Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zur letzten Plenarsitzung in dieserWoche .Wir fangen mit dem Zusatzpunkt 12 an:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu-ches – WohnungseinbruchdiebstahlDrucksache 18/12359Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dagegen höreich keinen Widerspruch . Dann können wir so verfahren .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesminister der Justiz, Heiko Maas .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abge-ordnete! Im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als150 000 Wohnungseinbrüche registriert . Vor zehn Jahrenwaren es knapp über 100 000 . Diesen massiven Anstiegvon über 50 Prozent in den letzten zehn Jahren kann mannicht einfach ignorieren .Auch wenn die Zahlen zuletzt wieder rückläufig sind,bleibt es dabei: Wohnungseinbrüche sind ein massivesSicherheitsproblem in Deutschland . Wir wollen die Men-schen besser davor schützen; denn Wohnungseinbrüchehaben gravierende Folgen. Die finanziellen Schäden la-gen im letzten Jahr bei rund 400 Millionen Euro . Hinzukommt der nicht zu unterschätzende ideelle Schaden .Wenn ein altes Erbstück oder Dateien mit wichtigen per-sönlichen Daten weg sind, dann geht das weit über denVerlust hinaus, den man in Euro und Cent beziffern kann.Noch schlimmer sind – das wissen wir – die psychischenFolgen . Wer in die Wohnung eines Menschen eindringt,der dringt in seine absolute Intimsphäre ein . Viele Betrof-fene bleiben dann mit dem Gefühl zurück, nicht einmalin den eigenen vier Wänden sicher zu sein .Wenn es hier der Politik nicht gelingt, den Menschenmehr Sicherheit zu geben, dann ist das Vertrauen in unse-ren Staat und vor allen Dingen in den Rechtsstaat massivgefährdet . Deshalb müssen wir gegen Einbrecher nochbesser vorgehen . Dies müssen wir in dreierlei Hinsichttun . Erstens . Wir müssen die Prävention verbessern .Zweitens . Wir brauchen eine höhere Aufklärungsquotebei den begangenen Taten . Drittens . Wir brauchen einehärtere Bestrafung der überführten Täter .
Das größte Plus an Sicherheit schaffen wir dann, wennes den potenziellen Tätern erst gar nicht gelingt, in eineWohnung einzubrechen . Deshalb ist Prävention so wich-tig . Wir wollen, dass Wohnungen so gesichert sind, dassman eben nicht mit ein paar einfachen Kniffen Türenoder Fenster aushebeln kann . Ein solcher Einbruchschutzzahlt sich aus . Mehr als 40 Prozent der Einbrüche schei-tern an einer guten Sicherung von Türen und Fensternoder durch Alarmanlagen . Aber einen guten Einbruch-schutz kann sich nicht jeder leisten . Damit die Sicherheitnicht an fehlendem Geld scheitert, stellt die Kreditanstaltfür Wiederaufbau Zuschüsse zur Finanzierung bereit,und zwar sowohl für Eigentümer als auch für Mieter . DieMittel dafür haben wir in den vergangenen Jahren mit biszu 1 500 Euro pro Wohnung deutlich erhöht .
Deshalb richte ich in dem Zusammenhang an alle Ver-mieter und alle privaten Eigentümer, vor allen Dingenaber auch an die großen Wohnungsbaugesellschaften dieBitte: Sparen Sie nicht an der Sicherheit auf Kosten IhrerMieter . Nutzen Sie die staatliche Förderung . InvestierenSie, und schützen Sie Ihr Eigentum, vor allen Dingenaber Ihre Mieterinnen und Mieter noch besser vor Ein-brechern .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723834
(C)
(D)
Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr lagdas Risiko, nach einem Einbruch bestraft zu werden,bei nur knapp 17 Prozent . Anders ausgedrückt: Mehr als80 Prozent aller Einbrecher werden nie gefasst, laufenfrei herum und können weiter ihr Unwesen treiben .Es ist eine Binsenweisheit der Kriminologie, dass beider Entscheidung für eine Straftat das Entdeckungsrisi-ko eine maßgebliche Rolle spielt . Deshalb ist klar: Werin der Zukunft Wohnungseinbrüche verhindern will, dermuss auch die Aufklärungsquote bei Einbrüchen massiverhöhen . Das ist eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden .Dafür brauchen sie eine entsprechende Anzahl von Er-mittlern, also genügend Personal, aber auch die richtigenInstrumente . Deshalb ist es gut, dass viele Bundesländerbereits reagiert haben . Es bleibt dabei: Um aufzuklärenund auch um vorzubeugen, braucht die Polizei bzw . brau-chen die Sicherheitsbehörden eine angemessene Ausstat-tung an Personal und Organisation .
Die Polizei braucht aber auch die notwendigen Ermitt-lungsinstrumente, um Taten und Täterstrukturen aufzu-decken . Dazu gehört auch ein besserer Einblick in dieTelekommunikation der Täter . Die Polizei soll in Zukunftabfragen dürfen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ineiner Funkzelle des Mobilfunknetzes eingeloggt war . Mitsolchen Instrumenten kann die Polizei den Täterkreisdeutlich eingrenzen . Wenn es bereits einen Tatverdäch-tigen gibt, dann soll sie zukünftig, um den Verdacht zuüberprüfen, auch in Erfahrung bringen dürfen, ob er zumZeitpunkt des Einbruchs am Tatort war . Auch die Abfra-ge von Standortdaten soll künftig möglich werden . Bei-des sind ganz wichtige Maßnahmen, die unserer Polizeihelfen werden, in Zukunft mehr Einbrüche aufzuklären .
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf,den wir heute vorlegen, wollen wir auch den Strafrah-men anheben . Das Thema Strafverschärfung wird durch-aus diskutiert . Die einen meinen, dass den Verbrechernschon der Garaus gemacht werde, wenn nur das Straf-recht immer weiter verschärft wird . Auf der anderenSeite steht die Überzeugung, dass scharfe Strafen einesRechtsstaates keine Wirkung entfalten . Ich meine, beidesist in dieser Pauschalität falsch . Nötig ist, genau hinzu-schauen, um welche Taten es geht, und vor allen Dingen,wer die Täter sind .Bei den Taten, die typischerweise im Affekt gesche-hen, bei denen die Täter von starken Gefühlen und Über-zeugungen oder von einer Sucht getrieben werden, ver-fehlen hohe Strafen ihre abschreckende Wirkung . DieTäter handeln so kopflos, dass sie an die Konsequenzenihrer Tat überhaupt nicht denken . Wo Taten aber gut ge-plant werden, da geht es schon um eine rationale Rech-nung. In diese fließt dann auf der einen Seite der Profitaus einer Straftat ein, auf der anderen Seite aber auch dasEntdeckungsrisiko und die Höhe der Strafe .Beim Wohnungseinbruch zeigt die Kriminalitätsstatis-tik: Nur 10 Prozent der Täter sind Konsumenten harterDrogen . Bei 90 Prozent dagegen haben wir es aber ebenoffenkundig nicht mit sogenannter Beschaffungskrimina-lität zu tun, sondern dort stecken, wie die Erkenntnisseder Polizei zeigen, straff organisierte kriminelle Netz-werke hinter den Taten . Ich denke, gegenüber diesen Tä-tern sollte der Rechtsstaat sehr deutlich machen: Wer ineine Privatwohnung einbricht, der begeht ein Verbrechenund den erwartet in Zukunft eine Freiheitsstrafe von min-destens einem Jahr .
Meine Damen und Herren, wir brauchen also insge-samt einen klugen Mix aus mehr Prävention, höhererAufklärung und auch härteren Strafen . Nur so könnenwir mehr Sicherheit schaffen und die Menschen in ihreneigenen vier Wänden noch besser schützen . Das ist dasZiel dieses Gesetzes . Wir sind fest davon überzeugt, dasswir die Ziele mit diesem Gesetz auch erreichen werden .Herzlichen Dank .
Frank Tempel ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir stehen vor einer wichtigen Bundestags-wahl . Die Linke setzt jetzt besonders auf soziale Fragenund die Friedenspolitik, die Grünen haben das Image, fürUmweltfragen zu streiten, die Union setzt im Wahlkampftraditionell auf die Sicherheitspolitik,
und die SPD steht für ein kräftiges sozialdemokrati-sches Sowohl-als-auch, also von allem ein bisschen, abernichts so richtig .
Wenn wir also heute im Bundestag über härtere Stra-fen für Einbrecher sprechen, dann ist das ein ganz klaresSignal, dass die Bundesregierung noch einmal mit einerLaw-and-Order-Ideologie beim Wähler punkten möchte .
Doch es stellt sich die Frage, ob immer schärfere Geset-ze wirklich für eine kompetente Innenpolitik stehen . DieLinke hat erhebliche Zweifel daran .Sie sind es von mir gewohnt, dass ich bei solchen De-batten meine langjährige Erfahrung als Kriminalbeamtereinbringe . Das werde ich auch heute tun, versprochen .
Bundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23835
(C)
(D)
Aber auch aus meinem ersten Beruf als Schlosser kannich einige Erfahrungen einbringen .
Ich habe gelernt, dass man eben nicht mit einem Ham-mer auf ein kaputtes Auto einschlagen und dann erwartenkann, dass das Auto anschließend wieder läuft . Ich mussschon genau hinschauen, warum das Auto kaputt ist, unddann bei dem Grund des Übels mit dem richtigen Werk-zeug ansetzen .Bei uns Innenpolitikern geht es nicht um ein kaputtesAuto, sondern um die innere Sicherheit, um Gefahren undum Kriminalitätsphänomene . Aber die Innenpolitiker derGroßen Koalition haben einen Hammer, und der nenntsich Rechtsverschärfungen . Damit schlagen sie auf jedesSicherheitsproblem ein, das sich ihnen bietet, oder siekonstruieren eins . Und jedem, der diesen Hammer nichtnutzen möchte – das haben wir gerade gehört –, werfensie vor, dass er das Problem nicht beheben möchte .Die Innenpolitik und die Rechtspolitik der GroßenKoalition haben immer das gleiche einfallslose Muster:hohe Asylbewerberzahlen – Verschärfung der Asylge-setzgebung; mehr extremistische Gefährder – schärfereSicherheitsgesetze; Gaffer auf der Autobahn – Strafver-schärfung; mehr Wohnungseinbrüche – Strafverschär-fung .Aber halt, diese Logik hat ein kleines Problem . Nachden jüngsten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistikist die Zahl der Wohnungseinbrüche eben nicht gestie-gen, sondern gesunken .
Wenn das so ist, warum reden wir dann ausgerechnetjetzt, kurz vor der Bundestagswahl, von Strafverschär-fungen?
– Weil Wahlkampf ist, richtig .Es gibt übrigens neben der inneren Sicherheit aucheinige andere Themen . In meiner Heimat Ostthüringendroht im Jahr 2030 jedem zweiten Rentner die Altersar-mut . Sie möchten nicht, dass darüber gesprochen wird;Sie wollen, dass das Thema Sicherheit den Wahlkampfbestimmt, und schüren deshalb Ängste, ähnlich wie esauch die AfD tut .
Im Osten liegen die Löhne nach wie vor im Durch-schnitt 24 Prozent unter denen des Westens .
Sie wollen nicht, dass darüber diskutiert wird, Sie wol-len, dass über Gaffer, Gefährder und Einbrecher gespro-chen wird .
Warum die SPD hier im Bundestag immer wieder denWahlkampfhelfer der CDU gibt, weiß ich nicht . Das tutmir auch leid .
Helfen wird Ihnen das nicht; denn das Image der Law-and-Order-Partei ist nun einmal von der CDU/CSU be-setzt .
Aber gut, wenn das Thema Sicherheit schon besetzt wer-den soll, dann schauen wir uns einfach einmal an, wie esbeim Thema Einbruchdiebstähle aussieht .
Da greife ich jetzt tatsächlich auf meinen Erfahrungs-schatz als Kriminalbeamter zurück . Wer sind denn ei-gentlich diese Einbrecher? Es handelt sich überwiegendum junge Männer . In sehr vielen Fällen werden sie erstnach mehreren Einbrüchen ermittelt oder erwischt . Je ge-ringer das Entdeckungsrisiko ist, umso weniger spielt üb-rigens bei diesen Tätern der mögliche Strafrahmen eineRolle . – Herr Maas, da waren Sie einige Male eigentlichdicht dran . – Gerade bei den Einbruchdiebstählen agie-ren häufig in Banden organisierte Täter gemeinsam. Siespezialisieren sich und sind oft nur mit hohem Ermitt-lungsaufwand durch die Polizei zu stellen . Einbrecherkönnen lange unbekannt agieren, weshalb besonders indiesem Deliktfeld das Strafmaß kaum eine präventiveRolle spielt .Die Opfer dieser Einbrecher – auch das ist uns klar –erleben oft nicht nur einen materiellen Schaden: Die Tä-ter dringen in ihr intimstes Umfeld ein und hinterlassenAngst und Unsicherheit .Was sind nun eigentlich wirklich die Stellschrauben,mit denen wir – das ist unsere Aufgabe – die Zahl derEinbrüche reduzieren können? Auf einen Täter kommt inder Regel eine Vielzahl von Einbrüchen . Es ist für dieGesamtzahl der Delikte ein wesentlicher Faktor, ob einTäter 5, 10 oder 20 Einbrüche verübt, bevor er erwischtoder ermittelt wird . Bei organisierten Banden ist die Zahlder verübten Einbrüche im Schnitt noch einmal deutlichhöher, weil sie schwerer gefasst werden können . KeinEinbrecher wird sein Gewerbe einstellen, weil ihm hö-here Strafen drohen . Er fühlt sich ganz einfach nahezusicher .
Frank Tempel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723836
(C)
(D)
– Lesen Sie mehr Krimis . Da steht das öfter so .
Um die Zahl der Einbrüche zu verringern, können wirdie Täter also nicht mit Straferhöhungen abschrecken,sondern wir müssen sie erwischen bzw . mit anderen Mit-teln abschrecken .
Man spricht übrigens – das sage ich in Richtung der Kol-legen von der CSU – auch von gewerbsmäßigem Dieb-stahl . Wenn Sie ein bisschen mehr Fachliteratur lesen,dann können Sie die Krimis weglassen .
Ich fange einmal mit den Stellschrauben an .Die Ermittlungsarbeit ist langwierig und mit einemhohen Aufwand verbunden . Ausreichend erfahrene Er-mittler können die Handschrift eines Täters lesen, Spurenauswerten, zu einem Gesamtbild zusammenfügen und soTatverdächtige überführen .Der Personalabbau bei der Polizei hat aber genau hierseine negativen Spuren hinterlassen .
Es fehlt in vielen Dienststellen an ausreichend Ermitt-lern . Zu wenige Beamte müssen zu viele Delikte bear-beiten . Das ist eines der Hauptprobleme, und das musskorrigiert werden .
Sehr hilfreich ist es übrigens zudem, wenn es bereitsTatverdächtige gibt, und es gibt Möglichkeiten, die Vo-raussetzungen dafür zu verbessern . Die schlaueste Fragevon den Sicherheitsexperten der Union im Innenaus-schuss war, warum die meisten Einbrüche in der spätenNacht bzw. am sehr frühen Morgen stattfinden.
– Ja: Einbrecher wollen keine Zeugen .
Die Polizei setzt deswegen auf sogenannte Präven-tivstreifen . Das Ergebnis dieses taktischen Mittels ist,a) Täter auf frischer Tat zu ertappen – das ist übrigens diebeste Art, Einbruchdiebstähle zu bekämpfen –, b) ver-dächtige Personen, die sich im Umfeld potenzieller Tat-orte aufhalten und vielleicht Einbruchswerkzeuge oderBeutegut mit sich führen, durch Kontrollen zu identi-fizieren und – nicht zu vergessen – c) eine hohe Poli-zeipräsenz zur Nachtzeit in Gegenden, die für Einbrecherinteressant sind, zu gewährleisten . Letzteres erhöht dasEntdeckungsrisiko – der Justizminister hat auf diesenFaktor hingewiesen –, was den Täter tatsächlich von ei-ner Tat abschrecken kann .Doch da sind wir leider schon wieder beim ThemaStellenabbau . Ich habe in den letzten Monaten viele Po-lizeidienststellen von Saarbrücken über Gera bis Cottbusbesucht, und die einstimmige Aussage war: Aufgrund desPersonalabbaus sind diese Präventivstreifen wenig odergar nicht mehr möglich . Vielerorts fahren verbliebeneStreifenwagenbesatzungen nur noch von konkretem Auf-trag zu konkretem Auftrag . So verringert sich jedoch dieChance, verdächtige Personen oder Täter auf frischer Tatfestzustellen . Das geringere Entdeckungsrisiko hat danneine vielfache Wirkung:Erstens . Die Bevölkerung registriert die mangelndePolizeidichte in der Fläche . Das Gefühl der Unsicherheitwird noch einmal erhöht, woraus die Bundesregierungmit diesem Antrag Kapital schlagen möchte .Zweitens . Die geringere Entdeckungsgefahr senkt zu-dem die Hemmschwelle der Täter . Sie schlagen dreisterund öfter zu .Drittens . Ohne durch die Streifentätigkeit der Schutz-polizei festgestellte Tatverdächtige wird die Arbeit derErmittler noch einmal schwieriger und langwieriger .Täter können mehr Einbrüche verüben, ehe sie gestelltwerden .Um es abzukürzen – meine Redezeit ist gleich um –:Auch ein besseres technisches Know-how bei der Spu-rensicherung kann zur schnelleren Ermittlung der Täterführen . Selbstverständlich gibt es auch soziale Kompo-nenten beim Thema Einbruch .
Der Justizminister hat richtigerweise gesagt: Häufig wirdvorschnell Beschaffungs- oder Flüchtlingskriminalitätzur Erläuterung von Einbruchszahlen herangezogen . Ver-gessen wird aber, dass das Armutsrisiko im eigenen Landebenfalls ein Faktor bei der Zahl der Eigentumsdelikteist .Wir sehen also: Es gibt konkrete Stellschrauben zurVerringerung der Eigentumsdelikte . Man darf sie ebennur nicht in die falsche Richtung drehen . Den großenHammer der Rechtsverschärfung brauchen wir nicht .
Wir dürfen nur nicht durch Einsparungen an der falschenStelle, also beim Personal, der Polizei die Handlungs-spielräume nehmen .Danke schön .
Das Wort erhält nun der Kollege Volker Ullrich für die
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht vonFrank Tempel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23837
(C)
(D)
151 000 Fällen von Wohnungseinbrüchen allein imJahr 2016 . Auch wenn diese Zahl im Vergleich zumJahr 2015 leicht rückläufig ist, so wird in Deutschlanddennoch alle dreieinhalb Minuten in eine Privatwohnungeingebrochen . Das ist ein Zustand, den wir weder akzep-tieren noch billigen dürfen . Wir müssen und wollen dieMenschen in ihren eigenen vier Wänden schützen .
Wir stehen an der Seite der Menschen, Herr KollegeTempel, die sich um ihre Sicherheit in den eigenen vierWänden sorgen .
Dabei geht es nicht allein um materielle Schäden .Wohnungseinbrüche treffen Menschen tief in ihrem eige-nen Sicherheitsgefühl . Sie berühren die Menschen dort,wo sie am verletzlichsten sind: in ihren eigenen vier Wän-den, in ihrem ganz privaten Rückzugsraum . Sie müssensich einmal mit Opfern von Wohnungseinbruchdiebstahlunterhalten, die noch lange nach der Tat ein beklemmen-des Gefühl haben und sich nicht trauen, sich schlafen zulegen, weil sie Angst haben, jemand könnte neben ihremBett stehen . Sie müssen sich einmal mit Menschen unter-halten, deren intimste Gegenstände durchsucht wurden,die Scham empfinden
und am Ende sogar aus ihrer Wohnung ausziehen müssen,weil sie es aus psychologischen Gründen nicht schaffen,in dieser Wohnung zu bleiben . Wir stehen an der Seitedieser Opfer und wollen die Freiheit der Menschen, diein ihrer eigenen Wohnung Opfer von Diebstahl und Raubgeworden sind, wiederherstellen .
Wer einen Wohnungseinbruch begeht, raubt den Men-schen die Freiheit auf ungestörte Privatsphäre . MeineDamen und Herren, wegen der erschütternden und nach-haltigen Wirkung auf die Opfer und das Sicherheitsge-fühl der Bevölkerung ist aus Gründen des Opferschutzeseine Reform des Strafrechts geboten .
Der derzeitige Strafrahmen des Einbruchdiebstahlsgeht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, bei minder-schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren .Aber dieser Strafrahmen spiegelt nicht das Unrecht wi-der, welches durch den Einbruch in eine Privatwohnungbegangen wird .
Deswegen wollen und werden wir das ändern . Wir stel-len die dauerhaft genutzte Privatwohnung unter einenbesonderen strafrechtlichen Schutz . Durch den neuen§ 244 Absatz 4 StGB wird der Einbruchdiebstahl in einerPrivatwohnung ein Verbrechenstatbestand, und es wirdauch keinen minderschweren Fall mehr geben . Ich kannmir bei Wohnungseinbruchdiebstahl auch keine minder-schweren Fälle vorstellen .
Wichtig ist ebenfalls, dass der Wohnungseinbruch-diebstahl auch in den Katalog der Verkehrsdatenabfrageaufgenommen wird . Es war und ist niemandem so rechtzu erklären, weshalb die Polizei nach einem Wohnungs-einbruch Fingerabdrücke nehmen, aber bislang nicht beiden Telekommunikationsanbietern abfragen darf, wer indie Funkzelle eingeloggt war . Es darf auch keinen Un-terschied machen, ob eine Bande am Werk war – nur indiesem Fall sind Telekommunikationsüberwachungs-maßnahmen bislang möglich – oder ob der Täter ein Ein-zelner war .
Es geht um die Wirkung auf das Opfer . Selbst wenn eineinzelner Einbrecher unterwegs ist, muss es möglichsein, auf Funkzellen zurückzugreifen, weil nämlich auchein einzelner Einbrecher eine nachhaltige und traumati-sche Wirkung beim Opfer hervorrufen kann . Deswegengebietet der Opferschutz, dass das Instrument der Ver-kehrsdatenabfrage zum Tragen kommt .Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhangist mir eine Bemerkung wichtig . Nicht nur in Anbetrachtder Wohnungseinbrüche, sondern auch vor dem Hinter-grund von vielerlei Bedrohungen unserer Freiheit undSicherheit durch Kriminelle und Terroristen will ich fest-halten: Es war richtig und geboten, dass wir die Speiche-rung von Verbindungsdaten beschlossen haben und siedieses Jahr in Kraft treten wird .
Natürlich brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen .Die Prävention ist ebenso wichtig wie eine stärkere straf-rechtliche Verfolgung . Es ist deswegen richtig, dass dieKfW Zuschüsse zur Sicherung gegen Wohnungs- undHauseinbrüche ausreicht .
Viele Wohnungseinbrüche bleiben nämlich im Versuchs-stadium stecken . Eigenvorsorge und Wachsamkeit sindebenso notwendig wie der staatliche Schutz .Allein im Jahr 2016 sind über 40 000 Förderzuschüsseausgereicht worden . Wenn 2016 bereits 44 Prozent derEinbrüche im Versuchsstadium stecken geblieben sindDr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723838
(C)
(D)
und es 2014 erst 40 Prozent waren, dann hängt das viel-leicht mit der notwendigen Eigenvorsorge zusammen .
Deswegen werden wir dieses Programm weiterführenund fortschreiben .
Meine Damen und Herren, meine große Sorge giltauch der unterschiedlichen Betroffenheit durch Ein-bruchdiebstahl in den einzelnen Ländern . Das Risiko,Opfer eines Einbruchsdelikts zu werden, ist abhängigdavon, in welchem Bundesland man seine Wohnung hat .
In Bayern waren es im letzten Jahr 58 Fälle pro100 000 Einwohner . In Nordrhein-Westfalen waren es294 Fälle . In Schleswig-Holstein waren es 269 Fälle .
Das zeigt ganz klar: Dort, wo die Union den Innenminis-ter stellt und Verantwortung für die innere Sicherheit hat,
leben die Menschen sicherer und ist die Zahl der Woh-nungseinbrüche geringer .
Wir wollen, dass die Zahl der Wohnungseinbrücheüberall in Deutschland zurückgeht . Das darf nicht nur eineAbsichtserklärung sein, sondern das muss ein verbindli-ches Ziel der Innenpolitik werden . Die Zahl der Woh-nungseinbrüche in Deutschland ist nach wie vor zu hoch .Die Aufklärungsquote ist zu gering . Wir wollen und wer-den mit diesem Gesamtpaket von Maßnahmen – mit dernotwendigen Strafrechtsverschärfung, mit der Ausweitungder Ermittlungsbefugnisse und mit der Fortschreibung desPräventionsprogramms – dem Einbruch weiterhin denKampf ansagen . Dann, meine Damen und Herren, habenauch die Länder die Pflicht, durch ausreichende Personal-bemessung bei der Polizei dafür zu sorgen, dass Fälle auf-gedeckt und zur Anklage gebracht werden .Wenn wir diesen Gesamtkanon von Maßnahmendurchführen, dann werden wir die Einbruchskriminalitätin diesem Land weiter zurückführen und zugunsten derMenschen die Sicherheit in diesem Land stärken . Einbrü-che konsequenter zu bekämpfen, das ist unser Ziel .Herzlichen Dank .
Hans-Christian Ströbele erhält nun das Wort für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Danke . – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Einbruchdiebstahl ist in der Tat eine Geißel .Es ist nicht nur in allen Fällen extrem ärgerlich, sondernendet für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sehrhäufig in einer Katastrophe, auch in einer familiären Ka-tastrophe. Da gebe ich Ihnen recht: Viele finden in ihrereigenen Wohnung ihre Ruhe nicht mehr .
Wir müssen wieder Zustände erreichen, dass man zuRecht den englischen Satz sagen kann: My home is mycastle . Da bin ich sicher .
So gehört sich das .
Wer anzweifelt, dass die Grünen hinter einer solchen Po-litik stehen, der handelt infam und leugnet die Tatsachen .
Es ist uns natürlich ein großes Anliegen, da etwas zu än-dern . Die Frage ist nur: Wie?Herr Maas, Sie haben damit geendet, dass Sie gesagthaben, Sie müssten den kriminellen Netzwerken dasHandwerk legen .
In dieser allgemeinen Form kann ich das voll unter-schreiben . Nur – das hat auch Herr Ullrich durcheinan-dergebracht –:
Dafür brauchen wir kein neues Gesetz .
Bandendiebstahl ist bereits heute mit einer Mindestfrei-heitsstrafe von einem Jahr als Verbrechen strafbar – nach§ 244 bzw . § 244a StGB .
Dr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23839
(C)
(D)
– Werfen Sie einen Blick ins Gesetz! Da steht das . – Dasheißt, dafür braucht man das überhaupt nicht .Es geht nicht um Bandenkriminalität, sondern darum,dass Einzelpersonen das machen oder Personen das je-denfalls nicht als Bande oder als Netzwerk organisiertmachen . Da – das kann ich Ihnen nur sagen; das ist auchvon Herrn Maas erwähnt worden – ist das Erste und dasWichtigste, möglichst viele Einbrüche zu verhindern, zuvermeiden .
Das kann man am besten dadurch, dass die Wohnungengesichert werden, bestmöglich gesichert werden .
Da kann nicht nur der Einzelne etwas tun, sondern derStaat kann mit Gesetzen und mit Geld helfen . Beides istnicht genügend vorhanden .
Hier sollten Sie etwas tun und nicht Symbolpolitik ma-chen und versuchen, mit erhöhten Mindeststrafen dage-gen vorzugehen .Ich sage Ihnen: In Berlin und auch in anderen Bundes-ländern gab es Kampagnen der Kriminalpolizei, mit de-nen sie die Bürgerinnen und Bürger darüber aufklärten,was man noch alles tun kann . Ich habe aus schlimmerErfahrung in meiner eigenen Wohnung auch zusätzlichetwas für Sicherheit getan . Man kann ein Stangenschlossanbringen, man kann die Fenster sichern .
Man kann, wenn man parterre wohnt, dickere Scheibeneinsetzen . Aber das alles kostet Geld . Geringverdienerkönnen sich das nicht leisten . Das heißt, der Staat musshelfen .
Er muss Geld zur Verfügung stellen . Wenn Sie sagen:„KfW“, dann fragen Sie einmal: Wie viel Geld steht jetztnoch zur Verfügung?
Da sage ich Ihnen: Die Mittel sind ausgeschöpft . Hiermuss Geld zugelegt werden .
Die Bürgerinnen und Bürger müssen darüber informiertwerden, wo sie Geld bekommen können . Die meistenwissen das gar nicht .
Aber Sie können auch gesetzgeberisch etwas machen .Sie können zum Beispiel die unsinnige Regelung be-seitigen, dass Mieter, wenn sie dafür sorgen, dass ihreWohnungen sicher werden – zum Beispiel, indem sie einStangenschloss anbringen, das insgesamt gut 1 000 Eurokosten kann, weil die ganzen Vorrichtungen angebrachtwerden müssen –, beim Auszug alles wieder zurück-bauen und den ursprünglichen Zustand wiederherstellenmüssen . Völlig unsinnige Geschichte . Sie können auchdie Vermieter verpflichten – das können Sie in die Bau-ordnung hineinschreiben –, dass zu einer neuen Woh-nung auch gehört, dass sie ausreichend gesichert werdenkann . Das muss moderner Standard sein, wenn Wohnun-gen gebaut werden .
Dazu machen Sie einmal ein Gesetz . Das können Sie än-dern, und da können Sie etwas hineinschreiben .
– Ja, Landesbauordnungen . Auf Bundesebene könnenSie da auch anfangen .
Sie kommen immer noch mit dem alten Argument,das in der Bevölkerung verfangen soll, dass bei höherenStrafen die Einbrecher das auch lassen; denn sie würdenvorher abwägen, wie viel sie beim Einbruch bekommen .Wenn die Strafe zu hoch ist, dann lassen sie es . – Dasstimmt nicht . Das stimmt schon in der allgemeinen Formnicht, das stimmt aber gerade bei Wohnungseinbrüchennicht . Vor zwei Jahrzehnten haben Sie schon einmal dieMindeststrafe verdoppelt . Die Mindeststrafe betrug dreiMonate . Sie haben sie auf sechs Monate erhöht . Es warvöllig ohne Wirkung, weil 95 Prozent der Täter, meistensMänner, aber auch der Täterinnen diese Erwägung, wasihnen das an Gefängnis einbringen kann, vorher über-haupt nicht anstellen .Wenn Ihnen das nicht einleuchtet, dann kommen wirzu einem zweiten Punkt . Sie können am meisten etwasgegen Wohnungseinbrüche tun, indem Sie die Aufklä-rungsquote erhöhen . Das hat Herr Maas auch gesagt .Aber wie kann man das erreichen? Indem man erstensdie Polizei dazu in die Lage versetzt, mehr vor Ort zusein, indem man zweitens den Wohnungsinhabern, Woh-nungseigentümern oder -mietern, die Möglichkeit gibt,sehr viel schneller die Polizei zu erreichen, und indemman drittens die Polizei, die vor Ort Streife fährt, in dieLage versetzt, am Tatort möglichst schnell Tatspuren zusichern . Das ist heutzutage alles nicht gesichert, weil esviel zu wenig Kriminalbeamte gibt, die Streife fahrenund schnell zum Tatort kommen .
Das heißt, hier müssen Sie investieren: bei der Polizei,bei der technischen Ausstattung der Polizei, bei der Stär-ke und der Präsenz vor Ort . Da können Sie etwas tun; dakönnen Sie etwas erreichen . Wenn die AufklärungsquoteHans-Christian Ströbele
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723840
(C)
(D)
steigt, dann wird die Zahl der Einbrüche zurückgehen .Deshalb sagen wir: Ihr Weg ist der falsche .
Wir können uns – dazu sind wir gerne bereit – mitgutem Rat beteiligen, was man machen kann . Zu IhremArgument: „Wir nehmen die Vorratsdatenspeicherung,weil wir dann besser aufklären können“, sage ich Ihnen,Herr Maas: Ich habe noch, als Sie in dieser Frage umge-fallen sind, Ihre Versicherung im Ohr: Wir wollen dasnur einführen für Mord, Totschlag, für schlimme Sexual-straftaten und Terrorismus . – Jetzt kommen Sie plötzlichund ganz nebenher damit und führen das auch für denEinbruchdiebstahl ein . Das kann nicht wahr sein .
Genauso ist es falsch, eine Strafmilderung bei minder-schweren Fällen abzuschaffen. Das ist Blödsinn; dennes gibt tatsächlich Fälle, in denen man minder bestrafenmuss .Ich sage Ihnen: Sie misstrauen den Strafverfolgungs-behörden und den Richtern . Sie wollen sie zwingen, Stra-fen zu verhängen, die gar nicht angemessen sind, die dasSchuldprinzip verletzen, und da machen wir nicht mit .
Wir vertrauen den Richtern, dass sie in jedem Einzelfallzu einem gerechten Urteil kommen, das der Tat angemes-sen ist .Insofern sage ich Ihnen: Hören Sie mit diesem Miss-trauen auf, das sich darin ausdrückt, dass Sie den Richternjede Einzelheit vorschreiben wollen . Geben Sie ihneneinen weiten Entscheidungsrahmen vor . Damit könnenSie die Bürgerinnen und Bürger wirksam schützen, wennSie zugleich all das berücksichtigen, was im Bereich derPrävention bitter notwendig ist, was im Hinblick auf einebessere Ausstattung der Polizei dringend notwendig ist .Wenn Sie da etwas tun, haben Sie uns an Ihrer Seite –
gemeinsam im Kampf gegen Einbruchsdiebstähle inDeutschland .
Eva Högl hat das Wort für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Einen schönen guten Morgen! Ich beginne miteiner guten Nachricht: Die Zahl der Wohnungseinbrücheist im Jahr 2016 um 10 Prozent gesunken . Das ist erst maleine richtig gute Nachricht, und wir sagen: Wir machengenauso weiter .
Wir haben 150 000 Einbrüche, wir haben allerdingsauch 40 Millionen Haushalte in Deutschland . Das mussman in Relation setzen . Ich sage aber auch ganz deutlich,damit ich nicht missverstanden werde: Jeder einzelneEinbruch ist einer zu viel .
Er beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnenund Bürger, und dem kann man auch nicht immer mitVerweis auf Statistiken begegnen .Wir wissen, dass Wohnungseinbruchdiebstahl ein be-sonders fieses, unangenehmes Delikt ist. Es geht meis-tens weniger um den Verlust der Wertsachen oder um denWert der gestohlenen Dinge, sondern ganz häufig um Er-innerungen, um Andenken und vor allen Dingen um dasWissen – und das ist richtig fies –: Jemand war in mei-ner Wohnung . – Nicht selten geschieht das ja sogar beiAnwesenheit der Betroffenen, etwa wenn die Einbrüchenachts erfolgen . Das verursacht nicht nur Unsicherheitbei denjenigen, bei denen eingebrochen wurde, sondernauch bei allen in der Nachbarschaft, bei Freunden undVerwandten – wir kennen das .Lieber Herr Ströbele, ich habe festgestellt: Wir habeneine große Gemeinsamkeit bei dem, was wir alles tunwollen . Wir, die Koalition, haben uns im Koalitionsver-trag darauf verständigt, den Schutz vor Wohnungseinbrü-chen zu verbessern, und wir tun das . Ich zähle mal sechsMaßnahmen auf; denn wir machen nicht nur etwas beimStrafrecht,
sondern wir machen noch ganz viel mehr .Das Erste ist – das ist ganz wichtig – die Aufklärung .Denn dies ist das große Problem bei Wohnungseinbrü-chen: Wir haben eine viel zu niedrige Aufklärungsquotevon nur 17 Prozent . Das heißt vor allen Dingen, wir brau-chen mehr Polizei .
Da sind die Länder gefordert – das wissen wir –; wir sindaber auch im Gespräch mit unseren Kolleginnen undKollegen auf der Landesebene . Die Polizei muss vor Ortsein
und die Straftaten schnellstmöglich aufklären .Zweitens wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen,dass es ganz häufig keine Einzeltäter sind, keine Beschaf-Hans-Christian Ströbele
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23841
(C)
(D)
fungskriminalität ist, sondern international operierendeBanden .
Deswegen haben wir uns dafür engagiert, dass die Koor-dinierungsstelle im BKA, die für die Verfolgung genaudieser Straftaten zuständig ist, signifikant besser aufge-stellt wird und dort mehr Personal angesiedelt wird .
Die dritte Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kolle-gen – auch das ist eine Sache der Länder, aber da müssenwir uns auf Bundesebene engagieren und die Länder un-terstützen –: Die Justiz muss deutlich besser ausgestattetwerden . Das gilt für die Staatsanwaltschaften und für dieStrafgerichte . Wir wissen mittlerweile, dass die Justizganz häufig ein Nadelöhr ist: Die Polizei ermittelt, unddann bleiben die Sachen liegen . Deswegen brauchen wireine deutlich besser ausgestattete Justiz,
damit die Straftaten sofort angeklagt und dann auch be-straft werden können .Jetzt komme ich zu einem ganz wichtigen Punkt –Punkt vier –: die Prävention . Das wissen wir alle: Prä-vention ist das Allerwichtigste, und da müssen wir nochviel mehr tun . Wenn wir in der Polizeilichen Kriminal-statistik lesen, dass 40 Prozent der Wohnungseinbrücheim Versuchsstadium stecken bleiben – in 40 Prozent der150 000 Fälle handelt es sich um Einbruchsversuche –,dann wissen wir, dass wir mehr für Prävention machenmüssen .
Wenn wir bei der Polizei unterwegs sind und uns vor Ortunterhalten, dann sagen uns ganz viele Polizistinnen undPolizisten: Wir haben für Prävention zu wenig Zeit, wirkönnen da nicht genügend in den Kiezen unterwegs sein .
Der fünfte Punkt ist – Herr Ströbele, da sind wir einerMeinung – das Thema Eigensicherung . Wir als Koaliti-on haben 50 Millionen Euro für das KfW-Programm zurVerfügung gestellt, wir haben die Schwellen gesenkt, undwir haben die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt,dass sie sich besser selber sichern können, und zwar Mie-terinnen und Mieter genauso wie Eigentümerinnen undEigentümer .
Was wir nicht geschafft haben, was wir aber angehenmüssen, Herr Ströbele, ist genau das, was Sie erwähnthaben: die Landesbauordnung .
Ja, das war auch unser Bestreben: Wir wollen die Lan-desbauordnung so überarbeiten, dass die entsprechen-den Maßnahmen schon im Vorhinein, nämlich wenn dieGebäude gebaut werden, als Vorschrift für Sicherheit indie Bauordnung eingefügt werden . Wir nehmen uns fürdie nächste Legislaturperiode vor, mit unseren Kollegennoch einmal darüber zu sprechen .
Der sechste und letzte Punkt, über den wir heute dis-kutieren, betrifft das Strafrecht. Ja, liebe Kolleginnen undKollegen, das gehört auch dazu . Es geht hier nicht umSymbolik, sondern wir sagen ganz deutlich: Wohnungs-einbruchdiebstahl muss hart bestraft werden . Deswegenlegen wir heute den Gesetzentwurf vor . Wir wollen denTatbestand, wenn in eine dauerhaft genutzte Wohnungeingebrochen wird, zum Verbrechen hochstufen und dieErmittlungsmöglichkeiten der Polizei verbessern .Es ist ein gutes Paket, das die Koalition vorgelegt hat .Ich würde mich sehr freuen, wenn wir hier im Bundestageine möglichst breite Unterstützung haben und im nächs-ten Jahr sagen können: Die Zahl der Wohnungseinbrücheist noch einmal um 10 Prozent gesunken .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Jan-Marco Luczak
für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen! Ich habe neun Minuten Redezeit .
