Protokoll:
18235

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 235

  • date_rangeDatum: 19. Mai 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:27 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/235 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 235. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Mai 2017 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafge- setzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12359 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23833 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 23833 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23834 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23836 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23838 C Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23840 B Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 23841 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23842 C Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23844 C Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23845 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23847 A Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23847 B Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungs- gesetz – NetzDG) Drucksache 18/12356 . . . . . . . . . . . . . . . . 23847 D b) Antrag der Abgeordneten Dr . Konstantin von Notz, Renate Künast, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transpa- renz und Recht im Netz – Maßnahmen gegen Hasskommentare, „Fake News“ und Missbrauch von „Social Bots“ Drucksache 18/11856 . . . . . . . . . . . . . . . . 23847 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 23848 A Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23849 B Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23850 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23852 A Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23853 B Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23854 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23855 C Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23856 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23857 B Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU) . . . 23858 B Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23858 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23859 B Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Histori- sche Verantwortung Deutschlands für die Ukraine Drucksache 18/10042 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23860 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23861 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017II Dr . Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 23862 A Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23863 B Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 23864 B Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 23865 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23866 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23866 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23867 B Dr . Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23868 B Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksache 18/12357 . . . . . . . . . . . . . . . . 23869 B b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12358 . . . . . . . . . . . . . . . . 23869 B c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Partei- en von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12100 . . . . . . . . . . . . . . . . 23869 B d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grund- gesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Partei- enfinanzierung Drucksache 18/12101 . . . . . . . . . . . . . . . . 23869 C Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23869 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23870 C Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23871 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23872 D Dr . Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23874 C Boris Pistorius, Minister (Niedersachsen) . . . 23875 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23877 A Tagesordnungspunkt 41: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stadtentwicklungsbericht der Bundesregie- rung 2016 Drucksache 18/11975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23878 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23878 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23879 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23880 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23881 B Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23882 D Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23883 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23885 A Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . . 23885 D Tagesordnungspunkt 42: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen Drucksachen 18/10892, 18/11221 . . . . . . . 23887 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wochen- höchstarbeitszeit begrenzen und Ar- beitsstress reduzieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/8724, 18/8241, 18/12055 23887 B Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23887 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23888 C Uwe Lagosky (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23889 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23891 A Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23891 D Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 23893 B Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23894 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23895 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23896 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23897 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23897 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23833 235. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Mai 2017 Beginn: 9 .01 Uhr
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    Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23897 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19 .05 .2017 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 19 .05 .2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 19 .05 .2017 Burkert, Martin SPD 19 .05 .2017 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 19 .05 .2017 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 19 .05 .2017 Färber, Hermann CDU/CSU 19 .05 .2017 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 19 .05 .2017 Gabriel, Sigmar SPD 19 .05 .2017 Gleicke, Iris SPD 19 .05 .2017 Göppel, Josef CDU/CSU 19 .05 .2017 Haase, Christian CDU/CSU 19 .05 .2017 Hirte, Dr . Heribert CDU/CSU 19 .05 .2017 Klare, Arno SPD 19 .05 .2017 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 19 .05 .2017 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 19 .05 .2017 Ludwig, Daniela CDU/CSU 19 .05 .2017 Meister, Dr . Michael CDU/CSU 19 .05 .2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 19 .05 .2017 Nahles, Andrea SPD 19 .05 .2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 19 .05 .2017 Poschmann, Sabine SPD 19 .05 .2017 Roth (Heringen), Michael SPD 19 .05 .2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .05 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 19 .05 .2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 19 .05 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schuster (Weil am Rhein), Armin CDU/CSU 19 .05 .2017 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19 .05 .2017 Spiering, Rainer SPD 19 .05 .2017 Strenz, Karin CDU/CSU 19 .05 .2017 Thönnes, Franz SPD 19 .05 .2017 Veith, Oswin CDU/CSU 19 .05 .2017 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 19 .05 .2017 Weinberg, Harald DIE LINKE 19 .05 .2017 Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 19 .05 .2017 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 19 .05 .2017 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 957 . Sitzung am 12 . Mai 2017 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention – Gesetz zur Änderung weinrechtlicher und agrar- marktstrukturrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Förderung der Transparenz von Ent- geltstrukturen – Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: 1 . Der Bundesrat begrüßt, dass mit der Neuregelung des Mutterschutzrechts das in seinen wesentlichen Regelungsbereichen seit 1952 geltende Mutter- schutzgesetz zeitgemäß neu gefasst wird . Er unter- stützt die wesentliche Zielstellung des Gesetzes und insbesondere die Einbeziehung von Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen in den Anwen- dungsbereich . 2 . Der Bundesrat schätzt ein, dass das im Bundestags- verfahren neu aufgenommene Verfahren zur Ge- nehmigung von Arbeitszeiten nach 20 .00 Uhr (§ 28 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723898 (A) (C) (B) (D) MuSchG) sowohl auf Arbeitgeberseite als auch bei den Aufsichtsbehörden einen erheblichen Mehrauf- wand verursachen wird . Unklar ist, ob ein solcher Genehmigungsvorbehalt für eine Beschäftigung nach 20 .00 Uhr tatsächlich sachlich erforderlich ist . 3 . Der Bundesrat verweist zudem auf erhebliche Mehr- aufwände für den Vollzug der in § 4 Absatz 1 Satz 4 MuSchG aufgenommenen Aufgabe zur Überprü- fung der vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit insbesondere von Teilzeitbeschäftigten . Die Durchsetzung dieser Vorschrift begegnet er- heblichen Schwierigkeiten, da eine Aufzeichnungs- pflicht der Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz für den Arbeitgeber erst nach acht Stunden besteht . Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine Über- prüfung der Einhaltung privatrechtlicher Vereinba- rungen aus dem Arbeitsvertrag, die eine Gefährdung der werdenden oder stillenden Mutter nicht indizie- ren und deshalb keine Aufgabe der Arbeitsschutzbe- hörden sein kann . 4 . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, im Rahmen des nach § 34 MuSchG zum 1 . Ja- nuar 2021 vorzulegenden Evaluationsberichts nicht nur die Auswirkungen der Regelungen zum Verbot der Mehr- und Nachtarbeit zu betrachten, sondern einen weiteren Schwerpunkt auf die Effektivität des neu eingeführten Genehmigungsverfahrens bei Be- schäftigung von schwangeren und stillenden Frauen von 20 .00 Uhr bis 22 .00 Uhr zu legen, damit anhand des Evaluationsberichts bewertet werden kann, ob dieses Genehmigungsverfahren tatsächlich erfor- derlich ist . 5 . Der Bundesrat stellt fest, dass sich aus der Erwei- terung des persönlichen Anwendungsbereiches des Gesetzes, aus der Umsetzung des neu eingeführten Genehmigungsverfahrens sowie aus der Überprü- fung der vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit erhebliche Ausweitungen der Überwa- chungs- und Beratungsaufgaben für die Aufsichts- behörden ergeben . Die Umsetzung wird zu einem personellen Mehrbedarf führen . – Gesetz zur Ergänzung des Finanzdienstleistungs- aufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Ge- fahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilien- kreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergänzungs- gesetz) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat begrüßt die im Gesetz vorgesehenen Änderungen an der Umsetzung der Wohnimmobi- lienkreditrichtlinie, die in Teilen Verbesserungsvor- schläge aus dem Gesetzesantrag in der BR-Druck- sache 578/16 aufgreifen . Er geht davon aus, dass sich damit die Versorgung mit Immobilienkrediten verbessern wird, ohne dass der Kern der Kredit- würdigkeitsprüfung aufgeweicht wird und Verbrau- cherinnen und Verbraucher Gefahr laufen, sich zu überschulden . Er verweist insoweit auf seine Stel- lungnahmen vom 25 . September 2015 in BR-Druck- sache 359/15 (Beschluss) und vom 10 . Februar 2017 in BR-Drucksache 815/16 (Beschluss) . 2 . Der Bundesrat erneuert seine Forderung, die Rechts- verordnung zur Schaffung von Rechtssicherheit bei der Kreditwürdigkeitsprüfung nunmehr rasch vorzulegen und mit den Ländern im Vorfeld eng abzustimmen . Der Bundesrat geht nach wie vor da- von aus, dass in der Verordnung die unbestimmten Rechtsbegriffe bei der Kreditwürdigkeitsprüfung weitest möglich eingegrenzt werden . Damit können die entstandenen Probleme bei der Kreditverga- be für ältere Menschen gelöst werden, wenn diese zu Lebzeiten ihren Verpflichtungen nachkommen können und im Todesfall die Immobilie die Höhe des Darlehens und eventuelle Verwertungskosten abdeckt . Auch für junge Familien muss Rechtssi- cherheit geschaffen werden. Dazu sollen nach der Lebenserfahrung mögliche, aber nicht überwiegend wahrscheinliche ungünstige Ereignisse nur dann zu berücksichtigen sein, wenn es konkrete Anhalts- punkte gibt . 3 . Der Bundesrat erwartet weiterhin, dass auch die Problematik der Anschlussfinanzierungen und Um- schuldungen im Zuge der Verordnung mitgelöst und von der EU als rechtskonform bestätigt wird . – Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarkt- vorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. Fi- MaNoG) – Sechstes Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung des BDBOS-Gesetzes – Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskrimi- nalamtgesetzes – Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpas- sungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 – Erstes Gesetz zur Änderung des Europol-Gesetzes – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union – Gesetz zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften – Erstes Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüber- prüfungsgesetzes – Gesetz zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elek- tronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotar- kammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23899 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrens- rechts – … Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die in- ternationale Rechtshilfe in Strafsachen – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremisti- schen Straftätern – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren – Gesetz zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen – Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Atomgeset- zes – Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfs- gesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben – Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat begrüßt das am 27 . April 2017 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Neu- ordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung, mit dem Unions- recht umgesetzt und das deutsche Strahlenschutz- system neu geordnet wird . 2 . Er stellt fest, dass es im Rahmen der Beratungen des Deutschen Bundestages zu einer Nachbesserung der Verzahnung der Zuständigkeiten der Fachbehörden gekommen ist und dass bestehende Regelungslü- cken im Bereich der abfallrechtlichen Aufgaben im Wege einer Evaluation geschlossen werden sollen . 3 . In diesem Zusammenhang verweist der Bundesrat auf die Begründung des federführenden Bundestag- sausschusses zur Einfügung des Artikels 31a – neu – (BT-Drucksache 18/12151, zu Nummer 8) . Dort heißt es: „Bei der Evaluierung und den Vorschlägen der Bundesregierung zur künftigen Fortentwick- lung des Notfallmanagementsystems von Bund und Ländern sind insbesondere auch die Vorschläge, Anliegen und Bedenken aus den Ziffern 24 bis 32, 54 und 62 (der Stellungnahme) des Bundesrates, die die Entsorgung kontaminierter Abfälle betreffen, in geeigneter Weise zu berücksichtigen .“ 4 . Er bedauert jedoch, dass der Deutsche Bundes- tag nicht bereits jetzt dem Beschluss des Bun- desrates vom 10 . März 2017 (BR-Drucksache 86/17 – Beschluss –) gefolgt ist und somit den Ab- fallrechtsbehörden noch nicht die erforderlichen Sondereingriffsrechte zur Verfügung stellt. Da die vorliegenden Regelungen aus abfallrechtlicher Per- spektive nicht befriedigend vollzugsfähig sind, bit- tet er die Bundesregierung um eine zeitnahe Evalu- ierung der notwendigen Ergänzungsregelungen . Die in Artikel 31a enthaltene Fünfjahresfrist zur Vorlage des Evaluierungsberichts sollte möglichst weit un- terschritten werden . 5 . Die nach dem Strahlenschutzgesetz vorgesehene Benennung von öffentlich-rechtlichen Entsorgern nützt nichts, da diese regelmäßig nicht über eigene Möglichkeiten oder Anlagen verfügen, um Abfälle oberhalb des noch festzulegenden Kontaminations- grenzwertes schadlos zu machen . Im radiologischen Notfall ist aus abfallrechtlicher Sicht vielmehr eine Anordnungs- und Vollstreckungsbefugnis der nach Landesrecht zuständigen Behörden, auch gegen- über Privaten, erforderlich . Diese Rechte müssen notwendigerweise im Gesetz verankert werden, da sie in Rechte Dritter eingreifen (grundgesetzlicher Vorbehalt des Gesetzes) . 6 . Darüber hinaus ist ebenfalls zu evaluieren, ob für diejenigen Abfälle, die den noch festzulegenden Kontaminationsgrenzwert unterschreiten und für die das Kreislaufwirtschaftsgesetz uneingeschränkt gelten soll, auch Sondereingriffsrechte geschaffen werden sollten . 7 . Schließlich bittet der Bundesrat die Bundesregie- rung, im Rahmen der ausstehenden Evaluation ein- deutige Festlegungen, Verfahrenslösungen sowie Entsorgungsmöglichkeiten für die Abfälle zu schaf- fen, die zu hoch kontaminiert sind, um sie mit wei- teren Schutzmaßnahmen in konventionellen Ent- sorgungseinrichtungen behandeln oder entsorgen zu können . Aus Sicht des Bundesrates würde somit auch die wünschenswerte, klare Abgrenzung zum konventionellen Abfallrecht und seinen Zuständig- keiten gezogen . 8 . Die geforderten Ergänzungen, Klarstellungen und Verfahrenslösungen sind nach Auffassung des Bun- desrates zwingend, um die gewünschte Vollzugsfä- higkeit der Notfallpläne im Bereich des Abfallrechts sicherzustellen . Er erwartet daher, dass die Evaluie- rung im Sinne eines Monitorings erfolgt, also be- gleitend zu den Arbeiten an den Notfallplänen . Da- bei sind die Experten aller betroffenen Fachbereiche der Länder einzubinden und eine zeitnahe Beseiti- gung der Regelungslücken durch eine Änderung des Strahlenschutzgesetzes bzw . der anderen Fachgeset- ze anzustreben . – Gesetz zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen und zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahnge- setzes – … Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- zes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Der Bundesrat unterstützt das Vorhaben, Deutschland zum weltweiten Leitmarkt für hoch- und vollautomati- sierte Fahrsysteme im Straßenverkehr zu entwickeln . Ein verbindlicher rechtlicher Rahmen ist dabei für Hersteller und Verbraucherinnen und Verbraucher unerlässlich . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 201723900 (A) (C) (B) (D) Der Bundesrat hebt hervor, dass mit dem vorliegenden Gesetz nur ein erster Schritt zur rechtssicheren und wirt- schaftlichen Nutzung für das hoch- und vollautomatisier- te Fahren geschaffen wird. Der Bundesrat begrüßt, dass die für 2019 vorgesehene Evaluierung sich nun auf das gesamte Gesetz beziehen soll . Die Technik in diesem Bereich wird ständig weiter- entwickelt . Spätestens im Rahmen der Evaluierung soll- ten daher insbesondere die folgenden Fragen erneut ge- prüft und das Gesetz gegebenenfalls angepasst werden: – Verantwortlichkeit des Herstellers für Unfälle während des automatisierten Fahrbetriebs (Haftungsfrage) . – Der Einsatz hoch- und vollautomatisierter Fahrsyste- me soll einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten . Eine Verdopplung der Haftungshöchstgrenze ist daher zu überprüfen . – Zur Schaffung von Rechtssicherheit und Akzeptanz sind die Vorgaben zum bestimmungsgemäßen Ge- brauch zu prüfen . Da damit unmittelbare Haftungsfra- gen verbunden sind, ist zu überprüfen, welche weite- ren gesetzlichen Vorgaben gemacht werden sollten . – Bezüglich der Erhebung, Verarbeitung, Nutzung und Löschung der Daten sind die Datenschutzbelange hin- reichend zu beachten . – Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher . – Die Ergebnisse der eingesetzten Ethikkommission sind zu berücksichtigen . – Gesetz zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) – Gesetz über das Fahrlehrerwesen und zur Än- derung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor- schriften – Gesetz über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes, zur Än- derung des IGV-Durchführungsgesetzes und des Seeaufgabengesetzes – Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnunfallunter- suchung – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahn- durchführungsgesetz – SeilbDG) – Zweites Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) – Drittes Gesetz zur Änderung des Telekommunika- tionsgesetzes – Gesetz zu dem Abkommen vom 29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheits- bereich – Gesetz zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicher- heitsbereich – Gesetz zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Eu- ropa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationa- ler militärischer Hauptquartiere in der Bundesre- publik Deutschland – Gesetz zu dem Abkommen vom 8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepu- blik Deutschland und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit über den Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Maritime Agenda 2025 Für die Zukunft des maritimen Wirtschaftsstand- orts Deutschland Drucksache 18/10911 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht der Bundesregierung über die Ent- wicklung und Zukunftsperspektiven der mariti- men Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/11150 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2017 Drucksachen 18/11971, 18/12181 Nr. 1.14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Unterrichtung der Bundesregierung über die Erfahrungen mit § 7 des Flaggenrechts- gesetzes Drucksachen 18/10679, 18/10924 Nr. 1.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 235 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Mai 2017 23901 (A) (C) (B) (D) Petitionsausschuss Drucksache 18/11229 Nr . A .1 EP P8_TA-PROV(2016)0512 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/12184 Nr . A .1 EP P8_TA-PROV(2017)0092 Drucksache 18/12184 Nr . A .2 Ratsdokument 7377/17 Innenausschuss Drucksache 18/9881 Nr . A .1 KOM(2016)491 endg . Drucksache 18/10449 Nr . A .4 Ratsdokument 13395/16 Drucksache 18/11484 Nr . A .3 Ratsdokument 5684/17 Drucksache 18/11484 Nr . A .4 Ratsdokument 5775/17 Drucksache 18/11825 Nr . A .1 Ratsdokument 6928/17 Haushaltsausschuss Drucksache 18/11693 Nr . A .8 K(2017)1200 endg . Drucksache 18/11693 Nr . A .9 K(2017)1201 endg . Drucksache 18/11693 Nr . A .10 Ratsdokument 6644/17 Drucksache 18/12184 Nr . A .10 Ratsdokument 7232/17 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/11029 Nr . A .20 Ratsdokument 15642/16 Drucksache 18/11229 Nr . A .22 Ratsdokument 5251/17 Drucksache 18/11229 Nr . A .23 Ratsdokument 5431/17 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Drucksache 18/11029 Nr . A .25 Ratsdokument 15418/16 Drucksache 18/11484 Nr . A .25 EP P8_TA-PROV(2017)0018 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Drucksache 18/10932 Nr . A .28 Ratsdokument 14770/16 Ausschuss für Tourismus Drucksache 18/897 Nr . A .5 Ratsdokument 6872/14 Drucksache 18/897 Nr . A .6 Ratsdokument 6875/14 Drucksache 18/2533 Nr . A .66 Ratsdokument 12286/14 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 235. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 12 Änderung des StGB - Wohnungseinbruchdiebstahl TOP 38 Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken TOP 39 Historische Verantwortung für die Ukraine TOP 40 Änderung des Art. 21 des Grundgesetzes (Parteien) TOP 41 Stadtentwicklungsbericht 2016 der Bundesregierung TOP 42 Stress in der Arbeitswelt Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823500000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur letzten Plenarsitzung in dieser
Woche .

Wir fangen mit dem Zusatzpunkt 12 an:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu-
ches – Wohnungseinbruchdiebstahl

Drucksache 18/12359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dagegen höre
ich keinen Widerspruch . Dann können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister der Justiz, Heiko Maas .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abge-
ordnete! Im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als
150 000 Wohnungseinbrüche registriert . Vor zehn Jahren
waren es knapp über 100 000 . Diesen massiven Anstieg
von über 50 Prozent in den letzten zehn Jahren kann man
nicht einfach ignorieren .

Auch wenn die Zahlen zuletzt wieder rückläufig sind,
bleibt es dabei: Wohnungseinbrüche sind ein massives
Sicherheitsproblem in Deutschland . Wir wollen die Men-
schen besser davor schützen; denn Wohnungseinbrüche
haben gravierende Folgen. Die finanziellen Schäden la-
gen im letzten Jahr bei rund 400 Millionen Euro . Hinzu
kommt der nicht zu unterschätzende ideelle Schaden .
Wenn ein altes Erbstück oder Dateien mit wichtigen per-
sönlichen Daten weg sind, dann geht das weit über den
Verlust hinaus, den man in Euro und Cent beziffern kann.

Noch schlimmer sind – das wissen wir – die psychischen
Folgen . Wer in die Wohnung eines Menschen eindringt,
der dringt in seine absolute Intimsphäre ein . Viele Betrof-
fene bleiben dann mit dem Gefühl zurück, nicht einmal
in den eigenen vier Wänden sicher zu sein .

Wenn es hier der Politik nicht gelingt, den Menschen
mehr Sicherheit zu geben, dann ist das Vertrauen in unse-
ren Staat und vor allen Dingen in den Rechtsstaat massiv
gefährdet . Deshalb müssen wir gegen Einbrecher noch
besser vorgehen . Dies müssen wir in dreierlei Hinsicht
tun . Erstens . Wir müssen die Prävention verbessern .
Zweitens . Wir brauchen eine höhere Aufklärungsquote
bei den begangenen Taten . Drittens . Wir brauchen eine
härtere Bestrafung der überführten Täter .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das größte Plus an Sicherheit schaffen wir dann, wenn
es den potenziellen Tätern erst gar nicht gelingt, in eine
Wohnung einzubrechen . Deshalb ist Prävention so wich-
tig . Wir wollen, dass Wohnungen so gesichert sind, dass
man eben nicht mit ein paar einfachen Kniffen Türen
oder Fenster aushebeln kann . Ein solcher Einbruchschutz
zahlt sich aus . Mehr als 40 Prozent der Einbrüche schei-
tern an einer guten Sicherung von Türen und Fenstern
oder durch Alarmanlagen . Aber einen guten Einbruch-
schutz kann sich nicht jeder leisten . Damit die Sicherheit
nicht an fehlendem Geld scheitert, stellt die Kreditanstalt
für Wiederaufbau Zuschüsse zur Finanzierung bereit,
und zwar sowohl für Eigentümer als auch für Mieter . Die
Mittel dafür haben wir in den vergangenen Jahren mit bis
zu 1 500 Euro pro Wohnung deutlich erhöht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb richte ich in dem Zusammenhang an alle Ver-
mieter und alle privaten Eigentümer, vor allen Dingen
aber auch an die großen Wohnungsbaugesellschaften die
Bitte: Sparen Sie nicht an der Sicherheit auf Kosten Ihrer
Mieter . Nutzen Sie die staatliche Förderung . Investieren
Sie, und schützen Sie Ihr Eigentum, vor allen Dingen
aber Ihre Mieterinnen und Mieter noch besser vor Ein-
brechern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr lag
das Risiko, nach einem Einbruch bestraft zu werden,
bei nur knapp 17 Prozent . Anders ausgedrückt: Mehr als
80 Prozent aller Einbrecher werden nie gefasst, laufen
frei herum und können weiter ihr Unwesen treiben .

Es ist eine Binsenweisheit der Kriminologie, dass bei
der Entscheidung für eine Straftat das Entdeckungsrisi-
ko eine maßgebliche Rolle spielt . Deshalb ist klar: Wer
in der Zukunft Wohnungseinbrüche verhindern will, der
muss auch die Aufklärungsquote bei Einbrüchen massiv
erhöhen . Das ist eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden .
Dafür brauchen sie eine entsprechende Anzahl von Er-
mittlern, also genügend Personal, aber auch die richtigen
Instrumente . Deshalb ist es gut, dass viele Bundesländer
bereits reagiert haben . Es bleibt dabei: Um aufzuklären
und auch um vorzubeugen, braucht die Polizei bzw . brau-
chen die Sicherheitsbehörden eine angemessene Ausstat-
tung an Personal und Organisation .


(Beifall bei der SPD)


Die Polizei braucht aber auch die notwendigen Ermitt-
lungsinstrumente, um Taten und Täterstrukturen aufzu-
decken . Dazu gehört auch ein besserer Einblick in die
Telekommunikation der Täter . Die Polizei soll in Zukunft
abfragen dürfen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt in
einer Funkzelle des Mobilfunknetzes eingeloggt war . Mit
solchen Instrumenten kann die Polizei den Täterkreis
deutlich eingrenzen . Wenn es bereits einen Tatverdäch-
tigen gibt, dann soll sie zukünftig, um den Verdacht zu
überprüfen, auch in Erfahrung bringen dürfen, ob er zum
Zeitpunkt des Einbruchs am Tatort war . Auch die Abfra-
ge von Standortdaten soll künftig möglich werden . Bei-
des sind ganz wichtige Maßnahmen, die unserer Polizei
helfen werden, in Zukunft mehr Einbrüche aufzuklären .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf,
den wir heute vorlegen, wollen wir auch den Strafrah-
men anheben . Das Thema Strafverschärfung wird durch-
aus diskutiert . Die einen meinen, dass den Verbrechern
schon der Garaus gemacht werde, wenn nur das Straf-
recht immer weiter verschärft wird . Auf der anderen
Seite steht die Überzeugung, dass scharfe Strafen eines
Rechtsstaates keine Wirkung entfalten . Ich meine, beides
ist in dieser Pauschalität falsch . Nötig ist, genau hinzu-
schauen, um welche Taten es geht, und vor allen Dingen,
wer die Täter sind .

Bei den Taten, die typischerweise im Affekt gesche-
hen, bei denen die Täter von starken Gefühlen und Über-
zeugungen oder von einer Sucht getrieben werden, ver-
fehlen hohe Strafen ihre abschreckende Wirkung . Die
Täter handeln so kopflos, dass sie an die Konsequenzen
ihrer Tat überhaupt nicht denken . Wo Taten aber gut ge-
plant werden, da geht es schon um eine rationale Rech-
nung. In diese fließt dann auf der einen Seite der Profit
aus einer Straftat ein, auf der anderen Seite aber auch das
Entdeckungsrisiko und die Höhe der Strafe .

Beim Wohnungseinbruch zeigt die Kriminalitätsstatis-
tik: Nur 10 Prozent der Täter sind Konsumenten harter
Drogen . Bei 90 Prozent dagegen haben wir es aber eben
offenkundig nicht mit sogenannter Beschaffungskrimina-

lität zu tun, sondern dort stecken, wie die Erkenntnisse
der Polizei zeigen, straff organisierte kriminelle Netz-
werke hinter den Taten . Ich denke, gegenüber diesen Tä-
tern sollte der Rechtsstaat sehr deutlich machen: Wer in
eine Privatwohnung einbricht, der begeht ein Verbrechen
und den erwartet in Zukunft eine Freiheitsstrafe von min-
destens einem Jahr .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir brauchen also insge-
samt einen klugen Mix aus mehr Prävention, höherer
Aufklärung und auch härteren Strafen . Nur so können
wir mehr Sicherheit schaffen und die Menschen in ihren
eigenen vier Wänden noch besser schützen . Das ist das
Ziel dieses Gesetzes . Wir sind fest davon überzeugt, dass
wir die Ziele mit diesem Gesetz auch erreichen werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823500100

Frank Tempel ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823500200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Wir stehen vor einer wichtigen Bundestags-
wahl . Die Linke setzt jetzt besonders auf soziale Fragen
und die Friedenspolitik, die Grünen haben das Image, für
Umweltfragen zu streiten, die Union setzt im Wahlkampf
traditionell auf die Sicherheitspolitik,


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nicht nur im Wahlkampf!)


und die SPD steht für ein kräftiges sozialdemokrati-
sches Sowohl-als-auch, also von allem ein bisschen, aber
nichts so richtig .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Johannes Fechner [SPD]: So ein Quatsch! – Ulli Nissen [SPD]: Wir wollen was für die Menschen tun!)


Wenn wir also heute im Bundestag über härtere Stra-
fen für Einbrecher sprechen, dann ist das ein ganz klares
Signal, dass die Bundesregierung noch einmal mit einer
Law-and-Order-Ideologie beim Wähler punkten möchte .


(Ulli Nissen [SPD]: Ist bei Ihnen schon mal eingebrochen worden? Das würde ich gern mal wissen!)


Doch es stellt sich die Frage, ob immer schärfere Geset-
ze wirklich für eine kompetente Innenpolitik stehen . Die
Linke hat erhebliche Zweifel daran .

Sie sind es von mir gewohnt, dass ich bei solchen De-
batten meine langjährige Erfahrung als Kriminalbeamter
einbringe . Das werde ich auch heute tun, versprochen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist in Ordnung!)


Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


Aber auch aus meinem ersten Beruf als Schlosser kann
ich einige Erfahrungen einbringen .


(Heiterkeit)


Ich habe gelernt, dass man eben nicht mit einem Ham-
mer auf ein kaputtes Auto einschlagen und dann erwarten
kann, dass das Auto anschließend wieder läuft . Ich muss
schon genau hinschauen, warum das Auto kaputt ist, und
dann bei dem Grund des Übels mit dem richtigen Werk-
zeug ansetzen .

Bei uns Innenpolitikern geht es nicht um ein kaputtes
Auto, sondern um die innere Sicherheit, um Gefahren und
um Kriminalitätsphänomene . Aber die Innenpolitiker der
Großen Koalition haben einen Hammer, und der nennt
sich Rechtsverschärfungen . Damit schlagen sie auf jedes
Sicherheitsproblem ein, das sich ihnen bietet, oder sie
konstruieren eins . Und jedem, der diesen Hammer nicht
nutzen möchte – das haben wir gerade gehört –, werfen
sie vor, dass er das Problem nicht beheben möchte .

Die Innenpolitik und die Rechtspolitik der Großen
Koalition haben immer das gleiche einfallslose Muster:
hohe Asylbewerberzahlen – Verschärfung der Asylge-
setzgebung; mehr extremistische Gefährder – schärfere
Sicherheitsgesetze; Gaffer auf der Autobahn – Strafver-
schärfung; mehr Wohnungseinbrüche – Strafverschär-
fung .

Aber halt, diese Logik hat ein kleines Problem . Nach
den jüngsten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik
ist die Zahl der Wohnungseinbrüche eben nicht gestie-
gen, sondern gesunken .


(Burkhard Lischka [SPD]: Ja, in einem Jahr!)


Wenn das so ist, warum reden wir dann ausgerechnet
jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, von Strafverschär-
fungen?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Davon reden wir seit zwei Jahren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


– Weil Wahlkampf ist, richtig .

Es gibt übrigens neben der inneren Sicherheit auch
einige andere Themen . In meiner Heimat Ostthüringen
droht im Jahr 2030 jedem zweiten Rentner die Altersar-
mut . Sie möchten nicht, dass darüber gesprochen wird;
Sie wollen, dass das Thema Sicherheit den Wahlkampf
bestimmt, und schüren deshalb Ängste, ähnlich wie es
auch die AfD tut .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Im Osten liegen die Löhne nach wie vor im Durch-
schnitt 24 Prozent unter denen des Westens .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gerade die Rentner müssen wir vor Wohnungseinbrüchen schützen!)


Sie wollen nicht, dass darüber diskutiert wird, Sie wol-
len, dass über Gaffer, Gefährder und Einbrecher gespro-
chen wird .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das finden Ihre Rentner nicht gut, wenn eingebrochen wird!)


Warum die SPD hier im Bundestag immer wieder den
Wahlkampfhelfer der CDU gibt, weiß ich nicht . Das tut
mir auch leid .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das ist doch billig! – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Schwach!)


Helfen wird Ihnen das nicht; denn das Image der Law-
and-Order-Partei ist nun einmal von der CDU/CSU be-
setzt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber gut, wenn das Thema Sicherheit schon besetzt wer-
den soll, dann schauen wir uns einfach einmal an, wie es
beim Thema Einbruchdiebstähle aussieht .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: 150 000!)


Da greife ich jetzt tatsächlich auf meinen Erfahrungs-
schatz als Kriminalbeamter zurück . Wer sind denn ei-
gentlich diese Einbrecher? Es handelt sich überwiegend
um junge Männer . In sehr vielen Fällen werden sie erst
nach mehreren Einbrüchen ermittelt oder erwischt . Je ge-
ringer das Entdeckungsrisiko ist, umso weniger spielt üb-
rigens bei diesen Tätern der mögliche Strafrahmen eine
Rolle . – Herr Maas, da waren Sie einige Male eigentlich
dicht dran . – Gerade bei den Einbruchdiebstählen agie-
ren häufig in Banden organisierte Täter gemeinsam. Sie
spezialisieren sich und sind oft nur mit hohem Ermitt-
lungsaufwand durch die Polizei zu stellen . Einbrecher
können lange unbekannt agieren, weshalb besonders in
diesem Deliktfeld das Strafmaß kaum eine präventive
Rolle spielt .

Die Opfer dieser Einbrecher – auch das ist uns klar –
erleben oft nicht nur einen materiellen Schaden: Die Tä-
ter dringen in ihr intimstes Umfeld ein und hinterlassen
Angst und Unsicherheit .

Was sind nun eigentlich wirklich die Stellschrauben,
mit denen wir – das ist unsere Aufgabe – die Zahl der
Einbrüche reduzieren können? Auf einen Täter kommt in
der Regel eine Vielzahl von Einbrüchen . Es ist für die
Gesamtzahl der Delikte ein wesentlicher Faktor, ob ein
Täter 5, 10 oder 20 Einbrüche verübt, bevor er erwischt
oder ermittelt wird . Bei organisierten Banden ist die Zahl
der verübten Einbrüche im Schnitt noch einmal deutlich
höher, weil sie schwerer gefasst werden können . Kein
Einbrecher wird sein Gewerbe einstellen, weil ihm hö-
here Strafen drohen . Er fühlt sich ganz einfach nahezu
sicher .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann ist Einbruch ein Gewerbe?)


Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


– Lesen Sie mehr Krimis . Da steht das öfter so .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich glaube, Sie lesen zu viele Krimis! – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Dreigroschenromane!)


Um die Zahl der Einbrüche zu verringern, können wir
die Täter also nicht mit Straferhöhungen abschrecken,
sondern wir müssen sie erwischen bzw . mit anderen Mit-
teln abschrecken .


(Beifall bei der LINKEN)


Man spricht übrigens – das sage ich in Richtung der Kol-
legen von der CSU – auch von gewerbsmäßigem Dieb-
stahl . Wenn Sie ein bisschen mehr Fachliteratur lesen,
dann können Sie die Krimis weglassen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich fange einmal mit den Stellschrauben an .

Die Ermittlungsarbeit ist langwierig und mit einem
hohen Aufwand verbunden . Ausreichend erfahrene Er-
mittler können die Handschrift eines Täters lesen, Spuren
auswerten, zu einem Gesamtbild zusammenfügen und so
Tatverdächtige überführen .

Der Personalabbau bei der Polizei hat aber genau hier
seine negativen Spuren hinterlassen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Es fehlt in vielen Dienststellen an ausreichend Ermitt-
lern . Zu wenige Beamte müssen zu viele Delikte bear-
beiten . Das ist eines der Hauptprobleme, und das muss
korrigiert werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sehr hilfreich ist es übrigens zudem, wenn es bereits
Tatverdächtige gibt, und es gibt Möglichkeiten, die Vo-
raussetzungen dafür zu verbessern . Die schlaueste Frage
von den Sicherheitsexperten der Union im Innenaus-
schuss war, warum die meisten Einbrüche in der späten
Nacht bzw. am sehr frühen Morgen stattfinden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil es dann nicht so hell ist!)


– Ja: Einbrecher wollen keine Zeugen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Die Polizei setzt deswegen auf sogenannte Präven-
tivstreifen . Das Ergebnis dieses taktischen Mittels ist,
a) Täter auf frischer Tat zu ertappen – das ist übrigens die
beste Art, Einbruchdiebstähle zu bekämpfen –, b) ver-
dächtige Personen, die sich im Umfeld potenzieller Tat-
orte aufhalten und vielleicht Einbruchswerkzeuge oder
Beutegut mit sich führen, durch Kontrollen zu identi-
fizieren und – nicht zu vergessen – c) eine hohe Poli-
zeipräsenz zur Nachtzeit in Gegenden, die für Einbrecher
interessant sind, zu gewährleisten . Letzteres erhöht das
Entdeckungsrisiko – der Justizminister hat auf diesen
Faktor hingewiesen –, was den Täter tatsächlich von ei-
ner Tat abschrecken kann .

Doch da sind wir leider schon wieder beim Thema
Stellenabbau . Ich habe in den letzten Monaten viele Po-
lizeidienststellen von Saarbrücken über Gera bis Cottbus
besucht, und die einstimmige Aussage war: Aufgrund des
Personalabbaus sind diese Präventivstreifen wenig oder
gar nicht mehr möglich . Vielerorts fahren verbliebene
Streifenwagenbesatzungen nur noch von konkretem Auf-
trag zu konkretem Auftrag . So verringert sich jedoch die
Chance, verdächtige Personen oder Täter auf frischer Tat
festzustellen . Das geringere Entdeckungsrisiko hat dann
eine vielfache Wirkung:

Erstens . Die Bevölkerung registriert die mangelnde
Polizeidichte in der Fläche . Das Gefühl der Unsicherheit
wird noch einmal erhöht, woraus die Bundesregierung
mit diesem Antrag Kapital schlagen möchte .

Zweitens . Die geringere Entdeckungsgefahr senkt zu-
dem die Hemmschwelle der Täter . Sie schlagen dreister
und öfter zu .

Drittens . Ohne durch die Streifentätigkeit der Schutz-
polizei festgestellte Tatverdächtige wird die Arbeit der
Ermittler noch einmal schwieriger und langwieriger .
Täter können mehr Einbrüche verüben, ehe sie gestellt
werden .

Um es abzukürzen – meine Redezeit ist gleich um –:
Auch ein besseres technisches Know-how bei der Spu-
rensicherung kann zur schnelleren Ermittlung der Täter
führen . Selbstverständlich gibt es auch soziale Kompo-
nenten beim Thema Einbruch .


(Beifall des Abg . Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Justizminister hat richtigerweise gesagt: Häufig wird
vorschnell Beschaffungs- oder Flüchtlingskriminalität
zur Erläuterung von Einbruchszahlen herangezogen . Ver-
gessen wird aber, dass das Armutsrisiko im eigenen Land
ebenfalls ein Faktor bei der Zahl der Eigentumsdelikte
ist .

Wir sehen also: Es gibt konkrete Stellschrauben zur
Verringerung der Eigentumsdelikte . Man darf sie eben
nur nicht in die falsche Richtung drehen . Den großen
Hammer der Rechtsverschärfung brauchen wir nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir dürfen nur nicht durch Einsparungen an der falschen
Stelle, also beim Personal, der Polizei die Handlungs-
spielräume nehmen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823500300

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Ullrich für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1823500400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht von

Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


151 000 Fällen von Wohnungseinbrüchen allein im
Jahr 2016 . Auch wenn diese Zahl im Vergleich zum
Jahr 2015 leicht rückläufig ist, so wird in Deutschland
dennoch alle dreieinhalb Minuten in eine Privatwohnung
eingebrochen . Das ist ein Zustand, den wir weder akzep-
tieren noch billigen dürfen . Wir müssen und wollen die
Menschen in ihren eigenen vier Wänden schützen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Wir stehen an der Seite der Menschen, Herr Kollege
Tempel, die sich um ihre Sicherheit in den eigenen vier
Wänden sorgen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Mit einem großen Hammer, ja!)


Dabei geht es nicht allein um materielle Schäden .
Wohnungseinbrüche treffen Menschen tief in ihrem eige-
nen Sicherheitsgefühl . Sie berühren die Menschen dort,
wo sie am verletzlichsten sind: in ihren eigenen vier Wän-
den, in ihrem ganz privaten Rückzugsraum . Sie müssen
sich einmal mit Opfern von Wohnungseinbruchdiebstahl
unterhalten, die noch lange nach der Tat ein beklemmen-
des Gefühl haben und sich nicht trauen, sich schlafen zu
legen, weil sie Angst haben, jemand könnte neben ihrem
Bett stehen . Sie müssen sich einmal mit Menschen unter-
halten, deren intimste Gegenstände durchsucht wurden,
die Scham empfinden


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber man darf ihnen trotzdem keine falschen Versprechungen machen!)


und am Ende sogar aus ihrer Wohnung ausziehen müssen,
weil sie es aus psychologischen Gründen nicht schaffen,
in dieser Wohnung zu bleiben . Wir stehen an der Seite
dieser Opfer und wollen die Freiheit der Menschen, die
in ihrer eigenen Wohnung Opfer von Diebstahl und Raub
geworden sind, wiederherstellen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber mit den falschen Mitteln!)


Wer einen Wohnungseinbruch begeht, raubt den Men-
schen die Freiheit auf ungestörte Privatsphäre . Meine
Damen und Herren, wegen der erschütternden und nach-
haltigen Wirkung auf die Opfer und das Sicherheitsge-
fühl der Bevölkerung ist aus Gründen des Opferschutzes
eine Reform des Strafrechts geboten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der derzeitige Strafrahmen des Einbruchdiebstahls
geht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, bei minder-
schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren .
Aber dieser Strafrahmen spiegelt nicht das Unrecht wi-
der, welches durch den Einbruch in eine Privatwohnung
begangen wird .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Strafrahmen wird doch fast nie ausgeschöpft!)


Deswegen wollen und werden wir das ändern . Wir stel-
len die dauerhaft genutzte Privatwohnung unter einen
besonderen strafrechtlichen Schutz . Durch den neuen
§ 244 Absatz 4 StGB wird der Einbruchdiebstahl in einer

Privatwohnung ein Verbrechenstatbestand, und es wird
auch keinen minderschweren Fall mehr geben . Ich kann
mir bei Wohnungseinbruchdiebstahl auch keine minder-
schweren Fälle vorstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie entmündigen die Richter!)


Wichtig ist ebenfalls, dass der Wohnungseinbruch-
diebstahl auch in den Katalog der Verkehrsdatenabfrage
aufgenommen wird . Es war und ist niemandem so recht
zu erklären, weshalb die Polizei nach einem Wohnungs-
einbruch Fingerabdrücke nehmen, aber bislang nicht bei
den Telekommunikationsanbietern abfragen darf, wer in
die Funkzelle eingeloggt war . Es darf auch keinen Un-
terschied machen, ob eine Bande am Werk war – nur in
diesem Fall sind Telekommunikationsüberwachungs-
maßnahmen bislang möglich – oder ob der Täter ein Ein-
zelner war .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Banden trifft das überhaupt nicht zu! Da gibt es schon ein Gesetz!)


Es geht um die Wirkung auf das Opfer . Selbst wenn ein
einzelner Einbrecher unterwegs ist, muss es möglich
sein, auf Funkzellen zurückzugreifen, weil nämlich auch
ein einzelner Einbrecher eine nachhaltige und traumati-
sche Wirkung beim Opfer hervorrufen kann . Deswegen
gebietet der Opferschutz, dass das Instrument der Ver-
kehrsdatenabfrage zum Tragen kommt .

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang
ist mir eine Bemerkung wichtig . Nicht nur in Anbetracht
der Wohnungseinbrüche, sondern auch vor dem Hinter-
grund von vielerlei Bedrohungen unserer Freiheit und
Sicherheit durch Kriminelle und Terroristen will ich fest-
halten: Es war richtig und geboten, dass wir die Speiche-
rung von Verbindungsdaten beschlossen haben und sie
dieses Jahr in Kraft treten wird .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war für Terroristen und Mörder, aber nicht für Einbrecher!)


Natürlich brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen .
Die Prävention ist ebenso wichtig wie eine stärkere straf-
rechtliche Verfolgung . Es ist deswegen richtig, dass die
KfW Zuschüsse zur Sicherung gegen Wohnungs- und
Hauseinbrüche ausreicht .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das haben wir durchgesetzt!)


Viele Wohnungseinbrüche bleiben nämlich im Versuchs-
stadium stecken . Eigenvorsorge und Wachsamkeit sind
ebenso notwendig wie der staatliche Schutz .

Allein im Jahr 2016 sind über 40 000 Förderzuschüsse
ausgereicht worden . Wenn 2016 bereits 44 Prozent der
Einbrüche im Versuchsstadium stecken geblieben sind

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


und es 2014 erst 40 Prozent waren, dann hängt das viel-
leicht mit der notwendigen Eigenvorsorge zusammen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Deswegen werden wir dieses Programm weiterführen
und fortschreiben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon steht nichts im Gesetzentwurf!)


Meine Damen und Herren, meine große Sorge gilt
auch der unterschiedlichen Betroffenheit durch Ein-
bruchdiebstahl in den einzelnen Ländern . Das Risiko,
Opfer eines Einbruchsdelikts zu werden, ist abhängig
davon, in welchem Bundesland man seine Wohnung hat .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch!)


