfraktion hier dazu gesprochen haben, gehört haben, beweisen für mich nichts anderes, als daß all die Unterhaltungen, die Sie in den hinter uns liegenden Wochen im Haushaltsausschuß geführt haben, allein mit dem Ziel geführt worden sind, uns, sagen wir es einmal sehr volkstümlich, an der Nase herumzuführen, über diesen Titel nicht mehr zu reden, auf daß Sie ihn unkontrolliert weiter für Ihre sehr dubiosen Zwecke zur Verfügung haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einen Satz zu Herrn Kollegen Dr. Vogel. Er war der Meinung, daß man abwarten müsse, was nun die Bundesregierung im nächsten Jahr für Absichten mit diesem Titel habe. Damit werden die Gewichte völlig verschoben. Der Haushaltsplan wird zwar von der Bundesregierung vorgelegt, aber beschlossen wird er vom Parlament. Schon die Art, daß Sie sagen: „Jetzt wollen wir mal warten, wie die Regierung dazu Stellung nehmen
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Erlerwird", zeigt doch, daß Sie sich offenbar der Bedeutung der Entscheidung, die wir hier zu fällen haben, nicht ganz bewußt sind. Die Regierung darf nur das Geld ausgeben, das wir ihr bewilligen, und sie darf es nur unter den Bedingungen ausgeben, die wir ihr stellen, aber doch nicht umgekehrt! Das Parlament ist doch kein Vollzugsorgan der Regierung. Das zeigt sich auch bei dieser Stelle. Sie müssen entscheiden, hier und heute.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge. Wir stimmen in folgender Reihenfolge ab: Zunächst Umdruck 324 Ziffer 1; dann Umdruck 311 — dieser Antrag geht weiter als der Antrag Umdruck 324 Ziffer 2 —; dann Umdruck 324 Ziffer 2. Besteht kein Mißverständnis?
Dann rufe ich auf Antrag Umdruck 324 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Antrag Umdruck 311. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Mit derselben Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Antrag Umdruck 324 Ziffer 2. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über Einzelplan 04. Wer diesem Einzelplan im ganzen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 04 ist angenommen.
Ich rufe auf Einzelplan 05:
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Dazu liegen eine Reihe von Entschließungsanträgen vor: Umdruck 304, Umdruck 328 und Umdruck 344. Wünscht das Haus zunächst eine allgemeine Aussprache? — Das Wort zur allgemeinen Aussprache über Einzelplan 05 hat der Abgeordnete Meyer [Frankfurt].
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen wohl alle darin überein, daß dem Auswärtigen Amt niemals schwerere Aufgaben gestellt waren als in der Gegenwart. Daher wünschen wir ihm für seine Arbeit auch die vorzüglichste Organisation. Leider ist diese aber in mancher Hinsicht, wie mir scheint, noch nicht völlig so, wie sie sein sollte. Ich möchte einige sachliche Korrekturen zur Erwägung stellen.Mir liegt zunächst daran, auszusprechen, daß mir unsere Auslandsvertretungen in Asien und besonders in Südostasien weit unterbesetzt erscheinen. Der bedeutende britische Historiker Geoffrey Barraclough, den ich in diesem Zusammenhang bemühen möchte, spricht von drei großen Revolutionen unserer Zeit: von der Revolution des Kommunismus, von der Revolution der atomaren Entwicklungen und drittens von der Revolution, die durch das Freiwerden der bisher unfreien Völker in Asien und Afrika entstanden ist. Die dritte Revolution bezeichnet er als die bei weitem größte. Dieser überragenden Tatsache wird die Personalbesetzung unserer dortigen Auslandsvertretungen aber noch nicht gerecht.Das zahlenmäßige äußere Bild täuscht namentlich dann, wenn wir berücksichtigen, daß aus klimatischen Gründen ungefähr ein Viertel des Personals, manchmal ein Drittel, vom Tätigkeitsort abwesend zu sein pflegt. Das hängt auch damit zusammen, daß zur Erhaltung der Gesundheit unsere Beamten alle zwei Jahre einen fünf- bis sechsmonatigen Heimaturlaub erhalten. Ich glaube, in dieser betrüblichen Sachlage könnte ohne große Mehrkosten eine Besserung erzielt werden. Die Zentrale des Auswärtigen Amts verdient doch vielleicht eine Verkleinerung zugunsten der Auslandsvertretungen in den tropischen Ländern. Auch erscheint mir, so sehr ich gerade dem Personal in dem schwierigen Klima den Urlaub von ganzem Herzen gönne, eine subtilere Urlaubsordnung am Platze, differenziert — was bisher nicht der Fall ist — nach Alter, Ehestand, Vorhandensein von Kindern, Länge des Gesamttropendienstes und dergleichen. Sehr viel wäre hierdurch gewonnen. Ferner käme in Frage, für einen Heimaturlauber grundsätzlich aus der Zentrale einen Vertreter zu entsenden, was durchaus