In diesen neun Minuten wird irgendwo in unserem Landdreimal eingebrochen . Wir debattieren hier 60 Minutenlang über das Thema Wohnungseinbruchdiebstahl . Indiesen 60 Minuten, in dieser einen einzigen Stunde, wirdfast 20-mal irgendwo in Deutschland in eine Privatwoh-nung eingebrochen . Alle dreieinhalb Minuten passiert inDeutschland ein Einbruch . Wir haben es gehört: 2016gab es in Deutschland 150 000 Einbrüche .Der Wohnungseinbruchdiebstahl ist ein Massenphä-nomen . An vielen Orten geht es überhaupt nicht mehrdarum, ob eingebrochen wird, sondern es ist nur nochdie Frage, wann eingebrochen wird . Wir als Union sagen:Das ist nicht akzeptabel, da müssen wir ran . Wir müssendafür sorgen, dass sich die Menschen in ihren eigenenvier Wänden, in ihrem Zuhause, in das sie sich zurück-Dr. Eva Högl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723842
(C)
(D)
ziehen wollen, sicher fühlen . Der Staat und damit wir alsGesetzgeber sind in der Pflicht, das zu gewährleisten.
Ja, es besteht großer Handlungsbedarf . Dabei geht esuns gar nicht so sehr um die materiellen Schäden, obwohldie materiellen Schäden sehr hoch sind; damit wir unsnicht missverstehen . Jahr für Jahr werden durch Einbrü-che Schäden in Höhe von 400 Millionen Euro verursacht .Das ist schlimm genug . Für manche Opfer ist es sogarexistenzbedrohend, gerade wenn sie zum Beispiel nichtversichert sind .Aber viel schlimmer als die materiellen Schäden ist,dass die Opfer durch den Einbruch oftmals traumatisiertwerden. Es ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre, eintiefer Eingriff in die Intimsphäre. Man muss sich dasvorstellen: Da werden Schränke durchsucht, etwa dieUnterwäsche wird durchwühlt, und persönliche Gegen-stände werden zerstört . Manche Opfer müssen sogar ihreWohnung wechseln, weil sie sagen: Hier fühle ich micheinfach nicht mehr zu Hause . Ich fühle mich hier nichtmehr sicher . Ich traue mich nicht mehr, abends schlafenzu gehen . – Diese gravierenden psychologischen Folgendes Eindringens in die Privat- und Intimsphäre sind nichtetwas Abstraktes, sondern etwas ganz Konkretes . LassenSie mich das an einem Beispiel festmachen .Bei meinem Nachbarn ist schon fünfmal eingebrochenworden . Fünfmal! Jetzt kann man sich vorstellen, wie ersich fühlt, vor allen Dingen, wie seine Frau sich fühlt . Erüberlegt ernsthaft, ob er sein Haus verkauft und irgendwoanders hinzieht . Er hat schon alles aufgerüstet, was nurmöglich ist: eine Alarmanlage usw . Trotzdem wird im-mer wieder eingebrochen . Er hat Angst . Wir alle kennendas aus unserem Bekannten- und Freundeskreis .Wir als Union sagen: Wir müssen Einbrüche verhin-dern. Ich finde es zynisch, wenn hier gesagt wird: Na ja,wir haben doch jetzt 10 Prozent weniger Einbrüche . –Jeder Einbruch ist einer zu viel . Hinter jeder Zahl stehtdoch ein Mensch, steht ein Schicksal . Deswegen müssenwir die Zahlen deutlich senken .
Um das zu erreichen, brauchen wir in der Tat einenDreiklang: Wir brauchen eine bessere personelle undmaterielle Ausstattung von Polizei und Justiz, um Ein-brecher effektiver verfolgen zu können. Natürlich brau-chen wir auch Abschreckung durch härtere Strafen . Wirmüssen den Strafermittlungsbehörden mehr Befugnissegeben . Schließlich müssen wir mehr für Prävention tun,um Einbrüche zu verhindern .Gerade der letzte Punkt – das ist angesprochen wor-den – hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutunggewonnen . Der Anteil der vollendeten Einbruchsfälle istglücklicherweise gesunken . Fast die Hälfte aller Einbrü-che bleibt mittlerweile im Versuchsstadium stecken . Dagreifen die mechanischen Sicherungen, da sind die Türenund die Fenster gesichert . Die Einbrecher, die natürlichAngst haben, entdeckt zu werden, wenn es zu lange dau-ert, kommen dann nicht rein .
Herr Kollege Luczak, darf der Kollege Ströbele eine
Zwischenfrage stellen?
Selbstverständlich . Sehr gerne .
Ich will mich mit Ihnen zusammentun . Ich will gar
nichts Böses – diesmal .
Herr Kollege, wir alle sind für Prävention . Das ers-
te Problem ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht
wissen, was man damit erreichen kann . Sie haben zu
Recht auf die 40 Prozent der Fälle hingewiesen, die im
Versuchsstadium stecken blieben . Das zweite Problem
ist, dass viele häufig das Geld dafür nicht haben, weil
Prävention viel Geld kostet .
Wir alle haben in den nächsten Monaten viele Wahl-
veranstaltungen . Können wir uns vielleicht darauf ver-
ständigen, dass wir auf jeder unserer Wahlveranstal-
tungen fünf Minuten lang die Bürgerinnen und Bürger
informieren? Anstatt sie in Angst und Schrecken zu ver-
setzen, indem wir ihnen sagen: „Alle Einbrecher kom-
men jetzt mindestens ein Jahr ins Gefängnis“, was ja
nicht stimmt, könnten wir stattdessen sagen: Liebe Bür-
gerinnen und Bürger, ihr könnt die und die Maßnahmen
treffen, und wenn ihr das nicht alleine bezahlen könnt,
weil ihr vielleicht Geringverdiener seid, dann könnt ihr
euch an die und die Stelle, die und die Telefonnummer
wenden, um Geld dafür zu bekommen . – Machen wir das
doch einmal gemeinsam .
Lieber Kollege Ströbele, ich weiß nicht, wie Sie IhreWahlkreisarbeit machen . Ich jedenfalls habe genau dasim Rahmen meiner Wahlkreisarbeit schon gemacht . Ichhabe gemeinsam mit dem Landeskriminalamt, mit derörtlichen Polizeidirektion und mit dem Grundeigentü-merverband zusammen zu einer Veranstaltung einge-laden, in der ich auf die Möglichkeiten zum Einbruch-schutz hingewiesen habe . Diese Veranstaltung war sehrgut besucht und ist sehr gut angekommen .Ich will ein Weiteres sagen: Natürlich wollen die Leu-te wissen, wo sie etwas machen können . Wir als Staatmachen ja eine ganze Menge . Wir haben das staatlicheZuschussprogramm, die Förderung über die KfW, erheb-lich aufgestockt und die Schwelle für Zuschüsse gesenkt .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23843
(C)
(D)
Wir haben also wirklich sehr viel gemacht .Die Leute wollen aber wissen: Was macht der Staatdarüber hinaus? Die wollen doch auch wissen, dass dieEinbrecher hinter Schloss und Riegel gebracht werden .
Deswegen müssen wir beides tun: Prävention einerseits;andererseits müssen wir uns aber auch den Strafrahmenanschauen . Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass wir genaudas tun, lieber Herr Kollege .
Das Zuschussprogramm, das ich genannt habe, wirkt .Das ist vernünftig, und das müssen wir auch fortführen .Ich will aber auch sagen: Wir dürfen uns als Staat selbst-verständlich nicht aus der Verantwortung stehlen . Eskann nicht angehen, dass wir nur sagen: Liebe Bürger,nehmt mal Geld in die Hand, wir bezuschussen das zwar,aber letztlich müsst ihr eure Wohnung selbst sichern . Da-für seid ihr verantwortlich . – Das geht nicht .Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir auch die ande-ren beiden Punkte aus dem Dreiklang angehen . Wir müs-sen zum einen die personelle und materielle Ausstattungvon Polizei und Justiz – da ist vieles Ländersache – ver-bessern . Da haben wir als Bund eine ganze Menge ge-macht . Wir haben unsere Sicherheitsbehörden personellviel besser ausgestattet . Wir haben einen enormen Auf-wuchs an Stellen, auch um die organisierte Kriminalitätbekämpfen zu können .Zum anderen müssen wir uns aber auch – jetzt kom-men wir zu dem Gesetzentwurf – den strafrechtlichenRegelungsrahmen angucken . Wir müssen die Täter ab-schrecken und die Ermittlungsbefugnisse ausbauen . Wirals Union wollen – das haben wir hier schon gehört – denWohnungseinbruch, der momentan ein bloßes Vergehenmit einer Mindeststrafe von sechs Monaten ist und beidem es auch einen minderschweren Fall gibt, angesichtsder gravierenden Folgen, die ein Wohnungseinbruch fürdie Opfer hat, als das bestrafen, was es wirklich ist, näm-lich als Verbrechen; denn eine Bestrafung als Vergehenist dem Unrechtsgehalt dieser Taten nicht angemessen .Deswegen erhöhen wir den Strafrahmen auf eine Frei-heitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren . Es wirdkeinen minderschweren Fall mehr geben .Das machen wir auch, weil wir als Gesetzgeber eindeutliches Signal an die Strafjustiz aussenden wollen,Wohnungseinbrüche zukünftig generell härter zu be-strafen . Lieber Kollege Ströbele, das hat überhaupt garnichts mit Misstrauen gegenüber der Strafjustiz zu tun,überhaupt nichts .
Aber wir sehen uns natürlich die Verurteilungen und denStrafrahmen an, und wenn wir feststellen, dass die Stra-fen in der Regel am unteren Ende des Strafmaßes ange-siedelt sind, dann müssen wir als Gesetzgeber reagieren .
Das hat etwas mit Gewaltenteilung zu tun . Wir als Ge-setzgeber sagen, was wir als besonders strafwürdig anse-hen . Wir in der Union und der Koalition sagen gemein-sam: Wohnungseinbruchdiebstahl ist ein Verbrechen; dasmüssen wir härter bestrafen .
Herr Ströbele, Sie haben gesagt, das alles würde nichthelfen, davon würde niemand abgeschreckt . In einerStrafrechtsvorlesung im ersten Semester habe ich beimThema Strafzwecke gehört – das ist schon ein paar Tageher; ich kann mich aber noch ganz gut daran erinnern –,dass es auch so etwas wie eine negative Generalpräven-tion gibt . Dabei geht es um Fragen der Abschreckung .Auch wenn Sie mir an dieser Stelle nicht folgen wollen,dann müssen Sie doch wenigstens sehen – Sie sind einguter Jurist, Herr Kollege, Sie wissen das doch –, dasses ganz konkrete weitere Konsequenzen hat, wenn wirden Wohnungseinbruchdiebstahl zu einem Verbrechenhochstufen .Das führt nämlich zum Beispiel dazu, dass schon dieVerabredung zu einem Wohnungseinbruchdiebstahl oderdie versuchte Anstiftung zukünftig strafbar ist . Das istvorher nicht der Fall gewesen . Eine solche Hochstufunghat auch ganz konkrete strafprozessuale Auswirkungen .Zukünftig wird es nicht mehr möglich sein, ein solchesStrafermittlungsverfahren mit einem Strafbefehl zu be-enden oder wegen Geringfügigkeit einzustellen, weil essich um einen Verbrechenstatbestand handelt . Das sindganz konkrete Auswirkungen der Höherstufung zu einemVerbrechen . Wir sagen: Ja, hier ertüchtigen wir die Straf-justiz, mehr machen zu können . Deswegen ist es richtig,dass wir zukünftig Wohnungseinbruchdiebstahl als Ver-brechen bestrafen .
Natürlich geht es hier auch um Ermittlungsbefugnisse .Der beste Fall ist immer noch, dass der Einbruch über-haupt nicht stattfindet. Deswegen müssen wir uns genauanschauen, wie die Taten begangen werden . Wir stellenfest: Natürlich sind es Einzeltäter, gegen die wir hier vor-gehen müssen, aber es sind auch vielfach Täter aus derorganisierten Kriminalität . Diese werden immer etwasbeschönigend als „mobile Tätergruppen“ bezeichnet,tatsächlich sind das fahrende Einbrecherbanden, die aufDiebeszüge gehen und oftmals ganze Straßenzüge aus-rauben . Die Objekte werden vorher observiert, es wirdgeschaut, wann die Bewohner nicht da sind .
Da müssen wir ran . Wir müssen die organisierten Struk-turen aufdecken .Dr. Jan-Marco Luczak
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723844
(C)
(D)
Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir an die gespei-cherten Telekommunikationsdaten herankommen .
Mit diesem Gesetz wollen wir den Katalog in § 100gStPO anpassen und den Wohnungseinbruchdiebstahlausdrücklich in diesen Katalog aufnehmen . Das wirdzukünftig dazu beitragen, die Aufklärungsquote zu er-höhen . Die Aufklärungsquote liegt momentan bei etwasüber 16 Prozent . Das ist viel zu wenig . Das müssen wirändern . Wir müssen das Risiko, entdeckt zu werden, fürdie Täter erhöhen . Dann werden sich viele überlegen, obsie zukünftig noch einbrechen . Das machen wir genaumit diesem Gesetz .
Zukünftig wird – das Thema ist hier schon angespro-chen worden – Funkzellenüberwachung möglich sein .Wir werden zukünftig auch auf die Standortdaten zu-rückgreifen können .
Hier bekommt die Polizei, hier bekommen die Staatsan-waltschaften mehr Mittel in der Hand, um die Sicherheitder Bürger zu gewährleisten . Das ist also völlig richtig .Ich glaube, dass mit diesem Gesetz insgesamt einrichtiger Ansatz verfolgt wird . Wir machen etwas beimStrafrahmen, wir machen etwas für die Abschreckung,wir verbessern die strafprozessualen Möglichkeiten undgeben Polizei und Justiz das Rüstzeug, Täter tatsächlichzu überführen .Was wir im parlamentarischen Verfahren tun müssen,ist in der Tat, Wertungswidersprüche, die es noch gibt,aufzulösen . Ich denke zum Beispiel an den Bandendieb-stahl . Hier wäre bei Einbruchdiebstahl die Einstufung alsminderschwerer Fall möglich. Da klafft in der Tat etwasauseinander, wenn wir sagen, bei Einzeltätern zählt dasnicht als minderschwerer Fall, beim Bandendiebstahlaber schon . Das passt nicht zusammen .
Auch beim Bandendiebstahl darf es in der logischenKonsequenz keinen minderschweren Fall geben . Dahinmüssen wir kommen .
Das werden wir im parlamentarischen Verfahren machen .Wir als Union sind auf der Seite der Bürger, wenn esum ihre Sicherheit geht . Dafür werden wir in den kom-menden Wochen sorgen .Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Fechner für
die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Auch ich willaus der Polizeilichen Kriminalstatistik zitieren . Wir ha-ben uns gefreut, dass die Zahl der Einbrüche um 10 Pro-zent zurückgegangen ist . Aber es kam noch immer zu150 000 Einbrüchen im Jahr 2016 . Das ist zu viel, liebeKolleginnen und Kollegen . Die Bürgerinnen und Bürgerfordern zu Recht vom Staat mehr Schutz vor Wohnungs-einbrüchen . Deshalb ist es für uns ein ganz wichtigesAnliegen, die Wohnungseinbrüche zu bekämpfen, damitsich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sichererfühlen .
Dazu gehört zunächst, dafür zu sorgen, dass geradeauch im ländlichen Raum mehr Polizeipräsenz stattfin-det . In meinem Heimatland Baden-Württemberg ist dasleider oft nicht der Fall . Da haben wir gerade in der Flä-che zu wenige Polizeistellen und deshalb zu wenig Poli-zeipräsenz,
und das gerade an den Wochenenden und in den Abend-stunden, also genau zu den Zeiten, zu denen die Einbrü-che stattfinden. Da müssen wir für mehr Polizeipräsenzsorgen . Das ist eine wichtige Aufgabe für alle Bundes-länder . Daraus sollten wir keine Wahlkampfnummer ma-chen .
Wir müssen natürlich vor allem auf Prävention setzen .Es ist belegt, dass Einbrecher von ihrem Einbruchsver-such ablassen, wenn sie nicht innerhalb einer halben Mi-nute in die Wohnung gelangen . Deshalb ist es entschei-dend, dass wir das Förderprogramm, das wir bei der KfWaufgelegt haben, noch weiter ausbauen .
Wir können uns hier nicht aus der Verantwortung steh-len und sagen: Die Bürger sollen alleine für die Sicher-heit sorgen . Wir sollten Einbruchschutz also fördern . Ichfinde, wir sollten den Zuschuss von 10 Prozent der In-vestitionssumme auf 20 Prozent erhöhen . Dann könnenauch Mieter, dann können auch Geringverdiener, also derPersonenkreis, den Sie, Kollege Tempel, angesprochenhaben, für ihre Sicherheit sorgen . Alle Bürger haben einRecht auf Sicherheit . Deswegen sollten wir durch diesesFörderprogramm dafür sorgen, dass alle Bürger diesenDr. Jan-Marco Luczak
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23845
(C)
(D)
Zuschuss erhalten, und zwar mindestens 20 Prozent derInvestitionssumme .
An dieser Stelle einen großen Dank an die Kreditan-stalt für Wiederaufbau, die dieses Programm hervorra-gend umsetzt . Herr Kollege Ströbele, zu der Informa-tionsveranstaltung in meinem Wahlkreis ist sogar einMitarbeiter der KfW gekommen . Das hing, nebenbeigesagt, vielleicht auch damit zusammen, dass bei demzuständigen Abteilungsleiter der KfW im April zweimaleingebrochen wurde . Also auch vor diesem Hintergrundist die KfW bei diesem Thema sehr engagiert . Daherspreche ich ihr an dieser Stelle ein Lob aus .
Dass die Prävention funktioniert, zeigt die Entwick-lung bei den Autodiebstählen . Es gab im Jahre 1993 über100 000 Autodiebstähle und Einbrüche in Autos . DieseZahl hat sich auf 19 000 im letzten Jahr reduziert . Daszeigt, dass sich die Investitionen der Autoindustrie inbessere Sicherungstechniken, also Wegfahrsperren, bes-sere Schlösser usw ., gelohnt haben . Die entscheidendeStellschraube, um Einbrüche zu verhindern, ist die Prä-vention . Daher sollten wir die besten Mechanismen zumEinbruchschutz fördern .
Ich will hier ausdrücklich festhalten, dass mir allePolizeibeamten, mit denen ich über die Täterkreise ge-sprochen habe, bestätigt haben, dass Asylbewerber oderFlüchtlinge in den seltensten Fällen die Täter sind . Dasmacht es nicht besser, das macht die Einbrüche selbstver-ständlich nicht ungeschehen . Aber die Tatsache, dass esüberwiegend osteuropäische Banden sind und eben nichtFlüchtlinge, möchte ich hier ausdrücklich festhalten .
Diese leider noch hohe Zahl an Wohnungseinbrüchengeht nicht auf das Konto von Flüchtlingen und Asylbe-werbern .Sie sehen also: Wir haben eine ganze Menge gegenWohnungseinbrüche getan . Das müssen wir auch; denndie Einbrüche traumatisieren die Opfer . Oft ist es nichtder Verlust von Geld oder von Gegenständen, was dieOpfer am meisten belastet, sondern das Gefühl der Un-sicherheit, das Gefühl, dass jemand in die eigenen vierWände, in die Intimsphäre eingedrungen ist .Angesichts der Tatsache, dass nicht einmal 20 Prozentder Einbrüche aufgeklärt werden, finde ich es richtig,dass wir mit Regelungen auch im Strafgesetzbuch und inder Strafprozessordnung Maßnahmen gegen Wohnungs-einbrüche ergreifen .
Wir erhöhen mit diesem Gesetzentwurf den Mindest-strafrahmen für Wohnungseinbruchdiebstahl auf ein Jahr .Wir schaffen auch den minderschweren Fall ab. Das sindohne Zweifel drastische Strafverschärfungen . Ich glaube,wir brauchen sie, um die hohe Zahl der Wohnungsein-brüche zu senken . Solche Strafen werden abschreckenund dazu beitragen, dass es weniger Wohnungseinbrüchegibt .Ich komme zum Schluss . Uns in der SPD-Fraktion istes wichtig, dass wir die Sorgen der Bürger hinsichtlichKriminalität ernst nehmen, dass wir handeln und dass wireffektiv genau die Maßnahmen ergreifen, die tatsächlichgegen Wohnungseinbruch helfen . Wir sollten deshalbdiesem Gesetzentwurf zustimmen und auch dafür sorgen,dass wir die Mittel für das Zuschussprogramm bei derKfW erhöhen . Ich bin gespannt, ob die Union die Mittelbewilligen wird .Vielen Dank .
Letzter Redner zu dem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Ich glaube, wir in diesem Haus sind uns einig, dassdie Situation bei Einbrüchen in private Wohnungen inDeutschland einen Grad erreicht hat, der nicht mehr ak-zeptabel ist .
Wir als CDU/CSU wollen zusammen mit der SPD, aberauch mit der Bundesregierung etwas dagegen machen,und wir machen auch etwas .Während ich die Debatte heute verfolgt habe, meineDamen und Herren der Linken und der Grünen, wurdemir klar: Sie machen nichts . Sie machen einen Abwehr-kampf . Sie ignorieren diese Situation . Sie tun nichts . Siewollen sich auch nicht daran beteiligen, etwas zu tun . Siediskutieren nur . Es kann nicht sein, dass man Menschenin dieser Situation alleine lässt . Es ist ein trauriges Bild,dass Sie sich überhaupt nicht an der Diskussion positivbeteiligen .
– Ich lege Ihnen das gleich dar .Dr. Johannes Fechner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723846
(C)
(D)
Wir machen einen Dreiklang . Als Erstes stärken wirdie Polizei vor Ort, und zwar mit den richtigen Instru-menten . Das ist wichtig .
Der zweite Punkt ist Prävention . Wir stärken die Men-schen dabei, etwas zu tun, sodass sie ihre privaten Woh-nungen sichern können .
Der dritte Punkt ist: Wir verändern auch das Strafrecht .Es muss ein klares Zeichen geben: Angesichts derVielzahl dieser Delikte und der Tatsache, dass sich dieAusführung dieser Taten verändert hat, muss man imStrafrecht die richtigen Werte hinsichtlich der Höhe desStrafrahmens einziehen . Es muss auch die Konsequenzengeben, die Kollege Luczak, glaube ich, gerade sehr prä-zise ausgeführt hat .
Kommen wir zum ersten Punkt: Stärkung der Mög-lichkeiten, die die Bürgerinnen und Bürger haben . Es istrichtig und gut, dass wir bei der KfW mehr Geld einstel-len, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Wohnungensichern können . Da ist noch viel möglich .
Das werden wir gemeinsam machen . Es wäre schön,wenn Sie wenigstens das unterstützen würden .Der zweite Punkt ist: Wir möchten, dass die Polizeivor Ort präsent ist und die nötigen Mittel hat . Wenn Sie,Herr Ströbele, diese Auffassung teilen, dann wundert esmich, dass Sie in der Debatte zum Schutz von Vollstre-ckungsbeamten argumentiert haben, das brauche mangar nicht . Die Kollegin Mihalic hat damals gesagt, dieDiskussion sei überflüssig. Sie wollen Polizeibeamte vorOrt nicht schützen . Ihre Argumentation an dieser Stelleist verlogen und falsch!
Jetzt geht es um die Instrumente . Natürlich ist es rich-tig, dass wir in einer vernetzten Welt mit immer mehrBanden, die organisiert in Wohnungen einbrechen, dieGüter verschieben, teilweise ins Ausland, schauen müs-sen, wie die Kommunikation läuft . Deswegen ist es gut,dass sich der Justizminister nicht nur für die Vorratsda-tenspeicherung eingesetzt hat, sondern sich auch für dieErfassung und retrograde Recherche dieser Daten ein-setzt .
Ich freue mich übrigens, dass beim Thema Quellen-TKÜein weiterer Fortschritt erreicht werden konnte. Ich finde,dass wir zur Bekämpfung der Kriminalität in Zeiten mo-derner Kommunikationsmittel gute Schritte gehen . Dasmachen wir, und das machen wir auch, damit sich Bür-gerinnen und Bürger in ihren Wohnungen wieder sicherfühlen können .
Drittens, das Strafrecht . Wir stellen fest, dass sichdie Art und Weise der Deliktausführung massiv verän-dert hat . Ich glaube, Sie gehen noch von dem Bild desEde aus, der mit seinem Rucksack um die Wohnungenschleicht und fast ehrenvoll versucht, einzubrechen .
Schauen Sie sich doch einmal die Deliktausführung an –Herr Tempel, Sie müssten es doch wissen –: Mit hoherBrutalität, mit hoher Gewalt wird in Wohnungen einge-drungen . Wenn die Bewohner nachts zu Hause sind undaufwachen, dann wird massiv gegen sie vorgegangen .
Wenn sich dann jemand in der Wohnung später nichtmehr wohlfühlt, dann kann man das wohl verstehen .
Wer angesichts dessen, dass sich die Ausführung der De-likte so verändert hat, am Strafmaß nichts ändern will,der schützt nicht die Bürger, der macht die Augen zu vordenjenigen, die von diesen Straftaten hart betroffen sind.Herr Tempel, Sie rufen gerade so vehement dazwi-schen . Zu Ihrem Fall mit dem Rentner: Sie können jagerne über alle Themen diskutieren, auch über die Leis-tungen für Pensionäre und Rentner . Das ist aber nicht Ge-genstand der jetzigen Debatte . Dass Sie für den Rentnernichts tun wollen, wenn in seine Wohnung eingebrochenwird, ist schändlich . Dass Sie ihn alleine lassen und imGrunde nichts tun wollen, ist traurig .
Wir tun etwas . Wir wollen, dass die Menschen in un-serem Land geschützt werden . Deswegen dieser richtigeDreiklang: erstens Polizei stärken, mit Präsenz vor Ortund den notwendigen Mitteln, zweitens Sicherung dereigenen Wohnung, dafür Fördermittel bereitstellen, unddrittens im Strafrecht den Strafrahmen erhöhen . Das istein Zeichen in die Gesellschaft, dass wir etwas tun, undein Zeichen für diejenigen, die Straftaten begehen, dasswir es ihnen nicht durchgehen lassen . Wohnungseinbrü-che sind für uns ein No-Go . Deswegen tun wir etwas .Unterstützen Sie uns doch wenigstens ein bisschen dabei .Danke schön .
Dr. Patrick Sensburg
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23847
(C)
(D)
Nun möchte der Kollege Tempel eine Kurzinterventi-
on machen . – Bitte schön .
Dem Kollegen ist offensichtlich ein Irrtum unterlau-
fen; vielleicht ist er während meiner Rede etwas einge-
nickt . Er sagte, dass wir nichts für den Rentner tun wol-
len, der Angst vor Einbrüchen hat . Ich habe im zweiten
Teil meiner Rede – ungefähr bei Minute vier, fünf, wenn
Sie nachlesen wollen – gesagt, dass es von der Bevölke-
rung wahrgenommen wird, wenn die Polizeidichte deut-
lich zurückgeht, und dass das das Unsicherheitsgefühl
deutlich erhöht. Auch dass die Polizei häufig zu spät vor
Ort ist, kam in meiner Rede vor . Das ist für den Rentner
in meiner Region, bei dem eh nicht viel zu holen ist, der
aber selbstverständlich Angst vor Wohnungseinbrüchen
hat, sehr problematisch . Er kann nicht in einer Luxus-
wohngegend leben, wo man sich private Sicherheits-
dienste leisten kann . Er ist tatsächlich darauf angewiesen,
dass die Polizei rechtzeitig vor Ort ist . Das habe ich in
meiner Rede ausgeführt .
Ich möchte Herrn Sensburg noch auf Folgendes hin-
weisen: Zu wenig Polizeidichte ist für den Bürger ein
Problem . Wenn in einer Region, in einem Landkreis
nachts nur noch drei Streifenwagen unterwegs sind, wo-
von ein Auto zu einem Unfall und ein anderes bei einer
Familienstreitigkeit ist, weil jemand seine Frau schlägt,
dann sind fast alle Streifenwagen im Einsatz . Das ist ge-
rade für den Rentner in meiner Region ein Problem . Das
war Bestandteil meiner Rede . Wir haben lediglich ein
Mittel stark angegriffen, nämlich das Mittel der Strafver-
schärfung . Ansonsten habe ich mehrere Stellschrauben
benannt, an denen man tatsächlich zur Bekämpfung von
Einbruchskriminalität drehen kann . Da ist die CDU bei
weitem nicht alleine .
Kurze Erwiderung, Herr Kollege Sensburg .
Erster Punkt . Ganz herzlichen Dank für den Hinweis .
Hier sind wir uns sogar einig: Die Polizeidichte vor Ort
muss gesteigert werden . Genau die gleiche Situation wie
Sie erlebe auch ich in meinem Wahlkreis .
Ich möchte es auch noch einmal betonen: Es ist schön,
dass Sie von den Linken eine höhere Polizeidichte, also
mehr Polizei, fordern . Diesen Zustand hätte ich mir vor
vier, fünf Jahren nicht träumen lassen . Es ist wunderbar,
dass die Linke eine höhere Polizeidichte vor Ort fordert .
Unterstützen Sie uns dabei; das ist auch unsere Forde-
rung . – Danke schön .
Zweiter Punkt . Diskutieren Sie einmal mit den Men-
schen vor Ort darüber – mit dem Rentner in seiner Woh-
nung, mit den Menschen an der Theke –, wie sie über
das Thema Einbruchsdiebstähle denken . An erster Stelle
wird ein höheres Strafmaß gefordert und gesagt: Lasst es
denen so nicht durchgehen . An zweiter Stelle wird ge-
sagt: Helft uns dabei, unsere Wohnungen zu sichern .
Wenn Sie in den Gesetzentwurf schauen, dann sehen
Sie, dass von diesem Gesetzentwurf und der Förderung
über die KfW genau diejenigen profitieren, die ein gerin-
ges Einkommen haben, eben nicht in den Luxusgegen-
den leben und ihre Wohnungen sichern wollen .
Unterstützen Sie also unseren Gesetzentwurf! Genau das,
was Sie fordern, steht darin .
Ich glaube, es ist ein guter Gesetzentwurf . Wenn Sie
das, was Sie gerade gesagt haben, wirklich ernst meinen,
dann können Sie in den Beratungen ja zustimmen .
Danke schön .
Für die Klärung der offenkundig noch bestehendenMeinungsverschiedenheiten besteht ja jede Gelegenheit,wenn nun beschlossen wird, diesen Gesetzentwurf aufdem üblichen Wege im Ausschussverfahren weiter zuberaten . Von den Fraktionen wird die Überweisung desGesetzentwurfs auf der Drucksache 18/12359 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .Dann ist die Überweisung so beschlossen .Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 bauf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Verbesserung der Rechtsdurchset-
Drucksache 18/12356Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr . Konstantin von Notz, Renate Künast, TabeaRößner, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENTransparenz und Recht im Netz – Maßnah-men gegen Hasskommentare, „Fake News“und Missbrauch von „Social Bots“Drucksache 18/11856
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723848
(C)
(D)
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale AgendaAuch für diese Aussprache sind 60 Minuten vorgese-hen. – Das ist auch offenkundig unstreitig. Also verfah-ren wir so .Ich eröffne die Aussprache und erteile wiederum demBundesjustizminister das Wort .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Sie alle kennen die furchtbaren Beispiele von Mord-aufrufen, Bedrohungen und hasserfüllten Postings, die esin den sogenannten sozialen Netzwerken gibt . Wenn sichdie Nutzer dann bei ihren Plattformbetreibern beschwe-ren, bekommen viele zu oft die Antwort: Das verstößtnicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards, und deshalbwird es nicht gelöscht .Viele von Ihnen kennen auch aus eigener ErfahrungBeleidigungen und Bedrohungen im Netz . Wir alle sindes gewohnt, im Kreuzfeuer von Debatten zu stehen – undwir werden im Übrigen auch gut beschützt . Ich machemir viel mehr Sorgen um all diejenigen Bürgerinnen undBürger, die ansonsten im Netz unterwegs sind: um denfreiwilligen Flüchtlingshelfer, der beleidigt und einge-schüchtert wird, um die ehrenamtlichen Kommunalpo-litiker, die beschimpft und bedroht werden, um die Ju-gendlichen, die im Netz in krimineller Weise gemobbtwerden .Hasskriminalität beschädigt unser Zusammenleben,unsere Debattenkultur und letztlich auch die Meinungs-freiheit . Wenn strafbare Bedrohungen und Einschüchte-rungen im Internet nicht entfernt werden, dann werdensich viele Bürgerinnen und Bürger aus der Onlinediskus-sion zurückziehen .Zur Klarstellung: Es geht bei unserem Gesetzentwurfdarum, dass Äußerungen, die gegen Strafgesetze versto-ßen, aus dem Netz gelöscht werden . Es geht um Mordauf-rufe, es geht um Aufrufe, Flüchtlingsheime anzuzündenoder andere Gewalttaten zu begehen, es geht um Bedro-hungen und Beleidigungen, es geht um Volksverhetzung,und es geht um die Auschwitz-Lüge . Kurzum: Es gehtum Straftaten; es geht um Äußerungen, die nicht mehrvon der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern ganz einfachstrafbar sind .
All solche Äußerungen sind kein Ausdruck der Mei-nungsfreiheit, sondern ganz im Gegenteil Angriffe aufdie Meinungsfreiheit . Damit sollen Andersdenkende ein-geschüchtert und mundtot gemacht werden . Damit solleneine rhetorische Dominanz und ein Klima der Angst ge-schaffen werden. Wir müssen und wollen uns mit diesemGesetz auch um die Meinungsfreiheit derer kümmern,die schon längst im Internet mundtot gemacht wordensind . Das soll nicht so bleiben .
Die größte Gefahr für die Meinungsfreiheit ist ein Zu-stand, in dem ohne Konsequenzen bedroht, beleidigt undeingeschüchtert werden darf . Dieser Hass und diese Het-ze im Netz sind die wahren Feinde der Meinungsfreiheit .
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass wir uns mitdiesen Regelungen im Gesetz in einem grundrechtssen-siblen Bereich bewegen . Deshalb kommt es nicht uner-wartet, dass viel über diesen Gesetzentwurf diskutiertwird und dass es auch Kritik gibt . Damit will ich micheinmal auseinandersetzen .Da wird der Vorwurf erhoben, wir würden die Rechts-durchsetzung auf Private verlagern . Hierzu kann ich nursagen: Wir verlagern gar nichts . Wir sorgen vielmehrdurch Compliance-Regeln dafür, dass bereits bestehen-de Verpflichtungen der sozialen Netzwerke endlich aucheingehalten werden . Bereits auf der Grundlage des gel-tenden Rechts, der E-Commerce-Richtlinie, dürfen sozi-ale Netzwerke nach einer konkreten Beschwerde strafba-re Inhalte nicht ignorieren, sondern sie müssen handeln .
Wenn sie das nicht tun, dann können sie sich auchnicht mehr auf ihr Haftungsprivileg beziehen, und dashat Konsequenzen zur Folge . Deshalb wundert michdieser Punkt der Kritik ganz besonders; er hat mit demGesetzentwurf überhaupt nichts zu tun . Denn das sindRegelungen, die es schon längst gibt, und zwar in derE-Commerce-Richtlinie und bei uns im Telemedienge-setz . Wer sich jetzt darüber aufregt, der hätte sich auch inden letzten Jahren schon darüber aufregen müssen . Abermit diesem Gesetzentwurf hat das gar nichts zu tun .
Ganz im Gegenteil: Den Maßstab dafür, was erlaubtist und was nicht, legt nicht Facebook oder irgendeinanderes soziales Netzwerk fest . Maßstab bleiben einzigund allein die Strafgesetze, und die Gerichte entscheidennach diesen Gesetzen, was strafbar ist und was nicht .Meine Damen und Herren, in der Diskussion und denStellungnahmen, die es gegeben hat, wird auch die Ge-fahr beschworen, dieser Gesetzentwurf könnte das soge-nannte Overblocking befördern . Das bedeutet, dass diePlattformbetreiber einfach alles löschen, nur damit sie ei-ner einzelnen Geldbuße entgehen können . Das kann nurein Missverständnis sein, oder es ist gewollt, dass mandas nicht versteht . Die Bußgelder, die der Gesetzentwurfvorsieht, drohen einem Unternehmen nicht, wenn es ei-nen einzelnen Tweet oder Kommentar nicht gelöscht hat .Es geht gar nicht um Einzelfälle .Präsident Dr. Norbert Lammert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23849
(C)
(D)
Bußgelder drohen nur dann, wenn es ein systemati-sches Versagen der Netzwerke gibt, wenn also überhauptkein effektives Beschwerde- und Löschungsverfahrenbesteht . Außerdem werden nur schuldhafte Verstöße ge-ahndet . Wenn die Strafbarkeit eines Posts nicht erkenn-bar ist, dann wird das auch nicht zu einem Bußgeld füh-ren können .Im Übrigen verstehe ich bei diesem Thema eines über-haupt nicht: Das Geschäftsmodell der sozialen Netzwer-ke beruht doch gerade darauf, möglichst viel zu kommu-nizieren . Schon aus wirtschaftlichen Interessen werdensie deshalb das alles sehr genau prüfen . Die bisherigePraxis zeigt jedoch das Gegenteil: Es wird nicht zu vielgelöscht, sondern es wird leider viel zu wenig gelöscht .Wenn ein Unternehmen meldet, wie es Facebook ge-rade getan hat, dass der Gewinn verdoppelt wurde, dannmuss ich sagen, meine Damen und Herren: Ich sehe nichtein, dass strafbare Inhalte im Netz stehen bleiben sollen,damit Facebook und Co kein zusätzliches Geld dafür aus-geben müssen, Mordaufrufe aus ihren Seiten zu tilgen .
Deshalb glaube ich, dass wir heute an einem Schei-deweg stehen: Nehmen wir weiter hin, dass die digitaleRevolution den Rechtsstaat und unsere demokratischeKultur massiv infrage stellen kann? Oder machen wirendlich ernst mit dem Anspruch, dass auch das Internetkein rechtsfreier Raum ist und dass auch online nicht er-laubt ist, was offline verboten ist?Meine Damen und Herren, das Recht ist der Garantunserer Freiheit, auch der Meinungsfreiheit . Sorgen wirdafür, dass das auch im Netz endlich von allen beachtetwird . Sorgen wir endlich dafür, dass Mordaufrufe, Volks-verhetzung und Bedrohungen so schnell wie möglich ausdem Internet verschwinden . Nur dann bleibt die Mei-nungsfreiheit für alle wirklich gesichert .Schönen Dank .
Petra Sitte erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wie einZitronenfalter eben keine Zitronen faltet, setzt ein Netz-werkdurchsetzungsgesetz eben keine Netzwerke durch .So viel ist schon einmal klar .
Die Frage aber, was hier tatsächlich von wem undwem gegenüber durchgesetzt wird, sollten wir an die-ser Stelle im Hinterkopf behalten . Wie wir schon hörenkonnten, soll es um die Durchsetzung von Recht und Ge-setz gegenüber den großen sozialen Netzwerken gehen .Das ist – so viel sei hier vorausgeschickt – ein durchausberechtigtes Anliegen .
Facebook, Twitter und Co haben sich in der Vergan-genheit oft genug viel zu wenig kooperativ gezeigt, ins-besondere dann, wenn es um die Bekämpfung von rechts-widriger Hassrede, um Hetze und Belästigung ging . Aberder nun eingebrachte Gesetzentwurf – das wissen wirschon jetzt – wird neue Probleme schaffen, vor allemdeshalb, weil er die Durchsetzung am Ende doch wiede-rum in Hände legt, in die sie nicht gehört; darin sind wiruns mit Sicherheit einig .Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist die: Einekleine Anzahl großer kommerzieller Plattformen mono-polisiert eine Form der Kommunikation, die wir aus un-serem Leben nicht mehr wegdenken wollen . Das führtdann dazu, dass elementare Regeln über Inhalte nichtmehr gesellschaftlich ausgehandelt, sondern in Privatun-ternehmen einseitig festgelegt werden . Ein Beispiel sinddie berüchtigten Gemeinschaftsstandards von Facebook,nach denen weibliche Brustwarzen ganz offensichtlichein größeres Problem als Nazipropaganda darstellen . Aufdiese bzw . ähnliche Herausforderungen brauchen wir inder Tat eine ordnungspolitische Antwort .