In Bayern waren es im letzten Jahr 58 Fälle pro
100 000 Einwohner . In Nordrhein-Westfalen waren es
294 Fälle . In Schleswig-Holstein waren es 269 Fälle .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Der Wahlkampf ist doch vorbei! – Gegenruf des Abg . Dr . JanMarco Luczak [CDU/CSU]: Was wahr ist, muss auch wahr bleiben! – Gegenruf des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun!)


Das zeigt ganz klar: Dort, wo die Union den Innenminis-
ter stellt und Verantwortung für die innere Sicherheit hat,


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Zwölf Jahre wurden im Bund immer Stellen gekürzt!)


leben die Menschen sicherer und ist die Zahl der Woh-
nungseinbrüche geringer .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: So ein Quatsch! – Dr . Eva Högl [SPD]: Das haben wir in Berlin nicht feststellen können!)


Wir wollen, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche
überall in Deutschland zurückgeht . Das darf nicht nur eine
Absichtserklärung sein, sondern das muss ein verbindli-
ches Ziel der Innenpolitik werden . Die Zahl der Woh-
nungseinbrüche in Deutschland ist nach wie vor zu hoch .
Die Aufklärungsquote ist zu gering . Wir wollen und wer-
den mit diesem Gesamtpaket von Maßnahmen – mit der
notwendigen Strafrechtsverschärfung, mit der Ausweitung
der Ermittlungsbefugnisse und mit der Fortschreibung des
Präventionsprogramms – dem Einbruch weiterhin den
Kampf ansagen . Dann, meine Damen und Herren, haben
auch die Länder die Pflicht, durch ausreichende Personal-
bemessung bei der Polizei dafür zu sorgen, dass Fälle auf-
gedeckt und zur Anklage gebracht werden .

Wenn wir diesen Gesamtkanon von Maßnahmen
durchführen, dann werden wir die Einbruchskriminalität
in diesem Land weiter zurückführen und zugunsten der
Menschen die Sicherheit in diesem Land stärken . Einbrü-
che konsequenter zu bekämpfen, das ist unser Ziel .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823500500

Hans-Christian Ströbele erhält nun das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt es! Jetzt kommt der Beitrag eines Profis! – Gegenruf der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das erwarten Sie zu Recht!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke . – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Einbruchdiebstahl ist in der Tat eine Geißel .
Es ist nicht nur in allen Fällen extrem ärgerlich, sondern
endet für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sehr
häufig in einer Katastrophe, auch in einer familiären Ka-
tastrophe. Da gebe ich Ihnen recht: Viele finden in ihrer
eigenen Wohnung ihre Ruhe nicht mehr .


(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Genau!)


Wir müssen wieder Zustände erreichen, dass man zu
Recht den englischen Satz sagen kann: My home is my
castle . Da bin ich sicher .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


So gehört sich das .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da werden Sie noch klug auf Ihre alten Tage!)


Wer anzweifelt, dass die Grünen hinter einer solchen Po-
litik stehen, der handelt infam und leugnet die Tatsachen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt hören wir mal!)


Es ist uns natürlich ein großes Anliegen, da etwas zu än-
dern . Die Frage ist nur: Wie?

Herr Maas, Sie haben damit geendet, dass Sie gesagt
haben, Sie müssten den kriminellen Netzwerken das
Handwerk legen .


(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Genau!)


In dieser allgemeinen Form kann ich das voll unter-
schreiben . Nur – das hat auch Herr Ullrich durcheinan-
dergebracht –:


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was? – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das kann ich mir gar nicht vorstellen!)


Dafür brauchen wir kein neues Gesetz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bandendiebstahl ist bereits heute mit einer Mindestfrei-
heitsstrafe von einem Jahr als Verbrechen strafbar – nach
§ 244 bzw . § 244a StGB .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Aber eben nur der Bandendiebstahl! Und wenn es einer allein macht? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und wenn die allein losziehen?)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


– Werfen Sie einen Blick ins Gesetz! Da steht das . – Das
heißt, dafür braucht man das überhaupt nicht .

Es geht nicht um Bandenkriminalität, sondern darum,
dass Einzelpersonen das machen oder Personen das je-
denfalls nicht als Bande oder als Netzwerk organisiert
machen . Da – das kann ich Ihnen nur sagen; das ist auch
von Herrn Maas erwähnt worden – ist das Erste und das
Wichtigste, möglichst viele Einbrüche zu verhindern, zu
vermeiden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das kann man am besten dadurch, dass die Wohnungen
gesichert werden, bestmöglich gesichert werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das machen wir auch!)


Da kann nicht nur der Einzelne etwas tun, sondern der
Staat kann mit Gesetzen und mit Geld helfen . Beides ist
nicht genügend vorhanden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das ist falsch!)


Hier sollten Sie etwas tun und nicht Symbolpolitik ma-
chen und versuchen, mit erhöhten Mindeststrafen dage-
gen vorzugehen .

Ich sage Ihnen: In Berlin und auch in anderen Bundes-
ländern gab es Kampagnen der Kriminalpolizei, mit de-
nen sie die Bürgerinnen und Bürger darüber aufklärten,
was man noch alles tun kann . Ich habe aus schlimmer
Erfahrung in meiner eigenen Wohnung auch zusätzlich
etwas für Sicherheit getan . Man kann ein Stangenschloss
anbringen, man kann die Fenster sichern .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder einen Hund kaufen!)


Man kann, wenn man parterre wohnt, dickere Scheiben
einsetzen . Aber das alles kostet Geld . Geringverdiener
können sich das nicht leisten . Das heißt, der Staat muss
helfen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Macht er ja!)


Er muss Geld zur Verfügung stellen . Wenn Sie sagen:
„KfW“, dann fragen Sie einmal: Wie viel Geld steht jetzt
noch zur Verfügung?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird aufgestockt!)


Da sage ich Ihnen: Die Mittel sind ausgeschöpft . Hier
muss Geld zugelegt werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir!)


Die Bürgerinnen und Bürger müssen darüber informiert
werden, wo sie Geld bekommen können . Die meisten
wissen das gar nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wir haben doch gesagt, dass wir das fortführen!)


Aber Sie können auch gesetzgeberisch etwas machen .
Sie können zum Beispiel die unsinnige Regelung be-

seitigen, dass Mieter, wenn sie dafür sorgen, dass ihre
Wohnungen sicher werden – zum Beispiel, indem sie ein
Stangenschloss anbringen, das insgesamt gut 1 000 Euro
kosten kann, weil die ganzen Vorrichtungen angebracht
werden müssen –, beim Auszug alles wieder zurück-
bauen und den ursprünglichen Zustand wiederherstellen
müssen . Völlig unsinnige Geschichte . Sie können auch
die Vermieter verpflichten – das können Sie in die Bau-
ordnung hineinschreiben –, dass zu einer neuen Woh-
nung auch gehört, dass sie ausreichend gesichert werden
kann . Das muss moderner Standard sein, wenn Wohnun-
gen gebaut werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu machen Sie einmal ein Gesetz . Das können Sie än-
dern, und da können Sie etwas hineinschreiben .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Landesbauordnungen zuständig, aber doch nicht wir!)


– Ja, Landesbauordnungen . Auf Bundesebene können
Sie da auch anfangen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein!)


Sie kommen immer noch mit dem alten Argument,
das in der Bevölkerung verfangen soll, dass bei höheren
Strafen die Einbrecher das auch lassen; denn sie würden
vorher abwägen, wie viel sie beim Einbruch bekommen .
Wenn die Strafe zu hoch ist, dann lassen sie es . – Das
stimmt nicht . Das stimmt schon in der allgemeinen Form
nicht, das stimmt aber gerade bei Wohnungseinbrüchen
nicht . Vor zwei Jahrzehnten haben Sie schon einmal die
Mindeststrafe verdoppelt . Die Mindeststrafe betrug drei
Monate . Sie haben sie auf sechs Monate erhöht . Es war
völlig ohne Wirkung, weil 95 Prozent der Täter, meistens
Männer, aber auch der Täterinnen diese Erwägung, was
ihnen das an Gefängnis einbringen kann, vorher über-
haupt nicht anstellen .

Wenn Ihnen das nicht einleuchtet, dann kommen wir
zu einem zweiten Punkt . Sie können am meisten etwas
gegen Wohnungseinbrüche tun, indem Sie die Aufklä-
rungsquote erhöhen . Das hat Herr Maas auch gesagt .
Aber wie kann man das erreichen? Indem man erstens
die Polizei dazu in die Lage versetzt, mehr vor Ort zu
sein, indem man zweitens den Wohnungsinhabern, Woh-
nungseigentümern oder -mietern, die Möglichkeit gibt,
sehr viel schneller die Polizei zu erreichen, und indem
man drittens die Polizei, die vor Ort Streife fährt, in die
Lage versetzt, am Tatort möglichst schnell Tatspuren zu
sichern . Das ist heutzutage alles nicht gesichert, weil es
viel zu wenig Kriminalbeamte gibt, die Streife fahren
und schnell zum Tatort kommen .


(Beifall des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Das heißt, hier müssen Sie investieren: bei der Polizei,
bei der technischen Ausstattung der Polizei, bei der Stär-
ke und der Präsenz vor Ort . Da können Sie etwas tun; da
können Sie etwas erreichen . Wenn die Aufklärungsquote

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


steigt, dann wird die Zahl der Einbrüche zurückgehen .
Deshalb sagen wir: Ihr Weg ist der falsche .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat so gut angefangen! Und jetzt die falschen Schlussfolgerungen!)


Wir können uns – dazu sind wir gerne bereit – mit
gutem Rat beteiligen, was man machen kann . Zu Ihrem
Argument: „Wir nehmen die Vorratsdatenspeicherung,
weil wir dann besser aufklären können“, sage ich Ihnen,
Herr Maas: Ich habe noch, als Sie in dieser Frage umge-
fallen sind, Ihre Versicherung im Ohr: Wir wollen das
nur einführen für Mord, Totschlag, für schlimme Sexual-
straftaten und Terrorismus . – Jetzt kommen Sie plötzlich
und ganz nebenher damit und führen das auch für den
Einbruchdiebstahl ein . Das kann nicht wahr sein .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist es aber!)


Genauso ist es falsch, eine Strafmilderung bei minder-
schweren Fällen abzuschaffen. Das ist Blödsinn; denn
es gibt tatsächlich Fälle, in denen man minder bestrafen
muss .

Ich sage Ihnen: Sie misstrauen den Strafverfolgungs-
behörden und den Richtern . Sie wollen sie zwingen, Stra-
fen zu verhängen, die gar nicht angemessen sind, die das
Schuldprinzip verletzen, und da machen wir nicht mit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es entscheidet aber auch ein Stück weit der Gesetzgeber, was für eine Strafe angemessen ist! Das nennt sich Gewaltenteilung, Herr Kollege!)


Wir vertrauen den Richtern, dass sie in jedem Einzelfall
zu einem gerechten Urteil kommen, das der Tat angemes-
sen ist .

Insofern sage ich Ihnen: Hören Sie mit diesem Miss-
trauen auf, das sich darin ausdrückt, dass Sie den Richtern
jede Einzelheit vorschreiben wollen . Geben Sie ihnen
einen weiten Entscheidungsrahmen vor . Damit können
Sie die Bürgerinnen und Bürger wirksam schützen, wenn
Sie zugleich all das berücksichtigen, was im Bereich der
Prävention bitter notwendig ist, was im Hinblick auf eine
bessere Ausstattung der Polizei dringend notwendig ist .
Wenn Sie da etwas tun, haben Sie uns an Ihrer Seite –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das eine tun, das andere nicht lassen!)


gemeinsam im Kampf gegen Einbruchsdiebstähle in
Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823500600

Eva Högl hat das Wort für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1823500700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Einen schönen guten Morgen! Ich beginne mit

einer guten Nachricht: Die Zahl der Wohnungseinbrüche
ist im Jahr 2016 um 10 Prozent gesunken . Das ist erst mal
eine richtig gute Nachricht, und wir sagen: Wir machen
genauso weiter .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben 150 000 Einbrüche, wir haben allerdings
auch 40 Millionen Haushalte in Deutschland . Das muss
man in Relation setzen . Ich sage aber auch ganz deutlich,
damit ich nicht missverstanden werde: Jeder einzelne
Einbruch ist einer zu viel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Er beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen
und Bürger, und dem kann man auch nicht immer mit
Verweis auf Statistiken begegnen .

Wir wissen, dass Wohnungseinbruchdiebstahl ein be-
sonders fieses, unangenehmes Delikt ist. Es geht meis-
tens weniger um den Verlust der Wertsachen oder um den
Wert der gestohlenen Dinge, sondern ganz häufig um Er-
innerungen, um Andenken und vor allen Dingen um das
Wissen – und das ist richtig fies –: Jemand war in mei-
ner Wohnung . – Nicht selten geschieht das ja sogar bei
Anwesenheit der Betroffenen, etwa wenn die Einbrüche
nachts erfolgen . Das verursacht nicht nur Unsicherheit
bei denjenigen, bei denen eingebrochen wurde, sondern
auch bei allen in der Nachbarschaft, bei Freunden und
Verwandten – wir kennen das .

Lieber Herr Ströbele, ich habe festgestellt: Wir haben
eine große Gemeinsamkeit bei dem, was wir alles tun
wollen . Wir, die Koalition, haben uns im Koalitionsver-
trag darauf verständigt, den Schutz vor Wohnungseinbrü-
chen zu verbessern, und wir tun das . Ich zähle mal sechs
Maßnahmen auf; denn wir machen nicht nur etwas beim
Strafrecht,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


sondern wir machen noch ganz viel mehr .

Das Erste ist – das ist ganz wichtig – die Aufklärung .
Denn dies ist das große Problem bei Wohnungseinbrü-
chen: Wir haben eine viel zu niedrige Aufklärungsquote
von nur 17 Prozent . Das heißt vor allen Dingen, wir brau-
chen mehr Polizei .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Da sind die Länder gefordert – das wissen wir –; wir sind
aber auch im Gespräch mit unseren Kolleginnen und
Kollegen auf der Landesebene . Die Polizei muss vor Ort
sein


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Fahrrad und zu Fuß!)


und die Straftaten schnellstmöglich aufklären .

Zweitens wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass es ganz häufig keine Einzeltäter sind, keine Beschaf-

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


fungskriminalität ist, sondern international operierende
Banden .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber dann brauchen wir das Gesetz nicht!)


Deswegen haben wir uns dafür engagiert, dass die Koor-
dinierungsstelle im BKA, die für die Verfolgung genau
dieser Straftaten zuständig ist, signifikant besser aufge-
stellt wird und dort mehr Personal angesiedelt wird .


(Beifall bei der SPD)


Die dritte Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen – auch das ist eine Sache der Länder, aber da müssen
wir uns auf Bundesebene engagieren und die Länder un-
terstützen –: Die Justiz muss deutlich besser ausgestattet
werden . Das gilt für die Staatsanwaltschaften und für die
Strafgerichte . Wir wissen mittlerweile, dass die Justiz
ganz häufig ein Nadelöhr ist: Die Polizei ermittelt, und
dann bleiben die Sachen liegen . Deswegen brauchen wir
eine deutlich besser ausgestattete Justiz,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


damit die Straftaten sofort angeklagt und dann auch be-
straft werden können .

Jetzt komme ich zu einem ganz wichtigen Punkt –
Punkt vier –: die Prävention . Das wissen wir alle: Prä-
vention ist das Allerwichtigste, und da müssen wir noch
viel mehr tun . Wenn wir in der Polizeilichen Kriminal-
statistik lesen, dass 40 Prozent der Wohnungseinbrüche
im Versuchsstadium stecken bleiben – in 40 Prozent der
150 000 Fälle handelt es sich um Einbruchsversuche –,
dann wissen wir, dass wir mehr für Prävention machen
müssen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir bei der Polizei unterwegs sind und uns vor Ort
unterhalten, dann sagen uns ganz viele Polizistinnen und
Polizisten: Wir haben für Prävention zu wenig Zeit, wir
können da nicht genügend in den Kiezen unterwegs sein .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Veranstaltungen machen! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/ CSU]: Um eure Demos zu schützen, brauchen wir die Polizei!)


Der fünfte Punkt ist – Herr Ströbele, da sind wir einer
Meinung – das Thema Eigensicherung . Wir als Koaliti-
on haben 50 Millionen Euro für das KfW-Programm zur
Verfügung gestellt, wir haben die Schwellen gesenkt, und
wir haben die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt,
dass sie sich besser selber sichern können, und zwar Mie-
terinnen und Mieter genauso wie Eigentümerinnen und
Eigentümer .


(Beifall bei der SPD)


Was wir nicht geschafft haben, was wir aber angehen
müssen, Herr Ströbele, ist genau das, was Sie erwähnt
haben: die Landesbauordnung .


(Beifall des Abg . Volker Kauder [CDU/ CSU])


Ja, das war auch unser Bestreben: Wir wollen die Lan-
desbauordnung so überarbeiten, dass die entsprechen-
den Maßnahmen schon im Vorhinein, nämlich wenn die
Gebäude gebaut werden, als Vorschrift für Sicherheit in
die Bauordnung eingefügt werden . Wir nehmen uns für
die nächste Legislaturperiode vor, mit unseren Kollegen
noch einmal darüber zu sprechen .


(Beifall bei der SPD)


Der sechste und letzte Punkt, über den wir heute dis-
kutieren, betrifft das Strafrecht. Ja, liebe Kolleginnen und
Kollegen, das gehört auch dazu . Es geht hier nicht um
Symbolik, sondern wir sagen ganz deutlich: Wohnungs-
einbruchdiebstahl muss hart bestraft werden . Deswegen
legen wir heute den Gesetzentwurf vor . Wir wollen den
Tatbestand, wenn in eine dauerhaft genutzte Wohnung
eingebrochen wird, zum Verbrechen hochstufen und die
Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei verbessern .

Es ist ein gutes Paket, das die Koalition vorgelegt hat .
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir hier im Bundestag
eine möglichst breite Unterstützung haben und im nächs-
ten Jahr sagen können: Die Zahl der Wohnungseinbrüche
ist noch einmal um 10 Prozent gesunken .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823500800

Das Wort erhält nun der Kollege Jan-Marco Luczak

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1823500900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe neun Minuten Redezeit .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh Gott! Neun Minuten!)


In diesen neun Minuten wird irgendwo in unserem Land
dreimal eingebrochen . Wir debattieren hier 60 Minuten
lang über das Thema Wohnungseinbruchdiebstahl . In
diesen 60 Minuten, in dieser einen einzigen Stunde, wird
fast 20-mal irgendwo in Deutschland in eine Privatwoh-
nung eingebrochen . Alle dreieinhalb Minuten passiert in
Deutschland ein Einbruch . Wir haben es gehört: 2016
gab es in Deutschland 150 000 Einbrüche .

Der Wohnungseinbruchdiebstahl ist ein Massenphä-
nomen . An vielen Orten geht es überhaupt nicht mehr
darum, ob eingebrochen wird, sondern es ist nur noch
die Frage, wann eingebrochen wird . Wir als Union sagen:
Das ist nicht akzeptabel, da müssen wir ran . Wir müssen
dafür sorgen, dass sich die Menschen in ihren eigenen
vier Wänden, in ihrem Zuhause, in das sie sich zurück-

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


ziehen wollen, sicher fühlen . Der Staat und damit wir als
Gesetzgeber sind in der Pflicht, das zu gewährleisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ja, es besteht großer Handlungsbedarf . Dabei geht es
uns gar nicht so sehr um die materiellen Schäden, obwohl
die materiellen Schäden sehr hoch sind; damit wir uns
nicht missverstehen . Jahr für Jahr werden durch Einbrü-
che Schäden in Höhe von 400 Millionen Euro verursacht .
Das ist schlimm genug . Für manche Opfer ist es sogar
existenzbedrohend, gerade wenn sie zum Beispiel nicht
versichert sind .

Aber viel schlimmer als die materiellen Schäden ist,
dass die Opfer durch den Einbruch oftmals traumatisiert
werden. Es ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre, ein
tiefer Eingriff in die Intimsphäre. Man muss sich das
vorstellen: Da werden Schränke durchsucht, etwa die
Unterwäsche wird durchwühlt, und persönliche Gegen-
stände werden zerstört . Manche Opfer müssen sogar ihre
Wohnung wechseln, weil sie sagen: Hier fühle ich mich
einfach nicht mehr zu Hause . Ich fühle mich hier nicht
mehr sicher . Ich traue mich nicht mehr, abends schlafen
zu gehen . – Diese gravierenden psychologischen Folgen
des Eindringens in die Privat- und Intimsphäre sind nicht
etwas Abstraktes, sondern etwas ganz Konkretes . Lassen
Sie mich das an einem Beispiel festmachen .

Bei meinem Nachbarn ist schon fünfmal eingebrochen
worden . Fünfmal! Jetzt kann man sich vorstellen, wie er
sich fühlt, vor allen Dingen, wie seine Frau sich fühlt . Er
überlegt ernsthaft, ob er sein Haus verkauft und irgendwo
anders hinzieht . Er hat schon alles aufgerüstet, was nur
möglich ist: eine Alarmanlage usw . Trotzdem wird im-
mer wieder eingebrochen . Er hat Angst . Wir alle kennen
das aus unserem Bekannten- und Freundeskreis .

Wir als Union sagen: Wir müssen Einbrüche verhin-
dern. Ich finde es zynisch, wenn hier gesagt wird: Na ja,
wir haben doch jetzt 10 Prozent weniger Einbrüche . –
Jeder Einbruch ist einer zu viel . Hinter jeder Zahl steht
doch ein Mensch, steht ein Schicksal . Deswegen müssen
wir die Zahlen deutlich senken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um das zu erreichen, brauchen wir in der Tat einen
Dreiklang: Wir brauchen eine bessere personelle und
materielle Ausstattung von Polizei und Justiz, um Ein-
brecher effektiver verfolgen zu können. Natürlich brau-
chen wir auch Abschreckung durch härtere Strafen . Wir
müssen den Strafermittlungsbehörden mehr Befugnisse
geben . Schließlich müssen wir mehr für Prävention tun,
um Einbrüche zu verhindern .

Gerade der letzte Punkt – das ist angesprochen wor-
den – hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung
gewonnen . Der Anteil der vollendeten Einbruchsfälle ist
glücklicherweise gesunken . Fast die Hälfte aller Einbrü-
che bleibt mittlerweile im Versuchsstadium stecken . Da
greifen die mechanischen Sicherungen, da sind die Türen
und die Fenster gesichert . Die Einbrecher, die natürlich
Angst haben, entdeckt zu werden, wenn es zu lange dau-
ert, kommen dann nicht rein .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823501000

Herr Kollege Luczak, darf der Kollege Ströbele eine

Zwischenfrage stellen?


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1823501100

Selbstverständlich . Sehr gerne .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will mich mit Ihnen zusammentun . Ich will gar
nichts Böses – diesmal .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Diesmal“! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Ausnahmsweise!)


Herr Kollege, wir alle sind für Prävention . Das ers-
te Problem ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht
wissen, was man damit erreichen kann . Sie haben zu
Recht auf die 40 Prozent der Fälle hingewiesen, die im
Versuchsstadium stecken blieben . Das zweite Problem
ist, dass viele häufig das Geld dafür nicht haben, weil
Prävention viel Geld kostet .

Wir alle haben in den nächsten Monaten viele Wahl-
veranstaltungen . Können wir uns vielleicht darauf ver-
ständigen, dass wir auf jeder unserer Wahlveranstal-
tungen fünf Minuten lang die Bürgerinnen und Bürger
informieren? Anstatt sie in Angst und Schrecken zu ver-
setzen, indem wir ihnen sagen: „Alle Einbrecher kom-
men jetzt mindestens ein Jahr ins Gefängnis“, was ja
nicht stimmt, könnten wir stattdessen sagen: Liebe Bür-
gerinnen und Bürger, ihr könnt die und die Maßnahmen
treffen, und wenn ihr das nicht alleine bezahlen könnt,
weil ihr vielleicht Geringverdiener seid, dann könnt ihr
euch an die und die Stelle, die und die Telefonnummer
wenden, um Geld dafür zu bekommen . – Machen wir das
doch einmal gemeinsam .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür verteilen wir sogar Flugblätter!)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1823501200

Lieber Kollege Ströbele, ich weiß nicht, wie Sie Ihre

Wahlkreisarbeit machen . Ich jedenfalls habe genau das
im Rahmen meiner Wahlkreisarbeit schon gemacht . Ich
habe gemeinsam mit dem Landeskriminalamt, mit der
örtlichen Polizeidirektion und mit dem Grundeigentü-
merverband zusammen zu einer Veranstaltung einge-
laden, in der ich auf die Möglichkeiten zum Einbruch-
schutz hingewiesen habe . Diese Veranstaltung war sehr
gut besucht und ist sehr gut angekommen .

Ich will ein Weiteres sagen: Natürlich wollen die Leu-
te wissen, wo sie etwas machen können . Wir als Staat
machen ja eine ganze Menge . Wir haben das staatliche
Zuschussprogramm, die Förderung über die KfW, erheb-
lich aufgestockt und die Schwelle für Zuschüsse gesenkt .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist kein Geld mehr da! – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Jan-Marco Luczak NEN]: Das läuft jetzt aus! Die Zuschüsse sind im September alle! Das ist Teil des Problems!)





(A) (C)


(B) (D)


Wir haben also wirklich sehr viel gemacht .

Die Leute wollen aber wissen: Was macht der Staat
darüber hinaus? Die wollen doch auch wissen, dass die
Einbrecher hinter Schloss und Riegel gebracht werden .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja nicht!)


Deswegen müssen wir beides tun: Prävention einerseits;
andererseits müssen wir uns aber auch den Strafrahmen
anschauen . Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass wir genau
das tun, lieber Herr Kollege .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Zuschussprogramm, das ich genannt habe, wirkt .
Das ist vernünftig, und das müssen wir auch fortführen .
Ich will aber auch sagen: Wir dürfen uns als Staat selbst-
verständlich nicht aus der Verantwortung stehlen . Es
kann nicht angehen, dass wir nur sagen: Liebe Bürger,
nehmt mal Geld in die Hand, wir bezuschussen das zwar,
aber letztlich müsst ihr eure Wohnung selbst sichern . Da-
für seid ihr verantwortlich . – Das geht nicht .

Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir auch die ande-
ren beiden Punkte aus dem Dreiklang angehen . Wir müs-
sen zum einen die personelle und materielle Ausstattung
von Polizei und Justiz – da ist vieles Ländersache – ver-
bessern . Da haben wir als Bund eine ganze Menge ge-
macht . Wir haben unsere Sicherheitsbehörden personell
viel besser ausgestattet . Wir haben einen enormen Auf-
wuchs an Stellen, auch um die organisierte Kriminalität
bekämpfen zu können .

Zum anderen müssen wir uns aber auch – jetzt kom-
men wir zu dem Gesetzentwurf – den strafrechtlichen
Regelungsrahmen angucken . Wir müssen die Täter ab-
schrecken und die Ermittlungsbefugnisse ausbauen . Wir
als Union wollen – das haben wir hier schon gehört – den
Wohnungseinbruch, der momentan ein bloßes Vergehen
mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten ist und bei
dem es auch einen minderschweren Fall gibt, angesichts
der gravierenden Folgen, die ein Wohnungseinbruch für
die Opfer hat, als das bestrafen, was es wirklich ist, näm-
lich als Verbrechen; denn eine Bestrafung als Vergehen
ist dem Unrechtsgehalt dieser Taten nicht angemessen .
Deswegen erhöhen wir den Strafrahmen auf eine Frei-
heitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren . Es wird
keinen minderschweren Fall mehr geben .

Das machen wir auch, weil wir als Gesetzgeber ein
deutliches Signal an die Strafjustiz aussenden wollen,
Wohnungseinbrüche zukünftig generell härter zu be-
strafen . Lieber Kollege Ströbele, das hat überhaupt gar
nichts mit Misstrauen gegenüber der Strafjustiz zu tun,
überhaupt nichts .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Aber wir sehen uns natürlich die Verurteilungen und den
Strafrahmen an, und wenn wir feststellen, dass die Stra-

fen in der Regel am unteren Ende des Strafmaßes ange-
siedelt sind, dann müssen wir als Gesetzgeber reagieren .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch Misstrauen!)


Das hat etwas mit Gewaltenteilung zu tun . Wir als Ge-
setzgeber sagen, was wir als besonders strafwürdig anse-
hen . Wir in der Union und der Koalition sagen gemein-
sam: Wohnungseinbruchdiebstahl ist ein Verbrechen; das
müssen wir härter bestrafen .


(Zuruf des Abg . Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Ströbele, Sie haben gesagt, das alles würde nicht
helfen, davon würde niemand abgeschreckt . In einer
Strafrechtsvorlesung im ersten Semester habe ich beim
Thema Strafzwecke gehört – das ist schon ein paar Tage
her; ich kann mich aber noch ganz gut daran erinnern –,
dass es auch so etwas wie eine negative Generalpräven-
tion gibt . Dabei geht es um Fragen der Abschreckung .
Auch wenn Sie mir an dieser Stelle nicht folgen wollen,
dann müssen Sie doch wenigstens sehen – Sie sind ein
guter Jurist, Herr Kollege, Sie wissen das doch –, dass
es ganz konkrete weitere Konsequenzen hat, wenn wir
den Wohnungseinbruchdiebstahl zu einem Verbrechen
hochstufen .

Das führt nämlich zum Beispiel dazu, dass schon die
Verabredung zu einem Wohnungseinbruchdiebstahl oder
die versuchte Anstiftung zukünftig strafbar ist . Das ist
vorher nicht der Fall gewesen . Eine solche Hochstufung
hat auch ganz konkrete strafprozessuale Auswirkungen .
Zukünftig wird es nicht mehr möglich sein, ein solches
Strafermittlungsverfahren mit einem Strafbefehl zu be-
enden oder wegen Geringfügigkeit einzustellen, weil es
sich um einen Verbrechenstatbestand handelt . Das sind
ganz konkrete Auswirkungen der Höherstufung zu einem
Verbrechen . Wir sagen: Ja, hier ertüchtigen wir die Straf-
justiz, mehr machen zu können . Deswegen ist es richtig,
dass wir zukünftig Wohnungseinbruchdiebstahl als Ver-
brechen bestrafen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich geht es hier auch um Ermittlungsbefugnisse .
Der beste Fall ist immer noch, dass der Einbruch über-
haupt nicht stattfindet. Deswegen müssen wir uns genau
anschauen, wie die Taten begangen werden . Wir stellen
fest: Natürlich sind es Einzeltäter, gegen die wir hier vor-
gehen müssen, aber es sind auch vielfach Täter aus der
organisierten Kriminalität . Diese werden immer etwas
beschönigend als „mobile Tätergruppen“ bezeichnet,
tatsächlich sind das fahrende Einbrecherbanden, die auf
Diebeszüge gehen und oftmals ganze Straßenzüge aus-
rauben . Die Objekte werden vorher observiert, es wird
geschaut, wann die Bewohner nicht da sind .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Bandenkriminalität!)


Da müssen wir ran . Wir müssen die organisierten Struk-
turen aufdecken .

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir an die gespei-
cherten Telekommunikationsdaten herankommen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Mit diesem Gesetz wollen wir den Katalog in § 100g
StPO anpassen und den Wohnungseinbruchdiebstahl
ausdrücklich in diesen Katalog aufnehmen . Das wird
zukünftig dazu beitragen, die Aufklärungsquote zu er-
höhen . Die Aufklärungsquote liegt momentan bei etwas
über 16 Prozent . Das ist viel zu wenig . Das müssen wir
ändern . Wir müssen das Risiko, entdeckt zu werden, für
die Täter erhöhen . Dann werden sich viele überlegen, ob
sie zukünftig noch einbrechen . Das machen wir genau
mit diesem Gesetz .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zukünftig wird – das Thema ist hier schon angespro-
chen worden – Funkzellenüberwachung möglich sein .
Wir werden zukünftig auch auf die Standortdaten zu-
rückgreifen können .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber nur, wenn der Täter ein Handy hat!)


Hier bekommt die Polizei, hier bekommen die Staatsan-
waltschaften mehr Mittel in der Hand, um die Sicherheit
der Bürger zu gewährleisten . Das ist also völlig richtig .

Ich glaube, dass mit diesem Gesetz insgesamt ein
richtiger Ansatz verfolgt wird . Wir machen etwas beim
Strafrahmen, wir machen etwas für die Abschreckung,
wir verbessern die strafprozessualen Möglichkeiten und
geben Polizei und Justiz das Rüstzeug, Täter tatsächlich
zu überführen .

Was wir im parlamentarischen Verfahren tun müssen,
ist in der Tat, Wertungswidersprüche, die es noch gibt,
aufzulösen . Ich denke zum Beispiel an den Bandendieb-
stahl . Hier wäre bei Einbruchdiebstahl die Einstufung als
minderschwerer Fall möglich. Da klafft in der Tat etwas
auseinander, wenn wir sagen, bei Einzeltätern zählt das
nicht als minderschwerer Fall, beim Bandendiebstahl
aber schon . Das passt nicht zusammen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dilettantismus!)


Auch beim Bandendiebstahl darf es in der logischen
Konsequenz keinen minderschweren Fall geben . Dahin
müssen wir kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das werden wir im parlamentarischen Verfahren machen .

Wir als Union sind auf der Seite der Bürger, wenn es
um ihre Sicherheit geht . Dafür werden wir in den kom-
menden Wochen sorgen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823501300

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Fechner für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1823501400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Auch ich will
aus der Polizeilichen Kriminalstatistik zitieren . Wir ha-
ben uns gefreut, dass die Zahl der Einbrüche um 10 Pro-
zent zurückgegangen ist . Aber es kam noch immer zu
150 000 Einbrüchen im Jahr 2016 . Das ist zu viel, liebe
Kolleginnen und Kollegen . Die Bürgerinnen und Bürger
fordern zu Recht vom Staat mehr Schutz vor Wohnungs-
einbrüchen . Deshalb ist es für uns ein ganz wichtiges
Anliegen, die Wohnungseinbrüche zu bekämpfen, damit
sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sicherer
fühlen .


(Beifall bei der SPD)


Dazu gehört zunächst, dafür zu sorgen, dass gerade
auch im ländlichen Raum mehr Polizeipräsenz stattfin-
det . In meinem Heimatland Baden-Württemberg ist das
leider oft nicht der Fall . Da haben wir gerade in der Flä-
che zu wenige Polizeistellen und deshalb zu wenig Poli-
zeipräsenz,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wer ist denn dort Innenminister?)


und das gerade an den Wochenenden und in den Abend-
stunden, also genau zu den Zeiten, zu denen die Einbrü-
che stattfinden. Da müssen wir für mehr Polizeipräsenz
sorgen . Das ist eine wichtige Aufgabe für alle Bundes-
länder . Daraus sollten wir keine Wahlkampfnummer ma-
chen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Wir müssen natürlich vor allem auf Prävention setzen .
Es ist belegt, dass Einbrecher von ihrem Einbruchsver-
such ablassen, wenn sie nicht innerhalb einer halben Mi-
nute in die Wohnung gelangen . Deshalb ist es entschei-
dend, dass wir das Förderprogramm, das wir bei der KfW
aufgelegt haben, noch weiter ausbauen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da ist nichts drin!)


Wir können uns hier nicht aus der Verantwortung steh-
len und sagen: Die Bürger sollen alleine für die Sicher-
heit sorgen . Wir sollten Einbruchschutz also fördern . Ich
finde, wir sollten den Zuschuss von 10 Prozent der In-
vestitionssumme auf 20 Prozent erhöhen . Dann können
auch Mieter, dann können auch Geringverdiener, also der
Personenkreis, den Sie, Kollege Tempel, angesprochen
haben, für ihre Sicherheit sorgen . Alle Bürger haben ein
Recht auf Sicherheit . Deswegen sollten wir durch dieses
Förderprogramm dafür sorgen, dass alle Bürger diesen

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Zuschuss erhalten, und zwar mindestens 20 Prozent der
Investitionssumme .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


An dieser Stelle einen großen Dank an die Kreditan-
stalt für Wiederaufbau, die dieses Programm hervorra-
gend umsetzt . Herr Kollege Ströbele, zu der Informa-
tionsveranstaltung in meinem Wahlkreis ist sogar ein
Mitarbeiter der KfW gekommen . Das hing, nebenbei
gesagt, vielleicht auch damit zusammen, dass bei dem
zuständigen Abteilungsleiter der KfW im April zweimal
eingebrochen wurde . Also auch vor diesem Hintergrund
ist die KfW bei diesem Thema sehr engagiert . Daher
spreche ich ihr an dieser Stelle ein Lob aus .


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg . SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass die Prävention funktioniert, zeigt die Entwick-
lung bei den Autodiebstählen . Es gab im Jahre 1993 über
100 000 Autodiebstähle und Einbrüche in Autos . Diese
Zahl hat sich auf 19 000 im letzten Jahr reduziert . Das
zeigt, dass sich die Investitionen der Autoindustrie in
bessere Sicherungstechniken, also Wegfahrsperren, bes-
sere Schlösser usw ., gelohnt haben . Die entscheidende
Stellschraube, um Einbrüche zu verhindern, ist die Prä-
vention . Daher sollten wir die besten Mechanismen zum
Einbruchschutz fördern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will hier ausdrücklich festhalten, dass mir alle
Polizeibeamten, mit denen ich über die Täterkreise ge-
sprochen habe, bestätigt haben, dass Asylbewerber oder
Flüchtlinge in den seltensten Fällen die Täter sind . Das
macht es nicht besser, das macht die Einbrüche selbstver-
ständlich nicht ungeschehen . Aber die Tatsache, dass es
überwiegend osteuropäische Banden sind und eben nicht
Flüchtlinge, möchte ich hier ausdrücklich festhalten .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Diese leider noch hohe Zahl an Wohnungseinbrüchen
geht nicht auf das Konto von Flüchtlingen und Asylbe-
werbern .

Sie sehen also: Wir haben eine ganze Menge gegen
Wohnungseinbrüche getan . Das müssen wir auch; denn
die Einbrüche traumatisieren die Opfer . Oft ist es nicht
der Verlust von Geld oder von Gegenständen, was die
Opfer am meisten belastet, sondern das Gefühl der Un-
sicherheit, das Gefühl, dass jemand in die eigenen vier
Wände, in die Intimsphäre eingedrungen ist .

Angesichts der Tatsache, dass nicht einmal 20 Prozent
der Einbrüche aufgeklärt werden, finde ich es richtig,
dass wir mit Regelungen auch im Strafgesetzbuch und in
der Strafprozessordnung Maßnahmen gegen Wohnungs-
einbrüche ergreifen .


(Zuruf des Abg . Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir erhöhen mit diesem Gesetzentwurf den Mindest-
strafrahmen für Wohnungseinbruchdiebstahl auf ein Jahr .
Wir schaffen auch den minderschweren Fall ab. Das sind
ohne Zweifel drastische Strafverschärfungen . Ich glaube,
wir brauchen sie, um die hohe Zahl der Wohnungsein-
brüche zu senken . Solche Strafen werden abschrecken
und dazu beitragen, dass es weniger Wohnungseinbrüche
gibt .

Ich komme zum Schluss . Uns in der SPD-Fraktion ist
es wichtig, dass wir die Sorgen der Bürger hinsichtlich
Kriminalität ernst nehmen, dass wir handeln und dass wir
effektiv genau die Maßnahmen ergreifen, die tatsächlich
gegen Wohnungseinbruch helfen . Wir sollten deshalb
diesem Gesetzentwurf zustimmen und auch dafür sorgen,
dass wir die Mittel für das Zuschussprogramm bei der
KfW erhöhen . Ich bin gespannt, ob die Union die Mittel
bewilligen wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823501500


Letzter Redner zu dem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823501600


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Ich glaube, wir in diesem Haus sind uns einig, dass
die Situation bei Einbrüchen in private Wohnungen in
Deutschland einen Grad erreicht hat, der nicht mehr ak-
zeptabel ist .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nie akzeptabel war!)


Wir als CDU/CSU wollen zusammen mit der SPD, aber
auch mit der Bundesregierung etwas dagegen machen,
und wir machen auch etwas .

Während ich die Debatte heute verfolgt habe, meine
Damen und Herren der Linken und der Grünen, wurde
mir klar: Sie machen nichts . Sie machen einen Abwehr-
kampf . Sie ignorieren diese Situation . Sie tun nichts . Sie
wollen sich auch nicht daran beteiligen, etwas zu tun . Sie
diskutieren nur . Es kann nicht sein, dass man Menschen
in dieser Situation alleine lässt . Es ist ein trauriges Bild,
dass Sie sich überhaupt nicht an der Diskussion positiv
beteiligen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nicht zugehört, Herr Sensburg! Das sind Nebelkerzen!)


– Ich lege Ihnen das gleich dar .

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Wir machen einen Dreiklang . Als Erstes stärken wir
die Polizei vor Ort, und zwar mit den richtigen Instru-
menten . Das ist wichtig .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das hat Herr Ströbele schon gesagt!)


Der zweite Punkt ist Prävention . Wir stärken die Men-
schen dabei, etwas zu tun, sodass sie ihre privaten Woh-
nungen sichern können .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können sie nicht! Sie haben kein Geld!)


Der dritte Punkt ist: Wir verändern auch das Strafrecht .
Es muss ein klares Zeichen geben: Angesichts der
Vielzahl dieser Delikte und der Tatsache, dass sich die
Ausführung dieser Taten verändert hat, muss man im
Strafrecht die richtigen Werte hinsichtlich der Höhe des
Strafrahmens einziehen . Es muss auch die Konsequenzen
geben, die Kollege Luczak, glaube ich, gerade sehr prä-
zise ausgeführt hat .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Jahre!)


Kommen wir zum ersten Punkt: Stärkung der Mög-
lichkeiten, die die Bürgerinnen und Bürger haben . Es ist
richtig und gut, dass wir bei der KfW mehr Geld einstel-
len, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Wohnungen
sichern können . Da ist noch viel möglich .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höchstens 20 Prozent!)


Das werden wir gemeinsam machen . Es wäre schön,
wenn Sie wenigstens das unterstützen würden .

Der zweite Punkt ist: Wir möchten, dass die Polizei
vor Ort präsent ist und die nötigen Mittel hat . Wenn Sie,
Herr Ströbele, diese Auffassung teilen, dann wundert es
mich, dass Sie in der Debatte zum Schutz von Vollstre-
ckungsbeamten argumentiert haben, das brauche man
gar nicht . Die Kollegin Mihalic hat damals gesagt, die
Diskussion sei überflüssig. Sie wollen Polizeibeamte vor
Ort nicht schützen . Ihre Argumentation an dieser Stelle
ist verlogen und falsch!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso wollen wir die nicht schützen?)


Jetzt geht es um die Instrumente . Natürlich ist es rich-
tig, dass wir in einer vernetzten Welt mit immer mehr
Banden, die organisiert in Wohnungen einbrechen, die
Güter verschieben, teilweise ins Ausland, schauen müs-
sen, wie die Kommunikation läuft . Deswegen ist es gut,
dass sich der Justizminister nicht nur für die Vorratsda-
tenspeicherung eingesetzt hat, sondern sich auch für die
Erfassung und retrograde Recherche dieser Daten ein-
setzt .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir jetzt gar nicht!)


Ich freue mich übrigens, dass beim Thema Quellen-TKÜ
ein weiterer Fortschritt erreicht werden konnte. Ich finde,
dass wir zur Bekämpfung der Kriminalität in Zeiten mo-
derner Kommunikationsmittel gute Schritte gehen . Das
machen wir, und das machen wir auch, damit sich Bür-
gerinnen und Bürger in ihren Wohnungen wieder sicher
fühlen können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen Symbolpolitik!)


Drittens, das Strafrecht . Wir stellen fest, dass sich
die Art und Weise der Deliktausführung massiv verän-
dert hat . Ich glaube, Sie gehen noch von dem Bild des
Ede aus, der mit seinem Rucksack um die Wohnungen
schleicht und fast ehrenvoll versucht, einzubrechen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Schauen Sie sich doch einmal die Deliktausführung an –
Herr Tempel, Sie müssten es doch wissen –: Mit hoher
Brutalität, mit hoher Gewalt wird in Wohnungen einge-
drungen . Wenn die Bewohner nachts zu Hause sind und
aufwachen, dann wird massiv gegen sie vorgegangen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Es gibt sehr verschiedene Vorgehensweisen!)


Wenn sich dann jemand in der Wohnung später nicht
mehr wohlfühlt, dann kann man das wohl verstehen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Nicht nur Krimis gucken, auch einmal in die Praxis schauen!)