beiden, der Zentrale wie dem Gefüge der Auslandsvertretungen, zum Nutzen gereichen könnte. Jedenfalls: so wie bislang darf es aus politischen wie wirtschaftlichen und kulturellen Gründen in Ländern von höchstem aktuellen und noch größerem potentiellen Interesse nicht verbleiben.Wir sind auch beunruhigt über den häufigen Wechsel in der Leitung der Personalabteilung des Auswärtigen Amts. Sofern irgendwo, muß gerade bei der Personalabteilung des Auswärtigen Amts eine gewisse Stetigkeit herrschen, wenn sie ihre Aufgaben voll und ganz erfüllen soll. Ihr Leiter muß bereit sein — und ich möchte das Auswärtige Amt bitten, darauf hinzuwirken —, mindestens fünf bis sechs Jahre auf seinem Posten auszuharren.Lassen Sie mich noch kurz auf etwas anderes hinweisen. In der Verwaltungspolitik des Auswärtigen Amts besteht die Tendenz zum sogenannten „allroundman", zu einem Mann, der überall und für alles im Ausland verwendbar sein soll. Nun wird gewiß ein solcher Mann lediglich an kleineren Auslandsbehörden benötigt werden, nicht weil man ihm ein Wunderwissen zutrauen könnte, sondern weil er bei dem knappen Personal tatsächlich in mehreren Sparten erfahren sein muß. Aber an sich, so glaube ich, muß ein moderner Auslandsdienst nur einen kleinen Kern an politischem Personal besitzen, der dann umgeben wird von einer größeren Reihe von Spezialisten, also von Wirtschafts-, Kultur-, Sozial-, Agrar-, Pressespezialisten und dergleichen. Diese sollten dann aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bleiben, was sie sind, also Spezialisten, gewiß unter sonstiger gehaltsmäßiger und beförderungsmäßiger Gleichstellung mit den Beamten; aber man sollte nicht dahin tendieren, sie in
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Dr. Meyer
den eigentlichen diplomatischen Dienst zu übernehmen. Sie waren ja seinerzeit auf Grund ihrer Spezialwissenschaft ausgesucht worden und nicht für den eigentlichen diplomatisch-konsularischen Dienst. Der Mann für alles, der „allroundman" sollte in der Praxis nicht zur Regel werden, etwa infolge Überschätzung der an sich sehr begrüßenswerten Ausbildung, die den Attachés im Auswärtigen Amt selbst zuteil wird. Ich glaube, wir können insoweit namentlich vom britischen auswärtigen Dienst sehr viel lernen, der, im Unterschied zu uns, in sehr vernünftiger Weise auf vorzüglichem Spezialistentum aufbaut. Es handelt sich hierbei um ein sehr wichtiges Problem, und meine Bemerkungen entspringen dem dringenden Wunsch, das Auswärtige Amt in seiner Arbeit und in seiner Modernisierung zu stärken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege, daß ich Ihre wertvollen Ausführungen unterbreche. Aber ich möchte Sie fragen, ob sie wirklich der Meinung sind, daß diese Ausführungen in beinahe demonstrativer Abwesenheit des Herrn Bundesministers des Auswärtigen und sogar seines Staatssekretärs hier noch gemacht werden sollten?
Das ist mir bisher nicht aufgefallen. Ich bin natürlich traurig darüber, daß der Herr Bundesaußenminister bei der Behandlung seines Etats nicht anwesend ist, zumal er in der Stadt zu sein scheint. Aber vielleicht bekomme ich irgendeine Aufklärung.
— Er ist wieder nach Genf abgereist.
- Der Staatssekretär wird geholt. Es fragt sich, ob ich unter diesen Umständen meine Ausführungen unterbrechen soll oder ob Sie, Herr Präsident, es vorziehen, daß ich sie fortsetze.
- Es fragt sich, wie lange es dauern wird, bis der Herr Staatssekretär erscheint.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen das Wort erteilt. Ob Sie von der Worterteilung weiter Gebrauch machen wollen oder nicht, liegt bei Ihnen.
Ich ziehe es aus sachlichen, nicht aus persönlichen, Gründen natürlich vor, meine Ausführungen in Anwesenheit eines maßgeblichen Vertreters des Auswärtigen Amts zu machen.
Ich darf dann also hier abbrechen.
Wird weiter das Wort gewünscht? —
Ich kann den Abgeordneten Meyer verstehen. Man kann nicht gut den Etat eines Ministeriums in Abwesenheit des Ministers und seines Staatssekretärs diskutieren.
Mir liegt daran, das ausdrücklich festzustellen; denn ich finde, daß damit dem Parlament wenig Achtung erwiesen wird.
Ich habe zur allgemeinen Aussprache aufgerufen.
— Bitte, Herr Abgeordneter Erler.
Dann möchte ich nur den Antrag stellen, daß wir die Beratung des Einzelplans 05 so lange aussetzen, bis die Regierungsbank für diesen Punkt wieder besetzt ist, und inzwischen einen anderen Einzelplan behandeln.
Ist das Haus mit dem Antrag des Abgeordneten Erler einverstanden?
— Ich darf Sie dann bitten, jetzt nicht den Einzelplan 06, sondern die Einzelpläne 07 bzw. 10 vorzunehmen.
