Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach-
ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Abgeordnetengesetzes und eines
… Gesetzes zur Änderung des Europaab-
geordnetengesetzes
Drucksache 18/477
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Drucksache 18/619
Drucksache 18/620
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes –
Erweiterung des Straftatbestandes der Abge-
ordnetenbestechung
Drucksache 18/476
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz
Drucksache 18/607
Zu dem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Über beide Gesetzentwürfe werden wir spä-
ter namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Bernhard Kaster das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn der Debattezunächst einmal ein Wort des herzlichen Dankes an alleMitglieder der Unabhängigen Kommission sagen, dieaufgrund eines einvernehmlichen Auftrags des Deut-schen Bundestages zum Ende der letzten Legislatur-periode einen sehr umfangreichen Bericht mit Fragestel-lungen und Empfehlungen zum Abgeordnetenrechtvorgelegt hat. Das war sehr wertvoll, und das war einemühsame Arbeit in 17 Sitzungen. Dafür ein herzlichesDankeschön an die Kommission.
Diese Empfehlungen des Berichts waren auch Gegen-stand einer dreistündigen Anhörung am vergangenenMontag, und sie bilden die Grundlage für die Änderun-gen des Abgeordnetenrechts, insbesondere im Bereichder Abgeordnetenentschädigung und im Bereich derKürzungen bei der Altersversorgung. Ich sage zur Infor-mation: Diese Unabhängige Kommission war eine ex-terne Kommission, eine Kommission mit Mitgliedernaus den Bereichen Wirtschaft, Handwerk, Verwaltungund Wissenschaft.Unsere Verfassung, aber auch das bekannte Diätenur-teil des Bundesverfassungsgerichts geben uns vor, dasswir unsere Abgeordnetenentschädigung selbst festsetzenmüssen. Dafür sprechen viele gute staatsrechtlicheGründe. Man könnte da in die Geschichte gehen. Ver-ständlich ist es, dass wir uns regelmäßig – eigentlich seitJahren und Jahrzehnten – mit dieser Regelung schwer-tun. Genauso verständlich ist es, dass Bürger, die Öffent-lichkeit, sich ebenfalls mit dieser Regelung schwertunund jeder mit unterschiedlichem, subjektivem Blickwin-kel, ob jetzt als Arbeitnehmer, als Rentner oder auch als
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1372 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Bernhard Kaster
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gut bezahlte Führungskraft, die Entschädigungsregelun-gen bewertet oder auch kritisiert.Deshalb ist es so wichtig, mit diesem Thema verant-wortungsvoll und transparent umzugehen. Das liegt auchim Interesse des ganzen Deutschen Bundestages. Des-halb sind die Vorschläge, die die Kommission hierzu ge-macht hat, so wertvoll für unsere Arbeit hier im Parla-ment.
Seit 1995 sind im Abgeordnetengesetz die Besol-dungsgruppen R 6 bzw. B 6 als Orientierungsgrößenverankert. Diese Besoldungsgruppen gelten für einfacheRichter an Bundesgerichten – mit dem Bundesverfas-sungsgericht nicht zu verwechseln – bzw. für Bürger-meister und Landräte mittelgroßer Städte und Land-kreise. Es gibt viele gute Gründe, selbstbewusst zudieser Orientierungsgröße zu stehen. Auch die Unabhän-gige Kommission zur Überprüfung des Abgeordneten-rechts hat diese Besoldungsgruppen als richtigen Maß-stab angesehen und bestätigt. Dieser Maßstab orientiertsich an der Bedeutung des demokratisch legitimiertenVerfassungsorgans Deutscher Bundestag, an der Verant-wortung in Bezug auf die Mitwirkung an Gesetzen zu al-len politischen Themen.Wir sind ein Arbeitsparlament. Das gilt in Bezug aufdie Verantwortung für die gesamte Gesetzgebung desBundes, die Verantwortung für die kritisch hinterfra-gende Regierungskontrolle, die Verantwortung für Alter-nativen, die Detailarbeit und Kärrnerarbeit in den Aus-schüssen und die Aufgaben im wöchentlichen Spagatzwischen Berlin und den jeweiligen Wahlkreisen. Die di-rekte Kommunikation mit den Bürgern vor Ort überPolitik ist auch ein ganz wichtiger Arbeitsbereich derAbgeordneten.
Deswegen sage ich: Wir, der Deutsche Bundestag undseine Abgeordneten, brauchen den Vergleich zu anderenFührungsaufgaben und Verantwortlichkeiten wirklichnicht zu scheuen. Dennoch wird das Thema Diäten im-mer und immer wieder von Selbstbedienungsvorwürfenoder Willkürvorwürfen begleitet. Solche Vorwürfe wer-den nicht in allen Politikbereichen erhoben. Ich selbstwar vor meiner Tätigkeit im Deutschen Bundestaghauptamtlicher Bürgermeister. Ich kann mich nicht daranerinnern, dass ich in dieser Zeit jemals kritisch gefragtworden bin, ob ich zu viel verdiene. So ist das in anderenBereichen auch. Das sollte uns dahin gehend zu denkengeben, wie wir die Tätigkeit des Abgeordneten nach au-ßen noch besser darstellen können.Die Unabhängige Kommission hat ihren Bericht zumEnde der letzten Legislaturperiode vorgelegt. Daher istes folgerichtig, dass wir nun, zu Beginn der Legislatur-periode, diesen Gesetzentwurf verabschieden.Es ist auch eine Systemumstellung. Wir, der DeutscheBundestag, die Abgeordneten, möchten in Zukunft keineBesserstellung bei unseren Bezügen – noch nicht einmalden Eindruck einer solchen Besserstellung – gegenüberEinkünften der Bürger aus nichtselbstständiger Tätig-keit. Deswegen ist die Entscheidung, die Abgeordneten-entschädigung in der jeweiligen Wahlperiode an denNominallohnindex zu koppeln, richtig; es ist eine Ent-scheidung, die wir in jeder Wahlperiode treffen müssen.
Das bedeutet, dass wir nach fast 20 Jahren einmaligdie Besoldungsgruppe R 6 als Bezugsgröße fixieren, unddanach gilt die Koppelung an den Nominallohnindex.Wenn wir es ernst damit meinen, den Eindruck von Will-kür zu vermeiden, müssen wir aber auch zu dem stehen,was die Unabhängige Kommission und was wir auchselbst für richtig halten. Mein Kollege Max Straubingerhat es schon in der ersten Lesung auf den Punkt ge-bracht, indem er sagte: Was wir für richtig halten, müs-sen wir auch tun. – Ich denke, wir sind hier auf einemguten Weg.Die Altersversorgung wird – um auch das zu sagen –ebenfalls reformiert. Bei den Beratungen der Unabhän-gigen Kommission standen zwei Modelle im Raum: zumeinen die Modifizierung des bisherigen Altersversor-gungssystems, zum anderen ein sogenanntes Baustein-system unter Einschluss des bisherigen Systems mit ver-schiedenen Bestandteilen. Bei der Diskussion in derUnabhängigen Kommission über die beiden möglichenModelle war die Höhe der Altersversorgung unstrittig.Die Anhörung am vergangenen Montag hat noch einmalsehr schön deutlich gemacht, dass das Bausteinmodellunter den Gesichtspunkten „tatsächliche Kosten“, „Ver-waltungsaufwand“ und auch „Transparenz“ mit dem jet-zigen Altersversorgungssystem nicht vergleichbar ist,sodass vieles für die Beibehaltung und Modifizierungspricht. Bisherige Regelungen zu einer vorgezogenenAltersversorgung für langjährige Kolleginnen und Kol-legen werden für die Zukunft komplett abgeschafft. Ichdenke, diese Regelungen wären in der heutigen Zeitnicht mehr vermittelbar und damit vollziehen wir denrichtigen Schritt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michzum Schluss noch einmal betonen, dass wir bei dem, waswir heute beraten und beschließen, nicht in erster Linieuns, die wir jetzt aktuell im Bundestag sind, im Blick ha-ben. Es geht letztlich darum: Welche Rahmenbedingun-gen bieten wir Bürgerinnen und Bürgern an, die bereitsind, für vier, für acht, für zwölf oder möglicherweisemehr Jahre ihre eigene Lebens- und Arbeitsbiografie zu-gunsten der Arbeit im deutschen Parlament zu unterbre-chen? Es geht um die Unabhängigkeit des Parlaments,die Unabhängigkeit auch des freien Mandats.Wir brauchen Bedingungen in unserem Parlament,dass Menschen mit unterschiedlichsten Qualifikationen,unterschiedlichem Alter, unterschiedlicher beruflicherHerkunft mit den damit verbundenen Risiken und Chan-cen unabhängig – unabhängig! – und der Bedeutung desVerfassungsorgans entsprechend ihr Mandat ausübenkönnen. Ich denke, dafür tragen wir hier Verantwortung,Verantwortung für den Deutschen Bundestag, für das
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1373
Bernhard Kaster
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Verfassungsorgan. Mit diesen Gesetzesänderungen tra-gen wir dieser Verantwortung auch Rechnung.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Redne-
rin hat Dr. Sitte das Wort.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Dass wirden Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge-setzes bereits eine Woche nach der Einbringung be-schließen, hat nicht wirklich etwas mit politischer Effi-zienz zu tun.
Genau genommen wollen Sie den Gegenstand „Abge-ordnetenentschädigung“ quasi wie eine heiße Kartoffelganz schnell loswerden.Ich will noch einmal daran erinnern – mein Kollegehat es schon angesprochen –: Es hat eine Expertenkom-mission fast eineinhalb Jahre an Empfehlungen zur Re-form des Systems „Abgeordnetenrecht“ gearbeitet. Siehat 17 Sitzungen abgehalten.
Am Ende ist ein umfangreicher Bericht vorgestellt wor-den. Über diesen Bericht haben wir hier und in den Aus-schüssen nie im Einzelnen geredet. Er hat bei der Anhö-rung eine Rolle gespielt – das ist wohl wahr –; das reichtaber nicht; das ist unangemessen.
Meine Damen und Herren, die Große Koalition hataußer einem mittelschweren politischen Erdbeben nochnichts ausgelöst, auch keines ihrer Großvorhaben. Aberdie Änderung des Abgeordnetengesetzes rauscht jetzt in-nerhalb einer Woche ganz schnell durch den Bundestag,quasi wie durch ein Wurmloch, während andere Geset-zesvorhaben monatelang quasi scheintot in den Aus-schüssen schmoren. Mit diesem Verfahren nehmen Sieauch der Öffentlichkeit die Chance, sich kritisch dazu zuverhalten oder eben auch sich einzumischen. Dabei be-darf aus unserer Sicht gerade ein so hochsensiblesThema einer öffentlichen Mitsprache und einer öffentli-chen, transparenten Darstellung.
Auch davon leitet sich Akzeptanz ab.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz sprichtvon angemessener, die Unabhängigkeit sichernder Ent-schädigung.
Was angemessen ist, wird natürlich je nach konkreterpersönlicher sozialer Situation unterschiedlich bewertet;darüber sind wir uns hier klar, und das sollten wir vor al-lem auch nicht ausblenden. Selbst wenn das Richterge-halt hier mehrheitlich als Richtgröße hingenommenwird, so muss man sich doch die Frage stellen, ob dasAngleichungstempo angemessen ist.
Wir meinen, eine Erhöhung um 830 Euro, also um10 Prozent, innerhalb von konkret sieben Monaten, dasist schon ziemlich drastisch. Ich glaube, man findetkeine Berufsgruppe, die eine solche Steigerung verbu-chen kann.
Dieser Prozentsatz, finden wir, passt einfach nicht ineine Gesellschaft, in der für die Masse der Beschäftigtendie Reallöhne seit 2000 stagnieren, während unsere Be-züge seit 2000 eine Steigerung um 25 Prozent erfahrenhaben. Meine Damen und Herren, es ist kein Opfer, imBundestag zu sitzen.
So forsch Sie nun die Diätenerhöhung angehen, soschaumgebremst sind Sie bei Veränderungen der Alters-versorgung. Es gab nicht wirklich ein Signal an irgendei-ner Stelle, dass Sie bereit sind, das bestehende Systeminfrage zu stellen. Sie balsamieren mit dieser Gesetzes-änderung das bestehende beamtenrechtsähnliche Mo-dell. Die Änderungen sind, wenn man es genau nimmt,eigentlich eher kosmetischer Natur. Da besteht der Leis-tungsanspruch etwas später, da liegt das Leistungsniveauetwas niedriger, während man durch die Diätenerhöhungschon einen spürbaren Verlustausgleich feststellen kann.Auch ein Rentenanspruch in Höhe von 65 Prozent, bezo-gen auf unsere Diät, steht, selbst wenn dieser erst nach26 Jahren bestehen soll, immer noch in einem krassenWiderspruch zum Rentenanspruch der Masse der Bevöl-kerung, der ja bis 2030 nach Ihren Beschlüssen auf43 Prozent reduziert werden soll.
Das Wort „Armutsrente“ gehört mittlerweise zu unse-rem alltäglichen Wortschatz. Wir haben immer die Posi-tion vertreten, dass Abgeordnete und alle anderen Men-schen mit Erwerbseinkommen in die gesetzlicheRentenkasse einzahlen sollten. Damit ist dann eben nichtnur den öffentlichen Systemen geholfen, sondern dannwürden vielmehr eben auch – Sie haben ja von der Ver-
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Dr. Petra Sitte
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gleichbarkeit der Abgeordneten mit allen anderen imLand gesprochen – Maßstäbe wieder geradegerückt.Fazit: Eine echte Reform des Abgeordnetenrechtswäre dringend notwendig gewesen. Die Große Koalitionhat aber nun mit ihrem Turboverfahren diese Chance aufJahre vertan; denn es ist klar, dass dieses Gesetz überJahre Bestand haben wird. Ich und meine Fraktion, viel-leicht auch die Öffentlichkeit, haben gelernt: Große Ko-alition bedeutet nicht automatisch großer Entwurf.
Als nächster Redner hat der Kollege Axel Schäfer das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am 19. März 2013 hat uns eine unabhängige Kommis-sion ihre Empfehlungen bezüglich der Stellung der Ab-geordneten, ihrer Bezüge und ihrer Versorgung vorge-legt. Heute entscheiden wir über eine Reihe vonGesetzesänderungen. Das ist wichtig, und das ist richtigso, dass wir das heute gemeinsam tun.
Es gibt drei Fragen, die wir beantworten müssen.Die erste Frage ist: Stimmen die Proportionen noch?Die heutige Situation ist so, dass das Verhältnis zwi-schen dem Einkommen eines vollbeschäftigten Arbeit-nehmers, einer Arbeitnehmerin und den Bezügen derAbgeordneten etwa 1: 3 beträgt. Ich glaube, das Verhält-nis ist völlig in Ordnung. Das war auch in der gesamtenZeit so, seit Abgeordneter im Bundestag als Vollzeitbe-ruf eingeordnet wird. Das Verhältnis zwischen demdurchschnittlichen Einkommen eines vollbeschäftigtenArbeitnehmers in Deutschland und dem eines Konzern-chefs dagegen hat sich in dieser Zeit – nicht von 1: 3; esbetrug einmal 1: 30 – zu 1: 300 entwickelt. Da sind dieVerhältnisse auseinandergelaufen.
Das ist schlecht für diese Gesellschaft. Deshalb ist esrichtig, dass wir bei diesen Proportionen bleiben.
Ich habe für mich persönlich auch einen Maßstab. Derhat nichts mit Richtern zu tun, sondern mit dem Bürger-meister einer mittelgroßen Stadt. Ich kenne einen. Derheißt auch Schäfer, Roland Schäfer, Bergkamen.
Mit dem habe ich gestern noch einmal telefoniert undhabe ihn gefragt: Was hältst du eigentlich davon, wie wires machen? Er hat gesagt: „Völlig in Ordnung. Es gibteinen Unterschied zwischen euch und uns. Bei uns Bür-germeistern ist es so, dass wir für alles verantwortlichgemacht werden, was in der Verwaltung schiefläuft, abernicht für unser Gehalt. Das wird im Landtag festgelegt.Ihr habt andere Verhältnisse, aber ihr habt auch100 000 Bürgerinnen und Bürger in euren Wahlkreisen.“
– Bei 62 Millionen Wählerinnen und Wählern und631 Abgeordneten kommt man insgesamt so etwa aufein Verhältnis von 1: 100 000. Ich glaube, darüber brau-chen wir nicht zu streiten.
Die zweite Frage – ich bin ja froh, dass es bei so einerDebatte auch noch Erheiterung gibt – ist: Ist der Bundes-tag lernfähig? Dazu ist in keiner öffentlichen Diskussionetwas gesagt worden. Wir haben seit 1977 hier 14 Null-runden beschlossen. Wir haben seit 1977 eine Reihe vonSchritten unternommen, um die Altersversorgung abzu-senken. Nachdem wir 1990 erfreulicherweise die deut-sche Einheit hatten, haben wir zehn Jahre später denBundestag in seiner Größe um 10 Prozent der Abgeord-neten reduziert. Auch das hat etwas mit der Geschichtedieses Parlaments, mit seiner Zusammensetzung, seinenAbgeordneten und dem, was hier ansteht, zu tun. Wir ha-ben auch von uns aus bereits Reduzierungen vorgenom-men. Darüber muss man einmal öffentlich reden. Ichsage: Wo, wenn nicht hier in diesem Hause?Ich komme zu meiner dritten Frage: Sind wir damitzukunftsfähig? Generationen von Abgeordneten habenhier in diesem Haus versucht, eine Lösung zu finden.Das ist trotz vieler Bemühungen irgendwie dann dochimmer nicht überzeugend und auf Dauer gelungen. Ichbin der Meinung: Jetzt haben wir die Chance dazu undsollten diese auch nutzen.Mein Sohn ist Jahrgang 1980, meine Schwiegertoch-ter ist Jahrgang 1982. Ich habe mir einmal angeschaut,wer aus dieser Generation hier im Parlament sitzt: Dassind zum Beispiel Niema Movassat, Katrin Albsteiger,Manuel Sarrazin und aus unserer Fraktion ChristinaKampmann. Wollen wir ihnen wirklich zumuten, dasssie die nächsten 20 Jahre solche Diskussionen führenmüssen? Es wäre doch besser, sagen zu können: Wir ha-ben uns auf etwas verständigt, das tragbar ist, und zwardarauf, dass sich die Bezüge in den nächsten Jahren amEinkommen eines Bürgermeisters einer mittelgroßenStadt orientieren. Das ist doch völlig in Ordnung. Ichwollte das insbesondere in Bezug auf diese Generationeinmal erwähnen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1375
Axel Schäfer
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Ich bin Jahrgang 1952. Im Unterschied zu meiner Ge-neration hat diese Generation ein paar andere Problemezu lösen. Das Hauptproblem dieser Generation wirdsein, dass es in dieser Gesellschaft weniger Menschengeben wird, die bereit sind, sich dauerhaft in Gewerk-schaften, Vereinen, Kirchen oder Initiativen zu engagie-ren.Die Art und Weise, in der wir hier über unsere Bezügediskutieren, stellt eine Form von Beschämung und Be-schädigung von Politik dar. Wir müssen zu einer klarenRegelung kommen. Die Chance dazu haben wir heute,und diese sollten wir wahrnehmen. Wir sollten sie auchmit einer gewissen Haltung wahrnehmen. Wir könnendas machen, weil wir die außergewöhnliche Freiheit ha-ben, zu gestalten, und weil wir uns gleichzeitig eineSelbstverpflichtung auferlegt haben.Wir können auch selbstbewusst an die Sache herange-hen. Denn wir alle, egal in welcher Partei wir sind, arbei-ten ziemlich viel. Sechs oder sieben Tage die Woche hatdie Politik für uns Priorität. Das können wir nicht ewig,sondern nur für eine bestimmte Zeit machen. Im Durch-schnitt sind das hier in diesem Hause zehn Jahre. Waswir damit an Bezügen auf der einen Seite und an Alters-absicherung auf der anderen Seite haben, entspricht die-sen Realitäten und vor allen Dingen auch diesen Relatio-nen.Ich fände es gut, wenn wir in diesem Haus zu einergroßen Übereinstimmung kämen. Wir müssen uns we-gen unserer Entscheidungen nirgendwo verstecken. Dasmuss das Selbstverständnis dieses Parlaments sein. Wirkönnen heute etwas vorlegen, das tragfähig ist. Deshalbwerbe ich dafür, dass wir das heute gemäß den entspre-chenden Empfehlungen der Unabhängigen Kommissionauf den Weg bringen und zu einer Entscheidung kom-men.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Haßelmann das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Auf der Regierungsbank sehe ich FrauHendricks sitzen. Es ist also eine Ministerin da.
Liebe Staatssekretärinnen und Staatssekretäre! LieberAxel Schäfer, ich muss ehrlich sagen: Dem Argument,dass die jüngeren Abgeordneten die nächsten 20 Jahreim Parlament sind und sich solchen Fragen sonst immerwieder stellen müssten, kann ich überhaupt nicht folgen.
Wir haben ein Mandat auf Zeit. Niemand weiß, ob ichoder die Kolleginnen und Kollegen, die du genannt hast,die nächsten 20 Jahre im Parlament sein werden. Dessensollten wir uns bewusst sein.
Natürlich haben wir für jede Entscheidung im Parla-ment als einzelne Abgeordnete geradezustehen und müs-sen jede Entscheidung auch jederzeit gegenüber denWählerinnen und Wählern legitimieren und erklärenkönnen. Deshalb kann ich Ihr Argument überhaupt nichtnachvollziehen.
Nun aber zur Sache: Wir haben in der Tat hier imDeutschen Bundestag sehr lange, sehr oft und sehr inten-siv über die Frage, wie die künftige Abgeordnetenent-schädigung und die Altersversorgung aussehen sollen,diskutiert. Im Jahr 2011 haben wir uns dazu entschlos-sen, eine Kommission aus unabhängigen Sachverständi-gen einzurichten, weil immer wieder Kritik von außenan uns herangetragen wurde. Zentrale Frage: Warum ent-scheidet ihr das im Parlament eigentlich selbst? Deshalbwar es gut und richtig, diese Unabhängige Kommissioneinzurichten. Mit ihren Vorschlägen setzen wir uns heuteauseinander.Es ist aber nicht so, dass der 18. Deutsche Bundestagdie Zeit und Ruhe hatte, die vorliegenden Vorschläge zuberaten.
Deshalb ist die Frage des Verfahrens keine Petitesse.
Wir haben hier noch nicht darüber diskutiert.Ich frage einmal die Fraktionen: Wer kennt denn die-sen Bericht? Wer hat ihn in Ruhe gelesen?
Wenn ihn jemand in Ruhe gelesen hat, weiß er oder sieauch, dass bei der Frage der grundsätzlichen Orientie-rung an der Besoldungsgruppe R 6 eine große Überein-stimmung besteht. Das sehen auch wir Grüne so.
Klar ist, dass die Fragen des Mandates auf Zeit, der Un-abhängigkeit des Abgeordneten, der Bestechlichkeit unddeshalb der Unabhängigkeit so wesentlich sind. Wir ha-ben auch in Bezug auf unsere Verfassung unglaublichwichtige Entscheidungen zu treffen. Wir wirken an Ge-setzgebungen mit. Also lassen sich viele Gründe findenfür eine grundsätzliche Orientierung an R 6. Das ist zu-
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1376 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Britta Haßelmann
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treffend. Warum wir aber R 6 innerhalb eines halbenJahres – Erhöhung in zwei Schritten um 10 Prozent – er-reichen wollen, ist nicht diskutiert.
Hier könnten wir auch ein Signal senden, dass wir dieErhöhung zwar anstreben, aber gestaffelt und in Maßenvornehmen.Der Hauptkritikpunkt für uns betrifft allerdings dieFrage der Altersversorgung. Ich glaube, hier gibt es auchöffentlich die größte Kritik. Viele Menschen verstehennicht, warum wir im Vergleich zu Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern mit einer normalen Erwerbsbiogra-fie in so kurzer Zeit sehr hohe Rentenansprüche erwer-ben können.
Das ist ein großer Kritikpunkt. Hier hätten wir dieChance nutzen sollen, den Bericht auch ernst zu nehmen,ihn in Ruhe zu prüfen und zu diskutieren, welche Vor-teile sich beim sogenannten Bausteinmodell, nämlichder Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherungplus Zusatzversorgungskasse und Eigenvorsorge erge-ben.
Es ist ein Modell, das wir Bürgerinnen und Bürgern, diein einem normalen Erwerbsleben sind, zumuten, indemwir sagen: Das ist die künftige Art der Altersversorgung.Unser größter Kritikpunkt ist, dass wir bei dem schnel-len Verfahren – letzen Freitag erste Lesung und heutezweite und dritte Lesung – nicht die Chance haben, dasAltersvorsorgesystem der Abgeordneten näher an das ei-ner normalen Erwerbsbiografie anzupassen.
Wir hätten uns die Zeit nehmen können, um zu einereinvernehmlichen Lösung im Parlament zu kommen.Die Chance haben Sie aber verstreichen lassen, da wirnur eine Woche Zeit zur Beratung des Bausteinmodells– Einbeziehung in die Rentenversicherung, Anpassungan eine normale Erwerbsbiografie – hatten. Deshalbwerden wir dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Uhl das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Das Grundgesetz belehrt uns: Wir Abgeordnetesind die Vertreter des ganzen Volkes. Wir sind an Wei-sungen nicht gebunden und nur unserem Gewissen un-terworfen.
Diese Berufsbeschreibung ist außergewöhnlich. Sie istvon einer gewissen Erhabenheit. Ich kenne keine andereBerufsbeschreibung, die so formuliert ist. Wer diesemhohen Anspruch gerecht wird, soll gerecht belohnt wer-den.
Wer sein Handeln nicht an seinem Gewissen orientiert,sondern sich anderen Geldgebern unterwirft, soll auchbestraft werden.
Beides regeln wir heute.Wir regeln heute die Entlohnung für diejenigen, diediesem hohen Anspruch gerecht werden und sich dasganze Jahr bemühen. Das sind alle hier im Saal, und siesollen sich angesichts dieser Arbeit nicht verstecken,sollen vor das Volk treten und sagen, was sie tun und obdie Entlohnung gerecht ist. Ich habe gegenüber jeder Be-suchergruppe, die ich hier im Hause empfangen habe,dieses Thema immer proaktiv, von mir aus, angespro-chen. Ich sage, was wir tun, und sage dann von mir aus– auch gestern wieder –, was wir dafür bekommen. Ges-tern sagte ich auch, dass wir heute die Bezüge erhöhen.Ich habe noch nie Probleme mit dem Thema gehabt.Ich persönlich habe aus einem ganz einfachen Grundkeine Probleme mit dem Thema: Bevor ich vor 16 Jah-ren hierher kam, hatte ich als kommunaler Wahlbeamtereine B-7-Besoldung bekommen, also mehr als das, waswir jetzt festsetzen. Ich habe mich damals nicht über B 7beschwert, und ich habe mich auch nicht darüber be-schwert, dass ich heute weniger – unter B 6 – bekomme.Ich habe es hingenommen; aber gerecht, meine Damenund Herren, war das zu keiner Zeit.Wenn Sie, Frau Haßelmann, kunstvoll eine Gehalts-erhöhung um 10 Prozent in einem Jahr errechnen,
dann mache ich meine Rechnung auf: 1995 haben wirbeschlossen, die Höhe der Entlohnung entsprechend Be-soldungsgruppe B 6 anzusetzen,
und hatten 20 Jahre lang nicht den Mut, vor den Wählerzu treten und diesen Beschluss zu vollziehen. Feigheitvor dem Wähler nenne ich so etwas. Wir hätten es schonvor 20 Jahren machen müssen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1377
Dr. Hans-Peter Uhl
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Und jetzt tun wir es. Deswegen setze ich die Erhöhungin Bezug zu den 20 Jahren, in denen wir es nicht getanhaben.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns kurz mitdem Thema Mandatsträger- oder Abgeordnetenbeste-chung auseinandersetzen. Es ist ein hochkomplexes undschwieriges Thema.
Warum? Wir sind Vertreter des ganzen Volkes. Dasheißt, unsere Aufgabe ist es, aus den Partikularinteres-sen, die das ganze Jahr über auf uns einströmen, das Ge-meinwohl, die Gemeininteressen herauszuschälen. Dagibt es Interessen, die man vertreten kann, und solche,die man besser nicht vertreten sollte. Das ist unsere Auf-gabe, dieser anspruchsvollen Tätigkeit müssen wir nach-gehen. Also sind wir im wohlverstandenen Sinne auchInteressenvertreter, aber es gilt, die richtigen Interessenzu vertreten.Jetzt ist es natürlich schwierig, jeden Tag mit Vertre-tern von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden undmit Lobbyisten aller Art zu sprechen – übrigens teilssehr viel besser bezahlt, als wir es sind – und ihre Inte-ressen zu bewerten, zu sortieren, für gut oder schlecht zuerklären und das Gemeinwohl herauszuschälen. Wir ha-ben da eine sehr anspruchsvolle, immens schwierigeAufgabe, bei der man auch Fehler machen kann. Wennwir uns auf unseren Anspruch besinnen, dass wir Vertre-ter des ganzen Volkes sind, dann müssen wir, wie ichmeine, zum einen das Gespräch mit den Interessenver-tretern suchen – das tun wir auch – und zum anderen im-mer wieder zu dem rückkoppeln, was auch andere wol-len.Ich erinnere mich jetzt gerade an die unendlich müh-seligen Gespräche der letzten Legislaturperiode zumThema Arbeitnehmerdatenschutz. Da hatten wir müh-same Gespräche mit den Gewerkschaftsvertretern, diedie Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich des Schut-zes ihrer Daten vorgetragen haben. Dann folgten die Ge-spräche mit den Arbeitgebern, Wirtschaftsverbändenund Versicherungsunternehmen, die ihrerseits auch guteArgumente hatten. Diese Interessen gilt es auszuglei-chen. Das ist das ewige, schwierige Bemühen, dem wirnachkommen müssen.Natürlich muss man dabei integer bleiben. Aber esgibt im politischen Meinungskampf auch die politischeDenunziation. Das heißt, dass einem Abgeordneten un-terstellt wird, dass er nicht das Volk mit seinen Interes-sen vertritt, sondern einzelne Partikularinteressen, beidenen es unverantwortlich ist, sie zum Gesetz zu ma-chen.
Meine Damen und Herren, wir sollten einen Blick aufden Umgang mit solchen Denunziationen richten. DieStaatsanwaltschaften müssen bei solchen Dingen natür-lich vorermitteln und ermitteln; sie müssen ihnen nach-gehen. Aber wir leben in einer Zeit, in der sich in unsererMedienlandschaft etwas entwickelt hat, das wir immerwieder ansprechen müssen, weil es eine Fehlentwick-lung ist. Vorermittlungen von Staatsanwaltschaften sindGift für unsere Arbeit, wenn sie in der Medienlandschaftbreitgetreten werden. Es kommt der öffentlichen Hin-richtung eines Abgeordneten gleich, wenn aufgrund vonpolitischer Denunziation durch die Schlagzeilen geht,dass Vorermittlungen eingeleitet worden sind, auchwenn diese sich später als haltlos erweisen.
Wir müssen an die Staatsanwaltschaften appellieren,dass sie sensationslüsternen Medienvertretern nichtnachgeben dürfen, weil die Unschuldsvermutung – HerrStröbele, als alter Advokat wissen Sie das – eine Errun-genschaft zivilisierter Rechtsstaaten ist.
Wenn der Fall nur eines Abgeordneter von uns631 Abgeordneten pro Jahr durch die Medien geht undsich hinterher auch noch als falsch herausstellt, dann ent-steht trotzdem das Bild eines bestechlichen Parlamentes.Das müssen wir gemeinsam verhindern.
Wir alle sollten und wollen dem Art. 38 Grundgesetzgerecht werden. Wir sind unserem Gewissen unterwor-fen und wollen das Gemeinwohl aus den vielen Partiku-larinteressen herausschälen, jeder auf seine Weise, jenach parteipolitischer Zugehörigkeit und Gesinnung.Wir sollten das Bild vom unbestechlichen Volksver-treter verkörpern. Denjenigen, der dem Bild nicht ge-recht wird, der bei dieser Arbeit strauchelt, der sich an-deren Geldgebern unterwirft, müssen wir aus diesemHohen Hause verabschieden. Er soll bestraft werden.Das ist die Aufgabe.
Sollte sich herausstellen, dass der heute vorliegendeGesetzentwurf geeignet ist, dann belassen wir es so.Wenn sich herausstellen sollte, dass im praktischen Voll-zug Probleme auftauchen, sollten wir heute schon ver-einbaren, dass wir das Gesetz nachbessern.Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksam-keit.
Jetzt hat der Kollege Frank Tempel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Bis heute musste sich der Bundestag zuRecht international den Vorwurf gefallen lassen, einewirkliche Verfolgung korrupten Verhaltens von Abge-
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1378 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Frank Tempel
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ordneten durch Untätigkeit als Gesetzgeber zu verhin-dern. Da die Bestimmungen zum Stimmenkauf völligunzureichend waren, hieß das also: Der Bauamtsleitereiner Kleinstadt kann wegen Korruption und Bestech-lichkeit von einem Gericht bestraft werden, der Bundes-tagsabgeordnete nicht. Das versteht in der Bevölkerungniemand.
Dass der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Abge-ordnetenbestechung parallel mit einer deutlichen Diäten-erhöhung beschlossen wird, spricht für sich. Unabhängigdavon sage ich Ihnen, dass es die Linke begrüßt, dass esmit der heutigen Abstimmung endlich eine gesetzlicheRegelung zur Bestechung und Bestechlichkeit von Ab-geordneten in Deutschland geben wird.
Die Linke begrüßt auch die Zusammenarbeit derFraktionen bei der Entstehung des Gesetzentwurfs. Ne-ben den Vorstellungen anderer Fraktionen wurden zumBeispiel auch unsere Vorschläge zu den Verhaltensrege-lungen in Abs. 4 übernommen sowie die Ansiedlungmöglicher Verfahren bei Oberlandesgerichten festgelegt.
Die Linke begrüßt ausdrücklich den Änderungsantragder Grünen.
Mit Blick auf eine vernünftige Oppositionsarbeit habenwir übrigens darauf verzichtet, schnell einen weiterge-henden Änderungsantrag vorzulegen, in der Hoffnung,dass der hier vorliegende Änderungsantrag von allenFraktionen getragen werden kann. Liebe Kolleginnenund Kollegen von den Grünen, in der Opposition gehtdas schon mal.
Am vergangenen Montag fand zum vorliegenden Ge-setzentwurf eine Anhörung im Rechtsausschusses statt.Was dort gesagt wurde, fand ich schon ein wenig merk-würdig. Ziel des Gesetzes soll eigentlich sein, korruptesVerhalten von Abgeordneten unter Strafe zu stellen.Aber kaum einer, vor allem nicht von den Regierungs-fraktionen, fragte, ob das mit dem vorliegenden Wort-laut, also mit den Tatbestandsmerkmalen tatsächlichmöglich ist. Die Tatbestandsmerkmale müssen in denErmittlungen beweisbar sein, sonst nützt dieser Paragrafnichts.
Ich habe drei Jahre in der Korruptionsbekämpfung inThüringen gearbeitet. Ich kenne mich also aus. Ich weiß,wie schwer eine solche Beweisführung ist. Die Fragen,die im Rechtsausschuss gestellt wurden, gerade von Ih-nen, Herr Uhl, drehten sich aber zum größten Teil eherdarum, wer für was zu Unrecht belangt werden könnte.Das wirkte eher wie Strafverteidigung, wie ein Selbst-schutzreflex. Damit kann man aber keine Korruptionsbe-kämpfung gewährleisten. Einige konstruierten in derAnhörung lieber kommunale Beispiele, um diesen Ein-druck etwas abzuschwächen. Aber ich bitte Sie: Es gehtdarum, einen ungerechtfertigten – ich betone: einen un-gerechtfertigten – Vorteil zu verbieten. Sie fassen dasnun deutlich enger und verbinden das mit dem Tatbe-standsmerkmal, dass damit eine Gegenleistung verbun-den sein muss, die der Abgeordnete nach Auftrag oderWeisung erbringt. Aus Sicht eines Ermittlers muss ichSie warnen: Dieser enge Rahmen wird sehr, sehr schwerzu beweisen sein.
Die Begründung, dass die Worte „Auftrag“ und „Wei-sung“ nicht wörtlich zu nehmen sind, gilt nicht; dennwenn das so im Gesetz steht, dann muss das einem Be-schuldigten auch genau so nachgewiesen werden. DerVorschlag der Grünen, diesen Passus durch eine andereFormulierung zu ersetzen – das ist etwas milder als dievon uns bevorzugte Variante, ihn komplett zu streichen –,ist vielleicht ein annehmbarer Kompromiss für die Re-gierungskoalition. Deswegen kein weiter gehender Än-derungsantrag von uns.
Nehmen wir diese Änderung nicht vor, befürchte icheine fast völlige Wirkungslosigkeit dieses Paragrafen.§ 108 e des Strafgesetzbuches könnte dann ganz schnellPlaceboparagraf heißen. Das heißt, wir hätten zwar eineRechtsvorschrift, aber wenn man sich nicht zu dusseliganstellt, kann einem nichts passieren.Um einen langen Prozess jetzt vernünftig abzuschlie-ßen, schlägt die Linke Ihnen vor: Lassen Sie uns zu-nächst dem Änderungsantrag und dann dem Gesetzent-wurf einstimmig zustimmen. Korruptionsbekämpfungoder Placeboparagraf? – Das ist jetzt hier die Frage.
Jetzt hat die Kollegin Sonja Steffen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Frage,die in Deutschland selten gestellt und noch seltener ehr-lich beantwortet wird. Das ist die Frage: Und was ver-dienst du? Nach einer Umfrage, dem Gehaltsreport desmanager magazins, weiß nicht einmal jeder Fünfte, wasseine Kollegen verdienen. Je höher die Hierarchiestufe,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1379
Sonja Steffen
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desto wortkarger werden die Menschen. Das ist keinWunder: Wer über dem Schnitt verdient, fürchtet denNeid der anderen, und wer weniger verdient, der schämtsich vielleicht. Hinzu kommt, dass die Gehaltsstrukturenoftmals als sehr ungerecht empfunden werden. Häufigheißt es: Wer laut genug schreit, der bekommt auch was.So können sogar Gehälter für die gleiche Tätigkeit starkvariieren.In Bezug auf die Gehälter der Abgeordneten gilt je-doch etwas völlig anderes: Das Grundgesetz verpflichtetuns selbst, in eigener Sache zu entscheiden. Das demo-kratische Prinzip verlangt, dass der gesamte Willensbil-dungsprozess für den Bürger durchschaubar ist und dasErgebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossenwird. Dies ist nämlich die einzig wirksame Kontrolle indiesem Zusammenhang.Frau Sitte, ich bin der Meinung, wir gewähren dieseTransparenz. Sie haben selber darauf hingewiesen: Wirhaben 2011 eine unabhängige Kommission eingerichtet,in die übrigens auch von der Linken und den Grünen be-nannte Experten entsandt wurden. Alle Fraktionen habenExperten für die Kommission benannt. Diese Kommis-sion hat dieses Thema ausführlich, mehrere Jahre lang,erörtert und eine Empfehlung für die Abgeordnetenent-schädigung erarbeitet. Von einer „heißen Kartoffel“ kannman in dem Zusammenhang nicht reden.