Eine ausführliche Berichtspflicht für die sozialenNetzwerke und bußgeldbewehrte Vorgaben für die Be-schwerdebearbeitung sind durchaus keine falschenAnsätze . Aber das Problem mit den Vorgaben, die Siehier machen, ist, dass die Plattformen selbst die recht-liche Einordnung überantwortet bekommen . Das ist kei-ne Durchsetzung gegenüber den Netzwerken, sonderndurch die Netzwerke . Eine Plattform wird dann innerhalbkürzester Zeit selbst entscheiden müssen, ob ein Inhaltrechtswidrig ist .Das kann aber durchaus auch eine komplizierte Abwä-gungsfrage sein . Wenn die unterlassene Löschung sank-tioniert wird, ein zu Unrecht gelöschter Inhalt aber nicht,dann kann man sich relativ leicht ausrechnen, wohin dasführen wird . Dann werden eben auch legale Inhalte imgroßen Stil gelöscht werden . Bei Plattformen, die einfaktisches Monopol innehaben, kann uns das eben ganzund gar nicht egal sein . Wir haben andere Fälle soge-nannter Kollateralschäden längst erlebt .Dazu kommt eine neue Verpflichtung im Telemedien-gesetz, Bestandsdaten auch bei zivilrechtlichen Ansprü-chen herauszugeben . Das war bislang nicht der Fall . Soeröffnet man nicht nur der Abmahnindustrie ein neuesBetätigungsfeld . Bei der Bekämpfung von Hate Speechkönnte der Schuss sogar nach hinten losgehen . Viel Fan-tasie gehört nämlich nicht dazu, um sich vorzustellen,dass derartige Möglichkeiten auch zur Einschüchterung,wie Sie es ja selbst gesagt haben, missbraucht werden,etwa bei Aktivismus gegen Rechtsextreme .Insgesamt merkt man dem Gesetzentwurf sehr wohldie Temperatur der beim Stricken verwendeten Nadelndeutlich an . Die Aufzählung der Straftatbestände mutetwillkürlich an . Zuletzt wurde sie noch um die Verbrei-tung pornografischer Schriften erweitert, obwohl dieBundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723850
(C)
(D)
Zielsetzung angeblich die Bekämpfung von Hasskrimi-nalität ist . Infolgedessen dürfen wir nun der mit heißenNadeln gestrickten und notdürftig geflickten Begründungdes Gesetzes die durchaus interessante Information ent-nehmen, dass der Grund für die Wahl des Anwendungs-bereiches des Gesetzes der Anwendungsbereich des Ge-setzes sei . Welche Plattformen nun konkret vom Gesetzbetroffen sein werden – ausweislich des Entwurfs sollenes etwa zehn sein –, kann uns die Bundesregierung auchauf direkte Frage nicht mitteilen .Einige sehen auch verfassungs- und europarechtlicheProbleme . Ob nun zur Recht oder nicht: Es ist jedenfallsschwer, zu glauben, dass die Vereinbarkeit mit angemes-sener Gründlichkeit geprüft wurde . Es ist der Bedeutungdes Themas aber nicht angemessen, hier auf den letztenMetern der Wahlperiode einen eilig heruntergeschriebe-nen Gesetzentwurf vorzulegen, um Handlungsfähigkeitzu demonstrieren, vor allem dann nicht, wenn die Konse-quenzen offensichtlich so wenig bedacht wurden. Nichtohne Grund hat sich ein breites Bündnis – von BITKOMbis hin zur Amadeu-Antonio-Stiftung, das ist keineswegseine klassische Kombination – gebildet, das eine Dekla-ration der Meinungsfreiheit vertritt und sich ausdrücklichgegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat und dieEinrichtung eines runden Tisches fordert .
Die Koalition wäre also durchaus gut beraten, dieKritik ernst zu nehmen und sich auf eine umfassendereDiskussion einzulassen . Die Debatte krankt auch daran,dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gewissermaßenals Allheilmittel gegen Hate Speech und Fake News ver-kauft wird . Dadurch haben wir wieder das Problem, dassdie Menschen glauben, dass etwas durch die Politik ge-löst wird, was sich aber im Leben und in der Praxis ganzanders darstellt . Das kann nicht sein .
Selbst wenn alle unsere Kritikpunkte zu diesem Gesetz-entwurf umgesetzt würden, hätten wir es mit einer breitengesellschaftlichen Debatte darüber zu tun, wie Kommu-nikation bzw . die Kultur der Kommunikation in diesemLand gestaltet werden kann . Die damit zusammenhän-genden gesellschaftlichen Probleme lassen sich nicht miteiner besseren Durchsetzbarkeit des Strafrechts lösen,ebenso wenig mit einer Ausweitung des Strafrechts andieser Stelle. Ich bezweifle, dass sich der Begriff „FakeNews“ rechtlich sauber definieren lässt und dass sich al-les, was völlig zu Recht als Hate Speech verurteilt wer-den kann, rechtlich sanktionieren lässt . Das ändert nichtsdaran, dass wir als Gesellschaft diese Probleme benen-nen müssen; da haben Sie völlig Recht, Herr Maas . DieseDebatte muss geführt werden .
Politisch müssen wir uns noch weit mehr mit derRechtsdurchsetzung befassen .
Dabei geht es um Medienkompetenz, politische Bildung,zivilgesellschaftliches Engagement, die Strukturkrisedes Journalismus, Geldflüsse über Werbenetzwerke undgrundsätzlich um den ordnungspolitischen Umgang mitder neuen Plattformwirtschaft .
Diese Diskussion muss in der Breite geführt werden . Da-für sollten wir uns in der kommenden Wahlperiode Zeitnehmen .Den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zu ver-abschieden, halten wir für einen Fehler . Ein noch größe-rer Fehler wäre, nur das zu tun und zu glauben, das Pro-blem sei damit weitestgehend gelöst . Das ist mitnichtender Fall .Danke .
Elisabeth Winkelmeier-Becker ist die nächste Redne-
rin für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Im digitalen Zeitalterkann jeder ganz einfach mit seinem Smartphone die gan-ze Weltöffentlichkeit erreichen, kann seinen Hass, seineHetze gegen Andersdenkende, Anderslebende, Anders-gläubige und politische Minderheiten in die ganze Welthinausposten, kann jedem den Tod wünschen, Vergleichemit niederen Tieren ziehen und sich mit seinen Tatenbrüsten, wie zuletzt der Kindermörder aus Herne . Er kannsich aber auch an seinem Arzt rächen, dem er vielleichtauf einer Plattform zur Bewertung von Ärzten etwas ein-stellt, was nicht der Wahrheit entspricht . Damit müssendie Betroffenen dann umgehen. Was das mit ihnen ma-chen kann, hat in dieser Woche eine Studie zum Cyber-mobbing dargelegt . Jugendliche leiden extrem darunter .Man ist dem ausgeliefert . Man ist in seinen Grundrechtenund insbesondere in seinem Persönlichkeitsrecht zutiefstverletzt und betroffen.Auf der anderen Seite löscht Facebook Einträge, zumBeispiel den Text des ehemaligen Radiomoderators Domian, der sich kritisch zur katholischen Kirche ge-äußert hatte; das passte Facebook nicht . Auch die ganzeSeite des Islamkritikers Imad Karim war zunächst weg .Mittlerweile ist sie wieder da . Aber zuerst hat Facebooksie gelöscht .Das sind zwei Beispiele, bei denen die Nutzer dieserPlattform in ihren Grundrechten betroffen sind, wo aberauch die Grundrechte aufeinandertreffen: auf der einenSeite das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auf der ande-ren Seite das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit .Dabei geht es um eine Anzahl von Fällen, die es sehrschwer bis unmöglich macht, alle mit der Gründlichkeiteines individuellen Gerichtsverfahrens zu klären . In vie-len Fällen – da wären wir uns alle hier sehr schnell ei-Dr. Petra Sitte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23851
(C)
(D)
nig – sind die Dinge eindeutig . Es gibt aber eben auch einpaar Fälle, deren Abgrenzung schwierig ist . Das alles ge-schieht vor dem Hintergrund, dass Eile geboten ist; dennjeder Post wird schnell weitergeklickt und gespeichertund ist damit uneinholbar in der Welt . Das ist also eineziemlich schwierige Ausgangskonstellation, bei der sichGrundrechte auf beiden Seiten konträr gegenüberstehen .Für uns ist klar: Hier besteht Handlungsbedarf . Das,was sich im Moment im Netz an Hass und Hetze abspielt,ist unerträglich . Das müssen wir unbedingt bekämpfenund eindämmen .
Ausgangspunkt ist die große Zahl eindeutig rechtswidri-ger Äußerungen im Netz .Der vorliegende Vorschlag sieht ein Beschwerdema-nagement vor, ändert im Übrigen aber an der materiellenRechtslage nichts in Bezug darauf, was zur Meinungs-freiheit gehört, was man sagen darf und wo die Gren-ze überschritten ist . An der bewusst weiten Grenze bzw .dem bewusst weiten Rahmen, den wir in Deutschlanddem Grundrecht der Meinungsfreiheit einräumen, istüberhaupt nichts zu ändern . Trotzdem ist aber auch jetztschon klar, dass Meinungsfreiheit nicht uneingeschränktgilt, sondern dass es auch Grenzen gibt, nämlich dann,wenn es um eine strafbare Beleidigung, Verleumdungund Volksverhetzung geht . All das wird durch das hiervorliegende Gesetz nicht geändert .Noch etwas anderes wird nicht geändert . Auch jetztschon ist die Plattform für die Rechtsverletzungen, diedort passieren, mitverantwortlich . Dabei gelten dieGrundsätze der Störerhaftung des deutschen Zivilrechts .Zum Beispiel gilt sie für Zeitungen . Auch diese müssenbereits jetzt prüfen, ob redaktionelle Texte oder Leser-briefe diesen Maßstäben gerecht werden . Wenn das nichtder Fall ist, dürfen sie auch in einer Zeitung nicht veröf-fentlicht werden . Auch an dieser Stelle haben wir alsoschon ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht durcheine private Stelle, nämlich die Zeitung .Was in der analogen Welt gilt, muss nun in die digitaleWelt übertragen werden . Leider ist es so, dass viele Inter-netplattformen dem nicht nachkommen . Uns liegen dazuja Zahlen vor . Bei Facebook waren es 46 Prozent derMeldungen, die eindeutig kritikwürdig waren, woraufaber nicht entsprechend reagiert wurde . Bei Twitter wares sogar nur 1 Prozent . Es beginnt damit, dass die Be-troffenen keine zustellungsfähige Adresse finden. Selbstdann, wenn es gemeldet werden konnte, passiert langeZeit gar nichts . Das können wir so nicht stehenlassen .Leider haben wir hier schon sehr viel Zeit mit rundenTischen und freiwilligen Appellen, die nichts gebrachthaben, vertan . Leider stehen wir jetzt hier unter einemerheblichen Zeitdruck, gegen Ende der Legislaturperio-de noch etwas Vernünftiges auf die Beine zu bekommenund das auch noch mit dem Notifizierungsverfahren inBrüssel abzustimmen . Wir hätten uns sicherlich einengroßen Gefallen getan, wenn wir das deutlich früher inAngriff genommen hätten. Leider ist ein entsprechenderVorschlag nicht früher aus dem Ministerium gekommen .Wir haben nun einen Vorschlag vorliegen, der eineschnelle Prüfung verlangt . Innerhalb von 24 Stundenmuss reagiert werden, bei schwierigen Fällen innerhalbvon einer Woche . Das alles geschieht unter der Aufsichtdes Bundesamtes für Justiz, welches aber nur das Verfah-ren prüft . Man muss hier auch noch einmal klarstellen:Es gibt hier keine inhaltliche Kontrolle . Wenn ein Buß-geld auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit gestütztwerden soll, dann brauchen wir ein Vorentscheidungs-verfahren bei Gericht, das dann mit der entsprechendenExpertise und Legitimation entscheidet .Nun gibt es von beiden Seiten ja schon heftige Kritik .Im Bundesrat gibt es bereits eine Initiative aus dem Lan-de Bremen, mit der das Gesetz verschärft werden soll . ImRechtsausschuss des Bundesrates haben auch alle Länderzugestimmt, dass vor allem der Anwendungsbereich er-weitert wird . Dabei geht es zum Beispiel um kompromit-tierende Bilder und um Aufrufe zu erheblichen Strafta-ten . Das ist ja bisher noch gar nicht erfasst . Außer Bayernund Sachsen haben alle zugestimmt, sodass sozusagenalle Parteien dabei vertreten sind, wenn gefordert wird,dass wir das Gesetz verschärfen .Auf der anderen Seite gibt es die heftige Kritik wegender Sorge, dass hier eine Zensur stattfinde. Es gibt auchdiejenigen – das ist besonders schön –, die zuerst gesagthaben: „Es kommt viel zu spät; es ist viel zu lasch“, jetztsich aber um 180 Grad gedreht haben und nun von an-geblicher Zensur sprechen . Dazu ist zu sagen: Man kanneben nicht beides haben .Wir müssen uns aber die ehrliche Kritik von beidenSeiten anschauen und überlegen, wie wir das aufnehmenkönnen . Was können wir noch verbessern? Ein guterAusweg könnte sein, bei dieser Kontrolle dem Unter-nehmen selbst weniger Einfluss einzuräumen, wenigerStaat einzubringen und dafür mehr pluralistisch organi-sierte Selbstkontrolle vorzusehen . Ich glaube, es würdesich lohnen – der Vorschlag ist schon gemacht worden –,wenn wir uns das Verfahren der Freiwilligen Selbstkon-trolle der Filmwirtschaft bei der Alterseinstufung vonFilmen – Stichwort Jugendschutz – anschauen . Ein sol-ches Verfahren könnte mehr Akzeptanz und mehr Ver-trauen der Betroffenen auf beiden Seiten ermöglichen.Wenn das ein Weg ist, sollten wir diese Chance nutzen .
Ich möchte kurz einen weiteren Punkt ansprechen .Wir brauchen dann, wenn die weiten Grenzen der Mei-nungsfreiheit überschritten worden sind, auch Möglich-keiten, die Urheber von Hass und Hetze persönlich zurVerantwortung zu ziehen . Dafür brauchen wir einen Aus-kunftsanspruch gegenüber dem Plattformbetreiber, alsodie Möglichkeit, die Identität des Betreffenden aufzude-cken . Hier ist jetzt die Rechtsgrundlage vorgesehen, dassder Plattformbetreiber die Angaben herausgeben darf .Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen und denAuskunftsanspruch, den die Rechtsprechung bisher nuraufgrund von Treu und Glauben einräumt, ganz klar nor-mieren und regeln .Es geht nicht um die Abschaffung von Anonymitätund Pseudonymität, auch wenn ich eigentlich der Mei-nung bin, dass wir uns im freien Austausch der Mei-Elisabeth Winkelmeier-Becker
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723852
(C)
(D)
nungen mit offenem Visier begegnen sollten. Jedenfallsmuss aber Anonymität dann ein Ende bzw . eine Gren-ze haben, wenn es um krasse Rechtsverletzungen geht .Dann müssen die Opfer die Möglichkeit haben, diese Da-ten zu bekommen . Sonst sind sie letztendlich schutzlosgestellt . Das kann nicht das Ergebnis sein . Gerade derSchutzmantel der Anonymität hat oft dazu beigetragen,dass die Hemmschwelle für Hass und Hetze im Netz sogesunken ist . Das Wissen, dass die Anonymität im Falldes Falles auch einmal aufgehoben werden kann, kannschon heilsam wirken .
Wie gesagt, es ist schade, dass wir erst so spät in die-se Beratungen hineingehen . Ich denke, wir müssen mitder notwendigen Gründlichkeit herangehen, weil es dieSache wert ist . Wir müssen den Opfern helfen, ohne dieMeinungsfreiheit einzuschränken .Danke schön .
Nächster Redner ist der Kollege Konstantin von Notzfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zi-tiere: „Heil Kanacke! Es wird Zeit das Auschwitz, Bu-chenwald u .a . den Betrieb wieder aufnehmen! Da gehörtIhr Drecks türken nähmlich hin . Ab durch den Schorn-stein …“ Zitat Ende . Den Rest dieses Zitats erspare ichdiesem Hohen Haus .Solch hasserfüllte Kommentare fallen eben nicht nurauf der Straße heutzutage, sondern auch im Netz . Daseben Zitierte galt unserem Kollegen Özcan Mutlu . Abergenauso wie er werden täglich viele Menschen in diesemLand unerträglich beleidigt, bedroht und verleumdet .Solche krassen Rechtsverletzungen sind nicht nureine Zumutung für die Betroffenen, sie sind, hunderttau-sendfach ausgesprochen, gepostet und geteilt, auch einegravierende Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie,wenn sie folgenlos bleiben .
Es verbindet uns hier alle, dass wir das nicht hinnehmenwollen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
– „Aber“, Herr Grosse-Brömer, Herr Maas: diese Ein-tracht! Das kommt doch nicht zustande, indem Sie eineganze Legislaturperiode nichts tun, talken, aussitzen unddann hier in der letzten Kurve dieser Legislatur mit so ei-nem wüsten Gesetz um die Ecke kommen . Da kann manauch gleich wieder gehen, genau .
Sie legen hier heute etwas vor, was die Probleme nichtlöst. Sie schaffen viele neue Probleme. Das ist jetzt nichteine krude Oppositionsmeinung, sondern das sagen Ih-nen der Deutsche Richterbund, Vertreter der Wirtschaft,die Journalistenverbände, die NGOs . Kritik ist selten soeinhellig und so breit wie in diesem Fall . Ihr Netzwerk-durchsetzungsgesetz, Herr Kauder und Herr Maas, istselbst eine Gefahr für die Meinungsfreiheit in unsererfreiheitlichen Demokratie .
Zitat:Das . . . ist ein Schnellschuss, das Justizministeriumagiert hier nicht als Wahrer der Bürgerrechte, son-dern verbietet, was es nicht versteht .Wer hat das gesagt? Die Staatssekretärin DorotheeBär .
– Ich komme gleich zum Kollegen Klingbeil . – ThomasJarzombek beklagt zu Recht, dass dieser Entwurf vielezweifeln lässt, wie es Herr Maas denn nun mit der Mei-nungsfreiheit hält . Er sagt – Zitat –:Das Ergebnis . . . ist leider kein Belegstück für gute . . . Handwerkskunst . Substanzielle Teile fehlen: DieKennzeichnungspflicht für Social Bots ...Der geschätzte Kollege Klingbeil sagt zu diesem Ge-setz:
Eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung darf esnicht geben .Recht hat er, meine Damen und Herren .
So was, Herr Maas, kommt dabei raus, wenn man nochnicht einmal die Stellungnahmen abwartet, sondern dasGanze in einem Facebook-Stream raushaut und verkün-det; das ist ja unfassbar .
Ja, wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflichtnehmen . Aber wir dürfen sie eben nicht in eine Rich-terrolle drängen . Es ist eben nicht egal, ob zu viel oderzu wenig gelöscht wird . Es braucht klare Regeln undElisabeth Winkelmeier-Becker
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23853
(C)
(D)
Sanktionen für ein rasches, aber eben auch sorgfältigesVerfahren .
Schwierige Fälle, Herr Maas, gehören eben – wie im ana-logen Leben – am Ende vor Gericht geklärt .
Nach dem Entwurf, den Sie hier vorlegen, kann jederzu Facebook gehen, um die Identität einer missliebigenPerson zu erfahren, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker .Da haben Sie noch nicht einmal einen ordentlichenRichtervorbehalt vorgesehen . Hier droht nicht nur einschleichender Zensureffekt, sondern auch die digitaleBloßstellung und Gefährdung, übrigens auch für alle Kri-tikerinnen und Kritiker von der AfD und von Erdogan .Auch sie sind von dieser Auskunftspflicht berührt, unddas ist ein Problem .
Schließlich: Wir brauchen ein effektives und verhält-nismäßiges Notice-and-Take-down, das die Meinungs-freiheit achtet . Unsere Justiz kann das . Wir müssen siedafür stark machen .Außerdem müssen wir uns mit den sozialen Medienund gesellschaftspolitischen Ursachen für Hate und Fakeauseinandersetzen . Unsere Zivilgesellschaft kann das .Wir müssen sie aber einbinden . Beides tun Sie nicht, unddas ist zu wenig .Vielen Dank .
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johannes
Fechner das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zu den positi-ven Errungenschaften des Internets gehört, dass Milli-onen Menschen miteinander in Kontakt treten können .Aber die Schattenseite ist, dass es auch unendlich vieleMöglichkeiten gibt, Hassbotschaften, Beleidigungen undStraftaten millionenfach zu verbreiten . Weil es nach derheutigen Rechtslage so unendlich schwierig ist, gegendiese Hassbotschaften im Netz vorzugehen, brauchen wireine Regulierung . Soziale Netzwerke dürfen kein rechts-freier Raum sein, in dem gemobbt, beleidigt wird oder indem zu Straftaten oder gar zum Mord aufgerufen wird .Auch in sozialen Netzwerken muss Recht und Gesetzgelten, und dem dient dieses Gesetz .
Es ist schon komisch, Herr von Notz, dass Sie sagen,die Bundesregierung kommt erst auf den letzten Drücker .Selber haben Sie Ihren Antrag aber erst im April 2017eingebracht .
Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, stelle ich einmalmehr fest, dass Sie keinen konkreten Gesetzesvorschlagmachen, dass Sie keine ausformulierten Vorschläge ma-chen, wie es die SPD zu Oppositionszeiten gemacht hat,sondern Sie bringen lose Aufforderungen, schwammigformuliert .
Wir handeln . Wir legen ganz konkrete Gesetzentwürfevor, die den Bürgerinnen und Bürgern helfen werden,Herr von Notz .
Wir machen das, weil wir von Einrichtungen wie etwajugendschutz .net wissen, dass bei YouTube, Twitter oderauch Facebook – YouTube muss ich ausnehmen; dort hates sich gebessert –
– bei den Grünen bricht schon Panik aus –
bzw . bei Twitter oder Facebook nicht freiwillig gelöschtwird und wir nicht auf die Freiwilligkeit dieser Unter-nehmen setzen können. Ich finde, wenn UnternehmenMilliardengewinne machen, dann können wir ihnen auchzumuten, dass sie Rechtsanwälte beschäftigen oder einejuristische Abteilung aufbauen, um dafür zu sorgen, dassLügen und Straftaten im Netz nicht verbreitet werden,liebe Kolleginnen und Kollegen .Dabei ist wichtig, zu wissen: Schon heute gibt esUnterlassungsansprüche . Daran ändern wir mit diesemGesetz nichts, sondern wir sorgen dafür, dass diese An-sprüche tatsächlich durchgesetzt werden können . Diewichtigste Regelung ist dabei, dass wir für die Unterneh-men die Pflicht einführen, in Deutschland eine Zustell-person zu benennen, also eine Person, an die Zivilrechts-klagen, Unterlassungsklagen oder auch strafrechtlicheVerfügungen der Ermittlungsbehörden zugestellt wer-Dr. Konstantin von Notzhttp://www.jugendschutz.net/
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723854
(C)
(D)
den können . Wir müssen dafür sorgen, dass die Opfer inDeutschland ihre Rechte durchsetzen können .
Es ist wichtig, eines klarzustellen: Es geht nicht da-rum, die Unternehmen zu verpflichten, zu bewerten, obsie Löschungen vornehmen müssen oder nicht . Es istausdrücklich geregelt, dass eine Bußgeldbehörde, bevorsie ein Bußgeld verhängt, eine Gerichtsentscheidungeinholen muss, ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht .Deswegen kann von einer Privatisierung, die auch wirselbstverständlich nicht wollen, überhaupt keine Redesein, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Der entscheidende Punkt ist, dass die Sanktion, das Buß-geld kommt, wenn kein systematisches Beschwerdema-nagement, kein taugliches Verfahren zur Löschung vonrechtswidrigen Inhalten vorhanden ist .Ja, auch wir achten ganz genau darauf, dass diesesGesetz klar und präzise formuliert ist . Wir haben schoneinige Änderungen in der Gesetzesbegründung vorge-nommen .
Wir haben den Anwendungsbereich präzisiert . Jetztist klar, dass Maildienste wie GMX oder Web .de, Be-wertungsportale oder Berufsportale wie LinkedIn oderXING nicht unter dieses Gesetz fallen .
Wir stehen dem Vorschlag, das auch im Gesetzestext zuändern, offen gegenüber. Das können wir gerne beraten.Wenn dort entsprechende Regelungen erforderlich sind,dann machen wir das zur Klarstellung gerne .Ein weiter Punkt ist uns wichtig: Einen Auskunftsan-spruch darf es nur geben, wenn ein Gericht dies anordnet .
Bestandsdaten dürfen nur dann herausgegeben werden,wenn eine Rechtsverletzung vorliegt, wenn also eine derStraftaten begangen wurde, die wir im Gesetz abschlie-ßend und genau normiert haben .
Auch das ist eine Änderung, auf die wir uns schon ver-ständigt haben und die wir in den Gesetzestext einfügenwollen .
Das ist für uns in der SPD ein ganz wichtiger Punkt .Sie sehen: Wir haben schon eine ganze Menge Kritik-punkte aufgenommen . Für uns gilt, dass im Zweifel fürdie Meinungsfreiheit zu entscheiden ist . Es darf bei densozialen Netzwerken nicht die Situation eintreten, dassdiese – quasi in vorauseilendem Gehorsam – im Zwei-fel aus Angst vor einer harten Sanktion zurückschreckenund einen Inhalt deshalb löschen . Genau das wollen wirnicht . Deswegen haben wir eine klare Regelung ins Ge-setz aufgenommen .Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die SPDsetzt sich dafür ein, dass für die Opfer von Straftaten undVerleumdungen in der digitalen Welt die gleichen Rech-te wie in der analogen Welt gelten . Dazu brauchen wirein Gesetz . Wir wollen dieses Gesetz . Wir sind bereit, inden Beratungen die eine oder andere Präzisierung vorzu-nehmen, möglicherweise auch im Gesetzestext . Darüber,dass wir dieses Thema behandeln müssen, und zwar nochin dieser Legislaturperiode, sollten wir uns aber alle einigsein . Es wird viel zu viel Hass und Hetze im Internet ver-breitet . Dagegen müssen wir vorgehen .Vielen Dank .
Dr . Stefan Heck erhält das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesungim Deutschen Bundestag behandeln, hat schon, bevor eruns hier erreicht hat, eine ungewöhnlich breite Debattein der Öffentlichkeit ausgelöst. Ich glaube, wir sind gutberaten, die Einwände, die uns aus vielen Teilen der Ge-sellschaft erreichen, ernst zu nehmen und sie sorgfältigabzuwägen .
Wenn man die Reden hier aufmerksam verfolgt hat –von Frau Sitte bis zu Herrn von Notz und die Reden ausden Reihen der Koalition –, dann kann man feststellen:In der Bestandsaufnahme sind wir uns zunächst einmaleinig . Die derzeitige Praxis ist jedenfalls unbefriedigend .Viele soziale Medien haben sich zu Räumen entwickelt,in denen das Gesetz und das Recht, das unbestritten gilt,derzeit keine Anwendung finden. Dort wird gehetzt, dortwird beleidigt, und dort wird Hass verbreitet, häufig un-ter dem Deckmantel der Anonymität, meist jedenfallsohne irgendeine Konsequenz für die Täter .Dabei haben die Betreiber von sozialen Medien einPrivileg . Anders als zum Beispiel Presseverlage haftensie nicht in vollem Umfang für die Inhalte, die über sieverbreitet werden . Das Telemediengesetz verlangt le-diglich, dass rechtswidrige Inhalte unmittelbar gelöschtwerden, sobald der Betreiber von ihnen Kenntnis erlangt .Unsere ernüchternde Erkenntnis heute ist, dass vieleDr. Johannes Fechner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23855
(C)
(D)
Plattformen dieser Forderung überhaupt nicht nachkom-men . Auf der Strecke bleiben dann die Nutzerinnen unddie Nutzer, die sich ehrverletzenden Angriffen völlig hilf-los ausgesetzt fühlen .Wenn man sich damit beschäftigt, dann erfährt man:Es ist ein komplizierter Prozess, bis selbst eindeutigrechtswidrige Aussagen entfernt werden . Die Melde-portale sind zu kompliziert, das Verfahren ist undurch-sichtig, und häufig gibt es niemanden, der am Ende alsAnsprechpartner erreichbar ist . Hier entsteht der fataleEindruck, dass strafbares Verhalten völlig sanktionsloshingenommen wird . Ich bin der festen Überzeugung:Diesen Zustand dürfen wir als Staat und als Gesetzgebernicht länger dulden .
Der Gesetzentwurf sieht verschiedene Maßnahmenvor – wir haben es eben schon erfahren –: Es soll eine Be-richtspflicht zum Umgang mit strafbaren Inhalten geben.Es soll die Verpflichtung zu einem wirksamen Beschwer-demanagement geben . Es soll einen Auskunftsanspruchder Opfer zu den Bestandsdaten der Täter geben . Und essoll eine Bußgeldandrohung in empfindlicher Höhe beiPflichtverstößen geben. Ich glaube, all das ist ein drin-gend notwendiges Signal; es ist ein Schritt in die richtigeRichtung .Gleichwohl – auch das will ich offen ansprechen – se-hen wir bei einigen zentralen Punkten noch erheblichenBeratungsbedarf .
Ich bin nicht sicher, ob die Löschverpflichtung, die diesozialen Netzwerke in völliger Eigenregie umsetzensollen, wirklich der Weisheit letzter Schluss ist . Wir ha-ben – Frau Kollegin Winkelmeier-Becker hat es ange-sprochen – schon in verschiedenen Bereichen des Medi-enrechts die Einbeziehung von neutralen und allgemeinanerkannten Akteuren . Das könnten wir uns hier auchsehr gut vorstellen .Für uns als Fraktion ist ein Punkt ganz wichtig: Wirmüssen einen Mechanismus finden, der rechtswidrige In-halte zielgenau erkennt und ebenso zielgenau beseitigt,ohne dass durch eine zu weit gehende Löschpraxis sozu-sagen in vorauseilendem Gehorsam die Meinungsfreiheiteingeschränkt wird .
Wir stehen jetzt vor intensiven Beratungen . Zur Wahr-heit gehört: Herr Minister, es wäre gut gewesen, wennSie dieses Gesetz schon sehr viel früher vorgelegt hättenund wir für die Beratungen erheblich mehr Zeit gehabthätten .
Für uns gilt: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit . Aberwir wollen dieses Gesetzesvorhaben innerhalb der nächs-ten Sitzungswochen zu einem guten Abschluss bringen .Es geht hier um sehr grundsätzliche Fragen: Wie schüt-zen wir die Wahrhaftigkeit in der öffentlichen Debatte?Wie kann sich der Rechtsstaat im digitalen Raum be-haupten? Vor allem: Wie können wir Nutzerinnen undNutzer wirksam vor Straftaten schützen?Herzlichen Dank .
Das Wort erhält die Kollegin Renate Künast für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will garnicht alles wiederholen, weil ich es eigentlich auch hasse,die Sätze, die im Netz oft fallen, wiederholen zu müssen .Es ärgert auch mich immer wieder, was da systematischpassiert – ich habe das selber erlebt –: Nicht nur der Hass .Ich habe das selber erlebt, dass ein Generalstaatsanwaltden Satz „Von Ihnen würde ich gern ein Enthauptungs-video sehen“ dann nicht als Beleidigung bezeichnet .Ich sage: Wie kann man einen Menschen noch stärkerherabwürdigen? Ich habe erlebt, wie es ist, wenn einemFalsch zitate, Fake News angehängt werden, und wie lan-ge man braucht, um die wieder zu löschen . Deshalb sageich, sagen wir: Ja, da muss etwas getan werden . Es mussetwas getan werden, damit das, was heute schon im Tele-mediengesetz deutsches Recht ist, auch umgesetzt wird,meine Damen und Herren .
Das heißt aber noch nicht, dass es genau so getanwerden muss, wie es jetzt vorgesehen ist . Sie bekommenGegenwind – ich habe Ihren Zwischenruf gar nicht ganzverstanden; aber ich brauche mich da auch gar nicht zuscheuen; wir als Grüne sind schon die ganze Legislatur-periode in dieser Geschichte unterwegs –, Gegenwindvon allen Seiten: von der Union, von der SPD, vomJournalistenverband, vom Richterbund, von Rechtswis-senschaftlern und, und, und . Meine Damen und Herren,das sollte Ihnen eigentlich zu denken geben. Ich findedas Verfahren nicht angemessen, wie Sie es gemachthaben: Wir bringen mal ein Gesetz ein, das eigentlichvom Minister geschrieben ist; aber es kommt nicht alsRegierungsentwurf, sondern als Fraktionsentwurf, weilman den Bundesrat und seine Äußerungsfristen umgehenwill . Das alleine ist vom Verfahren her schon nicht an-gemessen .
Obwohl, wir sehen natürlich auch, wie groß dieserHass ist und dass er von einigen Organisationen systema-tisch mit politischen Absichten betrieben wird, um denDiskurs nach ganz weit rechts zu schieben .Man muss sich ja fast schon dafür schämen, dass man-che Journalistinnen und Journalisten auch meinen, Poli-tical Correctness sei etwas Falsches . Wenn man also dieDr. Stefan Heck
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723856
(C)
(D)
Würde achtet und Menschen nicht diskriminiert, dannsoll man sich schon schämen . So weit ist der Diskursschon gekommen, meine Damen und Herren .
Das macht mir auch Angst, und nicht nur Hate Speechund Fake News .Fakt ist: Wir reden über die Durchsetzung geltendenRechts, über die Löschung rechtswidriger Inhalte . Ichmeine, die Koalition hat die Chance verpasst, alle Inte-ressen und Rechte der Betroffenen bzw. die Zuständigkei-ten – auch der Länder – hier miteinander zu koordinieren .Vergessen wir nicht: Für Jugendschutz, für Presse, fürMedien sind die Bundesländer zuständig . Für die Schaf-fung neuer Staatsanwaltschafts- und Richterstellen sindübrigens auch die Justizbehörden der Länder zuständig .Man sieht ja: Der Bundesrat wundert sich schon .Ich will ein paar Punkte zu dem Notice-and-Take-down-Verfahren sagen, das ja auch schon Pflicht ist undvon dem auch wir sagen: So geht es nicht . Ich selberversuche, ich glaube, seit anderthalb Jahren, zu Arvatodurchzudringen, die ja im Auftrag von Facebook tätigsind . Ich bin bisher dort nicht durchgekommen . Es wirdmir immer angekündigt, ich käme da hin . Man fragt sichalso: Was haben die zu verbergen? Arbeiten die gar nichtso gut? – Also: Es ist etwas zu tun . Und: Dieses Verfah-ren muss besser werden .Aber warum soll es eine Parallelstruktur zum Teleme-diengesetz geben, meine Damen und Herren? Warum lö-schen und sperren? Warum unbestimmte Rechtsbegriffe?Wie sollen sie konkret ausgelegt werden? Ich weiß – HerrFechner, Sie haben es gesagt –: Es soll noch nachgebes-sert werden . – Aber jetzt komme ich mal zum Verfahren .Was ist das für ein Verfahren, in dem nach anderthalboder zwei Jahren mit runden Tischen, Zwischenberich-ten und allem im allerletzten Augenblick dem Bundestagetwas vorgelegt wird? In Klammern: Es ist ja auch nochdie Notifizierung der Europäischen Union zu beachten.Also: Wenn wir auf neue und gute Ideen kommen, dannkönnten wir das Gesetz nicht entsprechend verbessern,weil wir dann ein neues Notifizierungsverfahren einlei-ten müssten . Das ist doch eine Engführung des parlamen-tarischen Prozesses – und das angesichts der Tatsache,dass da Grundrechte tangiert werden . Ich halte das fürkein gutes Verfahren .
Grundrechte werden tangiert, was die Meinungsfrei-heit betrifft, und natürlich auch, das Eigentumsrecht,was die Betriebe betrifft. Wir wissen nicht, für wen esgelten soll . Welche 2 Millionen Nutzer, User sind denngemeint? Die Löschfristen sind einseitig gemacht . Dasheißt, für den Fall, dass eine Löschung falsch war, sehenSie kein Verfahren vor, um den betreffenden Inhalt wie-der einzustellen . Es ist in der Demokratie ja auch mög-lich, dass das einmal passieren kann . Sie reden über ei-nen Richtervorbehalt beim Drittauskunftsanspruch, aberer steht gar nicht im Gesetz .Ich meine, es gibt dringenden Beratungsbedarf undÄnderungsbedarf bei diesem Entwurf, was die Fristen,den Anwendungsbereich, fälschlich gelöschte Inhalte an-geht . Wir müssen die Debatte erweitern und müssen unsum Prävention, Medienkompetenzen, Bildung kümmern,weil wir allein mit dem Strafgesetzbuch und dem Ord-ungswidrigkeitengesetz das, was hier gesellschaftlichpassiert, nicht lösen können . Dafür brauchen wir Zeit .Die wollen wir auch haben . Die nehmen Sie sich nicht,obwohl es um Grundrechte geht . Deshalb unsere Kritikan Ihrem Entwurf .
Das Wort erhält nun der Kollege Lars Klingbeil für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! AlsFrau Künast Ministerin gewesen ist, muss es so gewesensein, dass alle Kabinettsvorlagen von der Grünenfraktioneins zu eins im Parlament durchgewunken wurden . Ichglaube, die Große Koalition kann mit vollem Stolz sagen:Wir reden noch einmal über das, was aus dem Kabinettkommt, und gucken uns genau an, ob man nachbessert .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier übereinen Bereich, der sehr sensibel ist . Ich glaube auch, dassbei vielen von uns in den letzten Monaten Erkenntnissegereift sind . Wir alle sind uns der Verantwortung ange-sichts des Themenbereichs bewusst, über den wir heutesprechen . Es geht um Meinungsfreiheit, es geht um dieVerantwortung, die der Staat, die wir als Parlamentariertragen . Es geht um die Frage, ob wir es als Politik schaf-fen, diejenigen zu schützen, die von Hass und Hetze imInternet betroffen sind. Facebook ist heute quasi so etwaswie ein öffentlicher Raum. Es geht heute hier auch umdie Frage, ob der Staat dort Handlungsfähigkeit beweisenkann .Ich will Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen,dass seit Beginn der Diskussion vieles passiert ist: Wirsehen eine gestiegene Sensibilität in der Bevölkerung .Wir diskutieren viel, nicht nur über offensichtliche Straf-rechtsverletzungen, sondern auch über einen anderenPunkt, über das, was wir als Fake News bezeichnen, unddie Frage, wie wir damit umgehen .Facebook kommt in Bewegung . Wir sehen, dass dortmehr Personen eingestellt werden, die löschen sollen .Wir sehen auch, dass Facebook anfängt, mit JournalistenRenate Künast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23857
(C)
(D)
zusammenzuarbeiten und genau zu gucken, was eigent-lich wahr ist und wo falsche Dinge verbreitet werden .Für die SPD-Fraktion kann ich sagen – das ist füruns völlig klar –: Es geht, wenn wir über all diese Dingereden, nicht nur um Gesetze; es geht auch um digitaleKompetenzen . Es geht um die Frage: Wie stärken wireigentlich diejenigen, die im Internet dagegenhalten? Esgeht um die Frage: Wie können wir Fakten viel besserherausstellen?Heute reden wir konkret über das Netzwerkdurch-setzungsgesetz . Ich kann für die SPD-Fraktion hier zu-sagen: Wir werden die vielen Bedenken, die gerade imöffentlichen Raum stehen, in den parlamentarischen Be-ratungen ernst nehmen . Wir werden zuhören, wir werdenuns die Dinge anhören, und wir werden dann sicherlichnach einer gründlichen Debatte dazu kommen, dass wiran vielen Stellen Änderungen an diesem Gesetzentwurfvornehmen .Es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Schnel-ligkeit, weil die Legislatur bald zu Ende ist . Ich will hieraber auch sagen: Es geht auch um Gründlichkeit, undbeide Dinge werden wir nicht gegeneinander ausspielen .