Ich rufe auf den Einzelplan 10, Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
— Meine Damen und Herren, ich verstehe wirklich kein Wort. — Herr Abgeordneter Ritzel!
Ich möchte vorschlagen, daß der Herr Präsident feststellt, welches Ministerium hier noch vertreten ist und welche Einzelpläne heute abend wirklich noch sinnvoll abgehandelt werden können. Meiner Meinung nach kommt, da der Herr Innenminister nicht da ist, der Einzelplan 06 nicht in Frage. Das Justizministerium ist anscheinend auch nicht vertreten. Der Einzelplan 08, das Bundesministerium der Finanzen, könnte vielleicht in Frage kommen. Der Einzelplan 09 kommt wohl nicht in Frage, ebenso nicht der Einzelplan 10. Auch der Einzelplan 11 kommt wohl nicht in Betracht. Zu
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RitzelEinzelplan 12 ist noch einiges zu sagen. Vielleicht kann das noch erörtert werden.
Ist das Haus damit einverstanden, daß ich jetzt den Einzelplan 12 aufrufe?
— Dann rufe ich auf Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht ganz leicht, den Glauben daran aufzubringen, daß angesichts dieser Atmosphäre noch eine sachliche Diskussion erreicht und gesichert werden kann. Aber den Versuch dazu können wir ja machen.Meine Fraktion legt Ihnen zwei Anträge vor. Ich will keine allgemeinen Erörterungen mehr beginnen, sondern mich an die vorgesehene Regelung halten. Ich verweise auf die beiden Anträge auf Umdruck 316 und Umdruck 317. In dem Antrag auf Umdruck 316 bittet meine Fraktion:Der Bundestag wolle beschließen:Die Bundesregierung wird ersucht, die Leistungen der Baulastträger durch eine Vereinbarung mit den Ländern — und diese durch eine Vereinbarung mit den Gemeinden und Kreisen — für die Dauer eines mindestens vierjährigen Zeitraumes, beginnend ab Rechnungsjahr 1960, in einem „Gesamtplan des deutschen Straßenbaues" zusammenzufassen.Das Hohe Haus hat wiederholt sowohl aus den eigenen Reihen als auch aus den Darlegungen des Herrn Bundesverkehrsministers die Größenordnung der Belastung des Bundes durch die Bundesstraßen und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen erfahren. Sie hat auch in der Presse gestanden; ich will die Zahl nicht wiederholen. Wir kennen auch die Größenordnung der Belastung der Länder durch die Landstraßen erster Ordnung und den Riesenumfang der Belastung, die den Kreisen und Gemeinden durch die Verpflichtung erwächst, die Kommunalstraßen zu bauen und zu unterhalten.Der Bundestag hat vor Jahren einem Antrag der Sozialdemokraten nicht zugestimmt, einen Zehnjahresplan für das Straßenwesen in der Bundesrepublik zu schaffen. Er hat statt dessen für den Bund einen Vierjahresplan geschaffen. In den Vorbereitungen in dem sogenannten Höcherl-Ausschuß ist davon die Rede, daß Wege gesucht und gefunden werden sollen, den Gemeinden zu helfen. Das Ausmaß dieser Hilfe ist jedoch sehr bescheiden. Wir sind der Überzeugung, daß die Verkehrsnot in den Städten und die erbärmliche Situation in zahlreichen Landgemeinden in bezug auf den Durchgangsverkehr eine Planung nicht nur für den Bund, sondern eine Gesamtplanung für Bund, Länder und Gemeinden in gegenseitiger Abstimmung dringend erforderlich machen. Was wir in einer ganzen Anzahl deutscher Großstädte schon in der nächsten Zeit erleben werden und was zum Teil schon heute traurige Tatsache ist, ist eine derartige Misere — ich denke an die ständigen Verkehrsstockungen —, daß die Notwendigkeit eines solchen Gesamtplanes für den deutschen Straßenbau nicht verneint werden kann.Ich weiß, daß durch die Bemühungen des Bundesverkehrsministers bereits eine Entwicklung angebahnt ist, die dazu führen soll, daß Landstraßen erster Ordnung zu Bundesstraßen und daß Kreis- und Gemeindestraßen zu Landstraßen erster Ordnung werden, die dann auch von den Ländern betreut werden sollen. Aber das allein genügt nicht. Wir müssen hier systematisch und planvoll vorgehen. Das ist das Anliegen, welches wir mit unserem Antrag auf Umdruck 316 verfolgen.Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich gleich auch den Antrag auf Umdruck 317 begründen. Wir haben, davon ist heute schon gesprochen worden, seit einiger Zeit im Haushalt eine sogenannte Verkehrssünderkartei zu finanzieren. Für diese Verkehrssünderkartei sind auch in diesem Jahr erhebliche Personalanforderungen gestellt worden. Die Tendenz, die dieser Kartei innewohnt, geht ohne jeden Zweifel dahin, daß sie sich zu einer Riesenbürokratie auszuwachsen droht. Die Gerichte haben bei der Feststellung von Verkehrsdelikten von dieser Verkehrssünderkartei bei weitem nicht den damals erhofften Gebrauch gemacht. In Fachkreisen — und zwar denke ich da einmal nicht an die Verkehrsleute draußen