In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf wurde inten-siv diskutiert. Wir beraten ihn heute in zweiter und drit-ter Lesung zu prominenter Stunde.Selbstverständlich und völlig zu Recht schauen dieBürger kritisch auf unsere Pläne. Schnell, aber auch ver-ständlicherweise wird der Ruf laut, dass das Parlamentein Selbstbedienungsladen sei. Jedoch hat das Bundes-verfassungsgericht in seinem sogenannten Diätenurteilbetont, dass diese häufig kritisierte Entscheidung in ei-gener Sache zwingend ist, genauso wie die Transparenz.Das kann uns niemand abnehmen. Das führt aber dazu,dass die Bevölkerung – ebenfalls zu Recht – über die an-gemessene Höhe der Abgeordnetenentschädigung disku-tiert. Schließlich geht es bei dieser Frage auch um dieVerteilung von Steuergeldern.Ich will den Blick auf die einzige Vorschrift imGrundgesetz lenken, die sich damit beschäftigt. Das istder Art. 48. Hier heißt es:Die Abgeordneten des Bundestages haben An-spruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeitsichernde Entschädigung.Die wichtige Frage, die wir uns beantworten müssen,lautet also: Was ist angemessen, und was ist die Unab-hängigkeit sichernd?Im 19. Jahrhundert herrschte übrigens die Auffas-sung, dass das Abgeordnetenmandat selbstverständlichein unbezahltes Ehrenamt sei. Wenn dies heute noch sowäre, dann hätten wir diese Debatte nicht. Aber dannkönnten sich nur richtig Wohlhabende ein Mandat leis-ten, und das will in unserer modernen Demokratie wohlniemand.
Im Laufe der Zeit ist also eine Vollalimentation derAbgeordneten aus der Staatskasse entstanden. Auf diemit dem Mandat verbundenen zeitlichen und auch in-haltlichen Belastungen möchte ich an dieser Stelle nichtmehr eingehen; das haben meine Kollegen Herr Uhl undauch Herr Kaster bereits gemacht. Auch in der ersten Le-sung ist dies schon angesprochen worden.Eine Orientierung an den Einkommen in der Privat-wirtschaft, vielleicht mit Blick auf Geschäftsführergehälter,kann allein aufgrund der dort vorhandenen Einkom-mensunterschiede nicht erfolgen. Das Abgeordnetenge-setz orientiert sich daher bereits seit 1995, also schonseit beinahe 20 Jahren, an den Bezügen eines Bundes-richters oder eines höheren kommunalen Wahlbeamtenauf Zeit. Ich meine, dies ist ein schlüssiges Maß derAusrichtung. Wir setzen uns damit in der Tat mit einemBürgermeister einer mittelgroßen Stadt und einem Land-rat gleich, wobei der Landrat ein Gebiet mit einer Grö-ßenordnung von 80 000 bis 100 000 Einwohnern be-treut. Kollege Schäfer hat darauf schon hingewiesen.Ob dies nun in zwei oder in zehn Stufen geschieht,macht letztendlich keinen Unterschied.
Meiner Meinung nach wäre eine mehrstufige, beispiels-weise eine zehnstufige, Anpassung sogar Augenwische-rei. In Anbetracht der Transparenz, die wir den Bürgernschuldig sind, ist eine zweistufige Anpassung offener.
Meine Redezeit ist fast zu Ende. Ich möchte nur nochkurz darauf hinweisen, dass das Bausteinmodell, FrauHaßelmann, von allen Experten in der Anhörung zwarals für durchaus möglich befunden wurde, aber auch teu-rer. Sie werden sich daran erinnern. Insofern, denke ich,sollten wir auch aus Kostengründen dem Steuerzahlerdieses von uns bevorzugte Modell vorstellen.
Letztendlich haben wir heute über noch einen Gesetz-entwurf zu entscheiden. Dabei geht es um ein sehr wich-tiges Thema. Die SPD-Fraktion hat sich schon seit lan-gem dafür eingesetzt. Es handelt sich um die Bestrafungder Abgeordnetenbestechung. Mein Kollege Lischkawird gleich ausführlicher darauf eingehen. Ich will Ihnennur noch sagen: Ich freue mich ganz besonders, dass wirnach so vielen Anläufen nun auch unseren Koalitions-partner, die CDU/CSU-Fraktion, endlich von der Not-wendigkeit dieses Straftatbestandes überzeugen konnten.Vielen Dank fürs Zuhören.
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Als nächster Redner, liebe Kolleginnen und Kollegen,
spricht der Kollege Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es war vor langer, langer Zeit,
da hat eine Ministerin einer rot-grünen Regierung die
Abgeordneten des Bundestages darüber informiert, dass
sie bei der UNO ein Abkommen vereinbart habe,
das weltweit die Abgeordnetenbestechung wie die Be-
stechung von Amtspersonen unter Strafe stellen soll. Sie
hat gesagt, dass sie das unterschreiben möchte. Viele,
viele Abgeordnete haben gesagt: Tu das nicht, tu das
nicht!
Die Staatsanwälte werden uns alle ins Gefängnis bringen
oder jedenfalls unseren Ruf schädigen. – Die mutige
Ministerin hat trotzdem am 9. Dezember 2003 unter-
schrieben, also vor mehr als einem Jahrzehnt. Heute soll-
ten wir dieses Abkommen endlich ratifizieren. Wir ha-
ben einen Vorschlag dazu vorgelegt.
Wir reden ja hier heute nicht nur über Diätenerhöhun-
gen, sondern auch über den von der Koalition vorgeleg-
ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 108 e
Strafgesetzbuch, Abgeordnetenbestechung. Ich sage: Es
ist gut, dass endlich das ganze Haus einen solchen Ge-
setzentwurf verabschiedet.
Nur: Auch ein guter Gesetzentwurf kann noch besser
werden.
Deshalb haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt.
Wir sagen: Die Einschränkung, dass nur dann bestraft
wird, wenn ein Auftrag oder eine Weisung nachgewiesen
wird – das wird ganz selten der Fall sein –,
ist zu eng. Wir wollen diese Worte ganz streichen; denn
wir brauchen sie nicht. Wir haben dazu aber auch eine
Alternative vorgelegt und gesagt: Wenn das Handeln des
Abgeordneten zur Durchsetzung der Interessen eines
Dritten geschieht, dann soll die Strafbarkeit einsetzen. –
Ich sage Ihnen: Nehmen Sie unseren Änderungsantrag
an! Dann können wir mit noch besserem Gewissen zu-
stimmen. Wir werden aber in jedem Fall zustimmen.
Nun haben Sie diesen Gesetzentwurf, der positiv ist,
mit der Debatte über die Abgeordnetendiätenerhöhung
verbunden. Ich sage Ihnen: Dieser gute Gesetzentwurf
darf nicht als Alibi für die schnelle Verabschiedung des
Entwurfs des Diätenerhöhungsgesetzes dienen.
Die Eile, mit der der Gesetzentwurf zur Diätenerhöhung
durch den Bundestag gewunken werden soll – innerhalb
von einer Woche und ohne anständige Beratung –, zeigt
bzw. atmet Ihr schlechtes Gewissen, Ihre Furcht. Da
müssen Sie sich nicht wundern, dass Sie deshalb „ge-
bissen“ werden, von der Öffentlichkeit und von uns.
Als nächster Redner, liebe Kolleginnen und Kollegen,
hat der Kollege Johann Wadephul das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass wir demSelbstverständnis des Mandats und dem Selbstverständ-nis des Parlaments keinen Dienst erweisen, wenn wiralle Regelungen, die hier zu treffen sind, öffentlich dar-stellen, sozusagen als Akt der Selbstkasteiung.
Außerdem wird von manchen unterstellt, wir hätten ei-nen ungezügelten Entwicklungsdrang, vielleicht auch ei-nen Bereicherungsdrang, vielleicht auch einen Gestal-tungsdrang – als wenn wir uns ständig zügeln müssten.Meine Fraktion – das sage ich nicht deshalb, weil ichirgendeiner rechtswidrigen Verhaltensweise von Abge-ordneten Vorschub leisten möchte – geht den schwerenWeg dieser Gesetzgebung zur strafrechtlichen Regelungder Abgeordnetenbestechung mit; wir stimmen dem Ge-setzentwurf zu. Aber der Kollege Uhl hat einige Beden-ken zum Ausdruck gebracht, die unser Erleben inDeutschland widerspiegeln. Man kann in unserer Me-diengesellschaft nämlich recht frühzeitig Opfer einesVorverurteilungsprozesses werden.
Das muss uns beiden als Anwälte, die die Unschuldsver-mutung hochhalten müssen – sie ist Ihnen ja besonders
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1381
Dr. Johann Wadephul
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wichtig, Herr Kollege Ströbele –, zu denken geben. Wirgehen in diesen Gesetzgebungsprozess – das sage ichganz offen – nicht ohne Sorge und nicht ohne den deutli-chen Appell an die Staatsanwaltschaften in Deutschland,mit diesem Instrumentarium vorsichtig, sorgfältig undangemessen umzugehen.
Was das Verfahren, die Abgeordnetenentschädigungzu regeln, angeht, muss man sagen: Wir haben in der Tateinen zügigen Beratungsprozess gehabt.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hat-ten sehr sorgfältige Beratungen. Ich möchte ganz herz-lich allen danken, die daran mitgewirkt haben. Es hatkritische Fragen gegeben, auch im Geschäftsordnungs-ausschuss. Wir haben lange beraten. Wir hatten aberGrundlagen. Wir hatten die Vorschläge der Unabhängi-gen Kommission aus der letzten Legislaturperiode. Na-türlich gilt die Diskontinuität; sie gilt aber für Gesetzge-bungsvorhaben. Das heißt nicht, dass wir in der neuenLegislaturperiode dümmer werden. Wir bauen auf demauf, was die Kommission erarbeitet hat. Wir könnenauch darauf aufbauen. Wir haben eine über dreistündigeAnhörung durchgeführt. Es sind alle Aspekte erörtertworden. Deswegen können wir heute guten Gewissensentscheiden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich bin nicht der Auffassung, dass eine längere Erörte-rung uns irgendwie klüger machen würde.
Ich bin übrigens auch nicht der Auffassung, dass sie dieDebatte in der deutschen Öffentlichkeit insgesamt ver-sachlichen würde – man muss eher gegenteilige Be-fürchtungen haben.Wir können, meine sehr verehrten Damen und Herren– das soll bei aller Kritik, die geäußert wurde, nicht inden Hintergrund treten –, Einigkeit feststellen über diewesentlichen Ziele der Reform des Abgeordnetenrechts.Die Abgeordnetenentschädigung soll sich am Gehalt ei-nes Bundesrichters orientieren. Warum wir dieses für an-gemessen halten, ist mehrfach hergeleitet worden. Wennwir dieses Ziel ins Gesetz schreiben, dann liegt es – dieKollegen Uhl und Kaster haben das schon hervorgeho-ben – in unserem ureigensten Interesse als Gesetzgeber,der ernst genommen werden will, dafür zu sorgen, dassdiese Gesetzeslage auch Wirklichkeit wird. Deswegenführen wir die Anpassung jetzt durch, in zwei Schritten.Die Sachverständigen haben uns bescheinigt, dass wirselber gestalten können, auf welchem Wege wir dieseAnpassung erreichen. Natürlich könnte man sie genausogut in vier Schritten vornehmen. Ich will hier aber nichtunerwähnt lassen, dass wir aufgefordert worden sind,wenn wir denn der Überzeugung seien, dass diese An-passung berechtigt ist – und dieser Überzeugung sindwir –, diese Anpassung sofort, in einem Schritt, vorzu-nehmen. Die Empörung würde wahrscheinlich größerausfallen; aber zulässig wäre das in jedem Fall – undkonsequent: Wenn man der Meinung ist, dass das Gehalteines Bundesrichters der Maßstab für die Abgeordneten-entschädigung sein muss, dann muss man diese Anpas-sung auch durchführen. Dass Begeisterung und Nach-vollziehbarkeit im Hinblick auf diese Regelung in derdeutschen Öffentlichkeit zunähmen, wenn wir die An-passung in homöopathischen Dosen – in vier, fünf, zehn,zwölf Schritten – durchführten, das glaube ich im Ernstnicht. Deswegen ist eine Anpassung in zwei Schrittenangemessen, und wir stehen dazu.Zweiter Grundsatz. Wir stehen auch zur Transparenz.Die Kollegin Steffen hat angesprochen, dass man, wennman sich damit beschäftigt, wer in Deutschland wie vielverdient, festhalten muss, dass kaum ein Gehalt so trans-parent ist wie die Abgeordnetenentschädigung. Und dasist auch gut so – um es mit diesem berühmten Satz einesBerliners zu sagen –, und das bleibt auch so, meine sehrverehrten Damen und Herren.
Wir haben jetzt eine Regelung gefunden; aber wir wer-den in jeder Wahlperiode gesondert festlegen, dass wiruns an diese Regelung halten, das heißt, es wird eine Be-schlussfassung durch das Plenum des Deutschen Bun-destages geben – transparenter geht es insgesamt nicht.Dritter Punkt. Unstreitig ist in der Kommission auchdie Höhe der Altersentschädigung gewesen. Das ist vonden Kritikern des jetzigen Modells etwas verschwiegenworden. Man muss aber einmal darauf hinweisen, dass,wenn dieselbe Höhe der Altersentschädigung erreichtwerden soll, wie sie jetzt geregelt ist – und wie wir siefür die Zukunft regeln wollen –, es schwierig wird, diesmit einem Bausteinmodell – gesetzliche Rentenversiche-rung plus eine Art betriebliche Zusatzversorgung – zuerreichen. Dies richte ich auch an die Grünen; der Kol-lege Strengmann-Kuhn hat sich ja in der ersten Lesungals ausgewiesener Rentenexperte zu Wort gemeldet.Wenn man für die Altersentschädigung ein dreistufigesBausteinmodell einführen wollte, wie es in der Arbeits-und Lebenswirklichkeit Deutschlands in der Tat nichtunbekannt ist, ergeben sich zwei Probleme: Man erreichtso keine Transparenz, und es wird eine Ungleichbehand-lung von Abgeordneten geben. Wie Professor Zeh gesagthat: Die Ausübung eines Staatsamtes nun gerade derEntwicklung der Kapitalmärkte zu überlassen, das istschon fragwürdig.
Dass dieser Vorschlag aus den Reihen der Grünenkommt, hat mich, gelinde ausgedrückt, schon etwasüberrascht.Wir stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren,am Ende eines langen Diskussionsprozesses.
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1382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Dr. Johann Wadephul
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Ich bin mit unserem Sachverständigen, Herrn Spranger– er ist ein langjähriger ehemaliger Kollege –, einig inder Hoffnung, dass das Dauerbrennerthema Abgeordne-tenrecht/Abgeordnetenentschädigung hiermit endlich zueiner befriedigenden Lösung kommt. Ich meine das ganzwörtlich; denn eine hervorragende Lösung wird man sel-ten erreichen. Wenn die Selbstbeschäftigung mit diesemThema einen vernünftigen Abschluss gefunden hat, kanndas dazu beitragen, dass wir uns um unsere eigentlichenAufgaben kümmern können. In diesem Sinne appelliereich an Sie alle, den vorliegenden Beschlussempfehlun-gen des Rechtsausschusses und des Geschäftsordnungs-ausschusses zuzustimmen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner erhält der Kollege Burkhard
Lischka das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
über zehn Jahren warten die Vereinten Nationen auf den
heutigen Tag. Sie warten darauf, dass wir endlich auch in
Deutschland die Bestechung und die Bestechlichkeit von
Abgeordneten unter Strafe stellen, wie das bereits
169 Länder weltweit getan haben. In wenigen Minuten
hat das Warten ein Ende.
Wenn sich künftig ein Abgeordneter kaufen lässt, dann
ist das strafbar, und das ist auch gut so.
Heute Morgen wird das verboten, was in einer Demo-
kratie definitiv nicht erlaubt sein sollte, nämlich die Be-
stechung und das Schmieren von frei gewählten Abge-
ordneten; denn jede Demokratie lebt doch vor allen
Dingen davon, dass die Auseinandersetzungen hier im
Parlament mit Argumenten geführt werden und nicht
durch die Bestechung einzelner Abgeordneter beein-
flusst werden können. Jede Demokratie lebt auch davon,
dass Politiker das Gemeinwohl im Blick haben und sich
nicht nur von Einzelinteressen leiten, geschweige denn,
von Einzelnen kaufen lassen. Jede Demokratie lebt
schließlich auch von unabhängigen Parlamentariern, die
sich nicht in die Hände von irgendwelchen Geldgebern
begeben.
Kollege Lischka, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Keul?
Sehr gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Lischka. – Sie haben eben
gesagt, es sei jetzt Gott sei Dank endlich soweit, dass
strengere Regelungen gegen die Abgeordnetenbeste-
chung in Kraft treten. Ich frage Sie: Warum haben Sie
unseren Gesetzentwurf, der die Schaffung von Voraus-
setzungen für die Ratifikation der UN-Konvention zum
Inhalt hat, von der Tagesordnung genommen?
Wir behandeln jetzt die Abgeordnetenbestechung und
werden zustimmen. Nach wie vor werden wir aber die
UN-Konvention nicht ratifiziert haben, obwohl das ohne
Weiteres zeitgleich mit der Verabschiedung der strenge-
ren Regelungen gegen die Abgeordnetenbestechung
möglich gewesen wäre. Warum haben Sie auf Vertagung
gedrängt?
Frau Keul, ich habe darüber bereits im Rechtsaus-schuss gesprochen und gesagt, dass wir bestimmteRechtsförmlichkeitsregelungen haben, die voraussetzen,dass diese Regelungen, die wir heute verabschieden, insBundesgesetzblatt kommen. Danach können wir das Ra-tifizierungsverfahren einleiten. Das wird die Bundesre-gierung tun; das ist klar. Das ist ja auch ein Ziel des Ge-setzentwurfes, den wir heute verabschieden.Meine Damen und Herren, die Bestechung eines Ab-geordneten ist wahrscheinlich der schwerste Angriff aufein Parlament und auf die Funktionsweise einer Demo-kratie, den man sich überhaupt vorstellen kann. Das triffteine Demokratie mitten ins Herz. Deshalb sagen wir klarund deutlich: In Deutschland ist das in Zukunft einStraftatbestand.
Mit diesen Regelungen, die wir heute verabschieden,verlassen wir schließlich auch diesen wirklich unsägli-chen Dunstkreis von Nordkorea, Sudan und Syrien. Dasswir wie diese Länder in der Vergangenheit keine umfas-sende Regelung zur Abgeordnetenbestechung hatten,war peinlich und beschämend. Es war aber auch voll-kommen unnötig, sich zehn Jahre lang mit diesen Län-dern auf eine Stufe zu stellen. Deutschland hat es wirk-lich nicht verdient, in diesem lächerlichen und absurdenLicht dazustehen;
denn wir sind ja nun wirklich kein Land, in dem dieKorruption blüht und in dem sich Volksvertreter schmie-ren lassen. Deshalb wurde es jetzt wirklich höchste Zeit,das zu regeln, was in unseren Breitengraden eigentlichselbstverständlich ist: Wer sich als Abgeordneter kaufenlässt, begeht ein Unrecht und muss dafür geradestehen.Diese Selbstverständlichkeit kommt jetzt in das Bundes-gesetzblatt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1383
Burkhard Lischka
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Ich kann ja verstehen, dass die Opposition auch beieinem so guten Gesetzentwurf immer noch versucht, dasHaar in der Suppe zu finden.
So ist das meines Erachtens übrigens auch mit einerWeisung oder einem Auftrag: Jedes Korruptionsdelikt– das ist kennzeichnend – beruht auf einem Gegenseitig-keitsverhältnis.Noch etwas: Ich habe in den letzten Tagen vonseitender Opposition gehört, wir würden auch bei diesem Ent-wurf eines Gesetzes gegen die Abgeordnetenbestechungüberhastet vorgehen und große Eile an den Tag legen.Dazu sage ich deutlich: Das fand ich persönlich etwasdürftig.
Der Europarat wartet seit 1999 darauf, dass wir eine Re-gelung zur Abgeordnetenbestechung schaffen. Die Ver-einten Nationen – Herr Kollege Ströbele, Sie haben esgesagt – warten seit 2003 darauf. Der Bundesgerichtshofhat uns 2006 angemahnt, hierzu endlich eine Regelungauf den Weg zu bringen. Nein, übergroße Eile hat derDeutsche Bundestag bei diesem Thema wirklich nicht anden Tag gelegt.Es wird jetzt wirklich höchste Zeit, dass wir diesePeinlichkeit schnellstmöglich beenden. Die Große Ko-alition wird das tun. Ich freue mich, wenn heute die Op-position an diesem überfälligen Schritt mitwirkt.Recht herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe dieAussprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von denFraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-wurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge-setzes und zur Änderung des Europaabgeordnetengeset-zes. Es liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmungnach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1)Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/619, den Gesetzentwurf derFraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/477anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieserGesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU undSPD bei Gegenstimmen aus den Fraktionen Die Linkeund Bündnis 90/Die Grünen und einigen Enthaltungenseitens der Fraktion Die Linke in zweiter Beratung ange-nommen worden.1) Anlagen 3 bis 7Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim-mung verlangt worden. Ich möchte in diesem Zusam-menhang auch noch darauf hinweisen, dass im An-schluss an diese namentliche Abstimmung dann einezweite namentliche Abstimmung erfolgt. Deshalb bitteich die Kolleginnen und Kollegen, im Saal zu bleiben.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir mit derAbstimmung beginnen können. Sind alle Plätze an denUrnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann ist die Abstim-mung eröffnet.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht derFall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be-kannt gegeben.2)Die Kolleginnen und Kollegen bitte ich, sich wiederzu setzen, damit wir mit unseren Beratungen und Ab-stimmungen fortfahren können.Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über den vonden Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach-ten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Erwei-terung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbeste-chung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/607, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/476 in der Ausschuss-fassung anzunehmen.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/624 vor, über denwir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?– Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt wordenmit den Stimmen der CDU/CSU und SPD bei Zustim-mung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Lin-ken.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf einstim-mig in zweiter Beratung angenommen.
Damit sind wir hier endlich unserer Verpflichtung nach-gekommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetztzurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Hierzu ist wiederum namentli-che Abstimmung verlangt worden. Deshalb frage ich:Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre2) Ergebnis Seite 1388 C
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1384 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Plätze an den Urnen eingenommen? – Das ist der Fall.Dann eröffne ich die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Damit schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstim-mung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungJahresbericht der Bundesregierung zumStand der Deutschen Einheit 2013Drucksache 18/107Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
InnenausschussSportausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr und digitale InfrastrukturAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsauschussHierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat dieStaatssekretärin Frau Gleicke das Wort.
Ir
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich kann diese Debatte zum Stand der deut-schen Einheit nicht eröffnen, ohne ein Wort zu den Er-eignissen in der Ukraine zu sagen. Wir erleben in diesenTagen wieder, wie Menschen um Freiheit und Demokra-tie ringen und sich der Unterdrückung entgegenstellen.Sie stehen in der Tradition all derer, die dazu beigetragenhaben, die Teilung Europas und damit auch unseres Lan-des zu überwinden. Diese Menschen verdienen unsereuneingeschränkte Solidarität.
Ich möchte ein Wort des Dankes an meinen Vorgän-ger richten. Sehr geehrter Herr Kollege Bergner, Ihre Ar-1) Ergebnis Seite 1390 Dbeit verdient Dank und Respekt. Ich denke, ich sprecheda im Namen des ganzen Hauses.
In diesem und im kommenden Jahr gibt es mit Blickauf die deutsche Einheit einiges zu feiern. Ich will denFestreden hier und heute nicht vorgreifen. Ich werdemich als Beauftragte der Bundesregierung für die NeuenBundesländer in den kommenden Jahren ganz bestimmtnicht darauf beschränken, feierliche Reden zu halten;das dürfen Sie mir glauben. Nein, ich gehe dieses Amtmit ganzer Kraft an, mit viel Optimismus und voller Zu-versicht, etwas zu bewegen, auch wenn es nach meinerErnennung Kritik daran gab, dass nur eine „halbe Staats-sekretärin“ zur Ostbeauftragten ernannt worden sei. Sa-gen Sie dem Kollegen Gysi einen schönen Gruß! Michhat schon lange niemand mehr als halbe Portion bezeich-net.
Scherz beiseite! Mich treibt natürlich die Sorge um,dass der eine oder die andere der Versuchung erliegt, dievor uns liegenden Jubiläen als willkommene Gelegen-heit für einen Schlussstrich zu betrachten. Aber wirbrauchen 25 Jahre nach der friedlichen Revolution allesandere als einen Schlussstrich. Wir brauchen keinenSchlussstrich unter eine Vergangenheit, die vielleichtnicht für alle, wohl aber für viele noch sehr lebendig ist,auch wenn manch einer sie am liebsten vergessen odervergessen machen möchte. Wir brauchen auch keinenSchlussstrich unter die deutsche Einheit als solche, weilsie eben noch nicht vollendet ist. Genau deshalb wird je-des Jahr ein Bericht zur deutschen Einheit vorgelegt: da-mit wir einigermaßen genau wissen, wo wir bei der Her-stellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganzDeutschland stehen.Wir haben wirklich viel erreicht. Die Lebensverhält-nisse und der materielle Wohlstand in den ostdeutschenBundesländern haben sich kontinuierlich verbessert.Aber der Abstand zum Westen bei der Wirtschaftskraftliegt noch immer bei rund 30 Prozent. Die Einkommens-unterschiede liegen im Durchschnitt bei knapp 20 Pro-zent. In manchen Branchen dümpeln die Einkommen so-gar noch immer bei 45 Prozent unter Westniveau. Wennwir daran etwas ändern wollen, müssen wir die ostdeut-sche Wirtschaftskraft stärken und dafür sorgen, dass sichbei den Löhnen etwas tut.
Unser Ansatz für die ostdeutsche Wirtschaft bestehtunter anderem darin, den Mittelstand bei den notwendi-gen Innovationen zu unterstützen, damit er wachsen undim europäischen und internationalen Wettbewerb beste-hen kann. Das tun wir etwa mit Programmen wie demZentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, desBundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1385
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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Aber machen wir uns nichts vor: Bereits heute ist ab-sehbar, dass die neuen Bundesländer und Berlin auchnach Auslaufen des Solidarpakts II auf die Unterstüt-zung des Bundes und die gemeinsame Solidarität allerLänder angewiesen sein werden. Genau deshalb musseine verlässliche und gerechte Anschlussregelung imRahmen der Neuverhandlungen der Bund-Länder-Fi-nanzbeziehungen ganz oben auf der wirtschafts- und fi-nanzpolitischen Agenda stehen.
Künftig müssen sich alle strukturschwachen Regio-nen in ganz Deutschland auf ein verlässliches und aufga-bengerechtes Finanzierungssystem stützen können. Dasmüssen wir erreichen, und deshalb ist ein festes BündnisOstdeutschlands mit den strukturschwachen Regionenim Westen eines meiner erklärten politischen Ziele.
Wir brauchen dieses Bündnis angesichts der jetzt schonsichtbaren und für die Zukunft absehbaren Verteilungs-kämpfe. Entweder tun wir uns zusammen und sind ge-meinsam stark, oder wir gehen getrennt voneinander un-ter.Wir dürfen uns nicht damit begnügen, die ostdeutscheWirtschaft zu unterstützen. Wir müssen auch etwas beiden Löhnen und Gehältern tun. Die Unterschiede bei denLöhnen und Gehältern sind nicht nur ungerecht und eineder wesentlichen Ursachen für die Abwanderung, son-dern sie führen auch zu einer geringeren Binnennach-frage. Auch deshalb ist die Einführung eines gesetzli-chen Mindestlohns besonders für Ostdeutschlandwichtig und richtig.
Das wird eine Premiere. Damit wird erstmals bundes-weit ein einheitlicher Verdienst festgeschrieben, und da-mit setzen wir ein wichtiges Signal; damit zeigen wir,dass wir es mit der Angleichung der Lebensverhältnissein ganz Deutschland ernst meinen.Ich weiß, dass wieder Bedenkenträger unterwegssind. Da wird zum Teil der Teufel an die Wand gemalt.Trotzdem bin ich strikt gegen Ausnahmeregelungen, dieüber das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinausgehen.Natürlich wird die Einführung des Mindestlohns einigeBetriebe vor Probleme stellen, im Osten, aber auch imWesten; kein Mensch leugnet das. Natürlich werden diePreise im Dienstleistungssektor zum Teil steigen.
Aber wer selber einigermaßen anständig verdient, derwird auch nichts dagegen haben, beim Friseur oder imBlumenladen etwas mehr zu bezahlen. Es muss doch da-rum gehen, dass alle vernünftig über die Runden kom-men.
Derzeit verdient etwa ein Fünftel der ostdeutschenArbeitnehmer weniger als 8,50 Euro pro Stunde, vielemüssen zusätzlich Hartz IV beantragen, um ihren Le-bensunterhalt zu bestreiten. Damit muss endlich Schlusssein.
Allen Betrieben, die glauben, die 8,50 Euro nicht bewäl-tigen zu können, sage ich: Ihr habt immer noch die Mög-lichkeit, vorher einen Tarifvertrag abzuschließen, beidem der Lohn unter 8,50 Euro liegt. Dann greift derMindestlohn erst ab Anfang 2017. – In diesem Zusam-menhang finde ich es wirklich bemerkenswert, dass al-lein die Ankündigung des Mindestlohns innerhalb weni-ger Wochen dazu geführt hat, dass auf einmalTarifverträge geschlossen werden. Alleine das ist schonein Erfolg; denn da geht es auch um so elementare Fra-gen wie Urlaubstage und Arbeitsbedingungen.
Das alles ist auch von großer Bedeutung für ein in Ostund West einheitliches Rentensystem. Das wird 2019 mitdem Auslaufen des Solidarpakts kommen. Das habenwir so in den Koalitionsvertrag geschrieben. Ob wir bisdahin einen Zwischenschritt in Form einer teilweisenRentenangleichung brauchen, werden wir 2016 prüfen.Das hängt wiederum davon ab, in welchem Umfang dieostdeutschen Einkommen und damit auch die Rentensteigen.Die Forderung nach einem einheitlichen Rentensys-tem ist fast 25 Jahre nach der Einheit natürlich berech-tigt. Ich habe sie selber oft genug mit Nachdruck erho-ben. Und dennoch ist die Rentengeschichte dervergangenen 25 Jahre eine Erfolgsgeschichte. Das Ren-ten-Überleitungsgesetz ist Ausdruck gelebter Solidaritätvon Ost und West. Niemand im Osten musste nach derWende von einer DDR-Rente leben. Die Ostrenten sindseither auf fast 92 Prozent des Westniveaus gestiegen.Jetzt arbeiten wir an der vollständigen Angleichung, unddie wird kommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Jahren seitder friedlichen Revolution und der Wiedervereinigungsind wir ein anderes Land geworden. Wir haben uns wei-terentwickelt und werden das auch weiter tun. Wir habenviel erreicht; aber es bleibt auch noch viel zu tun, zumBeispiel bei der entschiedenen Bekämpfung des Rechts-extremismus. Das ist ein Thema, das mich seit vielenJahren bewegt. Ich versichere Ihnen: Ich werde alle mirzur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um un-sere Kinder und Kindeskinder, unsere ganze Gesell-schaft vor diesem braunen Pack zu schützen.
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1386 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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Gott sei Dank führt die Generation unserer Kinder einfreies Leben ohne Mauer, Teilung und Diktatur. Den-noch begegnet uns die Teilung mit ihren langandauern-den Folgen immer wieder im Alltag und in der Politik.Das ist zum Beispiel so beim Heimkinderfonds Ost, dervom Bund und von den ostdeutschen Ländern getragenwird. Aus diesem Fonds werden Menschen unterstützt,die in sehr jungen Jahren zum Opfer staatlicher Repres-sion geworden sind, und das ist gut und richtig so.Aber es hat sich herausgestellt, dass das ursprünglicheingeplante Geld wider Erwarten nicht reicht. Es stehtfest, dass dieser Fonds erheblich aufgestockt werdenmuss, und das wird nicht billig. Aber die Vorstellung,hier sparen zu können, indem man den Zugang zu die-sem Fonds im Nachhinein stärker beschränkt und denLeistungskatalog verändert, ist einfach abenteuerlich.
Damit hätten wir dann nicht nur unterschiedliche Leis-tungen in Ost und West, sondern auch innerhalb derGruppe der ehemaligen ostdeutschen Heimkinder, unddas geht nun wirklich überhaupt nicht.
Da steht der Bund gemeinsam mit den ostdeutschen Län-dern in der Pflicht, eine gute Lösung im Sinne der Be-troffenen zu finden. Ich bin durchaus zuversichtlich, wasdie Beratungen in der kommenden Woche angeht.Bei diesem und bei anderen Themen wird jedenfallsdeutlich, dass es noch immer Folgen der Teilung gibt,die es zu überwinden gilt. Ich bin davon überzeugt, dassuns das gelingen wird. Die deutsche Einheit ist ebennichts Statisches. Sie will und sie muss immer wiederneu gestaltet werden. Dazu will ich meinen Beitrag leis-ten.Ich bin in den vergangenen Wochen immer wieder ge-fragt worden, ob ich stolz darauf bin, aus Ostdeutschlandzu kommen.
Wir Ostdeutsche haben einiges durchgemacht. Wir ste-hen zu unserer friedlichen Revolution und zur Verant-wortung für unsere Geschichte. Wir haben besondere Ta-lente und Ressourcen. Und: Wir können Veränderung.Deshalb ist der Osten in manchen Bereichen unterdessenwirklich Avantgarde. Darauf kann man schon stolz sein;ich bin es jedenfalls. Ich bin stolz darauf, aus Ost-deutschland zu kommen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
erhält der Kollege Dietmar Bartsch das Wort.
Sehr geehrte Frau Gleicke, das verbindet uns: dasswir stolz sind, aus Ostdeutschland zu kommen. – FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschaue-rinnen und Zuschauer! Ja – um es klar und deutlich zusagen –, auch die Linke freut sich über alle Fortschrittebei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.
Es ist gut so, dass das Ganze bei allen europäischen Pro-blemen, die wir haben, weiter ein Thema bleibt. Wirfreuen uns, wenn sich die Infrastruktur entwickelt, dieVerkehrswege, die Kommunikationswege. Im Osten gibtes international anerkannte Hochschulen, Universitäten,Forschungseinrichtungen. Es gibt wunderbare Beispielebeim Städtebau, beim Stadtumbau. Da haben wir aus derOpposition und mit den Ländern dafür gesorgt, dass dieKürzungen, die Herr Ramsauer immer wollte, nicht ein-getreten sind.
Darauf können wir, gemeinsam mit den Sozialdemokra-ten, auch ein bisschen stolz sein. Auf diese Leistungenkönnen die Menschen stolz sein, besonders die Men-schen in den neuen Ländern.Aber zur Realität im Osten – im Übrigen auch imWesten – zählt im Jahre 2014 auch, dass in oft fabelhaftsanierten Städten viele Läden leer stehen. Dazu zähltauch, dass wir überall weltberühmte Künstler engagie-ren, aber dass es viele Eltern gibt, die den Kinobesuchihrer Kinder nicht bezahlen können.Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist ebennicht nur eine Erfolgsgeschichte. Wir alle wissen: DieArbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist weiterhin na-hezu doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Es wiegtbesonders schwer, dass seit 1992 in den neuen Länderndie Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze um17,5 Prozent, nämlich um 1,2 Millionen, gesunken ist.Im gleichen Zeitraum ist in den alten Ländern die Zahldieser Beschäftigungsverhältnisse um 5 Prozent gestie-gen. Das ist ein wirklich schwerwiegendes Problem.Bei den Löhnen und Gehältern hat sich der Unter-schied zwischen Ost und West seit Mitte der 90er-Jahrenicht wesentlich verändert. Das sage ich jetzt, da wir jagerade über die Diätenerhöhung diskutiert haben.Die Vermögensungleichheit ist geblieben. Haushalteim Osten verfügen im Schnitt nur über 42 Prozent desVermögens von Haushalten im Westen. Das alles sinddoch Riesenprobleme.Frau Gleicke, Sie verweisen auf die Wirtschaftskraft.Jawohl, einverstanden! Dafür ist das Bruttoinlandspro-dukt pro Kopf der Bevölkerung ein ganz wichtiger Indi-kator. Wenn wir uns die Zeit von 2001 bis 2012 an-schauen, stellen wir fest: Alle drei Jahre gab es eineAngleichung um 1 Prozent. Wir sind jetzt bei 75,5 Pro-zent des Westniveaus. Wenn wir die Aufholjagd mit die-sem „rasanten“ Tempo fortsetzen, dann haben wir 2085gleichwertige Verhältnisse – fast 100 Jahre nach Herstel-lung der deutschen Einheit! Sie haben nicht einen einzi-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1387
Dr. Dietmar Bartsch
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gen Vorschlag gemacht, wie wir das wirklich ändernwollen. Nicht die Langsamkeit ist das Problem, sonderndass es keinen einzigen Vorschlag gibt. Sie setzen imKern auf ein Weiter-so.
Nun haben Sie etwas zur Rente gesagt. Das war schoneinigermaßen verwunderlich. Natürlich ist das eine zen-trale Frage für viele Menschen in den neuen Ländern.Ich will noch einmal daran erinnern: Die thüringischeMinisterpräsidentin, Frau Lieberknecht – noch stellt inThüringen die CDU den Ministerpräsidenten –,
hat im Jahr 2012 gesagt, dass das Agieren der damaligenKoalition auf Bundesebene offensichtlich einen Fall vonArbeitsverweigerung darstellt. Das haben auch Sie da-mals kritisiert. Aber auch an diesem Punkt nehmen Sieüberhaupt keine Veränderung vor. Schwarz-Rot stellt aufdiesem Gebiet das Handeln wirklich ein.
Sie prüfen nur. Sie kündigen nur an. Das ist skandalös,und das ist auch mit dem Verfassungsauftrag „Herstel-lung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht vereinbar.
Nun noch zu einem Thema, bei dem mich etwas be-sonders stört, zur Mütterrente. Wir alle wissen: Ostmüt-ter bekommen für ein Kind, das vor 1992 geboren ist,25,74 Euro. Bei Westmüttern sind die Kinder wertvoller;dafür gibt es nämlich 28,14 Euro.
Wir sagen ganz klar und deutlich: Jedes Kind muss aufdem Rentenkonto gleich viel wert sein,
egal ob es 1958 oder 2012, ob es in Schwerin oder inMünchen geboren ist. Hier muss wirklich etwas neu ver-standen werden. Das kann so nicht weitergehen.Die deutsche Einheit muss neu verstanden und poli-tisch auch anders gestaltet werden. Der Aufbau Ost alsNachbau West ist letztlich gescheitert. Wir braucheneine gezielte Struktur- und Regionalpolitik und auch danicht nur Ankündigungen, dass wir neue Wege erprobenmüssen, wie es bei Ihnen steht. Nein, da müssen die Er-fahrungen des Ostens in ganz anderer Weise aufgegrif-fen werden.
Sie haben, Frau Gleicke, heute und in den letzten Ta-gen viel angekündigt, vieles zum Thema Ost. Wir wer-den Sie bei vielen Dingen auch unterstützen können. Ichhoffe, dass Sie da einen langen Atem haben. Nutzen SieIhre Chance! Sie haben eine. Sie sind neu im Amt. Sa-gen Sie vor allen Dingen laut und rechtzeitig, wenn et-was nicht klappt! Sie haben Ihren Vorgänger gelobt. Denhabe ich in den vergangenen vier Jahren zu dieser Fragenicht einmal gehört. Ich wünsche mir, dass Sie in derBundesregierung laut und deutlich sagen, wenn irgendet-was in Bezug auf den Aufbau Ost nicht läuft.