Wer angesichts dessen, dass sich die Ausführung der De-
likte so verändert hat, am Strafmaß nichts ändern will,
der schützt nicht die Bürger, der macht die Augen zu vor
denjenigen, die von diesen Straftaten hart betroffen sind.

Herr Tempel, Sie rufen gerade so vehement dazwi-
schen . Zu Ihrem Fall mit dem Rentner: Sie können ja
gerne über alle Themen diskutieren, auch über die Leis-
tungen für Pensionäre und Rentner . Das ist aber nicht Ge-
genstand der jetzigen Debatte . Dass Sie für den Rentner
nichts tun wollen, wenn in seine Wohnung eingebrochen
wird, ist schändlich . Dass Sie ihn alleine lassen und im
Grunde nichts tun wollen, ist traurig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir tun etwas . Wir wollen, dass die Menschen in un-
serem Land geschützt werden . Deswegen dieser richtige
Dreiklang: erstens Polizei stärken, mit Präsenz vor Ort
und den notwendigen Mitteln, zweitens Sicherung der
eigenen Wohnung, dafür Fördermittel bereitstellen, und
drittens im Strafrecht den Strafrahmen erhöhen . Das ist
ein Zeichen in die Gesellschaft, dass wir etwas tun, und
ein Zeichen für diejenigen, die Straftaten begehen, dass
wir es ihnen nicht durchgehen lassen . Wohnungseinbrü-
che sind für uns ein No-Go . Deswegen tun wir etwas .
Unterstützen Sie uns doch wenigstens ein bisschen dabei .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823501700

Nun möchte der Kollege Tempel eine Kurzinterventi-

on machen . – Bitte schön .


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823501800

Dem Kollegen ist offensichtlich ein Irrtum unterlau-

fen; vielleicht ist er während meiner Rede etwas einge-
nickt . Er sagte, dass wir nichts für den Rentner tun wol-
len, der Angst vor Einbrüchen hat . Ich habe im zweiten
Teil meiner Rede – ungefähr bei Minute vier, fünf, wenn
Sie nachlesen wollen – gesagt, dass es von der Bevölke-
rung wahrgenommen wird, wenn die Polizeidichte deut-
lich zurückgeht, und dass das das Unsicherheitsgefühl
deutlich erhöht. Auch dass die Polizei häufig zu spät vor
Ort ist, kam in meiner Rede vor . Das ist für den Rentner
in meiner Region, bei dem eh nicht viel zu holen ist, der
aber selbstverständlich Angst vor Wohnungseinbrüchen
hat, sehr problematisch . Er kann nicht in einer Luxus-
wohngegend leben, wo man sich private Sicherheits-
dienste leisten kann . Er ist tatsächlich darauf angewiesen,
dass die Polizei rechtzeitig vor Ort ist . Das habe ich in
meiner Rede ausgeführt .

Ich möchte Herrn Sensburg noch auf Folgendes hin-
weisen: Zu wenig Polizeidichte ist für den Bürger ein
Problem . Wenn in einer Region, in einem Landkreis
nachts nur noch drei Streifenwagen unterwegs sind, wo-
von ein Auto zu einem Unfall und ein anderes bei einer
Familienstreitigkeit ist, weil jemand seine Frau schlägt,
dann sind fast alle Streifenwagen im Einsatz . Das ist ge-
rade für den Rentner in meiner Region ein Problem . Das
war Bestandteil meiner Rede . Wir haben lediglich ein
Mittel stark angegriffen, nämlich das Mittel der Strafver-
schärfung . Ansonsten habe ich mehrere Stellschrauben
benannt, an denen man tatsächlich zur Bekämpfung von
Einbruchskriminalität drehen kann . Da ist die CDU bei
weitem nicht alleine .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823501900

Kurze Erwiderung, Herr Kollege Sensburg .


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823502000

Erster Punkt . Ganz herzlichen Dank für den Hinweis .

Hier sind wir uns sogar einig: Die Polizeidichte vor Ort
muss gesteigert werden . Genau die gleiche Situation wie
Sie erlebe auch ich in meinem Wahlkreis .

Ich möchte es auch noch einmal betonen: Es ist schön,
dass Sie von den Linken eine höhere Polizeidichte, also
mehr Polizei, fordern . Diesen Zustand hätte ich mir vor
vier, fünf Jahren nicht träumen lassen . Es ist wunderbar,
dass die Linke eine höhere Polizeidichte vor Ort fordert .
Unterstützen Sie uns dabei; das ist auch unsere Forde-
rung . – Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Den Abbau haben wir immer kritisiert!)


Zweiter Punkt . Diskutieren Sie einmal mit den Men-
schen vor Ort darüber – mit dem Rentner in seiner Woh-

nung, mit den Menschen an der Theke –, wie sie über
das Thema Einbruchsdiebstähle denken . An erster Stelle
wird ein höheres Strafmaß gefordert und gesagt: Lasst es
denen so nicht durchgehen . An zweiter Stelle wird ge-
sagt: Helft uns dabei, unsere Wohnungen zu sichern .

Wenn Sie in den Gesetzentwurf schauen, dann sehen
Sie, dass von diesem Gesetzentwurf und der Förderung
über die KfW genau diejenigen profitieren, die ein gerin-
ges Einkommen haben, eben nicht in den Luxusgegen-
den leben und ihre Wohnungen sichern wollen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Prozent!)


Unterstützen Sie also unseren Gesetzentwurf! Genau das,
was Sie fordern, steht darin .

Ich glaube, es ist ein guter Gesetzentwurf . Wenn Sie
das, was Sie gerade gesagt haben, wirklich ernst meinen,
dann können Sie in den Beratungen ja zustimmen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823502100

Für die Klärung der offenkundig noch bestehenden

Meinungsverschiedenheiten besteht ja jede Gelegenheit,
wenn nun beschlossen wird, diesen Gesetzentwurf auf
dem üblichen Wege im Ausschussverfahren weiter zu
beraten . Von den Fraktionen wird die Überweisung des
Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/12359 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b
auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der Rechtsdurchset-

(Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG)


Drucksache 18/12356
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Konstantin von Notz, Renate Künast, Tabea
Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz und Recht im Netz – Maßnah-
men gegen Hasskommentare, „Fake News“
und Missbrauch von „Social Bots“

Drucksache 18/11856






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Auch für diese Aussprache sind 60 Minuten vorgese-
hen. – Das ist auch offenkundig unstreitig. Also verfah-
ren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile wiederum dem
Bundesjustizminister das Wort .


(Beifall bei der SPD)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Sie alle kennen die furchtbaren Beispiele von Mord-
aufrufen, Bedrohungen und hasserfüllten Postings, die es
in den sogenannten sozialen Netzwerken gibt . Wenn sich
die Nutzer dann bei ihren Plattformbetreibern beschwe-
ren, bekommen viele zu oft die Antwort: Das verstößt
nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards, und deshalb
wird es nicht gelöscht .

Viele von Ihnen kennen auch aus eigener Erfahrung
Beleidigungen und Bedrohungen im Netz . Wir alle sind
es gewohnt, im Kreuzfeuer von Debatten zu stehen – und
wir werden im Übrigen auch gut beschützt . Ich mache
mir viel mehr Sorgen um all diejenigen Bürgerinnen und
Bürger, die ansonsten im Netz unterwegs sind: um den
freiwilligen Flüchtlingshelfer, der beleidigt und einge-
schüchtert wird, um die ehrenamtlichen Kommunalpo-
litiker, die beschimpft und bedroht werden, um die Ju-
gendlichen, die im Netz in krimineller Weise gemobbt
werden .

Hasskriminalität beschädigt unser Zusammenleben,
unsere Debattenkultur und letztlich auch die Meinungs-
freiheit . Wenn strafbare Bedrohungen und Einschüchte-
rungen im Internet nicht entfernt werden, dann werden
sich viele Bürgerinnen und Bürger aus der Onlinediskus-
sion zurückziehen .

Zur Klarstellung: Es geht bei unserem Gesetzentwurf
darum, dass Äußerungen, die gegen Strafgesetze versto-
ßen, aus dem Netz gelöscht werden . Es geht um Mordauf-
rufe, es geht um Aufrufe, Flüchtlingsheime anzuzünden
oder andere Gewalttaten zu begehen, es geht um Bedro-
hungen und Beleidigungen, es geht um Volksverhetzung,
und es geht um die Auschwitz-Lüge . Kurzum: Es geht
um Straftaten; es geht um Äußerungen, die nicht mehr
von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern ganz einfach
strafbar sind .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


All solche Äußerungen sind kein Ausdruck der Mei-
nungsfreiheit, sondern ganz im Gegenteil Angriffe auf
die Meinungsfreiheit . Damit sollen Andersdenkende ein-
geschüchtert und mundtot gemacht werden . Damit sollen
eine rhetorische Dominanz und ein Klima der Angst ge-
schaffen werden. Wir müssen und wollen uns mit diesem
Gesetz auch um die Meinungsfreiheit derer kümmern,

die schon längst im Internet mundtot gemacht worden
sind . Das soll nicht so bleiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die größte Gefahr für die Meinungsfreiheit ist ein Zu-
stand, in dem ohne Konsequenzen bedroht, beleidigt und
eingeschüchtert werden darf . Dieser Hass und diese Het-
ze im Netz sind die wahren Feinde der Meinungsfreiheit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich weiß, dass wir uns mit
diesen Regelungen im Gesetz in einem grundrechtssen-
siblen Bereich bewegen . Deshalb kommt es nicht uner-
wartet, dass viel über diesen Gesetzentwurf diskutiert
wird und dass es auch Kritik gibt . Damit will ich mich
einmal auseinandersetzen .

Da wird der Vorwurf erhoben, wir würden die Rechts-
durchsetzung auf Private verlagern . Hierzu kann ich nur
sagen: Wir verlagern gar nichts . Wir sorgen vielmehr
durch Compliance-Regeln dafür, dass bereits bestehen-
de Verpflichtungen der sozialen Netzwerke endlich auch
eingehalten werden . Bereits auf der Grundlage des gel-
tenden Rechts, der E-Commerce-Richtlinie, dürfen sozi-
ale Netzwerke nach einer konkreten Beschwerde strafba-
re Inhalte nicht ignorieren, sondern sie müssen handeln .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Richtig!)


Wenn sie das nicht tun, dann können sie sich auch
nicht mehr auf ihr Haftungsprivileg beziehen, und das
hat Konsequenzen zur Folge . Deshalb wundert mich
dieser Punkt der Kritik ganz besonders; er hat mit dem
Gesetzentwurf überhaupt nichts zu tun . Denn das sind
Regelungen, die es schon längst gibt, und zwar in der
E-Commerce-Richtlinie und bei uns im Telemedienge-
setz . Wer sich jetzt darüber aufregt, der hätte sich auch in
den letzten Jahren schon darüber aufregen müssen . Aber
mit diesem Gesetzentwurf hat das gar nichts zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das stimmt ja gar nicht!)


Ganz im Gegenteil: Den Maßstab dafür, was erlaubt
ist und was nicht, legt nicht Facebook oder irgendein
anderes soziales Netzwerk fest . Maßstab bleiben einzig
und allein die Strafgesetze, und die Gerichte entscheiden
nach diesen Gesetzen, was strafbar ist und was nicht .

Meine Damen und Herren, in der Diskussion und den
Stellungnahmen, die es gegeben hat, wird auch die Ge-
fahr beschworen, dieser Gesetzentwurf könnte das soge-
nannte Overblocking befördern . Das bedeutet, dass die
Plattformbetreiber einfach alles löschen, nur damit sie ei-
ner einzelnen Geldbuße entgehen können . Das kann nur
ein Missverständnis sein, oder es ist gewollt, dass man
das nicht versteht . Die Bußgelder, die der Gesetzentwurf
vorsieht, drohen einem Unternehmen nicht, wenn es ei-
nen einzelnen Tweet oder Kommentar nicht gelöscht hat .
Es geht gar nicht um Einzelfälle .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Bußgelder drohen nur dann, wenn es ein systemati-
sches Versagen der Netzwerke gibt, wenn also überhaupt
kein effektives Beschwerde- und Löschungsverfahren
besteht . Außerdem werden nur schuldhafte Verstöße ge-
ahndet . Wenn die Strafbarkeit eines Posts nicht erkenn-
bar ist, dann wird das auch nicht zu einem Bußgeld füh-
ren können .

Im Übrigen verstehe ich bei diesem Thema eines über-
haupt nicht: Das Geschäftsmodell der sozialen Netzwer-
ke beruht doch gerade darauf, möglichst viel zu kommu-
nizieren . Schon aus wirtschaftlichen Interessen werden
sie deshalb das alles sehr genau prüfen . Die bisherige
Praxis zeigt jedoch das Gegenteil: Es wird nicht zu viel
gelöscht, sondern es wird leider viel zu wenig gelöscht .

Wenn ein Unternehmen meldet, wie es Facebook ge-
rade getan hat, dass der Gewinn verdoppelt wurde, dann
muss ich sagen, meine Damen und Herren: Ich sehe nicht
ein, dass strafbare Inhalte im Netz stehen bleiben sollen,
damit Facebook und Co kein zusätzliches Geld dafür aus-
geben müssen, Mordaufrufe aus ihren Seiten zu tilgen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb glaube ich, dass wir heute an einem Schei-
deweg stehen: Nehmen wir weiter hin, dass die digitale
Revolution den Rechtsstaat und unsere demokratische
Kultur massiv infrage stellen kann? Oder machen wir
endlich ernst mit dem Anspruch, dass auch das Internet
kein rechtsfreier Raum ist und dass auch online nicht er-
laubt ist, was offline verboten ist?

Meine Damen und Herren, das Recht ist der Garant
unserer Freiheit, auch der Meinungsfreiheit . Sorgen wir
dafür, dass das auch im Netz endlich von allen beachtet
wird . Sorgen wir endlich dafür, dass Mordaufrufe, Volks-
verhetzung und Bedrohungen so schnell wie möglich aus
dem Internet verschwinden . Nur dann bleibt die Mei-
nungsfreiheit für alle wirklich gesichert .

Schönen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823502200

Petra Sitte erhält nun das Wort für die Fraktion Die

Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823502300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wie ein

Zitronenfalter eben keine Zitronen faltet, setzt ein Netz-
werkdurchsetzungsgesetz eben keine Netzwerke durch .
So viel ist schon einmal klar .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)


Die Frage aber, was hier tatsächlich von wem und
wem gegenüber durchgesetzt wird, sollten wir an die-
ser Stelle im Hinterkopf behalten . Wie wir schon hören
konnten, soll es um die Durchsetzung von Recht und Ge-
setz gegenüber den großen sozialen Netzwerken gehen .

Das ist – so viel sei hier vorausgeschickt – ein durchaus
berechtigtes Anliegen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Facebook, Twitter und Co haben sich in der Vergan-
genheit oft genug viel zu wenig kooperativ gezeigt, ins-
besondere dann, wenn es um die Bekämpfung von rechts-
widriger Hassrede, um Hetze und Belästigung ging . Aber
der nun eingebrachte Gesetzentwurf – das wissen wir
schon jetzt – wird neue Probleme schaffen, vor allem
deshalb, weil er die Durchsetzung am Ende doch wiede-
rum in Hände legt, in die sie nicht gehört; darin sind wir
uns mit Sicherheit einig .

Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist die: Eine
kleine Anzahl großer kommerzieller Plattformen mono-
polisiert eine Form der Kommunikation, die wir aus un-
serem Leben nicht mehr wegdenken wollen . Das führt
dann dazu, dass elementare Regeln über Inhalte nicht
mehr gesellschaftlich ausgehandelt, sondern in Privatun-
ternehmen einseitig festgelegt werden . Ein Beispiel sind
die berüchtigten Gemeinschaftsstandards von Facebook,
nach denen weibliche Brustwarzen ganz offensichtlich
ein größeres Problem als Nazipropaganda darstellen . Auf
diese bzw . ähnliche Herausforderungen brauchen wir in
der Tat eine ordnungspolitische Antwort .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine ausführliche Berichtspflicht für die sozialen
Netzwerke und bußgeldbewehrte Vorgaben für die Be-
schwerdebearbeitung sind durchaus keine falschen
Ansätze . Aber das Problem mit den Vorgaben, die Sie
hier machen, ist, dass die Plattformen selbst die recht-
liche Einordnung überantwortet bekommen . Das ist kei-
ne Durchsetzung gegenüber den Netzwerken, sondern
durch die Netzwerke . Eine Plattform wird dann innerhalb
kürzester Zeit selbst entscheiden müssen, ob ein Inhalt
rechtswidrig ist .

Das kann aber durchaus auch eine komplizierte Abwä-
gungsfrage sein . Wenn die unterlassene Löschung sank-
tioniert wird, ein zu Unrecht gelöschter Inhalt aber nicht,
dann kann man sich relativ leicht ausrechnen, wohin das
führen wird . Dann werden eben auch legale Inhalte im
großen Stil gelöscht werden . Bei Plattformen, die ein
faktisches Monopol innehaben, kann uns das eben ganz
und gar nicht egal sein . Wir haben andere Fälle soge-
nannter Kollateralschäden längst erlebt .

Dazu kommt eine neue Verpflichtung im Telemedien-
gesetz, Bestandsdaten auch bei zivilrechtlichen Ansprü-
chen herauszugeben . Das war bislang nicht der Fall . So
eröffnet man nicht nur der Abmahnindustrie ein neues
Betätigungsfeld . Bei der Bekämpfung von Hate Speech
könnte der Schuss sogar nach hinten losgehen . Viel Fan-
tasie gehört nämlich nicht dazu, um sich vorzustellen,
dass derartige Möglichkeiten auch zur Einschüchterung,
wie Sie es ja selbst gesagt haben, missbraucht werden,
etwa bei Aktivismus gegen Rechtsextreme .

Insgesamt merkt man dem Gesetzentwurf sehr wohl
die Temperatur der beim Stricken verwendeten Nadeln
deutlich an . Die Aufzählung der Straftatbestände mutet
willkürlich an . Zuletzt wurde sie noch um die Verbrei-
tung pornografischer Schriften erweitert, obwohl die

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


Zielsetzung angeblich die Bekämpfung von Hasskrimi-
nalität ist . Infolgedessen dürfen wir nun der mit heißen
Nadeln gestrickten und notdürftig geflickten Begründung
des Gesetzes die durchaus interessante Information ent-
nehmen, dass der Grund für die Wahl des Anwendungs-
bereiches des Gesetzes der Anwendungsbereich des Ge-
setzes sei . Welche Plattformen nun konkret vom Gesetz
betroffen sein werden – ausweislich des Entwurfs sollen
es etwa zehn sein –, kann uns die Bundesregierung auch
auf direkte Frage nicht mitteilen .

Einige sehen auch verfassungs- und europarechtliche
Probleme . Ob nun zur Recht oder nicht: Es ist jedenfalls
schwer, zu glauben, dass die Vereinbarkeit mit angemes-
sener Gründlichkeit geprüft wurde . Es ist der Bedeutung
des Themas aber nicht angemessen, hier auf den letzten
Metern der Wahlperiode einen eilig heruntergeschriebe-
nen Gesetzentwurf vorzulegen, um Handlungsfähigkeit
zu demonstrieren, vor allem dann nicht, wenn die Konse-
quenzen offensichtlich so wenig bedacht wurden. Nicht
ohne Grund hat sich ein breites Bündnis – von BITKOM
bis hin zur Amadeu-Antonio-Stiftung, das ist keineswegs
eine klassische Kombination – gebildet, das eine Dekla-
ration der Meinungsfreiheit vertritt und sich ausdrücklich
gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat und die
Einrichtung eines runden Tisches fordert .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Koalition wäre also durchaus gut beraten, die
Kritik ernst zu nehmen und sich auf eine umfassendere
Diskussion einzulassen . Die Debatte krankt auch daran,
dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gewissermaßen
als Allheilmittel gegen Hate Speech und Fake News ver-
kauft wird . Dadurch haben wir wieder das Problem, dass
die Menschen glauben, dass etwas durch die Politik ge-
löst wird, was sich aber im Leben und in der Praxis ganz
anders darstellt . Das kann nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Selbst wenn alle unsere Kritikpunkte zu diesem Gesetz-
entwurf umgesetzt würden, hätten wir es mit einer breiten
gesellschaftlichen Debatte darüber zu tun, wie Kommu-
nikation bzw . die Kultur der Kommunikation in diesem
Land gestaltet werden kann . Die damit zusammenhän-
genden gesellschaftlichen Probleme lassen sich nicht mit
einer besseren Durchsetzbarkeit des Strafrechts lösen,
ebenso wenig mit einer Ausweitung des Strafrechts an
dieser Stelle. Ich bezweifle, dass sich der Begriff „Fake
News“ rechtlich sauber definieren lässt und dass sich al-
les, was völlig zu Recht als Hate Speech verurteilt wer-
den kann, rechtlich sanktionieren lässt . Das ändert nichts
daran, dass wir als Gesellschaft diese Probleme benen-
nen müssen; da haben Sie völlig Recht, Herr Maas . Diese
Debatte muss geführt werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist denn Euer Lösungsvorschlag?)


Politisch müssen wir uns noch weit mehr mit der
Rechtsdurchsetzung befassen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei geht es um Medienkompetenz, politische Bildung,
zivilgesellschaftliches Engagement, die Strukturkrise

des Journalismus, Geldflüsse über Werbenetzwerke und
grundsätzlich um den ordnungspolitischen Umgang mit
der neuen Plattformwirtschaft .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese Diskussion muss in der Breite geführt werden . Da-
für sollten wir uns in der kommenden Wahlperiode Zeit
nehmen .

Den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zu ver-
abschieden, halten wir für einen Fehler . Ein noch größe-
rer Fehler wäre, nur das zu tun und zu glauben, das Pro-
blem sei damit weitestgehend gelöst . Das ist mitnichten
der Fall .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was machen wir denn jetzt?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823502400

Elisabeth Winkelmeier-Becker ist die nächste Redne-

rin für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1823502500

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Im digitalen Zeitalter
kann jeder ganz einfach mit seinem Smartphone die gan-
ze Weltöffentlichkeit erreichen, kann seinen Hass, seine
Hetze gegen Andersdenkende, Anderslebende, Anders-
gläubige und politische Minderheiten in die ganze Welt
hinausposten, kann jedem den Tod wünschen, Vergleiche
mit niederen Tieren ziehen und sich mit seinen Taten
brüsten, wie zuletzt der Kindermörder aus Herne . Er kann
sich aber auch an seinem Arzt rächen, dem er vielleicht
auf einer Plattform zur Bewertung von Ärzten etwas ein-
stellt, was nicht der Wahrheit entspricht . Damit müssen
die Betroffenen dann umgehen. Was das mit ihnen ma-
chen kann, hat in dieser Woche eine Studie zum Cyber-
mobbing dargelegt . Jugendliche leiden extrem darunter .
Man ist dem ausgeliefert . Man ist in seinen Grundrechten
und insbesondere in seinem Persönlichkeitsrecht zutiefst
verletzt und betroffen.

Auf der anderen Seite löscht Facebook Einträge, zum
Beispiel den Text des ehemaligen Radiomoderators
Domian, der sich kritisch zur katholischen Kirche ge-
äußert hatte; das passte Facebook nicht . Auch die ganze
Seite des Islamkritikers Imad Karim war zunächst weg .
Mittlerweile ist sie wieder da . Aber zuerst hat Facebook
sie gelöscht .

Das sind zwei Beispiele, bei denen die Nutzer dieser
Plattform in ihren Grundrechten betroffen sind, wo aber
auch die Grundrechte aufeinandertreffen: auf der einen
Seite das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auf der ande-
ren Seite das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit .
Dabei geht es um eine Anzahl von Fällen, die es sehr
schwer bis unmöglich macht, alle mit der Gründlichkeit
eines individuellen Gerichtsverfahrens zu klären . In vie-
len Fällen – da wären wir uns alle hier sehr schnell ei-

Dr. Petra Sitte






(A) (C)



(B) (D)


nig – sind die Dinge eindeutig . Es gibt aber eben auch ein
paar Fälle, deren Abgrenzung schwierig ist . Das alles ge-
schieht vor dem Hintergrund, dass Eile geboten ist; denn
jeder Post wird schnell weitergeklickt und gespeichert
und ist damit uneinholbar in der Welt . Das ist also eine
ziemlich schwierige Ausgangskonstellation, bei der sich
Grundrechte auf beiden Seiten konträr gegenüberstehen .

Für uns ist klar: Hier besteht Handlungsbedarf . Das,
was sich im Moment im Netz an Hass und Hetze abspielt,
ist unerträglich . Das müssen wir unbedingt bekämpfen
und eindämmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Ausgangspunkt ist die große Zahl eindeutig rechtswidri-
ger Äußerungen im Netz .

Der vorliegende Vorschlag sieht ein Beschwerdema-
nagement vor, ändert im Übrigen aber an der materiellen
Rechtslage nichts in Bezug darauf, was zur Meinungs-
freiheit gehört, was man sagen darf und wo die Gren-
ze überschritten ist . An der bewusst weiten Grenze bzw .
dem bewusst weiten Rahmen, den wir in Deutschland
dem Grundrecht der Meinungsfreiheit einräumen, ist
überhaupt nichts zu ändern . Trotzdem ist aber auch jetzt
schon klar, dass Meinungsfreiheit nicht uneingeschränkt
gilt, sondern dass es auch Grenzen gibt, nämlich dann,
wenn es um eine strafbare Beleidigung, Verleumdung
und Volksverhetzung geht . All das wird durch das hier
vorliegende Gesetz nicht geändert .

Noch etwas anderes wird nicht geändert . Auch jetzt
schon ist die Plattform für die Rechtsverletzungen, die
dort passieren, mitverantwortlich . Dabei gelten die
Grundsätze der Störerhaftung des deutschen Zivilrechts .
Zum Beispiel gilt sie für Zeitungen . Auch diese müssen
bereits jetzt prüfen, ob redaktionelle Texte oder Leser-
briefe diesen Maßstäben gerecht werden . Wenn das nicht
der Fall ist, dürfen sie auch in einer Zeitung nicht veröf-
fentlicht werden . Auch an dieser Stelle haben wir also
schon ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht durch
eine private Stelle, nämlich die Zeitung .

Was in der analogen Welt gilt, muss nun in die digitale
Welt übertragen werden . Leider ist es so, dass viele Inter-
netplattformen dem nicht nachkommen . Uns liegen dazu
ja Zahlen vor . Bei Facebook waren es 46 Prozent der
Meldungen, die eindeutig kritikwürdig waren, worauf
aber nicht entsprechend reagiert wurde . Bei Twitter war
es sogar nur 1 Prozent . Es beginnt damit, dass die Be-
troffenen keine zustellungsfähige Adresse finden. Selbst
dann, wenn es gemeldet werden konnte, passiert lange
Zeit gar nichts . Das können wir so nicht stehenlassen .

Leider haben wir hier schon sehr viel Zeit mit runden
Tischen und freiwilligen Appellen, die nichts gebracht
haben, vertan . Leider stehen wir jetzt hier unter einem
erheblichen Zeitdruck, gegen Ende der Legislaturperio-
de noch etwas Vernünftiges auf die Beine zu bekommen
und das auch noch mit dem Notifizierungsverfahren in
Brüssel abzustimmen . Wir hätten uns sicherlich einen
großen Gefallen getan, wenn wir das deutlich früher in
Angriff genommen hätten. Leider ist ein entsprechender
Vorschlag nicht früher aus dem Ministerium gekommen .

Wir haben nun einen Vorschlag vorliegen, der eine
schnelle Prüfung verlangt . Innerhalb von 24 Stunden
muss reagiert werden, bei schwierigen Fällen innerhalb
von einer Woche . Das alles geschieht unter der Aufsicht
des Bundesamtes für Justiz, welches aber nur das Verfah-
ren prüft . Man muss hier auch noch einmal klarstellen:
Es gibt hier keine inhaltliche Kontrolle . Wenn ein Buß-
geld auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit gestützt
werden soll, dann brauchen wir ein Vorentscheidungs-
verfahren bei Gericht, das dann mit der entsprechenden
Expertise und Legitimation entscheidet .

Nun gibt es von beiden Seiten ja schon heftige Kritik .
Im Bundesrat gibt es bereits eine Initiative aus dem Lan-
de Bremen, mit der das Gesetz verschärft werden soll . Im
Rechtsausschuss des Bundesrates haben auch alle Länder
zugestimmt, dass vor allem der Anwendungsbereich er-
weitert wird . Dabei geht es zum Beispiel um kompromit-
tierende Bilder und um Aufrufe zu erheblichen Strafta-
ten . Das ist ja bisher noch gar nicht erfasst . Außer Bayern
und Sachsen haben alle zugestimmt, sodass sozusagen
alle Parteien dabei vertreten sind, wenn gefordert wird,
dass wir das Gesetz verschärfen .

Auf der anderen Seite gibt es die heftige Kritik wegen
der Sorge, dass hier eine Zensur stattfinde. Es gibt auch
diejenigen – das ist besonders schön –, die zuerst gesagt
haben: „Es kommt viel zu spät; es ist viel zu lasch“, jetzt
sich aber um 180 Grad gedreht haben und nun von an-
geblicher Zensur sprechen . Dazu ist zu sagen: Man kann
eben nicht beides haben .

Wir müssen uns aber die ehrliche Kritik von beiden
Seiten anschauen und überlegen, wie wir das aufnehmen
können . Was können wir noch verbessern? Ein guter
Ausweg könnte sein, bei dieser Kontrolle dem Unter-
nehmen selbst weniger Einfluss einzuräumen, weniger
Staat einzubringen und dafür mehr pluralistisch organi-
sierte Selbstkontrolle vorzusehen . Ich glaube, es würde
sich lohnen – der Vorschlag ist schon gemacht worden –,
wenn wir uns das Verfahren der Freiwilligen Selbstkon-
trolle der Filmwirtschaft bei der Alterseinstufung von
Filmen – Stichwort Jugendschutz – anschauen . Ein sol-
ches Verfahren könnte mehr Akzeptanz und mehr Ver-
trauen der Betroffenen auf beiden Seiten ermöglichen.
Wenn das ein Weg ist, sollten wir diese Chance nutzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte kurz einen weiteren Punkt ansprechen .
Wir brauchen dann, wenn die weiten Grenzen der Mei-
nungsfreiheit überschritten worden sind, auch Möglich-
keiten, die Urheber von Hass und Hetze persönlich zur
Verantwortung zu ziehen . Dafür brauchen wir einen Aus-
kunftsanspruch gegenüber dem Plattformbetreiber, also
die Möglichkeit, die Identität des Betreffenden aufzude-
cken . Hier ist jetzt die Rechtsgrundlage vorgesehen, dass
der Plattformbetreiber die Angaben herausgeben darf .
Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen und den
Auskunftsanspruch, den die Rechtsprechung bisher nur
aufgrund von Treu und Glauben einräumt, ganz klar nor-
mieren und regeln .

Es geht nicht um die Abschaffung von Anonymität
und Pseudonymität, auch wenn ich eigentlich der Mei-
nung bin, dass wir uns im freien Austausch der Mei-

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


nungen mit offenem Visier begegnen sollten. Jedenfalls
muss aber Anonymität dann ein Ende bzw . eine Gren-
ze haben, wenn es um krasse Rechtsverletzungen geht .
Dann müssen die Opfer die Möglichkeit haben, diese Da-
ten zu bekommen . Sonst sind sie letztendlich schutzlos
gestellt . Das kann nicht das Ergebnis sein . Gerade der
Schutzmantel der Anonymität hat oft dazu beigetragen,
dass die Hemmschwelle für Hass und Hetze im Netz so
gesunken ist . Das Wissen, dass die Anonymität im Fall
des Falles auch einmal aufgehoben werden kann, kann
schon heilsam wirken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie gesagt, es ist schade, dass wir erst so spät in die-
se Beratungen hineingehen . Ich denke, wir müssen mit
der notwendigen Gründlichkeit herangehen, weil es die
Sache wert ist . Wir müssen den Opfern helfen, ohne die
Meinungsfreiheit einzuschränken .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823502600

Nächster Redner ist der Kollege Konstantin von Notz

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zi-
tiere: „Heil Kanacke! Es wird Zeit das Auschwitz, Bu-
chenwald u .a . den Betrieb wieder aufnehmen! Da gehört
Ihr Drecks türken nähmlich hin . Ab durch den Schorn-
stein …“ Zitat Ende . Den Rest dieses Zitats erspare ich
diesem Hohen Haus .

Solch hasserfüllte Kommentare fallen eben nicht nur
auf der Straße heutzutage, sondern auch im Netz . Das
eben Zitierte galt unserem Kollegen Özcan Mutlu . Aber
genauso wie er werden täglich viele Menschen in diesem
Land unerträglich beleidigt, bedroht und verleumdet .

Solche krassen Rechtsverletzungen sind nicht nur
eine Zumutung für die Betroffenen, sie sind, hunderttau-
sendfach ausgesprochen, gepostet und geteilt, auch eine
gravierende Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie,
wenn sie folgenlos bleiben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Es verbindet uns hier alle, dass wir das nicht hinnehmen
wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber …!)


– „Aber“, Herr Grosse-Brömer, Herr Maas: diese Ein-
tracht! Das kommt doch nicht zustande, indem Sie eine
ganze Legislaturperiode nichts tun, talken, aussitzen und
dann hier in der letzten Kurve dieser Legislatur mit so ei-

nem wüsten Gesetz um die Ecke kommen . Da kann man
auch gleich wieder gehen, genau .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Was kam denn von euch?)


Sie legen hier heute etwas vor, was die Probleme nicht
löst. Sie schaffen viele neue Probleme. Das ist jetzt nicht
eine krude Oppositionsmeinung, sondern das sagen Ih-
nen der Deutsche Richterbund, Vertreter der Wirtschaft,
die Journalistenverbände, die NGOs . Kritik ist selten so
einhellig und so breit wie in diesem Fall . Ihr Netzwerk-
durchsetzungsgesetz, Herr Kauder und Herr Maas, ist
selbst eine Gefahr für die Meinungsfreiheit in unserer
freiheitlichen Demokratie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Johannes Fechner [SPD]: So ein Blödsinn! So ein Quatsch!)


Zitat:

Das . . . ist ein Schnellschuss, das Justizministerium
agiert hier nicht als Wahrer der Bürgerrechte, son-
dern verbietet, was es nicht versteht .

Wer hat das gesagt? Die Staatssekretärin Dorothee
Bär .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das kann sein, ja!)


– Ich komme gleich zum Kollegen Klingbeil . – Thomas
Jarzombek beklagt zu Recht, dass dieser Entwurf viele
zweifeln lässt, wie es Herr Maas denn nun mit der Mei-
nungsfreiheit hält . Er sagt – Zitat –:

Das Ergebnis . . . ist leider kein Belegstück für gute
. . . Handwerkskunst . Substanzielle Teile fehlen: Die
Kennzeichnungspflicht für Social Bots ...

Der geschätzte Kollege Klingbeil sagt zu diesem Ge-
setz:


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Guter Mann!)


Eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung darf es
nicht geben .

Recht hat er, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das gibt es auch nicht! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nehmen Sie das mal zur Kenntnis: Das gibt es überhaupt nicht!)


So was, Herr Maas, kommt dabei raus, wenn man noch
nicht einmal die Stellungnahmen abwartet, sondern das
Ganze in einem Facebook-Stream raushaut und verkün-
det; das ist ja unfassbar .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflicht
nehmen . Aber wir dürfen sie eben nicht in eine Rich-
terrolle drängen . Es ist eben nicht egal, ob zu viel oder
zu wenig gelöscht wird . Es braucht klare Regeln und

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


Sanktionen für ein rasches, aber eben auch sorgfältiges
Verfahren .


(Heiko Maas, Bundesminister: Welche denn?)


Schwierige Fälle, Herr Maas, gehören eben – wie im ana-
logen Leben – am Ende vor Gericht geklärt .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: So steht es im Gesetz! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Genau so steht es im Gesetz!)


Nach dem Entwurf, den Sie hier vorlegen, kann jeder
zu Facebook gehen, um die Identität einer missliebigen
Person zu erfahren, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker .
Da haben Sie noch nicht einmal einen ordentlichen
Richtervorbehalt vorgesehen . Hier droht nicht nur ein
schleichender Zensureffekt, sondern auch die digitale
Bloßstellung und Gefährdung, übrigens auch für alle Kri-
tikerinnen und Kritiker von der AfD und von Erdogan .
Auch sie sind von dieser Auskunftspflicht berührt, und
das ist ein Problem .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schließlich: Wir brauchen ein effektives und verhält-
nismäßiges Notice-and-Take-down, das die Meinungs-
freiheit achtet . Unsere Justiz kann das . Wir müssen sie
dafür stark machen .

Außerdem müssen wir uns mit den sozialen Medien
und gesellschaftspolitischen Ursachen für Hate und Fake
auseinandersetzen . Unsere Zivilgesellschaft kann das .
Wir müssen sie aber einbinden . Beides tun Sie nicht, und
das ist zu wenig .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das wird doch gemacht! Was reden Sie denn da?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823502700

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johannes

Fechner das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1823502800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zu den positi-
ven Errungenschaften des Internets gehört, dass Milli-
onen Menschen miteinander in Kontakt treten können .
Aber die Schattenseite ist, dass es auch unendlich viele
Möglichkeiten gibt, Hassbotschaften, Beleidigungen und
Straftaten millionenfach zu verbreiten . Weil es nach der
heutigen Rechtslage so unendlich schwierig ist, gegen
diese Hassbotschaften im Netz vorzugehen, brauchen wir
eine Regulierung . Soziale Netzwerke dürfen kein rechts-
freier Raum sein, in dem gemobbt, beleidigt wird oder in
dem zu Straftaten oder gar zum Mord aufgerufen wird .

Auch in sozialen Netzwerken muss Recht und Gesetz
gelten, und dem dient dieses Gesetz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist schon komisch, Herr von Notz, dass Sie sagen,
die Bundesregierung kommt erst auf den letzten Drücker .
Selber haben Sie Ihren Antrag aber erst im April 2017
eingebracht .


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da sieht man mal wieder die Verlogenheit!)


Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, stelle ich einmal
mehr fest, dass Sie keinen konkreten Gesetzesvorschlag
machen, dass Sie keine ausformulierten Vorschläge ma-
chen, wie es die SPD zu Oppositionszeiten gemacht hat,
sondern Sie bringen lose Aufforderungen, schwammig
formuliert .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, hören Sie doch auf, Herr Fechner! Ihre eigenen Leute kritisieren das massiv! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nicht die Fraktion geschrieben! Das ist doch Angabe! Das hat das Ministerium geschrieben!)


Wir handeln . Wir legen ganz konkrete Gesetzentwürfe
vor, die den Bürgerinnen und Bürgern helfen werden,
Herr von Notz .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir machen das, weil wir von Einrichtungen wie etwa
jugendschutz .net wissen, dass bei YouTube, Twitter oder
auch Facebook – YouTube muss ich ausnehmen; dort hat
es sich gebessert –


(Die Verblendung eines Sitzplatzes in den Reihen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN fällt zu Boden)


– bei den Grünen bricht schon Panik aus –


(Vereinzelt Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Baumangel!)


bzw . bei Twitter oder Facebook nicht freiwillig gelöscht
wird und wir nicht auf die Freiwilligkeit dieser Unter-
nehmen setzen können. Ich finde, wenn Unternehmen
Milliardengewinne machen, dann können wir ihnen auch
zumuten, dass sie Rechtsanwälte beschäftigen oder eine
juristische Abteilung aufbauen, um dafür zu sorgen, dass
Lügen und Straftaten im Netz nicht verbreitet werden,
liebe Kolleginnen und Kollegen .

Dabei ist wichtig, zu wissen: Schon heute gibt es
Unterlassungsansprüche . Daran ändern wir mit diesem
Gesetz nichts, sondern wir sorgen dafür, dass diese An-
sprüche tatsächlich durchgesetzt werden können . Die
wichtigste Regelung ist dabei, dass wir für die Unterneh-
men die Pflicht einführen, in Deutschland eine Zustell-
person zu benennen, also eine Person, an die Zivilrechts-
klagen, Unterlassungsklagen oder auch strafrechtliche
Verfügungen der Ermittlungsbehörden zugestellt wer-

Dr. Konstantin von Notz

http://www.jugendschutz.net/





(A) (C)



(B) (D)


den können . Wir müssen dafür sorgen, dass die Opfer in
Deutschland ihre Rechte durchsetzen können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist wichtig, eines klarzustellen: Es geht nicht da-
rum, die Unternehmen zu verpflichten, zu bewerten, ob
sie Löschungen vornehmen müssen oder nicht . Es ist
ausdrücklich geregelt, dass eine Bußgeldbehörde, bevor
sie ein Bußgeld verhängt, eine Gerichtsentscheidung
einholen muss, ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht .
Deswegen kann von einer Privatisierung, die auch wir
selbstverständlich nicht wollen, überhaupt keine Rede
sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der entscheidende Punkt ist, dass die Sanktion, das Buß-
geld kommt, wenn kein systematisches Beschwerdema-
nagement, kein taugliches Verfahren zur Löschung von
rechtswidrigen Inhalten vorhanden ist .

Ja, auch wir achten ganz genau darauf, dass dieses
Gesetz klar und präzise formuliert ist . Wir haben schon
einige Änderungen in der Gesetzesbegründung vorge-
nommen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Begründung? Ja, was hilft das denn?)


Wir haben den Anwendungsbereich präzisiert . Jetzt
ist klar, dass Maildienste wie GMX oder Web .de, Be-
wertungsportale oder Berufsportale wie LinkedIn oder
XING nicht unter dieses Gesetz fallen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben Sie das ins Gesetz! In der Begründung hilft das niemandem, Herr Fechner!)


Wir stehen dem Vorschlag, das auch im Gesetzestext zu
ändern, offen gegenüber. Das können wir gerne beraten.
Wenn dort entsprechende Regelungen erforderlich sind,
dann machen wir das zur Klarstellung gerne .

Ein weiter Punkt ist uns wichtig: Einen Auskunftsan-
spruch darf es nur geben, wenn ein Gericht dies anordnet .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht gar nicht im Gesetz!)


Bestandsdaten dürfen nur dann herausgegeben werden,
wenn eine Rechtsverletzung vorliegt, wenn also eine der
Straftaten begangen wurde, die wir im Gesetz abschlie-
ßend und genau normiert haben .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)


Auch das ist eine Änderung, auf die wir uns schon ver-
ständigt haben und die wir in den Gesetzestext einfügen
wollen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum bringen Sie denn dann ein falsches Gesetz ein?)


Das ist für uns in der SPD ein ganz wichtiger Punkt .

Sie sehen: Wir haben schon eine ganze Menge Kritik-
punkte aufgenommen . Für uns gilt, dass im Zweifel für
die Meinungsfreiheit zu entscheiden ist . Es darf bei den
sozialen Netzwerken nicht die Situation eintreten, dass
diese – quasi in vorauseilendem Gehorsam – im Zwei-
fel aus Angst vor einer harten Sanktion zurückschrecken
und einen Inhalt deshalb löschen . Genau das wollen wir
nicht . Deswegen haben wir eine klare Regelung ins Ge-
setz aufgenommen .

Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die SPD
setzt sich dafür ein, dass für die Opfer von Straftaten und
Verleumdungen in der digitalen Welt die gleichen Rech-
te wie in der analogen Welt gelten . Dazu brauchen wir
ein Gesetz . Wir wollen dieses Gesetz . Wir sind bereit, in
den Beratungen die eine oder andere Präzisierung vorzu-
nehmen, möglicherweise auch im Gesetzestext . Darüber,
dass wir dieses Thema behandeln müssen, und zwar noch
in dieser Legislaturperiode, sollten wir uns aber alle einig
sein . Es wird viel zu viel Hass und Hetze im Internet ver-
breitet . Dagegen müssen wir vorgehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823502900

Dr . Stefan Heck erhält das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1823503000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung
im Deutschen Bundestag behandeln, hat schon, bevor er
uns hier erreicht hat, eine ungewöhnlich breite Debatte
in der Öffentlichkeit ausgelöst. Ich glaube, wir sind gut
beraten, die Einwände, die uns aus vielen Teilen der Ge-
sellschaft erreichen, ernst zu nehmen und sie sorgfältig
abzuwägen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Wenn man die Reden hier aufmerksam verfolgt hat –
von Frau Sitte bis zu Herrn von Notz und die Reden aus
den Reihen der Koalition –, dann kann man feststellen:
In der Bestandsaufnahme sind wir uns zunächst einmal
einig . Die derzeitige Praxis ist jedenfalls unbefriedigend .
Viele soziale Medien haben sich zu Räumen entwickelt,
in denen das Gesetz und das Recht, das unbestritten gilt,
derzeit keine Anwendung finden. Dort wird gehetzt, dort
wird beleidigt, und dort wird Hass verbreitet, häufig un-
ter dem Deckmantel der Anonymität, meist jedenfalls
ohne irgendeine Konsequenz für die Täter .