auf der Straße oder an die Interessenten, sondern an Persönlichkeiten beispielsweise im Bereich der Verwaltung und des Bundesrechnungshofes — bestehen erhebliche Bedenken. Man ist der Meinung, wir sollten die Methoden der Verkehrssünderkartei und ihre Aufwendungen kontrollieren. Dies ist vom Standpunkt einer sorgsamen Finanzpolitik aus eine Notwendigkeit.Aber noch mehr! Wenn wir die Dinge kritisch betrachten und wenn wir sehen, was auf diesem Gebiete in anderen Ländern geschieht, welche Methoden dort angewandt werden, erkennen wir, daß eine ganz erhebliche Verbilligung möglich ist.Wir haben davon abgesehen, hier nun einen abrupt zu verabschiedenden Antrag zu stellen. Wir wünschen vielmehr — und ich hoffe sehr, daß das Hohe Haus diesem Vorschlag zustimmen wird —, daß die Bundesregierung beauftragt wird, in europäischen und außereuropäischen Ländern mit stark motorisiertem Straßenverkehr die dortigen Methoden der Kontrolle der sogenannten Verkehrssünder festzustellen und das Ergebnis dieser Feststellungen bis zum 31. Oktober 1959 dem Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen und dem Haushaltsausschuß des Bundestages vorzulegen mit dem Ziel, die ständig steigenden Aufwendungen für die Verkehrssünderkartei zu verringern. Wenn dieser Antrag Annahme findet, haben wir die Möglichkeit, rechtzeitig
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Ritzelzum Haushaltsplan des nächsten Jahres einen neuen Entschluß zu fassen und, wie ich glaube, eine Verständigung mit den Ländern hinsichtlich der Kostenfrage anzustreben. Hier liegt ein Tatbestand vor, der zu einer solchen Maßnahme durchaus berechtigt.
Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Kollege Ritzel, wir würden dem Antrag zustimmen, wenn Sie sich dazu bereit erklärten, das Datum des 31. Oktober in 1. Dezember zu ändern.
Ich glaube, dagegen gibt es kein Bedenken. Ich kann dem durchaus zustimmen.
Ich bitte also das Hohe Haus, in diesem Sinne die Möglichkeit der Nachprüfung einer etwas übereilten Beschlußfassung zu erlauben.
Das Wort hat der Herr Bundesverkehrsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich zu dem Antrag Umdruck 316, den der Herr Kollege Ritzel soeben begründet hat, Stellung nehmen.So begrüßenswert es wäre, daß der finanzielle Aufwand für die Straßen von allen Baulastträgern in der Bundesrepublik zugleich für vier Jahre veranschlagt und festgestellt würde, scheint doch im Augenblick eine solche gemeinsame Planung, ja nur eine zentrale Zusammenfassung aller Einzelpläne, nicht durchführbar zu sein, weil dazu ein neuer großer Apparat erforderlich wäre.Dem Bundesminister für Verkehr fehlt die gesetzliche Grundlage, um alle anderen Gebietskörperschaften etwa zu veranlassen, eine Planungsgemeinschaft zu bilden, für die zunächst noch Richtlinien entworfen werden müßten, die die technischen Ziele abgrenzen und das Verfahren zu regeln haben. Um den Finanzbedarf von 24 000 Gemeinden, 425 Landkreisen, 9 Ländern und dem Bund, nach verschiedenen Verwendungszwecken und Gesichtspunkten gegliedert, zu ermitteln, müßten diese ihn für jedes einzelne Objekt mit den errechneten Durchschnittswerten, technischen Angaben und mit Begründung an ein zentrales Büro mitteilen.Allein die Aufstellung des Ausbauplans und die Ausarbeitung eines Vierjahresprogramms für die Bundesfernstraßen unter Einschaltung der Auftragsverwaltung der Länder hat bis zum Abschluß umfangreicher Zusammenstellungen je mehrere Monate an Zeit erfordert. Wenn vom Statistischen Bundesamt die endgültig feststehenden, nicht erst zu planenden Ausgabenziffern eines Rechnungsjahres aller Gebietskörperschaften zusammengestellt werden, bedarf es dazu einschließlich der Nachprüfung der richtigen Titeleinordnung ein Jahr bis zur vorläufigen und zwei Jahre bis zur endgültigen Zusammenstellung. Die Zusammenfassung von geplanten Leistungen ist weit mühsamer, da es sich zum größtenTeil um Zahlen handelt, die noch von Voraussetzungen abhängen, die erst geprüft und zum Teil gegenseitig abgestimmt werden müssen, ehe ihre Richtigkeit mit annähernder Gewißheit angenommen werden kann.Wenn auch der Bund nach monatelangen Bemühungen zusammen mit seinen Auftragsverwaltungen in den Ländern ein bis in die Einzelheiten gehendes Vierjahresprogramm erarbeitet hat, das jetzt vorgelegt werden kann, so haben bis jetzt doch noch nicht alle Länder und vor allem nicht die vielen Kreise und Gemeinden ähnliche Pläne erstellt, die wir zusammenstellen könnten. Leider fehlen uns die gesetzlichen Handhaben, sie zu der Aufstellung dieser Pläne zu bewegen.Wenn andererseits in Größenordnungen ein Gesamtüberblick über das notwendige Straßenbauvolumen in der Bundesrepublik geschaffen