Der erste Punkt wäre zum Beispiel, dass Sie bei denRegionalisierungsmitteln dafür sorgen, dass der Ostennicht weniger davon bekommt. Das ist eine ganz zen-trale Frage. Daran werden wir Sie messen. Wenn das we-niger wird, haben Sie Ihren Auftrag nicht erfüllt.
Es muss ganz klar sein, dass das funktioniert.Dann noch eine Bemerkung zum Mindestlohn. Siehaben damals gesagt: Ohne Wenn und Aber und sofort. –Na ja, das kann ich im Koalitionsvertrag wirklich nichtfeststellen. Wo ist denn da der Mindestlohn ohne Wennund Aber? Wann ist denn der Zeitpunkt? Bis es so weitist, sind die geplanten 8,50 Euro doch viel weniger wert.Vor allen Dingen müssen Sie dafür sorgen, dass für diekleinen und mittleren Unternehmen Übergänge geschaf-fen werden, sodass sie das zahlen können und nicht Ar-beitsplätze kaputtgehen.
Wir brauchen in dieser Legislatur dringend die Verab-schiedung eines Solidarpakts III. Das kriegen wir in dernächsten Legislatur nicht hin; das muss jetzt geschehen.Dabei muss es darum gehen, strukturschwache Regionenin Ost und in West zu fördern. Das ist notwendig. Wirmüssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländernund Kommunen insgesamt neu regeln. Eine Föderalis-muskommission III ist angesagt. Das ist extrem notwen-dig. Es wäre im Übrigen sinnvoll, liebe Kolleginnen undKollegen aus Bayern und Hessen, wenn die Klagen zu-rückgezogen würden.
Das ist nämlich destruktiv und verunsichert die Men-schen in den neuen Ländern.Ganz klar und eindeutig: Die Rückstände des Ostensim Hinblick auf gleichwertige Lebensverhältnisse müs-sen gezielt und vorrangig überwunden werden. Das darfnicht irgendein Punkt der Wirtschaftspolitik oder imWirtschaftsministerium sein. Es wäre auch sinnvoll,wenn der Minister bei diesem Punkt einmal anwesendwäre.Wir werden Sie genau betrachten; ich habe das ange-kündigt. Ich hoffe, dass das, was Sie angekündigt haben,mit ganzer Kraft umgesetzt wird. Dann werde ich michauch nachhaltig dafür einsetzen, dass mein Kollege Gysivon der halben Portion zur ganzen kommt. Das verspre-che ich Ihnen.Herzlichen Dank.
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1388 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich demnächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen dievon den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittel-ten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmun-gen zur Kenntnis geben.Zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den Ent-wurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge-setzes und eines Gesetzes zur Änderung des Europaab-geordnetengesetzes. Abgegeben wurden 589 Stimmen.Mit Ja haben gestimmt 464, mit Nein haben gestimmt115, und 10 Kolleginnen und Kollegen haben sich ent-halten.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 589;davonja: 464nein: 115enthalten: 10JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerChristian HaaseDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Xaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelDr. Martin PätzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeTankred Schipanski
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1389
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Heiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Steffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetrySabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne Schieder
Udo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerNeinCDU/CSUKordula KovacMartin PatzeltSPDRalf KapschackRené RöspelAndreas Schwarz
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1390 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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DIE LINKEDr. Dietmar BartschKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Martina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenDoris WagnerDr. Valerie WilmsEnthaltenCDU/CSUReinhard GrindelUlrich PetzoldDieter StierSPDDr. Daniela De RidderDr. Johannes FechnerAchim Post
DIE LINKEDr. Diether DehmKlaus ErnstRichard PitterleJörn WunderlichZur namentlichen Abstimmung über den Entwurf ei-nes Strafrechtsänderungsgesetzes – Erweiterung desStraftatbestandes der Abgeordnetenbestechung. Hiersind 593 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben ge-stimmt 583, mit Nein haben gestimmt 3, und 7 Kollegin-nen und Kollegen haben sich enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 592;davonja: 582nein: 3enthalten: 7JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. Andre BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerChristian HaaseDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias Hauer
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1391
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Mark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungXaver JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringErwin RüddelAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Marian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertDr. Karl-Heinz BrunnerMarco BülowEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h.c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina Hagedorn
Metadaten/Kopzeile:
1392 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
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Rita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Steffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoguzMarkus PaschkeChristian PetrySabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne Schieder
Udo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerDIE LINKEDr. Dietmar BartschKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Andre HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenDoris WagnerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUDr. Joachim PfeifferDr. Norbert RöttgenKarl-Georg WellmannEnthaltenCDU/CSUReinhard GrindelPhilipp Graf LerchenfeldDr. Mathias MiddelbergUlrich PetzoldDr. Peter RamsauerDieter StierIngo Wellenreuther
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1393
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Jetzt fahren wir fort in unserer Debatte. Das Wort er-hält der Kollege Mark Hauptmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! 2014 ist für mich als Thüringer Mit-glied dieses Deutschen Bundestages ein ganz besonderesJahr. Wir feiern im November dieses Jahres 25 Jahre Fallder Berliner Mauer. Dass meine ostdeutschen Kollegenund ich heute hier an diesem Pult frei sprechen dürfen,dass wir diese Gelegenheit haben, alleine das ist schonein herausragendes Ergebnis der deutschen Einheit, fürdie viele Menschen hart, lange und mutig gekämpft ha-ben.
Vieles ist in den vergangenen 25 Jahren politisch um-gesetzt worden. So hat besonders der Umgang mit derpolitischen Vergangenheit der DDR eine wichtige Rollegespielt. Nach wie vor ist das Interesse der Bürger andem SED-Regime groß. Alleine im Jahre 2013 wurdennoch exakt 64 246 Anträge auf Akteneinsicht bei derStasi-Unterlagen-Behörde gestellt. Dennoch geht derTrend gerade bei den jüngeren Menschen zu einer Ver-harmlosung der DDR-Diktatur. Im Fernsehen läuft bei-spielsweise eine TV-Show mit dem Titel Nicht alles warschlecht. Dabei entsteht aus meiner Sicht der Eindruck,dass die DDR ein normaler Staat gewesen ist. Das istmitnichten der Fall. Ein Beleg dafür ist: Am 5. Februardieses Jahres haben wir des letzten Maueropfers, des20-jährigen Chris Gueffroy, gedacht, der vor 25 Jahrenbei einem Fluchtversuch das letzte Opfer des Schießbe-fehls in einem nichtdemokratischen, totalitären Un-rechtsstaat war. Sein Tod mahnt uns alle zu einer konti-nuierlichen Aufarbeitung dieses SED-Regimes.
Sehr geehrter Herr Kollege Bartsch, Sie sprachen da-von, dass Sie stolz sind, Ostdeutscher zu sein. Das binich auch; das sind wahrscheinlich viele von uns. Aberich weiß, worauf Sie und Ihre Fraktion mitnichten stolzsein können: Das ist die Aufarbeitung Ihrer eigenen Ge-schichte.
Auch das gehört zu 25 Jahren deutsche Einheit.
Neben der Aufarbeitung waren die vergangenen 25 Jah-re aber auch durch ökonomische Herausforderungen ge-prägt. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hateinmal gesagt, dass im Rahmen der deutschen Einheitblühende Landschaften entwickelt werden sollen. Tat-sächlich können wir heute, wenn wir offenen Augesdurch die neuen Länder fahren, ein Aufblühen Ost-deutschlands sehen. Die in den letzten Jahrzehnten er-griffenen politischen Maßnahmen haben dazu geführt,dass die neuen Länder heute auf einem guten Weg sind,so wie das auch in dem Bericht der Bundesregierungsteht.Ich möchte dafür einige Beispiele nennen; in denneuen Ländern gibt es sie in genügender Zahl. GestehenSie mir als Thüringer zu, dass ich ein paar Beispiele ausmeiner Heimat bringe.Ich komme zu meinem ersten Beispiel: Wir habenheute die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wieder-vereinigung. Wir im Freistaat Thüringen hatten 2008noch eine Arbeitslosenquote von 11,4 Prozent. Im Jahr2013 betrug sie nur noch 8,2 Prozent.
Das Erreichen von Vollbeschäftigung in absehbarer Zeitist kein leeres Versprechen mehr, sondern kann schonbald Wirklichkeit werden. Das ist ein Erfolg, auf den wirstolz stein können.Das zweite Beispiel ist der Aufbau der deutschen In-frastruktur. Denken Sie nur an die VerkehrsprojekteDeutsche Einheit!Das dritte Beispiel ist die Entwicklung der Haushalts-konsolidierung in den neuen Ländern. Wir haben 2013und 2014 im Freistaat Thüringen nicht nur keine neuenSchulden gemacht, sondern auch insgesamt 130 Millio-nen Euro alte Schulden getilgt.
Thüringen hat nach dem Freistaat Bayern die zweit-höchste Pro-Kopf-Tilgungsrate der BundesrepublikDeutschland. Das kann auch Vorbild für alte Bundeslän-der wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württembergoder für uns hier im Bund sein.
Doch auch bereits blühende Landschaften müssen ge-pflegt werden. Vor allem mittelständische Unternehmenals Fundament des wirtschaftlichen Aufschwungs inOstdeutschland dürfen nicht alleine gelassen werden.Besonders zukunftsrelevant sind daher drei Sachgebiete,auf die ich nun näher eingehen will: erstens die Energie-kosten bzw. die Belastung der ostdeutschen Unterneh-men, zweitens die Entwicklung der Wirtschaft in Ost-deutschland und drittens der demografische Trend, mitdem wir es zu tun haben: Schrumpfung und Alterung.Ich komme zu meinem ersten Punkt: den Energie-kosten. In den neuen Bundesländern sind wir Vorreiter inder Energiewende geworden. Darauf können wir zuRecht stolz sein. Der Anteil der erneuerbaren Energienan der Bruttostromerzeugung betrug im Jahr 2012 be-reits 29 Prozent, während er im Westteil des Landes20 Prozent betrug. Die neuen Bundesländer produziereninsgesamt mehr Strom, als vor Ort nachgefragt wird. Der
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1394 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Mark Hauptmann
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überschüssige Strom fließt in alle Teile Deutschlands.Das heißt: Der Osten ist heute schon Stromexporteur.Das heißt aber auch, dass die ostdeutschen Unternehmendringend auf einen verlässlichen, deutschlandweitenNetzausbau im Rahmen der Energiewende angewiesensind.
Da die Kosten für die Modernisierung der Energie-netze und für den Neubau der Stromtrassen aber über dieNetzentgelte bezahlt werden, sind die Stromkosten imOsten heute höher als in vielen Gebieten der alten Bun-desländer. Ostdeutschland darf nicht zum Transitlasten-zahler für die anderen Bundesländer werden. Wir müss-ten aufpassen, dass der Ausbau der erneuerbarenEnergien nicht überdurchschnittliche Belastungen fürunsere Regionen zwischen der Insel Rügen und der Thü-ringer Rhön, zwischen Görlitz und Eisenach bringt.
Die bisherigen Vorschläge zur EEG-Novelle gehen indie richtige Richtung, müssen aber weitergedacht wer-den. Gerade in meiner Heimat Thüringen ist ein Großteilder Unternehmen im produzierenden und verarbeitendenGewerbe tätig. Steigende Energiekosten sind dahergerade aufgrund der räumlichen Nähe zu anderen ost-europäischen Ländern eine ernsthafte Gefahr für dieseWirtschaftsstandorte und somit auch für Tausende Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer.Ich komme zu meinem zweiten Punkt: zur Wirtschaftund zum Arbeitsmarkt. Dass in Deutschland Wirtschaftund Arbeitsmarkt in guter Verfassung sind, ist unbestrit-ten. Das gilt auch für die neuen Länder, in denen es inder Vergangenheit ein Wirtschaftswachstum gegebenhat, das gerade auch neue Beschäftigungsverhältnissegeschaffen hat. Beim Rückgang der Arbeitslosigkeit hatder Osten die alten Bundesländer sogar überholt. Das In-stitut der deutschen Wirtschaft hat erst Anfang diesesMonats in einer Studie festgestellt, dass gerade struktur-schwache Regionen in den neuen Ländern positive Ent-wicklungen aufweisen können. Als Beispiele nenne ichden Kyffhäuserkreis und den Landkreis Sömmerda inThüringen, die trotz der Finanzkrise in den Jahren 2008bis 2013 die Arbeitslosigkeit um 5,5 Prozent bzw. um5,1 Prozent reduzieren konnten.Die Arbeitslosenquote in den neuen Ländern ist seit2005 von 18,7 auf 10,7 Prozent gesunken. Auch die Zahlder Langzeitarbeitslosen geht Gott sei Dank zurück.Trotzdem ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschlandmit 10,7 Prozent immer noch fast doppelt so hoch wie inden alten Bundesländern. Es gibt auch bei uns in denneuen Ländern Unterschiede zwischen strukturstarkenund strukturschwachen Regionen, die in dieser Fragedeutlich werden.Das bringt mich zu meinem dritten Punkt: der Demo-grafie. Der Jahresbericht der Bundesregierung machtdeutlich, dass bei rund einem Drittel der Betriebe freieStellen für Fachkräfte nicht besetzt werden können. DasProblem des Facharbeitermangels, gerade mit Blick aufden demografischen Wandel, ist real und bedrohlich.Zwar konnte die Abwanderung aus Ostdeutschland inden letzten Jahren nahezu gestoppt werden, aber vordem Hintergrund des demografischen Trends vonSchrumpfung und Alterung müssen wir in den nächstenJahren gravierende Folgen für die mittelständischen Un-ternehmen abwenden. In den neuen Bundesländern wirddie Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr2030 wahrscheinlich noch einmal um 27 Prozent sinken.Diese demografische Entwicklung wird durch Abwande-rung aus den ländlichen Regionen in die Städte weiterbeschleunigt. Der bereits bestehende Fachkräftemangelwird sich dadurch besonders in ländlichen Regionen mitkleinen Betrieben und einer geringen Siedlungsdichteauswirken.Meine Damen und Herren, das sind allerdings Pro-gnosen und keine Fakten. Wir, die fleißigen Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen kön-nen das positiv beeinflussen. Deshalb müssen wir auchin Zukunft für regionales Wachstum und die Schaffungdauerhaft wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze vor allem inden ländlichen Regionen Sorge tragen. Wir müssen unsflexibel auf die demografischen Entwicklungen einstel-len und insbesondere älteren Menschen Zugang zu kul-turellen, medizinischen und sozialen Infrastrukturen er-möglichen. Aber der ländliche Raum muss auch für diejüngere Generation attraktiv bleiben. Gezielte Anreize,wie der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Sanie-rungsbonus für die vom demografischen Wandel beson-ders betroffenen Gebiete, müssen realisiert werden.Wachstumsdynamik, Innovationskraft und Internationa-lisierung der ostdeutschen Wirtschaft müssen weiter ge-stärkt werden. Wir müssen diese Punkte im Rahmen desSolidarpakts II und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ weiter ange-hen.Ich möchte zum Schluss auf das Bild vom Anfangmeiner Rede zurückkommen. Wir haben viel erreicht inden letzten zwei Jahrzehnten. Ostdeutschland hat sichbei Vergangenheitsbewältigung und wirtschaftlicherEntwicklung mit großen Schritten in die richtige Rich-tung bewegt. Um dieses Bild vom Anfang aufzugreifen:Ja, die Landschaften, sie blühen. Um dies allerdingsnachhaltig zu bewahren, müssen wir die Gestaltung desdemografischen Wandels und seiner Auswirkungen unddie weitere wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlandsals zentrale Aufgabe in den Fokus rücken und hierbei be-sonders darauf achten, dass die mittelständischen Unter-nehmen als Rückgrat dieser Entwicklung nicht über Ge-bühr belastet werden. Lassen Sie uns also gemeinsamnach Maßnahmen suchen, mit denen wir unsere blühen-den Landschaften weiter ausgestalten und pflegen kön-nen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ganz herzlichen Dank. – Das war die erste Rede desKollegen. Gratulation!
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1395
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühndas Wort.Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kol-legin Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Ichfreue mich, dass wir heute an einer etwas prominenterenStelle über den Bericht zum Stand der deutschen Einheitsprechen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so.Dennoch muss man konstatieren: Die ganz große Bedeu-tung scheint die Koalition dem Thema nicht beizumes-sen. Zweimal wurde die Debatte über den Bericht zumStand der deutschen Einheit verschoben, sie war nurPlatzhalter. Ihnen war es in der letzten Woche wichtiger,statt über die Löhne im Osten zu sprechen, die immernoch deutlich unter Westniveau liegen, über die Abge-ordnetendiäten zu diskutieren.
Eine sehr schwache Prioritätensetzung, wie ich finde.
Der vorliegende Bericht zum Stand der deutschenEinheit beschreibt wieder nur den Status quo, liefertkeine neuen Erkenntnisse und setzt keine neuen Impulse.Dabei haben wir auch im 25. Jahr der friedlichen Revo-lution unverändert besondere Herausforderungen in Ost-deutschland. Ein Routinebericht ist deshalb zu wenig.Die Geschichte Ostdeutschlands seit der Wiederverei-nigung ist in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte:Unbestreitbar sind der Freiheitsgewinn und ein gelunge-ner politischer und rechtsstaatlicher Systemwechsel. DieUmweltbedingungen haben sich verbessert, und die Inf-rastruktur wurde modernisiert.
Dennoch ist es nicht gelungen, einen selbsttragendenwirtschaftlich dynamischen Entwicklungspfad zu eta-blieren. Man muss einfach sagen: Die wirtschaftlicheAngleichung stagniert seit Mitte der 90er-Jahre. Da halteich es, Herr Kollege Hauptmann, schon ein bisschen fürSchönfärberei, zu sagen: Wir haben hier nur blühendeLandschaften.
Denn die Arbeitslosenquote ist immer noch doppelt sohoch wie im Westen, und das Steueraufkommen der ost-deutschen Länder liegt gerade mal bei 50 Prozent desNiveaus der finanzschwachen Flächenländer im Westen.
Wenn schon der Bericht der alten Regierung – dasmuss man an der Stelle fairerweise sagen – keine Im-pulse gesetzt hat, hatte ich die Hoffnung, dass im Koali-tionsvertrag der neuen Regierung wenigstens Ideen fürdie neuen Bundesländer zu finden sind. Gefunden habeich aber nur Prosa wie: „Wir wollen eine stabile und gutewirtschaftliche sowie soziale Entwicklung Ostdeutsch-lands erreichen.“ Wer wollte das nicht! Aber wo sind,bitte schön, die konkreten Maßnahmen, um dahin zukommen?
Wir Grünen sind überzeugt, dass die weiteren Ent-wicklungschancen der neuen Bundesländer davon ab-hängen, wie stark Innovation, Forschung, Erfindergeist,mutiges Unternehmertum, aber auch der Einsatz für ge-lebte Demokratie und für eine aktive Bürgergesellschaftunterstützt werden. In den neuen Bundesländern, sokann man im Bericht zu Recht nachlesen, ist „eine wis-sensbasierte Industrieregion“ entstanden. Das ist zwei-fellos ein Erfolg. Der Anteil von FuE am Bruttoinlands-produkt ist in Ostdeutschland höher als im Westen.Wir haben in Ostdeutschland eine höhere Drittmittel-einwerbung bei den Professuren an Fachhochschulen zuverzeichnen. Es sind gerade die Fachhochschulen, dieman – oft außerhalb von Wachstumskernen angesiedelt –als schlafende Innovationsriesen bezeichnen kann. Wirmüssen ermöglichen, dass sich die Fachhochschulen alsMotoren der regionalen Wirtschaft besser entfalten.
Es muss gelingen, die gut ausgebildeten Fachkräftedurch Unternehmensausgründungen und -ansiedlungenim Umkreis von Universitäten, Fachhochschulen undForschungseinrichtungen in der Region zu halten undden Braindrain zu stoppen.Dies wird aber nicht gelingen, meine Damen und Her-ren, wenn, wie jetzt in Sachsen, damit begonnen wird,angesichts zurückgehender Studierendenzahlen Hoch-schulstrukturen abzubauen. Die KMU sind auf Fach-kräfte und öffentliche FuE-Investitionen angewiesen.Wir brauchen deshalb aus meiner Sicht eine Lockerungdes Kooperationsverbots bei der Hochschulfinanzierung.Sonst droht in den nächsten Jahren eine Abwärtsspirale.
Ein wesentliches Hemmnis bei der Entwicklung einerwissensbasierten Industriestruktur ist eine mangelndeBreitbandversorgung. Die ostdeutschen Flächenländersind im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländernhinsichtlich der Erschließung mit Hochgeschwindig-keitsanschlüssen deutlich unterversorgt. Die Versorgungmit Breitbandanschlüssen mit einer Geschwindigkeitvon 50 Megabit pro Sekunde und mehr liegt gerade ein-mal bei 30 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar bei nur10 Prozent. Die ursprünglich vorgesehene 1 MilliardeEuro für den Ausbau der Breitbandversorgung ist ausdem Koalitionsvertrag gestrichen worden.
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1396 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Stephan Kühn
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Was bleibt, ist die bloße Ankündigung; eine Finanzie-rung des Breitbandausbaus fehlt völlig. Sie wollen, dass2016 Anschlüsse mit 50 Megabit pro Sekunde flächen-deckend verfügbar sind. Dann verraten Sie uns doch malbitte, wie das ohne Konzept und vor allen Dingen ohneGeld bewerkstelligt werden soll!
– Ich frage auch gerne wieder Herrn Dobrindt. Ich bingespannt, ob es dieses Mal Antworten gibt.
In Bezug auf den demografischen Wandel heißt es,Ostdeutschland sei ein Labor für wirtschaftliche und ge-sellschaftliche Transformationsprozesse oder – es istschon gesagt worden – nehme eine Vorreiterrolle bei derEntwicklung neuer Lösungen ein. Dazu ist zweierlei zusagen:Erstens. Dafür brauchen wir neue Formen der Zusam-menarbeit und Vernetzung zwischen Politik, Bürgerin-nen und Bürgern, Verwaltung und Unternehmen. Dasheißt, wir müssen lokales Engagement befördern undnicht behindern. Die Bürgerinnen- und Bürgerdemokra-tie, die wir 1989 erkämpft haben, ist leider an vielenStellen nur noch rudimentär entwickelt. Das muss sichdringend ändern.Zweitens. Die Neugestaltung der Daseinsvorsorge mitBlick auf das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisselässt sich nicht nur mit Pilotprojekten und Modellvorha-ben bewerkstelligen.Ich bin – ähnlich wie der Kollege, der vor mir geredethat – gespannt, wie es denn aussieht, wenn es konkretwird, beispielsweise bei der Frage der Revision derRegionalisierungsmittel. Dann ist nämlich die Frage, obes einen fairen Interessenausgleich zwischen einer Si-cherung des Grundangebotes in der Fläche und einemZusatzangebot in Wachstumsregionen gibt.Lassen Sie mich mit Blick auf die Zeit noch einenwichtigen Punkt sagen. Wir führen eine öffentliche De-batte über die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde.Ich sage dazu: Auch 25 Jahre nach der friedlichen Revo-lution ist die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Ver-gangenheit der SED-Diktatur in all ihren Facetten wederüberflüssig noch rückwärtsgewandt.
Sie ist die Voraussetzung für eine gelingende Demokra-tie, um die wir jeden Tag neu kämpfen müssen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke schön, Herr Kollege. – Guten Morgen von
meiner Seite an Sie alle.
Nächste Rednerin ist Andrea Wicklein für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf denBesucherrängen! Vor 25 Jahren ist die Mauer gefallen.Angesichts der dramatischen Bilder aus der Ukraine binich heute noch froh und dankbar dafür, dass die Revolu-tion in Ostdeutschland friedlich und ohne Blutvergießenverlief.
Was seitdem in zweieinhalb Jahrzehnten in den neuenBundesländern aufgebaut wurde, das war und ist einegroße Gemeinschaftsleistung. Es ist dem Mut, dem Fleißund der Solidarität vieler Menschen in Ost und West zuverdanken, dass Mauern, auch die in den Köpfen, über-wunden werden.Ich persönlich kann mich noch sehr gut an die erstenJahre nach dem Mauerfall erinnern. Freude über die ge-wonnene Freiheit und Unsicherheit in Anbetracht derungewissen Zukunft lagen dicht beieinander. Die tief-greifenden Veränderungen in allen Bereichen des Lebenswaren für uns Ostdeutsche eine große Herausforderung.Laut einer Untersuchung des WissenschaftszentrumsBerlin für Sozialforschung gingen allein zwischen 1989und 1992 ein Drittel aller Arbeitsplätze verloren. Heute,nach 25 Jahren, stelle ich mir folgende Fragen: Wie weitsind wir tatsächlich mit der Angleichung der Lebensver-hältnisse in unserem Land gekommen? Wie weit ist dieTeilung, die vier Jahrzehnte andauerte, heute überwun-den?Infratest dimap sagt dazu, dass 70 Prozent der befrag-ten Bürgerinnen und Bürger in Ost und West mit ihrerwirtschaftlichen Situation zufrieden sind. Das ist docheine sehr gute Nachricht.
Auch die Lebenserwartung hat sich in beiden Teilen desLandes fast angeglichen. Ostdeutschland kann inzwi-schen gute Rahmenbedingungen zum Leben und Arbei-ten vorweisen; die Erfolge wurden von meinen Vorred-nern schon genannt. Unterm Strich können wir stolz aufdas sein, was wir in den vergangenen 25 Jahren gemein-sam erreicht haben.
Dennoch gibt es im Ost-West-Vergleich nach wie vorgroße Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit, vor allenDingen bei der wirtschaftlichen Angleichung, bei For-schung und Entwicklung, bei der Exportquote und auchbeim Bruttoinlandsprodukt, das im Osten nur bei 71 Pro-zent des Westniveaus liegt. Ja, es gibt im Ost-West-Ver-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1397
Andrea Wicklein
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gleich auch nach wie vor Ungerechtigkeiten. Zum Bei-spiel empfinden die Menschen in den ostdeutschenLändern das bestehende Lohngefälle zwischen Ost undWest oder das unterschiedliche Rentenberechnungssys-tem als ungerecht, zumal sich die Lebenshaltungskostenlängst angeglichen haben. Bei Wasser und Energie sindsie teilweise höher als in den alten Bundesländern.
Ich bin froh darüber, dass wir im Koalitionsvertragkonkret festgelegt haben, wie wir die Unterschiede aus-gleichen und die Ungerechtigkeiten weiter abbauen wol-len. Dazu zählt insbesondere die Einführung eines ein-heitlichen flächendeckenden Mindestlohnes in Ost undWest.
Dazu zählt die überfällige Angleichung der Rentensys-teme bis Ende 2019. Wir haben dafür, Herr Bartsch, imKoalitionsvertrag einen klaren Fahrplan vereinbart undwerden darauf achten, dass er auch umgesetzt wird.
Dazu zählen aber auch diverse Bundesprogramme undBundesmittel: Wir erhöhen die Mittel für die Städte-bauförderung und das Programm „Soziale Stadt“, wirführen die regionale Wirtschaftsförderung für struktur-schwache Regionen fort, wir unterstützen den innovati-ven Mittelstand, und – nicht zuletzt – wir unterstützenauch die Hochschulen und erhöhen die Mittel für die öf-fentliche Forschungsförderung. Das sind nur einigePunkte, die dazu beitragen werden, die wirtschaftlicheEntwicklung in Ost und West weiter anzugleichen.Ich bin davon überzeugt, dass vor allem die Förde-rung von Wirtschaft und Innovation der richtige Weg ist,um auch die sozialen Verhältnisse auf ein annäherndgleiches Niveau zu bringen. Deshalb begrüße ich es aus-drücklich, dass die Beauftragte der Bundesregierung fürdie Neuen Bundesländer im Wirtschaftsministerium an-gesiedelt ist. Ich wünsche Iris Gleicke viel Erfolg bei ih-rer Arbeit. – Ich werde dich natürlich nach bestem Wis-sen und Gewissen unterstützen, liebe Iris.
Am Anfang meiner Rede fragte ich: Wie weit sind wirhinsichtlich der Angleichung der Lebensverhältnisse tat-sächlich gekommen? Ich denke, wir können diese Fragezukünftig nicht mehr nach der Himmelsrichtung, nachOst und West, stellen. Deutschland ist schon jetzt vieldifferenzierter zu betrachten. Auch im Osten gibt es be-reits wirtschaftlich starke Regionen mit niedriger Ar-beitslosigkeit. Gleichzeitig haben im Westen zahlreicheRegionen einen enormen Nachholbedarf. Zwar ist dieArbeitslosigkeit im Westen im Durchschnitt nur halb sohoch wie im Osten, bei näherer Betrachtung zeigt sichaber ein sehr differenziertes Bild: So ist die Arbeitslo-senquote in Duisburg oder Gelsenkirchen mit 15,5 Pro-zent annähernd so hoch wie in der BrandenburgerUckermark, in Bremerhaven ist sie doppelt so hoch wiein Potsdam, und an vielen Stellen im Westen verfällt dieInfrastruktur oder ist veraltet. Ich kann deshalb sehr gutverstehen, dass 24 Jahre nach der Wiedervereinigung imWesten zunehmend Stimmen laut werden, die die mas-sive Förderung des Ostens kritisch sehen.
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Richtig, das mache ich. – Allerdings bleiben laut Pro-
gnos-Zukunftsatlas die Zukunftsrisiken in vielen Regio-
nen Ostdeutschlands bestehen. Zugleich nehmen aber in
immer mehr westdeutschen Regionen die Zukunftsrisi-
ken gegenüber den Zukunftschancen zu. Diese Tatsa-
chen müssen wir berücksichtigen. Ich habe mich gefreut,
dass wir uns jetzt, so glaube ich, alle einig sind, dass wir
die Förderung zukünftig nicht mehr nach Himmelsrich-
tungen vornehmen, sondern an den konkreten Lebens-
verhältnissen im ganzen Land ausrichten.
Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit.
Wir werden unsere Erfahrungen in Ostdeutschland nut-
zen und sie in ein Konzept einbringen, das die Entwick-
lung der strukturschwachen Regionen insgesamt zum In-
halt hat.
Frau Kollegin, ich muss die überzogene Zeit jetzt bei
Ihren Kollegen abziehen.
Ganz herzlichen Dank.
Danke schön, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist
Roland Claus für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! BeimThema „deutsche Einheit“ stellt sich in schöner Regel-mäßigkeit eine unsichtbare Besonderheit ein: Ostdeut-sche Abgeordnete haben im Plenarsaal des DeutschenBundestages die Mehrheit.
Das sagt auch etwas über den Zustand der deutschenEinheit.
„Müssen wir fast 25 Jahre nach dem Mauerfall nochüber Ost und West reden? Ist das nicht peinlich?“, wirdgelegentlich gefragt. Ja, das ist zuweilen peinlich. Aberauch: Ja, wir müssen darüber reden. Dietmar Bartsch hathier über die wirtschaftliche und soziale Dimension derEinheit gesprochen. Ich will über die historische undkulturelle Dimension der deutschen Einheit reden undauch darüber, warum wir uns zuweilen so schwer damit
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1398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Roland Claus
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tun; wenn Sie so wollen: über die ostdeutsche Seele. Ichwill Ihnen auch helfen, zu verstehen, warum die Ossis inIhren Augen so ein undankbares Wesen sind und sokomisch wählen.
1990 wurde bekanntlich im Deutschen Bundestag undin der Volkskammer der DDR der Einigungsvertrag be-schlossen. Fortan aber wurde viel dafür getan, den Eini-gungsvertrag als eine Art Kapitulationsurkunde oder Un-terwerfungsabkommen umzudeuten. Das begann in den90er-Jahren mit der Formel des Bundesministers KlausKinkel, es gehe jetzt um eine Delegitimierung der DDR.Auch wird heute noch die Beobachtung von Bundestags-abgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutzdamit gerechtfertigt,
dass wir eine unzureichende Distanzierung vom Un-rechtssystem der DDR hätten. Ich sage Ihnen deshalbnoch einmal: Der Vertrag heißt Einigungsvertrag. Es istein Einigungsvertrag zwischen zwei souveränen Staaten.
Lassen wir ein paar Personen mit ihren Fragen zuWort kommen. Eine Seniorin in Kamenz hat in der DDRalleinerziehend für fünf Kinder gesorgt. Alle sind ihrenWeg gegangen, drei haben studiert, ihre älteste Tochterist Lehrerin. Sie fragt: Wäre das im anderen Deutschlandmöglich gewesen?
Der DDR-Schriftsteller Hermann Kant schrieb unter an-derem den Roman Der Aufenthalt. Dies ist auch einBuch über die Vertreibung als Kriegsfolge. Ich fand dasdamals als junger Leser ebenso mutig wie aufrüttelnd.Heute ist Kant geächtet, weil systemnah. Ist das histo-risch-kulturell gerecht?Im Osten wird nicht der Stern gekauft, sondern dieSuper Illu.
In der Chefetage des Stern wird Ostdeutschland schonmal als verbrannte Erde bezeichnet. Ich habe natürlichkeinen Grund, hier Werbung für die Super Illu zu ma-chen, aber sie wird deshalb im Osten gelesen, weil sichdie Leute dort mit ihrem Lebensgefühl und ihren Erfah-rungen wiederfinden.
Im ostdeutschen Kleingartenverein ist Versammlung.Da geht die Post ab. Da bleibt kein gutes Haar an derbundesdeutschen Gartenbürokratie, und der Zustand derEinheit wird so radikal kritisiert, wie es nicht einmal dieLinke schafft. Trotzdem wählen 40 Prozent dieser Klein-gärtner die CDU. Das muss Ihnen doch zu denken ge-ben.
Wir sagen Ihnen: Wer mit seiner Geschichte nichtumgehen kann, dem können Gegenwart und Zukunftnicht gelingen. Wie verschieden wir auch die Einheit ge-wollt haben, heute gilt: Ihr bekommt die Einheit nichtohne Geschichte, so sehr es auch versucht wird. Wo Ei-nigungsvertrag draufsteht, ist auch ein Stück DDR-Ge-schichte drin.
Wer mit dem Siegen nicht aufhören kann,
der zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Werversucht, bei der Deutung der DDR die Enkel gegen dieGroßeltern in Stellung zu bringen, der eint nicht, sondernspaltet.
Etwa im Jahr 2000 haben die Ostdeutschen ihr Selbst-bewusstsein wiedergefunden. Daran haben viele Süd-und Westdeutsche mitgewirkt, die in den Osten gingen.Deshalb macht es Sinn, auch heute zu sagen: aus demOsten etwas Neues, aber für die ganze Republik. EtwasNeues brauchen wir auch für die Bundesregierung. Fastdie Hälfte der Bundesregierung sitzt noch immer inBonn.
Deshalb rufen wir erneut zur Wiedervereinigung derBundesregierung in Berlin auf.
Wir Ostdeutschen halten uns nicht für die besserenMenschen, aber einen Rat haben wir doch: Uns allen inWest und Ost, in Nord und Süd ginge es so viel besser,wenn wir begreifen würden, wie viel wir aus den Um-brüchen, Niederlagen und Erfolgen im Osten lernenkönnten. Deshalb: selbstbewusst für den Osten!
Danke, Herr Kollege Claus. – Als nächsten Rednerrufe ich Dr. Christoph Bergner auf. Wir haben einigeProbleme gehabt, alle seine ehemaligen Titel richtig zubenennen. Ich sage jetzt einfach: für die CDU/CSU.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1399
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Frau Präsidentin, so ist es auch richtig. – Meine Da-men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte mich gern bei Iris Gleicke für die Worte der An-erkennung bedanken, aber mehr noch für die kollegialeAmtsübergabe, die wir vollzogen haben. Wir haben unsin Opposition und Regierung natürlich auch gestritten,aber die Kollegialität der Amtsübergabe beweist, dasswir uns einem gemeinsamen Anliegen verpflichtet füh-len. Dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön!
Herr Kollege Claus, ich habe mir einen Satz aus IhrerRede aufgeschrieben, weil ich ihn richtig finde: Wer mitseiner Geschichte nicht umgehen kann, kann die Zukunftnicht gewinnen. – Der Satz ist richtig. Ich wünsche mirnur, dass Sie es auch auf die Geschichte Ihrer Partei undIhr Wirken in der DDR beziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will einweiteres Kompliment machen, und zwar dem KollegenHauptmann, der seine Jungfernrede hier als eine Grund-satzrede gehalten hat, die es mir jetzt regelrecht schwermacht, meine Punkte so zu sortieren, dass ich nicht inWiederholungen verfalle. Was, glaube ich, wichtig warund besondere Beachtung verdient, ist der Umstand,dass es darauf ankommt, über 20 Jahre nach der deut-schen Einheit die Handlungserfordernisse im Zusam-menhang mit der deutschen Einheit möglichst präziseherauszuarbeiten und sie präzise zu benennen. Ichdenke, das haben Sie getan. Das war auch mein Bemü-hen bei den drei Berichten zum Stand der deutschen Ein-heit, die ich als Beauftragter für die Neuen Bundesländerzu verantworten hatte.Was den gegenwärtigen Bericht, den Bericht 2013,betrifft, war es mir besonders wichtig, das Thema„gleichwertige Lebensverhältnisse“ nicht nur im Kon-text ökonomischer Kennziffern zu sehen, sondern auchnach Indikatoren zu suchen, die darüber hinausgehen,also nach Faktoren, die die Lebensqualität bestimmenwie Kultur und Kultureinrichtungen, Bildungsleistun-gen, zivilgesellschaftliches Engagement und anderes –übrigens alles Felder, auf denen wir durch wissenschaft-liche Analysen eigene Expertise gewinnen konnten.Es sind vor allen Dingen komplexe Indikatoren, dieuns zeigen, was wir erreicht haben, komplexe Indikato-ren wie der Wanderungssaldo zwischen Ost und West,der im Jahre 2012 praktisch ausgeglichen ist, wie dieGeburtenziffer, die nach 1990 dramatisch eingebrochenist und jetzt, auch wenn sie in Deutschland insgesamtnoch zu niedrig ist, wieder Vor-Wende-Niveau bzw. dasNiveau des Westens erreicht hat, oder wie die Kennzifferder Lebenserwartung, in der sich sehr viele Punkte nie-derschlagen; bei den Frauen haben wir eine praktischvollständige Angleichung zu verzeichnen – und das beiursprünglich beträchtlichen Unterschieden –, und beiden Männern haben wir eine doch weitgehende Annäh-rung erzielt.
Das alles sind Indikatoren, die in ihrer Komplexitätzeigen, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht ha-ben. Wir haben eine Lebensqualität, die in beachtlichemMaße ausgeglichen ist. Wir haben wettbewerbsfähigeUnternehmen. Wir haben positive Arbeitsmarktzahlen;Kollege Hauptmann ist sehr eindrücklich darauf einge-gangen. Wir haben eine relativ hohe Quote der indus-triellen Wertschöpfung. Kurz: Wir haben im 25. Jahrnach dem Mauerfall Anlass, im Hinblick auf das, was inden letzten Jahrzehnten erreicht wurde, stolz und dank-bar zu sein.