Dabei haben die Betreiber von sozialen Medien ein
Privileg . Anders als zum Beispiel Presseverlage haften
sie nicht in vollem Umfang für die Inhalte, die über sie
verbreitet werden . Das Telemediengesetz verlangt le-
diglich, dass rechtswidrige Inhalte unmittelbar gelöscht
werden, sobald der Betreiber von ihnen Kenntnis erlangt .
Unsere ernüchternde Erkenntnis heute ist, dass viele

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Plattformen dieser Forderung überhaupt nicht nachkom-
men . Auf der Strecke bleiben dann die Nutzerinnen und
die Nutzer, die sich ehrverletzenden Angriffen völlig hilf-
los ausgesetzt fühlen .

Wenn man sich damit beschäftigt, dann erfährt man:
Es ist ein komplizierter Prozess, bis selbst eindeutig
rechtswidrige Aussagen entfernt werden . Die Melde-
portale sind zu kompliziert, das Verfahren ist undurch-
sichtig, und häufig gibt es niemanden, der am Ende als
Ansprechpartner erreichbar ist . Hier entsteht der fatale
Eindruck, dass strafbares Verhalten völlig sanktionslos
hingenommen wird . Ich bin der festen Überzeugung:
Diesen Zustand dürfen wir als Staat und als Gesetzgeber
nicht länger dulden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Gesetzentwurf sieht verschiedene Maßnahmen
vor – wir haben es eben schon erfahren –: Es soll eine Be-
richtspflicht zum Umgang mit strafbaren Inhalten geben.
Es soll die Verpflichtung zu einem wirksamen Beschwer-
demanagement geben . Es soll einen Auskunftsanspruch
der Opfer zu den Bestandsdaten der Täter geben . Und es
soll eine Bußgeldandrohung in empfindlicher Höhe bei
Pflichtverstößen geben. Ich glaube, all das ist ein drin-
gend notwendiges Signal; es ist ein Schritt in die richtige
Richtung .

Gleichwohl – auch das will ich offen ansprechen – se-
hen wir bei einigen zentralen Punkten noch erheblichen
Beratungsbedarf .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Ich bin nicht sicher, ob die Löschverpflichtung, die die
sozialen Netzwerke in völliger Eigenregie umsetzen
sollen, wirklich der Weisheit letzter Schluss ist . Wir ha-
ben – Frau Kollegin Winkelmeier-Becker hat es ange-
sprochen – schon in verschiedenen Bereichen des Medi-
enrechts die Einbeziehung von neutralen und allgemein
anerkannten Akteuren . Das könnten wir uns hier auch
sehr gut vorstellen .

Für uns als Fraktion ist ein Punkt ganz wichtig: Wir
müssen einen Mechanismus finden, der rechtswidrige In-
halte zielgenau erkennt und ebenso zielgenau beseitigt,
ohne dass durch eine zu weit gehende Löschpraxis sozu-
sagen in vorauseilendem Gehorsam die Meinungsfreiheit
eingeschränkt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir stehen jetzt vor intensiven Beratungen . Zur Wahr-
heit gehört: Herr Minister, es wäre gut gewesen, wenn
Sie dieses Gesetz schon sehr viel früher vorgelegt hätten
und wir für die Beratungen erheblich mehr Zeit gehabt
hätten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns gilt: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit . Aber
wir wollen dieses Gesetzesvorhaben innerhalb der nächs-
ten Sitzungswochen zu einem guten Abschluss bringen .
Es geht hier um sehr grundsätzliche Fragen: Wie schüt-
zen wir die Wahrhaftigkeit in der öffentlichen Debatte?

Wie kann sich der Rechtsstaat im digitalen Raum be-
haupten? Vor allem: Wie können wir Nutzerinnen und
Nutzer wirksam vor Straftaten schützen?

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823503100

Das Wort erhält die Kollegin Renate Künast für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823503200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gar

nicht alles wiederholen, weil ich es eigentlich auch hasse,
die Sätze, die im Netz oft fallen, wiederholen zu müssen .
Es ärgert auch mich immer wieder, was da systematisch
passiert – ich habe das selber erlebt –: Nicht nur der Hass .
Ich habe das selber erlebt, dass ein Generalstaatsanwalt
den Satz „Von Ihnen würde ich gern ein Enthauptungs-
video sehen“ dann nicht als Beleidigung bezeichnet .
Ich sage: Wie kann man einen Menschen noch stärker
herabwürdigen? Ich habe erlebt, wie es ist, wenn einem
Falsch zitate, Fake News angehängt werden, und wie lan-
ge man braucht, um die wieder zu löschen . Deshalb sage
ich, sagen wir: Ja, da muss etwas getan werden . Es muss
etwas getan werden, damit das, was heute schon im Tele-
mediengesetz deutsches Recht ist, auch umgesetzt wird,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist schon mal ein guter Ansatz!)


Das heißt aber noch nicht, dass es genau so getan
werden muss, wie es jetzt vorgesehen ist . Sie bekommen
Gegenwind – ich habe Ihren Zwischenruf gar nicht ganz
verstanden; aber ich brauche mich da auch gar nicht zu
scheuen; wir als Grüne sind schon die ganze Legislatur-
periode in dieser Geschichte unterwegs –, Gegenwind
von allen Seiten: von der Union, von der SPD, vom
Journalistenverband, vom Richterbund, von Rechtswis-
senschaftlern und, und, und . Meine Damen und Herren,
das sollte Ihnen eigentlich zu denken geben. Ich finde
das Verfahren nicht angemessen, wie Sie es gemacht
haben: Wir bringen mal ein Gesetz ein, das eigentlich
vom Minister geschrieben ist; aber es kommt nicht als
Regierungsentwurf, sondern als Fraktionsentwurf, weil
man den Bundesrat und seine Äußerungsfristen umgehen
will . Das alleine ist vom Verfahren her schon nicht an-
gemessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Obwohl, wir sehen natürlich auch, wie groß dieser
Hass ist und dass er von einigen Organisationen systema-
tisch mit politischen Absichten betrieben wird, um den
Diskurs nach ganz weit rechts zu schieben .

Man muss sich ja fast schon dafür schämen, dass man-
che Journalistinnen und Journalisten auch meinen, Poli-
tical Correctness sei etwas Falsches . Wenn man also die

Dr. Stefan Heck






(A) (C)



(B) (D)


Würde achtet und Menschen nicht diskriminiert, dann
soll man sich schon schämen . So weit ist der Diskurs
schon gekommen, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das macht mir auch Angst, und nicht nur Hate Speech
und Fake News .

Fakt ist: Wir reden über die Durchsetzung geltenden
Rechts, über die Löschung rechtswidriger Inhalte . Ich
meine, die Koalition hat die Chance verpasst, alle Inte-
ressen und Rechte der Betroffenen bzw. die Zuständigkei-
ten – auch der Länder – hier miteinander zu koordinieren .
Vergessen wir nicht: Für Jugendschutz, für Presse, für
Medien sind die Bundesländer zuständig . Für die Schaf-
fung neuer Staatsanwaltschafts- und Richterstellen sind
übrigens auch die Justizbehörden der Länder zuständig .
Man sieht ja: Der Bundesrat wundert sich schon .

Ich will ein paar Punkte zu dem Notice-and-Take-
down-Verfahren sagen, das ja auch schon Pflicht ist und
von dem auch wir sagen: So geht es nicht . Ich selber
versuche, ich glaube, seit anderthalb Jahren, zu Arvato
durchzudringen, die ja im Auftrag von Facebook tätig
sind . Ich bin bisher dort nicht durchgekommen . Es wird
mir immer angekündigt, ich käme da hin . Man fragt sich
also: Was haben die zu verbergen? Arbeiten die gar nicht
so gut? – Also: Es ist etwas zu tun . Und: Dieses Verfah-
ren muss besser werden .

Aber warum soll es eine Parallelstruktur zum Teleme-
diengesetz geben, meine Damen und Herren? Warum lö-
schen und sperren? Warum unbestimmte Rechtsbegriffe?
Wie sollen sie konkret ausgelegt werden? Ich weiß – Herr
Fechner, Sie haben es gesagt –: Es soll noch nachgebes-
sert werden . – Aber jetzt komme ich mal zum Verfahren .
Was ist das für ein Verfahren, in dem nach anderthalb
oder zwei Jahren mit runden Tischen, Zwischenberich-
ten und allem im allerletzten Augenblick dem Bundestag
etwas vorgelegt wird? In Klammern: Es ist ja auch noch
die Notifizierung der Europäischen Union zu beachten.
Also: Wenn wir auf neue und gute Ideen kommen, dann
könnten wir das Gesetz nicht entsprechend verbessern,
weil wir dann ein neues Notifizierungsverfahren einlei-
ten müssten . Das ist doch eine Engführung des parlamen-
tarischen Prozesses – und das angesichts der Tatsache,
dass da Grundrechte tangiert werden . Ich halte das für
kein gutes Verfahren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Grundrechte werden tangiert, was die Meinungsfrei-
heit betrifft, und natürlich auch, das Eigentumsrecht,
was die Betriebe betrifft. Wir wissen nicht, für wen es
gelten soll . Welche 2 Millionen Nutzer, User sind denn
gemeint? Die Löschfristen sind einseitig gemacht . Das
heißt, für den Fall, dass eine Löschung falsch war, sehen
Sie kein Verfahren vor, um den betreffenden Inhalt wie-
der einzustellen . Es ist in der Demokratie ja auch mög-
lich, dass das einmal passieren kann . Sie reden über ei-
nen Richtervorbehalt beim Drittauskunftsanspruch, aber
er steht gar nicht im Gesetz .

Ich meine, es gibt dringenden Beratungsbedarf und
Änderungsbedarf bei diesem Entwurf, was die Fristen,
den Anwendungsbereich, fälschlich gelöschte Inhalte an-
geht . Wir müssen die Debatte erweitern und müssen uns
um Prävention, Medienkompetenzen, Bildung kümmern,
weil wir allein mit dem Strafgesetzbuch und dem Ord-
ungswidrigkeitengesetz das, was hier gesellschaftlich
passiert, nicht lösen können . Dafür brauchen wir Zeit .
Die wollen wir auch haben . Die nehmen Sie sich nicht,
obwohl es um Grundrechte geht . Deshalb unsere Kritik
an Ihrem Entwurf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823503300

Das Wort erhält nun der Kollege Lars Klingbeil für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823503400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

Frau Künast Ministerin gewesen ist, muss es so gewesen
sein, dass alle Kabinettsvorlagen von der Grünenfraktion
eins zu eins im Parlament durchgewunken wurden . Ich
glaube, die Große Koalition kann mit vollem Stolz sagen:
Wir reden noch einmal über das, was aus dem Kabinett
kommt, und gucken uns genau an, ob man nachbessert .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterste Schublade! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Normalerweise weinen Sie sich aus bei uns über den Koalitionsausschuss! Da nennen Sie das gar nicht „reden“, sondern „weinen“! – Gegenruf des Abg . Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das scheint ja getroffen zu haben!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über
einen Bereich, der sehr sensibel ist . Ich glaube auch, dass
bei vielen von uns in den letzten Monaten Erkenntnisse
gereift sind . Wir alle sind uns der Verantwortung ange-
sichts des Themenbereichs bewusst, über den wir heute
sprechen . Es geht um Meinungsfreiheit, es geht um die
Verantwortung, die der Staat, die wir als Parlamentarier
tragen . Es geht um die Frage, ob wir es als Politik schaf-
fen, diejenigen zu schützen, die von Hass und Hetze im
Internet betroffen sind. Facebook ist heute quasi so etwas
wie ein öffentlicher Raum. Es geht heute hier auch um
die Frage, ob der Staat dort Handlungsfähigkeit beweisen
kann .

Ich will Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass seit Beginn der Diskussion vieles passiert ist: Wir
sehen eine gestiegene Sensibilität in der Bevölkerung .
Wir diskutieren viel, nicht nur über offensichtliche Straf-
rechtsverletzungen, sondern auch über einen anderen
Punkt, über das, was wir als Fake News bezeichnen, und
die Frage, wie wir damit umgehen .

Facebook kommt in Bewegung . Wir sehen, dass dort
mehr Personen eingestellt werden, die löschen sollen .
Wir sehen auch, dass Facebook anfängt, mit Journalisten

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


zusammenzuarbeiten und genau zu gucken, was eigent-
lich wahr ist und wo falsche Dinge verbreitet werden .

Für die SPD-Fraktion kann ich sagen – das ist für
uns völlig klar –: Es geht, wenn wir über all diese Dinge
reden, nicht nur um Gesetze; es geht auch um digitale
Kompetenzen . Es geht um die Frage: Wie stärken wir
eigentlich diejenigen, die im Internet dagegenhalten? Es
geht um die Frage: Wie können wir Fakten viel besser
herausstellen?

Heute reden wir konkret über das Netzwerkdurch-
setzungsgesetz . Ich kann für die SPD-Fraktion hier zu-
sagen: Wir werden die vielen Bedenken, die gerade im
öffentlichen Raum stehen, in den parlamentarischen Be-
ratungen ernst nehmen . Wir werden zuhören, wir werden
uns die Dinge anhören, und wir werden dann sicherlich
nach einer gründlichen Debatte dazu kommen, dass wir
an vielen Stellen Änderungen an diesem Gesetzentwurf
vornehmen .

Es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Schnel-
ligkeit, weil die Legislatur bald zu Ende ist . Ich will hier
aber auch sagen: Es geht auch um Gründlichkeit, und
beide Dinge werden wir nicht gegeneinander ausspielen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823503500

Herr Kollege Klingbeil, darf Frau Rößner eine Zwi-

schenfrage stellen?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823503600

Sehr gerne .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823503700

Vielen Dank, Herr Präsident . – Danke, Kollege

Klingbeil, dass ich eine Frage stellen darf . Nun gab es
ja am Anfang der Legislaturperiode das große Ansinnen
der Großen Koalition, eine Bund-Länder-Kommission
zur Regelung im Medienbereich auf den Weg zu brin-
gen . Da gab es auch eine Arbeitsgemeinschaft Plattform-
regulierung und eine Arbeitsgemeinschaft Intermediäre .
Jetzt hat die Kommission aber leider ihre Arbeit schon
abgeschlossen, es gibt einen Bericht, aber genau diese
Thematik ist darin nicht enthalten . Insofern verstehe ich
nicht ganz, warum jetzt auf die Schnelle dieses Gesetz
durchgeboxt werden soll, ohne dass die Länder miteinbe-
zogen worden sind, obwohl man dort ein Gremium hat-
te, in dem man intensiv diskutiert und sich Sachverstand
geholt hat . Das verstehe ich nicht . Vielleicht können Sie
es mir erklären .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823503800

Liebe Kollegin Rößner, es ist doch in der Tat so – das

wissen Sie als Mitglied der damaligen Enquete-Kom-
mission und als eine Kollegin, die auch viel in diesem
Bereich unterwegs ist –, dass es digitale Entwicklungen
gibt, die uns manchmal angesichts ihrer Geschwindigkeit
herausfordern . Sie haben zu Recht festgestellt: Wir hät-
ten dieses Thema in der Bund-Länder-Kommission dis-
kutieren sollen . – Wir haben es da leider nicht getan . Das
Parlament war ja nicht direkt beteiligt . Aber es gibt jetzt

diese Herausforderung, und wir müssen diese Herausfor-
derung annehmen .

Für mich wäre es der falsche Weg, nur weil die Le-
gislatur kurz vor dem Ende steht, jetzt zu sagen: Wir
ignorieren diese Probleme und diskutieren es hier im
Parlament nicht . –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen uns mit den Fragen, die unsere Gesellschaft
beschäftigen, auseinandersetzen, und das tut die Große
Koalition an dieser Stelle . Ich habe gerade, als Sie sich
gemeldet haben, gesagt: Es geht um Gründlichkeit, und
es geht um Schnelligkeit . Beides lässt sich nach unserer
Meinung nicht gegeneinander ausspielen .

Herr Präsident, ich will in meiner Rede fortfahren . –
Ich will vier Punkte nennen, die für die SPD bei den Ver-
handlungen in der Koalition und hier im Parlament sehr
wichtig sein werden .

Das Erste ist, dass der Gesetzentwurf eine Ausweitung
der Auskunftsansprüche ohne Richtervorbehalt vorsieht .
Das ist für uns eine rote Linie, die in diesem Fall über-
schritten wurde . Wir sagen: Der Richtervorbehalt muss
rein, und wir brauchen eine Beschränkung des Aus-
kunftsanspruchs auf einen engen Kreis von Straftaten .

Der zweite Punkt sind die Bußgelder . Wir wollen die-
sen Punkt im Gesetzestext konkretisieren, um deutlich zu
machen: Es geht nicht um den einzelnen Post und die
Frage, ob eine soziale Plattform damit falsch umgeht,
sondern um das Vorhalten eines effektiven Beschwerde-
managements . Wir wollen erreichen, dass das im Gesetz
deutlicher wird .

Der dritte Punkt ist, dass wir eine Klarstellung brau-
chen, welche Plattformen von diesem Gesetz betroffen
sind und welche nicht .

Der vierte Punkt ist – auch das kann ich hier für die
SPD-Fraktion sagen –: Wir wollen die Möglichkeit der
regulierten Selbstregulierung in den Verhandlungen hier
im Parlament offen und ehrlich prüfen.

Das waren vier Punkte, die uns sehr wichtig sind . Ich
will noch einmal sagen: Es ist für mich eine Selbstver-
ständlichkeit, dass wir als Parlamentarier schauen, wie
wir selbst bei guten Gesetzen noch nachbessern können .

Dann will ich aber jetzt am Ende etwas ansprechen,
was mich schon irritiert . Es gibt vonseiten der Union viel
Kritik, Kritik am Minister und an dem, was das Kabinett
vorgelegt hat . Ich hätte mir gewünscht, dass heute hier
im Parlament diejenigen aus den Reihen der Union spre-
chen, deren Kritik am Gesetz man sonst nur auf Spiegel
Online nachlesen kann .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Genau!)


Da fordert Herr Kauder Herrn Maas auf, das Gesetz
schneller auf den Weg zu bringen und es härter zu ma-
chen .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ja!)


Dann kommt seine Stellvertreterin Nadine Schön und
sagt: Das darf alles nicht so schnell gehen, und das ist

Lars Klingbeil






(A) (C)



(B) (D)


doch alles viel zu hart . – Herr Jarzombek schlägt vor,
eine quasi-staatliche Behörde einzurichten . Dorothee
Bär, die als Staatssekretärin ihren Minister im Kabinett
anscheinend schlecht beraten lässt, sagt, sie lehne die-
ses Gesetz ab . Dieses Hin und Her in der Union wird es
schwierig machen, in den kommenden Wochen über alle
diese Punkte zu beraten .


(Beifall bei der SPD)


Ich hätte mir gewünscht, dass die Digitalpolitiker heute
zu Wort kommen . Dann hätten wir die Kritik nicht nur
bei Spiegel Online gelesen, sondern auch einmal hier im
Parlament gehört .


(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja aus Spiegel Online vorlesen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823503900

Herr Klingbeil, bevor Ihre Redezeit zu Ende ist: Wol-

len Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823504000

Ja, gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823504100

Gut . Deswegen hatte ich Sie jetzt unterbrochen .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823504200

Dann habe ich auch mehr Zeit zur Verfügung . Das ist

doch gut .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823504300

Frau Schön, bitte .

Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU):
Lieber Kollege Klingbeil, Sie haben mich direkt ange-

sprochen . Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass
die Unionsfraktion in dieser Frage immer eine einheitli-
che Meinung hatte?


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das ist ja ganz neu!)


Das ist in unserem Positionspapier nachzulesen, das wir
als Gesamtfraktion im Januar verabschiedet haben . Darin
haben wir alle Punkte, die heute kritisiert werden, aufge-
griffen, nämlich: Wer prüft eigentlich? Gibt es Verfah-
ren der regulierten Selbstregulierung? Wer ist überhaupt
betroffen von einem solchen Gesetz? – Das stand schon
in unserem Positionspapier . Deswegen wäre es schön
gewesen, wenn das zuständige Ministerium die Positi-
onspapiere – Ihre Fraktion hat ja auch eines vorgelegt –
als Grundlage für das Gesetz herangezogen hätte . Dann
müssten wir viele Diskussionen heute nicht führen .

Ich freue mich sehr, wenn Sie sagen, dass für Sie das
Thema „regulierte Selbstregulierung“ wichtig ist . Sie tei-
len unsere Kritik an vielen Stellen . Frau Winkelmeier-
Becker hat in ihrer Rede auch Punkte aufgegriffen.

Hansjörg Durz wird für die AG Digitale Agenda spre-
chen . Wir haben ein völlig konsistentes Meinungsbild
innerhalb der CDU/CSU-Fraktion .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Ja, klar! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Bislang noch nicht groß aufgefallen!)


Wir sind aber auch offen für Anregungen von außen; denn
wir sind uns einig, dass es ein sehr komplexes und schwie-
riges Gesetz ist . Wir alle sind gut beraten, wenn wir auch
Experten und diejenigen, die mit dem Thema „regulierte
Selbstregulierung“ schon Erfahrungen haben, hören und
ihre Meinung in unsere Beratungen einbeziehen .

Ich möchte die Kritik wiederholen, dass es sehr schade
ist, dass die Beratungszeit so kurz ist . Wir hätten uns für
dieses Gesetz einfach mehr Zeit gewünscht . Aber es ist
schön, zu hören, dass die SPD-Fraktion bei vielen Punk-
ten unserer Meinung ist . Deshalb sollten wir die Zeit nut-
zen, das Gesetz zu einem guten Gesetz zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823504400

Herr Klingbeil, bitte .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823504500

Ich freue mich darüber, dass sich beim geschätzten

Koalitionspartner bei diesem Thema endlich Einigkeit
andeutet . Ich will noch einmal die für uns wichtigsten
vier Punkte nennen: Richtervorbehalt beim Auskunfts-
anspruch, Bußgelder konkretisieren, deutliche Klarstel-
lung, welche Netzwerke betroffen sind, und Prüfung der
regulierten Selbstregulierung . Wenn Herr Durz, der nach
mir sprechen wird, sagt: „Wir machen an alle vier The-
men einen Haken“, dann würde das im Hinblick auf die
Berichterstattergespräche schon einiges erleichtern .

Vielen Dank fürs – –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823504600

Herr Klingbeil, Stopp! Sie haben noch eine Sekunde

Redezeit .


(Heiterkeit)


– Ja, bei manchen ist eine Sekunde ziemlich lang, liebe
Kolleginnen und Kollegen . – Wollen Sie noch eine Zu-
satzfrage von Herrn von Notz zulassen?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823504700

Ja, klar . Gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823504800

Gut .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, Herr
Kollege Klingbeil . Nach den Selbstgesprächen der Gro-
ßen Koalition muss ich doch eine Nachfrage stellen,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lars Klingbeil






(A) (C)



(B) (D)


weil ich da etwas nicht verstehe . Wenn es in der Union
eine einheitliche Linie gibt, wie verstehen Sie denn dann
die Äußerungen der Kollegen Bär und Jarzombek? Also
ich nehme eine große Lücke zwischen den Aussagen von
Herrn Kauder, der jetzt leider nicht mehr da ist, und de-
nen der beiden Kollegen wahr . Gibt es eine sozialdemo-
kratische Erklärtheorie, wie es zu diesem Delta kommen
kann?


(Heiterkeit – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist mal eine gute Frage!)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1823504900

Ich bin ausgebildeter Sozialwissenschaftler und kein

Sozialpädagoge .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf setze ich!)


Insofern kann ich nicht weiterhelfen . Ich habe aber wahr-
genommen – und das ist ein wichtiges Signal –, dass die
Union dabei ist, sich auf konkrete Punkte zu einigen, die
wir in die Berichterstattergespräche einfließen lassen
können . Das wäre für uns wichtig, damit wir das Gesetz
in dieser Legislatur noch gründlich beraten und zum Ab-
schluss bringen können .


(Beifall bei der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823505000

Vielen Dank, Lars Klingbeil . – Schönen guten Mor-

gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzter Redner in
dieser lebendigen Debatte: Hansjörg Durz für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1823505100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So-
ziale Medien bieten großartige Möglichkeiten und Chan-
cen der Kommunikation und sind heute wesentlicher
Bestandteil unseres öffentlichen Diskurses. Sie haben
sich in den vergangenen Jahren extrem dynamisch wei-
terentwickelt und haben eine enorme Reichweite . Bei-
spielsweise wird Facebook von 1,9 Milliarden Menschen
weltweit genutzt . In Deutschland nutzen das Netzwerk
etwa 25 Millionen Menschen jeden Monat .

Mit dieser Entwicklung geht eine spürbare Verände-
rung des öffentlichen Diskurses im Netz sowie in der Ge-
sellschaft insgesamt einher . Neben all den positiven As-
pekten sehen wir leider zunehmend auch Beleidigungen,
Hass, Diskriminierungen, Aufrufe zur Hetze, ja, sogar
Mord . In den letzten Wochen und Monaten sind immer
wieder Videos von Gewalttaten auf Internetplattformen
veröffentlicht worden, so schlimm, dass man sie gar
nicht beschreiben will. Nach der Veröffentlichung eines
Mordvideos auf Facebook hat Mark Zuckerberg kürzlich
Konsequenzen zugesagt und die Einstellung von Tausen-
den zusätzlichen Mitarbeitern angekündigt, die löschen
sollen .

Bereits heute müssen – wir haben das mehrfach ge-
hört – soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen,
wenn sie Kenntnis davon erlangen . Die Diensteanbieter
kommen dieser Löschpflicht zwar grundsätzlich nach,
allerdings nicht in dem erforderlichen Umfang und vor
allem oft viel zu spät . Dabei spielt der Faktor Zeit eine
ganz entscheidende Rolle . Auch wenn rechtswidrige In-
halte relativ zeitnah gelöscht werden, haben bis dahin
möglicherweise Hunderttausende Menschen die Inhalte
gesehen, kopiert und weiterverbreitet . Empirische Da-
ten belegen, dass trotz der rechtlichen Verpflichtung oft
zu wenig passiert und rechtswidrige Inhalte zu lange im
Netz verbleiben .

Aus diesem Grund hat Justizminister Maas zunächst
das Gespräch mit den Diensteanbietern gesucht . Es wur-
den runde Tische organisiert und sogar eine Taskforce
eingerichtet. Die Bemühungen, über die Selbstverpflich-
tung der Anbieter eine Verbesserung zu erreichen, haben
aber nicht den dringend notwendigen Erfolg gebracht .
Es kam zwar Bewegung in die Diskussion . Der Druck,
zu handeln, wurde erhöht; aber bislang ist viel zu wenig
passiert .

Als Unionsfraktion haben wir uns intensiv mit der
Entwicklung von und auf sozialen Medien auseinander-
gesetzt . Wir haben einen Fraktionskongress zum Thema
„Hassrede und Fake News“ veranstaltet,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


mit Wissenschaftlern und Experten diskutiert und an-
schließend ein Positionspapier entwickelt . Wir sehen,
dass wir der Entwicklung nicht nur, aber auch mithilfe
gesetzlicher Regelungen begegnen müssen . Das Positi-
onspapier ist für uns Grundlage dafür . Es steht seit dem
Fraktionskongress im Januar dieses Jahres . Von Volker
Kauder bis Thomas Jarzombek und Nadine Schön waren
alle anwesend . Alle tragen dieses Positionspapier mit .
Das ist unsere Grundlage . Da besteht Einigkeit in der
Union .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der gesetzlichen Regelung verfolgen wir das
klare Ziel, wirksame Verfahren zu implementieren, um
strafrechtlich relevante Inhalte zu identifizieren und die
Rechtsdurchsetzung zu stärken . Es gilt aber auch, die
oftmals schwierige Abwägung zwischen Meinungsfrei-
heit und Persönlichkeitsrechten sicherzustellen und sehr
genau darauf zu achten, dass die Regelung keine Eigen-
dynamik zulasten der Meinungsfreiheit auslöst . Ein Lö-
schen auf Vorrat darf und wird es mit uns nicht geben .

Ich möchte drei Punkte aus dem vorliegenden Gesetz-
entwurf herausgreifen und die Frage stellen, ob die grund-
sätzlich gute Absicht des Gesetzentwurfs tatsächlich zu
einem guten Ergebnis führt . Der Kollege Klingbeil wird
einige Punkte erkennen, bei denen auch er Änderungsbe-
darf angemeldet hat .

Erstens . Sehen wir uns den Anwendungsbereich an .
Wen betrifft das Gesetz? In § 1 steht:

Dieses Gesetz gilt für Telemediendienstanbieter, die
mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Inter-

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


net betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige
Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu tei-
len oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen …

Ausgenommen sind soziale Netzwerke im Inland mit we-
niger als 2 Millionen Nutzern .

Nach dieser Definition wären zunächst sehr viele Platt-
formen eingeschlossen . Zwar wurde der Anwendungs-
bereich in der Begründung näher definiert, es stellt sich
aber die Frage, ob dies ausreichend ist und nicht einer
Klarstellung in § 1 bedarf . Ich meine schon . In der Be-
gründung wird ausgeführt, dass mit dem Gesetz maximal
zehn soziale Netzwerke erfasst werden sollen . Es muss
aber eindeutig klargestellt sein, dass wir nicht beispiels-
weise E-Mail-Dienste oder Bewertungsportale oder auch
innovative Geschäftsmodelle von Start-ups durch unver-
hältnismäßige Auflagen verhindern bzw. unmöglich ma-
chen . In diesem Zusammenhang müssen wir auch über
den Schwellenwert von 2 Millionen Nutzern sprechen .
Es gibt Plattformen, die, je nach Definition, möglicher-
weise keine 2 Millionen Nutzer in Deutschland haben,
aber durchaus gesellschaftlich relevant sind . Also, ich
denke, eine Konkretisierung des Anwendungsbereichs
ist zwingend erforderlich .

Der zweite Themenbereich, den ich herausgreifen
möchte, sind die Qualitätsstandards . Im Gesetz werden
vollkommen zu Recht Standards zum Umgang mit Be-
schwerden eingeführt, Standards aus dem Land und in
dem Land, in dem die Dienste angeboten werden . Es ist
absolut richtig, den Plattformen Qualitätsstandards ab-
zuverlangen . Das ist auch ein zentraler Ansatz des Ent-
wurfs. Er umfasst die verpflichtende Einführung eines
Beschwerdemanagements, regelmäßige Berichtspflich-
ten, die Verhängung von Bußgeldern bei Verstößen gegen
die Berichtspflichten und bei Fehlen eines Beschwerde-
managements . Insbesondere halten wir die in § 5 gefor-
derte Benennung eines inländischen Zustellungsbevoll-
mächtigten für zwingend notwendig . Dies sind absolut
sinnvolle Maßnahmen, übrigens alles Punkte unseres Po-
sitionspapiers. Diese Maßnahmen schaffen Transparenz
und führen einen Mechanismus ein, wie mit Beschwer-
den umgegangen werden muss .

Drittens . Die meistdiskutierte und zentrale Frage ist:
Wer entscheidet, was gelöscht wird und nach welchen
Kriterien? Wie bereits erwähnt, sind Plattformen auch
heute schon verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu lö-
schen, wenn sie Kenntnis davon haben . Dies geschieht
bisher nach unternehmensinternen Kriterien auf eine in-
transparente Art und Weise . Bereits diese bisherige Pra-
xis ist zu hinterfragen . Wollen wir tatsächlich den Unter-
nehmen die alleinige Entscheidung darüber überlassen,
welche Inhalte gelöscht werden und welche nicht? Ich
meine, nein . Wir brauchen einen rechtsstaatlichen Me-
chanismus, der einer Entscheidung über die Löschung
oder den Verbleib eines Inhalts vorgeschaltet werden
muss, einen Mechanismus, der sicherstellt, dass die nicht
eindeutig rechtswidrigen Inhalte einer sorgfältigen recht-
lichen Prüfung unterzogen werden . Er würde darüber
hinaus für Rechtssicherheit aufseiten der Betreiber und

Nutzer sorgen und einer unverhältnismäßigen Löschpra-
xis vorbeugen .


(Beifall der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Aus dem Bereich des Jugendmedienschutzes kennen
wir das Modell der Beschwerdestellen, die sehr erfolg-
reich mit der Justiz zusammenarbeiten . Dieses Modell
der regulierten Selbstregulierung, das von allen Rednern
der Union bisher genannt wurde, kann ein Vorbild sein;
denn dies würde bedeuten, dass nicht die Plattformbe-
treiber entscheiden, sondern eine vom Staat kontrollier-
te und von den Unternehmen finanzierte Instanz. Diese
prüft alle kritischen Sachverhalte mit geschultem Perso-
nal nach klaren Kriterien . Über solch ein Modell müssen
wir im parlamentarischen Verfahren reden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht, das liegt in
vielen Fällen klar auf der Hand . In mindestens so vielen
Fällen können sich aber hervorragende Juristen stunden-
lang streiten und am Ende zu ganz unterschiedlichen Er-
gebnissen kommen . Die Grenze zwischen der Meinungs-
freiheit und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten
ist oft fließend und bedarf einer eingehenden fachlichen
Prüfung .

Die Intention des Gesetzes ist absolut richtig: Wir
wollen und müssen eine Verbesserung bei der Rechts-
durchsetzung erreichen . Was rechtswidrig ist, muss aus
dem Netz verschwinden, so schnell wie möglich . Opfern
von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten
muss zu ihrem Recht verholfen werden . Ein Löschen auf
Vorrat darf und wird es mit uns aber nicht geben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823505200

Vielen Dank, Kollege Durz . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12356 und 18/11856 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu
wechseln bzw . Platz zu nehmen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock,
Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Historische Verantwortung Deutschlands für
die Ukraine

Drucksache 18/10042
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich im Na-
men aller Kolleginnen und Kollegen einige Gäste auf der
Tribüne recht herzlich begrüßen . Ich begrüße den Bot-
schafter der Ukraine sowie Vertreter und Vertreterinnen
der Botschaften von Israel, Belarus, Polen, Litauen, Lett-
land und Estland . Seien Sie uns herzlich willkommen!


(Beifall)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe Marieluise Beck
das Wort für Bündnis 90/Die Grünen .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mich freut, dass so viele mittel- und osteuropäische Ver-
tretungen an dieser Debatte teilnehmen; denn wir führen
hier eine europäische Debatte .

In diesem März wurde die deutsch-ukrainische Schrift-
stellerin Natascha Wodin mit dem Preis der Leipziger
Buchmesse ausgezeichnet . Natascha Wodins Eltern wur-
den als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt .
Ihre Mutter beging Selbstmord . Die Mutter kam, wie
Natascha Wodin heute weiß, aus Mariupol . Auch wer in
Yad Vashem in das Kindermausoleum geht, begegnet der
Ukraine . Von den unzähligen jüdischen Kindern, deren
Namen dort verlesen werden, stammt ein großer Teil aus
der Ukraine .

Der Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der
deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ge-
hören zum politischen Gedächtnis Deutschlands . Doch
es war nicht nur das heutige Russland, das diesen Ver-
nichtungskrieg erlitten hat . Die Territorien, auf denen
sich dieser Vernichtungskrieg abgespielt hat, heißen heu-
te Polen, Litauen, Lettland, Estland, Belarus, Russland
und eben auch Ukraine . In diesen Gebieten fanden die
Ausmerzung der jüdischen Bevölkerung und der gnaden-
lose Krieg gegen die slawische Zivilbevölkerung statt .

Timothy Snyder zeigt uns in seinem Bloodlands, dass
es diese Territorien zwischen Berlin und Moskau waren,
die unter dem totalitären Wahn des 20 . Jahrhunderts be-
sonders zu leiden hatten . Seit 1941 wüteten Wehrmacht
und SS unter der jüdischen und slawischen Bevölkerung,
die zuvor schon den Bürgerkrieg, den Holodomor und
Stalins Terror erlitten hatte . In der Roten Armee kämpf-
ten unter anderem Millionen ukrainische Soldaten . Sie
spielten eine maßgebliche Rolle bei der Befreiung des
Vernichtungslagers Auschwitz .

Die Kreml-Propaganda erweckt heute systematisch
den Eindruck, der deutsche Angriffskrieg sei allein ge-
gen Russland geführt worden . Mehr noch: Die Ukraine
wird in dieser Lesart vom Opfer des Vernichtungskrie-
ges pauschal zum Nazikollaborateur umgedeutet . Als vor
drei Jahren Millionen von Ukrainern für Unabhängigkeit
und Freiheit auf die Straße gingen, wurde insinuiert, die-
se Proteste seien stark getrieben von Bandera-Faschisten
und Antisemiten . Leider traf das auch bei uns in Deutsch-
land auf fruchtbaren Boden .

Der Respekt vor den Millionen Opfern in den Zwi-
schenländern verlangt von uns einen neuen Blick auf die-
sen Teil der Geschichte . Dazu gehört auch die Tatsache,
dass mit dem Hitler-Stalin-Pakt die beiden totalitären
Systeme für lange Zeit halbe-halbe machten, ganz in der
Tradition der monarchischen Imperien in Jahrhunderten
zuvor; wir alle haben in der Schule etwas von den polni-
schen Teilungen gehört . Diese Erfahrung ist tief im kol-
lektiven Gedächtnis Polens und der baltischen Republi-
ken verankert . Deshalb reagieren sie bis heute allergisch
auf jede Neuauflage einer Achse Berlin–Moskau.

Historische Verantwortung ist nicht gleichzusetzen
mit Schuld . Aber Scham über das, was der deutsche Stie-
fel auf ukrainischem Boden angerichtet hat, sollten wir
empfinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn Geschichte etwas bedeutet, dann die Verpflich-
tung, der Ukraine heute in ihrem Streben nach Freiheit
und Würde zur Seite zu stehen . Ja, wir haben auch eine
historische Bürde gegenüber Russland abzutragen . Es
kann hier nicht darum gehen, das eine gegen das andere
auszuspielen . Dennoch dürfen die Zwischenländer nicht
erneut zur Verhandlungsmasse mit dem Kreml gemacht
werden, schon gar nicht aus Berlin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)


In Jalta wurde Europa gegen den Willen der Osteu-
ropäer geteilt . Europa endet aber nicht an den Grenzen
des Baltikums und Polens . Die Mittel-Osteuropäer zahl-
ten für diesen Weltkrieg mit ihrer Freiheit . Sie zählen zu
Recht auf unsere Unterstützung, wenn sie dem freiheitli-
chen Europa angehören wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)


Noch ein Wort zur Ukraine, weil ich weiß, dass hier
die Frage aufgeworfen wird: Warum dieser Schwerpunkt
auf die Ukraine? Wenn ich die Ukraine so hervorhebe,
dann weil es das einzige Land in diesen Bloodlands ist,
in dem gegenwärtig Krieg geführt wird . Auf der Tribüne
sitzen Frauen und Mütter von Soldaten, die im Donbass
verschwunden sind .

Nicht nur der Vernichtungskrieg tobte auf dem Boden
der Zwischenländer; es gab auch die systematische Ver-
schleppung von Menschen als Zwangsarbeiter . Das traf
besonders die Ukraine . Historiker gehen davon aus, dass
zwei Drittel der sogenannten Ostarbeiter aus der Ukraine
stammten . Sie haben bei unseren Großeltern und Eltern
auf Bauernhöfen, in Familienbetrieben, in Fabriken ge-
arbeitet, oft unter entsetzlichen Bedingungen . Es ist an
der Zeit, auch diesen Teil der Geschichte in den Blick zu
nehmen. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag diese
Debatte weiter verfolgen wird, dass es nicht die erste und
letzte war .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823505300

Vielen Dank, Marieluise Beck . – Nächster Redner:

Dr . Christoph Bergner für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1823505400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-

liegende Antrag appelliert an die historisch-moralische
Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine .
Wir nehmen diesen Appell, verehrte Frau Kollegin Beck,
sehr ernst . Die Gräuel während des von Deutschland
ausgehenden rassistisch motivierten Okkupationskrieges
und der barbarische Zivilisationsbruch in Polen, im Bal-
tikum, in der Ukraine, in Belarus und Russland, in der
Region, die Timothy Snyder, wie Sie schon sagten, als
Bloodlands bezeichnete, wo antisemitischer und antisla-
wischer Rassismus furchtbares Leid verursachte, werden
im Antrag eindrücklich beschrieben .

Es gibt mehrere Anlässe, die historische Erinnerung
an diese Ereignisse in unserem Parlament zu themati-
sieren . Ein für mich besonders wichtiger Bezug war der
75 . Gedenktag des Massakers in der Schlucht von Babi
Jar im September letzten Jahres . Eine wichtige Botschaft,
mit der ich dieses Gedenken verbinden möchte, finde ich
in der Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim
Gauck, die er zu diesem Anlass in Kiew gehalten hat: In
dem Maß, in dem es uns gelingen wird, dem Gedächtnis
Raum zu geben, „wird auch das gemeinsame Erinnern
möglich sein, das wir brauchen, dringend brauchen, weil
die Geschichte, um die es geht, eine gemeinsame ist“ .

Weiter sagte er:

Antworten auf unsere Fragen werden wir nur ge-
meinsam finden. Dies ist kein Plädoyer für die
Verwischung von Verantwortlichkeiten, sondern
vielmehr für eine grenzübergreifende, gemeinsame
Forschung, für eine Forschung, die neuerlich modi-
schen Versuchungen widersteht, die Wahrheit durch
das Prisma der Nation zu suchen .

Diese Worte des Bundespräsidenten machen deut-
lich: Wir Deutsche müssen uns der Verantwortung be-
wusst bleiben, die auf Deutschland als Rechtsnachfolger
der Dritten Reiches lastet . Wir sind in einer besonderen
Pflicht, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir sollten
Formen der Aufarbeitung suchen, die im Sinne nachhal-
tiger Aussöhnung gemeinschaftlich vollzogen werden
können . Das gilt nicht nur für die Bloodlands im Allge-
meinen, sondern besonders für die Ukraine, gerade an-
gesichts der gewaltigen Herausforderungen, die die Ge-
sellschaft dieses Landes gegenwärtig zu bewältigen hat .

Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich
die Einrichtung der Deutsch-Ukrainischen Historiker-
kommission begrüßen, die 2015 erfolgte . Im April 2016
haben Frank-Walter Steinmeier und sein damaliger ukra-
inischer Kollege Pawlo Klimkin die Schirmherrschaft
über die Kommission übernommen . Seit März 2016 wird
die Kommission mit Mitteln der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik finanziert. Zwei Aspekte sehe ich als
zentrale Aufgaben dieser Kommission an: die Arbeit am

gegenseitigen Verstehen und die gemeinsame Aufarbei-
tung der totalitären Vergangenheit .

Zum gegenseitigen Verstehen . Selbst die Historiker-
zunft muss eingestehen, sich in der Vergangenheit zu
wenig mit der ukrainischen Geschichte als eigenständige
Geschichte beschäftigt zu haben . Der renommierte deut-
sche Historiker Karl Schlögel hat das neulich in einem
selbstkritischen Ausruf eingestanden – Zitat –:

Ich musste feststellen, dass man sich ein Leben lang
mit dem östlichen Europa, mit Russland und der
Sow jetunion beschäftigen konnte, ohne eine genau-
ere Kenntnis von der Ukraine zu besitzen . . .

Das betreffe nicht nur ihn, sondern auch manche andere
seiner Zunft, die so spät zu dieser Einsicht kamen . – Wol-
len wir den Ukrainern auf dem Weg zu einem souveränen
und modernen Staat helfen, so müssen wir die Hinter-
gründe verstehen, die diese Gesellschaft geformt haben,
bevor wir vorschnelle Schlüsse ziehen .

Zum zweiten Aspekt . Es gehört zu meiner Grundüber-
zeugung, dass der Übergang zu demokratischen Gesell-
schaften im postsowjetischen Raum insbesondere dort
nicht gelungen ist, wo es keine echte Aufarbeitung der
totalitären Vergangenheit gab . Das schließt die Aufarbei-
tung der totalitären Ära des Stalinismus ein . Kern und
Ziel unserer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung
ist die umfassende Aufarbeitung der totalitären Vergan-
genheit . In seiner letzten Publikation Black Earth erwei-
tert Timothy Snyder sein Konzept der Bloodlands um die
These, dass dem Zivilisationsbruch im Einflussbereich
beider totalitären Regime – Hitlers und Stalins – eine
systematische Vernichtung von Staat und Recht voran-
ging .