Herr Kollege Klingbeil, darf Frau Rößner eine Zwi-
schenfrage stellen?
Sehr gerne .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Danke, Kollege
Klingbeil, dass ich eine Frage stellen darf . Nun gab es
ja am Anfang der Legislaturperiode das große Ansinnen
der Großen Koalition, eine Bund-Länder-Kommission
zur Regelung im Medienbereich auf den Weg zu brin-
gen . Da gab es auch eine Arbeitsgemeinschaft Plattform-
regulierung und eine Arbeitsgemeinschaft Intermediäre .
Jetzt hat die Kommission aber leider ihre Arbeit schon
abgeschlossen, es gibt einen Bericht, aber genau diese
Thematik ist darin nicht enthalten . Insofern verstehe ich
nicht ganz, warum jetzt auf die Schnelle dieses Gesetz
durchgeboxt werden soll, ohne dass die Länder miteinbe-
zogen worden sind, obwohl man dort ein Gremium hat-
te, in dem man intensiv diskutiert und sich Sachverstand
geholt hat . Das verstehe ich nicht . Vielleicht können Sie
es mir erklären .
Liebe Kollegin Rößner, es ist doch in der Tat so – daswissen Sie als Mitglied der damaligen Enquete-Kom-mission und als eine Kollegin, die auch viel in diesemBereich unterwegs ist –, dass es digitale Entwicklungengibt, die uns manchmal angesichts ihrer Geschwindigkeitherausfordern . Sie haben zu Recht festgestellt: Wir hät-ten dieses Thema in der Bund-Länder-Kommission dis-kutieren sollen . – Wir haben es da leider nicht getan . DasParlament war ja nicht direkt beteiligt . Aber es gibt jetztdiese Herausforderung, und wir müssen diese Herausfor-derung annehmen .Für mich wäre es der falsche Weg, nur weil die Le-gislatur kurz vor dem Ende steht, jetzt zu sagen: Wirignorieren diese Probleme und diskutieren es hier imParlament nicht . –
Wir müssen uns mit den Fragen, die unsere Gesellschaftbeschäftigen, auseinandersetzen, und das tut die GroßeKoalition an dieser Stelle . Ich habe gerade, als Sie sichgemeldet haben, gesagt: Es geht um Gründlichkeit, undes geht um Schnelligkeit . Beides lässt sich nach unsererMeinung nicht gegeneinander ausspielen .Herr Präsident, ich will in meiner Rede fortfahren . –Ich will vier Punkte nennen, die für die SPD bei den Ver-handlungen in der Koalition und hier im Parlament sehrwichtig sein werden .Das Erste ist, dass der Gesetzentwurf eine Ausweitungder Auskunftsansprüche ohne Richtervorbehalt vorsieht .Das ist für uns eine rote Linie, die in diesem Fall über-schritten wurde . Wir sagen: Der Richtervorbehalt mussrein, und wir brauchen eine Beschränkung des Aus-kunftsanspruchs auf einen engen Kreis von Straftaten .Der zweite Punkt sind die Bußgelder . Wir wollen die-sen Punkt im Gesetzestext konkretisieren, um deutlich zumachen: Es geht nicht um den einzelnen Post und dieFrage, ob eine soziale Plattform damit falsch umgeht,sondern um das Vorhalten eines effektiven Beschwerde-managements . Wir wollen erreichen, dass das im Gesetzdeutlicher wird .Der dritte Punkt ist, dass wir eine Klarstellung brau-chen, welche Plattformen von diesem Gesetz betroffensind und welche nicht .Der vierte Punkt ist – auch das kann ich hier für dieSPD-Fraktion sagen –: Wir wollen die Möglichkeit derregulierten Selbstregulierung in den Verhandlungen hierim Parlament offen und ehrlich prüfen.Das waren vier Punkte, die uns sehr wichtig sind . Ichwill noch einmal sagen: Es ist für mich eine Selbstver-ständlichkeit, dass wir als Parlamentarier schauen, wiewir selbst bei guten Gesetzen noch nachbessern können .Dann will ich aber jetzt am Ende etwas ansprechen,was mich schon irritiert . Es gibt vonseiten der Union vielKritik, Kritik am Minister und an dem, was das Kabinettvorgelegt hat . Ich hätte mir gewünscht, dass heute hierim Parlament diejenigen aus den Reihen der Union spre-chen, deren Kritik am Gesetz man sonst nur auf SpiegelOnline nachlesen kann .
Da fordert Herr Kauder Herrn Maas auf, das Gesetzschneller auf den Weg zu bringen und es härter zu ma-chen .
Dann kommt seine Stellvertreterin Nadine Schön undsagt: Das darf alles nicht so schnell gehen, und das istLars Klingbeil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723858
(C)
(D)
doch alles viel zu hart . – Herr Jarzombek schlägt vor,eine quasi-staatliche Behörde einzurichten . DorotheeBär, die als Staatssekretärin ihren Minister im Kabinettanscheinend schlecht beraten lässt, sagt, sie lehne die-ses Gesetz ab . Dieses Hin und Her in der Union wird esschwierig machen, in den kommenden Wochen über allediese Punkte zu beraten .
Ich hätte mir gewünscht, dass die Digitalpolitiker heutezu Wort kommen . Dann hätten wir die Kritik nicht nurbei Spiegel Online gelesen, sondern auch einmal hier imParlament gehört .
Herr Klingbeil, bevor Ihre Redezeit zu Ende ist: Wol-
len Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?
Ja, gerne .
Gut . Deswegen hatte ich Sie jetzt unterbrochen .
Dann habe ich auch mehr Zeit zur Verfügung . Das ist
doch gut .
Frau Schön, bitte .
Nadine Schön (CDU/CSU):
Lieber Kollege Klingbeil, Sie haben mich direkt ange-
sprochen . Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass
die Unionsfraktion in dieser Frage immer eine einheitli-
che Meinung hatte?
Das ist in unserem Positionspapier nachzulesen, das wir
als Gesamtfraktion im Januar verabschiedet haben . Darin
haben wir alle Punkte, die heute kritisiert werden, aufge-
griffen, nämlich: Wer prüft eigentlich? Gibt es Verfah-
ren der regulierten Selbstregulierung? Wer ist überhaupt
betroffen von einem solchen Gesetz? – Das stand schon
in unserem Positionspapier . Deswegen wäre es schön
gewesen, wenn das zuständige Ministerium die Positi-
onspapiere – Ihre Fraktion hat ja auch eines vorgelegt –
als Grundlage für das Gesetz herangezogen hätte . Dann
müssten wir viele Diskussionen heute nicht führen .
Ich freue mich sehr, wenn Sie sagen, dass für Sie das
Thema „regulierte Selbstregulierung“ wichtig ist . Sie tei-
len unsere Kritik an vielen Stellen . Frau Winkelmeier-
Becker hat in ihrer Rede auch Punkte aufgegriffen.
Hansjörg Durz wird für die AG Digitale Agenda spre-
chen . Wir haben ein völlig konsistentes Meinungsbild
innerhalb der CDU/CSU-Fraktion .
Wir sind aber auch offen für Anregungen von außen; denn
wir sind uns einig, dass es ein sehr komplexes und schwie-
riges Gesetz ist . Wir alle sind gut beraten, wenn wir auch
Experten und diejenigen, die mit dem Thema „regulierte
Selbstregulierung“ schon Erfahrungen haben, hören und
ihre Meinung in unsere Beratungen einbeziehen .
Ich möchte die Kritik wiederholen, dass es sehr schade
ist, dass die Beratungszeit so kurz ist . Wir hätten uns für
dieses Gesetz einfach mehr Zeit gewünscht . Aber es ist
schön, zu hören, dass die SPD-Fraktion bei vielen Punk-
ten unserer Meinung ist . Deshalb sollten wir die Zeit nut-
zen, das Gesetz zu einem guten Gesetz zu machen .
Herr Klingbeil, bitte .
Ich freue mich darüber, dass sich beim geschätzten
Koalitionspartner bei diesem Thema endlich Einigkeit
andeutet . Ich will noch einmal die für uns wichtigsten
vier Punkte nennen: Richtervorbehalt beim Auskunfts-
anspruch, Bußgelder konkretisieren, deutliche Klarstel-
lung, welche Netzwerke betroffen sind, und Prüfung der
regulierten Selbstregulierung . Wenn Herr Durz, der nach
mir sprechen wird, sagt: „Wir machen an alle vier The-
men einen Haken“, dann würde das im Hinblick auf die
Berichterstattergespräche schon einiges erleichtern .
Vielen Dank fürs – –
Herr Klingbeil, Stopp! Sie haben noch eine Sekunde
Redezeit .
– Ja, bei manchen ist eine Sekunde ziemlich lang, liebe
Kolleginnen und Kollegen . – Wollen Sie noch eine Zu-
satzfrage von Herrn von Notz zulassen?
Ja, klar . Gerne .
Gut .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, HerrKollege Klingbeil . Nach den Selbstgesprächen der Gro-ßen Koalition muss ich doch eine Nachfrage stellen,
Lars Klingbeil
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23859
(C)
(D)
weil ich da etwas nicht verstehe . Wenn es in der Unioneine einheitliche Linie gibt, wie verstehen Sie denn danndie Äußerungen der Kollegen Bär und Jarzombek? Alsoich nehme eine große Lücke zwischen den Aussagen vonHerrn Kauder, der jetzt leider nicht mehr da ist, und de-nen der beiden Kollegen wahr . Gibt es eine sozialdemo-kratische Erklärtheorie, wie es zu diesem Delta kommenkann?
Ich bin ausgebildeter Sozialwissenschaftler und kein
Sozialpädagoge .
Insofern kann ich nicht weiterhelfen . Ich habe aber wahr-
genommen – und das ist ein wichtiges Signal –, dass die
Union dabei ist, sich auf konkrete Punkte zu einigen, die
wir in die Berichterstattergespräche einfließen lassen
können . Das wäre für uns wichtig, damit wir das Gesetz
in dieser Legislatur noch gründlich beraten und zum Ab-
schluss bringen können .
Vielen Dank, Lars Klingbeil . – Schönen guten Mor-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzter Redner in
dieser lebendigen Debatte: Hansjörg Durz für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So-ziale Medien bieten großartige Möglichkeiten und Chan-cen der Kommunikation und sind heute wesentlicherBestandteil unseres öffentlichen Diskurses. Sie habensich in den vergangenen Jahren extrem dynamisch wei-terentwickelt und haben eine enorme Reichweite . Bei-spielsweise wird Facebook von 1,9 Milliarden Menschenweltweit genutzt . In Deutschland nutzen das Netzwerketwa 25 Millionen Menschen jeden Monat .Mit dieser Entwicklung geht eine spürbare Verände-rung des öffentlichen Diskurses im Netz sowie in der Ge-sellschaft insgesamt einher . Neben all den positiven As-pekten sehen wir leider zunehmend auch Beleidigungen,Hass, Diskriminierungen, Aufrufe zur Hetze, ja, sogarMord . In den letzten Wochen und Monaten sind immerwieder Videos von Gewalttaten auf Internetplattformenveröffentlicht worden, so schlimm, dass man sie garnicht beschreiben will. Nach der Veröffentlichung einesMordvideos auf Facebook hat Mark Zuckerberg kürzlichKonsequenzen zugesagt und die Einstellung von Tausen-den zusätzlichen Mitarbeitern angekündigt, die löschensollen .Bereits heute müssen – wir haben das mehrfach ge-hört – soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen,wenn sie Kenntnis davon erlangen . Die Diensteanbieterkommen dieser Löschpflicht zwar grundsätzlich nach,allerdings nicht in dem erforderlichen Umfang und vorallem oft viel zu spät . Dabei spielt der Faktor Zeit eineganz entscheidende Rolle . Auch wenn rechtswidrige In-halte relativ zeitnah gelöscht werden, haben bis dahinmöglicherweise Hunderttausende Menschen die Inhaltegesehen, kopiert und weiterverbreitet . Empirische Da-ten belegen, dass trotz der rechtlichen Verpflichtung oftzu wenig passiert und rechtswidrige Inhalte zu lange imNetz verbleiben .Aus diesem Grund hat Justizminister Maas zunächstdas Gespräch mit den Diensteanbietern gesucht . Es wur-den runde Tische organisiert und sogar eine Taskforceeingerichtet. Die Bemühungen, über die Selbstverpflich-tung der Anbieter eine Verbesserung zu erreichen, habenaber nicht den dringend notwendigen Erfolg gebracht .Es kam zwar Bewegung in die Diskussion . Der Druck,zu handeln, wurde erhöht; aber bislang ist viel zu wenigpassiert .Als Unionsfraktion haben wir uns intensiv mit derEntwicklung von und auf sozialen Medien auseinander-gesetzt . Wir haben einen Fraktionskongress zum Thema„Hassrede und Fake News“ veranstaltet,
mit Wissenschaftlern und Experten diskutiert und an-schließend ein Positionspapier entwickelt . Wir sehen,dass wir der Entwicklung nicht nur, aber auch mithilfegesetzlicher Regelungen begegnen müssen . Das Positi-onspapier ist für uns Grundlage dafür . Es steht seit demFraktionskongress im Januar dieses Jahres . Von VolkerKauder bis Thomas Jarzombek und Nadine Schön warenalle anwesend . Alle tragen dieses Positionspapier mit .Das ist unsere Grundlage . Da besteht Einigkeit in derUnion .
Mit der gesetzlichen Regelung verfolgen wir dasklare Ziel, wirksame Verfahren zu implementieren, umstrafrechtlich relevante Inhalte zu identifizieren und dieRechtsdurchsetzung zu stärken . Es gilt aber auch, dieoftmals schwierige Abwägung zwischen Meinungsfrei-heit und Persönlichkeitsrechten sicherzustellen und sehrgenau darauf zu achten, dass die Regelung keine Eigen-dynamik zulasten der Meinungsfreiheit auslöst . Ein Lö-schen auf Vorrat darf und wird es mit uns nicht geben .Ich möchte drei Punkte aus dem vorliegenden Gesetz-entwurf herausgreifen und die Frage stellen, ob die grund-sätzlich gute Absicht des Gesetzentwurfs tatsächlich zueinem guten Ergebnis führt . Der Kollege Klingbeil wirdeinige Punkte erkennen, bei denen auch er Änderungsbe-darf angemeldet hat .Erstens . Sehen wir uns den Anwendungsbereich an .Wen betrifft das Gesetz? In § 1 steht:Dieses Gesetz gilt für Telemediendienstanbieter, diemit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Inter-Dr. Konstantin von Notz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723860
(C)
(D)
net betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebigeInhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu tei-len oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen …Ausgenommen sind soziale Netzwerke im Inland mit we-niger als 2 Millionen Nutzern .Nach dieser Definition wären zunächst sehr viele Platt-formen eingeschlossen . Zwar wurde der Anwendungs-bereich in der Begründung näher definiert, es stellt sichaber die Frage, ob dies ausreichend ist und nicht einerKlarstellung in § 1 bedarf . Ich meine schon . In der Be-gründung wird ausgeführt, dass mit dem Gesetz maximalzehn soziale Netzwerke erfasst werden sollen . Es mussaber eindeutig klargestellt sein, dass wir nicht beispiels-weise E-Mail-Dienste oder Bewertungsportale oder auchinnovative Geschäftsmodelle von Start-ups durch unver-hältnismäßige Auflagen verhindern bzw. unmöglich ma-chen . In diesem Zusammenhang müssen wir auch überden Schwellenwert von 2 Millionen Nutzern sprechen .Es gibt Plattformen, die, je nach Definition, möglicher-weise keine 2 Millionen Nutzer in Deutschland haben,aber durchaus gesellschaftlich relevant sind . Also, ichdenke, eine Konkretisierung des Anwendungsbereichsist zwingend erforderlich .Der zweite Themenbereich, den ich herausgreifenmöchte, sind die Qualitätsstandards . Im Gesetz werdenvollkommen zu Recht Standards zum Umgang mit Be-schwerden eingeführt, Standards aus dem Land und indem Land, in dem die Dienste angeboten werden . Es istabsolut richtig, den Plattformen Qualitätsstandards ab-zuverlangen . Das ist auch ein zentraler Ansatz des Ent-wurfs. Er umfasst die verpflichtende Einführung einesBeschwerdemanagements, regelmäßige Berichtspflich-ten, die Verhängung von Bußgeldern bei Verstößen gegendie Berichtspflichten und bei Fehlen eines Beschwerde-managements . Insbesondere halten wir die in § 5 gefor-derte Benennung eines inländischen Zustellungsbevoll-mächtigten für zwingend notwendig . Dies sind absolutsinnvolle Maßnahmen, übrigens alles Punkte unseres Po-sitionspapiers. Diese Maßnahmen schaffen Transparenzund führen einen Mechanismus ein, wie mit Beschwer-den umgegangen werden muss .Drittens . Die meistdiskutierte und zentrale Frage ist:Wer entscheidet, was gelöscht wird und nach welchenKriterien? Wie bereits erwähnt, sind Plattformen auchheute schon verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu lö-schen, wenn sie Kenntnis davon haben . Dies geschiehtbisher nach unternehmensinternen Kriterien auf eine in-transparente Art und Weise . Bereits diese bisherige Pra-xis ist zu hinterfragen . Wollen wir tatsächlich den Unter-nehmen die alleinige Entscheidung darüber überlassen,welche Inhalte gelöscht werden und welche nicht? Ichmeine, nein . Wir brauchen einen rechtsstaatlichen Me-chanismus, der einer Entscheidung über die Löschungoder den Verbleib eines Inhalts vorgeschaltet werdenmuss, einen Mechanismus, der sicherstellt, dass die nichteindeutig rechtswidrigen Inhalte einer sorgfältigen recht-lichen Prüfung unterzogen werden . Er würde darüberhinaus für Rechtssicherheit aufseiten der Betreiber undNutzer sorgen und einer unverhältnismäßigen Löschpra-xis vorbeugen .
Aus dem Bereich des Jugendmedienschutzes kennenwir das Modell der Beschwerdestellen, die sehr erfolg-reich mit der Justiz zusammenarbeiten . Dieses Modellder regulierten Selbstregulierung, das von allen Rednernder Union bisher genannt wurde, kann ein Vorbild sein;denn dies würde bedeuten, dass nicht die Plattformbe-treiber entscheiden, sondern eine vom Staat kontrollier-te und von den Unternehmen finanzierte Instanz. Dieseprüft alle kritischen Sachverhalte mit geschultem Perso-nal nach klaren Kriterien . Über solch ein Modell müssenwir im parlamentarischen Verfahren reden .
Ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht, das liegt invielen Fällen klar auf der Hand . In mindestens so vielenFällen können sich aber hervorragende Juristen stunden-lang streiten und am Ende zu ganz unterschiedlichen Er-gebnissen kommen . Die Grenze zwischen der Meinungs-freiheit und der Verletzung von Persönlichkeitsrechtenist oft fließend und bedarf einer eingehenden fachlichenPrüfung .Die Intention des Gesetzes ist absolut richtig: Wirwollen und müssen eine Verbesserung bei der Rechts-durchsetzung erreichen . Was rechtswidrig ist, muss ausdem Netz verschwinden, so schnell wie möglich . Opfernvon Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhaltenmuss zu ihrem Recht verholfen werden . Ein Löschen aufVorrat darf und wird es mit uns aber nicht geben .Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollege Durz . – Damit schließe ich dieAussprache .Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/12356 und 18/11856 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Über-weisungen so beschlossen .Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zuwechseln bzw . Platz zu nehmen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenMarieluise Beck , Annalena Baerbock,Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHistorische Verantwortung Deutschlands fürdie UkraineDrucksache 18/10042Überweisungsvorschlag:Auswärtiger AusschussHansjörg Durz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23861
(C)
(D)
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich im Na-men aller Kolleginnen und Kollegen einige Gäste auf derTribüne recht herzlich begrüßen . Ich begrüße den Bot-schafter der Ukraine sowie Vertreter und Vertreterinnender Botschaften von Israel, Belarus, Polen, Litauen, Lett-land und Estland . Seien Sie uns herzlich willkommen!
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre undsehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und gebe Marieluise Beckdas Wort für Bündnis 90/Die Grünen .Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mich freut, dass so viele mittel- und osteuropäische Ver-tretungen an dieser Debatte teilnehmen; denn wir führenhier eine europäische Debatte .In diesem März wurde die deutsch-ukrainische Schrift-stellerin Natascha Wodin mit dem Preis der LeipzigerBuchmesse ausgezeichnet . Natascha Wodins Eltern wur-den als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt .Ihre Mutter beging Selbstmord . Die Mutter kam, wieNatascha Wodin heute weiß, aus Mariupol . Auch wer inYad Vashem in das Kindermausoleum geht, begegnet derUkraine . Von den unzähligen jüdischen Kindern, derenNamen dort verlesen werden, stammt ein großer Teil ausder Ukraine .Der Angriff auf Polen am 1. September 1939 und derdeutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ge-hören zum politischen Gedächtnis Deutschlands . Doches war nicht nur das heutige Russland, das diesen Ver-nichtungskrieg erlitten hat . Die Territorien, auf denensich dieser Vernichtungskrieg abgespielt hat, heißen heu-te Polen, Litauen, Lettland, Estland, Belarus, Russlandund eben auch Ukraine . In diesen Gebieten fanden dieAusmerzung der jüdischen Bevölkerung und der gnaden-lose Krieg gegen die slawische Zivilbevölkerung statt .Timothy Snyder zeigt uns in seinem Bloodlands, dasses diese Territorien zwischen Berlin und Moskau waren,die unter dem totalitären Wahn des 20 . Jahrhunderts be-sonders zu leiden hatten . Seit 1941 wüteten Wehrmachtund SS unter der jüdischen und slawischen Bevölkerung,die zuvor schon den Bürgerkrieg, den Holodomor undStalins Terror erlitten hatte . In der Roten Armee kämpf-ten unter anderem Millionen ukrainische Soldaten . Siespielten eine maßgebliche Rolle bei der Befreiung desVernichtungslagers Auschwitz .Die Kreml-Propaganda erweckt heute systematischden Eindruck, der deutsche Angriffskrieg sei allein ge-gen Russland geführt worden . Mehr noch: Die Ukrainewird in dieser Lesart vom Opfer des Vernichtungskrie-ges pauschal zum Nazikollaborateur umgedeutet . Als vordrei Jahren Millionen von Ukrainern für Unabhängigkeitund Freiheit auf die Straße gingen, wurde insinuiert, die-se Proteste seien stark getrieben von Bandera-Faschistenund Antisemiten . Leider traf das auch bei uns in Deutsch-land auf fruchtbaren Boden .Der Respekt vor den Millionen Opfern in den Zwi-schenländern verlangt von uns einen neuen Blick auf die-sen Teil der Geschichte . Dazu gehört auch die Tatsache,dass mit dem Hitler-Stalin-Pakt die beiden totalitärenSysteme für lange Zeit halbe-halbe machten, ganz in derTradition der monarchischen Imperien in Jahrhundertenzuvor; wir alle haben in der Schule etwas von den polni-schen Teilungen gehört . Diese Erfahrung ist tief im kol-lektiven Gedächtnis Polens und der baltischen Republi-ken verankert . Deshalb reagieren sie bis heute allergischauf jede Neuauflage einer Achse Berlin–Moskau.Historische Verantwortung ist nicht gleichzusetzenmit Schuld . Aber Scham über das, was der deutsche Stie-fel auf ukrainischem Boden angerichtet hat, sollten wirempfinden.
Wenn Geschichte etwas bedeutet, dann die Verpflich-tung, der Ukraine heute in ihrem Streben nach Freiheitund Würde zur Seite zu stehen . Ja, wir haben auch einehistorische Bürde gegenüber Russland abzutragen . Eskann hier nicht darum gehen, das eine gegen das andereauszuspielen . Dennoch dürfen die Zwischenländer nichterneut zur Verhandlungsmasse mit dem Kreml gemachtwerden, schon gar nicht aus Berlin .
In Jalta wurde Europa gegen den Willen der Osteu-ropäer geteilt . Europa endet aber nicht an den Grenzendes Baltikums und Polens . Die Mittel-Osteuropäer zahl-ten für diesen Weltkrieg mit ihrer Freiheit . Sie zählen zuRecht auf unsere Unterstützung, wenn sie dem freiheitli-chen Europa angehören wollen .
Noch ein Wort zur Ukraine, weil ich weiß, dass hierdie Frage aufgeworfen wird: Warum dieser Schwerpunktauf die Ukraine? Wenn ich die Ukraine so hervorhebe,dann weil es das einzige Land in diesen Bloodlands ist,in dem gegenwärtig Krieg geführt wird . Auf der Tribünesitzen Frauen und Mütter von Soldaten, die im Donbassverschwunden sind .Nicht nur der Vernichtungskrieg tobte auf dem Bodender Zwischenländer; es gab auch die systematische Ver-schleppung von Menschen als Zwangsarbeiter . Das trafbesonders die Ukraine . Historiker gehen davon aus, dasszwei Drittel der sogenannten Ostarbeiter aus der Ukrainestammten . Sie haben bei unseren Großeltern und Elternauf Bauernhöfen, in Familienbetrieben, in Fabriken ge-arbeitet, oft unter entsetzlichen Bedingungen . Es ist ander Zeit, auch diesen Teil der Geschichte in den Blick zunehmen. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag dieseDebatte weiter verfolgen wird, dass es nicht die erste undletzte war .Schönen Dank .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723862
(C)
(D)
Vielen Dank, Marieluise Beck . – Nächster Redner:
Dr . Christoph Bergner für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-liegende Antrag appelliert an die historisch-moralischeVerantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine .Wir nehmen diesen Appell, verehrte Frau Kollegin Beck,sehr ernst . Die Gräuel während des von Deutschlandausgehenden rassistisch motivierten Okkupationskriegesund der barbarische Zivilisationsbruch in Polen, im Bal-tikum, in der Ukraine, in Belarus und Russland, in derRegion, die Timothy Snyder, wie Sie schon sagten, alsBloodlands bezeichnete, wo antisemitischer und antisla-wischer Rassismus furchtbares Leid verursachte, werdenim Antrag eindrücklich beschrieben .Es gibt mehrere Anlässe, die historische Erinnerungan diese Ereignisse in unserem Parlament zu themati-sieren . Ein für mich besonders wichtiger Bezug war der75 . Gedenktag des Massakers in der Schlucht von BabiJar im September letzten Jahres . Eine wichtige Botschaft,mit der ich dieses Gedenken verbinden möchte, finde ichin der Rede des damaligen Bundespräsidenten JoachimGauck, die er zu diesem Anlass in Kiew gehalten hat: Indem Maß, in dem es uns gelingen wird, dem GedächtnisRaum zu geben, „wird auch das gemeinsame Erinnernmöglich sein, das wir brauchen, dringend brauchen, weildie Geschichte, um die es geht, eine gemeinsame ist“ .Weiter sagte er:Antworten auf unsere Fragen werden wir nur ge-meinsam finden. Dies ist kein Plädoyer für dieVerwischung von Verantwortlichkeiten, sondernvielmehr für eine grenzübergreifende, gemeinsameForschung, für eine Forschung, die neuerlich modi-schen Versuchungen widersteht, die Wahrheit durchdas Prisma der Nation zu suchen .Diese Worte des Bundespräsidenten machen deut-lich: Wir Deutsche müssen uns der Verantwortung be-wusst bleiben, die auf Deutschland als Rechtsnachfolgerder Dritten Reiches lastet . Wir sind in einer besonderenPflicht, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir solltenFormen der Aufarbeitung suchen, die im Sinne nachhal-tiger Aussöhnung gemeinschaftlich vollzogen werdenkönnen . Das gilt nicht nur für die Bloodlands im Allge-meinen, sondern besonders für die Ukraine, gerade an-gesichts der gewaltigen Herausforderungen, die die Ge-sellschaft dieses Landes gegenwärtig zu bewältigen hat .Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklichdie Einrichtung der Deutsch-Ukrainischen Historiker-kommission begrüßen, die 2015 erfolgte . Im April 2016haben Frank-Walter Steinmeier und sein damaliger ukra-inischer Kollege Pawlo Klimkin die Schirmherrschaftüber die Kommission übernommen . Seit März 2016 wirddie Kommission mit Mitteln der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik finanziert. Zwei Aspekte sehe ich alszentrale Aufgaben dieser Kommission an: die Arbeit amgegenseitigen Verstehen und die gemeinsame Aufarbei-tung der totalitären Vergangenheit .Zum gegenseitigen Verstehen . Selbst die Historiker-zunft muss eingestehen, sich in der Vergangenheit zuwenig mit der ukrainischen Geschichte als eigenständigeGeschichte beschäftigt zu haben . Der renommierte deut-sche Historiker Karl Schlögel hat das neulich in einemselbstkritischen Ausruf eingestanden – Zitat –:Ich musste feststellen, dass man sich ein Leben langmit dem östlichen Europa, mit Russland und derSow jetunion beschäftigen konnte, ohne eine genau-ere Kenntnis von der Ukraine zu besitzen . . .Das betreffe nicht nur ihn, sondern auch manche andereseiner Zunft, die so spät zu dieser Einsicht kamen . – Wol-len wir den Ukrainern auf dem Weg zu einem souveränenund modernen Staat helfen, so müssen wir die Hinter-gründe verstehen, die diese Gesellschaft geformt haben,bevor wir vorschnelle Schlüsse ziehen .Zum zweiten Aspekt . Es gehört zu meiner Grundüber-zeugung, dass der Übergang zu demokratischen Gesell-schaften im postsowjetischen Raum insbesondere dortnicht gelungen ist, wo es keine echte Aufarbeitung dertotalitären Vergangenheit gab . Das schließt die Aufarbei-tung der totalitären Ära des Stalinismus ein . Kern undZiel unserer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigungist die umfassende Aufarbeitung der totalitären Vergan-genheit . In seiner letzten Publikation Black Earth erwei-tert Timothy Snyder sein Konzept der Bloodlands um dieThese, dass dem Zivilisationsbruch im Einflussbereichbeider totalitären Regime – Hitlers und Stalins – einesystematische Vernichtung von Staat und Recht voran-ging .Damit komme ich zu den Schlussfolgerungen . Wir ha-ben eine historisch-moralische Verpflichtung, die Ukrai-ne am europäischen Friedenswerk zu beteiligen .
Wir müssen zur Hilfe bereit sein, wenn es darum geht,das Land zu stabilisieren, seine Institutionen zu stärkenund dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zur Geltung zuverhelfen . Der vorgegebene Rahmen ist zurzeit das eu-ropäische Nachbarschaftskonzept sowie zahlreiche bila-terale Kooperationen, die den Assoziierungsprozess derUkraine flankieren. Ich habe nicht die Zeit, alle Aktivi-täten aufzuführen, die beispielsweise im Rahmen desHaushaltes des Auswärtigen Amtes in der AuswärtigenKultur- und Bildungspolitik erfolgen .Wir wollen ein Zeichen für die Aufarbeitung des tota-litären Zeitalters des 20 . Jahrhunderts auf der Grundlageeuropäischer Werte setzen und einige Defizite auf diesemGebiet ausräumen . Die ukrainische Emanzipationsbewe-gung spätestens seit dem Maidan gibt uns dafür einenguten Anlass . Die Menschen, die in den Februartagen2014 ihr Leben für die europäische Idee lassen mussten,verpflichten uns dazu.2012 erhielt die Europäische Union den Friedens-nobelpreis . Ich bitte noch einmal, sich die Begründung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23863
(C)
(D)
für die Verleihung dieses Friedensnobelpreises deutlichzu machen, damit sichtbar wird, dass die EuropäischeUnion das sichtbarste und denkbar beste Produkt ge-meinsamer Kriegsfolgenaufarbeitung ist . Deshalb ist esso ungeheuer wichtig, dass wir unsere nationale histo-risch-moralische Verpflichtung, die wir gegenüber derUkraine, aber auch gegenüber den anderen Bloodlandshaben, in unsere europäische Politik einbinden, dass wirdie Hand zur Nachbarschaft ausstrecken und Perspekti-ven setzen und dass wir bereit sind, bei den gleichen Ver-pflichtungen, die wir gegenüber Russland haben, uns vorfaulen Kompromissen zu bewahren .Denn es ist zwar bedauerlich, aber wir haben uns da-mit auseinanderzusetzen – –
Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte .
– letzter Satz, Frau Präsidentin –: Die gegenwärtige
russische Politik sieht in einem erfolgreichen ukraini-
schen Weg eine Herausforderung oder gar eine Gefahr
für das eigene totalitäre Konzept . Dem dürfen wir im In-
teresse der gemeinsamen europäischen Werte nicht nach-
geben .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Dr . Bergner . – Nächster Redner: Andrej
Hunko für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirsprechen heute über den Antrag der Grünen „HistorischeVerantwortung Deutschlands für die Ukraine“ . Die Linkesagt ganz klar: Ja, es gibt eine historische VerantwortungDeutschlands gegenüber der Ukraine, aber auch gegen-über den anderen Ländern,
gegenüber Russland, Belarus, Polen und dem Baltikum .Die historische Verantwortung ergibt sich in ersterLinie aus dem ungeheuerlichsten Eroberungs-, Verskla-vungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Ge-schichte kennt und dem schätzungsweise 27 Millionendamalige Sowjetbürger zum Opfer gefallen sind, darun-ter neben Millionen Russen auch viele Ukrainer .Die Erinnerung an dieses Menschheitsverbrechen istmeines Erachtens viel zu wenig ausgeprägt . Die wich-tigste Lehre sollte es sein, alles zu tun, um im Osten ge-genüber der Ukraine und gegenüber Russland eine Poli-tik des Friedens und des Ausgleichs zu entwickeln . Daswäre historische Verantwortung .
Aber davon sind wir meilenweit entfernt, und das wis-sen Sie . Schlimmer ist: Mit der NATO-Osterweiterung,der Durchsetzung des EU-Ukraine-Assoziierungsab-kommens und der Unterstützung des verfassungswid-rigen Umsturzes im Februar 2014, aber auch durch dieentsprechenden russischen Reaktionen auf der Krim undim Donbass wurde die historisch tief zerrissene Ukraineweiter polarisiert .Bis heute werden die Maidan-Proteste und der fol-gende Umsturz – das haben wir eben gehört – von derBundesregierung und auch von den Grünen glorifiziert,obwohl es dort eine starke Hegemonie rechtsnationalis-tischer Kräfte gab, die sich auf den NazikollaborateurBandera bezogen . Sein Bild war überlebensgroß auf demMaidan zu sehen . Militante Gruppen, die sich auf ihn be-ziehen, spielten in dieser Entwicklung eine Schlüsselrol-le . Hier wäre es historisch verantwortungsvoll gewesen,zu differenzieren, anstatt diese Bewegung, die natürlichnicht nur aus Nazis bestand – das ist klar –, sie spieltenaber eine große Rolle, einseitig zu protegieren bis hinzum Besuch des damaligen Außenministers Westerwelle .Die historische Rolle Banderas und seiner Organisa-tion Ukrainischer Nationalisten wird im Antrag der Grü-nen trotz einiger Auslassungen beschrieben . Gleichzei-tig wird beklagt – das haben wir eben gehört –, Banderadiene der russischen Propaganda als Verkörperung einesukrainischen Faschismus . Was denn sonst? Bandera undseine Organisation waren glühende Antisemiten sowiePolen- und Russenhasser und an Massakern beteiligt, dieTausende Zivilisten das Leben gekostet haben .Als Bandera erstmals im Jahre 2010 vom damaligenPräsidenten Juschtschenko zum „Helden der Ukraine“erklärt wurde, protestierten nicht nur Russland, sondernauch Polen, das EU-Parlament, mehrere jüdische Organi-sationen sowie natürlich auch zahlreiche Ukrainer gegendiese Entscheidung . Deutsche historische Verantwortungwäre es, diese Kollaboration der OUN, der OrganisationUkrainischer Nationalisten, mit den Nazis aufzuarbeitenund sich ganz unzweideutig von Kräften in dieser Tradi-tion zu distanzieren .
Wie sieht die Lage heute in der Ukraine aus? Darüberwurde gar nicht gesprochen . Vor wenigen Tagen wurdenfast alle russischen sozialen Netzwerke in der Ukrainedurch einen Erlass von Poroschenko gesperrt – da wäresicherlich selbst Erdogan vor Neid erblasst –, darunterzum Beispiel das soziale Netzwerk VKontakte, dessenVerbreitungsgrad in der Ukraine mit dem von Facebookin Deutschland vergleichbar ist, und die SuchmaschineYandex. Diese Sperrung wurde zu allem Überfluss vonder NATO begrüßt . Ich habe heute Morgen noch einmalbei der NATO nachgefragt: Die NATO unterstützt dieseSperrung. Ich finde das unerträglich. Frau Beck, das hatDr. Christoph Bergner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723864
(C)
(D)
doch nichts mit dem Streben nach Freiheit zu tun, wie Siees hier erzählen .
Ebenfalls vor einigen Tagen wurde der 25-jährigeDenis Kindrat von einem Gericht in Lwiw zu zweinhalbJahren Gefängnis verurteilt, weil er in den sozialen Netz-werken Lenin-Zitate gepostet hatte . Wo leben wir denn?
Grundlage dafür ist ein Gesetz, das sogenannte Antikom-munisierungsgesetz, das die Venedig-Kommission desEuroparates sehr deutlich kritisiert hat . Hier wäre stattSchönrederei ein deutliches Wort der Bundesregierungoder auch dieses Parlamentes zu erwarten gewesen .
Ich will zusammenfassen: Die Ukraine und vor al-len Dingen die Bevölkerung in der Ukraine werden alsFrontstaat in einem neuen Kalten Krieg keine Zukunfthaben . Die Bevölkerung der Ukraine ist ebenso wie dieanderen sogenannten Zwischenvölker, die Sie genannthaben, mehr denn je darauf angewiesen, dass es zur Ent-spannung kommt, dass es zu einem Ausgleich zwischenOst und West kommt, dass es zu einem guten Verhältniszu allen Nachbarn kommt . Dafür tritt die Linke ein .Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Kollege Hunko . – Nächste Rednerin:
Dr . Ute Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribü-nen! Ich erkenne genau wie alle Vorredner die histori-sche Verantwortung für die Ukraine und die anderen vonDeutschland besetzten Territorien der ehemaligen Sow-jetunion uneingeschränkt an und möchte daran erinnern,dass deutsche Nichtregierungsorganisationen wie Akti-on Sühnezeichen Friedensdienste in diesen Territorienschon vor dem Ende der Sowjetunion aktiv waren .Ich selber bin mehr zufällig 1983 nicht in Babi Jar, woASF schon damals aktiv war, sondern in Chatyn gewe-sen . Ich bin mit einer anderen kirchlichen Gruppe nochzu Zeiten der Sowjetunion in Leningrad gewesen undhabe dort das beeindruckende Hungermuseum besucht .Egal an welchem Gedenkort man gewesen ist, es lässteinen nicht wieder los . Ein solcher Besuch gibt einemeine Vorstellung davon, was diese Länder Fürchterlichesdurchgemacht haben .
Die Konsequenz darf nicht nur sein, zu überlegen,wie wir der historischen Verantwortung gerecht werdenkönnen . Vielmehr müssen wir – dieser Punkt wurde nochnicht genannt – jeder Schlussstrichdebatte, jeder Debat-te, die zum Ziel hat, unsere historische Verantwortungzu relativieren, entschieden entgegentreten, und zwarin unserer gesamten Gesellschaft und nicht nur hier imBundestag .