Vor diesem Hintergrund – ich sage ausdrücklich: vordiesem Hintergrund – war es mir natürlich wichtig, indem Bericht noch ein anderes Kapitel zu berühren, undzwar den Stand der öffentlichen Finanzen, der Länderfi-nanzen. Die ostdeutschen Länder standen in den letztenzwei Jahren, was ihre Finanzen betrifft, ausgesprochengut da; das hören die Länderfinanzminister nicht gern,aber es ist die Wahrheit. Sie standen gut da auch wegender Solidarpaktleistungen und der EU-Mittel. Aber wennman ihr eigenes Steueraufkommen analysiert, stellt manfest, dass die Flächenländer Ost im Jahr 2012 bei 54 Pro-zent des Niveaus der finanzschwachen FlächenländerWest lagen; im Jahre 2000 waren es noch 30 Prozent.Das unterstreicht die Bedeutung der Solidarpaktleis-tungen für den Zeitraum bis 2019. Es macht auch deut-lich, wie wichtig ein Vorhaben, das in der Koalitionsver-einbarung fixiert wurde und das man sich vorgenommenhat, ist, nämlich die Arbeit der Bund-Länder-Kommis-sion zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs undentsprechender Strukturförderungen. Es macht schließ-lich deutlich, dass wir gut beraten sind, die Ursachen dergeringeren Steuerkraft anzugehen, die natürlich im Be-reich der Wirtschaftskraft liegen.Wir haben im letzten Bericht herausgearbeitet, dasssich – Herr Kühn, Sie weisen zu Recht darauf hin – derverbliebene Abstand beim Bruttoinlandsprodukt voncirca 20 bis 25 Prozent in den letzten Jahren kaum ver-ändert hat, und versucht, zu analysieren, welches die Ur-sachen dieser Lücke sind. Wir sind dabei zu dem Schlussgekommen, dass wir es vor allem mit strukturellen Ursa-chen zu tun haben, die mit der Unternehmensstruktur inOstdeutschland in Zusammenhang stehen: Dem Ostenfehlen Unternehmenssitze von Großunternehmen. Wirhaben dort deshalb Kleinteiligkeitsnachteile, die in einergeringeren Ertragsbündelung und damit in einem gerin-geren Steueraufkommen resultieren. Entsprechend ge-ringer sind deshalb auch – was nicht unterschätzt werdendarf – die wirtschaftseigenen Forschungs- und Entwick-lungskapazitäten.
In Westdeutschland sind 2010 2 Prozent des dortigenBruttoinlandsprodukts in wirtschaftseigene Forschungs-und Entwicklungskapazitäten investiert worden. In Ost-deutschland waren es weniger als 1 Prozent, und das be-
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Dr. Christoph Bergner
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zogen auf das niedrigere Bruttoinlandsprodukt Ost. We-gen dieser Strukturnachteile ist wirtschaftseigeneForschung und Entwicklung in Ostdeutschland deutlichschwächer ausgeprägt. Die ostdeutsche Wirtschaft istferner, um einen weiteren Punkt zu nennen, wenigerstark international verflochten, was sich in der Export-quote niederschlägt.Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb gemeinsamwichtige Schlussfolgerungen aus dem Bericht gezogen:Erstens. Wir brauchen im Osten weiterhin wachs-tumsfördernde Strukturpolitik, eine Fortsetzung des So-lidarpakts, Investitionsförderung nach den Gemein-schaftsaufgaben und den Einsatz von Mitteln aus demEU-Strukturfonds sowie eine Überführung dieser Maß-nahmen in ein System der Förderung strukturschwacherRegionen nach 2019, Stichwort „Bund-Länder-Finanz-kommission“.Zweitens. Wir brauchen im Osten mehr öffentlich ge-förderte Finanzierung von FuE-Leistungen als im Wes-ten. Die neuen Bundesländer haben in Europa diehöchste Quote an öffentlich geförderter FuE-Leistung.Dies ist eine wertvolle und wichtige Voraussetzung fürzukünftiges Wirtschaftswachstum. Ich freue mich des-halb, dass im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu dengemeinnützigen Forschungs-GmbHs enthalten ist. Ichhoffe, dass die Länder auch bei der Kofinanzierung desHochschulpakts ihrer Verantwortung gerecht werden.Ich denke, wir sollten auch weiterhin versuchen, kreativzu sein, beispielsweise wenn es um Fraunhofer-Zentrenoder anderes geht, wo die neuen Länder durchaus Vor-läufer sein können.
Drittens. Wir brauchen eine Förderung der internatio-nalen Verflechtung der Wirtschaft der neuen Bundeslän-der. Ich bin dankbar, dass im Koalitionsvertrag die be-sondere Bedeutung von Germany Trade and Invest fürdie neuen Länder festgehalten wurde.Viertens. Verflechtung und die Bildung innovativerCluster sind insgesamt wichtig für den Wettbewerb; fürdie wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländerist diese Strategie jedoch überlebenswichtig.Das sind gewissermaßen die strategischen Linien, dieim Koalitionsvertrag aufgezeigt werden und mit denenwir in die Zukunft gehen können. Ich denke, wir solltenversuchen, den Koalitionsvertrag kreativ auszufüllenund nach weiteren Möglichkeiten für die Entwicklungder neuen Bundesländer zu suchen, auch um die Lückein der Steuerkraft zukünftig schließen zu können.Frau Kollegin Gleicke, als ich Ihnen eine glücklicheHand wünschte, hatte ich noch etwas anderes im Blick,nämlich das, womit ich in meinem Amt die meisten Pro-bleme hatte: die Kontrolle der Wirkung von politischenMaßnahmen – sei es in der Gesetzgebung oder sonst – inBezug auf eine besondere Betroffenheit der neuen Bun-desländer. Das ist eine gigantische Herausforderung. Wirhaben über Einzelthemen ja sehr offen gesprochen.Ich will, weil die Rentenrechtsänderung angespro-chen wurde, noch einmal deutlich sagen: Die Lesart vonHerrn Bartsch, Kinder von Ostmüttern seien uns wenigerwert als Kinder von Westmüttern, ist allenfalls ein Be-weis dafür, dass man das Rentenrecht nicht verstandenhat.
Man kann natürlich aus Unkenntnis demagogisch wer-den, aber mit einer solchen Argumentation hilft man denMenschen in den neuen Bundesländern überhaupt nicht.
Wir sollten eher darauf achten, dass wir den Vorteildurch die Höherbewertung, der im Rentenrecht einewichtige Errungenschaft für die neuen Bundesländer ist,nicht leichtfertig für ein Linsengericht aufgeben,
und versuchen, zu bewahren, was im gesamtdeutschenRahmen bewahrt werden kann.Weil er ausdrücklich genannt wurde und unserem Ko-alitionspartner besonders wichtig ist, komme ichschließlich noch zum Mindestlohn.
Fassen Sie sich beim Mindestlohn bitte kurz.
Ich gebe mir Mühe.
Danke.
Ich weiß von der Hoffnung, dass man mit einem ein-heitlichen Mindestlohn für eine hohe Zahl von Beschäf-tigten im Osten höhere Einkommen erreichen kann. Ichbitte aber, nicht zu vergessen, dass diese Löhne von Un-ternehmen gezahlt werden müssen, die im Wettbewerbstehen.
Ich bitte auch, nicht zu vergessen, dass wir im Ostennach wie vor eine höhere Quote von Langzeitarbeitslo-sen haben. Wir haben bereits jetzt Schwierigkeiten, siein den Wirtschaftsprozess einzugliedern, und bei hohenLohnkosten werden diese Schwierigkeiten noch wach-sen.Wir stehen koalitionstreu zu der gefundenen Lösung,
aber
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Dr. Christoph Bergner
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mein Appell und meine Bitte gehen dahin, nicht nur dieVorzüge im Blick zu haben, sondern auch die Problemeund Risiken, die im Osten regional sehr viel größer sindals im Westen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege Dr. Bergner. – Nächste Rednerin
ist Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Frau
Gleicke, erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie zu
diesem Jubiläum auch so deutliche Worte zur Ukraine
gefunden haben. Gestern waren einige von uns doch
ziemlich erschüttert, weil aus den Reihen der Linken die
Frage gestellt wurde, warum man in der Ukraine über-
haupt für Verfassungsänderungen auf die Straße gehen
müsse. Daher nochmals vielen Dank für Ihre deutlichen
Worte zu diesem Bereich.
– Die Zwischenfrage von Ihrem Kollegen aus NRW kön-
nen Sie ja im Protokoll noch einmal nachlesen.
Es freut mich zudem sehr, dass es dieser Bericht heute
nicht nur auf die Tagesordnung geschafft hat, sondern
auch darauf geblieben ist; denn was es bedeutet, wenn
man Debatten über Berichte immer wieder vertagt, sieht
man an dem Thema Heimkinderfonds. In dem Bericht
von 2012 lesen wir Zahlen, die leider gar nicht mehr zu-
treffen. Ursprünglich wurde der Fonds mit 40 Millionen
Euro ausgestattet; heute sind die Kassen leer. Nun war-
ten Zehntausende von Opfern des SED-Regimes, die in
diesen Heimen gelebt haben und zum Teil misshandelt
wurden, auf ihre Entschädigungszahlungen. Es ist ge-
rade in einem Jubiläumsjahr wie diesem wirklich be-
schämend, dass hier weiter Pokerverhandlungen geführt
werden.
Ich hoffe sehr, dass das ständige Verschieben der De-
batte über den Bericht kein Omen für das weitere Bemü-
hen um den Stand der deutschen Einheit und auch kein
Omen für Sie ist, Frau Gleicke; denn es freut uns als
Bündnisgrüne wirklich sehr, dass Sie dieses Amt jetzt in-
nehaben und wir somit eine sehr intensive Streiterin für
ostdeutsche Belange haben.
Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern wurde
schon darauf hingewiesen – auch der Bericht macht das
mehr als deutlich –, dass es sehr viele positive Entwick-
lungen gibt. Gerade in puncto Wirtschaftskraft, Löhne
und Arbeitslosenquote bestehen aber noch immer sehr
große Unterschiede.
Herr Hauptmann, ja, es hat deutliche Verbesserungen
bei den Arbeitslosenzahlen gegeben; aber von blühenden
Landschaften kann man zumindest bei mir in Branden-
burg definitiv nicht überall sprechen.
– In Potsdam schon, aber nicht in Regionen der Ucker-
mark mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit und in Städten mit
über 20 Prozent Arbeitslosigkeit. – Bei diesen Zahlen
sollte man auch einmal bedenken: Die Jobs, die seit 2011
neu entstanden sind, sind durch die Bank neue sozialver-
sicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigungen, aber keine
Vollzeitbeschäftigungen.
Daran müssen wir weiter arbeiten.
Deswegen ist für uns Grüne die Laufzeit der Solidar-
paktmittel bis 2019 einwandfrei klar. Ich stimme Ihnen
zu: Das muss man gerade in Richtung der Bundesländer
sagen, die hier Klagen führen wollen. Gerade die Korb-II-
Mittel müssen auf jeden Fall weiter zum Tragen kom-
men, weil diese Investitionsmittel auch in den weiteren
Jahren für die ostdeutschen Bundesländer essenziell
sind. Das bedeutet auch, dass wir nach 2019 die Regio-
nen Ostdeutschlands weiter im Blick haben müssen,
ohne natürlich die strukturschwachen Regionen in West-
deutschland außer Acht zu lassen.
Es freut uns sehr, Frau Gleicke, dass Sie in Ihren Presse-
äußerungen sehr deutlich gemacht haben, dass wir diese
Probleme und Herausforderungen in Ost und West, Nord
und Süd gemeinsam angehen müssen. Wir hoffen sehr,
dass die Frage der finanziellen Ausstattung im kommen-
den Bericht eine ganz andere Bedeutung bekommen
wird. Jetzt steht in diesem Bericht dazu lediglich ein
ganz kleiner Absatz. Aspekte wie Kommunalaufsicht,
Kommunalverschuldung und Kassenkredite fehlen in
diesem Bericht völlig, obwohl es für die Regionen in
Ostdeutschland genauso wie für die in Westdeutschland
eine Herausforderung ist, dass die Kommunen gewisse
Aufgaben einfach nicht mehr erfüllen können.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage desKollegen Patzelt?
Ja.
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Bitte schön, Herr Patzelt.
Meine Wortmeldung ist leider sehr spät wahrgenom-
men worden. Ich komme zurück auf Ihre erste Einlas-
sung zur Frage der Entschädigung oder, wie wir es
sagen, der Hilfen für ehemalige Heimkinder in Ost und
West. Haben Sie sich persönlich die Zahlen einmal ange-
schaut, oder sind sie Ihnen von irgendjemandem kolpor-
tiert worden? Sie stimmen nämlich nicht mit den Zahlen
und der Situation überein, die wir auch im Ausschuss, in
dem Ihre Fraktionskollegen anwesend waren, diskutiert
haben und in dem wir auch von einem Vertreter des
Ministeriums die entsprechenden Antworten bekommen
haben, die deutlich machen, dass alles auf einem guten
Weg ist und dass in drei Wochen damit zu rechnen ist,
dass der Fonds in der bisherigen Weise weiterarbeitet.
Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie mit Ihren Äu-
ßerungen hier im Parlament, die auch in die Öffentlich-
keit getragen werden, diese ehemaligen Heimkinder
erneut verunsichern? Wir bringen das Ganze auf einen
guten Weg, und Sie äußern sich hierzu in einer Weise,
als läge hier alles im Argen, was gar nicht stimmt.
Ich weiß nicht genau, welche Zahlen Sie meinen.
Meinen Sie die Zahl von 40 Millionen Euro, die seit
2012 im Topf sind? Oder beziehen Sie sich auf die
10 000 Menschen, die auf der Warteliste stehen, weil die
Mittel aufgebraucht sind und es keine neuen Gelder für
den Fonds gibt? Sie haben gesagt, ich hätte falsche Zah-
len genannt. Diese Zahlen habe ich genannt. Wenn Sie
diese als falsch ansehen, dann können Sie das vielleicht
einmal darstellen.
Ich habe auf die Problematik hingewiesen, dass die
Mittel – das war klar – zur Neige gingen. Das hätte hier
diskutiert werden können, hätten wir den Bericht aus
dem Jahre 2012 nicht erst im Jahre 2014 debattiert, son-
dern schon ein bisschen früher. Frau Gleicke hat ein-
gangs noch einmal erwähnt, dass dieses Problem in den
letzten Wochen und Monaten immer wieder erörtert
wurde und dass man nicht zu einer Lösung gekommen
ist und dass es dazu auch in Ihrem Koalitionsvertrag
keine klare Aussage gab.
Das wurde jetzt im Bundestag diskutiert.
Wenn das in den nächsten Monaten auf den Weg ge-
bracht wird, ist das gut. Aber derzeit ist es so, dass viele
Menschen verunsichert sind, weil gesagt wurde: Diejeni-
gen, die nach dem Windhundprinzip schon etwas be-
kommen haben, können sich freuen. Diejenigen, die spä-
ter kommen, werden wohl weniger erhalten.
Darüber wurde in den letzten Wochen immer wieder dis-
kutiert: vor Ort, in der Presse und auch sonst. Es ist
wichtig, dass da Druck erzeugt wurde, um dieses Pro-
blem endlich anzugehen.
Erlauben Sie eine Nachfrage oder Nachbemerkung?
Ja.
Bitte schön.
Sie haben davon gesprochen, dass in dieser Sache ge-
pokert wird. Das ist doch schon eine sehr merkwürdige
Behauptung, wenn alle Äußerungen, die sowohl vom
Ministerium als auch von Fachpolitikern kamen, eindeu-
tig waren und nie Zweifel daran ließen, dass diese Ent-
schädigungen in gleicher Höhe weitergezahlt werden.
Worüber Journalisten spekulieren, ist eine andere Frage,
aber das ist nicht Gegenstand unserer Diskussion hier.
Eine Diskussion kann es nur auf der Grundlage verlässli-
cher Aussagen vonseiten der Bundesregierung und auch
der Politiker geben.
Ich bitte Sie noch einmal: Es geht mir darum, dass
diejenigen, die schon viel Leid erfahren haben, nicht
durch solche Diskussionen und Behauptungen wieder
verunsichert werden.
Danke.
Ich glaube nicht, dass die Menschen dadurch, dass
dieses Thema in einer Plenarsitzung des Bundestages ei-
nen hohen Stellenwert hat, verunsichert werden und sie
den Eindruck gewinnen, dass wir dieses Thema nicht
ernst genug nehmen. Es ist nach wie vor unklar, wie die
Gelder zwischen Bund und Ländern verteilt werden. Es
wird derzeit diskutiert, wer welchen Anteil zahlt. Dass es
nach wie vor Diskussionen zwischen Bund und Ländern
über die Aufteilung gibt, bestreiten Sie sicherlich auch
nicht.
Wenn wir uns in diesem Hause alle darin einig sind,
zu einer guten Lösung zu kommen, ist das umso besser.
Aber ein gewisser Druck ist immer wieder wichtig, da-
mit das nicht auf die lange Bank geschoben wird.
Danke, Herr Kollege. – Jetzt geht es mit der Redeweiter.
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Wenn wir uns in den nächsten Jahren in Ost und West,Nord und Süd gemeinsam aufstellen wollen, dann ist es,glaube ich, wichtig, dass der Bericht in Zukunft eine an-dere Struktur erhält, als nur eine Aneinanderreihung vonZahlen zu sein. Im Anhang gibt es eine lange Tabelle mitallen Maßnahmen, was durch die Bank weg gemachtwurde. Es gibt keine Evaluation, was wie gewirkt hat,sondern man hat alles aneinandergeklatscht.Dabei war eigentlich der Arbeitsauftrag – das stehtauf Seite 3 des Berichtes –, „ihre Politik“ – also die Poli-tik der Bundesregierung – „zur Angleichung der sozia-len, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens-bedingungen der Menschen im vereinten Deutschland“darzustellen. In dem Bericht wird aber nicht die Politikdargestellt. Es wurde nicht gefragt: Was wurde gemacht?Wie hat das gewirkt? Was haben wir daraus gelernt?Stattdessen wurden nur Zahlen dargestellt, ohne sie ir-gendwie auszuwerten.Wenn wir jetzt gemeinsam daran arbeiten wollen, istes, glaube ich, auch mit Blick auf die Zeit nach 2019wichtig, zu fragen: Was lernen wir aus den letzten25 Jahren? Statt nur Zahlen aneinanderzureihen, solltenwir fragen: Was ist die Wirkungskontrolle unserer Poli-tik? Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen das gerademit Blick auf Ostdeutschland dringend notwendig gewe-sen wäre.Nehmen wir zum Beispiel die Extremismusklausel. Indem Bericht wird zwar das Thema Demokratie ange-sprochen, aber zu dem Stichwort „Extremismusklausel“ist darin nichts enthalten. Was ist denn passiert, als mandiese Klausel eingeführt hat? Wie hat man die Organisa-tionen gerade in Ostdeutschland verunsichert, ob sie mitihrer politischen Arbeit noch wirken können? Dazu stehtin dem Bericht nichts.
– Darauf komme ich gleich.Dann hat man von SPD-Seite versprochen, das zu än-dern. Jetzt hat Frau Schwesig einen Vorschlag gemacht,der an der eigentlichen Tatsache in der Substanz nichtviel ändert.
Genau solche Punkte sollte man auch in solchen Berei-chen selbstkritisch diskutieren.
Dass Sie auch den Mindestlohn wieder infrage ge-stellt haben, hat mich sehr überrascht, Herr Bergner, ob-wohl Sie das im Koalitionsvertrag richtigerweise festge-schrieben haben.
Ich bitte Sie, sich auch beim Mindestlohn kurzzufas-
sen, weil Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben.
In Brandenburg hat man nach jahrelangem Ringen
unter Rot-Rot endlich im Vergabegesetz einen Mindest-
lohn von 8,50 Euro eingeführt. Ursprünglich waren es
übrigens 8 Euro, liebe Linke.
Die Betriebe, die, wie Sie behaupten, deshalb plötz-
lich zusammengebrochen sind, gibt es nicht. Dass kleine
Betriebe in Brandenburg deshalb zusammengebrochen
sind, weil sie diesen Lohn nicht zahlen können, stimmt
nicht. Der Hinweis „Kann man sich das im Osten über-
haupt leisten?“ ist an den Haaren herbeigezogen. Man
kann es sich nicht nur leisten, sondern man muss es sich
leisten: zum Wohle der Menschen und der wirtschaftli-
chen Entwicklung in Ostdeutschland.
Was man in fast allen europäischen Ländern schafft,
wird man wohl auch in der stärksten Wirtschaftsnation
Europas schaffen, nämlich endlich einen gesetzlichen
Mindestlohn einzuführen.
Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.
In diesem Sinne komme ich zum Ende.
Vielen Dank.
Danke schön. Nicht dass Sie denken, der Mindestlohn
interessiert uns hier im Präsidium nicht, aber ich muss
auf die Einhaltung der Redezeit achten; denn sonst gibt
es zumindest Ärger.
Nächster Redner ist Wolfgang Tiefensee für die SPD.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!25 Jahre friedliche Revolution: Das lädt dazu ein, zu ver-gleichen. Wie sah es 1989 aus, und wie sieht es 2014aus? Jeder wird wohl sagen, wir haben in diesen 25 Jah-ren Unglaubliches geschafft, und das nicht zuletzt wegender Menschen in Ostdeutschland, der Solidarität derer inWestdeutschland, aber nicht zuletzt auch wegen einerguten Politik über diese 25 Jahre.
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Wolfgang Tiefensee
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Man kann einen anderen Vergleich ziehen. Man kannvergleichen, wie es in Ost- und Südosteuropa aussieht.Dort gab es vergleichbare Verhältnisse. Auch im Ver-gleich dazu sind wir gut vorangekommen.Mir geht es heute wie Ihnen auch noch einmal um denVergleich zwischen Ost und West. Sehr verehrte FrauStaatssekretärin, zunächst einmal Glückwunsch zumAmt und auf gute Zusammenarbeit! Wir haben in diesemBericht einen Paradigmenwechsel. Dieser Paradigmen-wechsel wurde auch in Ihrer Rede zur Einführung deut-lich; Ihre Handschrift wird im nächsten Bericht erkenn-bar sein. Zum ersten Mal geht es – das haben wir ganzdeutlich gehört – neben dem Vergleich zwischen Ost undWest um den Vergleich von Regionen, zum Beispiel vonstrukturschwachen Regionen. Herr Bartsch – er ist leidernicht mehr da –, Herr Kühn, die entscheidende Frage ist:Wenn wir damit Ernst machen, dann müssen wir einStück weit wegkommen von den Vergleichen zwischenOst und West und müssen auf die Regionen schauen.Es gibt Parameter, die zwischen Ost und West vergli-chen werden müssen, aber es gibt noch mehr Parameter,die wir auf die Regionen beziehen müssen. Ich will deut-lich machen, wie ich das meine. Wenn wir über die wirt-schaftliche Entwicklung sprechen und uns die Wirt-schaftskraft ansehen, dann müssen wir feststellen, dassdie Wirtschaftskraft in Ostdeutschland 71 Prozent desdurchschnittlichen Niveaus Deutschlands beträgt – furcht-bar. Wenn man aber zum Beispiel das BIP pro Einwoh-ner auf Ebene der Bundesländer betrachtet – nehmen wirBerlin mit 29 000 Euro heraus –, dann stellt man fest,dass Sachsen mit 23 000 Euro pro Einwohner recht nahan Schleswig-Holstein mit 27 000 Euro pro Einwohnerliegt.Schauen wir uns die Arbeitslosenquote an. Ein Ver-gleich zwischen Ost und West fällt katastrophal aus; sieist im Osten doppelt so hoch. Vergleicht man aber dasLand Sachsen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, dannsieht man, dass es zu einer Angleichung kommt. Ich plä-diere dafür, Frau Staatssekretärin, dass wir neben demVergleich, der üblicherweise gezogen wird, im zukünfti-gen Bericht noch mehr die Regionen betrachten. Daspielt eine Rolle, dass es zum Beispiel Leipzig wirt-schaftlich gesehen wesentlich besser geht als Duisburg.Natürlich gibt es zentrale Probleme. Das eine Pro-blem ist die Arbeitslosigkeit; ich habe sie bereits ange-sprochen. Wir brauchen neue Programme. Die Bürger-arbeit muss weiterentwickelt werden.Das zweite Problem betrifft die Wirtschaftskraft. Ichnenne die GA „Verbesserung der regionalen Wirtschafts-struktur“, denke aber auch an die überregionalen, die na-tionalen Programme, die auch im Osten greifen. Hiermüssen wir zulegen. Das gilt auch für den Investitions-zuschuss Wagniskapital. Es ist ganz wichtig: Es fließt zuwenig in den Osten. Hier müssen wir eine Menge tun.Meine sehr verehrten Damen und Herren, 25 Jahrefriedliche Revolution laden aber auch dazu ein, zuschauen, wie es eigentlich um unsere Demokratie steht,welchen Blick die Menschen, insbesondere die jungenMenschen, auf die Zeit vor 1989 haben. Ich möchte denRest meiner Redezeit darauf verwenden, einen Blick da-rauf zu werfen; dies haben wir auch gerade von derLinksfraktion gehört. Ich möchte daran erinnern, dass eszu 25 Jahren friedlicher Revolution gehört, dass wir eineErinnerungskultur entwickeln, dass wir jeglicher Verklä-rung, jeglicher Schönfärberei entgegentreten, damit esnicht wieder vorkommt, dass eine Diktatur in den Alltageinzieht oder die Demokratie von welcher Seite auch im-mer gefährdet wird.
Ich darf daran erinnern: Es gab viele Menschen, na-mentlich aus der Sozialdemokratie, die aus den Konzen-trationslagern gekommen sind und anschließend wiedereingesperrt worden sind; aus meiner Heimatstadt kommtzum Beispiel Erich Loest, 1957 für siebeneinhalb Jahreim Zuchthaus Bautzen eingesperrt. 138 Opfer gab es ander Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989, 872 Men-schen haben ihr Leben an der innerdeutschen Grenzeverloren, 200 000 bis 250 000 Menschen sind aus politi-schen Gründen inhaftiert worden.Es gibt aber auch Opfer rechtsextremer Gewalttatennach 1989, übrigens in ganz Deutschland. Wir müssenaufpassen, dass es hier nicht zu einer weiteren Verstär-kung kommt. Danke, Frau Schwesig, dass Sie die Extre-mismusklausel abgeschafft haben.
Wir haben jährlich 800 bis 1 000 Gewalttaten mit rechts-extremistischem Hintergrund. Die offiziellen Zahlen be-sagen, dass 63 Menschen durch Straftaten mit rechtsex-tremem Hintergrund umgekommen sind; die Zahlen derOpferberatungsstellen besagen sogar 180 Todesopfer.Wenn wir einerseits eine Diktatur vor 1989 verklärenund wenn wir es andererseits zulassen, dass eine andereDiktatur, nämlich die bis 1945, verherrlicht wird und da-raus solche Straftaten geschehen, dann ist unsere Demo-kratie nicht sicher und muss immer wieder erkämpftwerden.Ich freue mich auf den nächsten Bericht, der zu alldiesen Themen sicherlich in neuer Weise Stellung neh-men wird. Auf gute Zusammenarbeit!Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Tiefensee.
Nächster Redner in der Debatte ist Eckhardt Rehberg
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-ordneten! Zum Thema Heimkinder wollte ich eigentlichnichts sagen. Da die Kollegin der Grünen darauf so aus-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1405
Eckhardt Rehberg
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führlich eingegangen ist, nur so viel: Erstens. Es war vorzwei Jahren schwierig, valide Zahlen zu bekommen.
Zwischen 1949 und 1990 sind fast 500 000 Kinder in derDDR durch Heime gegangen. Torgau ist sicherlich nurdie Spitze des Eisbergs. Es gab in der DDR breit ver-streut Spezialkinderheime und Übergangsheime undkein Zentralarchiv. Deswegen war es sehr schwierig, da-mals valide Zahlen zu bekommen. Frau Baerbock, ichmöchte Ihren Einlassungen entgegentreten. Hier wirdnicht gepokert. Kollege Heil hat vorhin in einem anderenZusammenhang zugerufen, an geschlossene Verträgemüsse man sich halten. Das ist unsere Forderung gegen-über den Ländern. Es bleibt bei der 50/50-Verteilung.Dann brauchen wir in einem zweiten Schritt wirklichvalide Zahlen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben40 Millionen Euro im Fonds. Im Augenblick stehen aber200 Millionen Euro in Rede. Da die Betroffenen ledig-lich eine Plausibilitätserklärung abgeben müssen, mussdie Entscheidung, wenn wir eine solche zugunsten desFonds treffen, tragfähig sein, und zwar nicht nur heute,sondern auch morgen und übermorgen. Ich kann für dieUnionsfraktion an dieser Stelle erklären, dass wir zu un-serer Verantwortung stehen und das ausfinanzieren wer-den. Ich sende aber gleichzeitig den Appell an die Län-der, auf gleiche Art und Weise zu ihrer Verantwortung zustehen.
Wer sich ein bisschen damit befasst hat, was in den inRede stehenden Heimen geschehen ist, weiß, dass dortzum Beispiel Zehn-, Zwölf-, Dreizehn- und Vierzehnjäh-rige Kinderarbeit und Nachtarbeit verrichten mussten.Kollege Tiefensee, Sie haben die Erinnerungskultur an-gesprochen. Gerade dieses Thema eignet sich besondersgut, den Unrechtsstaat DDR zu beschreiben. Der Um-gang mit Kindern in den damaligen Heimen der DDRstellt Menschenrechtsverletzungen dar, wie ich sie mirpersönlich nicht vorstellen konnte. Die Aufarbeitunghier tut dringend not.
Wenn wir nun Vergleiche und Bilanzen ziehen, dürfenwir nicht vergessen, dass die meisten neuen Bundeslän-der mittlerweile ihre Hausaufgaben betreffend die Lan-deshaushalte gemacht haben. So haben 2013 Branden-burg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringenund sogar Berlin und Sachsen-Anhalt Finanzierungs-überschüsse aufzuweisen. Das heißt, der Solidarpaktgreift. Einige Länder sind zur Schuldentilgung überge-gangen. Es werden Rücklagen für Pensionsfonds gebil-det. Aber wir dürfen an dieser Stelle nicht vergessen,dass der Bund viele Aufgaben übernimmt. So über-nimmt er ab 1. Januar 2014 die Grundsicherung im Alterkomplett. Das sind für ganz Deutschland 5 MilliardenEuro und für mein Heimatbundesland 75 MillionenEuro. Beim Krippenausbau hat der Bund seine Ver-pflichtungen hundertprozentig erfüllt, genauso beimHochschulpakt. Hinzu kommen Entflechtungsmittel inHöhe von rund 2,5 Milliarden Euro, mit denen die Län-der nicht rechnen konnten. Ich war 15 Jahre Mitglied ei-nes Landtags und bin nun Abgeordneter des Bundestags.Meine dringende Forderung an die Länder lautet, dassdas, was für Hochschulen, Kommunen, den öffentlichenPersonennahverkehr und die Förderung des sozialenWohnraums vorgesehen ist, auch dafür eingesetzt wirdund nicht irgendwo im Landeshaushalt verschwindet.
Ich spreche das deswegen so dezidiert an, weil dieMinisterpräsidenten der neuen Bundesländer folgendenBeschluss gefasst haben – viele wissen das nicht; daransind alle beteiligt, die Linke über die Regierungsbeteili-gung in Brandenburg genauso wie SPD und Union –:Insbesondere wurde die Bundesregierung dazu auf-gefordert, angesichts der zurückgehenden Struktur-fondsmittel in der Förderperiode ab 2014 und desWegfalls der Investitionszulage von der Auflagevon Bundesprogrammen im Bereich EFRE undESF abzusehen und diese Mittel vollständig denLändern zur Verfügung zu stellen.Allein im Zeitraum von 2009 bis 2013 sind EFRE-Mittelin Höhe von 1,1 Milliarden Euro in Infrastrukturprojektein den neuen Ländern geflossen.Schauen wir uns einmal das Thema A 14 an. Aufmecklenburg-vorpommerschem Gebiet werden wir bis2015 die EFRE-Mittel ausgeben können. Aber was istmit Sachsen-Anhalt? Sachsen-Anhalt ist eines der wich-tigen Gebiete für die Seehafenhinterlandanbindung unddie wichtigen transnationalen Netze. Dafür werden keineEFRE-Mittel mehr zur Verfügung stehen. Die aktuelleKostenschätzung beträgt übrigens 525 Millionen Euro.Wer glaubt, dass der Bund die rund 1 Milliarde Euroaus seinem Bundeshaushalt wird ersetzen können, derirrt sich. Dazu kommt noch etwas – ich spreche das sehroffen an; Kollege Tiefensee kennt die Finanzierungspra-xis –: ein Drittel EFRE-Mittel, ein Drittel Bundesmittel,ein Drittel Länderquote. Das heißt, die 1,1 MilliardenEuro sind eigentlich 1,5 Milliarden Euro bis 1,7 Milliar-den Euro. Ich spreche das auch deswegen an, weil wiruns in unserer Fraktion ganz massiv für die transeuropä-ischen Korridore eingesetzt haben. Welchen Sinn machtdenn Ihr Beschluss, meine Damen und Herren Minister-präsidentinnen und Ministerpräsidenten? Wir setzen unsfür den transeuropäischen Korridor über Ungarn, Prag/Tschechien, Dresden, Berlin an die Ostseeküste undnach Hamburg ein, wir müssen die Strecke Prag–Dres-den–Berlin schienenmäßig ausbauen, wir müssen dieA 72 fertigstellen, wir müssen die A 14 fertigstellen, undSie fassen so einen Beschluss und entziehen uns Mittelfür den Aufbau in den neuen Bundesländern.
Kollege Tiefensee, Sie haben hier von Regionen ge-sprochen. Wenn ich Entwicklungen regional betrachte,dann muss ich auch das Thema Lohn regional betrach-ten. Übrigens, es gibt natürlich ein Einkommensgefällein Hessen, zwischen Nordhessen und Südhessen. FragenSie den Kollegen Wichtel. Natürlich gibt es ein Einkom-mensgefälle zwischen Schleswig-Holstein und Bayern
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Eckhardt Rehberg
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oder Baden-Württemberg. Der IG-Metall-Tarif ist nichtgleich.
– Lassen Sie mich ganz in Ruhe weitersprechen. Ichstehe zu abgeschlossenen Verträgen. Ich finde es sehrgut, dass wir eine dreijährige Übergangszeit haben.Ich will Ihnen kurz eine Rechnung aufmachen. Bei1 Euro brutto mehr Lohn müssen in einem kleinen Fri-seurbetrieb oder in einem kleinen Gastronomiebetrieb4 000 Euro mehr Umsatz erzielt werden, damit diese Be-triebe eine schwarze Null schreiben. Das ist ganz ein-fach: 1 Euro mehr Lohn für den Angestellten bedeutet2 Euro Personalkosten für den Arbeitgeber. Das multi-pliziert mit 170 Stunden und zwölf Monaten ergibt dieseSumme. So einfach ist die Rechnung. Wer hier so leicht-fertig über dieses Thema hinweggeht, dem rate ich drin-gend: Gehen Sie vor Ort und fragen Sie die Unternehme-rinnen und Unternehmer. Manche, Frau Baerbock,werden diese Kosten über eine Erhöhung der Preisenicht kompensieren können. Das wird nicht möglichsein. Wo dann die Kosten eingespart werden, damit derBetrieb weiterleben kann und Arbeitsplätze erhaltenwerden können, weiß man nicht. Sich so einfach hiervom Acker zu machen, das ist mir ein bisschen zu billig.
Herr Rehberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
eine Bemerkung vom Kollegen Tiefensee?
Immer. Gerne.
Bitte.
Herr Rehberg, die Frau Präsidentin hat schon mehr-
fach darauf hingewiesen, dass der Mindestlohn ein
Hauptthema ist.
Deswegen habe ich ihn zwei Minuten vor Ende mei-
ner Redezeit angesprochen.
Weil das so oft kommt, muss ich doch einmal darauf
reagieren. Ich will meine Frage an dem konkreten Bei-
spiel festmachen, das Sie gerade genannt haben. Wir
beide haben eine ähnliche Frisur.
Ist das die Frage: Warum?
Nein, das war zunächst eine Feststellung.
Das droht manchem, der jetzt noch lacht.
Ich bin unlängst, wie auch Sie, beim Friseur gewesen,
und zwar in Leipzig. – Sieht man es nicht? – Bei diesem
Friseur steht ein Schild mit der Aufschrift: Meine sehr
verehrten Damen und Herren, wir müssen ab Au-
gust 2013 einen höheren Preis nehmen, weil wir einen
höheren Tariflohn zahlen. – Sie wissen, das geht in Stu-
fen von 2013 über 2014 bis 2015 bis auf 8,50 Euro. Ich
habe die Dame, während sie beschäftigt war, gefragt:
Wie gehen denn die Kunden jetzt damit um? Sie hat mir
zwei Antworten der Kunden genannt. Die erste war:
Ach, wir wussten gar nicht, dass Sie weniger als
7,50 Euro verdienen. – Die zweite Antwort der Kunden
war: Wenn dieses Geld, das wir bezahlen, direkt in Ihre
Tasche geht, dann sind wir bereit, es zu zahlen.
Warum soll das nicht funktionieren? Oder umgekehrt:
Was haben Sie, Herr Rehberg, eigentlich für eine Idee,
wenn immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird,
dass in Ostdeutschland die Dumpinglöhne beendet wer-
den müssen und wir nicht mit niedrigen Löhnen in Ost-
deutschland werben dürfen, wenn wir nicht auf diese Art
und Weise eine Lohnuntergrenze einziehen und somit
ein Netz schaffen?
Ich bin immer sehr für soziale Netze, die engmaschigsind; aber sie müssen natürlich auch verkraftbar sein.Ich komme Ihnen jetzt einmal mit einem anderen Bei-spiel: Ein Gastronomieunternehmer mitten in Mecklen-burg – strukturell sehr schwach gelegen; Träger ist einWohlfahrtsverband; rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter – muss allein für den Mindestlohn 25 000 Euroaufwenden. Aber das ist ja noch nicht das Ende: DerKoch, der heute 8,70 Euro verdient, will 10,70 Euro be-kommen; na klar. Dann kommen für diesen Unterneh-mer noch 75 000 Euro an Lohnkosten dazu: Damit ihmdas Sozialgefüge in seinem Betrieb nicht auseinander-bricht, damit dort nicht Neid und Missgunst herrschen,müssen nämlich alle anderen Löhne an- und ausgegli-chen werden.
Insgesamt sind es rund 100 000 Euro Lohnkosten, diedurch mehr Umsatz ausgeglichen werden müssen. Wis-sen Sie, um wie viel der Umsatz eines solchen Unterneh-mens steigen muss? Um 20 Prozent.Noch einmal – damit ich hier nicht missverstandenwerde –: Ich stehe zu dem, was im Koalitionsvertragsteht. Ich wehre mich bloß gegen einseitige Betrachtun-gen, die so weit gehen, dass Gewerkschaftsvorsitzendesagen: Mir ist ganz egal, was aus den Arbeitsplätzenwird. – Ich muss Ihnen sagen: Mir ist das gerade mitBlick auf mein strukturschwaches Heimatland, auf mei-nen strukturschwachen Wahlkreis nicht egal.
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Eckhardt Rehberg
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Kollege Bergner ist auf das Thema Rente schon ein-gegangen. Man sollte darüber in aller Ruhe nachdenken.Ich finde, es ist eine eindimensionale Betrachtung, wennhier nur von der Rentenangleichung geredet wird. Eineinheitliches Rentenrecht Ost und West bedeutet zwarden gleichen Rentenwert, bedeutet aber auch, dass dieHöherbewertung der Löhne automatisch wegfällt.