Damit komme ich zu den Schlussfolgerungen . Wir ha-
ben eine historisch-moralische Verpflichtung, die Ukrai-
ne am europäischen Friedenswerk zu beteiligen .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen zur Hilfe bereit sein, wenn es darum geht,
das Land zu stabilisieren, seine Institutionen zu stärken
und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zur Geltung zu
verhelfen . Der vorgegebene Rahmen ist zurzeit das eu-
ropäische Nachbarschaftskonzept sowie zahlreiche bila-
terale Kooperationen, die den Assoziierungsprozess der
Ukraine flankieren. Ich habe nicht die Zeit, alle Aktivi-
täten aufzuführen, die beispielsweise im Rahmen des
Haushaltes des Auswärtigen Amtes in der Auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik erfolgen .

Wir wollen ein Zeichen für die Aufarbeitung des tota-
litären Zeitalters des 20 . Jahrhunderts auf der Grundlage
europäischer Werte setzen und einige Defizite auf diesem
Gebiet ausräumen . Die ukrainische Emanzipationsbewe-
gung spätestens seit dem Maidan gibt uns dafür einen
guten Anlass . Die Menschen, die in den Februartagen
2014 ihr Leben für die europäische Idee lassen mussten,
verpflichten uns dazu.

2012 erhielt die Europäische Union den Friedens-
nobelpreis . Ich bitte noch einmal, sich die Begründung






(A) (C)



(B) (D)


für die Verleihung dieses Friedensnobelpreises deutlich
zu machen, damit sichtbar wird, dass die Europäische
Union das sichtbarste und denkbar beste Produkt ge-
meinsamer Kriegsfolgenaufarbeitung ist . Deshalb ist es
so ungeheuer wichtig, dass wir unsere nationale histo-
risch-moralische Verpflichtung, die wir gegenüber der
Ukraine, aber auch gegenüber den anderen Bloodlands
haben, in unsere europäische Politik einbinden, dass wir
die Hand zur Nachbarschaft ausstrecken und Perspekti-
ven setzen und dass wir bereit sind, bei den gleichen Ver-
pflichtungen, die wir gegenüber Russland haben, uns vor
faulen Kompromissen zu bewahren .

Denn es ist zwar bedauerlich, aber wir haben uns da-
mit auseinanderzusetzen – –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823505500

Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte .


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1823505600

– letzter Satz, Frau Präsidentin –: Die gegenwärtige

russische Politik sieht in einem erfolgreichen ukraini-
schen Weg eine Herausforderung oder gar eine Gefahr
für das eigene totalitäre Konzept . Dem dürfen wir im In-
teresse der gemeinsamen europäischen Werte nicht nach-
geben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Dr . Fritz Felgentreu [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823505700

Vielen Dank, Dr . Bergner . – Nächster Redner: Andrej

Hunko für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823505800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

sprechen heute über den Antrag der Grünen „Historische
Verantwortung Deutschlands für die Ukraine“ . Die Linke
sagt ganz klar: Ja, es gibt eine historische Verantwortung
Deutschlands gegenüber der Ukraine, aber auch gegen-
über den anderen Ländern,


(Beifall bei der LINKEN)


gegenüber Russland, Belarus, Polen und dem Baltikum .

Die historische Verantwortung ergibt sich in erster
Linie aus dem ungeheuerlichsten Eroberungs-, Verskla-
vungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Ge-
schichte kennt und dem schätzungsweise 27 Millionen
damalige Sowjetbürger zum Opfer gefallen sind, darun-
ter neben Millionen Russen auch viele Ukrainer .

Die Erinnerung an dieses Menschheitsverbrechen ist
meines Erachtens viel zu wenig ausgeprägt . Die wich-
tigste Lehre sollte es sein, alles zu tun, um im Osten ge-
genüber der Ukraine und gegenüber Russland eine Poli-

tik des Friedens und des Ausgleichs zu entwickeln . Das
wäre historische Verantwortung .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Was?)


Aber davon sind wir meilenweit entfernt, und das wis-
sen Sie . Schlimmer ist: Mit der NATO-Osterweiterung,
der Durchsetzung des EU-Ukraine-Assoziierungsab-
kommens und der Unterstützung des verfassungswid-
rigen Umsturzes im Februar 2014, aber auch durch die
entsprechenden russischen Reaktionen auf der Krim und
im Donbass wurde die historisch tief zerrissene Ukraine
weiter polarisiert .

Bis heute werden die Maidan-Proteste und der fol-
gende Umsturz – das haben wir eben gehört – von der
Bundesregierung und auch von den Grünen glorifiziert,
obwohl es dort eine starke Hegemonie rechtsnationalis-
tischer Kräfte gab, die sich auf den Nazikollaborateur
Bandera bezogen . Sein Bild war überlebensgroß auf dem
Maidan zu sehen . Militante Gruppen, die sich auf ihn be-
ziehen, spielten in dieser Entwicklung eine Schlüsselrol-
le . Hier wäre es historisch verantwortungsvoll gewesen,
zu differenzieren, anstatt diese Bewegung, die natürlich
nicht nur aus Nazis bestand – das ist klar –, sie spielten
aber eine große Rolle, einseitig zu protegieren bis hin
zum Besuch des damaligen Außenministers Westerwelle .

Die historische Rolle Banderas und seiner Organisa-
tion Ukrainischer Nationalisten wird im Antrag der Grü-
nen trotz einiger Auslassungen beschrieben . Gleichzei-
tig wird beklagt – das haben wir eben gehört –, Bandera
diene der russischen Propaganda als Verkörperung eines
ukrainischen Faschismus . Was denn sonst? Bandera und
seine Organisation waren glühende Antisemiten sowie
Polen- und Russenhasser und an Massakern beteiligt, die
Tausende Zivilisten das Leben gekostet haben .

Als Bandera erstmals im Jahre 2010 vom damaligen
Präsidenten Juschtschenko zum „Helden der Ukraine“
erklärt wurde, protestierten nicht nur Russland, sondern
auch Polen, das EU-Parlament, mehrere jüdische Organi-
sationen sowie natürlich auch zahlreiche Ukrainer gegen
diese Entscheidung . Deutsche historische Verantwortung
wäre es, diese Kollaboration der OUN, der Organisation
Ukrainischer Nationalisten, mit den Nazis aufzuarbeiten
und sich ganz unzweideutig von Kräften in dieser Tradi-
tion zu distanzieren .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wie sieht die Lage heute in der Ukraine aus? Darüber
wurde gar nicht gesprochen . Vor wenigen Tagen wurden
fast alle russischen sozialen Netzwerke in der Ukraine
durch einen Erlass von Poroschenko gesperrt – da wäre
sicherlich selbst Erdogan vor Neid erblasst –, darunter
zum Beispiel das soziale Netzwerk VKontakte, dessen
Verbreitungsgrad in der Ukraine mit dem von Facebook
in Deutschland vergleichbar ist, und die Suchmaschine
Yandex. Diese Sperrung wurde zu allem Überfluss von
der NATO begrüßt . Ich habe heute Morgen noch einmal
bei der NATO nachgefragt: Die NATO unterstützt diese
Sperrung. Ich finde das unerträglich. Frau Beck, das hat

Dr. Christoph Bergner






(A) (C)



(B) (D)


doch nichts mit dem Streben nach Freiheit zu tun, wie Sie
es hier erzählen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ebenfalls vor einigen Tagen wurde der 25-jährige
Denis Kindrat von einem Gericht in Lwiw zu zweinhalb
Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in den sozialen Netz-
werken Lenin-Zitate gepostet hatte . Wo leben wir denn?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Grundlage dafür ist ein Gesetz, das sogenannte Antikom-
munisierungsgesetz, das die Venedig-Kommission des
Europarates sehr deutlich kritisiert hat . Hier wäre statt
Schönrederei ein deutliches Wort der Bundesregierung
oder auch dieses Parlamentes zu erwarten gewesen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will zusammenfassen: Die Ukraine und vor al-
len Dingen die Bevölkerung in der Ukraine werden als
Frontstaat in einem neuen Kalten Krieg keine Zukunft
haben . Die Bevölkerung der Ukraine ist ebenso wie die
anderen sogenannten Zwischenvölker, die Sie genannt
haben, mehr denn je darauf angewiesen, dass es zur Ent-
spannung kommt, dass es zu einem Ausgleich zwischen
Ost und West kommt, dass es zu einem guten Verhältnis
zu allen Nachbarn kommt . Dafür tritt die Linke ein .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823505900

Vielen Dank, Kollege Hunko . – Nächste Rednerin:

Dr . Ute Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion .


Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1823506000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribü-
nen! Ich erkenne genau wie alle Vorredner die histori-
sche Verantwortung für die Ukraine und die anderen von
Deutschland besetzten Territorien der ehemaligen Sow-
jetunion uneingeschränkt an und möchte daran erinnern,
dass deutsche Nichtregierungsorganisationen wie Akti-
on Sühnezeichen Friedensdienste in diesen Territorien
schon vor dem Ende der Sowjetunion aktiv waren .

Ich selber bin mehr zufällig 1983 nicht in Babi Jar, wo
ASF schon damals aktiv war, sondern in Chatyn gewe-
sen . Ich bin mit einer anderen kirchlichen Gruppe noch
zu Zeiten der Sowjetunion in Leningrad gewesen und
habe dort das beeindruckende Hungermuseum besucht .
Egal an welchem Gedenkort man gewesen ist, es lässt
einen nicht wieder los . Ein solcher Besuch gibt einem
eine Vorstellung davon, was diese Länder Fürchterliches
durchgemacht haben .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Die Konsequenz darf nicht nur sein, zu überlegen,
wie wir der historischen Verantwortung gerecht werden
können . Vielmehr müssen wir – dieser Punkt wurde noch
nicht genannt – jeder Schlussstrichdebatte, jeder Debat-
te, die zum Ziel hat, unsere historische Verantwortung

zu relativieren, entschieden entgegentreten, und zwar
in unserer gesamten Gesellschaft und nicht nur hier im
Bundestag .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Hans-Peter Uhl [CDU/CSU])


Die entscheidende Frage lautet, was daraus für un-
sere Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäi-
schen Staaten folgt, sowohl mit denen, die damals zum
Warschauer Pakt gehört haben, als auch mit denen, die
einst zur Sowjetunion gehört haben . Es gibt historische
Erfahrungen, auf die wir aufbauen können, nämlich die
Erfahrungen mit der deutschen Teilung . Die Situation im
Verhältnis der Ukraine zu Russland ähnelt derjenigen,
die wir zwischen 1949 und 1989 in Deutschland hatten .
Es gibt viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischen
den Menschen, die in der Ukraine leben, und den Men-
schen, die in Russland leben . Nach den Zahlen, die ich
kenne, hat ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung Ver-
wandte in Russland . Umgekehrt ist es ähnlich . Ob die
russischsprachigen sozialen Netzwerke in der Ukraine
noch zugänglich sind, betrifft nicht nur die Pressefreiheit,
sondern auch die Frage, ob Europa diese Kontakte, wie
sie auf ähnliche Weise zwischen der Bundesrepublik und
der DDR bestanden, erhalten und so eine Kommunikati-
on zwischen diesen beiden Ländern auf der persönlichen
Ebene ermöglichen will .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genauso wichtig ist die Rolle, die Deutschland im
Geiste der Entspannungspolitik von Willy Brandt, der
nicht nur einen Ausgleich mit der Sowjetunion, son-
dern auch mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowa-
kei gesucht hat, spielen kann . Was müssen wir tun, um
gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen den ehe-
maligen Sowjetrepubliken zu schaffen? Wie können wir
die anderen Länder einbeziehen, wenn es etwa um die
Demokratisierung in der Ukraine und die Weiterentwick-
lung der ukrainischen Verfassung geht .

Aus meiner Sicht war Folgendes ein sehr guter An-
satz: Damals, als die Gewalt auf dem Maidan eskalier-
te, ist der deutsche Außenminister zusammen mit dem
französischen und dem polnischen Außenminister nach
Kiew gefahren, um zu einer Gewaltdeeskalation bei-
zutragen . Damit haben ein Staat, der im Zweiten Welt-
krieg aufseiten der Sowjetunion gekämpft hat, ein Staat,
der besonders gelitten hat und ein Nachbar der Ukrai-
ne ist – ich meine Polen –, und Deutschland gemeinsam
Verantwortung für den europäischen Nachbarn Ukraine
übernommen. Das Normandieformat, das geschaffen
wurde, um zu versuchen, den Bürgerkrieg mit russischer
Einmischung in der Ostukraine zu deeskalieren, hat sich
als tragfähig erwiesen . Polen ist zwar nicht Mitglied die-
ser Verhandlungsgruppe, wird aber von Deutschland und
Frankreich eng eingebunden .


(Beifall bei der SPD)


Insofern bedeutet Verantwortung zu übernehmen,
alles zu tun, um den Bürgerkrieg in der Ostukraine zu
beenden . Dabei geht es um die Beteiligung Deutsch-

Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


lands an der Monitoring Mission und an immer neuen
Vorschlägen, wie man zu einer Deeskalation bzw . zu ei-
nem Waffenstillstand, der Voraussetzung für einen Frie-
densprozess ist, kommen kann . Es geht aber auch um die
ständigen Bemühungen um die Östliche Partnerschaft
mit allen Staaten, die sich als ehemalige Sowjetrepu-
bliken zu Europa zählen und bis auf Belarus Mitglieder
des Europarates sind . Mit diesen Staaten unterhalten wir
enge Beziehungen und wollen das auch weiter tun . Dazu
gehören Städtepartnerschaften, und dazu gehört die ge-
meinsame Arbeit im Europarat . Weiter gehören dazu zi-
vilgesellschaftliche – zum Beispiel kulturelle – Kontakte .
Damit werden wir, glaube ich, unserer Verantwortung so
gut gerecht, wie wir es angesichts der unvergleichlichen
Verbrechen des Zweiten Weltkrieges nur tun können .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823506100

Vielen Dank, Ute Finckh-Krämer . – Nächste Rednerin

ist Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1823506200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich beginne mit einem Zitat von Roman Herzog:

Europäische Identität bedingt die Herausbildung ei-
nes europäischen Gedächtnisses, das das Gemeinsa-
me an Verantwortung ins Bewusstsein hebt .

Genau darum muss es gehen: um ein europäisches Ge-
dächtnis und um gemeinsame Verantwortung .

Die ganze Tragik des NS-Vernichtungskrieges, aber
auch die stalinistischen Gräueltaten in Osteuropa – ins-
besondere in der Ukraine – sind bisher viel zu wenig im
europäischen Gedächtnis verankert bzw . in der deutschen
Öffentlichkeit bekannt. Deshalb ist es gut, dass der Antrag
der Grünen mit der notwendigen Aufarbeitung beginnt
und die historische Verantwortung Deutschlands her-
vorhebt . Mein ausdrücklicher Dank geht an Marieluise
Beck, meine Bremer Kollegin . Ich danke ihr dafür, dass
sie das hier vorgelegt hat .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!)


Leider bezieht sich der Antrag – das wurde vielfach
erwähnt – jedoch isoliert auf die Ukraine . Andere ost-
europäische Länder, zum Beispiel Polen, die baltischen
Staaten und Belarus, fehlen . Wir müssen aber festhalten:
Nirgendwo wurde der NS-Vernichtungskrieg so brutal
geführt wie in der Ukraine . Stellvertretend für die syste-
matische Ermordung osteuropäischer Juden steht – auch
das wurde erwähnt – die Schlucht von Babi Jar . Hier
wurden innerhalb von 36 Stunden 33 761 Juden ermor-
det . Kinder wurden auf die Leichenberge geworfen und
lebendig begraben, um Munition zu sparen . Eine Steige-
rung der Grausamkeiten gibt es nicht, liebe Kolleginnen

und Kollegen . Dies darf sich nun wirklich nie wieder-
holen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute befindet sich die Ukraine wegen der völker-
rechtswidrigen Annexion der Krim und der kriegerischen
Auseinandersetzung mit Russland im Donbass erneut in
einer äußerst kritischen Situation . Täglich sterben Solda-
ten und Zivilisten . Wieder ist die Ukraine Opfer . Diesmal
sind es die Machtinteressen Putins und sein Expansions-
wille, die das Land in eine tiefe Krise gestürzt haben .
Hier setzt unsere, aber auch die europäische Verantwor-
tung ein .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Interessen Europas und der NATO!)


– Ja, Sie sind Putinversteher und Russlandversteher . Des-
halb sehen Sie das anders .


(Zuruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


– Sie müssen es einfach ertragen, dass hier gesagt wird,
was im Augenblick in der Ukraine wieder an Unrecht
und Leid durch das russische System bzw . durch Putin
produziert wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Fritz Felgentreu [SPD] – Karin Binder [DIE LINKE]: Und durch die NATO nicht?)


In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert,
sich durch Bildungsarbeit und Kulturprojekte für eine Er-
innerungskultur einzusetzen . Dies geschieht – das wurde
eben auch erwähnt – auf vielfältige Weise . Allerdings
müssen wir sagen: Der Blick zurück in die Geschichte
ist nur der eine Teil unserer Verantwortung . Der andere
Teil ist der Blick nach vorne . Das bedeutet, dass wir die
Ukraine bei ihren Bemühungen auf dem Weg zu einem
demokratischen Rechtsstaat unterstützen . Dieser Weg ist
schwer und weit . Demokratische Kräfte ringen mit den
Kräften, die verharren und alte Strukturen beibehalten
wollen . Dennoch sind erste Erfolge sichtbar . Vieles steht
noch aus: die Einrichtung von Korruptionsgerichten,
weitere Privatisierungen, die Justizreform, die bessere
Bezahlung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Die
Ukraine hat ein Umsetzungsproblem . Mit anderen Wor-
ten: Es fehlt noch ein Mindestmaß an politischer Kultur .

Dennoch: Die Maidan-Revolution – ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin – darf nicht umsonst gewesen
sein . Wir müssen der russischen Propaganda entgegen-
treten, die den Maidan als Werk militanter Rechtsextre-
misten diffamiert. Das kann nicht richtig sein. Wer immer
sich in die große Zahl der friedliebenden Demonstranten
eingeschleust hat –


(Karin Binder [DIE LINKE]: Man kann sich die Welt auch schönreden!)


der Maidan war keine Bewegung von Rechtsextremisten .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Karin Binder [DIE LINKE]: Dr. Ute Finckh-Krämer Aber durchmischt mit Rechtsextremisten! Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich komme zum Schluss . Ich wollte so gerne noch
auf die vielfältigen Kulturprojekte, die wir dort verwirk-
lichen, eingehen . Ich schließe damit, dass ich an dieser
Stelle ganz ausdrücklich unserer Bundeskanzlerin dafür
danken möchte, dass sie sich in unglaublich guter Weise
dafür einsetzt, dass das Abkommen von Minsk eingehal-
ten wird, dass der Konflikt beigelegt wird, dass die Sank-
tionen eingehalten werden,


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das läuft ja super!)


und dass sie viele Gespräche, Verhandlungen und Telefo-
nate mit Putin – das ist schwer – geführt hat . Herzlichen
Dank, Angela Merkel .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823506300

Vielen Dank, Elisabeth Motschmann . – Nächster Red-

ner: Dr . Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823506400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Nad

Bab’im Jarom pamjatnikow net“, „über Babi Jar, da steht
keinerlei Denkmal“ – dieser berühmte Stoßseufzer am
Anfang von Jewgenij Jewtuschenkos monolithischem
Gedicht über das Massaker an den Kiewer Juden im
Herbst 1941 wirkt auf mich ein bisschen wie eine ab-
schließende Verdichtung vieler Beweggründe für Ihren
Antrag, liebe Frau Beck . Im übertragenen Sinne kann
dieser Ort, der als denkmalsloser in die Weltliteratur
eingegangen ist, für das Verhältnis immer noch zu vie-
ler Deutscher zur Ukraine stehen . Der Ukraine scheint
gleichsam die Landmarke, das Erkennungsmerkmal, zu
fehlen . Es fällt zu vielen von uns immer noch schwer,
neben dem gewaltigen Russland, das so großen Raum im
kollektiven Bewusstsein in Anspruch nimmt, die Ukrai-
ne überhaupt als europäisches Land mit eigener Identität
und eigener Geschichte angemessen wahrzunehmen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darauf hat sie aber einen Anspruch, sowohl aus eige-
nem Recht als auch aus einer historischen Verantwortung
Deutschlands heraus . Es ist ein Verdienst des Antrags der
Grünen, diesen Anspruch zu begründen .

Die junge Generation, die bereits in einer unabhängi-
gen Ukraine aufgewachsen ist, sieht sich mit unzähligen
Herausforderungen und Problemen konfrontiert . Es han-
delt sich dabei nicht nur, aber auch um Spätfolgen histo-
rischer Katastrophen, für die Deutschland einen großen
Teil der Verantwortung trägt . Zweimal hat Deutschland
auf ukrainischem Boden zerstörerisch Krieg geführt, ein
weiteres Mal brachte der Vormarsch der sowjetischen Ar-
meen große Verwüstungen mit sich .

Dass der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
auf dem Boden der Ukraine ausgekämpft wurde, ist eine
Tatsache, die wir uns manchmal nicht genügend bewusst
machen .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Die Erschütterungen und inneren Konflikte, die diese
Kriege ausgelöst, und die Opfer, die sie gekostet haben,
zeichnet der vorliegende Antrag nach . Sie haben der
Ukraine ihren Stempel aufgedrückt . Ihre Nachwirkungen
sind bis heute spürbar .

Das Anliegen des Antrags und die einzige Forderung,
die er erhebt, erscheinen mir daher durchaus sinnvoll und
berechtigt . Die SPD-Fraktion wird aber den Antrag den-
noch so, wie wir ihn heute lesen, nicht beschließen kön-
nen . Gestatten Sie mir, drei Gründe dafür auszuführen .

Erstens bedarf eine Positionsbestimmung des Deut-
schen Bundestages in einer so wichtigen Frage einer ge-
meinsamen Anstrengung aller Fraktionen, die dazu bereit
sind .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich seit Monaten versucht!)


Der Antrag einer einzigen Fraktion ist dafür doch eine zu
schmale Grundlage . Bisher haben Grüne, SPD und Uni-
on nicht zu einer gemeinsamen Haltung gefunden,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt erklären Sie uns doch einmal, warum!)


und mit der Fraktion der Linken dürfte sie gar nicht er-
reichbar sein .

Ob die Ausschussberatungen noch Fortschritte brin-
gen werden, müssen wir ausloten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823506500

Herr Felgentreu, erlauben Sie eine Zwischenfrage

oder eine Bemerkung von Frau Beck?


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823506600

Ja bitte, gern .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Verehrter Herr Kollege, dieser Antrag war im Septem-
ber des vergangenen Jahres fertig . Ich habe über Monate
hinweg – das können die Kollegen von der SPD und von
der CDU/CSU bestätigen – darum geworben und gebe-
ten, dass wir gemeinsam an diesem Antrag arbeiten, um
ihn gemeinsam einbringen zu können . Ich habe mit der
Einbringung gewartet bis November 2016, um ebendiese
Gelegenheit zu geben, daran zu arbeiten . Ich habe dann
weiterhin bis in die Fraktionsspitzen hinein trotz des Är-
gers mit den Kollegen fast bis zu dem Punkt, an dem ich
dachte: „Ich nerve meine Kollegen“, immer wieder da-
rum gebeten: Lasst uns gemeinsam etwas machen .

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


Vielleicht können wir das Ganze voranbringen . Wir
werden noch eine Debatte zur Östlichen Partnerschaft
haben . Ich lade beide Fraktionen dazu ein, an diesem
Antrag in der von Ihnen gewünschten Weise zu arbeiten .
Wir könnten ihn dann zu dieser Debatte über die Östliche
Partnerschaft gemeinsam einbringen . Es besteht bei uns
jede Offenheit für Ergänzungen und Veränderungen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823506700

Das ist vielleicht ein ganz gutes Stichwort . Ich bin ja

kein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, wie Sie wis-
sen, und ich bin deswegen nur aus zweiter Hand über die
Abstimmungsprozesse informiert, die im Hintergrund im
Laufe der letzten zwölf Monate stattgefunden haben .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aus erster Hand!)


Ich meine mich aber zu erinnern, dass ursprünglich ein
Problem im Umgang mit dem Vorschlag der Grünen da-
rin lag, dass er eigentlich auf eine Stellungnahme zum
Jahrestag des Massakers von Babi Jar im vergangenen
Jahr ausgerichtet und dass der Beratungszeitraum relativ
kurz war .

Andererseits gab es zumindest bisher von grüner Seite
keine große Bereitschaft, den historischen Blickwinkel,
den sie einnehmen, um eine Perspektive auf die Gegen-
wart zu ergänzen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht wahr! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD] gewandt: Herr Mützenich, würden Sie das bitte richtigstellen?)


Es ist schwierig gewesen, eine Abstimmung vorzuneh-
men; so habe ich es zumindest verstanden .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es wäre schön, wenn der Kollege Mützenich Ihren Eindruck richtigstellen würde!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823506800

Herr Felgentreu, erlauben Sie eine Zwischenfrage

oder Bemerkung von Niels Annen?


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823506900

Er möchte dazu wohl eine Stellungnahme abgeben .

Bitte schön .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1823507000

Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich glaube, wir müssen

das hier schon ein bisschen klarstellen .


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823507100

Eben .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1823507200

Es ist in der Tat richtig: Der Antragstext von Frau

Beck lag seit langem vor . Aber was Frau Beck hier nicht
erwähnt, ist, dass vonseiten der Koalitionsfraktionen
ebenfalls die Bereitschaft vorlag, darüber zu diskutieren .
Sie wissen, wir haben einen Koalitionsvertrag geschlos-
sen . Normalerweise beschließen wir als Koalitionsfrakti-
onen in diesem Parlament die Anträge, die wir gemein-
sam in den Bundestag einbringen . Das heißt, es gab ein
großes Entgegenkommen . Aber wir wollten gemeinsam,
dass wir uns nicht – ich sage das in Anführungszeichen –
„nur“ über die Ukraine unterhalten, sondern dass wir ei-
nen gemeinsamen Antrag zu unserer Politik, was die Öst-
liche Partnerschaft angeht, auf den Weg bringen – auch
aus dem Grund, den der Kollege Felgentreu hier gerade
vorgetragen hat: dass geschichtspolitische Beschlüsse
des Parlamentes einer großen gesellschaftlichen Debatte
bedürfen .

Das heißt, die Bereitschaft der Koalitionsfraktionen,
Impulse des grünen Antrags aufzunehmen, ist immer da
gewesen, ist aber von der sehr geschätzten Kollegin Beck
stets abgelehnt worden, weil sie, was ihr gutes Recht und
das Recht der Grünenfraktion ist, darauf bestanden hat,
einen Antrag – in Anführungszeichen – „nur“ zur Ukrai-
ne zu verabschieden .

Deswegen werden Sie sich, wenn Sie sich den Entwurf
des Antrags zur Östlichen Partnerschaft, den wir einbrin-
gen werden, anschauen, selber davon überzeugen kön-
nen, dass wir einen Schwerpunkt auf die Ukraine legen,
dass wir dort auch historische Bezüge formulieren, aber
hier eben ganz explizit keinen geschichtspolitischen An-
trag einbringen wollen . Insofern werden wir natürlich in
den Ausschussberatungen darüber miteinander sprechen .
Aber ich finde, wir müssen hier schon bei der Wahrheit
bleiben . Das heißt, dass die Dialogbereitschaft vonseiten
unserer Fraktion immer gegeben gewesen ist . Deswegen
sollte man das hier in einer Debatte, die wir angemessen
miteinander führen wollen, richtigstellen .

Vielen Dank .


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823507300

Vielen Dank, lieber Kollege Annen . – Frau Beck, ich

bitte um Verständnis: Ich glaube, wir sollten hier jetzt
nicht die Ausschussdebatte vorwegnehmen . Für eine sol-
che Debatte ist ja der Ausschuss da . So wie es der Kol-
lege Annen hier eben dargestellt hat, so ist die Kommu-
nikationssituation zumindest auch bei mir angekommen .
Das habe ich auch zur Grundlage meiner Ausführungen
hier gemacht, die noch ein bisschen weitergehen sollen .
Auf genau diese Punkte werde ich noch eingehen .

Wie ich eben gesagt habe: Neben einer Positions-
bestimmung, die sich der historischen Verantwortung
stellt – davon bin ich fest überzeugt –, brauchen wir auch
den Blick auf die Gegenwart . Ohne ihn kommen wir nicht
aus. Ich finde, das, was Ute Finckh-Krämer gesagt hat,
zeigt deutlich, warum das so ist und dass das unbedingt
in eine solche Positionsbestimmung des Deutschen Bun-
destages hineingehört . Anteilig wird dieser Blick jetzt in
einem umfassenden Antrag zur Weiterentwicklung der
Östlichen Partnerschaft von den Koalitionsfraktionen

Marieluise Beck (Bremen)







(A) (C)



(B) (D)


vorbereitet . Ich würde mich freuen, wenn es gelänge,
beide Perspektiven, die historische und die aktuelle, zu-
sammenzuführen .

Wir brauchen tatsächlich ein noch genaueres Nach-
denken darüber, wodurch sich die deutsche Haltung
gegenüber der Ukraine in Abgrenzung von ihren Nach-
barstaaten eigentlich auszeichnet . Entweder tun wir das,
oder wir müssen mindestens Weißrussland, wahrschein-
lich aber auch die Moldau und einige andere Staaten in
eine breiter angelegte Positionsbestimmung einbeziehen;
denn fast alles, was wir zur deutschen Verantwortung
gegenüber der Ukraine formulieren, wäre ähnlich oder
gleich auch über Weißrussland zu sagen . Damit wird die
Aufgabe, eine Haltung und Richtung festzulegen, noch
komplexer, als sie sowieso schon ist; denn bei aller Ähn-
lichkeit der historischen Erfahrungen sehen wir in der
Gegenwart beider Länder doch sehr große Unterschiede .

Die SPD-Fraktion wird deshalb, wie eben deutlich ge-
worden ist, die Initiative der Grünen bei der Beratung im
Ausschuss konstruktiv würdigen . Ich traue diesem Parla-
ment zu, etwas Gutes daraus erwachsen zu lassen . Aber
es könnte sich am Ende in einer ganz anderen Gestalt
präsentieren, als wir heute absehen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823507400

Vielen Dank, Dr . Felgentreu . – Letzter Redner in die-

ser Debatte: Dr . Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1823507500

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Die Unionsfraktion – das vorab – versteht
Ihr Anliegen, Frau Beck, bzw . das Anliegen der Grünen
durchaus . Wir sind auch bereit – das waren wir auch zu-
vor schon –, dem Anliegen Ihres Antrags in dem ihm ge-
bührenden größeren Rahmen der bereits erwähnten Öst-
lichen Partnerschaft nachzukommen und eine möglichst
breite Übereinstimmung im Umgang mit den Themen zu
finden, über die ich jetzt kurz sprechen möchte.

Bei der Lektüre Ihres Antrags, Frau Beck, erfasst uns
wieder einmal das Erschrecken und Entsetzen über den
menschenverachtenden Rassismus, die nationalsozia-
listische Ideologie und die enthemmte und mörderische
Durchsetzung dieses ganz abstrusen Gedankengebäu-
des . Diese Debatte über die historische Verantwortung
Deutschlands für die Ukraine bietet eine gute Gelegen-
heit, wichtige Fragen zu stellen .

Wie wird die Ukraine in Deutschland wahrgenom-
men? Die so lange gewohnte Wahrnehmung der Ukrai-
ne als Teil der Sowjetunion hindert bisweilen daran, sich
der historischen Identität als Grundlage eines souveränen
Staates bewusst zu sein, eines Staates mit eigener Ge-
schichte, mit eigener Sprache, mit eigenen Sitten und

Bräuchen sowie – das ist wichtig – einer kulturell auf
Europa ausgerichteten Bevölkerung .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut! So ist es!)


Was wissen wir in Deutschland über die Massenin-
haftierungen und Massenhinrichtungen der ukrainischen
Schriftsteller, Publizisten und Künstler in den 20er- und
30er-Jahren, die sogenannte erschossene Renaissance in
der Ukraine? Was wissen wir über den Holodomor,


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, genau!)


den millionenfachen Völkermord Stalins durch gewolltes
Verhungernlassen in den Jahren 1932/1933? Was wissen
wir über die massiv unterdrückte Dissidentenbewegung
in der Ukraine in den 60er-Jahren? Was wissen wir über
die studentische „Revolution auf dem Granit“ – so wird
sie genannt – auf dem Kiewer Maidan im Oktober 1990?
Die historische Verantwortung Deutschlands für die
Ukraine besteht auch darin, das Wissen über die Ukraine
in Deutschland zu vertiefen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erst nach dem Euromaidan 2014 wurde die erste
Deutsch-Ukrainische Historikerkommission gegründet –
das wurde bereits erwähnt –, und erst im vergangenen
Jahr hat das Zentrum für Osteuropa- und internationale
Studien seine Arbeit aufgenommen .

Ja, es ist die Aufgabe dieses Deutschen Bundestages,
der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen .
Das friedliche Zusammenleben der Völker, die Versöh-
nung einer Nation mit sich selbst und mit ihren Nachbarn
setzt die wahrheitsgetreue Aufarbeitung der Geschichte
voraus . Die Interpretation der Ereignisse im Einzelnen
und ihre historische Einordnung sind aber nicht Aufga-
be des Staates . Wir lehnen eine ukrainische Staatsge-
schichtsschreibung ebenso ab wie die bekannte sowje-
tische Interpretation der Geschichte; wir lehnen beides
gleichermaßen ab . Stattdessen ist es die Aufgabe von
Historikern, die geschichtlichen Abläufe wissenschaft-
lich, wahrheitsgetreu darzustellen .

Durch die Annexion der Krim und das aktive Einmi-
schen im Osten der Ukraine hat Russland die territoriale
Integrität der Ukraine verletzt und internationale Verträ-
ge wie das Budapester Memorandum und die Schlussak-
te von Helsinki gebrochen . Das ist unsere feste Über-
zeugung; dies muss immer wieder erwähnt werden . Mit
einer Desinformationskampagne und der propagandisti-
schen Geschichtsinterpretation versucht Russland nun,
die Ukraine weiter zu schwächen und sie als gescheiter-
ten Staat darzustellen .

Wir sind uns in diesem Hause bewusst, dass es im
Konflikt zwischen der Ukraine und Russland nicht um
eine kurzfristige Krise geht . Es geht um die Deutungsho-
heit und künftige Bestimmung historischer Diskurse in
ganz Europa, in denen auch Platz sein muss für die ukrai-
nische Sicht der Dinge . Das Bekenntnis zur territorialen
Integrität und unsere Hilfe bei den Transformations- und

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


Demokratisierungsprozessen in der Ukraine dürfen des-
halb nicht auf einem Opferdiskurs allein begründet wer-
den .

Unsere Unterstützung der Ukraine bedarf auch nicht
der Sonderbegründung einer zusätzlichen historischen
Verantwortung . Nur weil wir wissen, welche Verantwor-
tung wir haben und wie die Dinge sich in den letzten Jah-
ren entwickelt haben, wollen wir den Antrag unterstützen
und ihn im größeren Kontext der Östlichen Partnerschaft
behandeln . Wir sind noch einige Sitzungswochen beiei-
nander, Frau Kollegin Beck, Sie und ich und die restli-
chen Kollegen .


(Heiterkeit)


In dieser Zeit werden wir versuchen, diesen Gedanken
von Ihnen, Frau Beck, in würdiger und korrekter Form
weiterzuentwickeln . Es geht um eine Weiterentwicklung,
die die Ukraine nicht nur als Opfer Nazideutschlands, als
Opfer Russlands sieht, sondern die der kulturellen und
historischen Souveränität der Ukraine gerecht wird . Das
ist unser Anliegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr einverstanden!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823507600

Vielen Dank, Hans-Peter Uhl . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 18/10042 an den Auswärtigen Ausschuss zu
überweisen . – Sie sind damit einverstanden . Dann ist die
Überweisung so beschlossen . Vielen herzlichen Dank .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 d auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-

(Artikel 21)


Drucksache 18/12357
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher
Parteien von der Parteienfinanzierung

Drucksache 18/12358
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses
extremistischer Parteien von der Parteienfi-
nanzierung

Drucksache 18/12100

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur
Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des
Ausschlusses extremistischer Parteien von der
Parteienfinanzierung

Drucksache 18/12101
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, ihre Gesprä-
che an einem anderen Ort fortzusetzen . Vorher rufe ich
den Kollegen Brandt nicht auf; er will ja, dass man ihm
zuhört .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Helmut
Brandt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1823507700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Besten Dank, dass Sie

mir so Gehör verschafft haben. – Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschaue-
rinnen! Im Zusammenhang mit dem jüngsten Urteil des
Bundesverfassungsgerichts in Sachen Parteiverbot wies
der Präsident des Verfassungsgerichtes in seiner münd-
lichen Urteilsbegründung die Politik auf die Möglichkeit
gesetzlicher Reaktionen unterhalb eines Parteiverbo-
tes hin . Zwar lehnten die Karlsruher Richter mit ihrem
Urteil vom 17 . Januar den auf ein Verbot der NPD ge-
richteten Antrag des Bundesrates als unbegründet ab,
allerdings ließ das Gericht auch keinen Zweifel daran,
dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindliche
Partei handelt, aber in Anerkennung der besonders ho-
hen Hürden, die das Grundgesetz vorgibt und die durch
die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte noch präzisiert wurden, geht jedenfalls
nach Auffassung des Verfassungsgerichts von der NPD
derzeit keine Gefahr aus, diese Ziele auch umzusetzen .

Dieses Ergebnis ist bei Beibehaltung der jetzigen
Rechtslage unbefriedigend . Niemand kann verstehen,
dass wir mit Steuermitteln als verfassungsfeindlich iden-
tifizierte Parteien auch noch unterstützen. Deswegen
wollen wir den Anstoß, den uns das Bundesverfassungs-
gericht gegeben hat, gesetzgeberisch aufgreifen und als
„Minus“ gegenüber einem Parteiverbot die Rechte und
Privilegien verfassungsrechtlicher Parteien einschrän-
ken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hierzu gehören die Teilhabe an der staatlichen Teil-
finanzierung nach § 18 des Parteiengesetzes, aber auch
indirekte Förderungen . So sind Parteien etwa von der
Pflicht zur Entrichtung von Körperschaftsteuer befreit,

Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


private Personen, die einer Partei Zuwendungen zukom-
men lassen, werden einkommensteuerrechtlich günstiger
gestellt . Das bedingt natürlich auch geringere Steuerein-
nahmen, also auf diesem Wege eine mittelbare Förderung
dieser Parteien .

Deshalb stellt sich vielen und mir die Frage: Wie
kommt unser Staat dazu, eine verfassungsfeindliche Par-
tei, die unseren Staat, unsere Demokratie, die Rechts-
staatlichkeit abschaffen will, dabei auch noch finanziell
zu unterstützen? Dieser Zustand ist in meinen Augen eine
Pervertierung des Sinns und Zwecks der staatlichen Par-
teienfinanzierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Hinweise, die uns das Gericht sowohl in der
mündlichen wie auch später in der schriftlichen Urteils-
begründung gegeben hat, haben uns diese Möglichkeiten
eröffnet. Wir wollen deshalb Artikel 21 des Grundgeset-
zes verändern . Dabei ist uns bewusst, dass wir natürlich
zum einen die Initiative des Bundesrates verfolgen, zum
anderen aber auch berücksichtigen wollen und müssen,
dass Parteien nach unserem Grundgesetz auch eine be-
sondere Bedeutung haben und es nicht so einfach ist, in
dieser Weise vorzugehen . Aber die Überprüfung, die in
Zukunft ermöglichen wird, Parteien die staatliche Finan-
zierung zu entziehen, muss daher auch nach unserer Auf-
fassung – insofern unterscheiden wir uns etwas von der
Initiative des Bundesrates – vom Bundesverfassungsge-
richt durchgeführt werden – ich sagte es vorhin schon –,
als „Minus“ gegenüber dem Parteiverbot .

Die Voraussetzungen für einen solchen Ausschluss
sind deshalb auch ähnlich hoch wie bei einem Parteiver-
bot . Auch hier muss die verfassungsfeindliche Absicht
einer Partei festgestellt werden . Anders als beim Partei-
verbot kommt es allerdings nicht darauf an, ob die betref-
fende Partei auch über das Potenzial verfügt, ihre Ziele
durchzusetzen .

Für den Ausschluss einer Partei von der staatlichen
Teilfinanzierung und der steuerlichen Begünstigung
gelten damit etwas geringere Voraussetzungen als für
ein Parteiverbot . Um Kritikern ihre Argumente vorweg
schon zu nehmen, haben wir das Für und Wider dieses
Gesetzvorhabens abgewogen und die Bedenken berück-
sichtigt. Nach meiner und nach unserer Auffassung ver-
bindet doch letztlich alle demokratischen Parteien ein
Grundkonsens, dem das Wertesystem unseres Grundge-
setzes und das Bekenntnis zu unserem demokratischen
Rechtsstaat zugrunde liegt . Dies ist auch vom Grundge-
setzgeber so gewollt . Dies unterscheidet demokratische
Parteien aber in einem zentralen Punkt von extremisti-
schen Parteien, wie es die NPD ist . Genau deshalb sehe
ich im Fall von Parteien, deren erklärtes Ziel ist, unsere
Demokratie abzuschaffen, die von uns vorgenommene
und beabsichtigte Aktion unterhalb der Schwelle eines
Parteiverbotes und den mit dem Ausschluss von der Par-
teienfinanzierung verbundenen Eingriff in die Chancen-
gleichheit als gerechtfertigt und geboten an .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Demokratie –
das wissen wir alle – muss falsche Lehren und grobe
Dummheiten aushalten können . Die Auseinandersetzung

mit unterschiedlichen Meinungen und die Gleichwertig-
keit von Meinungen sind das Wesensmerkmal der De-
mokratie . Klar ist aber ebenso, dass wir extremistisches
Gedankengut durch den Geldentzug nicht ausmerzen
können . Eine Streichung von Geldern kann leider weder
Dummheit noch eine menschenverachtende Ideologie
verhindern . Die Politik, aber auch die Gesellschaft ste-
hen hier weiter in der Verantwortung, sich mit solchen
Parteien auseinanderzusetzen . Eine wehrhafte Demokra-
tie darf es aber auch nicht einfach hinnehmen, dass die
Grundprinzipien der Verfassung mit ihren eigenen Mit-
teln untergraben werden .

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Ich bitte
Sie alle: Lassen Sie uns mit diesem Gesetz ein deutliches
Zeichen gegen extremistische Parteien setzen .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823507800

Vielen Dank, Helmut Brandt . – Nächste Rednerin:

Ulla Jelpke für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823507900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-

liegende Gesetzentwurf soll dafür sorgen, dass rassisti-
sche, antisemitische, demokratiefeindliche Parteien kei-
ne Steuergelder mehr erhalten .


(Dr . Tim Ostermann [CDU/CSU]: Aber auch linksextreme! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut Ihnen das jetzt weh, dass das gegen rechtsextreme ist, oder was?)