werden soll, so läßt sich, zumal selbst die beste Plänezusammenstellung aller einzelnen Gebietskörperschaften kaum einen anderen Zweck zu erfüllen vermag, aus der Ausgabenentwicklung ein solches Ergebnis mit nicht minderer Sicherheit wahrscheinlich ableiten. Diesem Verfahren wäre dann der Vorzug zu geben. Darüber hinaus aber sind wir der Auffassung, daß die Fragen, die hier in Verbindung mit dem Grundgesetz aufgeworfen werden, so schwerwiegend sind, daß wir bitten möchten, diesem Entschließungsantrag nicht zuzustimmen.Zu dem nächsten Antrag des Herrn Kollegen Ritzel darf ich darauf hinweisen, daß an eine Aufblähung der zentralen Verkehrssünderkartei keineswegs gedacht ist. Der Hinweis, daß die Aufwendungen für das Zentralregister stiegen, ist irreführend. Die vom Haushaltsausschuß leider abgelehnten Mehraufwendungen, die sich im Rahmen der ursprünglichen Planung halten, mußten angemeldet werden, weil die vom Gesetzgeber gewünschte Auswertung des Registers, für die im Jahr 1958 noch keine Mittel zur Verfügung gestellt werden konnten und auch noch nicht notwendig waren, erst anlief bzw. nunmehr in Angriff genommen werden muß.Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß in der Verkehrssicherheitskonferenz, an der die Verkehrs-, Innen-, Justiz- und auch die Finanzminister der Länder teilgenommen haben, eine Entschließung gefaßt worden ist, deren letzter Absatz lautet:Die Konferenz hält es ferner für dringend erforderlich, dem Kraftfahrt-Bundesamt die für die zentrale Auswertung der Kartei notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, weil andernfalls die vom Gesetzgeber vorgesehene Aufgabe nicht erfüllt werden kann, die Unfallursachen zu erforschen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse für Maßnahmen der Gesetzgebung, Verwaltung und Verkehrserziehung nutzbar zu machen.Das alles wird uns keineswegs hindern, entsprechende Untersuchungen über Fragen, die der Herr Kollege Ritzel zu untersuchen vorschlägt, durchzuführen. Wir haben sogar, Herr Kollege Ritzel, auf Ihre Anregung hin damit schon begonnen. Wir
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Dr.-Ing. Seebohmfürchten nur, daß es nicht möglich ist, einen umfassenden Überblick in der von Ihnen zugestandenen Zeit zu geben. Wir werden uns aber nachdrücklich darum bemühen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, zu der Frage der Verkehrssünderkartei noch ein Wort zu sagen. Nach der Vereinbarung mit den Herren von der CDU und nach den Erklärungen des Herrn Bundesverkehrsministers ist der Weg wohl frei.
Aber ich muß doch mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, Herr Bundesverkehrsminister, daß Sie gegen unseren anderen Antrag auf Umdruck 316 betreffend den Gesamtplan des deutschen Straßenbaues in der Richtung Bedenken anmelden, daß Sie keine gesetzliche Möglichkeit hätten. Darf ich Sie ergebenst darauf aufmerksam machen, daß es in dem Antrag heißt:
Die Bundesregierung wird ersucht,
die Leistungen der Baulastträger durch eine Vereinbarung mit den Ländern .. zusammenzufassen.
Eine Vereinbarung ist etwas ganz anderes als ein Gesetz. Wir haben kein Gesetz gefordert. Wir kennen ebenso gut die Schwierigkeiten, die daraus entstehen, daß eben keine gesetzliche Regelung vorhanden ist. Auf der anderen Seite wissen wir — um zunächst einmal von einer Reihe von Kreisen zu sprechen —, daß in einer großen Anzahl deutscher Großstädte und auch von der Situation in den Ländern aus ein echtes Bedürfnis für einen Gesamtplan besteht.
Um auch hier den Weg zu einer Verständigung zu eröffnen, bitte ich Sie, den Antrag Umdruck 316 betreffend den Gesamtplan des deutschen Straßenbaues dem Verkehrsausschuß zu überweisen. Dann kann man sehen, was daraus wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Umdruck 329 nur wenige Sätze! Sie entnehmen aus dem Umdruck, worum es sich handelt. Als Abgeordneter der Küste kann ich es natürlich nicht unterlassen, auch zu später Stunde an die Bundesregierung zu appellieren, der Entwicklung der Seehäfen so wie in den vergangenen Jahren auch in Zukunft ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist bekannt, daß die deutschen Seehäfen gerade beim Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren eine ganz beachtliche Rolle gespielt haben und daß wir es uns allesamt in diesem Hause haben angelegen sein lassen, die deutsche Handelsflotte wieder auf einen Stand zu bringen, der den der Vorkriegstonnage weitaus übertrifft. Abgesehen davon ist die wirtschaftliche Verflechtung mit der gesamten übrigen. Welt inzwischen so stark geworden, daß die deutschen Häfen in erheblichem Umfange von Schiffen aller Nationen in Anspruch genommen werden.