– Natürlich. Welchem Lohnempfänger in Kiel, in Flens-burg oder in Lüneburg wollen Sie denn bitte klarmachen,Herr Kollege, dass zwar in ganz Deutschland der gleicheRentenwert gilt, dass sein Lohn nicht höher bewertetwird, dass die Löhne der Menschen in den neuen Bun-desländern aber weiterhin höher bewertet werden? Daskann man doch niemandem klarmachen. EntschuldigenSie, bitte!Ich bitte wirklich alle Kolleginnen und Kollegen ganzherzlich darum, zu bedenken – die Statistiken und Bilan-zen können Sie gerne in meinem Büro anfordern –: JederBruttolohn im Osten führt heute, wo die Durchschnitts-rente im Osten 91,5 Prozent der Durchschnittsrente imWesten ausmacht, aufgrund der Höherbewertung dazu,dass die Rentenanwartschaften im Osten höher als imWesten sind. Und diesen Vorteil sollen wir Ostdeutschenuns leichtfertig nehmen lassen?Meine letzte Bemerkung an dieser Stelle. Schauen Siesich einmal die Höherbewertungsfaktoren bei der Müt-terrente aus den 1970er- und 1980er-Jahren an: Damalswurden die Lohnhöhen teilweise mit dem Faktor 3,3malgenommen. Jetzt schauen Sie sich einmal die Alters-armutsstatistiken in Ostdeutschland an: Strukturell gibtes dort nur halb so viele Menschen in der Grundsiche-rung im Alter, also in der Altersarmut, wie in West-deutschland. Der Faktor „Höherbewertung der Löhne fürdie Rente“ hat mit dazu beigetragen, dass die Altersar-mut im Osten nur halb so groß ist wie im Westen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist Daniela Kolbe für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal möchte auch ich meinenDank an Herrn Dr. Bergner richten, der den „Jahresbe-richt zum Stand der Deutschen Einheit 2013“, über denwir heute sprechen, erarbeitet hat. Ihn präsentiert hat al-lerdings – das ist manchmal so im Leben – jemand an-ders. Hier war es Iris Gleicke. Ich möchte an dieserStelle Herzlichen Glückwunsch sagen. Für mich ganzpersönlich, aber auch für die gesamte SPD-Fraktionmöchte ich zum Ausdruck bringen: Wir freuen uns riesigauf die Zusammenarbeit mit dir im neuen Amt.
Uns alle, die sich hier gerade in diesem Raum aufhal-ten, eint die Grundhaltung, dass auch 25 Jahre nach derfriedlichen Revolution die Frage der deutschen Einheitund des Aufbaus Ost nach wie vor ein wichtiges Themaist. Dafür gibt es für mich zwei große Begründungs-stränge:Der eine Begründungsstrang ist: Die innere Einheit istnach wie vor nicht vollendet. Ich bin über eine Forsa-Umfrage von Dezember letzten Jahres gestolpert. Darinist nach der Mauer in den Köpfen gefragt worden.60 Prozent der Befragten sagten: Ja, es gibt die Mauer inden Köpfen noch. – Bei den Älteren ist diese Vorstellungnoch stärker ausgeprägt. Aber auch von den Jüngeren,den 18- bis 29-Jährigen, sagt mehr als die Hälfte, dass danoch eine Mauer in den Köpfen und das Zusammen-wachsen eben noch nicht vollendet sei.Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass wir nachwie vor eine Beauftragte für die neuen Länder haben. Esgibt spezifisch ostdeutsche Themen, auf die man spezi-fisch gucken muss. Es gibt spezifische Ungerechtigkei-ten, die wir angehen müssen. Es gibt auch einen ganzunterschiedlichen Erfahrungshintergrund, unterschiedli-che Kulturen und unterschiedliche Empfindungen. Des-halb ist es wichtig, dass wir die Beauftragte für dieneuen Länder nach wie vor haben.Der zweite Punkt ist die Frage der Angleichung derLebensverhältnisse. Es ist eine der treibenden Fragen füralle Menschen, die Politik machen, dass Menschen gleich-wertige Lebensverhältnisse vorfinden. An dem Punktwird klar, dass wir den Aufbau Ost weiterentwickelnmüssen, dass es nicht mehr darum geht, nach Himmels-richtung zu unterscheiden. Wir sehen dynamische Re-gionen in Ostdeutschland – Jena, Leipzig und andere –,wo es richtig brummt, aber auch solche Regionen, wo esnoch nicht so gut läuft. Wir sehen weiter, dass es auch inden sogenannten alten Bundesländern Regionen gibt, dieUnterstützung brauchen.Ich bin sehr froh, dass die jetzige Bundesregierungden ganzen Aufbau Ost zweigeteilt neu aufstellt. Es gehtdarum, einerseits regionale Unterschiedlichkeiten zu se-hen, andererseits aber auch spezifisch ostdeutsche The-men weiter auf der Agenda zu haben. Dafür steht IrisGleicke ganz eindeutig.
Wir brauchen da eine andere Tonlage. Ich glaube, wirhaben die auch. Es ist nicht mehr so, dass die Ostdeut-schen die Schwächeren sind, diejenigen, die empfangenund die man belehrt, während die Westdeutschen die so-lidarischen Geber sind, die alles besser wissen. Nein, eshat sich verändert. Wir sind mittlerweile auf Augenhöhe.Die innere Einheit kann auch nur dann wirklich gelin-gen, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen. An vielenStellen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man
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Daniela Kolbe
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auch vom Osten lernen kann – Demografie, Städtebau,Kitas –, und das ist auch gut so.Jetzt ist die Beauftragte für die neuen Länder im Wirt-schaftsministerium. Das ist in Ordnung. Aber es gibt na-türlich auch im Bereich Arbeit und Soziales viele The-men, die spezifisch für Ostdeutschland sind und die dasGerechtigkeitsempfinden der Ostdeutschen nach wie vorsehr stark beeinflussen. Der als zentral empfundene Un-terschied bei der Gerechtigkeit wird im Rentensystemgesehen. Das ist so. Wir haben jetzt schon viel darübergehört.Ich persönlich bin deshalb stolz, dass sich diese Bun-desregierung vorgenommen hat, die Rentensysteme inOst und West anzugleichen. Ich bin stolz, weil das kom-pliziert ist, weil das auch Geld kosten kann. Ich sageaber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali-tion: Das müssen wir jetzt wirklich umsetzen. Noch ein-mal dürfen wir die Menschen in Ostdeutschland an die-ser Stelle nicht enttäuschen.
Da kommt kurz vor Ende der Redezeit natürlich nocheinmal der Mindestlohn ins Spiel.
– Das muss sein.
Noch 30 Sekunden.
Tatsächlich ist es so: Die Rentenlücke würde sich au-
tomatisch schließen,
wenn die Löhne in Ost und West gleich wären. Deswe-
gen ist es so wichtig, dass wir jetzt den Mindestlohn ein-
führen. Er wird einen Gutteil der Rentenangleichung in
Ost und West erledigen. Davon profitieren die Menschen
in Ostdeutschland, davon profitieren die Rentner, und
davon profitiert auch das Gerechtigkeitsempfinden in
Ost und West.
Ich hätte noch viel mehr zu sagen, aber ich weiß, wer
mir im Rücken sitzt.
Insofern bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und
freue mich auf den nächsten Bericht zum Stand der
Deutschen Einheit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Vielen Dank auch, dass
Sie Ihre Redezeit eingehalten haben. – Jetzt kommt der
Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion als
letzter Redner in dieser Debatte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich habe mir vorgenommen, am Ende der De-batte ein paar zusammenfassende Bemerkungen zu ma-chen. Trotzdem werde ich bei einem Punkt wahrschein-lich noch einmal ins Detail gehen müssen.
Erster Punkt. Herr Kühn, niemand in dieser Rundeoder überhaupt hat behauptet, dass es in Ostdeutschlandnur blühende Landschaften gibt. Nur blühende Land-schaften gibt es in keinem Staat dieser Welt, nicht imWesten und auch nicht im Osten. Aber zu bestreiten,dass es überhaupt solche gibt, halte ich für eine Unver-schämtheit.
– Ich habe genau zugehört.Ich höre aus den verschiedenen Beiträgen heraus,
dass sich die Kritik hauptsächlich auf die noch nichtganz zustande gekommene Angleichung zwischen Ostund West konzentriert. Natürlich kann man eine solcheDebatte zum Anlass nehmen, um darauf zu verweisen;keine Frage. Allerdings sollte meines Erachtens die Be-wertung dieser Unterschiede weit weniger schwer wie-gen als die Beachtung dessen, was bis heute seit 25 Jah-ren geleistet worden ist. Das ist auch eine Frage derFairness gegenüber denjenigen, die das geleistet und diedas ermöglicht haben.Ich habe eine jüngere Schwester,
die, obwohl ich als Kind im Vergleich zu meinen Klas-senkameraden sehr klein war, immer wesentlich kleinerals ich gewesen ist: als sie ein Jahr alt war, als sie fünfJahre alt war, als sie sieben Jahre alt war. Das hing damitzusammen, dass wir zu unterschiedlichen Zeiten gebo-ren sind.Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Beide Ge-sellschaften, die ostdeutsche wie die westdeutsche, diesich schon einen enormen Wohlstand erwirtschaftethatte, wachsen natürlich weiter. Demzufolge sind natür-lich auch solche Unterschiede noch weiter spürbar. Aber
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1409
Arnold Vaatz
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von den jungen Demokratien, die 1990 sozusagen neugeboren wurden, ist die ostdeutsche mit Abstand diewachstumsstärkste, die erfolgreichste, die beste und diestabilste.
Das müssen wir einmal anerkennen.Im Übrigen ist es so, dass der Baum nicht schnellerwächst, wenn man an seinen Zweigen zieht. Auch dasmuss man einmal klar sagen.
In dem Zusammenhang muss ich auch sagen – HerrClaus, das ist das, was mir an Ihrer Partei immer somissfällt –: Sie reden vom souveränen Staat. Damals warder Souverän die Partei, nicht das Volk; das wissen Sie.Oder bestreiten Sie das? Reden wir also von einer souve-ränen Partei. Was haben Sie gemacht? Sie haben diesesLand souverän in den Ruin geführt.
Sie und niemand anderes sind für den Abstand in derLeistungsfähigkeit zwischen Ost und West verantwort-lich, den wir bei der Wiedergeburt der Demokratie inOstdeutschland zu verzeichnen hatten. Das gehört zurRealität. Sie sollten so ehrlich sein, das einzugestehen.
Jetzt will ich noch eine weitere Bemerkung zumThema Rente machen. Ich möchte nicht mehr ins Detailgehen; dazu ist schon sehr viel gesagt worden. HerrBartsch, der der Debatte leider nicht mehr beiwohnenkann, hat gesagt, die Kinder seien uns in Ost und Westunterschiedlich viel wert. Da liegt meines Erachtens einGrundmissverständnis vor. Die Rente ist keine Leistungfür die Kinder, sondern die Leistung, die durch die Rentebewertet wird, ist eine Leistung für die Mütter. Die Kin-der, die bis 1992 geboren wurden und für die es jetzt diePunkte gibt,
sind genau diejenigen, die für diese Rente aufkommen,und nicht diejenigen, die nachträglich durch diese Rentebewertet werden. Man sollte überhaupt keine Kinderdurch Geld bewerten.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der indieser Debatte noch nicht so deutlich angesprochen wor-den ist. Wir haben ja sehr viel über das Thema Solidar-pakt gehört. Wir wissen auch alle, dass wir vor schwieri-gen Verhandlungen stehen, was die Neuordnung derBund-Länder-Finanzen in der nächsten Zeit betrifft. Wirmüssen das in den Griff bekommen. Wir wissen, dassder Solidarpakt im Jahr 2019 endet.Ich glaube, dass der heutige Tag ein Anlass seinsollte, die Leistung der ostdeutschen Länder in diesemZusammenhang zu würdigen. Die ostdeutschen Länderhaben im letzten Haushaltsjahr 2013 nämlich durchwegÜberschüsse erwirtschaftet. Das sollte man auch einmalsagen. Thüringen hat ein Plus von insgesamt über340 Millionen Euro erwirtschaftet, Sachsen von 820 Mil-lionen und Brandenburg von 700 Millionen. Dem gegen-über stehen die Bilanzen von zum Beispiel NRW mit mi-nus 2,5 Milliarden Euro, Rheinland-Pfalz mit minus550 Millionen Euro und Hamburg mit minus 600 Millio-nen Euro. Hier haben die ostdeutschen Länder Disziplingezeigt. Das sind politisch hart erkämpfte Zahlen.Wir sollten bei der Neugestaltung des Länderfinanz-ausgleichs auf eine Sache achten: Ein Länderfinanzaus-gleich darf nicht so aussehen, dass es den Ländern ge-stattet wird, sich an Verschuldung zu gewöhnen. Er mussso gestaltet werden, dass der Anreiz erhalten bleibt, das-selbe zu leisten wie die ostdeutschen Länder, die sich all-mählich aus einer schwierigen Haushaltslage befreit ha-ben. Dabei sollten die Länder unsere Solidarität undUnterstützung bekommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuletzt aufeinen Punkt zu sprechen kommen, der mir ganz beson-ders am Herzen liegt. Sie alle wissen, dass wir diesesJahr den 25. Jahrestag der friedlichen Revolution bege-hen. Das ist ein Grund, voller Dankbarkeit und auch mitStolz zurückzuschauen; das ist ganz klar. Dieses Datumist aber auch eine Verpflichtung, und zwar die Verpflich-tung, dass man zu derselben Solidarität, die man sich da-mals untereinander gewährt, aber auch von außen emp-fangen hat, bereit ist, wenn andere in derselben Situationsind. Das ist im Augenblick der Fall. Derzeit beobachtenwir eine Auseinandersetzung, von der im Moment keinerin diesem Raum sagen kann, wie sie ausgehen wird. Wirhören täglich von Toten und Verletzten in der Ukraine,hauptsächlich in Kiew. Wir wissen, dass dort Menschenerbittert um ihre Zukunft kämpfen. Es sind im Übrigenauch Menschen, die sowohl unter den Gräueltaten, diedie Deutschen während des Zweiten Weltkriegs dort be-gangen haben, als auch unter dem Holodomor in denJahren 1932 bis 1933 gelitten haben. Während des Holo-domor kam es zur gezielten Entnahme der gesamtenErnte dieser Jahre durch die damalige Sowjetregierungunter Stalin. Die Folge waren 3,5 Millionen Tote. Es istselbstverständlich, dass daraus eine Angst davor erwach-sen kann, was einem blüht, wenn man wieder über vieleJahre völlig unter russischem Einfluss und unter russi-scher Herrschaft steht. Ich werte das als eines der Motivedieser Auseinandersetzung und deren Schärfe.Ich glaube, Deutschland ist wie kaum ein anderesLand aufgerufen, diese Lage zu erkennen und sich soli-darisch zu zeigen. Das gilt aufgrund unserer Geschichtebis 1989 im Übrigen insbesondere für Ostdeutschland.Ich will Ihnen Folgendes sagen – das ist jetzt möglicher-weise ein hartes Wort in Richtung Regierung; ich kannIhnen das aber nicht ersparen –: Ich bin sehr dankbar undfroh, dass die Ministerriege unter Beteiligung von HerrnSteinmeier hilft, die Gewaltexzesse einzudämmen. Wir
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1410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Arnold Vaatz
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hoffen, dass das gelingt. Wir sollten jede Unterstützunggeben.
Man muss aber auch sehen: Es ist inzwischen sehrviel passiert. Ich will Ihnen berichten, was Vasil Maxi-miv erleben musste. Er hat vorgestern eine Blendgranateins Gesicht bekommen, die ihm das Auge zerfetzt hat.Ein Krankenhaus war nicht in der Nähe, weshalb ihmdas Auge ambulant entfernt werden musste, und zwarohne Betäubung. Eine Nachsorge ist im Augenblicknicht möglich. Allerdings hat man ihn aus der Gefahren-zone herausgeholt. Ich würde sofort hinfliegen und wärebereit, die Flüge für ihn und mich aus eigener Tasche zubezahlen, um ihn hierher zu holen, damit eine Nachsorgefür ihn sichergestellt wird. Ich bemühe mich derzeitbeim Auswärtigen Amt um ein Visum. Er bekommt aberkeines. Es ist auch niemand bereit, für die medizinischenKosten aufzukommen. Das halte ich für inakzeptabel.Ich möchte keine Visumsfreiheit für den gesamtenOstblock erreichen. Man muss doch aber in solchenAusnahmesituationen in der Lage sein, schnell zu re-agieren. Das war doch auch 1989 möglich. Damals wur-den wir von der westlichen Bevölkerung mit allen mög-lichen Materialien, die wir brauchten, ganz schnellunterstützt. Erinnern wir uns an diese Zeit, und bemühenwir uns – ohne jeden Vorwurf an die Agierenden –, fürsolche Situationen schnelle, unkomplizierte und unbüro-kratische Lösungen zu ermöglichen. Das ist ein Kernbe-standteil der Aussprache über den Stand der deutschenEinheit.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Danke, Herr Kollege Vaatz.Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/107 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/583soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Druck-sache 18/107 überwiesen werden. Sind Sie einverstan-den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen sobeschlossen.Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 bauf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Konstantin von Notz, Katja Keul, LuiseAmtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVorratsdatenspeicherung verhindernDrucksache 18/381Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale Agendab) Beratung des Antrags der Abgeordneten JanKorte, Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEEndgültig auf Vorratsdatenspeicherung ver-zichtenDrucksache 18/302Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das WortDr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir habenheute erneut einen Antrag zum Thema Vorratsdatenspei-cherung eingebracht. Das Thema ist zu einer Kernfrageim Bereich der Bürgerrechte in der digitalen Welt ge-worden. Uns ist wichtig, hier im Parlament noch einmalklarzustellen: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Mittelder anlasslosen Massenüberwachung der Bürgerinnenund Bürger. Sie ist maßlos, sie ist weitestgehend nutzlos,und sie ist unverhältnismäßig. Wir lehnen sie daher ab.
Bedauerlicherweise steht sie nun im Koalitionsver-trag. Auch beim Justizminister gab es nur ein kurzesAufbäumen; inzwischen ist er eingeknickt und gehört zuden Befürwortern. Ein kurzer bürgerrechtlicher Sturmim Wasserglas, das war es bei der SPD. Man fragt sich:Wo ist die neue Bürgerrechts- und Internetpartei?
Das alles machen Sie im Lichte des größten Überwa-chungs- und Geheimdienstskandals aller Zeiten, und das,obwohl sich die SPD im Wahlkampf noch dafür aus-sprach, die Vorratsdatenspeicherung im Zuge des NSA-Skandals ganz neu zu bewerten. Das alles machen Siebis heute, obwohl der tatsächliche Nutzen einer Vorrats-datenspeicherung für die Strafverfolgungsbehörden nichtnachgewiesen werden konnte: weder von den deutschenBefürworterinnen und Befürwortern, die immer noch– das werden wir gleich bestimmt wieder erleben – mitdem Einzelfall argumentieren – dem für den Gesetzge-ber denkbar ungünstigsten Argument –, noch die EU-Kommission, die in einem jahrelangen Prozess versuchthat, den empirischen Nutzen der Vorratsdatenspeiche-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1411
Dr. Konstantin von Notz
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rung nachzuweisen. Alles ohne Erfolg. Deshalb sind daskeine guten Argumente, meine Damen und Herren.
Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, ein Ge-setz vorzulegen, das den extrem hohen verfassungsrecht-lichen Hürden genügen wird. Karlsruhe warnt in seinemUrteil zur Vorratsdatenspeicherung zu Recht vor demdiffusen Gefühl des Beobachtetseins, das durch die an-lasslose Massenüberwachung entsteht. Die Richter desBundesverfassungsgerichts verwiesen kürzlich selbst da-rauf, aus Angst vor Überwachung nicht mehr mit Elek-tronik in Besprechungen zu gehen. Das muss man sicheinmal vorstellen. Das ist in einem Rechtsstaat völlig ab-surd, meine Damen und Herren.
Richtig ist: Die Vorratsdatenspeicherung ist vonKarlsruhe nicht generell verfassungsrechtlich untersagtund ausgeschlossen worden; das behauptet auch keiner.In seinem Urteil aber mahnt das Gericht eine Überwa-chungsgesamtrechnung an, die man bei einem Eingriffmit dieser Streubreite immer mit berücksichtigen muss.Damals erwähnten die Karlsruher Richterinnen undRichter in diesem Zusammenhang eine andere Vorrats-datenspeicherung: ELENA. Jetzt können wir uns hieralle einmal gemeinsam ausmalen, wie diese Gesamt-rechnung heute, im Lichte der Affäre um NSA, GCHQund BND aussieht. Da sage ich Ihnen: Bon voyage beider Umsetzung einer neuen Vorratsdatenspeicherung!Viel Spaß bei den Verhandlungen in Karlsruhe, demobersten deutschen Gericht, dessen Richterinnen undRichter aus Angst vor Überwachung nur noch Stift undPapier in ihre Besprechungen mitnehmen! Viel Erfolgdabei!Ich sage Ihnen: Natürlich behalten wir uns vor, in die-sem Fall erneut nach Karlsruhe zu ziehen. Ihre Argu-mentation, die wir auch heute hören werden – „Das istalles kein Problem, das setzen wir um, das ist keineSchwierigkeit“ –, haben wir bei jedem Sicherheitsgesetz,das Sie in den letzten Jahren hier eingebracht haben, ge-hört, und fast immer mussten Sie sich vom oberstendeutschen Gericht über die Verfassung belehren lassen.
Ich sagen Ihnen: Ersparen Sie sich die erneute Schmach,Herr Kollege Heveling. Nehmen Sie Abstand von die-sem unverhältnismäßigen Mittel, und konzentrieren Siesich auf das, was wir effektiv, schnell und zuverlässig fürdie Kriminalitätsbekämpfung und für den Kinderschutzmachen können.
– Herr Schuster, jetzt kommt der interessante Teil.Meine Damen und Herren, der Fall Edathy zeigt dochklar: Wir müssen unseren Strafverfolgungsbehörden ge-rade in Zeiten von Internet und Digitalisierung endlicheffektive Instrumente in die Hand geben.
Eine Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig undführt zu Aufklärungsquoten im Promillebereich. Damitgehört sie eben nicht zu den effektiven Instrumenten.
Haben Sie sich einmal gefragt, Herr Sensburg, warumim Fall Edathy über ein Jahr lang nicht ermittelt wurde?Haben Sie sich einmal in den Kellern der Staatsanwalt-schaften dieses Landes umgeschaut, wo sich die Compu-ter und die Festplatten meterhoch stapeln, weil sie nichtkriminaltechnisch untersucht werden können? Nach jah-relangen Diskussionen wissen wir doch heute, welcheStellschrauben wir drehen müssen: Wir brauchen einebessere personelle und technische Ausstattung, zum Bei-spiel Bilderkennungssoftware, wir brauchen Schwer-punktstaatsanwaltschaften, wir brauchen eine Überprü-fung von Beförderungswegen in Behörden, und wirbrauchen eine weitere Verbesserung der Zusammenar-beit von Providern und Strafverfolgungsbehörden sowieim internationalen Bereich.Insofern sage ich Ihnen hier noch einmal in allerDeutlichkeit: Wir müssen gemeinsam intensiv prüfen, obes nach den in den letzten Jahren, zuletzt im Jahr 2008,vorgenommenen Strafrechtsverschärfungen Schutzlückenim Bereich der kommerziellen Verbreitung solcher Fotosgibt. Aber wir müssen auch endlich jene Schritte ange-hen, die ich angesprochen habe. Scheindiskussionen zurVorratsdatenspeicherung zu führen, ist kein effektiverSchritt in die richtige Richtung.
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.Für den notwendigen und effektiven Schutz von Kin-dern bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen, zu derenUmsetzung wir Sie seit Jahren auffordern. Der Aktions-plan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vorsexueller Gewalt und Ausbeutung fristet ein Schattenda-sein. Setzen Sie ihn endlich um! Auch die Umsetzungder EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Miss-brauchs und die Umsetzung der Lanzarote-Konventionmüssen schnellstmöglich erfolgen. Wir fordern Sie heutenoch einmal auf: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam an ef-fektiven Instrumenten! Nehmen Sie von der Vorratsda-tenspeicherung Abstand! Holen Sie sich nicht eine neueOhrfeige in Karlsruhe ab!Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
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Danke schön, Herr Kollege. – Nächster Redner ist
Dr. Volker Ullrich, Augsburg, für die CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist dieFrage der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keineScheindiskussion. Vielmehr nehmen wir die Problemeernst.
Wenn man die Probleme ernst nimmt, dann verwechseltman keine Begrifflichkeiten und spielt nicht mit derSprache und mit der Angst – das habe ich letzte Wocheausgeführt –, wie Sie es heute wieder tun.Wenn Sie die Überwachung durch die NSA – die em-pörend ist und gegen die wir uns wenden –
im gleichen Atemzug mit der Vorratsdatenspeicherungnennen, dann vermischen Sie wider besseres Wissenzwei Dinge, die nicht zusammengehören.
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es nicht darum,die Bevölkerung zu überwachen.
Wer das sagt, liegt falsch. Es geht darum, dass in unse-rem Staat die Daten, die bei den Internetprovidern undden Telefongesellschaften ohnehin gespeichert sind,durch richterlichen Beschluss in begrenztem Umfang zurAufklärung von Straftaten gegen Leib und Leben undandere wichtige Rechtsgüter in unserem Staat genutztwerden dürfen.
Da wir gerade über Begriffe sprechen: „Vorratsdaten-speicherung“ ist nicht der richtige Begriff.
Wir sollten lieber von einer privaten Vorsorgespeiche-rung sprechen, darüber, dass die Strafverfolgungsbehör-den damit, mit wenigen Ausnahmen, die gleiche Hand-habe wie die Feinde unserer Freiheit haben.
Lassen Sie mich folgendes Beispiel anführen. InAugsburg geschah vor knapp fünf Jahren ein grausamerMord. Ein Familienvater wurde in seiner eigenen Woh-nung hinterrücks mit über 30 Messerstichen getötet. DieKriminalpolizei tappte längere Zeit im Dunkeln. Erstdurch die Funkzellenanalyse, die Auswertung der Ver-bindungsdaten der Handys rund um die Tatwohnung,
konnte geklärt werden, dass es sich um ein Mordkom-plott handelte, hinter dem ein Bekannter der Familie unddie geschiedene Ehefrau steckten. Nur durch die Vorrats-datenspeicherung konnte der Mord aufgeklärt werden.
Ich sage Ihnen offen und ehrlich:
Die Speicherung der Daten bringt dem kleinen Jungenseinen Vater nicht zurück. Die Tat konnte dadurch auchnicht verhindert werden. Aber der Strafanspruch desRechtsstaates bei schwersten Vergehen gegen Leib undLeben konnte in dem Zusammenhang gewährleistet wer-den. Bei schwersten Straftaten sind wir verpflichtet, dieMittel des Rechtsstaates effektiv einzusetzen.
Das Gleiche gilt für den Bereich der Kinderpornogra-fie. Wir haben uns in dieser Woche in diesem HohenHaus über Strafbarkeitslücken unterhalten.
Wir haben gemeinsam unserer Empörung darüber Aus-druck verliehen, dass es Menschen gibt, die sich diesewiderwärtigen Bilder herunterladen, mit ihnen Handeltreiben und so einen fortgesetzten Missbrauch von Kin-dern begehen. Der Rechtsstaat braucht hier die Möglich-keit, auf die entsprechenden Daten zurückzugreifen.
Wir nehmen die Bürgerrechte und die Freiheitsrechtesehr ernst. Aber
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1413
Dr. Volker Ullrich
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es geht auch um die Balance zwischen Freiheit und Si-cherheit. Die kann durch das dreimonatige Speichernvon Verbindungsdaten, ohne dass der Inhalt kontrolliertwird, gewährleistet werden.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von
Christian Ströbele?
Ja; das beginnt gut in dieser Wahlperiode.
Freuen Sie sich; es geht so weiter.
Herr Ströbele.
Danke, Herr Kollege; meine Zwischenfrage hilft hof-
fentlich bei der Wahrheitsfindung. – Ich möchte auf das
eben von Ihnen genannte Beispiel eingehen. Nehmen Sie
bitte zur Kenntnis: Wenn das stimmt, was in der Zeitung
steht, dann standen den Strafverfolgungsbehörden offen-
sichtlich auch ohne Vorratsdatenspeicherung Daten aus
den Jahren 2005, 2006 und 2007 zur Verfügung; denn
sonst gäbe es die ganze Aufregung über das laufende
Strafverfahren nicht.
Wofür brauchen Sie da noch die Vorratsdatenspeiche-
rung? Die Daten sind doch bei den Providern und bei
den Firmen, die diese schrecklichen Sachen verkaufen,
vorrätig und werden da auch bleiben, weil die Firmen sie
brauchen, um damit Geschäfte zu machen.
Wofür also brauchen Sie noch die Vorratsdatenspeiche-
rung? Können Sie mir das erklären?
Sehr geehrter Herr Kollege, wären diese Bilder auf ei-
nem deutschen Server, bei einer deutschen Firma gewe-
sen, hätten wir den Fall vielleicht gar nicht aufklären
können. Es handelt sich um Daten einer kanadischen
Firma, die durch eine Aktion der kanadischen Polizei ge-
funden worden sind.
Wir können die Aufklärung von Straftaten doch nicht
von dem Zufall abhängig machen, ob der Provider die
Daten nach sieben Tagen, nach zehn Tagen oder nach
drei Monaten löscht.
Wir brauchen eine einheitliche Regelung zur effektiven
Bekämpfung schwerer Straftaten. Ich bitte Sie, das zur
Kenntnis zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts ernst
nehmen. Lassen Sie uns gemeinsam eine verfassungs-
feste Ausgestaltung einer Vorsorgespeicherung von pri-
vaten Daten angehen. Lassen Sie uns den Rahmen defi-
nieren, in dem die Strafverfolgungsbehörden darauf
zugreifen können und in welchem der Datenschutz ge-
währleistet wird. Ich denke, das können wir in diesem
Hause gemeinsam schaffen. Wir wollen die Bürger vor
Kriminalität, vor Gewalt schützen. Wir wollen die
Feinde unserer Freiheit mit diesem Mittel verfolgen, um
sie bestrafen zu können, und wir wollen die Freiheit der
Bürger schützen.
Herzlichen Dank.
Danke Herr Kollege Ullrich. – Nächster Redner ist
Jan Korte für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich finde es sehr richtig, in diesem Zusammenhang auchüber die NSA-Affäre zu reden. Das hat nämlich sehrwohl etwas miteinander zu tun: Diejenigen, die die Vor-ratsdatenspeicherung befürworten, also Sie, haben imKern dasselbe Denken, nämlich dass der Zweck die Mit-tel heiligt. Das ist dasselbe Denken. Deswegen ist esrichtig, das hier zu erwähnen.
Am 20. Juli 2013 schrieben Thomas Oppermann undGesche Joost in der FAZ einen überraschenderweise ten-denziell schlauen Artikel.
Ich darf zitieren:Nach Prism und Tempora darf auch die EU-Richtli-nie über die Vorratsdatenspeicherung keinen Be-stand mehr haben. Die Richtlinie muss grundsätz-lich überarbeitet und neu bewertet werden.Zitat Ende. Thomas Oppermann und Gesche Joost.
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1414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Jan Korte
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Wir erkennen an dem Datum das Kernproblem derSPD: Das war vor der Wahl. Wir haben das Problem,dass die SPD, sobald sie mit der CDU koaliert – das giltfür den Bund und die Länder –, das Gegenteil von demmacht, was sie vorher gesagt hat.
Das ist sehr bedauerlich, gerade in dieser Frage, liebeKolleginnen und Kollegen von der SPD.
Heute liegen zwei, wie ich finde, schlaue Anträgezum Thema Vorratsdatenspeicherung vor,
die das Problem auf den Punkt bringen. Mit Blick aufden EuGH will ich sagen: Nicht alles, was juristisch er-laubt ist – das Urteil kennen wir noch nicht –, müssenwir hier politisch umsetzen. Darüber haben wir hier zudiskutieren, und das haben wir hier zu entscheiden.
Was ist dabei nun das Problem?Erstens – das ist hier schon gesagt worden – ist dieVorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig, unbrauch-bar und im Übrigen eine Gefahr für die Pressefreiheitund die freie Kommunikation. Kurz: Das ist der Super-GAU für die freie Kommunikation, die die Grundlagedes demokratischen Rechtsstaates ist.
Zum Zweiten. Die Vorratsdatenspeicherung – ichgebe zu, das ist ein sperriger Begriff; man sollte besservon der Totalprotokollierung des menschlichen Kommu-nikationsverhaltens sprechen,
weil das sachlich richtiger wäre – ermöglicht – das istdas Kernproblem, um das es geht – den totalen Einblickin die Persönlichkeit des Einzelnen, in sein Kommunika-tionsverhalten, sein Bewegungsverhalten und vor allemseine sozialen Beziehungen. Kurz zusammengefasst:Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht den gläsernenMenschen. Das können wir doch alle nicht ernsthaftwollen.
Drittens. Die kriminologische Abteilung des Max-Planck-Instituts hat deutlich nachgewiesen – ohne Wennund Aber, ohne Interpretationsspielraum –, dass es seitdem Wegfall der Vorratsdatenspeicherung zu keinerleiSchutzlücke gekommen ist.
Es ist also wissenschaftlich belegt, dass keine Notwen-digkeit besteht, 300 Millionen bis 500 Millionen Daten-sätze pro Tag zu speichern.Ohne die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressenlag die Aufklärungsquote bei Missbrauchsdarstellungenim Internet bei über 80 Prozent. Nach der Einführungder Vorratsdatenspeicherung war die Aufklärungsquotede facto gleich hoch. Sie sank sogar ein Stück weit, weildie Täter logischerweise zum Beispiel CDs auf demPostweg verschickten. Das heißt, auch in diesem sensi-blen Bereich nutzt die Vorratsdatenspeicherung über-haupt nicht.Das alles sind Zahlen, die nicht von der Linken kom-men, sondern vom Max-Planck-Institut, vom BKA undanderen. Das müssen wir doch einmal zur Kenntnis neh-men, wenn wir sachlich darüber diskutieren wollen.
Ich fasse also zusammen: Es wäre erfreulich, wennsich einmal eine Bundesregierung
in Europa an die Spitze stellen würde beim Schutz vonGrundrechten und beim Datenschutz. Eines will ich klarbenennen – denn das ist die Kernfrage –: Wer die Spei-cherung von fast 500 Millionen Datensätzen pro Tag willund das auch noch für sinnvoll hält, geht in der Tat denWeg in den Überwachungsstaat und sollte zum ThemaNSA und zum Abhören eines Kanzlerhandys wirklich inDemut schweigen; das muss man so klar sagen.
Es kann keine sichere exzessive Datensammelei ge-ben. Sie kann nur in einem Punkt sicher sein: indem manes sein lässt. Dazu fordern wir Sie auf.Schönen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Korte. – Nächster Redner
ist Christian Flisek für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Vorratsdatenspeicherungstellt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtseinen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffdar. Sie ist deswegen besonders schwerwiegend, weil derEingriff – ich zitiere hier das Gericht aus seiner Ent-scheidung im Jahre 2010 – mit einer Streubreite verbun-den ist, „wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1415
Christian Flisek
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Das sind selbst für jemanden wie mich, der berufsbe-dingt schon viele Entscheidungen des Bundesverfas-sungsgerichts gelesen hat, durchaus beeindruckendeWorte. Ich stelle diese Bewertung des Gerichts bewusstan den Anfang meiner Rede. Dieser Ausgangspunktsollte uns, bezogen auf die heutige Debatte, dazu ermah-nen, dass wir in dieser Frage nicht in politischen Aktio-nismus verfallen.
Denn Aktionismus wird diesem Thema in keinster Weisegerecht.Wir brauchen in dieser Debatte kein Gerede von Su-pergrundrechten, die zum Glück nur scheinbar alle ande-ren Freiheitsrechte niederwalzen, in Wirklichkeit abernichts anderes sind als politische Etiketten.
Wir brauchen in dieser Debatte auch keine Abgesängeauf das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Ichsage das auch an die Kolleginnen und Kollegen von derCSU gerichtet: Ich meine, wer das Grundrecht auf infor-mationelle Selbstbestimmung, eine der Säulen desGrundrechtsschutzes im Internet, als eine „Idylle ausvergangenen Zeiten“ bezeichnet, der entzieht den Bürge-rinnen und Bürgern jede Vertrauensgrundlage für ihreKommunikation im Internet.
Es ist doch gerade unsere Aufgabe als Parlamentarier,hier im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass sol-che Freiheitsrechte auch in Zeiten weltweiter digitalerKommunikation vital bleiben, dass sie stark bleiben unddass sie nicht mit, wie ich finde, unangemessenen Be-merkungen beerdigt werden.
Ich bin aus diesem Grunde auch sehr froh, dass derBundesjustizminister eines deutlich gemacht hat: dassder Koalitionsvertrag zwar die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorsieht, dasswir aber gerade nicht, nur weil dies im Koalitionsvertragsteht, hier in politischen Aktionismus verfallen,
sondern jetzt nach Jahren der Debatte mit etwas Gedulddie in Kürze anstehende Entscheidung des EuropäischenGerichtshofes abwarten werden.
Aus ganz analogen Zeiten ist ein interessantesGoethe-Zitat überliefert: „Wer das Recht hat und Ge-duld, für den kommt auch die Zeit.“ Meine Damen undHerren von der Opposition, damit steht für mich einesfest: Für Ihre beiden Anträge, die Sie heute hier einge-bracht haben, ist die Zeit noch nicht gekommen.
Sie können doch nicht allen Ernstes dem Bundesjustiz-minister dafür Beifall klatschen, dass er sich dem politi-schen Aktionismus des einen Teiles dieses Hauses er-folgreich widersetzt
– ich finde im Übrigen, Sie klatschen da völlig zu Recht –,und gleichzeitig mit Ihren heutigen Anträgen zur Vor-ratsdatenspeicherung denselben Aktionismus, den Siezuvor kritisieren, wieder auf die Tagesordnung rufen.
Ich meine, das wird dieser Sache nicht gerecht.Warum nehmen Sie sich nicht mit uns zusammen dieZeit, um erstens das anstehende Urteil des EuropäischenGerichtshofes abzuwarten und es zweitens anschließendsorgfältig auszuwerten? Wir sind natürlich ein souverä-nes Parlament. Diese Souveränität sollte uns aber nichtdaran hindern, auch vor den obersten Gerichten in Eu-ropa etwas Respekt zu haben, insbesondere dann, wennein anhängiges Verfahren, das in ganz Europa mit Span-nung erwartet wird, kurz vor dem Abschluss steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ichkann nur sagen: Gemach! Manchmal kann auch Geduldeine politische Tugend sein. Aktionismus ist es jeden-falls nicht, insbesondere nicht in so grundlegenden Fra-gen.Wir alle kennen die Schlussanträge des Generalan-walts. Sie zeigen in eine klare Richtung. Es deutet vieldarauf hin, dass die Richtlinie, so wie wir sie kennen,keinen Bestand haben wird. In welchem Umfang dieseRichtlinie aber nach dem Urteil fortbesteht, ist völlig of-fen. Sollte das Gericht die Richtlinie vollständig kassie-ren, dann haben wir, zumindest nach meinem Verständ-nis, auch keine Umsetzungspflicht mehr.