Ich möchte gleich zu Beginn sagen: Die Linke unterstützt
voll und ganz das Ansinnen, neofaschistischen Parteien
den Geldhahn abzudrehen; denn es darf nicht sein, dass
Antisemitismus und rassistische Hetze mit Steuergeldern
finanziert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, es muss uns klar sein: Jahr
für Jahr erhält die NPD ungefähr 1 Million Euro an Par-
teienfinanzierung. In den letzten zehn Jahren waren es
genau 14,5 Millionen Euro. Diese Gelder fließen in den
Aufbau des Parteiapparats, in Nazikonzerte, in Struktu-
ren für braune Kameradschaften, die gewalttätig sind .
Man muss hier wirklich ganz deutlich sagen, dass staat-
liche Gelder eigentlich dafür hergegeben werden, neofa-
schistische Strukturen in Deutschland handlungsfähig zu
machen . Damit muss endlich Schluss sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Verfahren
zwar festgestellt, dass die NPD verfassungswidrig ist . Es
hat dennoch kein Verbot erlassen, weil der NPD nach An-
sicht des Gerichtes die Möglichkeit zur Umsetzung ihrer
Ziele fehlt . Ich will für meine Fraktion ganz deutlich sa-
gen: Wir hätten uns gewünscht, dass es ein klares Verbot
einer Partei gibt, die sich in die Tradition der NSDAP

Helmut Brandt






(A) (C)



(B) (D)


stellt und menschenverachtende Positionen der NSDAP
weiterhin vertritt . Das ist nicht geschehen . Deswegen
nehmen wir gerne den Hinweis des Bundesverfassungs-
gerichts auf, dass man unterhalb des förmlichen Verbots
gegen die NPD vorgehen kann, indem man die Parteien-
finanzierung infrage stellt.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweifellos – das muss man hier sehr deutlich sa-
gen – ist der Ausschluss von der Parteienfinanzierung ein
schwerwiegender Eingriff in die Chancengleichheit. Zu
Recht sagt man umgangssprachlich, es handele sich hier
um ein „kleines Parteienverbot“ . Ich bin sehr erleich-
tert – Kollege Brandt hat es eben gesagt –, dass man von
dem ursprünglichen Vorschlag, hier im Hause darüber zu
entscheiden, ob eine Partei keine Staatsgelder mehr be-
kommt, abgerückt ist und jetzt ganz klar sagt, dass das
Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden soll .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn bei allem Respekt: Ich meine, dass solche Eingriffe
in die Chancengleichheit einer Partei nicht von Mitglie-
dern einer konkurrierenden Partei vorgenommen werden
sollten . Deswegen ist die Instanz des Bundesverfas-
sungsgerichts genau die richtige .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Entwurf wird außerdem geregelt, dass die betroffe-
nen Parteien alle vier Jahre eine Überprüfung beantragen
können . Das halten wir für sehr richtig . Das muss jeder
Partei zugebilligt werden; obwohl ich, ehrlich gesagt,
nicht glaube, dass die NPD ihre Grundauffassung ändert.
Nichtsdestotrotz ist die Regelung wichtig .

Wir sehen ein weiteres Problem . In der anstehenden
Anhörung wird sicherlich deutlich, was in den vorlie-
genden Gesetzentwürfen noch nicht geregelt ist . Es geht
um das Problem der V-Leute vom Verfassungsschutz . Ich
will noch einmal daran erinnern: Das NPD-Verbotsver-
fahren 2003 ist gescheitert, weil V-Leute in der Partei als
Geheimdienstspitzel tätig waren, was im Grunde genom-
men dazu geführt hat, dass man nicht mehr klar wusste:
Was war eine staatliche Aktivität, was war eine NPD-Ak-
tivität? Das hat in den letzten Verfahren zu großer Be-
sorgnis geführt und immer wieder Fragen aufgeworfen .
Deswegen denke ich, dass eine entsprechende Regelung
in die vorliegenden Gesetzentwürfe einfließen müsste.
Die Neonazis können zum Beispiel sehr leicht damit
argumentieren, es seien staatliche Spitzel gewesen, die
das Parteiprogramm der NPD geschrieben hätten oder
die möglicherweise gewalttätig gegenüber Flüchtlingen
geworden sind .

Ich sage es noch einmal: V-Leute innerhalb der NPD
nutzen überhaupt nichts . Das haben wir immer wieder
betont . Sie müssen endlich aus allen Ebenen abgezogen
werden . Dann werden wir auch Erfolg haben, der NPD
die Parteifinanzierung zu entziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in der Tat ist richtig: Ras-
sismus ist kein Monopol der NPD, sondern es gibt auch
Kräfte wie die AfD, die im Moment den Rassismus in
Teilen der Gesellschaft vorantreiben . Aber Herr Brandt,

ich möchte auch Ihrer Partei sagen: Mit manchen Geset-
zen zur Flüchtlingspolitik, die Sie hier eingebracht ha-
ben,


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Oje!)


haben auch Sie die Stimmung für Rassismus in diesem
Land leider sehr erhöht .


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Unverschämtheit! – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Unverschämtheit! Es wird Zeit, dass die Rede beendet wird!)


Ja, das muss man einfach so sagen . Angesichts dessen,
was wir gestern beschlossen haben, müssen Sie sich an
die eigene Nase fassen, wenn es darum geht, Rassismus
in unserem Land zu bekämpfen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unverschämtheit! Sie haben gerade allen Grund, über andere zu reden!)


Ich hoffe jedenfalls sehr, liebe Kollegen, dass wir die
Gesetzentwürfe noch vor der Sommerpause über die
Bühne bringen, damit man solchen Parteien wirklich das
Wasser abgräbt .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Unerträglich ist das hier! Dreck am Stecken und dann hier so sprechen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508000

Vielen Dank, Ulla Jelpke . – Nächste Rednerin: Dr . Eva

Högl für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1823508100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In unserer Demokratie haben Feinde der De-
mokratie keinen Platz . Das ist eine wichtige Lehre aus
unserer deutschen Geschichte . Deswegen haben wir eine
sogenannte wehrhafte Demokratie . Das heißt: Meinungs-
freiheit, politische Vielfalt, Streitkultur, Chancengleich-
heit und auch Parteienprivileg . Aber das heißt auch, dass
wir klare Regeln dafür brauchen, wenn die Grenzen über-
schritten sind . Wenn Feinde der Demokratie die Demo-
kratie abschaffen wollen oder sie mit Füßen treten, dann
sehen wir nicht tatenlos zu, sondern handeln .


(Beifall bei der SPD)


Artikel 21 des Grundgesetzes ist ein Ausdruck unserer
wehrhaften Demokratie . Ich sage es ganz deutlich: Die
SPD hätte es sich gewünscht, wenn das Bundesverfas-
sungsgericht die NPD verboten hätte . Das wäre ein ganz
wichtiger Beitrag zum Engagement gegen Rassismus,
Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit gewe-
sen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man sich doch nicht einfach wünschen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ulla Jelpke Das Bundesverfassungsgericht ist doch kein Wunschkonzert!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich bin sehr dankbar, dass der Bundesrat ein exzel-
lent vorbereitetes und wunderbar organisiertes Verfahren
beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet hat . Ich fand
und finde es immer noch peinlich, dass der Deutsche
Bundestag und die Bundesregierung sich diesem Verfah-
ren nicht angeschlossen haben .


(Beifall bei der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das war gut so!)


Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ein
Parteiverbot löst nicht alle Probleme, die wir mit Ver-
fassungsfeinden haben, aber ein Parteiverbot ist ein ganz
wichtiger Baustein . Deswegen – ich sagte es schon – ist
es schade, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD
nicht verboten hat . Das Bundesverfassungsgericht hat
gesagt, die NPD sei nicht gefährlich genug, sie sei un-
bedeutend .

Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklich
festgestellt, dass die NPD verfassungsfeindlich ist . Es
hat uns in der Urteilsverkündung einen ganz wichtigen
Hinweis gegeben – uns hier, dem Gesetzgeber –, nämlich
dass wir bei der Finanzierung von verfassungsfeindli-
chen Parteien etwas tun können . Deswegen bringen wir
heute ein entsprechendes Gesetz und die Grundgesetzän-
derung auf den Weg .

Die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts greifen
wir gerne auf . Wir wissen aus unseren Gesprächen, liebe
Kolleginnen und Kollegen: Das, was Bürgerinnen und
Bürger am meisten empört, ist doch – das haben alle bis-
her schon ausgeführt –, dass verfassungsfeindliche Par-
teien auch noch Staatsgelder bekommen . Das stößt auf
Unverständnis und ist nicht zu rechtfertigen . Allein die
NPD – nur ein Beispiel – hat in den Jahren 2014, 2015
und 2016 jeweils über 1 Million Euro aus staatlichen
Kassen bekommen. Das ist nicht hinnehmbar. Sie finan-
ziert damit eine menschenverachtende Hetze . Das wollen
wir beenden, und das machen wir jetzt auch .


(Beifall bei der SPD)


Der Bundesrat hat am 10 . März 2017 eine exzellente
Vorlage beschlossen . Ich danke auch dem Land Nieder-
sachsen für die tolle Initiative . Noch im Gerichtssaal des
Bundesverfassungsgerichts wurde gesagt: Das gehen wir
an, das bringen wir jetzt auf den Weg . – Der Gesetzent-
wurf entspricht genau dem, was im Bundesrat schon dis-
kutiert wurde .

Wir schaffen die Möglichkeit, die öffentliche Partei-
enfinanzierung zu entziehen, wenn eine Partei verfas-
sungsfeindlich ist . Wir haben die identischen Antragstel-
ler wie beim Parteiverbot: Bundesrat, Bundesregierung
und Bundestag . Es entscheidet das Bundesverfassungs-
gericht, und das ist auch richtig . Nur das Bundesver-
fassungsgericht kann darüber entscheiden. Wir schaffen
zum einen die zusätzliche Möglichkeit, die Parteienfi-
nanzierung zu entziehen, und zum anderen kann dieser
Antrag auch hilfsweise zu einem Verbotsverfahren ge-
stellt werden . Das ist ein gutes Regularium . Die Parteien
bekommen die Chance, nach vier Jahren überprüfen zu

lassen, ob sie immer noch verfassungsfeindlich sind, und
das gegebenenfalls feststellen lassen .

Man hätte sich vorstellen können, noch weiter zu ge-
hen, zum Beispiel Parteien von der Nutzung von Sen-
dezeiten oder der Nutzung öffentlicher Gebäude aus-
zuschließen . Aber wir haben uns aus guten Gründen
entschieden, die Chancengleichheit nicht vollständig zu
reduzieren, sondern den Parteien die Möglichkeit zu las-
sen, auf einen guten Weg zurückzukehren .

Der Gesetzentwurf und die Grundgesetzänderung, die
wir vorlegen, sind ausgewogen und zwingend, um unsere
Demokratie weiter stark und wehrhaft zu halten . Ich sage
es ganz deutlich: Wir schaffen keine „Lex NPD“; denn
dieses Gesetz gilt für alle Parteien, die nicht auf dem Bo-
den unseres Grundgesetzes stehen und sich gegen unsere
Verfassung wenden .

Natürlich wissen wir hier im Deutschen Bundestag –
das sage ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich –:
Dies ist ein Baustein unseres Engagements gegen Extre-
misten in unserer Gesellschaft . Wir müssen uns weiterhin
mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, mit allen
Möglichkeiten, mit Prävention, politischer Bildung, Poli-
zei, Justiz und Verfassungsschutz – auch der gehört dazu;
da sind wir hier ja nicht immer derselben Auffassung –,
gegen die Feinde der Demokratie engagieren, um unsere
Demokratie zu stärken .

Ich wünsche mir ehrlich gesagt eine große Zustim-
mung im Deutschen Bundestag . Ich würde mich sehr
freuen, wenn auch die beiden Oppositionsfraktionen
diesen Vorschlägen zustimmen und wir hier gemeinsam
sagen: Wir stärken unsere wehrhafte Demokratie .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508200

Vielen Dank, Eva Högl . – Nächste Rednerin in der

Debatte: Britta Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gemeinsam eintreten für unsere liberale De-
mokratie, für unsere Grundrechte – darum geht es auch
uns, wenn wir über die Gefahren des Rechtsextremismus
und des erstarkten Rechtspopulismus in unserem Land
diskutieren . Das besorgt uns ebenso wie viele Bürgerin-
nen und Bürger .

Aber das, was Sie heute hier vorlegen, Herr Brandt
und Frau Högl, ist aus meiner Sicht und aus Sicht meiner
Fraktion nicht durchdacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, komm jetzt! – Dr . Eva Högl [SPD]: Jetzt bin ich gespannt!)


Zweimal sind wir mit einem NPD-Verbotsverfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht gescheitert . Jedes Mal
konnte sich die NPD nach Abschluss des Verfahrens öf-

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


fentlich als Partei präsentieren und sagen: Seht ihr? Die
sind gescheitert, wir als Partei sind nach wie vor eine
Kraft in diesem Land . – Beim letzten Mal war die Auf-
fassung des Gerichts sinngemäß: Die NPD ist eine Partei
von Verfassungsfeinden, die unsere freiheitlich-demo-
kratische Grundordnung abschaffen will – das sehen wir
auch so –, aber sie ist zu schwach auf der Brust . – Ein
Blick ins Land zeigt: Die NPD ist ein jämmerlicher Ver-
ein mit einer brandgefährlichen Ideologie . Das müssen
wir immer wieder deutlich machen, immer wieder sagen
und die politische Auseinandersetzung suchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Bei den Bundestagswahlen erhält die NPD regelmä-
ßig um 1 Prozent der Stimmen . Ich will in aller Klar-
heit sagen: Jede einzelne Stimme für diese Partei ist eine
Stimme zu viel . Aufgrund der geltenden Rechtslage zur
Parteienfinanzierung hat die NPD 2015 deshalb 1,3 Mil-
lionen Euro erhalten . Auch jeder einzelne Euro an diese
Partei ist ein Euro zu viel . Der Rassismus, der Antisemi-
tismus, die menschenverachtende Politik und Ideologie
dieser Partei, der NPD, sind brandgefährlich . Daran be-
steht überhaupt kein Zweifel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, diesem Problem versucht
die Koalition jetzt mit einer symbolischen Grundgesetz-
änderung beizukommen,


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das ist das Gegenteil von Symbolik!)


symbolisch deshalb, weil Sie meinen, man streiche das
Geld und damit habe sich ein Teil des Problems erledigt .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das meint niemand!)


Wir alle wissen aber doch, dass das nicht der Fall ist . Das
Problem der rechten Gewalt, des Alltagsrassismus, des
Antisemitismus, der von Gruppen ausgeht, der von dieser
NPD ausgeht, lässt sich doch damit nicht lösen .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das sagt ja auch kein Mensch! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie denn dann?)


Das sind aus meiner Sicht vermeintlich einfache Ant-
worten auf höchst komplexe gesellschaftliche Fragen .
Diese Probleme müssen wir mit vielen anderen Mitteln
bekämpfen, als den Weg über die Parteienfinanzierung
zu gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist heute zwar erst die erste Lesung dieses Ge-
setzentwurfs, aber Maas und de Maizière als federfüh-
rende Minister, auch Oppermann als Vorsitzender der
SPD-Fraktion haben deutlich gemacht, dass man dieses
Vorhaben in aller Eile noch kurz durch diesen Bundes-
tag bringen wolle . Dabei handelt es sich aber doch um
eine Grundgesetzänderung und betrifft damit einen sehr
sensiblen Bereich, über den wir hier diskutieren . Hier
gilt Sorgfalt vor Schnellschuss . Es bleiben noch drei Sit-
zungswochen in dieser Legislaturperiode . Mit den Prin-

zipien des Grundgesetzes und der Demokratie müssen
wir doch souverän und seriös umgehen . Eine Grundge-
setzänderung, eine Verfassungsänderung wie diese darf
nicht übereilt beraten werden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie brauchen mindestens ein Jahr! Wunderbar!)


Ein unsauberes Vorgehen, meine Damen und Herren,
das wieder gerichtlich scheitern wird,


(Burkhard Lischka [SPD]: Reden Sie mal über klare Kante!)


nutzt am Ende nur den Verfassungsfeinden von der NPD
und niemand anderem . Das darf nicht passieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Zweifel bestehen – die gibt es doch –, dann muss
man auf die große Brisanz dieses Unterfangens, das Sie
hier planen, hinweisen . Ansonsten spielt das Populisten
und Antidemokraten nur in die Hände .

Mit dem Vorschlag, den Sie hier machen, gibt es im
Kern ein Problem . Damit, die Steuerbegünstigung bei
Parteispenden für verfassungsfeindliche Parteien weg-
fallen zu lassen, begibt man sich in ein sehr schwieriges
Fahrwasser;


(Burkhard Lischka [SPD]: Was?)


denn mit solchen Sanktionen trifft man nicht nur die Par-
tei selbst, sondern auch die Grundrechte der Unterstüt-
zerinnen und Unterstützer . Darin liegt ein großes verfas-
sungsrechtliches Problem .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So groß ist es auch nicht! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann können Sie sich weiter den Kopf zerbrechen! Wir machen das!)


– Das wissen Sie ganz genau . Darüber zerbrechen wir
uns auch den Kopf, Herr Lischka, ganz im Gegensatz zu
Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Sie sind ein bisschen hasenfüßig!)


Die Tinte war noch nicht ganz getrocknet und das Ur-
teil noch nicht einmal veröffentlicht, da haben Sie schon
angekündigt, es über den Weg der Parteienfinanzierung
zu versuchen .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ja, natürlich! – Burkhard Lischka [SPD]: Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgefordert förmlich!)


Meine große Sorge und die unserer Fraktion ist, dass Sie
ein drittes Mal scheitern .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hätten wir es nicht gemacht, hätten Sie gesagt, wir wären lahm!)


Sie tun so, als würde aufgrund dieser Gesetzesänderung
etwas passieren .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Natürlich! – Burkhard Lischka [SPD]: Ja, den Geldhahn drehen wir ihnen zu!)


Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Nein, es passiert gar nichts . Sie werden möglicherweise
wieder vor das Verfassungsgericht müssen, weil Sie eine
Verfassungsänderung vornehmen .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Geht doch nicht anders! – Burkhard Lischka [SPD]: Wir haben nicht die Hosen voll!)


Wenn man sich auf diesen Weg begibt, muss man doch
eigentlich seine ganze Energie darauf verwenden .


(Burkhard Lischka [SPD]: Ihre Energie ist fehlgeleitet!)


Ich bitte Sie um mehr Sorgfalt . Keine Hektik, keinen
Schnellschuss, sondern treffen Sie eine sorgfältige Ab-
wägung angesichts dieses sensiblen Rechtsbereiches .

Zeitgleich muss der Kampf gegen rechts, gegen
Rechtsextremismus, gegen Verfassungsfeinde doch poli-
tisch geführt werden .


(Burkhard Lischka [SPD]: Aber nicht mit Hasenfüßigkeit! – Dr . Tim Ostermann [CDU/ CSU]: Das eine schließt das andere doch nicht aus!)


Wir müssen viel mehr Geld investieren zur Unterstüt-
zung der Zivilgesellschaft,


(Dr . Eva Högl [SPD]: 100 Millionen!)


der vielen engagierten Vereine und Institutionen, die im
Bereich des Rechtsextremismus und im Kampf dagegen
tätig sind .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508400

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508500

Darum geht es . Meine Damen und Herren, deshalb

möchten wir Sie eindringlich bitten, hier Sorgfalt vor
Schnellschuss walten zu lassen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508600

Jetzt aber!


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508700

Sonst landen wir wieder vor dem Verfassungsgericht .


(Burkhard Lischka [SPD]: Wir machen beides: Schnelligkeit und Sorgfalt!)


Das wäre schrecklich; denn dann würde sich diese Partei,
gegen die wir alle kämpfen wollen, wieder feiern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen nicht die Politik der lahmen Ente!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823508800

Es ist ja was los hier im Haus . – Der nächste Redner:

Dr . Tim Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Tim Ostermann (CDU):
Rede ID: ID1823508900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es
schon gehört: Ausgangspunkt dieses Gesetzgebungsvor-
habens ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im
NPD-Verbotsverfahren . In seinem Urteil stellt das Ge-
richt unmissverständlich fest, dass die NPD verfassungs-
widrig ist, weil sie gegen die Menschenwürde verstößt,
weil sie die Demokratie und den Rechtsstaat bekämpft
und weil sie wesensverwandt mit dem Nationalsozialis-
mus ist . Diese Feststellung machen fast 50 Seiten des Ur-
teils aus . Dennoch wurde, wie wir alle wissen, der Antrag
auf Verbot der NPD zurückgewiesen mit der Begründung,
die NPD sei bedeutungslos, die NPD sei – zum Glück –
eine Partei ohne Aussicht auf politischen Erfolg . Dieser
ist aber für die Durchsetzung der verfassungsfeindlichen
Ziele erforderlich .

Das Bundesverfassungsgericht hat erkannt, dass das
Ergebnis des Verfahrens etwas unbefriedigend ist . Eine
Partei wird als verfassungsfeindlich eingestuft, kann ihr
Treiben aber trotzdem uneingeschränkt fortsetzen . Bis-
her gilt nun einmal das Alles-oder-nichts-Prinzip . Darum
hat der Senat dankenswerterweise auf Handlungsmög-
lichkeiten für gestufte Sanktionen gegenüber Parteien
mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung aufmerksam ge-
macht .

Wenn man an mögliche Sanktionen denkt, kommt
man sehr schnell auf die Idee, verfassungsfeindlichen
Parteien die finanzielle Unterstützung des Staates zu
entziehen . Das Gericht merkte in seinem Urteil an, dass
der Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung nach der
geltenden Verfassungslage ausgeschlossen sei . Daher
bestehe für Sanktionen unterhalb der Ebene des Partei-
enverbots kein Raum, solange der verfassungsändernde
Gesetzgeber keine abweichenden Regelungen trifft. Das
ist schon ein sehr deutlicher Hinweis . Um ganz sicher zu
gehen, hat Gerichtspräsident Voßkuhle dieses Thema bei
der Urteilsverkündung aufgegriffen.

Bundestag und Bundesrat haben zugehört und das Ur-
teil genau gelesen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Bei den einleitenden Worten! Nicht beim Urteil!)


Schnell war klar: Dieser Hinweis soll auch umgesetzt
werden. Auch, aber nicht nur für die Öffentlichkeit ist
es schlichtweg nicht nachvollziehbar, wenn eine Partei,
deren Verfassungsfeindlichkeit vom Verfassungsgericht
festgestellt worden ist, durch den Staat, den sie abschaf-
fen will, alimentiert wird .


(Burkhard Lischka [SPD]: Genau!)


Steuergelder dürfen nicht in die Hände von Verfassungs-
feinden geraten . Auch dies gehört zur wehrhaften Demo-
kratie .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Zwar werden es glücklicherweise immer weniger Bür-
ger, die der NPD bei Wahlen ihre Stimme geben, aber es
sind immer noch zu viele .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woanders sind immer mehr! Wo war das noch?)


Jede Stimme verschafft der NPD einen Zuschuss aus dem
Steuersäckel: 1,1 bis 1,4 Millionen Euro pro Jahr . Wir
sagen: Jeder Cent für die NPD ist ein Cent zu viel .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Darum ist das Ziel seit längerem klar . Nur der Weg war
fraglich . Wie setzt man dies gesetzgeberisch um? Natür-
lich ist das – hier muss ich denjenigen, die das kritisiert
haben, recht geben – juristisch ambitioniert . Wir wollen
nun durch eine Änderung des Grundgesetzes unterhalb
eines Verbots eine geeignete und vor allem rechtlich un-
angreifbare Maßnahme schaffen. Für diese Maßnahme
kommt es nicht darauf an, ob die verfassungsfeindliche
Partei mit der Abschaffung der freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung Erfolg haben kann . Eine gegen un-
sere Verfassung gerichtete Zielsetzung genügt hierfür . Es
ist übrigens egal, ob diese gegen die Verfassung gerich-
tete Zielsetzung von rechts oder von links kommt, Frau
Kollegin Jelpke .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir müssen gegen beides vorgehen . Da muss die wehr-
hafte Demokratie ihre Wehrhaftigkeit zeigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist auch ein Kritikpunkt!)


Es ist auch richtig, dass das Verfassungsgericht über
eine solche Maßnahme entscheiden soll . Denn schon der
Schein, dass ein politischer Mitbewerber einem Konkur-
renten die Grundlage für seine Existenz entziehen könn-
te, sollte vermieden werden . Darum ist es sachgerecht,
unmittelbar das Bundesverfassungsgericht entscheiden
zu lassen .

Bundestag und Bundesrat haben zwar die gleiche
Zielsetzung, aber es gibt dennoch zwei Gesetzesinitia-
tiven; das ist nicht ungewöhnlich . Die von den Koaliti-
onsfraktionen eingebrachten Gesetzentwürfe sind mit de-
nen des Bundesrates im Wesentlichen inhaltsgleich . Die
Formulierungen der Koalitionsfraktionen – das meinen
jedenfalls wir – sind vielleicht an der einen oder anderen
Stelle noch etwas präziser .

Vor allem enthält das Begleitgesetz der Koalition alle
erforderlichen steuerrechtlichen Folgeänderungen . Denn
der Staat fördert die Tätigkeit von Parteien auch indirekt:
Parteien sind zum Beispiel von der Pflicht zur Entrich-
tung der Körperschaftsteuer befreit, und Privatpersonen,
die einer Partei Geld zuwenden, haben eine Abzugsmög-
lichkeit bei der Einkommensteuer . Dies fördert mittelbar
die jeweilige Partei . Deshalb ist es wichtig und richtig,
dass in einem solchen Fall die steuerrechtlichen Privi-
legien wegfallen . Das sieht auch der Bundesrat so . Aber
gerade an dieser Stelle ist der Gesetzentwurf der Koaliti-
onsfraktionen etwas umfassender .

Ein weiterer Unterschied zwischen diesen beiden Ini-
tiativen ist die Länge der Frist, nach deren Ablauf die
sanktionierte Partei eine Überprüfung verlangen kann .
Der Bundesrat schlägt eine Frist von zwei Jahren vor, wir
als Koalition halten eine Frist von vier Jahren für ange-
messen . Dass es überhaupt eine Überprüfungsfrist geben
soll, ist sinnvoll; denn schließlich muss es auch aus ver-
fassungsrechtlichen Gründen eine Chance auf Läuterung
geben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der kleinen
Unterschiede zwischen den beiden Gesetzesinitiativen
möchte ich abschließend mit Blick auf die Bundesrats-
bank betonen: Es besteht eine große Übereinstimmung
mit dem Bundesrat im Ziel: kein Cent vom Staat für die
NPD und für andere verfassungsfeindliche Parteien .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823509000

Vielen Dank, Tim Ostermann . – Ich begrüße recht

herzlich Boris Pistorius, den Minister für Inneres und
Sport des Landes Niedersachsen . Oje, dann brauchen
Sie morgen Nachmittag starke Nerven – es geht um Fuß-
ball –, ich auch als Augsburg-Fan . Boris Pistorius redet
jetzt für den Bundesrat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1823509100

Sehr geehrte Frau Präsidentin, starke Nerven brauchen

morgen sicherlich viele der Anwesenden hier . – Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor
den Senatswahlen in Berlin im Jahre 2011 hingen in
der Stadt 22 000 Wahlplakate der NPD mit dem Slogan
„Gas geben“ . Darauf war ihr damaliger Vorsitzender auf
einem Motorrad abgebildet . Diese Plakate hingen un-
ter anderem auch am Holocaust-Mahnmal und vor dem
Jüdischen Museum. Für einen billigen Werbeeffekt und
dreckige Lacher aus der braunen Ecke hatte die NPD die
Opfer des Holocaust wieder einmal verhöhnt . Diese im
krassen Gegensatz zu den Grundwerten unserer Demo-
kratie und unseres Grundgesetzes stehende Partei hatte
sich wie schon so oft davor und danach als Partei des
Hasses und der Hetze in der Tradition der Nazis entblößt,
ohne jede Scham und ohne jede Moral .

Finanziert wurde diese abscheuliche Plakataktion
auch aus den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bür-
ger in Deutschland . Nach dem Parteiengesetz erhalten
nun einmal alle Parteien je nach Stimmenanteil bei den
verschiedenen Parlamentswahlen staatliche Mittel zur
Finanzierung ihrer Wahlkampfkosten und damit eben
auch die NPD . Damit Sie mich nicht falsch verstehen:
Diese gesetzliche Regelung hat zweifellos ihre Berech-
tigung . Auch kleineren demokratischen Parteien – dass
die NPD ziemlich klein ist, hat gerade erst das Bundes-
verfassungsgericht in Karlsruhe festgestellt – muss es
im Sinne eines fairen Wettbewerbs ermöglicht werden,
Wahlkampf zu machen . Die Programmatik, das Auftre-
ten und die Rhetorik von Politikerinnen und Politikern

Dr. Tim Ostermann






(A) (C)



(B) (D)


der NPD zeigen jedoch unübersehbar eindeutige Paral-
lelen zur NS-Ideologie eines völkischen Nationalismus,
die nichts, aber auch gar nichts mit dem Modell unserer
freiheitlichen Demokratie am Hut hat, in der wir leben .
Gleichzeitig beschönigen oder verherrlichen sie eines
der grausamsten Verbrechen der deutschen Geschichte,
den Holocaust . Deshalb war es richtig, dass der Bundes-
rat 2013 das NPD-Verbotsverfahren erneut auf den Weg
gebracht hat,


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


leider ohne die Unterstützung des Deutschen Bundesta-
ges .

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
17 . Januar wurde die NPD zwar nicht verboten, das Ge-
richt hat aber unmissverständlich festgestellt: Die NPD
ist verfassungsfeindlich . Ich zitiere:

Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger versto-
ßen gegen die Menschenwürde und den Kern des
Demokratieprinzips .

Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist das Herz
unseres Grundgesetzes . Plakate wie 2011 im Berliner
Wahlkampf belegen: Die NPD missachtet die Menschen-
würde, ja sie verachtet sie . Alles, was nicht in ihrem Sin-
ne deutsch ist, ist ihr zuwider .

Dankenswerterweise hat das Bundesverfassungsge-
richt erstmals die rote Linie unmissverständlich definiert,
die von keiner Partei überschritten werden darf, wenn
sie sich nicht der Gefahr aussetzen will, als verfassungs-
feindlich eingestuft und verboten zu werden .

Es hat nur deshalb nicht für ein Parteiverbot gereicht,
weil die NPD schlicht zu bedeutungslos geworden ist .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wussten wir ja vorher!)


Was für ein Pyrrhussieg für diese Partei! Was für ein
vernichtendes Urteil, dass es nur aufgrund der eigenen
gegenwärtigen Irrelevanz nicht zum Verbot gereicht hat!

Trotz dieser höchstrichterlich attestierten Verfas-
sungsfeindlichkeit bei gleichzeitiger Bedeutungslosig-
keit erhält die NPD weiterhin Steuergelder, unter ande-
rem, um ihre Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen .
Ich finde es unerträglich, dass eine Partei, die unsere frei-
heitlich-demokratische Grundordnung und damit unser
Staatssystem ablehnt, von diesem auch noch Unterstüt-
zung erhält .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie soll ich zum Beispiel einem Jugendlichen oder ei-
nem Erstwähler klarmachen, dass ausgerechnet diejeni-
gen, die unsere Demokratie abschaffen wollen, aus Steu-
ergeldern mitfinanziert werden?

Aus diesem Grund und vielen anderen Gründen war
es auch so wichtig, sofort nach dem Karlsruher Richter-
spruch zu handeln .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ja!)


Wir haben bei der Urteilsverkündung aufmerksam zuge-
hört und nachgelesen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Bundesverfassungsgericht hat uns nämlich in sei-
nem Urteil den Hinweis gegeben – das war geradezu
ein Wink mit dem Zaunpfahl –, dass aufgrund der fest-
gestellten Verfassungsfeindlichkeit der Ausschluss der
NPD aus der Parteienfinanzierung durch eine Grundge-
setzänderung möglich sei .

Wir haben diesen Ball in Niedersachsen sofort auf-
genommen und uns mit einer Bundesratsinitiative für
eine entsprechende Grundgesetzänderung auf den Weg
gemacht . Es wäre ein wichtiges und starkes demokrati-
sches Signal, wenn der Bundestag nur wenige Monate
nach dem Urteil aus Karlsruhe diesen historischen Schritt
gehen und eine klare Grenze für alle extremistischen Par-
teien ziehen würde .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Parlament gäbe damit ein starkes Signal für unsere
wehrhafte Demokratie und gegen die abgewrackte Nazi-
ideologie der NPD ab .

Diese Grundgesetzänderung würde – anders als gele-
gentlich kritisiert – keinesfalls zu einer Einschüchterung
von politischen Konkurrenten führen. Sie betrifft schließ-
lich ganz klar nur solche Parteien, die eindeutig höchst-
richterlich als verfassungsfeindlich eingestuft wurden .
Alle Parteien, die sich im Kern zu unserer demokrati-
schen Verfassung bekennen, werden davon in keiner
Weise betroffen sein.

Das ist eben keine Symbolik, und niemand, der sich
für dieses Gesetz einsetzt, glaubt ernsthaft daran, dass
damit das Problem des Rechtsextremismus gelöst sei .
Nein, das ist nur ein Baustein im gemeinsamen Kampf
gegen Rechtsextremismus und Rassismus .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich würde mich sehr freuen – und ich bin hier zuver-
sichtlich –, wenn nach den nun folgenden Ausschuss-
beratungen alle Parteien in diesem Hohen Haus dieser
wichtigen Änderung des Grundgesetzes sowie des Be-
gleitgesetzes zustimmen würden . Schließlich hat auch
der Bundesrat dieser Initiative einstimmig zugestimmt,
das heißt unter Zustimmung aller 16 Bundesländer, also
auch derjenigen, in denen die Grünen mitregieren .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber Föderalismus, Herr Pistorius! – Gegenruf der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aber die Grünen waren dabei! – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das seid ihr doch! – Burkhard Lischka [SPD]: Die Grünen sind eine Selbsthilfegruppe!)


Minister Boris Pistorius (Niedersachsen)







(A) (C)



(B) (D)


Wer Volksverhetzung betreibt, tritt die Grundrechte in
unserer Verfassung mit Füßen . Wer die Menschenwürde
missachtet, stellt sich außerhalb unserer Gesellschaft .
Wer unsere freiheitlich-demokratischen Werte und die
Wesenselemente unseres Grundgesetzes ablehnt und be-
kämpft, wer damit Feind unserer Verfassung ist, der darf
keine staatliche Unterstützung mehr bekommen, um sei-
ne Hassbotschaften zu verbreiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823509200

Vielen Dank, Boris Pistorius . – Der letzte Redner

in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1823509300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollegin Jelpke, ich will es einfach einmal ganz
undiplomatisch rüberbringen: Ich fand Ihre Randbemer-
kung in Richtung Union unerträglich, und ich will Ihnen
sagen: Für die Partei, die als Nachfolgepartei der SED
hier sitzt, für die Partei der Steinewerfer,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Na, Sie machen das ja selber! Dann lassen Sie es doch!)


ist das ein starkes Stück gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hießen die Blockparteien in der DDR?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Voraussetzung für Demokra-
tie ist Freiheit . Diese Freiheit macht die Demokratie am
Ende des Tages auch wieder verletzlich, weil gerade die-
se Freiheit unter Umständen genau das Risiko erzeugt,
dass sie ausgenutzt wird, um die Demokratie oder die
verfassungsrechtliche Ordnung abzuschaffen.

Parteien sind in einer Demokratie unentbehrlich . Sie
geben politische Orientierung . Sie geben eine politische
Richtung, und sie wollen den Menschen die Möglich-
keit geben, eine politische Heimat zu finden und sich
politisch auszurichten . Deswegen ist es letztendlich eine
Gratwanderung, einerseits die Parteienvielfalt zu ermög-
lichen, aber andererseits dann von staatlicher Seite Gren-
zen zu setzen .

Die Grenzen sind bei den Voraussetzungen für ein Par-
teienverbot definiert. Nach Artikel 21 Absatz 2 Grundge-
setz kann das Bundesverfassungsgericht eine Partei auf
Antrag dann verbieten, wenn die Partei „nach ihren Zie-
len oder dem Verhalten ihrer Anhänger“ darauf ausgeht,
„die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beein-
trächtigen oder zu beseitigen“ .

Bislang ist die Streichung der Parteienfinanzierung
erst nach diesem Verbot möglich . Am 17 . Januar 2017

ist das Verbotsverfahren an sich gescheitert . Das Bun-
desverfassungsgericht hat anerkannt, dass die NPD zwar
verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, aber die Strukturen
und die Größe der Partei zu gering sind, um davon auszu-
gehen, dass sie darauf ausgerichtet ist – wie es Artikel 21
Absatz 2 Grundgesetz fordert; das heißt sozusagen, dass
es von der Wirksamkeit her ausreicht –, die verfassungs-
rechtliche Grundordnung zu beseitigen .

Wenn man diese Entscheidung zum ersten Mal liest,
schluckt man zunächst einmal . Man wundert sich auch
ein Stück weit; denn entweder ist eine Partei verfas-
sungsfeindlich, oder sie ist es nicht . Wenn sie verfas-
sungsfeindlich ist, dann muss als Konsequenz zwingend
das Verbot folgen . Dennoch ist dies eine Entscheidung
im Sinne des neuen Artikels 21 Absatz 4 Grundgesetz,
was bei dieser unglaublich sensiblen Frage selbstver-
ständlich unentbehrlich ist .

Der zweite Punkt, der ein bisschen Bauchschmerzen
macht, ist – auch da muss man ehrlich sein –: Wie lange
muss man denn warten? Muss man tatsächlich so lange
warten, bis eine Partei Struktur und Größe hat, um dann
letztlich größeren Schaden anzurichten? Dabei denkt
man schon ein wenig an die Vergangenheit; denn genau
diese Fehleinschätzung gab es schon einmal .

Heute kann ich dieser Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts sehr viel mehr abgewinnen . Denn
das Verfassungsgericht hat uns Zwischentöne aufgezeigt,
nämlich die Möglichkeit des Ausschlusses der Parteien-
finanzierung und des Ausschlusses von steuerlichen Pri-
vilegien als Vorstufe, und damit meiner Meinung nach
letztlich das Parteienverbot neu als Ultima Ratio defi-
niert .

Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir heute frakti-
onsübergreifend das ganz klare Signal setzen, dass wir
gemeinsam unsere Demokratie schützen wollen . Es kann
nicht sein, dass eine Partei mit staatlichen Mitteln finan-
ziert wird und gleichzeitig das Ziel verfolgt, die verfas-
sungsrechtliche Ordnung dieses Staates auf den Kopf zu
stellen bzw . zu beseitigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen – auch diese Bemerkung kann ich mir
nach Ihrer Rede, Frau Kollegin Haßelmann, die mich
durchaus in Erstaunen versetzt hat, nicht verkneifen – die
Demokratie mit Gesetzen schützen statt mit Stuhlkreisen,
wie Sie es offensichtlich wollen.


(Widerspruch der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich freue mich auf die weitere Beratung und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823509400

Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Dann schließe

ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-
fe auf den Drucksachen 18/12357, 18/12358, 18/12100

Minister Boris Pistorius (Niedersachsen)







(A) (C)



(B) (D)


und 18/12101 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vor-
schläge? – Die gibt es nicht . Sie beschäftigen sich ja auch
gerade mit anderen Fragen . Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen .

Ich bitte, jetzt die Plätze einzunehmen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Tschüss!)


– Tschüss, Herr Kauder .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Tschüss, Frau Präsidentin! Steigen Sie morgen nicht ab!)


– Hoffentlich nicht! Ich bin deswegen schon ganz fertig.


(Heiterkeit)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Stadtentwicklungsbericht der Bundesregie-
rung 2016

Drucksache 18/11975
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda

Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD sowie ein Entschließungsan-
trag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Weil Sie das ja
vereinbart haben, gibt es dazu keinen Widerspruch .

Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das
Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Rita
Schwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung .


(Beifall des Abg . Michael Groß [SPD])


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1823509500


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Stadt-
entwicklungsbericht der Bundesregierung 2016 zeigt:
Unsere Städte und Kommunen stehen vor großen Heraus-
forderungen . Deutschlands Bevölkerung ist zwischen
2010 und 2015 um 3 Millionen Menschen gewachsen,
die zu uns gezogen sind . Auch die Städte wachsen – das
ist ein Megatrend –: Mehr als 1 Million Menschen sind
zwischen 2014 und 2015 in die Städte gezogen . Gleich-
zeitig kämpft die Mehrheit der Kommunen im ländlichen
Raum mit der Stagnation oder sogar mit dem Rückgang
der Bevölkerung . Hinzu kommen auch die Herausfor-
derungen des Klimawandels . Natürlich wollen wir das
2-Grad-Ziel erreichen . Zusätzlich muss der wirtschaftli-
che Strukturwandel bewältigt werden .

Wir brauchen also, um diese Herausforderungen zu
bewältigen, mehr bezahlbare Wohnungen . Wir müssen
Verdrängung und Polarisierung verhindern, damit der so-
ziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gefährdet
wird . Unsere Städte sollen weiterhin attraktive Lebens-
orte aller sozialen Schichten bleiben . Wir müssen CO2
einsparen, sowohl im Gebäude- als auch im Verkehrsbe-
reich. Wir brauchen auch mehr Grünflächen, einerseits
zur Erholung, andererseits auch zur Abkühlung . Schließ-
lich sorgen Grünflächen in den Städten für gute Luft.

Das sind große Aufgaben . Unsere Städte und Gemein-
den haben mit der Bundesregierung einen verlässlichen
und starken Partner an ihrer Seite . Für uns hat die För-
derung der Städte eine große wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Bedeutung . Deshalb investieren wir mit der
nationalen Stadtentwicklungspolitik massiv in die Kom-
munen . Wir unterstützen sie bei ihrer nachhaltigen Ent-
wicklung und lösen so vor Ort eine Impulswirkung aus .

Die Förderung für die Städte ist so hoch wie noch nie .
3,4 Milliarden Euro gibt der Bund in dieser Legislatur-
periode an Städtebaufördermitteln aus . Also, mehr geht
fast gar nicht mehr – es geht immer noch ein bisschen
mehr –: Das sind 1,4 Milliarden Euro mehr als unter der
letzten Bundesregierung . Allein 2017 investieren wir
790 Millionen Euro in die Städtebauförderung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will einen besonderen Punkt herausgreifen . Bei
den Mitteln für das Programm „Soziale Stadt“ haben
wir mit 40 Millionen Euro begonnen und liegen jetzt
bei 190 Millionen Euro . Ich glaube, das spricht für sich .
Dazu kommt die Verdreifachung der Förderung für den
sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden Euro . Wir un-
terstützen also die Städte in ihrem Engagement für mehr
Attraktivität und mehr Lebensqualität . Wir fördern auch
den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .

Das sind echte Investitionen in die Zukunft unseres
Landes . Das ist gut angelegtes Geld . Wir stoßen mit je-
dem Euro Städtebauförderung 7 Euro an Investitionen
von öffentlichen und privaten Investoren an. Hoffentlich
haben vergangenen Samstag ganz viele von ihnen am
Tag der Städtebauförderung vor Ort erleben können, wie
erfolgreich diese Politik vor Ort ist, wie Bürgerbeteili-
gung funktioniert und wie wieder attraktive Städte und
Kommunen entstehen . Allein für das Jahr 2017 wurden
somit 12 Milliarden Euro an Investitionen ausgelöst .

Von diesen Zukunftsinvestitionen profitieren die Bür-
gerinnen und Bürger im ganzen Land; denn wir investie-
ren im ganzen Land, sowohl in die großen Städte als auch
in ländliche Regionen, in große und kleine Gemeinden .
Wir unterstützen sowohl wachsende als auch schrump-
fende Kommunen . Wir lassen Städte und Gemeinden in
den ländlichen Regionen nicht zurück .

Ein Blick auf die Städtebauförderung seit 1971 zeigt,
wie viel Geld in den ländlichen Raum und wie viel in
den städtischen Raum geht . Dabei stellt man fest, dass
47 Prozent der Mittel in den ländlichen Raum fließen.
Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass diese Summe
überproportional hoch ist, weil in den ländlichen Räumen

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


weniger Menschen wohnen . Das macht deutlich: Wir
nehmen alle mit . Wir wollen, dass die Wertschöpfung in
den ländlichen Regionen entsprechend vorangeht .

Das zeigt, wie flexibel, anpassungsfähig und erfolg-
reich die verschiedenen Initiativen und Programme der
Bundesregierung sind . Wir wollen starke, schöne, grü-
ne, nachhaltige und kulturell lebendige Städte, in denen
sich Menschen wohlfühlen und gerne und gut leben . Die
Bundesregierung investiert deshalb auch künftig in diese
Entwicklung .

Da meine Uhr schon blinkt, möchte ich mich jetzt aus-
drücklich bei den Koalitionsfraktionen bedanken, auch
für den Entschließungsantrag . Ja, wir wollen auch in Zu-
kunft die Städtebauförderung zumindest auf dem bishe-
rigen Niveau fortführen und den Kommunen – ob groß
oder klein – eine gute und sichere Zukunft bieten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823509600

Als nächste Rednerin hat Caren Lay für die Fraktion

Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823509700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit dem vorliegenden Stadtentwicklungsbericht
und dem Entschließungsantrag der Koalition stellt sich
die Bundesregierung bzw . die Koalition weitgehend ein
positives Zeugnis aus .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, so etwas! – Kai Wegner [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Das hat mich ziemlich überrascht . Sie werden verstehen,
dass viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch wir als
Linke einen anderen Eindruck von der Entwicklung un-
serer Städte haben und uns mehr Selbstkritik gewünscht
hätten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Das ist ein Wahrnehmungsproblem!)