Die entscheidende Frage lautet, was daraus für un-sere Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäi-schen Staaten folgt, sowohl mit denen, die damals zumWarschauer Pakt gehört haben, als auch mit denen, dieeinst zur Sowjetunion gehört haben . Es gibt historischeErfahrungen, auf die wir aufbauen können, nämlich dieErfahrungen mit der deutschen Teilung . Die Situation imVerhältnis der Ukraine zu Russland ähnelt derjenigen,die wir zwischen 1949 und 1989 in Deutschland hatten .Es gibt viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischenden Menschen, die in der Ukraine leben, und den Men-schen, die in Russland leben . Nach den Zahlen, die ichkenne, hat ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung Ver-wandte in Russland . Umgekehrt ist es ähnlich . Ob dierussischsprachigen sozialen Netzwerke in der Ukrainenoch zugänglich sind, betrifft nicht nur die Pressefreiheit,sondern auch die Frage, ob Europa diese Kontakte, wiesie auf ähnliche Weise zwischen der Bundesrepublik undder DDR bestanden, erhalten und so eine Kommunikati-on zwischen diesen beiden Ländern auf der persönlichenEbene ermöglichen will .
Genauso wichtig ist die Rolle, die Deutschland imGeiste der Entspannungspolitik von Willy Brandt, dernicht nur einen Ausgleich mit der Sowjetunion, son-dern auch mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowa-kei gesucht hat, spielen kann . Was müssen wir tun, umgutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen den ehe-maligen Sowjetrepubliken zu schaffen? Wie können wirdie anderen Länder einbeziehen, wenn es etwa um dieDemokratisierung in der Ukraine und die Weiterentwick-lung der ukrainischen Verfassung geht .Aus meiner Sicht war Folgendes ein sehr guter An-satz: Damals, als die Gewalt auf dem Maidan eskalier-te, ist der deutsche Außenminister zusammen mit demfranzösischen und dem polnischen Außenminister nachKiew gefahren, um zu einer Gewaltdeeskalation bei-zutragen . Damit haben ein Staat, der im Zweiten Welt-krieg aufseiten der Sowjetunion gekämpft hat, ein Staat,der besonders gelitten hat und ein Nachbar der Ukrai-ne ist – ich meine Polen –, und Deutschland gemeinsamVerantwortung für den europäischen Nachbarn Ukraineübernommen. Das Normandieformat, das geschaffenwurde, um zu versuchen, den Bürgerkrieg mit russischerEinmischung in der Ostukraine zu deeskalieren, hat sichals tragfähig erwiesen . Polen ist zwar nicht Mitglied die-ser Verhandlungsgruppe, wird aber von Deutschland undFrankreich eng eingebunden .
Insofern bedeutet Verantwortung zu übernehmen,alles zu tun, um den Bürgerkrieg in der Ostukraine zubeenden . Dabei geht es um die Beteiligung Deutsch-Andrej Hunko
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23865
(C)
(D)
lands an der Monitoring Mission und an immer neuenVorschlägen, wie man zu einer Deeskalation bzw . zu ei-nem Waffenstillstand, der Voraussetzung für einen Frie-densprozess ist, kommen kann . Es geht aber auch um dieständigen Bemühungen um die Östliche Partnerschaftmit allen Staaten, die sich als ehemalige Sowjetrepu-bliken zu Europa zählen und bis auf Belarus Mitgliederdes Europarates sind . Mit diesen Staaten unterhalten wirenge Beziehungen und wollen das auch weiter tun . Dazugehören Städtepartnerschaften, und dazu gehört die ge-meinsame Arbeit im Europarat . Weiter gehören dazu zi-vilgesellschaftliche – zum Beispiel kulturelle – Kontakte .Damit werden wir, glaube ich, unserer Verantwortung sogut gerecht, wie wir es angesichts der unvergleichlichenVerbrechen des Zweiten Weltkrieges nur tun können .Danke schön .
Vielen Dank, Ute Finckh-Krämer . – Nächste Rednerin
ist Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich beginne mit einem Zitat von Roman Herzog:Europäische Identität bedingt die Herausbildung ei-nes europäischen Gedächtnisses, das das Gemeinsa-me an Verantwortung ins Bewusstsein hebt .Genau darum muss es gehen: um ein europäisches Ge-dächtnis und um gemeinsame Verantwortung .Die ganze Tragik des NS-Vernichtungskrieges, aberauch die stalinistischen Gräueltaten in Osteuropa – ins-besondere in der Ukraine – sind bisher viel zu wenig imeuropäischen Gedächtnis verankert bzw . in der deutschenÖffentlichkeit bekannt. Deshalb ist es gut, dass der Antragder Grünen mit der notwendigen Aufarbeitung beginntund die historische Verantwortung Deutschlands her-vorhebt . Mein ausdrücklicher Dank geht an MarieluiseBeck, meine Bremer Kollegin . Ich danke ihr dafür, dasssie das hier vorgelegt hat .
Leider bezieht sich der Antrag – das wurde vielfacherwähnt – jedoch isoliert auf die Ukraine . Andere ost-europäische Länder, zum Beispiel Polen, die baltischenStaaten und Belarus, fehlen . Wir müssen aber festhalten:Nirgendwo wurde der NS-Vernichtungskrieg so brutalgeführt wie in der Ukraine . Stellvertretend für die syste-matische Ermordung osteuropäischer Juden steht – auchdas wurde erwähnt – die Schlucht von Babi Jar . Hierwurden innerhalb von 36 Stunden 33 761 Juden ermor-det . Kinder wurden auf die Leichenberge geworfen undlebendig begraben, um Munition zu sparen . Eine Steige-rung der Grausamkeiten gibt es nicht, liebe Kolleginnenund Kollegen . Dies darf sich nun wirklich nie wieder-holen .
Heute befindet sich die Ukraine wegen der völker-rechtswidrigen Annexion der Krim und der kriegerischenAuseinandersetzung mit Russland im Donbass erneut ineiner äußerst kritischen Situation . Täglich sterben Solda-ten und Zivilisten . Wieder ist die Ukraine Opfer . Diesmalsind es die Machtinteressen Putins und sein Expansions-wille, die das Land in eine tiefe Krise gestürzt haben .Hier setzt unsere, aber auch die europäische Verantwor-tung ein .
– Ja, Sie sind Putinversteher und Russlandversteher . Des-halb sehen Sie das anders .
– Sie müssen es einfach ertragen, dass hier gesagt wird,was im Augenblick in der Ukraine wieder an Unrechtund Leid durch das russische System bzw . durch Putinproduziert wird .
In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert,sich durch Bildungsarbeit und Kulturprojekte für eine Er-innerungskultur einzusetzen . Dies geschieht – das wurdeeben auch erwähnt – auf vielfältige Weise . Allerdingsmüssen wir sagen: Der Blick zurück in die Geschichteist nur der eine Teil unserer Verantwortung . Der andereTeil ist der Blick nach vorne . Das bedeutet, dass wir dieUkraine bei ihren Bemühungen auf dem Weg zu einemdemokratischen Rechtsstaat unterstützen . Dieser Weg istschwer und weit . Demokratische Kräfte ringen mit denKräften, die verharren und alte Strukturen beibehaltenwollen . Dennoch sind erste Erfolge sichtbar . Vieles stehtnoch aus: die Einrichtung von Korruptionsgerichten,weitere Privatisierungen, die Justizreform, die bessereBezahlung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. DieUkraine hat ein Umsetzungsproblem . Mit anderen Wor-ten: Es fehlt noch ein Mindestmaß an politischer Kultur .Dennoch: Die Maidan-Revolution – ich komme zumSchluss, Frau Präsidentin – darf nicht umsonst gewesensein . Wir müssen der russischen Propaganda entgegen-treten, die den Maidan als Werk militanter Rechtsextre-misten diffamiert. Das kann nicht richtig sein. Wer immersich in die große Zahl der friedliebenden Demonstranteneingeschleust hat –
der Maidan war keine Bewegung von Rechtsextremisten .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723866
(C)
(D)
Ich komme zum Schluss . Ich wollte so gerne nochauf die vielfältigen Kulturprojekte, die wir dort verwirk-lichen, eingehen . Ich schließe damit, dass ich an dieserStelle ganz ausdrücklich unserer Bundeskanzlerin dafürdanken möchte, dass sie sich in unglaublich guter Weisedafür einsetzt, dass das Abkommen von Minsk eingehal-ten wird, dass der Konflikt beigelegt wird, dass die Sank-tionen eingehalten werden,
und dass sie viele Gespräche, Verhandlungen und Telefo-nate mit Putin – das ist schwer – geführt hat . HerzlichenDank, Angela Merkel .
Vielen Dank, Elisabeth Motschmann . – Nächster Red-
ner: Dr . Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Nad
Bab’im Jarom pamjatnikow net“, „über Babi Jar, da steht
keinerlei Denkmal“ – dieser berühmte Stoßseufzer am
Anfang von Jewgenij Jewtuschenkos monolithischem
Gedicht über das Massaker an den Kiewer Juden im
Herbst 1941 wirkt auf mich ein bisschen wie eine ab-
schließende Verdichtung vieler Beweggründe für Ihren
Antrag, liebe Frau Beck . Im übertragenen Sinne kann
dieser Ort, der als denkmalsloser in die Weltliteratur
eingegangen ist, für das Verhältnis immer noch zu vie-
ler Deutscher zur Ukraine stehen . Der Ukraine scheint
gleichsam die Landmarke, das Erkennungsmerkmal, zu
fehlen . Es fällt zu vielen von uns immer noch schwer,
neben dem gewaltigen Russland, das so großen Raum im
kollektiven Bewusstsein in Anspruch nimmt, die Ukrai-
ne überhaupt als europäisches Land mit eigener Identität
und eigener Geschichte angemessen wahrzunehmen .
Darauf hat sie aber einen Anspruch, sowohl aus eige-
nem Recht als auch aus einer historischen Verantwortung
Deutschlands heraus . Es ist ein Verdienst des Antrags der
Grünen, diesen Anspruch zu begründen .
Die junge Generation, die bereits in einer unabhängi-
gen Ukraine aufgewachsen ist, sieht sich mit unzähligen
Herausforderungen und Problemen konfrontiert . Es han-
delt sich dabei nicht nur, aber auch um Spätfolgen histo-
rischer Katastrophen, für die Deutschland einen großen
Teil der Verantwortung trägt . Zweimal hat Deutschland
auf ukrainischem Boden zerstörerisch Krieg geführt, ein
weiteres Mal brachte der Vormarsch der sowjetischen Ar-
meen große Verwüstungen mit sich .
Dass der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
auf dem Boden der Ukraine ausgekämpft wurde, ist eine
Tatsache, die wir uns manchmal nicht genügend bewusst
machen .
Die Erschütterungen und inneren Konflikte, die diese
Kriege ausgelöst, und die Opfer, die sie gekostet haben,
zeichnet der vorliegende Antrag nach . Sie haben der
Ukraine ihren Stempel aufgedrückt . Ihre Nachwirkungen
sind bis heute spürbar .
Das Anliegen des Antrags und die einzige Forderung,
die er erhebt, erscheinen mir daher durchaus sinnvoll und
berechtigt . Die SPD-Fraktion wird aber den Antrag den-
noch so, wie wir ihn heute lesen, nicht beschließen kön-
nen . Gestatten Sie mir, drei Gründe dafür auszuführen .
Erstens bedarf eine Positionsbestimmung des Deut-
schen Bundestages in einer so wichtigen Frage einer ge-
meinsamen Anstrengung aller Fraktionen, die dazu bereit
sind .
Der Antrag einer einzigen Fraktion ist dafür doch eine zu
schmale Grundlage . Bisher haben Grüne, SPD und Uni-
on nicht zu einer gemeinsamen Haltung gefunden,
und mit der Fraktion der Linken dürfte sie gar nicht er-
reichbar sein .
Ob die Ausschussberatungen noch Fortschritte brin-
gen werden, müssen wir ausloten .
Herr Felgentreu, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder eine Bemerkung von Frau Beck?
Ja bitte, gern .Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Verehrter Herr Kollege, dieser Antrag war im Septem-ber des vergangenen Jahres fertig . Ich habe über Monatehinweg – das können die Kollegen von der SPD und vonder CDU/CSU bestätigen – darum geworben und gebe-ten, dass wir gemeinsam an diesem Antrag arbeiten, umihn gemeinsam einbringen zu können . Ich habe mit derEinbringung gewartet bis November 2016, um ebendieseGelegenheit zu geben, daran zu arbeiten . Ich habe dannweiterhin bis in die Fraktionsspitzen hinein trotz des Är-gers mit den Kollegen fast bis zu dem Punkt, an dem ichdachte: „Ich nerve meine Kollegen“, immer wieder da-rum gebeten: Lasst uns gemeinsam etwas machen .Elisabeth Motschmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23867
(C)
(D)
Vielleicht können wir das Ganze voranbringen . Wirwerden noch eine Debatte zur Östlichen Partnerschafthaben . Ich lade beide Fraktionen dazu ein, an diesemAntrag in der von Ihnen gewünschten Weise zu arbeiten .Wir könnten ihn dann zu dieser Debatte über die ÖstlichePartnerschaft gemeinsam einbringen . Es besteht bei unsjede Offenheit für Ergänzungen und Veränderungen.
Das ist vielleicht ein ganz gutes Stichwort . Ich bin ja
kein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, wie Sie wis-
sen, und ich bin deswegen nur aus zweiter Hand über die
Abstimmungsprozesse informiert, die im Hintergrund im
Laufe der letzten zwölf Monate stattgefunden haben .
Ich meine mich aber zu erinnern, dass ursprünglich ein
Problem im Umgang mit dem Vorschlag der Grünen da-
rin lag, dass er eigentlich auf eine Stellungnahme zum
Jahrestag des Massakers von Babi Jar im vergangenen
Jahr ausgerichtet und dass der Beratungszeitraum relativ
kurz war .
Andererseits gab es zumindest bisher von grüner Seite
keine große Bereitschaft, den historischen Blickwinkel,
den sie einnehmen, um eine Perspektive auf die Gegen-
wart zu ergänzen .
Es ist schwierig gewesen, eine Abstimmung vorzuneh-
men; so habe ich es zumindest verstanden .
Herr Felgentreu, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder Bemerkung von Niels Annen?
Er möchte dazu wohl eine Stellungnahme abgeben .
Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich glaube, wir müssen
das hier schon ein bisschen klarstellen .
Eben .
Es ist in der Tat richtig: Der Antragstext von Frau
Beck lag seit langem vor . Aber was Frau Beck hier nicht
erwähnt, ist, dass vonseiten der Koalitionsfraktionen
ebenfalls die Bereitschaft vorlag, darüber zu diskutieren .
Sie wissen, wir haben einen Koalitionsvertrag geschlos-
sen . Normalerweise beschließen wir als Koalitionsfrakti-
onen in diesem Parlament die Anträge, die wir gemein-
sam in den Bundestag einbringen . Das heißt, es gab ein
großes Entgegenkommen . Aber wir wollten gemeinsam,
dass wir uns nicht – ich sage das in Anführungszeichen –
„nur“ über die Ukraine unterhalten, sondern dass wir ei-
nen gemeinsamen Antrag zu unserer Politik, was die Öst-
liche Partnerschaft angeht, auf den Weg bringen – auch
aus dem Grund, den der Kollege Felgentreu hier gerade
vorgetragen hat: dass geschichtspolitische Beschlüsse
des Parlamentes einer großen gesellschaftlichen Debatte
bedürfen .
Das heißt, die Bereitschaft der Koalitionsfraktionen,
Impulse des grünen Antrags aufzunehmen, ist immer da
gewesen, ist aber von der sehr geschätzten Kollegin Beck
stets abgelehnt worden, weil sie, was ihr gutes Recht und
das Recht der Grünenfraktion ist, darauf bestanden hat,
einen Antrag – in Anführungszeichen – „nur“ zur Ukrai-
ne zu verabschieden .
Deswegen werden Sie sich, wenn Sie sich den Entwurf
des Antrags zur Östlichen Partnerschaft, den wir einbrin-
gen werden, anschauen, selber davon überzeugen kön-
nen, dass wir einen Schwerpunkt auf die Ukraine legen,
dass wir dort auch historische Bezüge formulieren, aber
hier eben ganz explizit keinen geschichtspolitischen An-
trag einbringen wollen . Insofern werden wir natürlich in
den Ausschussberatungen darüber miteinander sprechen .
Aber ich finde, wir müssen hier schon bei der Wahrheit
bleiben . Das heißt, dass die Dialogbereitschaft vonseiten
unserer Fraktion immer gegeben gewesen ist . Deswegen
sollte man das hier in einer Debatte, die wir angemessen
miteinander führen wollen, richtigstellen .
Vielen Dank .
Vielen Dank, lieber Kollege Annen . – Frau Beck, ichbitte um Verständnis: Ich glaube, wir sollten hier jetztnicht die Ausschussdebatte vorwegnehmen . Für eine sol-che Debatte ist ja der Ausschuss da . So wie es der Kol-lege Annen hier eben dargestellt hat, so ist die Kommu-nikationssituation zumindest auch bei mir angekommen .Das habe ich auch zur Grundlage meiner Ausführungenhier gemacht, die noch ein bisschen weitergehen sollen .Auf genau diese Punkte werde ich noch eingehen .Wie ich eben gesagt habe: Neben einer Positions-bestimmung, die sich der historischen Verantwortungstellt – davon bin ich fest überzeugt –, brauchen wir auchden Blick auf die Gegenwart . Ohne ihn kommen wir nichtaus. Ich finde, das, was Ute Finckh-Krämer gesagt hat,zeigt deutlich, warum das so ist und dass das unbedingtin eine solche Positionsbestimmung des Deutschen Bun-destages hineingehört . Anteilig wird dieser Blick jetzt ineinem umfassenden Antrag zur Weiterentwicklung derÖstlichen Partnerschaft von den KoalitionsfraktionenMarieluise Beck
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723868
(C)
(D)
vorbereitet . Ich würde mich freuen, wenn es gelänge,beide Perspektiven, die historische und die aktuelle, zu-sammenzuführen .Wir brauchen tatsächlich ein noch genaueres Nach-denken darüber, wodurch sich die deutsche Haltunggegenüber der Ukraine in Abgrenzung von ihren Nach-barstaaten eigentlich auszeichnet . Entweder tun wir das,oder wir müssen mindestens Weißrussland, wahrschein-lich aber auch die Moldau und einige andere Staaten ineine breiter angelegte Positionsbestimmung einbeziehen;denn fast alles, was wir zur deutschen Verantwortunggegenüber der Ukraine formulieren, wäre ähnlich odergleich auch über Weißrussland zu sagen . Damit wird dieAufgabe, eine Haltung und Richtung festzulegen, nochkomplexer, als sie sowieso schon ist; denn bei aller Ähn-lichkeit der historischen Erfahrungen sehen wir in derGegenwart beider Länder doch sehr große Unterschiede .Die SPD-Fraktion wird deshalb, wie eben deutlich ge-worden ist, die Initiative der Grünen bei der Beratung imAusschuss konstruktiv würdigen . Ich traue diesem Parla-ment zu, etwas Gutes daraus erwachsen zu lassen . Aberes könnte sich am Ende in einer ganz anderen Gestaltpräsentieren, als wir heute absehen können .Vielen Dank .
Vielen Dank, Dr . Felgentreu . – Letzter Redner in die-
ser Debatte: Dr . Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Die Unionsfraktion – das vorab – verstehtIhr Anliegen, Frau Beck, bzw . das Anliegen der Grünendurchaus . Wir sind auch bereit – das waren wir auch zu-vor schon –, dem Anliegen Ihres Antrags in dem ihm ge-bührenden größeren Rahmen der bereits erwähnten Öst-lichen Partnerschaft nachzukommen und eine möglichstbreite Übereinstimmung im Umgang mit den Themen zufinden, über die ich jetzt kurz sprechen möchte.Bei der Lektüre Ihres Antrags, Frau Beck, erfasst unswieder einmal das Erschrecken und Entsetzen über denmenschenverachtenden Rassismus, die nationalsozia-listische Ideologie und die enthemmte und mörderischeDurchsetzung dieses ganz abstrusen Gedankengebäu-des . Diese Debatte über die historische VerantwortungDeutschlands für die Ukraine bietet eine gute Gelegen-heit, wichtige Fragen zu stellen .Wie wird die Ukraine in Deutschland wahrgenom-men? Die so lange gewohnte Wahrnehmung der Ukrai-ne als Teil der Sowjetunion hindert bisweilen daran, sichder historischen Identität als Grundlage eines souveränenStaates bewusst zu sein, eines Staates mit eigener Ge-schichte, mit eigener Sprache, mit eigenen Sitten undBräuchen sowie – das ist wichtig – einer kulturell aufEuropa ausgerichteten Bevölkerung .
Was wissen wir in Deutschland über die Massenin-haftierungen und Massenhinrichtungen der ukrainischenSchriftsteller, Publizisten und Künstler in den 20er- und30er-Jahren, die sogenannte erschossene Renaissance inder Ukraine? Was wissen wir über den Holodomor,
den millionenfachen Völkermord Stalins durch gewolltesVerhungernlassen in den Jahren 1932/1933? Was wissenwir über die massiv unterdrückte Dissidentenbewegungin der Ukraine in den 60er-Jahren? Was wissen wir überdie studentische „Revolution auf dem Granit“ – so wirdsie genannt – auf dem Kiewer Maidan im Oktober 1990?Die historische Verantwortung Deutschlands für dieUkraine besteht auch darin, das Wissen über die Ukrainein Deutschland zu vertiefen .
Erst nach dem Euromaidan 2014 wurde die ersteDeutsch-Ukrainische Historikerkommission gegründet –das wurde bereits erwähnt –, und erst im vergangenenJahr hat das Zentrum für Osteuropa- und internationaleStudien seine Arbeit aufgenommen .Ja, es ist die Aufgabe dieses Deutschen Bundestages,der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen .Das friedliche Zusammenleben der Völker, die Versöh-nung einer Nation mit sich selbst und mit ihren Nachbarnsetzt die wahrheitsgetreue Aufarbeitung der Geschichtevoraus . Die Interpretation der Ereignisse im Einzelnenund ihre historische Einordnung sind aber nicht Aufga-be des Staates . Wir lehnen eine ukrainische Staatsge-schichtsschreibung ebenso ab wie die bekannte sowje-tische Interpretation der Geschichte; wir lehnen beidesgleichermaßen ab . Stattdessen ist es die Aufgabe vonHistorikern, die geschichtlichen Abläufe wissenschaft-lich, wahrheitsgetreu darzustellen .Durch die Annexion der Krim und das aktive Einmi-schen im Osten der Ukraine hat Russland die territorialeIntegrität der Ukraine verletzt und internationale Verträ-ge wie das Budapester Memorandum und die Schlussak-te von Helsinki gebrochen . Das ist unsere feste Über-zeugung; dies muss immer wieder erwähnt werden . Miteiner Desinformationskampagne und der propagandisti-schen Geschichtsinterpretation versucht Russland nun,die Ukraine weiter zu schwächen und sie als gescheiter-ten Staat darzustellen .Wir sind uns in diesem Hause bewusst, dass es imKonflikt zwischen der Ukraine und Russland nicht umeine kurzfristige Krise geht . Es geht um die Deutungsho-heit und künftige Bestimmung historischer Diskurse inganz Europa, in denen auch Platz sein muss für die ukrai-nische Sicht der Dinge . Das Bekenntnis zur territorialenIntegrität und unsere Hilfe bei den Transformations- undDr. Fritz Felgentreu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23869
(C)
(D)
Demokratisierungsprozessen in der Ukraine dürfen des-halb nicht auf einem Opferdiskurs allein begründet wer-den .Unsere Unterstützung der Ukraine bedarf auch nichtder Sonderbegründung einer zusätzlichen historischenVerantwortung . Nur weil wir wissen, welche Verantwor-tung wir haben und wie die Dinge sich in den letzten Jah-ren entwickelt haben, wollen wir den Antrag unterstützenund ihn im größeren Kontext der Östlichen Partnerschaftbehandeln . Wir sind noch einige Sitzungswochen beiei-nander, Frau Kollegin Beck, Sie und ich und die restli-chen Kollegen .
In dieser Zeit werden wir versuchen, diesen Gedankenvon Ihnen, Frau Beck, in würdiger und korrekter Formweiterzuentwickeln . Es geht um eine Weiterentwicklung,die die Ukraine nicht nur als Opfer Nazideutschlands, alsOpfer Russlands sieht, sondern die der kulturellen undhistorischen Souveränität der Ukraine gerecht wird . Dasist unser Anliegen .
Vielen Dank, Hans-Peter Uhl . – Damit schließe ich die
Aussprache .
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 18/10042 an den Auswärtigen Ausschuss zu
überweisen . – Sie sind damit einverstanden . Dann ist die
Überweisung so beschlossen . Vielen herzlichen Dank .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 d auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
Drucksache 18/12357
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher
Parteien von der Parteienfinanzierung
Drucksache 18/12358
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses
extremistischer Parteien von der Parteienfi-
nanzierung
Drucksache 18/12100
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur
Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des
Ausschlusses extremistischer Parteien von der
Parteienfinanzierung
Drucksache 18/12101
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, ihre Gesprä-
che an einem anderen Ort fortzusetzen . Vorher rufe ich
den Kollegen Brandt nicht auf; er will ja, dass man ihm
zuhört .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Helmut
Brandt für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Besten Dank, dass Siemir so Gehör verschafft haben. – Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschaue-rinnen! Im Zusammenhang mit dem jüngsten Urteil desBundesverfassungsgerichts in Sachen Parteiverbot wiesder Präsident des Verfassungsgerichtes in seiner münd-lichen Urteilsbegründung die Politik auf die Möglichkeitgesetzlicher Reaktionen unterhalb eines Parteiverbo-tes hin . Zwar lehnten die Karlsruher Richter mit ihremUrteil vom 17 . Januar den auf ein Verbot der NPD ge-richteten Antrag des Bundesrates als unbegründet ab,allerdings ließ das Gericht auch keinen Zweifel daran,dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindlichePartei handelt, aber in Anerkennung der besonders ho-hen Hürden, die das Grundgesetz vorgibt und die durchdie Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes fürMenschenrechte noch präzisiert wurden, geht jedenfallsnach Auffassung des Verfassungsgerichts von der NPDderzeit keine Gefahr aus, diese Ziele auch umzusetzen .Dieses Ergebnis ist bei Beibehaltung der jetzigenRechtslage unbefriedigend . Niemand kann verstehen,dass wir mit Steuermitteln als verfassungsfeindlich iden-tifizierte Parteien auch noch unterstützen. Deswegenwollen wir den Anstoß, den uns das Bundesverfassungs-gericht gegeben hat, gesetzgeberisch aufgreifen und als„Minus“ gegenüber einem Parteiverbot die Rechte undPrivilegien verfassungsrechtlicher Parteien einschrän-ken .
Hierzu gehören die Teilhabe an der staatlichen Teil-finanzierung nach § 18 des Parteiengesetzes, aber auchindirekte Förderungen . So sind Parteien etwa von derPflicht zur Entrichtung von Körperschaftsteuer befreit,Dr. Hans-Peter Uhl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723870
(C)
(D)
private Personen, die einer Partei Zuwendungen zukom-men lassen, werden einkommensteuerrechtlich günstigergestellt . Das bedingt natürlich auch geringere Steuerein-nahmen, also auf diesem Wege eine mittelbare Förderungdieser Parteien .Deshalb stellt sich vielen und mir die Frage: Wiekommt unser Staat dazu, eine verfassungsfeindliche Par-tei, die unseren Staat, unsere Demokratie, die Rechts-staatlichkeit abschaffen will, dabei auch noch finanziellzu unterstützen? Dieser Zustand ist in meinen Augen einePervertierung des Sinns und Zwecks der staatlichen Par-teienfinanzierung.
Die Hinweise, die uns das Gericht sowohl in dermündlichen wie auch später in der schriftlichen Urteils-begründung gegeben hat, haben uns diese Möglichkeiteneröffnet. Wir wollen deshalb Artikel 21 des Grundgeset-zes verändern . Dabei ist uns bewusst, dass wir natürlichzum einen die Initiative des Bundesrates verfolgen, zumanderen aber auch berücksichtigen wollen und müssen,dass Parteien nach unserem Grundgesetz auch eine be-sondere Bedeutung haben und es nicht so einfach ist, indieser Weise vorzugehen . Aber die Überprüfung, die inZukunft ermöglichen wird, Parteien die staatliche Finan-zierung zu entziehen, muss daher auch nach unserer Auf-fassung – insofern unterscheiden wir uns etwas von derInitiative des Bundesrates – vom Bundesverfassungsge-richt durchgeführt werden – ich sagte es vorhin schon –,als „Minus“ gegenüber dem Parteiverbot .Die Voraussetzungen für einen solchen Ausschlusssind deshalb auch ähnlich hoch wie bei einem Parteiver-bot . Auch hier muss die verfassungsfeindliche Absichteiner Partei festgestellt werden . Anders als beim Partei-verbot kommt es allerdings nicht darauf an, ob die betref-fende Partei auch über das Potenzial verfügt, ihre Zieledurchzusetzen .Für den Ausschluss einer Partei von der staatlichenTeilfinanzierung und der steuerlichen Begünstigunggelten damit etwas geringere Voraussetzungen als fürein Parteiverbot . Um Kritikern ihre Argumente vorwegschon zu nehmen, haben wir das Für und Wider diesesGesetzvorhabens abgewogen und die Bedenken berück-sichtigt. Nach meiner und nach unserer Auffassung ver-bindet doch letztlich alle demokratischen Parteien einGrundkonsens, dem das Wertesystem unseres Grundge-setzes und das Bekenntnis zu unserem demokratischenRechtsstaat zugrunde liegt . Dies ist auch vom Grundge-setzgeber so gewollt . Dies unterscheidet demokratischeParteien aber in einem zentralen Punkt von extremisti-schen Parteien, wie es die NPD ist . Genau deshalb seheich im Fall von Parteien, deren erklärtes Ziel ist, unsereDemokratie abzuschaffen, die von uns vorgenommeneund beabsichtigte Aktion unterhalb der Schwelle einesParteiverbotes und den mit dem Ausschluss von der Par-teienfinanzierung verbundenen Eingriff in die Chancen-gleichheit als gerechtfertigt und geboten an .Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Demokratie –das wissen wir alle – muss falsche Lehren und grobeDummheiten aushalten können . Die Auseinandersetzungmit unterschiedlichen Meinungen und die Gleichwertig-keit von Meinungen sind das Wesensmerkmal der De-mokratie . Klar ist aber ebenso, dass wir extremistischesGedankengut durch den Geldentzug nicht ausmerzenkönnen . Eine Streichung von Geldern kann leider wederDummheit noch eine menschenverachtende Ideologieverhindern . Die Politik, aber auch die Gesellschaft ste-hen hier weiter in der Verantwortung, sich mit solchenParteien auseinanderzusetzen . Eine wehrhafte Demokra-tie darf es aber auch nicht einfach hinnehmen, dass dieGrundprinzipien der Verfassung mit ihren eigenen Mit-teln untergraben werden .Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Ich bitteSie alle: Lassen Sie uns mit diesem Gesetz ein deutlichesZeichen gegen extremistische Parteien setzen .Besten Dank .
Vielen Dank, Helmut Brandt . – Nächste Rednerin:
Ulla Jelpke für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-liegende Gesetzentwurf soll dafür sorgen, dass rassisti-sche, antisemitische, demokratiefeindliche Parteien kei-ne Steuergelder mehr erhalten .
Ich möchte gleich zu Beginn sagen: Die Linke unterstütztvoll und ganz das Ansinnen, neofaschistischen Parteienden Geldhahn abzudrehen; denn es darf nicht sein, dassAntisemitismus und rassistische Hetze mit Steuergeldernfinanziert werden.
Meine Damen und Herren, es muss uns klar sein: Jahrfür Jahr erhält die NPD ungefähr 1 Million Euro an Par-teienfinanzierung. In den letzten zehn Jahren waren esgenau 14,5 Millionen Euro. Diese Gelder fließen in denAufbau des Parteiapparats, in Nazikonzerte, in Struktu-ren für braune Kameradschaften, die gewalttätig sind .Man muss hier wirklich ganz deutlich sagen, dass staat-liche Gelder eigentlich dafür hergegeben werden, neofa-schistische Strukturen in Deutschland handlungsfähig zumachen . Damit muss endlich Schluss sein .
Das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Verfahrenzwar festgestellt, dass die NPD verfassungswidrig ist . Eshat dennoch kein Verbot erlassen, weil der NPD nach An-sicht des Gerichtes die Möglichkeit zur Umsetzung ihrerZiele fehlt . Ich will für meine Fraktion ganz deutlich sa-gen: Wir hätten uns gewünscht, dass es ein klares Verboteiner Partei gibt, die sich in die Tradition der NSDAPHelmut Brandt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23871
(C)
(D)
stellt und menschenverachtende Positionen der NSDAPweiterhin vertritt . Das ist nicht geschehen . Deswegennehmen wir gerne den Hinweis des Bundesverfassungs-gerichts auf, dass man unterhalb des förmlichen Verbotsgegen die NPD vorgehen kann, indem man die Parteien-finanzierung infrage stellt.
Zweifellos – das muss man hier sehr deutlich sa-gen – ist der Ausschluss von der Parteienfinanzierung einschwerwiegender Eingriff in die Chancengleichheit. ZuRecht sagt man umgangssprachlich, es handele sich hierum ein „kleines Parteienverbot“ . Ich bin sehr erleich-tert – Kollege Brandt hat es eben gesagt –, dass man vondem ursprünglichen Vorschlag, hier im Hause darüber zuentscheiden, ob eine Partei keine Staatsgelder mehr be-kommt, abgerückt ist und jetzt ganz klar sagt, dass dasBundesverfassungsgericht darüber entscheiden soll .
Denn bei allem Respekt: Ich meine, dass solche Eingriffein die Chancengleichheit einer Partei nicht von Mitglie-dern einer konkurrierenden Partei vorgenommen werdensollten . Deswegen ist die Instanz des Bundesverfas-sungsgerichts genau die richtige .
Im Entwurf wird außerdem geregelt, dass die betroffe-nen Parteien alle vier Jahre eine Überprüfung beantragenkönnen . Das halten wir für sehr richtig . Das muss jederPartei zugebilligt werden; obwohl ich, ehrlich gesagt,nicht glaube, dass die NPD ihre Grundauffassung ändert.Nichtsdestotrotz ist die Regelung wichtig .Wir sehen ein weiteres Problem . In der anstehendenAnhörung wird sicherlich deutlich, was in den vorlie-genden Gesetzentwürfen noch nicht geregelt ist . Es gehtum das Problem der V-Leute vom Verfassungsschutz . Ichwill noch einmal daran erinnern: Das NPD-Verbotsver-fahren 2003 ist gescheitert, weil V-Leute in der Partei alsGeheimdienstspitzel tätig waren, was im Grunde genom-men dazu geführt hat, dass man nicht mehr klar wusste:Was war eine staatliche Aktivität, was war eine NPD-Ak-tivität? Das hat in den letzten Verfahren zu großer Be-sorgnis geführt und immer wieder Fragen aufgeworfen .Deswegen denke ich, dass eine entsprechende Regelungin die vorliegenden Gesetzentwürfe einfließen müsste.Die Neonazis können zum Beispiel sehr leicht damitargumentieren, es seien staatliche Spitzel gewesen, diedas Parteiprogramm der NPD geschrieben hätten oderdie möglicherweise gewalttätig gegenüber Flüchtlingengeworden sind .Ich sage es noch einmal: V-Leute innerhalb der NPDnutzen überhaupt nichts . Das haben wir immer wiederbetont . Sie müssen endlich aus allen Ebenen abgezogenwerden . Dann werden wir auch Erfolg haben, der NPDdie Parteifinanzierung zu entziehen.
Meine Damen und Herren, in der Tat ist richtig: Ras-sismus ist kein Monopol der NPD, sondern es gibt auchKräfte wie die AfD, die im Moment den Rassismus inTeilen der Gesellschaft vorantreiben . Aber Herr Brandt,ich möchte auch Ihrer Partei sagen: Mit manchen Geset-zen zur Flüchtlingspolitik, die Sie hier eingebracht ha-ben,
haben auch Sie die Stimmung für Rassismus in diesemLand leider sehr erhöht .
Ja, das muss man einfach so sagen . Angesichts dessen,was wir gestern beschlossen haben, müssen Sie sich andie eigene Nase fassen, wenn es darum geht, Rassismusin unserem Land zu bekämpfen .
Ich hoffe jedenfalls sehr, liebe Kollegen, dass wir dieGesetzentwürfe noch vor der Sommerpause über dieBühne bringen, damit man solchen Parteien wirklich dasWasser abgräbt .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank, Ulla Jelpke . – Nächste Rednerin: Dr . Eva
Högl für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In unserer Demokratie haben Feinde der De-mokratie keinen Platz . Das ist eine wichtige Lehre ausunserer deutschen Geschichte . Deswegen haben wir einesogenannte wehrhafte Demokratie . Das heißt: Meinungs-freiheit, politische Vielfalt, Streitkultur, Chancengleich-heit und auch Parteienprivileg . Aber das heißt auch, dasswir klare Regeln dafür brauchen, wenn die Grenzen über-schritten sind . Wenn Feinde der Demokratie die Demo-kratie abschaffen wollen oder sie mit Füßen treten, dannsehen wir nicht tatenlos zu, sondern handeln .
Artikel 21 des Grundgesetzes ist ein Ausdruck unsererwehrhaften Demokratie . Ich sage es ganz deutlich: DieSPD hätte es sich gewünscht, wenn das Bundesverfas-sungsgericht die NPD verboten hätte . Das wäre ein ganzwichtiger Beitrag zum Engagement gegen Rassismus,Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit gewe-sen .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723872
(C)
(D)
Ich bin sehr dankbar, dass der Bundesrat ein exzel-lent vorbereitetes und wunderbar organisiertes Verfahrenbeim Bundesverfassungsgericht eingeleitet hat . Ich fandund finde es immer noch peinlich, dass der DeutscheBundestag und die Bundesregierung sich diesem Verfah-ren nicht angeschlossen haben .
Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen: EinParteiverbot löst nicht alle Probleme, die wir mit Ver-fassungsfeinden haben, aber ein Parteiverbot ist ein ganzwichtiger Baustein . Deswegen – ich sagte es schon – istes schade, dass das Bundesverfassungsgericht die NPDnicht verboten hat . Das Bundesverfassungsgericht hatgesagt, die NPD sei nicht gefährlich genug, sie sei un-bedeutend .Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklichfestgestellt, dass die NPD verfassungsfeindlich ist . Eshat uns in der Urteilsverkündung einen ganz wichtigenHinweis gegeben – uns hier, dem Gesetzgeber –, nämlichdass wir bei der Finanzierung von verfassungsfeindli-chen Parteien etwas tun können . Deswegen bringen wirheute ein entsprechendes Gesetz und die Grundgesetzän-derung auf den Weg .Die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts greifenwir gerne auf . Wir wissen aus unseren Gesprächen, liebeKolleginnen und Kollegen: Das, was Bürgerinnen undBürger am meisten empört, ist doch – das haben alle bis-her schon ausgeführt –, dass verfassungsfeindliche Par-teien auch noch Staatsgelder bekommen . Das stößt aufUnverständnis und ist nicht zu rechtfertigen . Allein dieNPD – nur ein Beispiel – hat in den Jahren 2014, 2015und 2016 jeweils über 1 Million Euro aus staatlichenKassen bekommen. Das ist nicht hinnehmbar. Sie finan-ziert damit eine menschenverachtende Hetze . Das wollenwir beenden, und das machen wir jetzt auch .