Der Bundesjustizminister sprach in seinem Spiegel-In-terview, Frau Kollegin, insofern sehr deutlich und zuRecht vom Wegfall der Geschäftsgrundlage;
ich empfehle es Ihnen zur Lektüre.Dann aber – auch das müssen wir alle wissen – be-ginnt die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung inDeutschland und in Europa völlig neu. Sollte das Gerichtdie Richtlinie nur in Teilen, in einzelnen Punkten, kas-sieren, müssen all diese Punkte dann geklärt werden.Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und denSchlussanträgen wissen wir genau, welche Punkte be-sonders im Feuer stehen: Es ist die unverhältnismäßige
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1416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Christian Flisek
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Speicherdauer, es sind die unbestimmten Speicherzwe-cke, es ist die Frage, wo die Daten gespeichert werden,und es ist die Frage, wie wir Geheimnisträger, etwaÄrzte, Rechtsanwälte und Seelsorger, besonders schüt-zen können.
Was ich damit sagen will: Wir bekommen nach dem Ur-teil des Europäischen Gerichtshofes mit hoher Wahr-scheinlichkeit sehr schnell eine neue Debatte über dieVorratsdatenspeicherung – aber eben erst nach dem Ur-teil. Deswegen kommen Ihre Anträge, meine ich, völligzur Unzeit.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eineabschließende Bemerkung machen. Die große strategi-sche Herausforderung in den nächsten Jahren wird sein,dass wir auf der Basis unseres GrundrechtsverständnissesStandards für große Datenspeicherungen gleich welcherArt hinbekommen müssen, sowohl für Datenspeicherun-gen auf der Grundlage staatlicher Befugnisnormen zurStrafverfolgung und Gefahrenabwehr als auch für diemassenhaften Datenspeicherungen im E-Commerce undbei sozialen Netzwerken. Für all diese Arten von Daten-speicherungen müssen wir Standards entwickeln, Stan-dards, die die Bürgerinnen und Bürger auf hohem Ni-veau schützen. Es wird nicht nur darum gehen, dieseStandards in Deutschland oder in Europa zu verwirkli-chen, sondern – das ist meine feste Überzeugung – eswird und muss strategisch auch darum gehen, den Wegfür ein weltweites Datenschutzrecht freizumachen, fürein Datenschutzrecht auf völkerrechtlicher Ebene.Der kürzlich ausgeschiedene Bundesdatenschutzbe-auftragte Peter Schaar stellte völlig zu Recht fest: „Da-tenschutz muss Völkerrecht werden.“ Nur so ist der Da-tenschutz auf Augenhöhe mit weltweit operierendendigitalen Geschäftsmodellen und mit weltweit mobilenNutzern, aber auch mit weltweit operierenden Geheim-diensten. Bei dieser Entwicklung dürfen wir uns nicht indie Schützengräben begeben, sondern wir müssen kon-struktiv an der Entwicklung dieser Standards mitarbei-ten. Nur so können wir die Grundrechte der Bürgerinnenund Bürger auf hohem Niveau schützen. Nur so wird dasInternet auf Dauer seine Vertrauensbasis erhalten kön-nen. Die Umsetzung des anstehenden Urteils des EuGHkann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Ich sageaber: Lassen Sie uns bis dahin erst einmal abwarten.Herzlichen Dank.
Das Haus sagt auch Ihnen herzlichen Dank und gratu-
liert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundes-
tag.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Einsatz für
die Bürgerrechte in unserem Land.
Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Patrick
Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Seit Jahren diskutieren wir über das ThemaVorratsdatenspeicherung.
Es gibt eine Richtlinie aus dem Jahre 2006 und eine Um-setzungsfrist, die seit dem 15. März 2009 abgelaufen ist.Aber es ist nichts in dieser Richtung passiert, zum Bei-spiel zum Schutz von Kindern, die von Kinderpornogra-fie betroffen sind.
Heute bringen Sie Ihre beiden Anträge ein. Ich finde– das muss ich ganz ehrlich sagen –, das ist nicht kon-struktiv.
Sie gehen die Probleme nicht an.
Es geht um die schwersten Formen von Kriminalität, diehier vorzufinden sind. Aber Sie sagen aus ideologischerÜberzeugung: Nein, wir wollen nicht, dass die Verkehrs-daten, um die es geht, gespeichert werden. – Es ist ebenschon gesagt worden: Sie verwirren mit Begriffen. Siewollen Ängste schüren.Es geht um einen ganz einfachen Sachverhalt. Ich er-kläre ihn Ihnen; denn die Frage des Kollegen Ströbeleeben hat gezeigt, dass nicht einmal die Gesetze gelesenworden sind. Es geht darum, die Verkehrsdaten für einenkurzen Zeitraum zu speichern; drei Monate sind in derDiskussion. Denken Sie einmal fünfzehn, zwanzig Jahrezurück – das müsste Ihnen gelingen, Herr Ströbele –: Dawar es so, dass man auf der Einzelabrechnung sehenkonnte, welche Telefonnummern man gewählt hatte.
Genau darum geht es jetzt: dass man auch bei Flatratesnoch nachvollziehen kann, mit wem jemand telefonierthat – wohlgemerkt: wenn schwerste Kriminalität imRaume steht. Sie wollen verwehren,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1417
Dr. Patrick Sensburg
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dass bei schweren Verbrechen retrograd ermittelt werdenkann. Das halte ich nicht für besonders gut, meine Da-men und Herren.
Herr Kollege von Notz, Sie erwähnen immer wiederdas Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Urteilist lang; aber vielleicht haben Sie es in Gänze gelesen.
Der Kollege Flisek hat gerade schon angesprochen, dassdas Bundesverfassungsgericht dezidiert aufgeführt hat,unter welchen Voraussetzungen eine Vorratsdatenspei-cherung verfassungskonform ist: Das Vieraugenprinzipmuss bei der Datenspeicherung berücksichtigt werden.
Die Daten müssen physisch getrennt werden von öffent-lichen Netzwerken. Verschlüsselungstechnologien müs-sen eingesetzt werden. Die Speicherung der Daten mussrevisionssicher protokolliert werden. All das können Siedem Urteil entnehmen. Unter dem Strich sagt das Bun-desverfassungsgericht dann: Unter diesen Voraussetzun-gen ist eine verfassungskonforme Vorratsdatenspeiche-rung möglich.Unabhängig vom europäischen Recht sollte manschon überlegen, ob es nicht eine Notwendigkeit ist, dasswir so ein Ermittlungsinstrument bekommen – noch ein-mal: wenn es um schwerste Straftaten geht.
Herr Kollege von Notz, Sie kennen sich ja aus. Siehaben gerade erwähnt, dass die Justiz massenweise Fest-platten zu sichten hat. Sie wissen doch auch – wir habenes gerade gehört –, dass man Festplatten löschen oderphysisch zerstören kann. Wir möchten Ermittlungsan-sätze haben, um zu erkennen, wo im Netz kommuniziertworden ist, wann Täter mit mehreren SIM-Karten telefo-niert haben. Man kann heute, wenn ein Täter vor dreiWochen sein Netzwerk abtelefoniert hat, nicht mehrnachvollziehen, mit wem er telefoniert hat.
Selbst wenn wir ganz klar wissen, dass der Täter Kin-derpornografie oder organisierte Kriminalität begangenhat, könnten wir nicht mehr nachvollziehen, mit wem ertelefoniert hat. Entscheidend ist: Es geht nicht um dasSpeichern von Inhalten, es geht um das Speichern derVerkehrsdaten: Welche Telefonnummer hat er angerufenund zu welcher Zeit? Nur um diese Daten geht es.Da muss ich ganz ehrlich sagen – auch an den Kolle-gen Korte gewandt, der den Spruch „Der Zweck heiligtdie Mittel“ bemüht hat –: Es geht um die Frage der Ver-hältnismäßigkeit.
Die Vorratsdatenspeicherung ist ein intensiver Grund-rechtseingriff – das ist richtig –; auf der anderen Seitestehen aber auch massive Grundrechtsverstöße.
Ich habe es in einer meiner letzten Reden zur Vorratsda-tenspeicherung gesagt: Ihnen ist, glaube ich, nicht klar,dass es kein Grundrecht auf das Ansehen von kinderpor-nografischem Material im Internet gibt.
Das glauben Sie anscheinend, meine Damen und Herren.
Das Grundrecht auf Schutz der Kinder überwiegt; es isthöher zu werten als das Recht auf informationelleSelbstbestimmung oder das Recht auf die Integrität vonComputersystemen. Herr Korte, ich muss ganz ehrlichsagen: Die gespielte Empörung, die Sie eben an den Taggelegt haben, sollten Sie einmal im Spiegel der tatsächli-chen Realität betrachten: Es geht um die Rechte vonKindern, die tagtäglich im Internet missbraucht werden.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Dr. von Notz?
Sehr gerne.
Danke schön. – Konstantin.
Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, für die Mög-lichkeit der Zwischenfrage; dann muss ich gleich keineKurzintervention abgeben.Ich finde es immer gut, wenn man sportlich diskutiert– ich bin ein totaler Freund davon –; aber das überschrei-tet alle Grenzen.
Ich weise es für alle Beteiligten, die der Vorratsdaten-speicherung kritisch gegenüberstehen, zurück, wenn Siehier von einem Grundrecht auf das Betrachten von Kin-derpornografie sprechen. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie daszurück.
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1418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Dr. Konstantin von Notz
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Ich stelle Ihnen jetzt noch eine Frage. Die CDU/CSUregiert seit acht Jahren. Sie haben recht: In dem Bereich,über den wir diskutieren, ist wenig passiert. Sie habenvor ein paar Jahren ein Gesetz eingebracht und hier mitder gleichen Verve verteidigt. Wir haben Ihnen damalsabgeraten. Ihr Gesetz ist für verfassungswidrig erklärtworden. Jetzt gibt es ein echtes Problem – das teilen wir –:Sie haben acht Jahre lang nichts getan, und jetzt fixierenSie sich wieder auf einen Ansatz, mit dem Sie verfas-sungsrechtlich sehr dünnes Eis betreten. Wo sind Ihreanderen Maßnahmen, um hier effektiv etwas zu tun? Seitacht Jahren tun Sie nichts. Das ist Ihre Verantwortung,die Verantwortung der Union und auch der Bundeskanz-lerin.Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Kollege von Notz. – Zum ers-
ten Teil. Ich nehme selbstverständlich nicht zurück, dass
es kein – –
Ich darf bitten, dass die Regierungsbank zuhört, an-
statt zu kommentieren. – Bitte, Herr Kollege.
Ich nehme selbstverständlich nicht zurück, dass es
kein Recht auf das Betrachten von kinderpornografi-
schem Material im Internet gibt.
Ganz im Gegenteil: Wenn wir Grundrechte abwägen – –
– Ich versuche, Ihre Frage zu beantworten, Herr Kollege
von Notz, und Sie haben genau danach gefragt.
– Ich habe versucht, Ihnen darzulegen, dass wir bei
Grundrechten eine Abwägung vornehmen müssen. Auf
der einen Seite steht das Grundrecht, in das eingegriffen
wird; durch die Vorratsdatenspeicherung wird intensiv in
Grundrechte eingegriffen.
Auf der anderen Seite stehen die Rechte, die wir schüt-
zen wollen. Das sind ganz wesentliche Rechte. Ich
glaube, wir müssen jetzt nicht intensiver darüber disku-
tieren, wie massiv die Eingriffe in die Grundrechte von
Kindern beispielsweise sind.
Von daher müssen wir eine Verhältnismäßigkeitsab-
wägung vornehmen. Hier habe ich betont, dass es selbst-
verständlich kein entsprechendes Recht derjenigen gibt,
die freies Internetsurfen ohne jede Regel fordern.
Deswegen frage ich mich, warum Sie im ersten Teil Ih-
rer Zwischenfrage eine solche Bemerkung gemacht ha-
ben. Sie hätten mich unterstützen sollen.
Zum zweiten Teil.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenbemerkung oder
Zwischenfrage?
Ich wollte noch den zweiten Teil beantworten.
Ja, gut, aber ich frage schon einmal auf Vorrat: Ge-
statten Sie danach eine Zwischenfrage vom Kollegen
Ströbele?
Ich gestatte auch die Zwischenfrage vom Kollegen
Ströbele und freue mich, dass er in den ersten Monaten
dieser Wahlperiode schon mehr geredet hat als in der
letzten Wahlperiode. Das möchte ich gerne unterstützen.
Das wäre statistisch erst einmal zu überprüfen. – Jetzt
bitte ich um den zweiten Teil Ihrer Antwort an den Kol-
legen von Notz.
Ich habe in einer meiner letzten Reden zur Vorratsda-tenspeicherung minutenlang die einzelnen Maßnahmender Bundesregierung in der letzten Legislaturperiodeaufgezählt, und es macht keinen großen Sinn, die De-batte um die Vorratsdatenspeicherung wieder minuten-lang auf andere Themenkomplexe auszudehnen.Lassen Sie uns doch – so hatte ich Ihre Rede ebenverstanden, die ja eigentlich etwas versöhnlich war; sokam es mir jedenfalls vor –
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1419
Dr. Patrick Sensburg
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gemeinsam Wege finden, wie wir Ermittlungsmöglich-keiten in einem vielleicht engen Korridor – wir haben jasogar einen Vorschlag gemacht; auch aus dem Land Nie-dersachsen gibt es einen Vorschlag –
eröffnen und verfassungskonform gestalten können, so-dass wir die Daten, die wir innerhalb dieses engen Korri-dors gespeichert haben – ich habe zum Beispiel einenVorschlag in Richtung Quick Freeze als Short Freeze ge-macht –, nutzen können. Vielleicht kommen wir hierüberein und finden bei dieser Ermittlungsmaßnahme ei-nen gemeinsamen Weg; denn wir brauchen dies.Kollege Ströbele, bitte, falls ich Ihnen jetzt das Worterteilen darf.
Sie tun das ja sowieso. – Ich gebe jetzt Herrn Ströbele
das Wort. Bitte.
Danke sehr. – Herr Kollege, ich mache noch einmal
den Versuch, dass Sie das zurücknehmen.
Wenn Sie hier in Ihrer Rede in zwei Richtungen laut
in den Raum rufen,
es gebe kein Grundrecht auf das Ansehen von Kin-
derpornografie im Internet, dann verstehen wir das so
– anders kann man das nicht verstehen –,
dass entweder auf der einen Seite oder auf der anderen
Seite Personen sitzen, die ein solches Grundrecht für
richtig halten.
Haben Sie schon einmal zur Kenntnis genommen,
dass im deutschen Strafgesetzbuch – nicht im Grundge-
setz – ausdrücklich steht, dass das strafbar, also kein
Grundrecht ist? Das ist und bleibt in Deutschland erheb-
lich strafbar – auch mit Zustimmung der Grünen und
wahrscheinlich auch der Linken. Das Ansehen von Kin-
derpornografie im Internet ist eben nicht zulässig und
schon gar kein Grundrecht; das fällt unter das Strafrecht.
Hier sind wir zu 100 Prozent deckungsgleich, Herr
Kollege Ströbele. Das ist selbstverständlich. Gerade des-
wegen muss es doch unser aller Ansinnen sein, dass uns
bei Ermittlungen in Bezug auf einen zu Recht so hoch
mit Strafe bewehrten Straftatbestand, der die abscheu-
lichsten Straftaten beschreibt, griffige Werkzeuge zur
Verfügung stehen.
In allen Straftatbeständen drückt sich eine Grund-
rechtsabwägung aus; das brauche ich an dieser Stelle
doch nicht akademisch auszuführen. Von daher gibt es
natürlich, um es noch einmal zu betonen, auf der einen
Seite diejenigen Grundrechte, die uns die Freiheit ge-
währen, Daten sicher ins Internet einzustellen und das
Internet mit einem guten Gefühl zu nutzen. Auf der an-
deren Seite gibt es die Beschränkung der Datenfreiheit.
Deswegen kann es hinsichtlich der Sicherheit der eige-
nen Daten im Internet kein absolut geschütztes Recht ge-
ben, dass die Daten nicht vom Staat zur Verhinderung
von Straftaten abgerufen werden können. Gleichzeitig
sagen wir: Wir wollen die Grundrechte schützen.
Diese praktische Konkordanz, diese Verhältnismäßig-
keit muss ich herstellen. Wenn Sie – wir beide scheinen
einer Meinung zu sein – diese abscheulichen Straftaten
auch als solche einstufen, dann müssen Sie den Polizei-
und Strafverfolgungsbehörden das entsprechende Instru-
ment an die Hand geben.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, wie sorg-
sam man damit umgehen muss, damit das Ganze verfas-
sungskonform ist.
Abschließend: Wenn wir ehrlich sind, wissen wir
doch, wie viele Maßnahmen von Polizeibehörden es ge-
rade auch im Ausland gegeben hat, bei denen uns Daten-
sätze übergeben worden sind und wir keine Möglichkeit
hatten, dazu rückwirkend Ermittlungsansätze in
Deutschland zu finden, was in anderen Ländern möglich
gewesen wäre. Unsere Nachbarstaaten sagen deshalb:
Mit Deutschland ist es sehr schwer, in dieser Hinsicht
zusammenzuarbeiten, weil dort auch bei schwerster Kri-
minalität keine Daten abgerufen werden können.
Lassen Sie uns diesen Schwebezustand gemeinsam
beenden. Ich glaube, daran sollten wir gemeinsam arbei-
ten, damit wir hier verfassungskonform vorgehen, aber
auch ermöglichen, dass die Täter gefunden werden.
Danke schön.
Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der De-
batte ist Christina Kampmann für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seitvielen Jahren diskutieren wir die Richtlinie zur Vorrats-
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1420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Christina Kampmann
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datenspeicherung: auf unterschiedlichen politischen Ebe-nen, unter Beleuchtung verschiedenster juristischer undtechnischer Facetten. Und das zu Recht: Handelt es sichdoch bei der Vorratsdatenspeicherung um eines der kon-troversesten innenpolitischen Vorhaben der letzten Jahre.Verabschiedet mit dem Ziel, die Möglichkeiten des digi-talen Zeitalters zur besseren Bekämpfung von Kriminali-tät zu nutzen, war die Vorratsdatenspeicherung von An-fang an höchst umstritten.Auf der einen Seite steht ein scheinbarer Sicherheits-gewinn, dessen Nachweis bis heute aussteht und der sichdeshalb in reiner Rhetorik zu erschöpfen scheint. Aufder anderen Seite steht die Freiheit der digitalen Kom-munikation auf dem Spiel, die in einer Demokratie uner-lässlich ist. Wer diese beiden Aspekte aber zum Anlassnimmt, eine Balance zwischen Freiheits- und Sicher-heitsrechten zu fordern, der liegt falsch.
Die elementaren Freiheitsrechte entziehen sich einer blo-ßen Abwägung mit sicherheitspolitischen Belangen, je-denfalls dann, wenn ein Nachweis für einen Gewinn anSicherheit bis heute aussteht.
Nicht die Freiheit bedarf deshalb der Rechtfertigung,sondern die Einschränkung selbiger durch die Richtliniezur Vorratsdatenspeicherung.In Zeiten des internationalen Terrorismus muss derStaat aber auch seiner Schutzfunktion nachkommen,ohne dass diese zum Selbstzweck wird. Einschränkun-gen von Freiheitsrechten können dabei notwendig wer-den, müssen aber strengen Kriterien unterliegen. Ausden genannten Gründen finde ich es gut und richtig, dasswir es uns mit der Vorratsdatenspeicherung nicht so ein-fach machen.
Es ist richtig und wichtig, dass wir diese über all dieJahre so intensiv diskutieren.Aber ich sage auch: Selten war diese Diskussion soentbehrlich wie heute. In ein paar Wochen wird der Eu-ropäische Gerichtshof über die Rechtskonformität derVorratsdatenspeicherung entscheiden. Wie Grüne undLinke erfreulicherweise erkannt haben, folgt der EuGHin den meisten Fällen dem Schlussantrag des Generalan-walts, der bereits massive Bedenken hinsichtlich derGrundrechtskonformität und Ausgestaltung der Richtli-nie geäußert hat.Wenn Sie also Ihrer eigenen Argumentation folgenund in der Konsequenz an die Grundrechtswidrigkeit derVorratsdatenspeicherung glauben, bezüglich derer ichIhre Bedenken im Übrigen vollkommen teile: Weshalbstellen Sie dann ein paar Wochen vor Verkündung desUrteils einen Antrag auf Verhinderung der Vorratsdaten-speicherung, der zum jetzigen Zeitpunkt genauso anlass-los ist wie die Vorratsdatenspeicherung selbst?
– Genau, danke.
Denn seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts2010 darf in Deutschland keine Speicherung von Datenmehr stattfinden.Das ist Politik ohne Ziel. Das ist Politik ohne Grund.Das ist Politik, die reiner Polemik dient und die wir des-halb nicht mittragen werden, liebe Kolleginnen und Kol-legen.
Lieber Konstantin von Notz, Heiko Maas hat sichnicht nur kurz aufgebäumt, sondern Heiko Maas hat An-fang des Jahres mehr als deutlich gemacht, dass er dierechtlichen Bedenken zur Vorratsdatenspeicherung teiltund eine vollständige Negierung durch den Europäi-schen Gerichtshof nicht für ausgeschlossen hält. Sonstwürden wir heute nämlich über ganz andere Problemereden.
– Jetzt warten Sie doch erst einmal ab!Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass HeikoMaas die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofsabwarten wird und damit einer endgültigen juristischenBeurteilung den Vorrang vor einem mit heißer Nadel ge-strickten Entwurf gibt.
Heiko Maas hat gesagt – das hat mein Kollege eben auchschon angesprochen –, er wird die Entscheidung des Eu-ropäischen Gerichtshofs respektieren. Ich finde, das be-darf erst einmal keiner weiteren Interpretation.
Ganz persönlich teile ich Ihre Auffassung im Übri-gen. Eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Vor-ratsdatenspeicherung kann es meiner Meinung nach des-halb nicht geben, weil diese in ihrem Kern bereitsverfassungswidrig ist.
– Das hat das Verfassungsgericht nicht gesagt. Deshalbentscheidet der Europäische Gerichtshof jetzt auch nocheinmal darüber. Das sagte ich ja gerade.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1421
Christina Kampmann
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Weil ich mir der Begründetheit der verfassungsrecht-lichen Bedenken genauso sicher bin wie Sie,
vertraue ich auch auf das juristische Urteil des Gerichts,das genau das in diesem Frühjahr zu entscheiden hat.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Marian Wendt für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir führen die Debatte zur Vorratsdatenspeiche-rung schon seit einigen Jahren und sehr intensiv. Wirdürfen wohl erst einmal alle feststellen – das hat auchdas Bundesverfassungsgericht getan –, dass die Vorrats-datenspeicherung nicht per se verfassungswidrig ist.
Das schreiben auch die Grünen und die Linken in ihremAntrag. Deswegen werden wir alsbald einen Gesetzent-wurf vorlegen, der mit der freiheitlich-demokratischenGrundordnung in diesem Land vereinbar ist.
Ich darf als Mitglied des Innenausschusses auf zweiPunkte eingehen: zum einen die Bedeutung der Vorrats-datenspeicherung für die strafrechtlichen Ermittlungenund zum anderen die Rolle der Linksfraktion in der heu-tigen Debatte.Zum ersten Punkt. Es steht fest: Ohne die Vorratsda-tenspeicherung können weniger Straftaten aufgeklärtwerden. Das belegen zahlreiche Daten des Bundeskrimi-nalamtes oder des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.Auch das Beispiel Internetkriminalität zeigt dies auftraurige Weise.Wie schon am Mittwoch sprechen wir heute Nachmit-tag im Innenausschuss ausführlich über den Fall Edathy,aber vor allen Dingen auch über den Kinderpornoring,der in Kanada aufgeflogen ist. Durch die kanadischenBehörden wurden uns 450 Gigabyte an Daten übersandt,darunter das widerliche Beweismaterial von Bildern undVideos nackter Kinder, aber auch die IP-Adressen derdeutschen Kunden des kanadischen Unternehmens.Dabei gab es auch Personen, die ausschließlich an-onym über das Internet bestellt haben, ohne Lieferad-resse, Rechnungsadresse oder Bestelladresse. Über dieKomplexität der verschiedenen Adressen wurden wir amMittwoch ausführlich und auf interessante Weise infor-miert. Diese Personen können von den deutschen Straf-verfolgungsbehörden nicht zurückverfolgt werden. Dennderen IP-Adressen können in Deutschland nicht mehr ei-nem Anschluss und damit einer Person zugeordnet wer-den,
da die Internetprovider nicht zum Speichern der Datenverpflichtet sind. Die Daten werden in der Regel sofortoder nach 10, 15, 30 oder 100 Tagen gelöscht. Die Er-mittlungen gegen die Personen, die über das Internet die-ses widerliche Material bezogen haben, laufen ohne Vor-ratsdatenspeicherung ins Leere.Eine Zahl hierzu. Nach internen Erhebungen desBKA wurden zwischen März 2010 – das war der Monat,in dem das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdaten-speicherung zunächst gestoppt hatte – und April 20115 100 Fälle von Internetkriminalität registriert. 4 300Fälle davon konnten aufgrund nicht vorhandener Datennicht zurückverfolgt werden. Es konnte also über80 Prozent der Fälle nicht nachgegangen werden. VieleStraftaten konnten nicht aufgeklärt werden.
Das liegt nicht in unserem Interesse. Wir sollten jedeneinzelnen Straftäter verfolgen können. Darin sollten wiruns alle einig sein.
Zum zweiten Punkt, zur Rolle der Linksfraktion inder heutigen Debatte. Im Antrag der Linken werdenmehrfach die Wichtigkeit der Bürgerrechte und die Frei-heit der Bürgerinnern und Bürger betont.
Ich darf zitieren:Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet aber Totalre-gistrierung und ebnet den Weg zum Überwachungs-staat und zum gläsernen Bürger. Sie ist einer Demo-kratie nicht würdig.
Meine Damen und Herren, diese gerade zitierten Aus-sagen sind nicht nur inhaltlich falsch – das haben meineVorredner bereits belegt –, aus Ihrem Mund sind sie auchabsolut unglaubwürdig. Das möchte ich ausdrücklichhervorheben.
Ein Beispiel. Den Antrag der Linken haben unter an-derem Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn und Frau Steinkeunterzeichnet. Frau Sitte war Mitglied der SED seit1981; Herr Hahn trat 1985 der SED bei; Frau Steinkewar seit 1981 in der SED. Alle drei Herrschaften warenalso in der SED aktiv.
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1422 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Marian Wendt
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Wir alle wissen doch, wer staatstragend in der DDR war,nämlich die Partei SED und nicht die Regierung.
Gerade die SED in der DDR war ein Garant für den tota-litären Überwachungsstaat und den gläsernen Bürger.Das sollten Sie hier berücksichtigen.Sie als SED-Nachfolgepartei hofieren die ehemaligenStasimitarbeiter, so wie das im letzten Sommer durchFrau Steinke geschehen ist.
Sie selbst waren aktiver Teil des Überwachungsstaates.
– „Sie“ kleingeschrieben.
Sie müssen Ihre Geschichte aufklären. Solange Sie dasnicht gemacht haben, sollten Sie – –
– Dann lernen Sie doch daraus!
Wenn Sie aus Ihrer Geschichte gelernt haben, dannfrage ich mich, wo das deutliche Bekenntnis zur Verur-teilung der Geschichte bleibt. Wieso werden Sie nochimmer vom Verfassungsschutz kontrolliert? Wieso set-zen Sie nicht aktiv den undemokratischen Kräften in Ih-rer Partei entschlossen etwas entgegen?
Kollege Wendt, möchten Sie die Gelegenheit nutzen
und Ihre Redezeit verlängern, indem Sie auf eine Frage
oder Bemerkung der Kollegin Wawzyniak reagieren?
Ansonsten ist Ihre Redezeit abgelaufen.
Ja, bitte.
Herr Wendt, können und wollen Sie zur Kenntnis
nehmen, dass es auf dem Sonderparteitag, auf dem es um
die Umbenennung der SED in SED-PDS ging, eine Ent-
schuldigung gegeben hat?
Können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass es
eine umfassende und lang andauernde Debatte zur Auf-
arbeitung der eigenen Vergangenheit gegeben hat bis hin
zu Beschlüssen zur Offenlegung der eigenen Biografie?
Können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir
uns mit unserer Vergangenheit um unserer selbst willen
auseinandergesetzt haben, während Sie Mitglieder der
SED, Mitglieder der Blockparteien in Ihren Reihen ha-
ben und deren unrechtmäßig erworbenes Geld?
Frau Kollegin, ich nehme das alles, was Sie gesagt
haben, zur Kenntnis.
Ich frage nach den Folgen. Es sind lediglich Krokodils-
tränen vergossen worden;
denn die ehemaligen SED-Aktiven und -Vorderen, die
den Staat getragen haben, sind heute noch aktiv und en-
gagiert in Ihrer Partei. Auf Parteitagsbeschlüsse müssten
strikte personelle Konsequenzen folgen. Auch stellt sich
die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.
Deswegen ist das – ich darf zusammenfassen – ziemlich
unglaubwürdig.
Ich bin Christ und glaube an das Gute im Menschen.
Deswegen hoffe ich, dass Sie in den nächsten Jahren
doch noch zu der Einsicht kommen, dass Konsequenzen
gezogen werden müssen.
Um die Debatte vielleicht zu beenden,
sollten wir schnellstens den Entwurf eines Gesetzes erar-
beiten, das den unbefriedigenden Zustand beendet, dass
Kinderpornografie im Internet nicht verfolgt werden
kann. Die Koalition wird dazu einen entsprechenden Ge-
setzentwurf vorlegen. Wir wollen die Opfer schützen,
die Täter überführen und die Verfassung schützen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/381 und 18/302 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. SindSie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sinddie Überweisungen so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1423
Vizepräsidentin Petra Pau
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
regierungTourismuspolitischer Bericht der Bundesre-gierung – 17. Legislaturperiode –Drucksachen 17/13674, 18/605Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke und ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe der Parlamenta-rischen Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort.Ir
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich freue mich sehr, heute erstmalig als Tourismusbeauf-tragte das Wort in diesem Hohen Hause ergreifen zu dür-fen. Genauso wie die ostdeutschen Bundesländer, überdie wir heute Morgen geredet haben, braucht der Touris-mus eine engagierte Stimme in der Bundespolitik. DieseRolle möchte ich gerne übernehmen.Der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierungaus der 17. Legislaturperiode, über den wir heute nocheinmal diskutieren, zeigt eindrucksvoll, welche Wirt-schaftskraft der Tourismus entfaltet. Das Wort „Touris-mus“ kommt immer ein bisschen leicht daher. Mandenkt an Sommer, Sonne, Strand und Cocktails. Wer ver-mutet schon, dass im Jahr rund 280 Milliarden EuroKonsumausgaben in Deutschland dahinterstehen?2,9 Millionen Menschen sind in diesem Dienstleistungs-sektor beschäftigt.Ich möchte neben den vielfältigen tourismuspoliti-schen Themen, die es zu bearbeiten gilt, drei Schwer-punkte setzen. Mein erster Schwerpunkt sind die Ar-beits- und Ausbildungsbedingungen. Die Sorgen derBranche über einen zunehmenden Mangel an Fachkräf-ten sind sicherlich berechtigt. Aber hier müssen sich Ho-tellerie und Gastronomie fragen lassen, was sie selbstzur Schaffung attraktiverer Arbeitsbedingungen beitra-gen können. Frau Ludwig, ich habe heute Morgen IhrePressemitteilung gelesen. Hier sind wir in vielem de-ckungsgleich: Die Branche muss ihr – so sage ich mal –Schmuddelimage ablegen, damit junge Leute die Chan-cen ergreifen, die der Tourismusbereich bietet, und dorteine Lehre anfangen.
Etwas anderes gehört aber auch dazu: In einemDienstleistungsgewerbe wie dem Tourismus ist die Qua-lität des Service das A und O. Wer ansprechende Leis-tungen haben will, muss auch entsprechend zahlen. Mitder Einführung des gesetzlichen Mindestlohns setzt dieBundesregierung eine unterste Haltelinie fest. Aber dieTarifparteien, Arbeitgeber und Gewerkschaften, müssenzu angemessenen Abschlüssen in dieser Branche kom-men, auch um die Attraktivität der Arbeit für Fachkräftein der Tourismuswirtschaft zu steigern. Dabei geht esnicht nur um die Entlohnung, sondern auch um Arbeits-bedingungen, Urlaubsansprüche und Überstunden; dasist gerade in der Tourismuswirtschaft ganz besonderswichtig.
Der zweite Schwerpunkt ist die Digitalisierung. DieDigitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verän-dert auch das Reisen. Der Gast von heute surft vorab imInternet, bucht Tickets, Hotels und Mietwagen onlineund orientiert sich während des Urlaubs mit verschiede-nen Reise-Apps. Zum Schluss gibt er noch eine Bewer-tung über das Erlebte ab, die für alle potenziellen Kun-den nachlesbar und sichtbar ist. Die Großen derBranchen machen da längst mit, aber viele kleine Be-triebe der Tourismuswirtschaft können mit dieser rasan-ten technischen, aber auch sozialen Entwicklung nochnicht Schritt halten. Ihnen müssen wir helfen, damit siesich in der digitalen Welt besser zurechtfinden, weil siesonst auf der Strecke bleiben. Es ist mir auch als Mittel-standsbeauftragte der Bundesregierung sehr wichtig,dass wir hierauf ein großes Augenmerk richten.Den dritten Schwerpunkt werde ich auf die Entwick-lung des Tourismus im ländlichen Raum legen. Von demTourismusboom in Deutschland mit immer neuen Re-kordmarken in den letzten Jahren profitieren die ländli-chen Räume noch nicht wirklich. Wir haben das im Tou-rismusausschuss besprochen. Dabei kann gerade derTourismus Arbeitsplätze und Einkommen in die nichtzwingend, aber meistens strukturschwachen Regionenbringen. Hier sehe ich ein großes Potenzial, das es zunutzen gilt, auch wenn der Bund – das muss man zuge-ben – beim Thema Tourismus zunächst nur in der zwei-ten Reihe sitzt.Deshalb ist mir ein konstruktiver Dialog mit den Län-dern ein besonders großes Anliegen. Ich bin mir sicher,dass wir gemeinsam viel Sinnvolles bewegen können.Ich weiß um starke Partnerinnen und Partner. Sie alle,die Kolleginnen und Kollegen vornehmlich des Touris-musausschusses des Deutschen Bundestages – ich fandunsere Debatte diese Woche sehr interessant –, aber auchdie Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftsausschus-ses zeigen ein großes Interesse. Auf die Diskussionenfreue ich mich.Die große Bandbreite an tourismuspolitischen The-men spiegeln auch Ihre Anträge, die Anträge der Frak-tionen und die Beschlussempfehlungen wider. Ich fassedas als vielfältigen Impuls und Input auf, wofür ich michan dieser Stelle ganz herzlich bedanke. Ich werde michbemühen, der Interessenvielfalt gerecht zu werden.Gleichzeitig ist es aus meiner Sicht wichtig, Schwer-punkte zu setzen. Ich glaube, es herrscht auch darüber
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1424 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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Konsens; denn auch das spiegelt sich in Ihren Anträgenwider.In diesem Sinne freue ich mich auf eine vertrauens-volle, eine offene und eine gute Zusammenarbeit und be-danke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Kassner für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Werte Gäste! Letzteres ganz besonders;denn das sind wir als Touristiker den Gästen schuldig.Ich habe die Zeit im Herbst und im Winter des ver-gangenen Jahres, als wir noch nicht in den Ausschüssentagten, genutzt, um mich eingehend mit diesem Berichtvertraut zu machen. Ich habe darin viel Wissenswertesund Interessantes gelesen, aber ich habe auch einigeStellen vermisst, wo ich gerne weitere Impulse gesetzthätte. Aber vielleicht liegt das genau daran, wie es dieParlamentarische Staatssekretärin sagte, dass wir unter-schiedliche Sichtweisen auf die Dinge haben. Vielleichtliegt gerade darin für uns die Chance, mehr für den Tou-rismus, der bekanntlich kein politisches Schlachtfeldsein darf, zu machen und positive Entwicklungen in die-ser Legislaturperiode voranzutreiben.
Dass sich das lohnt, zeigen die einschlägigen Zahlenin diesem Bericht. Der direkte Umsatz beträgt 97 Mil-liarden Euro, fast 220 Milliarden Euro werden durch denTourismus generiert, die Zahl der Beschäftigten ist hoch.Das sind Gründe, für die es sich lohnt, konsequent amThema zu bleiben.Es tauchen aber immer wieder Situationen auf, diezeigen, dass man den Tourismus behüten muss. Ichselbst habe das während meiner Tätigkeit als Landrätinerlebt. Wir hatten einmal ein Naturereignis, und von ei-nem Tag zum anderen schwiegen die Telefone und wur-den Buchungen storniert. Das war eine ernsthafte Bedro-hung einer ganzen Region, das kann ich Ihnen sagen.Wir mussten viel für unser Image tun, um das wiederauszubügeln. Daran arbeiten wir eigentlich heute noch.Aber das hat uns auch ein Stück weit zusammenge-schweißt.Ich möchte heute auf drei Punkte eingehen, die mei-ner Fraktion und mir besonders am Herzen liegen. Dererste Punkt betrifft – den haben auch Sie genannt – dieFrage der Arbeitskräfte. Uns wird im Mai ein Berichtvorgelegt, in dem eine Bewertung des Arbeitsmarktesund eine Arbeitskräfteanalyse vorgenommen werden.Wir werden uns damit sicherlich sehr intensiv auseinan-dersetzen. Ich kann Ihnen sagen, dass das auch wirklichdringend notwendig ist.
Wenn es etwas gibt, was die Region Mecklenburg-Vorpommern und auch meine Heimatinsel Rügen kenn-zeichnet, dann das, dass dort alle Entwicklungen aufdem Arbeitskräftemarkt wie mit einem Brennglas vor-weggenommen werden; man erkennt sehr früh Tenden-zen. Wir haben es sehr stark mit der Alterung in unsererBevölkerung zu tun. Wir haben sehr stark damit zu tun,dass wir nur wenige Wirtschaftsbranchen haben. Bei unskonzentriert sich alles auf den Tourismus und die Land-wirtschaft; viel mehr ist da nicht.Dann macht es mir wirklich großes Kopfzerbrechen,dass es freie Stellen für Köche und Hotelangestellte gibt,dass es aber eben auch sehr viele gibt, die arbeitslossind. Dazu muss ich Ihnen sagen: Dafür gibt es ganz ob-jektive Gründe: Man muss einen Beruf im Tourismuswirklich lieben und mit seiner ganzen Persönlichkeitausgestalten. Wenn sich andere erholen, es sich gemüt-lich machen, dann arbeiten die Touristiker. Das machensehr viele sehr gern; schließlich macht es auch Spaß. Dakommt auch etwas zurück.Aber man muss es auch können. Man muss in derLage sein, seine familiären Anforderungen mit den be-ruflichen Herausforderungen in Übereinstimmung zubringen. Man muss bereit sein, Überstunden auf sich zunehmen. Unter Umständen muss man bereit sein, nur imSommer zu arbeiten und im Winter zu Hause zu sein.Das ist nicht einfach. Es ist auch nicht einfach, nach derSaisonarbeit, also zu Beginn des Winters, zum Arbeits-amt zu gehen. Mir fehlen Impulse und Möglichkeiten,wie man den betroffenen Menschen noch stärker helfenkann.