So richtig und wichtig die Stadtumbau- und die Stadt-
entwicklungsprogramme sind: Welche Situation haben
wir denn in den Städten? Ganze Stadtteile kippen . Der
soziale Zusammenhalt ist in vielen Städten gefährdet .
Mieterinnen und Mieter werden verdrängt. Grünflächen
müssen Büroanlagen weichen . Das ist doch die Realität
in vielen Städten . Darüber können wir nicht hinwegse-
hen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Dann zeigt mal, was ihr könnt, in Berlin!)


Ich möchte mit der aus unserer Sicht entscheidenden
Frage, der Wohnungsfrage, beginnen . Es ist leider so,

dass bezahlbar zu wohnen nicht mehr selbstverständlich
ist . Für viele Menschen ist das inzwischen zu einer exis-
tenziellen Frage geworden . Der Neubau, der vor allem
von der Union immer wieder propagiert wird, kann es
allein nicht richten . Ja, wir brauchen mehr Wohnungen .
Aber vor allen Dingen brauchen wir mehr bezahlbare
Wohnungen . Ich hätte mich gefreut, wenn der Bericht,
über den wir heute diskutieren, die kritischen Analysen
der letzten Monate beinhaltet hätte, die zum Beispiel zu
dem Ergebnis gekommen sind, dass in den 20 größten
deutschen Städten die Häuser, die neu gebaut wurden,
nur zu 5 Prozent überhaupt noch für den Durchschnitts-
verdiener bezahlbar sind .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wahnsinn!)


Das heißt, es wird zwar gebaut, aber nur im hochpreisi-
gen Segment . Es wird für Besserverdienende gebaut . Das
ist wirklich nicht akzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bericht kommt an einigen Stellen zu richtigen
Analysen . Die entscheidende Frage lautet natürlich, wel-
che Konsequenzen die Regierung daraus zieht . Ein rich-
tiges Analyseergebnis sind zum Beispiel die hohen bzw .
zu hohen Grundstücks- und Bodenpreise . Ja, das ist ein
Problem . Das ist sogar eines der zentralen Probleme . Das
ist aber auch das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Priva-
tisierungspolitik . Bedauerlich ist, dass die Regierung aus
dieser Analyse nicht die richtigen Schlüsse zieht; denn
noch immer werden die vielen Flächen und Wohnungen
des Bundes zu Höchstpreisen verkauft . Das heißt: Der
Bund spekuliert mit . Der Bund selbst treibt die Preise in
die Höhe . – Das müssen wir endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es bedauerlich, dass der soziale Aspekt der
Stadtentwicklung insgesamt zu kurz kommt . Es sind ja
schließlich vorwiegend Menschen mit niedrigem Ein-
kommen überproportional von Luft- und Lärmbelastun-
gen sowie vom Mangel an Grünflächen betroffen. Von
den gut 100 Seiten des Berichts wird gerade einmal eine
Seite für den sozialen Wohnungsbau verwendet . Es ist
zwar richtig erkannt, dass hier zu wenig gebaut wird .
Aber trotz mehr Neubaumaßnahmen beläuft sich das
Minus auf 25 000 Sozialwohnungen jährlich, die aus der
Bindung fallen . Das ist nicht akzeptabel . Den Nieder-
gang des sozialen Wohnungsbaus müssen wir stoppen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, dass die Regierung selbstkritisch fest-
stellt, dass die Mietpreisbremse so, wie sie gemacht wur-
de, nicht funktioniert . Aber auch daraus werden keine
Konsequenzen gezogen . Es sieht ja wirklich alles danach
aus, dass es in dieser Legislaturperiode keine Nachbesse-
rung bei der Mietpreisbremse mehr geben wird . Das ist
nicht akzeptabel . Wir müssen die Mietpreisbremse end-

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


lich nachschärfen, damit die Menschen vor Mietenexplo-
sion und Verdrängung geschützt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Bericht finden sich leider eine paar gravierende
Fehleinschätzungen, zum Beispiel, dass das bestehen-
de Recht dazu beitrage, die Verdrängung der Bewohner
aus ihren Wohnungen weitgehend zu vermeiden, oder
auch, dass sich zeitlich begrenzte Mietpreis- und Bele-
gungsbindungen bewährt hätten . Das ist eine gravierende
Fehleinschätzung, die wir als Linke so nicht akzeptieren
können .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir als Fraktion Die Lin-
ke – das gilt auch für mich persönlich – unterstützen die
Zusammenlegung sowie auch die Aufstockung der Pro-
gramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ . Klar
ist natürlich auch: Diese Zusammenlegung darf finanziell
nicht zulasten des Ostens gehen . In meinem Wahlkreis
liegt eine Stadt wie Hoyerswerda . Deswegen sagen wir
als Linke: Es wird auch zukünftig Unterstützung bei Ab-
rissvorhaben geben müssen . Allerdings kann das nicht
länger gewissermaßen das Leitbild der Stadtumbaupoli-
tik sein . Davon müssen wir wegkommen . Wir brauchen
Investitionen in altersgerechten Umbau, wir brauchen
Investitionen in Modernisierung,


(Beifall bei der LINKEN)


und wir brauchen auch Investitionen, um die wunder-
schöne Altbausubstanz von Städten zu retten . Damit
zeigen wir, dass wir sie wertschätzen . Denken wir an
Görlitz, denken wir an Meißen . Das sind aber Städte,
die häufig den kommunalen Eigenanteil nicht aufbringen
können . Hier sind einfach mehr Unterstützungsmaßnah-
men erforderlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zu guter Letzt begrüßen
auch wir als Linke die Förderung von Stadtgrün . Einige
von uns waren ja heute bei den Kleingärtnern . Wir als
Linke unterstützen die Forderung, die dort erhoben wur-
de, dass nämlich die Infrastrukturprogramme des Bundes
auch für das Kleingartenwesen genutzt werden können .
Ich hoffe, wir werden sie gemeinsam unterstützen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . Vielen
Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823509800

Artur Auernhammer hat als nächster Redner das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1823509900

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir den Stadtentwicklungsbericht der Bundesre-

gierung diskutieren, sollten wir auch einmal die Gele-
genheit nutzen, all den Menschen zu danken, die in den
Städten und Gemeinden ehrenamtlich tätig sind, und
zwar nicht nur speziell für ihre eigenen kurzfristigen
Anliegen in einer Bürgerinitiative, sondern ehrenamtlich
als Gemeinderat, als Stadtrat, Ortssprecher oder Bürger-
meister Verantwortung übernehmen . Auch diesen Men-
schen sollten wir bei der Diskussion über den Stadtent-
wicklungsbericht herzlich danken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1823510000
Der
Zustrom in die großen Städte hält nach wie vor an – mit
all seinen Auswirkungen und Herausforderungen . Das
gilt gerade hier für Berlin mit seinen bald 4 Millionen
Einwohnern, aber auch für die anderen Ballungsräume,
sei es das Ruhrgebiet oder auch München . Das hat na-
türlich zur Folge, dass in diesen Ballungszentren der
Flächenbedarf und die Immobilienpreise steigen . Auch
darauf sollten wir kritisch schauen .

Das führt aber auch zu Herausforderungen für die Städ-
te, was die Infrastruktur anbelangt . Da sind Investitionen
notwendig . Es muss da gehandelt werden . In dem Zu-
sammenhang nenne ich nur das Stichwort „S-Bahn-Aus-
bau“ . Nein, ich erwähne jetzt nicht den Flughafenbau
in Berlin; das tue ich hier nicht . Wir müssen also dafür
sorgen, dass der öffentliche Personennahverkehr in den
Städten weiterhin funktioniert, mehr ausgebaut wird und
besser wird .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Städ-
tebauförderung, die wir vornehmen, ist eine sehr gute
Förderung . Wir haben hier sehr viel Geld in die Hand ge-
nommen . Ja, ich weiß, dass wir vielleicht noch den einen
oder anderen Euro mehr in die Hand nehmen können;
denn diese Städtebauförderung wirkt auch in den länd-
lichen Raum hinein . Sie bewirkt nicht nur etwas in den
großen Städten, sondern auch in den mittleren und klei-
nen Städten . Das ist von daher eine gute Investition . Wir
können da aber – wir sind uns in dieser Hinsicht, glaube
ich, einig – noch mehr machen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird
immer über das Grün in der Stadt diskutiert . Wir soll-
ten Anstrengungen unternehmen und etwas auf den Weg
bringen, was die Flächen angeht, die in den Städten vor-
handen sind . Wenn ich richtig informiert bin, sind in den
deutschen Städten circa 100 000 Hektar unbebaut . Diese
Flächen sollten wir ökologisch hochwertig ausgestalten
und im Sinne von Grün in der Stadt ökologisch aufwer-
ten . Solche Flächen sollten im Blick auf saubere Luft
in der Stadt ausgeweitet werden . Ich glaube, da haben
wir noch sehr viel Nachholbedarf . Den haben wir auch,
wenn es – darüber wird ja diskutiert – um ökologische
Ausgleichsflächen geht. Eine hochwertige grüne Fläche
in der Stadt ist wichtiger, als wenn eine Stadt irgendwo
ganz weit draußen im ländlichen Raum irgendwelche
Ausgleichsmaßnahmen durchführt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade in
den Städten diskutieren wir oft im Zusammenhang mit
dem Thema „Grün in der Stadt“: Was macht der Bauhof?
Was macht die öffentliche Planung? – Aber Grün in der
Stadt beruht auch sehr viel auf Privatinitiative . Privatini-
tiative beginnt auf dem Balkon, man findet sie aber vor
allem – das ist bereits angesprochen worden – bei unse-
ren Kleingärtnern . Wir haben in Deutschland 1 Million
Kleingartenanlagen . In diesen 1 Million Kleingartenanla-
gen haben 4,5 Millionen Menschen ihr Zuhause, die An-
lagen dienen der Freizeitgestaltung, und die Menschen
leisten damit einen großartigen Beitrag zur Sauberkeit
der Luft und zur Biodiversität in den Städten . Auch das
sollten wir – ich glaube, da sind wir uns überfraktionell
einig – in der Zukunft stärker fördern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir über die Lebensbedingungen in den Städten
sprechen – die Kollegin hat gerade Brennpunkte in den
Städten aufgezeigt –, dann müssen wir auch den Themen-
komplex „Innere Sicherheit in den Städten“ ansprechen .
Da haben wir, glaube ich, vielleicht in der einen oder
anderen Region in Deutschland noch Nachholbedarf, da
müssen wir vielleicht in der einen oder anderen Region
noch stärker hinschauen . Da müssen wir vielleicht auch
unsere Sicherheitsorgane noch mehr stärken und besser
unterstützen, damit auch die Menschen, die in den Städ-
ten leben – darunter sind viele ältere Menschen – ein si-
cheres und gutes Wohngefühl in ihren Städten haben .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die bes-
te Möglichkeit, den Zustrom in die Ballungsräume zu
verringern, damit dort keine Brennpunkte entstehen, ist
immer noch ein starker, ein weit entwickelter ländlicher
Raum . Sorgen wir gemeinsam dafür, dass auch die Men-
schen im ländlichen Raum eine Zukunftsperspektive ha-
ben!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823510100

Christian Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen hat als nächster Redner das Wort .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Architekt Jan Gehl hat kürzlich in einem
Interview mit einer deutschen Tageszeitung gesagt: „Es
geht darum, Städte im menschlichen Maßstab zu gestal-
ten .“ Ich glaube, das beschreibt sehr gut die Zukunftsauf-
gabe, vor der wir heute bei der Stadtentwicklung stehen .
Wir befinden uns in einer Phase der Stadterweiterung und
des Stadtumbaus .

Wenn ich nun in diesen Stadtentwicklungsbericht
schaue, dann kann ich viele positive Entwicklungen se-
hen . Aber wenn ich in unsere Städte schaue, dann gilt
nicht mehr die schöne Sprache des Berichts der Bundes-
regierung, sondern da treffen wir auf Realität. Da ist es
eben so, dass nicht das menschliche Maß gilt, sondern oft
ganz andere Kriterien .

Herr Auernhammer, Sie haben völlig recht: Beim The-
ma „saubere Luft in der Stadt“ haben wir Nachholbedarf .
Ich bin sehr froh, dass das jemand aus der Unionsfraktion
endlich erkennt .


(Karsten Möring [CDU/CSU]: Das haben wir schon längst gesagt!)


Denn die Feinstaubbelastung und die Stickoxidbelastung
in unseren Städten sind untragbar . Hier gilt leider nicht
das menschliche Maß, sondern das Maß von VW und an-
deren Konzernen . Ich sage Ihnen: Hier muss das mensch-
liche Maß wieder gelten – bei der Stadtentwicklung und
gerade bei dem Thema „saubere Luft“ .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nehmen wir die Aufgabe des Klimaschutzes . Sie, Frau
Schwarzelühr-Sutter, sind ja auch für den Klimaschutz
zuständig und haben es beschrieben . Ich kann es nicht so
positiv sehen, was wir da im Augenblick hinbekommen .
Die Sanierungsrate im Gebäudebereich liegt immer noch
bei 0,7 Prozent . Damit werden wir die Klimaschutzziele
von Paris krachend verfehlen . Wir investieren eben nicht
in die Wärmewende . Ich glaube, hier hat die Große Ko-
alition nach wie vor eine Leerstelle . Es ist ihnen nicht
gelungen, Klimaschutz, Bauen und Stadtentwicklung
miteinander zu verbinden . Hier muss endlich wieder ein
Klimaschutzmaß, ein ökologisches Maß, ein menschli-
ches Maß gelten, anstatt diejenigen zu schonen, die ei-
gentlich hier investieren sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schauen wir uns unsere Wohnungsmärkte an: Es ist,
glaube ich, offenkundig, dass wir hier ein dickes Problem
haben . Minus 50 000 Sozialwohnungen Jahr für Jahr,
Mietenexplosion in ganz Deutschland . In Berlin sind die
Mieten innerhalb eines Jahres um 1 Euro pro Quadrat-
meter gestiegen; das zerreißt die Stadtgesellschaft . Des-
wegen sage ich Ihnen: Wir werden dafür sorgen, dass auf
den Wohnungsmärkten wieder das menschliche Maß gilt
und nicht das Maß der Spekulanten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grünen wollen in dieser Phase der Stadterweite-
rung und des Stadtumbaus investieren . Wir wollen die
Städtebauförderung auf dem jetzigen Niveau verstetigen .
Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode sehr
genau darauf achten, dass es bei der Städtebauförderung
nicht wieder Rückschritte gibt . Vielmehr müssen wir hier
mehr tun, als wir es in dieser Legislaturperiode getan ha-
ben, gerade bei der Frage des Klimaschutzes .

Deswegen setzen wir uns seit Anfang dieser Legis-
laturperiode für ein Quartierssanierungskonzept ein,
für ein Städtebauförderprogramm bei der energetischen
Quartierssanierung, damit die Kommunen in die Lage
versetzt werden, ihre Quartiere zu sanieren, und hier vo-
rankommen . Da haben sie eine Leerstelle . Das werden
wir immer wieder betonen, und wir werden weiter ent-
sprechende Anträge stellen . Ich glaube, ohne die Städ-
tebauförderung wirklich auf den Klimaschutz auszurich-

Artur Auernhammer






(A) (C)



(B) (D)


ten, werden wir an dieser Stelle in unseren Städten nicht
weiterkommen .

Das menschliche Maß muss auch in der Verkehrspoli-
tik wieder gelten; ich habe es im Zusammenhang mit der
sauberen Luft angesprochen. Ich finde, wir brauchen aber
auch mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr.
Wenn ich mir anschaue, wie unterfinanziert im Augen-
blick Schieneninfrastrukturprojekte in Kommunen sind,
wie viele Projekte da gegeneinander konkurrieren – wir
wissen jetzt schon, dass wir in dieser Phase der Stadter-
weiterung, in der wir die Ballungszentren mit Mittel- und
Kleinstädten verbinden müssen, mit den 330 Millionen
Euro, deren Bereitstellung vereinbart ist, überhaupt nicht
hinkommen –, dann ist vollkommen klar: Hier reicht
das Geld nicht aus . Hier braucht es endlich Grüne in der
Verantwortung – auch hier im Bund –, damit es bei der
Schiene und damit auch bei der Stadtentwicklung vo-
rangeht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, wir brauchen eine funktionierende Mietpreisbrem-
se, sonst werden wir die angespannten Wohnungsmärkte
nicht in den Griff bekommen. Ich meine, da muss sich die
Union endlich einmal ehrlich machen . Sie von der Uni-
on haben es versprochen, und Sie haben Ihr Versprechen
einfach gebrochen; denn diese Mietpreisbremse funktio-
niert nicht .

Wir brauchen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit;
damit investieren wir in das menschliche Maß in unseren
Städten . Dazu haben wir gestern sehr lange gesprochen .
Ich sage Ihnen: Damit wird es uns gelingen, die Woh-
nungsmärkte auf Dauer fitzumachen hinsichtlich bezahl-
baren Wohnraums . So können wir breiten Schichten, die
sich selbst nicht mit Wohnraum versorgen können, in Zu-
kunft eine Wohnung aus dem Pool des gemeinnützigen
Wohnungsbaus anbieten .

Ich höre von der Union immer wieder, dass das Thema
„urbanes Grün“ in ganz vielen Reden sehr betont wird .
Ich bin da sehr bei Ihnen, dass das ein ganz wichtiges
Infrastrukturthema ist . Herr Auernhammer, Herr Wegner,
ich glaube Ihnen sehr, dass Sie persönlich da hinterher
sind . Aber wenn ich mir die Debatte in Baden-Württem-
berg zur dortigen Landesbauordnung anschaue, dann
stelle ich fest:


(Sören Bartol [SPD]: Was macht denn euer sozialer Wohnungsbau?)


Es geht darum, dass Sie gegen jede Regelung kämpfen,
die etwa mehr Dachbegrünung oder mehr Fassadengrün
bedeutet . Da widersprechen Sie sich einfach . Da sind Sie
einfach maximal scheinheilig . Hier auf Bundesebene pre-
digen Sie das urbane Grün; aber in den Ländern kämpfen
Sie gegen jede Bauregelung, die eine entsprechende Pla-
nung vorsieht . Das passt nicht zusammen . Hier sollten
Sie sich wirklich einmal ehrlich machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss . Wir können hier gemeinsam das Hohe-
lied auf die Kleingärten singen . Ich glaube, wir haben
dazu heute Morgen eine sehr gute Veranstaltung gehabt .
Aber wir müssen gerade für die Kleingärtner in Ber-

lin und in anderen Städten unsere Liegenschaftspolitik
ändern; denn ganz viele dieser Kleingartensiedlungen
liegen mittlerweile doch in Gebieten, wo die Liegen-
schaftspolitik des Bundes greift . Deswegen müssen wir
unbedingt das Gesetz über die Bundesanstalt für Immo-
bilienaufgaben ändern; denn sonst werden diese Klein-
gartenanlagen an Spekulanten verscherbelt, anstatt dass
man in urbanes Grün investiert und diese Kleingartenan-
lagen für breite Bevölkerungsschichten öffnet. Hier muss
die Union nacharbeiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823510200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Lassen Sie uns gemeinsam in das menschliche Maß
investieren . Wir Grünen sind bereit dazu, bei der Stadt-
entwicklung noch einen draufzulegen . Ich glaube, diese
Bundesregierung muss noch deutlich nacharbeiten .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823510300

Sören Bartol hat als nächster Redner für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1823510400

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Stadtentwicklungsbericht macht für mich eins
deutlich: Unsere Stadtentwicklungspolitik ist vielseitig,
flexibel und auch zielgerichtet. Die Städtebauprogramme
setzen genau dort an, wo wir immer Nachbesserungsbe-
darf gesehen haben .

Diese Programme sind ebenso wie unser Land vielfäl-
tig . Es gibt Orte, an denen der Druck auf den Wohnungs-
markt immens ist, und die Verdreifachung der Mittel für
den sozialen Wohnungsbau ist deshalb unser großer Er-
folg der letzten Legislaturperiode . Noch einmal ein Dank
an Barbara Hendricks!


(Beifall bei der SPD)


Diese Mittel sind sozusagen die Hardware . Sie versetzen
Länder, Städte und Gemeinden in die Lage, den Woh-
nungsmarkt nicht allein dem Markt zu überlassen .

Wir müssen und wollen aber auch dort ansetzen, wo
Lebenschancen und Lebensqualität in Gefahr sind, weil
Menschen aus der einen Stadt weggehen und es dafür
in einer anderen Stadt oder Region eng und teurer wird .
Für vergleichbare Lebensverhältnisse müssen wir hier im
Bundestag ressortübergreifend und vernetzt denken und
auch arbeiten . Kommunalpolitiker und -politikerinnen
tun das üblicherweise . Sie wissen, dass das Vorhanden-
sein bzw. die Qualität einer Schule häufig das entschei-

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


dende Kriterium dafür ist, ob eine Familie überhaupt an
einem Ort ankommt bzw . dort bleibt, dass Arbeitsplätze
bzw . deren Erreichbarkeit darüber entscheiden, ob man
einen Ort verlassen muss . Kurz: Bildung und Mobilität
sind die zwei Bereiche, in denen auch im Bericht die
höchsten Investitionsbedarfe gesehen werden .

In einem Ort ist es die Qualität der Schulen, in einem
anderen die Anbindung an die nächstgrößere Stadt, oder
es gibt Probleme mit sogenannten Schrottimmobilien .
Wir brauchen daher in den erfolgreichen Städtebaupro-
grammen noch mehr Flexibilität und Kontinuität, damit
das, was auf den Weg gebracht wurde, seine Wirkung
voll und auf lange Sicht entfalten kann . Deshalb fordern
wir in unserem Entschließungsantrag die Fortschreibung
auf dem jetzigen Niveau, und wir wollen die Fortführung
des Investitionspakts „Soziale Integration im Quartier“
prüfen .

Aber dabei möchte ich es nicht belassen . Der Bericht
drückt es so aus:

. . . unzureichende Erfolge weist die notwendige Bün-
delung von investiven Maßnahmen mit nicht-inves-
tiven sozialen Maßnahmen in Kooperation mit an-
deren Ressorts auf .

Für mich heißt das, wir brauchen nicht nur städtebau-
liche Investitionen, sondern wir müssen diese auch noch
stärker als bisher durch nichtinvestive ergänzen . Im rich-
tigen Leben ist damit Personal gemeint, also Menschen .
Durch sie müssen wir Bildung, Verkehr, Verbraucher-
schutz, Gesundheitsberatung, Pflege, Berufsberatung
noch besser vor Ort verzahnen . Unsere Bauministerin hat
das erkannt und die ressortübergreifende Strategie und
den Investitionspakt „Soziale Integration im Quartier“ so
gut ausgestattet, dass damit investitionsbegleitend Inte-
grationsmanager finanziert werden können, die sich um
die Vernetzung mit den Stadtteilen und um die vorhande-
nen Angebote, eben auch an Schulen, kümmern .

Dass wir die Schulen stärken müssen, übrigens auch
als Bund, haben wir verstanden – ein Unionskollege in
herausragender Position leider immer noch nicht . Wir
sollten sie auch durch die Städtebauprogramme stär-
ken . Dort, wo am meisten Unterstützung notwendig ist,
sollten die besten Schulen sein . Das sind sie dann, wenn
Pädagoginnen und Pädagogen in den Nachbarschaften,
unterstützt durch Vereine, Hilfsangebote, Beratung und
Ganztagsbetreuung, für Kinder und Eltern da sein kön-
nen .

Der Erfolg der Städtebauprogramme, die den neuen
Herausforderungen laufend angepasst wurden, würde da-
mit fortgeschrieben. Ich finde, das muss auch weiterhin
unser Ziel bleiben . So vielfältig, wie unsere Städte und
Gemeinden sind, so kreativ müssen auch die Städtebau-
programme und unsere Bürgermeisterinnen und Bürger-
meister sein können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823510500

Kai Wegner hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Frak-

tion .

(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1823510600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit mehreren
Jahren erleben wir nunmehr eine Renaissance der Städte
in unserem Land . Städte wachsen und sind echte Anzie-
hungsmagneten für viele Menschen . Frau Lay, das Bild,
das Sie von unseren Städten im Allgemeinen gezeichnet
haben, ist so nicht richtig; denn sonst müsste man sich ja
die Frage stellen, warum so viele Menschen in die Städte
drängen . Sie tun das ja nicht nur, weil sie es müssen, son-
dern auch, weil sie es wollen, Frau Lay . Dabei will ich
die Herausforderungen, die wir in den Städten haben, gar
nicht kleinreden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist Mexico City das beste Beispiel! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was war das jetzt für ein Argument?)


– Dass wir die Städte nicht kaputtreden sollten, auch
wenn wir in den Städten vor Herausforderungen stehen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das tun wir nicht!)


– Das Bild, das Ihre Kollegin von unseren Städten ge-
zeichnet hat, habe zumindest ich so wahrgenommen .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie reden die Probleme klein!)


Ja, es ist richtig: Wir stehen vor vielen Herausforde-
rungen in unserem Land, auch und gerade in den Städten .
Bezahlbares Wohnen, gesellschaftlicher Zusammenhalt,
Sicherheit, Sauberkeit, klimagerechter Umbau – all das
sind Dinge, die wir intensiv vorantreiben müssen . Des-
halb begrüße ich ausdrücklich, dass der aktuelle Stadt-
entwicklungsbericht der Bundesregierung die Trends und
die Treiber der Stadtentwicklung in Deutschland identifi-
ziert . Hier möchte ich Ihnen, Frau Ministerin Hendricks,
ganz herzlich für die gute Vorlage aus Ihrem Hause dan-
ken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Eine tragende Säule der Stadtentwicklungspolitik ist

zweifelsohne die Städtebauförderung . In dieser Wahlpe-
riode haben wir die Mittel der Städtebauförderung von
zunächst 450 Millionen Euro auf zuletzt 790 Millionen
Euro nahezu verdoppelt. Ich finde, das ist ein großer Er-
folg dieser Koalition, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Passend hierzu fand am Sonnabend letzter Woche zum

dritten Mal der bundesweite Tag der Städtebauförderung
statt . Wir wie auch alle Bürgerinnen und Bürger hatten
in diesem Rahmen die Gelegenheit, die erfolgreiche
Umsetzung der Städtebauförderung in den Städten und
Gemeinden zu erleben. Ich finde es gut, dass es diesen
bundesweiten Aktionstag gibt . Wie viele andere Kolle-

Sören Bartol






(A) (C)



(B) (D)


ginnen und Kollegen war auch ich in meinem Wahlkreis,
in Berlin-Spandau, unterwegs, um mich vor Ort über die
zahlreichen guten Projekte zu informieren . So war ich
zum Beispiel im Falkenhagener Feld . Das ist eine große
Wohnsiedlung der 60er-Jahre . Es war einmal mehr inte-
ressant, zu sehen, wie dort das Wohnumfeld qualifiziert
wird und wie soziale und Versorgungsinfrastruktur ge-
stärkt werden .

Meine Damen und Herren, die Aufwertung im Falken-
hagener Feld wird auch über das Programm „Stadtum-
bau West“ durchgeführt . Vor diesem Hintergrund – das
möchte ich an dieser Stelle zumindest einmal sagen – ir-
ritiert es mich immer wieder, wenn ich vom Ministerium
zumindest gefühlt eine recht einseitige Konzentration auf
das Programm „Soziale Stadt“ erlebe . Angesichts des-
sen, dass wir gerade bei den Stadtumbauprogrammen das
größte Programmvolumen bei der Städtebauförderung
haben – sogar mit steigender Tendenz –, und angesichts
der Erfolge des Stadtumbaus sollten wir auch und gerade
diese Programme immer wieder erwähnen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau
West“ legen wir jetzt zu einem bundesweiten Stadtum-
bauprogramm zusammen . Ich begrüße das sehr . Wir
müssen natürlich aufpassen, dass hier am Ende niemand
verliert . Aber das zeigt einmal mehr, dass die Herausfor-
derungen, die wir sowohl im Westen als auch im Osten
unseres Landes haben, sich mittlerweile angeglichen ha-
ben . Das zeigt zudem, dass wir die deutsche Einheit wei-
ter vollenden, auch mit dieser Zusammenlegung .

Für uns ist klar, dass es im Rahmen der Städtebau-
förderung nicht nur die Programme zum Stadtumbau
und das Programm „Soziale Stadt“ gibt; vielmehr gibt
es vielfältige Programme . Die Gesamtstruktur der Städ-
tebauförderung mit ihren verschiedenen Herausforderun-
gen ist wichtig .

Ja, es treten auch immer wieder neue Herausforde-
rungen auf, die wir dann auch sehen und annehmen . Ich
möchte ausdrücklich unserem Koalitionspartner danken,
dass es uns als Union gelungen ist, das Programm „Zu-
kunft Stadtgrün“ neu aufzulegen . Wir haben lange dafür
geworben . Ich glaube, städtisches Grün ist ein ganz zen-
traler Baustein für lebenswerte Städte und Gemeinden .
Wir sagen in unserem Entschließungsantrag, dass wir das
in einem eigenen Programm fördern und das zukünftig
sogar verstetigen wollen . Ich glaube, auch das ist wichtig
für lebenswerte Städte und Gemeinden in unserem Land,
liebe Kolleginnen und Kollegen .

Ein weiteres Förderprogramm der Städtebauförde-
rung, das wir in dieser Legislaturperiode neu aufgelegt
haben, möchte ich ausdrücklich erwähnen . Das ist das
Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“ . Wir trei-
ben hier echte Leuchtturmprojekte voran . Die Vorhaben,
die wir in diesem Programm fördern, sind beispielgebend
für die Stadtentwicklung in Deutschland . Auch deshalb
wollen wir unbedingt an diesem neuen Programm fest-
halten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Städte sind seit jeher
Orte der Freiheit und des Wandels . Städte sind nie fertig
gebaut, sondern entwickeln sich immer weiter . Auch das
macht ihre Attraktivität aus . Natürlich gehört zu einer
guten Stadtentwicklungspolitik auch, Perspektiven für
den Wohnungsbau neu aufzuzeigen . Ich bin der Bundes-
regierung und der Koalition für die Verdreifachung der
Mittel für den sozialen Wohnungsbau dankbar . Ich danke
auch Frau Hendricks dafür . Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich danke vor allem unserem Bundesfinanz-
minister Wolfgang Schäuble dafür, dass wir in diesem
Haushalt so viele Mittel für den sozialen Wohnraum zur
Verfügung stellen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber wenn ich mitansehen muss, wie Rot-Rot-Grün in
meiner Heimatstadt Berlin


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die machen da eine Superpolitik!)


– darauf komme ich gleich, Herr Kühn – 5 000 neue Woh-
nungen auf der Elisabeth-Aue in Pankow mit einem Fe-
derstrich vom Tisch fegt, wie Nachverdichtungen verhin-
dert werden, wie die Bausenatorin ein Projekt nach dem
anderen auf Eis legt, wie selbst der Regierende Bürger-
meister Michael Müller diese Klientelpolitik öffentlich
kritisiert, dann kann ich nur sagen: Was Rot-Rot-Grün in
Berlin veranstaltet, ist das Gegenteil von guter Stadtent-
wicklungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wer hat denn vorher regiert?)


Vor diesem Hintergrund, lieber Herr Kühn, entbehrt es
übrigens nicht einer gewissen Komik, wenn ausgerechnet
die grüne Bundestagsfraktion in ihrem Entschließungs-
antrag zum Stadtentwicklungsbericht fordert, mal eben
1 Million zusätzliche günstige Wohnungen zu schaffen.
Hier im Bundestag hehre Forderungen aufzustellen, aber
vor Ort – für Berlin habe ich es gerade geschildert – sich
vor der Verantwortung zu drücken,


(Zurufe des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


das ist eine Doppelmoral, die wir Ihnen nicht durchgehen
lassen werden, Herr Kühn .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Katrin Kunert [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen die
Städte mehr denn je als Motor für Nachhaltigkeit, In-
novation und Wachstum . Die Herausforderungen, vor
denen wir stehen, gerade in den Bereichen Wirtschaft,
Demografie, Soziales, Sicherheit, Klima und Umwelt
sind groß . Wir werden sie nur in und mit unseren Städten
erfolgreich bewältigen können .

Kurzum: Ein starkes Deutschland gibt es nur mit star-
ken Städten . Starke Städte gibt es nur mit einer guten
Stadtentwicklungspolitik und mit der Städtebauförde-
rung als tragende Säule . Das machen wir als Koalition in
unserem Entschließungsantrag deutlich . Daher bitte ich
Sie um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag .

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823510700

Michael Groß hat als nächster Redner das Wort für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1823510800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser
Stelle den Parlamentariern, insbesondere den Haushäl-
tern, dafür danken, dass wir genügend Mittel für die
Städtebauförderung bekommen haben .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Mindrup [SPD]: Das ist Demokratie!)


– Das ist Demokratie, genau . – Der nächste Dank neben
dem Dank für die Ministerin sowie für die Parlamen-
tarische Staatssekretärin gilt den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern aus dem BMUB, weil dort konkrete Arbeit
geleistet wird für die Städtebauförderung, für die Pro-
gramme „Soziale Stadt“, „Stadtumbau West“ und „Stad-
tumbau Ost“ . Herzlichen Dank an Sie, dass die letzten
dreieinhalb Jahre so gut gelaufen sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Spielfeld für bezahlbares Wohnen, gutes Leben
und Solidarität in den Städten sowie die Antwort auf
die Frage: „Wie können Menschen selbstbestimmt le-
ben, aufwachsen und so alt werden, wie sie es sich wün-
schen?“, ist die Stadt . Wir haben als Große Koalition in
diesen dreieinhalb Jahren die Städte mit 25 Milliarden
Euro entlastet . Das reicht bei weitem nicht . Wir wissen,
dass sie die Liegenschaftspolitik unbedingt verbessern
müssen und dass sie die Bodenspekulation beenden
müssen . Dafür brauchen sie natürlich Geld . Dieses Geld
haben wir ihnen zur Verfügung gestellt, aber es ist bei
weitem nicht ausreichend .

Nordrhein-Westfalen hat durch eine Tochtergesell-
schaft des Landes NRW und der Deutschen Bahn AG
ein treuhänderisches Modell auf den Weg gebracht, um
Grundstücke anzukaufen, zu entwickeln und den Städten
nachher zur Verfügung zu stellen .


(Klaus Mindrup [SPD]: Gute Idee!)


Das hat dazu geführt, dass sich die Bodenpreise nicht so
entwickelt haben, dass Wohnen nicht mehr bezahlbar ist .
Ich glaube, solche Modelle müssen wir auch auf der Ebe-
ne des Bundes entwickeln . Wir müssen an revolvierende
Bodenfonds, an die Gemeinwohlorientierung denken .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir Sozialdemokraten sagen, dass wir diejenigen beloh-
nen müssen, die dafür sorgen, dass Wohnen bezahlbar
bleibt, die sich aber auch im Stadtteil engagieren .

Aus meiner Region kann ich Ihnen sagen: Die Mittel
des Stadtumbaus sind sehr gut angelegt . Wir hatten Quar-
tiere, in denen 30 Prozent Leerstand war; die Ladenzen-
tren waren leergezogen, die Menschen konnten sich auf
den freien Plätzen nicht treffen. Es gab keine oder kaum
Spielplätze, viele waren verwahrlost . Es gab keine Arbeit
im Quartier . Aber gerade die Mittel des „Stadtumbaus
West“ und der „Sozialen Stadt“ haben dafür gesorgt, dass
wir auch hier Wertschöpfung betrieben haben, Arbeits-
plätze generiert haben, dass wir Umweltgerechtigkeit
mit dem Thema Bauen, Ökonomie und Soziales versöhnt
haben . Es sind Nachbarschaftsparks entstanden . Es sind
Treffpunkte entstanden. Schulen haben sich geöffnet.
Das wollen die Menschen . Das Wichtigste ist: Es sind
Beteiligungsprozesse entstanden . Die Menschen haben
mitbestimmen können, wie sie leben wollen, haben De-
mokratie erlebt und haben erlebt, dass sie Einfluss neh-
men können .

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, das ist ein Prozess, den wir als Sozialde-
mokraten weiter unterstützen müssen und wollen . So ent-
steht eine soziale Stadt für gutes Leben .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823510900

Als letzter Redner in der Debatte spricht Volkmar

Vogel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1823511000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem heute
vorliegenden Stadtentwicklungsbericht beleuchten wir
die Siedlungsstrukturen in ihrer Gesamtheit . Man kann
zu Recht sagen: Wenn wir vom Stadtentwicklungsbericht
sprechen, sprechen wir sowohl von den großen Städten
als auch von den kleinen Städten und Gemeinden .

Das Ergebnis, Frau Staatssekretärin, auch wenn es uns
vor neue Herausforderungen stellt, kann sich durchaus
sehen lassen . Man kann mit Fug und Recht sagen, dass
wir auf dem richtigen Weg sind, aber nur, weil wir auch
gemeinsam arbeiten . Das ist keine Aufgabe, die wir als
Bund allein erledigen können, sondern es ist eine Aufga-
be, der wir uns als Bund gemeinsam mit den Ländern und
Kommunen stellen und die wir anpacken müssen .

Eines der wichtigsten Instrumente ist natürlich die
Städtebauförderung . Der Abruf der Städtebaufördermit-
tel zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind . Der
Dank gilt allen Akteuren, die daran beteiligt waren . Das
sind sowohl unsere kommunalen Unternehmen und die
Genossenschaften als auch die vielen privaten Investo-
ren und Selbstnutzer, die dazu beitragen, dass wir hier
im Großen und Ganzen – bei allen Problemen, die wir zu
lösen haben – doch auf einem richtigen Weg sind . Unser
Ziel – wir dürfen es nicht aus den Augen verlieren – sind
natürlich lebenswerte, bezahlbare Wohnungen, aber auch
das dazugehörige Umfeld in den Städten, in den Kommu-

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


nen und auf dem flachen Land. Es wurde viel zur Mittel-
ausstattung gesagt; ich kann mich dem nur anschließen .

Ich möchte insofern den Blick in die Zukunft richten .
Wir haben das auch mit unserem Entschließungsantrag
gemacht . Ich bitte die Kollegen der Opposition, sich
unserem Antrag anzuschließen und uns zu unterstützen .
Die Voraussetzungen in der Zukunft werden sein: demo-
grafischer Wandel – es werden die wachsenden und die
schrumpfenden Städte in unserem Lande sein, denen wir
helfen müssen –, die Binnenwanderung, aber auch der
Zuzug von außen, nicht zuletzt der Klimawandel, der in
den Städten, aber auch auf dem flachen Land ein Pro-
blem ist .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den
Stadtumbauprogrammen, die wir sehr gut ausgestattet ha-
ben und jetzt zu einem gemeinsamen Programm zusam-
menlegen, reagieren wir genau darauf . Ich kann Ihnen
sagen – auch Ihnen, Frau Lay, weil Sie es angesprochen
haben –: Wir achten sehr darauf, dass die Sonderförder-
bedingungen für die ostdeutschen Bundesländer beim
Abriss erhalten bleiben . Gleichzeitig lassen wir Kommu-
nen in anderen Bundesländern, die in schwierigen finan-
ziellen Lagen sind, diese Unterstützung angedeihen . Das
ist, denke ich, mehr als gerecht .

Im Übrigen möchte ich, weil wir hier auch die Frage
der Bildung im Blick hatten, sagen: Mit den Stadtumbau-
programmen ist es möglich – das ist auch unser Ziel –,
nicht nur für einen reinen Abriss, sondern insbesondere
auch für die Aufwertung und Umgestaltung der Quartiere
zu sorgen . Dazu gehören auch Schulen . Es gab in Thürin-
gen unter der CDU-Regierung ein sehr gutes Schulsanie-
rungsprogramm, über das – auch im Rahmen des Stadt-
umbaus – Schulen umgestaltet und an die Bedürfnisse
angepasst wurden, sodass sie heute hervorragende Lehr-
bedingungen bieten . Das ist sicherlich ein gutes Beispiel
für die Kollegen in anderen Bundesländern .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch beim
Stadtgrün spielt der Stadtumbau mit hinein, aber es gibt
dafür auch ein eigenes Programm: „Zukunft Stadtgrün“ .
Ich muss sagen: Hier gibt es noch enormes Potenzial . Ich
finde es bedauerlich, dass wir in dieser Legislatur nicht
dazu gekommen sind, die Kompensationsverordnung zu
ändern .

Liebe Kollegen von den Grünen, das ist auch ein Ap-
pell an Sie: Wir sollten, wenn es darum geht, Ersatz und
Ausgleich für Flächeninanspruchnahme zu schaffen, da-
rüber nachdenken, entsprechende Möglichkeiten auch
in den Städten, in Siedlungsstrukturen zu eröffnen. Die
Kleingärtner geben uns dafür das beste Beispiel: Sie
schaffen in ihren Anlagen teilweise Reservate, in de-
nen sich die Tierwelt und die Pflanzenwelt entwickeln
können . Das ist durchaus auch in den Städten möglich .
Machen wir uns nichts vor: Jeder Stadtkämmerer stöhnt
über die Kosten des Stadtgrüns . Mit den entsprechenden
Mitteln würden wir auch die städtischen Kassen entlas-
ten . Das ist ein Punkt, dessen wir uns auf jeden Fall an-
nehmen sollten .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir
über Wohnungsbau reden, geht es immer auch um eine
soziale Frage . Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist

immer dann am besten gelöst, wenn wir es vielen Men-
schen ermöglichen, eigenen Wohnraum zu schaffen, der
ihnen gehört und über den sie verfügen können .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das debattieren wir noch mal!)


Da sind es vor allen Dingen die Familien, die Schwel-
lenhaushalte, die es schwer haben, zu Wohnungseigen-
tum zu kommen . Denen müssen wir helfen, zum Beispiel
durch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten .


(Klaus Mindrup [SPD]: Von welchen Steuern denn?)


Steuerlich abschreiben kann aber nicht jeder . Deswegen
ist unser Ziel – daran sollten wir arbeiten –, die Woh-
nungsbauprämie zu verändern, damit hier neue Möglich-
keiten entstehen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Acht Jahre den Finanzminister gestellt, aber beim Eigentum nichts gemacht, und jetzt Wahlkampf mit dem Thema machen! Das ist armselig!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch über die Frage
der Grunderwerbsteuer, die sehr ins Gewicht fällt, wenn
es darum geht, Wohneigentum zu erwerben, sollte man
nachdenken. Ich finde es nicht richtig, dass sie zum Bei-
spiel in Thüringen auf 6,5 Prozent erhöht worden ist . In
Sachsen liegt sie nach wie vor bei 3,5 Prozent . Auf diese
Art und Weise sorgt Sachsen dafür, dass Wohneigentum
gebildet werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Sachsen wird keine einzige Sozialwohnung errichtet! Das ist die Realität!)


Damit nicht nur über die Städtebauförderung gespro-
chen wird, möchte ich abschließend sagen: Es ist wichtig,
dass wir die Veränderungen nicht nur in die Metropolen
und die großen Städte tragen – es ist uns gelungen, die
Baunutzungsverordnung zu ändern und das sogenannte
Urbane Gebiet zu schaffen –, sondern auch in die klei-
nen Städte und Gemeinden, damit das Leben auch dort
lebenswert bleibt, damit es nicht nur Schlafdörfer sind,
sondern sich dort auch Gewerbe entwickeln kann und
Menschen vielleicht gar nicht mehr in die großen Städ-
te ziehen, weil sie ihr Daheim in einem Dorf, in einer
kleinen Stadt finden. Das ist das, was Deutschland stark
macht .

Daran müssen wir weiter arbeiten . Dazu rufe ich Sie
alle auf . Machen Sie mit der Zustimmung zu unserem
Antrag den ersten Schritt . Alles Weitere folgt in der
nächsten Legislaturperiode .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823511100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen .

Volkmar Vogel (Kleinsaara)







(A) (C)



(B) (D)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11975 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge . Interfraktionell ist vereinbart, über die
Entschließungsanträge, abweichend von der Geschäfts-
ordnung, sofort abzustimmen . Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall . Dann verfahren wir so .

Zuerst stimmen wir über den Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/12395 ab . Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/12396 . Wer stimmt diesem Entschlie-
ßungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion abgelehnt .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt
erlassen

Drucksachen 18/10892, 18/11221

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Wochenhöchstarbeitszeit begrenzen und
Arbeitsstress reduzieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut
ins Leben passt

Drucksachen 18/8724, 18/8241, 18/12055

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Michael Gerdes für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1823511200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit

knapp zwei Wochen liegt die Standortbestimmung der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt auf dem
Tisch . Wir müssen festhalten, dass sich arbeitsbedingter
Stress negativ auf die Gesundheit von Erwerbstätigen
auswirkt . Die Zahlen derer, die aufgrund psychischer Er-
krankungen am Arbeitsplatz fehlen oder eine Erwerbs-
minderungsrente beantragen, sprechen leider für sich .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das aber schon lange, oder?)