Der Bundesrat hat am 10 . März 2017 eine exzellenteVorlage beschlossen . Ich danke auch dem Land Nieder-sachsen für die tolle Initiative . Noch im Gerichtssaal desBundesverfassungsgerichts wurde gesagt: Das gehen wiran, das bringen wir jetzt auf den Weg . – Der Gesetzent-wurf entspricht genau dem, was im Bundesrat schon dis-kutiert wurde .Wir schaffen die Möglichkeit, die öffentliche Partei-enfinanzierung zu entziehen, wenn eine Partei verfas-sungsfeindlich ist . Wir haben die identischen Antragstel-ler wie beim Parteiverbot: Bundesrat, Bundesregierungund Bundestag . Es entscheidet das Bundesverfassungs-gericht, und das ist auch richtig . Nur das Bundesver-fassungsgericht kann darüber entscheiden. Wir schaffenzum einen die zusätzliche Möglichkeit, die Parteienfi-nanzierung zu entziehen, und zum anderen kann dieserAntrag auch hilfsweise zu einem Verbotsverfahren ge-stellt werden . Das ist ein gutes Regularium . Die Parteienbekommen die Chance, nach vier Jahren überprüfen zulassen, ob sie immer noch verfassungsfeindlich sind, unddas gegebenenfalls feststellen lassen .Man hätte sich vorstellen können, noch weiter zu ge-hen, zum Beispiel Parteien von der Nutzung von Sen-dezeiten oder der Nutzung öffentlicher Gebäude aus-zuschließen . Aber wir haben uns aus guten Gründenentschieden, die Chancengleichheit nicht vollständig zureduzieren, sondern den Parteien die Möglichkeit zu las-sen, auf einen guten Weg zurückzukehren .Der Gesetzentwurf und die Grundgesetzänderung, diewir vorlegen, sind ausgewogen und zwingend, um unsereDemokratie weiter stark und wehrhaft zu halten . Ich sagees ganz deutlich: Wir schaffen keine „Lex NPD“; denndieses Gesetz gilt für alle Parteien, die nicht auf dem Bo-den unseres Grundgesetzes stehen und sich gegen unsereVerfassung wenden .Natürlich wissen wir hier im Deutschen Bundestag –das sage ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich –:Dies ist ein Baustein unseres Engagements gegen Extre-misten in unserer Gesellschaft . Wir müssen uns weiterhinmit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, mit allenMöglichkeiten, mit Prävention, politischer Bildung, Poli-zei, Justiz und Verfassungsschutz – auch der gehört dazu;da sind wir hier ja nicht immer derselben Auffassung –,gegen die Feinde der Demokratie engagieren, um unsereDemokratie zu stärken .Ich wünsche mir ehrlich gesagt eine große Zustim-mung im Deutschen Bundestag . Ich würde mich sehrfreuen, wenn auch die beiden Oppositionsfraktionendiesen Vorschlägen zustimmen und wir hier gemeinsamsagen: Wir stärken unsere wehrhafte Demokratie .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Eva Högl . – Nächste Rednerin in der
Debatte: Britta Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gemeinsam eintreten für unsere liberale De-mokratie, für unsere Grundrechte – darum geht es auchuns, wenn wir über die Gefahren des Rechtsextremismusund des erstarkten Rechtspopulismus in unserem Landdiskutieren . Das besorgt uns ebenso wie viele Bürgerin-nen und Bürger .Aber das, was Sie heute hier vorlegen, Herr Brandtund Frau Högl, ist aus meiner Sicht und aus Sicht meinerFraktion nicht durchdacht .
Zweimal sind wir mit einem NPD-Verbotsverfahren vordem Bundesverfassungsgericht gescheitert . Jedes Malkonnte sich die NPD nach Abschluss des Verfahrens öf-Dr. Eva Högl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23873
(C)
(D)
fentlich als Partei präsentieren und sagen: Seht ihr? Diesind gescheitert, wir als Partei sind nach wie vor eineKraft in diesem Land . – Beim letzten Mal war die Auf-fassung des Gerichts sinngemäß: Die NPD ist eine Parteivon Verfassungsfeinden, die unsere freiheitlich-demo-kratische Grundordnung abschaffen will – das sehen wirauch so –, aber sie ist zu schwach auf der Brust . – EinBlick ins Land zeigt: Die NPD ist ein jämmerlicher Ver-ein mit einer brandgefährlichen Ideologie . Das müssenwir immer wieder deutlich machen, immer wieder sagenund die politische Auseinandersetzung suchen .
Bei den Bundestagswahlen erhält die NPD regelmä-ßig um 1 Prozent der Stimmen . Ich will in aller Klar-heit sagen: Jede einzelne Stimme für diese Partei ist eineStimme zu viel . Aufgrund der geltenden Rechtslage zurParteienfinanzierung hat die NPD 2015 deshalb 1,3 Mil-lionen Euro erhalten . Auch jeder einzelne Euro an diesePartei ist ein Euro zu viel . Der Rassismus, der Antisemi-tismus, die menschenverachtende Politik und Ideologiedieser Partei, der NPD, sind brandgefährlich . Daran be-steht überhaupt kein Zweifel .
Meine Damen und Herren, diesem Problem versuchtdie Koalition jetzt mit einer symbolischen Grundgesetz-änderung beizukommen,
symbolisch deshalb, weil Sie meinen, man streiche dasGeld und damit habe sich ein Teil des Problems erledigt .
Wir alle wissen aber doch, dass das nicht der Fall ist . DasProblem der rechten Gewalt, des Alltagsrassismus, desAntisemitismus, der von Gruppen ausgeht, der von dieserNPD ausgeht, lässt sich doch damit nicht lösen .
Das sind aus meiner Sicht vermeintlich einfache Ant-worten auf höchst komplexe gesellschaftliche Fragen .Diese Probleme müssen wir mit vielen anderen Mittelnbekämpfen, als den Weg über die Parteienfinanzierungzu gehen .
Es ist heute zwar erst die erste Lesung dieses Ge-setzentwurfs, aber Maas und de Maizière als federfüh-rende Minister, auch Oppermann als Vorsitzender derSPD-Fraktion haben deutlich gemacht, dass man diesesVorhaben in aller Eile noch kurz durch diesen Bundes-tag bringen wolle . Dabei handelt es sich aber doch umeine Grundgesetzänderung und betrifft damit einen sehrsensiblen Bereich, über den wir hier diskutieren . Hiergilt Sorgfalt vor Schnellschuss . Es bleiben noch drei Sit-zungswochen in dieser Legislaturperiode . Mit den Prin-zipien des Grundgesetzes und der Demokratie müssenwir doch souverän und seriös umgehen . Eine Grundge-setzänderung, eine Verfassungsänderung wie diese darfnicht übereilt beraten werden .
Ein unsauberes Vorgehen, meine Damen und Herren,das wieder gerichtlich scheitern wird,
nutzt am Ende nur den Verfassungsfeinden von der NPDund niemand anderem . Das darf nicht passieren .
Wenn Zweifel bestehen – die gibt es doch –, dann mussman auf die große Brisanz dieses Unterfangens, das Siehier planen, hinweisen . Ansonsten spielt das Populistenund Antidemokraten nur in die Hände .Mit dem Vorschlag, den Sie hier machen, gibt es imKern ein Problem . Damit, die Steuerbegünstigung beiParteispenden für verfassungsfeindliche Parteien weg-fallen zu lassen, begibt man sich in ein sehr schwierigesFahrwasser;
denn mit solchen Sanktionen trifft man nicht nur die Par-tei selbst, sondern auch die Grundrechte der Unterstüt-zerinnen und Unterstützer . Darin liegt ein großes verfas-sungsrechtliches Problem .
– Das wissen Sie ganz genau . Darüber zerbrechen wiruns auch den Kopf, Herr Lischka, ganz im Gegensatz zuIhnen .
Die Tinte war noch nicht ganz getrocknet und das Ur-teil noch nicht einmal veröffentlicht, da haben Sie schonangekündigt, es über den Weg der Parteienfinanzierungzu versuchen .
Meine große Sorge und die unserer Fraktion ist, dass Sieein drittes Mal scheitern .
Sie tun so, als würde aufgrund dieser Gesetzesänderungetwas passieren .
Britta Haßelmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723874
(C)
(D)
Nein, es passiert gar nichts . Sie werden möglicherweisewieder vor das Verfassungsgericht müssen, weil Sie eineVerfassungsänderung vornehmen .
Wenn man sich auf diesen Weg begibt, muss man docheigentlich seine ganze Energie darauf verwenden .
Ich bitte Sie um mehr Sorgfalt . Keine Hektik, keinenSchnellschuss, sondern treffen Sie eine sorgfältige Ab-wägung angesichts dieses sensiblen Rechtsbereiches .Zeitgleich muss der Kampf gegen rechts, gegenRechtsextremismus, gegen Verfassungsfeinde doch poli-tisch geführt werden .
Wir müssen viel mehr Geld investieren zur Unterstüt-zung der Zivilgesellschaft,
der vielen engagierten Vereine und Institutionen, die imBereich des Rechtsextremismus und im Kampf dagegentätig sind .
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .
Darum geht es . Meine Damen und Herren, deshalb
möchten wir Sie eindringlich bitten, hier Sorgfalt vor
Schnellschuss walten zu lassen .
Jetzt aber!
Sonst landen wir wieder vor dem Verfassungsgericht .
Das wäre schrecklich; denn dann würde sich diese Partei,
gegen die wir alle kämpfen wollen, wieder feiern .
Es ist ja was los hier im Haus . – Der nächste Redner:
Dr . Tim Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben esschon gehört: Ausgangspunkt dieses Gesetzgebungsvor-habens ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts imNPD-Verbotsverfahren . In seinem Urteil stellt das Ge-richt unmissverständlich fest, dass die NPD verfassungs-widrig ist, weil sie gegen die Menschenwürde verstößt,weil sie die Demokratie und den Rechtsstaat bekämpftund weil sie wesensverwandt mit dem Nationalsozialis-mus ist . Diese Feststellung machen fast 50 Seiten des Ur-teils aus . Dennoch wurde, wie wir alle wissen, der Antragauf Verbot der NPD zurückgewiesen mit der Begründung,die NPD sei bedeutungslos, die NPD sei – zum Glück –eine Partei ohne Aussicht auf politischen Erfolg . Dieserist aber für die Durchsetzung der verfassungsfeindlichenZiele erforderlich .Das Bundesverfassungsgericht hat erkannt, dass dasErgebnis des Verfahrens etwas unbefriedigend ist . EinePartei wird als verfassungsfeindlich eingestuft, kann ihrTreiben aber trotzdem uneingeschränkt fortsetzen . Bis-her gilt nun einmal das Alles-oder-nichts-Prinzip . Darumhat der Senat dankenswerterweise auf Handlungsmög-lichkeiten für gestufte Sanktionen gegenüber Parteienmit verfassungsfeindlicher Zielsetzung aufmerksam ge-macht .Wenn man an mögliche Sanktionen denkt, kommtman sehr schnell auf die Idee, verfassungsfeindlichenParteien die finanzielle Unterstützung des Staates zuentziehen . Das Gericht merkte in seinem Urteil an, dassder Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung nach dergeltenden Verfassungslage ausgeschlossen sei . Daherbestehe für Sanktionen unterhalb der Ebene des Partei-enverbots kein Raum, solange der verfassungsänderndeGesetzgeber keine abweichenden Regelungen trifft. Dasist schon ein sehr deutlicher Hinweis . Um ganz sicher zugehen, hat Gerichtspräsident Voßkuhle dieses Thema beider Urteilsverkündung aufgegriffen.Bundestag und Bundesrat haben zugehört und das Ur-teil genau gelesen .
Schnell war klar: Dieser Hinweis soll auch umgesetztwerden. Auch, aber nicht nur für die Öffentlichkeit istes schlichtweg nicht nachvollziehbar, wenn eine Partei,deren Verfassungsfeindlichkeit vom Verfassungsgerichtfestgestellt worden ist, durch den Staat, den sie abschaf-fen will, alimentiert wird .
Steuergelder dürfen nicht in die Hände von Verfassungs-feinden geraten . Auch dies gehört zur wehrhaften Demo-kratie .
Britta Haßelmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23875
(C)
(D)
Zwar werden es glücklicherweise immer weniger Bür-ger, die der NPD bei Wahlen ihre Stimme geben, aber essind immer noch zu viele .
Jede Stimme verschafft der NPD einen Zuschuss aus demSteuersäckel: 1,1 bis 1,4 Millionen Euro pro Jahr . Wirsagen: Jeder Cent für die NPD ist ein Cent zu viel .
Darum ist das Ziel seit längerem klar . Nur der Weg warfraglich . Wie setzt man dies gesetzgeberisch um? Natür-lich ist das – hier muss ich denjenigen, die das kritisierthaben, recht geben – juristisch ambitioniert . Wir wollennun durch eine Änderung des Grundgesetzes unterhalbeines Verbots eine geeignete und vor allem rechtlich un-angreifbare Maßnahme schaffen. Für diese Maßnahmekommt es nicht darauf an, ob die verfassungsfeindlichePartei mit der Abschaffung der freiheitlich-demokrati-schen Grundordnung Erfolg haben kann . Eine gegen un-sere Verfassung gerichtete Zielsetzung genügt hierfür . Esist übrigens egal, ob diese gegen die Verfassung gerich-tete Zielsetzung von rechts oder von links kommt, FrauKollegin Jelpke .
Wir müssen gegen beides vorgehen . Da muss die wehr-hafte Demokratie ihre Wehrhaftigkeit zeigen .
Es ist auch richtig, dass das Verfassungsgericht übereine solche Maßnahme entscheiden soll . Denn schon derSchein, dass ein politischer Mitbewerber einem Konkur-renten die Grundlage für seine Existenz entziehen könn-te, sollte vermieden werden . Darum ist es sachgerecht,unmittelbar das Bundesverfassungsgericht entscheidenzu lassen .Bundestag und Bundesrat haben zwar die gleicheZielsetzung, aber es gibt dennoch zwei Gesetzesinitia-tiven; das ist nicht ungewöhnlich . Die von den Koaliti-onsfraktionen eingebrachten Gesetzentwürfe sind mit de-nen des Bundesrates im Wesentlichen inhaltsgleich . DieFormulierungen der Koalitionsfraktionen – das meinenjedenfalls wir – sind vielleicht an der einen oder anderenStelle noch etwas präziser .Vor allem enthält das Begleitgesetz der Koalition alleerforderlichen steuerrechtlichen Folgeänderungen . Dennder Staat fördert die Tätigkeit von Parteien auch indirekt:Parteien sind zum Beispiel von der Pflicht zur Entrich-tung der Körperschaftsteuer befreit, und Privatpersonen,die einer Partei Geld zuwenden, haben eine Abzugsmög-lichkeit bei der Einkommensteuer . Dies fördert mittelbardie jeweilige Partei . Deshalb ist es wichtig und richtig,dass in einem solchen Fall die steuerrechtlichen Privi-legien wegfallen . Das sieht auch der Bundesrat so . Abergerade an dieser Stelle ist der Gesetzentwurf der Koaliti-onsfraktionen etwas umfassender .Ein weiterer Unterschied zwischen diesen beiden Ini-tiativen ist die Länge der Frist, nach deren Ablauf diesanktionierte Partei eine Überprüfung verlangen kann .Der Bundesrat schlägt eine Frist von zwei Jahren vor, wirals Koalition halten eine Frist von vier Jahren für ange-messen . Dass es überhaupt eine Überprüfungsfrist gebensoll, ist sinnvoll; denn schließlich muss es auch aus ver-fassungsrechtlichen Gründen eine Chance auf Läuterunggeben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der kleinenUnterschiede zwischen den beiden Gesetzesinitiativenmöchte ich abschließend mit Blick auf die Bundesrats-bank betonen: Es besteht eine große Übereinstimmungmit dem Bundesrat im Ziel: kein Cent vom Staat für dieNPD und für andere verfassungsfeindliche Parteien .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Tim Ostermann . – Ich begrüße recht
herzlich Boris Pistorius, den Minister für Inneres und
Sport des Landes Niedersachsen . Oje, dann brauchen
Sie morgen Nachmittag starke Nerven – es geht um Fuß-
ball –, ich auch als Augsburg-Fan . Boris Pistorius redet
jetzt für den Bundesrat .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin, starke Nerven brauchenmorgen sicherlich viele der Anwesenden hier . – Sehr ge-ehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorden Senatswahlen in Berlin im Jahre 2011 hingen inder Stadt 22 000 Wahlplakate der NPD mit dem Slogan„Gas geben“ . Darauf war ihr damaliger Vorsitzender aufeinem Motorrad abgebildet . Diese Plakate hingen un-ter anderem auch am Holocaust-Mahnmal und vor demJüdischen Museum. Für einen billigen Werbeeffekt unddreckige Lacher aus der braunen Ecke hatte die NPD dieOpfer des Holocaust wieder einmal verhöhnt . Diese imkrassen Gegensatz zu den Grundwerten unserer Demo-kratie und unseres Grundgesetzes stehende Partei hattesich wie schon so oft davor und danach als Partei desHasses und der Hetze in der Tradition der Nazis entblößt,ohne jede Scham und ohne jede Moral .Finanziert wurde diese abscheuliche Plakataktionauch aus den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bür-ger in Deutschland . Nach dem Parteiengesetz erhaltennun einmal alle Parteien je nach Stimmenanteil bei denverschiedenen Parlamentswahlen staatliche Mittel zurFinanzierung ihrer Wahlkampfkosten und damit ebenauch die NPD . Damit Sie mich nicht falsch verstehen:Diese gesetzliche Regelung hat zweifellos ihre Berech-tigung . Auch kleineren demokratischen Parteien – dassdie NPD ziemlich klein ist, hat gerade erst das Bundes-verfassungsgericht in Karlsruhe festgestellt – muss esim Sinne eines fairen Wettbewerbs ermöglicht werden,Wahlkampf zu machen . Die Programmatik, das Auftre-ten und die Rhetorik von Politikerinnen und PolitikernDr. Tim Ostermann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723876
(C)
(D)
der NPD zeigen jedoch unübersehbar eindeutige Paral-lelen zur NS-Ideologie eines völkischen Nationalismus,die nichts, aber auch gar nichts mit dem Modell unsererfreiheitlichen Demokratie am Hut hat, in der wir leben .Gleichzeitig beschönigen oder verherrlichen sie einesder grausamsten Verbrechen der deutschen Geschichte,den Holocaust . Deshalb war es richtig, dass der Bundes-rat 2013 das NPD-Verbotsverfahren erneut auf den Weggebracht hat,
leider ohne die Unterstützung des Deutschen Bundesta-ges .Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom17 . Januar wurde die NPD zwar nicht verboten, das Ge-richt hat aber unmissverständlich festgestellt: Die NPDist verfassungsfeindlich . Ich zitiere:Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger versto-ßen gegen die Menschenwürde und den Kern desDemokratieprinzips .Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist das Herzunseres Grundgesetzes . Plakate wie 2011 im BerlinerWahlkampf belegen: Die NPD missachtet die Menschen-würde, ja sie verachtet sie . Alles, was nicht in ihrem Sin-ne deutsch ist, ist ihr zuwider .Dankenswerterweise hat das Bundesverfassungsge-richt erstmals die rote Linie unmissverständlich definiert,die von keiner Partei überschritten werden darf, wennsie sich nicht der Gefahr aussetzen will, als verfassungs-feindlich eingestuft und verboten zu werden .Es hat nur deshalb nicht für ein Parteiverbot gereicht,weil die NPD schlicht zu bedeutungslos geworden ist .
Was für ein Pyrrhussieg für diese Partei! Was für einvernichtendes Urteil, dass es nur aufgrund der eigenengegenwärtigen Irrelevanz nicht zum Verbot gereicht hat!Trotz dieser höchstrichterlich attestierten Verfas-sungsfeindlichkeit bei gleichzeitiger Bedeutungslosig-keit erhält die NPD weiterhin Steuergelder, unter ande-rem, um ihre Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen .Ich finde es unerträglich, dass eine Partei, die unsere frei-heitlich-demokratische Grundordnung und damit unserStaatssystem ablehnt, von diesem auch noch Unterstüt-zung erhält .
Wie soll ich zum Beispiel einem Jugendlichen oder ei-nem Erstwähler klarmachen, dass ausgerechnet diejeni-gen, die unsere Demokratie abschaffen wollen, aus Steu-ergeldern mitfinanziert werden?Aus diesem Grund und vielen anderen Gründen wares auch so wichtig, sofort nach dem Karlsruher Richter-spruch zu handeln .
Wir haben bei der Urteilsverkündung aufmerksam zuge-hört und nachgelesen .
Das Bundesverfassungsgericht hat uns nämlich in sei-nem Urteil den Hinweis gegeben – das war geradezuein Wink mit dem Zaunpfahl –, dass aufgrund der fest-gestellten Verfassungsfeindlichkeit der Ausschluss derNPD aus der Parteienfinanzierung durch eine Grundge-setzänderung möglich sei .Wir haben diesen Ball in Niedersachsen sofort auf-genommen und uns mit einer Bundesratsinitiative füreine entsprechende Grundgesetzänderung auf den Weggemacht . Es wäre ein wichtiges und starkes demokrati-sches Signal, wenn der Bundestag nur wenige Monatenach dem Urteil aus Karlsruhe diesen historischen Schrittgehen und eine klare Grenze für alle extremistischen Par-teien ziehen würde .
Das Parlament gäbe damit ein starkes Signal für unserewehrhafte Demokratie und gegen die abgewrackte Nazi-ideologie der NPD ab .Diese Grundgesetzänderung würde – anders als gele-gentlich kritisiert – keinesfalls zu einer Einschüchterungvon politischen Konkurrenten führen. Sie betrifft schließ-lich ganz klar nur solche Parteien, die eindeutig höchst-richterlich als verfassungsfeindlich eingestuft wurden .Alle Parteien, die sich im Kern zu unserer demokrati-schen Verfassung bekennen, werden davon in keinerWeise betroffen sein.Das ist eben keine Symbolik, und niemand, der sichfür dieses Gesetz einsetzt, glaubt ernsthaft daran, dassdamit das Problem des Rechtsextremismus gelöst sei .Nein, das ist nur ein Baustein im gemeinsamen Kampfgegen Rechtsextremismus und Rassismus .
Ich würde mich sehr freuen – und ich bin hier zuver-sichtlich –, wenn nach den nun folgenden Ausschuss-beratungen alle Parteien in diesem Hohen Haus dieserwichtigen Änderung des Grundgesetzes sowie des Be-gleitgesetzes zustimmen würden . Schließlich hat auchder Bundesrat dieser Initiative einstimmig zugestimmt,das heißt unter Zustimmung aller 16 Bundesländer, alsoauch derjenigen, in denen die Grünen mitregieren .
Minister Boris Pistorius
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23877
(C)
(D)
Wer Volksverhetzung betreibt, tritt die Grundrechte inunserer Verfassung mit Füßen . Wer die Menschenwürdemissachtet, stellt sich außerhalb unserer Gesellschaft .Wer unsere freiheitlich-demokratischen Werte und dieWesenselemente unseres Grundgesetzes ablehnt und be-kämpft, wer damit Feind unserer Verfassung ist, der darfkeine staatliche Unterstützung mehr bekommen, um sei-ne Hassbotschaften zu verbreiten .Vielen Dank .
Vielen Dank, Boris Pistorius . – Der letzte Redner
in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-
nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollegin Jelpke, ich will es einfach einmal ganz
undiplomatisch rüberbringen: Ich fand Ihre Randbemer-
kung in Richtung Union unerträglich, und ich will Ihnen
sagen: Für die Partei, die als Nachfolgepartei der SED
hier sitzt, für die Partei der Steinewerfer,
ist das ein starkes Stück gewesen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Voraussetzung für Demokra-
tie ist Freiheit . Diese Freiheit macht die Demokratie am
Ende des Tages auch wieder verletzlich, weil gerade die-
se Freiheit unter Umständen genau das Risiko erzeugt,
dass sie ausgenutzt wird, um die Demokratie oder die
verfassungsrechtliche Ordnung abzuschaffen.
Parteien sind in einer Demokratie unentbehrlich . Sie
geben politische Orientierung . Sie geben eine politische
Richtung, und sie wollen den Menschen die Möglich-
keit geben, eine politische Heimat zu finden und sich
politisch auszurichten . Deswegen ist es letztendlich eine
Gratwanderung, einerseits die Parteienvielfalt zu ermög-
lichen, aber andererseits dann von staatlicher Seite Gren-
zen zu setzen .
Die Grenzen sind bei den Voraussetzungen für ein Par-
teienverbot definiert. Nach Artikel 21 Absatz 2 Grundge-
setz kann das Bundesverfassungsgericht eine Partei auf
Antrag dann verbieten, wenn die Partei „nach ihren Zie-
len oder dem Verhalten ihrer Anhänger“ darauf ausgeht,
„die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beein-
trächtigen oder zu beseitigen“ .
Bislang ist die Streichung der Parteienfinanzierung
erst nach diesem Verbot möglich . Am 17 . Januar 2017
ist das Verbotsverfahren an sich gescheitert . Das Bun-
desverfassungsgericht hat anerkannt, dass die NPD zwar
verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, aber die Strukturen
und die Größe der Partei zu gering sind, um davon auszu-
gehen, dass sie darauf ausgerichtet ist – wie es Artikel 21
Absatz 2 Grundgesetz fordert; das heißt sozusagen, dass
es von der Wirksamkeit her ausreicht –, die verfassungs-
rechtliche Grundordnung zu beseitigen .
Wenn man diese Entscheidung zum ersten Mal liest,
schluckt man zunächst einmal . Man wundert sich auch
ein Stück weit; denn entweder ist eine Partei verfas-
sungsfeindlich, oder sie ist es nicht . Wenn sie verfas-
sungsfeindlich ist, dann muss als Konsequenz zwingend
das Verbot folgen . Dennoch ist dies eine Entscheidung
im Sinne des neuen Artikels 21 Absatz 4 Grundgesetz,
was bei dieser unglaublich sensiblen Frage selbstver-
ständlich unentbehrlich ist .
Der zweite Punkt, der ein bisschen Bauchschmerzen
macht, ist – auch da muss man ehrlich sein –: Wie lange
muss man denn warten? Muss man tatsächlich so lange
warten, bis eine Partei Struktur und Größe hat, um dann
letztlich größeren Schaden anzurichten? Dabei denkt
man schon ein wenig an die Vergangenheit; denn genau
diese Fehleinschätzung gab es schon einmal .
Heute kann ich dieser Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts sehr viel mehr abgewinnen . Denn
das Verfassungsgericht hat uns Zwischentöne aufgezeigt,
nämlich die Möglichkeit des Ausschlusses der Parteien-
finanzierung und des Ausschlusses von steuerlichen Pri-
vilegien als Vorstufe, und damit meiner Meinung nach
letztlich das Parteienverbot neu als Ultima Ratio defi-
niert .
Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir heute frakti-
onsübergreifend das ganz klare Signal setzen, dass wir
gemeinsam unsere Demokratie schützen wollen . Es kann
nicht sein, dass eine Partei mit staatlichen Mitteln finan-
ziert wird und gleichzeitig das Ziel verfolgt, die verfas-
sungsrechtliche Ordnung dieses Staates auf den Kopf zu
stellen bzw . zu beseitigen .
Wir wollen – auch diese Bemerkung kann ich mir
nach Ihrer Rede, Frau Kollegin Haßelmann, die mich
durchaus in Erstaunen versetzt hat, nicht verkneifen – die
Demokratie mit Gesetzen schützen statt mit Stuhlkreisen,
wie Sie es offensichtlich wollen.
Ich freue mich auf die weitere Beratung und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Dann schließeich die Aussprache .Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-fe auf den Drucksachen 18/12357, 18/12358, 18/12100Minister Boris Pistorius
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723878
(C)
(D)
und 18/12101 an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vor-schläge? – Die gibt es nicht . Sie beschäftigen sich ja auchgerade mit anderen Fragen . Dann sind die Überweisun-gen so beschlossen .Ich bitte, jetzt die Plätze einzunehmen .
– Tschüss, Herr Kauder .
– Hoffentlich nicht! Ich bin deswegen schon ganz fertig.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungStadtentwicklungsbericht der Bundesregie-rung 2016Drucksache 18/11975Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale AgendaHierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionender CDU/CSU und der SPD sowie ein Entschließungsan-trag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Weil Sie das javereinbart haben, gibt es dazu keinen Widerspruch .Dann eröffne ich die Aussprache und gebe dasWort der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau RitaSchwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung .
Ri
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Stadt-entwicklungsbericht der Bundesregierung 2016 zeigt:Unsere Städte und Kommunen stehen vor großen Heraus-forderungen . Deutschlands Bevölkerung ist zwischen2010 und 2015 um 3 Millionen Menschen gewachsen,die zu uns gezogen sind . Auch die Städte wachsen – dasist ein Megatrend –: Mehr als 1 Million Menschen sindzwischen 2014 und 2015 in die Städte gezogen . Gleich-zeitig kämpft die Mehrheit der Kommunen im ländlichenRaum mit der Stagnation oder sogar mit dem Rückgangder Bevölkerung . Hinzu kommen auch die Herausfor-derungen des Klimawandels . Natürlich wollen wir das2-Grad-Ziel erreichen . Zusätzlich muss der wirtschaftli-che Strukturwandel bewältigt werden .Wir brauchen also, um diese Herausforderungen zubewältigen, mehr bezahlbare Wohnungen . Wir müssenVerdrängung und Polarisierung verhindern, damit der so-ziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gefährdetwird . Unsere Städte sollen weiterhin attraktive Lebens-orte aller sozialen Schichten bleiben . Wir müssen CO2einsparen, sowohl im Gebäude- als auch im Verkehrsbe-reich. Wir brauchen auch mehr Grünflächen, einerseitszur Erholung, andererseits auch zur Abkühlung . Schließ-lich sorgen Grünflächen in den Städten für gute Luft.Das sind große Aufgaben . Unsere Städte und Gemein-den haben mit der Bundesregierung einen verlässlichenund starken Partner an ihrer Seite . Für uns hat die För-derung der Städte eine große wirtschaftliche, soziale undkulturelle Bedeutung . Deshalb investieren wir mit dernationalen Stadtentwicklungspolitik massiv in die Kom-munen . Wir unterstützen sie bei ihrer nachhaltigen Ent-wicklung und lösen so vor Ort eine Impulswirkung aus .Die Förderung für die Städte ist so hoch wie noch nie .3,4 Milliarden Euro gibt der Bund in dieser Legislatur-periode an Städtebaufördermitteln aus . Also, mehr gehtfast gar nicht mehr – es geht immer noch ein bisschenmehr –: Das sind 1,4 Milliarden Euro mehr als unter derletzten Bundesregierung . Allein 2017 investieren wir790 Millionen Euro in die Städtebauförderung .
Ich will einen besonderen Punkt herausgreifen . Beiden Mitteln für das Programm „Soziale Stadt“ habenwir mit 40 Millionen Euro begonnen und liegen jetztbei 190 Millionen Euro . Ich glaube, das spricht für sich .Dazu kommt die Verdreifachung der Förderung für densozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden Euro . Wir un-terstützen also die Städte in ihrem Engagement für mehrAttraktivität und mehr Lebensqualität . Wir fördern auchden sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .Das sind echte Investitionen in die Zukunft unseresLandes . Das ist gut angelegtes Geld . Wir stoßen mit je-dem Euro Städtebauförderung 7 Euro an Investitionenvon öffentlichen und privaten Investoren an. Hoffentlichhaben vergangenen Samstag ganz viele von ihnen amTag der Städtebauförderung vor Ort erleben können, wieerfolgreich diese Politik vor Ort ist, wie Bürgerbeteili-gung funktioniert und wie wieder attraktive Städte undKommunen entstehen . Allein für das Jahr 2017 wurdensomit 12 Milliarden Euro an Investitionen ausgelöst .Von diesen Zukunftsinvestitionen profitieren die Bür-gerinnen und Bürger im ganzen Land; denn wir investie-ren im ganzen Land, sowohl in die großen Städte als auchin ländliche Regionen, in große und kleine Gemeinden .Wir unterstützen sowohl wachsende als auch schrump-fende Kommunen . Wir lassen Städte und Gemeinden inden ländlichen Regionen nicht zurück .Ein Blick auf die Städtebauförderung seit 1971 zeigt,wie viel Geld in den ländlichen Raum und wie viel inden städtischen Raum geht . Dabei stellt man fest, dass47 Prozent der Mittel in den ländlichen Raum fließen.Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass diese Summeüberproportional hoch ist, weil in den ländlichen RäumenVizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23879
(C)
(D)
weniger Menschen wohnen . Das macht deutlich: Wirnehmen alle mit . Wir wollen, dass die Wertschöpfung inden ländlichen Regionen entsprechend vorangeht .Das zeigt, wie flexibel, anpassungsfähig und erfolg-reich die verschiedenen Initiativen und Programme derBundesregierung sind . Wir wollen starke, schöne, grü-ne, nachhaltige und kulturell lebendige Städte, in denensich Menschen wohlfühlen und gerne und gut leben . DieBundesregierung investiert deshalb auch künftig in dieseEntwicklung .Da meine Uhr schon blinkt, möchte ich mich jetzt aus-drücklich bei den Koalitionsfraktionen bedanken, auchfür den Entschließungsantrag . Ja, wir wollen auch in Zu-kunft die Städtebauförderung zumindest auf dem bishe-rigen Niveau fortführen und den Kommunen – ob großoder klein – eine gute und sichere Zukunft bieten .Herzlichen Dank .
Als nächste Rednerin hat Caren Lay für die Fraktion
Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Mit dem vorliegenden Stadtentwicklungsberichtund dem Entschließungsantrag der Koalition stellt sichdie Bundesregierung bzw . die Koalition weitgehend einpositives Zeugnis aus .
Das hat mich ziemlich überrascht . Sie werden verstehen,dass viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch wir alsLinke einen anderen Eindruck von der Entwicklung un-serer Städte haben und uns mehr Selbstkritik gewünschthätten .
So richtig und wichtig die Stadtumbau- und die Stadt-entwicklungsprogramme sind: Welche Situation habenwir denn in den Städten? Ganze Stadtteile kippen . Dersoziale Zusammenhalt ist in vielen Städten gefährdet .Mieterinnen und Mieter werden verdrängt. Grünflächenmüssen Büroanlagen weichen . Das ist doch die Realitätin vielen Städten . Darüber können wir nicht hinwegse-hen .
Ich möchte mit der aus unserer Sicht entscheidendenFrage, der Wohnungsfrage, beginnen . Es ist leider so,dass bezahlbar zu wohnen nicht mehr selbstverständlichist . Für viele Menschen ist das inzwischen zu einer exis-tenziellen Frage geworden . Der Neubau, der vor allemvon der Union immer wieder propagiert wird, kann esallein nicht richten . Ja, wir brauchen mehr Wohnungen .Aber vor allen Dingen brauchen wir mehr bezahlbareWohnungen . Ich hätte mich gefreut, wenn der Bericht,über den wir heute diskutieren, die kritischen Analysender letzten Monate beinhaltet hätte, die zum Beispiel zudem Ergebnis gekommen sind, dass in den 20 größtendeutschen Städten die Häuser, die neu gebaut wurden,nur zu 5 Prozent überhaupt noch für den Durchschnitts-verdiener bezahlbar sind .
Das heißt, es wird zwar gebaut, aber nur im hochpreisi-gen Segment . Es wird für Besserverdienende gebaut . Dasist wirklich nicht akzeptabel .
Der Bericht kommt an einigen Stellen zu richtigenAnalysen . Die entscheidende Frage lautet natürlich, wel-che Konsequenzen die Regierung daraus zieht . Ein rich-tiges Analyseergebnis sind zum Beispiel die hohen bzw .zu hohen Grundstücks- und Bodenpreise . Ja, das ist einProblem . Das ist sogar eines der zentralen Probleme . Dasist aber auch das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Priva-tisierungspolitik . Bedauerlich ist, dass die Regierung ausdieser Analyse nicht die richtigen Schlüsse zieht; dennnoch immer werden die vielen Flächen und Wohnungendes Bundes zu Höchstpreisen verkauft . Das heißt: DerBund spekuliert mit . Der Bund selbst treibt die Preise indie Höhe . – Das müssen wir endlich ändern .
Ich finde es bedauerlich, dass der soziale Aspekt derStadtentwicklung insgesamt zu kurz kommt . Es sind jaschließlich vorwiegend Menschen mit niedrigem Ein-kommen überproportional von Luft- und Lärmbelastun-gen sowie vom Mangel an Grünflächen betroffen. Vonden gut 100 Seiten des Berichts wird gerade einmal eineSeite für den sozialen Wohnungsbau verwendet . Es istzwar richtig erkannt, dass hier zu wenig gebaut wird .Aber trotz mehr Neubaumaßnahmen beläuft sich dasMinus auf 25 000 Sozialwohnungen jährlich, die aus derBindung fallen . Das ist nicht akzeptabel . Den Nieder-gang des sozialen Wohnungsbaus müssen wir stoppen .
Ich freue mich, dass die Regierung selbstkritisch fest-stellt, dass die Mietpreisbremse so, wie sie gemacht wur-de, nicht funktioniert . Aber auch daraus werden keineKonsequenzen gezogen . Es sieht ja wirklich alles danachaus, dass es in dieser Legislaturperiode keine Nachbesse-rung bei der Mietpreisbremse mehr geben wird . Das istnicht akzeptabel . Wir müssen die Mietpreisbremse end-Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723880
(C)
(D)
lich nachschärfen, damit die Menschen vor Mietenexplo-sion und Verdrängung geschützt werden .
Im Bericht finden sich leider eine paar gravierendeFehleinschätzungen, zum Beispiel, dass das bestehen-de Recht dazu beitrage, die Verdrängung der Bewohneraus ihren Wohnungen weitgehend zu vermeiden, oderauch, dass sich zeitlich begrenzte Mietpreis- und Bele-gungsbindungen bewährt hätten . Das ist eine gravierendeFehleinschätzung, die wir als Linke so nicht akzeptierenkönnen .
Meine Damen und Herren, wir als Fraktion Die Lin-ke – das gilt auch für mich persönlich – unterstützen dieZusammenlegung sowie auch die Aufstockung der Pro-gramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ . Klarist natürlich auch: Diese Zusammenlegung darf finanziellnicht zulasten des Ostens gehen . In meinem Wahlkreisliegt eine Stadt wie Hoyerswerda . Deswegen sagen wirals Linke: Es wird auch zukünftig Unterstützung bei Ab-rissvorhaben geben müssen . Allerdings kann das nichtlänger gewissermaßen das Leitbild der Stadtumbaupoli-tik sein . Davon müssen wir wegkommen . Wir brauchenInvestitionen in altersgerechten Umbau, wir brauchenInvestitionen in Modernisierung,
und wir brauchen auch Investitionen, um die wunder-schöne Altbausubstanz von Städten zu retten . Damitzeigen wir, dass wir sie wertschätzen . Denken wir anGörlitz, denken wir an Meißen . Das sind aber Städte,die häufig den kommunalen Eigenanteil nicht aufbringenkönnen . Hier sind einfach mehr Unterstützungsmaßnah-men erforderlich .
Meine Damen und Herren, zu guter Letzt begrüßenauch wir als Linke die Förderung von Stadtgrün . Einigevon uns waren ja heute bei den Kleingärtnern . Wir alsLinke unterstützen die Forderung, die dort erhoben wur-de, dass nämlich die Infrastrukturprogramme des Bundesauch für das Kleingartenwesen genutzt werden können .Ich hoffe, wir werden sie gemeinsam unterstützen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . VielenDank .
Artur Auernhammer hat als nächster Redner das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion .
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir den Stadtentwicklungsbericht der Bundesre-
gierung diskutieren, sollten wir auch einmal die Gele-
genheit nutzen, all den Menschen zu danken, die in den
Städten und Gemeinden ehrenamtlich tätig sind, und
zwar nicht nur speziell für ihre eigenen kurzfristigen
Anliegen in einer Bürgerinitiative, sondern ehrenamtlich
als Gemeinderat, als Stadtrat, Ortssprecher oder Bürger-
meister Verantwortung übernehmen . Auch diesen Men-
schen sollten wir bei der Diskussion über den Stadtent-
wicklungsbericht herzlich danken .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
DerZustrom in die großen Städte hält nach wie vor an – mitall seinen Auswirkungen und Herausforderungen . Dasgilt gerade hier für Berlin mit seinen bald 4 MillionenEinwohnern, aber auch für die anderen Ballungsräume,sei es das Ruhrgebiet oder auch München . Das hat na-türlich zur Folge, dass in diesen Ballungszentren derFlächenbedarf und die Immobilienpreise steigen . Auchdarauf sollten wir kritisch schauen .Das führt aber auch zu Herausforderungen für die Städ-te, was die Infrastruktur anbelangt . Da sind Investitionennotwendig . Es muss da gehandelt werden . In dem Zu-sammenhang nenne ich nur das Stichwort „S-Bahn-Aus-bau“ . Nein, ich erwähne jetzt nicht den Flughafenbauin Berlin; das tue ich hier nicht . Wir müssen also dafürsorgen, dass der öffentliche Personennahverkehr in denStädten weiterhin funktioniert, mehr ausgebaut wird undbesser wird .Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Städ-tebauförderung, die wir vornehmen, ist eine sehr guteFörderung . Wir haben hier sehr viel Geld in die Hand ge-nommen . Ja, ich weiß, dass wir vielleicht noch den einenoder anderen Euro mehr in die Hand nehmen können;denn diese Städtebauförderung wirkt auch in den länd-lichen Raum hinein . Sie bewirkt nicht nur etwas in dengroßen Städten, sondern auch in den mittleren und klei-nen Städten . Das ist von daher eine gute Investition . Wirkönnen da aber – wir sind uns in dieser Hinsicht, glaubeich, einig – noch mehr machen .Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wirdimmer über das Grün in der Stadt diskutiert . Wir soll-ten Anstrengungen unternehmen und etwas auf den Wegbringen, was die Flächen angeht, die in den Städten vor-handen sind . Wenn ich richtig informiert bin, sind in dendeutschen Städten circa 100 000 Hektar unbebaut . DieseFlächen sollten wir ökologisch hochwertig ausgestaltenund im Sinne von Grün in der Stadt ökologisch aufwer-ten . Solche Flächen sollten im Blick auf saubere Luftin der Stadt ausgeweitet werden . Ich glaube, da habenwir noch sehr viel Nachholbedarf . Den haben wir auch,wenn es – darüber wird ja diskutiert – um ökologischeAusgleichsflächen geht. Eine hochwertige grüne Flächein der Stadt ist wichtiger, als wenn eine Stadt irgendwoganz weit draußen im ländlichen Raum irgendwelcheAusgleichsmaßnahmen durchführt .
Caren Lay
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23881
(C)
(D)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade inden Städten diskutieren wir oft im Zusammenhang mitdem Thema „Grün in der Stadt“: Was macht der Bauhof?Was macht die öffentliche Planung? – Aber Grün in derStadt beruht auch sehr viel auf Privatinitiative . Privatini-tiative beginnt auf dem Balkon, man findet sie aber vorallem – das ist bereits angesprochen worden – bei unse-ren Kleingärtnern . Wir haben in Deutschland 1 MillionKleingartenanlagen . In diesen 1 Million Kleingartenanla-gen haben 4,5 Millionen Menschen ihr Zuhause, die An-lagen dienen der Freizeitgestaltung, und die Menschenleisten damit einen großartigen Beitrag zur Sauberkeitder Luft und zur Biodiversität in den Städten . Auch dassollten wir – ich glaube, da sind wir uns überfraktionelleinig – in der Zukunft stärker fördern .
Wenn wir über die Lebensbedingungen in den Städtensprechen – die Kollegin hat gerade Brennpunkte in denStädten aufgezeigt –, dann müssen wir auch den Themen-komplex „Innere Sicherheit in den Städten“ ansprechen .Da haben wir, glaube ich, vielleicht in der einen oderanderen Region in Deutschland noch Nachholbedarf, damüssen wir vielleicht in der einen oder anderen Regionnoch stärker hinschauen . Da müssen wir vielleicht auchunsere Sicherheitsorgane noch mehr stärken und besserunterstützen, damit auch die Menschen, die in den Städ-ten leben – darunter sind viele ältere Menschen – ein si-cheres und gutes Wohngefühl in ihren Städten haben .Meine sehr verehrten Damen und Herren, die bes-te Möglichkeit, den Zustrom in die Ballungsräume zuverringern, damit dort keine Brennpunkte entstehen, istimmer noch ein starker, ein weit entwickelter ländlicherRaum . Sorgen wir gemeinsam dafür, dass auch die Men-schen im ländlichen Raum eine Zukunftsperspektive ha-ben!Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
Christian Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen hat als nächster Redner das Wort .Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Der Architekt Jan Gehl hat kürzlich in einemInterview mit einer deutschen Tageszeitung gesagt: „Esgeht darum, Städte im menschlichen Maßstab zu gestal-ten .“ Ich glaube, das beschreibt sehr gut die Zukunftsauf-gabe, vor der wir heute bei der Stadtentwicklung stehen .Wir befinden uns in einer Phase der Stadterweiterung unddes Stadtumbaus .Wenn ich nun in diesen Stadtentwicklungsberichtschaue, dann kann ich viele positive Entwicklungen se-hen . Aber wenn ich in unsere Städte schaue, dann giltnicht mehr die schöne Sprache des Berichts der Bundes-regierung, sondern da treffen wir auf Realität. Da ist eseben so, dass nicht das menschliche Maß gilt, sondern oftganz andere Kriterien .Herr Auernhammer, Sie haben völlig recht: Beim The-ma „saubere Luft in der Stadt“ haben wir Nachholbedarf .Ich bin sehr froh, dass das jemand aus der Unionsfraktionendlich erkennt .
Denn die Feinstaubbelastung und die Stickoxidbelastungin unseren Städten sind untragbar . Hier gilt leider nichtdas menschliche Maß, sondern das Maß von VW und an-deren Konzernen . Ich sage Ihnen: Hier muss das mensch-liche Maß wieder gelten – bei der Stadtentwicklung undgerade bei dem Thema „saubere Luft“ .
Nehmen wir die Aufgabe des Klimaschutzes . Sie, FrauSchwarzelühr-Sutter, sind ja auch für den Klimaschutzzuständig und haben es beschrieben . Ich kann es nicht sopositiv sehen, was wir da im Augenblick hinbekommen .Die Sanierungsrate im Gebäudebereich liegt immer nochbei 0,7 Prozent . Damit werden wir die Klimaschutzzielevon Paris krachend verfehlen . Wir investieren eben nichtin die Wärmewende . Ich glaube, hier hat die Große Ko-alition nach wie vor eine Leerstelle . Es ist ihnen nichtgelungen, Klimaschutz, Bauen und Stadtentwicklungmiteinander zu verbinden . Hier muss endlich wieder einKlimaschutzmaß, ein ökologisches Maß, ein menschli-ches Maß gelten, anstatt diejenigen zu schonen, die ei-gentlich hier investieren sollten .
Schauen wir uns unsere Wohnungsmärkte an: Es ist,glaube ich, offenkundig, dass wir hier ein dickes Problemhaben . Minus 50 000 Sozialwohnungen Jahr für Jahr,Mietenexplosion in ganz Deutschland . In Berlin sind dieMieten innerhalb eines Jahres um 1 Euro pro Quadrat-meter gestiegen; das zerreißt die Stadtgesellschaft . Des-wegen sage ich Ihnen: Wir werden dafür sorgen, dass aufden Wohnungsmärkten wieder das menschliche Maß giltund nicht das Maß der Spekulanten .
Wir Grünen wollen in dieser Phase der Stadterweite-rung und des Stadtumbaus investieren . Wir wollen dieStädtebauförderung auf dem jetzigen Niveau verstetigen .Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode sehrgenau darauf achten, dass es bei der Städtebauförderungnicht wieder Rückschritte gibt . Vielmehr müssen wir hiermehr tun, als wir es in dieser Legislaturperiode getan ha-ben, gerade bei der Frage des Klimaschutzes .Deswegen setzen wir uns seit Anfang dieser Legis-laturperiode für ein Quartierssanierungskonzept ein,für ein Städtebauförderprogramm bei der energetischenQuartierssanierung, damit die Kommunen in die Lageversetzt werden, ihre Quartiere zu sanieren, und hier vo-rankommen . Da haben sie eine Leerstelle . Das werdenwir immer wieder betonen, und wir werden weiter ent-sprechende Anträge stellen . Ich glaube, ohne die Städ-tebauförderung wirklich auf den Klimaschutz auszurich-Artur Auernhammer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723882
(C)
(D)
ten, werden wir an dieser Stelle in unseren Städten nichtweiterkommen .Das menschliche Maß muss auch in der Verkehrspoli-tik wieder gelten; ich habe es im Zusammenhang mit dersauberen Luft angesprochen. Ich finde, wir brauchen aberauch mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr.Wenn ich mir anschaue, wie unterfinanziert im Augen-blick Schieneninfrastrukturprojekte in Kommunen sind,wie viele Projekte da gegeneinander konkurrieren – wirwissen jetzt schon, dass wir in dieser Phase der Stadter-weiterung, in der wir die Ballungszentren mit Mittel- undKleinstädten verbinden müssen, mit den 330 MillionenEuro, deren Bereitstellung vereinbart ist, überhaupt nichthinkommen –, dann ist vollkommen klar: Hier reichtdas Geld nicht aus . Hier braucht es endlich Grüne in derVerantwortung – auch hier im Bund –, damit es bei derSchiene und damit auch bei der Stadtentwicklung vo-rangeht .
Ja, wir brauchen eine funktionierende Mietpreisbrem-se, sonst werden wir die angespannten Wohnungsmärktenicht in den Griff bekommen. Ich meine, da muss sich dieUnion endlich einmal ehrlich machen . Sie von der Uni-on haben es versprochen, und Sie haben Ihr Versprecheneinfach gebrochen; denn diese Mietpreisbremse funktio-niert nicht .Wir brauchen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit;damit investieren wir in das menschliche Maß in unserenStädten . Dazu haben wir gestern sehr lange gesprochen .Ich sage Ihnen: Damit wird es uns gelingen, die Woh-nungsmärkte auf Dauer fitzumachen hinsichtlich bezahl-baren Wohnraums . So können wir breiten Schichten, diesich selbst nicht mit Wohnraum versorgen können, in Zu-kunft eine Wohnung aus dem Pool des gemeinnützigenWohnungsbaus anbieten .Ich höre von der Union immer wieder, dass das Thema„urbanes Grün“ in ganz vielen Reden sehr betont wird .Ich bin da sehr bei Ihnen, dass das ein ganz wichtigesInfrastrukturthema ist . Herr Auernhammer, Herr Wegner,ich glaube Ihnen sehr, dass Sie persönlich da hinterhersind . Aber wenn ich mir die Debatte in Baden-Württem-berg zur dortigen Landesbauordnung anschaue, dannstelle ich fest:
Es geht darum, dass Sie gegen jede Regelung kämpfen,die etwa mehr Dachbegrünung oder mehr Fassadengrünbedeutet . Da widersprechen Sie sich einfach . Da sind Sieeinfach maximal scheinheilig . Hier auf Bundesebene pre-digen Sie das urbane Grün; aber in den Ländern kämpfenSie gegen jede Bauregelung, die eine entsprechende Pla-nung vorsieht . Das passt nicht zusammen . Hier solltenSie sich wirklich einmal ehrlich machen .
Zum Schluss . Wir können hier gemeinsam das Hohe-lied auf die Kleingärten singen . Ich glaube, wir habendazu heute Morgen eine sehr gute Veranstaltung gehabt .Aber wir müssen gerade für die Kleingärtner in Ber-lin und in anderen Städten unsere Liegenschaftspolitikändern; denn ganz viele dieser Kleingartensiedlungenliegen mittlerweile doch in Gebieten, wo die Liegen-schaftspolitik des Bundes greift . Deswegen müssen wirunbedingt das Gesetz über die Bundesanstalt für Immo-bilienaufgaben ändern; denn sonst werden diese Klein-gartenanlagen an Spekulanten verscherbelt, anstatt dassman in urbanes Grün investiert und diese Kleingartenan-lagen für breite Bevölkerungsschichten öffnet. Hier mussdie Union nacharbeiten .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Lassen Sie uns gemeinsam in das menschliche Maß
investieren . Wir Grünen sind bereit dazu, bei der Stadt-
entwicklung noch einen draufzulegen . Ich glaube, diese
Bundesregierung muss noch deutlich nacharbeiten .
Danke schön .
Sören Bartol hat als nächster Redner für die SPD-Frak-
tion das Wort .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Der Stadtentwicklungsbericht macht für mich einsdeutlich: Unsere Stadtentwicklungspolitik ist vielseitig,flexibel und auch zielgerichtet. Die Städtebauprogrammesetzen genau dort an, wo wir immer Nachbesserungsbe-darf gesehen haben .Diese Programme sind ebenso wie unser Land vielfäl-tig . Es gibt Orte, an denen der Druck auf den Wohnungs-markt immens ist, und die Verdreifachung der Mittel fürden sozialen Wohnungsbau ist deshalb unser großer Er-folg der letzten Legislaturperiode . Noch einmal ein Dankan Barbara Hendricks!
Diese Mittel sind sozusagen die Hardware . Sie versetzenLänder, Städte und Gemeinden in die Lage, den Woh-nungsmarkt nicht allein dem Markt zu überlassen .Wir müssen und wollen aber auch dort ansetzen, woLebenschancen und Lebensqualität in Gefahr sind, weilMenschen aus der einen Stadt weggehen und es dafürin einer anderen Stadt oder Region eng und teurer wird .Für vergleichbare Lebensverhältnisse müssen wir hier imBundestag ressortübergreifend und vernetzt denken undauch arbeiten . Kommunalpolitiker und -politikerinnentun das üblicherweise . Sie wissen, dass das Vorhanden-sein bzw. die Qualität einer Schule häufig das entschei-Christian Kühn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23883
(C)
(D)
dende Kriterium dafür ist, ob eine Familie überhaupt aneinem Ort ankommt bzw . dort bleibt, dass Arbeitsplätzebzw . deren Erreichbarkeit darüber entscheiden, ob maneinen Ort verlassen muss . Kurz: Bildung und Mobilitätsind die zwei Bereiche, in denen auch im Bericht diehöchsten Investitionsbedarfe gesehen werden .In einem Ort ist es die Qualität der Schulen, in einemanderen die Anbindung an die nächstgrößere Stadt, oderes gibt Probleme mit sogenannten Schrottimmobilien .Wir brauchen daher in den erfolgreichen Städtebaupro-grammen noch mehr Flexibilität und Kontinuität, damitdas, was auf den Weg gebracht wurde, seine Wirkungvoll und auf lange Sicht entfalten kann . Deshalb fordernwir in unserem Entschließungsantrag die Fortschreibungauf dem jetzigen Niveau, und wir wollen die Fortführungdes Investitionspakts „Soziale Integration im Quartier“prüfen .Aber dabei möchte ich es nicht belassen . Der Berichtdrückt es so aus: . . . unzureichende Erfolge weist die notwendige Bün-delung von investiven Maßnahmen mit nicht-inves-tiven sozialen Maßnahmen in Kooperation mit an-deren Ressorts auf .Für mich heißt das, wir brauchen nicht nur städtebau-liche Investitionen, sondern wir müssen diese auch nochstärker als bisher durch nichtinvestive ergänzen . Im rich-tigen Leben ist damit Personal gemeint, also Menschen .Durch sie müssen wir Bildung, Verkehr, Verbraucher-schutz, Gesundheitsberatung, Pflege, Berufsberatungnoch besser vor Ort verzahnen . Unsere Bauministerin hatdas erkannt und die ressortübergreifende Strategie undden Investitionspakt „Soziale Integration im Quartier“ sogut ausgestattet, dass damit investitionsbegleitend Inte-grationsmanager finanziert werden können, die sich umdie Vernetzung mit den Stadtteilen und um die vorhande-nen Angebote, eben auch an Schulen, kümmern .Dass wir die Schulen stärken müssen, übrigens auchals Bund, haben wir verstanden – ein Unionskollege inherausragender Position leider immer noch nicht . Wirsollten sie auch durch die Städtebauprogramme stär-ken . Dort, wo am meisten Unterstützung notwendig ist,sollten die besten Schulen sein . Das sind sie dann, wennPädagoginnen und Pädagogen in den Nachbarschaften,unterstützt durch Vereine, Hilfsangebote, Beratung undGanztagsbetreuung, für Kinder und Eltern da sein kön-nen .Der Erfolg der Städtebauprogramme, die den neuenHerausforderungen laufend angepasst wurden, würde da-mit fortgeschrieben. Ich finde, das muss auch weiterhinunser Ziel bleiben . So vielfältig, wie unsere Städte undGemeinden sind, so kreativ müssen auch die Städtebau-programme und unsere Bürgermeisterinnen und Bürger-meister sein können .Vielen Dank .
Kai Wegner hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit mehrerenJahren erleben wir nunmehr eine Renaissance der Städtein unserem Land . Städte wachsen und sind echte Anzie-hungsmagneten für viele Menschen . Frau Lay, das Bild,das Sie von unseren Städten im Allgemeinen gezeichnethaben, ist so nicht richtig; denn sonst müsste man sich jadie Frage stellen, warum so viele Menschen in die Städtedrängen . Sie tun das ja nicht nur, weil sie es müssen, son-dern auch, weil sie es wollen, Frau Lay . Dabei will ichdie Herausforderungen, die wir in den Städten haben, garnicht kleinreden .
– Dass wir die Städte nicht kaputtreden sollten, auchwenn wir in den Städten vor Herausforderungen stehen .
– Das Bild, das Ihre Kollegin von unseren Städten ge-zeichnet hat, habe zumindest ich so wahrgenommen .
Ja, es ist richtig: Wir stehen vor vielen Herausforde-rungen in unserem Land, auch und gerade in den Städten .Bezahlbares Wohnen, gesellschaftlicher Zusammenhalt,Sicherheit, Sauberkeit, klimagerechter Umbau – all dassind Dinge, die wir intensiv vorantreiben müssen . Des-halb begrüße ich ausdrücklich, dass der aktuelle Stadt-entwicklungsbericht der Bundesregierung die Trends unddie Treiber der Stadtentwicklung in Deutschland identifi-ziert . Hier möchte ich Ihnen, Frau Ministerin Hendricks,ganz herzlich für die gute Vorlage aus Ihrem Hause dan-ken .
Eine tragende Säule der Stadtentwicklungspolitik istzweifelsohne die Städtebauförderung . In dieser Wahlpe-riode haben wir die Mittel der Städtebauförderung vonzunächst 450 Millionen Euro auf zuletzt 790 MillionenEuro nahezu verdoppelt. Ich finde, das ist ein großer Er-folg dieser Koalition, meine Damen und Herren .
Passend hierzu fand am Sonnabend letzter Woche zumdritten Mal der bundesweite Tag der Städtebauförderungstatt . Wir wie auch alle Bürgerinnen und Bürger hattenin diesem Rahmen die Gelegenheit, die erfolgreicheUmsetzung der Städtebauförderung in den Städten undGemeinden zu erleben. Ich finde es gut, dass es diesenbundesweiten Aktionstag gibt . Wie viele andere Kolle-Sören Bartol
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723884
(C)
(D)
ginnen und Kollegen war auch ich in meinem Wahlkreis,in Berlin-Spandau, unterwegs, um mich vor Ort über diezahlreichen guten Projekte zu informieren . So war ichzum Beispiel im Falkenhagener Feld . Das ist eine großeWohnsiedlung der 60er-Jahre . Es war einmal mehr inte-ressant, zu sehen, wie dort das Wohnumfeld qualifiziertwird und wie soziale und Versorgungsinfrastruktur ge-stärkt werden .Meine Damen und Herren, die Aufwertung im Falken-hagener Feld wird auch über das Programm „Stadtum-bau West“ durchgeführt . Vor diesem Hintergrund – dasmöchte ich an dieser Stelle zumindest einmal sagen – ir-ritiert es mich immer wieder, wenn ich vom Ministeriumzumindest gefühlt eine recht einseitige Konzentration aufdas Programm „Soziale Stadt“ erlebe . Angesichts des-sen, dass wir gerade bei den Stadtumbauprogrammen dasgrößte Programmvolumen bei der Städtebauförderunghaben – sogar mit steigender Tendenz –, und angesichtsder Erfolge des Stadtumbaus sollten wir auch und geradediese Programme immer wieder erwähnen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen .
Die Programme „Stadtumbau Ost“ und „StadtumbauWest“ legen wir jetzt zu einem bundesweiten Stadtum-bauprogramm zusammen . Ich begrüße das sehr . Wirmüssen natürlich aufpassen, dass hier am Ende niemandverliert . Aber das zeigt einmal mehr, dass die Herausfor-derungen, die wir sowohl im Westen als auch im Ostenunseres Landes haben, sich mittlerweile angeglichen ha-ben . Das zeigt zudem, dass wir die deutsche Einheit wei-ter vollenden, auch mit dieser Zusammenlegung .Für uns ist klar, dass es im Rahmen der Städtebau-förderung nicht nur die Programme zum Stadtumbauund das Programm „Soziale Stadt“ gibt; vielmehr gibtes vielfältige Programme . Die Gesamtstruktur der Städ-tebauförderung mit ihren verschiedenen Herausforderun-gen ist wichtig .Ja, es treten auch immer wieder neue Herausforde-rungen auf, die wir dann auch sehen und annehmen . Ichmöchte ausdrücklich unserem Koalitionspartner danken,dass es uns als Union gelungen ist, das Programm „Zu-kunft Stadtgrün“ neu aufzulegen . Wir haben lange dafürgeworben . Ich glaube, städtisches Grün ist ein ganz zen-traler Baustein für lebenswerte Städte und Gemeinden .Wir sagen in unserem Entschließungsantrag, dass wir dasin einem eigenen Programm fördern und das zukünftigsogar verstetigen wollen . Ich glaube, auch das ist wichtigfür lebenswerte Städte und Gemeinden in unserem Land,liebe Kolleginnen und Kollegen .Ein weiteres Förderprogramm der Städtebauförde-rung, das wir in dieser Legislaturperiode neu aufgelegthaben, möchte ich ausdrücklich erwähnen . Das ist dasProgramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ . Wir trei-ben hier echte Leuchtturmprojekte voran . Die Vorhaben,die wir in diesem Programm fördern, sind beispielgebendfür die Stadtentwicklung in Deutschland . Auch deshalbwollen wir unbedingt an diesem neuen Programm fest-halten .Liebe Kolleginnen und Kollegen, Städte sind seit jeherOrte der Freiheit und des Wandels . Städte sind nie fertiggebaut, sondern entwickeln sich immer weiter . Auch dasmacht ihre Attraktivität aus . Natürlich gehört zu einerguten Stadtentwicklungspolitik auch, Perspektiven fürden Wohnungsbau neu aufzuzeigen . Ich bin der Bundes-regierung und der Koalition für die Verdreifachung derMittel für den sozialen Wohnungsbau dankbar . Ich dankeauch Frau Hendricks dafür . Aber, liebe Kolleginnen undKollegen, ich danke vor allem unserem Bundesfinanz-minister Wolfgang Schäuble dafür, dass wir in diesemHaushalt so viele Mittel für den sozialen Wohnraum zurVerfügung stellen können .
Aber wenn ich mitansehen muss, wie Rot-Rot-Grün inmeiner Heimatstadt Berlin
– darauf komme ich gleich, Herr Kühn – 5 000 neue Woh-nungen auf der Elisabeth-Aue in Pankow mit einem Fe-derstrich vom Tisch fegt, wie Nachverdichtungen verhin-dert werden, wie die Bausenatorin ein Projekt nach demanderen auf Eis legt, wie selbst der Regierende Bürger-meister Michael Müller diese Klientelpolitik öffentlichkritisiert, dann kann ich nur sagen: Was Rot-Rot-Grün inBerlin veranstaltet, ist das Gegenteil von guter Stadtent-wicklungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Vor diesem Hintergrund, lieber Herr Kühn, entbehrt esübrigens nicht einer gewissen Komik, wenn ausgerechnetdie grüne Bundestagsfraktion in ihrem Entschließungs-antrag zum Stadtentwicklungsbericht fordert, mal eben1 Million zusätzliche günstige Wohnungen zu schaffen.Hier im Bundestag hehre Forderungen aufzustellen, abervor Ort – für Berlin habe ich es gerade geschildert – sichvor der Verantwortung zu drücken,
das ist eine Doppelmoral, die wir Ihnen nicht durchgehenlassen werden, Herr Kühn .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen dieStädte mehr denn je als Motor für Nachhaltigkeit, In-novation und Wachstum . Die Herausforderungen, vordenen wir stehen, gerade in den Bereichen Wirtschaft,Demografie, Soziales, Sicherheit, Klima und Umweltsind groß . Wir werden sie nur in und mit unseren Städtenerfolgreich bewältigen können .Kurzum: Ein starkes Deutschland gibt es nur mit star-ken Städten . Starke Städte gibt es nur mit einer gutenStadtentwicklungspolitik und mit der Städtebauförde-rung als tragende Säule . Das machen wir als Koalition inunserem Entschließungsantrag deutlich . Daher bitte ichSie um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag .Kai Wegner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23885
(C)
(D)
Herzlichen Dank .
Michael Groß hat als nächster Redner das Wort für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser
Stelle den Parlamentariern, insbesondere den Haushäl-
tern, dafür danken, dass wir genügend Mittel für die
Städtebauförderung bekommen haben .
– Das ist Demokratie, genau . – Der nächste Dank neben
dem Dank für die Ministerin sowie für die Parlamen-
tarische Staatssekretärin gilt den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern aus dem BMUB, weil dort konkrete Arbeit
geleistet wird für die Städtebauförderung, für die Pro-
gramme „Soziale Stadt“, „Stadtumbau West“ und „Stad-
tumbau Ost“ . Herzlichen Dank an Sie, dass die letzten
dreieinhalb Jahre so gut gelaufen sind .
Das Spielfeld für bezahlbares Wohnen, gutes Leben
und Solidarität in den Städten sowie die Antwort auf
die Frage: „Wie können Menschen selbstbestimmt le-
ben, aufwachsen und so alt werden, wie sie es sich wün-
schen?“, ist die Stadt . Wir haben als Große Koalition in
diesen dreieinhalb Jahren die Städte mit 25 Milliarden
Euro entlastet . Das reicht bei weitem nicht . Wir wissen,
dass sie die Liegenschaftspolitik unbedingt verbessern
müssen und dass sie die Bodenspekulation beenden
müssen . Dafür brauchen sie natürlich Geld . Dieses Geld
haben wir ihnen zur Verfügung gestellt, aber es ist bei
weitem nicht ausreichend .
Nordrhein-Westfalen hat durch eine Tochtergesell-
schaft des Landes NRW und der Deutschen Bahn AG
ein treuhänderisches Modell auf den Weg gebracht, um
Grundstücke anzukaufen, zu entwickeln und den Städten
nachher zur Verfügung zu stellen .
Das hat dazu geführt, dass sich die Bodenpreise nicht so
entwickelt haben, dass Wohnen nicht mehr bezahlbar ist .
Ich glaube, solche Modelle müssen wir auch auf der Ebe-
ne des Bundes entwickeln . Wir müssen an revolvierende
Bodenfonds, an die Gemeinwohlorientierung denken .
Wir Sozialdemokraten sagen, dass wir diejenigen beloh-
nen müssen, die dafür sorgen, dass Wohnen bezahlbar
bleibt, die sich aber auch im Stadtteil engagieren .
Aus meiner Region kann ich Ihnen sagen: Die Mittel
des Stadtumbaus sind sehr gut angelegt . Wir hatten Quar-
tiere, in denen 30 Prozent Leerstand war; die Ladenzen-
tren waren leergezogen, die Menschen konnten sich auf
den freien Plätzen nicht treffen. Es gab keine oder kaum
Spielplätze, viele waren verwahrlost . Es gab keine Arbeit
im Quartier . Aber gerade die Mittel des „Stadtumbaus
West“ und der „Sozialen Stadt“ haben dafür gesorgt, dass
wir auch hier Wertschöpfung betrieben haben, Arbeits-
plätze generiert haben, dass wir Umweltgerechtigkeit
mit dem Thema Bauen, Ökonomie und Soziales versöhnt
haben . Es sind Nachbarschaftsparks entstanden . Es sind
Treffpunkte entstanden. Schulen haben sich geöffnet.
Das wollen die Menschen . Das Wichtigste ist: Es sind
Beteiligungsprozesse entstanden . Die Menschen haben
mitbestimmen können, wie sie leben wollen, haben De-
mokratie erlebt und haben erlebt, dass sie Einfluss neh-
men können .
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, das ist ein Prozess, den wir als Sozialde-
mokraten weiter unterstützen müssen und wollen . So ent-
steht eine soziale Stadt für gutes Leben .
Glück auf!
Als letzter Redner in der Debatte spricht Volkmar
Vogel für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem heutevorliegenden Stadtentwicklungsbericht beleuchten wirdie Siedlungsstrukturen in ihrer Gesamtheit . Man kannzu Recht sagen: Wenn wir vom Stadtentwicklungsberichtsprechen, sprechen wir sowohl von den großen Städtenals auch von den kleinen Städten und Gemeinden .Das Ergebnis, Frau Staatssekretärin, auch wenn es unsvor neue Herausforderungen stellt, kann sich durchaussehen lassen . Man kann mit Fug und Recht sagen, dasswir auf dem richtigen Weg sind, aber nur, weil wir auchgemeinsam arbeiten . Das ist keine Aufgabe, die wir alsBund allein erledigen können, sondern es ist eine Aufga-be, der wir uns als Bund gemeinsam mit den Ländern undKommunen stellen und die wir anpacken müssen .Eines der wichtigsten Instrumente ist natürlich dieStädtebauförderung . Der Abruf der Städtebaufördermit-tel zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind . DerDank gilt allen Akteuren, die daran beteiligt waren . Dassind sowohl unsere kommunalen Unternehmen und dieGenossenschaften als auch die vielen privaten Investo-ren und Selbstnutzer, die dazu beitragen, dass wir hierim Großen und Ganzen – bei allen Problemen, die wir zulösen haben – doch auf einem richtigen Weg sind . UnserZiel – wir dürfen es nicht aus den Augen verlieren – sindnatürlich lebenswerte, bezahlbare Wohnungen, aber auchdas dazugehörige Umfeld in den Städten, in den Kommu-Kai Wegner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723886
(C)
(D)
nen und auf dem flachen Land. Es wurde viel zur Mittel-ausstattung gesagt; ich kann mich dem nur anschließen .Ich möchte insofern den Blick in die Zukunft richten .Wir haben das auch mit unserem Entschließungsantraggemacht . Ich bitte die Kollegen der Opposition, sichunserem Antrag anzuschließen und uns zu unterstützen .Die Voraussetzungen in der Zukunft werden sein: demo-grafischer Wandel – es werden die wachsenden und dieschrumpfenden Städte in unserem Lande sein, denen wirhelfen müssen –, die Binnenwanderung, aber auch derZuzug von außen, nicht zuletzt der Klimawandel, der inden Städten, aber auch auf dem flachen Land ein Pro-blem ist .Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit denStadtumbauprogrammen, die wir sehr gut ausgestattet ha-ben und jetzt zu einem gemeinsamen Programm zusam-menlegen, reagieren wir genau darauf . Ich kann Ihnensagen – auch Ihnen, Frau Lay, weil Sie es angesprochenhaben –: Wir achten sehr darauf, dass die Sonderförder-bedingungen für die ostdeutschen Bundesländer beimAbriss erhalten bleiben . Gleichzeitig lassen wir Kommu-nen in anderen Bundesländern, die in schwierigen finan-ziellen Lagen sind, diese Unterstützung angedeihen . Dasist, denke ich, mehr als gerecht .Im Übrigen möchte ich, weil wir hier auch die Frageder Bildung im Blick hatten, sagen: Mit den Stadtumbau-programmen ist es möglich – das ist auch unser Ziel –,nicht nur für einen reinen Abriss, sondern insbesondereauch für die Aufwertung und Umgestaltung der Quartierezu sorgen . Dazu gehören auch Schulen . Es gab in Thürin-gen unter der CDU-Regierung ein sehr gutes Schulsanie-rungsprogramm, über das – auch im Rahmen des Stadt-umbaus – Schulen umgestaltet und an die Bedürfnisseangepasst wurden, sodass sie heute hervorragende Lehr-bedingungen bieten . Das ist sicherlich ein gutes Beispielfür die Kollegen in anderen Bundesländern .Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch beimStadtgrün spielt der Stadtumbau mit hinein, aber es gibtdafür auch ein eigenes Programm: „Zukunft Stadtgrün“ .Ich muss sagen: Hier gibt es noch enormes Potenzial . Ichfinde es bedauerlich, dass wir in dieser Legislatur nichtdazu gekommen sind, die Kompensationsverordnung zuändern .Liebe Kollegen von den Grünen, das ist auch ein Ap-pell an Sie: Wir sollten, wenn es darum geht, Ersatz undAusgleich für Flächeninanspruchnahme zu schaffen, da-rüber nachdenken, entsprechende Möglichkeiten auchin den Städten, in Siedlungsstrukturen zu eröffnen. DieKleingärtner geben uns dafür das beste Beispiel: Sieschaffen in ihren Anlagen teilweise Reservate, in de-nen sich die Tierwelt und die Pflanzenwelt entwickelnkönnen . Das ist durchaus auch in den Städten möglich .Machen wir uns nichts vor: Jeder Stadtkämmerer stöhntüber die Kosten des Stadtgrüns . Mit den entsprechendenMitteln würden wir auch die städtischen Kassen entlas-ten . Das ist ein Punkt, dessen wir uns auf jeden Fall an-nehmen sollten .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wirüber Wohnungsbau reden, geht es immer auch um einesoziale Frage . Die Frage der sozialen Gerechtigkeit istimmer dann am besten gelöst, wenn wir es vielen Men-schen ermöglichen, eigenen Wohnraum zu schaffen, derihnen gehört und über den sie verfügen können .
Da sind es vor allen Dingen die Familien, die Schwel-lenhaushalte, die es schwer haben, zu Wohnungseigen-tum zu kommen . Denen müssen wir helfen, zum Beispieldurch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten .
Steuerlich abschreiben kann aber nicht jeder . Deswegenist unser Ziel – daran sollten wir arbeiten –, die Woh-nungsbauprämie zu verändern, damit hier neue Möglich-keiten entstehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch über die Frageder Grunderwerbsteuer, die sehr ins Gewicht fällt, wennes darum geht, Wohneigentum zu erwerben, sollte mannachdenken. Ich finde es nicht richtig, dass sie zum Bei-spiel in Thüringen auf 6,5 Prozent erhöht worden ist . InSachsen liegt sie nach wie vor bei 3,5 Prozent . Auf dieseArt und Weise sorgt Sachsen dafür, dass Wohneigentumgebildet werden kann .
Damit nicht nur über die Städtebauförderung gespro-chen wird, möchte ich abschließend sagen: Es ist wichtig,dass wir die Veränderungen nicht nur in die Metropolenund die großen Städte tragen – es ist uns gelungen, dieBaunutzungsverordnung zu ändern und das sogenannteUrbane Gebiet zu schaffen –, sondern auch in die klei-nen Städte und Gemeinden, damit das Leben auch dortlebenswert bleibt, damit es nicht nur Schlafdörfer sind,sondern sich dort auch Gewerbe entwickeln kann undMenschen vielleicht gar nicht mehr in die großen Städ-te ziehen, weil sie ihr Daheim in einem Dorf, in einerkleinen Stadt finden. Das ist das, was Deutschland starkmacht .Daran müssen wir weiter arbeiten . Dazu rufe ich Siealle auf . Machen Sie mit der Zustimmung zu unseremAntrag den ersten Schritt . Alles Weitere folgt in dernächsten Legislaturperiode .Danke schön .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ichdie Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen .Volkmar Vogel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23887
(C)
(D)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/11975 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisungso beschlossen .Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge . Interfraktionell ist vereinbart, über dieEntschließungsanträge, abweichend von der Geschäfts-ordnung, sofort abzustimmen . Sind Sie damit einverstan-den? – Das ist der Fall . Dann verfahren wir so .Zuerst stimmen wir über den Entschließungsantragder Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-che 18/12395 ab . Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-mit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen derKoalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke beiEnthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-nommen .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenauf Drucksache 18/12396 . Wer stimmt diesem Entschlie-ßungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sichjemand? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit denStimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-tion abgelehnt .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W .Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-on DIE LINKEVerordnung gegen Stress in der ArbeitswelterlassenDrucksachen 18/10892, 18/11221b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten JuttaKrellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEWochenhöchstarbeitszeit begrenzen undArbeitsstress reduzieren– zu dem Antrag der Abgeordneten BeateMüller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, KerstinAndreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gutins Leben passtDrucksachen 18/8724, 18/8241, 18/12055Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hatMichael Gerdes für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seitknapp zwei Wochen liegt die Standortbestimmung derBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizinzur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt auf demTisch . Wir müssen festhalten, dass sich arbeitsbedingterStress negativ auf die Gesundheit von Erwerbstätigenauswirkt . Die Zahlen derer, die aufgrund psychischer Er-krankungen am Arbeitsplatz fehlen oder eine Erwerbs-minderungsrente beantragen, sprechen leider für sich .
Wir sollten dringend über Gegenmaßnahmen nachden-ken, wenn wir vermeiden wollen, dass sich psychischeLeiden aufgrund von Arbeit ausbreiten und gegebenen-falls ein Fall für die Berufskrankheiten-Liste werden .Anknüpfend an die lange Tradition des Arbeitsschut-zes in Deutschland sind wir gut beraten, unsere Vor-schriften an die Arbeitswelt 4 .0 anzupassen . Technischerund psychosozialer Arbeitsschutz müssen stärker mitei-nander verknüpft werden . Am Beispiel betrachtet: DasMessen von übermäßigen Geräuschen und zu schwachenLichtquellen in Büroräumen reicht allein nicht mehr aus .Wohlbefinden in der digitalisierten Arbeitswelt hängtmehr und mehr davon ab, ob wir Zeitdruck haben oder obwir beispielsweise von permanent eingehenden E-Mailsgestört werden . Bisher hat sich der Arbeitsschutz aufden Betrieb bzw . den Arbeitsort konzentriert . ModernerArbeitsschutz muss auch den Feierabend in den Blicknehmen . Die Studien sagen uns nämlich, dass es daraufankommt, wie gut wir von der Arbeit abschalten können .Es liegt nun an uns und an den Sozialpartnern, die10 Empfehlungen der BAuA politisch zu bewerten undKonsequenzen daraus zu ziehen . Das wird wohl ange-sichts der zu Ende gehenden Legislaturperiode nocheinige Zeit dauern . Trotzdem möchte ich eines vorweg-nehmen: Die SPD-Fraktion ist von der Idee einer An-ti-Stress-Verordnung überzeugt . Entscheidend dabei ist:Psychische Belastungen im Erwerbsleben müssen rausaus der Tabuzone .
Vielerorts werden stressbedingte Arbeitsausfälle undUnfälle unterschätzt . Wir dürfen arbeitsbedingten Stressnicht mit einem herausfordernden Arbeitsalltag verwech-seln. Umgekehrt finde ich es auch wichtig, Arbeit positivzu besetzen .