Es gab bei uns beispielsweise die sogenannten Winter-akademien. So etwas wäre eine Möglichkeit, wo man an-setzen könnte.Der zweite Punkt, der mir wichtig ist, sind die Kin-der- und Jugendreisen. Hier gibt es noch ein unendlichesFeld, das man bestellen kann. Wir alle erinnern uns anunsere Klassenfahrten. Das waren wirklich schöne Er-lebnisse. Solche Reisen leisten aber auch etwas für dieBildung. Man lernt andere Länder, andere Kulturen ken-nen. Das macht einen wirklich zum Weltbürger, und amEnde sieht man auch die eigene Heimat, das eigene Zu-hause mit ganz anderen Augen. Auch das tut gut.
Der dritte Punkt, der mir wichtig ist – wir haben esmitbekommen; es ist ein ressortübergreifendes Thema;es lohnt sich, von allen Seiten daran zu arbeiten –: Wirwünschen uns, dass es direkt im Bundeskanzleramt ei-nen verantwortlichen Koordinator gibt, der diese Dingemiteinander vernetzt, der daran arbeitet, dass alle Res-sorts nicht aneinander vorbei-, sondern gemeinsam indiese Richtung wirken.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1425
Kerstin Kassner
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Ich denke, es lohnt sich, dafür zu streiten. Wir stehenbereit. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Tou-rismusausschuss, aber natürlich auch auf die Zusammen-arbeit mit vielen Verbänden sowie vielen Betroffenenaus den Regionen und den Bereichen der Wirtschaft.Vielen Dank.
Kollegin Kassner, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich möchte auf § 33 unserer Ge-
schäftsordnung aufmerksam machen; denn Sie haben
diesen Paragrafen hier gerade in vorbildlicher Weise an-
gewendet. Er lautet:
Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vor-
trag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gelungenen ersten
Auftritt hier im Deutschen Bundestag!
Das Wort hat die Kollegin Daniela Ludwig für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Kassner, auch vonseiten meiner Fraktioneinen herzlichen Glückwunsch. Wir wissen alle: Dieerste Rede ist ein ganz besonderer Anlass. Ich glaube, esist schön, wenn man sie in so einem konsensualen Um-feld halten kann. Ich kann mich erinnern: Meine ersteRede fand in einem strittigen Umfeld statt. Aber da lerntman dann auch so einiges; da muss man eben durch. Indiesem Sinne herzlichen Glückwunsch auch von unsererSeite.Wir haben natürlich echte Fachleute aus den Arbeits-gruppen unter uns. Echte Fachleute sitzen heute aberauch auf der Tribüne. Es ist eine ganze Reihe von Tou-rismusstudenten heute im Deutschen Bundestag. Herz-lich willkommen! Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen.Ich hoffe, Sie lernen hier ein bisschen etwas, und wir ler-nen im Gespräch mit Ihnen sicherlich auch noch so eini-ges. Schön, dass Sie da sind!
Tourismus in Deutschland und auch Urlaub inDeutschland, das ist bekanntermaßen eine Erfolgsge-schichte. Gerade auch die Zahlen der letzten zwei Jahrebelegen dies in aller Deutlichkeit. Die Zahl der Über-nachtungen von ausländischen Gästen hat sich 2013überproportional erhöht; es gab einen Zuwachs um fast7 Prozent, worauf wir, glaube ich, sehr stolz sein kön-nen.Deutschland ist zudem Kulturreiseziel Nummer eins –ein Etikett, das man uns nicht automatisch zuschreibenwürde, woran man aber erkennt, dass wir über ein breit-gefächertes Angebot auch für die Menschen verfügen,die sich für Kultur interessieren.Wir haben bei den Geschäftsreisen stark zugelegt.Auch das ist etwas, worauf wir stolz sein können.Dagegen bleibt die Zahl der inländischen Touristennahezu gleich. Auch das ist relativ logisch. Der Deutschemacht zwar nach wie vor sehr gern Urlaub, aber ermacht halt kürzer Urlaub. Darunter „leiden“ wir – dassage ich in Anführungszeichen – hier in Deutschland.Aber, wie gesagt, der Zuspruch von ausländischen Gäs-ten ist nach wie vor hoch, und er steigt immer weiter.Dass die Tourismusbranche ein knallharter Wirt-schaftszweig ist, konnten wir bereits den Worten derStaatssekretärin entnehmen. Was die Konsumausgabenangeht: 280 Milliarden Euro allein aus der Tourismus-branche in Deutschland, das ist richtig viel. Deswegenist es natürlich gut, dass wir dem Wirtschaftsministeriumzugeordnet sind. Dass wir eine Staatssekretärin haben,die Mittelstand und Tourismus in ihrem Amt sozusagenvereint, ist auch gut. Klar ist aber: Wir dürfen die ande-ren Ministerien, die für uns mindestens genauso zustän-dig sind, nicht aus der Verantwortung entlassen; dennTourismus ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Häuserbetrifft.
Ich bin sehr froh, dass wir den TourismuspolitischenBericht der letzten Bundesregierung sozusagen als Vehi-kel benutzen, um heute im Plenum eine Art Auftaktdis-kussion zu diesem wichtigen Thema zu führen. Natür-lich wissen wir: Tourismus ist eigentlich Ländersache– das merkt man dem Bericht auch an – und wird ent-sprechend unterschiedlich ausgestaltet. Ich sage meinentourismuspolitischen Kollegen immer sehr selbstbe-wusst: Es mag schon sein, dass per se die Zuständigkeitfür den Tourismus bei euch liegt; die Zuständigkeit fürdie Rahmenbedingungen liegt aber bei uns. – Umsomehr müssen wir im Bund darauf schauen, dass die Rah-menbedingungen auch passen – für alle die, die hier Ur-laub machen wollen, für alle die, die im Tourismus ar-beiten, aber auch für alle die, die gegebenenfalls noch imBereich Tourismus tätig werden wollen.Wir haben uns im Koalitionsvertrag, der nicht vielzum Tourismus enthält, in einem, wie ich finde, wichti-gen Satz Folgendes vorgenommen: Die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-tenschutzes“ soll zur Gemeinschaftsaufgabe „LändlicheEntwicklung“ werden. Da sehen wir schon, wohin dieseKoalition will. Ich habe den Eindruck, dahin wollen wiralle gemeinsam.Bei aller Beliebtheit unserer Städte und bei aller Be-liebtheit unserer Kulturziele – wir müssen den ländli-chen Raum massiv pushen, und zwar in alle Richtungen.
Hier liegt großes Potenzial. Wenn wir die Gäste schondahaben, müssen wir ihnen vermitteln: Es geht auch jen-
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1426 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Daniela Ludwig
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seits von Berlin, Hamburg, München – Sie verzeihen mirdiese Aufzählung; das soll keine Prioritätenfolge sein –noch weiter. Schaut darüber hinaus! – Die DZT machteinen riesig guten Job, wird es aber nicht allein schaffenkönnen.Nun zum Stichwort „Breitbandversorgung“; das istschon genannt worden. Die Breitbandversorgung ist eineArt der Erschließung, die für den ländlichen Raum wich-tig ist, sowohl für den, der hinfährt – er möchte nicht off-line sein –, wie auch für den Gastgeber, der gefundenwerden möchte und alles tut, um in der Google-Listenach oben zu kommen. Das schafft der aber nicht ganzallein; da wird er unsere Unterstützung brauchen. Des-wegen: Die Breitbandversorgung ist ganz wichtig.
Die zweite Art der Erschließung kennen wir alle. Tou-rismusregionen müssen gut erreichbar sein – mit den un-terschiedlichsten Verkehrsträgern: mit dem ÖPNV, mitFernbussen, mit der Deutschen Bahn natürlich, mit demPkw natürlich auch, mit dem Flugzeug selbstverständ-lich. Das muss gegeben sein, sodass der Tourist den Ein-druck hat: Ich komme bequem dahin, wohin ich gernmöchte, auch wenn das jenseits der Ballungszentrenliegt. – Dafür haben wir in der Verkehrspolitik eine hoheVerantwortung, die wir durch eine sehr intensive Diskus-sion über diesen Bericht im Verkehrsausschuss in dieserWoche bereits, glaube ich, sehr gut herausgestellt haben.Zu den Arbeitsbedingungen ist sehr vieles, sehr Rich-tiges gesagt worden; das will ich nicht wiederholen. Wirhaben bis auf wenige Nuancen einen sehr hohen Kon-sens, wenn es darum geht, zu sagen: Der Tourismus isteine Superbranche. Es lohnt sich, über eine Ausbildungdort nachzudenken. Es muss aber auch ordentlich be-zahlt werden. Es muss ordentliche Arbeitsbedingungengeben. Diejenigen, die Dienstleistungen im Tourismus inAnspruch nehmen, müssen diese auch zu schätzen wis-sen.
Sie müssen wissen: Es stecken jede Menge Herzblutund Anstrengung dahinter, ein Hotel zu betreiben, eineGaststätte zu betreiben. Das kann eben nicht jeder. Daskönnen nur diejenigen, die ordentlich ausgebildet sind.Ich bringe es einmal auf den Punkt: Wir wollen bitteauch nur von solchen bewirtet werden. Es gibt genü-gend, die das können. Die müssen wir auch weiterhinunterstützen. Auch hier können wir über das Berufsbil-dungsgesetz – so viel zur Kompetenz – einiges von Bun-desseite tun.
Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet, weilmich das Thema Barrierefreiheit persönlich sehr um-treibt. Wir waren in dieser Woche bei der NatKo und ha-ben uns „Tourismus für Alle“ zu Gemüte geführt. Auchdas ist ein wichtiger Punkt, beispielsweise für die Ver-kehrsträger. Da gibt es massiven Nachholbedarf, insbe-sondere im Bereich des Bahn- und des Luftverkehrs. Esist auch wichtig, dass die Hotels und die Destinationenfür dieses Thema sensibilisiert werden. Da geht es nichtnur um Menschen mit Behinderung, sondern auch umunsere Senioren und um Familien, die mit dem Kinder-wagen durch die Gegend fahren müssen und die sichauch nicht über Stufen freuen, über die sie in den Speise-saal fallen.Das alles sind Dinge, bei denen eine Sensibilisierungnotwendig ist. Dahinter steht auch ein kräftiger Investi-tionsschub. Diesen gilt es von unserer Seite zu unterstüt-zen, wo wir es können. Ich freue mich sehr auf die Zu-sammenarbeit mit Ihnen allen. Ich finde, bisher hat siegroßen Spaß gemacht.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. VielenDank.
Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Zahlen sind genannt worden. Sie sind sehr imposant.Es gibt fast 2,9 Millionen Menschen in Deutschland, dieim Tourismusbereich Arbeit finden. Der Anteil des Tou-rismus an der gesamten Bruttowertschöpfung beträgt10 Prozent. Das ist sehr ordentlich. Der vorliegendeTourismusbericht der Bundesregierung hat deutlich ge-macht: Der Tourismus ist ein ernst zu nehmender Wirt-schaftsfaktor in diesem Land. Das gilt es zu sichern. Dasgilt es aber auch weiterzuentwickeln.
Liebe Frau Staatssekretärin Gleicke, Sie haben ja nundie undankbare Aufgabe übernommen, hier einen Be-richt zu verteidigen, für den Sie nicht verantwortlichsind; denn er ist die Bilanz der letzten vier Jahre einerRegierungskoalition, die es nicht mehr gibt. Aber Sietragen jetzt zusammen mit dem Parlament Verantwor-tung dafür, dass in diesem Land in der Tourismuspolitiketwas vorangeht.Wir müssen die Zukunft jetzt gestalten, aber – das istwichtig; darüber dürfen die guten Zahlen nicht hinweg-täuschen – wir stehen auch vor großen Herausforderun-gen. Einige sind ja vorhin bereits genannt worden. Es istnicht nur der Klimawandel, auf den ich explizit hinwei-sen möchte, der althergebrachte Urlaubsmodelle infragestellt. Wir haben ja in den vergangenen Jahren bei Über-schwemmungen, bei denen auch Tourismusgebiete be-troffen waren, immer wieder gesehen, dass man dasThema des Klimawandels hier konkret angehen muss.Dazu kommen der demographische Wandel, die Finanz-krise, ein verändertes Konsum- und damit auch verän-dertes Buchungsverhalten, steigende Ansprüche derKunden an Unterkünfte und Infrastruktur und nicht zu-letzt das starke Gefälle der Tourismusintensität zwischenStadt und Land.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1427
Markus Tressel
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Ich möchte einmal exemplarisch mehrere Punkte nen-nen, bei denen es dringenden Handlungsbedarf gibt. Dasteht ein Thema, das Sie freundlicherweise angespro-chen haben, auch bei uns ganz oben auf der Agenda. Ichfreue mich darüber, dass Sie es zu Ihrem Schwerpunktmachen wollen. Das ist das Thema der Arbeitskräfte undder Ausbildungsbedingungen.Wir haben im letzten Jahr im Ausschuss gehört, dassvon den rund 2,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissenin der engeren Tourismusbranche nur die Hälfte sozial-versicherungspflichtig sind. Das ist ein Riesenproblem.Das müssen wir angehen. Ich glaube, dass wir da mitdem Mindestlohn alleine nicht überall weiterkommenwerden. Es hängt auch mit den Ausbildungsbedingungenzusammen, dass die Berufe der Tourismusbranche in denBeliebtheitsrankings immer auf den letzten Plätzen ran-gieren. Ohne Fachkräfte kein qualitativ hochwertigerTourismus; das muss uns klar sein. Deswegen erwarteich ein schnelles und zielgerichtetes Handeln seitens derBundesregierung. Sie haben das angekündigt, FrauGleicke. Ich bin sehr gespannt und freue mich, dass Siedas angehen wollen.
Ein anderer Punkt ist die Verkehrsinfrastruktur. FrauKollegin Ludwig hat sie angesprochen. Diese musskünftig wegen des demografischen und klimatischenWandels anders gestaltet werden. Es muss uns klar sein:Nur dort, wo die Menschen auch ohne Auto gut hinkom-men und wo sie während des Urlaubs auch ohne Automobil sein können, kann ein nachhaltiger Tourismuswachsen. Das hat auch etwas mit Klimaschutz zu tun.Wir wissen: Im Tourismus entsteht bei der An- und Ab-reise ein Großteil des ökologischen Fußabdrucks. Es gibtauch Urlaubsregionen, die unter der Zunahme und derAbhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr lei-den. Umso schlimmer ist es – deshalb die Kritik an die-ser Stelle –, dass im Tourismuspolitischen Bericht derBundesregierung der vergangenen Wahlperiode nurganze zwei Sätze zum Thema Klima und Verkehr stehen.Da muss mehr Fleisch an den Knochen, und zwar drin-gend.
Wir wissen, dass eine intakte Umwelt die Grundlagejeder Tourismusdestination ist. Ihr Erhalt muss deshalbdie Maxime des politischen Handelns sein, nicht zuletztaufgrund ökologischer Erwägungen. Auch wenn mankeine Affinität zur Ökologie hat: Aus ökonomischenGründen ist es wichtig, die Grundlage in den Tourismus-destinationen zu erhalten, und diese Grundlage ist eineintakte Umwelt.Sie haben gesagt, dass wir die regionalen Wirtschafts-strukturen durch den Tourismus nachhaltig verbessernmüssen. Ich freue mich sehr, dass an dieser Stelle Kon-sens herrscht. Sie haben vorhin beschrieben, dass es daein Gefälle gibt. Das ist noch untertrieben. Lediglich12 Prozent der touristischen Wertschöpfung werden aufdem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Über-nachtungskapazitäten hier sind. Das ist ein riesigesDelta, das wir schließen müssen.Es gibt eine Untersuchung der Hochschule München,die zeigt: Von 100 umgesetzten Euro bleiben nur rund36 Euro in der Region. An dieser Stelle müssen wir an-setzen. Wir müssen regionale Wirtschaftskreisläufeschließen. Deswegen hoffe ich, dass die Große Koalitionauch dafür sorgt, dass das begonnene Projekt „Touris-musperspektiven in ländlichen Räumen“ – ein positiverAnsatz aus der letzten Wahlperiode – nicht einfach in derSchublade verschwindet, sondern weitergeführt wird;eventuell auch mit Modellregionen.
Es gibt viele Themen. Sie haben die Weiterentwick-lung der GAK zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländli-che Räume“ angesprochen. Diese befürworte ich außer-ordentlich. Wir haben ein großes Problem beimSanierungsstau. Der Mittelstand im Bereich des Touris-mus hat ein ganz großes Problem mit der Finanzierung,weil es dort nur eine ganz niedrige Eigenkapitalquotegibt. Ich glaube, dass wir gemeinsam eine Strategie ent-wickeln müssen. Ich reiche Ihnen dafür heute die Handund biete unsere Zusammenarbeit an. Ich denke, es istaller Mühen wert, den Tourismus in Deutschland weitervoranzubringen. Wir brauchen hier gute Strukturen. Wirkönnen Ihnen nur sagen: Wir sind bereit, uns dabei zuengagieren. Es gibt einen Konsens; das haben wir heutegehört. Ich hoffe, dass wir ihn in der kommenden Wahl-periode auch in konkrete Taten umsetzen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gestatten Sie mir, einleitend ein Dankeschönfür den vorliegenden Tourismusbericht an unseren ehe-maligen Kollegen Ernst Burgbacher zu richten. Er hatdiesen Bericht als Beauftragter der Bundesregierung fürMittelstand und Tourismus vorbereitet und größtenteilszu verantworten. Persönlich freue ich mich jetzt auf dieZusammenarbeit mit seiner Nachfolgerin, unserer Kol-legin Iris Gleicke, die sich bereits sehr engagiert imTourismusausschuss vorgestellt hat. Heike Brehmerwünsche ich ebenfalls viel Erfolg bei ihrer verantwor-tungsvollen Arbeit als Vorsitzende des Tourismusaus-schusses.Der Wirtschaftszweig Tourismus ist es wert, dass wiruns für ihn einsetzen. Er erwirtschaftet mit 97 MilliardenEuro einen direkten Anteil von 4,4 Prozent an der ge-samten Bruttowertschöpfung unserer Volkswirtschaft.2,9 Millionen Erwerbstätige sind direkt in der Touris-
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Klaus Brähmig
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musbranche beschäftigt. Das sind 7 Prozent aller Er-werbstätigen unseres Landes. So konnte Deutschlandbereits zum vierten Mal in Folge einen Übernachtungs-rekord aufstellen. Nahezu 411 Millionen Übernachtun-gen wurden gezählt. Entscheidend für dieses Wachstumwar die zunehmende Zahl von Übernachtungen auslän-discher Gäste. Wir verzeichnen 71,6 Millionen Nächti-gungen.Man muss einmal ganz deutlich auf die Ursache fürdiese positive Entwicklung hinweisen. Die Fußballwelt-meisterschaft 2006 war der Durchbruch beim Auslands-tourismus für das Reiseland Deutschland. Seit 2006 sinddie Übernachtungszahlen von ausländischen Gästen uminsgesamt knapp 18 Millionen gestiegen. Deutschlandhat Weltoffenheit, Gastfreundschaft und Toleranz ge-zeigt und somit seine Chance genutzt. Deutschland kannstolz sein auf die Wiederaufbauleistungen sowie auf dieWiedervereinigung vor 25 Jahren. Das ist gut so.
Trotz der Bedeutung dieses Wirtschaftsfaktors ist esmir völlig unverständlich, dass wir als Tourismuspoliti-ker jedes Jahr als Bittsteller bei den Haushaltspolitikernauftreten müssen. Wenn die Autoindustrie in der Krisehustet, wird die Summe von 5 Milliarden Euro für Ab-wrackprämien im Handstreich aufgetrieben. Hier, wowir Tausenden von kleinen und mittelständischen Unter-nehmen aus Hotellerie und Gastronomie helfen können,darf die Unterstützung nicht infrage gestellt werden.
Diese Mittelständler können einen weltweiten Markt al-lein nicht durchdringen. Sie benötigen die bündelndeKraft der Deutschen Zentrale für Tourismus.Warum schreiten wir als öffentliche Hand hier nichtmit zusätzlichen Beiträgen, zum Beispiel 5 MillionenEuro, voran und holen dabei die Länder und die Wirt-schaft mit ins Boot? Tatsache ist doch: Die DZT hat nachder Fußballweltmeisterschaft den Schwung genutzt undihre Marketingaktivitäten immer mehr ausgeweitet. Siewürde gerne noch intensiver für das Reiseland Deutsch-land werben. Dafür müssten wir aber die Mittelerhöhungumsetzen. Gerade in den Zukunftsmärkten Brasilien,China, Indien und Russland mit ihrem enormen Wachs-tumspotenzial und dem Interesse für unsere Kulturmüsste Deutschland als Reiseland viel stärker beworbenwerden.In diesem Zusammenhang muss ein weiteres heiklesThema erörtert werden. Meines Erachtens war es eineFehlleistung, dass die Bundesländer der DZT die Kom-petenz und die Gelder für das Inlandsmarketing entzogenhaben. Damit wurde eine Chance vertan, vorhandene Mit-tel zu bündeln, um schlagkräftig die Werbetrommel rüh-ren zu können. Ich setze auch auf eine starke Koordinie-rung von Bund, Ländern und Regionen. Persönlichwünsche ich mir, dass wir die Neugestaltung eines über-sichtlichen Destinationsmanagements gemeinsam ange-hen. Wir müssen wegkommen von 130 Tourismusregionen,um die nationale und die internationale Vermarktung ef-fizienter zu gestalten. Wir müssen weg von der geradezuunhaltbaren Kirchturmpolitik, die hier immer noch be-trieben wird.Die Bündelung der Kräfte ist auch bei Investitionender Kommunen in die touristische Infrastruktur eineHauptaufgabe. Damit die Region attraktiv bleibt, müssensich Städte und Gemeinden gemeinsam eine Entwick-lungsstrategie überlegen; denn eine hohe touristische At-traktivität und Investitionen in die Tourismusbranchekommen in nicht unerheblichem Maße der einheimi-schen Bevölkerung und anderen Wirtschaftszweigen zu-gute. Investitionen in diesem Sektor tragen vielfach zuspürbaren Verbesserungen der Standort- und Lebensqua-lität bei. Sie führen zu einer Erhöhung des Wohnwertessowie des Imagefaktors einer Region und erleichtern da-mit auch Unternehmensansiedlungen. Kurzum: JederEuro, der in die touristische Infrastruktur investiert wird,hat einen doppelten Nutzen.Meine Damen und Herren, vor der entsprechenden In-vestition sollten die Kommunen aber Grundsatzentschei-dungen treffen. Eine Tourismusregion kann nur schwer-lich gleichzeitig eine Energieregion sein. Noch wissenwir nicht, wie sich die Energiewende auf die Natur, dieKulturlandschaft und den Tourismus auswirkt. Hiermuss abgewogen werden zwischen den verschiedenenFormen der Gewinnung und Speicherung regenerativerEnergien und der Landschaftsästhetik, einem der wich-tigsten Faktoren für den Tourismus.Angesichts der guten Zahlen im vorliegenden Berichtkönnen wir von einem dynamischen Wirtschaftsmarktsprechen. Aber ein dynamischer Wirtschaftsmarkt mitSteigerungsraten von knapp 4 Prozent braucht eine dy-namische Marktbeobachtung. Deswegen sollte die Bun-desregierung in dieser Legislaturperiode mindestenszwei Tourismusberichte vorlegen. Nur so können wirdiesem schnelllebigen und gewinnträchtigen Wirt-schaftsfaktor gerecht werden.Sie sehen: Trotz der Erfolge bleibt noch viel zu tun.Packen wir es an! Ich freue mich auf eine gemeinsame,kollegiale Zusammenarbeit in unserem Ausschuss.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Frank
Junge.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst, Frau Gleicke, bin ich sehr froh darüber, dassSie bei uns im Wirtschaftsministerium angesiedelt sindund uns Ihre Kompetenzen zur Verfügung stellen. Ichglaube, dass wir mit Ihnen an dieser Stelle eine guteMultiplikatorin haben. Wir brauchen Sie nicht im Kanz-leramt.
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Frank Junge
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn will ichgerne das zusammenfassen, was Sie alle auf den Punktgebracht und mit Zahlen unterlegt haben. Der Tourismusin unserem Land ist eine Erfolgsgeschichte. Die Brancheist ein volkswirtschaftliches Schwergewicht und ein un-verzichtbarer Impulsgeber für den Arbeitsmarkt. DiePrognosen – das wurde auch schon deutlich – sind über-aus gut. Das bestätigt auch der Bericht, der Ihnen vor-liegt, eindrucksvoll. Das ist – das muss man noch einmalsagen – zum einen das Verdienst eines überwiegend mit-telständisch geprägten Unternehmertums, aber es istauch das Verdienst von circa 3 Millionen direkt Beschäf-tigten im Tourismus. All denen muss man einmal Dankund Anerkennung aussprechen.
Die vorliegende Analyse zeigt aber auch klar und deut-lich, um welche Handlungsfelder wir uns kümmern müs-sen; das kam hier an vielen Stellen zum Ausdruck. Wirmüssen uns den entsprechenden Problematiken stellen;denn es gibt viel zu tun. Den Erfolgsaussichten, den gu-ten Prognosen für die Branche müssen Taten folgen, da-mit es zu positiven Auswirkungen auf die Branchekommt.Saisonarbeit, unregelmäßige Arbeitszeiten, schlechteBezahlung – all das sind Faktoren, die einen Fachkräfte-mangel nach sich ziehen, der die Arbeitsmarktsituationin der Branche signifikant, also gefährlich beeinflusst.Wenn wir hier darüber reden, zusammen mit den Län-dern, den IHK, den Verbänden und den GewerkschaftenVerbesserungen bei der Ausbildung herbeizuführen,dann – das unterstreiche ich deutlich – müssen wir auchüber den Mindestlohn reden. Wir brauchen einen Min-destlohn, weil bei der Berufswahl nicht nur die Liebezum Beruf, Frau Kassner, eine Rolle spielt, sondern auchdie Frage, ob man in diesem Beruf ausreichend Geldverdienen und damit eine Familie ernähren kann.
Zum Thema Verkehrsinfrastruktur ist auch schon ei-niges gesagt worden. Ich möchte kurz den BereichSchienennetz erwähnen. Es ist natürlich so, dass derAusbau des Verkehrs auf der Schiene dazu führen wird,dass Fernverkehrsstraßen entlastet werden, Emissionenreduziert werden etc. Aber wir werden mit der Verlage-rung des Verkehrs auf die Schiene auch dazu beitragen,eine neue Zielgruppe für den Tourismus zu erschließen,nämlich die Gruppe derer, die keinen Pkw haben undüber den Schienenverkehr dennoch Zugang zu den Des-tinationen finden und vor Ort nach ihren Möglichkeitenkonsumieren. Vor diesem Hintergrund ist es ganz wich-tig, dass wir bessere infrastrukturelle Voraussetzungenfür einen Deutschlandtakt mit aufeinander abgestimmtenAnschlüssen aller Beteiligten in diesem Bereich schaf-fen.
Denn es ist einfach unvorstellbar ärgerlich, wenn manals Familie mit Gepäck auf einem Bahnhof steht, aberder anschließende Bus im ÖPNV gerade abgefahren istund einen nicht zur nächsten Station bringen kann. Dasverhindert ganz klar das Ausweichen auf die Schiene,das wir alle wollen.
Zweitens ist klar herauszustellen, dass wir auf dieDeutsche Bahn einwirken müssen, damit zum Beispieldie Fahrradmitnahme in den Zügen verbessert wird.
Fahren Sie mal mit Fahrrad und Familie mit dem Zug.Da fängt der Abenteuerurlaub schon am ersten Tag desUrlaubs an.
Drittens möchte ich darauf hinweisen, dass wir auchdafür zu sorgen haben, dass die Deutsche Bahn das An-gebot barrierefreier Fahrgast- und Tarifinformationenausbaut.
Es ist einfach so, dass die barrierefreie Reise schon dortanfängt. Hier ist Erhebliches zu tun.Stichwort Barrierefreiheit. Auch ich möchte diesenPunkt kurz beleuchten, Frau Ludwig. Es geht nicht nurdarum, einer UN-Konvention nachzukommen, wenn wirMenschen mit Mobilitäts- oder Aktivitätseinschränkun-gen die Angebote so offerieren, dass sie sie auch wahr-nehmen können. Es geht auch darum, dass Familien mitKindern und ältere Menschen barrierefreie Angeboteebenfalls gerne in Anspruch nehmen. Wie gerne sie dastun, sieht man an diesem Punkt: Das Bundeswirtschafts-ministerium beziffert das entsprechende Marktpotenzialauf circa 4,9 Milliarden Euro. Dahinter steckt ein Wirt-schaftsfaktor, dessen wir uns einfach annehmen müssen,um die Branche zu stärken. Das, liebe Kolleginnen undKollegen, gilt es hervorzuheben und zu unterstreichen.
Ich sehe es also als eine wesentliche Aufgabe an, zu-sammen mit der Bundesregierung und allen Akteuren indiesem Bereich davon wegzukommen, lediglich diewirklich überaus begrüßenswerten Initiativen und Ein-zelprojekte zur Schaffung von Barrierefreiheit vor Ort zuunterstützen; wir müssen mit allen Beteiligten eine ArtMasterplan entwickeln. Dafür müssen wir die Vorausset-zungen schaffen.
Lassen Sie mich einige Sätze zum Wassertourismusverlieren. Es ist klar, dass die Gäste, die sich für dieseAngebotspalette interessieren, längst nicht mehr nur den
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Frank Junge
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Zugang zum Wasser brauchen. Hier haben sich aus denBedürfnissen der Touristen Nachfrageaspekte entwi-ckelt, denen wir einfach gerecht werden müssen. UnserLand bietet mit den rund 10 000 Kilometer langen Bun-des- und Landeswasserstraßen und den fast 23 000 Qua-dratkilometer großen Seewasserstraßen eine Fülle vonVoraussetzungen dafür, dieser Nachfrage gerecht zuwerden. Hier brauchen wir ein Konzept aus einem Guss,ein Wassertourismuskonzept, das die vorhandene Ange-botsstruktur so bündelt, dass man den Ansprüchen derGäste und Urlauber in diesem Bereich, was zum Beispielvergleichbare Qualitätsmerkmale anbetrifft, gerecht wirdund die Voraussetzungen dafür schafft, dass unser Stand-ort Deutschland im europäischen Wettbewerb auch hierein Stück weit die Nase vorn hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michzum Abschluss sagen, dass ich über den im Ausschussvorhandenen Konsens erstaunt bin. Ich empfinde das alseine überaus fruchtbringende Arbeitsweise. Wenn wir soweitermachen, dann können wir für den Tourismusfaktorin Deutschland viel bewegen.Vielen Dank.
Kollege Junge, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich im Namen
des gesamten Hauses und wünsche Ihnen Erfolg bei der
Arbeit.
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Barbara
Lanzinger das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Alle bisherigen Redebeiträge zeigen: Der Touris-
mus boomt. Alle Zahlen deuten darauf hin, dass in die-
sem Bereich eine enorme Wertschöpfung zu verzeichnen
ist. Das ist gut für die Wirtschaft insgesamt. Besonders
gut ist das für den Mittelstand, für die ihn tragenden Fa-
milienunternehmen. Das zeigt einmal mehr, wie stabil,
innovativ und zuverlässig der Mittelstand ist. Er ist das
Rückgrat unserer Wirtschaft.
Der Bericht macht deutlich, dass viel für den Bereich
Tourismus getan wurde. Genannt sei hier exemplarisch
– auch wenn sich wahrscheinlich gleich Widerspruch er-
heben wird – die Senkung der Mehrwertsteuer für die
Hoteliers.
Sie war richtig und zielführend. Sie war ein kleines Kon-
junkturprogramm. Viele der vor allem kleinen Betriebe
haben die daraus resultierende Entlastung genutzt, um
Investitionen zu tätigen.
F
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bereiche Kultur- und Städtetourismus boo-men. Das würden wir uns auch für den ländlichen Raumwünschen. Ich denke, hier sind wir uns alle einig.In der letzten Wahlperiode setzten wir mit dem Pro-jekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ ei-nen großen Schwerpunkt. Die Ergebnisse sind insgesamtgut. In einem Handlungsleitfaden werden Chancen,Herausforderungen und Perspektiven aufgezeigt. DieProjektbewertung der Bundesregierung sieht jedochNachholbedarf, insbesondere in den Bereichen Qualifi-zierung, Qualitäts- und Innovationsmanagement, Vernet-zung und Marketing. Wir sollten gemeinsam darübernachdenken, wie wir die Förderung von Qualifizierung,Qualitäts- und Innovationsmanagement und anderen Be-reichen zielgenau einsetzen könnten, zum Beispiel mitKrediten von der KfW.
Aus meiner Sicht gibt es ein Zauberwort, das be-schreibt, was für nachhaltigen und dauerhaften Erfolgwichtig ist: Unverwechselbarkeit. Das ist für den Be-reich Tourismus besonders wichtig. Zum einen geht esum die Unverwechselbarkeit der ländlichen Räume, dieVerbindung von herrlicher Landschaft, traditioneller, bo-denständiger Küche, historischem Bauerbe und Erho-lung für alle Sinne: also Genuss pur zum Greifen.Unverwechselbarkeit bezieht sich zum anderen aufdie Unternehmerpersönlichkeit. Das lässt sich am Bei-spiel von Gast- und Wirtshäusern gut erklären. Ichkomme aus der Oberpfalz, wo es eine Vielzahl von Gast-und Wirtshäusern gibt. Die einen funktionieren hervorra-gend, die Menschen fahren gerne hin, auch wenn sienoch so entlegen oder einfach ausgestattet sind, anderewiederum fristen ein schwieriges Dasein, obwohl sie mitden anderen Gasthäusern durchaus vergleichbar sind.Warum ist das so? Spricht man mit den Gästen, wirdeines sehr schnell deutlich: Es geht um die Wirtsleuteselbst. Es ist wie in vielen anderen Branchen auch: DasGanze steht und fällt mit den Betreibern, mit den Unter-nehmerinnen und Unternehmern.
Wir sollten also bei den Unternehmerpersönlichkeitenansetzen; denn schließlich sind sie es, denen es gelingenmuss, Mitarbeiter zu gewinnen, aus- und fortzubilden,zu motivieren und diese an das Unternehmen zu binden.Letztendlich geht es darum, attraktive Arbeitsplätze zuschaffen.Ein weiterer Punkt hinsichtlich der Unverwechselbar-keit und Vielfalt unseres Tourismus, vor allem in den
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Barbara Lanzinger
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ländlichen Räumen, ist die Frage: Wie können sich dieUnternehmen vermarkten? Ich denke, dass wir, wie esim Ausschuss kurz angedacht wurde, ein Portal zur Ver-marktung des ländlichen Raumes schaffen sollten. Esgab ja schon Versuche, bestehende Initiativen und Ange-bote zu bündeln. Ich denke, ein positives Beispiel ist dieVermarktung des Urlaubs auf dem Bauernhof durch denBauernverband über das Portal www.landsichten.de.Hier könnten wir ein Stück weit andocken. Wir könntendieses Portal nutzen und es um weitere Angebote ergän-zen. Ich denke, das würde Sinn machen.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung:Tourismus ist auch ein Botschafter. Alle Beteiligten sindBotschafter für unser Land, für unsere Kultur und für un-sere jeweils ganz eigene Lebensart. Diese Unterschied-lichkeit empfinde ich übrigens als sehr positiv. Der Tou-rismus ist auch Botschafter in Bezug auf die sozialeVerantwortung. Das wurde auch im Tourismuspoliti-schen Bericht erwähnt. Erlauben Sie mir vor dem Hin-tergrund aktueller Debatten den Hinweis darauf, dasswir im Zusammenhang mit Tourismus auch darübernachdenken sollen und müssen, wie wir mit den Men-schen umgehen wollen. Eines muss klar sein – dieserPassus im Bericht ist mir sehr wichtig; wir sollten hie-rauf unser Augenmerk legen –: Es darf keine touristischeWertschöpfung durch den Missbrauch von und an Men-schen geben, weder im Ausland noch im Inland.
Ich halte es für sehr fragwürdig, Deutschland als Reise-ziel Nummer eins zu bezeichnen, wenn das mit Sextou-rismus verbunden wird. Darauf können, wollen und dür-fen wir nicht stolz sein. Ich freue mich, wenn wir imRahmen der Änderung des Prostitutionsgesetzes hier– hoffentlich – einiges verändern.Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Druck-
sache 18/605 zu dem Tourismuspolitischen Bericht der
Bundesregierung für die 17. Legislaturperiode auf
Drucksache 17/13674. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/613. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/614. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ,
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Einführung des neuen Entgeltsystems in der
Psychiatrie stoppen
Drucksache 18/557
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die not-
wendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig
vorzunehmen und die notwendige Aufmerksamkeit her-
zustellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Gegen Ende unserer Debatteam heutigen Tag geht es um ein sehr wichtiges Thema:die Versorgung psychisch Kranker im Krankenhaus.Wenn das, was die vorherige, die schwarz-gelbe Bun-desregierung beschlossen hat, wie geplant Anfang 2015umgesetzt wird, dann wird sich die Versorgung in denPsychiatrien deutlich verschlechtern. Das sagen nichtwir, sondern über 15 Fachverbände, Vertreterinnen undVertreter der Wissenschaft, der Ärzteschaft, der Pflege-berufe, der Pflegeverbände, der Gewerkschaften, der Kli-nikleitungen und nicht zuletzt der Organisationen von Pa-tientinnen und Patienten. Alle Betroffenen sind gegendas neue pauschalisierende Entgeltsystem für Psychia-trie und Psychosomatik, auch PEPP genannt; die Abkür-zung ist deutlich einfacher als der lange Begriff. Deshalbist es Aufgabe des Bundestages, seine Entscheidung von2012 zu korrigieren und PEPP zu stoppen.
Worum geht es genau? In den nichtpsychiatrischenKrankenhäusern wurden schon vor rund zehn JahrenFallpauschalen eingeführt. Das bedeutet, dass Kranken-
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Harald Weinberg
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häuser nicht nach dem tatsächlichen Aufwand, sondernnach der Diagnose bezahlt werden. Eine Blinddarm-OPbringt eine feste Summe. Dabei ist es egal, wie lange derPatient oder die Patientin zur Rekonvaleszenz, zur Erho-lung im Krankenhaus bleiben muss. Die Krankenhäuserhaben so einen klaren Anreiz, die Patientinnen und Pa-tienten früher nach Hause zu schicken.Vor zehn Jahren war Konsens, dass dieses System inpsychiatrischen Stationen nicht funktionieren kann. Des-halb hat man dort weiterhin nach Tagessätzen gezahlt.Denn während man bei einer Blinddarm-OP noch relativgut sagen kann, dass sie im Durchschnitt einen Kranken-hausaufenthalt von etwa drei bis fünf Tagen zur Folgehat, kann man bei den Diagnosen Depression, Schizo-phrenie oder Angststörung nicht zu Beginn der Behand-lung im Krankenhaus sagen, wie lange sie sinnvoller-weise dauern sollte oder dauern wird.Solche individuellen Verläufe berücksichtigt das neueAbrechnungssystem nicht. Zwar sieht es weiterhin eineBezahlung des Krankenhauses pro Tag vor, aber nur alsDurchschnittspauschale, und bei fortschreitender Dauerwird mit jedem Tag weniger gezahlt, egal ob die Be-handlung mit der Zeit eventuell sogar intensiver werdenmuss. Damit hat das Krankenhaus einen Anreiz, den Pa-tienten oder die Patientin zu entlassen, sobald die Tages-pauschale unter die entstehenden Kosten fällt, egal obgesund oder nicht. Der Zeitpunkt der Entlassung wirddann nicht mehr von den Ärztinnen und Ärzten in Ab-sprache mit den Patienten festgelegt, sondern de factovom Krankenhausmanagement vorgegeben. Das darf un-serer Meinung nach nicht sein.