Wir sollten dringend über Gegenmaßnahmen nachden-
ken, wenn wir vermeiden wollen, dass sich psychische
Leiden aufgrund von Arbeit ausbreiten und gegebenen-
falls ein Fall für die Berufskrankheiten-Liste werden .

Anknüpfend an die lange Tradition des Arbeitsschut-
zes in Deutschland sind wir gut beraten, unsere Vor-
schriften an die Arbeitswelt 4 .0 anzupassen . Technischer
und psychosozialer Arbeitsschutz müssen stärker mitei-
nander verknüpft werden . Am Beispiel betrachtet: Das
Messen von übermäßigen Geräuschen und zu schwachen
Lichtquellen in Büroräumen reicht allein nicht mehr aus .
Wohlbefinden in der digitalisierten Arbeitswelt hängt
mehr und mehr davon ab, ob wir Zeitdruck haben oder ob
wir beispielsweise von permanent eingehenden E-Mails
gestört werden . Bisher hat sich der Arbeitsschutz auf
den Betrieb bzw . den Arbeitsort konzentriert . Moderner
Arbeitsschutz muss auch den Feierabend in den Blick
nehmen . Die Studien sagen uns nämlich, dass es darauf
ankommt, wie gut wir von der Arbeit abschalten können .

Es liegt nun an uns und an den Sozialpartnern, die
10 Empfehlungen der BAuA politisch zu bewerten und
Konsequenzen daraus zu ziehen . Das wird wohl ange-
sichts der zu Ende gehenden Legislaturperiode noch
einige Zeit dauern . Trotzdem möchte ich eines vorweg-
nehmen: Die SPD-Fraktion ist von der Idee einer An-
ti-Stress-Verordnung überzeugt . Entscheidend dabei ist:
Psychische Belastungen im Erwerbsleben müssen raus
aus der Tabuzone .


(Beifall bei der SPD)


Vielerorts werden stressbedingte Arbeitsausfälle und
Unfälle unterschätzt . Wir dürfen arbeitsbedingten Stress
nicht mit einem herausfordernden Arbeitsalltag verwech-
seln. Umgekehrt finde ich es auch wichtig, Arbeit positiv
zu besetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Arbeit ist kein grundsätzlicher Stressfaktor . Arbeit
schafft materielle und immaterielle Werte, die uns Men-
schen guttun .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stress heißt, mit
etwas nicht fertig zu werden . Stress am Arbeitsplatz
entsteht durch eine psychische Überlastung . Das emp-

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


findet jeder Mensch anders. Die gute Nachricht ist, dass
wir Stress bewältigen können, wenn wir den Menschen
die richtigen Mittel zur Verfügung stellen . Dazu gehört
zum Beispiel auch eine Gefährdungsbeurteilung, in der
danach gefragt wird, ob jemand genügend Zeit für die
Erledigung seiner Arbeit hat und ausreichend Wissen für
die jeweilige Aufgabe hat .

Mir ist klar, dass wir als Gesetzgeber gesunde Ar-
beitsprozesse nicht bis ins kleineste Detail gestalten und
regeln können . Wir benötigen praxistaugliche Ansätze
direkt im Betrieb .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen machen wir eine Verordnung, oder?)


Einerseits ist das Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern sowie unter Kolleginnen und Kolle-
gen gefragt . Andererseits müssen sich die gesetzlich vor-
gesehenen Akteure des Arbeitsschutzes stärker auf die
psychischen Belastungen am Arbeitsplatz fokussieren .
Hier kommen auch strukturelle Fragen auf uns zu: Ha-
ben wir ausreichend Betriebsärzte und Arbeitsmediziner?
Wie bilden wir Arbeitsschutzakteure weiter? Wie bringen
wir das neue Arbeitsschutzwissen besser in die Betriebe?
Gibt es ausreichend Kontrollen?

Mir geht es nicht darum, Sanktionen auszusprechen .
Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es
schließlich nicht an der Bereitschaft zur Fürsorge, son-
dern es mangelt eher an technischen, finanziellen und
personellen Ressourcen . Sie brauchen externe Hilfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ziel muss sein, dass weitaus mehr Betriebe als bisher
die notwendige Gefährdungsbeurteilung durchführen,
und zwar nicht für den Aktenschrank, sondern um he-
rauszufinden, welche Maßnahmen die körperliche und
mentale Gesundheit des Arbeitnehmers schützen . Die
Gefahr der Überregulierung durch eine eigenständige
Verordnung zur psychischen Gesundheit sehe ich mo-
mentan nicht . Wir brauchen Verbindlichkeit und Konkre-
tisierung .

Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz – das ist für
viele ein diffuses und abstraktes Thema. Was meinen wir
denn eigentlich? Welche Risiken gibt es konkret? Worauf
müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten? Im Rah-
men der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie
wurden bereits gute Empfehlungen zur Umsetzung der
Gefährdungsbeurteilung bei psychischer Belastung zu-
sammengetragen . Hiermit müssen wir in die Fläche .

Gute Praktiken beim Sicherheits- und Gesundheits-
schutzmanagement in den Unternehmen bedeuten nicht
nur Aufwand, sondern geben auch erkennbare Vorteile:
Eine gesunde und motivierte Belegschaft ist produktiv .
Sie ermöglicht es den Unternehmen, wettbewerbsfähig
und innovativ zu bleiben . Wer gesunde Mitarbeiter hat,
hält wertvolle Qualifikationen und Berufserfahrung im
Unternehmen .

Geringere Fehlzeiten und Krankenstände bedeuten
weniger Kosten infolge von Erwerbsunfähigkeit . Wir
müssen also gemeinsam mit den Unternehmen darauf

abzielen, Erwerbstätige vor Berufsunfähigkeit zu be-
wahren . Das Gesundheitsmanagement der Betriebe und
die Eingliederung nach langer Krankheit sind daher eine
große Herausforderung . Ohne Prävention wird es vor
dem Hintergrund der älter werdenden Gesellschaft nicht
gehen .

Wir brauchen eine neue Regelung, eine Regelung, die
den Namen Anti-Stress-Verordnung trägt .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man doch schon auf den Weg bringen können!)


Das würde der Bedeutung der mentalen Gesundheit in
der modernen Arbeitswelt Rechnung tragen .

Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823511300

Sie sind vorbildlich in der Zeit geblieben . Wenn alle

nachfolgenden Kollegen sich daran halten, wäre das sehr
schön . – Jutta Krellmann hat als nächste Rednerin das
Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823511400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Noch nie waren die Zahlen so drama-
tisch wie im Moment – wir haben das gerade gehört –:
Jeder dritte Arbeitnehmer leidet dauerhaft unter Stress;
die Fehltage wegen psychischer Belastungen und Er-
krankungen haben sich seit 1997 verdreifacht, und die
Hälfte aller krankheitsbedingten Frühverrentungen geht
auf psychische Erkrankungen zurück . Druck und Angst
gehören mittlerweile leider bei vielen Beschäftigten zum
Arbeitsalltag .

Es ist höchste Zeit für eine Anti-Stress-Verord-
nung, und die wöchentliche Höchstarbeitszeit muss auf
40 Stunden begrenzt werden,


(Beifall bei der LINKEN)


ob für Ingenieure, Bankkauffrauen, Köchinnen, den Ver-
käufer oder die Verkäuferin . Aufgrund meiner langjäh-
rigen Erfahrung als Gewerkschaftssekretärin kann ich
sagen: Es war noch nie so schlimm wie heute . Die Be-
schäftigten müssen endlich mitbestimmen können, wenn
es um die Gestaltung ihrer Arbeit geht .

Ich frage mich, wie Sie als Abgeordnete der regie-
rungstragenden Fraktionen diese Zustände mit ihrem
sozialen Gewissen vereinbaren können, ohne irgendet-
was zu tun . Die Zahlen sind eine arbeitsmarkt- und ge-
sundheitspolitische Bankrotterklärung . Sie haben beim
Schutz der Beschäftigten kläglich versagt .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Klar! 45 Millionen Beschäftigte!)


Schlimmer noch: Sie haben mit Ihrer Agenda der
Deregulierung und Flexibilisierung maßgeblich dazu

Michael Gerdes






(A) (C)



(B) (D)


beigetragen, dass die Menschen in den Betrieben krank
werden . Statt sich um die Menschen zu kümmern, knei-
fen Sie vor den Arbeitgebern und nehmen Krankheit und
Fehlzeiten in Kauf . Die Anti-Stress-Verordnung würde
Beschäftigten und Arbeitgebern zeigen, was gegen psy-
chische Belastung konkret getan werden muss . Das ist ja
wohl nicht zu viel verlangt .


(Beifall des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE])


Beim Arbeitsschutz funktioniert das ja auch .

Wenn über 90 Prozent der deutschen Unternehmer an-
geben, sich nur mit Arbeits- und Gesundheitsschutz zu
befassen, weil sie eine gesetzliche Vorschrift und Vorga-
be dafür haben, dann sage ich: Wenn das wirklich so ist
und wenn die Arbeitgeber das wollen, dann müssen sie
das bekommen, und dann müssen wir etwas beschließen,
um eine Anti-Stress-Verordnung anzustoßen .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn bei der ak-
tuellen Beschäftigtenbefragung der IG Metall Hun-
derttausende angeben, dass die 35-Stunden-Woche ihre
Wunscharbeitszeit ist, dann kann die Politik das nicht
ignorieren . Die Gewerkschaften verhandeln die Arbeits-
zeit, aber den Rahmen setzen wir; das macht es zu einem
klaren Handlungsauftrag für dieses Haus . Sie von der
Bundesregierung zwingen den Beschäftigten, ohne mit
der Wimper zu zucken, immer mehr Flexibilität auf und
durchlöchern das Arbeitszeitgesetz .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Können Sie das einmal benennen? – Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)


– Ja, gucken Sie sich doch einmal an, wie viele Ausnah-
meregelungen es im Zuge der letzten Jahre schon jetzt im
Arbeitszeitgesetz gibt . Diese sind nicht mit der Opposi-
tion auf den Weg gebracht worden, sondern in der Regel
mit Beteiligung der SPD .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Sagen Sie doch mal, was wir in dieser Legislaturperiode da gemacht haben!)


Ich sage: Wenn Flexibilität, dann aber nur in den
Grenzen einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von
40 Stunden .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach, so viel?)


Alles andere ist eine gesundheitspolitische Amokfahrt .
Nur so können wir garantieren, dass die einen nicht we-
gen zu viel Arbeit krank werden und die anderen nicht
krank werden wegen zu wenig oder gar keiner Arbeit .
Arbeit muss im Sinne der Beschäftigten gestaltet und Ar-
beitszeit umverteilt werden . Dafür steht die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Abgeordnete der SPD, ich frage mich, ob Sie
sich noch gut an die letzte Legislaturperiode erinnern .


(Katja Mast [SPD]: Natürlich!)


Es ist eben ein bisschen durchgeschienen . In der letzten
Legislaturperiode hatten Sie einen Antrag mit dem Titel

„Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten – Psychi-
sche Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren“ einge-
bracht . Für diesen Antrag haben Sie viel Lob bekommen .
Das war ein gelungener Entwurf für eine Anti-Stress-Ver-
ordnung .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin sicher: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer werden ganz genau hinschauen, was Sie gerade in
dem Zusammenhang tun werden .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wie in Nordrhein-Westfalen! Da haben wir auch genau hingeschaut!)


Wer von sozialer Gerechtigkeit redet und dann nicht zu-
greift, wenn sie um die Ecke kommt, der hat an der Stelle
seinen Vertretungsanspruch verwirkt .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sollten Sie hier nicht zustimmen, dann zeigt das, dass
die Linke die einzige Partei ist, die die Interessen der Be-
schäftigten in den Betrieben vertritt .


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823511500

Als nächster Redner hat Uwe Lagosky von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Lagosky (CDU):
Rede ID: ID1823511600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heu-
te sowohl über die Frage der Zeitsouveränität, die im
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen entsprechend aufge-
führt ist, als auch über Stress in der Arbeitswelt, worüber
wir gerade etwas gehört haben .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gehören zusammen!)


Ich möchte mich aber dennoch, genauso wie mein
Kollege von der SPD, auf den Arbeitsschutz fokussie-
ren . Das Thema Arbeitsschutz ist heute angesichts des
Wandels in der Arbeitswelt genauso interessant wie vor
40 Jahren bei der Einführung des Arbeitssicherheitsge-
setzes . Dabei geht es heute längst nicht mehr um die
klassischen industriellen Themen des Arbeitsschutzes,
sondern vermehrt um die Bewahrung der psychischen
Gesundheit der Beschäftigten .

Psychische Erkrankungen – da ist die Betrachtung
der Wirklichkeit tatsächlich angebracht – verursachen
aktuell 15 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage und stel-
len mittlerweile die häufigste Ursache für Frühverren-
tung dar . Auf circa 29 Milliarden Euro belaufen sich die
Krankheitskosten von psychischen Erkrankungen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen Sie?)


Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


Die deutliche Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage auf-
grund psychischer Erkrankungen spiegelt sich zudem in
den zunehmenden Produktivitätsausfällen wider .

Sie als Opposition weisen also nicht zu Unrecht auf
diese Situation hin . Was Sie allerdings nicht betrachten
und völlig ignorieren, ist der aktuelle Diskurs im Bereich
des Arbeitsschutzes . Deutschland ist mit der Gemein-
samen Deutschen Arbeitsschutzstrategie bestehend aus
Bund, Ländern und der Deutschen Gesetzlichen Unfall-
versicherung gut aufgestellt . Zusammen mit den Sozial-
partnern wird hier der Schutz der Gesundheit bei arbeits-
bedingter psychischer Belastung vorangetrieben .

Um Gesundheitsstörungen und psychische Erkran-
kungen im Betrieb zu vermeiden, unterstützt das Arbeits-
programm Psyche die Unternehmen bei der Gestaltung
der Arbeitsbedingungen. Das Programm qualifiziert zu-
dem betriebliche und überbetriebliche Akteure im Ar-
beits- und Gesundheitsschutz zum Thema psychische
Gesundheit und gibt Empfehlungen zur Umsetzung der
Gefährdungsbeurteilungen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was macht die Bundesregierung?)


Diese Maßnahmen werden durch Handlungshilfen für
Betriebe, zum Beispiel durch das Projekt „psyGA“ oder
auch durch die Initiative Neue Qualität der Arbeit, flan-
kiert .

Darüber hinaus wurde in dieser Legislaturperiode –
jetzt beantworte ich Ihre Frage, Frau Müller-Gemmeke,
was die Politik macht – die Frage psychischer Belastun-
gen in der Arbeitsstättenverordnung konkretisiert . In das
Gesundheitsförderungs- und Präventionsstärkungsgesetz
wurden psychische Belastungen ausdrücklich mit auf-
genommen . Dies führt zu verbesserten Leistungen der
Krankenversicherungen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD] – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verhindert nichts!)


Besonders verweisen möchte ich an dieser Stelle auf
die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin .
Sie stellte vor exakt zwei Wochen – das ist schon ange-
sprochen worden – ihre Langzeitstudie zur psychischen
Gesundheit in der Arbeitswelt vor . Ziel der Studie war
es, psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu untersu-
chen und daraus Handlungsempfehlungen für den Ar-
beitsschutz zu geben . Wir haben nun eine umfassende
wissenschaftliche Standortbestimmung über psychische
Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt . Stressfaktoren
wie zu lange Arbeitszeit, schlechte Führung, mangelnde
Ruhezeiten oder zu hohe Arbeitsbelastungen können die
psychische Gesundheit der Beschäftigten beeinträchti-
gen . In den meisten Fällen gehen diese Stressfaktoren
miteinander einher und führen in der Häufung zu psychi-
schen Belastungen .

Dabei erweist sich die Arbeitszeit in den wissenschaft-
lichen Studien durchgängig als Schlüsselfaktor in ihrer
Wirkung auf die Gesundheit . Die erwähnten Risiken
werden allerdings im bestehenden Rechtsrahmen klar ad-

ressiert und eingeschränkt . Dies ist unter anderem im Ar-
beitszeitgesetz deutlich zu sehen . Darauf weist die BAuA
auch hin . Sie schreibt:

Für die Arbeitszeitdauer sind . . . Schwellenwerte,
deren langfristige Überschreitung bzw . Nichtbeach-
tung eine gesundheitliche Beeinträchtigung zur Fol-
ge haben können, im Arbeitszeitgesetz festgelegt .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Finger weg vom Arbeitszeitgesetz!)


Dies betrifft konkret den Umfang der Wochenar-
beitszeit, die tägliche Arbeitszeit sowie die Länge
der Ruhezeit .

Weiter führt die BAuA aus, dass die Befundlage zu
den Zusammenhängen von Arbeitszeit und Gesundheit
dafür spricht, dass die vorhandenen gesetzlichen Vorga-
ben aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unabhängig von
der Arbeitstätigkeit sinnvoll sind .

Bei allem, was wir vor dem Hintergrund der Arbeits-
welt 4 .0 möglicherweise am Arbeitszeitgesetz verändern
wollen, sollte man sich die Schutzfunktionen dieses Ge-
setzes immer wieder vor Augen halten . Das gilt für Ihre
Anträge und für alles, was dazu noch vorgelegt werden
mag .

Sie sehen, wir haben heute bereits ausreichend strenge
Arbeitsschutzgesetze . Allerdings werden diese nicht im-
mer konsequent umgesetzt . Gefährdungsbeurteilungen
müssen häufiger durchgeführt werden. Hier sind in erster
Linie die Bundesländer in der Pflicht und angehalten, ih-
ren Kontrollpflichten nachzukommen. Dafür braucht es
möglicherweise hier und da mehr Personal bei den Auf-
sichtsdiensten der Länder .

Eine Anti-Stress-Verordnung würde daher nur den
Rechtsrahmen der bestehenden Gesetze ändern, aber
nicht die Sensibilität für dieses Thema in den Unterneh-
men erhöhen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde doch sensibilisieren!)


Es geht darum, mit den Akteuren des Arbeitsschutzes in
den Unternehmen für das Thema Arbeitsschutz zu sensi-
bilisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe gesehen, dass die Präsidentin mir ein Zeichen
gibt, und komme daher zum Schluss .

Insbesondere kommt es darauf an, dass die Sozial-
partner und die Kolleginnen und Kollegen des institu-
tionellen Arbeitsschutzes in den Betrieben daran arbei-
ten . Ich bin daher froh, dass wir auf der Grundlage des
BAuA-Berichts jetzt einen Dialogprozess erleben, der
die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt auf eine
richtige Basis stellt . Auf dieser Basis werden wir arbei-
ten . Deshalb lehnen wir Ihre Anträge heute ab .

Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Uwe Lagosky






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823511700

Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Bereits unter Schwarz-Gelb haben wir
das Thema „psychische Belastungen“ heftig diskutiert
und Maßnahmen gefordert, im Übrigen auch die SPD .
Die damals für dieses Thema zuständige Ministerin von
der Leyen hat eine entsprechende Studie auf den Weg ge-
bracht . Erst jetzt liegen die Ergebnisse vor . Diese zeigen:
Es besteht – wenig überraschend – Handlungsbedarf . –
Das dauert einfach alles zu lange . Sie, die Regierungs-
fraktionen, haben sich bei diesem Thema untätig durch
diese Legislaturperiode gemogelt . Das ist nicht akzepta-
bel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Arbeitswelt hat sich verdichtet und beschleunigt .
Das wissen wir schon lange . Wer mehr, unregelmäßig
oder nicht planbar arbeitet, dem fehlen Erholungszeiten .
Häufig ist die Personaldecke zu dünn. Über 50 Prozent
der Beschäftigten sind bei der Arbeit gehetzt . Steigende
Arbeitsintensität, hohe Leistungsanforderungen – wer
diesem Stress ausgeliefert ist, wer das Gefühl hat, die
Arbeit nicht zu schaffen, dessen Selbstwertgefühl wird
brüchig . Das Arbeitsleben macht Tempo, und das schon
seit vielen Jahren . Den Beschäftigten geht deswegen zu-
nehmend die Puste aus . Sie, die Regierungsfraktionen,
hätten darauf schon lange reagieren müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Arbeitgeber müssen sensibilisiert werden . Das
kommt nicht von alleine, Herr Lagosky . Sie müssen
wissen, wann und wie Stress entsteht und – vor allem –
wie dieser Stress vermieden werden kann . Das Arbeits-
schutzgesetz muss also durch eine Verordnung konkre-
tisiert werden . Deshalb werden wir heute dem Antrag
zustimmen; denn nur so bekommen die Arbeitgeber und
die Betriebsräte ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie
Lösungen gegen Stress, ständige Erreichbarkeit und Ar-
beitsverdichtung entwickeln können . Das ist dringend
notwendig; denn es geht immerhin um die Gesundheit
der Beschäftigten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein Aspekt ist uns Grünen dabei besonders wichtig,
und zwar die Arbeitszeit . Auch die Studie – es wurde
schon gesagt – „Psychische Gesundheit in der Arbeits-
welt“ von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar-
beitsmedizin bezeichnet Länge, Lage und Flexibilität der
Arbeitszeit als relevant für die Gesundheit von Beschäf-
tigten . Als positiv wird beurteilt, wenn die Beschäftig-
ten auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeit Einfluss nehmen
können . Die Beschäftigten brauchen also Zeitsouveräni-
tät . Genau das fordern wir in unserem heute vorliegenden
Antrag . Damit besteht ein Zusammenhang: Wenn die Ar-

beitszeit beweglicher wird, dann sind die Beschäftigten
weniger gestresst und weniger gehetzt . Vor allem wün-
schen sich die Menschen, insbesondere die Frauen, mehr
Zeitsouveränität, damit ihre Arbeit besser ins eigene Le-
ben passt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Männer auch!)


Die Linke fordert das mit ihrem Antrag, aber anders als
wir Grüne . Sie wollen ja die Wochenhöchstarbeitszeit auf
40 Stunden absenken . Das lehnen wir ab .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schade eigentlich!)


Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten funktioniert
eben nicht in einem engen und starren Rahmen . Die Be-
schäftigten brauchen die Freiheit, in einer Woche ein
bisschen mehr arbeiten zu können, um dann in einer an-
deren Woche mehr frei zu haben . Natürlich brauchen die
Beschäftigten Schutz; denn wir wollen ja Zeitsouveräni-
tät ermöglichen und grenzenlose Arbeit verhindern . Da-
für reicht das Arbeitszeitgesetz aber so, wie es heute ist .

Wir Grünen haben dafür andere Forderungen . Wir
wollen, dass die Beschäftigten mehr Mitspracherecht bei
der Arbeitszeit erhalten; denn auch so wird Stress redu-
ziert. Weil die Beschäftigten häufig mit ihrem Arbeits-
umfang nicht zufrieden sind, wollen wir „Vollzeit“ als
flexiblen Arbeitszeitkorridor zwischen 30 und 40 Stun-
den neu definieren und – ganz wichtig – durch ein Rück-
kehrrecht ergänzen . Auf das Rückkehrrecht warten wir in
dieser Legislaturperiode ja noch immer .

Einige wollen wegen der Kinder gerne etwas später
anfangen, andere brauchen einen freien Nachmittag für
die alten Eltern, und wieder andere wünschen sich ei-
nen Tag Homeoffice, um sich die Fahrtzeit ins Büro zu
ersparen . Deshalb sollen die Beschäftigten auch mehr
Mitspracherechte bekommen, wenn es darum geht, wann
und wo sie arbeiten . So entsteht Zeitsouveränität, und sie
ist bitter nötig; denn Arbeitszeit ist Lebenszeit .

Heute liegen verschiedene Vorschläge dafür auf dem
Tisch, den Stress in der Arbeitswelt zu reduzieren . Die
Opposition hat Konzepte entwickelt, nimmt das Thema
also ernst . Sie, die Regierungsfraktionen, haben das The-
ma vier Jahre lang ganz einfach verschleppt . So werden
Sie Ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Beschäf-
tigten nicht gerecht .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823511800

Als nächster Redner hat Dr . Martin Rosemann von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1823511900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Einord-






(A) (C)



(B) (D)


nung dieser Debatte will ich ein paar allgemeine Bemer-
kungen voranstellen .

Ich finde immer noch: Für die allermeisten Menschen
in unserem Land ist es wirklich besser, wenn sie Arbeit
haben, als wenn sie keine Arbeit haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das hat damit zu tun, dass Arbeit die Grundlage für unse-
ren Wohlstand ist, dass Arbeit materielle und soziale Si-
cherheit für jeden Einzelnen ermöglicht und dass Arbeit
ein Stück weit auch Selbstverwirklichung bedeutet . Des-
wegen ist Arbeit für jeden Einzelnen und jede Einzelne,
aber auch für die Gesellschaft insgesamt wichtig .

Klar ist: Unsere Arbeitswelt ist im Wandel . Dieser
Wandel vollzieht sich im Zuge der Digitalisierung im-
mer schneller, und das stellt uns vor Herausforderungen .
Auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es Ver-
änderungen in der Arbeitswelt, die mit einer Verdichtung
der Arbeitsbelastung und tatsächlich mit mehr Stress ver-
bunden waren .

Die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gespro-
chen haben, haben schon darauf hingewiesen: Die Zahl
der psychischen Erkrankungen hat zugenommen . Be-
sonders alarmierend ist, dass der Grund für den Zugang
in die Erwerbsminderungsrente zunehmend psychische
Erkrankungen sind . Seit 1993 ist der Anteil sehr stark
gestiegen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast 50 Prozent!)


1993 waren 15 Prozent derjenigen, die in die Erwerbs-
minderungsrente gegangen sind, psychisch erkrankt,
2015 betrug der Anteil sage und schreibe 43 Prozent .
Damit sind sie mittlerweile die größte Krankheitsgruppe
unter den Neuzugängen in die Erwerbsminderungsrente .
Natürlich kann das die Politik und uns alle nicht kaltlas-
sen . Deswegen sind wir hier auch alle in der Verantwor-
tung .

Ich glaube, das Wichtigste, was wir in dieser Debatte
sagen müssen, wenn wir über ein so zentrales Thema am
Freitagnachmittag um 14 Uhr diskutieren, ist – das sage
ich mit Blick auf alle, die hier im Saal sind, also auch auf
die Besucher auf den Tribünen –: Es ist für uns alle ent-
scheidend, dass wir psychische Erkrankungen in dieser
Gesellschaft endlich enttabuisieren, damit sie rechtzeitig
angegangen werden können .


(Beifall bei der SPD)


Dazu gehört, dass wir Prävention und Rehabilitation viel
stärker in Verbindung mit dem Arbeitsplatz sehen . Genau
hier haben wir in dieser Legislaturperiode angesetzt . Es
kann doch nicht die Rede davon sein, wir hätten nichts
getan .

Mit dem sogenannten Flexirentengesetz


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Das reduziert Stress am Arbeitsplatz?)


und dem Bundesteilhabegesetz haben wir Prävention und
Rehabilitation an unterschiedlichen Stellen gestärkt, und

gerade mit Blick auf psychische Erkrankungen haben wir
Modellvorhaben gestartet und für diese Modellvorhaben
mehr Mittel im Bereich der Arbeitsverwaltung, der Job-
center und der Rentenversicherung bereitgestellt . Das,
was dabei an guten Praktiken herauskommt, müssen wir
in den kommenden Jahren auch dauerhaft umsetzen .


(Beifall bei der SPD)


Was wir auch im Blick haben, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist das betriebliche Eingliederungsmanage-
ment, wenn jemand nach langer Krankheit an den Ar-
beitsplatz zurückkehrt und die Betriebe ihn wieder in den
Arbeitsprozess eingliedern sollen . Das ist eine wichtige
Aufgabe, die neben dem Arbeitgeber auch die Kollegin-
nen und Kollegen bzw . das ganze Team angeht und bei
der es wichtig ist, dass die Betroffenen nach der Rück-
kehr tatsächlich wieder ihren Arbeitsplatz erhalten .

Das Hauptproblem ist, dass das betriebliche Einglie-
derungsmanagement gerade in Klein- und Kleinstbe-
trieben wenig bekannt ist und die Unternehmen nicht
wissen, wie sie so etwas umsetzen können . Deswegen
haben wir die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabili-
tation dazu gebracht, eine Empfehlung dazu abzugeben
und Mindeststandards vorzuschlagen, die dann auch in
Klein- und Kleinstbetrieben umgesetzt werden können .


(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ändert noch nichts an der Ursache!)


Hinter all dem steht die Vorstellung, dass wir – der Staat,
die Gesellschaft und die Sozialversicherungen – die Be-
schäftigten während des Arbeitslebens sehr viel stärker
als bisher beraten, begleiten und unterstützen müssen .

Wichtig ist aber mit Sicherheit noch ein zweites The-
ma, nämlich das Thema Arbeitszeit . Ich stimme vielem
zu, was Beate Müller-Gemmeke dazu gesagt hat . Die
Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten weichen in hohem
Maße von den tatsächlich gearbeiteten Arbeitszeiten ab .
Das gilt übrigens nicht nur für Frauen, sondern auch für
Männer . Wenn wir da zu mehr Flexibilität kommen wol-
len, dann muss sie nicht nur für die Frauen, sondern auch
für die Männer gelten .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht auch in unserem Antrag so drin!)


Sonst kriegen wir nämlich nicht beides zusammen . Wir
bekommen es nämlich nicht hin, dass Frauen ihre Ar-
beitszeit gegenüber der Zeit im privaten Bereich erhö-
hen, wenn wir nicht gleichzeitig den Männern mehr Zeit
für den privaten Bereich ermöglichen, indem sie weniger
arbeiten .

Genau an der Stelle setzen wir mit den Maßnahmen
an, die wir in dieser Wahlperiode auf den Weg gebracht
haben . Das Elterngeld Plus beispielsweise macht für
Eltern von kleinen Kindern Teilzeitbeschäftigung at-
traktiver und ermöglicht einen längeren Bezug des El-
terngelds, wenn man sich das partnerschaftlich teilt . Da
wollen wir nicht stehen bleiben .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt denn noch das Rückkehr Dr. Martin Rosemann recht in dieser Legislaturperiode? Kommt das noch?)





(A) (C)


(B) (D)


– Ja, das Rückkehrrecht ist ein gutes Stichwort . Wir wol-
len das Rückkehrrecht auf Vollzeit bzw . die befristete
Teilzeit . Das wird – das sage ich deutlich – von der rech-
ten Seite dieses Hauses blockiert .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen noch mehr – Andrea Nahles hat es auch im
Weißbuch Arbeiten 4 .0 deutlich gemacht –: Wir wollen
die starre Trennung von Vollzeit und Teilzeit aufgeben
und durch Wahlarbeitszeitmodelle zu einer flexibleren
Form von Vollzeit kommen . Andrea Nahles will gemein-
sam mit den Tarifpartnern flexible Arbeitszeitmodelle
umsetzen, indem sie Öffnungsklauseln in den Tarifver-
trägen vorschlägt,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kann nicht sein, dass die Tarifverträge angegriffen werden! Das ist nicht gut!)


die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter be-
stimmten Qualitätsstandards vereinbart werden .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823512000

Herr Kollege, Sie müssen jetzt sehr zügig zum Schluss

kommen .


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1823512100

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss . – Insge-

samt geht es um mehr Zeitsouveränität und vor allem um
eine größere Flexibilität, die auch und insbesondere den
Beschäftigten und ihren Bedürfnissen nutzt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann können Sie unserem Antrag zustimmen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823512200

Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser für

die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1823512300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auf die Arbeit schimpft man nur so lange, bis man keine
mehr hat .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott!)


Deshalb möchte ich, bevor ich auf die Anträge ein-
gehe, Kollegen der Linken und der Grünen, erst einmal
etwas Grundsätzliches zum Thema Arbeit sagen . Kollege
Rosemann hat es eben in seiner Rede schon ausgeführt:
Arbeit gehört seit jeher zu unserem Leben . Damit gehen
viele Eigenschaften einher, und man sollte es nicht glau-

ben: Der überwiegende Teil der Menschen in Deutsch-
land geht sogar gerne jeden Morgen zur Arbeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und wer organisiert in Deutschland erfolgreiche Ar-
beit? Die Sozialpartner – das ist mehrfach ausgeführt
worden – in den einzelnen Branchen . Sie vereinbaren
ihre gemeinsamen Ziele . Sie wollen unsere Unternehmen
wettbewerbsfähig halten und Erfolge erzielen . Denn das
ist die Voraussetzung dafür, dass wir Wachstum und Be-
schäftigung haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wo landet das Wachstum? Nicht in den Löhnen! Die Lohnquote sinkt! Seit Jahren sinkt die Lohnquote!)


Richtig ist: Die Anforderungen an die Arbeitswelt und
in der Arbeitswelt haben sich mit der Digitalisierung, der
Arbeitswelt 4 .0, verändert und somit auch die Anforde-
rungen an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer . Aber auch
die veränderten Familienstrukturen und damit einherge-
hend der Wandel der Ansprüche und Anforderungen ma-
chen Anpassungen bei der Arbeitszeit notwendig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere Wirtschaft und die Sozialpartner in den Unter-
nehmen reagieren darauf . Ihre Zusammenarbeit funktio-
niert ohne staatliche Regelungen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Das ist das Beste an dem Ganzen!)


So treffen zum Beispiel viele inhabergeführte Famili-
enunternehmen bei mir in der Region in Südwestfalen
schon seit längerem Vereinbarungen in Bezug auf flexi-
ble Arbeitszeiten . Das gelingt ihnen hervorragend . Da-
bei werden die Anforderungen und Bedürfnissen beider
Seiten, die der Arbeitnehmer und die der Arbeitgeber,
berücksichtigt .

Die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit und
Soziales im März dieses Jahres hat bestätigt, dass der
Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten stark ausgeprägt ist.
Deshalb sagen wir ganz klar: Wir suchen die Lösungen
auf betrieblicher und auf überbetrieblicher Ebene, bevor
wir Gesetze verschärfen und damit Reglementierungen
auf den Weg bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss den Menschen doch Rechte geben!)


Am Montag dieser Woche fand ein Arbeitnehmer-
kongress der CDU/CSU-Fraktion statt . Auch da wurde
deutlich: Es geht um bedarfsgerechte und individuelle
Lösungen in den einzelnen Branchen .


(Zuruf der Abg . Katja Mast [SPD])


Die Sozialpartner fordern zu Recht, ihnen hierbei Ver-
trauen zu schenken und das Ganze weniger zu reglemen-
tieren . Ich sehe es als unsere Aufgabe in der Politik an,
dass wir einen guten Rechtsrahmen schaffen. Der Kolle-
ge Rosemann hat das gesagt; da sind wir einer Meinung .
Es geht um begleitende Hilfen, Prävention und Rehabi-

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


litation . Wir haben das Präventionsgesetz auf den Weg
gebracht. Auch darin sind flankierende Hilfen vorgese-
hen . Es gibt das Arbeitsschutzgesetz, in dem in § 5 die
Anforderungen an einen sicheren, gesunden und guten
Arbeitsplatz geregelt sind .


(Lachen der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich gebe Ihnen ja recht, dass wir die Belastungsfor-
men, die heute durch eine beschleunigte und sich ver-
ändernde Arbeitswelt entstehen, nicht aus dem Blick
verlieren dürfen . Aber Ihre Forderungen, darauf mit kür-
zeren Arbeitszeiten und einer Umverteilung der Arbeit
zu reagieren, gehen an der Realität vorbei . Sie gehen an
der Realität der deutschen Wirtschaft und der deutschen
Arbeitswelt sowie an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen vorbei .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie mal die europäischen Partner! Die sehen das anders!)


Darauf weisen verschiedene Studien hin . Was ist mit
der Sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbe-
dingungen? In den Ergebnissen für Deutschland heißt es:
Drei Viertel der Beschäftigten sind mit ihrer Arbeitszeit
und mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden, und ein Teil
ist sogar sehr zufrieden .


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was das Thema – noch einmal kurz am Ende – „Ar-
beitsbelastung und Stress“ angeht: Jeder Mensch hat
doch ein eigenes Empfinden und beurteilt Anforderun-
gen und Belastungen unterschiedlich . Stress ist subjektiv
und wird von jedem anders bewertet . Ja, ich gebe Ihnen
recht, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt .
Hierauf müssen wir reagieren . Darauf ist der Kollege
Lagosky in seiner Rede ausführlich eingegangen .

Wir sind uns einig, dass es im Interesse aller liegt,
dass sowohl die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
als auch die allgemeine Arbeitsfähigkeit zu fördern und
zu erhalten sind . Wir sehen uns mit den bereits instal-
lierten Maßnahmen auf einem richtigen Weg und werden
diesen angestoßenen Prozess mit weiteren Maßnahmen
fortsetzen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchen Maßnahmen?)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823512400

Als letzter Redner in der Aussprache hat Stephan

Stracke für die CDU/CSU das Wort .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Maßnahmen haben Sie in petto?)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1823512500

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Im Kern geht es bei dieser
Debatte um das Thema „Flexibilität, Arbeitszeit,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, es geht um Gesundheit!)


Zeitsouveränität und Schutz vor Überlastungen“ .

Die Digitalisierung hat sicherlich erhebliche Auswir-
kungen auf die Arbeitswelt . Das meiste davon können
wir in der Schärfe noch gar nicht abbilden . Aber Unter-
nehmen können in der digitalen Arbeitswelt von räum-
lich und zeitlich flexiblen Wertschöpfungsprozessen pro-
fitieren. Für Arbeitnehmer bieten sich große Chancen auf
mehr selbstbestimmtes Arbeiten .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema ist Stress in der Arbeitswelt!)


Es geht letztlich um die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf . Mehr Zeit- und Ortssouveränität sowie lebenspha-
senorientiertes Arbeiten sind hier die Stichworte .

Die entscheidende Frage lautet, wie es uns gelingen
kann, den Zugewinn an Flexibilität verantwortungsvoll
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuteilen .
Dabei sehen wir die Frage als zentral an, wie wir das
organisieren . Hier sind letztendlich die Betriebe und die
Sozialpartner gefragt . Es ist ihre ureigene Aufgabe, den
Gewinn an Flexibilität in der digitalen Arbeitswelt zum
Wohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
der Unternehmen in der Praxis zu gestalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen ist es immer gut, das Geschehen vor Ort im
Blick zu behalten und die Tarifautonomie zu wahren . Wir
brauchen in unserer Arbeitswelt weiß Gott kein starres
Korsett von staatlicher Seite . Diese Kritik richtet sich
gleichermaßen gegen die Vorschläge der Bundesarbeits-
ministerin zur Anpassung des Arbeitsrechts im Rahmen
des Weißbuchs 4 .0 . Ein Trommelfeuer aus punktuellen
gesetzlichen Maßnahmen hilft nicht weiter . Wir sprechen
uns für betriebliche und tarifliche Vereinbarungen aus,
um passgenaue Lösungen zu finden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wären wir noch beim 16-Stunden-Tag!)


Ich habe zu Beginn gesagt, dass es um einen Interes-
senausgleich geht . Es gibt sicherlich große Unterschiede .
Deswegen möchte ich noch etwas zum Rückkehrrecht
bei Teilzeitbeschäftigung sagen . Dabei müssen wir im
Blick behalten, dass wir Planungssicherheit für die Un-
ternehmen brauchen . Wir dürfen insbesondere kleine
Unternehmen nicht überfordern . Es ist gerade für sie
überlebenswichtig, dass ein konstanter Betriebsablauf
gewährleistet wird . Flexibilität und Arbeitsvolumen sind
nun einmal untrennbar miteinander verbunden . Deswe-
gen ist es unsere Leitlinie, die Belange der Arbeitgeber
auf der einen Seite und die Belange der Arbeitnehmerin-

Christel Voßbeck-Kayser






(A) (C)



(B) (D)


nen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite angemessen
in Einklang zu bringen .


(Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen frage)


Der Vorschlag der Bundesarbeitsministerin geht in wei-
ten Teilen über das hinaus und stellt eine unverhältnis-
mäßige Belastung dar . Flexibilität ist ein Maßanzug, der
sowohl den Unternehmen als auch den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern passen muss . – Nun hat der Kollege
Kurth – Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Frau Präsiden-
tin – das Wort .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823512600

Aber ich bitte, es kurz zu machen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823512700

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen . – Ich kann

es kurz machen . Herr Stracke, Sie haben davon gespro-
chen, was für die kleinen Unternehmen wichtig ist, zum
Beispiel Kontinuität . Stimmen Sie mir dann zu, dass
das Allerwichtigste für die Unternehmen ist, dass ihre
Arbeitskräfte gesund bleiben, dass sie nicht dauerhaft
ausfallen und dass sie nicht innerlich kündigen, kurzum:
dass sie keinem Stress, der gesundheitsschädlich ist, am
Arbeitsplatz ausgesetzt sind?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1823512800

Sehr geehrter Herr Kurth, natürlich liegt es im Inte-

resse der Unternehmen, dass es ihren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern gut geht; das ist doch selbstverständ-
lich . Das liegt im ureigenen Interesse der Arbeitgeber .
Deshalb lehnen wir beispielsweise eine Antistressverord-
nung ab .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist unlogisch, Herr Kollege! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich fürchte, Sie haben die Frage nicht verstanden! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die ist arbeitnehmerfreundlich!)


Wir haben in diesem Bereich zwei Entwicklungen zu
verzeichnen, Herr Kurth . Zum einen werden im Zuge
der Digitalisierung einfache und ständig wiederkehrende
Tätigkeiten automatisiert . Das nimmt Belastungen weg .
Das sehen Sie schon daran, dass Unternehmen solche
Entwicklungen zum Wohle ihrer Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aufgreifen . Zum anderen müssen wir im
Blick behalten: Mehr Flexibilität bedeutet auch mehr
Eigenverantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer . Wir müssen darüber diskutieren, wie wir hier
etwas hinbekommen können . – Herr Kurth, bitte schön,
Sie können sich wieder hinsetzen .

In diesem Sinne haben wir schon vieles im Bereich
Stress getan . Wir brauchen Wege, die dazu dienen, die
Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zu stärken . Unser Arbeitsschutzsystem ist insge-

samt gut aufgestellt und gestaltet die Arbeitswelt sicher
und gesund . Das Prinzip der Gefährdungsbeurteilung ist
hier tragend .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Betriebe machen maximal eine Gefährdungsbeurteilung!)


Wir müssen achtsam sein, wenn es um Entwicklungen
auf den neuen Handlungsfeldern geht .

Vor diesem Hintergrund haben wir uns als Koalition
auf den Weg gemacht, Frau Müller-Gemmeke, die Ent-
wicklung neuer Präventionskonzepte und betrieblicher
Gestaltungslösungen bei psychischer Belastung in en-
ger Zusammenarbeit mit den Trägern der Gemeinsamen
Deutschen Arbeitsschutzstrategie voranzutreiben . Genau
das passiert derzeit . Auch die Bundesanstalt für Arbeits-
schutz und Arbeitsmedizin hat ihr Gutachten vorgestellt .
Jetzt entsteht ein neuer Dialogprozess, in dessen Rahmen
wir das erörtern bzw . vertieft diskutieren wollen .

All das zeigt, dass bereits viel geschieht . Wir brauchen
vor allem eine vorausschauende ganzheitliche Planung in
den Betrieben, was den Umgang mit psychischen Belas-
tungsfaktoren angeht . Dabei ist es sicherlich nicht der
Königsweg, immer nur nach neuen gesetzlichen Rege-
lungen bzw . Verordnungen zu rufen, sondern wir brau-
chen vor allem passgenaue betriebliche Lösungen . Ge-
nau darauf zielen wir ab .

Wir brauchen keine gesetzgeberischen Schnellschüs-
se, wie sie im Rahmen der jetzt vorgelegten Anträge ge-
fordert werden .

Ich sage ein herzliches Dankeschön und wünsche Ih-
nen ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823512900

So weit sind wir aber noch nicht, weil wir jetzt noch

eine ganze Reihe von Abstimmungen haben . Ich bitte die
Kollegen und Kolleginnen, so lange sitzen zu bleiben .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozi-
ales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11221, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/10892 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 42 b .
Dabei geht es um die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 18/12055. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/8724 mit dem Titel „Wochenhöchstarbeitszeit
begrenzen und Arbeitsstress reduzieren“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Linken angenommen worden .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8241 mit
dem Titel „Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut ins
Leben passt“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand?
Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die Linke

und gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 31 . Mai 2017, 13 .00 Uhr, ein .

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende . Die Sit-
zung ist geschlossen .