Arbeit ist kein grundsätzlicher Stressfaktor . Arbeitschafft materielle und immaterielle Werte, die uns Men-schen guttun .Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stress heißt, mitetwas nicht fertig zu werden . Stress am Arbeitsplatzentsteht durch eine psychische Überlastung . Das emp-Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723888
(C)
(D)
findet jeder Mensch anders. Die gute Nachricht ist, dasswir Stress bewältigen können, wenn wir den Menschendie richtigen Mittel zur Verfügung stellen . Dazu gehörtzum Beispiel auch eine Gefährdungsbeurteilung, in derdanach gefragt wird, ob jemand genügend Zeit für dieErledigung seiner Arbeit hat und ausreichend Wissen fürdie jeweilige Aufgabe hat .Mir ist klar, dass wir als Gesetzgeber gesunde Ar-beitsprozesse nicht bis ins kleineste Detail gestalten undregeln können . Wir benötigen praxistaugliche Ansätzedirekt im Betrieb .
Einerseits ist das Zusammenspiel zwischen Arbeitgebernund Arbeitnehmern sowie unter Kolleginnen und Kolle-gen gefragt . Andererseits müssen sich die gesetzlich vor-gesehenen Akteure des Arbeitsschutzes stärker auf diepsychischen Belastungen am Arbeitsplatz fokussieren .Hier kommen auch strukturelle Fragen auf uns zu: Ha-ben wir ausreichend Betriebsärzte und Arbeitsmediziner?Wie bilden wir Arbeitsschutzakteure weiter? Wie bringenwir das neue Arbeitsschutzwissen besser in die Betriebe?Gibt es ausreichend Kontrollen?Mir geht es nicht darum, Sanktionen auszusprechen .Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen fehlt esschließlich nicht an der Bereitschaft zur Fürsorge, son-dern es mangelt eher an technischen, finanziellen undpersonellen Ressourcen . Sie brauchen externe Hilfen .
Ziel muss sein, dass weitaus mehr Betriebe als bisherdie notwendige Gefährdungsbeurteilung durchführen,und zwar nicht für den Aktenschrank, sondern um he-rauszufinden, welche Maßnahmen die körperliche undmentale Gesundheit des Arbeitnehmers schützen . DieGefahr der Überregulierung durch eine eigenständigeVerordnung zur psychischen Gesundheit sehe ich mo-mentan nicht . Wir brauchen Verbindlichkeit und Konkre-tisierung .Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz – das ist fürviele ein diffuses und abstraktes Thema. Was meinen wirdenn eigentlich? Welche Risiken gibt es konkret? Woraufmüssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten? Im Rah-men der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategiewurden bereits gute Empfehlungen zur Umsetzung derGefährdungsbeurteilung bei psychischer Belastung zu-sammengetragen . Hiermit müssen wir in die Fläche .Gute Praktiken beim Sicherheits- und Gesundheits-schutzmanagement in den Unternehmen bedeuten nichtnur Aufwand, sondern geben auch erkennbare Vorteile:Eine gesunde und motivierte Belegschaft ist produktiv .Sie ermöglicht es den Unternehmen, wettbewerbsfähigund innovativ zu bleiben . Wer gesunde Mitarbeiter hat,hält wertvolle Qualifikationen und Berufserfahrung imUnternehmen .Geringere Fehlzeiten und Krankenstände bedeutenweniger Kosten infolge von Erwerbsunfähigkeit . Wirmüssen also gemeinsam mit den Unternehmen daraufabzielen, Erwerbstätige vor Berufsunfähigkeit zu be-wahren . Das Gesundheitsmanagement der Betriebe unddie Eingliederung nach langer Krankheit sind daher einegroße Herausforderung . Ohne Prävention wird es vordem Hintergrund der älter werdenden Gesellschaft nichtgehen .Wir brauchen eine neue Regelung, eine Regelung, dieden Namen Anti-Stress-Verordnung trägt .
Das würde der Bedeutung der mentalen Gesundheit inder modernen Arbeitswelt Rechnung tragen .Herzlichen Dank und Glück auf!
Sie sind vorbildlich in der Zeit geblieben . Wenn alle
nachfolgenden Kollegen sich daran halten, wäre das sehr
schön . – Jutta Krellmann hat als nächste Rednerin das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Noch nie waren die Zahlen so drama-tisch wie im Moment – wir haben das gerade gehört –:Jeder dritte Arbeitnehmer leidet dauerhaft unter Stress;die Fehltage wegen psychischer Belastungen und Er-krankungen haben sich seit 1997 verdreifacht, und dieHälfte aller krankheitsbedingten Frühverrentungen gehtauf psychische Erkrankungen zurück . Druck und Angstgehören mittlerweile leider bei vielen Beschäftigten zumArbeitsalltag .Es ist höchste Zeit für eine Anti-Stress-Verord-nung, und die wöchentliche Höchstarbeitszeit muss auf40 Stunden begrenzt werden,
ob für Ingenieure, Bankkauffrauen, Köchinnen, den Ver-käufer oder die Verkäuferin . Aufgrund meiner langjäh-rigen Erfahrung als Gewerkschaftssekretärin kann ichsagen: Es war noch nie so schlimm wie heute . Die Be-schäftigten müssen endlich mitbestimmen können, wennes um die Gestaltung ihrer Arbeit geht .Ich frage mich, wie Sie als Abgeordnete der regie-rungstragenden Fraktionen diese Zustände mit ihremsozialen Gewissen vereinbaren können, ohne irgendet-was zu tun . Die Zahlen sind eine arbeitsmarkt- und ge-sundheitspolitische Bankrotterklärung . Sie haben beimSchutz der Beschäftigten kläglich versagt .
Schlimmer noch: Sie haben mit Ihrer Agenda derDeregulierung und Flexibilisierung maßgeblich dazuMichael Gerdes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23889
(C)
(D)
beigetragen, dass die Menschen in den Betrieben krankwerden . Statt sich um die Menschen zu kümmern, knei-fen Sie vor den Arbeitgebern und nehmen Krankheit undFehlzeiten in Kauf . Die Anti-Stress-Verordnung würdeBeschäftigten und Arbeitgebern zeigen, was gegen psy-chische Belastung konkret getan werden muss . Das ist jawohl nicht zu viel verlangt .
Beim Arbeitsschutz funktioniert das ja auch .Wenn über 90 Prozent der deutschen Unternehmer an-geben, sich nur mit Arbeits- und Gesundheitsschutz zubefassen, weil sie eine gesetzliche Vorschrift und Vorga-be dafür haben, dann sage ich: Wenn das wirklich so istund wenn die Arbeitgeber das wollen, dann müssen siedas bekommen, und dann müssen wir etwas beschließen,um eine Anti-Stress-Verordnung anzustoßen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn bei der ak-tuellen Beschäftigtenbefragung der IG Metall Hun-derttausende angeben, dass die 35-Stunden-Woche ihreWunscharbeitszeit ist, dann kann die Politik das nichtignorieren . Die Gewerkschaften verhandeln die Arbeits-zeit, aber den Rahmen setzen wir; das macht es zu einemklaren Handlungsauftrag für dieses Haus . Sie von derBundesregierung zwingen den Beschäftigten, ohne mitder Wimper zu zucken, immer mehr Flexibilität auf unddurchlöchern das Arbeitszeitgesetz .
– Ja, gucken Sie sich doch einmal an, wie viele Ausnah-meregelungen es im Zuge der letzten Jahre schon jetzt imArbeitszeitgesetz gibt . Diese sind nicht mit der Opposi-tion auf den Weg gebracht worden, sondern in der Regelmit Beteiligung der SPD .
Ich sage: Wenn Flexibilität, dann aber nur in denGrenzen einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von40 Stunden .
Alles andere ist eine gesundheitspolitische Amokfahrt .Nur so können wir garantieren, dass die einen nicht we-gen zu viel Arbeit krank werden und die anderen nichtkrank werden wegen zu wenig oder gar keiner Arbeit .Arbeit muss im Sinne der Beschäftigten gestaltet und Ar-beitszeit umverteilt werden . Dafür steht die Linke .
Liebe Abgeordnete der SPD, ich frage mich, ob Siesich noch gut an die letzte Legislaturperiode erinnern .
Es ist eben ein bisschen durchgeschienen . In der letztenLegislaturperiode hatten Sie einen Antrag mit dem Titel„Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten – Psychi-sche Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren“ einge-bracht . Für diesen Antrag haben Sie viel Lob bekommen .Das war ein gelungener Entwurf für eine Anti-Stress-Ver-ordnung .
Ich bin sicher: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer werden ganz genau hinschauen, was Sie gerade indem Zusammenhang tun werden .
Wer von sozialer Gerechtigkeit redet und dann nicht zu-greift, wenn sie um die Ecke kommt, der hat an der Stelleseinen Vertretungsanspruch verwirkt .
Sollten Sie hier nicht zustimmen, dann zeigt das, dassdie Linke die einzige Partei ist, die die Interessen der Be-schäftigten in den Betrieben vertritt .
Als nächster Redner hat Uwe Lagosky von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heu-te sowohl über die Frage der Zeitsouveränität, die imAntrag von Bündnis 90/Die Grünen entsprechend aufge-führt ist, als auch über Stress in der Arbeitswelt, worüberwir gerade etwas gehört haben .
Ich möchte mich aber dennoch, genauso wie meinKollege von der SPD, auf den Arbeitsschutz fokussie-ren . Das Thema Arbeitsschutz ist heute angesichts desWandels in der Arbeitswelt genauso interessant wie vor40 Jahren bei der Einführung des Arbeitssicherheitsge-setzes . Dabei geht es heute längst nicht mehr um dieklassischen industriellen Themen des Arbeitsschutzes,sondern vermehrt um die Bewahrung der psychischenGesundheit der Beschäftigten .Psychische Erkrankungen – da ist die Betrachtungder Wirklichkeit tatsächlich angebracht – verursachenaktuell 15 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage und stel-len mittlerweile die häufigste Ursache für Frühverren-tung dar . Auf circa 29 Milliarden Euro belaufen sich dieKrankheitskosten von psychischen Erkrankungen .
Jutta Krellmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723890
(C)
(D)
Die deutliche Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage auf-grund psychischer Erkrankungen spiegelt sich zudem inden zunehmenden Produktivitätsausfällen wider .Sie als Opposition weisen also nicht zu Unrecht aufdiese Situation hin . Was Sie allerdings nicht betrachtenund völlig ignorieren, ist der aktuelle Diskurs im Bereichdes Arbeitsschutzes . Deutschland ist mit der Gemein-samen Deutschen Arbeitsschutzstrategie bestehend ausBund, Ländern und der Deutschen Gesetzlichen Unfall-versicherung gut aufgestellt . Zusammen mit den Sozial-partnern wird hier der Schutz der Gesundheit bei arbeits-bedingter psychischer Belastung vorangetrieben .Um Gesundheitsstörungen und psychische Erkran-kungen im Betrieb zu vermeiden, unterstützt das Arbeits-programm Psyche die Unternehmen bei der Gestaltungder Arbeitsbedingungen. Das Programm qualifiziert zu-dem betriebliche und überbetriebliche Akteure im Ar-beits- und Gesundheitsschutz zum Thema psychischeGesundheit und gibt Empfehlungen zur Umsetzung derGefährdungsbeurteilungen .
Diese Maßnahmen werden durch Handlungshilfen fürBetriebe, zum Beispiel durch das Projekt „psyGA“ oderauch durch die Initiative Neue Qualität der Arbeit, flan-kiert .Darüber hinaus wurde in dieser Legislaturperiode –jetzt beantworte ich Ihre Frage, Frau Müller-Gemmeke,was die Politik macht – die Frage psychischer Belastun-gen in der Arbeitsstättenverordnung konkretisiert . In dasGesundheitsförderungs- und Präventionsstärkungsgesetzwurden psychische Belastungen ausdrücklich mit auf-genommen . Dies führt zu verbesserten Leistungen derKrankenversicherungen .
Besonders verweisen möchte ich an dieser Stelle aufdie Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin .Sie stellte vor exakt zwei Wochen – das ist schon ange-sprochen worden – ihre Langzeitstudie zur psychischenGesundheit in der Arbeitswelt vor . Ziel der Studie wares, psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu untersu-chen und daraus Handlungsempfehlungen für den Ar-beitsschutz zu geben . Wir haben nun eine umfassendewissenschaftliche Standortbestimmung über psychischeBelastungsfaktoren in der Arbeitswelt . Stressfaktorenwie zu lange Arbeitszeit, schlechte Führung, mangelndeRuhezeiten oder zu hohe Arbeitsbelastungen können diepsychische Gesundheit der Beschäftigten beeinträchti-gen . In den meisten Fällen gehen diese Stressfaktorenmiteinander einher und führen in der Häufung zu psychi-schen Belastungen .Dabei erweist sich die Arbeitszeit in den wissenschaft-lichen Studien durchgängig als Schlüsselfaktor in ihrerWirkung auf die Gesundheit . Die erwähnten Risikenwerden allerdings im bestehenden Rechtsrahmen klar ad-ressiert und eingeschränkt . Dies ist unter anderem im Ar-beitszeitgesetz deutlich zu sehen . Darauf weist die BAuAauch hin . Sie schreibt:Für die Arbeitszeitdauer sind . . . Schwellenwerte,deren langfristige Überschreitung bzw . Nichtbeach-tung eine gesundheitliche Beeinträchtigung zur Fol-ge haben können, im Arbeitszeitgesetz festgelegt .
Dies betrifft konkret den Umfang der Wochenar-beitszeit, die tägliche Arbeitszeit sowie die Längeder Ruhezeit .Weiter führt die BAuA aus, dass die Befundlage zuden Zusammenhängen von Arbeitszeit und Gesundheitdafür spricht, dass die vorhandenen gesetzlichen Vorga-ben aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unabhängig vonder Arbeitstätigkeit sinnvoll sind .Bei allem, was wir vor dem Hintergrund der Arbeits-welt 4 .0 möglicherweise am Arbeitszeitgesetz verändernwollen, sollte man sich die Schutzfunktionen dieses Ge-setzes immer wieder vor Augen halten . Das gilt für IhreAnträge und für alles, was dazu noch vorgelegt werdenmag .Sie sehen, wir haben heute bereits ausreichend strengeArbeitsschutzgesetze . Allerdings werden diese nicht im-mer konsequent umgesetzt . Gefährdungsbeurteilungenmüssen häufiger durchgeführt werden. Hier sind in ersterLinie die Bundesländer in der Pflicht und angehalten, ih-ren Kontrollpflichten nachzukommen. Dafür braucht esmöglicherweise hier und da mehr Personal bei den Auf-sichtsdiensten der Länder .Eine Anti-Stress-Verordnung würde daher nur denRechtsrahmen der bestehenden Gesetze ändern, abernicht die Sensibilität für dieses Thema in den Unterneh-men erhöhen .
Es geht darum, mit den Akteuren des Arbeitsschutzes inden Unternehmen für das Thema Arbeitsschutz zu sensi-bilisieren .
Ich habe gesehen, dass die Präsidentin mir ein Zeichengibt, und komme daher zum Schluss .Insbesondere kommt es darauf an, dass die Sozial-partner und die Kolleginnen und Kollegen des institu-tionellen Arbeitsschutzes in den Betrieben daran arbei-ten . Ich bin daher froh, dass wir auf der Grundlage desBAuA-Berichts jetzt einen Dialogprozess erleben, derdie psychische Gesundheit in der Arbeitswelt auf einerichtige Basis stellt . Auf dieser Basis werden wir arbei-ten . Deshalb lehnen wir Ihre Anträge heute ab .Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende .
Uwe Lagosky
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23891
(C)
(D)
Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Bereits unter Schwarz-Gelb haben wir
das Thema „psychische Belastungen“ heftig diskutiert
und Maßnahmen gefordert, im Übrigen auch die SPD .
Die damals für dieses Thema zuständige Ministerin von
der Leyen hat eine entsprechende Studie auf den Weg ge-
bracht . Erst jetzt liegen die Ergebnisse vor . Diese zeigen:
Es besteht – wenig überraschend – Handlungsbedarf . –
Das dauert einfach alles zu lange . Sie, die Regierungs-
fraktionen, haben sich bei diesem Thema untätig durch
diese Legislaturperiode gemogelt . Das ist nicht akzepta-
bel .
Die Arbeitswelt hat sich verdichtet und beschleunigt .
Das wissen wir schon lange . Wer mehr, unregelmäßig
oder nicht planbar arbeitet, dem fehlen Erholungszeiten .
Häufig ist die Personaldecke zu dünn. Über 50 Prozent
der Beschäftigten sind bei der Arbeit gehetzt . Steigende
Arbeitsintensität, hohe Leistungsanforderungen – wer
diesem Stress ausgeliefert ist, wer das Gefühl hat, die
Arbeit nicht zu schaffen, dessen Selbstwertgefühl wird
brüchig . Das Arbeitsleben macht Tempo, und das schon
seit vielen Jahren . Den Beschäftigten geht deswegen zu-
nehmend die Puste aus . Sie, die Regierungsfraktionen,
hätten darauf schon lange reagieren müssen .
Die Arbeitgeber müssen sensibilisiert werden . Das
kommt nicht von alleine, Herr Lagosky . Sie müssen
wissen, wann und wie Stress entsteht und – vor allem –
wie dieser Stress vermieden werden kann . Das Arbeits-
schutzgesetz muss also durch eine Verordnung konkre-
tisiert werden . Deshalb werden wir heute dem Antrag
zustimmen; denn nur so bekommen die Arbeitgeber und
die Betriebsräte ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie
Lösungen gegen Stress, ständige Erreichbarkeit und Ar-
beitsverdichtung entwickeln können . Das ist dringend
notwendig; denn es geht immerhin um die Gesundheit
der Beschäftigten .
Ein Aspekt ist uns Grünen dabei besonders wichtig,
und zwar die Arbeitszeit . Auch die Studie – es wurde
schon gesagt – „Psychische Gesundheit in der Arbeits-
welt“ von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar-
beitsmedizin bezeichnet Länge, Lage und Flexibilität der
Arbeitszeit als relevant für die Gesundheit von Beschäf-
tigten . Als positiv wird beurteilt, wenn die Beschäftig-
ten auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeit Einfluss nehmen
können . Die Beschäftigten brauchen also Zeitsouveräni-
tät . Genau das fordern wir in unserem heute vorliegenden
Antrag . Damit besteht ein Zusammenhang: Wenn die Ar-
beitszeit beweglicher wird, dann sind die Beschäftigten
weniger gestresst und weniger gehetzt . Vor allem wün-
schen sich die Menschen, insbesondere die Frauen, mehr
Zeitsouveränität, damit ihre Arbeit besser ins eigene Le-
ben passt .
Die Linke fordert das mit ihrem Antrag, aber anders als
wir Grüne . Sie wollen ja die Wochenhöchstarbeitszeit auf
40 Stunden absenken . Das lehnen wir ab .
Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten funktioniert
eben nicht in einem engen und starren Rahmen . Die Be-
schäftigten brauchen die Freiheit, in einer Woche ein
bisschen mehr arbeiten zu können, um dann in einer an-
deren Woche mehr frei zu haben . Natürlich brauchen die
Beschäftigten Schutz; denn wir wollen ja Zeitsouveräni-
tät ermöglichen und grenzenlose Arbeit verhindern . Da-
für reicht das Arbeitszeitgesetz aber so, wie es heute ist .
Wir Grünen haben dafür andere Forderungen . Wir
wollen, dass die Beschäftigten mehr Mitspracherecht bei
der Arbeitszeit erhalten; denn auch so wird Stress redu-
ziert. Weil die Beschäftigten häufig mit ihrem Arbeits-
umfang nicht zufrieden sind, wollen wir „Vollzeit“ als
flexiblen Arbeitszeitkorridor zwischen 30 und 40 Stun-
den neu definieren und – ganz wichtig – durch ein Rück-
kehrrecht ergänzen . Auf das Rückkehrrecht warten wir in
dieser Legislaturperiode ja noch immer .
Einige wollen wegen der Kinder gerne etwas später
anfangen, andere brauchen einen freien Nachmittag für
die alten Eltern, und wieder andere wünschen sich ei-
nen Tag Homeoffice, um sich die Fahrtzeit ins Büro zu
ersparen . Deshalb sollen die Beschäftigten auch mehr
Mitspracherechte bekommen, wenn es darum geht, wann
und wo sie arbeiten . So entsteht Zeitsouveränität, und sie
ist bitter nötig; denn Arbeitszeit ist Lebenszeit .
Heute liegen verschiedene Vorschläge dafür auf dem
Tisch, den Stress in der Arbeitswelt zu reduzieren . Die
Opposition hat Konzepte entwickelt, nimmt das Thema
also ernst . Sie, die Regierungsfraktionen, haben das The-
ma vier Jahre lang ganz einfach verschleppt . So werden
Sie Ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Beschäf-
tigten nicht gerecht .
Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Dr . Martin Rosemann von der
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Einord-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723892
(C)
(D)
nung dieser Debatte will ich ein paar allgemeine Bemer-kungen voranstellen .Ich finde immer noch: Für die allermeisten Menschenin unserem Land ist es wirklich besser, wenn sie Arbeithaben, als wenn sie keine Arbeit haben .
Das hat damit zu tun, dass Arbeit die Grundlage für unse-ren Wohlstand ist, dass Arbeit materielle und soziale Si-cherheit für jeden Einzelnen ermöglicht und dass Arbeitein Stück weit auch Selbstverwirklichung bedeutet . Des-wegen ist Arbeit für jeden Einzelnen und jede Einzelne,aber auch für die Gesellschaft insgesamt wichtig .Klar ist: Unsere Arbeitswelt ist im Wandel . DieserWandel vollzieht sich im Zuge der Digitalisierung im-mer schneller, und das stellt uns vor Herausforderungen .Auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es Ver-änderungen in der Arbeitswelt, die mit einer Verdichtungder Arbeitsbelastung und tatsächlich mit mehr Stress ver-bunden waren .Die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gespro-chen haben, haben schon darauf hingewiesen: Die Zahlder psychischen Erkrankungen hat zugenommen . Be-sonders alarmierend ist, dass der Grund für den Zugangin die Erwerbsminderungsrente zunehmend psychischeErkrankungen sind . Seit 1993 ist der Anteil sehr starkgestiegen .
1993 waren 15 Prozent derjenigen, die in die Erwerbs-minderungsrente gegangen sind, psychisch erkrankt,2015 betrug der Anteil sage und schreibe 43 Prozent .Damit sind sie mittlerweile die größte Krankheitsgruppeunter den Neuzugängen in die Erwerbsminderungsrente .Natürlich kann das die Politik und uns alle nicht kaltlas-sen . Deswegen sind wir hier auch alle in der Verantwor-tung .Ich glaube, das Wichtigste, was wir in dieser Debattesagen müssen, wenn wir über ein so zentrales Thema amFreitagnachmittag um 14 Uhr diskutieren, ist – das sageich mit Blick auf alle, die hier im Saal sind, also auch aufdie Besucher auf den Tribünen –: Es ist für uns alle ent-scheidend, dass wir psychische Erkrankungen in dieserGesellschaft endlich enttabuisieren, damit sie rechtzeitigangegangen werden können .
Dazu gehört, dass wir Prävention und Rehabilitation vielstärker in Verbindung mit dem Arbeitsplatz sehen . Genauhier haben wir in dieser Legislaturperiode angesetzt . Eskann doch nicht die Rede davon sein, wir hätten nichtsgetan .Mit dem sogenannten Flexirentengesetz
und dem Bundesteilhabegesetz haben wir Prävention undRehabilitation an unterschiedlichen Stellen gestärkt, undgerade mit Blick auf psychische Erkrankungen haben wirModellvorhaben gestartet und für diese Modellvorhabenmehr Mittel im Bereich der Arbeitsverwaltung, der Job-center und der Rentenversicherung bereitgestellt . Das,was dabei an guten Praktiken herauskommt, müssen wirin den kommenden Jahren auch dauerhaft umsetzen .
Was wir auch im Blick haben, liebe Kolleginnen undKollegen, ist das betriebliche Eingliederungsmanage-ment, wenn jemand nach langer Krankheit an den Ar-beitsplatz zurückkehrt und die Betriebe ihn wieder in denArbeitsprozess eingliedern sollen . Das ist eine wichtigeAufgabe, die neben dem Arbeitgeber auch die Kollegin-nen und Kollegen bzw . das ganze Team angeht und beider es wichtig ist, dass die Betroffenen nach der Rück-kehr tatsächlich wieder ihren Arbeitsplatz erhalten .Das Hauptproblem ist, dass das betriebliche Einglie-derungsmanagement gerade in Klein- und Kleinstbe-trieben wenig bekannt ist und die Unternehmen nichtwissen, wie sie so etwas umsetzen können . Deswegenhaben wir die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabili-tation dazu gebracht, eine Empfehlung dazu abzugebenund Mindeststandards vorzuschlagen, die dann auch inKlein- und Kleinstbetrieben umgesetzt werden können .
Hinter all dem steht die Vorstellung, dass wir – der Staat,die Gesellschaft und die Sozialversicherungen – die Be-schäftigten während des Arbeitslebens sehr viel stärkerals bisher beraten, begleiten und unterstützen müssen .Wichtig ist aber mit Sicherheit noch ein zweites The-ma, nämlich das Thema Arbeitszeit . Ich stimme vielemzu, was Beate Müller-Gemmeke dazu gesagt hat . DieArbeitszeitwünsche der Beschäftigten weichen in hohemMaße von den tatsächlich gearbeiteten Arbeitszeiten ab .Das gilt übrigens nicht nur für Frauen, sondern auch fürMänner . Wenn wir da zu mehr Flexibilität kommen wol-len, dann muss sie nicht nur für die Frauen, sondern auchfür die Männer gelten .
Sonst kriegen wir nämlich nicht beides zusammen . Wirbekommen es nämlich nicht hin, dass Frauen ihre Ar-beitszeit gegenüber der Zeit im privaten Bereich erhö-hen, wenn wir nicht gleichzeitig den Männern mehr Zeitfür den privaten Bereich ermöglichen, indem sie wenigerarbeiten .Genau an der Stelle setzen wir mit den Maßnahmenan, die wir in dieser Wahlperiode auf den Weg gebrachthaben . Das Elterngeld Plus beispielsweise macht fürEltern von kleinen Kindern Teilzeitbeschäftigung at-traktiver und ermöglicht einen längeren Bezug des El-terngelds, wenn man sich das partnerschaftlich teilt . Dawollen wir nicht stehen bleiben .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23893
(C)
(D)
– Ja, das Rückkehrrecht ist ein gutes Stichwort . Wir wol-len das Rückkehrrecht auf Vollzeit bzw . die befristeteTeilzeit . Das wird – das sage ich deutlich – von der rech-ten Seite dieses Hauses blockiert .
Wir wollen noch mehr – Andrea Nahles hat es auch imWeißbuch Arbeiten 4 .0 deutlich gemacht –: Wir wollendie starre Trennung von Vollzeit und Teilzeit aufgebenund durch Wahlarbeitszeitmodelle zu einer flexiblerenForm von Vollzeit kommen . Andrea Nahles will gemein-sam mit den Tarifpartnern flexible Arbeitszeitmodelleumsetzen, indem sie Öffnungsklauseln in den Tarifver-trägen vorschlägt,
die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter be-stimmten Qualitätsstandards vereinbart werden .
Herr Kollege, Sie müssen jetzt sehr zügig zum Schluss
kommen .
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss . – Insge-
samt geht es um mehr Zeitsouveränität und vor allem um
eine größere Flexibilität, die auch und insbesondere den
Beschäftigten und ihren Bedürfnissen nutzt .
Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auf die Arbeit schimpft man nur so lange, bis man keinemehr hat .
Deshalb möchte ich, bevor ich auf die Anträge ein-gehe, Kollegen der Linken und der Grünen, erst einmaletwas Grundsätzliches zum Thema Arbeit sagen . KollegeRosemann hat es eben in seiner Rede schon ausgeführt:Arbeit gehört seit jeher zu unserem Leben . Damit gehenviele Eigenschaften einher, und man sollte es nicht glau-ben: Der überwiegende Teil der Menschen in Deutsch-land geht sogar gerne jeden Morgen zur Arbeit .
Und wer organisiert in Deutschland erfolgreiche Ar-beit? Die Sozialpartner – das ist mehrfach ausgeführtworden – in den einzelnen Branchen . Sie vereinbarenihre gemeinsamen Ziele . Sie wollen unsere Unternehmenwettbewerbsfähig halten und Erfolge erzielen . Denn dasist die Voraussetzung dafür, dass wir Wachstum und Be-schäftigung haben .
Richtig ist: Die Anforderungen an die Arbeitswelt undin der Arbeitswelt haben sich mit der Digitalisierung, derArbeitswelt 4 .0, verändert und somit auch die Anforde-rungen an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer . Aber auchdie veränderten Familienstrukturen und damit einherge-hend der Wandel der Ansprüche und Anforderungen ma-chen Anpassungen bei der Arbeitszeit notwendig .
Unsere Wirtschaft und die Sozialpartner in den Unter-nehmen reagieren darauf . Ihre Zusammenarbeit funktio-niert ohne staatliche Regelungen .
So treffen zum Beispiel viele inhabergeführte Famili-enunternehmen bei mir in der Region in Südwestfalenschon seit längerem Vereinbarungen in Bezug auf flexi-ble Arbeitszeiten . Das gelingt ihnen hervorragend . Da-bei werden die Anforderungen und Bedürfnissen beiderSeiten, die der Arbeitnehmer und die der Arbeitgeber,berücksichtigt .Die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit undSoziales im März dieses Jahres hat bestätigt, dass derWunsch nach flexiblen Arbeitszeiten stark ausgeprägt ist.Deshalb sagen wir ganz klar: Wir suchen die Lösungenauf betrieblicher und auf überbetrieblicher Ebene, bevorwir Gesetze verschärfen und damit Reglementierungenauf den Weg bringen .
Am Montag dieser Woche fand ein Arbeitnehmer-kongress der CDU/CSU-Fraktion statt . Auch da wurdedeutlich: Es geht um bedarfsgerechte und individuelleLösungen in den einzelnen Branchen .
Die Sozialpartner fordern zu Recht, ihnen hierbei Ver-trauen zu schenken und das Ganze weniger zu reglemen-tieren . Ich sehe es als unsere Aufgabe in der Politik an,dass wir einen guten Rechtsrahmen schaffen. Der Kolle-ge Rosemann hat das gesagt; da sind wir einer Meinung .Es geht um begleitende Hilfen, Prävention und Rehabi-Dr. Martin Rosemann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723894
(C)
(D)
litation . Wir haben das Präventionsgesetz auf den Weggebracht. Auch darin sind flankierende Hilfen vorgese-hen . Es gibt das Arbeitsschutzgesetz, in dem in § 5 dieAnforderungen an einen sicheren, gesunden und gutenArbeitsplatz geregelt sind .
Ich gebe Ihnen ja recht, dass wir die Belastungsfor-men, die heute durch eine beschleunigte und sich ver-ändernde Arbeitswelt entstehen, nicht aus dem Blickverlieren dürfen . Aber Ihre Forderungen, darauf mit kür-zeren Arbeitszeiten und einer Umverteilung der Arbeitzu reagieren, gehen an der Realität vorbei . Sie gehen ander Realität der deutschen Wirtschaft und der deutschenArbeitswelt sowie an den Bedürfnissen der Arbeitnehmerund Arbeitnehmerinnen vorbei .
Darauf weisen verschiedene Studien hin . Was ist mitder Sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbe-dingungen? In den Ergebnissen für Deutschland heißt es:Drei Viertel der Beschäftigten sind mit ihrer Arbeitszeitund mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden, und ein Teilist sogar sehr zufrieden .
Was das Thema – noch einmal kurz am Ende – „Ar-beitsbelastung und Stress“ angeht: Jeder Mensch hatdoch ein eigenes Empfinden und beurteilt Anforderun-gen und Belastungen unterschiedlich . Stress ist subjektivund wird von jedem anders bewertet . Ja, ich gebe Ihnenrecht, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt .Hierauf müssen wir reagieren . Darauf ist der KollegeLagosky in seiner Rede ausführlich eingegangen .Wir sind uns einig, dass es im Interesse aller liegt,dass sowohl die psychische Gesundheit am Arbeitsplatzals auch die allgemeine Arbeitsfähigkeit zu fördern undzu erhalten sind . Wir sehen uns mit den bereits instal-lierten Maßnahmen auf einem richtigen Weg und werdendiesen angestoßenen Prozess mit weiteren Maßnahmenfortsetzen .
Vielen Dank .
Als letzter Redner in der Aussprache hat Stephan
Stracke für die CDU/CSU das Wort .
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Im Kern geht es bei dieserDebatte um das Thema „Flexibilität, Arbeitszeit,
Zeitsouveränität und Schutz vor Überlastungen“ .Die Digitalisierung hat sicherlich erhebliche Auswir-kungen auf die Arbeitswelt . Das meiste davon könnenwir in der Schärfe noch gar nicht abbilden . Aber Unter-nehmen können in der digitalen Arbeitswelt von räum-lich und zeitlich flexiblen Wertschöpfungsprozessen pro-fitieren. Für Arbeitnehmer bieten sich große Chancen aufmehr selbstbestimmtes Arbeiten .
Es geht letztlich um die Vereinbarkeit von Familie undBeruf . Mehr Zeit- und Ortssouveränität sowie lebenspha-senorientiertes Arbeiten sind hier die Stichworte .Die entscheidende Frage lautet, wie es uns gelingenkann, den Zugewinn an Flexibilität verantwortungsvollzwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuteilen .Dabei sehen wir die Frage als zentral an, wie wir dasorganisieren . Hier sind letztendlich die Betriebe und dieSozialpartner gefragt . Es ist ihre ureigene Aufgabe, denGewinn an Flexibilität in der digitalen Arbeitswelt zumWohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowieder Unternehmen in der Praxis zu gestalten .
Deswegen ist es immer gut, das Geschehen vor Ort imBlick zu behalten und die Tarifautonomie zu wahren . Wirbrauchen in unserer Arbeitswelt weiß Gott kein starresKorsett von staatlicher Seite . Diese Kritik richtet sichgleichermaßen gegen die Vorschläge der Bundesarbeits-ministerin zur Anpassung des Arbeitsrechts im Rahmendes Weißbuchs 4 .0 . Ein Trommelfeuer aus punktuellengesetzlichen Maßnahmen hilft nicht weiter . Wir sprechenuns für betriebliche und tarifliche Vereinbarungen aus,um passgenaue Lösungen zu finden.
Ich habe zu Beginn gesagt, dass es um einen Interes-senausgleich geht . Es gibt sicherlich große Unterschiede .Deswegen möchte ich noch etwas zum Rückkehrrechtbei Teilzeitbeschäftigung sagen . Dabei müssen wir imBlick behalten, dass wir Planungssicherheit für die Un-ternehmen brauchen . Wir dürfen insbesondere kleineUnternehmen nicht überfordern . Es ist gerade für sieüberlebenswichtig, dass ein konstanter Betriebsablaufgewährleistet wird . Flexibilität und Arbeitsvolumen sindnun einmal untrennbar miteinander verbunden . Deswe-gen ist es unsere Leitlinie, die Belange der Arbeitgeberauf der einen Seite und die Belange der Arbeitnehmerin-Christel Voßbeck-Kayser
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23895
(C)
(D)
nen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite angemessenin Einklang zu bringen .
Der Vorschlag der Bundesarbeitsministerin geht in wei-ten Teilen über das hinaus und stellt eine unverhältnis-mäßige Belastung dar . Flexibilität ist ein Maßanzug, dersowohl den Unternehmen als auch den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern passen muss . – Nun hat der KollegeKurth – Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Frau Präsiden-tin – das Wort .
Aber ich bitte, es kurz zu machen .
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen . – Ich kann
es kurz machen . Herr Stracke, Sie haben davon gespro-
chen, was für die kleinen Unternehmen wichtig ist, zum
Beispiel Kontinuität . Stimmen Sie mir dann zu, dass
das Allerwichtigste für die Unternehmen ist, dass ihre
Arbeitskräfte gesund bleiben, dass sie nicht dauerhaft
ausfallen und dass sie nicht innerlich kündigen, kurzum:
dass sie keinem Stress, der gesundheitsschädlich ist, am
Arbeitsplatz ausgesetzt sind?
Sehr geehrter Herr Kurth, natürlich liegt es im Inte-
resse der Unternehmen, dass es ihren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern gut geht; das ist doch selbstverständ-
lich . Das liegt im ureigenen Interesse der Arbeitgeber .
Deshalb lehnen wir beispielsweise eine Antistressverord-
nung ab .
Wir haben in diesem Bereich zwei Entwicklungen zu
verzeichnen, Herr Kurth . Zum einen werden im Zuge
der Digitalisierung einfache und ständig wiederkehrende
Tätigkeiten automatisiert . Das nimmt Belastungen weg .
Das sehen Sie schon daran, dass Unternehmen solche
Entwicklungen zum Wohle ihrer Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aufgreifen . Zum anderen müssen wir im
Blick behalten: Mehr Flexibilität bedeutet auch mehr
Eigenverantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer . Wir müssen darüber diskutieren, wie wir hier
etwas hinbekommen können . – Herr Kurth, bitte schön,
Sie können sich wieder hinsetzen .
In diesem Sinne haben wir schon vieles im Bereich
Stress getan . Wir brauchen Wege, die dazu dienen, die
Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zu stärken . Unser Arbeitsschutzsystem ist insge-
samt gut aufgestellt und gestaltet die Arbeitswelt sicher
und gesund . Das Prinzip der Gefährdungsbeurteilung ist
hier tragend .
Wir müssen achtsam sein, wenn es um Entwicklungen
auf den neuen Handlungsfeldern geht .
Vor diesem Hintergrund haben wir uns als Koalition
auf den Weg gemacht, Frau Müller-Gemmeke, die Ent-
wicklung neuer Präventionskonzepte und betrieblicher
Gestaltungslösungen bei psychischer Belastung in en-
ger Zusammenarbeit mit den Trägern der Gemeinsamen
Deutschen Arbeitsschutzstrategie voranzutreiben . Genau
das passiert derzeit . Auch die Bundesanstalt für Arbeits-
schutz und Arbeitsmedizin hat ihr Gutachten vorgestellt .
Jetzt entsteht ein neuer Dialogprozess, in dessen Rahmen
wir das erörtern bzw . vertieft diskutieren wollen .
All das zeigt, dass bereits viel geschieht . Wir brauchen
vor allem eine vorausschauende ganzheitliche Planung in
den Betrieben, was den Umgang mit psychischen Belas-
tungsfaktoren angeht . Dabei ist es sicherlich nicht der
Königsweg, immer nur nach neuen gesetzlichen Rege-
lungen bzw . Verordnungen zu rufen, sondern wir brau-
chen vor allem passgenaue betriebliche Lösungen . Ge-
nau darauf zielen wir ab .
Wir brauchen keine gesetzgeberischen Schnellschüs-
se, wie sie im Rahmen der jetzt vorgelegten Anträge ge-
fordert werden .
Ich sage ein herzliches Dankeschön und wünsche Ih-
nen ein schönes Wochenende .
So weit sind wir aber noch nicht, weil wir jetzt nocheine ganze Reihe von Abstimmungen haben . Ich bitte dieKollegen und Kolleginnen, so lange sitzen zu bleiben .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozi-ales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel„Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen“ .Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 18/11221, den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/10892 abzulehnen . Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-gen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit denStimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-on angenommen worden .Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 42 b .Dabei geht es um die Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales aufDrucksache 18/12055. Der Ausschuss empfiehlt unterBuchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ableh-nung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/8724 mit dem Titel „Wochenhöchstarbeitszeitbegrenzen und Arbeitsstress reduzieren“ . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den StimmenStephan Stracke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723896
(C)
(D)
der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünengegen die Stimmen der Linken angenommen worden .Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8241 mitdem Titel „Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut insLeben passt“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand?Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stim-men der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die Linkeund gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen worden .Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir amSchluss unserer heutigen Tagesordnung .Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf Mittwoch, den 31 . Mai 2017, 13 .00 Uhr, ein .Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende . Die Sit-zung ist geschlossen .