Die Kriegsschäden in den deutschen Häfen sind keineswegs bereits ganz beseitigt. Die Wettbewerbsfähigkeit muß besonders deshalb weiterhin gesteigert werden, weil die zu erwartenden Auswirkungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft uns vor eine besonders harte Konkurrenz stellen werden. Hinzu kommt, daß die deutschen Nordseehäfen auch insofern in eine besonders schwierige Lage gekommen sind, als sie durch die Spaltung Deutschlands in eine Randlage geraten sind und als sie darüber hinaus mit Konkurrenzhäfen im Westen zu rechnen haben, die es sich bereits in den vergangenen Jahren besonders haben angelegen sein lassen, alles nur Erdenkliche zu tun, um den deutschen Häfen Konkurrenz zu machen.
Ich weise noch ausdrücklich darauf hin, daß es sich nicht etwa ausschließlich um den Ausbau der Häfen selbst handelt, sondern daß die Zuwegungen —sprich: Binnenwasserstraßen und die Verkehrswege, insbesondere die Bundesbahn —immer einen beachtlichen Anteil daran gehabt haben und auch in Zukunft haben werden, die Konkurrenzfähigkeit unserer norddeutschen Seehäfen sicherzustellen.
Ich bitte Sie daher, unserem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung nicht zu versagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion bitte ich, die Entschließungsanträge Umdrucke 327, 328 und 329 dem Verkehrsausschuß zu überweisen.
An und für sich enthalten die Entschließungsanträge, die von der Deutschen Partei vorgelegt worden sind, Selbstverständlichkeiten, da sowohl der Bundestag als auch die Bundesregierung sich seit langer Zeit um die Anliegen bemühen, die in diesen Entschließungsanträgen noch einmal zum Gegenstand von Beratungen gemacht werden.
Ich möchte mir nur eine einzige Bemerkung zu dem Antrag Umdruck 329 erlauben. Es handelt sich um den zweiten Absatz. Ich bin mit Herrn Kollegen Schneider der Meinung, daß unsere deutschen Seehäfen gerade angesichts der Konkurrenzsituation im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gefördert und zu schnellen Häfen ausgebaut werden müssen. Die Anliegen, die in dem genannten Absatz des Umdrucks 329 (neu) enthalten sind, beziehen sich aber in erster Linie auf Aufgaben, die den Hansestädten selbst zufallen, die sie auch bereits in Angriff genommen haben und die mit der Bundesbahn und den anderen Verkehrsträgern ausgehandelt werden müssen.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann, ich glaube, Sie haben sich geirrt. Sie nannten die Anträge Umdrucke 327, 328 und 329. Es gibt nur den Antrag Umdruck 329 .
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Vizepräsident Dr. SchmidWeiter gibt es einen Antrag Umdruck 317 und einenAntrag Umdruck 316. Welchen haben Sie gemeint?
Sie meinen offensichtlich nur den Antrag Umdruck 329 .
— Die gehören also zu anderen Einzelplänen.Das Wort hat Herr Abgeordneter Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es sich nur um den Antrag Umdruck 329 handelt. Die übrigen Anträge — die sich mit der Fischwirtschaft, den Werften und der Flaggendiskriminierung befassen — gehören nicht in den Etat des Bundesverkehrsministeriums. Es handelt sich also entgegen den Ausführungen meines Kollegen Müller-Hermann im Augenblick nur um den Antrag Umdruck 329 (neu) .
Seinem Antrag, der Überweisung an den Verkehrsausschuß zuzustimmen, vermag ich nicht zu folgen, weil in diesen Anträgen jetzt nur ganz generell gefordert wird, daß die Bundesregierung weiter ihr Augenmerk auf diese Dinge richtet; es sind keinerlei finanzielle Verpflichtungen damit verbunden. Das Anliegen ist allgemein bekannt. Wir bitten nochmals, über diese Anträge schon jetzt abzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten sind von der Notwendigkeit überzeugt, daß für den Ausbau der Seehäfen und auch für die Zufahrtsstraßen etwas Besonderes getan werden muß. Wir sind aber der Meinung, daß wir über die Zusammenhänge im Ausschuß reden sollten. Ich plädiere für eine Ausschußüberweisung.