Nur am Rande sei erwähnt, dass PEPP auch einennegativen Einfluss bei Zwangsbehandlungen habenkönnte; denn Geduld mit psychisch kranken Menschen,die meistens schwierig sind, wird dadurch nicht geför-dert.Hinzu kommt, dass nach der Einführung von PEPPdie Personalverordnung in der Psychiatrie, die Psych-PV,ab 2017 außer Kraft gesetzt werden soll. In dieser Ver-ordnung ist geregelt, wie viele Ärztinnen und Ärzte, wieviele Pflegekräfte und wie viel sonstiges therapeutischesPersonal das Krankenhaus bereithalten muss. Die ge-plante Abschaffung zwingt die Krankenhäuser, unterdem Diktat des pauschalen Entgeltsystems auf Kostendes Personals und damit auf Kosten der Patientinnen undPatienten zu sparen. Das soll unserer Meinung nachnicht sein.
Deshalb müssen wir PEPP im Bundestag stoppen. Ichbitte gerade auch die Kolleginnen und Kollegen ausUnion und SPD, dies zu bedenken. Vor etwa zwei Jah-ren, als das PEPP-Gesetz von Schwarz-Gelb beschlossenwurde, gab die heutige gesundheitspolitische Sprecherinder SPD hier zu Protokoll – ich zitiere –:Das Psych-Entgeltsystem, so wie es im Gesetzent-wurf konzipiert ist, überträgt die Strukturen der so-matischen Medizin auf die Versorgung von psy-chisch Kranken. Das halten wir als SPD für einengroßen Fehler.
Weiter hieß es bei ihr:Die Abschaffung der Psych-PV lehnen wir als SPDganz klar ab.Noch ein Zitat:Insbesondere der Diagnosebezug bei der Vergütungvon Leistungen wird mit großer WahrscheinlichkeitFehlanreize setzen, Menschen mit schweren psychi-schen Krankheiten nur unzureichend zu behandeln.Diese Menschen brauchen eine sehr individuelle,therapeutische und kontinuierliche Behandlung un-ter Einbeziehung des eigenen Lebensumfeldes.Dies kann nicht mit einer Struktur gelingen, die sichan der Vergütung von Krankheiten auf der Grund-lage der DRG orientiert.Dies alles, was Sie, liebe Frau Mattheis, damals ge-sagt haben, ist völlig richtig. Das findet nicht nur unsereZustimmung, sondern auch die Zustimmung von fast al-len Expertinnen und Experten, von den Betroffenen undvon inzwischen über 15 000 Unterzeichnern einer Peti-tion, die derzeit läuft und Alternativen zu PEPP fordert.
Auch aus der Union sind Stimmen zu vernehmen, die zuRecht an der Einführung von PEPP im Januar 2015zweifeln. Ich habe insofern noch Hoffnung, dass die Ko-alition ein Einsehen hat und dieses Gesetz korrigiert. Mitunserem Antrag wollen wir dazu eine Gelegenheit ge-ben.Wenn Sie aber, wie so oft bei unseren Anträgen, unse-ren Antrag ablehnen werden, dann bitte ich Sie: Schrei-ben Sie ein wenig davon ab, und bringen Sie es selbstein!
Legen Sie PEPP auf Eis, und lassen Sie uns mit den Ex-perten und Betroffenen neu überlegen, wie wir ein Ent-geltsystem auf den Weg bringen können, das die Versor-gung von Patientinnen und Patienten verbessert undnicht verschlechtert.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin UteBertram das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Der Bundestag hat am 17. März2009, also noch zu Zeiten der zweiten Großen Koalition,das Krankenhausfinanzierungsgesetz um den § 17 d er-weitert. Darin wurde festgelegt, für die Vergütung derKrankenhausleistungen aus dem Fachbereich der Psy-chiatrie und der Psychotherapie ein „durchgängiges,leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungs-system auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelteneinzuführen“. Dasselbe gilt auch für die Kinder- und Ju-gendpsychiatrie, die psychosomatische Medizin und diePsychotherapie.Im jetzigen Koalitionsvertrag haben wir dieses Zielbekräftigt. Dieses neue und mittlerweile in der Konkreti-sierungsphase befindliche Vergütungssystem soll dasbisherige System des tagesgleichen Pflegesatzes, derjährlich zwischen dem einzelnen Krankenhaus und denKrankenkassen vereinbart wurde, ablösen. Dieser Pfle-gesatz differenziert zwar zwischen dem Basispflegesatz,zum Beispiel für die Kosten der Verpflegung, und demAbteilungspflegesatz für die medizinischen Kosten,schert aber ansonsten alles über einen Kamm. Eine Dif-ferenzierung gerade der medizinischen Leistungen inAbhängigkeit von der Schwere der Erkrankung des Pa-tienten findet nicht statt. Dieses Vergütungssystemgleicht geradezu einer nicht einsehbaren Blackbox, inder Krankenhäuser Gewinner und Verlierer sein können.
Kurzum: Das System ist ungerecht. Schon deshalbbesteht Reformbedarf. Das gilt auch vor dem Hinter-grund, dass wir einer wachsenden Anzahl psychischerErkrankungen gegenüberstehen. Hierauf muss sich unserGesundheitssystem einstellen. Mit dem Psych-Entgelt-gesetz setzen wir den rechtlichen Rahmen für die Ein-führung des neuen Systems bezüglich der Leistungenpsychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen.Das neue System wird die Transparenz im Hinblickauf das Leistungsgeschehen verbessern, womit wir aucheinen effizienteren Ressourceneinsatz erreichen wollen.
Es wurde im Rahmen eines lernenden Systems mit einervierjährigen Einführungsphase gestartet und umfasst denZeitraum von 2013 bis 2016. Diese Phase wird budget-neutral gestaltet; das heißt, die bisherigen Budgets blei-ben den Krankenhäusern erhalten. 2013 und 2014 sinddabei sogenannte Optionsjahre. Die Einrichtungen kön-nen frei entscheiden, ob sie am neuen Entgeltsystem teil-nehmen. Mit Stand Januar 2014 haben sich von insge-samt 588 Krankenhäusern schon 80 dem neuen Psych-Vergütungssystem angeschlossen; das sind immerhin13,5 Prozent. Daran schließt sich bis 2021 eine fünfjäh-rige Konvergenzphase an. Den Einrichtungen sollte da-mit ausreichend Zeit gegeben sein, sich auf künftige Ver-änderungen ihres Erlösbudgets einzustellen.Ich habe ja durchaus Verständnis dafür, dass Verände-rungen an bestehenden Strukturen immer auch Wider-stände hervorrufen; das ist offenbar so eine Art Natur-gesetz. Speziell ist es auch nachvollziehbar, dass eineKatalogisierung von psychiatrischen und psychosomati-schen Leistungen kein leichtes Unterfangen ist. Die Zwi-schenstände bei den Arbeiten der Vertragspartner – derDeutschen Krankenhausgesellschaft und des GKV-Spit-zenverbands – belegen dies eindeutig.Eine gebrochene Seele ist etwas anderes als ein ge-brochenes Bein.
Darum ist es vorgesehen, diesen Veränderungsprozessüber einen Gesamtzeitraum von rund zehn Jahren zu ge-stalten. Sollte sich im Verlauf des Einführungsprozessesdoch erweisen, dass diese Frist noch zu kurz ist, kannsich die Union auch vorstellen, den Zeitraum zu verlän-gern. Das kann eine Verlängerung der Optionsphase be-deuten oder bessere Absicherungsmechanismen für dieKrankenhäuser in der budgetneutralen Phase oder, in derKonvergenzphase, auch eine Änderung des Systems.Das alles ist vorstellbar.Kritik der Verbände nehmen wir sehr ernst, und wirsind auch bereit, auf Veränderungsvorschläge einzuge-hen. Die nächsten Veränderungsvorschläge der Selbst-verwaltungspartner sollen übrigens im April veröffent-licht werden. Wir werden sie uns genau ansehen und aufdieser Basis kurzfristig über einen Änderungsbedarf be-raten. Damit ist klar: Konstruktiven Vorschlägen ver-schließen wir uns nicht; aber wer sich nicht einbringt,kann auf das neue System logischerweise auch keinenEinfluss nehmen.In der fachöffentlichen Debatte sind nun einige Be-fürchtungen artikuliert worden, die klargestellt werdensollten. So gehen einige davon aus, dass durch den de-gressiven Verlauf der Tagesentgelte ein falscher Anreizzu einer frühzeitigen Entlassung aus dem Krankenhausgesetzt würde. Die Tagesentgelte werden aber auf einerumfassenden empirischen Basis kalkuliert, sodass sie diedurchschnittlichen Behandlungskosten pro Patient de-cken. Zu einer systematischen Untervergütung dürfte esalso nicht kommen. Vielmehr würden Psych-Einrichtun-gen bei einer zu frühen Entlassung auf zusätzlichen Er-lös verzichten.
Ein weiterer Vorwurf lautet, der PEPP-Entgeltkatalogsei zu wenig differenziert, jede psychische Erkrankungverlaufe höchst individuell. Der PEPP-Entgeltkatalogbefindet sich noch in der Entstehungsphase; aber schonjetzt ist er sehr ausdifferenziert und damit dem jetzigenVergütungssystem weit voraus. Der Katalog 2013 um-fasst insgesamt 135 Entgelte für voll- und teilstationäreLeistungen sowie 75 Zusatzentgelte. Darunter sind Ent-gelte für die hochaufwendige Versorgung, für die dieEinrichtungen nach dem bisherigen Vergütungssystemkeine erhöhte Vergütung erhalten.Kritisiert wird auch, Diagnosen seien nicht geeignet,Aussagen über den Behandlungsverlauf zu treffen. Dieempirischen Daten zeigen aber, dass mithilfe von Dia-gnosegruppen erhebliche Unterschiede beim Aufwanderkannt werden können. Außerdem besteht Einigkeit,
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Ute Bertram
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dass im Rahmen des lernenden Systems weitere Merk-male zu identifizieren sind, die Aufwandsunterschiedevielleicht noch deutlicher erklären können als die Diag-nosekodierung.Schließlich wird noch vorgeschlagen, PEPP zu ver-schieben oder gar zu stoppen. Bei einer Verschiebungder Einführung ist nicht mit einer Verbesserung des Ent-geltkatalogs zu rechnen. Erfolgversprechender ist es, un-ter den geschützten Bedingungen der budgetneutralenPhase in das neue System einzutreten. Die Beteiligtenkönnen intensiv und engagiert die vielfältigen Möglich-keiten zur Weiterentwicklung des Entgeltsystems nutzenund so das lernende System vitalisieren.Wer die Einführung stoppen will, der will etwas, waswir nicht wollen, nämlich das ungerechte und intranspa-rente bisherige Vergütungssystem aufrechterhalten.Herzlichen Dank.
Kollegin Bertram, das war Ihre erste Rede im Deut-schen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch und viel Er-folg für Ihre Arbeit!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun dieKollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich gehe jetzt direkt auf die vorherigen Bei-träge ein.Zunächst möchte ich sagen: Wir unterstützen das An-liegen der Linken in ihrem Antrag, weil auch wir mei-nen: Es ist notwendig, dass wir einen Haltepunkt setzenund uns noch einmal anschauen, unter welchen Bedin-gungen wir PEPP in Gang gesetzt haben und ob das neueHonorarsystem in seiner Ausgestaltung, die wir im Ge-setz gewählt haben, geeignet ist, eine Verbesserung derVersorgung von psychisch erkrankten Menschen herbei-zuführen. Das muss nämlich die große Zielsetzung sein.
Wir stellen hier fest, dass schon bei der Geburt diesesGesetzes einige Fehler gemacht worden sind. Ich glaube,auch die CDU-Kollegen waren durchaus nicht immerglücklich mit den Vorschlägen, die vom damals FDP-ge-führten BMG unterbreitet worden sind und letztlich In-halt des Gesetzes wurden.Es gab zentrale Defizite. Beispielsweise wurde vorhernicht geprüft – das war der erste Fehler –, ob die Perso-nalausstattung den Notwendigkeiten in den Psychiatrientatsächlich entspricht. Es gab keine Vorstellung darüber,wie man die ambulante Versorgung und die stationäreVersorgung zusammenbringen kann und wie der Über-gang von stationärer Versorgung zur ambulanten Versor-gung im Entgeltsystem abzubilden ist.Es gibt kaum einen Ansatz, der tatsächlich im Augehat, wo die Versorgung 2022 stehen muss. Wie muss sieaussehen? Wie schaffen wir eine gemeindenahe, gut ver-zahnte, ambulante, gestufte Versorgung für die Men-schen mit einer psychischen Erkrankung unter Berück-sichtigung ihrer jeweiligen Individualität? Das allesfehlte bei der Beurteilung der Ausgangslage, weshalbdieses Gesetz eher ein Spar- und kein wirkliches Re-form- und Strukturgesetz geworden ist.
Zum zweiten Fehler. Sie haben gesagt, es sei ein ler-nendes System. Per Ersatzvornahme wurde die neueStruktur des Entgeltsystems erst einmal vorgegeben. Vondieser Ebene aus kann sie jetzt weiterentwickelt werden.
Es hat im Vorhinein Probedokumentationen gegeben.
Man hat nach Kostentrennern gesucht und aufgezeigt,dass das, was vom InEK berechnet wurde, nicht praxis-relevant war, sondern dass noch andere Kostentrenneranalysiert werden mussten.Das alles war bekannt. Deshalb kann man feststellen,dass wir mit Wissens- und Informationslücken sowiestrukturellen Defiziten in dieses System gestartet sind.Das ist eigentlich bedauerlich, weil wir natürlich zu ei-nem neuen Honorarsystem kommen müssen. Wir müs-sen zu einem leistungsgerechten Entgeltsystem kom-men, das aber auch die individuellen Bedürfnisse derPatienten berücksichtigt. Das muss die große Zielset-zung sein.Sie haben im Koalitionsvertrag verabredet, jetzt einesystematische Überprüfung vornehmen zu wollen. Wirhoffen darauf, dass Sie diese tatsächlich ergebnisoffenvornehmen und auch das Anliegen der Linken in ihremAntrag berücksichtigen – das ist ja im Übrigen ein An-liegen, das wir in unserem Antrag damals auch schon ge-äußert hatten –, eine begleitende Expertenkommissioneinzurichten und sich gemeinsam mit ihr auf den Weg zueinem adäquaten Neustart zu machen.
Das Ganze wird aber damit stehen und fallen, dass Siewirklich bereit sind, noch einmal zu überdenken, wo un-sere psychiatrische Versorgung 2022 stehen muss. Dabeidürfen Sie nicht nur auf die Kosten gucken, sondern esgeht auch darum, dass es am Ende passgenaue Angebotegibt, die sowohl die ambulante als auch die stationäreHilfe im Blick haben.Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, was in Be-zug auf die integrierte Versorgung im ambulanten Be-reich entwickelt wird. Auf der anderen Seite muss dieneue Form des Honorarsystems Maßnahmen ermögli-chen, die notwendig sind, um nach der Entlassung aus
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Maria Klein-Schmeink
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dem Krankenhaus wieder vollständig zu genesen. Alldas steht heute noch komplett aus. Das sind die Aufga-ben, die wir zu erledigen haben.Wir müssen ebenso fragen, was das neue System fürdie Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionbedeutet und was die von uns entwickelten Vorgaben,nach denen Zwangsbehandlungen und Zwangsmaßnah-men zu vermeiden sind, für den Personalbedarf bedeu-ten.Das sind die großen Baustellen, die wir anzugehenhaben. Wir hoffen, dass wir mit den Anhörungen, die zudiesem Antrag hoffentlich stattfinden werden, genaudiese Probleme auf den Tisch bringen. Wir werden un-sere Vorstellungen mit einem weiteren Antrag in die De-batte einbringen und hoffen, dass Sie in der Umsetzungihrer Koalitionsvereinbarung einen Schritt weiter kom-men – zugunsten der Betroffenen.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk
Heidenblut das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Weg mit PEPP!“ – Auf diesen recht eingän-gigen Spruch brachte eine sehr große Initiative vonFachleuten die Diskussion um das pauschalierende Ent-geltsystem Psychiatrie und Psychosomatik, kurz PEPP,und damit gleich auch die vermeintliche Lösung des Pro-blems. Nun will ich nicht verhehlen: Diese kurze Formelist sehr eingängig; zielführend aber, ähnlich der jetztebenso kurzen Formulierung „Einführung des neuenEntgeltsystems in der Psychiatrie stoppen“, ist sie nichtunbedingt.2009 fing es gar nicht so schlecht an. Als die dama-lige Bundesgesundheitsministerin die Reform auf denWeg brachte und letztlich das Psychiatrie-Entgeltgesetzbeschlossen wurde, gab es sogar so etwas wie eine Auf-bruchstimmung. Bis 2013 sollte Zeit sein, zu guten Er-gebnissen zu kommen. Die Ministerin machte deutlich:Es wird um Tagespauschalen gehen. – Das ist etwas, wasin der Psychiatrie grundsätzlich machbar ist. Zudemstand die Psychiatrie-Personalverordnung als Anker fürdie Mindestpersonalbemessung deutlich im Fokus.
Dann erfolgte die Vorlage des PEPP-Entgeltkatalogsdurch das Institut für das Entgeltsystem im Kranken-haus, der aber zwischen den Partnern nicht vereinbartwerden konnte, da die DKG massive Bedenken hatte,wie übrigens nahezu alle Fachverbände. Das FDP-ge-führte Ministerium verfügte stattdessen Ende 2012 ohneausreichende Berücksichtigung der durchaus begründe-ten Einwände die Ersatzvornahme. Das PEPP wurdezum 1. Januar 2013 gestartet.Seitdem – das war angesichts des wenig zielführen-den Umgangs des FDP-Ministers mit den Sorgen derFachleute verständlich – hagelt es Kritik am PEPP. Aberseitdem gibt es auch auf allen Seiten das Bemühen, dieseKritik in konstruktive Änderungsvorschläge umzuwan-deln.
Für dieses sehr lösungsorientierte Verhalten sind wir denFachverbänden und den Einrichtungen ausdrücklichdankbar.Die neue Koalition will sich der Diskussion und denvielen Anregungen an dieser Stelle nicht verschließen.
Dieser Politikwechsel findet sich auch im Koalitionsver-trag, in dem wir deutlich machen: Eine Benachteiligungschwerst psychisch Erkrankter darf es nicht geben. NeueDrehtüreffekte dürfen nicht erzeugt werden, weshalbdazu dann auch systematische Veränderungen des Ver-gütungssystems vorzunehmen sind.Es gilt, die Bedenken ernst zu nehmen und gemein-sam Lösungen zu finden. So hat schon der Landschafts-verband Rheinland, einer der großen kommunalenTräger von psychiatrischen Kliniken, zugleich übrigensein Motor ambulanter Eingliederungshilfe, auf einer be-merkenswerten Fachtagung geäußert – ich zitiere ausdem Vorwort –:Der LVR hat es sich zum Ziel gemacht, das neueSystem nicht nur zu kritisieren, sondern aktiv ander Weiterentwicklung mitzuarbeiten.Diese Bereitschaft nicht nur des LVR, sondern auch etwader bayerischen Bezirke und vieler anderer wurde aufge-griffen und muss auch weiter aufgegriffen werden.
Bei der Fachtagung wurde zudem deutlich: Auch dieKrankenkassen sehen durchaus Veränderungsbedarf. Sobefürchtete der Vertreter einer großen Kasse einen An-stieg der Wiederkehrrate, also einen klassischen Dreh-türeffekt, durch das PEPP. Dank der sehr intensiven Mit-arbeit vieler Fachverbände am Vorschlagsverfahren – esgibt ja ein Verfahren, mit dem Veränderungen durchge-führt werden können – wurden bereits Veränderungendurch das InEK in das laufende System eingepflegt.
Das gemeinsame Ziel ist und bleibt, besser verzahnteund transparente Leistungen im ambulanten und statio-nären Bereich zu sichern. Es muss eine effektive Versor-gung der psychisch Erkrankten sichergestellt werden.
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Dirk Heidenblut
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Aber das System ist nun einmal am Start. Es gibtzahlreiche Einrichtungen – inzwischen fast 15 Prozent –,die sich im Rahmen der aktuell möglichen Option, sichalso schon 2013 bzw. 2014 auf das neue System einzu-lassen, auf den Weg gemacht haben. Es gibt Ansätze, al-ternative Verfahren zu erproben. Das mal eben dadurchzu stoppen, dass man Krankenhäuser, die dies wünschen,nicht weiter optieren lässt, würde dem berechtigten Ver-trauensschutz der Einrichtungen nicht gerecht, den be-gonnenen Dialogprozess untergraben und uns zudem dieMöglichkeit nehmen, auf relevante Daten zuzugreifen.Es würde damit dem Ziel nicht gerecht.
Denn dass im System der Psychiatrie Veränderungennotwendig sind, ist, glaube ich, heute wie schon 2009unumstritten.Psychische Erkrankungen nehmen bedauerlicher-weise zu und entwickeln sich zum Hauptgrund für beruf-liche Krankschreibungen. Dass Anpassungen und Verän-derungen, auch in der stationären Versorgung, erfolgenmüssen, ist unvermeidlich. Das ändert natürlich nichtsdaran, dass wir sehr genau darauf achten müssen, Fehl-entwicklungen zu vermeiden, die dazu führen würden,dass das neue System am Ende womöglich mehr schadetals nützt und wirtschaftlich nur einen Verschiebebahnhofim System eröffnet.Gerade die Versorgung psychisch Erkrankter ist aufein stimmiges und abgestimmtes System angewiesen,das von der Prävention über stationäre und ambulanteMaßnahmen und gute Reha bis hin zur Eingliederungreicht. Ein Baustein in diesem System, der den Notwen-digkeiten nicht gerecht wird, löst unabsehbare Problemeim Gesamtsystem und damit erhebliche Folgekosten undim Zweifel Verschiebung aus. Und die stationäre Versor-gung ist ein großer Baustein im System.Wir haben das Problem möglicher Verwerfungendurch die Systemveränderung gesehen und in den Koali-tionsvertrag aufgenommen, dass wir uns damit auseinan-dersetzen werden. Das InEK ist mit der Prüfung und derVorlage eines entsprechenden Berichts beauftragt. DieErgebnisse werden im April vorliegen. Im Anschlussund unter Auswertung dessen gilt es, gemeinsam mitdem InEK und den anderen Fachleuten die nötigenSchlüsse zu ziehen. Dazu kann auch gehören, dass wirmehr Zeit benötigen, um wirksame Anpassungen vorzu-nehmen, wie es die aktuell noch laufende Petition, aberauch der LVR, der Präsident des Bayerischen Bezirketa-ges und viele Fachverbände fordern. Das weist in dierichtige Richtung: nicht „Stopp“ oder „Weg damit“, son-dern Zeit für Anpassung und Korrektur.Wir benötigen, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Linken, keine peppigen Anträge, sondern ein PEPP,das den Bedürfnissen der Beteiligten gerecht wird undim besten Sinne das Entgelt- und Versorgungssystemaufpeppt. Daran werden wir in der Koalition arbeiten.Der Bericht des InEK wird uns dabei sicherlich ebensoeine Hilfe sein wie die vielfältigen Einlassungen derFachverbände.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Kollege Heidenblut, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Auch Ihnen wünsche ich im Namen
des gesamten Hauses viel Erfolg in Ihrer Arbeit.
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Emmi
Zeulner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst möchte ich mich entschuldigen,falls ich in meiner Rede aufgrund meiner fränkischenWurzeln das PEPP zum „BEBB“ mache. Aber der Inhaltbleibt der gleiche. Es ist wichtig, dieses Thema sensibelanzugehen.Im Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik dürfenkeine Fehlentwicklungen entstehen. Denn gerade diegroße Bandbreite von Krankheitsverläufen und die Sen-sibilität des Themas bedürfen der besonderen Aufmerk-samkeit aller. Deswegen ist es absolut richtig, das Vergü-tungssystem zu thematisieren und klug zu überdenken.So steht es auch im Koalitionsvertrag.In einem sind wir uns alle einig: Das bisherige Sys-tem der tagesgleichen Pflegesätze kann so nicht weiter-geführt werden. Die Höhe der Pflegesätze spiegelt nichtden eigentlichen Personal- und Zeitaufwand wider. Obein Patient eine 24-Stunden-Überwachung benötigt, weiler suizidgefährdet ist, oder selbstständig am Klinikalltagteilnehmen kann, findet wenig Berücksichtigung. DasSystem ist weder transparent – denn von außen ist nichteinsehbar, welche Behandlungen der Patient tatsächlicherhält –, noch ist es leistungsorientiert, weil die Behand-lungsintensität eine untergeordnete Rolle in der Vergü-tung spielt.Hinzu kommt, dass die tagesgleichen Pflegesätze ihreWurzeln im Gesundheitssystem der 70er-Jahre habenund seitdem nicht weiterentwickelt wurden. Den He-rausforderungen, aber auch den Möglichkeiten, vor de-nen die psychiatrischen und psychosomatischen Einrich-tungen heute stehen, wird es schwer gerecht.Angesichts der eklatant gestiegenen Zahlen psychi-scher Erkrankungen müssen wir uns fragen: Wie schaf-fen wir es, ein Vergütungssystem zu etablieren, das eineindividuelle, praxisnahe und qualitativ hochwertige Be-handlung honoriert? Darum hat die Bundesregierung imJahr 2009 reagiert und die Selbstverwaltungspartner zurEntwicklung von PEPP aufgefordert. Damit wurde derWeg hin zu einem neuen Vergütungssystem beschritten.Ein solch komplexes System lässt sich nicht einfachaus dem Ärmel schütteln. Ein patienten- und sachge-rechtes Vergütungsmodell lässt sich auch nicht am run-den Tisch fernab der Praxis entwerfen. Deswegen war esrichtig, einen sanften und gleichzeitig flexiblen Über-gang zwischen dem alten und dem neuen System zuschaffen. Jetzt, im Jahr 2014, sind wir im zweiten Jahr
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Emmi Zeulner
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der Optionsphase. Die Einrichtungen können also nochzwischen dem alten und dem neuen System wählen. Erstim Jahr 2015 soll die Umstellung verbindlich werden.Die Stärke des lernenden Systems liegt in der Mög-lichkeit der jährlichen Anpassung des Katalogs im Dia-log mit den Beteiligten. Es soll aus den Erfahrungen derPraxis wachsen und ist als Prozess zu verstehen. Daswird hoffentlich von vielen angenommen. Es handeltsich auch nicht um verkappte Fallpauschalen; vielmehrsind es Tagessätze auf Basis einer Fallgruppierung. Dasbedeutet: Im Gegensatz zur diagnosebezogenen Fallpau-schale steht mit dem PEPP der Klinik für jeden Behand-lungstag eine Vergütung zu. Der Drehtüreffekt wird so-mit vermieden.Plakative Aussagen wie „Weg mit PEPP“ bringen unsin der Sache nicht weiter.Natürlich ist PEPP in seiner jetzigen Form nicht derWeisheit letzter Schluss. Die Kritik von Patientenvertre-tern und Verbänden ist selbstverständlich sehr ernst zunehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass blumigeReden von uns Politikern aller Couleur nicht ausreichen.PEPP wird einen Mehraufwand an Bürokratie bedeu-ten. Das ist die Kehrseite der Medaille und darf nichtverleugnet werden.Auch sehe ich Handlungsbedarf in der differenziertenAusgestaltung der Entgelte. Zum Beispiel im Bereichder Gerontopsychiatrie und der Suchtmedizin. SpezielleStationen, die unser Gesundheitssystem so wertvoll ma-chen wie zu Beispiel die Gehörlosenpsychiatrie, müssenihrer besonderen Aufgabe entsprechend in den Katalogmit einfließen.
Die Anliegen, gerade was den Personalschlüssel inder Pflege angeht, müssen bei der Weiterentwicklungdes Systems unbedingt berücksichtigt werden. PEPPdarf nicht auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragenwerden. Hierbei werden sie mich immer als Streiterin anihrer Seite haben.PEPP ist ein lernendes System. Wie bei jedem Schü-ler hängt der erfolgreiche Werdegang zum großen Teilvom Engagement der Lehrer ab. Deshalb liegt es in un-serer Verantwortung, gemeinsam mit den Selbstverwal-tungspartnern das Schulkind PEPP zu einem leistungs-orientierten und transparenten System auszugestalten,sodass es den unermüdlichen Einsatz der Pflegenden,der Ärzte und der Therapeuten angemessen honoriertund so dem Wohl der Patienten dient.
Das Wort hat die Kollegin Heike Baehrens für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste auf der Tribüne, ganz besonders die Gruppevon der Kaufmännischen Schule in Göppingen – herz-lich willkommen!
Das PEPP hat nicht wirklich Pep. Das hat, glaube ich,diese Debatte schon gezeigt. Das Vergütungssystembraucht systematische Veränderungen, damit schwerstpsychisch Erkrankte nicht benachteiligt, die sektoren-übergreifende Zusammenarbeit gefördert und Drehtür-effekte verhindert werden – genau so haben wir es imKoalitionsvertrag miteinander verabredet. Deshalb brau-chen wir und auch das Gesundheitsministerium in dieserFrage, denke ich, eigentlich nicht unbedingt Nachhilfevon linker oder grüner Seite.In der Praxis im Bereich der psychiatrischen Hilfezeigt sich, dass schwer chronisch kranke und mehrfachbelastete Patientinnen und Patienten in Deutschlandnoch immer wenig Zugang haben zu ambulanten, perso-nenzentrierten und gemeindenahen Versorgungsangebo-ten. Obwohl diese Zielsetzung bereits durch die Psychia-trie-Enquete 1971 formuliert wurde, stagnieren dieHilfestrukturen. Darum ist es dringend notwendig, paral-lel zur Reform des Entgeltsystems im stationären Be-reich den ambulanten Bereich im Rahmen des SGB V –dazu zählen zum Beispiel die Psychotherapie oder dieSoziotherapie – in den Blick zu nehmen und ambulanteund mobile Rehabilitationsangebote auszubauen.
Wer hier maßgeblich etwas in Bewegung bringenmöchte, wird die starke Fragmentierung unserer Versor-gungsstrukturen grundlegend auf den Prüfstand stellenmüssen; denn sie hat nachweislich negative Auswirkun-gen auf die Versorgungsqualität für Patientinnen und Pa-tienten. Die Zahl der Brüche und Doppelungen in denBehandlungen und die Zahl der Klinikaufenthalte könn-ten deutlich verringert werden, wenn flexiblere, kontinu-ierliche Pfade der Behandlung, der Rehabilitation undder Teilhabeförderung tatsächlich ausgestaltet und ver-lässlich finanziert würden sowie die Selbsthilfe gefördertwürde.
Es muss uns alarmieren, wenn laut Deutscher Renten-versicherung fast jede zweite Frühverrentung wegen ei-ner psychischen Erkrankung erfolgt und das Durch-schnittsalter inzwischen bei 49 Jahren liegt. Das ist fürjeden Einzelnen und seine Angehörigen eine persönlicheTragödie. Für die Solidargemeinschaft muss es als He-rausforderung verstanden werden zur Weiterentwicklungunserer Hilfe- und Angebotslandschaft.
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1438 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014
Heike Baehrens
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Es gilt, den Grundsatz „Reha vor Rente“ nicht nur poli-tisch zu fordern, sondern durch konkrete Maßnahmenanzugehen. So ist es beispielsweise äußerst ärgerlich,wenn nach wie vor Rentenversicherung und Kranken-versicherung im Einzelfall darüber streiten, ob eine Re-haleistung bewilligt wird und welcher Rehaträger dieKosten zu tragen hat. Das baut Hürden auf und führt beinicht wenigen Betroffenen dazu, dass sie auf eigentlichnotwendige Leistungen verzichten, anstatt sich für ihreRechte und die notwendige Therapie einzusetzen. Dabeiwäre es gerade zu diesem frühen Zeitpunkt wichtig, denVerlust des Arbeitsplatzes durch Rehamaßnahmen zuverhindern.
Was hat das mit PEPP zu tun? In der Praxis zeigt sich,dass durch die aktuelle Ausgestaltung des PEPP die drin-gend erforderliche bessere Verzahnung von Ambulantund Stationär gerade nicht gefördert wird.
Vielmehr kommen aufgrund der verkürzten akutstationä-ren Behandlungszeiten rehabilitative Aspekte in der Be-handlung zu kurz. Wer gerade noch in einer akuten Epi-sode seiner psychischen Erkrankung steckte, ist schnellüberfordert. Wenn der oder die Betroffene Glück hat, en-gagiert sich die entlassende Klinik unentgeltlich für Fol-gemaßnahmen. Da diese aber regional sehr unterschied-lich und meist unzureichend zur Verfügung stehen,kommt es oft zu belastenden Wartezeiten, womöglich zuneuen akuten Krisen oder gar zur Chronifizierung derKrankheit. Darum braucht es klare Zuständigkeiten unddie entsprechende Vergütung für ein patientenzentriertesÜbergangs- und Case-Management.
Problematische Verschiebungen in andere Leistungs-bereiche wie beispielsweise SGB XI – Pflegeeinrichtun-gen –, die diesen Zielgruppen nicht annähernd gerechtwerden können, sind keine angemessene Antwort. In Ba-den-Württemberg erleben wir gerade, dass Träger derSozialpsychiatrie aufgefordert werden, neue, zusätzliche– insbesondere geschlossene – Wohngruppen aufzu-bauen. Allein in Stuttgart sind in den letzten zwei Jahrendrei geschlossene Wohnheime neu entstanden, weil be-reits jetzt die Verweildauern in der klinischen Behand-lung deutlich abgenommen haben. Wollen wir diesenRückfall in die Zeit vor der Psychiatrie-Enquete wirk-lich?
Nein, wir sind nämlich herausgefordert, die Ziele derUN-Behindertenrechtskonvention ernst zu nehmen undfür mehr Selbstständigkeit und Teilhabe einzutreten.Ich hatte eingangs gesagt: Die Regierungskoalitionhat das Thema auf der Agenda. Was dabei aus SPD-Sicht zentral ist, will ich abschließend kurz skizzieren.Die Schieflagen des jetzigen Systems müssen beseitigtwerden durch eine angemessene Ressourcenverteilung.Ein zukunftsfähiges Vergütungssystem im Psychiatrie-bereich muss die Krankenhäuser darin unterstützen, imlokalen Verbund Versorgungsverantwortung zu überneh-men. Wir brauchen flexibler nutzbare, integrierte Hilfs-angebote für die Betroffenen und fließende Übergängezwischen dem stationären, teilstationären und ambulan-ten Bereich. Das Recht und der Anspruch von psychischkranken Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabesind anzuerkennen. Darum brauchen wir die ideelle unddie materielle Förderung von personenzentrierten Be-handlungskonzepten.Darum sagen wir als SPD heute: Sorgfalt vor Schnel-ligkeit. Es bringt nichts, ein System vom Kopf auf dieFüße und dann wieder auf den Kopf zu stellen. LassenSie uns die Einführung des PEPP weiter aufmerksam-kritisch begleiten und an den richtigen Stellen den Hebelzur Korrektur ansetzen.Vielen Dank.
Kollegin Baehrens, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Dazu möchte ich Ihnen gratulieren.
Ich möchte Ihnen gleichzeitig mit auf den Weg geben,
dass Sie jetzt keinen Kredit aufgenommen haben. Viel-
mehr gilt in Zukunft: Wenn das Minuszeichen vor der
Zahl erscheint, dann ist tatsächlich die Redezeit abgelau-
fen.
Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Liebe Kollegen der Linken, Sie haben inIhrem Antrag formuliert:Liegen die realen Kosten in einem Krankenhaus hö-her, ist das Entgelt nicht kostendeckend. Diese Kli-nik muss also die Kosten senken …Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Ja, das wer-den sie wohl müssen. Aber haben Sie auch daran ge-dacht, dass es Krankenhäuser gibt, die Leistungen er-bringen, ohne dass es angemessene Preise gibt? Zumersten Mal definieren wir Leistung. Wenn es Kranken-häuser gibt, die für die gleiche Leistung mehr Geld be-kommen als andere, dann kommen diese anderen zukurz.
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Lothar Riebsamen
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Deswegen ist dieses Entgelt, das wir jetzt einführen, ge-recht. Wo ist denn an der Stelle Ihr Gerechtigkeitssinngeblieben? Das kann ich überhaupt nicht nachvollzie-hen.
Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesem Ent-gelt, bei dem wir erstmals Leistung definieren, die Kran-kenhäuser in die Lage versetzen, einen Überblick da-rüber zu gewinnen, welche Leistungen sie selbererbringen und was diese Leistungen kosten. Bisher wa-ren alleine die Berechnungstage und die Fälle mehr oderweniger die Grundlage, um die tagesgleichen Pflege-sätze zu kalkulieren. Das ist deutlich zu wenig. Wennman in der heutigen Zeit eine so komplexe Einrichtungwie ein Krankenhaus führen will, ist diese Kalkulations-methode schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß.Es ist im Rahmen des jetzigen Entgeltsystems auchnicht möglich, vernünftige Vergleiche, was die Leistunganbelangt, mit anderen Krankenhäusern anzustellen. DieKrankenhäuser selber müssten das größte Interesse da-ran haben, ein Benchmarking zu erhalten, das tatsächlichaussagefähig ist, um endlich Transparenz in Kranken-häuser, in psychiatrische und psychosomatische Einrich-tungen hineinzubekommen, und zwar Transparenz fürsich selber, gegenüber den Kostenträgern, aber vor allemgegenüber den Patientinnen und Patienten.
Jetzt gibt es ein verweildauerorientiertes Vergütungs-system, das bekanntlich mit tagesgleichen Pflegesätzenarbeitet. Ich glaube auch, dass dieses verweildauerorien-tierte System nicht patientengerecht ist. Welcher Patienthat denn schon ein Interesse daran, sich unnötig langestationär in einer psychiatrischen Einrichtung aufzuhal-ten?
Es geht doch darum, die richtige Hilfe zu bekommen,sei es über die sozialpsychiatrischen Dienste. Das be-ginnt ganz unten, also niederschwellig, in den Kommu-nen und geht über den niedergelassenen Bereich undteilstationäre Einrichtungen bis hin zu den PIAs.Erst dann, wenn es wirklich notwendig ist, sollte dieHilfe im stationären Bereich erfolgen – dann so kurz wienur möglich.Es kann schon sein, dass dieses System besondersschwierige Fälle nicht in der Weise abbildet, wie wir unsdas vorstellen. Dafür ist es aber – wir haben es heuteschon mehrfach gehört – ein lernendes System. Wir ha-ben neun Jahre lang Zeit, um das in den Griff zu bekom-men.Im Koalitionsvertrag wurde deutlich gemacht, dassgenau in diesen besonders schweren Fällen, wo ein lan-ger Aufenthalt durchaus angezeigt ist, keine Nachteileentstehen dürfen, weder für die Krankenhäuser noch fürden Patienten. Darauf werden wir bei der Entwicklungdes Systems ein besonderes Augenmerk legen; das si-chern wir Ihnen an der Stelle noch einmal zu.Ich fordere Sie auf, nicht mit Verzagtheit, nicht mitBedenken an dieses problematische Thema heranzuge-hen, nicht mit neuen Verordnungen und Reglementierun-gen das alles in den Griff bekommen zu wollen, sondernzusammen mit uns mutig voranzugehen, um in den psy-chiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusernmittelfristig ein zeitgemäßes Vergütungssystem einzu-führen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/557 an den Ausschuss für Gesundheit
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 12. März 2014, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute in der Zwischenzeit, Erfolge im Wahlkreis und
vielleicht auch ein bisschen Erholung.