Das Wort hat der Abgeordnete Rademacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will nicht eine Generaldebatte neu beginnen, darf aber daran erinnern, daß wir uns in der zweiten Lesung wegen der für die Diskussion vorgesehenen kurzen Zeit vorbehalten haben, auf eine Reihe von Ausführungen der Diskussionsredner einzugehen, die meines Erachtens kurz widerlegt werden müssen.Der Herr Bundesverkehrsminister zum Beispiel hat gesagt, daß das nach unserer Ansicht schlechte Statut der Deutschen Bundesbahn unter meinem Vorsitz im Ausschuß für Verkehrswesen der ersten Legislaturperiode zustande gekommen sei. Darf ich ergebenst nochmals darauf hinweisen, daß wir in der ersten Lesung ein wesentlich besseres Statut zustande bekommen hatten. Da der Herr Bundesverkehrsminister auf diese Frage eingehen zu müssen meinte, muß ich leider auch in der Erinnerung etwas deutlicher werden. Es waren nämlich vier Männer — von denen einer heute pensioniert ist, ein anderer leider nicht mehr lebt, zwei allerdings sind noch in der Funktion —, die es damals für richtig hielten, das Ergebnis der ersten Lesung über den Haufen zu stoßen und ein Statut zu bringen, das die Bundesbahn in ihrem Bestreben, kaufmännisch zu arbeiten, in der weiteren Folge außerordentlich gehindert hat, weil sie nun sehr an die Bestimmungen und Führungsmaßnahmen der Bundesregierung gebunden war.Ich darf bei dieser Gelegenheit auch dem Herrn Abgeordneten Brück antworten. Herr Brück, niemals hat die Freie Demokratische Partei irgendwo gesagt, daß die Bezüge der Beamten, Arbeiter und Angestellten zu hoch seien. Das werden Sie nirgends finden können. Man kann auch nicht in einer Debatte so allgemein sagen: Na, man hört ja noch so einiges hier und da, — was dann die Aussagen einer Partei widerlegen soll. Ich möchte noch einmal ausdrücklich — auch für Ihre Organisation — darauf hinweisen, daß unsere Forderung auf Rationalisierung auch im Personellen am Ende einer ganzen Entwicklung stehen muß, wenn alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Ich hoffe, daß das nun Sie und auch die betreffenden Gewerkschaften endlich befriedigt.Zur Frage des Straßenbaues und des Straßenverkehrs möchte ich Herrn Dr. Vogel kurz antworten, der heute morgen gesagt hat, es gebe Leute, die die kleine Erhöhung von 2 oder 4 Pf ablehnten; die sollten sich doch damit zufriedengeben, daß die Mineralölgesellschaften die Preise jetzt wieder um anderthalb Pfennige gesenkt hätten. Herr Dr. Vogel, was ist das für eine merkwürdige Marktwirtschaft, wenn der Markt eine Ermäßigung zugesteht, die nebenbei nichts weiter bedeutet als eine Rückwärtsrevidierung von Preisen, die schon einmal vorhanden waren, und wenn der Staat dann diese Vorteile einer Marktwirtschaft wieder abschöpft!
— Herr Dr. Vogel, es handelt sich doch um das neue Straßenbaufinanzierungsgesetz. Da schöpft er doch nicht von den Gesellschaften ab, sondern er schöpft von den Transportnutzern ab, auch von den PkwFahrern.
— Na also, da sind wir uns hoffentlich einig in der Klarstellung der Begriffe. Darauf kommt es in erster Linie an.Was die Zweckbindung anlangt, so möchte ich noch einmal ausdrücklich erklären, daß sie für uns kein Dogma ist.
— Herr Müller-Hermann, Sie haben sich ja inzwischen vom Revolutionär ein wenig zum sanften Verkehrspolitiker entwickelt.
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4056 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959
RademacherIch weiß nicht, woher das kommt; aber das wird von gewisser Seite sicher mit großer Freude festgestellt. Früher einmal haben Sie etwas anders geredet.Wir sind der Meinung, die Situation auf den deutschen Straßen entspricht einem Notstand, und wenn der Staat bereit ist, die Mittel, die abgegeben werden — unter Abzug übrigens desjenigen, Herr Dr. Vogel, was für Verkehrspolizei usw. anfällt —, für den Straßenbau zu verwenden, soll es uns ganz gleich sein, wie das Ding heißt. Die Hauptsache ist, daß die Mittel, die vom Straßenverkehr bezahlt werden, nun auch für den Straßenbau verwendet werden. Daß wir dabei einen besonderen Ausgleich für die Gemeinden wünschen, haben wir wiederholt zum Ausdruck gebracht, und ich habe es noch einmal bei der Deutschen Straßenliga gesagt.Ich möchte also bei dieser Gelegenheit erklären, daß die Freie Demokratische Partei es schon jetzt ablehnt, irgendwelche Erhöhungen zu Lasten des Straßenverkehrs zu bewilligen.Nebenbei gesagt, wir befinden uns dabei in sehr guter Gesellschaft. Ich darf daran erinnern, daß der Präsident des Bundes der Steuerzahler Herr Dr. Wellhausen ist. Dr. Wellhausen ist gleichzeitig Präsident des Verwaltungsrates der Deutschen Bundesbahn. Ich meine, daß wir uns, wenn wir uns vergegenwärtigen, von wem jetzt diese Organisation geleitet wird, also in bester Gesellschaft befinden.
— Herr Dr. Vogel, das ist auch wieder so eine Bemerkung. Ich weiß nicht, ob man das so als demokratisch bezeichnen kann, wenn man eine Organisation im Lande, die sich gegen die Überbeanspruchung des Steuerzahlers wehrt, so mit dem Wort „Die ist ohne Einfluß" bedenkt.
- Verzeihung, das habe ich also mißverstanden. Aber immerhin ist es ja seine Organisation, und ihn werden ja solche Äußerungen interessieren müssen.Herr Dr. Bleiß hat in der zweiten Lesung, glaube ich, dem Herrn Bundesverkehrsminister die Frage gestellt, ob er denn grundsätzlich gegen jede Änderung der gegenwärtigen Regelung über die Maße und Gewichte sei, und er hat das mit Nein beantwortet. Er hat dann aus seiner Schau hinzugefügt, er sei aber nach wie vor ein absoluter Gegner der 10-t-Antriebsachse. Herr Bundesverkehrsminister, inzwischen habe ich von einer ganzen Reihe von Länderverkehrsministern die Mitteilung erhalten, daß Sie nach wie vor unabdingbar auf dem Standpunkt stehen, die Verordnung vom März 1956 könne und solle nicht geändert werden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir vielleicht noch einmal etwas von Ihnen über diesen Zwiespalt hörten.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will darauf verzichten, weitere Ausführungen über die deutsche Binnenschiffahrt zu machen. Das hat mein Freund Ramms getan.Ich habe jetzt nur noch die Aufgabe, den Antrag zu begründen, den wir auf Umdruck 348 eingebracht haben. In der zweiten Lesung habe ich auf Grund praktischer Erfahrung sowohl in der Bundesrepublik als auch bei meinen Auslandsreisen darauf hingewiesen, wie gering die Zentrale für Fremdenverkehr vom Bund mit Mitteln ausgestattet wird. Auch in diesem Jahre sind es wieder nur 5,3 Millionen DM. Das ist ein Betrag, den gleichgroße europäische Nationen allein in den Vereinigten Staaten ausgeben. Daher haben wir den Antrag gestellt, den Betrag um 1,7 Millionen DM auf insgesamt 7 Millionen DM zu erhöhen. Es ist dabei zu bemerken, daß es für die Zentrale für Fremdenverkehr noch eine ganze Reihe weißer Flecken auf dieser Erde gibt, wo wir noch nicht werbend und propagandistisch tätig sind.Das waren im großen und ganzen unsere Bemerkungen zur Schlußlesung.Ich darf jetzt noch einmal auf den Antrag der DP eingehen und sagen, daß er absolut unseren Vorstellungen entspricht. Wir werden diesen Antrag unterstützen. Wir haben aber ein bißchen das Gefühl, daß der Herr Bundesverkehrsminister — es ist sein gutes Recht — nun seine Fraktion, sagen wir einmal, mit der Flucht nach vorne beauftragt hat. Es ist anscheinend sehr schwer, dem gegenwärtigen Finanzminister klarzumachen — das war auch bei dem vergangenen Finanzminister so —, welche Lebensfrage es ist, daß die Wasserstraßen in der entsprechenden Tiefe bis 12 m in Ordnung kommen, damit wir in der Lage sind, sowohl gegen die östliche wie gegen die westliche Konkurrenz zu bestehen. Diese Frage wird besonders im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Rolle spielen.Wir haben den Einzelplan 12 bekanntlich abgelehnt. Das ist ein bißchen merkwürdig zur Kenntnis genommen worden. Man hat gesagt, damit verweigerten wir die Mittel. Ich habe namens meiner Fraktion darauf hingewiesen, daß es für eine Opposition keine andere Möglichkeit gibt.Eines möchte ich noch hinzufügen. Bei einigen Ressortministern scheint es manchmal so, daß sie Kritik in diesem Hause nicht als angebracht ansehen. Unsere Kritik ist zweifelsohne eine konstruktive Kritik. So bitten wir sie zu verstehen. Die Vertreter der Exekutive müssen sich eben damit abfinden, daß in einer parlamentarischen Demokratie seitens der Legislative an ihren Maßnahmen oder an dem Unterbleiben von Maßnahmen Kritik geübt wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 348. Wer zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Nunmehr stimmen wir über den Einzelplan 12 ab. Wer dem Einzelplan zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit; angenommen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Juni 1959 4057
Vizepräsident Dr. SchmidWir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab. Für die Anträge Umdruck 316 und 329 ist Überweisung an den Verkehrsausschuß beantragt. Sind die Antragsteller damit einverstanden? —
— Zu Antrag Umdruck 316 sind die Antragsteller mit der Überweisung einverstanden. Ist das Haus mit der Überweisung einverstanden? — Antrag Umdruck 316 ist an den Verkehrsausschuß überwiesen.Wir müssen jetzt über Antrag Umdruck 317 abstimmen.
- Statt 31. Oktober 1. Dezember 1959. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.Nun kommt der Antrag Umdruck 329 . Wer der beantragten Ausschußüberweisung zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Überwiesen an den Ausschuß für Verkehr.Meine Damen und Herren, die 9. Stunde hat schon geschlagen. Wir haben heute tüchtig gearbeitet und es verdient, daß wir nach Hause gehen.Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, vormittags 9 Uhr, ein. Es werden zunächst Einzelplan 06, 05, 09 behandelt. Dann geht es in der Reihenfolge der Vorlagen weiter.Ich schließe die Sitzung.